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German Pages 288 [290] Year 2022
Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris
von Maria Anna Oberlinner
Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris
CLASSICA MONACENSIA CLASSICA Münchener Münchener Studien Studien zur Klassischen Philologie Herausgegeben von Martin Herausgegegeben von MartinHose Hoseund und Claudia Wiener Wiener 58 · 2022 Band 53 2018
Maria Anna Oberlinner
Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris
Umschlagabbildung: Marmorsphinx als Basis. Neapel, Museo Nazionale, Inv. 6882. Guida Ruesch 1789. H: 91 cm INR 67. 23. 57. Su concessione del Ministero dei Beni e delle Attività Culturali e del Turismo – Museo Archeologico Nazionale di Napoli. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Diss. Ludwig-Maximilians-Universität München 2021 DOI: https://www.doi.org/10.24053/9783823395263 © 2022 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: [email protected] CPI books GmbH, Leck ISSN 0941-4274 ISBN 978-3-8233-8526-4 (Print) ISBN 978-3-8233-9526-3 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0355-8 (ePub)
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meinen Eltern gewidmet
Inhalt
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Der Aufbau der Remedia amoris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
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Der literaturtheoretische Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Ein Intertextualitätskonzept für philologische Heuristik . . . . 3.2 Parodie in der Antike und der modernen Literaturkritik . . . . 3.3 Ein Visualisierungsmodell: Die Pyramidenstruktur der Intertextualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Ovids parodistische Inversion von Lukrez’ philosophischem Lehrgedicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Die Grundkonzeption von De rerum natura liber 4 und die Bedeutung der ‚Bilder‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Die sukzessive Entfernung vom Prätext . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 ‚simulare vs. simulacra‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Parodie und Intertextualität: Die Remedia amoris und die didaktische Poesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Ovidische Erneuerungen in einer innovationsfreudigen Gattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Die Funktionalisierung didaktischer Standards für die Remedia amoris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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65 65 66 71 79 85 85 93
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Inhalt
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4.2.3 Die Demontage der Elegie im Medium des Lehrgedichts 96 4.2.4 Amor schleicht sich ein: Die unmöglichen Remedia amoris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm der Remedia amoris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4.3.1 Eine parodistische ‚aemulatio Horatii‘? Ovids intertextuelle Bezugnahme auf den Augusteer und jambisch-satirische Traditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4.3.1.1 Die intertextuelle Anbindung der Remedia an die Autosuggestionspassage in Hor. sat. 1, 3 und Ovids Rezeption des vitium-Begriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4.3.1.2 Die Karikierung von ‚Liebessklaven‘: Hor. sat. 2, 3, sat. 2, 7 und satirische Horizonte (der Unfreiheit) in Ovids Remedia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 4.3.1.3 Horaz’ Epoden und Jambustraditionen in den Remedia 153 4.3.2 Ovid und Catull: Reaktion auf Geschichten eines Rückfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 4.3.2.1 Catulls iambi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 4.3.2.2 Catull in Ovids Œuvre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 4.3.2.3 Catull als Geschichte eines Rückfalls . . . . . . . . . . . . . . . 194 4.3.2.4 Ovid, Catull und die Missachtung der emotionalen Indifferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 4.3.3 Resümee zum Umgang mit den satirischen und jambischen Prätexten sowie weiteren carmina der Catull’schen Liebeszyklen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
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Zusammenschau und Ausblick auf weitere Forschungsfelder . . . . . . 253
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Textausgaben, Übersetzungen, Kommentare und Konkordanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Wörterbücher und Bibliographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7 Stellenindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
Abkürzungen Für antike lateinische und griechische Autoren und Werke verwende ich die Abkürzungen nach dem Neuen Pauly, vgl. Cancik, Hubert/Schneider, Helmuth (2003/2012; Hgg.): Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 1, Stuttgart, XXXIX–XLVII. Für Zeitschriftentitel im Literaturverzeichnis verwende ich die Abkürzungen nach L’ Année Philologique. Zudem kürze ich das Oxford Latin Dictionary mit OLD und den Thesaurus Linguae Latinae mit ThLL ab (für genaue Literaturangaben siehe 6.2).
Vorwort Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die geringfügig überarbeitete und um einen Stellenindex erweiterte Fassung meiner Dissertation, die ich im Wintersemester 2020/2021 an der Fakultät für Sprach- und Literaturwissen‐ schaften der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereicht habe. Die Disputation erfolgte am 06.05.2021. Mein Dank gilt mehreren Mentoren und akademischen Weggefährten. Betreut wurde die Arbeit von Prof. Dr. Claudia Wiener, für deren unermüd‐ liche Unterstützung meiner Arbeit ich mich aufrichtig bedanken möchte. Sie begegnete meinen Ideen und Ergebnissen stets mit Offenheit und großem Interesse und war als äußerst engagierte Mentorin eine vertrauensvolle An‐ sprechpartnerin in allen Belangen. Ebenfalls gilt mein herzlicher Dank Prof. Dr. Niklas Holzberg, der mich mit seiner Begeisterung für die griechische und römische Dichtung zur Auseinandersetzung mit Ovid inspiriert und meine Zu‐ lassungsarbeit, von der meine Dissertation ihren Ausgangspunkt nahm, betreut sowie das Korreferat für meine Dissertation übernommen hat. Die anregenden Vorträge im Rahmen der von ihm begründeten Petronian Society Munich Section und die dabei geknüpften Kontakte prägten zudem meine Studienzeit und mein Interesse an der wissenschaftlichen Beschäftigung mit lateinischen Texten. Außerdem bedanke ich mich bei Prof. Dr. Markus Janka, der als Drittgutachter meiner Dissertation fungierte und an dessen Arbeitsbereich für Fachdidaktik ich in meiner Studienzeit wertvolle Erfahrungen sammeln konnte. Zudem gilt mein Dank allen Mitgliedern des Forum Didacticum, insbesondere Dr. Rüdiger Bernek, da ich mehrfach an Forschungskolloquien teilnehmen und Thesen präsentieren sowie diskutieren durfte. Ferner bin ich Prof. Dr. Friedrich Vollhardt, der bereitwillig und mit großem Interesse für meine Forschung als Drittprüfer der Disputation agierte, und seinem Lehrstuhl zu großem Dank verpflichtet. Schließlich möchte ich Prof. Dr. Regina Höschele meinen besonderen Dank aussprechen, da sie aus der Nähe und Ferne meine Studienzeit prägte und mir stets menschlich und fachlich mit wertvoller und präziser Kritik zur Seite stand. Auch Herrn Tillmann Bub, dem Lektoratsteam und Frau Iris Steinmaier vom Narr Francke Attempto Verlag sei für die Unterstützung bei der Publikation ebenso aufrichtig gedankt wie Prof. Dr. Claudia Wiener und Prof. Dr. Martin Hose für die Aufnahme meiner Dissertation in die Reihe Classica Monacensia. Ein spezieller Dank gilt zudem nicht nur allen, die mich auf meinem aka‐ demischen Weg und auf Tagungen, in Seminaren, Forschungskolloquien und
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Vorwort
in fachlichen Gesprächen begleitet haben, sondern vor allem meiner Familie und meinen Freunden, insbesondere meinen Eltern, die mich in der Phase der Promotion unterstützt haben. Ihnen, die mich auf jedem Schritt meines Lebens geleitet haben und denen ich alles verdanke, sei dieses Buch gewidmet. München, im Januar 2022
Maria Anna Oberlinner
1 Einleitung1 Zu Beginn des vierten Teils seiner liebesdidaktischen Tetralogie2 inszeniert Ovid Amors Empörung über den Titel des neuen Werkes, da die ovidische Persona remedia amoris in, wie es zunächst scheint, Opposition zum Zuständigkeitsbe‐ reich des Liebesgottes ankündigt. Gegen welche Form der Liebe diese Heilmittel gerichtet sind, erläutert der Sprecher im ersten Teil des Proöms (vgl. V. 1–40): eine unglückliche und unerwünschte, deren Bekämpfung auch Amor am Herzen liegen müsse (vgl. at si quis male fert indignae regna puellae, / ne pereat, nostrae sentiat artis opem, V. 15 f.). Ovids Schüler soll das Buch lesen und die Regeln und Hilfestellungen beherzigen, bis er schließlich zu lieben verlernt (vgl. donec dediscis amare, V. 211b). Ein Blick auf aktuellere Publikationen in Sachen Liebesratgeber lässt die Remedia amoris geradezu modern erscheinen. In zahlreichen Büchern, (Lifestyle-)Maga‐ zinen und Internetbeiträgen finden sich Hinweise auf verschiedene bewährte Strategien, die zur Befreiung von lästiger Liebe oder Liebeskummer verhelfen.3 Die Nachfrage nach entsprechender Ratgeberliteratur ist offenbar groß.
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Die Dissertation hat ihren Ausgangspunkt in meiner nicht publizierten schriftlichen Hausarbeit zur Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien im Herbst 2016 („Die Remedia amoris als ‚ars simulandi‘. Ovids spielerischer Umgang mit Lukrez und der Gattung des Lehrgedichts“, 55 S.), betreut von Prof. Dr. Niklas Holzberg. Aus dieser Zulassungsarbeit wurden die Einleitung (erweitert aber um den Forschungsbericht), die Ausführungen zum Aufbau der Remedia amoris (in der Zulassungsarbeit und in dieser Arbeit Kapitel 2), zum literaturtheoretischen Rahmen (in der Zulassungsarbeit Kapitel 4.4 [4.4.1, 4.4.2], in dieser Arbeit Kapitel 3.1 und 3.2) und dem Umgang mit Lukrez und didaktischer Poesie (in der Zulassungsarbeit Kapitel 3, 4.1, 4.2 und 4.5 [4.5.1– 4.5.4], in dieser Arbeit Kapitel 4.1 [4.1.1–4.1.3] und 4.2 [4.2.1–4.2.4]) übernommen, jedoch grundlegend überarbeitet und aktualisiert. Auch das Literaturverzeichnis wurde umfassend erweitert. Die Zusammengehörigkeit der drei Bücher der Ars amatoria und der Remedia amoris und ihre „kompositionell[e] Einheit“ sind nicht zuletzt durch ihre strukturelle Anleh‐ nung an die vier Bücher von Vergils Georgica, zu denen Ovids Werk ein „heiteres Gegenstück“ darstellt, gegeben, vgl. Holzberg (2011d) 91, auch für beide Zitate, und u. a. auch Stroh (2001; im Folgenden nach der online-Version zitiert). Zur strukturellen „Verklammerung“ vgl. Küppers (1981) 2530–2541 (Zitat aus der Überschrift S. 2530). Siehe auch unten Anm. 19. Vgl. hierzu auch Volk (2002) 158 mit Anm. 5. Vgl. als Beispiel für eine „Anleitung zum Entlieben“ (so der Titel des Romans von Conni Lubek, Ullstein Buchverlage, Berlin 2008) den Selbsthilfe-Trainer von Debora Phillips/Robert Judd (22013): How To Fall Out Of Love, published by Brannan Street Books, printed by McNaughton & Gunn, Inc., Saline, Michigan.
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1 Einleitung
Aus dem allgemeinen Erfahrungsschatz des Lebens scheinen, den poetologi‐ schen Selbstaussagen zufolge,4 auch die Weisungen des ovidischen praeceptor zu stammen, da er in „Wenn-Dann-Szenarien“5 Möglichkeiten zur Heilung von Liebesqualen vorstellt, die u. a. darin bestehen, dass der Schüler sich mit Hobbies oder beruflicher Tätigkeit ablenken oder eine neue erotische Beziehung eingehen solle. Praktikabel, nachvollziehbar, realitätsnah gedacht, wenn man davon ausgeht, dass sich Emotionen durch Planung steuern lassen6 – so könnte ein erster Lek‐ türeeindruck beschrieben werden. Doch zielen die Remedia wie ihre modernen ‚Entsprechungen‘ auf Anwendbarkeit im Alltag ab? Diese Frage ist mit Blick auf die Forschungsergebnisse, die Ovids intertextuelle und postmodernistische7 4
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Der Anspruch ‚[u]sus opus mouet hoc‘ findet sich bereits in ars 1, 29. In der Behandlung dieses alltäglichen Gegenstandes zeige sich, so Effe, nicht nur die Distanz zum typisch hellenistischen, an einem Fachgegenstand ausgerichteten, Lehrgedicht (vgl. Effe [1977] 241), sondern auch der ironische Bruch mit traditionellen Lehrgedichten, in denen sich der Lehrdichter wie bei Hesiod auf die Musen beruft, vgl. Effe (1977) 242 f. Im Kontext des usus ist ebenso Volks (2002) 164 f. Beobachtung zum erotodidaktischen praeceptor anzuführen: So erziele seine Strategie, die Weisungen durch eigene und bisweilen negative Erfahrungen zu veranschaulichen, eine humorvolle Wirkung und stärke seine „control and authority“. Zu „persönliche[r] Erfahrung“ in den Remedia vgl. die von Effe (1977) 244 Anm. 9 angeführten Stellen V. 101, 227 ff., 311 ff., 356, 499 ff., 663 ff., 716. Volk (2002) 185 (übers. Zitat). Die Frage, ob das Gedicht seines Themas wegen überhaupt einen realen praktischen Nutzen habe, stellt Volk nicht, da sich diese auf einer extratextu‐ ellen Interpretationsebene bewege, vgl. S. 158 f. Für diese suggestive Einschränkung vgl. Holzberg (2005) 102. Die Nähe Ovids zu postmodernen literarischen Verfahrensweisen wurde in den letzten Jahren häufig betont. Vgl. u. a. Harzers (2000) Beobachtung (unter Bezug auf Uwe Japp), dass Ovid in den Metamorphosen in modernistischer und postmodernistischer Manier schreibe (vgl. S. 105 f., 209 und auch Wilke [2003] 420). Aspekte dieser Postmodernität seien u. a. die Selbstreflexivität des Textes und die „Spannung zwischen scheinbar schlichter Handlung und ihren allegorischen Bedeutungsschichten“ (Harzer [2000] 107). Problematisch bleibt die Tatsache, dass Postmoderne und Postmodernität keine eindeutig definierten Begriffe sind. Für eine gewisse Skepsis und Enttäuschung diesbezüglich vgl. etwa Umberto Eco (1987) 77. Zur Analyse von Ovids postmodernistischen Tendenzen passt die (kritisierte) Sicht auf die Postmoderne als „Periode“ mit „Tendenz zum Eklektizismus“ (Saupe [2007a] 602) bzw. die Beschreibung postmoderner Literatur, die sich durch „ironisch gebrochene Intertextualität und die Wiederverwendung traditioneller Formen als Kennzeichen […] bestimmt“ (Saupe [2007b] 603), da Ovids Werke reich an intertextuellen, bewusst (aus-)ge‐ wählten Anspielungen sind. Vgl. (auch für die Hinweise auf die Beiträge Harzers und Saupes) Janka/Stierstorfer (2017). Diese heben im Rahmen ihrer Untersuchung „Ovids eklektisch-innovativ-parodistische Umgangsweise mit antiken Mythen“ (S. 142) hervor, die der postmodernen „Mythopoesie“ (S. 141) ähnelt. Diese zeichne sich sowohl durch die „Aktualisierung“ eines bestehenden Mythos als auch dadurch aus, dass die „Stofftradition […] konterkariert“ werde, „indem eine eigene Version neu etabliert“ werde (S. 141 f.). Den zweiten Bestandteil bezeichnen Janka/Stierstorfer als „prototypisch postmodern“ (S. 142). Dabei erachten sie Ovid wie Harzer (2000) 106 als „postmodernistischen Dichter“ (S. 143).
1 Einleitung
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Referenzen auf literarische Traditionen und seine Ausrichtung auf ein literarisch gebildetes Leserpublikum hervorheben, zu verneinen.8 Es ist ein Verdienst der Forschung klassischer Philologen, besonders seit den 1970er und 1980er Jahren, die selbst-reflexive und auf intra- und intertextuellen Anspielungen basierende Natur der ovidischen Dichtung herausgearbeitet zu haben.9 Auch ich möchte meinen Beitrag dazu leisten und den Remedia amoris die Aufmerksamkeit schenken, die ihnen im Verhältnis zu anderen Werken des Dichters lange versagt war und auch im Grunde noch immer versagt ist. Denn dieses Werk verkörpert ebenfalls die typisch ovidische Poetik der „selbst-bewussten“ und selbstreflexiven Literarizität, die sich aus der Rekurrenz auf literarische Traditionen und konkrete Texte speist.10 Den Remedia wurde zunächst eine etwas ‚stiefmütterliche Behandlung‘ zuteil, was, wie auch Steven Green (2006) in seinem Forschungsbericht im Sammelband „The Art of Love“ erfasst, an der lange verbreiteten Sicht lag, dass sie lediglich eine
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Vgl. aber etwa Wildbergers (1998) 412 These einer „ernsthafte[n] Lehrabsicht“ vor dem Hintergrund einer „Umdeutung der ‚elegischen‘ Liebe“ (S. 14–21) in der Ars amatoria (vgl. u. a. S. 8 f., 412–414). Vgl. auch die Bewertungen in den Rezensionen von Holzberg (2000) und Volk (2000). Vgl. exemplarisch ein paar grundlegende auf Ovids Erotodidaktik bezogene Beiträge, ohne dass ich die Intertextualitätsforschung umfassend ab ovo darstelle: Cairns (1979); Rosati (1979); Conte (1986) mit Fokussierung Vergils, aber auch mehrfach Thematisierung Ovids; Conte (1991) bzw. in Übersetzung (1994); Hinds (1987) und (1998); J. Miller (1993); Barchiesi (2001a); Edmunds (2001) mit einer extensiv-innovativen Studie zum Intertex‐ tualitätsbegriff in seiner Anwendung auf lateinische Dichtung allgemein; Frings (2005); Kennedy (2006); Casali (2009). Für einen konzisen Überblick über Schwerpunkte der Ovidforschung allgemein seit 1968 vgl. Janka (2007), der die Beiträge unter verschiedene dominante Strömungen (spätpositivistische, strukturalistische, poststrukturalistische und didaktische Phase) subsumiert; vgl. auch S. 5 Anm. 11 mit Verweis auf weitere „Bibliographien und Forschungsberichte“. Vgl. Casali (2009) 343–345 (Überschrift „Literary Existence and the Self-Consciousness of Poetry“) mit Verweis auf Rosati (1979). Rosati folgert, dass auch die Figuren, die in Ovids Texten leben, sich ihrer Existenz in anderen literarischen Werken bewusst seien und ihre intertextuell-literarische Natur erkennen würden, was zu einer Dichtung führe, „[which] will necessarily be nothing but reflected poetry, poetry which looks at itself in the mirror, and narcisstically alludes to itself“ (Paraphrase und Zitat bei Rosati, S. 135 f. im italienischen Original; ins Englische übers. und zitiert in Casali [2009] 345). Wenngleich der Aspekt der narzisstischen Selbstbetrachtung Ovids etwas stark ist, erkennt Rosati bereits in der recht frühen Phase der modernen Ovidforschung die Bedeutung der Intertextualität für die opera Ovidiana. Vgl. auch Armstrong (2005), besonders Kapitel 1 „Ovid and His Predecessors“ (S. 11–20) mit einem Überblick über die römische Liebeselegie und die spezifisch metaliterarische Natur der ovidischen Liebeselegie (und auch der elegischen Erotodidaxis) und einer Darstellung der „didactic models“ (S. 16 und 16–19) Ovids und der kallimacheisch-hellenistischen Grundnatur Ovids.
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1 Einleitung
Inversion der Weisungen aus der Ars darstellten.11 So bezeichnete der klassische Philologe Wilamowitz, wie Lenz (1969) berichtet, in einem seiner Berliner Seminare die Remedia als „matte[n] Aufguß auf die Teeblätter, aus denen der Gewürztrank der ‘Ars’ bereitet worden ist“12. Auch Fränkel hat 1945 noch behauptet: „Ovid […] had been writing on love for the better part of the past twenty-five years. No wonder that the subject had worn thin for him.“13 Mit der Publikation von Kenneys (auch für meine Untersuchungen maßgeblicher) textkritischer Ausgabe im Jahr 1961, die 1994 in zweiter Auflage und 1995 nochmals verbessert erschien,14 kam es jedoch zu einem „immense boost“15 an Forschung zur Ars und (wenngleich weniger ausgeprägt) zu den Remedia, wie sich auch am Entstehen der Kommentare zeigt16 – auch wenn man, im Vergleich etwa zu den Metamorphosen, Fasti, der Exildichtung und teils auch den Amores, nur partiell von einem ‚Boom‘ sprechen kann.17 Forschungsschwerpunkte, die Ars und Remedia gleichermaßen betreffen, waren dabei insbesondere Fragen zur Datierung18 und Struktur und zur Zusam‐
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Vgl. S. Green (2006) 14. Dagegen aber schon Prinz (1914) 81 und (1917) 287, dessen frühe Beiträge in vielerlei Hinsicht bereits ‚fortschrittlich‘ und durchaus Grundlage für moderne Forschung (vgl. exemplarisch Rosati [2006] 151–157) sind. Lenz (1969) 3 und Geisler (1969) 46 Anm. 2. Fränkel (1945) 67. Vgl. auch S. Green (2006) 2 Anm. 4. Ich schreibe, wie Kenney für die Amores, die Ars und die Remedia, Mynors (1958) für Catull und Fedeli (1984) für Properz, bei allen Zitaten aus der Primärliteratur den Halbvokal „v“ einheitlich als „u“, auch wenn nicht alle textkritischen Ausgaben diese Schreibung verwenden. S. Green (2006) 2 Anm. 4. Zu Ars 1 Hollis (1977), zu Ars 2 Janka (1997), zu Ars 3 Gibson (2003); zu den Remedia Geisler (1969) bis V. 396, Henderson (1979), Lucke (1982) als Fortsetzung von Geisler ab V. 397, Pinotti (1993) und im Anschluss an die Übersetzung und Contes italienische Version des Aufsatzes „L’amore senza elegia“ Lazzarini (1986) 127–175, teils nur mit Bemerkungen zu Absätzen und inhaltlichen Abschnitten, nicht als Lemma-Kommentar. S. Green (2006) stellt heraus, dass „The Art of Love: Bimillennial Essays on Ovid’s Ars Amatoria and Remedia Amoris“ der erste englischsprachige Sammelband ist, der sich nur mit der erotodidaktischen Tetralogie beschäftigt (vgl. S. 2). Er erfasst aber auch die Existenz (früher) deutschsprachiger Beiträge (so sein Verweis auf Ernst Zinn [Hg.]: Ovids Ars amatoria und Remedia amoris. Untersuchungen zum Aufbau, Stuttgart 1970, vgl. S. 2 Anm. 3) und deren insgesamt stärkere Fokussierung auf die Ars (etwa die Kommentare/ Monographien von Steudel [1992], Janka [1997] und Wildberger [1998], vgl. S. 1 Anm. 2). Zum Erscheinen zwischen 2 v. Chr. und 2 n. Chr. und der Position, dass Ars 1 und 2 vor Ars 3 und den Remedia, die in etwa zur selben Zeit verfasst wurden, entstanden, vgl. Gibson (2003) 37–43, der sich mit zahlreichen Argumenten gegen Murgias (1986a) Sicht, dass Ars 3 erst auf das Jahr 8 n. Chr. zu datieren sei, und Murgias Position zweier Editionen der Remedia (1986a, 86–94; 1986b) wendet. Vgl. zu einer Bewertung und Zusammenfassung seines Standpunkts Gibson (2003) 40 Anm. 11.
1 Einleitung
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mengehörigkeit der Tetralogie19 – Rosati etwa bezeichnet die Remedia als „fourth book of the Ars“20 – sowie zur Gattung des elegisch-didaktischen Hybridprodukts und der damit einhergehenden Mischung verschiedener Diskurse,21 des „almost infinitely flexible genre“22 bzw. „supergenre“23 der ovidischen Elegie und zum Einfluss früherer literarischer Werke sowie Ovids Umgang damit.24 Auch die Rolle der mythologischen Exempel bzw. Exkurse wurde häufig zum Forschungsgegen‐ stand.25 Die drei Bücher der Ars amatoria haben über die Jahrzehnte hinweg 19
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Laut S. Green (2006) 3 entwickelt sich der „Konsens“ (übers. Zitat), dass die Tetralogie eine geplante Gesamtkomposition darstelle (dabei verweist er auf strukturelle Beobachtungen Küppers’ [1981] 2530–41 und Wildbergers [1998] 343–7, vgl. Anm. 7); dieser Perspektive schließe ich mich an, vgl. exemplarisch zudem Fulkerson (2004) 211 f. und Rosati (2006). Vgl. zum Aufbau der Remedia schon Prinz (1914) mit integriertem Kommentar; Küppers (1981); Greiner (1970); Hollis (1973); Rambaux (1986) 160–163 sowie zur Einheit des Zyklus; Jones (1997) 23–25; Boyd (2009) und grundlegend für meine Arbeit auch Geisler (1969), besonders 37–99. Rosati (2006) 164 mit Verweis auf weitere Literatur zu dieser Feststellung in Anm. 66. So auch S. Greens (2006) 3 f. Darstellung mit Verweis auf Kenney (1958); vgl. auch Prinz (1914) besonders zum Einfluss von Lukrez, aber u. a. auch Catull und Topoi der Liebesdichtung; Conte (1986); Fyler (1971), der argumentiert, dass die Verbindung aus epischen „grandiose claims and Callimachean perspectives“ (S. 196) sowie eine fehlende Gattungshierarchie in Amores, Ars und Remedia eine Verletzung des decorum darstellten und die entstehende „incongruity“ (S. 198) die Komik von Ovids Werken zeige. Ein Schwerpunkt in seiner Analyse ist auch das der Ars „inhärente Paradoxon“, eine unkontrollierbare Emotion, amor, kontrollierbar zu machen (Zitat und Gedankengang im Englischen bei S. Green [2006] 6), weshalb die Ars ein „serious, anti-classical treatment of art and experience“ sei und eine „sceptical examination of the limitations of genre as an ordering principle“ darstelle. Vgl. auch S. Greens (2006) 5–8 Referieren der weiteren Forschungsentwicklung zu amor und cultus (besonders zu Labate [1984], der durch den Vergleich von Ars und Ciceros De officiis die – auch ethisch – ernsthaften Implikationen der Ars und der Liebe beleuchtet; Volk [2002] und [2006] und Myerowitz Levine [1985; noch als Myerowitz] und [2006]); vgl. auch Brunelle (1997); Harrison (2002). Brunelle (2005) 142. Farrell (2003) 401 charakterisiert die elegische Gattung allgemein sogar als „genre for which the violation of generic rules is itself a rule“. Harrison (2002) 79, auch zitiert in Brunelle (2005) 142. Vgl. auch Piazzi (2013) 224. Vgl. etwa S. Green (2006) 3–5; für die Remedia besonders Sommariva (1980); Shulman (1981); Küppers (1981); Steudel [1992] zur Literaturparodie in der Ars; Woytek (2000); P. Watson (2002) 164 f., mit Betonung von Ovids „sophisticated humor and the play with literary traditions“ (S. 165); Volk (2002); Pinotti (2006) zur Gestaltung dreier aus Homer und griechischen Tragödien bekannter exempla; Boyd (2018). Intertextuelle Bezüge werden aber in vielen Beiträgen, auch wenn sie einen anderen Schwerpunkt haben, und in den Kommentaren festgehalten. Für die Ars mit einzelnen Beobachtungen zu den Remedia Myerowitz (1985) 170–172 (zu Kirke in den Remedia im Kontrast mit Calypso in der Ars); Sharrock (2006) 29 zu den Remedia; für die Remedia vgl. Davisson (1996); knapp Toohey (1996) 172 f.; Brunelle (1997) 45–59 zu Kirke und 90–107 zu Phyllis; Brunelle (2002); Pinotti (2006); Boyd (2016). Für eine Begründung der logischen Funktionalisierung innerhalb der Argumentationsstruktur vgl. Jones (1997).
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zwar deutlich mehr Aufmerksamkeit erfahren.26 Dennoch hat sich auch eine eigenständigere, spezifische Remedia-Forschung entwickelt. Im Zentrum standen dabei neben dem Aufbau und der (rhetorischen) Struktur27 Fragen zur Rolle des praeceptor (sanitatis), auch seiner Selbstpräsentation als Lehrer und Arzt und seiner Herkunft aus didaktischen und elegischen Traditionen,28 und die Rückgriffe auf literarische und philosophische Topoi, die sich mit dem Thema Heilung und Medizin befassen.29 Als ‚Meilenstein‘ und Wegweiser für die weitere Forschung ist m. E. Contes (1989) brillanter Aufsatz „Love without Elegy: The Remedia amoris and the Logic of a Genre“ – italienisch schon 1986 erschienen30 – zu werten. Dieser widmet sich dem Werk aus literaturkritischer Sicht, kontrastiert die der Elegie und Didaktik inhärenten Codes und erfasst das metaliterarische, gattungssprengende Programm der Remedia, die als „remedy against a form of literature“31, und zwar die sie konstituierende Elegie, fungieren. Dadurch erfasst Conte die grundsätzliche Natur von Ovids Heilmitteln gegen die Liebe. Viele wissenschaftliche Beiträge befassen sich mit dem Problem, ob die Re‐ media überhaupt funktionieren können. Denn sowohl die metrische Gestaltung als auch die negativen, eher scheiternden exempla und die durch Intertextua‐ lität stets durchbrechende elegisch-erotische Welt zeigen, welche Spannungen und Widersprüche durch das paradox wirkende Unterfangen entstehen, in elegischen Distichen eine Lösung von unglücklicher Liebe zu versprechen.32 26
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Vgl. besonders den Forschungsbericht S. Greens (2006), zu Schwerpunkten der Ars-For‐ schung vgl. S. 5–14. Eine Ergänzung seiner Beobachtungen zur Ars um die zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen der vergangenen Jahre möchte ich aufgrund meiner Fokussierung auf die Remedia nicht leisten. Jones (1997) analysiert in seiner sehr ‚technischen‘ (vgl. die Rezension von P. Davis [1997]) Monographie detailliert die Struktur aus Enjoinder und Argument und fokussiert dabei auch Proofs, Exempla und Promissory Terms (vgl. die einzelnen Kapitelthemen). Vgl. u. a. Jones (1997) 21–23; P. Watson (2002) zu „Ovids didaktischer Elegie“ (übers. Aufsatztitel) insgesamt und zur Entwicklung der ovidischen didaktischen Persona – ihr Resümee „Ovid’s didactic persona is essentially mock-serious“ (S. 165) erachte ich als wichtig; Volk (2002) 157–195 mit Betrachtung von Ars und Remedia. Vgl. Geisler (1969), besonders 57–61 und 77 f. und passim; Henderson (1979) 50 f.; Pinotti (1993) 15–23 und passim; Toohey (1996) 171; trotz seiner Sicht auf die Remedia als komisches und parodistisches Werk sieht er eine „‘private’ or serious voice“ (ebd.), was sich auch in den negativen exempla spiegle; Jones (1997) 69–75, besonders 74; P. Watson (2002) 163; Wild‐ berger (2007) aus affektpsychologischer Sicht; Filippetti (2015); vgl. auch S. Green (2006) 14 Anm. 30 für Referenzen auf einige der genannten Stellen zum Thema „medical imagery in general“. Für einen knappen Überblick zu den verschiedenen Forschungsschwerpunkten vgl. auch Boyd (2009) 105. Siehe oben Anm. 16. Conte (1989) 467. Vgl. Davisson (1996); Brunelle (1997) 108–130; Brunelle (2000/2001); Fulkerson (2004); Rosati (2006). Ähnlich auch Rosati (2006), der die Remedia als elegische renuntiatio
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Christopher Brunelle (2000/2001) zitiert etwa einen Ausspruch des August Graf von Platen, der dieses Problem bereits im 19. Jahrhundert erkannt hat. „Ich zweifle aber, ob so ein Gedicht, das die Liebe zwar abwehrend, aber doch so reizend behandelt, nicht eher zur Liebe lockt, als davon wegschreckt.“33 Es wurde auch erkannt, dass intertextuelle Betrachtungen für das Verständnis der Remedia notwendig sind; besonders oft wurde dabei das Verhältnis zur Ars und den Liebeselegikern sowie dem Genre Elegie in den Blick genommen.34 Auch damit geht das Problem der funktionierenden Remedia einher: So kann man als doctus lector eigentlich nicht gleichzeitig Weisungen zum Vergessen folgen und die intra- und intertextuellen Referenzen wahrnehmen.35 Des Wei‐ teren haben die Verbindungen zu Lukrez und zur Gattung Satire bereits philo‐ logisches Interesse geweckt.36 Die Rezeption von Ovids Ars (und, meist weniger stark akzentuiert, auch der Remedia) in Ovids späteren Werken,37 bei späteren
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amoris bezeichnet – welche somit Teil erotischer Dichtung seien und eine Befreiung von Liebe nicht ermöglichten, vgl. besonders 163–165. Brunelle (2000/2001) 123 sowie bereits (1997) 108, vgl. auch S. Green (2006) 16 Anm. 34. Vgl. Rosati (2006) zur besonderen „‘didactic intertextuality’“ in den Remedia, da dieser Text nicht autonom ohne die Ars gelesen werden könne: „The act of dediscere assumes a ‘base-text’“ (S. 163). Vgl. aber exemplarisch für andere Intertexte Barchiesi (2003) zu rem. 25 f. und Meleager bzw. Silius Italicus. Vgl. Hardie (2006) 167–169 sowie 171. Die Anspielungen auf renuntiationes amoris würden ebenfalls gegen das Programm der Remedia arbeiten, da man stets von „sticky traces of [the] former passion“ (S. 171), und eben auch intertextuellen Reminiszenzen, „umgeben“ sei (übers. Zitat). Dabei seien die Remedia insofern grundsätzlich ein „para‐ doxical didactic“, als sie kein Wissen vermitteln, sondern dieses eher „dekonstruieren“ würden (ebd., übers. Zitat). Ähnlich auch Rosati (2006) zum Leser als „‘un-learner’“ (S. 148). Vgl. insbesondere Sommariva (1980); Shulman (1981); Brunelle (1997) 120–130; Brunelle (2005); Boyd (2018). Zu intratextuellen Anspielungen in der Exildichtung vgl. DeBloois (2000) hinsichtlich des Rückgriffs auf rem. 216 und 223 f.; vgl. zudem Fish (2004), der dahingehend argumentiert, dass Ovid die Weisungen aus den Remedia bewusst nicht anwendet und dass sich dies in den Tristia und Epistulae ex Ponto als „self-referential response to the Remedia Amoris“ (S. 864) zeige; vgl. Myers (2014) mit Zitat (S. 8) von Hinds (1999) 48, dass Ovid in der Exildichtung der „first extant reader to interpret and reprocess“ sei.
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lateinischen Dichtern sowie das Nachleben allgemein sind ebenfalls vermehrt aufgegriffen worden.38 Insgesamt wurden die Remedia meist Gegenstand von Analysen in Form von, teils längeren, Aufsätzen. Abgesehen von den Kommentaren, Textausgaben und Übersetzungen, Jones’ (1997) kurzer, 120-seitiger Monographie und Brunelles Dissertation (1997) „Gender and Genre in Ovid’s Remedia Amoris“,39 die sich v. a. mit der paradoxen Gestaltung des poetischen decorum in den Remedia befasst, gibt es jedoch keine Monographien, die sich ausschließlich den Remedia widmen. Mit dieser Arbeit möchte ich mich grundsätzlich in den Forschungsdiskurs einreihen, der in den Remedia ein humorvolles, „mock-serious [didactic]“40 sieht – ein Werk, das sich dabei durch intra- und intertextuelle Referenzen und eine grundsätzliche ‚Literarizität‘ auszeichnet. Denn durch die produktive und parodistische Auseinandersetzung mit Prätexten und Gattungskonzepten erlangt dieses Werk seinen spezifischen Charakter. Dabei geht es mir konkret darum zu zeigen, dass die Dichtungen des Lukrez, Horaz (die Satiren und Epoden) und Catulls als jeweils modellhafte Referenztexte Pate für den Tonfall und die inhaltliche und strukturelle Gesamtkomposition der Remedia stehen, die Bezugnahme also werk-konstitutive Funktion hat; erst eine Analyse der intertextuell-parodistischen Referenzen und des (meta-)literarischen Dialogs mit den zeitgenössischen literarischen Autoritäten ermöglicht ein umfassendes Verständnis der Remedia amoris. Die fokussierten Werke sind insofern privile‐ gierte Intertexte, als sie für Ovid paradigmatisch sind. Lukrez’ Lehrgedicht ist in Buch 4 methodisch und thematisch mit den Remedia ‚verwandt‘, gleichzeitig 38
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Vgl. Janka (2006), der Martials Dialog mit Ovids Erotodidaxe, v. a. der Ars, besonders am Beispiel von Mart. 2, 41 und 11, 104 herausarbeitet und die Komplexität der Rezeption betont (vgl. S. 296 f.); vgl. auch seine Beobachtung, dass Martials Lektüre der ovidischen Texte den Leser zu einer Neubetrachtung Ovids führt (vgl. S. 297); für die Rezeption vom Mittelalter bis zur Gegenwart vgl. etwa die Beiträge von Fyler (2009) zum mittelalterlichen Ovid; James (2009) zur Rezeption in „Renaissance English Literature“ (etwa Lyly, Spenser, Marlowe und Jonson und ihr jeweils unterschiedlicher Umgang mit „libertine Ovid“, vgl. S. 430 f.); Ziolkowski (2009) schließlich zu Ovid im 20. Jahrhundert (etwa bei Joyce, T. S. Eliot, aber auch Rainer Maria Rilke sowie in Texten nach dem Zweiten Weltkrieg); Desmond (2014) zur ovidischen Liebesdichtung im Mittelalter; McKinley (2011) und Galloway (2014) zur Rezeption bei Chaucer und Gower; Casali (2014) zur Intertextualität in Ariostos Orlando Furioso; M. Green (2014) zur Rezeption der „Ovidian Arts of Leisure“ bei Milton; Lively (2006) mit einer Untersuchung zu Robert Graves’ Gedicht „Ovid in Defeat“ aus dem Jahr 1925. Für die Rezeption der Remedia und die Aufnahme des Motivs der remedia amoris bei Shakespeare (mit vorangehender Untersuchung des Grundcharakters der Remedia) vgl. Braden (2009); für „[t]he strategic value of the Remedia for Dante“ vgl. Ginsberg (2011; Zitat S. 146). An dieser Stelle danke ich Christopher Brunelle für die Zusendung seiner Dissertation. P. Watson (2002) 165 mit Bezug auf die didaktische Persona.
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aber auch illustres Gegenbild. In dessen parodistischer Negation erhält m. E. der erste Remedia-Teil seine Kontur. Auch Horaz’ Gattungsrevolution im Bereich Satire und Jambus ist für die Remedia wesentlich. So wird dadurch Ovids generisch-destruktives Programm, wie ich argumentiere, erst möglich. Zudem legitimieren die produktive Rezeption der bei Horaz und insbesondere Catull zu findenden Verbindung von Erotik und Jambus und die Präsentation prototypisch rückfallgefährdeter, unglücklich Verliebter Ovids Vorgehen, sich v. a. im zweiten Remedia-Teil als Autorität mit der Propagierung alternativer Verhaltensszena‐ rien an seine Schüler zu wenden. Diese neuen Erkenntnisse und Beobachtungen auszuführen, ist Gegenstand des im Folgenden knapp skizzierten Hauptteils. Im zweiten Kapitel stelle ich zunächst den Aufbau der Remedia amoris unter Bezug auf bereits bestehende Untersuchungen dar und akzentuiere dessen Analyse insofern neu, als ich die beiden Hälften des Hauptteils, der tractatio,41 in Fortführung der Terminologie der drei Ars amatoria-Bücher als ‚ars agendi‘ und ‚ars vitandi‘ klassifiziere. Diese Makrostruktur ist dabei Grundlage für Untersuchungen zur Mikrostruktur des Textes, die illustriert durch tabellarische Übersichten zum Aufbau im Verlauf der Arbeit durchgeführt werden. Das dritte Kapitel dient der Erläuterung der literaturwissenschaftlichen Grundlagen und Begriffe, welche die Basis meiner Analysen sind. Dabei versuche ich, moderne literaturkritische Konzepte auf ihre Kompatibilität mit der antiken (Sicht auf) Literatur zu prüfen und so zu verwenden, dass anachronistische Verzerrungen beim Blick auf die antiken Texte vermieden werden. Das betrifft den Begriff ‚Intertextualität‘ und seine Verbindung mit den antiken Termini aemulatio und imitatio und den Begriff ‚Parodie‘, welchen ich unter Bezug auf Margaret Roses (1993) Definition von modernen redukti‐ onistischen Varianten abgrenze und in seiner antiken Fundierung verwende. Für intertextuelle Bezüge differenziere ich in Fortführung der Klassifikationen Ulrich Broichs und Manfred Pfisters (1985) zwischen Einzeltext- und Systemre‐ ferenzen, da dies der Konzeption der Referenzen in den Remedia entspricht. Über die Zusammenfassung bestehender Erläuterungen zum Intertextualitätsbegriff hinaus habe ich jedoch ein eigenes Analysemodell, das ‚Pyramidenmodell der Intertextualität‘ entwickelt, das ich für die intertextuellen Untersuchungen, den Schwerpunkt meiner Arbeit, nutze. Der Vorteil ist, dass in dieser dreidimensio‐ nalen pyramidalen Darstellung die Hierarchie intertextueller Bezüge, die von 41
In Anschluss an Geisler (1969), u. a. 63 f., und auch Henderson (1979), u. a. 49, verwende ich im Folgenden diesen rhetorischen Terminus zur Bezeichnung der schriftlichen Behandlung eines Themas bzw. Gegenstandes; „The tractatio is the poet’s treatise on how to cure the lovelorn“ (Jones [1997] 88). Für eine ausführliche Definition und historische Entwicklung des Begriffs vgl. Cizek (2009).
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einem fokussierten Prätext ausgehen, visualisiert werden kann. Auch lässt sich die Gleichzeitigkeit mehrerer Bezüge, die für die Remedia und auch viele andere lateinische Texte konstitutiv ist, dadurch einfach und übersichtlich abbilden. Mit dem vierten Kapitel beginnt der eigentliche Hauptteil meiner Arbeit. In Kapitel 4.1 belege ich, wie das Lehrgedicht des Lukrez, insbesondere die Diatribe gegen die Liebesleidenschaft aus dem vierten Buch von De rerum natura, intertextuell aufgerufen und letztlich parodiert wird. So zeige ich auf, dass sich die Ausführungen des Lukrez wie eine ‚Heilmittelklammer‘ um einen Großteil der Weisungen aus der ars agendi legen. Dabei nimmt Ovid den lukrezischen Prätext aber nicht als vorbildhaftes Muster, sondern er entfernt sich im Verlauf seiner Weisungen sukzessive von diesem Bezugstext, bis es zu einem endgültigen Bruch mit diesem kommt. Die Bezugnahme manifestiert sich auch lexikalisch darin, dass die Wiederholung von Formen des Verbs simulare bei Ovid auf die epikureische simulacra-Theorie anspielt. Daraus kann man folgern, dass Ovid durch seine Weisungen zum Verstellen (simulare), welche eine Charakterisierung der ersten tractatio-Hälfte als ars simulandi zulassen, letztlich eine parodistische Inversion des lukrezischen Textes und seiner Philosophie erreicht, die auf einer Vermeidung von Illusion beruht. Ausgehend von den Erkenntnissen zu diesem spezifischen Lehrgedicht, also der Untersuchung dieser Einzeltextreferenz, und bestehenden Forschungser‐ gebnissen betrachte ich in Kapitel 4.2 Ovids Haltung dem didaktischen Genre allgemein gegenüber. Dabei zeigt sich, dass Ovid die Grenzen dieser grundsätz‐ lich offenen Gattung weiter auslotet und dem Lehrgedicht durch die Verbindung elegischer und didaktischer Elemente seine persönliche Prägung gibt. Auch integriert er andere Lehrgedichte funktional in sein elegisch-didaktisches Hy‐ brid-Projekt der Remedia amoris und ordnet diese seinem eigenen Werk unter. Mit den Instruktionen dazu, wie man sich von unglücklicher Liebe lösen kann, ist zugleich auch die Demontage der Gattung Elegie und ihrer Regeln (dies stellt Contes [1989] zentrale These dar) verbunden, wobei aber die in der Form und metrisch-rhythmischen Gestaltung inhärenten elegischen ‚Obertöne‘ die Ernsthaftigkeit einer Absage an diese Welt konterkarieren. Der letztgenannte Aspekt, der durch einen Forschungskonsens bereits bestätigt ist und so auch in dieser Arbeit referiert werden soll, sei an das Ende des Kapitels gestellt. Meine darauf folgenden Betrachtungen zu Ovids Referenzen auf Horaz und Catull (Kapitel 4.3) stehen im Kontext einer Analyse der (eroto-)jambischen und satirischen Elemente, die ebenfalls für das Programm der Heilmittel gegen die Liebe funktionalisiert werden. Dabei werden die parodistischen Rekurrenzen auf Horaz vorwiegend als Systemreferenz realisiert, wobei sie jedoch in kon‐ kreten intertextuellen Bezugnahmen auf Textpassagen und Motive begründet
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liegen. Dagegen stehen die Liebesgedichtzyklen des Catull’schen Œuvres als Einzeltextreferenz im Vordergrund. Ausgangspunkte für meine Schlussfolge‐ rungen sind dabei zunächst die Anspielungen auf die Autosuggestionspassage in Horaz’ dritter Satire des ersten Buches und Ovids parodistischer Umgang mit dem moralphilosophischen vitium-Begriff sowie die karikierende Referenz auf die Existenz von Liebessklaven, wie sie Ovid bereits in sat. 2, 3 und 2, 7 begegnet sind. Dabei zeige ich, dass Ovid Horaz, insbesondere seine produktive Gattungsrevolution in den Bereichen Satire und Jambus, teilweise in Form einer ‚aemulatio Horatii‘ nachahmt und teilweise parodiert und so für die eigene ‚destruktive‘ Gattungsrevolution der Remedia nutzt. Denn auch der jambische Tonfall der Epoden und die lineare Entwicklung der Epoden-Persona stehen, wie ich denke, im Hintergrund der parodistischen Aufnahme in den Remedia. Die parodistische Referenz auf das Verhalten der Epoden-Persona ist ver‐ gleichbar damit, wie Ovid mit dem Sprecher-Ich Catulls umgeht. Dabei ist die Bedeutung der Liebesgedichtzyklen um Lesbia und Juventius und das Verhalten des Catull’schen Ich für die Remedia jedoch insofern größer, als sich zeigen lässt, dass die erkennbare emotionale Entwicklung Catulls motivisch und strukturell grundlegend für den zweiten tractatio-Teil, die ars vitandi, ist. Denn Ovid zeigt parodistisch, wie Catull ein Negativbild ist, dessen Fehler man vermeiden muss, um nicht rückfällig in der Liebe zu werden – Catull demonstriert schließlich, wenn man die Carmina einer intentional naiven Lesart unterzieht und in der Reihenfolge ihrer narrativen Präsentation liest, dass er das Prinzip der emotionalen Indiffe‐ renz, das Ovid in der zweiten Remedia-Hälfte entfaltet, missachtet. Die sich im wiederkehrenden Motiv des Nebenbuhlers konstituierende ‚Rivalen-Klammer‘, die sich um diesen zweiten tractatio-Teil legt, gründet ebenfalls auf dem ‚Bezie‐ hungsnarrativ‘ Catulls und belegt zusätzlich die Bedeutung dieses Prätextes für die Remedia. Diese Beobachtungen liegen auch der Analyse konkreter lexikalischer Anspielungen auf Catull (insbesondere anhand des Verbs desinere und dominanter Wortfelder zu ‚sprechen und schweigen in Liebesangelegenheiten‘) zugrunde, die meiner Ansicht nach eine Bezeichnung des zweiten Remedia-Teil als ‚ars desinendi et tacendi‘ zulassen. Den Ausführungen stelle ich einen Überblick über die Gestaltung der jambischen Gattung bei Catull und eine detaillierte Betrachtung der Liebeszyklen voran. Mit meiner Klassifikation fünf emotionaler Stadien, die das Catull’sche Ich in der linearen Repräsentation der Carmina durchläuft und die für die Betrachtung der Sammlung als ‚Geschichten eines Rückfalls‘ wesentlich sind, leiste ich auch einen Beitrag zur Catull-Forschung. Eine einführende, zusammenfassende Darstellung von Ovids Bezugnahmen auf den früheren Dichter an anderen Stellen seines Werkes dient als zusätzliche Legitimation der Analyse von Catulls Einfluss.
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Ich möchte meinen Ausführungen noch eine kurze Bemerkung zu meinem Ge‐ brauch von Sprecher-, Persona- und Autorbegriff voranstellen, die teilweise mo‐ derner Erzähltheorie entnommen, aber auch auf Werke der Antike anwendbar sind,42 wobei dies in der Forschung aber nicht unumstritten ist.43 Wenn man über die Diegese in literarischen Werken spricht, wird im literaturwissenschaftlichen Diskurs ein Sprecher-Ich angesetzt, das als eine fiktionale Figur innerhalb des aufgespannten literarischen Raumes, innerhalb der intradiegetischen Welt agiert, spricht etc. Die erzählte Welt wird dabei von einem extradiegetischen Erzähler konstituiert, der nicht mit dem historischen Autor gleichzusetzen, sondern eine literarische Persona ist; so erschafft etwa die ovidische Persona die Remedia amoris und nicht der 43 v. Chr. geborene Dichter. In den Remedia wie auch der Ars tritt nun diese Persona als ‚Ich‘ sagende Figur, als Lehrer im Liebeskurs, als magister/praeceptor amoris bzw. sanitatis sichtbar auf. Aus Gründen der Praktikabilität werde ich, etwa auch um bei Detailanalysen eine unnötige terminologische Verkomplizierung zu vermeiden, in folgender Arbeit die Begriffe Sprecher(-Ich), Persona44 und Autorname – Ovid oder auch Lukrez, Catull, Horaz etc. – synonym verwenden, zumal dies in der anglophonen
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Zu den erzähltheoretischen Begriffen vgl. Genette (2010), v. a. 137–150 und 221–239. Vgl. kritisch insbesondere Clay (1988) und Mayer (2003) zum Unterschied zwischen antikem und modernem Persona-Verständnis und der Problematik einer modernen Anwendung des Begriffs auf antike Texte. Für einen Überblick über die Genese des Terminus „Persona“ und seine Fundierung be‐ reits in der Antike, besonders zur Zeit der ausgehenden Republik und des beginnenden Prinzipats, vgl. u. a. Wray (1996) 2–36. Vgl. S. 12–17 zum schon bei Cicero vorhandenen Bewusstsein für das Persona-Konzept und dessen Einsatz literarischer personae und S. 16 f. für den Hinweis, dass somit auch Catulls zeitgenössische Leser in der Lage gewesen seien, Strategien der Prosopopöie zu erfassen. Vgl. S. 18–20 zu Catull. 16, 4 f. als zentraler Stelle für dieses Thema, da Catull seinen Kritikern – im staged reader response, wie hier kurz anzuführen ist – den Unterschied zwischen Autorperson und literarischer Persona deutlich und drastisch darlegt, ohne aber den Persona-Begriff zu gebrauchen. Vgl. auch Edmunds (2001) 63–82. Er betont, dass die „Ich“ sagende Figur nicht mit dem realen Dichter gleichgesetzt werden dürfe (vgl. S. 63), und referiert Veynes Beobachtung zu Catulls Praxis des Ich-Sagens: „[T]he poet takes his own name as stage name“ (ebd. mit Anm. 1). Edmunds unterscheidet zwischen „the poet as the speaker of the poem, the poet as persona of the real poet, the poet […] as the implied poet“ (ebd.) – wobei alle Figuren, auch der dem historischen Dichter am nächsten kommende implied poet (vgl. S. 82) fiktiv seien. Er begründet seine Ausführungen auch mit Bezügen auf Ovid (Amores und besonders die Aeneis-Episode in Buch 13 und 14 der Metamorphosen), Catull, Tibull u. a. Einen anderen Ansatz als Forscher zu Intertextualität und Persona-Theorie vertritt McCarthy (2019), die nicht Persona/Fiktion von realer/sozialer Interaktion zu trennen versucht, sondern bewusst untersucht, „how first-person Latin poems produce their distinctive charisma by intertwining social and literary communication“ (S. 4).
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Forschung in der Regel problemlos praktiziert wird.45 Wenn ich den Namen des Autors verwende, beabsichtige ich also keine Gleichsetzung mit der historischen Figur (was ich, in Anbetracht der lange autobiographischen Lesart der Gedichte Catulls und der steten Versuche, Lesbia mit Clodia zu identifizieren, als einen für Catull besonders wichtigen Hinweis erachte); ist bei einer Nennung tatsächlich die Autorfigur gemeint, ist dies explizit markiert. Denn trotz der grundlegenden Trennung von historischer und literarischer Ebene können in diesen antiken Werken auch Realitätsreferenzen möglich sein. In manchen Fällen sind diese sogar wahrscheinlich. In den Epoden etwa, die auch vor dem Hintergrund der Schlacht von Actium geschrieben wurden, kann es zu einer Übereinstimmung von fiktivem Sprecher-Ich und realhistorischem Autor kommen; eine Trennung ist nicht immer sicher bestimmbar oder sinnvoll, etwa wenn bestimmte Pas‐ sagen oder Texte bewusst mit autobiographischen Angaben aufgeladen sind. So gibt es auch Stimmen, die in den Remedia in der Passage des Literaturexkurses eine Äußerung des Autors Ovid hören.46 Denn es können sich auch in der fiktiven Persona nur vereinzelte, implizierte Referenzen auf autobiographische Aspekte oder Spiegelungen der historischen Realität finden. Bei der Betrachtung der Remedia als literarischer Parodie von Prätexten und Gattungstraditionen, auf die intertextuell Bezug genommen wird, und bei der Analyse der praecepta, die durch die instruierende Persona präsentiert werden, geht es mir jedoch nicht um die reale Figur Ovid und Fragen etwa nach historischen und politischen Implikationen. In dieser Arbeit bleibe ich in der Welt der Literatur und bei ihren Gesetzen, die in den Remedia unter Rückgriff auf andere Intertexte produktiv verhandelt werden.
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Vgl. exemplarisch Rosatis (2006) synonyme Verwendung von „poet“, „author“ in seinem „conduct as magister“, „poet-magister“ (S. 146 f.) und „Ovid“ (S. 152). So sieht etwa Woytek (2000) 200 in der Figur des adressierten Kritikers im Literaturex‐ kurs Augustus, auch wenn mir Holzbergs (2006b) These eines literarisch inszenierten „staged reader response“ plausibler erscheint.
2 Der Aufbau der Remedia amoris Eine detaillierte und strukturierte Inhaltsangabe und Skizze des Aufbaus liefert bereits Hans Joachim Geisler in seinem Kommentar zur ersten Hälfte der Re‐ media (1969); seine Analyse wurde durch andere Kommentatoren sowie Barbara Weiden Boyd modifiziert und erweitert,47 weswegen hier nur die Grundzüge der Werkkonzeption angeführt und die bisherigen Forschungsergebnisse mit eigenen Beobachtungen ergänzt werden. Ein zweigeteiltes Proöm und ein vier Verse umfassender Epilog rahmen die eigentliche, wiederum zweigeteilte tractatio, der eine kurze Erörterung zum richtigen Zeitpunkt für die Heilung vorangeht. Im Dialog mit Amor (V. 1– 40) verteidigt die Persona zunächst ihr literarisches Vorhaben, unglücklich Verliebten Hilfe anzubieten (vgl. V. 15 f.). Wenngleich die Remedia angeben, an beide Geschlechter gerichtet zu sein (vgl. sed, quaecumque uiris, uobis quoque dicta, puellae, / credite: diuersis partibus arma damus, V. 49 f.), liegt der Fokus doch klar auf der Hilfe für Männer.48 Den zweiten Abschnitt, in dem Ovid in 47
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Geislers (1969) Fokus auf die Zweiteilung des Werkes ist m. E. für das Verständnis des Textes weiterhin zentral. Vgl. Greiner (1970) 35 f. zum Zusammenhang zwischen den Remedia und Ars 3. Er untergliedert den Hauptteil in drei Teile (vgl. S. 38) und bietet die prägnante Betitelung „I Kampf gegen sich, II Kampf gegen sie, III Kampf gegen sich“ (S. 43) an. Boyd (2009) 110–114 untergliedert die praecepta in fünf Gruppen nach den Ordnungsprinzipien Zeit, da es um den καιρός gehe (V. 107–134), „activity“ (S. 111; vgl. V. 135–290), „Macht“ der puella (S. 112; vgl. V. 291–440), Exzess (V. 441–608) und contagium und dessen Vermeidung (bis V. 672). Für die Weisungen ab V. 673 bis 734 sei Mäßigung das „watchword“ (S. 114); am Ende finde sich eine „miscellany of last thoughts“ (ebd.), die sich oft einer dieser Kategorien zuordnen ließe. Eine solch thematische Gliederung widerspricht der mehr auf die Makrostruktur achtenden Gliederung, die ich in Anlehnung an Geisler verwende, nicht. Neben V. 49–52 sind in diesem Zusammenhang auch der Abschluss des ersten trac‐ tatio-Teils (Phyllidis exemplo nimium secreta timete, / laese uir a domina, laesa puella uiro, V. 607 f.) und die Ansprache an Männer und Frauen im letzten Vers der Remedia (carmine sanati femina uirque meo, V. 814) anzuführen. Vgl. auch Volk (2002) 160. Dass die Remedia v. a. an Männer gerichtet sind, zeige sich, so Davisson (1996) 254 f., auch daran, dass die Beschäftigungen, mit denen sich der unglücklich Verliebte ablenken und einen alter orbis finden solle, wie Gerichtstätigkeit und Jagen, zeitgenössischen weiblichen Leserinnen nur schwer möglich gewesen wären; im Gegenzug werde eine typische weibliche Ablenkung, die Mutterschaft, als Alternative zum Lieben nicht nur nicht vorgeschlagen, sondern sie sei durch das Medea-exemplum (vgl. rem. 59 f.) und die Parallelen zwischen der zu heilenden Liebe und mütterlicher Liebe (vgl. rem. 127–130, 463 f. und 547 f.) eher ‚negativ‘ besetzt. Vgl. zudem Gardner (2008), besonders 76–85 (mit Fokus auf Phyllis) zu den grundsätzlichen „spatiotemporal problems“ (S. 78) für
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Fortführung der Ars amatoria die Rolle des praeceptor einnimmt, kann man als „Lehrgedichts“-Teil des Proöms (V. 41–78)49 bezeichnen. Er endet mit einer Anrufung des Heilgottes Apoll und einer Selbstcharakterisierung der Persona als uates und medens, was auf die Weisungen vorbereitet, die Passagen in me‐ dizinischen Schriften50 und philosophischer Konsolationsliteratur zur Heilung von Leidenschaften entsprechen. Dadurch, dass Ovid zu Beginn der Remedia 51 Amor auftreten lässt, verknüpft er dieses Werk mit den Amores, in deren erstem Gedicht ebenso eine Interaktion zwischen Dichter und Amor beschrieben wird,52 und der Ars amatoria, da sich in Buch 1 die Persona zum praeceptor Amoris (ars 1, 17), des Liebesgottes, erhebt. Somit stellt Ovid sein gesamtes elegisches Œuvre in eine gemeinsame Traditionslinie,53 wobei die graduelle Entfernung von der Grammatik der sub‐
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Frauen in den Remedia (vgl. Gardners Rezeption von Kristevas Modell „Women’s Time“ [passim] sowie Ricœurs „emplotment of a narrative“ [S. 69] und Blick auf das narrative Kriterium der „followability“ [S. 69, 84]). Für diese Zweiteilung vgl. schon Geisler (1969) 63. Vgl. Geisler (1969) 77 f. Weder diese literarischen Vorbilder noch die medizinische Komponente der Remedia sollen in dieser Arbeit näher behandelt werden. Einführend zu den Versen, in denen der Charakter der medizinischen Lehrschrift betont wird, nämlich V. 41–44, 75–134 (v. a. 75–78, 91, 109–116, 131–134), 225–232, 313–316, 527 f., 795–810, vgl. Geisler (1969) 63 und 77–79 (besonders mit Verweis auf philoso‐ phisch-konsolatorische Schriften) und Lucke (1982) 161 f. ad 527 f. und 356–361 ad loc. Ovid nimmt die Pose des Arztes sowohl zu Beginn als auch am Ende der Remedia ein, vgl. auch Lucke (1982) 356 ad 795 f., und erzielt so eine ringkompositorische Rahmung des Werkes (vgl. auch Geisler [1969] 72–74, siehe unten Anm. 694). Vgl. Wildberger (2007) 94–96 zur sich daraus ergebenden, logischen Begründung der beiden Proömien (Identifizieren der „therapiebedürftigen Fälle“ [S. 94] im ersten Proöm; Anrufen Apolls als bereichsspezifischen Gottes im zweiten Proöm). Zu medizinischer Literatur als Grundlage für den Aufbau der Remedia vgl. Geisler (1969) 63 und Henderson (1979) 50. Henderson zufolge stelle die Dreiteilung der Medizin in „[d]ietetics […]; medication and ‘surgery’“ ein Strukturmerkmal des Remedia-Aufbaus dar, das allerdings vom Leser selbst erschlossen werden müsse; dabei invertiere Ovid zudem die, etwa bei Celsus zu findende, Reihenfolge der drei Eingriffsmethoden. Geisler (1969) 54 f. spricht von den Remedia als Monobiblos (vgl. die Überschrift auf S. 54). Auf diese Bezeichnung verzichte ich jedoch, da Properz’ Elegiensammlung ka‐ nonisch als ‚die‘ Monobiblos gilt. Hinsichtlich der Handschriftenvarianten entscheidet sich Geisler für die sicherlich richtige Version, welche die Remedia als ein zusammen‐ hängendes Buch überliefert, da mit hactenus inuidiae respondimus (V. 397) auf den poetologischen Exkurs und nicht die gesamte erste Hälfe der Remedia Bezug genommen wird und somit keine Teilung des Werkes vorliegt (vgl. ebd.). Für den Rückbezug des Remedia-Proöms auf am. 1 vgl. Conte (1989) 461 und Rosati (2006) 144 f. Vgl. etwa Stroh (2001), der von einer „Enzyklopädie der Liebe“ spricht, die Ovids erotische Dichtungen konstituiert. Stroh weist auch darauf hin, dass im letzten der Heroiden-Briefe, demjenigen Sapphos an Phaon (der von vielen Forschern aber nicht
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jektiven Liebeselegie, die bereits in den Amores in brüchiger Form erscheint,54 in den Remedia, welche die elegische Gattung letztlich demontieren,55 ihr Ziel erreicht: Wenn Ovid am Ende seiner Elegiesammlung versucht, sich von der Liebe zu Corinna zu lösen (vgl. am. 3, 11), und schließlich im Vorschlussgedicht der Sammlung seine puella dazu aufruft, ihm elegische Qualen zu ersparen und ihn wenigstens anzulügen, wenn sie ihn mit einem Rivalen betrügt (vgl. am. 3, 14, u. a. 1 f.),56 bereitet er die Remedia amoris indirekt schon vor. Denn
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für echt gehalten wird, vgl. ebd.), die Idee einer Heilung von den Liebesqualen schon anklingt und so auf die Remedia amoris vorausverwiesen wird. Für Parallelen zwischen epist. 15 mit Sappho als Liebender und Dichterin und den Remedia vgl. auch Thorsen (2014) 184–193. Auf Spekulationen zu „Entstehung und Chronologie“ (Stroh [2001], vgl. auch Thorsen [2014] 9–38) von Ovids erotischem Œuvre möchte ich hier nicht weiter eingehen, auch wenn es nicht unerheblich ist, ob die Doppelbriefe der Heroides im Exil, also nach den Remedia, geschrieben wurden und die Heilmittel so nicht am Ende der Gattung Elegie stehen (vgl. Thorsen [2013] 126). Mit Blick auf die Entwicklung von den Amores über die Ars zu den Remedia hebt Rosati (2006), indem er ausgehend von dem Gebrauch des elegischen „Mottos“ cedere Amori (in Fortführung von Verg. ecl. 10, 69: et nos cedamus amori) argumentiert, hervor, dass Ovid mittels raumsemiotischer Gestaltung, der Nähe bzw. Ferne von Amor und Schüler, den Leidenszustand des Liebeskranken in den Remedia beschreibe (vgl. S. 158–160). Während der Anfang der Liebesgedichte noch typisch ‚elegisch‘ sei (vgl. cedimus, an subitum luctando accendimus ignem?/ cedamus, am. 1, 2, 9 f.), beanspruche der praeceptor Amoris in der Liebeskunst Kontrolle über den Liebesgott (vgl. et mihi cedet Amor, ars 1, 21). In den Heilmitteln gegen die Liebe seien nun die äußeren Umstände das Objekt, dem Amor weicht (vgl. cedit Amor rebus, rem. 144). Vgl. für den Blick auf die jeweilige Verwendung dieses „Mottos“ bereits Volk (2002) 167 f. Gerade in der offenen Zurschaustellung des elegischen Codes, so Conte (1989), und dem „spielerischen Tonfall“, der die Amores vom „‘traditionellen’ Pathos“ (übers. Zitate, S. 450) der Elegie trenne, manifestiere sich bereits eine Abkehr von den Regeln elegischer Poesie und somit der Gattung (vgl. S. 449–452; dabei distanziert sich Conte aber auch von über‐ holtem „schematischem Kontrastieren“ [übers. Zitat, S. 450] von emotionaler Authentizität bei Properz/Tibull mit Spielereien bei Ovid). „Ovid’s poetry tries to look at elegy instead of looking with the eyes of elegy“ (S. 452). Vgl. auch Bretzigheimer (2001) zur poetologischen Qualität der Amores, die ihre eigene Fiktionalität immer wieder herausstellen und in denen auch „literarisch vorgeformte Motive“ der Elegie „in produktiver Anverwandlung“ (S. 166) benutzt werden (vgl. v. a. S. 165–182). „Ovid seems aware that with the Remedia he is exhausting the ultimate possibilities of a literary form still to some degree recognizable as elegy […] [w]hat this definitive rendering of accounts announces in distichs is the end of elegy“ (Conte [1989] 461). Vgl. auch Bretzigheimer (2001) 140 f.: Den expliziten Trennungsäußerungen geht der „Wunsch“ nach der Trennung als eine „[p]sychische Stimmungslage“ (S. 140) voraus, die auch die Genese des Traumes (vgl. am. 3, 5) bedingt. In diesem Kontext vor dem „ersten Anlauf“ zur „radikale[n] Lösung“, zum „Bruch“ (S. 141) mit der Geliebten seien auch die früheren – als topisch zu wertenden – Versuche des amator anzuführen, sich von der Liebe zu trennen, vgl. am. 1, 10 (mit dem Thema des gierigen Geschenkeforderns, vgl. etwa V. 11 f.) und die Reflexionen zum Scheitern dieser Strategie in 2, 9, 27–34 (was zur
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„[i]m Endstadium ist der amator ein Fall für den medicus“57 im Fachbereich der Liebesheilung. Die an Horaz’ Finale seiner ersten Odensammlung (Exegi monumentum aere perennius, carm. 3, 30, 1) erinnernde Formel hoc opus exegi (rem. 811) setzt einen Schlusspunkt unter Ovids elegische Dichtung.58 Dabei zeigt sich ein anderer Aspekt der Demontage auch in der Verschiebung der Metaphorik. Anstatt wie Horaz im Rahmen seiner Unsterblichkeitstopik eine Bronzestatue59 zu evozieren, welche – trotz ihrer Materialität – dem vollendeten literarischen monumentum nicht an Beständigkeit gleichkommen kann, setzt Ovid sein opus in traditioneller Weise mit einem Schiff gleich,60 das nach der langen poetischen Reise seinen Hafen erreicht hat, und verlangt von seinen Schülern Kranzopfer für die gute Fahrt und die Heilung (vgl. rem. 811 f.). Indem Ovid Horaz’ Sphragis61 lexikalisch und somit intertextuell aufruft,62 den Fokus
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Folge hatte, dass das Ich die Absage sofort fallen ließ); vgl. auch Keul (1989) 104–106 zu am. 1, 10 (mit Fokus auf den Zusammenhang von charakterlicher und physischer Schönheit und mit Verweisen auf die andersartige Gestaltung in am. 3, 11, wenn der Ich-Sagende zwischen der Untreue der puella und ihrer Schönheit differenziert) und S. 195–211 zu am. 2, 9ab. Bretzigheimer (2001) 140. Vgl. hierzu Harrison (2002) 84, der in dieser Schlusssektion das Ende von Ovids gesamtem elegischem Schaffen repräsentiert sieht. In dem Abschied könne der generische Aufstieg nach dem Vorbild Vergils anklingen: Ovid wende möglicherweise der Elegie den Rücken zu, bevor er sich seinen stärker epischen Werken widme, und bilde so innerhalb seines elegischen Œuvres die Steigerungslinie Eklogen-Georgica-Aeneis nach – wodurch er vielleicht auch seiner Selbstbeschreibung als ‚Vergil der Elegie‘ (vgl. rem. 395 f.) Glaubwürdigkeit verleihe (vgl. Harrison [2002] 84). Die kontinuierliche „Metamorphose“ der ovidischen Persona nimmt einen zentralen Stellenwert bei Holzberg (2005) ein. Die „literarisch[e] Metamorphose“ (S. 101) des praeceptor amoris zeigt sich auch mit Blick auf andere Traditionen, wenn er sich als Mann in die Rolle des ‚Sexperten‘ gibt, die in den antiken, meist verlorenen Sexhandbüchern ihres obszönen Charakters wegen weiblichen Prostituierten zugeschrieben wurden (vgl. ebd. und Parker [1992] 93). Vgl. Zgoll (2016) zur These, dass in V. 1 mit der Bronzestatue der Koloss von Rhodos evoziert werde; vgl. auch Holzberg (2018) 723 ad carm. 3, 30, 1. Ovid knüpft damit einerseits an die Schiffsmetaphorik in rem. 70 (rectaque cum sociis me duce nauis eat) und am Ende des dritten Buches der Ars amatoria (sed repetamus opus: mihi nudis rebus eundum est, / ut tangat portus fessa carina suos, V. 747 f.) an. Andererseits stellt die Rekurrenz auf die nautische Metaphorik, speziell auf die Bekränzung des Schiffes, im Kontext literarischen Nachruhms einen beliebten Topos dar, vgl. etwa Pinotti (1993) 110 ad 69–70 und 338–340 ad 811–14, Lucke (1982) 368 f. ad 811. Vgl. Nisbet/Rudd (2004) 364–369, auch mit Verweis auf weiterführende Literatur und das „Fortleben“ (sic!) der Ode etwa bei Ovid (in am. 1, 15, 7 f. und met. 15, 871 ff., S. 367); vgl. S. 367 ad carm. 3, 30, 1 zum Hinweis auf die Bedeutungsgleichheit von exegi in der angeführten Remedia-Stelle V. 811 („I have perfected“). Lucke (1982) 368 ad 811 hebt hervor, dass „exigere in bezug auf ein literarisches Werk“ durch Horaz begründet wurde. Dies bestärkt die These einer intertextuellen Bezug‐ nahme auf Horaz. Lucke konstatiert aber lediglich, dass es sich um eine „[g]esuchte
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jedoch verändert und das feste Metall durch das trotz seiner momentanen ‚fatigatio‘ mit Schnelligkeit und Beweglichkeit assoziierte Schiff ersetzt, ver‐ weist er auf sein Verfahren der intertextuell-parodistischen Transformation. Dieses charakterisiert, wie in den Kapiteln 4.3.1.1–4.3.1.3 erörtert, auch Ovids Umgang mit den horazischen Prätexten im Allgemeinen; konkret könnte man die Verschiebung der Metaphorik an dieser Stelle als Kontrafaktur bezeichnen.63 Ovid verabschiedet sich also in scheinbar horazischer, jedoch künstlerisch produktiv verwandelter Manier und vertraut sein Werk alias Schiff den durch seinen Lehrgang geheilten Schülerinnen und Schülern an (vgl. rem. 811–814). Im ersten Vers der beiden Schlussdisticha der Remedia, die das Ende der elegi‐ schen Traditionslinie Ovids markieren, manifestiert sich ein weiterer Aspekt, der typisch für die Gestaltung dieses opus ist: Wenn die Lehrer-Persona im Anschluss an den Verweis auf Horaz die Bekränzung des ‚Buch-Schiffes‘ fordert, rekurriert Ovid gleichzeitig auf den liebeselegischen Topos des Paraklausithyrons, das meist von der Bekränzung des Türpfostens am Eingang zum Haus der puella begleitet wird; die Junktur date serta alcui rei (carinae in rem. 811) kann als eine intertex‐ tuelle Anbindung an Formulierungen der römischen Liebeselegiker gewertet werden (vgl. z. B. Tib. 1, 2, 14).64 Ovid beschreibt zu Beginn der Remedia den Akt des
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Anlehnung an Hor. carm. 3, 30, 1“ (ebd.) handelt, ohne den Befund weiter zu interpre‐ tieren. Vgl. auch Pinotti (1993) 339 ad 811–14 zu diesem intertextuellen Echo. Als Parallele bleibt festzuhalten, dass Horaz am Ende der Ode ebenfalls eine Bekränzung ersehnt: mihi Delphica / lauro cinge uolens, Melpomene, comam (carm. 3, 30, 15bf.). Vgl. Stocker (2003) Sp. 637, der die Kontrafaktur wie auch andere „gattungskonstitu‐ tive Textverarbeitungsverfahren“ unter den Terminus „Parodie“ im weiteren Sinne subsumiert. Eine Kontrafaktur unterscheide sich von der Parodie im engen Sinne v. a. dadurch, dass sie (a) nicht komisch sei und (b) sich nicht satirisch gegen die Vorlage richte, sondern deren kommunikatives Potenzial für „fremde Zwecke“ benutze, wobei strikt nur die Verspottung der Vorlage ausgeschlossen sei (Sp. 640; für eine Unterscheidung zwischen Parodie, Travestie und Kontrafaktur vgl. Sp. 642). M. E. ist der Bezug auf Horaz an dieser Stelle nicht von besonderer Komik oder Satire gegenüber dem Vorbild geprägt, weshalb mir die Anwendung dieser parodistischen Subkategorie zu passen scheint. Nach Steudel (1992) 19 ist, unter Referenz auf Verweyen/Witting (1987) 134 f., die Einzeltextreferenz ein „konstitutives Merkmal der Kontrafaktur“. Die Kontrafaktur kann aber auch einen satirischen Impetus haben, wenn sich diese „auf ein der Vorlage Externes bezieht“ (Verweyen/Witting [1987] 115). Vgl. zur Kontrafaktur, auch mit Bezug auf Literatur, bildende Kunst, Werbung und politische Plakate, weiter‐ führend Verweyen/Witting (1987), v. a. S. 103–115, welche die Begriffsverengung der Kontrafaktur auf die geistliche Adaption eines weltlichen Textes erweitern (vgl. etwa S. 11–13); bei ihrer Analyse konkreter (gemischt-medialer) Texte fokussieren sie aber fast ausschließlich deutschsprachige Texte. Vgl. zur ‚Aitiologie‘ der Schiffsbekränzung, die wahrscheinlich sakral-kulturgeschicht‐ lichen Ursprungs ist, ausführlich Lucke (1982) 368 f. ad 811. Darüber hinaus sei die metaphorische Verwendung in der augusteischen Literatur, vgl. Verg. georg. 1, 303 f.,
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servitium amoris selbst: effice nocturna frangatur ianua rixa / et tegat ornatas multa corona fores (V. 31 f.). Das heißt: Am Ende seiner Tetralogie, die mit der Heilung (vgl. V. 814) der leidenden Rezipienten schließt, fordert der Lehrer seine Schüler zu einer Handlung im Stil der elegisch Liebenden auf, die sie sozusagen wieder zur Ausgangsposition zurückführt; durch die elegischen Obertöne der intertextuellen Referenz wird der Heilungseffekt also gleichzeitig zunichtegemacht. Darin äußert sich die paradox anmutende Doppelnatur der Remedia, die zwar vordergründig eine Lösung von unglücklicher Liebe propagieren, durch ihre Anspielungen aber immer wieder auf die Sphäre der Liebeselegie, von der sie eigentlich Abstand nehmen, verweisen; die mehrdeutige Referentialität Ovids zu interpretieren, ist ein Ziel dieser Arbeit. Festzuhalten ist an diesem Punkt, dass in der Schlusspassage V. 811–814 wesentliche Merkmale der Remedia im Allgemeinen pointiert zum Ausdruck kommen: die intertextuelle Anspielung auf Horaz, der implizite Verweis auf die eigene ovidisch-transformierende Schreibweise, die Rekurrenz auf die Gattung Liebeselegie und die gleichzeitige Darstellung der Grundintentionen und -probleme, die mit dem Heilungsprogramm der Remedia einhergehen. Trotz der mehrschichtigen Anspielungen des Endes markieren die genannten Metaphern deutlich das Ende des Lehrgangs, das die in Ovids Werkchronologie erkennbare Sequenz der Gattungsstufen fortführt. Die stufenweise Weiterent‐ wicklung von Ovids elegischem Schaffen ist auch zu berücksichtigen, wenn man das Verhältnis zur Ars, wie es sowohl im Dialog-, als auch im Lehrge‐ dichtsproöm65 der Remedia Ausdruck findet, näher beschreibt. Die Remedia sind keine Palinodie der Ars,66 sondern vielmehr eine notwendige Ergänzung
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fast. 4, 335 oder auch Prop. 3, 24, 15 und am. 3, 11, 29 f. gebräuchlich (vgl. S. 368). Dass die Junktur date serta (rem. 811) in der Liebeselegie jedoch auch für die Bekränzung der Türpfosten beim Paraklausithyron steht, führt Lucke mit Bezug auf die genannte Tibullstelle an, ohne weitere Folgerungen daraus zu ziehen (vgl. S. 369). Für eine Analyse beider Proömienteile und sowie weiterer Proöme Ovids vgl. etwa Korzeniewski (1964). Schon Prinz (1914) 36 hält fest, dass Ovid selbst eine solche Wahrnehmung verhindert habe, und verneint die These von Schanz (vgl. S. 81 Anm. 2), dass es sich um eine Palinodie der Ars handle; so verweist er auf die in der Nachfolge von Lukrez stehende Ausrichtung der Remedia auf den „Fall des ‚amor adversus‘“ (S. 81). Vgl. zudem Geisler (1969) 38 f. (mit Anm. 1 zu Vertretern der Palinodie-Auffassung) und Conte (1989) 460 f., der die Möglichkeit eines solchen „Missverständnisses“ der Konzeption durch das Nebeneinander „zweier Diskurse“ (übers. Zitate, S. 461), nämlich ‚Lieben lernen‘ und ‚Von-der-Liebe-geheilt-werden‘, gegeben sieht, das Dialogproöm jedoch als vorbeugende Maßnahme der ovidischen Persona gegen eine solche Interpretation der Remedia erachtet. Vgl. u. a. auch Stroh (2001) und P. Watson (2002) 162 f. Auch laut Frings (2005) stellen die Remedia keine Palinodie der Ars dar, obwohl die „oppositio in imitando“ (S. 27 und 133), die Umkehrung der Lehren, so einen Schluss zunächst zu begünstigen scheint. Wichtig sei aber festzuhalten, dass dieses Werk nicht der Liebeskunst, sondern dem elegischen System entgegenstehe (vgl. S. 101–163, besonders 126–140).
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und Erweiterung. Denn es geht, wie Katharina Volk betont, nicht darum, dass die Lehren der Ars, also die Anleitung für erfolgreiches Werben um ein Mädchen, rückgängig gemacht werden, sondern darum, die destruktiven Kräfte von amor als emotionaler Kraft zu beseitigen.67 Zudem liegt der Schwerpunkt in der Liebeskunst darauf, wie man bei jemand anderem Liebe hervorrufen kann, während die Remedia einen Schüler inszenieren, der sich selbst von unerwünschter Liebe befreien will.68 Die Ars amatoria wird dabei nicht nur nicht zurückgenommen, sondern ist selbstverständlich als Intertext zu berücksichtigen, da der praeceptor davon ausgeht, dass die Leser der Ars und der Remedia dieselben sind: discite sanari per quem didicistis amare; una manus uobis uulnus opemque feret. […] Naso legendus erat tum cum didicistis amare; idem nunc uobis Naso legendus erit. (V. 43 f.; 71 f.)
Des Weiteren stilisiert sich die ovidische Persona zum Meister, der bei allen Belangen der Liebe zu Rate gezogen werden muss und deshalb einerseits als Lehrer der Ars Liebe verursachen und andererseits als Heiler der Liebeswunde in den Remedia gleichermaßen Autorität für sich beanspruchen kann. Dafür greift er in einem Analogieschluss auf das Telephus-Paradigma (vgl. V. 47 f.) zurück: So, wie Telephus nach der Verwundung durch Achill nur durch die Berührung mit dessen Lanzenspitze geheilt werden kann, soll sich der Schüler der Remedia auf den ihm wohlvertrauten Lehrer verlassen.69 Zurück zum Aufbau: Der Hauptteil der tractatio gliedert sich in zwei Vor‐ schriften-Gruppen. Die erste besteht vor allem aus Hinweisen auf aktives Tun, mit dem eine akute Liebesleidenschaft behandelt werden kann: Reise, betätige 67
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Vgl. Volk (2002) 171 und unter Referenz auf Volk auch Rosati (2006) 151, der hervorhebt, dass beide Bedeutungen von amor zugleich mitschwängen und Ovid dadurch einerseits eine enge Vernetzung von Ars und Remedia erreiche, dass aber andererseits die spielerisch ambigue Natur der Remedia (als „‚reversal‘ or conversely […] ‚sequel‘ of the Ars“, ebd.) dadurch begründet werde. Vgl. Stroh (1979) 126, auch für folgende Pointierung im Kontext, dass die Remedia keine „Umkehrung der Ars“ seien: „[R]ückgängig gemacht wird nur der Prozeß, der bei der Ars unter Umständen wider den Willen des Liebhabers entstanden ist“; zur intendierten „Rückwirkung“ auf den Verliebten vgl. die abgebildete Graphik (S. 129). Dabei lässt sich allerdings eine eigene Deutung dieser Analogie feststellen. Denn Ovids Darstellung entsprechend ist es nicht die Geliebte, die für die Verwundung (und damit auch die Heilung) zuständig ist, sondern er selbst als Autor der „Waffe des Gedichts“ (Geisler [1969] 167 ad 47 f.). Für die Verwendung des Exempels in Prop. 2, 1, 63 f. vgl. ebd. und Henderson (1979) 41 ad loc.
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dich juristisch, schlafe mit anderen Mädchen, habe Sex bis zum Überdruss etc. (vgl. V. 135–608); die zweite aus Ratschlägen, was man meiden sollte, um Rückfälle zu verhindern: Meide in Zukunft die Gesellschaft Verliebter, meide Liebesdichter oder Musik, denke nicht mehr an deine Geliebte und ihre Briefe, vermeide Hass (vgl. V. 609–810). Jeweils in der Mitte der ‚ars agendi‘ und der ‚ars vitandi‘70, also der Kunst, durch Handeln bzw. durch das Meiden bestimmter Tätigkeiten den Heilungsprozess zu beschleunigen,71 durchbrechen zwei Exkurse die Reihe der Instruktionen, wodurch eine strukturelle Symmetrie innerhalb des Hauptteils entsteht. Während Ovid in V. 361–396 in der Tradition kallimacheischer Polemik72 die Musa proterua seiner elegischen Dichtung rechtfertigt – es handelt sich dabei um den einzigen expliziten poetologischen Exkurs innerhalb seines elegischen Œuvres –,73 bestätigt er in V. 699–706 seine affirmative Haltung gegenüber Amor,74 weil er nicht gewaltsam gegen ihn vorgeht, sondern durch Beratung heilt, und wendet sich in einer erneuten Apostrophe an Apoll als Heilgott. Der ‚Therapie‘ wird noch die Frage nach dem geeigneten Zeitpunkt voran‐ gestellt, was mit Blick auf die passende Zeit für Erntearbeiten in Hesiods ἔργα καὶ ἡμέραι als strukturelles Signal für das Lehrgedicht zu werten ist. Auf die beiden Alternativen ‚Wehre den Anfängen‘ und ‚Warte, bis sich ein im Lauf befindlicher Liebesfuror von selbst erschöpft‘ entfallen dabei je 28 Verse (vgl. V. 79–134). Ein Aspekt dieser zeitlichen Differenzierung dürfte dem Leser der 70 71
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Diese Begriffe habe ich unabhängig von Boyd (2009) entwickelt, die für die zweite Gruppe an Weisungen von res agendae spricht, da diese nach dem Ordnungsprinzip der Aktivität aufgeführt seien, vgl. S. 111. Die grundlegende Unterscheidung zwischen beiden Vorschriftengruppen bleibt bestehen, auch wenn der Lehrer die Schüler im ‚ars agendi‘-Teil direkt und indirekt dazu auffordert, bestimmte Verhaltensweisen und Einstellungen wie Müßiggang (vgl. V. 135–150) oder Eifersucht und Furcht um die Geliebte (vgl. V. 543–548) abzulegen oder zu meiden – wobei mit res age (V. 144) und da uacuae menti […] opus (V. 150) auch zu Tätigkeiten aufgerufen wird. Als weiteres ‚Durchbrechen‘ dieser Tendenz kann die Weisung im zweiten Teil gelten, dass der vom Rückfall Bedrohte seine Geliebte aktiv mit schöneren und begabteren Frauen vergleichen solle (vgl. V. 707–714). Vgl. Conte (1989) 441. In ringkompositorischer Geschlossenheit schlägt Ovid dabei einen Bogen zu seiner ersten elegischen Dichtung, den Amores. Im vierversigen Eingangsepigramm sprechen die elegischen Verse selbst, im Exkurs in den Remedia, welche das didaktische Werk auch in die Gattung der Elegie einordnen (vgl. später Punkt 4.2.3), stilisiert sich Ovid mittels der Autorität eben dieser elegi zum Vollender der Gattung (vgl. tantum se nobis elegi debere fatentur, / quantum Vergilio nobile debet epos, V. 395 f.). Der Exkurs unterbricht die Weisungen Ovids dabei an der Stelle, an der er Vorschläge für das Verhalten beim Koitus (vgl. V. 357–360) anführt. Diese Positionierung könne, so Boyd [2009] 108, auch insofern als bewusst gewählt interpretiert werden, als Ovid dadurch den coitus interruptus beim Sex durch den „virtual coitus interruptus with this apologia“ spiegelt. Vgl. Geisler (1969) 69.
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Remedia bereits aus der thematisch vielfältigen Konsolationsliteratur und philo‐ sophisch-seelentherapeutischen Schriften75 sowie aus medizinischer Literatur76 bekannt sein. So referiert Cicero – als Beispiel für die zweite Variante – in Buch 4 der Tusculanae disputationes Chrysipps Verbot, recentis quasi tumores animi (Cic. Tusc. 4, 63) zu behandeln, bevor er sich explizit zu remedia gegen den Affekt der Liebe äußert.77 Auch in Lukrez’ Lehrgedicht wird nach dem „καιρός“78 für eine mögliche Befreiung aus dem unerwünschten Zustand, in den Fesseln der Liebe gefangen zu sein (vgl. Lucr. 4, 1146–1148), gefragt:79 […] ut melius uigilare sit ante, qua docui ratione, cauereque ne inliciaris. […] et tamen implicitus quoque possis inque peditus effugere infestum, nisi tute tibi obuius obstes (Lucr. 4, 1144b–1150).
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Zur Vorbildhaftigkeit der „Methodik und Topik“ solcher Schriften für die Gestaltung der Remedia vgl. Geisler (1969) 77–79 (Zitat S. 78). Zur stoischen Sicht auf die Therapierbarkeit jedes Affekts vgl. Stroh (2001) und zu den genera aegritudinis, des zu bekämpfenden Kummers, vgl. Cic. Tusc. 3, 81 und Höcker (2003/2012) Sp. 709. Für Belegstellen zur weiten Verbreitung des Topos, der bezeichnet, dass für die Heilung eines Affekts dessen Höhepunkt überwunden sein müsse, vgl. Geisler (1969) 203 f. ad 107–134. Vgl. zu Ovids „Kombination“ von stoischen und epikureischen „Affektmodelle[n]“, etwa bei der Frage nach dem Zeitpunkt für das Einschreiten beim Affektausbruch, Wildberger (2007) 104– 107 (Zitat der Überschrift S. 106), die ein Gelingen dieser Verknüpfung u. a. in der bewusst fehlenden Definition des Terminus „Affekt“ (S. 108) sieht. So beschränke Ovid die Zielgruppe auf die Einzelfälle Unglücklicher, fokussiere dabei das „Objekt dieser Emotion“, der Liebe (vgl. S. 92 f., Zitat S. 93), und schaffe so einen besonderen „therapeutische[n] Raum“, der jedoch durch stets eindringende Erotisierung (vgl. S. 96 f.) konterkariert werde. Die Schlussfolgerung, dass die Stimme des Therapeuten nur eine der vielen in den Remedia sei (vgl. S. 108 f.), überzeugt wie auch die weiteren Ausführungen. Vgl. Boyd (2009) 110 mit Verweis auf Hippoc. Praec. 1 und Pinotti (1993) 125 f. ad 107–134. Die Paragraphen 68 bis 72 dieses sich um das Thema der Leidenschaften drehenden Buches handeln von der Verurteilung der Liebesleidenschaft, des amor, mit anschlie‐ ßenden Worten zur Therapie dieses Affekts, die sich „sehr hübsch mit Ovids ‚Heilmit‐ teln der Liebe‘ berühr[en]“ (Gigon [1998b] 448). Zu Cicero/Chrysipp als Quelle für die Remedia vgl. etwa Geisler (1969) 77–79 und Pinotti (1993) 16; mit „Skepsis“ Prinz (1914) 62–66 (Zitat S. 62) zu den von Pohlenz angeführten Parallelen und Ergebnissen. Geisler (1969) 189 ad 79–134. Bei Lukrez wird nur die ‚Principiis obsta‘-Variante angesprochen, vgl. auch V. 1068–1072 (vgl. zu Ovid Geisler [1969] 189 ad 79–134 und Anm. 5; zu Lukrez R. Brown [1987] 208 f. ad 1068–72) und V. 1144–1148. Doch verweisen die Verse 1149 f. darauf, dass auch zu einem späteren Zeitpunkt die Heilung noch möglich ist, womit die Zeitpunktfrage indirekt weiter differenziert wird.
3 Der literaturtheoretische Rahmen Im folgenden Methodenkapitel wird der theoretische Rahmen für die Analyse der Remedia amoris und ihrer produktiv-reorganisierenden Rezeption literari‐ scher Gattungen und Prätexte erläutert. Dabei bewege ich mich im weiten Feld der Intertextualitätsdiskurse, die seit ihrer Begründung zahlreiche termi‐ nologische Differenzierungen erfahren haben und auch zu einem in der klassi‐ schen Philologie etablierten80 Messinstrument für die Beziehungen zwischen Texten geworden sind. Meine Absicht ist es nicht, alle Forschungspositionen zu referieren oder darüber hinaus eine neue Definition auf theoretischer Ebene zu liefern. Vielmehr geht es darum – unter besonderem Rückbezug auf die m. E. grundlegenden Thesen Broichs und Pfisters (1985) sowie die neueren, antike-spezifischen Studien von Stephen Hinds (1998) und Lowell Edmunds (2001) –, einen praktikablen Arbeitsbegriff von Intertextualität zu verwenden, der sich für die Analyse lateinischer und griechischer Texte einsetzen lässt, ohne dass dabei anachronistische Überblendungen und eine die historische Situierung der Texte missachtende ‚Theorietreue‘ den Blick für die literarischen Strukturen der Remedia amoris trüben. Das darauf aufbauende und von mir entwickelte Visualisierungsmodell (die Pyramidenstruktur der Intertextualität) steht ebenfalls im Dienst der praktischen Analysearbeit. Es erscheint mir auch sinnvoll, mit Definitionen zum Konzept der Intertex‐ tualität zu beginnen, weil der Terminus der Parodie, der für Ovids Umgang mit literarischen Traditionen wesentlich ist, in das Intertextualitätssystem integriert werden kann. Dieser Ansatz, Überlegungen zu Intertextualität und auch Parodie der Textarbeit voranzustellen, ist nicht neu – bereits Marion Steudel (1992) hat ihrer Untersuchung der Ars amatoria diese Perspektiven zugrunde gelegt und auch Edmunds (2001) zeigt in seiner allgemeinen Intertextualitätstheorie, dass die Parodie ein Weg ist, durch welchen der Kontext eines Bezugstextes 80
Vgl. etwa Steudel (1992) 5 Anm. 25. Eine Aufzählung aller Beiträge der Sekundärliteratur, die intertextuelle Bezüge untersuchen, würde zu weit führen. Vgl. besonders das Litera‐ turverzeichnis von Edmunds (2001) 171–188 sowie seine Monographie insgesamt und auch Hinds (1998). Für Beiträge zu Intertextualität bei Ovid siehe oben den einleitenden Forschungsbericht Anm. 9. Auch wenn der Begriff neuer ist als die Texte, auf die er hier Anwendung finden soll, sei das Phänomen selbst, wie Worton/Still (1993) 2 hervorheben, „at least as old as recorded human society“. Worton/Still zählen zu den prä-modernen ‚Quasi-Intertextualitätstheoretikern‘ Platon, Aristoteles, Horaz, Longin, Cicero und Quintilian und stellen ihre Äußerungen zu imitatio in diesen Kontext (vgl. S. 2–7).
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3 Der literaturtheoretische Rahmen
aufgerufen werden kann.81 Mein Ziel ist es, beide Termini bzw. Konzepte in ihrer Verbindung zu betrachten82 und dabei, anders als Steudel, die antike Fundierung des Parodiebegriffs, wie sie besonders Rose in ihren Studien herausgearbeitet hat, zu berücksichtigen.83 Dabei distanziere ich mich, wie auch schon beim Intertextualitätsbegriff, von modernen, häufig reduktionistischen und mit dem antiken Verständnis nicht übereinstimmenden, Sichtweisen auf die Parodie und schaffe dadurch eine Ausgangsbasis für die philologische Untersuchung der Remedia amoris.
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Vgl. Edmunds (2001) 140–143. Seine Bezugsquellen für Parodie und das Verhältnis von Ernsthaftigkeit und Humor sind M. Bachtin und L. Hutcheon. Edmunds relativiert Bachtins Sicht „that all repetition, thus all quotation, is parody“ (S. 140). Dafür führt er an, dass Vergils Aeneis meist nicht als Parodie des homerischen Epos, die ovidische Aeneis in met. 13, 623–14, 608 aber als Parodie der vergilischen angesehen werde. Parodie könne man also vielmehr als „term for a certain kind of intertextuality“ (S. 141) verwenden. An Bachtins Unterscheidung zwischen ironischer und nicht-ironischer Wiederholung hält er jedoch fest. Vgl. Steudel (1992) 21 f. zur Feststellung, dass in neuerer Zeit Parodie- in Intertextua‐ litätsdiskurse eingegliedert würden, und zur Kritik an einer oft aber mangelhaften Verbindung beider Konzepte. Für Genette (1993) etwa ist die Parodie Teil der Hyper‐ textualität, die wiederum eine Kategorie der Transtextualität ist (vgl. etwa S. 9–24, besonders 20 f.; vgl. S. 21–79 zur Parodie und ihren Formen; vgl. auch Steudel [1992] 7 Anm. 37 und S. 21). Pfister (1985a) 29 f. erachtet die Parodie als eine Textform „maximaler [intertextueller] Intensität“ (S. 29). Nach Steudel (1992) 21 f. sind die Merkmale „Nachahmung, Veränderung und eine komische bis kritische Intention“ verschiedenen Parodiedefinitionen gemeinsam und auch Grundlage von Wolfram Ax’ „Arbeitsbegriff“, dem Steudel weitestgehend folgt. Meine Arbeit unterscheidet sich von derjenigen Steudels hinsichtlich Inhalt und definitorischer Bestimmung des theoretischen Gerüstes. Während sie hauptsächlich die Ars amatoria und die „didaktischen Einflüss[e]“ (vgl. auch S. 6) berücksichtigt (so sei die Ars eine „Gattungsparodie der Lehrdichtung“ [S. 201], wobei die Parodie konkreter Dichter/Einzeltexte weniger wichtig sei), stehen die Remedia amoris im Zentrum dieser Dissertation und umfassend ihr Verhältnis zu verschiedenen Gattungen. Zudem ist Steudels Parodiebegriff m. E. nicht ausreichend auf die antike Fundierung des Phänomens ausgerichtet, da die antike Sicht im Verhältnis zu modernen Perspektiven nur kurz referiert wird. Auch finden teils überholte Aussagen (Ovid sei z. B. in der Ars „über die sinnenverwirrende Leidenschaft der Jugend und seiner früheren Werke hinausgewachsen“, ohne dass die metaliterarische Bedeutung der Liebesdarstellung in den Vordergrund gerückt wird, vgl. S. 61). Dennoch ist Steudels Arbeit zu Text-Textund Text-Gattungs-Beziehungen auch für die Untersuchung der Remedia grundsätzlich nützlich – zudem erfasst Steudel letztlich, dass der „spielerisch[e] Charakter der imitatio nicht zu übersehen und die adversative Funktion der Kontraste nicht überzubewerten“ (vgl. S. 72) sei. Zum Parodiebegriff siehe unten Kapitel 3.2.
3.1 Ein Intertextualitätskonzept für philologische Heuristik
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3.1 Ein Intertextualitätskonzept für philologische Heuristik Im 1985 erschienenen Sammelband „Intertextualität. Formen, Funktionen, ang‐ listische Fallstudien“ gibt Pfister einen konzisen und umfassenden Forschungs‐ bericht über die Genese und Weiterentwicklung des Konzeptes Intertextualität, an den er Überlegungen zu einem heuristisch nutzbaren Intertextualitätsbegriff anschließt.84 Während der Terminus selbst von Julia Kristeva in den 1960er Jahren85 maßgeblich geprägt wurde, hat er seinen Ausgangspunkt bei Michail Bachtins Definition der „Dialogizität“86 (im Rahmen seiner Dichotomie von Monologizität und Dialogizität), der sowohl eine kulturgeschichtliche/-philosophische als auch eine sprachbezogene Dimension eignet;87 sie ist bei ihm also noch nicht als ein rein literarisches Phänomen zu betrachten.88 Bei Kristeva findet sich in Anknüpfung an und in abgrenzender Fortführung von Bachtin eine erste konkrete Definition des Begriffs Intertextualität, da sie festhält, dass ein Text 84
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86 87 88
Vgl. auch den diachronen Überblick über die verschiedenen intertextualitätstheoreti‐ schen Diskurse (auch zu interdiscursivity, interdisciplinarity und hypertext) bei Orr (2003) 20–59 (welche die Bedeutung der Beiträge von Broich und Pfister erkennt, ihre geringe Präsenz in der Literatur aber auf fehlende Übersetzungen zurückführt, vgl. S. 8). Für ein elaboriertes, systematisch aufgebautes und von Genette ausgehendes Intertextualitätsmodell vgl. auch Stocker (1998) 49–72. Er gliedert die Intertextuali‐ tätsformen und -phänomene nach den Bereichen Einzeltext und Textklasse sowie den drei Modi Zitieren, Thematisieren und Imitieren. Für die Trennschärfe zwischen den von ihm differenzierten Unterphänomenen und die begriffliche Definition dieser Termini ist Stockers Kategorisierung besonders zu beachten. Doch ergeben sich für die philologische Praxis m. E. keine zusätzlichen Vorteile, weswegen ich Broich und Pfister folge und Stockers Kategorien hier nicht weiter erläutere. McGann (1997) 120 beschreibt den Grund für die Beliebtheit des in den 1960ern ‚neuen‘ Begriffes Intertextualität: „At a time when the death of the author was being proclaimed, the depersonalisation of relationships between texts which ‘intertextuality’ connoted made it seem more attractive than words like ‘borrowing’ and ‘imitation’.“ Vgl. Pfister (1985a) 1. Vgl. Pfister (1985a) 2 und 2–6. Die „ideologiekritische Sprengkraft“ (S. 6), die sich aus der kulturphilosophischen Dimension seines Dialogizität-Begriffes – wie auch seiner Karnevalismustheorie – ergibt, ist es, die Kristevas Rezeption prägte, vgl. S. 5 f. Bachtin differenziert für den Roman die Möglichkeit einer Polyphonie von Worten und Stimmen und diagnostiziert für die Prosarede unter anderem die Existenz einer Zweistimmigkeit, die Überlagerung von zwei entgegengesetzten Sprecherintentionen etwa bei der Stilisierung oder der Parodie, wenn die „verdeckte Autorstimme […] implizit den Wahrheitsanspruch der Figurenstimme“ (vgl. Martinez [2011] 434 f., Zitat S. 435; vgl. auch Pfister [1985a] 3 f. und Bachtin [1979] 213) anficht. Bachtins Dialogizität ist jedoch noch als ein „dominant intratextuell, nicht i n t e rtextuell“ ausgerichteter Begriff zu betrachten, wenn er die Stimmenvielfalt „innerhalb eines einzelnen Textes“ (Pfister [1985a] 4 f. für das erste, S. 4 für das zweite Zitat) analysiert.
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3 Der literaturtheoretische Rahmen
als „Mosaik von Zitaten“ zu verstehen sei.89 Sie operiert zudem mit einem „total entgrenzte[n] Textbegriff“, unter den sie „jedes kulturelle System und jede kulturelle Struktur“ subsumiert.90 Diese Art von Intertextualität macht alles zu einem lesbaren Text und damit auch alles zu einem intertextuell durchdrungenen Textgewebe.91 In den auf diese Etablierung des Begriffs folgenden Jahrzehnten, in denen sich Kristeva selbst von ihrem Konzept entfernte,92 erfuhr der Intertextualitäts‐ begriff zahlreiche Modifizierungen, die sich zwischen den Extremen des sehr weiten, poststrukturalistischen und eines engeren, strukturalistischen oder hermeneutischen Verständnisses, „in [dem] der Begriff der Intertextualität auf bewußte, intendierte und markierte Bezüge zwischen einem Text und vorliegenden Texten oder Textgruppen eingeengt wird“93, bewegen. Pfister versucht, einen ‚Weg der Mitte‘ zwischen den beiden Polen zu gehen, indem er einen eigenen Kriterienkatalog „zur Skalierung von Intertextualität […] [und] zur typologischen Differenzierung unterschiedlicher intertextueller Bezüge“94 definiert. Dabei unterscheidet er von den quantitativen Kriterien, welche die Bedeutung von intertextuellen Phänomenen an der numerischen Häufigkeit festmachen,95 sechs qualitative Kriterien. Während die Referentialität (1) die Intensität bezeichnet, mit der sich ein Text ‚aktiv‘ auf einen anderen bezieht, bezeichnet die Kommunikativität (2) den „Grad der Bewußtheit des intertextu‐ ellen Bezugs beim Autor wie beim Rezipienten“.96 Beide Aspekte finden sich, wenn man sie auf die Remedia bezieht, beispielsweise in den bereits zitierten Versen 43 f. und 71 f.: So spricht die ovidische Persona an diesen Stellen direkt an, dass die Kenntnis der Ars beim Leser vorausgesetzt wird. Ein solches Kommunikativitäts-Merkmal, welches das Subjekt nicht nur beim Lese-, sondern auch beim Schreibprozess in den Mittelpunkt stellt, tritt aber grundsätzlich in Konflikt mit Textuntersuchungsverfahren, die Vermutungen zur Intentionalität eines (historischen) Autors – auch wegen der Unmöglichkeit einer heuristisch gesicherten Aussage – nicht zulassen und sich auf Erkennt‐
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Vgl. Kristeva (1972) 348 sowie Pfister (1985a) 6. Zitate und Ausführungen Pfister (1985a) 7. Vgl. auch Martinez (2011) 441 f. Vgl. Pfister (1985a) 7–9 und Martinez (2011) 442. Vgl. Pfister (1985a) 10. Vgl. Pfister (1985a) 25 für Zitat und Ausführungen. Für einen diachronen Überblick über verschiedene theoretische Konzepte vgl. S. 11–24. Pfister (1985a) 30. Für die Definition der Kriterien vgl. S. 25–30. Vgl. Pfister (1985a) 30. Vgl. Pfister (1985a) 26 f., Zitat S. 27. Bei Pfister zeigt sich bereits die Abgrenzung zu radikalen poststrukturalistischen Positionen etwa Kristevas.
3.1 Ein Intertextualitätskonzept für philologische Heuristik
41
nisse, die beim Lektüreprozess gewonnen werden, beschränken.97 Der Nutzen dieses Ansatzes besteht aber darin, dass man intertextuelle Beobachtungen so nicht einer gewissen Beliebigkeit und Willkür anheimgibt und dass Untersu‐ chungen so nicht zur bloßen Suche nach Parallelstellen werden. Auch Broich geht von bestimmten Markern als „Intertextualitätssignale[n]“98 aus, die auf beabsichtigte, messbare und für den neuen Text relevante und bedeutsame Intertexte hinweisen können, wobei er aber auch die Rolle des Rezipienten und seine Wahrnehmungsfähigkeit berücksichtigt:99 Marker liegen etwa vor, wenn andere literarische Texte „physisc[h]“ oder in Gesprächen o. ä. Gegenstand eines anderen Textes werden oder Figuren aus anderen Texten „leibhaftig auftreten“ („Markierung im inneren Kommunikationssystem“).100 Häufig finden sich aber die Formen von Markern, die in Verbindung mit Pfisters Kommunikationskriterium stehen und die auch für die intertextuelle Untersu‐ chung der Remedia amoris bedeutsam sind, wenn nämlich nicht die Figuren innerhalb eines Werkes, sondern die Rezipienten des Textes die Anspielungen wahrnehmen. Beispielhafte Marker hierfür sind Zitate, explizite Nennung einer Quelle in Fußnoten, die Übernahme eines Titels oder Untertitels im Fall von Parodien oder Travestien, die Adaption von Mottos, Vor- und Nachworten („Markierung in Nebentexten“)101 sowie das Zitieren und Anspielen auf Namen, Stillagen, Handlungen o. ä. nicht in Paratexten, sondern im Haupttext selbst („Markierung im äußeren Kommunikationssystem“).102 Als Markierung im Haupttext kann, wenn man die Terminologie auf Ovids Werke und andere antike Texte anwendet, etwa die transformierende Übernahme des horazischen Exegi monumentum-Bildes gelten, das Ovid als Schlusspunkt in seine Remedia übernimmt; dabei kann Ovid einen Leser annehmen, der diese Anspielung erfasst. Und wenngleich der Beginn von Amores 1, 1 (Arma graui numero) dem Motto nachgestellt ist, können die ersten Worte doch als programmatische Adaption der vergilischen Eposformulierung Arma uirumque cano (Aen. 1, 1) gelten und somit den Broich’schen Markierungstypen zugeordnet werden.
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Vgl. hierzu auch Volk (2002) 4 f., die sich insofern von Effe (1977) abgrenzt, als sie selbst „extratextuelle“ Momente wie die Autorintention, mit der Effe die Unterteilung der Lehrgedichtsgattung in die drei Gruppen ‚sachbezogen, formal, transparent‘ begründet, ausschließt und nur „intratextuelle“ Kriterien gelten lässt (übers. Zitate). Orr (2003) 172 etwa bezeichnet „authorial intention“ als „the bugbear of postmodernism“. Broich (1985a) 31. Vgl. Broich (1985a) 33. Vgl. Broich (1985a) 39 f. für die Ausführungen, S. 40 für die Zitate. Vgl. Broich (1985a) 35–38. Vgl. Broich (1985a) 41–44.
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3 Der literaturtheoretische Rahmen
Über die genannten Aspekte der Referentialität und Kommunikativität hinaus definiert Pfister vier weitere Kriterien für die Skalierung von Intertextualität. Dazu zählen die Autoreflexivität (3), wenn also die Intertextualität selbst auf einer Metaebene innerhalb des Textes reflektiert wird, und die Strukturalität (4), welche die „syntagmatische Integration der Prätexte in den Text“ bezeichnet.103 Hierzu kann man m. E. etwa rechnen, dass die didaktische Strukturierung aus ἔργα καὶ ἡμέραι, des hesiodischen Archetyps, als Folie für Lehrgedichte im Allgemeinen und wie auch für Vergils Georgica für Ovids Remedia im Speziellen dient.104 Auch die Selektivität (5), welche beschreibt, wie „pointiert“ ein Prätext einbezogen wird, und letztlich die Dialogizität (6), der zufolge bei „stärker[er] […] semantischer und ideologischer Spannung“ zwischen Text und Prätext Intertextualität deutlicher erfahrbar wird, werden von Pfister angeführt.105 Besonders der letzte Aspekt verweist bereits darauf, dass die Parodie ein der Intertextualität verwandtes Phänomen ist, da eine Spannung, wie Pfister sie aufgebaut sieht, auch als Merkmal für parodierende Texte gelten kann. Als prominenter Systematisierungsversuch ist zudem Gérard Genettes Aus‐ differenzierung der „Transtextualität“ zu nennen.106 Dabei berücksichtigt er in seinen fünf Unterkategorien107 sowohl die Bezüge eines Textes auf einzelne Texte als auch diejenigen auf Genres, was als Unterscheidung von „Einzeltextund Systemreferenz“ auch für Pfister und Broich bei der Beschreibung von Intertextualitätsphänomenen zentral ist. Denn die intertextuelle Referenz auf einen konkreten Prätext, sei es vom selben oder von einem anderen Autor,108 ist grundsätzlich vom Verweis auf ganze Gattungen, auf „Textkollektiva […] und sie
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108
Vgl. Pfister (1985a) 27 f., Zitat S. 28. Als Beispiele führt er u. a. Vergils Epen an, die strukturell auf Homers Epen anspielen. Vgl. Volk (2002) 44–49 zur grundsätzlichen Anwendbarkeit der vier Kriterien für didaktische Texte auf Hesiod. Für einen knappen Überblick über den Aufbau der Werke und Tage vgl. Arrighetti/Söllner (2003/2012) Sp. 508 f. Vgl. Pfister (1985a) 27–29, zudem S. 28 für das erste und S. 29 für das zweite Zitat. Genette (1982) 7 beschreibt sie so: „tout ce qui le met en relation, manifeste ou secrète, avec d’autres textes“. Vgl. Genette (1982) 7–17 bzw. (1993) 9–21. Eine zusammenfassende Darstellung bietet Seidel (2006): So finde man bei Genette Intertextualität (im engeren Sinne), wenn ein Text (fast) wörtlich in einem anderen enthalten ist, etwa als Zitat oder Anspielung (S. 173); die Paratextualität (die „Beziehung zwischen einem Text und anderen Texten, die ihm unmittelbar beigegeben sind, […] etwa Titel, Vorrede oder Randglossen“, ebd.); die Metatextualität (die Kommentierung anderer Texte, vgl. S. 173 f.), die Hypertextua‐ lität (Überlagerung von anderen Texten, „ohne sie explizit zu kommentieren“, S. 174) und die Architextualität (wenn zwei Texte „dieselben Strukturmerkmale aufweisen“, ebd.); vgl. auch Martinez (2011) 442 f., Pfister (1985a) 16 f., Steudel (1992) 7 mit Anm. 37. Vgl. Broich (1985b) 49.
3.1 Ein Intertextualitätskonzept für philologische Heuristik
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strukturierenden textbildenden Systemen“109 zu unterscheiden, auch wenn beide Phänomene zugleich in einem Text präsent sein können. Diese Differenzierung ist für die aktive Textarbeit an Ovids Remedia ebenfalls wichtig, da ich die intertextuelle Bezugnahme Ovids auf einzelne Texte und dabei gleichzeitig auch auf Gattungsvorbilder, etwa diejenigen der (horazischen) Satire oder des Lehr‐ gedichts im Allgemeinen, untersuche. Auch für die Frage, welche Mechanismen zur Konstituierung einer Gattung beitragen, können – je nach Perspektive einer literarischen Epoche – Überlegungen zur Intertextualität herangezogen werden. Wenngleich aus moderner Sicht Genres oft hauptsächlich auf „eine[m] Code, eine[m] Satz von Regeln und Konventionen, eine[r] Gattungsgrammatik“ ba‐ sieren und keine „feingesponnene[n] Netze von Beziehungen“110 darstellen, ist die Bedeutung intertextueller Phänomene, wie Ulrich Suerbaum (1985) betont, stärker hervorzuheben. Im Rahmen seiner „[g]eneralisierende[n] Hypothesen“, die er für reihenbildende Detektivgeschichten formuliert, hält er fest, dass erst durch „lineare Intertextualität“, die Anknüpfung an eigene Texte sowie Werke fremder Autoren, oder auch „perspektivierende Intertextualität“, bei der es we‐ niger um konkrete Zitate als um globale Referenzen auf ein ganzes ‚Textsystem‘ geht, Gattungen geschaffen würden.111 Dabei nähmen aber die Bedeutung und der Umfang der expliziten intertextuellen Bezüge auf Einzeltextebene ab, je weiter sich eine Gattung bereits etabliert habe.112 Wenngleich diese Hypothesen für Texte des 18. und 19. Jahrhunderts aufge‐ stellt sind, lassen sie sich doch mit der antiken Sicht auf Gattungen und der Frage nach ihrer Konstituierung verknüpfen.113 Für grundsätzliche Überlegungen, was Gattungen überhaupt sind und welchen Problemen man bei einer allgemeingül‐ tigen Definition begegnet, kann ich exemplarisch auf Volks (2002) Monographie verweisen, in der sie die Themen Gattung im Allgemeinen und in der Antike sowie besonders die didaktische Poesie ausführlich erörtert.114 Ich referiere im 109 110 111 112 113
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Pfister (1985b) 53. Zitate Suerbaum (1985) 59. Zitate und Ausführungen vgl. Suerbaum (1985) 64 und 68. Vgl. Suerbaum (1985) 68. Das exemplarisch verwendete Textkorpus beinhaltet zum einen reihenbildende Detek‐ tivgeschichten (Poe und Doyle) und zum anderen frühe englische Romane (Werke Defoes, Richardsons, Fieldings), vgl. Suerbaum (1985) 60. Trotz dieser Spezifizität sind seine generalisierenden Schlüsse m. E. auch auf die Antike anwendbar. Vgl. Volk (2002) 25–68. Zu erwähnen ist auch Cairns’ (1972) ‚ältere‘, viel diskutierte Monographie, in der er sich u. a. mit der Entstehung antiker Genres, Gattungskategorien und dem Verhältnis von Topoi und Gattungen befasst (vgl. das Inhaltsverzeichnis und S. 34–124). Volk (2002) 28 Anm. 7 referiert knapp alternative Versuche einer Systematisierung nach „occasion“ und verweist dafür auch auf Cairns (1972; vgl. auch Cairns [1972] 6, der bei seiner Definition von Genres nach Inhalt kategorisiert; als
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3 Der literaturtheoretische Rahmen
Folgenden einige ihrer Beobachtungen hierzu knapp und gehe dabei auf die Verbindung von Intertextualität und Genre im Fall des Lehrgedichts, das einen der wichtigsten generischen Ankerpunkte der Remedia amoris ausmacht, ein. Auch in der Antike gab es, wie Volk ausführt, ein Bewusstsein für literari‐ sche Gattungen, wenngleich diese oft mehr in einer „common sense“-Form verstanden und weniger intensiv theoretisch fundiert wurden.115 Dabei teilte man sie vor allem nach metrischen Gesichtspunkten ein; es gab aber auch Unterscheidungen nach dem Primat des Inhalts und des ‚Prototypen‘.116 Gat‐ tungs-Reflexionen fänden sich zudem in metapoetischen Textpassagen, welche die (Nicht-)Zugehörigkeit eines poetischen Textes zu bestimmten Genres the‐ matisieren können,117 oder bei den Theoretikern Platon und Aristoteles118 (der anknüpfend an seinen Lehrer besonders stark formalistische Kriterien ablehnt).119 Am Beispiel der didaktischen Poesie offenbare sich dabei „[t]he difference between the communis opinio about genre and the methods of distinguishing different types of poetry employed by such theorists as Plato and Aristotle […]“120. Während durch die hexametrische Gestaltung allgemein eine Zuordnung zur Epik vorgenommen wurde, artikulierte, so Volk, Aristoteles – via negationis – insofern einen Unterschied zu dieser Gattung, als das Lehrge‐ dicht nicht nur des Mimesis-Kriteriums für das Epos entbehre, sondern nicht einmal Poesie darstelle.121 Die sich hier bereits abzeichnende Wahrnehmung der didaktischen Poesie als einer eigenen Gattung erfuhr Konkretisierungen etwa
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Beispiele nennt er propemptikon, komos, paraclausithyron); für eine Würdigung und Kritik des Werkes vgl. Uhligs (2009) Rezension der Neuauflage von 2007. Vgl. Volk (2002) 27. Vgl. Volk (2002) 27 zu diesem am meisten verbreiteten Ansatz und zu „content“ als „second common criterion“: So thematisiere das Epos typischerweise Helden und Götter, „Könige und Schlachten“ (ebd., übers. Zitat). Als Drittes führt Volk den primus inuentor an, „who becomes the model imitated“ (ebd.). Diese Kriterien würden etwa in Horaz’ Ars poetica (V. 73 f.) widergespiegelt, vgl. S. 27 f. Vgl. Volk (2002) 28 Anm. 6 u. a. zur recusatio als typischem Beispiel für „the Augustan […] continuous reflection on which genre to choose“. Vgl. Volk (2002) 28. So finde sich bei Platon und Aristoteles die Unterscheidung nach ‚Sprechern‘, also ob der Dichter spreche, Charaktere sprächen oder ob man beides gemischt finde; diese Unterscheidung „according to the ‘situation of enunciation’“ (S. 28) sei oft fälschlicherweise für den Ursprung der Dreiteilung von lyrisch-episch-dra‐ matisch gehalten worden, vgl. ebd. Vgl. Volk (2002) 7. Volk (2002) 29. Arist. Poet. 1447b 17–18: οὐδὲν δὲ κοινόν ἐστιν Ὁμήρῳ καὶ Ἐμπεδοκλεῖ πλὴν τὸ μέτρον, vgl. Volk (2002) 30 Anm. 13. Für Aristoteles besteht somit ein fundamentaler Unterschied zwischen Empedokles und Homer, da ersterer eher ein φυσιολόγος als ein ποιητής sei (vgl. Poet. 1447b 19–20 und Volk [2002] 30).
3.1 Ein Intertextualitätskonzept für philologische Heuristik
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im Tractatus Coislinianus, der „direkt auf Aristoteles reagiert“122, und später in Diomedes’ Ars grammatica (4./5. Jd. n. Chr.), die in der platonischen Tradition zu verorten ist.123 Sieht man von den spärlichen theoretischen Zeugnissen ab, kann man jedoch durch konkrete Textarbeit an didaktischen Werken ‚implizite Poetiken‘ heraus‐ arbeiten.124 Denn diese weisen, wie Volk zeigt, gemeinsame, für die Gattung Lehrgedicht als konstitutiv zu betrachtende Merkmale auf – „(1) explicit didactic intent; (2) teacher-student constellation; (3) poetic self-consciousness; and (4) poetic simultaneity“.125 Dass sich das didaktische Genre sukzessive aus einem „didactic mode“ heraus entwickelt hat126 und von Hesiod und Empedokles bis hin zu Manilius ein offensichtlich immer konkreteres Gefüge aus didaktischen Bausteinen aufzuweisen beginnt, bestätigt den von Suerbaum beschriebenen Intertextualitätsprozess einer Gattungsgenese im Allgemeinen. Im weiteren Sinne intertextuelle Prozesse spielten demnach auch für das Lehrgedicht als Genre eine wichtige Rolle. Hier soll Intertextualität aber nicht zur Erklärung der Gattungsgenese einge‐ setzt werden, sondern zur Untersuchung, welchen Einfluss Gattungssysteme – auch in der Konkretisierung durch bestimmte Textkorpora – und Einzeltexte auf die Remedia amoris haben. Bevor ich meinen Arbeitsbegriff von Intertextualität konturiere, ergänze ich meine Ausführungen noch um die zentralen Ergebnisse der aufschlussreichen Studien von Hinds (1998) und Edmunds (2001), da sie ihre Ausführungen mit lateinischen Textstellen illustrieren und sich kritisch-re‐ flektiert mit intertextuellen Theorien klassischer Philologen (etwa Barchiesis, Contes, Farrells, Thomas’) auseinandersetzen.127 122 123 124 125
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Volk (2002) 32 (übers. Zitat). Das Datum des Tractatus ist unklar (vgl. für die Möglichkeit einer Entstehtung zur Zeit Theorphrasts oder erst im 1. Jd. v. Chr. ebd., auch Anm. 18). Vgl. Volk (2002) 30–33. „[D]idactic poetry was established as a distinct literary type in the realm of poetic practice, even if it may not yet have been explicitly acknowledged by literary theory“ (Volk [2002] 68). Vgl. zudem Farrell (2003) u. a. 402 f. Volk (2002) 40 innerhalb des Kapitels „Didactic Poetry as a Genre“ (S. 34–43). Volk (2002) 184–187, besonders 184 f., spricht den Remedia und Ars 3 insgesamt (trotz ihrer grund‐ sätzlichen Zugehörigkeit zur didaktischen Gattung) dabei die Eigenschaft mimetischer Simultaneität ab – wäre man gleich nach der ersten Weisung geheilt, müsste man ja nicht weiterlesen (dagegen finde sich beim „development of the love affairs“ [S. 182] in Ars 1 und Ars 2 eine „highly artificial“ [S. 183] mimetische Simultaneität, vgl. S. 182–184). Wichtig sei dabei, dass die Genese der Gattung langsam vonstatten ging, beginnend mit dem didactic mode, den es überall in der Dichtung gibt, bis hin zu Lukrez (vgl. Volk [2002] 42–60). Die Rezensenten Nappa (1998; zu Hinds) und Kuyat (2002; zu Edmunds) fassen die zentralen Positionen der Autoren treffend und mit Blick auf die wesentlichen Aspekte und Neuerungen zusammen.
46
3 Der literaturtheoretische Rahmen
Bei Hinds und Edmunds bilden zwei Themenbereiche einen Schwerpunkt, die Edmunds als die zwei grundlegenden Probleme der Intertextualitätsdiskurse sieht: Diese betreffen sowohl die Frage nach der Autorintentionalität – von Hinds als „fundamentalism“128 bezeichnet – und die Frage nach dem Status des Textes an sich als auch die Rolle, welche der Leser für die Konstitution des Textes spielt.129 Hinds versucht, was ihn mit Pfister vergleichbar macht, einen Mittelweg zu finden, der zwischen dem vielen Lesern intrinsischen Verlangen danach, vom Autor bewusst gesetzte Anspielungen zu entdecken, und einem weiten Begriff der Intertextualität zu verorten ist; letzterer besteht in einer Annäherung an den Bereich der „zero-interpretability“130, der praktisch aber kaum vorhanden sei131 und das Feld für weitere Beobachtungen zu bisher vernachlässigten Anspielungen öffne.132 Aus einer Erweiterung der Bezugstexte ergibt sich aber die Problematik, die darin besteht, dass die Unterscheidung von allusion, quasi ‚Einzeltextreferenzen‘, und Topoi, die eine „intertextual tradition as a collectivity“133 hervorrufen (Hinds bezieht sich auf Contes Ge‐ genüberstellung von modello-esemplare und modello-codice),134 zwangsläufig verschwimmt.135 Hinds zeigt jedoch, dass ein Topos und eine Anspielung auf einen konkreten Text gleichzeitig möglich sein können136 – eine Beobachtung, die auch für Ovids intertextuelles Vorgehen zutreffend ist. So ruft Ovid bei seinen Hinweisen darauf, dass langes klagendes Sprechen über die Geliebte und mangelndes Schweigen zu vermeiden sei (siehe meine Ausführungen in Kapitel 4.3.2.4), den Topos „that an angry tongue is a proof of love“137 auf. Gleichzeitig spielt er aber in einer Allusion, einer markierten Einzeltextreferenz, auch auf 128 129 130 131 132 133 134 135
136 137
Vgl. Hinds (1998) 17–51. Dieser „fundamentalism“ finde sich in gräzistisch-latinisti‐ schen Positionen, die klare verbale oder kontextuelle Markierungen zur Voraussetzung für Intertextualität machen. Vgl. Edmunds (2001) xii bei seiner Kurzdarstellung der einzelnen Kapitel. Zur Konsti‐ tuierung von Bedeutung erst bei der Rezeption vgl. Hinds (1998) 49. Hinds (1998) 32. Vgl. Hinds (1998) 32–34. Er schlägt pointiert vor, dass man nicht fragen solle, welche „marke[r]“ die Interpretation als Anspielung zuließen, sondern welche Markierungen fehlen müssten, damit es sich nicht mehr um eine Anspielung handle (vgl. S. 29). Vgl. die Zusammenfassung von Nappa (1998). Hinds (1998) 34. Vgl. Hinds (1998) 41. Ähnlich Edmunds (2001) 143, der bei Intertextualität grundsätzlich nicht die Notwen‐ digkeit sieht, zwischen „System Reference“ und der quotation „of some one element in the system“, also „between [these] mutually exclusive alternatives“ zu unterscheiden, da beides auch gleichzeitig vorliegen könne. Vgl. Hinds (1998) 39–47 und seine Illustrierung am Beispiel von Textpassagen zum „‘many mouths’-topos“. Vgl. Quinn (1970) 418 ad 83, 6 mit Verweis auf Prop. 3, 8.
3.1 Ein Intertextualitätskonzept für philologische Heuristik
47
Catull. 83 und 92 an, in denen die Verbindung aus dicere, tacere und mangelnder emotionaler Indifferenz paradigmatisch repräsentiert wird. Letztlich verbindet Hinds eine die Autorsubjektivität (und die Ausrichtung auf einen impliziten Leser) berücksichtigende mit der für ihn zentralen leserorientierten Perspektive, bei der durch den Akt der Rezeption erst die Bedeutung des Textes konstituiert wird.138 Für die Analyse der Remedia ist der auf den Leser ausgerichtete Ansatz beispielsweise insofern wichtig und anwendbar, als Ovid durch die intentional primär-naive Lesart der Lesbia- und Juventius-Zyklen die instabile Haltung der Catull’schen Persona sichtbar macht. In der Art, mit der diese Figur zu einem Negativbeispiel für die Schüler der Remedia wird, verleiht Ovid dem Intertext der Carmina somit neue Bedeutung. Noch stärker auf den Leser ist Edmunds fixiert, der in ihm die Intertextu‐ alität überhaupt erst lokalisiert:139 Intertextuelle Anspielungen würden erst beim Lesen erschaffen, ohne dass sie vorher ‚a priori‘ bestünden oder eine „linguistische oder semiotische Basis“ hätten“140; es gebe also auch keine im Text zu lokalisierenden Marker.141 Auch wenn Edmunds grundsätzliche Autorinten‐ tionen, besonders in lateinischer Dichtung, nicht verneint, problematisiert er die Sicht, Anspielungen auf die Dichterfigur zurückzuführen.142 Vielmehr werde Intertextualität durch den Sprecher bzw. die Persona eines Gedichts „aktiviert“, und zwar im Leser selbst.143 Das Problem, das sein leserbasierter Ansatz mit 138
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142 143
Der Begriff Intertext ist bei Hinds (1998) folglich offener und weiter zu definieren; seine ‚versöhnende‘ Haltung spiegle letztlich auch die Lektüre- und Forschungsrealität wider (vgl. etwa S. 47–51, besonders das Resümee S. 49). Insgesamt vertritt Hinds einen eher leserorientierten Ansatz und zeigt die Nachteile des „philological fundamentalism“ auf – ohne aber gleichzeitig einem „intertextualist fundamentalism“ das Wort zu reden (S. 48). Die Position eines „intertextual critic“, der das intentionale Dichtermoment beseitigen will, könne, so Hinds, ins Extreme führen (vgl. ebd.). Vgl. das präzise Urteil und die Zusammenfassung Kuyats (2002). Vgl. Edmunds (2001) 24–41 und seine Aussage „the reader becomes the locus of intertextuality“ (S. 159). Edmunds (2001) xvii (übers. Zitat). Vgl. Edmunds (2001) 154–157; vgl. S. 156 zu einer kritisch-reflektierten Auseinanderset‐ zung mit Broich (1985a). Edmunds lässt nur „external marker[s]“ wie die Formulierungen dicitur, fertur, ut aiunt, memini etc., die D. O. Ross als „Alexandrinische Fußnote“ bezeichnet hat, als legitim gelten (vgl. S. 156 f.). Diese Art der Anspielungen sind auch der Ausgangs‐ punkt in Hinds’ (1998) erstem Kapitel, in dem verschiedene „figures of self-allusive annotation“ an Beispielen erläuert werden (etwa auch zum Verhältnis von Ovids Ariadne in den Fasti zu Catulls Ariadne in carmen 64; siehe hierzu unten Kapitel 4.3.2.2). Für eine kritische Reflexion seiner Problematisierung der Hierarchie zwischen tenor (den allusions) und vehicle (der ‚technischen‘ Möglichkeit der Referenz etwa durch Alexandrinische Fußnoten, Vokabular aus dem Bereich Erinnerung etc.) vgl. Nappa (1998). Vgl. Edmunds (2001) 19–38, besonders seine Schlussfolgerungen S. 37. Vgl. Edmunds (2001) 63 für die Pointierung (übers. Zitat). Edmunds erteilt deshalb auch der bei Hinds zu findenden Unterscheidung zwischen allusion (die mit dem Problem
48
3 Der literaturtheoretische Rahmen
sich bringt – so führe es zu Unsicherheit bei der Bestimmung intertextueller Bezüge –, löst Edmunds dadurch, dass er die Entscheidungshoheit über die „validity of a reading“ bei der zuständigen, kritischen „interpretive community“, bei lateinischer Dichtung den klassischen Philologen, sieht.144 Obwohl ich die Rolle des Lesers z. B. für die genannte Catullrezeption ebenfalls als wichtig erachte, erscheint mir Edmunds’ Position teils zu extrem. Denn die Referenz Ovids manifestiert sich deutlich in lexikalisch markierten Anspielungen, die zugleich einen überprüfbaren Beleg für den intertextuellen Bezug darstellen. Edmunds’ Definition von Intertextualität besteht darin, dass sich in einem target text (T1) quotations 145 (Q1, mit Q2 als Quelle) von Wörtern eines source text (T2) finden, wodurch der context des quoted text (C2) einen neuen context (C1) erhält.146 Es gebe drei Arten, auf die eine quotation (Q1) den Kontext des ursprünglichen Textes (C2) hervorrufen könne: Durch die Erweiterung des Kontextes in C1, durch eine „continuous relation between C1 and C2“ und durch Parodie, „in which T1 repeats or closely follows a particular T2“.147 In dieser Hinsicht ist Edmunds für meine Untersuchung wesentlich, da Parodie als intertextuelles Phänomen für Ovids Umgang mit Lukrez, Horaz und Catull in seinen Remedia amoris zentral ist. Die moderne Intertextualitätstheorie ist jedoch nicht der einzige literaturtheore‐ tische Rahmen für die Textarbeit. Da für die Beschreibung der Beziehung eines Textes zu Prätexten, auch für die Bezugnahme späterer Autoren auf Werke ihrer Vorgänger (etwa in der „Sukzessionsreihe Ennius – Lukrez – Vergil –
144
145 146
147
der Autorintention verbunden ist) und intertext (welcher auf der Freiheit des Lesers basiert), eine Absage (vgl. S. 164), relativiert aber die Folgen dieser Aufkündigung von Hinds’ Dichotomie, da dies nicht zu ubiquitären und willkürlichen Bestimmungen von Intertextualität führe (vgl. S. 165). Grundlage für diese Absage sei die Tatsache, dass jegliche Intertextualität vom Leser abhängig sei (vgl. S. 166). Edmunds (2001) 168. Durch die Übergabe der ‚Entscheidungshoheit‘ an die lesende Gemeinschaft werde, so Kuyat (2002), „kritisches Chaos […] vermieden“ (übers. Zitat). Edmunds betont dabei, dass sowohl der intersubjektive als auch der zeitliche Kontext der Rezeptionssituation variieren könnten: „intertextuality […] discriminates among readers“ – und manche Anspielungen wären vielleicht nur durch antike und nicht moderne Leser wahrnehmbar (vgl. S. 159). Dies ist der von Edmunds bevorzugte Begriff, den er „allusion, reference, echo, reminis‐ cence, or transformation“ (S. 134) vorzieht, vgl. Edmunds (2001) 133 f. Vgl. Edmunds (2001) 133–143, besonders 133, 137 f. Er hält fest, dass die Begriffe Intertext, Subtext und Hypertext für den Intertextualitätsdiskurs überflüssig geworden seien (Intertext etwa sei häufig sowohl auf T2 als auch Q1 bezogen worden und so nicht eindeutig; Hypertext werde mittlerweile vor allem für das elektronische Format ursprünglich nicht-elektronischer Texte verwendet), vgl. S. 138–140. Zitate Edmunds (2001) 140; für seine Ausführungen vgl. auch S. 139 f.
3.1 Ein Intertextualitätskonzept für philologische Heuristik
49
Ovid – Lukan – Statius“)148 bereits Begriffe wie Imitation, Anspielung, Adaption und aemulatio etabliert sind,149 muss nach dem spezifischen Nutzen der Inter‐ textualitätsforschung, die grundsätzlich mit diesen traditionellen philologischen Analyseinstrumentarien vereinbar ist, gefragt werden.150 Ihr Vorteil besteht nun darin, dass bestimmte Assoziationen mit den aus der antiken Rhetorik und Poetik überlieferten und angewandten151 Termini imitatio und aemulatio keine Gültigkeit haben. Denn sie implizieren in der Rezeption durch moderne Literaturkritik oft eine als vorbildlich geltende Textvorlage und können dazu führen, dass man literarische „Nachahmer“ tendentiell zu „Epigonen“152 herabsetzt, während bei der Intertextualitätsforschung verstärkt die Selbstständigkeit der Textproduktion und ihre neue Interpretation der bestehenden literarischen Tradition akzentuiert und untersucht werden.153 Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass sich aus antiker Sicht Originalität und die formale und stoffliche Nachahmung mit folgender ‚nacheifernder Überbietung‘, die auf eine bewusst eigene Leistung verweist,154 148
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Hinds (1998) 52–98 widmet sich ausführlich „questions of intertextual relationships in our construction of literary histories“ (Nappa [1998]). Dafür untersucht er auch Dichter der genannten Sukzessionsreihe und dabei besonders, wie sich der spätere Dichter Statius bewusst in ein rhetorisches Dekadenznarrativ (ausgehend von der teleologischen Sicht, dass die Augusteer Klassiker geworden seien, vgl. S. 95) einschreibt (seine „secondariness“ [S. 92] zeige sich etwa im Epilog zur Thebais, vgl. S. 91–98). Imitatio, Zitat, Cento o. ä. können als Bezeichnungen für Einzeltextreferenz und z. B. mock-heroic als eine Form der Systemreferenz gelten, vgl. Broich (1985b) 59. Begriffe wie Parodie oder Travestie können dabei auf beide Intertextualitätsformen angewandt werden (vgl. ebd.). Für Zitat und Gedankengang vgl. Bendlin (2003/2012) Sp. 1046. Ausführliche Diskussionen zu den Konkurrenzbegriffen der Intertextualität – influence, imitation und quotation –, ihren Vor- und Nachteilen und unterschiedlichen Perspektiven aus (post-)moderner literaturtheoretischer Sicht finden sich in den jeweiligen Kapiteln in Orr (2003), vgl. auch ihre einleitende Zusammenfassung S. 15–19. Die römische „Stufenfolge interpretatio – imitatio – aemulatio“ (Reiff [1959] 113) bei der Literaturproduktion ist vor dem Hintergrund dieser, auch für die Stiftung einer römischen Nation bedeutsamen (vgl. S. 114), Situation einer Abhängigkeit von und Weiterentwicklung der bereits etablierten griechischen Tradition zu verstehen, auch wenn sich die Nachahmung und Adaption bei den Römern, v. a. später, nicht nur auf griechische Vorbilder stützte. Bendlin (2003/2012) Sp. 1046. Vgl. Bendlin (2003/2012) Sp. 1046 f. und Martinez (2011) 444. Vgl. Reiff (1959) 7 f. zu dieser Zusammenfassung von Erkenntnissen Richard Heinzes. Vgl. S. 8 und 9–73 zu den unterschiedlichen Akzentuierungen der Begriffe imitatio, aemulatio und interpretatio und ihrem Verhältnis zueinander bei u. a. Lukrez, Properz, Cicero und Horaz. Anders als die postmoderne pejorative Sicht auf imitatio (vgl. Orr [2003] 95: „Imitation is […] highly pejorative, for it designates redundancy, stagnation, stasis and inertia, everything that is the opposite of dynamic rejuvenation, energy and power“) kann die antike, positive konnotierte Perspektive gesehen werden. Diese zeige sich etwa bei
50
3 Der literaturtheoretische Rahmen
nicht ausschließen.155 Römische Literaturproduktion fußte auch im Selbstver‐ ständnis der Zeit auf der „kreative[n] m[imesis] (imitatio) der Autoren“, bei der „schöpfendes Nacheifern […] bis zum Wettstreit gesteigert wird (aemulatio).“156 Die explizit in der Antike reflektierten Begriffe imitatio und aemulatio sind also insofern nicht zu übergehen, als sie fundamentale intertextuelle Phänomene beschreiben.157 Der modernere Begriff der Intertextualität denotiert dabei die Bezugnahme eines Textes auf einen anderen, oder sogar den Dialog, in den ein Text mit einem zweiten treten kann. Imitatio und aemulatio bezeichnen die konkreten Formen dieser Referenzen, etwa die (überbietende) Nachahmung einzelner Worte, Motive, Topoi, Strukturen etc.158 Die Ergänzung und Erweiterung der antiken Termini mit dem neueren literaturkritischen Begriff bringt – neben der grundsätzlichen ‚Offenheit‘ der Intertextualitätsforschung – zusätzlich den Vorteil, dass parodietheoretische Überlegungen in diese Forschungsperspektive eingegliedert werden können. Eine Arbeitsdefinition von Parodie ist meinen Ausführungen deshalb vorangestellt.
3.2 Parodie in der Antike und der modernen Literaturkritik Als ‚neuere‘ und zugleich grundlegende Untersuchung parodistischer Verfahrens‐ weisen kann Roses Monographie (1993) gelten, da Rose in ihrer diachronen Betrachtungsweise, die Texte und Konzepte von der Antike bis zur Gegenwart umfasst, die spezifische, historische Verankerung antiker Texte berücksichtigt.159
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Cicero und Quintilian, vgl. Worton/Still (1993) 6 f., zitiert teils auch in Orr [2003] 96 f., die dies jeweils vor dem Hintergrund des platonischen und aristotelischen Mimesis-Konzepts kontextualisieren. Vgl. Reiff (1959) 118 f. Zu dieser Folge der Stufen in Ciceros aemulatio-Konzept vgl. S. 37 f. Zimbrich (2003/2012) Sp. 197 f. Vgl. auch den Verweis auf Quint. inst. 10, 2, 1 u. a.: „Neque enim dubitari potest quin artis pars magna contineatur imitatione. Nam ut inuenire primum fuit estque praecipuum, sic ea quae bene inuenta sunt utile sequi“ und auf Hor. ars 268bf. (ohne Nennung des Terminus): uos exemplaria Graeca / nocturna uersate manu, uersate diurna. Broich (1985b) 49 etwa hält fest, dass es sich bei der imitatio um einen „historischen Termin[us]“ für die Einzeltextreferenz, also für eine Form der Intertextualität, handelt. Für eine Auflistung der verschiedenen Formen der imitatio vgl. Steudel (1992) 10 f. Vgl. Rose (1993) 6–19 zu den Schwierigkeiten, welche die verschiedenen altgriechischen Bezeichnungen für Parodie bei modernen Definitionen hervorrufen (vgl. besonders S. 7), und zu Forschungsbeiträgen von v. a. Householder und Lelièvre, die sich mit der Geschichte parodistischer Texte wie der Batrachomyomachia und poetologischen Äuße‐ rungen zur Parodie (etwa des Aristoteles und auch seiner Zuschreibung des Begriffs zu Hegemons „mock-epics“, vgl. S. 11 f.) beschäftigen. Vgl. S. 12 mit Anm. 31 für die Referenz auf Householders Definition des ursprünglichen Parodiebegriffs als episch-satirischer
3.2 Parodie in der Antike und der modernen Literaturkritik
51
Die von ihr vorgeschlagene Begriffsbestimmung sei aber ergänzend mit den Parodiedefinitionen von Verweyen/Witting und Stocker abgeglichen, wobei ich vorab auf die grundsätzliche Übereinstimmung der Forscher hinweisen möchte. Rose definiert Parodie allgemeingültig als „the comic refunctioning of pre‐ formed linguistic or artistic material“160, was sich auch mit den Ausführungen bei Verweyen/Witting deckt. Ihnen zufolge werden „charakteristische Merkmale eines Stils übernommen […], [damit] die jeweils gewählte(n) Vorlage(n) durch Komisierungsstrategien wie Unterfüllung und/oder Überfüllung herab[gesetzt werden]“161. Der Aspekt der Komik findet in Aussagen zeitgenössischer antiker Kritiker oder Scholiasten Bestätigung, da diese darauf hindeuten, dass parodis‐ tischen Texten grundsätzlich komische Effekte zugesprochen wurden und dass ‚schärfere‘ Formen des Humors wie „ridicule or mockery“ nur als Zusatzcharak‐ teristika spezifischer Einzeltexte wahrgenommen worden seien.162 Der zweite Aspekt, die Umwandlung bestehenden sprachlichen Materials, beschreibt das Verhältnis des parodierenden Textes zu seinem Ausgangs- bzw. Zieltext, der quasi per definitionem Teil der Parodie und eng mit dieser verbunden ist.163 Dabei entstehe eine „comic incongruity“ zwischen Parodie und Original, wobei ein grundsätzlich ambivalentes Verhältnis zur Vorlage – Wertschätzung/Achtung des Ausgangstextes und gleichzeitig parodierende Erneuerung – zu erkennen sei, das je individuell von Kritik, von Sympathie oder kreativer Erweiterung geprägt sein könne.164 Wichtig ist Rose zufolge – worin ich ihr auch zustimme –,
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161 162 163
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Homernachahmung und S. 17–19 zur Erweiterung des Terminus auf die ‚paratragischen‘ Werke des Aristophanes. Vgl. ferner Steudel (1992) 11–23 mit Fokussierung neuerer Parodieforschung, siehe oben Anm. 83. Wenngleich ihre Darstellung gelegentlich etwas ‚mechanisch‘ ist, widmet sie sich ausführlich den vielfältigen Bezügen der Ars zu v. a. Hesiod, Lukrez und Vergil. Rose (1993) 52 in Kursivdruck. Rose hebt ferner hervor, dass moderne Einschränkungen des Begriffs auf „imitation of form with a change of subject-matter“ nur „modern distortions of the ancient meaning“ (S. 8) seien und dem Terminus in der Antike nicht gerecht würden. Verweyen/Witting (2003) 23 f. Vgl. Rose (1993) 25. Darin zeige sich der Unterschied zu beispielsweise Formen der Satire oder anderen „forms of criticism or imitation of literary or artistic works“ (vgl. Rose [1993] 53), die ihr „Ziel“ nicht zu einem „signifikanten Teil ihrer selbst“ machen müssten (vgl. S. 51, übers. Zitate). Diese Ambivalenz offenbare sich schon in der Etymologie des Begriffes und der strukturellen Einbeziehung des parodierten Textes in die Parodie, vgl. Rose (1993) 51. „[T]he way in which its comedy can laugh both at and with its target, may be traced to the way in which the parodist makes the object of the parody a part of the parody’s structure“ (S. 52; vgl. S. 24 für Forschungsergebnisse zu Aristophanes’ bewundernder und parodistischer Haltung Euripides gegenüber). Vgl. Stocker (2003)
52
3 Der literaturtheoretische Rahmen
dass die Herabsetzung des parodierten Textes keineswegs als Prämisse für die Bezeichnung eines Textes als Parodie zu gelten habe. Damit verweist Rose auf moderne Reduktionen des Begriffs, denen zufolge Parodie in negativer Manier ein Typus des Burlesken sei, der destruktiven Charakter habe und mit Spott angereichert sei165 – also auf Verkürzungen, die in der Mehrdeutigkeit der Präposition παρά begründet liegen. Denn je nachdem, ob man παρά mit „nach dem Vorbild von“ oder „wider, im Gegensatz zu“ übersetzt, verschiebt sich die Bedeutung des terminus technicus, wie Verweyen/Witting betonen.166 Als Beispiel für die Verengung des Begriffs auf ein polemisches Verhältnis zwischen Parodie und Ausgangstext nennt Rose vor allem Michael Bachtin in dessen Fortführung von Ansätzen russischer Formalisten, die aufgrund ihrer Prominenz in (post-)moderner Rede über Parodie hier zumindest kurz zu berücksichtigen sind:167 Erachte Viktor Šklovskij die Parodie in einer „forma‐ listischen Reduktion“ zunächst als „Verfremdungseffekt für das Aufdecken“168 künstlerischer Verfahrensweisen,169 trenne Jurij Tynjanov, radikaler als sein Vorgänger, das Element der Komik ganz vom Wesen der Parodie.170 Darüber hinaus bestimme er als „the very essence of parody […] its dual planes“, also die Ambiguität, die darin besteht, dass die Parodie den Zieltext schätzen und ihn
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Sp. 637 für die verschiedenen „differentiae specificae“ zwischen Vorlage und Parodie; neben einer „kritische[n], affirmative[n] [oder] neutrale[n] Imitation“ könne man Unterscheidungsmerkmale auch „im strukturellen Verhältnis von Text und Vorlage […] oder in der Intention“ aufspüren. Als Ausnahme dieser negativen Bewertung des „burlesque“ nennt sie Christopher Stones Parody (1914), der in „ridicule“ etwas Positives sieht, vgl. Rose (1993) 25 f. Vgl. Verweyen/Witting (2003) 24. Vgl. auch Pöhlmann (1972) für die Definition und Entwicklung des Begriffs Parodie in der griechischen Antike mit besonderem Fokus auf der Bedeutung von παρά. Wichtig seien ihre Arbeiten an Texten „of general parody“ (Rose [1993] 103) und die Bedeutung, welche sie der Parodie für die literarische Entwicklung allgemein zugespro‐ chen hätten, vgl. S. 103 und 169. Ihnen geht es aber nicht um ein Verständnis des antiken Parodiebegriffs; Erkenntnisse wurden z. B. aus der Analyse von Sternes Tristram Shandy und Cervantes’ Don Quijote gezogen. Da aber moderne Literaturtheorien und Begriffe ebenfalls auf die Antike anwendbar sind, beleuchte ich auch moderne Akzentuierungen des Parodiebegriffes. Rose (1993) 109 (übers. Zitate). Vgl. Rose (1993) 107–110, die dabei die Kritik des Literaturhistorikers Victor Erlich an der Textauswahl der russischen Formalisten für deren verallgemeinernde Statements referiert. Vgl. Rose (1993) 121 mit Verweis auf Erlichs Übersetzung Tynjanovs (1975) 116. Vgl. für die deutsche Übersetzung von Tynjanovs (1969) Aufsatz Striedter, S. 300–371, für die referierte Stelle S. 371.
3.2 Parodie in der Antike und der modernen Literaturkritik
53
gleichzeitig parodieren könne.171 Michail Bachtin wiederum beschreibt einen formalistischen und einen karnevalistischen Parodiebegriff, wobei er für ers‐ teren komische Elemente nicht einmal erwähnt und hinter dem zweistimmigen Sprechen, wie man es in Stilisierung und Parodie finde,172 eine feindselige Haltung dem parodierten Text gegenüber sieht;173 zweiteren reduziert er, trotz der Berücksichtigung von Komik, auf das Burleske und Groteske.174 Neben der Fokussierung auf den Aspekt der Feindseligkeit und Destruktivität dem „target“-Text gegenüber – als Abbild der weitestgehend negativen modernen Perspektive auf die Parodie – ist im Hinblick auf Bachtin und die Formalisten, wie Rose treffend herausarbeitet, vor allem problematisch, dass sie den Status des parodierten Textes, der ja wegen der oben genannten Doppelstruktur der Parodie erhalten bleibt und notwendigerweise Teil der Parodie wird, nicht hinreichend berücksichtigten.175 Eben diese Einbeziehung des Ursprungstextes in die Parodie und die Frage nach dem spezifischen ‚Tonfall‘, der den Umgang mit dem Prätext charakterisiert, sind aber die Kriterien, die bei der bewussten Anspielung Ovids auf seinen literarischen Vorgänger mit im Zentrum stehen. In diesem Punkt zeigt sich also die Verbindung parodie- und intertextuali‐ tätstheoretischer Diskurse: Die literarische Parodie kann als ‚intertextuell‘ beschrieben werden; sie ist jedoch mehr als Intertextualität, weil sie die Nachahmung anderer Texte dazu benutzt, aus einer älteren zitierten oder nachgeahmten Vorlage und ihren veralteten Traditionen 171
172
173 174 175
Für Gedankengang und Zitat vgl. Rose (1993) 120 (mit Verweis auf die freiere Über‐ setzung Tynjanovs [1975] 104 durch Erlich). Tynjanov führe Šklovskijs Erkenntnis, dass eine Parodie sowohl produktiv erschaffen als auch zerstören könne, mit seiner Akzentuierung der „Doppelstruktur der Parodie“ zusammen (vgl. Rose [1993] 119 f.). Vgl. zum „ambiguen“ Wesen der Parodie im Allgemeinen Parker (1992) 95 im Kontext seiner Analyse der Ars amatoria und ihres Verhältnisses zu antiken didaktischen „sex manuals“. Bachtin bringt die Begriffe Parodie und Stilisierung, die bereits bei Tynjanov diskutiert werden (vgl. Rose [1993] 122), zusammen, indem er beidem Anteil an einem doppelten Diskurs zuspricht (vgl. Bachtin [1984] 185; Originalbeitrag aus dem Jahr 1963, vgl. S. vii). Die Zweistimmigkeit bestehe darin, dass eine vom Autor reproduzierte, fremde Figurenstimme mit der eigenen Aussage, der Autorenstimme, zusammentreffe, welche im Fall der Parodie als „Verschärfung der Stilisierung […] implizit den Wahrheitsan‐ spruch der Figurenstimme“ (Martinez [2011] 435) leugne. Auch ohne explizit darauf zu verweisen, führe Bachtin Tynjanovs Differenzierung der „dual planes“ fort (vgl. Rose [1993] 127). Vgl. Bachtin [1984] 193 f. und auch Rose (1993) 127. So vor allem in seinem Buch Rabelais and his World, vgl. Rose (1993) 168 f. Für diese zusammenfassende Analyse und letztliche Bewertung der Formalisten und Bachtins vgl. Rose (1993) 169 f. Mit target text ist an dieser Stelle anders als bei Edmunds (2001) der parodierte Text gemeint.
54
3 Der literaturtheoretische Rahmen
einen neuen – von dem nachgeahmten Werk differenzierten – Text durch die komische Umfunktionierung des alten Werkes zu schaffen.176
Parodie sei, so Rose weiter, wegen der „komische[n] Umfunktionierung“ vorgegebenen Textmaterials, als eine ‚Spezialform‘ der Intertextualität zu be‐ trachten.177 Entsprechend definiert auch Stocker Parodie „im engen Sinn [als] eine spezifische literarische Schreibweise, die im wesentlichen durch zwei Merkmale gekennzeichnet ist: Sie ist (a) intertextuell auf eine Vorlage bezogen und (b) komisch.“178 Die Erkenntnis zum Zusammenhang zwischen Parodie und Komik einerseits und dialogischen Intertextualitätsphänomenen andererseits kann wiederum auf antike Überlegungen rückbezogen werden. Quintilian äußert sich im sechsten und im neunten Buch seiner institutio oratoria zur Parodie und führt zwei Begriffsbestimmungen und Einsatzmöglichkeiten von Parodie an: erstens im Kontext seiner Abhandlung zu Komik, Witz (urbanitas), welcher durch Umdich‐ tung bzw. Umwandlung eines bekannten Verses entsteht, und Lachen in der Rede (inst. 6, 3); zweitens unter den Stilfiguren im Rahmen der elocutio (inst. 9, 2). Dabei wird das Phänomen der Parodie einmal umschrieben mit: seu ficti notis uersibus similes quae παρῳδία dicitur (inst. 6, 3, 97).179 Hier geht es also um den den Bezug auf vorgegebenes Wortmaterial. In inst. 9, 2 schreibt Quintilian zudem: incipit esse quodam modo παρῳδή, quod nomen ductum a canticis ad aliorum similitu‐ dinem modulatis abusiue etiam in uersificationis ac sermonum imitatione seruatur (inst. 9, 2, 35).
Der Terminus wird also aus seiner ursprünglich engeren Anwendung auf das Epos, wie ihn Aristoteles für die Homerparodien des Hegemon oder Niko‐ chares180 gebrauchte, und als Begriff für Rhapsoden in den Bereich der Prosa übertragen.181 Auch wenn der antike Rhetoriker nicht von ‚Intertextualität‘ spricht, beschreibt er dieses Phänomen doch im Wesentlichen. Die Themen Prosopopöie und fiktiver Dialog stellen dabei den Rahmen dar, in dem Quintilian
176 177 178 179 180 181
Rose (2006) 40. Vgl. Rose (2006) 40. Stocker (2003), Sp. 637. Vgl. auch Edmunds (2001) 140–143 und 160 f. zur Rolle der Parodie bei Fällen von Intertextualität. Vgl. auch Verweyen/Witting (1979) 5–7 und Rose (2006) 2 f. und 38: „In der ‚intertex‐ tuellen‘ Welt der Parodie werden Texte zitiert, umfunktioniert und ins Komische gewendet – bzw. ‚komisiert‘“. Vgl. Rose (1993) 11 f. und (2006) 1 f. Vgl. Rose (2006) 2.
3.2 Parodie in der Antike und der modernen Literaturkritik
55
die letztgenannte Äußerung zur Parodie tätigt.182 Und der Dialog eines Textes mit einem anderen und die Umfunktionierung bereits existierenden textuellen Materials, die Verbindung beider quintilianischer Parodieaspekte, kann schließ‐ lich mit dem modernen Begriff der Literaturkritik gleichgesetzt werden. Das Ziel dieses Methodenkapitels ist die Etablierung eines für die Textarbeit ‚antike-kompatiblen‘ Arbeitsbegriffs von Intertextualität und Parodie. Die Ver‐ bindung zwischen beiden Phänomenen hervorzuheben und auch den Aspekt der Komik, der im antiken Verständnis des Begriffes fußt, zu exponieren, ist deshalb ein zentrales Anliegen. Ich denke, dass man bei der Analyse parodistischer Effekte die Suche nach einem gewissen intentionalen, absichtsvollen Moment, das beim Verfassen vorhanden war, nicht vermeiden kann.183 Den Aspekt der Autorintention für Intertextualitätsstudien zu nutzen, ist aber, wie Hinds und Edmunds demonstriert haben, äußerst problematisch. Ich beabsichtige auch nicht, einen forschungsgeschichtlichen Rückschritt zu machen und einer letztlich unerfüllbaren Suche nach der Absicht des Verfassers das Wort zu reden. Auch ich nehme in dieser Arbeit die Rolle des Lesers ein, der bei der Lektüre versucht, intertextuelle Referenzen wahrzunehmen, und diese beim Lektüreakt möglicherweise erst konstituiert. Das von Edmunds relativierte Problem der analytischen Beliebigkeit erachte ich jedoch als nicht unwichtig. Ich denke, dass eine die Grundkonzeption der antiken Remedia adäquat würdigende Analyse auch beachten sollte, welche Referenzen auf literarische Vorgänger durchaus bewusst von der ovidischen Dichter-Persona (Edmunds Kategorie „poet as persona“184 scheint mir hier am besten zu passen) im Text angelegt wurden und welche Entdeckungen vom antiken Leser erwartet und entschlüs‐ selt werden konnten; eine Berücksichtigung der zeitgenössischen Produktionsund Rezeptionssituation sollte man nicht gänzlich übergehen. Damit beachte ich Pfisters Kommunikativitätsaspekt, den ich auch in Contes Definition des ‚reader-addressee‘, der als antizipierter Leser Teil des Textes ist, gespiegelt
182 183
184
Vgl. auch Rose (2006) 2. Edmunds (2001) 142 f. referiert bei seiner Besprechung von Parodie den „Sokal hoax“ aus dem Jahr 1996: Alan Sokal hatte einen Artikel veröffentlicht, der als „parody of postmodern style and ideas“ (S. 143) verfasst war, aber als ernstgemeint rezipiert wurde. Damit zeigt Edmunds auf, dass die Parodie kein so klarer Fall von Intertextualität ist, wie man meinen könnte; vielmehr erkenne man das „paradox in the nature of parody: Where all of C2 is invoked, apparently most clearly, the boundary between any Q1 and C 2 may fail to be noticed, or […] may be perceived in only one aspect (serious or humorous), to the exclusion of the other“ (S. 142 f.). Vgl. die Unterscheidung der Persona-Figur von Edmunds (2001) 63 und siehe oben Anm. 44.
56
3 Der literaturtheoretische Rahmen
sehe.185 Dass nicht alles, was möglicherweise ‚intendiert‘ war, entdeckt wird und dass aber auch Erkenntnisse, die erst im modernen Rezeptionsakt gewonnen werden und deren Entstehung nicht beabsichtigt ist, vom Text unterstützt und im Leser bei der Rezeption aktiviert werden, sind dabei natürliche Konse‐ quenzen und gleichermaßen mögliche Fälle von Intertextualität. Das Intertextualitätskonzept, das ich aus der bestehenden Forschung ge‐ winne, lässt sich folgendermaßen konturieren: So erachte ich die wörtlichen, paraphrasierten oder kontextuellen und konzeptuellen Referenzen auf Einzel‐ texte und auch auf Systeme (etwa Gattungen, Untergattungen, bestimmte Topoi etc.), die aufgrund von metapoetischen Reflexionen, Zitaten, ‚Pointiertheit‘ o. ä. markiert sind und so legitim als intertextuelle Referenz interpretiert werden können, als grundlegend für intertextuelle Bezugnahmen. Dabei ist aber auch die Wahrnehmung durch den Leser entscheidend. Wenngleich ich somit keinen eigenen Intertextualitätsbegriff entwickle, leiste ich mit dem von mir entwickelten Modell einen eigenen Beitrag zur Analyse intertextueller Bezüge: Die ‚Pyramidenstruktur der Intertextualität‘ repräsen‐ tiert ausgehend von einem fokussierten Text die systematische intertextuelle Bezugnahme auf mehrere Texte und Gattungen. Dabei handelt es sich um ein Visualisierungsmodell, dessen Vorteil darin liegt, dass es eine funktional per‐ spektivierte hierarchische Struktur bei der Intertextualitätsanalyse veranschau‐ licht. Grundsätzlich hat es zudem das Potenzial, nicht nur für die Untersuchung der Remedia amoris, sondern auch für andere Intertextualitätsstudien eingesetzt zu werden.
185
Vgl. Conte (1994) xx: „I could define my operative notion as the idea not of a reader-inter‐ preter (which seems to have become prevalent in contemporary hermeneutics), but of a reader-addressee. The reader-addressee is a form of the text; is the figure of the recipient as anticipated by the text. To this prefiguration of the reader, all future, virtual readers must adapt themselves“ (zitiert in Edmunds [2001] 40). Edmunds (2001) 41 führt kritisch an, dass diese Terminologie im Grunde nur ein, wenngleich „sophisticated“, „recourse to the author’s intention“ sei, zumal Conte selbst betone, dass es man trotz Schwierigkeiten versuchen solle „die wahre historische Intentionalität des Textes wiederzuentdecken“ (vgl. Conte [1994] 133 und Edmunds [2001] 41, übers. Zitat). Auch Kennedy (2006) antwortet in seiner Diskussion der Lektionen, welche Ovids erotodidaktische Schülerin aus Ars 3 aus den Ariadne- und Phyllis-Briefen ziehe, auf Conte, adaptiert seine Position und zeigt, dass er eher der Position der „contemporary hermeneutics“ folgt, für die „meaning […] a readerly construction“ ist, so dass Contes „reader-addressee“ erst durch den gegenwärtigen Leser realisiert werden könne (Zitate und Ausführungen S. 72). Für ihn ist Bedeutung „‚constructed‘ at the point of reception“, was unabhängig von einer Autorintention und früheren Interpretationen geschehe (darin folgt er Don Fowler, vgl. S. 73).
3.3 Ein Visualisierungsmodell: Die Pyramidenstruktur der Intertextualität
57
3.3 Ein Visualisierungsmodell: Die Pyramidenstruktur der Intertextualität In der klassischen Philologie finden sich verschiedene Termini, mit denen ‚Intertextualitätsgefüge‘ abstrahiert beschrieben werden. So ist in der anglo‐ phonen Forschung des Öfteren von einer „window reference“ die Rede, wenn ein Text A, vermittelt durch einen auf Text C anspielenden Text B, auf C rekurriert186 – was für die Fälle, in denen es um die diachron-mehrstufige Rückführung zu einem Ursprungstext geht, hilfreich ist. Janka (2013) analysiert wiederum, als Erweiterung eines häufig zu findenden „binären [Modells] zum triangulären Modell“187 „Dreiecksbeziehungen zwischen Texten“188 und spricht so von „Intertextualitätsdreiecken“189. Ich erachte dieses Bild und den damit ein‐ hergehenden Rückgriff auf geometrische Metaphorik als grundsätzlich hilfreich für Untersuchungen, wenn ein Text gleichzeitig auf zwei Intertexte rekurriert oder aber Vorbild für zwei andere Texte darstellt und drei Texte miteinander „in einen vielschichtigen Dialog treten“190. Doch werden meiner Meinung nach dabei hierarchische Strukturen im Intertextualitätsgefüge, die im Gespräch über Intertextualität dadurch entstehen können, dass man einen Text zur Beobach‐ tungsgrundlage erklärt und von dort ausgehend die Beziehung zu anderen Prätexten untersucht, teils missachtet. Zudem wird die Referentialität auf eine Dreieckskonstellation beschränkt, was in Einzelfällen zutreffend sein mag, dem komplexen Intertextualitätsgefüge besonders von Ovids Texten jedoch oft nicht gerecht wird.
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187 188
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190
Vgl. exemplarisch Thomas (1999) 103–132: „It [Anm.: the window reference] consists of the very close adaptation of a model, noticeably interrupted in order to allow reference back to the source of that model: the intermediate model thus serves as a sort of window onto the ultimate source, whose version is otherwise not visible“ (S. 130). Janka (2013) 63. So ein Teil des Titels von Jankas (2013) Beitrag, in dem die „triangulär[e] Beziehung“ zwischen Homers Odyssee, Vergils Aeneis und der „Kleinen Aeneis“ in Ovids Metamor‐ phosen anhand der Kyklopie untersucht wird. Janka argumentiert dafür, dass mit einem Intertextualitätsdreieck diese Beziehungen, die auch „in den narrativen Strukturen [ge]spiegelt“ werden, treffender beschrieben werden können als mit dem Begriff der „Intertextualitätskette“ (vgl. u. a. S. 61 f., Zitate S. 61). Vgl. Janka (2013) in Erweiterung bestehender Forschungsansätze; vgl. auch die Erwäh‐ nung von Intertextualitätsdreiecken in Jankas Vortrag „Horaz’ satirische Ars amatoria in serm. 1,2: Ein Vorbild für Ovid?“ (gehalten am 10.12.2016 im Rahmen der Didactica Classica X an der Ludwig-Maximilians-Universität München). Ich berufe mich auf das Handout, eigene Notizen und Erinnerungen an den Vortrag, der mich dazu angeregt hat, weiter über andere geometrische Modellformen nachzudenken. Janka (2013) 67.
58
3 Der literaturtheoretische Rahmen
Ich schlage daher vor, eine andere geometrische Figur als anschauliches Modell für „Text-Text-“ und „Text-Gattungs-Beziehungen“191 zu verwenden: die Pyramide, deren Grundfläche ein Polygon darstellt. An ihrer Spitze steht der Text, der sich im Zentrum der Analyse befindet, in diesem Fall Ovids Remedia amoris. Die Grundfläche in Form eines veränderbaren Polygons ist Teil der Ebene, auf der die in der zeitlichen Chronologie vorausgehenden Intertexte anzuordnen sind; diese stellen die Eckpunkte dar. Die Kanten, welche die Spitze mit den Eckpunkten des Polygons verbinden, symbolisieren die Verbindungen, welche die Remedia mit anderen Texten eingehen, d. h. den intertextuellen Verweis; Pfeile sollen dabei die Richtung der Bezugnahme kennzeichnen.192 Diese gehen grundsätzlich von der Spitze aus und ‚treffen auf‘ die Eckpunkte, da eine solche Beziehung aktiv und bewusst hergestellt ist. Doch auch auf der Grundebene können sich diese Pfeile finden, wenn etwa ein Intertext der Remedia amoris wiederum selbst in einer intertextuellen Beziehung zu einem anderen Text steht. Die bereits erwähnten, ja durchaus möglichen, Dreiecksbeziehungen lassen sich weiterhin darstellen, allerdings durch die Höhenstruktur hierarchisch geformt. Anschaulich gesprochen konstituieren sie eine der Seiten- und Schnittflächen193 der Pyramide (siehe das allgemeine Strukturmodell in Abbildung 1). Die Entstehung dieser Flächen führt mich zur zweiten Form der Intertextualität: Ging es bisher um die Visualisierung von Einzeltextreferenzen, lassen sich durch diese Flächen Systemreferenzen darstellen, nämlich dann, wenn alle an der Flächenkonstituierung beteiligten ‚Punkte‘/Texte dieselbe literarische Gattung vertreten. Es öffnet sich dadurch sozusagen das Gattungsfeld bzw. eine Gattungsebene, die zwischen diesen Punkten aufgespannt ist.194 Eine solche Vorstellung entspricht der Sicht auf literarische Gattungen vor allem dann, wenn man davon ausgeht, dass die Entstehung von Genres nicht, oder auch nicht nur, aus der präskriptiven Festsetzung eines Regelsets an Gattungselementen besteht, sondern dass sich Gattungen durch Fortentwicklungen bestehender Motive und intertextuelle
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Ich zitiere hier Steudels (1992) Unterscheidung (u. a. S. 4 f.). Vgl. zur Verwendung von Pfeilen bei binären Bezugsnahmen auch Janka (2013) u. a. 64 f. Die Beziehung hängt davon ab, welche Punkte innerhalb der Pyramide miteinander verbunden werden und ob so die äußeren Seitenflächen konstituiert oder die Pyramide durchschnitten und somit Schnittflächen erschaffen werden. Ich danke Claudia Wiener für folgenden Vorschlag zu einer möglichen Weiterentwick‐ lung des Modells: So könne man die entstehenden Wände der Pyramide zusätzlich in Ebenen einteilen und mit verschiedenen Farben markieren, um verschiedene Arten von Systemreferenzen anzugeben.
3.3 Ein Visualisierungsmodell: Die Pyramidenstruktur der Intertextualität
59
Bezugnahmen im Lauf der Zeit konstituieren.195 Aussagen zu Gattungen möchte ich aber nicht auf diese Flächen beschränken, da es möglich ist, dass etwa in einzelnen satirischen Texten didaktische Gattungselemente integriert sind und auf produktive Weise verhandelt werden (z. B. in Hor. sat. 1, 2) oder ein Text allein schon Vertreter einer Gattung sein kann. Als Beispiel sei kurz Ovids Bezug auf jambische Traditionen genannt. In den Remedia amoris finden sich etwa unterschiedliche, teils gleichzeitige, Bezüge auf sowohl Catull als auch Horaz, also auf zentrale Repräsentanten dieser Gattung – wobei Horaz wiederum selbst auf den Jambiker Catull rekurriert (siehe das markierte Dreieck zur Beziehung zwischen Catull, den Epoden und den Remedia in Abbildung 2).196 Hier lässt sich sowohl die Beziehung zu den Einzeltexten untersuchen als auch der Frage nachgehen, welchen Anteil die Remedia an der jambischen Gattung, die durch diese lateinischen Dichter vermittelt wird und dabei weiterhin auf griechischen Traditionen fußt, haben. Die Eckzahl der Grundfläche ist grundsätzlich variabel und je nach Zahl der Intertexte bzw. Autoren beliebig erweiterbar. Bei der Betrachtung eines so anspielungsreichen Textes wie der Remedia hat diese Flexibilität der drei‐ dimensionalen Figur den Vorteil, dass sich alle Bezüge gleichzeitig abbilden lassen und das Modell nicht darauf beschränkt ist, nur die Referenzen auf einen oder zwei weitere Texte und Gattungen zu visualisieren. Gibt es etwa eine Beziehung zwischen vier Texten, beispielsweise zwischen Vergils Georgica, Lukrez’ De rerum natura, Ovids Ars amatoria und den Remedia amoris im Fall der ‚Sex-praecepta‘ (vgl. rem. 357–360 und 397–418),197 lassen sich die drei entstehenden Dreiecksflächen zu einem Vieleck verbinden, wobei jede der Kanten eine intertextuelle Beziehung, auch zwischen den einzelnen ovidischen Prätexten, bezeichnen kann, aber nicht muss (siehe die markierten Flächen in Abbildung 3). Geht man von einer Beziehung zwischen vier Texten aus, ergeben 195
196
197
Siehe hierzu auch die Erläuterungen auf S. 43. Ich trage jedoch nicht zu einer Rekon‐ struktion einer Gattungsgenese bei und gebe nicht bei jeder Aussage zu Gattungsrefe‐ renzen wieder, wie sich etwa einzelne Motive über Jahre und Texttraditionen hinweg zu Grundbausteinen der römischen Liebeselegie entwickelt haben. Solche Erkenntnisse und Entwicklungen stelle ich nur an geeigneten Stellen dar und verorte sie ansonsten allgemein als einzelne Punkte auf den Gattungsebenen/Flächen, die durch einzelne repräsentative Prätexte als Eckpunte konstitutiert werden, oder auch als Elemente, die in einzelnen Texten eindeutig zum Tragen kommen. Ohne dass man das Modell unnötig verkompliziert, kann man in der entstehenden Gattungsfläche auch bereits existierende Gattungsnormen verorten, die etwa für den Jambus Catull’scher und horazischer Prägung relevant sind. Denn diese Normen werden ja durch die neuartige Adaption der lateinischen Autoren produktiv verarbeitet. Somit lassen sich weiterführende Aussagen zur Systemreferenz in den Remedia treffen. Siehe unten die Ausführungen in Kapitel 4.2.1.
60
3 Der literaturtheoretische Rahmen
die aneinandergefügten Dreiecke ein Fünfeck, wenn man diese Figuren aus der dreidimensionalen Pyramide in die zweidimensionale Ebene überführt und alle Bezugskanten gleichzeitig darstellen möchte (siehe das Intertextualitätsvieleck in Abbildung 4). Um beim genannten Beispiel zu bleiben: Auch wenn ich die Remedia als wichtigsten Bezugspunkt im Hierarchiesystem betrachte, ist bei diesem Modell zu bedenken, dass die Ars ebenfalls auf die Georgica-Stelle und Lukrez anspielt. Das heißt, man muss den Lukrez-Punkt an einer imaginären vertikalen Symmetrieachse, auf der die Remedia liegen, spiegeln, damit man in demselben Vieleck auch das Dreieck Remedia amoris – Ars amatoria – De rerum natura visualisieren und die Ars sowohl mit dem vergilischen als auch dem lukrezischen Intertext verbinden kann.198 Hier zeigt sich ein kleiner Nachteil meines Modells. Die hierarchische Struktur mit einem Text als Spitze ist festgelegt, auch wenn, wie im letzt‐ genannten Beispiel, andere hierarchische Beziehungen simultan verzeichnet werden. Wenn Horaz’ Satiren etwa ebenfalls auf Lukrez rekurrieren, müssten sie eigentlich selbst an der Spitze einer Intertextualitätspyramide stehen, von der aus ein Pfeil ‚hinab‘ zu Lukrez’ De rerum natura sowie weiteren relevanten Intertexten zeigt. Dieser Nachteil, dass jeweils nur eine ‚Hierarchieperspektive‘ dargestellt werden kann, lässt sich aber dadurch kompensieren, dass das Modell auf andere Verhältnisse übertragbar ist. Die Texte an den Punkten der Pyramide sind austauschbar, man kann sich dieses Visualisierungsversuches also bei jedem Gespräch über Intertextualität bedienen und nach Wunsch mehrere Intertextualitätspyramiden nebeneinanderstellen. Ich betrachte also in den folgenden Kapiteln, die sich an den Texten und Gat‐ tungen orientieren, sowohl Referenzen auf einzelne Prätexte als auch auf Gat‐ tungssysteme und untersuche bei einer nützlichen Zusammenführung dieser beiden Perspektiven beides gleichzeitig – etwa auch, wenn mehr als nur ein Prä‐ text für eine Remedia-Passage relevant ist und so ein mehrsträngiges Intertex‐ tualitätsgeflecht entsteht oder sich eben Aussagen zu Gattungstraditionen, die durch diese Texte vermittelt sind, treffen lassen. Das heißt, dass ich einerseits je eine Verbindung zwischen den Remedia und einem Intertext-Eckpunkt, also den ‚Pfeil‘ an jeweils einer Kante entlang, fokussiere und andererseits auch ‚Intertex‐ 198
Beim Intertextualitätsvieleck stellen die gestrichelten Linien die gerade geschilderte Situation des gespiegelten Text-Punktes dar. Diese Visualisierungsstrategie ist nicht grenzenlos anwendbar. So wird es bereits dann schwierig, wenn man fünf Texte, von denen einer die Pyramidenspitze repräsentiert, in Beziehung zueinander setzen und alle Kanten und entstehenden Dreicke in einem Polygon abbilden möchte. Da aber die Zahl der Intertexte oft überschaubar bleibt, fällt dieser Nachteil m. E. nicht so sehr ins Gewicht. Der Übersichtlichkeit halber wird bei der Visualisierung der Vielecke auf die Verwendung von Pfeilen verzichtet.
3.3 Ein Visualisierungsmodell: Die Pyramidenstruktur der Intertextualität
61
tualitätsvielecke‘ mit berücksichtige, die zusätzlich Gattungsebenen aufspannen können. Damit möchte ich dem Vorgehen Ovids, zugleich auf etwa Horaz, Lukrez, Catull und seine eigene Ars und damit auch auf die Gattungen Satire, Jambus und erotisches Lehrgedicht anzuspielen, analytisch gerecht werden.199 Ich versuche dabei, deutlich zu benennen, welche Erkenntnisse sich auf einzelne Prätexte beziehen und wann Aussagen zu Gattungssystemen möglich sind, bei Überschneidungen also dadurch größtmögliche Klarheit schaffen – was insofern nicht immer leicht ist, als man die bei Ovid gleichzeitig stattfindenden Intertex‐ tualitätsprozesse in einzelnen, voneinander getrennten Schritten untersuchen und evaluieren muss. Alle diese Aufgliederungs- und Interpretationsversuche dienen jedoch letztlich dem Ziel, das Verständnis einzelner Textpassagen sowie des Gesamtkontextes und der strukturellen Komposition der Remedia zu fördern und dem (kallimacheischen) Kunstwerk eines fein gesponnenes Netzes an Bezügen gerecht zu werden.
199
Auch wenn der Schwerpunkt meiner Analysen nicht auf der engen Verbindung von Ars und Remedia liegt, danke ich Markus Janka für den Hinweis, dass in meinen Schaubildern diese eminente Sonderbeziehung nicht deutlich genug zum Vorschein komme. Dieser Nachteil meiner Pyramiden könnte dadurch ausgeglichen werden, dass der Pfeil, der von den Remedia zur Ars führt, als dickerer Strich realisiert wird.
62
3 Der literaturtheoretische Rahmen
Ovid, Remedia amoris
beliebig erweiterbar Ars amatoria; Lehrgedicht, Elegie
Catull;
Properz, Tibull,
Jambus
Ovid; Elegie
Vergil, Georgica;
Horaz, Satiren und Epoden; Satire, Jambus
Lukrez; Lehrgedicht
Lehrgedicht
Abbildung 1: Allgemeines Strukturmodell der Intertextualitätspyramide Ovid, Remedia amoris
Ars amatoria; Lehrgedicht, Elegie
Catull;
Properz, Tibull,
Jambus
Ovid; Elegie
Vergil, Georgica;
Horaz, Satiren und Epoden; Satire, Jambus
Lukrez; Lehrgedicht
Lehrgedicht
Abbildung 2: Jambische Traditionen im Pyramidenmodell zu den Remedia amoris
3.3 Ein Visualisierungsmodell: Die Pyramidenstruktur der Intertextualität
63
Ovid, Remedia amoris
Ars amatoria; Lehrgedicht, Elegie
Catull;
Properz, Tibull,
Jambus
Ovid; Elegie
Vergil, Georgica;
Horaz, Satiren und Epoden; Satire, Jambus
Lukrez; Lehrgedicht
Lehrgedicht
Abbildung 3: Didaktische Traditionen im Pyramidenmodell zu den Remedia amoris Ov. rem. 357–418
Lucr. 4, 1063–1072
Lucr. 4, 1063–1072
Verg. georg. 3, 1–241
Ov. ars 3, 769–772
Abbildung 4: Intertextualitätsvieleck zu den ‚Sex-praecepta‘
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris Auf der Grundlage der Ausführungen zum literaturtheoretischen Rahmen und der Struktur der Remedia wird im Folgenden untersucht, wie Ovid paradigmatische Texte seiner Zeit, v. a. das Lehrgedicht des Lukrez, Horaz’ Epoden und Satiren und Catulls Carmina, strukturell und motivisch in seine Remedia integriert und durch Transgression von Gattungsgrenzen bzw. produktiv-reorganisierende Rezeption und Integration von insbesondere jambisch-satirischen Gattungsmerkmalen dem erotodidaktischen Lehrgedicht seine spezifische Form gibt.
4.1 Ovids parodistische Inversion von Lukrez’ philosophischem Lehrgedicht Zum ersten Mal greifbar wird die intertextuelle Bezugnahme auf Lukrez’ Diatribe gegen die Liebesleidenschaft im Finale von De rerum natura liber 4 (Lucr. 4, 1058–1191) bei der Frage danach, wann der Heilungsprozess am besten einzuleiten sei (vgl. V. 79–134), also noch in der Einleitung zu Ovids tractatio.200 Weitaus deutlicher treten diese Parallelen jedoch innerhalb der ‚ars agendi‘ der Remedia zu Tage (vgl. V. 135–488). Im Folgenden belege ich die These, dass sich die Weisungen des lukrezischen praeceptor wie eine intertextuelle Klammer um die ersten Vorschriften Ovids legen, bevor dieser in der Aufforderung zur 200
Bereits Geisler (1969) 191 führt an, dass Ovid auf „ältere Formen des Motivs zurückgreift“ und nennt Lucr. 4, 1068–1070 als Parallelstelle. Er verweist auch für die Wendung tangunt praecordia motus (rem. 79) konkret auf motus bei Lukrez (4, 1072), vgl. ad loc., so auch Henderson (1979) 51 ad loc., da „motus (animi)“ wie beim Vorgänger benutzt werde. Bei motus handelt es sich zudem um einen lukrezischen Fachbegriff, etwa bei der Beschreibung der Bewegung der Atome (vgl. exemplarisch Fowler/Fowler [2002], besonders die Einführung zu V. 80–141 „The different types of motion“, S. 162–167 mit folgendem Kommentar). Die Wortwahl subiti mala semina morbi (V. 81) verweist auf die Metaphorik bzw. den Topos der Liebe als (plötzlich beginnender) Krankheit, vgl. Geisler (1969) 192 ad loc. und für eine knappe Referenz auf die literarische Tradition auch Pinotti (1993) 117 ad loc., wobei man bei semina mit Objekt im Genitiv einen, vor allem bei Ovid, „übliche[n] Ausdruck für die ersten kleinen Anfänge“ (Geisler [1969] 193 ad loc.) erkennen kann. Pinotti (1993) 117 ad loc. betont aber, dass es sich bei semina als Synonym für initia, causae um ein lukrezisches Bild handle (Lucr. 1, 59; 176; 501 etc.), das sich aber in erotischem Kontext seltener finde; so auch Henderson (1979) 51 ad loc.: „The expression comes from atomist medical theory; see Lucr. 6. 769 ff. and 1090 ff.“.
66
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
Selbsttäuschung die epikureische Basis von De rerum natura invertiert und praecepta vorstellt, die kontrapunktierend über Lukrez hinausgehen.201 Dass es legitim ist, Lukrez als einem der ‚Archegeten‘ der Gattung Lehrgedicht eine Wir‐ kung auf Ovids Text zuzuschreiben und De rerum natura als Anknüpfungspunkt für die Remedia zu untersuchen, sehe ich in zweierlei Hinsicht begründet. Zum einen ist der Einfluss des Hexameteropus auf die Literatur der augusteischen Zeit im Allgemeinen vielfach spürbar.202 Zum anderen erwähnt Ovid, als einziger Dichter seiner Zeit, Lukrez namentlich,203 und zwar als sublimis Lucretius in am. 1, 15, 23 und trist. 2, 423–428. Dabei ist besonders das vierte Buch des didaktischen Prätextes für die intertextuelle Referenz relevant. 4.1.1 Die Grundkonzeption von De rerum natura liber 4 und die Bedeutung der ‚Bilder‘ Im Buchpaar204 der libri 3 und 4 werden die atomistischen Grundprinzipien, die Lukrez in den ersten beiden Büchern entfaltet, auf das menschliche Leben angewandt: Buch 3 behandelt die Beschaffenheit der Seele und Buch 4 die Sin‐ neswahrnehmungen. Das Ziel besteht darin, psychophysische Phänomene wie Wahrnehmung, Verlangen und Schlaf zu erklären,205 wobei die Themen „efflu‐ ence“, also Wahrnehmung durch den Ausfluss von Partikeln eines Objektes, und ‚Illusion‘ dominieren.206 Das Fundament hierfür bildet, wie etwa Robert Brown (1987) ausführt, die epikureisch-atomistische Erkenntnistheorie, die besagt, dass εἴδωλα/simulacra als materielle Basis für sinnliche Wahrnehmung fungieren und sie generieren (vgl. auch Lucr. 4, 26–822).207 Diese wiederum stelle das Kri‐ 201
202 203 204 205 206 207
Bereits Prinz (1914) 83 und Geisler (1969) 78 Anm. 1 (mit Bezug auf Prinz) erkennen, dass von V. 491 der Remedia amoris an Lukrez kein Vorbild mehr ist. Geisler deutet diesen Befund gar nicht, Prinz vermutet für die Anschlussvorschriften eine lockere Verarbeitung „verschiedenartiger Motive […] [aus] der Liebesdichtung“ (S. 83). Eine ausreichende Interpretation dieser nicht-trivialen Beobachtung ist meines Wissens bisher nicht erfolgt. Wenngleich Prinz festhält, dass bis rem. 491 die „Disposition [der Remedia] […] durch Lukrez beeinflußt“ (S. 82) ist, bleibt auch diese Auswertung zu knapp. Ein Verdienst liegt trotzdem in Prinz’ Herausarbeiten vieler Parallelen zu Lukrez. Vgl. u. a. J. Miller (1997) 384. Vgl. ausführlich zum Einfluss auf das Werk des Zeitge‐ nossen Catull, auf Vergils Eklogen und die Aeneis sowie Horaz’ Satiren, Episteln und Oden Giesecke (1992). Vgl. J. Miller (1997) 384. Zur Buchpaarstruktur bei Lukrez vgl. R. Brown (1987) 10 f. Vgl. auch Erler (1994) 424. Vgl. R. Brown (1987) 19–21, Zitat S. 20. Für die Rolle der Illusion vgl. auch Shulman (1981) 245. Vgl. R. Brown (1987) 21–28 und 37. Vgl. hierzu auch Erlers (1994) 131–138 Ausführungen zur epikureischen Kanonik. Werden bis Lucr. 4, 215 nach der Rückbindung an Buch 3 die
4.1 Ovids parodistische Inversion von Lukrez’ philosophischem Lehrgedicht
67
terium für wahre Erkenntnis dar (vgl. Lucr. 1, 422–425 und 693–700 sowie Lucr. 4, 469–521),208 während Irrglaube, Illusion und falsche Vorstellungen für Lukrez darin begründet lägen, dass der Verstand die sensuellen Daten falsch evaluiert und interpretiert (vgl. etwa Lucr. 4, 379–468).209 Dementsprechend werde im Fall der, von Epikureern als negativ beurteilten, Liebesleidenschaft die Attraktivität des geliebten Menschen nicht mehr nur für sexuelle Stimulation und körperliche Befriedigung genutzt.210 Vielmehr seien die Bildchen, die der geliebte Mensch aussende, als dianoetische simulacra im Verstand des Betroffenen präsent. Deshalb beginne dieser, bei Abwesenheit des/der Geliebten211 von seinem/ihrem Bild besessen zu sein (vgl. V. 1037–1072) und der physischen Erscheinung über die sinnliche Wahrnehmung hinaus falsche Qualitäten zuzuschreiben (vgl. V. 1149–1191).212 In ihrer Gegenwart überhöhe er die Erotik ihrer Ausstrahlung,
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Eigenschaften der simulacra beschrieben, geht es im Folgenden um ihre Erzeugung von Sinneswahrnehmungen (V. 216–721) und „mental vision, or thought, and of dreaming (722-822)“ (R. Brown [1987] 22). Vgl. auch R. Brown (1987) 25. Vgl. R. Brown (1987) 15, 24 f. und 34 f. Vgl. S. 24 f. zu Textstellen, in denen diese epikureische epistemologische Position zu Wahrnehmung und daraus resultierender Meinungsbildung präsentiert wird (Epic. Hdt. 50–52; Lukrez, v. a. Buch 4). Zum Entstehen von „Falschheit“ dadurch, dass „der Verstand Unerlaubtes zu den Wahrneh‐ mungen hinzufügt“ vgl. auch Erler (1994) 133. Damit wende sich Lukrez gegen die skeptische Position, die darin besteht, dass Wahrheit grundsätzlich nicht erkennbar sei (vgl. Erler [1994] 424, R. Brown [1987] 25). Conte (1989) 465 f. identifiziert dieses Vorgehen, die Reduktion auf das Physische als ‚Heilmethode‘ von der auf einer „defektiven Wahrnehmung der Realität“ (übers. Zitat, S. 465) basierenden Liebeskrankheit zu propagieren, als Charakteristikum von Diatriben (wie z. B. der lukrezischen), die insofern vorbildhaft für die Remedia seien. Der Adressat des epikureischen Lehrgedichts ist, so Volk (2002) 74 f., der Schüler Memmius, der zwar nur elf Mal namentlich erwähnt werde, aber vermutlich bei allen Anreden an die zweite Person mitzudenken sei. Das Geschlecht des Liebesobjekts des männlichen Liebhabers, das Lukrez in der Diatribe gegen den Liebeswahn thematisiert, kann meist sowohl weiblich als auch männlich sein; in Lucr. 4, 1053 f. werden beide Möglichkeiten angesprochen, dass es sich um einen puer membris muliebribus oder eine mulier handeln kann; auch in den folgenden Versen sind beide Geschlechter möglich (vgl. auch R. Brown [1987] 36 und 72 f., der aber häufiger das weibliche Pronomen verwendet, vgl. S. 74 oben). Die Attacke zum verschwenderischen Schenken als Folge der Liebesraserei impliziert aber eine weibliche Geliebte (vgl. S. 77 f. und auch die weibliche Form iaculata bei Lukrez, V. 1137). Auch bei der „list of pet names“ (R. Brown [1987] 78) und der daran anschließenden Paraklausithyron-Szene ist das Objekt weiblich (vgl. Lucr. 4, 1149–1191 und auch R. Brown [1987] 77–81). „Lucretius […] interprets love as an addition of erroneous opinion to the real experience of sexual perceptions and feelings“ (R. Brown [1987] 36). Das Thema „Illusion“ ist für die lukrezische Diatribe gegen die Liebensleidenschaft nach Brown somit von zentraler Bedeutung.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
deren eigentliche Funktion nur sexuelle Erregung mit nachfolgendem Koitus sein sollte; doch anstatt dem sexuellen physiologischen Drang Folge zu leisten, konzentriere sich der Verliebte ausschließlich auf eine Person, er schiebe die Befriedigung auf und müsse so psychisch und physisch negative Folgen ertragen (vgl. Lucr. 4, 1073–1120).213 Die Liebe ist nach epikureischen Gesichtspunkten ein furor, ein Zustand der emotionalen Besessenheit vom Bild der Geliebten.214 Dementsprechend lautet eines der ersten praecepta in der Diatribe des Lukrez, dass der Liebende die simulacra des Objekts seiner Begierde aus seinem Geist vertreiben und sich nicht der unersättlichen Liebesraserei hingeben solle: sed fugitare decet simulacra et pabula amoris / absterrere sibi atque alio conuertere mentem (Lucr. 4, 1063 f.). Das Konzept, das die Wahrnehmung und die epikureische simulacra-Theorie umfasst, ist, wie Brown zeigt, wesentlich für den Zusammenhang des vierten Buches. Auch quantitative Betrachtungen belegen die zentrale Stellung der ‚Bilder‘: Das Wort simulacrum wird in Buch 4 allein 46 Mal verwendet, während es in den anderen Büchern nur ein bis fünf Mal erscheint.215 Die dianoetischen simulacra, die in Träumen wahrgenommen werden (vgl. Lucr. 4, 962–1029),216 bilden den argumentativen Ausgangspunkt; über die anschließende Erörterung zu Bettnässen und Samenerguss im Schlaf (vgl. Lucr. 4, 1030–1036) werden die Themen „Traum“ und „Sex und Liebe“ miteinander verknüpft, bevor sich die lukrezische Persona in der folgenden diatribischinvektivischen, dabei einen auch satirischen Tonfall aufweisenden,217 Attacke 213 214
215
216 217
Vgl. auch R. Brown (1987) 216–218 ad 1073–1120. Diese Charakterisierung findet sich zwei Mal innerhalb der Diatribe: inque dies gliscit furor atque aerumna grauescit (Lucr. 4, 1069) und inde redit rabies eadem et furor ille reuisit (Lucr. 4, 1117). Vgl. auch R. Brown (1987) 81 f. Für eine ähnliche Zusammenfas‐ sung der lukrezisch-epikureischen Darstellung und Therapie vgl. auch Wildberger (2007) 97–104, zur Idealisierung aufgrund falscher Meinungen vgl. S. 101. Es taucht stets die Form simulacra auf, vgl. in Buch 1: V. 123 und 1060; in Buch 2: V. 24, 41, 112, 324; in Buch 3: V. 433; in Buch 5: V. 63, 76, 308; in Buch 6: V. 76. Diese Bedeutung zeigt auch eine Betrachtung des Textumfangs: So entfallen fast 800 Verse auf die explizite „Lehre von den simulacra“ (Erler [1994] 425). Vgl. zu dianoetischen simulacra auch schon Lucr. 4, 722–822, vgl. auch R. Brown (1987) 15, 26–28. Vgl. R. Brown (1987) 138 zum Unterschied zwischen dem „technical use of diatribe“ im Sinne eines „moral discourse“ der kynisch-stoischen Philosophie und der Beschreibung dieser Attacke als diatribisch. Brown schließt dabei aber Auswirkungen der moral‐ philosophischen Diatribe, welche die satirische Gattung beeinflusst hatte, auf diese lukrezische Passage nicht aus. Er behandelt bei der Analyse des „philosophical, cultural and literary background“ für das Finale von Buch 4 nicht nur den Einfluss der Diatribe, sondern auch der Satire und verweist auf die vorangegangenen Forschungsarbeiten zu satirischen Elementen in De rerum natura (vgl. S. 137). So würden sich v. a. in den
4.1 Ovids parodistische Inversion von Lukrez’ philosophischem Lehrgedicht
69
gegen den Liebeswahn wendet.218 Beide Körperfunktionen der Seele sind, so Brown, paradigmatische Formen von Illusion, da sie auf einer Fehlinterpretation der Bilder beruhen – denn im Fall des Traumes werden diese als im Moment existierend imaginiert219 und im Fall von Liebe als Gedächtnisbilder weiterverar‐ beitet und überhöht. So entstehe, da die mens das wahrgenommene Objekt, den Körper des geliebten Menschen, in seiner Bedeutung überinterpretiert und ihm falsche Bedeutung zuschreibt,220 eine Unersättlichkeit im Affekt Liebe, der selbst durch körperlichen Kontakt nicht befriedigt werden könne und zum Liebeswahn führe. Die Verbindung zu Traumvorstellungen bleibt bei Vergleichen innerhalb der Diatribe weiterhin präsent: ut bibere in somnis sitiens cum quaerit, et umor non datur, ardorem qui membris stinguere possit, sed laticum simulacra petit frustraque laborat in medioque sitit torrenti flumine potans, sic in amore Venus simulacris ludit amantis nec satiare queunt spectando corpora coram nec manibus quicquam teneris abradere membris possunt errantes incerti corpore toto. (Lucr. 4, 1097–1104)
Lukrez beschreibt in seiner Diatribe, wie ein Liebender in seinem furor, dem Zustand seiner emotionalen Obsession, versucht, allein durch die erotisch stimu‐ lierenden Bilder sein Begehren zu stillen. Die rabies der Liebesleidenschaft äußert sich in dem Wahn, in welchen der Liebende dabei verfällt: Er frisst seine Geliebte mit Küssen fast auf, kratzt und beißt an ihr herum (vgl. Lucr. 4, 1073–1085) und verkennt, dass seine Triebe dadurch nicht befriedigt werden können.221 Wenngleich im Anschluss an den Traumvergleich das Wort simulacrum nicht mehr explizit verwendet wird, so ist es, wie auch Brown hervorhebt, dennoch im
218 219 220 221
Finalia der Bücher 3–6 Passagen mit typisch satirischen Charakteristika finden (vgl. ebd.). Brown arbeitet mehrere Parallelen zu Lucilius heraus (vgl. S. 137 f.), hält aber fest, dass Lukrez trotzdem niemals die „bounds of propriety prescribed by his more elevated genre“ (S. 138) übertrete. Für einen satirischen Tonfall in Lukrez’ Passage zu Euphemisierungspraktiken vgl. auch S. 269, Steudel (1992) 70 mit Anm. 262 und Sommariva (1980) 136. Vgl. R. Brown (1987) 36 und 71. Vgl. hierzu R. Brown (1987) 27. Vgl. R. Brown (1987) 85. Vgl. R. Brown (1987) 81 f.
70
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
weiteren Verlauf der Diatribe mitzudenken: „[T]he general idea that love consists of an obsession with images persists […] in an altered form.“222 Zu Beginn von Lukrez’ Attacke werden ‚remedia‘, Methoden zur Bekämpfung des krankhaften Liebeswahns, aufgeführt, mit denen die Gedächtnisbilder und Vorstellungen (überarbeitete εἴδωλα), die auch bei Abwesenheit der bzw. des Geliebten noch vorhanden sind,223 beseitigt werden können: sed fugitare decet simulacra et pabula amoris absterrere sibi atque alio conuertere mentem et iacere umorem collectum in corpora quaeque nec retinere, semel conuersum unius amore, et seruare sibi curam certumque dolorem. ulcus enim uiuescit et inueterascit alendo, inque dies gliscit furor atque aerumna grauescit, si non prima nouis conturbes uulnera plagis uulgiuagaque uagus Venere ante recentia cures aut alio possis animi traducere motus. (Lucr. 4, 1063–1072)
Damit eine ‚Heilung‘ des Betroffenen möglich ist, sollen also die simulacra, die Bilder der Geliebten und die einseitige Ausrichtung auf nur eine einzige Person aus seinem Bewusstsein verbannt und die mens auf andere, von der
222
223
R. Brown (1987) 77. Brown betont überzeugend, dass Lukrez bei der Schilderung der negativen Folgen des Liebeswahns einen „satirical approach“ (S. 76) wähle, ohne dass die Basis der simulacra-Theorie dabei außer Kraft gesetzt werde (vgl. S. 76 f.). Die Fortführung der Argumentation finde sich etwa beim Aspekt der Liebes-Frustration (vgl. S. 77): So, wie der Liebhaber beim Genuss sexueller Freuden ungesättigt in seinem furor (4, 1117) verhaftet bleibt, gelingt ihm auch keine Zufriedenheit während der Freuden, nachdem man der/dem Geliebten allerlei optisch überwältigende und luxuriöse Reichtümer gegeben hat (vgl. V. 1121–1134). Diese Passage spiegelt nach Brown u. a. das typische Verlangen nach einer (die Leidenschaft verstärkenden) Überhöhung der Bilder wider. Die Gegenstände (vgl. V. 1125–1128) bestächen dabei durch ihre sensuelle Ausgestaltung, etwa bei der Farbe der Smaragde und den „glamourös“ wirkenden griechischen Namen; dennoch führe dies nur zu einem Liebhaber „[who] is feeding on empty images“ (S. 78). Diese Argumentation erkenne man zudem in der Passage zu Euphemisierungsstrategien – bei einer zu den Göttern erhobenen (vgl. V. 1161 f., 1168 f.), aber hässlichen Geliebten zeige sich deutlich die Leere der Bilder, die Teil der Obsession des Liebhabers sind. Auch bei der Referenz auf die exclusus amator-Szene sei der Liebhaber von Imagination und mentalen Bildern abhängig und überhöhe die Geliebte und ihr Haus (vgl. S. 79–81), wobei aber das Eindringen der Realität zum Zusammenfallen dieser Konstruktion führen würde (vgl. V. 1180–1184). Vgl. V. 1061 f.: nam si abest quod ames, praesto simulacra tamen sunt / illius et nomen dulce obuersatur ad auris.
4.1 Ovids parodistische Inversion von Lukrez’ philosophischem Lehrgedicht
71
Liebeswunde ablenkende Tätigkeiten ausgerichtet werden (vgl. V. 1063 f.).224 Die dabei erkennbare Teilung in zwei Hälften „which put the advice in complementary negative and positive forms“225 zeigt sich auch in V. 1065 f.: Es ist zu vermeiden, dass sich der Samenstau nur bei einer Person entlädt; vielmehr wird Promiskuität empfohlen und kein Zurückhalten des semen für ein einziges Zielobjekt.226 Damit die Verwundung sich nicht wie bei einem infizierten Geschwür (ulcus) weiter verschlimmert und so die physische und psychische Gesundheit des Betroffenen gefährdet ist,227 müsse man stets darauf achten, dass man sich mit noui amores ablenkt und – erneut findet sich der Hinweis auf Promiskuität – sexuell mit frei verfügbaren Partnern verkehrt, wobei das Kompositum uulgiuaga auf Prostituierte hindeutet und man selbst uagus, also ebenfalls frei verfügbar, sein solle.228 Die bildhafte Darstellung der sich verschlimmernden Liebeswunde veranschaulicht das Problem, das der Lie‐ beswahn mit sich bringt, und lässt die remedia, v. a. den variierend wiederholten Hinweis auf den promiskuösen Wechsel der Sexualpartner, dadurch besonders dringlich und notwendig erscheinen. 4.1.2 Die sukzessive Entfernung vom Prätext Dass Lukrez’ ‚Remedia amoris en miniature‘229 viel mehr als nur eine Inspira‐ tionsquelle für Ovid darstellen, ja sogar Teile der Struktur seiner Remedia mitbestimmen, lässt sich anhand der ‚Heilmittelklammer‘ zeigen, mit welcher sich die oben genannten lukrezischen praecepta um einen Großteil der Vor‐ schriften in der ersten Hälfte von Ovids Werk (bis V. 488) legen (siehe die tabellarische Übersicht in Abbildung 5); wie so oft im intertextuellen Dialog mit seinen Vorgängern übernimmt Ovid also ein Motiv bzw. einen Abschnitt
224
225 226 227 228 229
So hebt Shulman (1981) 245 hervor: „If love is fostered by illusion, then the remedy of love is, naturally enough, to see clearly“. Das heißt vom Verliebten ist eine richtige Interpretation der „sensual data“ und keine illusorische Überhöhung der Bilder der Geliebten zu fordern. Für die Paraphrase der Verse vgl. R. Brown (1987) 206 ad 1063–67 und 207 ad 1064 „alio“, wobei alio „to another subject“ und nicht „to another person“ bedeute; Brown weist in diesem Zusammenhang auch auf die Parallelen zu rem. 135 ff. und 559 ff. hin. R. Brown (1987) 206 ad 1063–67. Vgl. für die Paraphrase auch R. Brown (1987) 206 ad 1063–67. Vgl. auch Wildberger (2007) 100 f. Vgl. für den Gedanken R. Brown (1987) 208 ad 1068–72. Vgl. R. Brown (1987) 213 ad 1070 „si non prima novis, etc.“ und 215 ad 1071 „volgi‐ vaga…Venere“ und „vagus“. Vgl. für diese Charakterisierung Shulman (1981) 244.
72
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
eines anderen Werkes, erweitert ihn in seinem Umfang und schafft durch die Neuakzentuierung humorvoll Distanz zum ‚vorbildhaften‘ Prätext.230 Wie Lukrez vor ihm fordert Ovid seine Schüler dazu auf, sich Handlungs‐ feldern zuzuwenden, die von Liebesqualen abzulenken vermögen. Ovid kon‐ kretisiert dabei die bei Lukrez nur pauschal formulierte Aufforderung (vgl. Lucr. 4, 1064) und entfaltet verschiedene Bereiche als Beispiele dafür, wie sich der Liebende bei ‚akutem Liebeskummer‘ zu verhalten habe. Neben foren‐ sischer, juristischer und landwirtschaftlicher Betätigung sowie der Jagd und der Vermeidung des gefährlichen otium 231 werden den Schülern Ortswechsel und lange Reisen angeraten.232 Auch dass der unglücklich Verliebte sexuelle 230
231
232
Diese Verfahrensweise kann als typisch ovidisch bezeichnet werden. Vgl. prägnant hierzu Holzberg (2005) 24 f., der beschreibt, wie Ovid durch dieses poetische Verfahren des Transformierens sein Spiel mit Gattungen treibt und beispielsweise die erotische Elegie mit Elementen des Romans anreichert. Auch führt er als konkretes exemplum die Elegie am. 3, 7 an, die aus dem Thema der Impotenz, das Philodem von Gadara in sechs Versen eines Epigramms und Tibull in zwei Versen der fünften Elegie seines ersten Buches anklingen lassen, ein ganzes, 84-versiges Gedicht macht. Schließlich ist es der Müßiggang, der einen dazu verleitet, Liebschaften einzugehen, vgl. rem. 136–138: fac monitis fugias otia prima meis. / haec, ut ames, faciunt; haec, ut fecere, tuentur; / haec sunt iucundi causa cibusque mali. Vgl. Geisler (1969) 215 ad 136–168 zu zahlreichen Belegstellen für den Topos in antiker, (popular-)philosophischer wie erotischer oder satirischer, Literatur, dass otium Liebe hervorbringt. Wenn Ovid im Folgenden (vgl. rem. 151–168) rät, dass man sich mit verschiedenen von Liebe ablenkenden Tätigkeiten beschäftigen solle, ist eine Ausrichtung auf das elegische otium-Konzept, das traditionellen negotia entgegensteht, zu spüren: Mit anti-elegischen Hinweisen versucht der praeceptor sanitatis also, seinen Schülern zu helfen. Als ein Vorbild für dieses remedium kann u. a. Cicero/Chrysipp (vgl. Tusc. 4, 74) gelten, vgl. ebd. Auch Boyd (2018) 91 f. betont, dass Ovid mit den Remedia die elegische Perspektive auf das Landleben, das als Rückzugsort für die Liebenden fungieren kann und besonders mit Blick auf die Phasen des otium (und eben nicht die Tätigkeiten, da diese der Liebe abträglich wären) gepriesen wird, verletze bzw. herausfordere. Für diese Vorschriften (vgl. V. 169–248) liefert Lukrez nun keine konkreten adaptier‐ baren Vorlagen, sondern der Witz besteht darin, dass Bereiche genannt werden, für die es Fachliteratur gibt bzw. die in der Elegie Thema sind (etwa dass Soldatentätigkeit und Reisen zu langer Abwesenheit führen). Dennoch kann man eine motivische Parallele erkennen: Sowohl in der Diatribe als auch bei Ovid wird die ‚dianoetische Präsenz‘ der puella hervorgehoben: flebis, et occurret desertae nomen amicae, / stabit et in media pes tibi saepe uia (rem. 215 f.) kann m. E. als Rekurrenz auf Lukrez’ nam si abest quod ames, praesto simulacra tamen sunt / illius et nomen dulce obuersatur ad auris (Lucr. 4, 1061 f.) verstanden werden. Ein ähnliches, motivverwandtes Bild findet sich auch in rem. 583 f. (mit dem Thema ‚Einsamkeit verschlimmert Liebeskummer‘), also nach der ‚Heilmittelklammer‘: tristis eris, si solus eris, dominaeque relictae / ante oculos facies stabit, ut ipsa, tuos. Da diese Stelle einerseits V. 215 f. in Erinnerung ruft und andererseits durch die Wiederaufnahme des Gedankens, dass man plötzlich seine Geliebte vor dem geistigen Auge sehen kann, der gesamte erste Teil der tractatio eine ringkompositori‐
4.1 Ovids parodistische Inversion von Lukrez’ philosophischem Lehrgedicht
73
Befriedigung bei mehreren Personen zu suchen habe, führt Ovid an zwei Stellen aus: Einerseits solle er sich durch viel sexuellen Verkehr mit anderen Frauen ermüden, bevor er mit seiner Herrin schlafe (vgl. rem. 403 f.), andererseits sei auch das Pflegen mehrerer Verhältnisse empfehlenswert (vgl. rem. 441–488).233 Im Hinblick auf die inhaltliche Dimension der einzelnen praecepta lassen sich Parallelen zwischen dem philosophischen Lehrgedicht des Lukrez und den Remedia feststellen, zumal beide Werke auch auf ein ähnliches Ziel ausgerichtet sind: So soll dem amor als einem die Ataraxie des Epikureers störenden Liebeswahn bzw. als unerwünschter Liebe ein Ende bereitet werden. Die Wege, auf denen die Schüler zu diesem Ziel gelangen sollen, unterscheiden sich dabei jedoch grundlegend. Während Lukrez Täuschung und Illusion ab‐ lehnt, preist Ovid in Fortführung von Tendenzen der Ars amatoria, der „ars fallendi“,234 Verstellung und Selbstbetrug als probates Mittel für die Loslösung von unglücklicher Liebe (vgl. besonders rem. 497–504).
233
234
sche Geschlossenheit erfährt, steht diese Beobachtung nicht im Widerspruch zu meiner These, dass die Anklänge an die Diatribe von De rerum natura 4 im Wesentlichen nur innerhalb der Klammer zu finden sind. Meiner Argumentation widerspricht auch Ovids Anleihe am lukrezischen Bilderschatz bei der Charakterisierung der Liebesleidenschaft in rem. 533 (wieder nach der Klammer) nicht, da es sich dort um einen rein sprachlichen, die Metaphernkraft adaptierenden, nicht inhaltlich-konzeptionellen Anschluss handelt. Vgl. zu der Parallele Henderson (1979) 107 ad 533: „Ovid is chiefly indebted […] to Lucretius, who compares sexual passion to raging and unquenchable thirst in a lengthy and vivid simile at 4. 1097 ff.“ Für die Parallelen zur Promiskuitätsforderung in der angeführten Lukrez-Passage vgl. auch Filippetti (2015) 143–148. Filippetti arbeitet heraus, dass dieses remedium auf die zur Zeit Ovids bekannte „Regel vom καιρός“ (S. 149) rekurriert und Ovid dadurch auf die „philosophisch-wissenschaftliche Debatte“, die auch im medizinischen Kontext des 1. und 2. Jahrhunderts v. Chr. relevant war (übers. Zitate), zurückgreift. Sie arbeitet dabei mit Textpassagen von Galen und Rufus (vgl. S. 148 f.). Holzberg (2005) 104.
Parallelen zu DRN
praecepta
„tractatio Teil I / ars agendi“
Lehrgedicht: Landwirtschaft, Jagd (vgl. Aufbau der Georgica)
Empfehlung der Tätigkeit als Landmann (V. 135– 150), Jurist und Soldat (V. 151– 168) Lucr. 4, 1064
Lucr. 4, 1061f.
Ortswechsel, lange Reisen
213– 248 Ablehnung von Liebeszauber (exemplum: KirkeOdysseus)
249– 290
Lucr. 4, 1149– 1170
Bewusstmachen der Mängel der Geliebten, Schlecht reden
291– 356 Einleitung zum Sexteil
357– 360 Statt Sphragis hier ‚Binnenproöm‘, Exkurs licentia, poetologische Rechtfertigung
361– 396
Lucr. 4, 1065f., 1071f.
Sexteil: unvorteilhafte Stellungen, viel Sex
397– 418
Lucr. 4, 1174
praeteritio Notdurftverrichtung
419– 440
Reichweite der lukrezischen ‚Remedia‘, V. 1063–1072 - alio conuertere mentem, vgl. rem. 135–448 - et iacere umorem conlectum in corpora quaeque, vgl. rem. 403
Lukrezische ‚Heilmittelklammer‘ (Lucr. 4, 1061–1072 und 1149–1174)
(anti-)elegische Klammer um Lehrgedicht-Tätigkeiten
169– 212
135– 168
Lucr. 4, 1173, 1063– 1072
Mehrere Geliebte
441– 488
‚ars simulandi‘
Vorschrift, sich zu verstellen, bis diese Haltung Realität wird
489– 522
(Bilderschatz Lucr. 4, 1097 ff.)
Sex bis zum Überdruss
523– 542 Ablegen der Furcht vor dem Rivalen, da diese die Liebe wachsen lässt
543– 548
(Lucr. 4, 1061f.)
Achtung vor Einsamkeit (sonst verschärfen sich die furores)
Amor Lethaeus (Alltagssorgen);
549– 608
74 4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
Abbildung 5: Tabellarische Übersicht zum ersten tractatio-Teil der Remedia amoris
4.1 Ovids parodistische Inversion von Lukrez’ philosophischem Lehrgedicht
75
Contes suggestive Frage: „How could Ovid forget that Lucretius had argued against obstructing the cure of love by self-deception?“235 lässt sich klar mit ‚Hat er gar nicht‘ beantworten. Denn meines Erachtens grenzt sich Ovid bewusst von Lukrez ab, indem er die Instruktionen, die ihren Ausgangspunkt durchaus bei seinem Vorgänger nehmen, in die Vorschrift der Selbsttäuschung münden lässt. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings auch, dass die oben genannten Parallelen nur scheinbar mit Lukrez’ Diatribe übereinstimmen, da die Anklänge an De rerum natura 4 innerhalb der ‚Heilmittelklammer‘ der Remedia stets mit Elementen des Täuschens, Einredens und Imaginierens durchsetzt und so von Anfang an gebrochen sind. Bereits innerhalb des praeceptum, das zur Ablenkung durch Jagen ermahnt und das unter Lukrez’ alio conuertere mentem (Lucr. 4, 1064) subsumiert werden kann, klingt das Motiv der Selbsttäuschung, des se ipsum decipiendi, an: aut his aut aliis, donec dediscis amare, / ipse tibi furtim decipiendus eris (rem. 211 f.). Noch deutlicher sichtbar ist die Umkehrung lukrezischer Argumentation in der folgenden Vorschriftengruppe (vgl. rem. 291–356).236 Wenn Ovid Taktiken des Schönredens nicht einmal erwähnt und auch nicht dazu rät, die negativen Eigenschaften des Mädchens zu übergehen, besteht noch kein Bruch mit dem lukrezischen Prätext.237 Doch wenn der Schüler seinem Mädchen herabsetzende, der Realität nicht entsprechende Bezeichnungen geben soll, um es dadurch für sich unattraktiv zu machen, kann man von einer Invertierung der epikureischen Erkenntnislehre in De rerum natura 4 sprechen. Dabei wächst die Distanz zu Lukrez beim linearen Fortschreiten dieser Vorschriften kontinuierlich an: Die rhetorisch, so Stroh (1979), als evidentia 238 gestaltete Ermahnung, dass man 235
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237
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Conte (1989) 466. Conte stellt nicht die Frage nach dem Verhältnis von Lukrez und Ovid in den Vordergrund, sondern untersucht Elemente der Diatribe in den Remedia unter gattungstheoretischen Gesichtspunkten. Seine rhetorische Frage beantwortet auch Conte mit ‚Gar nicht‘. Doch geht es ihm darum, inwiefern die Remedia (und auch die Ars) mit der grundlegenden Lehre von Diatriben zu lächerlich machender Verliebtheit übereinstimmen, und wie die Remedia die „therapeutic dosages“ von Lukrez hinsichtlich dessen Euphemisierungs-Verbotes noch erhöhen (vgl. rem. 291–356), vgl. Conte (1989) 466 f., Zitat S. 466. Geisler (1969) 314 ad 311–356 arbeitet vier verschiedene praecepta heraus: Bestreiten der Vorzüge des Mädchens (vgl. V. 311–322), Herabsetzung und Schlechtmachen von Vorzügen (vgl. V. 323–330), Animierung zur Präsentation von Mängeln (vgl. V. 331–340), keine Täuschung durch Schminke o. ä. (vgl. V. 341–356). Lukrez expliziert dies als Möglichkeit für die Therapie eines Verliebten: et tamen implicitus quoque possis inque peditus / effugere infestum, nisi tute tibi obuius obstes / et praetermittas animi uitia omnia primum / aut quae corpori[s] sunt eius, quam praepetis ac uis (Lucr. 4, 1149–1152). Vgl. Stroh (1979) 126 Anm. 49. Als auf Cicero zurückzuführende Übersetzung des griechischen ἐνάργεια dient dieser Terminus der Beschreibung von Aussagen, die
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
sich verwerfliche Taten der puella vor Augen halten sollte, ist noch analog zu Lukrez aufgebaut. Zunächst soll sich der Liebende den durch das Mädchen verursachten Schaden vergegenwärtigen (vgl. saepe refer tecum sceleratae facta puellae / et pone ante oculos omnia damna tuos, rem. 299 f.), was die negativen Folgen, die Lukrez als Resultat der Liebesleidenschaft anführt, evoziert (vgl. Lucr. 4, 1121–1140); auch materieller Schaden ist genannt, vgl. labitur interea res (Lucr. 4, 1123a). Die folgenden Vorschriften, die eine negative Evaluierung des Mädchens vom Schüler verlangen, stimmen anfangs noch mit der Grundaussage des Lukrez überein, wenn dieser die Euphemisierungspraktiken Verliebter verspottet (vgl. Lucr. 4, 1149–1170) und so Beschönigungstaktiken eine Absage erteilt;239 man könnte dabei auch behaupten, dass Ovid „de[n] (impliziten) Rat des Lucrez“240 zum Zweck der Therapie dadurch verbalisiere. Denn im Gegensatz zu v. a. der Passage in der Ars amatoria (ars 2, 657–662), in der das ‚Schönreden‘ als erlaubte Praxis propagiert wird,241 weist der ovidische Lehrer unter Berufung auf eigene Erfahrung darauf hin, dass die Fokussierung auf Mängel der puella zielführend sei: profuit assidue uitiis insistere amicae, / idque mihi factum saepe salubre fuit (V. 315 f.).242 Ovids Schüler soll aber darüber hinaus gute Eigenschaften des Mädchens verkennen (vgl. V. 317–321)‚ diese ‚schlecht machen‘ (qua potes, in peius dotes deflecte puellae / iudiciumque breui limite
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den Leser oder Zuhörer dazu bringen, Gegenstände, Ereignisse o. ä. lebendig und unmittelbar nachvollziehbar erscheinen zu lassen. Für eine genauere Differenzierung des Begriffs vgl. Kemmann (1996), Sp. 33–47. Geisler listet verschiedene Parallelstellen für die Vorschriftengruppe auf, die als Anre‐ gung für diesen Abschnitt der Remedia gedient haben (können): Neben am. 2, 4, ars 2, 505–660, ars 3, 271–352 und Hor. sat. 1, 3 auch die oben genannte Lukrezstelle, deren Einfluss er als unbestreitbar erachtet, vgl. Geisler (1969) 314–319 ad 311–356. Für die Parallelen zu Hor. sat. 1, 3, 38–44 und Lucr. 4, 1149–1169 und anderen griechischen und lateinischen Vorbildern für „Beschönigungen“ vgl. auch Janka (1997) 456 f. ad 657–662. Siehe zu Horaz auch die Ausführungen in Kapitel 4.3.1.1. Janka (1997) 457 ad ars 2, 657–662. Die Bezugnahme auf Lukrez ist in dieser auf „Eingewöhnung“ (Janka [1997] 455 ad 657– 662) in die Liebesbeziehung ausgerichteten Weisung auf lexikalischer und syntaktischer Ebene und somit weitaus deutlicher als in der Remedia-Passage sichtbar. Für Analysen und Interpretationen vgl. u. a. Steudel (1992) 68–72, die in dieser Stelle eine Lukrezparodie sieht, Sommariva (1980) 134–142 und erweitert Janka (1997) 456 f. ad 657–662, der hervorhebt, wie Ovid in Buch zwei der Ars zunächst gegen Lukrez „polemisiert“ (S. 457), um dann in den Remedia seine eigene aus Lukrez gezogene Vorschrift für die Therapie umzukehren. Zum Umgang mit dem Ars- und dem Lukrez-Prätext vgl. auch Wildberger (2007) 102 f. Frings (2005) 135 betont zurecht, dass die „Verkehrung früherer praecepta“ keinen „Wider‐ spruch“ zu den Lehren der Ars bedeuten muss, sondern dass sich Ovid dieser „Technik [bedient], um sein Regelwerk auszubauen. In den Remedia amoris entwickelt er die in der Ars bereits angelegte, aber weniger ausführliche Anleitung zur Selbsttäuschung weiter.“
4.1 Ovids parodistische Inversion von Lukrez’ philosophischem Lehrgedicht
77
falle tuum, V. 325 f.), er soll Makel übertrieben hervorheben und die puella zu Handlungen animieren, die sie lächerlich wirken lassen: quin etiam, quacumque caret tua femina dote, / hanc moueat, blandis usque precare sonis (V. 331 f.). Diese praecepta stehen nun dem epikureischen Anspruch, die eigene Wahrnehmung nicht durch Illusion zu trüben, diametral entgegen.243 Wie in einer Klimax, deren Ziel die sukzessive Entfernung vom lukrezischen Intertext und letztlich dessen Inversion ist, vergrößert sich bei linear fortschrei‐ tender Lektüre die immer klarer sichtbare Distanz zu De rerum natura mit ihrer Forderung nach Freiheit von Illusionen. Denn nachdem sich mit dem Motivkomplex ‚mehrere Geliebte und casual sex‘ die lukrezische Klammer um die Heilmittel legt,244 endet mit Ausnahme lexikalischer Parallelen die Vergleich‐ barkeit der beiden liebestherapeutischen Schriften: Für die Entfaltung der ‚ars simulandi‘ kann der angestrebte Rationalismus epikureischer Wahrnehmungsund Verhaltensdogmatik245 in keiner Weise mehr Vorbild sein:246 et sanum simula nec, si quid forte dolebis, sentiat, et ride, cum tibi flendus eris. […] quod non es, simula positosque imitare furores: sic facies uere, quod meditatus eris. […] deceptum risi, qui se simulabat amare, in laqueos auceps decideratque suos. intrat amor mentes usu, dediscitur usu: qui poterit sanum fingere, sanus erit.
243
244 245 246
Vgl. schon Shulman (1981) u. a. 246, 251, 253 zu Ovids „response to Lucretian realism“ (S. 246) in der Ars und den Remedia und der „highly anti-Lucretian note of self-decep‐ tion“ (S. 251) in rem. 315–320 und den folgenden praecepta; vgl. auch Steudel (1992) 75 mit Bezug auf Shulman sowie 59–76 zur Analyse des ovidischen Umgangs mit dem Finale des vierten Buches von De rerum natura in der Ars. Die von mir aufgezeigte klimaktische Weiterentwicklung der Argumentation in den Remedia hat zwar keine direkte Parallele im lukrezischen Prätext oder auch der eigenen Ars. Doch steht an dieser Stelle durchaus ein anderer Text, nämlich Horaz’ Satire 1, 3, im Hintergrund. Für eine genauere Untersuchung der Beziehung Ovid–Horaz an dieser Stelle siehe unten Kapitel 4.3.1.1. Die Weisung, dass der Betroffene seinen Samen auf beliebige Körper verteilen und sich mit casual sex beschäftigen solle, findet sich bei Lukrez in V. 1065 f. und 1071 f., vgl. auch R. Brown (1987) 74. Vgl. Shulman (1981) 246. Vgl. auch Wildberger (2007) 102: Bei Ovid sei „Wahrheit […] irrelevant; entscheidend ist die Wirkung“.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
[…] te quoque falle tamen, nec sit tibi finis amandi propositus: frenis saepe repugnat equus. utilitas lateat; quod non profitebere, fiet: (rem. 493–515)
Der Verliebte müsse sich also, wie Ovid ausführt, durch eine autoinduzierte Form der Therapie heilen, indem er den Zustand psychischer Gesundheit nur vorgeben und konträr zur eigentlichen Gefühlslage so tun solle, als litte er nicht unter Liebesqualen, und indem er sein eigenes Verhalten durch Autosuggestion zur Gewöhnung machen und so habitualisieren solle.247 Dabei schließt sich diese Vorschrift (v. a. V. 497 f.) an eine entsprechende Methode in der Ars amatoria an:248 est tibi agendus amans imitandaque uulnera uerbis; […] saepe tamen uere coepit simulator amare; saepe, quod incipiens finxerat esse, fuit. (ars 1, 611; 615 f.)
Das Verlieben und das ‚Entlieben‘ werden also auf ähnliche Weise, nämlich mithilfe des ‚simulare-‘ bzw. ‚So-Tun-Als-Ob-Verfahrens‘ gelernt. Zwar besteht in beiden liebesdidaktischen Werken ein Kontrast zum Rationalismus des 247
248
Vgl. zu V. 503 Henderson (1979) 104: „While the idea that habit can kindle love is a commonplace (cf., e.g., Ter. Andr. 560 f., Tib. 1. 4. 15 ff., Prop. 2. 25. 15 ff.), Ovid appears to be the first to think of reversing it“. Das Gewöhnungs-Argument sei dabei, auch wenn sich in quod superest, consuetudo concinnat amorem am Ende der Diatribe (Lucr. 4, 1283) eine Parallele findet, v. a. auf Gedanken und Ausdrücke der Ars amatoria zurückzuführen, vgl. zur Phrase intrat amor ars 1, 720 und 2, 358 (vgl. ebd.). Zum Motiv der Gewöhnung als zentralem Thema des zweiten Buches der Liebeskunst vgl. Janka (1997) 271 f. ad 354 f. (fac tibi consuescat: nihil assuetudine maius, ars 2, 345). Frings (2005) 135–140 arbeitet heraus, wie Ovid die praecepta, die er zuvor in der Liebeskunst angewandt hat, wegen der neuen Situation in den Remedia umkehrt, und führt dazu auch ars 3, 251–380 an, da dort „ein Idealbild der puella docta, das in den Remedia als schöner Schein entlarvt wird“ (S. 137 f.), beschrieben ist. Sie geht aber nicht über die intratextuellen Beziehungen hinaus und erwähnt das lukrezische Vorbild nicht. Der Schüler wird also in den Remedia dazu angehalten, bei diesen in Ars 3 vermittelten Strategien hinter die Fassade zu blicken und „klein[e] Tricks“ (S. 138) der Frauen zu um‐ gehen. Pinotti (1993) 235 ad 493 f. hebt hervor, dass die alliterierenden ‚Schlüsselbegriffe‘ sanus und simula „‚Leitmotive‘ della malattia d’amore della simulazione terapeutica“ seien. Kennedy (2000) wiederum beschäftigt sich mit der ovidischen Neu-Akzentuierung der Mimesis- und Ontologie-Diskurse, wenn in der Ars und auch in den Remedia das „make-believe“ (S. 166), wenn also das Verstellen gelehrt wird. Anders als die Tradition platonischer Metaphysik präsentiere Ovid „an alternative paradigm of truth“ (S. 167), da an den bezeichnenden Stellen (eben u. a. ars 1, 611–616) die Realität des Liebenden eben nicht a priori existiere und somit Priorität vor der Imitation habe, sondern Ergebnis der Simulation/der Mimesis sei.
4.1 Ovids parodistische Inversion von Lukrez’ philosophischem Lehrgedicht
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Lukrez.249 Die Remedia und die Diatribe in De rerum natura stehen sich aufgrund ihres Sujets, der Belehrung, wie man von der Liebesleidenschaft befreit werden kann, in ihrer Zielsetzung aber sehr nahe. Dadurch, dass das lukrezische Lehrgedicht im ars agendi-Part der tractatio (V. 135–488) und bei der Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für die Therapie (vgl. V. 79–134) somit als Prätext fungiert, ist der nun endgültige250 Bruch mit Lukrez ab V. 489 umso auffälliger. Ovid bedient sich vorrangig eines sprachlich-stilistischen Mittels, mit dem er die sukzessive und letztlich gänzliche Entfremdung der Remedia von De rerum natura 4 erreicht und die Nachahmung251 seines Vorgängers in der amüsanten Inversion von dessen Werk gipfeln lässt: nämlich eines Wortspiels. In der Fokussierung auf das Verb simulare und dessen Bedeutung entzieht Ovid, wie ich im Folgenden zeige, dem Epikureer auf humorvoll-parodistische Weise das Fundament seiner simulacra-Theorie. 4.1.3 ‚simulare vs. simulacra‘ Das Verbum simulare taucht wie auch dissimulare im gesamten ‚liebes-elegi‐ schen‘ Œuvre Ovids, den Amores, den Heroides, der Ars amatoria und den Remedia amoris, auf,252 wobei dem Motiv der Täuschung und Selbst-Täuschung aufgrund seiner Omnipräsenz253 in den didaktischen Werken strukturgebende Funktion zugesprochen werden kann.254 Vorab seien hier Wilfried Strohs (1972,
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Vgl. Shulman (1981) 246. Ich wähle die Bezeichnung ‚nun endgültig‘ deshalb, weil, wie bereits ausgeführt, alle an Lukrez anklingenden Weisungen des ersten Hauptteils das Vorbild nur mit immer sichtbarer werdenden Brüchen aufrufen. Zu den literaturtheoretischen Begriffen aemulatio und imitatio und ihrer Relevanz für meine auf der Intertextualitätsforschung basierenden Überlegungen siehe oben S. 48–50. Zu den Belegstellen: simulare in am. 1, 3, 23; 1, 6, 9; 1, 8, 36; 1, 8, 71; in am. 2, 2, 18; 2, 2, 36; 2, 4, 16; 2, 6, 23; 2, 7, 8; 2, 7, 13; 2, 19, 20; in am. 3, 7, 84; 3, 11, 24; 3, 14, 4; in epist. 2, 51; epist. 16, 248; epist. 17, 36; epist. 21, 199; in ars 1, 678; in ars 3, 155; 3, 179; in rem. 493, 497, 503. simulator in ars 1, 615; ars 2, 311. dissimulare in am. 2, 2, 18; 2, 4, 16; 2, 7, 8; in am. 3, 7, 84; 3, 11, 24; 3, 14, 4; in epist. 4, 56; epist. 5, 84; epist. 9, 84 und 122; epist. 17, 74 und 151 f.; in ars 1, 276; 1, 488; 1, 690; in ars 3, 210; 3, 553. dissimulator in ars 1, 690; in ars 2, 642; dissimulanter in epist. 20, 130. Holzberg (2005) gibt bezeichnenderweise seinem Kapitel über Ars 1 und 2 den Untertitel: „Die Kunst des Täuschens in drei Lektionen“ (S. 103). Denn auch wenn in den Amores bereits Verstellung und „Täuschungsmanöver“ angewendet werden, ist es erst die Liebeskunst, die „eine planmäßig durchorganisierte Täuschungsstrategie“ (S. 105) durchführt. Vgl. Shulman (1981) 248: „What is only intermittently felt in the Amores – the motifs of deceit and self-deceit – informs the content and structure of the Ars and the Remedia.“
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
1979) Erkenntnisse dargestellt, der die Parallele zu den rhetorischen Konzepten der simulatio und der dissimulatio artis berausgearbeitet hat; denn die rhetori‐ sche Tradition bildet eine der Grundlagen der Ars amatoria 255 und der Remedia amoris.256 Im ursprünglichen Rede-Kontext sind die beiden komplementären Figuren der Ironie zugeordnet. Beschreibt die dissimulatio das „Verbergen von […] Wissen, Kunst oder auch Talent“257, artikuliert man mithilfe der simulatio etwa Meinungen, die der Wahrheit entbehren oder hinter denen man nicht steht.258 Die dissimulatio artis findet in ihrer ursprünglichen rhetorischen Be‐ deutung Eingang in die Ars amatoria. So soll der Liebhaber beispielsweise nicht vor dem begehrten Mädchen deklamieren oder den Kunstcharakter seiner Rede herausheben, sondern seine Kunstfertigkeit verbergen und als mühelos versierter Redner erscheinen (vgl. ars 1, 463 f.: sed lateant uires, nec sis in fronte disertus; / effugiant uoces uerba molesta tuae).259 Auch die simulatio begegnet dem lernwilligen Schüler bei den Instruktionen des praeceptor in Form von Anweisungen zur simulatio amoris (vgl. ars 1, 611–646). Die gleichfalls auf dem ‚So-Tun-Als-Ob‘-Mechanismus beruhende simulatio sanitatis 260 in den Remedia (quod non es, simula positosque imitare furores: / sic facies uere, quod meditatus eris, rem. 497 f.) „korrespondiert“, wie Stroh herausstellt, also mit der simulatio amoris der Ars.261 Die Täuschung zum Zweck der Erregung bzw. Beendigung von Liebesleiden‐ schaft funktioniert, so Stroh, analog zur simulatio der Rhetorik. Da für einen Redner, wie Cicero in de orat. 2, 189 beschreibt, eine „Affekterregung“ beim Zu‐ hörer „Affektübertragung“ sein müsse, sei ein bestimmter Grad an Täuschung 255
256 257 258 259
260 261
Man beachte die Analogie zur traditionellen Bezeichnung eines Rhetoriklehrwerks als ars oratoria, vgl. Stroh (1979) 118. Vgl. zu ars 2 auch Janka (1997) 250 f. ad 313–314: si latet, ars prodest: „Ovid kürt diesen Topos geradezu zum Leitprinzip der Ars, indem er ihn etwa in den Bereich der Kosmetik ‚zurückführt‘, vgl. Ars 3, 153–156“ (S. 251). Vgl. Stroh (1979) 118. Bettrich/Krautter (2007) Sp. 919. Vgl. auch Till (2009) Sp. 1034 und Népote-Desmarres/ Tröger (1994) Sp. 886. Vgl. Bettrich/Krautter (2007) Sp. 919 und passim zum Terminus „Simulatio“. Als weiteres Beispiel für eine dissimulatio führt Stroh (1979) an, dass im dritten Buch der Liebeskunst die Mädchen dazu angehalten werden, bei „Körperpflege und Kosmetik“ „Unvollkommenheit“ (S. 121 f.) nachzuahmen: et neglecta decet multas coma: saepe iacere / hesternam credas, illa repexa modo est. / ars casum simulet (ars 3, 153–155a). Vgl. für die Ausführungen S. 119–122. Diese Bezeichnung entnehme ich Stroh (1979) 129. Stroh (1979) 129. Vgl. auch Kennedy (2006) 54 f., der davon spricht, dass der Rezipient jeweils ein „role-player“ (S. 54) sein müsse. Die simulatio ist dabei nicht auf die genannten Textstellen beschränkt, in denen Begriffe zur Täuschung auch lexikalisch vorkommen. In ars 1, 659–662 etwa wird der Schüler darin instruiert, Tränen zu simulieren (vgl. etwa Kennedy [2006] 65 f.).
4.1 Ovids parodistische Inversion von Lukrez’ philosophischem Lehrgedicht
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(simulatio) unvermeidlich.262 Die Simulation des Affektes könne jedoch auf den Redner rückwirken und die vorgegebene in eine authentische Haltung transformieren.263 So auch beim Liebenden, dessen Begierde bereits entfacht ist:264 In einem amor simulatus steckt das Potenzial, nicht nur wahre Liebe beim Mädchen, sondern auch im werbenden Mann selbst zu erwecken. Durch die Adaption der in der Redekunst bewährten simulatio für die Ars und die simulatio sanitatis als „Technik einer zum guten Teil rhetorischen Selbsttherapie“ werde Stroh zufolge „der Affekt der Liebe endgültig verfügbar“265. Mein Interesse liegt jedoch weniger auf den rhetorischen Strukturen und Elementen in Ovids liebesdidaktischer Tetralogie, sondern vielmehr auf einem anderen Bereich, auf den das Wort simulare verweisen kann. Dieser betrifft nicht die Rhetorik, sondern die epikureische Erkenntnistheorie und die Rolle, welche den simulacra darin zukommt. Wenn man den quantitativen Gebrauch des Verbs in den Remedia betrachtet, fällt auf, dass Ovid es ausschließlich und kumulativ dreimal im Zuge des praeceptum zur Vorspiegelung der eigenen Genesung verwendet (vgl. rem. 493–515). Das Wortfeld des Täuschens wird dabei durch die im Hinblick auf ihre Semantik grundsätzlich vergleichbaren Verben fallere (vgl. V. 513), decipere (vgl. V. 501), imitari (vgl. V. 497) und fingere (vgl. V. 504), welche dem Leser ebenfalls bereits aus der Ars amatoria bekannt sind,266 ausgebreitet. Wie Einträge im ThLL und dem OLD 267 zeigen, nähern sich diese Wörter der Bedeutung von simulare („[t]o act the part of, pretend to be“268)
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Vgl. für Zitate und Erläuterungen Stroh (1979) 124, auch zum Zitat der Textstelle. Dass die „Schauspielerhaltung des Redners“ (Stroh [1979] 124) diesen Rückkopplungs‐ effekt haben könne, führt, wie Stroh bemerkt (vgl. S. 124 f.), auch Cicero aus: magna uis est earum sententiarum atque eorum locorum, quos agas tractesque dicendo, nihil ut opus sit simulatione et fallaciis; ipsa enim natura orationis eius, quae suscipitur ad aliorum animos permouendos, oratorem ipsum magis etiam quam quemquam eorum qui audiunt permouet (Cic. de orat. 2, 191; zitiert in Stroh [1979] 125). Indem Ovid hier von einer bereits vorhandenen Begierde (fac tantum cupias, sponte disertus eris, ars 1, 610) ausgeht, „kann Ovid zwei rhetorische Lehren kombinieren“, nämlich dass zum einen der Affekt in einer „Vorstufe“ bereits existieren müsse, damit er beim Zuhörer hervorgerufen werden könne (vgl. pectus est enim, quod disertos facit, et uis mentis, Quint. inst. 10, 7, 15), und dass zum anderen eine Affektsimulation der Erregung voranzugehen habe; vgl. Stroh (1979) 125. Beide Zitate Stroh (1972) 85 und (1979) 132. Ich möchte hier lediglich exemplarische Belege ohne Anspruch auf Vollständigkeit anführen. Für fallere vgl. z. B. ars 1, 645, für decipere ars 3, 89, für imitari ars 1, 611, für fingere ars 2, 631. Für alle Lemmata, die im ThLL-Projekt noch nicht publiziert sind, beziehe ich mich auf das OLD, welches ich auch dann zitiere, wenn mir eine Erklärung als besonders treffend erscheint. OLD s. v. „simulo“ (4), 1948, wobei rem. 493 als Belegstelle hierfür genannt wird.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
an: Für die Semantik von imitari in rem. 497 lautet die Paraphrase: „c[um] notione i n a n i t a t i s vel fallaciae, fere i.q. simulare, falso ostentare sim[iliter]“269, wobei simula explizit als Synonym für die Imperativform imitare ausgewiesen ist. Fingere steht an dieser Stelle in den Remedia (V. 504) laut OLD für „to make a pretence of (doing or feeling something), feign, simulate […] [,] to play the part of, pose as, imitate“270. Das breite Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten für die Selbsttäuschung, welches Ovid in seinem liebesdidaktischen Opus auch vielfach gebraucht, lässt die Häufung und Dominanz von simulare in diesem praeceptum der Remedia auffällig erscheinen, in dem die Lehrer-Persona fordert, dass man sich in seinem Verstand so lange der illusorischen Vorstellung der eigenen Genesung hingeben müsse, bis die Simulation zur Realität würde. Ovid preist die Selbsttäuschung dabei mithilfe des lexikalischen Wortmaterials, das etymologisch zwar mit simulacrum, einem zentralen Begriff seines Vorgängers, verwandt ist,271 dem lukrezischen Rationalismus aber diametral entgegensteht; das Mittel zum – beiden Werken gemeinsamen – Ziel der Befreiung von Liebe und Liebeswahn bildet also einen Kontrast zum philosophischen Lehrgedicht. Auch wenn die Brüche mit der Vorlage bereits innerhalb der lukrezischen ‚Heilmethoden-Klammer‘ spürbar sind, wird der Kontrast nie so klar ersichtlich wie in dem praeceptum in V. 489– 522,272 in dem Ovid die Aufforderung zur Täuschung derart deutlich expliziert. Doch wie lässt sich dieser Befund interpretieren? Welches Verhältnis von Ovid zu Lukrez kann hieraus erschlossen werden? In den vergangenen Jahr‐ zehnten wurde des Öfteren der Begriff des (literarischen) Spiels273 herangezogen. 269 270
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ThLL s. v. „imitor“ (I, A, 2., a), vgl. Prinz (1934–1964) Sp. 434, Z. 46 f. OLD s. v. „fingo“ (9, b und c), 771. Ähnliches lässt sich auch zu den Verben fallere und decipere festhalten. Zu fallere: rem. 513 ist im ThLL unter I: i.q. decipere […] fraudare […], A, 2, b: sese ipsum, a: se -ere reflexive angeführt, vgl. Hofmann (1912–1926) Sp. 183, Z. 76 f. Für decipere sind als Synonyme u. a. fallere, frustrari, simulare, imitari angegeben, vgl. Simbeck (1909–1934) Sp. 178, Z. 79 f. Die Verwendung in rem. 501 (wie auch rem. 41 und 212) wird unter Rückgriff auf fallere erklärt (unter 1: i.q. fallere, circumvenire, frustrari, circumscribere, b: c. obi., a: personae), vgl. Sp. 175, Z. 50 und Sp. 176, Z. 33. Im ThLL findet sich kein expliziter Bezug auf die genannte Remedia-Stelle (Vollmer [1912–1926] s. v. „fingo“). So ist simulacrum auf das Verb simulare und das Suffix -crum zurückzuführen, vgl. OLD s. v. „simulacrum“, 1947. An diesem Punkt möchte ich auf die tabellarische Übersicht zurückverweisen, bei der die auf die Klammer folgenden Doppelstriche als ‚Wand‘ das Ende der Bezugnahme und der Adaption von Lukrez repräsentieren (siehe Abbildung 5). Mit dem Terminus ‚Spiel‘ ist hier auch nicht die gesamte Bandbreite seiner kulturphi‐ losophischen Bedeutung aufgerollt, wie sie bei Huizinga (1987; zuerst 1938 erschienen), der als ‚Pionier‘ den kulturstiftenden Beitrag des Spiels beschreibt, und anderen Wissenschaftlern der Spieltheorie ausgeprägt ist. In den Beiträgen klassischer Philo‐
4.1 Ovids parodistische Inversion von Lukrez’ philosophischem Lehrgedicht
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Joachim Latacz etwa interpretierte Ovids Umgang mit der epischen Tradition in den Metamorphosen auf diese Weise,274 und auch bei Niklas Holzberg275, Bernd Effe276 und Marion Steudel277 findet sich diese Ansicht im Hinblick auf die Lehrgedichtstradition. Diese Sicht ist für das Verständnis von Ovids Texten durchaus wichtig. Denn im Wesentlichen kann man dem tenerorum lusor amorum – so Ovids Selbstaussage in trist. 4, 10, 1 (vgl. auch die Grabinschrift trist. 3, 3, 73) – diese Haltung durchaus zusprechen: Ovid spielt mit literarischen Traditionen und verarbeitet sie u. a. zur besonderen Form der Remedia amoris. Doch ist das „literarische Spiel“ kein wissenschaftlich geeigneter Terminus, mit dem man die literarischen Besonderheiten von Ovids Texten präzise beschreiben könnte. Darüber hinaus kann man die zentralen Effekte, die sich aus der Re‐ organisation existierenden Sprachmaterials und Gattungstraditionen ergeben, hinreichend mit den Begriffen Intertextualität und Parodie beschreiben; denn der Humoraspekt, der für die Spiel-Überlegungen bedeutsam war, ist in diese Überlegungen untrennbar miteingeschlossen. Ich verbanne das Wort ‚Spiel‘ dabei aber nicht gänzlich aus meiner Abhandlung, da ich es nicht als ‚falsch‘ empfinde und es m. E. den Denkrahmen für die Gesamtinterpretation des ovidischen Œuvres richtig umspannt. Bei der textanalytischen Arbeit verzichte
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277
logen geht es um den spielerisch freien Umgang Ovids mit literarischen Vorlagen und Konzepten, Gattungen etc. Wie schwierig es aber ist, den Begriff des Spiels in diesem Sinne zu beschreiben, demonstriert Latacz (1994) 576–579, der auch auf Huizinga, welcher das Dichten der „Spielsphäre“ zuordnet und in der „Poiesis […] eine Spielfunktion“ sieht (S. 133), Bezug nimmt: „Es ist eine Handlung, die innerhalb gewisser Grenzen von Zeit, Raum und Sinn verläuft, in einer sichtbaren Ordnung, nach freiwillig angenommenen Regeln, außerhalb der Sphäre materieller Nützlichkeit oder Notwendigkeit. Die Stimmung des Spiels ist Entrücktheit und Begeisterung“ (Huizinga [1987] 146). Latacz folgert somit, dass „Oberflächlichkeit und Unernst“ (S. 578), wie oft mit Spiel assoziiert, in keiner Weise als Synonyme für den Begriff zu betrachten seien. Zum Begriff ‚Spiel‘ sei auch auf Myerowitz (1985), u. a. 175–178, verwiesen, die herausstellt, wie sowohl der Liebhaber als auch der Dichter ein Spiel nach bestimmten Regeln der Kultur und der Kunst spielen. Latacz’ (1994) Beitrag ist ein Nachdruck aus dem Jahr 1979 (in: Neukam, Peter [Hg.]: Verpflichtung der Antike [Dialog Schule-Wissenschaft XII], München, 5–49). Vgl. u. a. Holzberg (2005) 116, der von einer „spielerische[n] Abwandlung des [elegi‐ schen] Systems“ und dem „neuen literarischen Spiel“ des praeceptor in den Remedia amoris spricht. In seiner Behandlung von Ars und Remedia im Kapitel „Sonderformen – Spielerischparodistische Formen der Lehrdichtung“ (S. 234–248) hebt Effe (1977) stets Ovids Spiel mit der literarischen Tradition hervor und folgert ganz richtig, wie sich durch die Vermischung von elegischen und didaktischen Elementen „parodistische Züge“ (S. 248) einstellen. Vgl. Steudels (1992) 72 Resümee, u. a.: „Ovids Dichtung will immer auch als ein Spiel mit Vorlagen verstanden werden.“
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
ich jedoch weitestgehend darauf und beschränke mich vor allem auf die genannten wissenschaftlichen Termini und verwende auch den neutraleren Begriff ‚Referentialität‘. Deutliche intertextuelle Bezüge und Witz, der sich aus parodistisch verarbeiteten Lukrezpassagen speist, sind also die Ergebnisse, die man beim Deutungsversuch, wie Ovids Remedia mit De rerum natura und der Gattung des Lehrgedichts im Allgemeinen umgehen, erhält. Damit wende ich mich – in entgegengesetzter ‚Stoßrichtung‘ – auch gegen Interpretationsansätze in diesem Feld, die eine ernst gemeinte Opposition zu Lukrez vermuten.278
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So z. B. Shulman (1981): „Taken together, these poems amount to not only an assault on the atomic realism of the De rerum natura, but on that entire philosophical attitude to eros“ (S. 246). Shulman steht trotz seiner feinsinnigen Analyse noch immer in der Tradition einer allzu ‚ernsten‘ klassischen Philologie, die beispielsweise in Catull „serious personal love poetry“ (ebd.) sieht. Dennoch möchte ich seine Beobachtung hervorheben, dass Ovid in seinen liebesdidaktischen Werken auf den von Lukrez vertretenen, anti-elegischen Realismus reagiere, indem er zwar dessen „scientific spirit“ aufgreife, dies aber auf satirische Weise tue. Seine These, die darin besteht, dass die gesamte nach-lukrezische elegische Tradition als Reaktion auf dessen Realismus hin zu lesen sei, halte ich aber für etwas übertrieben.
4.2 Parodie und Intertextualität: Die Remedia amoris und die didaktische Poesie
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4.2 Parodie und Intertextualität: Die Remedia amoris und die didaktische Poesie 4.2.1 Ovidische Erneuerungen in einer innovationsfreudigen Gattung Akzeptiert man die in Kapitel 3 festgehaltenen Definitionen, lassen sich die Remedia als Parodie der epikureischen Diatribe gegen den Liebeswahn interpre‐ tieren – denn dass Ovid in einem zentralen praeceptum mit lukrezischem Vo‐ kabular dessen erkenntnistheoretische Grundlagen ‚aus den Angeln hebt‘ und aus der philosophischen Verurteilung der Liebe ein Handbuch zum ‚Entlieben‘ macht, bezeugt eine tiefsinnige Form von Humor. Doch die parodistischen Momente,279 die sich aus dem Umgang mit Lukrez ergeben, sollten nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr müssen sie erweitert auch in Verbindung mit der mehrdimensionalen und zeitgleichen Referenz auf andere Intertexte gesehen werden. Das Ziel der Remedia ist, in summarischer Zusammenschau, eben nicht nur die Parodie einzelner Werke oder Aspekte, sondern allgemein gesprochen die „geistreiche Unterhaltung“ des Leserpublikums.280 Ovid be- und verarbeitet auf analoge Weise z. B. die Georgica, einen neben Lukrez’ Werk ebenso zentralen Prätext für Ovids liebesdidaktische Tetralogie – und zwar hinsichtlich der Marko- und Mikrostruktur, Inhalt und Sprache.281 Strukturell fällt nicht nur auf, dass beide Werke eine vier Bücher umfassende Gesamtkomposition aufweisen.282 Die Remedia spiegeln im Aufbau der praecepta
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Diese Haltung findet sich auch schon bei Effe (1977) u. a. 239. Siehe auch oben Anm. 276. Vgl. Effe (1977) 242, auch für das Zitat, und Steudel (1992) 72. Kenney (1958) betont, dass die Ars und die Remedia nicht als Parodie geschrieben wurden, sondern dass diese Werke von parodistischen Momenten durchsetzt seien (vgl. S. 209), eine Sicht, der durchaus zuzustimmen ist. Kenney prägt zudem den Begriff der „Selbstparodie“ für die Ars wegen ihres eigenen Anspruches, ein Lehrgedicht in Nachfolge der kanonischen Autoren Lukrez und Vergil zu sein (vgl. S. 204). Schon die vor allem in der Ars amatoria und auch in den Fasti zu findenden exempla zum Thema Ackerbau wurden parodistisch interpretiert – denn diese „appear to trivialize and dehumanize both their subjects and their objects“, was mit der negativen Sicht auf rusticitas in der Liebeskunst mit ihrem urbanen Setting übereinstimme und die neue Perspektive auf das Landleben in den Remedia (eben wenn man die Welt der Ars amatoria noch gegenwärtig habe) doch „breathtaking“ mache (Zitate und Ausführungen Boyd [2018] 90 mit Verweis auf frühere Ergebnisse Leachs und Fanthams in Anm. 6). P. Watson (2002) 164 dagegen betont stärker, dass die Inversion der Sicht auf otium eine „logical consequence of the presentation in the Ars of amor as an exclusively urban activity“ sei und diese so den Tonfall der Remedia exemplarisch widerspiegle. Vgl. dazu etwa auch Toohey (1996) 170: „The implicit comparison [Anm.: with the Georgics] cannot have gone unnoticed by Ovid’s opponents.“
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zu landwirtschaftlicher Betätigung allein schon in nuce die Georgica-Struktur wider, wie Boyd beobachtet hat: Beginnend mit dem Georgica-Stichwort rura (V. 169)283 reiht Ovid Tätigkeitsempfehlungen zu den Themen Ackerbau, Obst‐ bäume, Tierzucht (Schafe und Rinder) und Bienen aneinander (vgl. V. 169–186). Dies entspricht der Abfolge der vier Georgica-Bücher, weshalb Boyd auch von Ovids „Little Georgics“ an dieser Stelle spricht.284 Wie Erich Woytek (2000) zeigt, ruft Ovid durch die für ihn typische poetische Technik der verändernden Adaption literarischer Vorgänger das landwirtschaft‐ liche Lehrgedicht mehrfach auch inhaltlich und lexikalisch in den Remedia auf:285 Der programmatische Rechtfertigungsexkurs (rem. 361–396) mit dem Ziel der Abwehr von Neidern in Ovids Werk stehe – auch wenn Vergil als epischer und nicht didaktischer Dichter hervorgehoben wird –286 so in enger Verbindung mit dem ebenfalls in der Mitte des Werkes platzierten Proöms zum dritten
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Dabei handelt es sich zudem um ein „segnale di genere“ für die Lehrdichtung (Pinotti [1993] 147 ad 169–70). Boyd (2018) 95. Vgl. Boyd (2018) 94 f. zu den thematischen Gemeinsamkeiten und zu allgemeinen generischen Parallelen Pinotti (1993) 146 ad 169–212 und auch Geisler (1969) 229–235 ad 199–212. Die Kommentatoren belegen die Vielzahl der Parallelen zu Vergil, zu Horaz’ zweiter Epode und anderen Intertexten; ein Hinweis darauf, dass sich der Aufbau, zumindest bis zu V. 186, auch an Vergils Lehrgedicht orientiert, findet sich jedoch überraschenderweise nicht. Die Explizierung dieser „deklarierten Vergilaemulatio“ (vgl. Woytek [2000] 192) zeige sich in rem. 395 f., wenn sich Ovid zum Vergil der elegischen Gattung erhebt. Zur Bezugnahme auf Vergil in der Ars amatoria vgl. u. a. Steudel (1992) 76–124 und Döpp (1968) 95–103; in den Remedia vgl. neben Woytek besonders P. Watson (2002) und Boyd (2018). Während in der Sphragis der Amores alle drei Werke Vergils in ihrer Sukzession angeführt werden (Tityrus et fruges Aeneiaque arma legentur, / Roma triumphati dum caput orbis erit, am. 1, 15, 25 f.), preist Ovid in den Remedia den epischen Vergil (tantum se nobis elegi debere fatentur, / quantum Vergilio nobile debet epos, V. 395 f.), was zunächst der Anspielung auf das Lehrgedicht zu widersprechen scheint. Möglicherweise passt dies aber insofern zu einer intertextuellen Bezugnahme auf die Georgica-Passage, als in ihr vom Bau eines Marmortempels für Oktavian und damit metaphorisch vom Verfassen eines Epos mit diesem als zentraler Figur die Rede ist (vgl. georg. 3, 16, was sich in Vergils Epos Aen. 6, 855 ff. und 8, 761 ff. letztlich auch erfüllen werde, vgl. Richter [1957] 263 und 261–264 zum Prooemium und der Ausdeutung der Tempelweihe, den historischen Implikationen und der Haltung Vergils; vgl. auch Woytek [2000] 208). Diese im Lehrgedicht angekündigte Hinwendung zum Epos könnte auch von Ovid wahrgenommen worden sein, womit die lexikalisch-strukturelle Referenz auf Vergils didaktisches Werk bei gleichzeitiger Herausstellung der epischen Leistungen als ovidisches Kombinationsverfahren betrachtet werden könnte. Vgl. auch Morgans (2010) 21 f. Beobachtung, dass Ovid im Hexametervers dieses Distichons seine eigene elegische Dichtung beschreibe, während er dem Epiker Vergil den unheroischen Pentameter zuteile, vgl. den Hinweis in Boyd (2016) 119.
4.2 Parodie und Intertextualität: Die Remedia amoris und die didaktische Poesie
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Buch der Georgica (vgl. georg. 3, 1–48,287 wobei auch die Sphragis der Amores in 1, 15 in die apologetische Passage integriert werde).288 Die Sexvorschriften in den Remedia (vgl. rem. 357 f. und 397–418) würden ebenfalls besonders auf die an die genannte Georgica-Stelle anschließende Passage zur Rinder- und Pferdezucht (vgl. georg. 3, 49–241, v. a. 123–137) zurückblicken.289 Ovid jedoch transformiert, so Woytek, die im dritten Georgica-Buch enthaltenen Motive und Aussagen Vergils und verkehrt sie komisch ins Gegenteil: So hebt er im Literaturexkurs beispielsweise seine eigene dichterische Leistung immer stärker hervor, während sich Vergil im Binnen-Proöm der Georgica zurücknimmt und nur noch Oktavians Ruhm fokussiert; oder er ruft statt der zeitlichen Denotation von en age […] / rumpe moras (georg. 3, 42 f.) die Ursprungsbedeutung des Verbums, „zerplatzen“, hervor (rumpere, Liuor edax, rem. 389), wenn er seine Kritiker adressiert.290 Das ovidische „Spie[l] mit vorgegebenem Sprachmaterial“ Vergils und die folgende ‚Herabsetzung‘ des Originals offenbart sich, wie Woytek ausführt, dem Leser auch, wenn die Zuchtvorschriften als literarisches Vorbild für das praeceptum zum menschlichen Sexualverhalten verwendet, in
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Vgl. Woyteks (2000) Beobachtung, dass nicht nur beide Passagen in der Mitte ihrer Werke stehen, sondern dass Ovid zusätzlich mit Vergils Aussage in medio mihi Caesar erit templumque tenebit (georg. 3, 16) spielt, indem er diese wörtlich nimmt. Woytek argumentiert, auch unter Rückgriff auf parallele Argumentationen im zweiten Tristi‐ enbuch (vgl. S. 204 f.), dass Ovid Augustus zum im Literaturexkurs indirekt angespro‐ chenen Kritiker seiner Erotodidaxis macht – und in diesem Fall stünde Augustus dann tatsächlich in der Mitte der Remedia (vgl. S. 207–209). Ich folge in der Interpretation der namenlosen Kritiker im Literaturexkurs aber Holzberg (2006b), der darin ein Beispiel für den „staged reader response“ bei Ovid sieht. Es gehe nicht so sehr um die Bloßstellung einzelner fehlgeleiteter Kritiker als vielmehr um eine „marketing strategy“ (S. 48) für sein Werk. Die Funktion des Exkurses liege darin, die elegische Gattung in Abgrenzung zu anderen Genres zu definieren, Ovids Selbststilisierung als Vollender der Elegie zu präsentieren und weitere Gedichte anzukündigen (vgl. S. 49). Zu den Ähnlichkeiten mit am. 1, 15 würden etwa die Wiederholung der Junktur Liuor edax, das Prinzip der ringkompositorischen Rahmung und die intertextuelle Bezugnahme auf Passagen literarischer Vorgänger (Horaz und Properz in am. 1, 15, Vergil in den Remedia) zählen, vgl. Woytek (2000) 188 f., 205 f. und 206 mit Anm. 105. Vgl. Woytek (2000) 209. Vgl. Woytek (2000) 193–196. Dass man hier trotz einer gewissen phraseologischen ‚Ab‐ genutztheit‘ der Wendungen mit rumpere von einer wahrscheinlichen intertextuellen Bezugnahme sprechen kann, scheint mir durch Woytek schlüssig begründet: Denn sowohl rumpe als auch der mediale (und morphologisch unikale) Imperativ rumpere stünden jeweils am Versanfang. Zudem wird bei Ovid zwei Verse später, in V. 391, gesagt: sed nimium properas – was man als eine „Reaktion und gleichsam Antwort Ovids auf die Vergilvorlage ganz leicht erklär[en]“ (Woytek [2000] 197) könne, da der „ursprüngliche Kontext per negationem evoziert werden“ (ebd.) soll. Für eine genaue Auflistung aller Parallelen zwischen beiden Stellen vgl. Woytek (2000) 191–199.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
ihrer Aussage umgekehrt und in einen ‚anstößigen‘ Kontext gebracht werden.291 Die sorgfältige Auswahl der Zuchttiere (vgl. georg. 3, 49–71 und 72–122) und die Geschlechtertrennung zur Wahrung ihrer (sexuellen) Kräfte (vgl. georg. 3, 209–241) dürften etwa mit Ovids Vorschriften, mit jeder beliebigen Hetäre Sex zu haben und am besten mit zweien hintereinander zu verkehren, damit man sich von unglücklicher Liebe löst (vgl. rem. 401–404), kontrastiert werden;292 und auf die Hinweise zum Mästen der männlichen, nicht aber weiblichen, Tiere (vgl. V. 123–137) würde in den Remedia lexikalisch referiert.293 Dass Ovid nun das Verb inire, das eigentlich das tierische ‚Rammeln‘ bzw. Eindringen bezeichnet,294 für den menschlichen Koitus verwendet, könnte zudem – „generell“ und ohne kon‐ krete Parallelstelle – augenzwinkernd auf den „animalischen Vorlagekontext“295 bei Vergil zurückverweisen. Ich möchte noch eine eigene Beobachtung zu diesen Sex-praecepta bei Ovid anführen: M. E. sind sie ein Beispiel für die mehrdimensionale Intertextualität, 291
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Woytek (2000) 197, vgl. auch S. 212 f. Woytek bedient sich also ebenfalls des SpielBegriffs. Dazu passt auch, dass Ovid in trist. 2, 533 ff. bei der Rechtfertigung Augustus gegenüber explizit auf sexuelle Stellen bei Vergil Bezug nimmt (vgl. S. 213). Vgl. auch J. Miller (1997) 386: „Ovid teasingly suggests an erotic elegiac reading of acknowledged classics of Roman epic.“ Vgl. Woytek (2000) 209 f., 212. Vgl. Woytek (2000) 210–212. Zu den Parallelen, die Woytek anführt, gehört zunächst die zweimalig zitierende Wiederaufnahme des Georgica-Verses atque, ubi concubitus primos iam nota uoluptas (georg. 3, 130) durch Ovid: ergo, ubi concubitus et opus iuuenale petetur (rem. 399); quamlibet inuenias, in qua tua prima uoluptas (rem. 403). Ebenso verweist Woytek auf eine „noch höhere Rezeptionsebene“ durch weitere „lexikalisch[e] Entsprechungen“ (S. 211) zwischen dem Distichon rem. 405 f. und georg. 3, 131 ff. (vgl. Woytek [2000] 209–212). Der besondere Witz besteht darin, dass die strengen Zuchtvorschriften in Ovids Distichon – dessen Echtheit eben auch wegen der Entsprechung mit Vergil nicht anzuzweifeln sei (vgl. S. 211, mit Verweis auf Lucke [1982] 78 f. ad 405 f. gegen Bornecque und Henderson) – in einem völlig anderen Kontext aufgerufen werden. Denn ihm geht es ja darum, vor den Folgen einer sustentata Venus zu warnen, da sie Liebesleidenschaft nur steigern könne. Vgl. Woytek (2000) 212 mit Verweise auf den ThLL, Henderson (1979) 92 f. ad 402 und Lucke (1982) 77 ad 402. Henderson führt die ebenso richtige und meine Beobachtung notwendig ergänzende Interpretation an, dass Ovid dadurch dem Schüler ein rein körperlich-sexuelles praeceptum, das nichts mit emotionaler Liebe zu tun hat, darbietet; vgl. entsprechend den Eintrag im ThLL s. v. „ineo“ (II 3: feminas generandi causa, i.q. salire b: per translationem: a: de hominibus (saepe cum quodam colore quasi cynico) von Rehm (1934–1964) Sp. 1296, Z. 54–57 mit Belegstelle zu rem. 402; dass es eigentlich im tierischen Kontext verwendet wird, belegt der ThLL ebenfalls, vgl.: 3.a proprie de bestiis, Sp. 1296, Z. 36–53. Vgl. auch Adams (1982) 190 zur Verwendung von ineo „of entry by men […] and even women (tribades?)“, wobei der „predominant use“ bei männlichen Tieren zu verzeichnen sei (vgl. ebd. und S. 206). Woytek (2000) 212.
4.2 Parodie und Intertextualität: Die Remedia amoris und die didaktische Poesie
89
mit der Ovid verschiedene Lehrgedichte gleichzeitig hervorruft, um etwas Neues daraus zu bilden. Denn nicht nur die Georgica, sondern auch Lukrez’ Diatribe gegen die Liebesleidenschaft296 und Ovids eigene Ars stehen zugleich Modell für die Vorschrift, dass der Schüler durch ein bestimmtes Sexualverhalten den Prozess der Loslösung von der Liebe voranbringen könne. Während die bereits häufiger angeführte Passage aus den lukrezischen ‚Miniatur-Remedia‘297 als positives Vor‐ bild für den Heilmittellehrgang einfließt, vgl. et iacere umorem collectum in corpora quaeque (Lucr. 4, 1065) und uulgiuagaque uagus Venere ante recentia cures (Lucr. 4, 1071 f.), werden die genannten Georgica- wie auch entsprechende Ars-Stellen in Form der kontrastierenden (Selbst-)Imitation negativ evoziert:298 Denn im Anschluss an rem. 404 bringt der Liebestherapeut die Vorschläge, für das Mädchen möglichst unvorteilhafte Sexstellungen zu wählen (vgl. rem. 407–410). Und diese entsprechen wiederum den gegenteiligen Tipps des Liebeslehrers in der Ars, wenn er im dritten Buch jedem weiblichen Körper die ideale Position im Geschlechtsakt zuweist (vgl. ars 3, 769–772).299 Die intertextuelle Verbindung der Remedia mit diesen zwei Intertexten und der Ars als Intratext kann man, wie eingangs angeführt,300 durch das Modell der Intertextualitätspyramide veranschaulichen – Lukrez, Vergil und Ovids Ars, die Eckpunkte, bilden mit den Remedia als Spitze drei Dreiecke, die sich insofern zu einem Vier- bzw. Fünfeck verbinden lassen, als sie
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Das Finale zum vierten Buch des Lukrez sei, so Richter (1957) 290 f., neben Aristoteles’ Historia animalium 6, 17, ebenso ein Vorbild für die Passage georg. 3, 242 ff., vgl. Richter (1957) 290 f., weswegen bei Anklängen an die Georgica-Passage das epikureische Lehrgedicht bereits prinzipiell aufgerufen werde (Richter subsumiert V. 242–285, wie auch V. 242–285, unter den Abschnitt V. 209–285 „Tierische Liebe“, S. 287). Doch wie oben angeführt, ist die Bezugnahme auf Lukrez bei Ovid zusätzlich ‚aktiv‘ und nicht nur sekundär über den Einfluss Vergils spürbar. Vgl. Shulman (1981) 244. Zur Technik der ovidischen Selbstimitationen vgl. Woytek (2000) 198 Anm. 80. Vgl. auch Frings (2005), die, von Richard Thomas’ Klassifizierungen ausgehend, nach einer typologischen Übersicht über Formen der Anspielung die verschiedenen „Selbstzitate“ Ovids untersucht. So unterscheidet sie „Anspielung[en] auf eine einzelne Stelle“, dann als „Variante […] die korrigierende Anspielung oder oppositio in imitando“ (S. 27) und bei „kombinierten Anspielungen“ das Aufrufen von „zwei oder mehr eigene[n] Texte[n]“, von einem eigenen und fremden Text gleichzeitig oder das mehrfache Zitieren des Textes eines anderen Schriftstellers (vgl. S. 28). Für diesen intratextuellen Bezug vgl. auch Frings (2005) 139 f. Vgl. für die exemplarische Illustration der jeweils empfohlenen Stellungen ars 3, 773–788. Siehe oben die Ausführungen in Kapitel 3.3.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
von den Heilmitteln als gemeinsamem interpretatorischen Mittelpunkt ausgehen (siehe Abbildungen 3 und 4).301 Um jedoch wieder auf den Umgang mit den Georgica zurückzukommen: Ovid „führte […] den Anfang des dritten Georgicabuches in continuo in Form einer Kontrastimitation vor, die seine Anhänger […] leicht erkennen und amüsiert zu würdigen wissen würden.“302 Mit dieser Schlussfolgerung richtet Woytek in seiner Interpretation den Blick also auf die intertextuelle Bezugnahme, wobei er die Wahrnehmbarkeit durch das Leserpublikum betont (in dieser Hinsicht entspricht seine Perspektive auch Pfisters Kommunikativitätsaspekt bei intertextuellen Untersuchungen)303. Wenn man die bisherigen Erkenntnisse im Blick hat, zeigt sich, dass Ovid auf ähnliche Weise mit beiden paradigmatischen Lehrgedichten seiner Zeit umgeht. Er evoziert bewusst einzelne Passagen durch inhaltliches und/oder wörtliches Anzitieren, durch mehr oder minder stark markierte Parodie von Struktur bzw. Wortmaterial, um dazu einen komisch, je nach Perspektive vielleicht auch sub‐ versiv, wirkenden Gegensatz in seinem eigenen ‚anti-eroto-didaktischen‘ Werk aufzubauen.304 Hieraus lässt sich Ovids genereller Umgang mit der didaktischen Poesie induzieren, den ich im Folgenden noch weiter belege: Ovid imitiert und parodiert in seinen Remedia amoris nicht nur Lukrez, sondern allgemein Prätexte, welche die didaktische Poesie repräsentieren, wie eben auch Vergil, und die Gattung selbst. Diesem Ansatz begegnet man auch bei Horaz, dessen Einfluss auf die Remedia in den Kapiteln 4.3.1.1–4.3.1.3 im Zentrum steht.305 Die vierte Satire seines zweiten Buches stellt nämlich ebenfalls eine Lehrge‐ dichtsparodie im Allgemeinen und eine Lukrez- und Epikureismus-Parodie im 301 302
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In der unten abgebildeten Graphik ist diese Beziehung zu einem ‚Fünfeck‘ erweitert. Der Eckpunkt, der De rerum natura symbolisiert, ist dabei gespiegelt, damit auch die hier nicht primär betrachtete Beziehung der Ars amatoria auf Lukrez dargestellt werden kann. Woytek (2000) 213. Schon Kenney (1958) spricht metaphorisch und emphatisch aus Sicht der Gegner, wenn er Ovid als „the Devil quoting scripture“ (S. 209) bezeichnet. Er fokussiert in seiner Analyse den Umgang mit Vergils Georgica, bleibt aber insofern nicht wertneutral, als er von Sprachbeobachtungen ins Moralische abweicht und bei‐ spielsweise die Georgica als patriotisches und die Ars als unmoralisches und subversives Gedicht erachtet. Siehe oben S. 40 f. Vgl. auch J. Millers (1997) 385 Hinweis, dass die Referenzen auf Lukrez in der Ars amatoria und den Fasti einen „erhabenen Hintergrund für witzige Zwecke“ (übers. Zitat) hervorriefen. Vgl. Holzberg (2009c) 88 f. zur Parallele zwischen der Ars amatoria und Hor. sat. 2, 5, die darin bestehe, dass der Instruierende (der praeceptor amoris bzw. Teiresias als Lehrender im Bereich der Erbschleicherei) jeweils „den Schüler während des Kurses theoretisch die einzelnen Schritte bis zum Erreichen des Lernziels durchlaufen“ lasse. Holzberg rechnet die Ars, Hor. sat. 2, 4 und sat. 2, 5 zu den „komischen Abwandlungen des Lehrgedichts“.
4.2 Parodie und Intertextualität: Die Remedia amoris und die didaktische Poesie
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Speziellen dar, wenn Catius in pseudo-philosophischer Diktion letztlich nur Feinschmeckerratschläge aneinanderreiht.306 Neben der Einzeltextreferenz auf die paradigmatischen lateinischen Lehrge‐ dichte De rerum natura und Georgica ist also zugleich auch die Systemreferenz der Remedia auf die didaktische Poesie im Allgemeinen in den Blick zu nehmen, deren Vermischung mit dem elegischen Gattungsdiskurs die spezifisch hybride Natur der Remedia (und auch der Ars) ausmacht.307 Es gibt dabei gewisse Übereinstimmungen mit grundsätzlichen Tendenzen des Lehrgedicht-Genres. Denn wenngleich ein Lehrwerk zum Sich-Verlieben und auch zum ‚Entlieben‘ in Versen und nicht in Prosahandbüchern zur Erotik – einem Typus, der auch Gegenstand von Ovids intertextueller Referentialität ist –308 nicht nur etwas Komisches, sondern auch Innovatives darstellt, so war die didaktische Poesie, wie bekannt ist, doch schon immer offen für Experimentierfreudige. Volk (2002) beschreibt ihre Entwicklung sowie wesentliche Merkmale: So wurden besonders im Hellenismus spielerische, „obskure“ Themen behandelnde Lehrgedichte wie Nikanders Theriaka und Alexipharmaka zur Unterhaltung des gelehrten Leser‐ publikums teils als „l’art pour l’art“ präsentiert.309 In Archestratos’ Hedypatheia – in der Nachfolge als Hedyphagetica von Ennius bearbeitet – beispielsweise richtet, wie wir aus den erhaltenen 63 Fragmenten wissen, der Lehrer an die Schüler Moschus und Cleander die Anweisungen, wo man ausgezeichnetes
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Vgl. Holzberg (2009c) 87 f. und Muecke (1993) 166–168 ad sat. 2, 4. Die konkrete intertextuelle Bezugnahme auf Lukrez zeigt sich auch daran, dass etwa das Bild der inspirierenden Quelle bei Horaz übernommen wurde und dadurch die inadäquate Repräsentation epikureischer Doktrin auch eine lexikalische Basis erhalte (vgl. Muecke [1993] 177 ad 2, 4, 94–5). So erinnert non mediocris inest, fontis ut adire remotos / atque haurire queam uitae praecepta beatae (Hor. sat. 2, 4, 94 f.) an iuuat integros accedere fontis / atque haurire, iuuatque nouos decerpere flores (Lucr. 1, 927 f.). Da aufgrund dieser Gattungsinterferenzen die Persona nicht nur Lehrer und Sprecher, sondern zugleich auch noch Liebender ist, sei die Ars (was m. E. auch auf die Remedia ausgeweitet werden kann) etwas Einzigartiges in der didaktischen Dichtung (vgl. Volk [2002] 163 f., die Ähnliches in Hesiods Persona sieht, vgl. S. 164 Anm. 18). Vgl. weiterführend Parker (1992), auch zu den Unterschieden zwischen dem antiken und dem modernen Verständnis von Pornographie, zu Handbüchern über Sexstellungen und zum Sexualdiskurs, der trotz männlicher Logik die Zuschreibung zu weiblichen Autorinnen bedinge (vgl. S. 99). Vgl. S. 101 zu den didaktischen Grundtönen, die diese Handbücher wegen ihres τέχνη-Charakters aufwiesen, und S. 95–97 zum witzig-par‐ odistischen Verhältnis der Ars amatoria zu den Konventionen der literarischen Sex‐ handbücher (mit beispielhafter Betrachtung der Passage zu den Sexstellungen in ars 3, 769–788). Volk (2002) 55; sie spricht von „poetry whose topics were the obscurest of the obscure“; vgl. S. 54–56 und auch Effe (1977) 58.
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Essen finden könne und wie man es zubereiten müsse.310 Und auch über „fashio‐ nable pastimes“ wie Würfel- oder Ballspiel gab es zu Ovids Zeiten ausreichend Lehrwerke, wenn man, so Volk, seiner Aussage in Tristia 2 vertrauen könne.311 Dennoch ruft die Verbindung der formalen Strukturelemente des Lehrgedichts, das ursprünglich für ‚technischere‘ Themen entwickelt worden war, mit dem so „frivolen“ und nicht auf ein Fachpublikum ausgerichteten Lehr-Gegenstand der Liebe neuartige humorvolle Spannungen hervor.312 Ebenso sind Abweichungen vom Hexameter, obwohl er das seit Hesiod eta‐ blierte Standardmetrum für didaktische Poesie war,313 bereits vor Ovid belegt. In, wie Volk vermutet, Anpassung an das von ihnen jeweils behandelte Thema verwenden Porcius Licinius trochäische Septenare und Volcacius Sedigitus in De poetis jambische Senare, da sie beide über die Komödie schreiben.314 Wenn Ovid nun für die Remedia amoris in Nachfolge und Fortführung der Ars das elegische Distichon wählt, weil er die Wege zur Befreiung von unglücklicher elegischer Liebe mitteilen will, gliedere er sich also in die Reihe von Dichtern ein, die im Metrum die inhaltliche Dimension ihres Lehrgedichts widerspiegeln – wobei sich aber die Remedia mit ihrem ‚Wenn-Dann-Muster‘315 und der Organisation nach thematischen Blöcken wieder mehr als die Ars amatoria, die aufgrund der struk‐ turellen Chronologie der sich entwickelnden Liebesbeziehung einem Liebesroman gleicht, an die Grundstruktur eines didaktischen Lehrwerks anlehnen.316
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Vgl. Volk (2002) 53 f. und 58. Wegen des sehr speziellen Themas sei das Werk ein Vorläufer der hellenistischen Ausprägungen von didaktischer Poesie (vgl. S. 54). Vgl. Ov. trist. 2, 471–492. Vgl. Volk (2002) 157 f. (Zitat S. 157) und Holzberg (2005) 101 f. Vgl. Volk (2002) 187, die diese Beobachtung zunächst nur zur Natur der Ars amatoria, die ja kompositionell mit den Remedia amoris eine Einheit bildet, macht. So betont sie, dass die Ars ein reguläres Lehrgedicht sei und sich gleichzeitig über die eigene Gattung lustig mache. Vgl. Volk (2002) 59 und 44–60 zum „Development of Didactic Poetry“ von Hesiod (und der vorangegangenen Tradition der Weisheitsliteratur) bis zu Lukrez. Da uns nur wenige Fragmente dieser Autoren erhalten sind, sei es schwer, so Volk (2002) 59 f., die spezifisch didaktische Ausprägung ihrer Werke zu untersuchen. Vgl. Volk (2002) 185. Vgl. Holzberg (2011d) 99 und (2005) 102 zu Parallelen und Unterschieden zwischen der Ars und der Progression elegischer Liebesbeziehungen. Zur Ars als Liebesroman vgl. auch Sharrock (2006), welche die narrative Komponente der Ars vor allem in den mythologischen Exkursen („digressions“) gegeben sieht, die ihrerseits wiederum auf die Entwicklung des „main text“ (S. 31) Einfluss hätten: „Narrative interlude causes quasi-narrative development“ (S. 30). Vgl. Holzberg (2005) 102 zur Möglichkeit, die Remedia als „Liebesroman unter umgekehrten Vorzeichen“ (vgl. auch S. 28 f.) zu lesen. Als Muster für eine Grobstruktur, die derjenigen der Ars in umgekehrter Version entspricht, stimme ich dieser Beobachtung zu. Doch sollte der Aspekt des Liebesromans für die Remedia nicht überbetont werden. Vgl. hierzu auch Volk (2002) 182–186 zum Fehlen
4.2 Parodie und Intertextualität: Die Remedia amoris und die didaktische Poesie
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Neu und doppelt einzigartig an Ovids intertextuell-parodistischem, humor‐ vollem Umgang mit der didaktischen Tradition ist zudem, dass er in den Remedia von einem Schüler ausgeht, der bereits instruiert wurde, und zwar von Ovid selbst: Seine Werke sind also „antidotes to the ‘poisons’ that his erotic poems […] have previously spread.“317 Daran zeigt sich auch der Unterschied zu Nikanders Werken, in denen es um giftige Tiere und Pflanzen und die Heilmittel dagegen geht und die oft zu unreflektiert als Vorbild für Ovid angesehen werden.318 Denn der ovidische Lehrer ist durch die erfolgreiche Durchführung des Lehrgangs in Sachen Liebe selbst für die Ausgangslage der unglücklich Verliebten zuständig: „Through his teaching he provoked the very illness of his readers whom he now addresses as therapist and saviour.“319 Zudem ist dieses Lehrgedicht insofern etwas Besonderes, als der Schüler nichts Neues lernen, sondern vielmehr den erworbenen Lernstoff vergessen soll, dum bene de uacuo pectore cedat amor (rem. 752).320 4.2.2 Die Funktionalisierung didaktischer Standards für die Remedia amoris Ovids produktive Verarbeitung der Lehrgedichtstradition geht, wie ich denke, noch weiter und zielt über die Erweiterungen formaler Konventionen321 und
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mimetischer Simultaneität in den Remedia (anders als Ars 1 und 2). Insofern muss man auf den unterschiedlichen Grundcharakter der Instruktionen in Ars und Remedia verweisen. Rosati (2006) 148 und 163 zur Folgerung, dass die Remedia ein „de-didactic text“ seien, da für das Verlernen einer Kunst (hier des Liebens) ein didaktischer Intertext notwendigerweise aufgerufen werden müsse. Vgl. zur Bedeutung Nikanders Pinotti (1993) 15, Henderson (1979) xiv und Rosati (2006) 148 und Woytek (2000) 183, der auch darauf verweist, dass dessen Heteroioumena mit Sicherheit Vorbild für Ovids Metamorphosen gewesen seien (vgl. S. 183 Anm. 11). Rosati (2006) 148, der weniger in Nikander als in der Tradition der magischen Texte ein Vorbild für die Remedia sieht, da dort eine „intervention à rebours“ (ebd.) möglich sei, vgl. S. 148 f. Für das Verhältnis zu Nikanders Werken und deren medizinischen, aber nicht auf realistische Anwendbarkeit ausgerichteten, Handbuchcharakter vgl. auch Davisson (1996) 257 Anm. 51. Vgl. Hardie (2006) 168 und Rosati (2006) 148. Dazu gehört nicht nur die Explizierung eines Lehrinhaltes, die Adressierung eines Schülers durch den Lehrer oder die Betonung der Nützlichkeitstopik (vgl. z. B. utile propositum est, rem. 53), sondern auch die Adaption der Strategie in didaktischer Poesie, mythologische Exkurse und Beispiele zur „Stützung der Argumentation“ zu verwenden (Effe [1977] 247), welche aber eigentlich nur „die Lehre im Mythos […] spiegeln“ (S. 248) – wobei auch hier eine humorvoll-parodistische Abwandlung zu verzeichnen ist, wenn man bedenkt, dass beispielsweise die Atriden an mehreren Stellen hinsichtlich ihrer elegischen und nicht ihrer epischen Dimension betrachtet werden (vgl. rem. 65 f., 467–488, 773–784).
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den spezifischen Bezug auf einzelne Prätexte hinaus. Denn Ovid erreicht seine inhaltlichen und formalen Innovationen nicht einfach nur durch die von ihm selbst gesetzten Akzente. Vielmehr gewinnt die Liebestherapie ihre Konturen vor dem Hintergrund herkömmlicher didaktischer Themen, die in ihrer Bedeu‐ tung dem Prozess des ‚Entliebens‘ hierarchisch untergeordnet werden. Zu Beginn der ars agendi bringt Ovid einen Dreierblock an Vorschriften, mit denen das dediscere (vgl. rem. 211) der Liebesqualen möglich sei. In den Versen 169–210 wird dem Schüler, wie bereits angeführt, zunächst die Landarbeit mit dem Bestellen der Felder in bukolisch anmutender Umgebung und der Ruhe und Stabilität bringenden Routine des Jahresablaufs empfohlen: rura quoque oblectant animos studiumque colendi; / quaelibet huic curae cedere cura potest (V. 169 f.). Der Abschnitt von V. 199–210 ist in die Beschreibung zweier studia aufgeteilt, der Jagd auf Hasen, Hirsche und Eber (bis V. 206), und des Vogelund Fischfangs (bis V. 210). All diese Bereiche sind nun laut Laurel Fulkerson (2004) „fit subjects for didactic poetry“322, wie man auch mit Blick auf die Lehr‐ gedichtstradition zur Zeit Ovids und im weiteren Verlauf der Kaiserzeit sehen kann.323 So wird das nur fragmentarisch überlieferte Lehrgedicht Halieutica, das von den natürlichen Schutzmechanismen von Fischen und von möglichen Fangtaktiken handelt, Ovid zugeschrieben (vgl. die Aussage Plinius’ des Älteren: mihi uidentur mira et quae Ouidius prodidit piscium ingenia in eo uolumine, quod sat alieuticon inscribitur, Plin. nat. 32, 11), wenngleich die Authentizität der 134 Hexameter oft angezweifelt wird.324 Als Beispiel für ein Lehrgedicht zum Thema Jagd lassen sich Grattius’ ebenfalls nur fragmentarisch erhaltene Cynegetica anführen, deren Programm zu Beginn dieses Werkes ersichtlich wird: carmine et arma dabo et uenandi persequar artis (V. 23).325 Ovid selbst erwähnt Grattius und, als Anspielung auf dessen Proöm,326 aptaque uenanti […] arma, die er dem Leser 322
323
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Fulkerson (2004) 221. Die Folgerungen Fulkersons gehen aber in eine andere Richtung als meine eigenen. Fulkerson betont vielmehr das Eingebundensein dieser überlieferten didaktischen Traditionen in den elegischen Kontext, der alle Lebensbereiche, Meta‐ phern etc. für seinen Diskurs vereinnahmt (vgl. S. 221–223). Effe (1977) behandelt ausführlich Beispiele für landwirtschaftliche (S. 80–106), astro‐ logische (S. 106–136), geographische (S. 184–194), medizinisch-pharmakologische (S. 194–204) Lehrgedichte und Lehrgedichte über Fischfang und Jagd (S. 137–184). Vgl. auch Boyd (2018) 93 f. Vgl. Volk (2012) 29 f. Auf den Streit um die Echtheit dieses Fragments möchte ich mich hier nicht einlassen. Vgl. für neueste Literatur zu den Halieutica Harrison (2020) und Volk (2020). Vgl. zu Grattius schon Effe (1977) 154–165; vgl. ferner die verschiedenen Beiträge sowie den Text und eine englische Übersetzung im von S. Green (2018) herausgegebenen Sammelband zu Grattius. Vgl. Helzle (1989) 192 ad 34.
4.2 Parodie und Intertextualität: Die Remedia amoris und die didaktische Poesie
95
an die Hand gibt, und zwar in seinem Katalog befreundeter Dichter (Ov. Pont. 4, 16, 34). Und mit Vergils Georgica, die in der Remedia-Passage beispielsweise mit Blick auf die Bienenzucht (vgl. rem. 185 f.) mehrfach aufgerufen werden,327 liegt schließlich ein prominentes Zeugnis für die Behandlung landwirtschaftlicher Themen vor. Dass Landleben und Jagd zudem auch topisch als Mittel für die Heilung von Liebeskummer gelten,328 schließt dabei m. E. die Möglichkeit nicht aus, dass Ovid hier die didaktisch-generische Bedeutungsdimension dieser Themen fokussiert. Ob er nun direkt auf bestimmte, eventuell auch selbst verfasste, didaktische Werke, oder nur allgemein auf typische Lehrgedichtsthemen anspielt: Sicher‐ lich reduziert Ovid ihre Bedeutung darauf, dass sie nur noch als einzelne Vorschriften für sein übergeordnetes Programm der Liebestherapie aufgeführt329 und somit im Rahmen seiner eigenen Didaxe funktionalisiert werden.330 Die „anamorphotische“331 Tendenz Ovids wird also auch hier spürbar: Während er beispielsweise aus Lukrez’ „miniature remedia amoris“332 ein Opus im Umfang von 814 Versen kreiert, komprimiert er ganze Lehrgedichte und verwandelt 327 328
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Für lexikalische und inhaltliche Anspielungen auf die Georgica und auch die Eklogen vgl. auch die Stellenkommentare von Geisler (1969), Henderson (1979) und Pinotti (1993) 146 f. ad 169–212 und ad loc. Vgl. Geisler (1969) 231–235 ad 169–212, auch zu entsprechenden Stellen in der lateinischen Literatur, u. a. Prop. 2, 19, Verg. ecl. 10, 55–61; Ov. am. 2, 16, 33–38 und epist. 19, 9 f. und 13. Für die ambivalente Verwendung dieser Themenkreise, die zusätzlich als Metaphern im Kontext positiver Liebe vorkommen, siehe unten Kapitel 4.2.4. Zumindest mit Blick auf die Georgica hat Effe (1977) bereits diese Tendenz der Remedia wahrgenommen, wobei er auch den witzigen Grundzug der Heilmittel berücksichtigt: „Das ironische Verhältnis zu der idealisierenden Verklärung der bäuerlichen Vergan‐ genheit Roms in den Georgica kommt auch in Rem. 169 ff. zum Ausdruck. […] Der Lebensbereich, der bei Vergil Gegenstand ernsthafter Unterweisung war, dient hier gerade noch als ein remedium amoris. Man sollte sich hüten, aus der Schilderung der ländlichen Freunden die ‚volle, echte Begeisterung‘ des Dichters heraushören zu wollen“ (S. 243 Anm. 8 mit Zitat aus Fränkels Ovid-Monographie in der deutschen Version von 1970, S. 77). Diese Distanz zu den Georgica sieht er bereits in der Ars. Ohne den Begriff der Funktionalisierung ähnlich bereits P. Watson (2002), der zufolge die Parodie der Georgica darin besteht, dass das landwirtschaftliche Leben „not for its own sake“ wie im landwirtschaftlichen Lehrgedicht, „but merely as antidote to love“ (S. 164) verwendet werde. Janka (2013) 74. Der Terminus ‚Anamorphose‘ geht auf Sophia Papaioannou (2005) zurück. Mit diesem Begriff beschreibt sie die Erzählstrategie Ovids, bei der narrative Schwerpunkte verlagert werden und die sich an der Transformation der Aeneis in den Metamorphosen zeigt: „They [sc. the episodes in the Met.] expand on themes that barely, if at all, exist in the Vergilian prototype, to the detriment of those narrative moments emphasized in the Aeneid“ (Papaioannou [2005] 44, auch zitiert in Janka [2013] 74 f. Anm. 28). Shulman (1981) 244.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
sie in praecepta sanitatis, die letztlich Mittel zum Zweck, sich von der Liebe zu lösen, werden. Möglicherweise lässt sich diese Deutung noch weiterführen, wenn man den Umfang der genannten ‚Lehrgedichts-praecepta‘ betrachtet. Auf die Vorschrift, dass man sich landwirtschaftlich betätigen solle, entfallen 30 Verse, auf die Großtierjagd acht und auf Fisch- und Vogelfang nur vier Verse. Herkömmliche didaktische Themen werden also nicht nur Teil von Ovids Werk, vielmehr verringert sich ihre Präsenz, wofür die geringer werdende Verszahl Indiz ist, bis sie letztlich aus dem Text verschwinden.333 Daran zeigt sich, dass Ovid die Innovationslust des Genres auf die Spitze treibt, indem er in Abgrenzung zur eigenen Gattungstradition ein neues Themenfeld erobert.334 Dass all dies jedoch keine ernst gemeinte ‚Revolutionierung‘ didaktischer Standards und nur eine weitere Potenzierung des literarischen Spiels (hier scheint mir dieser Begriff passend) Ovids darstellt, wird vor allem dann klar, wenn man danach fragt, ob die Remedia amoris auch wirklich ‚funktionieren‘ und ihr didaktisches Versprechen einlösen können. Dazu müssen die Span‐ nungen, die aus der Verbindung elegischer und didaktischer Gattungselemente entstehen und die von der Forschung mittlerweile in weiten Teilen aufgearbeitet wurden, berücksichtigt werden. Denn hierdurch zeigt sich die parodistische Multivalenz des Lehrgedichtaspekts erst in ihrem vollen Umfang. 4.2.3 Die Demontage der Elegie im Medium des Lehrgedichts Diese Kombination gattungskonstitutiver Eigenschaften findet sowohl in der Ars als auch in den Remedia ihren Ausdruck prominent darin, dass, wie bereits erwähnt, der didaktische Lehrinhalt metrisch in Form des elegischen Disti‐ chons realisiert ist. In dieser Verschmelzung von Grundcharakteristika zweier literarischer Genres kommt es auch zum Aufeinanderprallen verschiedener
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Dieses Verschwinden ist dahingehend einzuschränken, dass im fortlaufenden Text für einzelne Motive oder die sprachliche Gestaltung trotzdem auf didaktische Intertexte (etwa Texte von Vergil und Lukrez) rekurriert wird. Dieses Themenfeld wird bereits in der Ars eingeführt (wobei die Remedia aber mit der Heilung eigene Akzente setzen), die ebenso Motive der typischen Lehrgedichtsbereiche verarbeitet. Steudel (1992) 133 sieht bereits in der Ars eine „Parodie der didaktischen Gattung – nicht einzelner Lehrdichter“ (v. a. mit Blick auf ars 1, 29, wenn sich Ovid von traditionellen Inspirations-Topoi absetzt). In dieser Hinsicht kann man folglich eine Übereinstimmung in den Anlagen von Ars und Remedia sehen. Steudel bezieht sich auch auf Effes Ausspruch vom parodistischen Spiel (S. 135), fokussiert aber ansonsten den Spielbegriff kaum.
4.2 Parodie und Intertextualität: Die Remedia amoris und die didaktische Poesie
97
‚Modi der Welterfahrung‘335. Wie Conte treffend beschreibt, treten didaktische Objektivität und elegische Subjektivität,336 die von einer ‚radikalen‘ „Transko‐ difikation“337 herkömmlicher Werte und Zeichen bestimmt ist,338 in Verbindung miteinander. Wenn nun in den Remedia amoris die Befreiung von unglücklicher, also typisch elegischer, Liebe zum Programm wird, entspricht das, um z. B. Conte und Holzberg zu referieren, letztlich der systematischen Demontage339 dieser Gattung (was Ovid in seiner literarischen Evolution von den Amores bis zu den Remedia konsequent weiterentwickelt hat).340 Ovid führt Konzepte des elegischen monde à l’envers konsequent ad absurdum, indem er ihn „auf komische Art ins Konträre verkehrt“341, was sich exemplarisch an der Rolle des otium zeigen lässt:342 Bekennt sich die ovidische Persona in den Amores noch zu dieser Protest- bzw. Alternativlebensform, soll der Schüler der Remedia Muße meiden (vgl. rem. 135–144). Ja er soll sich durchaus als „‘echter’ miles“ betätigen und zur Ablenkung z. B. in den Krieg ziehen (vgl. V. 151–168)343 – die elegische Metapher des Kriegsdienstes in Sachen Liebe, militat omnis amans (am. 1, 9, 1 f.), wird also auf ihre ursprüngliche und damit anti-elegische Bedeutung des realen Kriegsdienstes zurückgeführt.344 Auch sind die auf die Lehrgedicht-Tätigkeiten
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Vgl. Contes (1989) 442 f. Beschreibung, wie Genres eigene Welten konstituieren. Vgl. zum Begriff des Modus im Kontext der Gattungsgenese und speziell des didactic mode Volk (2002) 26–43. Für diese Charakterisierung der beiden normalerweise voneinander getrennten Dis‐ kurse vgl. Conte (1989) 456. Conte (1989) 444 (übers. Zitat); Conte zieht als Beispiel das servitium amoris heran. Conte (1989) beschreibt zunächst allgemein, wodurch sich ein literarisches Genre auszeichnet, bevor er speziell auf die Gattung der römischen Liebeselegie zu sprechen kommt. Wenngleich jedes Genre durch eine „reduction of the world to a partial field of vision“ bestimmt sei, präsentiere die Elegie dennoch „the most complete realization of such a systematic codification, if only because elegy performs this operation explicitly and consciously and makes it the very pivot of its poetics“ (S. 443). Für eine konzise Darstellung des „elegische[n] System[s]“ vgl. auch Holzberg (2005) 20–24 (Zitat S. 20). Vgl. Conte (1989) 458 zum Angriff auf das System bereits durch die Ars, in der es um das Erreichen erfolgreicher Liebe geht; vgl. zur Demontage in den Remedia S. 460–462 und auch Holzberg (2005) 113 f. Der metaliterarische Aspekt der Remedia, die Elegie irreversibel an ihr Ende geführt zu haben (vgl. Conte [1989] 462) ist durch Conte zur gültigen Interpretation geworden. Holzberg (2011d) 96. Für diese Ausführungen vgl. Holzberg (2011d) 96 f. Vgl. zur veränderten Perspektive auf otium im Kontext der praecepta zu landwirtschaftlicher Betätigung Boyd (2018) und siehe oben Anm. 231. Für Zitat und Ausführungen vgl. Holzberg (2011d) 96. Die Aufforderung zum Kriegs‐ dienst findet sich auch schon im Briseis-Brief epist. 3 (vgl. auch Holzberg [2005] 85 f.). Vgl. zu „transcodification“ gesellschaftlich übereinstimmend geteilter Werte (und zu militia amoris und otium als „alternativer Lebensform“) Conte (1989) 444 f. (erstes Zitat)
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
der Verse 169–212 folgenden praecepta als anti-elegisch zu charakterisieren: So soll der Liebeskranke aus Rom bzw. der Heimat weggehen, um so räumliche und zeitliche Distanz zur Geliebten zu schaffen (vgl. V. 213–248) und zu verhindern, dass er ohne mens firmata (vgl. V. 245) wieder in die Liebesfänge verstrickt wird. Um die Lehrgedicht-Tätigkeiten schließt sich so eine ‚anti-elegische‘ Klammer, was die didaktische Intention einer Heilung von elegischer Liebe somit inhaltlich und strukturell unterstützt (siehe die tabellarische Übersicht in Abbildung 5). Zudem soll sich der Liebhaber von der typisch elegischen ‚Liebeschoreographie‘, dem Vor-der-Tür-Liegen, bei dem das Paraklausithyron gesungen wird, verabschieden, wenn er erfolgreich einem Rückfall in den Zu‐ stand der Verliebtheit entgehen möchte. Dies beschreibt Ovid gegen Ende seiner Ausführungen: di faciant, possis dominae transire relictae / limina, proposito sufficiantque pedes (rem. 785 f.).345 Witzigerweise entspricht diese Absage 30 Verse vor dem Werkende m. E. strukturell fast exakt der Stellung, welche die kleine ‚Grammatik der Elegie‘346 mit ihrer Paraklausithyron-Andeutung im Dialogproöm mit Amor ab V. 31 (!) einnimmt. Das Paraklausithyron-Motiv umrahmt dabei die heimliche Verstän‐ digung der Liebenden: effice nocturna frangatur ianua rixa et tegat ornatas multa corona fores. fac coeant furtim iuuenes timidaeque puellae uerbaque dent cauto qualibet arte uiro, et modo blanditias rigido, modo iurgia, posti dicat et exclusus flebile cantet amans. (rem. 31–36)
Inhaltlich steht sie ihr aber diametral entgegen, weist doch die ovidische Persona am Anfang den Gott an, bei diesen seinen ‚Leisten‘ zu bleiben, die darin bestehen, dass Verliebte ohne Tränen und Tod und nach elegischem Muster miteinander kommunizieren sollen. Am Ende des Lehrgangs hingegen steht die Aufforderung an den Schüler, den Regeln dieser Gattung den Rücken zu kehren. Die ringkompositorische Rahmung zeigt nun paradigmatisch, wie Ovid seinen Ausgangspunkt bei der elegischen Gattung nimmt, um sie am
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und Holzberg (2011d) 96 (zweites Zitat). Für eine thematisch gegliederte und zugleich exemplarische Darstellung des Topos vom ‚Liebessoldaten‘ bei Tibull, Properz und Ovid vgl. Drinkwater (2013); vgl. S. 201 f. zu am. 1, 9, S. 202–204 zu Ovids besonderer Ausgestaltung des Liebestriumphs in den Amores und S. 204–206 zur Ausgestaltung in den Heroides und damit einhergehenden politischen Implikationen. Vgl. dazu auch Holzberg (2011d) 96. Diesen Ausdruck entnehme ich Conte (1989), der von „an improved little grammar of elegy“ (S. 462) spricht.
4.2 Parodie und Intertextualität: Die Remedia amoris und die didaktische Poesie
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Schluss der Remedia an ihr Ende geführt zu haben – und wie er das Verbot der Paraklausithyron-Szenerie auch explizit an den Schüler richtet.347 Ovid hat also dieses Motiv,348 das sich auch in seinen anderen Werken findet, in seinen Lehrgang aufgenommen und funktional für sein literarisches Programm eingesetzt.349
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Ich glaube, damit eine (strukturell) plausible Erklärung für die Positionierung der Verse 785–790 gefunden zu haben, die von Geisler (1969) 71 f. und Lucke (1982) 349 ad 785–790, die mit dem Gedanken von Versumstellungen spielt, als unpassend und deplatziert empfunden werden, weil die Versgruppen 767–784 und 791–794 über das Thema „Rivale und Eifersucht“ inhaltlich eng miteinander verbunden sind. Zudem empfinde ich es nicht wie Lucke als „stören[d]“, wenn innerhalb dieser Vorsichtsmaßnahme gegen das Rückfällig-Werden des ehemals Verliebten ein Einschub erfolgt, der den Fokus auf den Umgang mit dem Mädchen legt, um von da aus wieder zum Rivalen zurückzukehren. Geisler attestiert Ovid eine eventuell mangelnde Fähigkeit, den von ihm neu erfundenen ‚ars vitandi‘-Teil zusammenhängend aufbauen zu können. Das geht zu weit und missachtet die Kompositionskunst des zweiten Teils (siehe unter 4.3.2 im Kontext der Untersuchung von Catulls Einfluss auf die Remedia). In den Remedia findet sich eine weitere Anspielung auf ein Paraklausithyron, und zwar in V. 505–512 innerhalb des Kernstücks der ars simulandi, beim Hinweis, dass der Schüler durch Verstellen zur erwünschten Haltung kommen soll: dixerit ut uenias: pacta tibi nocte uenito; / ueneris, et fuerit ianua clausa: feres. / nec dic blanditias nec fac conuicia posti / nec latus in duro limine pone tuum (V. 505–508). Der Schüler soll also, wenn er von der Herrin gerufen wird, zum Türpfosten kommen und das Ausgeschlossensein ruhig und ohne zu klagen ertragen und auch am nächsten Tag ohne in uultu signa dolentis (V. 510), ohne Klagen mit ihr sprechen – die eigene Gleichgültigkeit wird schließlich zum Ablegen des Stolzes führen (iam ponet fastus, cum te languere uidebit, V. 511). Damit invertiert Ovid eine entsprechende Weisung an die puellae in ars 3, 579–588, welche das Paraklausithyron bewusst als „Taktik“ einsetzen sollen (vgl. Copley [1956] 86). Copleys Deutung beschränkt sich auf die Ausgestaltung und Entwicklung des Motivs, ohne dass er auf die Positionierung innerhalb der Remedia eingeht. Für ihn zeigt die Verwendung an dieser Stelle, dass Ovid das Paraklausithyron als „wichtigen Teil der literarischen Liebesaffäre“ betrachtet habe und er habe zeigen wollen, „dass seine Möglichkeiten als ein erotisches Thema in keiner Weise erschöpft worden“ seien (übers. Zitate, S. 87). M. E. hat die Motivaufnahme in V. 505–512 keine strukturell besonders markierte Bedeutung. Vielmehr verstärkt die Rekurrenz auf das Motiv auch an dieser Stelle, in Verbindung mit der Rahmung des gesamten Heilungslehrgangs, die anti-elegische Grundhaltung der Remedia. Copley (1956) widmet sich in Kapitel VIII (vgl. S. 125–140) ausführlich dem Motiv bei Ovid und betrachtet besonders am. 1, 6 und das Paraklausithyron in der Iphis-undAnaxarete-Erzählung in den Metamorphosen (met. 14, 698–758). Interessant ist Copleys Schlussfolgerung, dass Ovid es durch seinen Umgang mit dem Motiv geschafft habe, dieses an sein Ende zu führen: „After Ovid, the paraclausithyron virtually disappears from Roman literature, and one can only conclude that the decadent form in which it appeared in his works was indeed evidence that it had said all it could say. […] For all practical purposes, the theme dies with Ovid“ (S. 139 f.).
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Letztendlich kann es für einen amator aber keine Heilung von seiner Liebes‐ leidenschaft geben, da er sonst zugleich seine Existenz als poeta (= amator) der Elegien aufgeben müsste; sein Leiden ist schließlich das Movens seiner Klage.350 So schreibt schon Properz: omnis humanos sanat medicina dolores: / solus amor morbi non amat artificem (Prop. 2, 1, 57 f.).351 Dabei erscheint es mir wichtig, hervorzuheben, wie lustig es ist, dass sich Ovid ausgerechnet des Lehrgedichts als Medium bedient, um die Elegie zu ihrem Ende zu führen. Denn schon bei Properz und Tibull eignet der Liebeselegie ein didaktisches Moment, das jedoch ein nur kleiner Teil des elegischen Konzeptes bleibt.352 Ovid nun kehrt die Prioritäten um. Auch wenn er im Literaturexkurs (vgl. rem. 361–396) die Remedia der elegischen Poesie zuordnet353 und sich zum Vollender dieser Gattung stilisiert (und das auch im wahrsten Sinne des Wortes, denn nach den Heilmitteln kann es keine Liebeselegie mehr geben, womit Ovid auch seine ei‐ genen Liebesdichtungen beendet!)354: So ist es doch der didaktische Rahmen, der 350
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Vgl. Conte (1989) 446 f. Jeder Versuch einer renuntiatio amoris muss also, wenn man den elegischen Regeln Folge leistet, von sich aus scheitern. Auch zeigt die antike „volksety‐ mologisch[e]“ Rückführung von Elegie auf das griechische ἔ ἔ λέγειν („wehe, wehe sagen“), dass diese Kunstform als ein Klagelied verstanden wurde und das dauernde, nur kurzzeitig unterbrochene Leiden zum Charakteristikum dieser Lebensform des Dichters/Liebenden wird, vgl. Holzberg (2011d) 93. Auch wenn uns von Gallus kaum etwas erhalten ist und wir unser Wissen aus den literarischen Nachfolgern erschließen müssen, scheint es doch so, als wäre es bei ihm bereits vorgeprägt, dass alles außer Liebe geheilt werden könne, vgl. Boyd (2018) 89 mit weiterführender Literatur zu Gallus und medicina amoris (Anm. 1). Dass Ovid nun die Heilung zum Programm mache, zeige Ovids Ansatz „to demythologize, both literally and figuratively, the very foundations of elegiac love“ (ebd.). Vgl. als Beispiele hierfür die Elegien Prop. 1, 7, in welcher der poeta/amator unter Rückgriff auf die Nützlichkeitstopik sein Werk Nachfolgenden empfiehlt (me legat assidue post haec neglectus amator, / et prosint illi cognita nostra mala, V. 13 f.) und Tib. 1, 4. Bei Tibull schlüpft Priap in die Rolle des Lehrers, dessen in „mock-didactic style“ vorgetragene praecepta für den Tipps suchenden Tibull als „miniature Art of Homosexual Love“ zugleich Vorbild für Ovids Ars amatoria sind, vgl. Maltby (2002) 215 ad 1, 4. Relevant sind hierfür v. a. folgende Verse: blanda pharetratos Elegia cantet Amores / et leuis arbitrio ludat amica suo. […] Thais in arte mea est: lasciuia libera nostra est; / nil mihi cum uitta; Thais in arte mea est. […] tantum se nobis elegi debere fatentur, / quantum Vergilio nobile debet epos (rem. 379–396). Man kann hier fragen: Handelt es sich damit auch um ein Unterfangen Ovids, sich selbst zu heilen? Auch wenn die elegischen Obertöne und die damit einhergehende Unmöglichkeit der Remedia amoris (siehe unter 4.2.4) eine ernsthafte Bejahung verhin‐ dern, zeigt Ovids weiteres Schaffen, dass er sich zumindest literarisch von der Elegie im engeren Sinne distanziert. Trotzdem finden sich in den Metamorphosen elegische Konstellationen, und die Fasti und die Exildichtung sind im elegischen Distichon geschrieben. Vgl. etwa Volk (2012) 54–66 zur Transformation der Elegie im Verlauf von
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sein literarisches Unterfangen in seiner erotodidaktischen Tetralogie bestimmt. Der Gipfel des lusus mit bzw. der Referentialität auf etablierte(n) literarische(n) Konventionen und Gattungen besteht nun darin, dass nicht nur die Elegie durch das Lehrhafte demontiert wird, sondern das Lehrhafte selbst nur scheinbar ‚ob‐ siegt‘ und dass vielmehr die nie ganz ‚tilgbaren‘ Elemente der Liebeselegie und des amor immer wieder durchbrechen. Ovid führt also beide Gattungen an ihre Grenzen, wobei dennoch der interpretatorische Akzent darauf zu setzen ist, dass seine Haltung der ernsthaften Liebeselegie gegenüber subversiv-gefährlich355 ist, während er die Regeln des Lehrgedichts eher witzig noch weiter ausdehnt.356 „The remedia amoris not only brings to an end Ovid’s experiment in love elegy but also explores the logical limits of didactic poetry“357 – und demonstriert so in humorvoller Art und Weise den selbstbewussten Umgang mit existierenden Gattungssystemen.358 4.2.4 Amor schleicht sich ein: Die unmöglichen Remedia amoris Erneut ist unter Bezug auf Brunelles Forschungsergebnisse das Form-Argu‐ ment heranzuziehen. Da die Remedia in elegischen Distichen verfasst sind und Ovid im Literaturexkurs selbst betont, dass der Rhythmus eines Werkes und dessen Inhalt einander gegenseitig bedingen – blanda pharetratos Elegia cantet Amores / et leuis arbitrio ludat amica suo (rem. 379 f.) –, stehen Form und Funktion (also die Heilung von unglücklicher Liebe) einander kontrastiv gegenüber. Zudem warnt der ovidische praeceptor im ars vitandi-Teil den Schüler
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Ovids literarischem Schaffen und der Beobachtung, wie Ovid trotz der „Dekonstruktion der Liebe“ (S. 58) in seinem Spätwerk „sowohl der Elegie als auch der Liebesthematik“ (S. 66) verbunden bleibt. Vgl. Conte (1989) 461 und Volk (2002) 187. Vgl. Volk (2002) 187. Brunelle (2000/2001) 123. Boyd (2016) 114 zufolge könne man Foleys Beschreibung der epischen Dichtung als „master genre“ auf die ovidische Lehrdichtung übertragen. Dafür analysiert Boyd das Kirke-exemplum und den Exkurs zu Magie in den Remedia, in welchem die Doppeldeu‐ tigkeit von carmen prominent thematisiert wird (vgl. V. 249–90). Dabei zeige sich die „Macht von seiner [Ovids] eigenen didaktischen Dichtung“ (S. 114, übers. Zitat). Denn in den Figuren Kirke und Odysseus würden sowohl der epische Intertext (Homer) als auch die elegische Gestaltung (Heroides) so miteinander verbunden, dass ihre ursprüngliche Bedeutung ihrer didaktischen Rolle untergeordnet würde (vgl. S. 117 f.). Vgl. S. 119 f. zu Kirkes wirkungslosen carmina, Ovids selbstironischem Umgang mit den subtilen intertextuellen Transformationen und Ovids ‚Verzauberung‘ des Lesers mit seinem wirkungsvollen „revolutionary carmen“ (S. 120).
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davor, elegische, und somit auch seine eigene, Dichtung zu lesen,359 da dies einen Rückfall bewirken könne: eloquar inuitus: teneros ne tange poetas; / summoueo dotes impius ipse meas (rem. 757 f.).360 Das heißt, eigentlich kann man sich durch die Lektüre einer wie auch immer gearteten Dichtung im elegischen Versmaß von keiner Form der Liebe lösen, und man kann nicht Leser und Schüler von Ovids Werk zugleich sein. Und auch Ovid müsste sich, wenn er seinen Ausführungen folgt, eigentlich vom Distichon fernhalten. Diese prinzipielle Unvereinbarkeit von Lehrinhalt und -form361 macht nun einen Teil der Widersprüchlichkeit aus, die sich bei einer genauen Lektüre der Remedia auch anhand anderer Beispiele aufzeigen lässt. Ein großer Teil des Lesevergnügens der Remedia besteht schließlich darin, Ovids intra- und intertextuelles Referentialitätssystem zu entdecken, sich also früher verfasste Verse in Erinnerung zu rufen. Nun bestehen aber viele Vorschriften genau darin, bereits erfahrene Liebe zu vergessen und zu verlernen (vgl. die dreimalige Verwendung des Verbs dediscere in V. 211, 297, 503) – denn Erinnerung, 359
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Wenn Ovid also sein eigenes Werk, das intratextuell an die Amores, die Ars und die Heroides anschließt, als kontraproduktiv für die Heilung von Liebe und somit für die Verhinderung von emotional motivierten Selbstmorden erachtet, entspricht das letztlich Ovids „own attempt at suicide as a poet“ (Thorsen [2013] 126). Brunelle (2000/2001) 124–126 (vgl. auch schon [1997] 109–120) verweist im Kontext der Warnung vor pantomimischem Tanz und Gesang und vor Liebesdichtern (vgl. rem. 751–766) auch auf die antike Ethoslehre, derzufolge Musik einen ethischen Einfluss auf die Zuhörer habe. Ovid hebt nun den Klang seiner eigenen carmina hervor (vgl. et mea nescioquid carmina tale sonant, V. 766), die ihres elegischen Metrums wegen folglich den Leser bzw. in der Antike den Schüler, der dem Rezitator von Gedichten zuhört, in der ‚Liebessphäre‘ festhielten, da Dichtung in der Antike häufig laut vorgelesen wurde. Darin manifestiere sich, so Brunelle, implizit der Widerspruch zwischen Form und Funktion bei Ovid, der sich von seinem Vorgänger Lukrez auch insofern unterscheide, als dieser explizite poetologische Aussagen zur Vereinbarkeit von didaktischem Inhalt und Form der hexametrischen Poesie treffe (vgl. S. 123). Man denke hierbei v. a. an das Honigbecher-Gleichnis (vgl. Lucr. 1, 921–950 und 4, 1–25); vgl. auch Brunelle (1997) 120–130. Aus diesem Grund bezeichnet Brunelle (2000/2001) 139 die Remedia als „didactic conundrum“ (vgl. auch [1997] 146). Brunelle geht jedoch über die Feststellung dieser Spannung nicht hinaus und zeigt in seinem Aufsatz nicht, wie Ovids literarisches Spiel (ein Begriff, den er in seiner Dissertation stärker akzentuiert, vgl. Brunelle [1997] 130–147 mit Betonung, dass der Humor der Remedia auch wegen ihres „serious didactic element“ [S. 146], funktioniere) in der Lehrgedichtstradition zu verorten ist. Auch Gibson (2007) ist hier anzuführen, der untersucht, wie sich die Remedia der decorum-Forderung in Horaz’ Ars poetica widersetzen. „[I]n the Remedia, of all places, Ovid constructs an argument about ‘appropriateness’ which is problematised by context and sabotaged by content. What could be more „‘inappropriate’ to elegy, less decorous, than an elegiac poem which tells readers how to eliminate elegiac amor? The Remedia of all poems fails to match subject-matter to metre“ (S. 142).
4.2 Parodie und Intertextualität: Die Remedia amoris und die didaktische Poesie
103
admonitus, führt letztlich zurück zur Liebe (vgl. V. 629, 661 f., 729).362 Ebenso sind auch die Aktivitäten und Plätze, die für eine Heilung von Liebe vorgeschlagen werden, bereits mit, intratextuell abrufbaren, Erinnerungen an Liebe getränkt.363 Das Forum und die Anwaltspraxis preist Ovids zwar als remedia (vgl. rem. 151), doch konnte der liebeshungrige Schüler in der Ars amatoria bereits lesen: et fora conueniunt (quis credere possit?) amori, / flammaque in arguto saepe reperta foro (ars 1, 79 f.). Und auch die Weisungen, die fordern, dass man sich der Landwirtschaft, dem Fischen und dem Vogelfang widmen solle, werden dadurch konterkariert, dass diese Tätigkeiten in der Ars 364 und auch bei Tibull Metaphern für die Liebe darstellen und sogar als Tätigkeiten imaginiert werden, die Liebende gemeinsam durchführen können, wie z. B. in Tibulls Phantasie in seiner zweiten Elegie.365 Darüber hinaus eignet den „Little Georgics“ in den Remedia (vgl. V. 171–186), wie Boyd ausführt, ein intertextuelles Moment, das die Liebesheilung unterminiert: In den Weisungen zur landwirtschaftlichen Betätigung werde in Form einer kleinen, metapoetisch wirkenden Ekphrasis ein bukolisches ‚Setting‘ gezeichnet und als „Little Eclogues“ in diese praecepta
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Vgl. besonders Rosati (2006) und Hardie (2006). Hardie sieht im „[O]xymoron“ (vgl. S. 168) Lethaeus Amor eine Zentralfigur (vgl. S. 178) der Remedia, da in ihm die Spannung zwischen dem Vergessen, der Heilung von der Liebe, und dem inter- und intratextuellen Gewebe des Werkes als strukturell inhärentes Problem der Remedia zum Ausdruck gebracht werde (vgl. S. 169). Ähnlich auch Rosati, der das dediscere als „key feature“ (S. 163) erachtet, und ebenso diese Spannungen benennt. Beide betonen die Möglichkeit, die Remedia in Folge dieser Unvereinbarkeiten als renuntiatio amoris zu lesen, zu der sowohl der Versuch einer Befreiung von Liebe als auch notwendig die Rückkehr zu ihr gehöre (vgl. Hardie [2006] 174 und Rosati [2006] 164 f.). Dazu passt besonders die m. E. sonst schwer einzuordnende Stelle, dass man nach dem autosuggestiv erlernten Verhalten, der puella gegenüber indifferent zu sein, als Geschenk eine etwas weniger spröde und ‚willige‘ puella erhält: iam ponet fastus, cum te languere uidebit; / hoc etiam nostra munus ab arte feres (rem. 511 f.; vgl. auch Rosati [2006] 153). Vgl. Hardie (2006) 186–189. Hier sind rem. 199 f. (Jagen) und rem. 207–210 (Fischen) mit ars 1, 45–50 zu kon‐ trastieren, vgl. Fulkerson (2004) 217 f. Fulkerson hebt wie später Hardie (2006) und Rosati (2006) heraus, dass das inter- und intratextuelle Gewebe der Remedia und die semantische, auf die Liebeselegie hin gerichtete ‚Vorbelastung‘ von Metaphern wie dem Liebeskrieg (militia amoris) letztlich dazu führen, dass die Remedia scheitern müssen, weil es kein Entrinnen aus der Sphäre des amor gibt. Vgl.: totus et argento contectus, totus et auro / insideat celeri conspiciendus equo, / ipse boues mea si tecum modo Delia possim / iungere et in solito pascere monte pecus; et te dum liceat teneris retinere lacertis, / mollis et inculta sit mihi somnus humo (Tib. 1, 2, 71–76; Text für Bücher 1 und 2 nach der Ausgabe von Maltby [2002]). Vgl. für eine Auflistung verschiedener Stellen, in denen diese Bereiche metaphorisch gebraucht werden, u. a. bei Ovid, Tibull, Properz, Lukrez und Vergil, Davisson (1996) 254 Anm. 42.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
integriert (vgl. V. 179–182).366 Wenn der praeceptor dem Schüler einen Hirten, der auf seiner Flöte ein Lied spielt, vor Augen führt, rufe dies Liebeslieder der Eklogen und Figuren wie Korydon aus Ekloge 2 und Gallus aus Ekloge 10 hervor.367 Dies evoziere beim Leser aber, da diese Lieder v. a. „unhappy love“368 thematisieren, einen Liebhaber, dessen Versuche, sich von der Liebe zu befreien, zum Scheitern verurteilt seien369 – wodurch Ovid wiederum sein Projekt unterminiere.370 Man sieht aufgrund von Boyds Beobachtung also: Zusätzlich zur oben erläu‐ terten didaktischen Verweisungsdimension dieser praecepta sind als Resultat der Gattungsmischung die elegischen und auch Liebesleiden widerspiegelnden Färbungen wahrnehmbar, die sich so dem Ziel der Liebestherapie entgegen‐ setzen. Wenn nun der unglücklich Verliebte auch noch die Einsamkeit meiden soll – quisquis amas, loca sola nocent: loca sola 371 caueto (rem. 579) – scheint
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Vgl. Boyd (2018) 96–98. Schon P. Watson (2002) 164 f. beschreibt die intertextuelle Bezugnahme nicht nur auf die Georgica, sondern u. a. für die genannten Verse auch auf „pastoral poetry“ (S. 164). Für sie ist diese Stelle repräsentativ für den humorvollen Ton der Remedia. Vgl. Boyd (2018) 98. Sie argumentiert durch die Parallelen zu den Eklogen schlüssig, dass Ovid nicht deutlich machen müsse, welche Art von Lied der Hirte spielt, da dies durch die intertextuellen Bezüge erschlossen werden könne (ebd.). Ähnlich äußert sie sich auch in (2009): „Ovid’s advice through-out this section is a reprise of scenes familiar from not only Georgics but also Eclogues“ (S. 111), ein „assault on the entire elegiac tradition of love“ (S. 112). In Ekloge 10 bemühe Gallus „virtually all the same escapes – escapes that link activity and place – in his attempt to cure his love for Lycoris […] – only to reject them all in the end, acknowledging that, however far he may travel in pursuit of the points of the compass, he cannot escape love […] omnia uincit Amor: et nos cedamus Amori“ (S. 112). P. Watson (2002) 165. Vgl. Boyd (2018) 98: Ein „lover who seeks to escape his passion in this way is doomed to fail“. Vgl. Boyd (2018) 99. Ähnlich auch P. Watson (2002) 165 zur Unangemessenheit dieser Weisungen, und zwar aufgrund der Erinnerungen an die Welt und die carmina der Eklogen, die unglückliche Liebe thematisieren (sie verweist auf das carmen über Daphnis’ Tod in Ekloge 5), und aufgrund von „reminiscences“ an Tib. 1, 1 „with its pastoral setting“. Dies offenbare parodistische Intentionen bezüglich didaktischer Poesie. Boyd hebt auch hervor, dass allein schon die Kürze der landwirtschaftlichen praecepta (meist nur jeweils ein Distichon) eher „a series of subject headings“ denn „actual instruction“ darstelle; ihnen fehle vollständig „didactic value […]“ (S. 95). Die Bedeutung der Passage sei etwa in der beschriebenen „failure“ der Remedia zu suchen und lasse sich über Ovids Umgang mit dem otium-Topos (auf dem Land) und der damit zusammenhängenden literarischen Tradition nachvollziehen (S. 89). Vgl. hierzu Beasom (2013), der das Vergessens-Programm der Remedia in Beziehung zur Rhetorica ad Herennium setzt. Während darin die ars memoriae vorgestellt werde – für mnemotechnische Zwecke geeignete loci sollten ‚einsam‘ sein – fordere Ovid nun von
4.2 Parodie und Intertextualität: Die Remedia amoris und die didaktische Poesie
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es unmöglich zu werden, den alter orbis, den der Schüler bewohnen soll (vgl. rem. 630), auf dieser Welt überhaupt zu lokalisieren;372 es sei denn, man würde versuchen, die inter- und intratextuellen Konnotationen auszublenden, was wiederum dazu führen würde, einen zentralen Gestaltungsaspekt von Ovids Werk zu vernachlässigen. Zudem zeigen Sprachspiele Ovids, wie sich amor, den der Liebeskranke ja los‐ werden möchte, in die Weisungen hineinschleicht. Man betrachte nur, wie Luke Houghton (2013) beobachtet, folgende Hinweise: opprime, dum noua sunt, subiti mala seminA MORbi (rem. 81) und uerba dat omnis amor reperitque alimentA MORando (rem. 95) – wenn der Schüler nicht schnell genug handle, werde ihn die Liebe fesseln und die Heilung werde erschwert.373 Und Mary Davisson (1996) zeigt, wie auch der Verweis auf konkrete mythologische Einzelfälle mehr entmutigt, als dass er die Argumentation unterstützt: 23 Negativbeispiele, wie die eingangs beschriebenen Heroinen Phyllis (vgl. V. 55 f.), Dido (vgl. V. 57 f.), Medea (vgl. V. 59 f. und 261 f.) und auch Circe (vgl. V. 263–288) stehen 14 positiven, und dabei kaum weiblichen, exempla entgegen,374 wobei manche dieser Beispielreihen wiederum auf Folgen verweisen, die noch desaströser sind als das ursprüngliche Liebesunglück: Man denke an den Katalog in V. 453–460, der u. a. Phineus, Alcmaeon, Paris und Tereus nennt, und das Atriden-Beispiel in V. 467–486. Die Liebe dieser Männer zu je einer zweiten Frau hatte schließlich fatale Auswirkungen auf ihr Leben, womit auch sie eigentlich keine unbedingt nachahmenswerten Vorbilder darstellen.375 Davisson folgert zu Ovids Opus: „[I]t
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seinem Schüler das Meiden solcher Orte – und ein Vergessen der ars memoriae (vgl. S. 904). Vgl. ausführlich und mit Verweis auf weitere Literatur S. 904–906. Für diese Pointierung vgl. Davisson (1996) 254. Vgl. Houghton (2013) 448. Diese Art des silbischen Wortspiels finde sich auch schon in der Ars, vgl. scilicet ex illo sollemniA MORe theatra / nunc quoque formosis insidiosa manent (ars 1, 133 f.) oder crede mihi, non est Veneris properanda uoluptas / sed sensim tarda proliciendA MORa (ars 2, 717 f.), vgl. S. 449. Kenney (1995) entscheidet sich bei ars 2, 133 aber für die emendatio Madvigs, sollemni, vgl. auch Hollis (1977) 58 ad loc. Vgl. Davisson (1996) für eine Analyse der mythologischen exempla und Kataloge, v. a. derjenigen mit weiblichen Protagonisten, um a) den mangelnden Erfolg der Liebestherapie zu thematisieren und/oder b) zu zeigen, dass eine Heilung von Liebe oft zu noch schlimmeren Folgen führe und folglich kaum zu empfehlen sei (vgl. etwa S. 253 mit Anm. 40). Zu „male bias“ der Remedia vgl. S. 242 (vgl. ebenso Brunelle [1997] etwa iii und 147). Für Ovids parodistischen Umgang mit der didaktischen Konvention der Beispielreihen vgl. S. 258. Eine Untersuchung der exempla und der Geschlechterrollen findet sich auch bei Brunelle (1997) u. a. 45–59, 90–107 und passim. Davisson (1996) spricht von einem „absurd catalogue“ (S. 245). Ovids praeceptum, dass man zwei Geliebte gleichzeitig haben solle, passe eigentlich nicht genau auf diese Beispiele, da sich die Männer jeweils neben ihrer Gattin eine Konkubine genommen hätten und Ovid so nicht nur ‚grausame‘ exempla gewählt habe (vgl. Davisson [1996]
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raises doubts about the possibility of finding exempla to prove seriously the praecepta of the Remedia.“376 Und ein weiterer Aspekt, den Alison Sharrock (2002) ausführt, ist an dieser Stelle wichtig: Die Remedia hätten als scheinbar „ultimate retraction and denial of the world of erotic elegy“ Anteil an einer „rhetoric of renunciation“, die aber grundlegend mit dem „erotic discourse“ verbunden sei.377 Das führe eben auch dazu, dass man durch die Remedia als „seductive song which will draw us further into the world of Ovidian erotics“ keinen wirklichen Weg aus der Situation unglücklicher Liebe habe378 – was aber wiederum eine Zukunft für (erotische) Literatur garantiert.379 Der Leser bleibt also durch die verführerische Macht des carmen im Bann Ovids.380
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245–247), sondern nicht einmal auf passende „Präzedenzfälle“ hätte zurückgreifen können (vgl. S. 253, übers. Zitat). Davisson (1996) 258. Sharrock (2002) 160; vgl. auch (1994) 62 zu den renuntiatio amoris-Texten Catull. 8, Hor. epod. 15; carm. 1, 5 und Ov. am. 3, 11: „The rejection of love is part of the discourse of love – it is love.“ Vgl. ähnlich auch Rosati (2006) 164 f. und Hardie (2006) 173–176 zu den Remedia als renuntiatio amoris, wobei Hardie die Schwierigkeiten von renuntiatio/Vergessen in Anbetracht von Liebesspuren/Intertextualität betont (vgl. S. 171). Vgl. Sharrock (2002) 160 f. Pointiert ist ihre Formulierung, dass die Remedia wie die Ars mit „den Diskursen der Medizin und Philosophie“ „flirten“ würden (übers. Zitate) – und die Remedia trotzdem letztlich wirklungslos blieben. Intertextuell greifbare Punkte, an denen diese Unmöglichkeit sichtbar werde, seien die Parallelen zwischen rem. 787 und ars 2, 731–2 und rem. 790 und ars 2, 725–6 und 2, 731, die zeigten, dass die Remedia am Diskurs der Ars teilhätten (vgl. S. 161). Zum Ovids Werk prägenden Konzept der „aesthetics of repetition“ (bestehender erotischer Diskurse und der eigenen Texte) vgl. S. 150 sowie ihre Monographie zu Ars 2 (1994). Andernfalls, wenn die Remedia wirklich erfolgreich sein könnten, würde es bestimmte literarische Erzählungen wie etwa die interessanten und von Liebesschmerzen ge‐ prägten Geschichten von Dido, Paris etc. nicht (mehr) geben, vgl. indirekt Sharrock (2002) 162. Sharrock gibt am Ende diesbezüglich weiter implizit ‚Entwarnung‘: Wir als Schüler müssten erst einmal den „erotic enticements of this poem“ widerstehen und aufhören, über Liebe zu sprechen (vgl. rem. 648), bevor wir wirklich Ataraxie erreichen könnten (Zitat und Ausführungen ebd.). Für die grundsätzlich enge Verbindung von (Liebes-)Dichtung und Magie, die ja als Heilmittelmethode abgelehnt wird (vgl. rem. 249–290), aufgrund der Polysemie des Wortes carmen und des damit einhergehenden Spiels mit dieser Doppeldeutigkeit, vgl. u. a. Sharrock (1994) 61–78 (63 zu den Remedia) und Boyd (2016); siehe für eine knappe Darstellung von Boyds Aufsatz auch oben Anm. 358.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
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4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm der Remedia amoris Es dürfte deutlich geworden sein, dass Ovid vor allem im ersten Teil der tractatio intertextuell und thematisch auf Lukrez und andere didaktische Werke sowie die Gattung des Lehrgedichts im Allgemeinen rekurriert – also in Form der Einzeltext- und der Systemreferenz –, um dadurch das elegische Programm der Remedia zu sprengen. Eine ähnlich funktionale Referentialität kann man auch für die Gattungen Satire und Jambus feststellen, wenn man die Bezüge untersucht, die in den Heilmitteln auf Horaz und Catull, lateinische Archegeten dieser Gattungen und die Vermittler griechischer Traditionen, genommen werden. Meine Untersuchung wird auch hier doppelt perspektiviert sein. Es soll sowohl um intertextuelle Bezüge auf Horaz’ Satiren und Epoden sowie Catulls Carmina mit Blick auf Einzeltextreferenzen als auch um die Präsenz genereller Gattungscharakteristika gehen. 4.3.1 Eine parodistische ‚aemulatio Horatii‘? Ovids intertextuelle Bezugnahme auf den Augusteer und jambisch-satirische Traditionen Im Anschluss an Brunelles (2005) Ausführungen zu „Ovid’s satirical remedies“ fokussiere ich besonders die folgende Passage zum „ugly sex“:381 ille quod obscenas in aperto corpore partes uiderat, in cursu qui fuit, haesit amor, ille quod a Veneris rebus surgente puella uidit in immundo signa pudenda toro. luditis, o si quos potuerunt ista mouere: afflarant tepidae pectora uestra faces. attrahat ille puer contentos fortius arcus, saucia maiorem turba petetis opem. quid, qui clam latuit reddente obscena puella et uidit quae mos ipse uidere uetat? di melius, quam nos moneamus talia quemquam! ut prosint, non sunt expedienda tamen. (rem. 429–440)
Der Liebeslehrer referiert die Erfahrung von Liebhabern, die sich nach Anblick der signa pudenda und der nach dem Sexualverkehr aus der puella austretenden
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Brunelle (2005) 143; vgl. für die genannte Passage 144 f., wobei das Zitat mit V. 399 beginnt.
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Körpersäfte voller Abscheu abwendeten und dadurch ‚entliebten‘; daraufhin scheint er dem Schüler das praeceptum zu geben, dass er die puella nach dem Koitus auf der Toilette beobachten solle, um durch die Aversionstherapie von der Liebe zu ihr geheilt zu werden. Begegnete man dieser Passage außerhalb ihres Kontextes und konfrontierte man den Leser mit der Frage, in welche literarische Gattung man diesen Auszug thematisch einordnen müsste, könnte dieser vielleicht ‚Jambus, Epigramm‘ oder, wie Brunelle, ‚Satire‘382 als Antwort geben. An die römische Liebeselegie wäre vermutlich weniger zu denken. Und doch entstammt dieser Auszug Ovids Remedia amoris, die Ovid selbst (v. a. durch den Literaturexkurs in den Remedia, V. 361–396) in die Tradition der kallimacheischen und der liebeselegischen Dichtung einordnet (besonders V. 379–386). Der zitierte Textauszug aus dem Ende des ars agendi-Parts der tractatio weist aber eindeutig Elemente auf, die sich aus den oben genannten Gattungstraditionen speisen und zu deren prominenten Vertretern Horaz mit seinen Epoden und Sermones gehört. Die Bedeutung horazischer Texte für Ovids liebesdidaktische Tetralogie, v. a. die Remedia, ist bisher eher vereinzelt Gegenstand der Forschung geworden. Zu nennen sind besonders Roy Gibsons (2007) Monographie und Brunelles (2005) Aufsatz. Gibsons Schwerpunkt liegt auf dem ‚neuen Mittelweg‘,383 den Ovid in seiner Ars amatoria unter Bezug auf etwa Horaz (z. B. sat. 1, 2) und Properz eröffnet, und darüber hinaus auf der ethisch-poetischen Diskus‐ sion um das decorum in der erotodidaktischen Tetralogie.384 Für die Remedia beschreibt er „Ovid’s assault on the [Anm.: Horace’s] Ars Poetica“385, da Ovid anti-horazisch für ein dezidiert unelegisches Thema die elegische Gattung wählt und so Horaz’ Weisungen in der Ars poetica widerspricht (vgl. Hor. ars 73–92) – und ausgerechnet in dieses Werk seinen poetologischen Diskurs zur Angemessenheit von Metrum und Inhalt integriert.386 Damit geht Gibson mit der Brunelle’schen Beobachtung d’accord, dass Form und Funktion der
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Vgl. Brunelle (2005) u. a. 143. Ein Beispiel dafür, wie Ovid mit der in den horazischen Oden vermittelten Mesoteslehre in den Remedia umgeht, bringt Woytek (2000): Ovid adaptiere und transformiere im Literaturexkurs in den Remedia das Motiv der Winde und der Blitze des Zeus, welche Horaz in carm. 2, 10 abschreckend dazu nutzt, um letztlich den Weg der ‚Goldenen Mitte‘ zu propagieren. Dabei wende er es in typischer Manier ins Gegenteil, um seine eigene Spitzenleistung hervorzukehren: summa petit liuor: perflant altissima uenti, / summa petunt dextra fulmina missa Iouis (rem. 369 f.). Vgl. Woytek (2000) 190 mit Anm. 42 zur analogen Rezeption von Hor. epod. 2, 1 in Ov. am. 1, 1, 37. Siehe auch unten Anm. 506 und 507. Vgl. Gibson (2007) 115. Gibson (2007) 133. Vgl. Gibson (2007) 142.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
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Remedia einen Gegensatz bilden.387 Davon abgesehen spielen die Remedia für Gibson jedoch keine weitere Rolle. Brunelle richtet nun den Blick konkret auf den letzten Teil von Ovids Tetralogie und führt einige Passagen an, in denen die Remedia mit Horaz’ Satiren vergleichbar sind – topisch, hinsichtlich des Tonfalls und der Sprecherhaltung und intertextuell. Seine Ergebnisse sollen Ausgangspunkt für weitere Beobachtungen sein, in denen ich die Remedia und Horaz’ Satiren in das Zentrum meiner Überlegungen stelle. Auch hier greife ich auf mein Modell der Intertextualitätspyramide zurück. Brunelle verknüpft seine Beobachtungen zum Einfluss satirischer Gattungs‐ elemente in den Remedia zunächst mit der Fragestellung, inwiefern neuere Sichtweisen auf „Ovide moralisé“ Gültigkeit beanspruchen können.388 Er fordert dabei, dass man stets das elegische Setting der Remedia beachten müsse und man Ovid natürlich nicht primär als Satiriker einordnen dürfe – und dass die aktive Rolle des Lesers für das Aufkommen satirischen Humors zentral sei.389 Eben die Interaktion des Textes mit dem Leser und seine Suggestivität, mit der er eine Reaktion des Rezipienten hervorruft, sind die Basis für Brunelles intertextuelle Analyse. In V. 399–440 zeige sich, so Brunelle, ein nicht mehr didaktisches, sondern vielmehr satirisches Element der Remedia,390 das sich auch in den Satiren des Horaz findet. So etwa in der erotodidaktisch geprägten Satire 1, 2, die Markus Janka als „satirische Ars amatoria“ bezeichnet hat:391 Dem Weg des „happy 387 388
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Siehe oben Kapitel 4.2.4 und Brunelles (2000/2001) Aufsatz, auf den sich Gibson (2007) 142 Anm. 86 auch bezieht. Einleitend stellt er die konträren Forschungsperspektiven der letzten Dekaden vor. Während man in früherer Forschung Ovids erotische Dichtungen so deutete, dass Ovid den cultus seiner Zeit pries und sich so ‚positiv‘ mit seiner Zeit identifizierte, behaupteten Ellen Greene, Sharon James und Gareth Williams im Gegenteil, dass Ovid vielmehr ein Zeitkritiker sei und dass sein misogyner Humor etwa unter diese Perspek‐ tive zu subsumieren sei (vgl. Brunelle [2005] 141 mit weiterführenden Informationen in Anm. 1–8). Brunelle selbst setzt insofern einen neuen Akzent, als er hervorhebt, dass man Ovid vor allem als „writer of elegiac satire“ (S. 142) sehen solle und dass ein satirisch-sittenkritisches Moment insofern Teil seiner Erotodidaktik sei, als man darin nicht nur „descriptions of society but prescriptions for society“ (S. 143) finden könne. Darin sieht er eine Parallele zwischen den Erzähler-personae des Horatius satiricus und Ovids: Beide hätten das Ziel, das „Leben der Leser zu verbessern“ (ebd., übers. Zitat). Vgl. Brunelle (2005) 154. Die Interaktion zwischen einem Lehrer und seinem Schüler ist per se kein satirisches Charakteristikum. Denn „teacher-student-constellation“ und der kommunikative As‐ pekt, dass ein Lehrer Instruktionen an den Leser gibt, sind schließlich Grundcharak‐ teristika didaktischer Poesie (vgl. Volk [2002] 37). Ein Unterschied zwischen diesem Beispiel und der Vorgehensweise (früherer) didaktischer Autoren liegt, so Brunelle (2005) 147, darin, dass weder Hesiod noch Lukrez ihre Leser verspottet hätten „for foolishly heeding the poet’s deceptive advice“. Vgl. den Vortragstitel des 2016 gehaltenen Vortrags (siehe oben Anm. 189).
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
medium“392 entsprechend solle man, so die Weisung der horazischen Persona, keinen Matronen nachstellen, um dadurch der Bestrafung als Ehebrecher zu entgehen, und nur mit Libertinen schlafen – dabei aber auch nicht Maß und Ziel vergessen und seinen guten Ruf und das Vermögen verprassen (vgl. Hor. sat. 1, 2, 47–63). Der satirische Liebeslehrer referiert dabei das nur hypothetisch hilf‐ reiche Beispiel, dass man seine Leidenschaft von den dolores, die eine Beziehung mit verheirateten Frauen mit sich bringt, befreien könne, wenn man sich die Unerreichbarkeit der Geliebten schönrede.393 Letztlich konfrontiert er ihn aber höhnisch mit der Nichtigkeit dieses Vorschlags: hiscine uersiculis speras tibi posse dolores / atque aestus curasque grauis e pectore tolli? (Hor. sat. 1, 2, 109 f.). Damit ist nun Ovids Relativierung seiner Beispiele und Weisungen ex post vergleichbar, durch die er seinen Leser – sowie die fiktiven Gewährsmänner seiner Beispiele – der Lächerlichkeit preisgibt:394 luditis, o si quos potuerunt ista mouere (rem. 433). Im Rahmen der Weisung, die sich auf die ‚Toiletten-Schau‘ bezieht, offenbart 392 393
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Gowers (2012) 102 ad 1, 2, 47–9, vgl. auch S. 86 ad sat. 2. Nach dem Kontrast, der darin besteht, dass eine Matrone aufgrund ihrer langen Gewänder körperliche Makel auch verbergen könne, eine Libertine dagegen leicht zu haben sei und ihren Körper sichtbar zur Schau stelle, fährt Horaz mit dem einem Kallimachos-Epigramm entnommenen Bild zum Reiz der Jagd (vgl. Gowers [2012] 112 ad 1, 2, 105–8) fort: An tibi mauis / insidias fieri pretiumque auellier ante / quam mercem ostendi? ‘leporem uenator ut alta / in niue sectetur, positum sic tangere nolit’ / cantat, et apponit ‘meus est amor huic similis; nam / transuolat in medio posita et fugientia captat’ (Hor. sat. 1, 2, 103b–108). Dadurch, dass Ovid in der Passage rem. 429–440 acht verschiedene hypothetische Hörergruppen imaginiere, fördere er die „aktive Rolle“ des Rezipienten, was den Effekt des Lächerlichmachens verstärke (so Brunelle [2005] 148, übers. Zitat). Auch konstatiert der praeceptor, dass er einen ganzen ‚Haufen‘ (aceruus, V. 424) an hilfreichen Strategien liefern könne. Das Wort acervus allein verweist auf die Gattung Satire (so Freudenburg [2001] 28 f. und Brunelle [2005] 146). In der programmatischen Horaz-Satire 1, 1 findet sich der Begriff beim Vergleich zwischen der emsig sammelnden Ameise und einem von avaritia getriebenen imaginären Kontrahenten des Sprechers (V. 36–40; vgl. auch P. Brown [1993] 89 ad sat. 1, 1). Das Bild des Haufens sei dabei zentral: Horaz’ Gegner, die Stoiker, seien weitschweifig (vgl. auch Freudenburg [1993] 114) und erweckten den Anschein, Vorschriften zu einem „massive, messy ‘pile’“ aufzuhäufen (Freudenburg [2001] 28). Vgl. zudem Freudenburg (2001) 29 zu Horaz’ Verbindung des Gattungsbegriffs satura mit σωρός, da die Gegner mit den für Chrysipp typischen Sorites- bzw. Haufenargumenten assoziiert würden. Nach Brunelle (2005) 146 grenzt sich Horaz von der Chrysipp’schen argumentativen Haufenbildung ab, was eine „prior definition of satirical diatribe as a pile of arguments“ (Brunelle [2005] 146) voraussetze. Wie Brunelle vermerkt: Auch das letzte Wort von Persius’ sechster Satire ist acervus (vgl. V. 80. Es ist jedoch „[u]mstritten […], ob unser Gedicht als abgeschlossen zu betrachten ist“, Kißel [1990] 760, wobei ein unvollendeter Zustand aber wahrscheinlich ist). Vgl. deshalb Brunelle (2005) 146 zu Ovids acervus: „Ovid’s elegiac heap then spills over into the field of satire“.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
111
der praeceptor sanitatis im Anschluss sogar den praeteritio-Charakter dieses Vorschlags:395 di melius, quam nos moneamus talia quemquam! (rem. 439). Erst nachdem sich der Leser damit auseinandergesetzt hat, distanziert sich Ovid wiederum davon. Hierin sieht Brunelle eine Referenz sowohl auf Horaz’ Satire im Besonderen als auch auf die Gattung Satire396 im Allgemeinen: „Ovid’s brief inclusion and derision of another man’s erotic experience links him to the aggressive rhetorical world of satire.“397 Die Präsenz des Satirischen manifestiert sich aber nicht nur in dieser Sprechhaltung, sondern auch in der inhaltlichen Gestaltung der Passage. Denn eine derart explizite (wenn auch retrospektiv zurückgenommene) Aufforderung, dass der Schüler sich so Hässliches und Ab‐ stoßendes vor Augen führen solle wie Vaginalflüssigkeit, Sperma und letztlich sogar Exkremente, sprengt die Grenzen der Gattung Liebeselegie und ist mit ihrer impliziten Grammatik nicht mehr vereinbar. Denn in ihr herrscht ein Verbot der Obszönität.398 Auch findet man nirgends innerhalb der Liebeselegie eine ausführliche Beschreibung dieser Flüssigkeiten – maximal liest man von Blut oder Tränen, die zu „controlled substances“ gehören.399 Und nicht einmal die in den Amores thematisierte Abtreibung (am. 2, 13 und 2, 14) ist in so abstoßenden Formulierungen besprochen.400 Diese Flüssigkeiten sind, so Brunelle weiter, mit abwertenden Attributen401 versehen und dabei, im Sinne der Zielsetzung, primär der Frau zugeordnet, wodurch eine gewisse „gendered disparity“402 entsteht, die wiederum eine Parallele zur Gattung Satire und zu Horaz (bei der Verspottung der Hexen
395 396
397 398
399 400 401 402
Vgl. Brunelle (2005) 147 f. Eingangs erörtert Brunelle (2005) 142 auch kurz die „amorphous nature“ und die Offenheit der satirischen Gattung, die sich einer eindeutigen Definierbarkeit entziehe und es zugleich leicht mache, dass Lukrez und Ovid (zumindest in Teilen) als Satiriker bezeichnet werden können. Brunelle (2005) 147. Vgl. Holzberg (2011d) 102. Zurecht betont Holzberg den gattungssprengenden und grenzüberschreitenden Charakter dieser Passage, welche die Interpretation unterstützt, dass sich die Remedia von der Gattung Elegie abwenden (vgl. ebd.). Vgl. auch Brunelle (2005) 148 f. Vgl. für Zitat und Ausführungen Brunelle (2005) 150 mit Bezug auf Amores und Ars. Vgl. Brunelle (2005) 148 f. und 156 Anm. 17. Vgl. etwa turpia […] membra (rem. 412), obscenas […] partes (rem. 429), reddente obscena puella (rem. 437), Brunelle (2005) 148 f. Brunelle (2005) 152. Für Männer etwa erfolgt bei der Aversionstherapie (Sex bis zum Überdruss, vgl. rem. 533–542) lediglich ein Vergleich mit übermäßigem Wassergenuss: sed bibe plus etiam quam quod praecordia poscunt; / gutture fac pleno sumpta redundet aqua (rem. 535 f.), vgl. S. 152 f.
112
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
in sat. 1, 8)403 darstellt; der Effekt der Bloßstellung der Frau und ihrer Negativ‐ zeichnung werde bei Ovid schon in der Kosmetikpassage (vgl. rem. 351–356) vorbereitet, in welcher der Gestank des weiblichen Makeups ebenfalls als remedium amoris genannt wird.404 Sowohl der männlich-spöttische Blick auf die Frau im Badezimmer als auch die Fokussierung von Exkrementen405 würden auf das satirische Genre verweisen. Und: A woman who is unpleasantly and uncontrollably wet looks less like the typical elegiac puella and more like the typical target of Roman satire, a genre that derives much of its invective from a focus on the leaky and imperfect body and a condemnation of female bodily fluidity.406
Ich gehe, in Fortführung von Brunelles Beobachtungen und Ergebnissen, ein paar Schritte weiter und frage konkret, ob und inwieweit Horaz’ Satiren und auch sein Buch der Epoden spezifische Intertexte darstellen, auf die Ovid in seinen Remedia rekurriert, und welche Referenzen Gattungstraditionen und welche diesen Prätexten zu schulden sind. M. E. sollte man nicht nur die (horazische) Satire als konzeptionelle Folie betrachten, sondern in Verbindung damit zudem den Jambus. Denn beiden Gattungen, die bei Horaz ähnliche Cha‐ rakteristika aufweisen und bei intertextuellen Analysen somit eine gemeinsame Betrachtung legitimieren, eignet eine obszöne und noch dazu aggressivere und stärker decouvrierende Topik, als sie für die Elegie typisch ist, und beiden Genres kann man für die auffällig unelegischen Passagen der Remedia Einfluss 403 404
405 406
Hinsichtlich sat. 1, 8 hält Brunelle (2005) 149 f. noch eine Parallele fest: So wie Priap in sat. 1, 8 und die lena in am. 1, 8 sei in der ugly-sex-Passage und bei der Makeup-Szene die Persona der Remedia ein versteckt bleibender Beobachter. Vgl. rem. 351–356 tum quoque, compositis cum collinet ora uenenis, / ad dominae uultus, nec pudor obstet, eas: / pyxidas inuenies et rerum mille colores / et fluere in tepidos oesypa lapsa sinus. / illa tuas redolent, Phineu, medicamina mensas; / non semel hinc stomacho nausea facta meo est. Brunelle (2005) verweist auch darauf, dass die entsprechende Anweisung an die puellae im dritten Buch der Ars (vgl. ars 3, 211–214) das Vorbild für diese Passage sei, betont aber auch, dass der „more hostile tone“ (S. 151) eine stärkere Nähe zur Satire signalisiere (vgl. S. 151 f.). Ovid rekurriert in rem. 355 f. (sowie in ars 3, 123) auch auf „Lucretius’ satirical reference to the smells created by women“ (R. Brown [1987] 297 ad 4, 1175), wobei Lukrez jedoch auf die gynäkologisch-medizinische „fumigation“ verweist, zu der auch die Anwendung stinkender Elemente gehörte (vgl. S. 296 mit Verweis auf etwa Hippokrates und Celsus). Vgl. Gowers (1995) 30–32 und Brunelle (2005) 150 mit Verweis auf Gowers. Brunelle (2005) 152. Brunelle macht auch auf die parallele Präsentation eines weiblichen Körpers „to an audience of men“ (S. 154) am Anfang von Horaz’ Ars poetica aufmerksam und verweist (S. 158 Anm. 29) auf die Interpretation der Horaz-Passage bei Oliensis (1998), besonders 198–202 (diese Stelle ist laut Oliensis ein Beispiel für den „‚male gaze‘“ auf das präsentierte „spectacle of the female monster“, S. 200).
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
113
zuschreiben. Die Themen der Obszönität und der ‚Rezipientenaktivierung‘ sind nicht auf die Satire beschränkt,407 sondern können, wie später zu zeigen ist, auch dem Jambus zugeordnet werden. Auch aus gattungsgeschichtlicher Perspektive lässt sich diese Herangehensweise begründen. Denn wenngleich die römische Satire ein eigenständiges Genre darstellt, so unterscheidet sie sich doch in vielerlei Hinsicht nicht von der griechischen Jambik, von der sie neben der Komödie stark abhängt:408 Besonders der satirische Sprechmodus, das ἰαμβίζειν, ist als konstitutiv für jambische und die späteren satirischen Texte zu betrachten.409 Auch David Mankin weist in diese Richtung, wenn er die invektivische Gattung unter die Kategorie „blame poetry“ subsumiert, in der es durch Kritik an verletzten sozialen Codes letztlich um deren Affirmation geht:410 Denn dies ist nicht nur für den Jambus, sondern auch für die römische Satire zentral.411 Trotz gradueller Unterschiede bleibt also mit Blick auf die bestehende Forschung festzuhalten, dass beide Gattungen grundsätzlich und darüber hinaus in ihrer horazischen Gestaltung eng miteinander verbunden sind.412 Zum Zweck einer übersichtlichen Argumentation sind diese zusammenhän‐ genden Gattungen aber getrennt voneinander zu analysieren. Zuerst ziehe ich einzelne Satiren des Horaz, auf die Ovid intertextuell und motivisch Bezug nimmt, für meine Untersuchung heran.413 Danach werden jambisches Sprechen im Allgemeinen und Horaz’ Epoden als eine Manifestation des Jambus fokus‐
407 408 409 410
411 412 413
Es geht mir also auch um eine Erweiterung von Brunelles (2005) Beobachtungen, deren Validität ich dennoch nicht in Zweifel ziehen möchte. Freudenburg (1993) 100 hebt etwa hervor, dass Horaz in seinen Satiren verschiedene Traditionsstränge miteinander verbindet, zu denen neben der Alten und der Neuen Komödie die jambographische und die aristotelische Tradition gehören. Vgl. hierzu u. a. Muecke (2005) 34 f. Für die horazischen Iambi identifiziert Mankin (1995) 8 f. die durch die Bürgerkriege gefährdete amicitia-Ordnung, womit Horaz durchaus griechische Gattungstraditionen fortführt, da auch im griechischen Jambus „philotes“-Konzepte dieser ‚ex-negativo-Af‐ firmation‘ unterzogen wurden. Es geht also darum, dass sich eine sozial zusammenge‐ hörige Gruppe durch die invektivischen Jamben ihrer Werte und ihres Zusammenhalts bewusst wird. Vgl. Mankin (1995) 8 Anm. 33 (mit Verweis auch auf einen weiteren Typus der blame poetry: die Alte Komödie) und Hooley (2007) 17. Vgl. auch Hooley (2007) 17 zur ‚Verzahnung‘ von Jambus und Satire. Auf den römischen Begründer Lucilius werde ich nur in einem Fußnotenvermerk zu sprechen kommen (siehe unten Anm. 465), da aufgrund der fragmentarischen Überlieferungssituation keine tiefergehenden Aussagen getroffen werden können. Zu Ennius, der eigentlich am Anfang dieser dezidiert römischen Gattung steht, wenngleich Lucilius als Archeget (vgl. Hor. sat. 1, 10, 46–49 und 64–67 sowie Quint. inst. 10, 1, 95; vgl. auch Muecke [2005] 33) wahrgenommen wird, werde ich aus demselben Grund, und um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, keine Aussagen treffen.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
siert; dafür ist auch die Berücksichtigung von Traditionen, die durch das horazische Vorbild Archilochos von Paros (vgl. Hor. epist. 1, 19, 24 f.) und besonders Hipponax sowie durch hellenistische Weiterentwicklungen etwa bei Kallimachos begründet sind, und die für Horaz bedeutsam waren, nötig.414 Über all dem sollen aber grundlegende Interpretationsfragen stehen, die immer die ovidischen Remedia als Spitze der Intertextualitätspyramide in den Blick nehmen: Warum bezieht sich Ovid auf die besagten Horaztexte und Gattungst‐ raditionen, wie lässt sich die Natur dieser Intertextualität näher bestimmen? Und welche Funktion kommt den satirischen und jambischen Elementen für die Gesamtkonzeption der Remedia zu?415 4.3.1.1 Die intertextuelle Anbindung der Remedia an die Autosuggestionspassage in Hor. sat. 1, 3 und Ovids Rezeption des vitium-Begriffs Zunächst soll es um eine bereits besprochene Passage der Remedia gehen – den Abschnitt zu Euphemisierungsstrategien und Autosuggestion (vgl. rem. 315– 340), in dem der praeceptor sanitatis seinem Schüler vorschlägt, dass er nur an die Fehler der Freundin denken und ihre Vorzüge durch die Praxis des Schlechtre‐ dens ins Gegenteil verkehren solle. Neben dem lukrezischen Prätext (vgl. Lucr. 4, 1149–1170), der für die Interpretation von Ovids Umgang mit dem Lehrgedicht wichtig ist,416 muss man noch weitere Vorlagen berücksichtigen. Das Thema
414
415
416
Ich beschränke mich auf repräsentative Autoren oder solche, die bei Horaz explizit genannt werden und die für meine Analyse des intertextuellen Einflusses auf die Remedia relevant sind. Andere griechische Jambiker wie Simonides nennt u. a. Hooley (2007) 16, wenn er die Stellung des Ennius in dieser Reihe betrachtet. Es sei grundsätzlich auf Hooleys Monographie verwiesen, da er sich in extenso allgemeinen Gattungscha‐ rakteristika in ihrer Diachronie widmet und in einzelnen Kapiteln die Autoren Horaz, Persius und Juvenal und die menippeische Satire sowie spätere Satiriker untersucht. Brunelles (2005) interpretatorische Folgerungen gehen in eine andere Richtung. Er greift den Ausgangspunkt seines Aufsatzes wieder auf – Diskussionen um „Ovide moralisé“ –, hält aber fest, dass es sinnvoller sei, für die spezifisch ovidische Satire-Affinität das von ihm analysierte interaktive Moment einzubeziehen. Denn Ovids (misogyner) Humor basiere schließlich auf der Reaktion des Lesers, der in der „interpretative role of Goldilocks“ (S. 154) sei und auf diesen Humor selbstständig reagieren müsse, bevor er Ovids eigene Antwort erhalte (der Leser erfahre bei Ovid dadurch eine „active and self-revealing role“ [ebd.]). Es geht also weniger darum, dass er konkret römische Realität karikiert. Am Ende hält Brunelle fest, dass „the interest in reader response“ (S. 155) eine Parallele zu Horaz, insbesondere Satire 1, 2, darstelle. Seine Konklusion „Ovid out-satirizes Horace“, für die er die Entwicklung der puella ausgehend von den Amores unter Einfluss der horazischen Canidia skizziert, ist m. E. jedoch etwas knapp dargelegt. Piazzi (2013) 232 hält mit Blick auf Ars, Remedia und Lucr. 4, 1160–9 fest: „The dialogue with Lucretius turns out to be fundamental to both Ovid’s didactic works on erotics“.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
115
der negativen oder positiven „ästhetischen Autosuggestion“417 ist bereits bei Platon vorgeprägt: Sokrates entfaltet dem Interlokutor Glaukon gegenüber sein Argument, dass man als Philosoph die gesamte Weisheit lieben solle, mithilfe der Analogie zu Liebhabern. Jeder, der etwas liebe, widme sich seiner Leidenschaft zu hundert Prozent, wie man am Beispiel eines Verliebten sehen könne, der sich auch missgestaltete Knaben durch Euphemisierungen schönrede (vgl. Platon, rep. 474d–475a). Der Einfluss dieser in der Antike berühmten Passage erstreckte sich bis auf die späteren lateinischen Texte, in denen die beschriebene ‚rhetorische Strategie‘ entfaltet wird, u. a. die genannte Lukrezstelle,418 die selbst wiederum zu einem Intertext für die Remedia amoris-Passage wurde. Doch damit nicht genug: Ovids eigene Liebeskunst (ars 2, 641–662) ist, wie bereits ange‐ führt,419 der zweite inter- (bzw. intra-)textuelle Referenzpunkt, und auch Horaz’ Satire 1, 3, 38–75 ist ein Bezugstext.420 Bevor ich konkret auf das Verhältnis zwischen der horazischen und der ovidischen Euphemisierungspassage blicke, sei die intertextuelle Vierecksbeziehung zwischen den lateinischen Texten in einer Zusammenschau betrachtet (für Visualisierungen im Rahmen des Modells zur Intertextualitätspyramide siehe Abbildungen 6 und 7).
417 418
419 420
Für die Verbindung des Begriffs mit dem Attribut ‚ästhetisch‘ vgl. das Handout (S. 4, Nr. 7) zu Jankas Vortrag (siehe oben Anm. 189). Vgl. etwa R. Brown (1987) 128: „The most spectacular instance of literary influence is undoubtedly the list of lovers’ pet names in 1160-69 […] This theme derives, directly or indirectly, from a passage of Plato’s Republic which was very well-known in antiquity, to judge from the number of later allusions and imitations“. Neben Platon ist zudem auch Theokrit (10, 24–27) als Textvorbild für die lukrezische Euphemisierungsstrategie zu betrachten (vgl. S. 78 f. und 128–130). Beiden griechischen Intertexten soll im Folgenden jedoch keine verstärkte Aufmerksamkeit zuteil werden, da sie mehr als allgemeiner Traditionsstifter für diese Thematik fungieren. Vgl. Piazzi (2013) 225 für die These, dass Lukrez auch Catulls „concept of all-consuming love“ und dessen Diminutivgebrauch im Finale satirisch aufgreift. Siehe oben S. 76. So bereits Prinz (1914) 50, auch mit Verweis auf die Platon-Stelle und Prop. 3, 24, 3–8.
116
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
Ovid, Remedia amoris
Ars amatoria; Lehrgedicht, Elegie
Catull;
Properz, Tibull,
Jambus
Ovid; Elegie
Vergil, Georgica;
Horaz, Satiren und Epoden; Satire, Jambus
Lukrez; Lehrgedicht
Lehrgedicht
Abbildung 6: Euphemisierungsstrategien und ‚rhetorische Selbstmanipulation‘ im Pyramidenmodell zu den Remedia amoris Ov. rem. 315–340
Hor. sat. 1, 3, 38–75
Hor. sat. 1, 3, 38–75
Lucr. 4, 1149–1170
Ov. ars 2, 641–662
Abbildung 7: Intertextualitätsvieleck zu Euphemisierungsstrategien und ‚rhetorischer Selbstmanipulation‘
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
117
Lukrez geißelt auf satirische Weise421 die Tendenz Verliebter, sich die geliebten Partner schönzureden. Ovid hingegen fordert im zweiten Buch seiner Liebes‐ kunst im Rahmen der Gewöhnungsmethode, auch mit Blick auf Lukrez, den Schüler nun auf, sich seine Geliebte eben schönzureden: parcite praecipue uitia exprobrare puellis, utile quae multis dissimulasse fuit. […] nominibus mollire licet mala: fusca uocetur, nigrior Illyrica cui pice sanguis erit; si paeta est, Veneri similis; si raua, Mineruae; sit gracilis, macie quae male uiua sua est; dic habilem, quaecumque breuis, quae turgida, plenam; et lateat uitium proximitate boni. 422 (ars 2, 641 f.; 657–662)
Bei Horaz wiederum, der Lukrez als „satirical ancestor“ für sich beansprucht,423 ist die erotische Komponente zwar auch ein Bestandteil von 1, 3, doch liegt
421 422
423
Vgl. auch Gowers (2012) 120 ad sat. 1, 3, die davon spricht, dass „[b]lindness to one’s loved ones’ faults“ von Lukrez „satirized“ wurde. Janka (1997) 455–457 ad 657–662 listet verschiedene Parallel- und Prätexte auf, die auf die Euphemisierungspassage in der Liebeskunst Einfluss haben, und beginnt auch hier mit der berühmten Platonstelle. Er verweist zudem auf die wörtlichen Anklänge an Lukrez (die Parallelstellen in der Ars sind ergänzend hinzugefügt): nigra, Lucr. 4, 1160 – nigrior, ars 2, 658; prae macie, Lucr. 4, 1167 – macie, ars 2, 660; tumida, Lucr. 4, 1168 – turgida, ars 2, 661. Für Jankas detaillierte Beobachtungen zur gesamten Passage und zu intertextuellen Anbindungen, auch zu Horaz’ dritter Satire (vgl. z. B. S. 459 zu Hor. sat. 1, 3, 44 f. und ars 2, 659 f. und S. 460 zu Hor. sat. 1, 3, 45 f. und ars 2, 661 f.) vgl. auch S. 455–461. Grundsätzlich lässt sich am Beispiel der Euphemisierungspassage der Remedia die Dichte der intratextuellen Verweise innerhalb der ovidischen Texte aufzeigen. Wenn in rem. 321 etwa steht: „quam breuis est! (nec erat)“, verweist Ovid auf ars 2, 661: dic habilem, quaecumque breuis, quae turgida, plenam, auf ars 3, 263 si breuis es, sedeas, ne stans uideare sedere und Ov. am. 2, 4, 35 haec habilis breuitate sua – und darüber hinaus eben auf Intertexte wie Lucr. 4, 1162, Hor. sat. 1, 3, 45 f. und weitere andere Texte (vgl. Janka [1997] 460 f., Kursivdruck bei Janka hier durch eigenen Fettdruck ergänzt). Vgl. hierzu auch Frings’ (2005) Analyse zu Ovids „gegenläufigen Formen des Selbstbetrugs“ (S. 137) in ars 2, 657–662 und rem. 315–320, vgl. S. 135–137. Gowers (2012) 120 ad sat. 1, 3.
118
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
der Fokus in dieser moralphilosophisch geprägten Satire auf einem anderen Themengebiet: der Toleranz gegenüber den Fehlern von Freunden.424 Illuc praeuertamur, amatorem quod amicae turpia decipiunt caecum, uitia aut etiam ipsa haec delectant, ueluti Balbinum polypus Hagnae. 40 uellem in amicitia sic erraremus, et isti errori nomen Virtus posuisset honestum. ac pater ut gnati, sic nos debemus amici si quod sit uitium non fastidire. strabonem appellat paetum pater et pullum, male paruus 45 si cui filius est, ut abortiuus fuit olim Sisyphus; hunc uarum distortis cruribus, illum balbutit scaurum prauis fultum male talis. (Hor. sat. 1, 3, 38–48)
So wie also erfahrungsgemäß Verliebte über Fehler ihrer Partner hinwegsehen oder auch ein Vater kleine Makel seines Sohnes durch positive Autosugges‐ tion schönredet und akzeptiert,425 soll man sich – anders als es in gegenwär‐ tigen Zeiten, in denen Schwächen fokussiert und Eigenheiten schlechtgeredet würden, üblich sei – auch bei Freunden verhalten. Dadurch könne man sowohl neue Freundschaften knüpfen als auch bestehende erhalten. Und wenn man über die kleinen Schwächen der Freunde hinwegsieht, könne man gleichzeitig erwarten, dass diese dann bei unseren eigenen Schwächen nachsichtig sind – niemand wird schließlich ohne Fehler geboren:
424
425
Gowers (2012) 118 ad sat. 1, 3 hebt hervor, dass hinter dieser Satire, die auf den ersten Blick von „traditionally acerbic spirit of satire“ entfernt sei, die Drohungen monarchischer Kontrolle und auch der Erinnerung an die Bürgerkriege stünden. Ferner gebe es, so Gowers, drei verschiedene Lesarten dieser Satire: „as a history of human civilization and social harmony; as another genealogy of satire; and as a further account of H.’s own civilizing.“ Vgl. S. 120 zur Verwandlung der lukrezischen Situation „in eine positive Tugend“ (übers. Zitat). Nach dem kurzen Einstiegssatz zum Verhalten Verliebter (vgl. sat. 1, 3, 38–40) beschreibt Horaz nicht wie Lukrez, dass sich Verliebte ihren Partner schönreden, sondern er spricht stattdessen von der Liebe der Eltern. Der nach Rudd unübersetzbare, neue Effekt dieser Verschiebung liegt auch darin begründet, dass die Euphemismen paetus, pullus, uarus und scaurus (vgl. V. 44–48) zeitgenössische Adelsgeschlechter Roms benennen, vgl. Rudd (1966) 26 und Kiessling/Heinze (1999) 53 ad loc. sowie Gowers (2012) 120 ad sat. 1, 3. Rudd stellt Horaz’ direkte intertextuelle Bezugnahme auf Lukrez heraus (auch wenn er dies nicht so bezeichnet) und folgert: „Finally, whereas Lucretius says ‘Lovers are deluded, and what fools they are’, Horace says, ‘Lovers and parents are deluded – yes, and it’s a pity there aren’t more like them!’ Thus by a deft surprise the scorn of the great Epicurean Evangelist is transformed into Horatian benevolence“ (ebd.).
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
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parcius hic uiuit: frugi dicatur. ineptus et iactantior hic paulo est: concinnus amicis 50 postulat ut uideatur. at est truculentior atque plus aequo liber; simplex fortisque habeatur. caldior est: acris inter numeretur. opinor, haec res et iungit iunctos et seruat amicos. at nos uirtutes ipsas inuertimus atque 55 sincerum furimus uas incrustare. probus quis nobiscum uiuit, multum demissus homo: illi tardo cognomen, pingui damus. hic fugit omnis insidias nullique malo latus obdit apertum, cum genus hoc inter uitae uersemur ubi acris 60 inuidia atque uigent ubi crimina: pro bene sano ac non incauto fictum astutumque uocamus. simplicior quis et est qualem me saepe libenter obtulerim tibi, Maecenas, ut forte legentem aut tacitum impellat quouis sermone molestus: 65 ‘communi sensu plane caret’ inquimus. eheu, quam temere in nosmet legem sancimus iniquam! nam uitiis nemo sine nascitur; optimus ille est qui minimis urgetur. amicus dulcis, ut aequum est, cum mea compensat uitiis bona, pluribus hisce,70 si modo plura mihi bona sunt, inclinet. Amari si uolet: hac lege in trutina ponetur eadem. 426 (Hor. sat. 1, 3, 49–72)
Erklärt man die intertextuelle Beziehung zwischen den Texten aus der Perspek‐ tive der Remedia amoris als Spitze der Intertextualitätspyramide,427 kann man sagen: Ovid invertiert zunächst den Grundtenor der Ars amatoria und verknüpft dabei intratextuell die Bücher seines Erotiklehrgangs. War es in der Liebeskunst noch das Ziel, sich durch aktives Bemühen zu verlieben, gilt es in den Heilmitteln gegen die Liebe, Strategien zu finden, mit denen man die Liebe beenden kann. 426
427
Bei der Wahl von amari sowie des Doppelpunkts nach volet (V. 71 f.) folge ich der Textausgabe Klingners (2012; vgl. auch Holzberg [2018] 62). Dagegen findet sich in der meiner Arbeit sonst zugrunde liegenden Ausgabe Shackleton Baileys (2008) für V. 71 f. amare / si volet hac lege, in trutina ponetur eadem. Die passive Form scheint mir an dieser Stelle, auch mit Blick auf die angesprochene Reziprozität in der Wertschätzung bei Übergehen kleiner Fehler, sinnvoller. Man könnte auch eine andere Perspektive einnehmen, die Horazstelle an die Spitze setzen und danach fragen, welcher Einfluss Lukrez zukommt und welche Rolle die griechischen Intertexte spielen.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
Dabei nähert sich Ovid wiederum dem lukrezischen Prätext an, von dem er sich in der Ars inhaltlich entfernt hatte,428 und geht, wie gezeigt, einen Schritt weiter, indem er zur Diffamierung, zum Schlechtreden der puella und ihrer Eigenschaften, rät. Was geschieht nun hinsichtlich des horazischen Intertextes? Auch hier inver‐ tiert Ovid den argumentativen Grundtenor. Denn Ovid propagiert die von Horaz beklagte negative Tendenz der rhetorischen Selbstmanipulation: Je effektiver man sich die puella schlechtreden kann, desto größer ist das Erfolgserlebnis im Prozess des Lösung von der Liebe (vgl. rem. 309–316). Zudem bleibt die ovidische Lehrer-Persona im Bereich der Erotik, die für Horaz hingegen nur als Analogie und Beispiel für den argumentativen Transfer dient (vgl. sat. 1, 3, 38–42): Denn in Satire 1, 3 steht der moralphilosophische Kontext der Toleranz in Freundschaftsangelegenheiten im Zentrum, den Ovid – in Fortführung der Ars – in einen rein erotodidaktischen rückverwandelt. Dass man von einer solchen aktiven Bezugnahme auf den horazischen Prätext sprechen darf, die dritte Satire also neben Lukrez und der Ars zum Intertext der Remedia-Stelle erklärt, lässt sich auch belegen, wenn man beide Passagen einander vergleichend gegenüberstellt. Hor. sat. 1, 3, 38–72
Ov. rem. 315–348 und 417 f.
Illuc praeuertamur, amatorem quod amicae
profuit assidue uitiis insistere amicae,
turpia decipiunt caecum, uitia aut etiam ipsa haec delectant, ueluti Balbinum polypus Hagnae. uellem in amicitia sic erraremus, et isti errori nomen uirtus posuisset honestum. ac pater ut gnati, sic nos debemus amici si quod sit uitium non fastidire. strabonem appellat paetum pater et pullum, male paruus si cui filius est, ut abortiuus fuit olim Sisyphus; hunc uarum distortis cruribus, illum balbutit scaurum prauis fultum male talis.
428
idque mihi factum saepe salubre fuit. ‘quam mala’ dicebam ‘nostrae sunt crura puellae!’ (nec tamen, ut uere confiteamur, erant); ‘bracchia quam non sunt nostrae formosa puellae!’ (et tamen, ut uere confiteamur, erant); ‘quam breuis est!’ (nec erat), ‘quam multum poscit amantem!’; haec odio uenit maxima causa meo. et mala sunt uicina bonis: errore sub illo pro uitio uirtus crimina saepe tulit.
Trotz der inhaltlichen Entfernung ist die lexikalische Anknüpfung an die ars-Stelle stark ausgeprägt, weswegen neben der erneuten Lukrez- und auch der Horazreferenz betont werden muss, dass Ovid eben zunächst das praeceptum der Ars in den Remedia invertiert. Für Parallelen vgl. Geisler (1969) 326 f. ad loc. und Janka (1997) 460 ad loc.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
Hor. sat. 1, 3, 38–72
Ov. rem. 315–348 und 417 f.
[…]
qua potes, in peius dotes deflecte puellae
at nos uirtutes ipsas inuertimus atque
iudiciumque breui limite falle tuum.
sincerum furimus uas incrustare. […]
[…]
[…]
durius incedit, fac inambulet; omne papillae
nam uitiis nemo sine nascitur; optimus ille est
pectus habent, uitium fascia nulla tegat.
qui minimis urgetur. amicus dulcis, ut aequum est,
[…]
cum mea compensat uitiis bona, pluribus hisce,
improuisus ades: deprendes tutus inermem:
si modo plura mihi bona sunt, inclinet. amari
121
infelix uitiis excidet illa suis.
si uolet: hac lege in trutina ponetur eadem. tunc animo signa, quaecumque in corpore menda est, luminaque in uitiis illius usque tene.
In beiden Texten ist eingangs von den uitia amicae (rem. 315 und sat. 1, 3, 38 f.) die Rede,429 und auch in zwei inhaltlichen Punkten finden sich Übereinstimmungen: bezüglich des autosuggestiven Umgangs mit der Schienbeinform der puella (vgl. rem. 317 f. und sat. 1, 3, 47) und der Größe des Objektes der Autosuggestion (vgl. rem. 321 zur puella und sat. 1, 3, 45 f. zum Sohn, den sich der liebende Vater schönredet). Während sich der Blick auf die Größe auch in ars 2, 661 und Lucr. 4, 1162 findet, werden die Schienbeine explizit nur bei Horaz und in den Remedia angeführt.430 Hervorzuheben ist zudem die beiderseitige Rekurrenz auf den „in der Rhetorik und Historiographie geläufigen Topos von der Affinität von virtus und vitium“431 (vgl. rem. 323 f. und sat. 1, 3, 41 f.432). Bereits ars 2, 662 greift das Motiv auf und stellt dabei die direkte Rezeptionsfolie für diese
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Auch Pinotti (1993) 185 f. ad 315–16 sieht hier wie für die gesamte Passage eine eindeutige und ausdrückliche intertextuelle Anspielung Ovids auf Horaz: „Un altro modello rifuso qui da Ov., ma più vicino ai RA per il tono divertito e non sarcastico, è Hor. serm. 1, 3, 39-75, a cui il poeta allude espressamente“ (S. 186). Dies belegt sie durch zwei lexikalische Parallelen: zum einen greife das incipit von rem. 393 (optimus ille) den Schluss der horazischen Sentenz auf (optimus ille in sat. 1, 3, 68), zum anderen finde sich die Junktur uitia amicae aus rem. 315 in sat. 1, 3, 38 f. bei Horaz vorgeprägt. Das schließt nicht aus, dass in der Schönheit der Beine auch ein allgemeiner Topos gesehen werden kann, auf den beide Dichter rekurrieren. Janka (1997) 461 ad ars 2, 662. Vgl. auch Geisler (1969) 324 ad 323 f.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
Remedia-Stelle dar.433 Doch ist es möglich, dass sowohl die Ars als auch Horaz’ Satire, die beide das Motiv verarbeiten, gleichzeitig Intertexte für die Remedia sind.434 Ein weiteres Argument, das die aktive Bezugnahme auf Horaz nahelegt, ist die inhaltliche Parallele zwischen Ov. rem. 325 f. (qua potes, in peius dotes deflecte puellae / iudiciumque breui limite falle tuum) und Hor. sat. 1, 3, 55 f. (at nos uirtutes ipsas inuertimus atque / sincerum furimus uas incrustare). Auch wenn sich keine lexikalischen Übereinstimmungen finden, so fällt doch auf: Horaz beklagt die Tatsache, dass wir positive Eigenschaften in schlechte verkehren. Ovid macht aus eben dieser Aussage eine Aufforderung: Wende die Gaben deiner Geliebten ins Schlechte!435 Und in beiden Fällen folgt auf diese Thematik ein sprachliches Bild. Bei Horaz verschmutzen wir durch die Praktik des Schlechtre‐ dens ein ‚reines Gefäß‘,436 bei Ovid sollen wir uns selbst – durch die Diffamierung der puella – so täuschen, dass wir über die imaginäre Grenze hinweggehen, welche die nah beieinander liegenden Bereiche ‚gut‘ und ‚schlecht‘ trennt.437 Zudem wird in beiden Fällen je ein Distichon darauf verwendet.438 Folglich 433
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Vgl. Janka (1997) 461 ad 662 mit Markierung von bonis und uitio (rem. 323 f.) für wörtliche Anklänge: „[D]as nämliche Prinzip wie hier [Anm.: in ars 2] kommt dort in gegenläufiger Tendenz zur Anwendung.“ Janka verweist zudem auf weitere Stellen, in denen dieser Topos eine Rolle spielt, von Arist. rhet. 1367 a 32 ff., Thuc. 3, 82, 4 ff. über Liv. 22,12,12 bis zu Sen. contr. 7 praef. 5. Vgl. auch Geisler (1969) 324 f. ad 323 f. Geisler listet ebenfalls Werke auf, in denen „die stereotype Wiederkehr der Wörter vicinus, vitium und virtus“ auf den Toposcharakter dieser besonders in der Rhetorik etablierten Phrase verweist. Geisler (1969) 324 ad 323 f. betont, dass die Passage aus der Ars übernommen ist, dekla‐ riert aber den Horazauszug als „Parallelstelle“. Denn „einen allgemeinen Gedanken dieser Art“ finde man zwar bei Horaz, nicht aber bei Lukrez (in der Passage Lucr. 4, 311–356). Zur Gestaltung der aristotelischen vicinitas-Theorie in den Remedia vgl. auch Pinotti (1993) 187 ad 323–34. Dass auch hier zugleich die Ars amatoria im Hintergrund steht, belegt der Blick auf ars 3, 262 quaque potes, uitium corporis abde tui, wenn die Lehrer-Persona (in diesem andersgearteten Argumentationszusammenhang) den Schülerinnen den Hinweis gibt, dass sie ihre eigenen Fehler so gut wie möglich verbergen sollen, vgl. auch Gibson (2003) 202 ad loc. und siehe auch unten Anm. 455 und 456. Bei Horaz finden sich sogar zwei Metaphern aus dem Bereich der Önologie: Durch Um‐ drehen wie bei einer Weinflasche werden aus Tugenden Fehler, und das Beschmutzen entsteht wie durch „incrustation of sour wine left too long in its jar“ (Zitat und Ausführungen Gowers [2012] 131 ad 1, 3, 55–6). Vgl. Geisler (1969) 325 ad 326 zu weiteren Stellen, in denen diese Metapher gebraucht wird. Vgl. Pinotti (1993) 186 ad 315–16 zur Adaption von sat. 1, 3, 55: „il discorso di Orazio […] prosegue con la riflessione at nos virtutes ipsas invertimus (1, 3, 55), esemplificata da una serie di virtù fraintese, che può aver dato lo spunto ad Ov. per la sua sotto-sezione (325ss.) sulle dotes puella volte in peius“ (ebd.). Der explizite Blick auf die Metaphorik im Pentameter findet sich nicht, allerdings betont Pinotti die sprachlich-rhetorische „forma
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
123
behaupte ich, dass Ovid den horazischen Tadel insofern invertiert, als er zum einen den Satzmodus verändert, also eine Handlungsanweisung gibt, anstatt zu konstatieren, und zum anderen aus dem beklagten Zustand einen temporär idealen macht – die inhaltliche Fokussierung auf das Schlechtreden bleibt jedoch bestehen. Da sich weder in der Ars noch bei Lukrez zu diesen beiden Distichen Parallelen finden,439 lässt sich so die These, dass Ovid auf Horaz Bezug nimmt und nicht einfach nur die Weisungen seiner Ars amatoria ins Gegenteil verkehrt, weiter bekräftigen. Auch dem Einwand, dass der horazische Intertext nur vermittelt über die Ars relevant ist, kann man anhand dieses Beispiels widersprechen. Zudem verfallen von den 21 Versen der Ars-Passage zehn Verse auf die „sentenziöse Würdigung des Faktors Gewohnheit […] mit Analogien aus der Pflanzen- und Tierwelt“440; die Vergleichsstellen, in denen es konkret um Autosuggestion und Beispiele bzw. praecepta geht, sind also zahlenmäßig um einiges geringer als sowohl im lukrezischen als auch im horazischen Prätext. Dadurch wird es wahrscheinlicher, dass die Aussagen der Remedia zusätzliche Parallelen in eben diesen Textstellen haben.441 Zusätzlich fällt noch die Präsenz des Begriffes vitium in beiden Texten auf. Dieser kann mit Blick auf die dritte Satire von Horaz als das zentrale Leitmotiv und Thema bezeichnet werden, was eine quantitative Analyse bestätigt: Zehn Mal wird das Wort in Satire 1, 3 verwendet, im ersten Buch insgesamt ‚nur‘ 20 Mal und im zweiten Buch an 17 Stellen, wenn man die Formen des Verbs vitiare und das Adjektiv vitiosus ebenfalls mitrechnet.442 Bei Horaz werden einige der verschiedenen, möglichen Denotationen des Begriffs, dessen Grund‐
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440 441 442
elaborata“ (S. 187) und hält (unter Bezug auf den ThLL) fest, dass die Verwendung von dotes in der Bedeutung „indoles, facultates, qualitates“ (S. 188) eine ovidische Innovation darstelle (vgl. S. 187 f. ad 325–26). Deutliche Parallelen zwischen Lukrez und den Remedia gibt es am Anfang der Euphe‐ misierungspassage, wenn Ovid den Hinweis gibt, dass man die negativen Seiten des Mädchens im Blick haben solle. Dies geht d’accord mit Lukrez’ Tadel, dass man für Mängel der Geliebten blind werde und ihr nicht-existente Reize attribuiere (vgl. Lucr. 4, 1152–1154 und siehe oben S. 75 f.). Doch für die aktive Inversion positiver Eigenschaften und die bewusste Negativcharakterisierung des Mädchens gibt es in keiner der beiden genannten Vergleichsstellen eine Parallele. Janka (1997) 447 ad 641–662. Denn die Lukrez-Diatribe kennzeichnet ein satirischer Tonfall, siehe oben Anm. 217. Und zwar an den folgenden Stellen: 1, 3, 1; 1, 3, 20; 1, 3, 26; 1, 3, 28; 1, 3, 35; 1, 3, 39; 1, 3, 44; 1, 3, 68; 1, 3, 70; 1, 3, 76. Im ersten Satirenbuch zudem in 1, 2, 24; 1, 2, 76; 1, 4, 9 (vitiosus); 1, 4, 101; 1, 4, 106; 1, 4, 129; 1, 4, 131; 1, 4, 140 (die Häufung in der vierten Satire ist auf den Kontext der Erziehungshinweise durch Horaz’ Vater zurückzuführen); 1, 6, 65; 1, 6, 85; im zweiten Buch in 2, 1, 56 (vitiato); 2, 2, 21; 2, 2, 54; 2, 2, 69; 2, 2, 78; 2, 2, 91 (vitiatum); 2, 3, 92; 2, 3, 213; 2, 3, 307; 2, 4, 54 (vitiata); 2, 4, 76; 2, 6, 7; 2, 7, 6; 2, 7, 19; 2, 7, 42; 2, 7, 108 (vitiosus); 2, 8, 50.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
bedeutung „physischer und moralischer Defekt“ ist,443 akzentuiert:444 Vitium bezeichnet etwa in sat. 1, 3, 20; 1, 3, 39 und 1, 3, 70 oder auch 1, 4, 131 einen moralischen Fehler, die Lasterhaftigkeit eines Charakters im Gegenteil zum Begriff virtus.445 Auch denotiert vitium bei Horaz „mental disorder“ als Ersatz für die erwartete Bezeichnung morbus.446 Darüber hinaus steht vitium für einen ästhetischen Makel (etwa in 1, 3, 44 und 68) und, ebenfalls ohne philosophische Implikationen, für fehlerhaftes Verhalten, wenn es um Feinkost geht (so in der Lehrgedichtsparodie in sat. 2, 4). In der dritten Satire (1, 3) stehen nun die ersten beiden Aspekte von vitium im Zentrum, wobei zunächst die moralischen Mängel der Freunde fokussiert werden (vgl. V. 26, 28, 35). In der Analogieforderung, dass man sich ein Beispiel am Verhalten von Geliebten oder Vätern nehmen sollte, sieht man jedoch eine Verschiebung: vitium bezeichnet in den folgenden Versen ausschließlich Schönheitsmängel (vgl. V. 39, 44), bis Horaz im Rahmen der gnomischen Sentenz nam uitiis nemo sine nascitur (V. 68) eine ambigue Deutung zulässt. Sowohl in V. 68 als auch in V. 70 lässt sich vitium m. E. in seiner moralischen und zugleich seiner ästhetischen Bedeutung verstehen,447 wodurch sich die beiden vorangehenden Argumentationsstränge verbinden lassen. „Denn niemand wird ohne Fehler geboren“ passt, dem unmit‐ telbaren Kontext entsprechend, einerseits auf Fehlbildungen oder ästhetische Eigenheiten von Geburt an; andererseits erkennt man auch den gnomischen Charakter dieser Sentenz, wodurch der Terminus des Naturdefekts auch auf Persönliches und Charakterliches ausgeweitet werden kann.448 Ab V. 76, wenn 443 444
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Vgl. Paschall (1936) 219, übers. Zitat. Eine Übersicht über die Bedeutungsmöglichkeiten von vitium findet sich im OLD, Bd. II, 2292 f. So könne der Begriff etwa allgemein für eine Vollendung verhindernde Qualität, einen Fehler („defect“) und Mangel, für materielle Unvollkommenheit, körperlichen Makel oder fehlerhafte Form sowie für Schaden, charakterlichen Fehler, moralisches Versagen oder Laster stehen. Vgl. ebd. für weitere (Spezial-)Bedeutungen. Vgl. Georges (2013) s. v. „vitium“, 2. B. II., Sp. 5049 f., auch für den Einsatz als t.t. in verschiedenen Bereichen. Muecke (1993) 164 ad sat. 2, 3, 307. Muecke verweist auf sat. 1, 6, 30, in der morbus auch tatsächlich verwendet wird. Da Horaz in sat. 2, 3 Damasipp gegenüber erklärt, an welcher ‚Geisteskrankheit‘ er leidet, dient die Bezeichnung vitium laut Muecke dazu, „to remind us that the disease is a moral fault as well“ (ebd.). Gowers (2012) spricht ohne nähere Differenzierung von „defects“ (S. 134 ad 68–9, 69–72). Vgl. analog dazu Prop. 2, 22a, 17 f.: unicuique dedit uitium natura creato: / mi fortuna aliquid semper amare dedit (vgl. zu Horaz Gowers [2012] 133 ad 1, 3, 68, die der Ansicht ist, dass diese „proverbial phrase“ in der diatribischen Satire „possibly ‘in quotation marks’ as a stereotypically pious motto, contrasting in tone with H.’s annoyed opening generalization“, fungiere) und zu Properz Fedeli (2005) 637 ad loc., der betont, dass vitium gewöhnlich für einen Defekt steht, in diesem Fall aber speziell Properz’ Verfasstheit bezeichnet. Vgl. auch den Vers Catull. 22, 20: suus cuique attributus est error,
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
125
sich die horazische Persona zur philosophischen Perspektive auf Emotionen à la Panaitios und den Peripatetikern bekennt,449 ist die ästhetische Sicht auf vitium jedoch wieder ausgeblendet450– für den Rest des ersten Buches ist erneut ausschließlich die moralische Bedeutung von vitium fokussiert. In den Remedia wird der Begriff vitium in den Versen 53 f. (utile propositum est saeuas extinguere flammas / nec seruum uitii pectus habere sui) und 133 f. (quin etiam accendas uitia irritesque uetando, / temporibus si non aggrediare suis) zu‐ nächst als Synonym zu morbus 451 gebraucht und bezeichnet die Liebeskrankheit, die zu heilen das Ziel der Remedia ist. In der Passage, in welcher der Schüler nun aufgefordert wird, an die Fehler der Geliebten zu denken und sich diese schlechtzureden, stellt vitium den „Schlüsselbegriff des ganzen Abschnitts“452 dar. Vitium wird dabei ausschließlich auf das Thema des körperlich-ästhetischen Makels begrenzt.453 Dass sich nun sowohl Horaz’ Satire 1, 3 als auch die Remedia über die inhaltliche Nähe und Rezeption gleicher Topoi hinaus desselben Leitbegriffes bedienen, unterstützt die These der intertextuellen Beziehung –
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den Fedeli ebenfalls als Parallelstelle heranzieht. In diesem carmen ist von Suffenus’ Vielschreiberei, seiner Dummheit und gleichzeitig seiner Zufriedenheit bzw. Selbstliebe die Rede. Diese Eigenschaften und Verhaltensweisen bezeichnen bei Catull den error, der quasi zur conditio humana gehört. Vgl. Gowers (2012) 134 ad 1, 3, 76–7. In der vierten Satire geht es erst um Lucilius’ literarische Fehler (vgl. sat. 1, 4, 9 und 101). Danach taucht vitium wieder in seiner moralischen Bedeutung auf. Denn Horaz berichtet von der Erziehung durch seinen Vater, und wie er ihn etwa zur Vermeidung von Fehlern auf das Beispiel anderer verwiesen hatte (vgl. sat. 1, 4, 105 f., 128–131). Eine begriffliche Differenzierung des „‚organischen Defekts‘“ findet sich auch bei Cicero (Gigon [1998b] 446 zu Tusc. 4, 28b–30a). Während morbus für eine „akute Krankheit“ steht und aegrotatio eine „schleichende Kränklichkeit“ bezeichnet, bedeutet vitium „Mißbildung“ und zielt auf die „Disproportioniertheit des Körper[s]“ ab (Gigon [1998a] 535 ad §28). Hier haben wir, wie Henderson (1979) 58 ad 133 hervorhebt, wieder ein Beispiel für ovidischen „self-plagiarism“ (aus am. 3, 4, 11 desine, crede mihi, uitia irritare uetando), wobei auch hier andere Intertextualitätsbezüge festzuhalten seien (Verg. georg. 3, 454 oder auch Lucr. 4, 1068). Geisler (1969) 331 ad 337 f. So auch Janka (1997) zur korrespondierenden Ars-Stelle (ars 2, 662), in der vitium einen „Leitbegriff“ (S. 461) darstellt. Pinotti (1993) 187 ad 323–34 spricht für das Distichon V. 323 f. ebenfalls vom „‘Leitmotiv’ del vitium“. So in V. 315, 338, 348 und 418. Auch in V. 324 hat vitium diese Bedeutung (vgl. auch Pinotti [1993] 185 ad 315–16), doch ist hier gleichzeitig die Rekurrenz auf den „Topos von der Affinität von vitium und virtus“ (Janka [1997] 461) zu verweisen, siehe oben S. 121, und vgl. zur vicinitas Pinotti [1993] 187 ad 323–34. Dass es im Distichon V. 417 f. um „difetti fisici della puella“ geht, betont auch Pinotti (1993) 213 ad 413–18 mit Verweis auf ars 2, 641 ff., rem. 315 ff. Für den Hinweis auf diese Reduktion des Begriffes in den Remedia sei erneut Markus Janka gedankt, der dies in seinem Vortrag aus dem Jahr 2016 (siehe oben Anm. 189) prägnant konstatiert und mir so wichtige Anregungen für diesen Forschungsansatz gegeben hat.
126
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
wobei zugleich ars 2, 641–662454 zu nennen ist. Auch dort, wie ebenfalls in Ars 1 und Ars 3,455 findet diese Bedeutungs-Reduktion statt. Selbst wenn dadurch die intratextuelle Verbindung der Tetralogie deutlich wird – die Satire- und Horaz-affine Sprechhaltung in diesem Abschnitt erlaubt es, die Remedia nicht nur stets in Verbindung mit den vorausgehenden drei Büchern der Liebeskunst, sondern auch isoliert von der Ars zu betrachten und allein mit den satirischen Texten zu verbinden.456 Welche Folgerungen lassen sich nun aus den bisherigen Beobachtungen ziehen? Horaz akzentuiert (moralische und ästhetische) Fehlerhaftigkeit – doch sollte man die horazische Persona nicht auf einen philosophischen Moralisten beschränken:457 Denn ridentem dicere uerum (vgl. sat. 1, 1, 24) ist schließlich die Sprechhaltung, welche die Persona von Anfang an, auch bei den moralphi‐ losophisch-diatribischen Satiren am Beginn der Sammlung, einnimmt. Horaz belehrt und unterhält durch seinen kolloquial-assoziativen Stil458 und fügt auch Aspekte der Erotik in seine Argumentation mit ein. Er parodiert dabei die philosophische Tradition,459 welche den Rahmen für Inhalt und Sprache von
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In den Versen 657–662 folgen „[d]etaillierte Anweisungen zur dissimulatio vitiorum in Schönheitsdingen“ (Janka [1997] 448 ad 641–642 und 455–457 ad 657–662). Denn: „Ein komplementäres Praeceptum erhalten auch die Mädchen, s. Ars 3, 261 f.“ (Janka [1997] 448 ad ars 2, 641–642). Janka (1997) 447 ad 641–642 betont zurecht, dass beim Andromeda-exemplum zu Beginn der Passage in ars 2 (parcite praecipue uitia exprobrare puellis, / utile quae multis dissimulasse fuit. / nec suus Andromedae color est obiectus ab illo, / mobilis in gemino cui pede pinna fuit, V. 641–644) zunächst, also bis zum Nennen des color Andromedas, noch nicht klar ist, ob es sich um einen körperlichen oder charakterlichen Mangel der Heroine handelt. Bei einer fortschreitenden Lektüre löst sich diese Unsicherheit m. E. jedoch auf und der Fokus auf die Körperlichkeit wirkt auch retrospektiv auf das Andromedabeispiel zurück. Vitium bedeutet „Schönheitsfehler“ (Janka [1997] 448 ad 641–642) eben auch in ars 1, 250, in unserer Remedia-Passage sowie in ars 3, 262 (vgl. Gibson [2003] 202 ad 262 und Janka [1997] 448 ad 641–642); und um körperliche Mängel geht es auch in ars 3, 295 und 754. Für Beiträge zu (moral-)philosophischen/ethischen Traditionen, auf die Horaz u. a. in den Satiren zurückgreife, vgl. etwa Rudd (1993) 64–71; Gowers (2012) 20 f. mit Verweis auf weiterführende Literatur zu im Hintergrund der horazischen „‘[e]clectic’ […] philosophical views“ stehenden Werken (vgl. S. 20 Anm. 103 mit Nennung von u. a. Rudd [1993]); Yona (2018) mit Fokus auf dem Einfluss Philodems. Vgl. u. a. Holzberg (2009c) 66. Rudd (1966) 25 spricht auch von Horaz’ typischem „individual twist to the common‐ places of popular philosophy“. Denn auch die Passage zur Autosuggestion (vgl. sat. 1, 3, 38–66 zum „misuse of complimentary and pejorative terms“) basiert auf einer ernster zu nehmenden Argumentationsgrundlage – „[t]he connexion between linguistic and moral behaviour“ (ebd.), wie man sie etwa bei Thukydides (3, 82) und Platon (rep. 560 d–e) finde.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
127
Satire 1, 3 liefert – etwa, indem er seriöse Belehrung mit Elementen des Spotts vermischt: „[H]umorvoll attackiert“460 er die stoische Doktrin, die darin besteht, dass alle Verfehlungen und Laster gleichwertig seien (vgl. sat. 1, 3, 96) und nur der Weise ein König sei (vgl. sat. 1, 3, 141 f.).461 So bewegt er sich im Rahmen „einer epikureischen Kritik stoischer Moralsätze“462 und gleichzeitig einer komischen Karikierung des epikureischen Kritikers; einer Kritik, die wie in den anderen beiden Moralsatiren am Anfang der Sammlung somit nicht ernst zu nehmen ist, sondern deren lächerliche und durchaus ‚vulgäre‘ Elemente darauf verweisen, welche Rolle Humor und Parodie von u. a. philosophischen Diatribe-Traditionen spielen.463 Und auch die Mischung der beiden unterschied‐ lichen Bedeutungen von vitium lässt sich aus parodistischer Perspektive inter‐ pretieren. An keiner anderen Stelle im Satirenkorpus verwendet Horaz die Defektivität im ästhetischen Sinn,464 und in sat. 1, 3 nutzt er sie zudem funk‐
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Holzberg (2009c) 67. Vgl. Kiessling/Heinze (1999) 44 zur „übermütigste[n] Verhöhnung stoischer Paradoxa“ in der zweiten Hälfte der Satire. Vgl. Kiessling/Heinze (1999) 60 ad 1, 3, 96; 65 f. ad 124–133 und 67 ad 141 f. und Gowers (2012) 137 f., 143–145 und 147 ad loc. zu diesen Stellen und 118–121 in der Einführung zu sat. 1, 3. Zur Parodie von Philosophie vgl. auch sat. 1, 2 (der peripatetische Mittelweg wird für optimalen Liebesgenuss funktionalisiert, siehe auch Anm. 506 und 507), sat. 2, 2 (hellenistische Vermeidung von Unverfügbarem, vgl. Holzberg [2011b] 135, wird zu Ofellus’ Empfehlungen für Zurückhaltung beim Essen) und sat. 2, 7 (moralphilosophische Authentizität wird durch unglaubwürdige Gewährsmänner konterkariert, siehe unten die Ausführungen in Kapitel 4.3.1.2). Kiessling/Heinze (1999) 45. Zur Anknüpfung der dritten und der zweiten Satire an epikureisches Gedankengut, auch durch die Referenz auf Philodem, vgl. Holzberg (2009c) 68 und Gowers (2012) 88 ad sat. 1, 2. Vgl. Turpin (2009) 122 f. (Beitrag ursprünglich 1998 in Ramus 27 [2], 127–140 er‐ schienen). Turpin folgt parodistischen Deutungen dieser Satiren und unterzieht die Persona der ersten Satiren einer erweiterten Interpretation. Er sieht sie nicht nur als „ridiculous moralist“, sondern als einen Sprecher, der gleichzeitig (inkompetenter, wenngleich professioneller und von sich überzeugter, und traditionell attackierter, vgl. S. 124–126) Epikureer und die „stock figure of Greek and Latin comedy, the parasite“ (S. 123) ist. Eben aus dieser Verbindung speise sich, so Turpin, die besondere Komik von sat. 1, 1–3. Für die parodistische Interpretation dieser horazischen Satiren vgl. etwa auch Freudenburg (1993) 17, der sie als „burlesque of Greek popular philosophy“ erachtet. Im zweiten Buch ist der Begriff vitium aber durchaus in komischen Kontexten ver‐ wendet bzw. weniger stringent und viel ‚bunter‘ als im ersten Satirenbuch ausgestaltet. In 2, 2, 21 bedeutet vitium „Schlemmerei“. In 2, 3, 92 und 307 etwa bezeichnet es die Geisteskrankheit der Unvernünftigen; in der Lehrgedichtsparodie 2, 4, in der Horaz sich über die Form des „Vulgärepikureismus“ (Holzberg [2009c] 88), für den Catius steht, lustig macht, denotiert vitium in V. 74 feinschmeckerische Verirrungen, und in 2, 8, 50 sauer gewordenen Rebensaft. In 2, 7 findet sich aber auch wieder eine moralisch-charakterliche Bedeutungsdimension, so in V. 6 f. (pars hominum uitiis gaudet constanter […] pars multa natat), wenn Davus ausführlicher zu sprechen beginnt und
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
tional: Die Adaption der Autosuggestions-Passage bricht mit dem ursprünglich diatribisch-erotischen Kontext bei Lukrez und öffnet das Feld des Schönredens für das Freundesthema. Doch der Einzug der ästhetischen Komponenten mit dem Blick auf die Fehlerhaftigkeit der Freunde transformiert wiederum den moralphilosophischen Kontext und bringt Witz in diese Passage. Betrachtet man die Präsenz des konkret Körperlich-Ästhetischen als ein wichtiges Mittel für Horaz’ parodistischen Umgang mit der philosophischen Tradition, so lässt sich dies eben paradigmatisch am Begriff vitium nachvollziehen, der in sat. 1, 3 zwischen beiden Denotationen ‚schwankt‘ und sie schließlich ambig verbindet, bevor der ästhetische Aspekt erneut verschwindet.465 Bei Ovid spielt nun die moralphilosophische Bedeutung des Terminus vitium keine Rolle, vielmehr begrenzt er ihn, wie auch den Freundschafts-Kontext des Horaz, auf das Körperliche und Erotische,466 und führt dabei in den Remedia diese Tendenz aus der Ars amatoria fort. Wie auch Horaz nimmt Ovid hier m. E. eine parodistische Grundhaltung an. Während Horaz also Aspekte der Moralphilosophie teilweise parodiert und teilweise übernimmt, parodiert Ovid
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sich in seinen Formulierungen diatribischer Stil widerspiegelt (vgl. Muecke [1993] 215 ad 2, 7, 6); um fehlerhaftes Verhalten geht es auch in V. 19 und in V. 42. In sat. 1, 4 wird vitiosus zur Beschreibung der fehlerbehafteten Art, in der Lucilius Verse dichtet, verwendet (vgl. V. 9); in V. 101 spiegelt sich der moralische Aspekt: So sagt Horaz als Reaktion auf literarische Kritik, dass ihm das vitium der mangelnden Verteidigung von Freunden und der offenen Kritik an ihnen fern sei (vgl. u. a. auch P. Brown [1993] 135 ad 1, 4, 99–100). Zu vitium als Laster im moralischen Sinn vgl. auch V. 106 (Horaz’ Vater „brandmarkte“, so Holzbergs [2011b] 42 Übersetzung, Laster durch Beispiele), V. 129 und V. 131 (Horaz sei von schwerwiegenden Fehlern frei und habe nur uitia mediocria); in V. 139 f. wird der Begriff wieder auf die Schreibweise des Horaz bezogen: Seine moralphilosophischen Reflexionen (vgl. P. Brown [1993] 138 ad 1, 4, 139) sollen ihm als vitium zugestanden werden. Auch Horaz’ Vorgänger Lucilius verspottet vitia (vgl. Classen [2001] 68 f.) und widmet sich, wie wir aus dem virtus-Fragment wissen, diesem Begriff (vgl. fr. 1326–38 M), der im moralisch-philosophischen Sinn das Pendant zu vitium darstellt. Zur Frage, um wessen Lehren es sich bei seiner satirischen Betrach‐ tung genau handelt (etwa stoische) und wie das Fragment zu deuten sei, vgl. u. a. Görler (1984) und U. Gärtner (2001) 95 f. Auch wenn in Lucilius’ Fragmenten vitium nicht genannt wird und sich auch keine direkten Parallelen zwischen dem virtus-Fragment und Horaz’ vitium-Verwendung finden (vgl. Chahoud [1998] 284), so verweise ich doch mit Blick auf offensichtlich existierende satirische Gattungstraditionen auf Lucilius. So meiner Erinnerung nach Janka Ausführungen 2016 (siehe Anm. 189). Dadurch kehre sich Ovid, kontextuell betrachtet, wieder mehr der lukrezischen Vorlage zu, da es dort schließlich auch um körperlich-ästhetische Mängel geht. Da jedoch der Begriff vitium in der lukrezischen Diatribe nur einmal vorkommt (vgl. effugere […] nisi […] / et praetermittas animi uitia omnia primum / aut quae corpori[s] sunt eius, quam praepetis ac uis“, Lucr. 4, 1150–1152), würde es nicht ausreichen zu behaupten, Ovid folge schlicht nur der lukrezischen Passage.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
129
Kontext und Dimensionen der Passage zur Euphemisierung und des Begriffes vitium durch Begrenzung auf Körperlichkeit und Erotik – und das mit Blick auf den vitium-Begriff in der besprochenen Remedia-Passage sowie der gesamten liebesdidaktischen Tetralogie. Berücksichtigt man die antike Perspektive auf Parodien, die als ein per se intertextuelles Phänomen wahzunehmen sind und auf dem „comic refunctioning of preformed linguistic or artistic material“467 beruhen, lässt sich mit Blick auf Ovids Umgang mit Horaz folgende These bestä‐ tigen: Ovid geht, wie man aus der Häufung der genannten Vergleichspunkte in summa schlussfolgern kann, eine intertextuelle Beziehung zu Horaz’ Satire 1, 3 ein, übernimmt den Grundzug horazischer Sprechhaltung und ihren lockeren, parodistisch-transformierenden Umgang mit Traditionen, geht von dort aus aber weiter und parodiert, zumindest partiell, Horaz selbst. Ein ebenso wichtiges Argument dafür, dass Horaz’ Satiren, in diesem Fall 1, 3, Pate für die Remedia standen und nicht nur die Ars amatoria bzw. Horaz vermittelt durch die Liebeskunst, ist der Tonfall der Remedia. Er unterscheidet sich an mehreren Stellen von dem der Ars, er ist aggressiver und invektivischem, satirisch-jambischem Sprechen in Teilen sehr viel näher als elegischem und di‐ daktischem. Man denke nicht nur an die Passage, in welcher der Schüler indirekt zur Betrachtung der nach dem Geschlechtsverkehr austretenden Körpersäfte aufgefordert wird (vgl. rem. 429–440), sondern auch an die explizite Aufforde‐ rung zum Blick auf das Mädchen, wenn es selbst die Übelkeit hervorrufende, stinkende und in den feuchtwarmen Busen fließende Schminke aufträgt (vgl. V. 351–356),468 und wenn bei und nach dem Geschlechtsverkehr seine turpia membra (vgl. V. 411 f.) und menda (V. 417) offenbart werden.469 Diese Sprechweise sowie der Umgang mit dem Begriff vitium als Teil moralphilosophischer Terminologie470 zeigen, dass die intertextuelle Referenz 467 468
469 470
Vgl. erneut Roses (1993) 52 Parodiedefinition. Parallelen zu einer solchen Beschreibung der Kosmetik finden sich zwar schon bei Lukrez (4, 1174–1189) und in ars 3, 199–250, besonders 211 f., Vorbildern für die Remedia-Stelle. Bei Lukrez ist der Besuch des Mannes (vgl. V. 1180–1184) aber „nur angedeutet“ (Geisler [1969] 332 ad 341–456) und nicht explizit verlangt, es geht vielmehr um das Denken an diese Praxis der Mädchen. Ein beiden Stellen gemeinsamer „Grundgedanke“ (ebd.) ist v. a., dass den Mädchen die abstoßende Wirkung ihrer Vorbereitungen bewusst ist und sie diese deshalb im Verborgenen ausführen; vgl. Geisler (1969) 332 f. ad 341–356. Vgl. prägnant Brunelle (2005) 143: „The discussion of ugly sex (Remedia 399–440) encourages the reader to focus on the disgusting aspects of the female body: it leaks, it stinks, it shocks.“ Janka (1997) 448 ad 641–642 führt einen weiteren Begriff aus dem Bereich der Moralphi‐ losophie an, der sich von der Ars bis zu den Remedia in der Tetralogie findet und in einen erotischen Kontext übertragen wird: utile. Er bezieht sich in diesem Zusammenhang
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
weniger stark auf einzelnen direkten Fomulierungen basiert und eher als Systemreferenz zu werten ist; trotzdem lassen die aufgezeigten lexikalischen Parallelen zwischen den Remedia und sat. 1, 3 auch den Schluss einer teilweise intertextuellen Bezugnahme in Form einer Einzeltextreferenz zu. Gleichzeitig konstituieren aber, wie schon hervorgehoben, auch andere ‚Textkanten‘ die Intertextualitätspyramide mit den Remedia an der Spitze. Und einige, wenn auch nicht alle, der in diesem Kapitel gezogenen Parallelen lassen sich – mit Blick auf diese Remedia-Passage und die Gattung Satire – auch zwischen Lukrez und Ovid feststellen: Die Tendenz zu satirischem und scharfem, decouvrierendem Sprechen eignet auch dem diatribischen Finale in Lukrez’ philosophischem Lehrgedicht, und für die Kosenamen ist Lukrez ebenso wichtig wie Horaz. 4.3.1.2 Die Karikierung von ‚Liebessklaven‘: Hor. sat. 2, 3, sat. 2, 7 und satirische Horizonte (der Unfreiheit) in Ovids Remedia Eine Erweiterung des Blickfelds zeigt, dass sich in den Remedia vergleichbare Reflexe auch auf die zweite Sermones-Sammlung finden: So lassen sich bei genauerer Analyse des Einflusses der beiden philosophisch-diatribischen Sa‐ tiren471 2, 3 und 2, 7 auf die Heilmittel gegen die Liebe intertextuelle Bezüge in Form von Systemreferenzen erkennen, die in der Bezugnahme auf erotische Themen und Topoi – den exclusus amator in der Situation des Paraklausithyrons, den Status als Sklaven aufgrund der eigenen Begierden und das servitium amoris 472 – begründet sind. Und auch wenn Einzeltextreferenzen auf diese
471 472
auf Sommarivas (1980) 139 (mit Anm. 38) Beobachtung zur Mehrdeutigkeit von utile und führt aus, dass sich bei der Verwendung des Begriffs „eine gewisse Ambiguität des (aus der moralphilosophischen Begriffswelt in die Erotik transponierten) utile, die in der ambivalenten Wirkung (Nützlichkeit zur Gewinnung der Gunst des Mädchens, aber auch Forderung der autosuggestiven Gewöhnung an deren Mängel) begründet liege“ (Zitat Janka, ebd.), finde. Vgl. u. a. Rudd (1966) 195 mit Hinweisen zum Unterschied zu den diatribischen Satiren des ersten Satirebuches und den drei Diatriben des zweiten Buches (neben den beiden genannten Satiren auch sat. 2, 2). Der Topos des servitium amoris lässt sich nur bedingt auf die Satiren des Horaz übertragen. Zur Entwicklung des literarischen Motivs vgl. v. a. Copley (1947), Lyne (1979), Murgatroyd (1981) und Menefee (1981). Das Motiv findet sich zwar bereits in prä-hellenistischen Zeiten (vgl. Murgatroyd [1981] 590 Anm. 2 und 592), wenn die Ähnlichkeiten zwischen einem Liebhaber und einem Sklaven betont werden, in frühgriechischer Dichtung (vgl. Menefee [1981] 195) und in der Komödie und im hellenistischen Epigramm (vgl. Murgatroyd [1981] 592–594). Trotz Neuerungen in der römischen Komödie (vgl. Menefee [1981] 196) und in der römischen Republik (vgl. u. a. Menefee [1981] 196 f.) habe es sich aber erst bei den Elegikern zu einem klar konturierten literarischen Topos weiterentwickelt (vgl. zu Charakteristika Menefee [1981] 195). Zur humorvoll-parodistischen Weiterentwicklung bei Ovid vgl. Menefee
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
131
beiden Satiren ebenfalls weniger stark ausgeprägt sind, kann man doch auch einige lexikalische Parallelen zu den Remedia bestimmen, welche die These einer intendierten Bezugnahme unterstützen. Sat. 2, 3 und 2, 7 sind dabei Intertexte für Ovids produktive Verarbeitung des Themas ‚(Un-)Freiheit in Liebesangele‐ genheiten‘, das jeweils kontextspezifisch zur Herstellung satirischer Kontraste eingesetzt ist, und werden dafür auch in ihrer Verbindung betrachtet. Der Ansatz, sklavisch Verliebte zu verspotten und dabei die Unterwürfigkeit des Liebessklaven auszugestalten oder gegebenenfalls auf die topische Para‐ klausithyron-Szenerie zu rekurrieren, findet sich schließlich nicht nur in der Gattung Elegie, sondern auch in der lateinischen Satire (neben Horaz sat. 2, 3 und 2, 7 zudem in dessen Nachfolge bei Persius)473 – und darüber hinaus in der Textpassage, die bereits in den Intertextualitätsvielecken zu den Sex-praecepta
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[1981] 144–147 und 198 f. Horaz verwendet das Motiv später in den Oden, wenngleich nicht als „expression of his present servitude“ (Menefee [1981] 169) – zur Zeit der Publikation kann man schließlich von der Präsenz bei den Elegikern ausgehen; die ersten drei Odenbücher wurden gemeinsam spätestens 23 v. Chr. (einzeln vermutlich ab 26 v. Chr.) publiziert, das vierte Odenbuch 11 oder 10 v. Chr., vgl. Holzberg (2009c) 22 f. und 27 f. In den Satiren rekurriert Horaz vermutlich auf das servitium amoris als allgemeineres (und eben noch nicht topisch auf die elegische Gegenwelt bezogenes) erotisches Motiv. Schließlich kannte man aus dem hellenistischen Epigramm und der Neuen Komödie bereits Bilder „d[er] Liebe eines jungen Mannes aus gutem Hause zu einer Frau […], die entweder Hetäre ist oder hetärenhafte Züge trägt“ (Holzberg [2011c]), auf die Horaz zurückgreifen konnte. Vgl. Fulkerson (2013) 183 mit Anm. 9 zum Unterschied zwischen vor-elegischen und elegischen Beispielen des Bildes und einer Kontrastierung der Positionen Copleys, Murgatroyds und Lynes. Vgl. S. 185–188 zu den Implikationen in den Bereichen „[g]ender and politics“ (Zitat S. 185) und S. 190–192 zur These, dass die Komödienfigur des servus callidus durch die Metapher Einzug in die Elegie hält, wodurch der elegische poeta-amator die beiden Komödienfiguren des verliebten Jünglings und des „scheming slave“ (Zitat S. 192, Ausführungen S. 191 f.) miteinander vereint. So wird z. B. in Persius’ fünfter Satire die Freiheitsthematik mit dem Thema Liebe ver‐ bunden und ausgeführt, wie u. a. „Hörigkeit“ im erotischen Sinne „die innere Versklavung des Menschen“, also seine Unfreiheit, mit bedingt (vgl. Pers. 5 ab V. 73, besonders 157–175; Zitate Kißel [1990] 568). Vgl. Kißel (1990) 723 f. ad 161–174 zu Menanders und Terenz’ Eunuchus-Versionen und Horaz’ Satire 2, 3, 259–271 als Prätexten; für Persius’ Adaption der Menandervorlage, vgl. S. 724–726. In Persius’ Satire wird die Freiheitsthematik auch durch die topische Aussperrung des Liebhabers (hier in der Komödie) hervorgerufen, vgl. dum Chrysidis udas / ebrius ante fores extincta cum face canto? (V. 165 f.; Kißel [1990] 728 ad loc., der auch den „sarkastische[n]“ Umgang mit der Schilderung des Paraklausithyrons in Lucr. 4, 1177 ff. hervorhebt). Das Sklavenmotiv erfährt hier eine typisch komödienhafte Gestalt: Während Chaerestratus Sklave seiner Gefühle sei, präsentiere sich Davus, rechtlich ein Sklave, als der Freie (S. 730 ad 167, vgl. zu Persius’ Verweis auf die nicht zwingende Korrelation von rechtlicher und innerer Freiheit bzw. äußerem und innerem Sklaven-Dasein auch S. 736 ad 174).
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
in der Gattung Lehrgedicht und zur Euphemisierungstaktik fokussiert wurde, einen aber durchaus auch satirischen Tonfall aufweist: Lukrez’ Diatribe gegen die Liebesleidenschaft in De rerum natura 4, und zwar der Abschnitt, der auf die Verspottung der Euphemisierungsversuche Verliebter folgt: at lacrimans exclusus amator limina saepe floribus et sertis operit postisque superbos unguit amaracino et foribus miser oscula figit; quem si, iam admissum, uenientem offenderit aura una modo, causas abeundi quaerat honestas, et meditata diu cadat alte sumpta querela, stultitiaque ibi se damnet, tribuisse quod illi plus uideat quam mortali concedere par est. (Lucr. 4, 1177–1184)
Lukrez benennt hier explizit das erotische Verhaltensmuster des exclusus amator.474 Dieser harrt weinend vor der Tür der Geliebten aus und ist grundsätz‐ lich bereit, sein Klagelied, seine querela, zum Besten zu geben. Möglicherweise kann man über die standardmäßige Beschreibung dieser Situation hinaus noch bilinguale Wortspiele des Lukrez erkennen, die speziell die elegische Gattungs‐ tradition oder auch nur ganz allgemein die exclusus amator-Rolle im Blick haben: In querela könnte sich die volksetymologische Herleitung von Elegie als einem Klagelied widerspiegeln,475 und lacrimans und limina würden, als lateinische Pendants zu griechisch κλαίειν und θύρα, das Paraklausithyronmotiv generell
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Vgl. Copley (1956) 1–6 zur Entwicklung des in Lyrik, Idyll, Epigramm, Elegie und Komödie einsetzbaren Motivs des exclusus amator, das untrennbar mit dem Paraklausithyron verbunden ist (vgl. S. 17). Auch wenn es seine besondere Form in der römischen Liebeselegie bekommen hat (vgl. S. 28 und 70), war es in frühgriechischer Literatur präsent, so dass Horaz und Lukrez darauf zurückgreifen konnten. Vgl. zu den frühen Formen des Paraklausithyron-/exclusus amator-Motivs etwa bei Plutarch, Aristophanes, Kallimachos und in der Anthologia Palatina u. a. Yardley (1978) 34, Copley (1956) 6–9, H. Gärtner (2003/2012), Holzberg (2011c) 9. Zu ‚stock motives‘ seit dem Hellenismus vgl. Copley [1956] 33. Vgl. zudem Yardley (1978) zur Genese der Paraklausithyra-Elemente aus der komastischen Tradition und der griechischen erotischen Literatur und einer Interpretation der Paraklausithyra-Szenen in Prop. 1, 16, Tib. 1, 2, 7–14 und Ov. am. 1, 6. Vgl. etwa Holzberg [2011c] 5. Da die Klage aber auch ein „standard feature of the ‚paraklausithyron‘“ (R. Brown [1987] 302 ad 1182) ist, ist eine spezielle Referenz auf die elegische Tradition nicht zwingend. Als Möglichkeit möchte ich sie dennoch anführen, da es schon in der griechischen Literatur elegische Texte und sicher auch einen ‚elegiac mode‘ gab, bevor sich nach Lukrez der feste lateinische Gattungstyp herausbildete (diesen Begriff bilde ich in Analogie zu Katharina Volk, die in ihrer Monographie festhält, dass es vor dem festen Typus des Lehrgedichts bereits einen „didactic mode“ gab, vgl. Volk [2002] 43).
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
133
auf lexikalischer Ebene evozieren.476 Lukrez’ Gedankengang entwickelt sich in diesem Abschnitt folgendermaßen weiter: Würde der Verliebte mit der Realität konfrontiert und eingelassen werden, was er wünscht und wozu es, der elegisch-erotischen Welt entsprechend, nie kommt, röche er das abstoßende Parfum und sähe die hässliche Kosmetikpraxis der Frau – was schon ausreichte, um den eigenen Wahnsinn und die unverhältnismäßige emotionale Hingabe zu erkennen: stultitiaque ibi se damnet, tribuisse quod illi / plus uideat quam mortali concedere par est (V. 1183 f.). Der Fokus auf die Realität und den Illusionsbruch, Grundpfeiler der lukrezischen Argumentation, findet sich auch hier;477 Lukrez gliedert also den exclusus amator-/Paraklausithyron-Topos in seinen ganz spe‐ zifischen, epikureischen und (im Sinne einer satirisch-invektivischen Attacke) diatribischen Kontext ein. Horaz verhöhnt in seinem zweiten Buch der Satiren sklavische Verliebtheit bzw. erotische Unfreiheit prominent in sat. 2, 3 und in sat. 2, 7. In beiden Satiren wird, wie in zwei weiteren Beispielen im Buch,478 jeweils ein philosophischer Lehrvortrag gehalten, der auf eine zweifelhafte Autorität zurückzuführen ist; dabei hängen diese Texte durch den äußeren Rahmen eng miteinander zusammen, da jeweils ein Sprecher die Rede eines Stoikers referiert und dabei die horazische Persona angreift. So präsentiert in sat. 2, 3 der bankrotte Damasipp die Lehren des Stertinius und übertreibt es mit seiner rigorosen Kritik,479 und in sat, 2, 7 wird der Sklave Davus zum Sprecher, der sich auf Crispin bezieht. Horaz konterkariert ernsthafte moralphilosophische Ansätze aber dadurch, dass seine Vertreter stoi‐ scher Maximen nicht ganz ernst zu nehmen sind und sie durch Horaz’ Darstellung 476
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Dass neben der funktionalen Einbindung des elegisch-erotischen Motivs in Lukrez’ Verurteilung der Liebesraserei auch das bilinguale Wortspiel möglich ist, scheint mir daher nicht abwegig. R. Brown (1987) 297 f. ad 1177–84 verweist darauf, dass Lukrez an oben zitierter Stelle auf diesen Topos aus der erotischen Dichtung rekurriert „[i]n order to typify the ridiculous excesses of romantic idealization“ (S. 297). Seiner Meinung nach ist diese Situation „despite the stylization and exaggeration of its literary treatments […] basically true to life“ (ebd.). Vgl. für ein griechisches Beispiel, in dem Tränen und Tür ebenfalls genannt werden, ein Epigramm Meleagers (Anth. Pal. 5, 191): Es geht um einen draußen vor der Tür wach liegenden und klagenden Mann, der seine eigene Situation thematisiert: Ἤ τιν᾽ ἔχει σύγκοιτον; Ἐπὶ προθύροισι μαράνας / δἀκρυσιν ἐκδήσω τοὺς ἱκέτας στεφάνους (V. 5 f.; vgl. für den Verweis auf diese Textstelle auch Brown [1987] 298 ad 1177). Vgl. R. Brown (1987) 298 ad 1177–84, der neben Terenz’ Eunuchus auch die Parallele zur Kosmetikpassage in Ovids Remedia (V. 341 ff.) anführt. Die Mahnungen des Bauers Ofellus (sat. 2, 2) zum Verzicht auf das Unverfügbare münden in Empfehlungen zum Essen, und Catius (sat. 2, 4) gibt statt philosophischer Lehrsätze kulinarische Tipps zum Besten. Vgl. auch Holzberg (2009c) 82–95. Vgl. Holzberg (2009c) 85, für den Damasipp durch sein extremes Echauffieren „über Untugenden […] selbst Anlaß zum Schmunzeln gibt“.
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jeweils ins Lächerliche gezogen werden. Nicht nur Damasipp, auch Davus ist als Moralprediger nur schlecht geeignet, etwa insofern, als die von ihm gewählte Autorität Crispin als Türsteher nur einen zweifelhaften Gewährsmann für mora‐ lische Weisungen darstellt.480 Auch gibt er stoische Doktrinen nur unvollständig wieder: So behauptet er, dass Horaz, den er aufgrund seiner Gewohnheit, in seiner Lebenshaltung zu schwanken, für einen Sklaven hält (vgl. sat. 2, 7, 21–45), noch schlechter sei als er (tu, cum sis quod ego et fortasse nequior […], V. 40 und quid si me stultior ipso […], V. 42) – graduelle Abstufungen an „moral goodness or its opposite“ wurden von den Stoikern aber nicht zugelassen.481 Den stoischen Satz, dass nur der Weise frei und jeder Unvernünftige wahnsinnig und ein Sklave sei,482 will er zudem dadurch belegen, dass er seine eigenen, durchaus fragwürdigen, se‐ xuellen Gepflogenheiten mit denen des Horaz kontrastiert: Wenn ihn das sexuelle Verlangen packe, pflege er frei verfügbare Liebe mit Prostituierten und verkehre mit jeder beliebigen (quaecumque, V. 49) meretricula (V. 46), nicht wie Horaz mit einer verheirateten Frau. Dies mache seinen notorisch ehebrecherischen Herrn (vgl. V. 46–94) im Gegensatz zu ihm selbst zu einem wahrhaft Unfreien – zumal sich dieser dafür proiectis insignibus (V. 53) auch äußerlich in einen Sklaven verwandle (vgl. V. 47–56).483 Es zeigt sich in diesen beiden Satiren jeweils eine Tendenz zur lockeren sit‐ tenkritischen Plauderei, die mit viel Humor, Brüchen, assoziativen Übergängen und Unterhaltsamkeit durchsetzt ist – sowie die typisch horazische Selbstka‐
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Fitzgerald (2000) 18 hebt aber treffend hervor, dass ein Türsteher zwar nicht die zuver‐ lässigste Quelle sei, aber zumindest die geeignete Position habe „to observe the comic comings and goings of upper-class love“ – was ihn insofern doch zu einem nicht so schlechten Gewährsmann mache. Zitat und Argumentation Muecke (1993) 219 ad 2, 7, 42. Vgl. Holzberg (2011b) 160, (2009c) 92 und Muecke (1993) 213 f. ad sat. 2, 7. Das Thema zeigt sich ab V. 46, wobei sich auch hier die schon aus den „diatribe-satires“ des Satiren-Buches bekannte Technik des „indirect approach“ (Muecke [1993] 214) zum Hauptthema zeigt. Muecke hält auch fest, dass der Leser bei der Lektüre der durch den Türhüter „gefilterten“ Lehren die „typical Stoic doctrine“ erkenne (Zitate, auch übers., S. 213). Für die Verweise auf die stoischen Lehren in Ciceros Paradoxa Stoicorum vgl. u. a. Muecke (1993) 219 ad 46–71. An dieser Stelle steigere sich, so Fitzgerald (2000) 21, die Komik der Szene, da Davus nicht nur als satirischer Moralist agiere, sondern auch – wie sein Name und die Selbstbe‐ zeichnung als amicus mancipium domino und auch die Präsenz von in Aussicht gestellter Gewalt suggerieren – in der Rolle des Sklaven aus der Komödie auftrete und die Rolle des seinen jungen Herrn unterstützenden Sklaven ablehne. Vgl. auch Muecke (1993) 212 f. zur Ähnlichkeit zwischen dem Verhältnis von Horaz zu seinem Sklaven und der Beziehung von Herr und Sklave in der Komödie. Vgl. zudem Holzberg (2009c) 93, der festhält, dass Davus sich selbst „disqualifiziert“, da er trotz der Kritik an seinem Herrn selbst Fehler hat.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
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rikierung der eigenen Persona,484 die auch durch die an ihr geäußerte Kritik bedingt wird.485 Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den beiden Satiren sei vorab genannt: Beide Texte stehen jeweils im Kontext der Saturnalien.486 Der dritte sermo des zweiten Buches spielt zur Zeit dieses Festes (vgl. V. 4 f.), an dem sich Horaz zum Lesen und Schreiben auf sein Landgut zurückgezogen hat, wie man aus den das Gespräch beginnenden Worten des Damasipp (vgl. V. 1–16) erfährt.487 Die Damasipp entsprechende Figur in sat. 2, 7, der Sklave Davus, wendet sich ebenfalls am Saturnalienfest an Horaz, welcher sein Herr ist, und gibt diesen durch seine Vorwürfe und durch die schonungslose Analyse von Horaz’ Lebensstil der Lächerlichkeit preis. Zunächst zu Damasipps auf Stertinius basierendem Lehrvortrag: Um das stoische Dogma zu illustrieren, schildert er beispielhaft „Habgier […], Ehrgeiz […], Genusssucht […], sklavische Verliebtheit […] und Aberglaube […]“488. Im Lauf seiner Ausführungen gelangt Damasipp also zur Beschreibung des in seinen Augen verrückten amator, wofür (wie durch die teils wörtlichen Anklänge als Vorbild eindeutig erkennbar gemacht wird)489 eine Szene aus Terenz’ Eunuchus 484
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„In its form, it [Anm.: 2,7] repeats Sat. 2,3 in miniature, with the difference that the embedded Stoic lecture ist throughout directed at, as well as addressed to, Horace himself.“ (Muecke [1993] 212 ad sat. 2, 7). Es lassen sich noch weitere Verknüpfungen mit dem restlichen Satirenkorpus anführen, so etwa zu den Moralsatiren am Anfang des ersten Buches, mit denen es thematische Überschneidungen gibt. Auch wenn dort der horazische Sprecher nicht aus stoischer Perspektive spricht (karikiert wird diese philosophische Richtung aber sowohl dort als auch in sat. 2, 3 und 2, 7), ähneln sie sich in der „äußeren Form: Wir haben hier gleichfalls einen ‚Spaziergang‘ mit kurzen Erzähleinlagen an den Ruhepunkten“ (Holzberg [2009c] 85). Betrachtet man mit Blick auf die Sprecher die ersten drei Satiren und 2, 3 gleichzeitig, wird klar: Der von Anfang an nicht ganz ernst zu nehmende Moralprediger Horaz muss sich selbst sittenkritischen Äußerungen zu seiner eigenen Persona gegenüberstellen (vgl. S. 86). Auch in sat. 2, 7, der „Vorschluss“-Satire (vgl. etwa Holzberg [2011b] 151), wird „mit schonungsloser Ironie gegenüber der eigenen Person seine Kompetenz als Sittenrichter in Zweifel [gezogen]“ (Holzberg [2009c] 93). Vgl. auch Gowers (2012) 125 ad 19–20, die dadurch eine Parallele zwischen sat. 2, 3 und 2, 7 herstellt. So bemerkt sie zu sat. 2, 3, 19–20, dass ein „imaginary assailant“ Horaz zu seinen eigenen vitia befragt, wie auch der saturnalische Sklave Davus, „[who] nails him as a model of inconsistency in 2.7“. Vgl. Muecke (1993) 131 und 214, auch zu den Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Sa‐ tiren. Vgl. weiterführend u. a. Evans (1977/78) mit Verweis auch auf den saturnalischen Kontext in sat. 2, 3 und Sharlands (2005) Analyse aus einer formalistisch-literaturkri‐ tischen, auf Bachtin basierenden, Sicht, in der neben der Gestaltung der einzelnen Figurenrollen auch die Zusammenhänge der Satirensammlung betrachtet werden. Vgl. auch Muecke (1993) 131 ad 2, 3, 1–16. Holzberg (2011b) 137 zur Aufzählung mit Versangaben. Vgl. Muecke (1993) 160 ad 2, 3, 258–71: „In this passage Horace comes as close to a word for word citation of Terence as is possible given that they were writing in different metres“
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adaptiert und in den spezifisch philosophischen Kontext der Satire gestellt wird.490 Der assoziative Übergang zu diesem Themenbereich wird durch den Vergleich zwischen einem abgewiesenen, aber noch innerlich unfreien Liebhaber mit einem puer iratus (vgl. V. 258) erzielt, der Äpfel nur will, wenn sie ihm nicht angeboten werden, und sie andernfalls zurückweist (vgl. V. 258 f.). amator exclusus qui distat, agit ubi secum eat an non quo rediturus erat non arcessitus, et haeret inuisis foribus? ‘nec nunc, cum me uocet ultro, accedam? an potius mediter finire dolores? exclusit; reuocat. redeam? non si obsecret.’ ecce seruus non paulo sapientior: ‘o ere, quae res nec modum habet neque consilium, ratione modoque tractari non uult. in amore haec sunt mala, bellum, pax rursum. haec si quis tempestatis prope ritu mobilia et caeca fluitantia sorte laboret reddere certa sibi, nihilo plus explicet ac si insanire paret certa ratione modoque.’ (Hor. sat. 2, 3, 259b–271)
An dieser Stelle wird also mit einem namentlich nicht genauer benannten (aber durch die Eunuchus-Anklänge mit Phaedria zu identifizierenden)491 Mann der Typus des exclusus amator 492, der typischerweise an den ihm feindlich gesinnten Türpfosten ausharrt (vgl. V. 261 f.), in seinem wahnsinnigen Verhalten karikiert. Er hadert mit sich, ob er dorthin, also zur Türschwelle der Frau, zurückgehen solle, wohin er ja mit Sicherheit gegangen wäre, wenn man ihn nicht herbeigeholt hätte (vgl. V. 260 f.). Er schwankt, ob er nun „einer
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(ebd.). Auch Copley (1956) 55 nennt hier die Eunuchus-Stelle als Parallele. Es handelt sich dabei v. a. um Ter. Eun. 46–49 für die Rede des Verliebten Paedria, vgl. Kißel (1990) 724, und Eun. 57–63 für die Antwort des Sklaven Parmenio, der in der Komödie „some scepticism about Phaedria’s ability to resist“ (Barsby [1999] 89) zum Ausdruck bringt. Für die Adaption der Terenzstelle und die Kürzungen bei Horaz vgl. Muecke (1993) 161 ad loc., z. B. 267 und 268 ff. Vgl. Barsby (1999) 91. Er hebt hervor, dass sowohl Horaz (sat. 2, 3, 259–71) als auch Persius (5, 161–75) „die philosophischen Implikationen der Szene“ ausgestalten (übers. Zitat); zudem würden sie diese für die Gegenüberstellung von unfreiem Liebhaber und dem freien stoischen Weisen verwenden (vgl. ebd.). Vgl. Muecke (1993) 160 ad 2, 3, 259 f. Ohne hier eine intertextuelle Beziehung stark zu machen, listet R. Brown (1987) 298 f. ad Lucr. 4, 1177 sowohl diese Horaz- als auch die von mir oben zitierte Remedia-Stelle auf, um die lukrezische exclusus amator-Nennung mit diesem festen Typus in Verbindung zu bringen.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
137
Einladung seiner Exfreundin“493, deren wechselnden Launen er ausgesetzt ist (exclusit; reuocat, V. 264), folgen solle. Die sich steigernde emotionale Unsicher‐ heit, repräsentiert durch die immer kürzer werdenden und schließlich in der Einwortfrage redeam? (V. 264) kulminierenden deliberativen494 Fragen, mündet in die scheinbar resolute Aussage: non si obsecret (ebd.) – eine Absage, die in Anbetracht der vorangegangenen Aussagen wenig überzeugend wirkt.495 Indem der Sklave seines Herrn, des „foolish lover“496, im Anschluss an diese Selbstaussage dessen Unvernunft noch hervorhebt und betont, dass der Liebe modus und consilium fern seien und vielmehr das Schwanken zwischen den Extremen Krieg und Friede (vgl. V. 266) sowie Unbeständigkeit und Zufall (vgl. V. 268–270) in der Liebe dominierten, kommt es zu einem impliziten Rollentausch: Der vernünftigere Sklave wird zur überlegenen Partei497 und der erus 498 (vgl. V. 265) quasi zum seruus – einem Sklaven seiner Begierden.499 Durch die Anklänge an Terenz zeigt sich hier primär die Referenz auf die Gattung Komödie, wobei der Bezug auf das Paraklausithyronmotiv im Komödienkontext nicht nur hier, sondern auch an anderer Stelle, und zwar (eher
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495 496 497
498 499
Kißel (1990) 724. Vgl. zu den schon bei Terenz zu findenden Deliberativen u. a. bei redeam Barsby (1999) 92 ad 46. Schon Terenz gestaltet die Fragen stilistisch pointiert aus, um „Phaedria’s emotional turmoil“ (S. 91) widerzuspiegeln: Auf den „ascending tricolon of questions“ Quid igitur faciam? non eam ne nunc quidem / quom accersor ultro? an potius ita me comparem / non perpeti meretricum contumelias? (V. 46–48) folgen die „staccato sentences“ (S. 91) exclusit; reuocat: redeam? non si me obsecret (V. 49). Bei Terenz liest man im Folgenden von Phaedrias „second thoughts“ (S. 90), der schließlich „völlig von Parmenos Ratschlag“ (übers. Zitat, ebd.) abhängt. V. 264 ist ein fast wörtliches Zitat aus Terenz Eun. 49. Dass Horaz die Formulierungen von seinem Vorgänger übernimmt, schließt nicht aus, dass ich sie in ihrer Bedeutung für den horazischen Kontext interpretiere. Muecke (1993) 160 ad 2, 3, 258–71. So auch in der zeitlich späteren fünften Satire des Persius, siehe oben Anm. 473. Barsby (1999) 91 hält fest, dass bei Terenz Parmeno schon eine „superior pedagogic role“ übernimmt, in der er „a greater knowledge of the ways of the world and of the nature of love than his younger master“ beweist (Barsby verweist dafür auch auf den Typus des servus callidus). Bei Horaz und später Persius fungiere der Sklave dann eher als „voice of philosophical wisdom“, was der terenzischen Vorlage nicht ganz entspreche. Erus wird als Standardanrede des Herrn durch den Sklaven in der Komödie auch im Eunuchus verwendet, vgl. Ter. Eun. 57 (vgl. Barsby [1999] 94 ad 57). Das allgemeine Thema des servitium amoris ist ja ebenfalls nicht auf die römische Liebeselegie beschränkt, sondern Teil derselben Genres und Prätexte, die grundsätzlich für die Entstehung dieser lateinischen Gattungsform wichtig sind, wie etwa der Komödie (siehe oben Anm. 472).
138
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
versteckt) in sat. 1, 4, 48–52500 oder in der mimusnahen Paraklausithyronparodie in sat. 1, 2, 64–67501 deutlich wird. In sat. 2, 7 wird Verliebtheit als Laster wiederum allgemeiner verspottet und steht im Kontext des Ehebruchs, nicht der Paraklausithyronmotivik.502 Doch bevor ich nun auf die Parallelen zwischen Satire 2, 7 und den Remedia zu sprechen komme, ist noch eines hervorzuheben: Satire 2, 7 ist nicht nur in den Gesamtzu‐ sammenhang des zweiten Satirenbuches zu setzen und auf der Grundlage einer linearen Lektüre mit dem jeweils vorausgehenden und nachfolgenden Stück503 sowie sat. 2, 3 zu verbinden. Denn auch mit sat. 1, 2 hat diese Satire zwei wichtige Gemeinsamkeiten, aus strukturanalytischer und inhaltlicher Sicht. Sat. 1, 2 ist das zweite und sat. 2, 7 das zweitletzte Stück von Horaz’ Satirenkorpus, wodurch 500
501 502
503
Vgl. Copley (1956) 54 f. für die Subsumierung unter das Paraklausithyronthema (‘at pater ardens / saeuit, quod meretrice nepos insanus amica / filius uxorem grandi cum dote recuset, / ebrius et, magnum quod dedecus, ambulet ante / noctem cum facibus’, V. 48b–52a). In V. 48–52 stehe dabei mehr die komastische Komponente des Paraklausithyrons im Zentrum (vgl. Copley [1956] 55 und auch Kiessling/Heinze [1999] 77 ad loc.). Bei P. Brown (1993) 131 f. und Gowers (2012) 165 ad 1, 4, 48–52 wird der Begriff des Paraklausithyrons nicht angeführt, sondern erläutert, inwiefern der Tadel des Vaters für die amourösen Vorlieben des Sohnes, der einer meretrix verfallen ist und die uxor mit ihrer Mitgift ablehnt und dann in einer comissatio betrunken durch die Straßen zieht, eine typische Komödienszene darstellt (vgl. bereits Kiessling/Heinze [1999] 77 ad loc. zur comissatio und dem Hinweis, dass diese Szene schon „bei hellem lichten Tage“ stattfinde). Vgl. Gowers (2012) 105 ad 64–7 mit weiteren Literaturverweisen zu den Anleihen an den „adultery mime“, der für diese Paraklausithyron-Szene als einflussreich gelten darf. Vgl. zu dieser Motivik außerhalb des Satirenkorpus etwa epod. 11, 11–22 (vgl. auch Muecke [1993] 161 ad sat. 2, 3, 262 und siehe unten S. 153–155) und Ode 3, 26, wenn Horaz seinen Abschied von Liebe und Liebeslyrik ankündigt, vgl. Copley (1956) 55 f. Aus der Abschiedsprogrammatik am Ende der ersten Odensammlung entsteht m. E. eine Parallele zu den Remedia: Horaz und Ovid ‚verabschieden‘ sich von einer Form der Liebesdichtung und beziehen jeweils das, von ihnen schon verwendete, Motiv des Paraklausithyrons mit ein. Vgl. Copley (1956) 68 f. zur Bedeutung des Horaz für die Weiterentwicklung dieses literarischen Topos und S. 52 zu den prä-horazischen Unterkategorien des Paraklausithy‐ rons (conventional, diffamatio, lupanar song), die Horaz verarbeitet habe. Man müsse sat. 2, 6 (vgl. Muecke [1993] 194 ad sat. 2, 6) in Verbindung mit sat. 1, 6 betrachten (Anm.: In sat. 1, 6 preist Horaz sein zufriedenes Leben, in 2, 6 kommt Horaz’ gespaltene Haltung zum Leben in Rom zum Ausdruck). Dabei könne man, wie Holzberg (2009c) 92 ausführt, Davus’ Kritik am „Wankelmu[t]“ des Horaz bei seiner Sicht auf Rom als Reaktion auf die Haltung in sat. 1, 6 und 2, 6 lesen (vgl. Romae rus optas, absentem rusticus urbem / tollis ad astra leuis, sat. 2, 7, 28 f.). In der Charakterisierung des Horaz in Satire 2, 7, der „summarising ‘diatribe’ satire“ (Muecke [1993] 228 ad sat. 2, 8), könne man durchaus die „Persiflage“ einer „Art Sphragis“ (Holzberg [2009c] 93) sehen, was auf das Ende der Sammlung in 2, 8 vorbereitet. So werde in Davus’ „reader response“ auf sat. 1, 1–2, 6 ein „selbstironisches Porträt“ von Horaz gezeichnet, der letztlich nur „aus einem Glashaus mit Steinen geworfen“ (Holzberg [2011b] 151) habe. Für die Struktur des zweiten Buches der Satiren vgl. u. a. Muecke (1993) 8 f.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
139
beide in ihrer Stellung exponiert sind und miteinander korrespondieren.504 Und beiden Satiren eignet ein didaktisches Moment, das dem Bereich der Sexualität angehört:505 Es wird jeweils das Sexualverhalten eines Ehebrechers mit der Vorgehensweise kontrastiert, dass man zur Triebbefriedigung der freien Liebe frönt bzw. frönen sollte. Empfiehlt der horazische Erzähler in sat. 1, 2 im Rahmen der ‚Lehre vom Mittelweg‘506 die Gefahren, die ein Ehebruch mit sich bringt, zu vermeiden und stattdessen nur die Liebe zu Freigelassenen zu pflegen,507 karikiert Davus in sat. 2, 7 Horaz’ verhängnisvolle Vorliebe für Matronen, bevor er seinen eigenen Habitus beschreibt. Dabei werden jeweils imperativische praecepta formuliert: desine matronas sectarier (sat. 1, 2, 78) und eripe turpi / colla iugo; “liber, liber sum” dic age: non quis (sat. 2, 7, 91 f.). Die expliziten praecepta der zweiten horazischen Satire (vgl. besonders den instruktiven Duktus in sat. 1, 2, 37–79) führen also ein lehrgedichtstypisches Moment im Erotikbereich ein, das dem Leser auch in den Weisungen in sat. 2, 7 begegnet. Die Verbindung zwischen Horaz’ zweiter Satire in Buch 1 und der Ars ist bereits hergestellt worden – so wird etwa in ars 1, 29–34 und ars 2, 593–600 betont, dass römische Matronen aus der Liebeslehre ausgeschlossen sind und
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507
Vgl. allgemein zu Gedichtstellung und Buchstruktur etwa die zusammenfassende Darstel‐ lung bei Höschele (2010) 13–26 („Textualität antiker Gedichtbücher“). Vgl. zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden etwa Muecke (1993) 219 ad 46–71. Gibson (2007) 16 hält Horaz für den „Latin poet most closely associated with the propa‐ gation of the themes of moderation and the middle way“. Vgl. S. 16–19 zu Philosophen und Schulen, die mit der aurea mediocritas-Lehre verbunden sind (besonders Aristoteles und die Peripatetiker, vgl. S. 17 f.). Horaz verwende das Konzept des Mittelwegs im weiteren Sinn in unterschiedlichen Kontexten und nicht immer mit klarem Bezug etwa zur peripatetischen Schule. Vgl. S. 10–16 zu den philosophischen und literarischen Wurzeln von „Moderation and Excess“. Nicht nur der moechus, auch der unmäßige Bordellbesucher sind Negativ-Beispiele: nil me‐ dium est. sunt qui nolint tetigisse nisi illas / quarum subsuta talos tegat instita ueste; / contra alius nullam nisi olenti in fornice stantem (Hor. sat. 1, 2, 28–30). Der Hinweis tutior at quanto merx est in classe secunda, / libertinarum dico! (V. 47 f.) folgt direkt auf die grauenvollen Bilder eines verfolgten Ehebrechers. Doch auch hier dürfe man nicht, wie Sallust einst, Maß und Ziel überschreiten und verschwenderisch und vernunftlos leben (vgl. V. 48–78). Das praeceptum ist jedoch wieder auf den Ehebruch bezogen: desine matronas sectarier, unde laboris / plus haurire mali est quam ex re decerpere fructus (V. 78 f.). Vgl. Gibson (2007) 19–42 zu sat. 1, 2, auch im Kontext der drei ersten Satiren. Gibson betont, dass Horaz sich in sat. 1, 1 für einen erotischen Mittelweg ausspreche und dass diese Satire das Interesse der Elegiker geweckt haben müsse, da sie eine „‘ethic’ of infatuation“ (S. 24) aufwiesen. Vgl. weiter seine Analyse der intertextuellen Beziehungen zu Properz 2, 23 und zu ars 3, 577–610, wenn Ovid eine eigene („perverse“, S. 19) Poetik der Mitte zwischen Horaz und Properz konturiere: Da das Mädchen den Mann zwischen leicht verfügbarem Sex und Angst gegenüber Rivalen etc. halten solle, richte Ovid sich gegen das horazische ‚Extrem‘ einer parabilis Venus (vgl. S. 35 f.), die aus horazischer Sicht aber dem Mittelweg entspreche.
140
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
dadurch auch die Bestrafungen von Ehebrechern gegenstandslos sein sollen.508 Und auch dass Horaz anpreist, wie vorteilhaft eine Liebe zu frei verfügbaren und gepflegten509 Hetären sei (vgl. V. 119–124),510 passt zum Grundtenor der Liebeslehre: este procul, uittae tenues, insigne pudoris, / quaeque tegis medios instita longa pedes (ars 1, 31 f.).511 Die Remedia führen diese Begrenzung der erotischen Welt fort: Thais in arte mea est: lasciuia libera nostra est; / nil mihi cum uitta; Thais in arte mea est (rem. 385 f.). Von den allgemeinen Parallelen zur Tetralogie, welche diese Satire mit ihrem erotischen ‚Pendant‘ sat. 1, 2 gemeinsam hat, abgesehen stechen einige Überein‐ stimmungen zwischen sat. 2, 7 und speziell den Remedia heraus. Diese lassen auf eine direkte intertextuelle Bezugnahme durch Ovid schließen und bekräftigen die These, dass neben der Gattungstradition der Satire im Allgemeinen auch dieser sermo des Horaz ein Intertext war, dem sich Ovid für die Heilmittel gegen die Liebe neu und bewusst zugewandt hat. Zunächst seien die relevanten Textausschnitte einander gegenübergestellt: 508
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Vgl. die von Janka in seinem Vortrag 2016 (siehe oben Anm. 189) vertretene These, dass Satire 1, 2 ein Vorbild für Ovid darstelle und man die Parallelen zwischen diesen Texten fokussieren solle. Deshalb sei es nötig, so Janka, das Satirische in der Ars und das Didaktische in den Satiren zu erkennen; denn bei Horaz fänden sich liebesdidaktische Ratschläge für den Umgang mit dem „Lustkalkül“ (im Rahmen der mesotes-Lehre), und satirische Elemente wie etwa die „ästhetische Autosuggestion“, die aus Lukrez und Horaz’ Satire 1, 3 bekannt seien und die für Ars und Remedia auch eine wichtige Rolle spielten (vgl. Handout und Ausführungen). Die Verbindung zwischen den beiden Ars-Stellen und Horaz kann auch durch eine lexikalische Parallele aufgezeigt werden. So wird jeweils der Begriff instita als Begriff für „eine Art Rocksaum (oder eingenähtes Saumband) an der Stola, dem ordentlichen Gewand der römischen Matrone […] synekdochisch (pars pro toto) für die Stola und metonymisch für die Ehefrau“ verwendet, wie auch in Hor. sat. 1, 2, 29 (Zitat und Beobachtung Janka [1997] 424 ad ars 2, 599–600). Vgl. für die Analyse der Frau, die dem propagierten Mittelweg entspricht (candida rectaque sit, munda hactenus, ut neque longa / nec magis alba uelit quam dat Natura uideri, sat. 1, 2, 123 f.) und somit weder eine verheiratete Matrone noch eine Prostituierte aus einem stinkenden Bordell ist, Gibson (2007) 21 und 23. Freudenburg (1993) 197 zeigt, dass die Attribute candida, recta, munda, longa und alba metapoetische, kallimacheische Bedeutung haben: „the adjectives […] all possess literary connotations, enjoying a second life in the metaphorical terminology of Latin literary criticism“. So setzt er den perfekten Liebhaber mit dem perfekten Gedicht gleich. Vgl. auch Gowers (2012) 115 ad sat. 1, 2, 123–4. Vgl. Freudenburg (1993) 196. Denn der Verweis auf eine Venus parabilis (was das Griechische εὐπόριστον widerspiegle) passe zur epikureischen „lust […] that respects nature’s limits“ (ebd.). Zudem „finden sich“, neben der bereits angesprochenen Passage ars 2, 597–600 „[w]ei‐ tere Wiederholungen dieses juristisch formulierten ‚Zeugnisses‘ (testor) in Ars 3, 27 nil nisi lascivi per me discuntur amores; 57 f. petite hinc praecepta, puellae, / quos pudor et leges et sua iura sinunt“ (Janka [1997] 423 ad 599–600).
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
Hor. sat. 2, 7, 46–94
141
Ov. rem. (ausgewählte Stellen)
‘Te coniunx aliena capit, meretricula Dauum: peccat uter nostrum cruce dignius? acris ubi me natura intendit, sub clara nuda lucerna quaecumque excepit turgentis uerbera caudae clunibus aut agitauit equum lasciua supinum, dimittit neque famosum neque sollicitum ne ditior aut formae melioris meiat eodem. tu cum proiectis insignibus, anulo equestri Romanoque habitu, prodis ex iudice Dama, turpis odoratum caput obscurante lacerna, non es quod simulas? metuens induceris atque altercante libidinibus tremis ossa pauore. (V. 46–57)
et sanum simula nec, si quid forte dolebis, sentiat, et ride, cum tibi flendus eris. non ego te iubeo medias abrumpere curas: non sunt imperii tam fera iussa mei. quod non es, simula positosque imitare furores: sic facies uere, quod meditatus eris. (V. 493–498)
[…] euasti: credo, metues doctusque cauebis: quaeres, quando iterum paueas iterumque perire possis, o totiens seruus! quae belua ruptis,
utile propositum est saeuas extinguere flammas nec seruum uitii pectus habere sui.
cum semel effugit, reddit se praua catenis?’
(V. 53 f.)
(V. 68–71) […] tune mihi dominus, rerum imperiis hominumque tot tantisque minor, quem ter uindicta quaterque imposita haud umquam misera formidine priuet? (V. 75–77) […] tu, mihi qui imperitas, aliis seruis miser atque duceris ut neruis alienis mobile lignum.’ ‘Quisne igitur liber?’ […]
(V. 300) ‘quam breuis est!’ (nec erat), ‘quam multum
(V. 81–83a) […]
et pone ante oculos omnia damna tuos:
poscit amantem!’; (V. 321)
142
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
Hor. sat. 2, 7, 46–94
Ov. rem. (ausgewählte Stellen) potesne
ex his ut proprium quid noscere? quinque talenta poscit te mulier, uexat foribusque repulsum perfundit gelida, rursus uocat: eripe turpi colla iugo; “liber, liber sum” dic, age: non quis.
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urget enim dominus mentem non lenis et acris subiectat lasso stimulos uersatque negantem. (V. 88b–94)
quale sit id quod amas, celeri circumspice mente, et tua laesuro subtrahe colla iugo. (V. 89 f.) dixerit ut uenias: pacta tibi nocte uenito; ueneris, et fuerit ianua clausa: feres. nec dic blanditias nec fac conuicia posti nec latus in duro limine pone tuum. postera lux aderit: careant tua uerba querelis et nulla in uultu signa dolentis habe. (V. 505–510) di faciant, possis dominae transire relictae limina, proposito sufficiantque pedes. (V. 785 f.)
Non es quod simulas? (sat. 2, 7, 56) – quod non es, simula (rem. 497). In fast wörtlicher Entsprechung gibt Ovid die rhetorische Frage des Horaz, syntaktisch in eine Aufforderung transformiert, wieder. Ich konnte bereits in Kapitel 4.1.3 zeigen, dass die dreimalige Verwendung des Verbs simulare auf den lukrezischen Kontext und die epikureische simulacra-Theorie verweist und als zentrales Argument dafür angesehen werden kann, dass Ovid eine intertextuelle Beziehung zu Lukrez aufbaut und die lukrezisch-epikureische Diatribe gegen die Liebesleidenschaft humorvoll-spielerisch parodiert. Die Interpretation, dass die ‚ars agendi‘ der Remedia als ‚ars simulandi‘ zu betrachten ist und sich davon ausgehend die Haltung Lukrez gegenüber generalisieren lässt, soll auch
512
Klingner (2012) verwendet für V. 92 die Zeichensetzung colla iugo liber, „liber sum“ dic age. non quis. Vgl. entsprechend Holzbergs (2018) 179 Übersetzung „Entreiße als freier Mann deinen Hals dem schändlichen Joch.“ Mir scheint Shackleton Baileys (2008) Zeichensetzung und die Integration auch des ersten liber in die direkte Rede plausibler, da der Angesprochene ja zu dem Zeitpunkt, an dem er sich als frei bezeichnen soll, eben nicht frei ist, was auch durch die Aussage am Ende des Verses verdeutlicht wird.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
143
weiterhin Bestand haben. Doch kann man, wenn man auf diesen Satz, also die zweite Verwendung von simulare und die wörtliche Entsprechung bei Horaz, sieht, eben eine zusätzliche Verbindung zu sat. 2, 7 herstellen. Die bereits etablierte intertextuelle Vierecksbeziehung zwischen Lukrez, den Remedia, der Ars und Horaz513 lässt sich erweitern bzw. aus dieser Perspektive neu definieren, wenn nun nicht mehr sat. 1, 3, sondern sat. 2, 7 als horazischer Prätext im Fokus steht (siehe Abbildung 8). Ov. Remedia amoris
Hor. sat.
Hor. sat. 2, 7, 46–94
2, 7, 46–94
Lucr. De rerum natura 4
Ov. Ars amatoria 1–3
(simulacra-Präsenz)
(entsprechende Stellen zur simulatio amoris)
Abbildung 8: Intertextualitätsvieleck zu simulatio und simulacra
Davus verspottet den horazischen Sprecher und seine Schwäche für verheiratete Frauen und bezeichnet ihn als Sklaven seines Verhaltens und seiner Einstellung: Denn trotz der Gefahren, die ein Ehebruch mit sich bringt, verhält er sich törichter als wilde Tiere, wenn er der Versuchung nicht widerstehen kann und so sein Glück immer wieder auf die Probe stellt (vgl. V. 68–71). Indem er sich beim Ehebruch seiner äußeren Standeszeichen entkleidet und optisch zu einem Dama wird, sieht er aus wie ein Sklave – doch im Wesentlichen ist er, wie Davus in seiner rhetorischen Frage klar macht, dies auch innerlich: non es quod simulas? Der Verweis auf seine sklavenähnliche Situation erfolgt erneut (vgl. V. 81–83), wenn der saturnalische Wortführer auf den stoischen Satz, dass nur der Weise frei sei, zurückkommt. Auch hier wird jedoch keine ernste
513
Siehe auch oben die Abbildungen 6 und 7 und für die Bedeutung von simulare in der Ars amatoria die Ausführungen in Kapitel 4.1.3.
144
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
Lehrstunde in stoischer Moralphilosophie abgehalten, vielmehr kehrt Davus wieder zu Horaz’ Sexualverhalten zurück und beschreibt, dass er insofern unfrei sei, als eine Frau Geldforderungen an ihn stelle, sie ihn nach Belieben quäle, hinauswerfe und wieder zurückrufe und er so unter ihrer ‚Fuchtel‘ stehe (vgl. V. 89–94). Karikiert er am Anfang des Gesprächs Horaz nur und stellt dessen törichtem Verhalten sein eigenes gegenüber, fordert er ihn in V. 91 f. schließlich konkret dazu auf, sich von diesem Joch zu befreien und den Befreiungsakt auch aktiv durch sprachliche Affirmation zu unterstützen. Dass es sich hier nicht primär um eine auf Erfolg abzielende Erotodidaxe handelt, wird auch klar, wenn im Anschluss, noch im selben Vers, die defätistische Aussage non quis (V. 92) folgt. Dennoch: Ein lehrgedichtstypisches Element findet sich auch hier. Um zu erläutern, welche Bedeutung diese horazische Stelle zur simulatio für Ovid hat, sei erneut auf die entsprechenden Stellen der Remedia geblickt, in denen das Konzept eine zentrale Rolle spielt. Da der unglücklich Verliebte letztlich ein Sklave seiner Gefühle ist, gilt es, dass er sich mit einer Reihe von Hilfestellungen von ihnen befreien soll – utile propositum est saeuas extinguere flammas, / nec seruum uitii 514 pectus habere sui (V. 53 f.). Und eine der wichtigsten Strategien, in der die praecepta zur Selbsttäuschung ab rem. 493 kulminieren, ist eben die der emotionalen simulatio – tu so, als ob es dir gut gehe, und der Wunsch wird Wirklichkeit werden. Ist diese, auf Lukrez anspielende, Weisung nun auch mit Blick auf Horaz verfasst worden, wie die wörtliche Entsprechung nahelegt? Meines Erachtens ja. Davus impliziert in seiner rhetorischen Frage, ob die äußere Verwandlung nicht auch eine innere zur Folge hätte, dass die horazische Persona zu dem wurde, was zu sein sie nur vorgegeben hatte. Bei Ovid wiederum stellt letztlich dieses Prinzip (Verstellung soll zur Realität werden) das Ziel des praeceptum dar: quod non es, simula positosque imitare furores: / sic facies uere, quod meditatus eris (V. 497 f.). Im Fall des Horaz hat die Simulation ja – leider – funktioniert, simulare hat einen neuen Seins-Zustand bewirkt (seruum esse). Auch wenn Ovid Kontext und Form der Verstellung (nur innerlich, von äußerer Maskierung ist bei ihm keine Rede) transformiert: Vielleicht ist in der lexikalischen Rekurrenz auf die ‚Erfolgsgeschichte‘ des Horaz auch ein Hinweis darauf zu sehen, dass die Simulationstechnik in den
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Auf das Wortspiel servum vitii mit dem elegischen Terminus des servitium (amoris) verweist Pinotti (1993) 105 ad 53–54. Da das elegische Motiv zu Ovids Zeiten bereits etabliert war, ist eine – unabhängig von Bezügen auf Horaz wirksame – Bezugnahme auf den elegischen Gattungshorizont an dieser Stelle festzuhalten.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
145
Remedia durchaus verheißungsvoll ist – denn auch bei Ovid wird ein neuer Seins-Zustand (sanum esse) in Aussicht gestellt (vgl. V. 498).515 Ein positives Argument für diese bewusste, doppelte Bezugnahme liegt noch in einem anderen Punkt begründet, nämlich der übereinstimmenden Absage an Welten, in denen sich ein Liebender durch sein lächerliches (oder auch wahn‐ sinniges) Verhalten zum Gespött macht und die entsprechend durch bestimmte literarische Topoi repräsentiert werden – einer Absage, die alle drei gleichzeitig wirkenden Prätexte, die beiden Satiren des Horaz und Lukrez’ satirische Diatribe gegen die Liebesleidenschaft, mit den Remedia gemeinsam haben. D. h. die These einer simultanen Referenz durch Ovid wird dadurch bekräftigt, dass sich die Remedia desselben Gattungshorizonts bedienen, der durch die beiden Texte mit ihrer satirischen (Horaz) bzw. philosophisch-diatribischen, aber zugleich auch satirischen (Lukrez), Grundhaltung aufgespannt wird. Für diese Begründung, dass eine dreifache intertextuelle Bezugnahme vorliegt, die auf allgemeinere Systemreferenzen hinweist, sind aber noch weitere Textstellen aus Horaz’ Satire 2, 7, aus De rerum natura und Properz als einem der kanonischen römischen Lie‐ beselegiker heranzuziehen (siehe Abbildung 9).516 Wie sich zeigen wird, finden sich dadurch noch weitere Belege für meine These, dass Ovid den satirischen 515
516
Das Verb simulare wird in verschiedenen Gattungen und über verschiedene Zeiten hinweg insgesamt recht ähnlich verwendet, was die Lektüre des Artikels im OLD s. v. „simulo“ zeigt. Als Grundbedeutung kann man dabei „to pretend“ erkennen, wobei es sowohl auf das Subjekt („to pretend to be“, vgl. 4.) als auch ein Objekt („to pretend such and such as being the case“, vgl. 1.) ausgerichtet sein kann. Auch der Akt, etwas täuschend zu produzieren, kann damit gemeint sein („to make, produce, etc., a fraudulent imitation of, counterfeit, simulate“); die Verwendung im Bereich der Kunst (vgl. 6.) ist dabei bereichsspezifisch. Als rhetorischer terminus technicus (to employ a simulatio) wird es bei Quintilian eingesetzt. Ansonsten finden sich über die einzelnen Bedeutungsnuancen verteilt Belegstellen aus sowohl Epos (von Vergil bis zu den späteren Epikern und Silius Italicus, Lucan, Statius) und Philosophie (besonders Seneca und Lukrez) als auch Satire (Lucilius, Horaz, Juvenal), ohne dass ich besondere Verwendungsschwerpunkte in den einzelnen Gattungskontexten erkennen kann. Um die satirische Dimension zu betrachten, spielt nun der Blick auf das philosophische Konzept der simulacra-Theorie keine Rolle mehr. D. h. die Anweisung zur simulatio in den Remedia hat zwei verschiedene intertextuelle Folgerungen. Zum einen artikuliert Ovid in dem Wortspiel zu simulare-simulacra seinen parodistischen Umgang mit Lukrez’ Lehrgedicht, zum anderen verweist die auf simulare basierende Intertextualität mit Horaz auf den satirischen Gattungshorizont, der auch Lukrez eignet, sich aber an anderen Stellen zeigt, die grundsätzlich nichts mit der simulacra-Theorie zu tun haben. Zwar unterscheiden sich die Argumentationen der beiden satirischen Prätexte, des epikureischen Lehrgedichts mit seiner aggressiven Bloßstellung Verliebter, die nur einen Teil des Lehrgedichts am Ende des vierten Buches darstellt, und Horaz’ „[s]ittenkritische[r] Plaudereien“ (Holzberg [2009c] 63). Gewisse Gemeinsamkeiten lassen doch eine zeitgleiche Beobachtung und Kontrastierung mit Ovids Rezeption in den Remedia zu.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
und (aus Ovids Sicht) anti-elegischen Grundtenor seiner literarischen Vorgänger funktional in sein Projekt der Remedia übernimmt.517 Ov. rem.; Paraklausithyron/servitium amoris (V. 505–510; 785f.)
Hor.
Hor.
sat. 2, 3, 259–264 &
sat. 2, 3, 259–264 &
sat. 2, 7, 89–94
sat. 2, 7, 89–94
Lucr. 4, 1177–1184
Prop. 2, 5 & Topik der römischen Liebeselegie
Abbildung 9: Intertextualitätsvieleck zu ‚Liebessklaven‘
Sowohl Horaz als auch Ovid rekurrieren auf die ubiquitäre Metapher vom „Joch der Liebe“, die häufig mit dem Motiv des Liebessklaven bzw. servitium amoris verknüpft ist.518 Die Formulierung in den Remedia: et tua laesuro subtrahe colla iugo (V. 90) stimmt dabei fast wörtlich mit Properz 2, 5, 14 überein: dum licet, iniusto subtrahe colla iugo. Doch auch in Horaz’ Satire 2, 7, die in der zeitlichen
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Das im Folgenden abgebildete Polygon zu den elegisch-erotischen Topoi Paraklausi‐ thyron und exclusus amator beansprucht in keiner Weise, die Tradition dieser litera‐ rischen Motivik umfassend darzustellen. Ich möchte nur die wichtigsten Passagen, die für die Beziehung zwischen den Remedia und dem horazisch-satirischen Intertext zusätzlich konstitutiv sind, in dieser einleitenden Graphik visualisieren und Lesern so die Orientierung in meiner Argumentation erleichtern. Dabei werde ich jedoch sowohl im Text als auch in den Fußnoten weitere verwandte Stellen zu diesen Topoi erwähnen, doch nicht in das Polygon integrieren, da sie für konkrete intertextuelle und nicht nur motivische Betrachtungen nicht von zentraler Bedeutung sind. Dadurch entgehe ich auch dem Problem, mehr als vier Texte aus der Pyramide in ein Polygon der zweidimensionalen Ebene integrieren zu müssen. Die Properz-Stelle soll im weiteren Sinne auch für die Präsenz dieser Topoi in der römischen Liebeselegie allgemein stehen, da eine extensive Betrachtung aller möglichen Stellen für meine Argumentation nicht zielführend wäre. Vgl. Geisler (1969) 196 f. ad 90, der die Anwendung des servitium amoris-Motivs auf die Horazstelle als unproblematisch erachtet. So auch Henderson (1979) 53 ad 90.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
147
Chronologie dieser Texte der früheste ist,519 findet sich die identische grammati‐ kalisch-syntaktische Konstruktion: colla (Akk.) iugo (Abl.) und privatives Verb im Imperativ: eripe turpi / colla iugo (V. 91 f.). Beim Satiriker wird iugum ebenfalls mit einem Attribut versehen, das dessen negative Seite akzentuiert (vgl. turpi, Hor. sat. 2, 7, 91 mit iniusto bei Prop. und laesuro bei Ovid).520 Dass eben nicht nur Properz, sondern auch Horaz als Intertext für diese Passage der Remedia mitgedacht werden muss, zeigt sich aus den unterschiedlichen Kontexten bei Horaz und Properz, mit denen die Remedia je etwas gemeinsam haben. Bei Properz droht der elegisch Liebende seiner untreuen Cynthia, dass er den dichterischen Ruhm einer anderen Frau schenken könnte (vgl. V. 5 f.), und dass der momentane
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Ein paar Anmerkungen zur zeitlichen Chronologie der Texte, die sich oft ähnlicher Motive bedienen und deren Reihenfolge für die Frage nach intertextueller Bezugnahme bedeutsam ist: Horaz’ erstes Satirenbuch ist auf 35 (spätestens 33) v. Chr. zu datieren, das zweite Satirenbuch auf das Jahr 30, vgl. Holzberg (2009c) 18–22. Die Elegiensammlung des Gallus muss, da der Elegiker die Hauptfigur in Vergils zehnter Ekloge ist und auf seine Amores rekurriert wird, schon vor 39/38 v. Chr. existiert haben, vgl. Holzberg (2011c) 23. Da Gallus’ Werk fast komplett verloren ist (und man so nicht gesichert sagen kann, welche elegischen Gattungselemente schon für Gallus wichtig waren), ist Vergils Ekloge ein wichtiger Quellentext. Wenn man Servius’ Kommentar zu V. 46 dieser Ekloge glaubt, habe Vergil „‚alle diese Verse von Gallus und aus dessen Gedichten übernommen‘“ – aber Servius „macht keine präzisen Angaben“ (Holzberg [2006a] 88). Welche „typischen Motiv[e]“ hier referiert würden, könne man nur durch die Analyse der späteren Elegiker erkennen (vgl. ebd.). Gibson (2007) 24 vermutet ebenfalls, dass Gallus’ Sammlung vor dem ersten Satirenbuch existiert hat. Die Monobiblos des Properz ist auf ca. 28 v. Chr. zu datieren und Tibulls Elegienbücher auf 27 und 19 v. Chr. (vgl. Holzberg [2011c] 3), also allesamt auf Zeitpunkte nach der Veröffentlichung von Horaz’ Satiren. Geisler (1969) 196 f. ad 90 mit Anm. 3, 4 und S. 197 Anm. 1 führt von Homer ausgehend Beispiele für die benachbarten sprachlichen Bilder von Ehejoch und Liebesjoch an. Dass die Remedia-Stelle als direkte intertextuelle Entlehnung von Properz zu sehen ist, wird schon bei Geisler ersichtlich. Auch Fedeli (2005) 182 ad Prop. 2, 5, 11–14 nennt Ovid als Rezipienten der properzischen Formulierung und bietet ebenfalls weitere griechische und lateinische Prätexte für diesen Topos in der Liebesdichtung. Für das Joch (ohne Verbindung mit collum) verweist er auf einige Stellen in Horaz’ Oden sowie Catull. 68, 118 und nach Ov. epist. 9, 29 f. auch auf Statius und Martial. Für Forschungsliteratur zu diesem Topos vgl. ebd. Die Junktur colla iugo subtrahere findet sich vor Properz eben nur bei Horaz, wobei das Verb subtrahere durch eripere ersetzt ist, vgl. Fedeli (2005) 182 ad 11-14, und bei Ovid später auch noch in trist. 5, 2, 40 und Pont. 3, 7, 16. Sub iuga colla dabit liest man bei Tib. 1, 4, 16 und in der Appendix Tibulliana auch noch im Panegyricus Messallae: […] colla iugo didicit summittere taurus ([Tib.] 3, 7, 170; für Diskussionen zur Autorschaft und Datierung vgl. Fulkerson [2017] 37–39, die jedoch dieses Hexametergedicht nicht in ihren Kommentar übernimmt, da sie sich auf die elegischen Gedichte fokussiert, und Peirano [2012] 117–172, besonders 132–148. Fulkerson beschreibt den Text als „praise of the literary, oratorical, and military accomplishments of Messalla“ [S. 37]).
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Augenblick für eine Trennung geeignet wäre; schließlich fordert er sich selbst auf, sich aus dem Joch zu befreien:521 nunc est ira recens, nunc est discedere tempus: si dolor af[f]uerit, crede, redibit amor. […] quam facile irati uerbo mutantur amantes: dum licet, iniusto subtrahe colla iugo. (Prop. 2, 5, 9 f. und 13 f.)
Auch wenn im weiteren Buchverlauf klar wird, dass die ‚Versprechen‘ des poeta/amator letztlich nichtig waren, er sich durch sein Verhalten und seine Worte teilweise lächerlich macht und „bis zum Ende des Buches von Cynthia sklavisch abhängig“ ist,522 so liegt hier dennoch ein Beispiel für die elegische renuntiatio amoris vor, die „formal repudiatio[n] of love or the beloved“.523 Zumindest für den Moment klingt also die Bereitschaft der elegischen Persona an, sich aus dem servitium amoris zu lösen. In dieser Hinsicht scheint die Remedia-Stelle also nicht nur lexikalisch, sondern auch inhaltlich zu Properz 2, 5 zu passen: So, wie Properz sich zur Befreiung aus dem Liebesjoch aufruft, da der Zeitpunkt aufgrund des gegenwärtigen Zornes passt, bringt auch die ovidische Lehrer-Persona ihr praeceptum im Zuge der Erörterung zum richtigen Zeitpunkt für das Beenden der Liebe: Mach dich gleich zu Beginn frei, damit dir das Joch nicht in Zukunft Schmerzen bereiten wird (vgl. rem. 81–92). Ein Unterschied besteht jedoch zwischen der elegischen und der erotodidaktischen Sprechhaltung. Die renuntiatio amoris ist Teil der elegischen Grammatik, die Androhung des Liebesendes dient der rhetorischen Beeinflussung der domina, damit sie sich des Wertes ihres poeta/amator bewusst wird und ihn nicht länger abweist. Doch eben um so scheinbare Trennungen geht es Ovid nun nicht, ja er erklärt sogar, dass die wiederholte öffentliche Betonung der Separation und der Distanz zur Geliebten nur ein Zeichen für eine noch bestehende emotionale
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Vgl. Camps (1967) 88 für die Dreiteilung der Elegie und S. 89 ad 2, 5, 9 für den Hinweis darauf, dass Properz von der Apostrophe Cynthias zur Apostrophe seiner selbst wechselt. Vgl. Holzberg (2011c) 53–55, Zitat S. 55. Cairns (1972) 80. In seiner Analyse (v. a. S. 79–82) beschreibt er die einzelnen Konstitu‐ enten einer renuntiatio amoris und erklärt so die ‚Poetik‘ dieses Topos in der Dichtung. Dabei unterscheidet er zwischen primären und sekundären Merkmalen in der Form spezifischer Topoi, die für die Gattung der renuntiatio amoris charakteristisch seien (vgl. auch S. 83). Während ein Sprecher (der Liebhaber), ein Adressat (die geliebte Person) und „an act of renunciation of the addressee by the speaker“ (S. 80) zur ersten Kategorie gehörten, seien etwa die Gründe für die Zurückweisung, die Rekurrenz auf die Rivalen oder Nachfolger und die momentane innere Verfassung des Sprechers (vgl. S. 80 f.) Beispiele für sekundäre Merkmale.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
149
Bindung ist.524 Das erklärte Ziel seiner Remedia ist die vollständige und dauer‐ hafte Lösung von der puella und, wenn man den Schritt von der praecepta-Ebene zur generischen Ebene geht: die Lösung vom gesamten elegischen System, welches bei Properz weiterhin Bestand hat.525 Es geht Ovid um die Befreiung von Liebeszwang, bildlich gesprochen auch von der Existenz als exclusus amator, welche pars pro toto für die elegische conditio stehen kann;526 es geht um das Ende unglücklicher, unerfüllter Liebe, ohne welche die Liebeselegie keine Grundlage mehr hat. Dafür bezieht sich Ovid auch auf Texte, die sich, wenn auch nicht aus einer so speziell anti-elegischen Perspektive, gegen den Existenzzustand des Liebessklaven richten. Bei Horaz findet man einen vergleichbaren Ansatz, wenn sich Davus mit eripe turpi colla iugo ja fast derselben Formulierung bedient, die wir später bei Properz und Ovid finden. Der Unterschied zu Ovid und auch zu Properz besteht darin, dass es in dieser Satire um einen tatsächlich vollzogenen Ehebruch geht. Doch wird Davus’ horazisches Gegenüber in V. 89–94 mit einem wie aus der Neuen Komödie bekannten527 Liebessklaven (vgl. auch V. 70) gleichgesetzt: Die Frau fordert materielle Zuwendung, lässt ihn vor ihrer Tür warten und ruft ihn nach ihrem Belieben zu sich – Aspekte, die im ‚elegischen Modell‘ unter etwas anderen Voraussetzungen auch zu finden sind.528 Davus ist dabei klar, dass sein 524
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So betont Conte (1989), dass die elgische Liebe per se „suffering and frustration“ sei: „the very movement of elegy is a wavering between hope and despair, exultation and despondency“, weswegen die renuntiatio stets erfolgloser Versuch der Befreiung bleiben müsse. Sie gehört zum „code of elegy“ (alle Zitate S. 446) dazu. Zur renuntiatio amoris in Verbindung mit ovidischer Selbstimitation (am. 2, 9 und 3, 11) vgl. weiterführend Cairns (1979) 121-141. Auch wenn die elegischen Obertöne letztlich zu einem „Scheitern“ der Remedia beitragen, ist das Heilungsprogramm, wegen seiner ‚offiziellen‘ Zielsetzung, doch von der elegischen renuntiatio zu unterscheiden. Vgl. Copley (1956) 84. Er verweist auf Ov. am. 3, 1, 39 f., da dort die verschlossene Türe allein schon als abstraktes Symbol für die Welt der Liebe und der Liebesdichtung stehe (ebd.). So spricht die personifizierte Elegie: non ego contulerim sublimia carmina nostris: / obruit exiguas regia uestra fores. Bei Muecke (1993) 224 ad 89 f. und 93 werden für die Geldforderung nur Parallelen zur Komödie gezogen, was motivgeschichtlich gerechtfertigt ist, zumal die Einheit „fünf Talente“ eine griechische ist und das griechische Milieu ja für die lateinischen Komödien des Plautus und Terenz zentral ist. Da die kanonischen (vgl. etwa ars 3, 535–538; rem. 763–66, trist. 4, 10, 51–54 und Quint. inst. 10, 1, 93) vier Elegiker (den nicht überlieferten Gallus ausgeschlossen) zeitlich nach Horaz’ Satiren schrieben und man somit nicht behaupten kann, Horaz beziehe sich bewusst nur auf die Muster der römischen Liebeselegie, möchte ich betonen, dass Horaz hier das Motiv in seiner noch nicht gattungsspezifisch-elegischen Tradition verarbeitet. Dass die Elegie schon eine Rolle für diese Satire gespielt haben mag, ist aber nicht auszuschließen – Catulls carmina 65–68 etwa sind schon als proto-elegische Texte in
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Adressat nicht dazu in der Lage ist, sich von seinem Laster der Ehebrecherei zu befreien (non quis!), und erhält so eine zusätzliche Basis für seinen Spott. Auch Ovid lenkt die Aufmerksamkeit seines Schülers an einer Stelle auf die Gier der puella (vgl. quam multum poscit amantem, rem. 321) und fordert ihn im weiteren Verlauf des Lehrgangs auf, sich des Joches zu entledigen und alle Widrigkeiten, die so eine Nacht mit sich bringt, ruhig zu ertragen. Der Kontext ist hier jedoch nicht der eines Ehebruchs, sondern die typisch elegische Klage vor den Türpfosten, ein Paraklausithyron, welches auch als ein die Remedia rahmendes und die anti-elegische Grundhaltung strukturell repräsentierendes Motiv verwendet wird; aus dem Ehebruchskontext bei Horaz kehrt Ovid also wieder in die (anti-)elegische Welt zurück: dixerit ut uenias: pacta tibi nocte uenito; ueneris, et fuerit ianua clausa: feres. nec dic blanditias nec fac conuicia posti nec latus in duro limine pone tuum. postera lux aderit: careant tua uerba querelis et nulla in uultu signa dolentis habe. (rem. 505–510)529
Am Ende des Lehrgangs wünscht der praeceptor sanitatis dem Schüler, wie bereits erwähnt, dann, dass er es schafft, an der Türschwelle der Frau vorbeizu‐ gehen: di faciant, possis dominae transire relictae / limina, proposito sufficiantque pedes (V. 785 f.).530 Anstatt zu verhöhnen, formuliert der ovidische praeceptor sanitatis Hilfestellungen, damit sich der Unglückliche von der Liebe befreien
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lateinischer Sprache zu bezeichnen, im ianitor-Gedicht 67 ist die Paraklausithyron-Szene zumindest implizit mitzudenken, und auch bei Gallus fanden sich vermutlich mit dem servitium amoris und dem exclusus amator verbundene Motive. Es handelt sich hierbei, so Janka (1997) 385 f. ad ars 2, 523–528 und Lucke (1982) 146 ad rem. 505–508 um eine direkte Inversion der Vorschriften aus ars 2, 523–528; für genauere lexikalische Analysen und Vergleiche sei auf diese beiden Kommentare verwiesen. Schon in V. 519 begegnet dem Schüler eine Vorschrift, die mit dem Paraklausithyron im weiteren Sinne zu tun hat. Nach der Weisung aus V. 505–510, dass er vor der Tür der Geliebten ausharren soll, verändert sich die Argumentation, es geht weiter um den Selbstbetrug (te quoque falle tamen, V. 513), der Schüler soll stolz erscheinen (animis cedat ut illa tuis, V. 518). Im Folgenden heißt es: ianua forte patet: quamuis reuocabere, transi (V. 519), er soll also an der offenen Tür einfach vorbeigehen. Dies ähnelt nun auch der Weisung in V. 785 f. Geisler (1969) 71 betont diese Vergleichbarkeit und auch den Unterschied, da beide praecepta in den verschiedenen Hauptteilen der Remedia zu verorten sind. Man könnte aber auch behaupten, dass es Ovid durch die Wiederaufnahme dieser funktional motivierten Perspektive auf die Situation des exclusus amator/das Paraklausithyron schafft, die beiden tractatio-Teile eng miteinander zu verflechten. Zur ringkompositorischen Korrespondenz dieser Absage an elegisches Verhalten mit der elegischen Kurzgrammatik in V. 31–36 siehe oben S. 98 f.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
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kann. Er bedient sich dabei der topisch gewordenen Situation des exclusus amator, nimmt diese wörtlich und schlägt vor, dass sein Schüler genau die gegenteiligen Handlungsschritte ausführen solle: Nicht vor der Tür warten, sondern vorübergehen; nicht klagen, sondern emotionslos sprechen. Dieses in reverso-Wörtlichnehmen ist komisch und indirekt auch mit Spott angereichert, weniger dem Remedia-Schüler gegenüber als vielmehr dem Typus des elegisch Verliebten, dessen prototypisches Verhaltensmuster durch die Funktionalisie‐ rung in Ovids Lehrgang lächerlich wirkt.531 Doch mein Ziel ist nicht der Stellenvergleich aller Passagen, die das Para‐ klausithyronmotiv verarbeiten.532 Für die Frage, inwiefern Ovid die Satiren des Horaz (und die Diatribe des Lukrez) in den Remedia amoris aufgreift, ist jedoch die Erkenntnis wichtig, dass in Texten mit einer satirischen Sprechhaltung des Öfteren sklavisch Verliebte verspottet werden und somit dieser Aspekt der (Un-)Freiheit, das Motiv sklavischer Verliebtheit im Allgemeinen, wie in Hor. sat. 2, 3 und auch in 2, 7, thematisiert werden. Aber auch auf den Kontext des Paraklausithyrons wird zurückgegriffen. Wenn Ovid dies nun in seinen Remedia ebenfalls tut, geschieht das einerseits als direkte Negation elegischer Muster, die zu seiner Zeit bereits etabliert waren. Andererseits knüpft er dadurch auch an die Rhetorik an, die einem satirischen Gattungshorizont zugehört. Sowohl bei Horaz und Lukrez als auch in den Remedia sind Witz 531
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Copley (1956) 132 betont den ‚spielerischen‘ Umgang Ovids mit dem bereits erstarrten und konventionell gewordenen Topos. In einer anderen Hinsicht innovativ geht Ovid mit dem Paraklausithyron-Motiv in seinen früheren Werken um: Sowohl in am. 2, 19, 19–24; ars 2, 523–528 als auch ars 3, 579–588 betrachtet er diese Situation ‚funktional-utilitaristisch‘ in Liebesangelegenheiten. Wenn Liebe zu leicht verfügbar ist, wird sie uninteressant – deshalb bittet der poeta-amator der Amores darum, ruhig ein bisschen ausgesperrt zu werden; daher instruiert Ovid die Mädchen in Buch 3 der Ars, die Liebhaber aus taktischen Gründen vor der Tür warten zu lassen, und darum rät Ovid seinem männlichen Schüler in ars 2, die exclusus-Situation zuzulassen, da sich daraus nur Vorteile für ihn ergeben würden (vgl. Copley [1956] 84–86). Dass ein solches „[m]istreatment“, wie es etwa in ars 3 begegnet, „a familiar tactic for working up a lover’s passion“ ist (Gibson [2003] 324 ad 577–610), belegt Gibson mit Blick auf etwa Prop. 4, 5, 29 f; 37–40, Ov. am. 1, 8, 73 ff. und auch bei Copley (1956) angeführte Stellen, wobei er in seinem Kommentar die spezifisch ovidischen Neuakzentuierung heraushebt, dass die Situation beiden Parteien, Frau und Mann, nützt. Vgl. Copley (1956) für einige Stellen der lateinischen Literatur, die stellenweise auch von mir genannt oder ausführlicher behandelt werden: Lucr. 4, 1177–1179 (S. 44–47), indirekt in Catull. 32, 4–5 (S. 51 f.), Hor. sat. 1, 4, 48–52 (S. 54 f.), sat. 2, 3, 258–264 (S. 55), epod. 11, 19–20 (S. 52–54), carm. 3, 7 (S. 64–66), 3, 10 (S. 62–64) und 3, 26 (S. 55–58), Mart. ep. 4, 29, 5–6 und 10, 14, 7–9, Pers. 5, 164–66 (in der Abhängigkeit von der Komödie), Juv. 9, 74–78; (für die nach-ovidischen Autoren vgl. S. 140 mit Anm.). Die besondere Bedeutung, die das Motiv in der lateinischen Liebesdichtung hat, zeigt sich in der Fülle an Beispielen bei den Elegikern (vgl. S. 70–140).
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und die Absage an erotisches/proto-elegisches Verhalten gekoppelt, im Fall der literarischen Vorgänger in Form (beißenden) Spotts, in den Heilmitteln gegen die Liebe insofern, als praecepta bewusst anti-elegisches Verhalten propagieren und elegisches Verhalten der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Die lexikalischen und motivischen Parallelen zwischen den Remedia und Hor. sat. 2, 3 und sat. 2, 7 belegen m. E. eine bewusste intertextuelle Bezugnahme Ovids auf diese Satiren, die sich in summa aus der Referenz auf non es quod simulas, der Joch-Metaphorik und zudem der Absage an die Existenz als Liebessklave ergibt. In dieser Negation spiegelt sich wiederum eine satiretypische Blickrichtung wider, derer sich Ovid genauso bedient wie lehrgedichtstypischer Sprechmodi, etwa instruktiver Imperative, die wiederum in sat. 2, 7 (wie auch 1, 2) zu finden sind. Über die Einzeltextreferenz hinaus kann man dies, in Anbetracht der anderen besprochenen Beispiele zu Paraklausithyra bei Horaz und Lukrez, als Systemreferenz auf die Satire und satirenahe Schreibweise werten. Ovid wendet sich also konkret Horaz sowie satirischem Sprechen im Allgemeinen zu, um dadurch seinem eigenen Ziel, der (humorvollen) Demontage der elegischen Existenz und Grammatik, einen Schritt näher zu kommen. Ovid funktionalisiert also auch hier die (horazische) Satire. Und in diesem Beispiel gleicht die Form der intertextuellen Bezugnahme auf Horaz dem schon für sat. 1, 3 bestimmten, typisch ovidischen Reduktionsverfahren. Wenngleich Erotik integraler Bestandteil der besprochenen Horaz-Satiren ist, bewegen sich die einzelnen Sprecher in einem größeren moralphilosophischen Kontext. Dieser wird bei Ovid durch die Integration moralphilosophischen Vokabulars (vitium) parodistisch evoziert, wodurch komische Spannung erzeugt wird. Da aber Horaz durch die komischen Brüche und die bewusst inszenierte Unglaub‐ würdigkeit seiner philosophischen Gewährsmänner selbst moralphilosophische Aussagen der Stoa parodiert, steht die ovidische Persona ihm wiederum nah. Partielle Parodie des horazischen Kontextes bei gleichzeitiger aemulatio und Neuakzentuierung der Sprechhaltung, die sich durch eine parodistische Grund‐ haltung ihren eigenen Traditionen gegenüber auszeichnet: Dieses Ergebnis lässt sich für den Umgang mit Horaz m. E. generalisieren. Aus gattungsbezogener Sicht kann man den Parodiebegriff nochmals heran‐ ziehen. Denn sowohl Lukrez als auch Horaz und Ovid parodieren auf ihre je eigene Art das exclusus amator-Motiv: Sie adaptieren das lexikalisch vorgeprägte Material des Topos und verhandeln es in neuen gattungsspezifischen Argumen‐ tationszusammenhängen. Die epikureische Attacke und der Spott in den Satiren sind dabei direktere Formen des Humors, die aus philosophischer Sicht konkrete erotische Lebensformen kritisieren bzw. ‚lachend‘ karikieren. Bei Ovid stellt sich der komische Effekt eher indirekt durch die Weisungen in seinem Lehrgang ein,
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der auf einer ersten Ebene als lebensnahe Hilfestellung für unglücklich Verliebte gestaltet ist (der Schüler soll sich anti-elegisch verhalten), auf einer zweiten aber zugleich die Demontage der literarischen Gattung Elegie als Programm hat. 4.3.1.3 Horaz’ Epoden und Jambustraditionen in den Remedia Der horazische Sprecher geht, wie schon in den Satiren, auch in Epode 11 parodistisch mit dem Paraklausithyron-Motiv um.533 Er schildert, wie er – im Gegensatz zu früherem Verhalten – nicht mehr dazu in der Lage ist, seinen Lie‐ beskummer und Dichten miteinander zu verbinden: Petti, nihil me, sicut antea, iuuat / scribere uersiculos amore percussum gravi (V. 1 f.).534 In jammerndem und sich selbst lächerlich machendem Tonfall berichtet er seinem Gegenüber Pettius von seiner Reihe erfolgloser ‚remedia amoris‘:535 Weder durch Verseschreiben noch durch Gespräche mit Freunden, wenn der Wein ihn beim Gastmahl ent‐ hemmt hatte, konnte er sich von der Liebe zu Inachia lösen (vgl. V. 7–18). Trotz der Ankündigung, sein pudor werde „davon ablassen (18 desinet), mit Leuten, die nicht an ihn heranreichten – er meint vermutlich einen Nebenbuhler – zu wetteifern“, gelang ihm das nicht; auch eine Rückkehr zur früheren jambischen Tätigkeit war ihm, da er sich emotional nicht trennen konnte, nicht möglich.536 Der Tiefpunkt seines Verhaltens, das ihn zur per urbem […] fabula (V. 6 f.) gemacht hatte, war seine unfreiwillige und automatisierte Rückkehr zu Inachias
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Vgl. Grassmann (1966) 121. Ich folge hier L. Watson (2003), der diese Verse anders interpretiert als Grassmann (1966). Dieser sieht etwa eine „Antinomie zwischen Dichtung und Liebe“ (S. 37, vgl. auch S. 90 zur antiken Tradition Dichtung vs. Liebe) und spricht von „Fehldeutungen“ (S. 38), wenn man Konzepte der römischen Liebeselegie interpretatorisch heranzog, was Watson zurecht als „badly flawed“ (S. 359) bezeichnet, zumal die Liebeselegie (oder auch die Vorläufer Komödie und Epigramm) eine wichtige Inspiration für die Epode darstellte (ebd. mit Verweisen auf weitere Literatur). Der Sinn des Eingangsdistichons ist, so Watson überzeugend, nicht „love robs me of my interest in composing“, sondern „I no longer get any pleasure from writing when I’m in love“, wodurch der Unterschied zu Horaz’ früherem Verhalten hervorgehoben werde (S. 359). Denn in den ersten beiden Versen zeige sich bereits das Grundthema der Epode, „devices of proven inefficacy against love“ (S. 360). Nur so wird die Gesamtkomposition der Epode mit der finalen Schlussfolgerung, dass ein alius ardor das einzig effektive remedium darstelle, voll verständlich. Vgl. L. Watson (2003) 360. Für Zitat und Gedankengang vgl. Holzberg (2009c) 106.
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Türschwelle, was vielleicht durch die mediale Form ferebar 537 in Verbindung mit der Junktur incerto pede 538 signalisiert wird: iussus abire domum ferebar incerto pede ad non amicos, heu, mihi postis et, heu, limina dura, quibus lumbos et infregi latus. (V. 20–22)
Nachdem die Persona zuvor noch geprahlt hatte, dass verletzter Stolz und Wut auf Inachia Distanz zu ihr schaffen würden (vgl. V. 15–19), wirkt dieser direkte Rückfall umso komischer. Hartherzige Torpfosten, an denen das Ich ausharrt: Ein wesentliches Charakteristikum für die Situation des exclusus amator ist an dieser Stelle zwar beschrieben. In diesem jambischen Kontext wird das Motiv jedoch seiner emotionalen, ‚ernsthaften‘ Implikationen entkleidet – in Form eines „comic refunctioning of preformed linguistic or artistic material“, um erneut Roses Parodiedefinition zu zitieren.539 Möglicherweise endet die exclusus amator-Szene zudem in unelegisch-unsentimentalen Tönen, während obszöne und dem jambischen und satirischen Genre näherstehende Beschreibungen Einzug halten. Denn nach den typischen Eingangsworten beschreibt die Persona ihr Verhalten an der Tür mit lumbos et infregi latus. Verweist Horaz hier auf sexuelle Handlungen, vielleicht auf Selbstbefriedigung an der Türschwelle?540 537 538
539 540
L. Watson (2003) 376 ad loc. vergleicht die Form mit φέρομαι bei Meleager (vgl. Anth. Pal. 5, 190, 3: ποῖ φέρομαι πάντῃ δὲ φρενῶν οἴακες ἀφεῖνται und 12, 85, 6: αὐτομάτοις δ’ ἄκων ποσσὶ ταχὺς φέρομαι), „of the amator carried along helplessly by the power of love.“ Grassmann (1966) 111 verweist darauf, dass die Unsicherheit beim Gehen nicht durch den Weingenuss, sondern „durch einen Rückfall in die alte Verliebtheit bedingt“ sei. Die Gangart selbst stelle ein willenloses Sich-Treiben-Lassen dar (vgl. ebd.). Die „unsteady steps of the inebriated“ sind ein Allgemeinplatz des Paraklausithyrons, „usually taken to express the conflict in Horace’s mind between reason and amor“ (L. Watson [2003] 376 ad loc. mit Hinweis auf Tib. 2, 6, 13 f. und Prop. 2, 25, 19 f., wobei er festhält, dass die „conflicting impulses“ in der Epode weniger deutlich wären). Im Rahmen von Versdichtung ist es grundsätzlich möglich, dass pes metapoetische Bedeutung hat. Holzberg (2009c) 97 und 106 hält fest, dass die Unsicherheit im Gang auch die Alternation, das „Schwanken“ (vg. S. 106) der Versfüße zwischen jambischen und daktylischen Metren, bezeichnen könne. Rose (1993) 52. Vgl. für diese Interpretation Grassmann (1966) 112–115, 121 und auch Holzberg (2009c) 106 f. Grassmann belegt seine obszöne Lesart von lumbi und infringere überzeugend unter Bezug auf Primärliteratur, Forschungsergebnisse und durch eine kritische Rezep‐ tion des ThLL. Seit Catull (vgl. c. 16, 10 f.: non dico pueris, sed his pilosis, / qui duros nequeunt mouere lumbos) könne man lumbi problemlos in seinen derben Konnotationen lesen und mit nervi, also Penis, gleichsetzen; auch latus finde man bereits bei Catull (vgl. c. 6, 13: non tam latera ecfututa pandas) „in sexueller Bedeutung“ (S. 113). Grassmann sieht eine Vergleichbarkeit mit Priap. 83, 45 Venus iocosa ruperit latus (ebd., Anm. 174) und für diese Bedeutung von infringere mit Aristophanes’ Ekklesiazusen (eccl. 707–9:
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
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L. Watson bezweifelt diese, u. a. von Grassmann vertretene, obszöne Lesart und verweist vielmehr darauf, dass mit infringere das Einreißen der Tür durch einen verzweifelten amator assoziiert werden kann und der Witz an dieser Stelle darin besteht, dass es der Liebhaber selbst ist, „who is ‘smashed’“541. Ob nun Anstößiges geschildert ist und eine derbere Form von Humor zum Einsatz kommt oder nur eine lustige Erweiterung der Paraklausithyron-Szene stattfindet – auf jeden Fall liegt eine komische und parodistische Verwendung dieses elegischen Motivs vor, da sich das Ich dadurch noch mehr der Lächerlich‐ keit in der Öffentlichkeit bzw. bei seinem Zuhörer preisgibt, worüber es schon zu Beginn der Epode klagt. Diese Selbstverspottung, die ein durchaus jambisches Moment aufweist,542 funktioniert nun besonders durch den Rückgriff auf dieses erotische und auch typisch elegische Verhaltensmuster und des Weiteren durch das Geständnis, dass nicht libera consilia nec contumeliae graues (V. 26), sondern nur ein alius ardor (V. 27) das Ich aus seiner Situation befreien konnte. Es ist nun nämlich in Lyciscus verliebt (vgl. V. 23 f.). Nach der (je nach Interpretation derb-obszönen oder nur humorvollen) jambischen Akzentsetzung kehrt das Ich auf eine unjambische Weise543 zum Liebesheilungs-Rahmen zurück, der die ganze Epode durchzieht und der schon aufgrund seiner Thematik starke inhaltliche Vergleichbarkeit mit Ovids Remedia amoris aufweist. Das einzig
541 542
543
die gut aussehenden Männer müssten sich an der Tür selbst befriedigen, weil erst die hässlichen zum Sex zugelassen seien). Grundlage für diese Lesart ist die gesamte Junktur lumbos et latus infringere, da lumbi derb klinge und normalerweise nur im animalischen Kontext verwendet werde; die somit derbe Grundanlage der Verbindung rechtfertigt für ihn auch die Lesart des bei Horaz nur einmal verwendeten Verbs (vgl. S. 113). So überzeugend seine Argumentation m. E. auch ist, bleibt sie durch das Fehlen eindeutiger Parallelstellen grundsätzlich anfechtbar. Mankin (1995) 203 ad loc. hält Grassmanns Lesart für möglich, da er das Ersetzen von rumpere durch infringere als Option nicht ausschließt. Adams (1982) führt die Phrase nicht an, hält aber fest, dass lumbus eine Bezeichnung „of the movements of seduction or copulation“ (S. 48) sei – und gelegentlich, im klassischen Latein aber eher seltener, für die Genitalien stehe –, dass latus oft „the general site of the exhaustion which might follow intercourse“ (S. 49) bezeichne und duchaus auch „vaguely suggestive of the male genitalia“ (ebd.) sei; er benennt also sexuelle Konnotationen beider Wörter und die Möglichkeit einer Verwendung für das männliche Glied. L. Watson (2003) 378 ad loc. So würde rumpere latus/ilia nicht für Masturbation, sondern nur „overindulgence“ verwendet, und es gebe keine Beweise dafür, dass frangere mit latus oder ilia so verbunden werde. Vgl. Mankin (1995) 193 ad epod. 11 zur Tatsache, dass „frustrated love“ des Spre‐ chers schon bei Archilochos zum Gegenstand narrativer iambi, und zwar von „blame narratives“, wurde. Dass es durchaus ein allgemeines Charakteristikum jambischen Sprechens ist, dass man sich selbst zur Zielscheibe des Spotts machen kann, stellt etwa L. Watson (2003) 460 f. ad epod. 15 heraus. Siehe auch oben Anm. 484. Vgl. Holzberg (2009c) 106 f.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
erfolgreiche remedium ist, anders als das erfolglose ‚Schein-remedium‘ des „der Kompensation dienende[n]“ Versedichtens,544 also die Ablösung einer alten durch eine neue Liebschaft. Das Ich befindet sich letztlich in einem Teufelskreis,545 aus dem es kein Entrinnen gibt.546 Solche Kreisläufe prägen, auf sowohl persönlicher als auch staatlich-politischer Ebene, die gesamte Epoden-Sammlung, im erotischen Kontext zudem besonders die renuntiatio amoris-Epode 15.547 Auch hier betont der horazische Sprecher so stark, dass er aufgrund seiner inneren Disposition und seines Stolzes der Schönheit der Geliebten widerstehen kann, dass er an Glaubwürdigkeit einbüßt. nam si quid in Flacco uiri est, non feret assiduas potiori te dare noctes et quaeret iratus parem, nec semel offensi cedet constantia formae, si certus intrarit dolor. (V. 12–16)
Durch die Herausstellung seiner scheinbaren Distanziertheit kommt schon der Verdacht auf, dass er der Geliebten, in diesem Fall Neaera, gleich wieder verfallen wird.548 Die Warnung an den Rivalen, dass Neaera ihn genauso durch jemand Neuen ersetzen werde, wie er selbst einst Opfer ihrer Untreue wurde (vgl. 544 545 546 547
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Holzberg (2018) 687 Anm. 2 zu den „unwillkommenen Heilmittel[n]“ (Übersetzung S. 217), vgl. V. 16 f. Vgl. L. Watson (2003) 380. Vgl. ähnlich Holzberg (2009c) 107. Für die Zugehörigkeit zu dieser literarischen Untergattung vgl. Cairns (1972) 80. In den politisch motivierten Epoden (vgl. weiterführend Kraggerud [1984]) stehen Ac‐ tium und in weiterem historischen Rückgriff die Bürgerkriegsthematik bis hin zum Romulus-Remus-Fluch im Hintergrund. Horaz zeigt in seiner Jambensammlung auf, wie Individuum und Gemeinschaft von einem Wahnsinn getrieben werden, der sich als „endless repetition of the crime of Romulus“ (vgl. Mankin [1995] 193 ad epod. 11) deuten lässt. Analog kann man also die gesamtgesellschaftlichen Tendenzen auf die Individualebene und die horazische Persona beziehen. So wie Horaz’ Exhortationen (vgl. epod. 7, 15 f.) an seine Mitbürger erfolglos bleiben, sind auch die Ermahnungen seiner Freunde in Horaz’ Liebesangelegenheiten fruchtlos (vgl. Mankin [1995] 193), und darüber hinaus begibt er sich ja sehenden Auges in einen solchen Teufelskreis. Über den sich in Epode 15 am Ende herauskristallisierenden ‚vicious cycle‘, der eine Verbindung zur folgenden 16. Epode schafft, sagt Mankin ferner: „Horace is meant to be seen as a kind of microcosm of the impotence and despair that civil war has brought on the macrocosm of the Roman state“ (S. 235). Eben wegen dieses Verhaltens betont L. Watson (2003) 460 ad epod. 15, dass Horaz trotz seines Versuches, seine Glaubwürdigkeit als Jambiker wiederherzustellen, an seiner jambischen Männlichkeitsdemonstration scheitert (er verwendet etwa in den Versen 11–16 verstärkt männliches und Zorn denotierendes Vokabular): „On closer perusal, the poet can be seen to cut a sorry and ineffectual figure“. Vgl. auch Holzberg (2009c) 110.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
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V. 17–24), führt ebenfalls zum performativen Selbstwiderspruch des horazischen Ich: Es ist offensichtlich noch emotional an Neaera gebunden, wie man der antizipierten Schadenfreude dem Rivalen gegenüber entnehmen kann: heu, heu, translatos alio maerebis amores: / ast ego uicissim risero (V. 23 f.). Sowohl in Epode 11 als auch in Epode 15 karikiert sich also das Ich und zeigt, dass es in Liebesdingen nicht souverän agieren kann und entweder alten Geliebten verfallen bleibt oder sich mehr oder weniger wissentlich in einen Kreislauf aus Liebe und Leid begibt. Wie schon in den vorherigen erotischen Epoden steckt das jambische Gattungselement in dieser Selbstverspottung, in der „declaration of authorial weakness“549, und erhält dadurch seine besondere Kontur, dass typische Elemente eines elegisch Liebenden und weitere Charakteristika der Gattung Elegie in diese Epode(n) implementiert werden.550 Denn sowohl die Drohung an die Geliebte, dass sie ihre Hartherzigkeit eines Tages bereuen werde, als auch die schadenfrohe Warnung an den Rivalen sind etwa bei Catull und (je nachdem, ob vor den Epoden nicht nur Gallus’ Amores, sondern auch weitere Elegien schon bekannt waren) den römischen Liebeselegikern vorgeprägt.551 Um L. Watson zu ziteren: „This mediation of iambic fecklessness through the filter of a different genre represents a novel departure in the 549
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551
L. Watson (2003) 460 ad epod. 15 (wobei sich bei Horaz in Epode 15 ein neuartiges „spotlight upon his own weakness“, S. 461, zeige). Er verweist darauf, dass sowohl Archilochos als auch Hipponax ihre amechania demonstrierten, indem sie sich „in ludicrous or humiliating situations“ (S. 461) zeigten. Holzberg (2009c) 110 hingegen attestiert Horaz in Epode 15 wie auch in Epode 11 „‚unjambisches‘ Verhalten“. Auch wenn er die Möglichkeit nicht ausschließt, dass Selbstironie ein jambisches Moment sein könnte (vgl. ebd.), ist die Liebesverfallenheit der Persona für ihn ein Zeichen, dass sich Horaz eher vom Jambus entfernt (vgl. auch S. 106 f.). Vgl. weiterführend auch Fitzgerald (1988). Dass der Aspekt der impotentia und amechania die modernere Epoden-Forschung wesentlich bestimmte, hebt Barchiesi (2001b) 147 und 147 Anm. 11 hervor. Vgl. L. Watson (2003) 461 ad epod. 15. Vgl. S. 362 f. zur neuen Akzentuierung des Epoden-Buches durch Epode 11 und ihre erste Thematisierung persönlicher Liebe. Vgl. für die Beobachtung, dass der für elegische und erotische Dichtung charakteristische Daktylus in diese Epoden integriert wird, Holzberg (2009c) 97 sowie 106–110 zu epod. 11–15. Zu epod. 15, 11 o dolitura mea multum uirtute Neaera etwa sind Catull. 8, 14 at tu dolebis, cum rogaberis nulla und Tib. 1, 9, 79 tunc flebis cum me uinctum puer alter habebit als Intertexte und Parallelstellen anzuführen, vgl. L. Watson (2003) 472 ad epod. 15, 11; zum Rivalen-Passus (vgl. epod. 15, 17–24) u. a. Tib. 1, 5, 69 at tu qui potior nunc es mea fata timeto und Prop. 2, 25, 21 f. tu quoque, qui pleno fastus assumis amore, / credule, nulla diu femina pondus habet, vgl. L. Watson (2003) 474 ad epod. 15, 16. Damit ist bei Weitem keine vollständige Auflistung der motivisch-inhaltlichen Parallelen erreicht, vielmehr soll dieses Anführen exemplarischen Charakter haben – eine detaillierte Übersicht findet sich z. B. in Watsons umfangreichem Kommentar.
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annals of iambus.“552 Die Verbindung jambischer, erotisch-elegischer und ero‐ tisch-epigrammatischer Elemente,553 diese Form der Gattunghybridisierung554 konstitutiert also die besondere Gestalt beider angeführter Epoden, die ähnliche Sprechhaltungen, etwa die Unterminierung der eigenen Autorität und das fruchtlose Aufbegehren gegen treulose Geliebte, und vergleichbare Strukturen, wie die kontinuierlichen Liebeswirren, aufweisen. In Epode 11 wird der Teufelskreis nun nicht nur implizit geschildert, sondern konkret als erfolgversprechendes remedium amoris präsentiert. Kann man dieser Methode Glauben schenken? Liest man die Epoden linear weiter,555 trifft man in Epode 12 auf eine anonym bleibende Frau, die wie die vetula in Epode 8 geschmäht wird, dann aber selbst zu Wort kommt und Horaz attackiert.556 552 553
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L. Watson (2003) 461 ad epod. 15. Dass Elemente der (römischen) Liebeselegie für Epode 11 und 15 eine wichtige Rolle spielen, die spezifisch jambische Prägung aber zugleich ebenso bedeutsam ist, hebt auch Johnson (2012) 138–144 hervor. Man kann mittlerweile als Forschungskonsens betrachten, dass Horaz die Elemente verschiedener Genera in seine erotischen Epoden implementiert. Grassmann (1966) 34–46 argumentiert für den Einfluss des erotischen Epigramms und weniger der Elegie auf epod. 11, 14 und 15. Dagegen L. Watson (2003) 360–362, demzufolge Elegie, Komödie und Epigramm für Epode 11 Vorbilder darstellen (vgl. zum Umgang mit elegischen Themen in diesen Epoden Ezquerra [1997]), wobei man aber auch den Einfluss des Archilochos und somit des Jambus nicht geringschätzen dürfe. Vgl. zudem S. 458–466 zum Einfluss des (archilochischen) Jambus, der Komödie, der hellenistischen und der lateinischen Dichtung auf epod. 15 (vgl. S. 461–463 zum Vergleich mit Catull. 8). Watson spricht für epod. 15 auch von einem „foreshadowing of themes which feature prominently in the later love-elegy“ (S. 458). Für die Allusion von Epode 15 auf Topoi der Liebesdichtung und gleichzeitig jambische (archilochische und hipponaktische) Topoi vgl. auch Mankin (1995) 234 f. ad epod. 15. Vgl. L. Watson (2003) 13, der die Adaption der Kroll’schen Gattungskreuzungs-Termino‐ logie in der Forschung kritisch sieht und vielmehr in die Richtung argumentiert, dass die Mischung gattungsspezifischer Charakteristika in den Epoden auf den hellenistischen Innovationsansatz zurückgeführt werden sollen, was aber m. E. letztlich in dem von Kroll beschriebenen Phänomen resultiert. Ich folge also der Position, die darin besteht, dass die strukturelle Anordnung der einzelnen jambischen Gedichte einem linear zu lesenden ‚Buch‘ entspricht. Vgl. hierfür Holzberg (2009c) 96–113, der u. a. die Rolle Canidias – der „‚Muse‘ seiner [Anm.: des Horaz] Schmähdichtung“ und des Symbols für das jambische Genre (S. 113) – innerhalb des Buches herausstellt; vgl. auch Mankin (1995) 10–12. Beide Forscher heben die internen Referenzen innerhalb der Epoden-Sammlung hervor und liefern überzeugende Argumente für eine bewusste Platzierung der Epoden und auch für eine „internal chro‐ nology“ der einzelnen Iambi. Vgl. auch L. Watson (2003). Er begründet dies sowohl mit den „architectonics“ augusteischer Gedichtbücher, welche einen Buchaufbau „a priori“ (S. 20) für die Epoden wahrscheinlich machen, und ebenso mit Argumenten zu Arrangement und Inhalt, der Einheit der Persona sowie Sprache und Motivik (vgl. S. 20–31). Für den Zusammenhang beider aischrologischer Epoden vgl. u. a. Grassmann (1966) 47–90, L. Watson (2003) 382 f. ad epod. 12. Die Erwähnung Inachias (vgl. V. 14) auch in
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
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Daraufhin begegnet man in Epode 14 und in Epode 15 einer horazischen Persona, die einer neuen Geliebten verfallen ist und darunter leidet. Phryne martert das Ich (vgl. epod. 14, 15 f.)557 und der durch die Abhängigkeit von Neaera eingegangene emotionale Teufelskreis (vgl. epod. 15) belegt, dass neue Beziehungen alte anscheinend erfolgreich ablösen können. Einen Weg heraus aus diesen Verstrickungen zu beschreiben und wirkliche Heilung für Liebe zu bieten, ist nicht das Programm der horazischen Iambi, die vielmehr eines ihrer Ziele, nämlich durch das erotische (Fehl-)Verhalten des Ich dieses bloßzustellen und zu verspotten, durch die Häufung solcher Konstellationen erreichen. Anders verhält es sich in Ovids Remedia-Lehrgang, der sich schon aufgrund seines Programms – es geht um die didaktische Instruktion eines Schülers – von der Epoden-Sammlung unterscheidet. Doch auch der praeceptor sanitatis preist remedia amoris an, damit die Lösung von einer bestimmten Person möglich werden kann. Blickt man vergleichend auf die Epoden und die Heilmittel gegen die Liebe, fallen einige thematisch-inhaltliche Parallelen auf. Wie Horaz seine eigene Erfahrung mit der ‚Sukzession von Liebesbeziehungen‘ Pettius gegenüber schildert, empfiehlt der ovidische Lehrer seinem Schüler anhand mythischer exempla z. B. die erfolgverheißende Strategie successore nouo uin‐ citur omnis amor (rem. 462). Denn: at tibi, qui fueris dominae male creditus uni, / nunc saltem nouus est inueniendus amor (rem. 451 f.). Nun ist diese alther‐ gebrachte558 Methode weder eine Neuerung Ovids noch (ausschließlich) auf Horaz als Vorbild zurückzuführen, sondern sie muss vielmehr dem allgemeinen menschlichen Erfahrungs- und auch dem Motivschatz erotischer Dichtung zugerechnet werden. Stehen aber konkret die erotischen Epoden, v. a. 11 und 15, als einzelne intertextuelle Bezugspunkte im Hintergrund der Remedia? Ich möchte dies bejahen und hierzu ein kleines Gedankenexperiment wagen. Ovid behandelt den Akt der Loslösung von dem bzw. der Begehrten im ersten Teil der tractatio, in der es primär darum geht, dass man sich von einer
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dieser Epode zeigt die intratextuelle Verzahnung der Epoden (hier epod. 11 und 12) mit Bezug auf die Persona des Horaz. In der Forschung gibt es weitestgehend den Konsens, dass in dieser Epode, welche die aufgrund von Amors Wirken stagnierende poetische Tätigkeit thematisiert, „jam‐ bisch[e] Züge zurück[treten]“ (Grassmann [1966] 144), inhaltlich und sprachlich die Liebeslyrik in den Vordergrund tritt und Horaz somit seinen Abschied von der Jambik und seine Hinwendung zu den Oden vorbereitet, vgl. G. Davis (1991) 71–74, Mankin (1995) 227 mit Verweis auf Davis und L. Watson (2003) 438–441 ad epod. 14, besonders 440 mit weiterer Literatur in Anm. 14. Dass es sich bei der Strategie, einen alius ardor zu suchen, um ein althergebrachtes remedium handelt, heben sowohl Mankin (1995) 204 als auch L. Watson (2003) 380 ad epod. 11, 27 hervor. Sie führen als weitere Parallelstellen u. a. Plaut. Epid. 135, Cic. Tusc. 4, 75, Lucr. 4, 1068–71, Tib. 1, 5, 39 und die Remedia-Stelle V. 441–86 an.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
unglücklichen Liebschaft trennen soll. Ob dieses Resultat von Dauer ist, steht zunächst noch nicht im Mittelpunkt; erst im Übergang zum zweiten Teil der Vorschriften artikuliert Ovid die Gefahren, die ein Rückfall mit sich bringt (vgl. rem. 609–612), woraufhin er anführt, mit welchen Anleitungen man den Prozess der Lösung von unglücklicher Liebe in einen dauerhaften Zustand überführen kann. Innerhalb der einzelnen Verhaltensmuster, die Ovid als zu vermeidende auflistet, lassen sich mehrere Themenkomplexe abstrahieren: Dabei dominieren die Vorschriften, die vom Schüler lokale und emotionale Distanziertheit von der Geliebten und Indifferenz ihr und auch potentiellen Rivalen gegenüber verlangen, wobei über allen Vorschriften die Warnung davor steht, sich durch Rückfälle in den alten Teufelskreis559 verstricken zu lassen.560 So konstatiert Ovid zunächst, dass das Reden über die beendete Liebe, die verbale Demonstration der scheinbaren Freiheit, ein Zeichen für Instabilität und noch bestehende emotionale Bindung sei561 – und dass dieses Verhalten im Dienst der Genesung unterbunden werden solle:562 tu quoque, qui causam finiti reddis amoris deque tua domina multa querenda refers, parce queri: melius sic ulciscere tacendo, ut desideriis effluat illa tuis. 559
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Es sei hier auf einen grundsätzlichen Unterschied in der Problematik der Teufelskreise bei Horaz und Ovid hingewiesen: Die ‚Definition‘ eines Teufelskreises als einer Abfolge sich gegenseitig bedingender negativer Geschehnisse/Faktoren, die in eine zunehmend ausweglose Lage führen, passt zwar auf beide Textkorpora. Aber während Ovid den Rückfall in die Liebe zur ehemaligen Geliebten verhindern will, entstehen bei Horaz, wenn man die Epoden linear liest, neue Liebschaften, welche die alte Liebe ‚kurieren‘, aber trotzdem die gleichen Probleme mit sich bringen. Auch im ersten Teil der Remedia gibt es, sozusagen als ‚Vorankündigung‘ der später folgenden Meidungsvorschriften der ars vitandi, ein vergleichbares praeceptum, wenn geraten wird, dass man Abstand von Eifersucht und der Furcht um die Geliebte nehmen solle, vgl. 543–548, etwa: fit quoque longus amor quem diffidentia nutrit: / hunc tu si quaeres ponere, pone metum (V. 543 f.). Eine detaillierte Gliederung der zweiten trac‐ tatio-Hälfte findet sich in Kapitel 4.3.2.3 mit Abbildung 13, da diese für die Untersuchung des Catull’schen Einflusses auf die Remedia und auch hinsichtlich ihrer Struktur von zentraler Bedeutung ist. Sharrock (1994) 62 f. hält fest, dass sich in rem. 648 die Grundproblematik von renunti‐ atio-Gedichten widerspiegle, da jedes Absagegedicht notwendigerweise Anteil am Liebes‐ diskurs habe. „The poems are performatively self-confuting, for it is only when it is not true that a speaker says ‘I’m not in love’, as Ovid himself realizes.“ Für das Verhältnis der Remedia zur Subgattung der renuntiatio amoris siehe oben Anm. 362, 377 und 525. Der Teufelskreis würde an dieser Stelle bedeuten, dass die Liebe (die Ausgangssituation) zu einer demonstrativen Scheinfreiheit führen würde, die einen Rückfall in die Liebe zur Folge habe.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
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et malim taceas quam te desisse loquaris: qui nimium multis ‘non amo’ dicit, amat. (rem. 643–648)
Daraus entwickelt Ovid die praecepta, dass man Hass auf die Geliebte – non curare sat est: odio qui finit amorem, / aut amat aut aegre desinet esse miser (V. 657 f.) – ebenso wie Eifersucht auf den (potentiellen) Nachfolger – at tu riualem noli tibi fingere quemquam / inque suo solam crede iacere toro (V. 769 f.) – vermeiden und sich emotionale Indifferenz zu eigen machen solle (vgl. V. 655–672, 767–784 und 791–794).563 Der Aspekt der Heilung wird in diesem Zusammenhang auch lexikalisch konkretisiert: hunc quoque, quo quondam nimium riuale dolebas, uellem desineres hostis habere loco. at certe, quamuis odio remanente, saluta; oscula cum poteris iam dare, sanus eris. (rem. 791–794)
Es geht dem ovidischen Lehrer also dezidiert darum, den emotionalen erotischen Teufelskreis schon im Ansatz zu unterbinden und seinem Schüler Herangehens‐ weisen zu schildern, mit denen ein Rückfall in die alte Verfallenheit an die Geliebte vermieden werden kann. Es reicht also nicht aus, sich mit den primären Strategien zum ‚Entlieben‘, zu denen auch das Eingehen einer neuen Beziehung gehört, zu begnügen. Ein alius amor bzw. amor succedens ist sowohl bei Horaz als auch bei Ovid ein erfolgreiches bzw. empfohlenes remedium. Doch andere jambisch-elegische Aspekte der besagten Epoden werden bei Ovid in veränderter Form aufgegriffen: Das horazische Ich schildert unhinterfragt die erotischen Teufelskreise, in die es sich teils willentlich begibt, teils als Folge noch bestehender emotio‐ naler Bindung, die sich in Zornausbrüchen dem Mädchen gegenüber und in schadenfroher Antizipation eines verlassenen Rivalen äußert. Dies resultiert schließlich darin, dass sich das Epoden-Ich mehrfach selbst zum Gegenstand jambischen Spotts macht. Ovids zweiter tractatio-Teil wendet sich nun nicht nur grundsätzlich gegen emotionale Gefangenheit in solchen Zirkeln,564 sondern konkret auch gegen die Bekundung der eigenen emotionalen Distanz, die im Subtext nur die Affirmation noch bestehender Liebe bedeutet. Hat Ovid, im
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Der Teufelskreis sähe sonst so aus, dass die Liebe sich aufgrund des Rivalen in Schmerz bzw. Hass verwandeln und so wiederum zu Liebe führen würde. Ein weiterer Unterschied zwischen den Remedia und den Epoden besteht darin, dass es bei Ovid um die Lösung von einer konkreten Geliebten und den zu verhindernden Rück‐ fall in genau diese emotionale Hörigkeit geht, während die Epoden von wechselnden Liebschaften berichten.
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Bewusstsein der jambisch-spottenden Spezifika der Epoden, Horaz’ Sammlung also mit im Blick? Zeigt er möglicherweise, wie man es vermeiden kann, durch sein Verhalten in Liebesdingen zu einer Witzfigur zu werden, wie man am Beispiel der Epoden-Persona deutlich erkennen kann? Parodiert Ovid vielleicht Horaz’ jambisches Ich, indem er die ‚Fehler‘, die es begeht, in seinem Lehrgang aufgreift und zeigt, wie man sich vernünftiger verhalten könnte? In diesem Fall läge erneut die Potenzierung komischer Intentionen vor, die ich für Ovids Umgang mit Horaz mehrfach bestimmen konnte: Horaz selbst demonstriert wie seinen Satiren so auch in den Epoden bisweilen einen parodistischen Umgang mit literarischen Traditionen, etwa in Epode 11 mit dem Paraklausithyron-Motiv oder der Figur des sklavisch Verliebten, der Zielscheibe jambischen Spotts wird. Eine Parodie derselben Bildthemen und Topoi findet man auch in den Remedia, die jedoch wieder einen Schritt weitergehen und Horaz’ Werk einer neuen parodistischen Lesung unterziehen. Auch bei diesem Gedankenspiel beanspruche ich in keiner Weise ein intertex‐ tuelles Alleinstellungsmerkmal für die Epoden – zumal in Kapitel 4.3.2.3 und 4.3.2.4 gezeigt wird, dass es vor allem der (auch im Hintergrund der Epoden stehende) Catull’sche Sprecher ist, dessen Verhaltensfehler und Verstrickung in eben solche emotionalen Kreisläufe die Negativfolie für die Gestaltung des zweiten Remedia-Teils darstellen. Aufgrund deutlicher inhaltlicher Parallelen schlage ich jedoch vor, dass eine intertextuelle Bezugnahme nicht nur auf einige von Horaz’ Satiren, sondern auch auf seine Jambensammlung insgesamt möglich ist, wenn man von einer linearen Lektüre und einer gewissen Konsistenz der Epoden-Persona ausgeht. Damit könnten auch die Epoden, wenn man innerhalb der Intertextualitätspyramide die Gattung Jambus fokussiert, zu einem Eckpunkt des entstehenden Polygons werden. Da neben den Epoden im Wesentlichen v. a. noch Catulls Jamben und zusätzlich weitere carmina seiner erotischen Zyklen um Lesbia und Juventius relevant erscheinen (siehe Kapitel 4.3.2), ergibt sich in diesem Fall ein intertextuelles Dreieck, in dessen Mitte ich zudem motivische, nicht auf einzelne Prätexte zu beziehende Gattungstraditionen integriere, die für die Remedia von Bedeutung sein können (siehe Abbildung 10).
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
163
Remedia amoris 169–212, 643–794
erotischjambische Traditionen
Catull, Carmina
Horaz, epod. 2; 11; 14; 15
Abbildung 10: Intertextualitätsdreieck zu erotisch-jambischen Traditionen
Zwar kann ich für Epode 11 und 15 und das sich in den erotischen Epoden möglicherweise abzeichnende Narrativ nur motivische und thematische Parallelen, jedoch keine lexikalischen Referenzen Ovids belegen. Dennoch halte ich den Einfluss der erotischen Epoden für sehr wahrscheinlich – zumal sich in den Remedia Einzel‐ textreferenzen auf andere Stellen in den Epoden (etwa Epode 2) und Systemreferenzen auf jambische Sprechweisen, auch speziell horazischer Prägung, finden. Epode 2 präsentiert, wie es auf den ersten Blick scheint, ein an das Ende des zweiten Georgica-Buches (vgl. Verg. georg. 2, 475–540) anklingendes Lob des Landlebens.565 Am Ende stellt sich jedoch heraus, dass es nur vom Wucherer Alfius ausgesprochen wurde – wobei von Anfang an feine ironische Brüche im pseudo-idyllischen Lobpreis dieses Überraschungsmoment vorbereiten.566
565 566
Vgl. Holzberg (2009c) 98, Mankin (1995) 63 f. und L. Watson (2003) 75–86 ad epod. 2 sowie die Stellenkommentare. In Abgrenzung zu Positionen, denen zufolge Horaz erst am Ende ein jambisches Moment einführt, sieht Mankin (1995) 63 in der Rede durchweg Brüche, was schon auf die Natur des Alfius als „ridiculous impostor“ hinweise. Vgl. ebd. zur Zurückweisung der These, dass Horaz Vergils Georgica kritisiere, da auch Vergils Lob nicht „unadulterated“ sei, und zu Ähnlichkeiten zwischen beiden Präsentationen von „Eskapismus“ (S. 64, zweites Zitat übers.). Ähnlich auch L. Watson (2003) 75–86 zur zeitlichen Priorität des vergilischen Lobs und der wahrnehmbaren Unaufrichtigkeit von Alfius’ „eulogy“ (S. 80). Vgl. seinen Forschungsbericht zu Fowlers (1994) 240–243 und Oliensis’ (1998) 84–87 Beobachtungen zu dieser Epode, die u. a. darin bestehen, dass der eingangs beschriebene, selbstständige Landwirt ebenfalls nicht Horaz’ Lebensstil entspreche, Horaz und Alfius einander nicht unähnlich seien und es so letztlich um die Selbstkarikierung von Horaz gehe (vgl. L. Watson [2003] 85 f. ad epod. 2). Watsons Interpretation akzentuiert aber das hier wirksame und in
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
Haec ubi locutus faenerator Alfius, iam iam futurus rusticus, omnem redegit Idibus pecuniam, quaerit Kalendis ponere. (epod. 2, 67–70)
Wie es sich bei Horaz nur um eine scheinbare ländliche Idylle handelt, die am Ende demaskiert wird, so ist auch Ovids praeceptum in den Remedia, dass man sich zur Heilung landwirtschaftlich betätigen solle, ironisch gebrochen. Denn die Feldarbeit garantiert keine erfolgreiche und tatsächlich eintretende Heilung, vielmehr kann sich der ovidische Schüler, der sich dadurch auf eine Selbsttäuschung einlässt, nur übergangsweise von seiner Liebespein ablenken: aut his aut aliis, donec dediscis amare, / ipse tibi furtim decipiendus eris (rem. 211 f.). Die Verbindung aus furtim und decipere zeige, so Pinotti, überraschen‐ derweise die „ironische Skepsis“567 des Dichters hinsichtlich der Wirksamkeit der ‚Landtherapie-Methode‘; das finale Aprosdoketon am Ende dieser Weisung ist folglich eine Parallele zwischen Remedia und Epode 2.568 Neben einigen motivisch-inhaltlichen Parallelen, die jedoch allgemeiner Natur sind und für das Argument einer lexikalischen intertextuellen Referenz nicht ausreichen,569 sticht aber noch ein Aspekt hervor, der die Wahrscheinlichkeit für eine mehr als nur motivische Verwandtschaft erhöht. Alfius geht in seiner Rede auf das remedium ein, das darin besteht, dass landwirtschaftliche Arbeit zum Vergessen von Liebesnöten einlädt: quis non malarum quas amor curas habet / haec inter obliuiscitur? (V. 37 f.).570 Und auch die Remedia, die in V. 169–212 kontextuell mit
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der antiken Literatur (etwa auch Catull. 11) geläufige Muster, dass eine übertrieben positive Schilderung die Lesererwartung einer Auflösung wecke (vgl. ebd.). Pinotti (1993) 157 ad 211–212 (übers. Zitat). Auch Pinotti (1993) 157 ad 211–212 identifiziert diese Stilfigur für die Remedia-Passage und verweist dabei auf Geislers (1969) 234 f. Parallelisierung der Remedia mit Horaz’ zweiter Epode. Vgl. hierzu Geisler (1969) 234 Anm. 2. Die Lesart amor (vgl. Klingner [2012]) ist allerdings keineswegs sicher. Vielmehr sprechen sich sowohl Shackleton Bailey (2008) als auch L. Watson (2003) für Scrinerius’ Konjektur Roma aus. Vgl. Watson (2003) 106 ad loc. zur zweifachen Begründung: Erstens „passe“ V. 37 f., die Erwähnung von Liebesleiden, nicht „zum Kontext“ (übers. Zitat). Zweitens sei malarum quas curas, was für malarum curarum quas stehen müsste, „a decidedly questionable piece of syntax“. Mit quis non malarum Roma quas curas habet sei somit das inhaltliche und grammatikalische Problem behoben. Doch: Handschriftlich überliefert ist amor, in den scholia ‚Ps.-Acrontea‘, vgl. den textkritischen Apparat bei Shackleton Bailey (2008) 142. Und auch in manchen Kommentaren, etwa bei Kiessling/ Heinze (1984) 495 f. und Mankin (1995) 78 ad loc., ist die Lesart amor bevorzugt. Zudem entsteht durch die Frage V. 37 f. m. E. kein kontextueller Bruch. Zu den Vorzügen der Landwirtschaft gehört eben auch die Ablenkung vom Liebesleid. Und wenn der
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der Epode übereinstimmen und eine vergleichbare Anzahl an Versen auf die Schilderung des Landlebens verwenden,571 rekurrieren auf diesen Topos: rura quoque oblectant animos studiumque colendi; / quaelibet huic curae cedere cura potest (rem. 169 f.).572 In Verbindung mit den anderen, motivischen, Parallelen und besonders den beiderseitigen Aprosdoketa kann so die Intertextualitäts‐ kante von den Remedia zu dieser Epode des Horatius iambicus begründet werden. Lässt man für diese Epode die Bezugnahme Ovids gelten, ist sie meiner Meinung nach auch auf die erotischen Epoden in ihrer linearen Sukzession im Epodenbuch übertragbar– auf jeden Fall ist es als ein valides Gedankenspiel zu begreifen.573 Ein weiterer Grund, weswegen ich jambische Traditionen für die Re‐ media-Untersuchung heranziehe, besteht in der Sprechhaltung Ovids, die zu‐ gleich als satire-und jambus-affin bezeichnet werden kann – und zwar, wenn man zusätzlich zu satirischen auch generische Grundcharakteristika des Jambus berücksichtigt und dann vor allem die horazische Ausprägung dieser beiden Gattungen fokussiert. Horaz knüpft zwar an seine literarischen Vorgänger an und thematisiert sowohl die auf Lucilius zurückgehende Satire- als auch die archilochisch-hipponaktische Jambustradition explizit und ‚performativ‘ durch die sprachlich-stilistische und inhaltliche Gestaltung in seinem Werk, doch setzt
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Blick im Anschluss auf die Frau am Herd gelenkt wird, folgt Horaz sowohl dem großen Themenblock ‚Lob des Landes‘ als auch linear assoziierend demjenigen der Liebe, die, wenn sie funktioniert, auf dem Land in Form der treuen Hausfrau realisiert ist. Ähnlich argumentieren auch Kiessling/Heinze: „Ungezwungen ergibt sich daraus der Gedanke an die pudica mulier, welche, statt Sorgen zu bereiten, Sorgen fernhält“ (S. 495 f.). Zudem spielen m. E. an dieser Stelle eindeutig elegische Aspekte in die Epode hinein. Denn die Wunschvorstellung einer daheim ‚züchtig waltenden Hausfrau‘ ruft doch Beschreibungen wie in Tibulls erster Elegie hervor (vgl. Tib. 1, 1, 45–48), in der zumindest in der ersten Hälfte dieser doch auf das Konzept des servitium amoris hinauslaufenden Pointe die Themen Landleben und Liebe verbunden sind. Dass also bei Horaz in den Versen vor der Frauenschilderung von amor und der Ablenkungskraft des Landes die Rede ist, scheint mir so hinreichend begründet. Epode 2 hat 70 Verse, von denen 66 auf die Rede des Alfius verfallen. Der RemediaAbschnitt zur Ablenkung durch landwirtschaftliche Betätigung umfasst 44 Verse. Als weitere Beispiele für Texte, die sich dieses Topos bedienen, nennt Geisler (1969) 231 und 233 ad 169–212 Eur. Hipp. 208–11, Verg. ecl. 10, wenn „Gallus in Hainen, auf dem Land und […] auf der Jagd seine sollicitos amores vergessen“ (S. 231) möchte, Prop. 2, 19 sowie an anderer Stelle bei Ovid epist. 19, 9 f. und 13. Dass Ovid Horaz, und zwar nicht nur seine Satiren, sondern auch Epoden, im Blick hatte, kann man vielleicht auch dadurch begründen, dass man von einer grundsätzlichen Interdependenz der augusteischen Werke und Gedichtbücher sprechen darf, was auch L. Watson (2003) schon als Beleg dafür heranzieht, dass man in den Epoden quasi ein ‚Gedicht‘-Buch sehen kann, siehe oben Anm. 555.
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er eigene Akzente.574 Er ‚revolutioniert‘ beide Genres, wobei er sich dafür einer durchaus ähnlichen Diktion bedient und durch ähnliche Pointierungen beide Gattungen noch stärker einander annähert.575 Kirk Freudenburg betont etwa, dass die Jambographen Archilochos und Kallimachos signifikanten Einfluss auf Horaz’ Satirenkorpus gehabt hätten und das jambische Charakteristikum des Spotts folglich für die Epoden und die Satiren gelte;576 denn dieselben Vorbilder sind auch für die mit ‚Iambi‘ betitelten577 Epoden zu nennen.578 Beiden Gattungen ist bei Horaz aber ein moderaterer Tonfall zu eigen, als man ihn in ursprünglichen griechischen oder früh-republikanischen römischen Texten finden kann: Der Dichter adaptiert in seinen Satiren die Angriffe lucilischer Manier in abgeschwächter Form und verzichtet auf dessen Personenspott,579 und er modifiziert in seinen Epoden mit ihrem Blick auf Actium das ‚jambi‐ sche Gift‘,580 das Archilochos und Hipponax noch versprühten; er führt also
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Vgl. u. a. Gowers (2012) 6–15, Mankin (1995) 6 f., L. Watson (2003) 4–19 zum „literary background“, P. Miller (2019) 51–53. Vgl. etwa P. Miller (2019) 51–80, v. a. 53 f. zum Umgang mit dem beiden Genres gemeinsamen Thema libertas und zur teils „explicit“ „correspondence between the two genres“ (zwischen Satire und ihrem „iambic doppelganger“), etwa in epod. 6 und sat. 1, 4, sowie der aufgrund der zeitlichen Umstände der 30er Jahre notwendigerweise ruhigeren Rhetorik von Satire und Jambus. Vgl. auch L. Watson (2007) 102 f. zur Mäßigung in beiden Gattungen. Vgl. Freudenburg (1993) 103–108. „As a satirist he could quite reasonably consider him‐ self as writing in the same tradition as the great writers of Greek iambic poetry“ (S. 104). Freudenburg bezieht sich bei seinen Beobachtungen, besonders zur Anknüpfung an Kallimachos’ Iambi, schwerpunktmäßig auf die beiden programmatischen Satiren des Horaz, sat. 1, 4 und 1, 10, berücksichtigt aber auch andere Satiren, die Vorbilder und Vorgänger erwähnen, etwa sat. 2, 3. Für die Definition jambischer Dichtung nicht nach metrischen Maßstäben, sondern nach dem Tonfall des ἰαμβίζειν, vgl. West (1974) 22. So bezeichnet Horaz seine Epoden selbst in epod. 14, 7, carm. 1, 16, 24, epist. 1, 19, 23 und 2, 2, 59 sowie analog zu Archilochos in ars 79, vgl. auch Mankin (1995) 12. Vgl. u. a. Holzberg (2009c) 40, der aber einen Unterschied hervorhebt, nämlich dass die ‚römische‘ Gattung Satire auch lateinische Vorbilder einschließt, während bei den Epoden vor allem die Griechen Muster gewesen seien (vgl. S. 36). Vgl. Holzberg (2009c) 40. Vgl. u. a. Barchiesi (2001b) 141 und Mankin (1995) 3–6 zum geschichtlichen Hintergrund und der Bedeutung der Bürgerkriegsthematik für die gesamte Sammlung. Epode 10, in welcher der stinkende Maevius angegriffen wird, steht von Tonfall und Inhalt her nah an der ursprünglichen Ausprägung der Gattung, und wird häufig mit der Straß‐ burger Epode (Frg. 115 West), die oft Archilochos oder Hipponax zugeschrieben wird, verbunden (vgl. L. Watson [2003] 338 f.). Vgl. Holzberg (2009c) 105 f. zur metaphorischen Lesart der Epode für ein Ende der Bürgerkriege, aber auch zu einer weniger ernsten Lesart im Kontext der „von Ironie durchtränkten Epodensammlung“. Zur horazischen Neuakzentuierung zu rechnen ist ebenfalls die Vielzahl unidentifizierbarer Personen, die Opfer der Invektiven werden, sowie die poetologisch lesbare sechste Epode, die
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diese Entschärfungstendenzen fort, die für das jambische Genre bereits mit Kallimachos beginnen.581 Die Tendenz zu allgemeiner Moral- und Sittenkritik, die von personenspezifischer Karikierung und Invektive abzugrenzen ist, lässt sich ebenfalls in beiden horazischen Sammlungen verorten.582 In die Rolle des „Beobachter[s] menschlicher Laster und Torheiten“583 schlüpfen Horatius iambicus und Horatius satiricus auch in den Bereichen Sexualität und Magie, die neben den politisch-gesellschaftlichen Implikationen der Epoden-Sammlung584 mehrfach thematisiert werden. Wenngleich Satire und Jambus prinzipiell und besonders in ihrer horazischen Engführung zusammen betrachtet werden können und sollten, gehören die Epoden immer noch in die mit Archilochos und Hipponax als Archegeten verbundene, eigenständige Gattungstradition. Diese zeichnet sich grundsätzlich durch einen scharfen und invektivischen Ton aus,585 wie Horaz auf einer
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nach L. Watson (2003) 254–256 ad epod. 6 nur „pseudo-programmatic“ (S. 256) ist. Vgl. dagegen Holzberg (2009c) 39 f., der in ihr das jambische Programm eines nicht aggressiven Sprechers, sondern vielmehr eines „Hütehundes“ repräsentiert sieht. Auch die dritte Epode, laut Mankin (1995) 227 ad epod. 14 „one of the most ‚iambic‘ poems in the collection“, lässt sich als eine metapoetische Relativierung des typischerweise versprühten jambischen Giftes lesen, da Horaz „lediglich mit stark nach Knoblauch riechendem Atem“ (Holzberg [2009c] 99) Spott verbreite. Zum Einfluss von Kallimachos und den Neoterikern auf die Epoden vgl. u. a. L. Watson (2003) 12–19 mit Verweis auf weitere Literatur, speziell zu Kallimachos vgl. etwa Lyne (2005) 12–19 und die älteren Studien von Schmidt (1978) und Wehrli (1944). Sowohl seine Forderung nach maßvoller Ausprägung des ridiculum und des acre (vgl. sat. 1, 10, 14–17 und Freudenburg [1993] 102) als auch das berühmte ridentem dicere uerum (sat. 1, 1, 24) sind für die Satiren zu nennen – und auch die metapoetisch als moderater zu deutenden Epoden 3 und 6 sowie die dort ebenfalls festzustellende Tendenz zur Verspottung von ‚Allzumenschlichem‘ (vgl. Holzberg [2009c] 40 f.). Holzberg (2009c) 40. Horaz verbindet seine ‚autobiographische‘ Präsentation als „poet of contemporary Roman society“, wie man in der ersten Epode sehen kann, auf eigene und neue Weise mit jambischen Traditionen, welche die gesellschaftliche und ökonomische Stellung des Dichters thematisieren, vgl. Barchiesi (2001b) 156 f. So unterscheide sich Horaz von Archilochos, Hipponax, Kallimachos und auch Catull, wenn die Unterstützung durch Maecenas dazu führt, dass sein „iambic program from the mortgage of iambic need“ (S. 157) befreit wird. Vgl. etwa Holzberg (2009c) 36–41. Archilochos wurde trotz des breiten Spektrums an Themen in seinen Werken in der Rezeption letztlich besonders mit Invektive assoziiert und galt als „archetype of invective poetry“ (vgl. Rotstein [2010] 341), was sich auch in der Wahrnehmung der Gattung insgesamt zeigte (vgl. S. 317 f.). Ab dem vierten Jahrhundert bzw. von Platon an seien „abuse and obscene language“ schließlich, so Rotstein, „dominant features of iambos“ (S. 343) überhaupt gewesen (vgl. hierzu S. 281–352, besonders 319–346). Vor dem Hellenismus habe iambos auch für „jesting, mockery, vituperation, and obscenity“ und auch für einen bestimmten Rhythmus und eine Melodie gestanden; die Wahrnehmung
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metapoetischen Ebene in seinen eigenen Werken reflektiert (vgl. v. a. Hor. epist. 1, 19, 23b–25 und ars 79): […] Parios ego primus iambos ostendi Latio, numeros animosque secutus Archilochi, non res et agentia uerba Lycamben. Archilochum proprio rabies armauit iambo; 586
In der 19. Versepistel formuliert der horazische Sprecher bereits die zwei zen‐ tralen Aspekte seiner Herangehensweise, die seine Jamben-Sammlung prägen, nämlich „literary succession and invention“587. Neben der Anknüpfung an die Gattungstradition und seinen griechischen Vorgänger geht es Horaz um den eigenen Innovationsanspruch, den er in seinen Epoden schließlich umsetzt. So grenzt sich Horaz von invektivischem, explizitem Personenspott und weiterer inhaltlicher Nachfolge ab, während er gleichzeitig numeri 588 et animi über‐ nommen habe. Das bedeutet aber, dass eine gewisse Schärfe und Aggressivität des Tonfalls auch für Horaz’ Iambi eine Rolle spielen. So finden sich in den Epoden noch Attacken, die in ihrer Obszönität und Direktheit bemerkenswert sind und nicht nur an Archilochos, sondern auch an den Stil des Hipponax erinnern, dessen Narration von Ereignissen oft mit obszön-anschaulichen Ele‐
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des Archilochos sei schließlich ein Grund für die Reduktion des Jambus auf Obszönität u. ä. gewesen (vgl. S. 319). Für Catull habe der Aspekt der Invektive ausgereicht, um ein Gedicht als iambos wahrzunehmen (vgl. S. 11). In ars 251–262 wird der „physical aspect“ (Barchiesi [2001b] 145) des Jambus, seine Zweisilbigkeit und Folge von kurzer und langer Silbe, beschrieben und mit einer Schilderung des Charakters, der den einzelnen Silben und ihrem musikalisch-tonfall‐ bezogenen Wesen eignet, verbunden. Vgl. Johnson (2012) 64–76 zur Provenienz des horazischen Jambus (und der Satire) aus der Alten Komödie und „ritual associations“, die einen der novitas-Aspekte ausmachen, und der Widerspiegelung in der Ars poetica. Barchiesi (2001b) 143, der darauf hinweist, dass dieses Prinzip auch für die Oden gilt. Für Horaz’ jambische novitas-und Traditions-Programmatik aus epist. 1, 19 vgl. auch Johnson (2012) 36–43 und für sein Verhältnis zur archilochischen Ausprägung des Genres S. 44–63. Das archilochische Metrenspektrum hatte, wie Horaz selbst behauptet, wesentlichen Einfluss auf seine Epoden. Während er inhaltlich etwa mehr Kallimachos und den Neoterikern folgte, ist das für den metrischen Bereich jedoch nicht der Fall. Catulls Jamben, die den horazischen vorausgingen und zumindest in ihrem ‚spirit‘ Ähnlich‐ keiten aufweisen, sind jedoch vorwiegend in hendecasyllabi verfasst und nicht den jambischen Metren, die Horaz in seinen Epoden verwendet, was seine Behauptung, dass er die parischen Iambi in Rom eingeführt habe, stützt, vgl. L. Watson (2003) 43–45.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
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menten ausgestaltet ist.589 In Horaz’ Epoden 8 und 12 liegen skatologische Invektiven gegen eine scheinbar alte und hässliche Frau vor – wobei keine konkreten, sondern vermutlich nur fiktive Frauen angegriffen werden und auch diese Bloßstellung nicht ernst zu nehmen ist, sondern vielmehr der Selbstverspottung der horazischen Persona dient, etwa weil diese offensichtlich impotent war.590 Die für die Epoden charakteristische Relativierung des starken ‚jambischen Giftes‘591 erfolgt auch durch die bereits erläuterte Einbindung anderer Genres wie vor allem der Lyrik und der Elegie, welche das „vigorous and more narrowly focused prime model in the iambics of Archilochus“ abmildern.592 Ich möchte nun weniger auf Horaz’ Verhältnis zu Archilochos und anderen griechischen Vorgängern als vielmehr auf den allgemeinen Tonfall und die Sprechhaltung blicken, die den Epoden als einer besonderen Konkretisierung der
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Als ein Beispiel ist auf die Stelle zu rekurrieren, in der Hipponax seine eigene literarische Person herabsetzt, indem er sich „als Opfer einer erniedrigenden Behandung von Impotenz“ darstellt (Meier [2003/2012] Sp. 606). Vgl. hierzu etwa Frgm. 92 W. (für die Übersetzung Gerber [1999] 421–423), und für weitere exemplarische Obszönitäten auch Frgm. 12 W. (vgl. Gerber [1999] 363). (Sexuell)-obszöne Darstellungen finden sich aber auch, neben kriegerischen, politischen und sympotischen Themen (vgl. Bowie/Heinze [2003/2012] Sp. 994 f.), bei Archilochos, etwa in 42–46 W. (vgl. Gerber [1999] 113–117). Das Ich mache sich, so Holzberg (2009c) 104, durch die Bereitschaft, von der unglaub‐ würdig als „ekelerregende Greisin“ geschilderten Alten felliert zu werden, aus Sicht der römischen Sexualordnung lächerlich. Die ‚Fellatio-Heilung‘ für Impotente sei auch bei Martial vielfach präsent, was die These, dass es sich um ein Impotenzgedicht handelt, und das Argument der Selbst-Diskreditierung der Persona unterstütze (vgl. ebd.). Vgl. dagegen L. Watson (2003) 287 ad epod. 8: Wenngleich dieses Thema in jambischer und satirischer Tradition häufig behandelt wurde, sei die Situation hier untypisch, da Impotenz einen Mann normalerweise in einem Erregungszustand, der durch eine attraktive Person ausgelöst werde, befalle. Watson missachtet hier m. E., dass die Negativzeichnung der Frau aus der Impotenzerfahrung heraus geboren sein kann. Dies würde Horaz’ typischer Selbstkarikierung entsprechen. Vgl. auch epod. 12, die Parallelen mit epod. 8 aufweist (vgl. auch L. Watson [2003] 382 f.) und in der Horaz schreibt, die Alte habe ihm Wolltücher u. ä. gekauft. Horaz sei, so Holzberg (2009c) 107, zum „Gigolo“ und einem zahnlos bellenden Hund geworden. Trotz weiteren Unterschieden in der Interpretation hält auch L. Watson (2003) 384 fest, dass die „Vetula-Skoptik“ dazu führt, dass das Ich in einem „ridiculous light“ erscheine – weil es sich mit jemand so Hässlichem eingelassen habe. Zur Aischrologie vor Horaz, bei Archilochos, Hipponax u. a. sowie im griechischen Epigramm und der lateinischen Literatur von der plautinischen Komödie über Catull zu Horaz vgl. Grassmann (1966) 1–46. Zum invektivischen Epodenpaar vgl. auch Johnson (2012) 122–133 und 144–146. Siehe oben S. 166 f. mit Anm. 580. Für Kontext und Zitat vgl. Harrison (2001) 185. Zur Poetik und generischen Gestaltung, der Verbindung jambischer und elegisch-erotischer Elemente sowie den poetologischen Reflexionen/der Selbst-Reflexivität des horazischen Jambenkorpus vgl. weiterführend Glinatsis (2013).
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Gattung Jambus eignen und die Verbindungen zu Ovids Remedia ermöglichen. Zum Aspekt der invektivischen Attacke gehört der Blick auf das Gegenüber, die Reaktion des Rezipienten. Im Zuge seiner Diskussion der hic et nunc-Deixis, welche auf die „general atmosphere of ‘nonorality’“593 augusteischer Dichtung verweist, identifiziert Alessandro Barchiesi für den (horazischen) Jambus typi‐ sche Sprechakte:594 […] most poems [Anm.: epodes] tend to be caught in a performative dynamics: […] they are encountered by the readers as texts […] but regularly strive toward the status of speech acts. The epodic collection is filled with several kinds of use of language which have at least one thing in common: they are all forms of illocutory, performative speech. They presuppose a context to which we can respond in an active way, reenacting obedience, call for divine help, damage, slander, magic action, compassion, collective derision, revenge, stipulated bond.595
Barchiesi greift bei seiner Betrachtung der Epoden die Theorie linguistischer Pragmatik auf, die maßgeblich durch Austin und Searle in den 1960er Jahren geprägt wurde und derzufolge der illokutive Akt als das Kernstück eines Sprech‐ aktes zu betrachten ist, da er den Handlungscharakter und den ‚Zweck‘ einer Äußerung bestimmt.596 Die verschiedenen Kategorien illokutionärer Akte, die Searle definiert – assertives, expressives, directives, declaratives und commissives –597 lassen sich potentiell in jeder Form von Äußerung identifizieren.598 Dabei ist die
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Barchiesi (2001b) 147. Der Unterschied zu lyrischer situativer Einbettung besteht, so Barchiesi, in Folgendem: Jambische Texte „strive to modify the context (through address, invectice, admonition, curse, oath, etc.)“ (Barchiesi [2001b] 147). Barchiesi (2001b) 147. In Weiterentwicklung der Thesen Austins wird der Akt der Sprechhandlung in mehrere Teilakte untergliedert: den illokutiven Akt, „der den Sprechhandlungstyp bezeichnet“, den propositionalen Akt, „der den Inhalt der Handlung […] enthält“, den konkreten lautlichen „Äußerungsakt“ und, über diese drei Bestandteile der Sprechhandlung im eigentlichen Sinne hinaus, den „perlokutionäre[n] Akt“, der die „Wirkungen, die der illokutive Akt auf die Handlungen, Gedanken, Anschauungen usw. des Rezipienten haben kann“, bezeichnet (Zitate Brinker/Cölfen/Pappert [2018] 91 f.). Vgl. auch im Original Searle (1969) 22–26, besonders 24 f. Vgl. für eine konzise und die diachrone Entwicklung darstellende Zusammenfassung der Sprechakttheorie u. a. Brinker/Cölfen/Pappert (2018) 88–97, besonders 90–92; vgl. auch Edmunds (2001) 23–38. Vgl. Searle (1979) 12–16. Damit modifiziert er Austins Taxonomie (dieser unterscheidet verdictives, exercitives, commissives, expositives und behabitives, vgl. S. 8–12), auf die ich hier nicht genauer eingehen möchte. Auch wenn die Sprechakttheorie primär mündliche Kommunikation beschreibt, kann man die Begrifflichkeiten doch auch bei der Analyse der kommunikativen Funktion schriftlicher Texte anwenden (vgl. auch Brinker/Cölfen/Pappert [2018], die das „Sprech‐
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Schaffung eines Kontextes, der durch seine illokutive Gestaltung die Reaktion eines (extra- oder auch intratextuellen) Rezipienten hervorruft599 und dadurch ein ‚kommunikatives Setting‘ schafft, nicht nur auf die Epoden, sondern auch auf Ovids Remedia amoris übertragbar. Zwar liegen die Sprechakte, die in den Instruktionen, Mahnungen und Aufforderungen des ovidischen Lehrers an seinen Schüler enthalten sind, in den Lehrgedichtmerkmalen des Werkes begründet, da Direktiven belehrende Unterweisungen grundsätzlich ausmachen. Doch kann man die omnipräsente ‚performative Dynamik‘ in den Remedia auch auf die Verarbeitung jambisch-satirischer Sprechakte, die Barchiesi als für die Epoden des Horaz charakteristisch begreift, zurückführen. Brunelle bestimmt, wie anfangs gezeigt,600 dieses interaktive Moment bereits in der ‚ugly-sex-Passage‘, wenn dort der Leser zur inneren Reaktion auf den praeceptor-Vorschlag, dass der Schüler das Mädchen beim Toilettengang beobachten solle, aufgerufen wird, und macht dabei den Einfluss der Gattung Satire geltend. Bezieht man nun Barchiesis Argumentation mit ein, lässt sich dieses obszöne praeceptum nicht nur inhaltlich (da der Jambus satirischen Texten in seinem Hang zur Obszönität in keiner Weise nachsteht), sondern auch ‚pragmatisch‘ ebenfalls mit dem Jambus in Verbindung bringen und so ein weiteres Argument dafür finden, satirische und jambische Elemente wenn nicht gleichzusetzen, so doch miteinander zu analysieren. Von Vers 299 der Remedia an wird der Tonfall des praeceptor sanitatis in der linearen Sukzession des Lehrgangs bis Vers 440 aggressiver und insofern jambisch-satirischer, als es für die elegische Gattung typisch ist. Diese Härte äußert sich darin, dass der illokutiv-direktive Akt, das Ziel der Handlungsanwei‐ sungen, auf die emotionale Manipulation („compassion“/„emotional response“) des Schülers und die Diskreditierung der puella in dessen Wahrnehmung abzielt: Denn das Mädchen soll einer Reihe negativer Evaluationen, deren Aggressivität dabei immer stärker wird, unterzogen werden. Zunächst fordert Ovid eine verbalisierte ‚Anklage‘ der puella, da sie den Geliebten schlecht behandelt habe (vgl. V. 299 f.). In der folgenden Ansprache an den Schüler bedient sich der praeceptor, wie bereits hervorgehoben,601 des rhetorischen Mittels der evidentia, um eine möglichst anschauliche Darstellung ihres Verhaltens zu erreichen, und nimmt das Selbstgepräch des Schülers, mit
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handlungskonzept als theoretische Grundlage“ [S. 88] für die Analyse der Textfunktion erläutern, vgl. S. 87–101). Auch wenn Barchiesi (2001b) die Übertragung moderner Sprechakt-Lehre auf Horaz’ Epoden nicht auf theoretischer Ebene erläutert, würde ich den Aspekt des ‚responding‘ mit demjenigen des perlokutiven Aktes in Verbindung setzen, da dieser die Wirkung des Sprechaktes beim Adressaten bezeichnet. Siehe oben die Ausführungen in Kapitel 4.3.1. Siehe oben S. 75 f.
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dem er sich auf ihre Taten konzentrieren und sich so in die richtige Stimmung bringen soll, vorweg. Dass die emotional-sinnliche Seite des Instruierten durch diese Strategie angesprochen wird, zeigt sich am entsprechenden praeceptum: haec tibi per totos inacescant omnia sensus, / haec refer, hinc odii semina quaere tui (V. 307 f.). Eine direkte Invektive gegen die puella liegt zwar nicht vor, doch wird der Tonfall rau, wie man an den Junkturen sensus inacescere und odii semina quaerere tui erkennen kann. An die Vorschriftenreihe schließt sich die schon mehrmals besprochene Pas‐ sage zur Autosuggestion und Diffamierungspraxis an. Da der Lehrer fordert, dass man die nachteiligen Eigenschaften der Geliebten fokussieren und sich ihre Vorzüge schlechtreden solle, prägt den gesamten Abschnitt eine negative und, mit Blick auf die puella, ‚vernichtende‘ Sprechhaltung. Die latenten Attacken werden auch weiterhin nicht ihr gegenüber ausgesprochen (wie es etwa bei jambischen Invektiven der Fall ist), doch dient auch hier der indirekte Schmähcharakter der Instruktionen dazu, den Schüler emotional zu steuern. Schon bei Lukrez eignet dem Absatz, der die Euphemisierungspraktiken Verliebter brandmarkt, ein satirisch-aggressiver Tonfall. Dieser wird bei Ovid grundsätzlich dadurch erreicht, dass er die Argumentationsrichtung ändert – die bestehende Praxis wird bei Ovid nicht mehr nur wie bei Lukrez verworfen, sondern die aktive Übernahme der gegenteiligen Perspektive wird gefordert. Jemanden zu diffamieren ist eine dem Jambus sowie der Satire per se nahestehende Sprechhaltung. Doch damit nicht genug. All die folgenden Aspekte, die ich im Kapitel zu den satirischen Einflüssen auf die Remedia behandle, wie die ekelerregende Schilderung des weiblichen Makeups, die Einnahme von Sex-Stellungen, die das Mädchen so weit wie möglich bloßstellen sollen, und als Gipfelpunkt die obszöne (und als praeteritio getarnte) Forderung nach dem ‚Exkrementen-Voyeurismus‘,602 lassen sich nicht nur inhaltlich, sondern auch aus illokutiver Perspektive mit Jamben und besonders der ‚performativen Dynamik‘ der Epoden vergleichen. Denn in diesen Weisungen wird der Schüler zu aktiver körperlicher Tätigkeit sowie autosuggestiver Evaluierung angeregt, nachdem bei der Lektüre seine innere Zustimmung zu den praecepta gefordert wird, deren primäres Ziel zwar die selbstbezogene Heilung ist, die sekundär aber auf eine funktionale Abwertung der Geliebten hinauslaufen.603 Während die Imperative als illokutionäre Indika‐ toren,604 also als Hinweise, welche Absicht der Sprecher mit seiner Äußerung 602 603 604
Siehe oben S. 110 f. Das bedeutet nicht, dass ich von der Interpretation Abstand nehme, die Remedia seien nicht primär ein alltagsbezogenes Handbuch, sondern vielmehr ein literarisch-parodisti‐ sches Projekt. Es geht hier aber zunächst nur um das ‚offizielle‘ Programm der Remedia. Vgl. Brinker/Cölfen/Pappert (2018) 92 f.
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bezweckt, erst einmal auf die erotodidaktische Natur der Remedia verweisen, bringen die ‚puella-feindlichen‘ Inhalte und die Abscheu fördernde Sprache der Instruktionen die jambisch-satirische Erweiterung dieser Passagen. Blickt man auf den Abschluss dieser Textstelle, die Toiletten-Szene, fallen der Wandel des Satzmodus und des Pronominagebrauchs auf. Anstatt dass der Lehrer sich imperativisch an den Schüler richtet, referiert er die Beispiele eines oder mehrerer namenloser ille/illi (vgl. rem. 429, 431),605 die sich die postkoitalen Säfte vor Augen gehalten haben, und schließlich eines nur im Relativpronomen qui (V. 437) Erwähnten, der seiner Geliebten auf dem Abort zugesehen hat. Die distanzierende Projektion der subjektiven Wahrnehmung des Ich auf die eingeschobene(n) Zwischeninstanz(en), die eine Art ‚Filterfunk‐ tion‘ übernehmen, führt dazu, dass die Wahrnehmung generalisiert wird. Artikuliert sich der Sprecher zudem anfangs noch in Aussagen, geht er beim letzten exemplum zu einer Frage über (quid, qui clam latuit reddente obscena puella / et uidit quae mos ipse uidere uetat?, V 437 f.) und endet mit einem implizit negierten Optativ (di melius, quam nos moneamus talia quemquam!, V. 439) und einem Konzessiv (ut prosint, non sunt expedienda tamen, V. 440). In dieser Reihe von Vorschriften, die Obszön-Hässliches aus der Realität zulassen, um den Abscheu vor der puella in die emotionale Wahrnehmung des Schülers zu ‚injizieren‘,606 wird der letztgültige elegische Regelbruch also gerade noch umgangen. Zumindest vordergründig – der Gedanke ist jedoch ausgesprochen, die jambisch-satirische Grenzüberschreitung des Elegischen ist allein durch die Verbalisierung vollzogen. Man kann in diesen mit der praeteritio endenden Referenzbeispielen m. E. einiges zu Ovids Umgang mit jambisch-satirischer Rhetorik und sogar indirekt zum Umgang mit Horaz’ Satiren und Epoden ablesen. Er schreibt in seinen Remedia zwar primär keine Satire und auch keine Jamben – in seinem poetologischen Exkurs äußert sich der ovidische praeceptor schließlich auch zu der Gattung und setzt sie mit der Attacke von Feinden in jambischem Versmaß gleich, wie man es bei den griechischen Archegeten lesen kann: liber in aduersos hostes stringatur iambus, / seu celer, extremum seu trahat ille pedem (Ov. rem. 377 f.). Doch die Diffamierungs-, Makeup- und die Toilettenszene stehen in ihrem Inhalt und ihrer Sprechhaltung gegenüber der puella diesen Gattungen trotzdem nah. Ovid denkt seine Grenzgänge zwar an, nimmt sie aber partiell zurück und schlägt so einen insgesamt moderateren Tonfall an. Die Reflexe auf jambisches Sprechen 605 606
Lucke (1982) 94 ad 429 ff. hält fest, dass „ille…ille ohne Kontrastfunktion, sondern zum Ausdruck der Beliebigkeit“ verwendet wird. Auch Pinotti (1993) 216 ad 429–32 erkennt diese funktionale therapeutische Bedeutung der beschriebenen Szenen, also dass Ekel beim Leser erregt werden soll.
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sind erst auf den zweiten Blick erkennbar, und vor allem dann, wenn man die motivischen und intertextuellen Parallelen mit den Epoden berücksichtigt. Steckt hierin möglicherweise eine Reminiszenz an Horaz’ Programm einer moderateren invektivischen Rhetorik, die er in seinen Satiren und seiner Epoden-Sammlung einsetzt? Ist Ovids Rückzug seiner praeteritio in der Werkmitte eine Hommage an die nicht personengebundene, sondern allgemeinmenschliche Invektive, die von Horaz prominent verköpert wird? Ich argumentiere dafür, dass die Systemreferenz auf die Gattungen Jambus und Satire mit entsprechenden Einzeltextreferenzen auf Horaz’ Satiren und auch seine Epoden gekoppelt ist. Ovid greift die horazische Neuakzentuierung dieser Gattungen bewusst in Form eindeutiger und versteckter Anspielungen auf, um sich diesem prominenten literarischen Standardsetzer in einer Form der aemulatio anzunähern. Doch wie im Fall des Begriffes vitium, dessen Ver‐ wendung auf die erotische Reduktion horazischer Moralphilosophie in seinen Satiren und einen partiell parodistischen Umgang mit Horaz verweist, oder der möglicherweise parodistischen Sicht auf die missglückten Liebesgeschichten der Epoden-Persona geht Ovid auch im besprochenen Mittelsektor der Remedia über Horaz hinaus. Um seinen erotodidaktischen Schlusspunkt zu schreiben, bedarf es einer Grenzüberschreitung, die Ovid dadurch erreicht, dass er in moderater, an Horaz erinnernder, Form jambisch-satirische Charakteristika in seine Wahrnehmungs-praecepta integriert. Und da jambische Elemente inner‐ halb der Liebeselegie hervorstechen, weil sie einen Kontrast zu dieser Welt und ihren Regeln aufbauen,607 ist dieser Rückgriff klar motiviert. Doch darin zeigt sich zugleich die unabhängige Standardsetzung Ovids: Er baut diese Referenzen funktional in sein eigentliches, größer angelegtes Programm der Remedia und der Elegie-Demontage ein, sie sind Mittel zum Zweck der finalen Attacke einer ganzen Gattung, der ultima revolutio der Elegie, da es nach den Heilmitteln eigentlich keine Elegie im ‚klassischen‘ Sinn mehr geben kann: inhaltlich gesehen, da diese Anleitung die Existenzgrundlage des unglücklichen poeta-amator entzieht, rhetorisch-sprachlich durch das Eindringen des Invekti‐ visch-Obszönen, das in andere Gattungsgrenzen gehört. Während Horaz’ Gattungsrevolution produktiv ist, ist diejenige Ovids de‐ struktiv. In den m. E. plausiblen Referenzen auf – abstrakter gesprochen – Horaz’ Poetik und konkret nicht nur auf die Satiren, sondern auch auf die Epoden, demonstriert Ovid sein intertextuelles Programm und auch den Nutzen, 607
Vgl. auch West (1974) 25, der die „Kategorie“ (übers. Zitat) Jambus den Themen zuordnet, die normalerweise nicht im elegischen Distichon beschrieben würden: „that is, in explicitly sexual poems, in invective which goes beyond the witty banter we found in elegy, and in certain other sorts of vulgarity.“
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den die Einbindung weiterer Gattungen in das Gattungshybrid ‚elegisches Lehrgedicht‘ bringen kann. Horaz’ satirisch-jambisches Œuvre ist also zugleich Vorbild und intertextueller Anknüpfungspunkt, es wird parodistisch-komisch eingebunden – und letztendlich für das spezifisch ovidische Doppelprogramm funktionalisiert, das die Heilung von unglücklicher Liebe und die Demontage einer literarischen Gattung bedeutet und zugleich mit einem parodistischen Blick auf das eigene ‚unmögliche‘ Projekt der Remedia amoris versehen ist. 4.3.2 Ovid und Catull: Reaktion auf Geschichten eines Rückfalls Bei der Analyse intertextueller Anspielungen auf jambische Traditionen ist noch ein weiteres, für die Gestaltung der Remedia amoris zentrales, Textkorpus zu betrachten, das auch im Hintergrund der Genese des horazischen Werks steht: Catulls Carmina, die bei der Analyse des „jambischen Dreiecks“ innerhalb der Intertextualitätspyramide einen der konstituierenden Eckpunkte darstellen (siehe Abbildung 10). Dabei lässt sich feststellen, dass Ovids Haltung Catull gegenüber seinem Umgang mit dem horazischen Prätext durchaus ähnelt und so die gleichzeitige Referenz auf beide Prätexte (sowie die jambische Gattung im Allgemeinen) gerechtfertigt erscheint. Trotzdem ist die Bedeutung der drei Bücher Catulls für Ovid – ich folge Holzbergs (2003) Sicht auf die Carmina als Trilogie608 – von derjenigen der Epoden des Horaz zu unterscheiden. Denn die Anspielungen sind noch konkreter, deutlicher greifbar und lexikalisch markierter, und Catulls Werk insgesamt, also nicht nur die dezidiert jambischen Gedichte, hat einen besonderen Einfluss auf die strukturelle Gestaltung des zweiten Teils der ovidischen tractatio, der ars vitandi. Und nicht nur aus struktureller, sondern auch motivischer Hinsicht steht Catull im Hintergrund dieser zweiten Hälfte: Denn Ovid reagiert auch insofern auf die Liebeszyklen um Lesbia und Juventius und auf das Verhalten der Catull’schen Persona in
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Seine Einteilung in drei Bücher (das Buch der Polymetra, das Hochzeitsbuch mit den carmina maiora und das dritte elegische Buch mit den Themen Familie und Erotik und einem oft skoptischen Charakter, vgl. S. 40 und passim) beruht dabei u. a. auf der Identifikation „sapphische[r] Säulen“ (vgl. S. 72 f.), zumal eine 2300 Verse umfassende Gedichtausgabe zur Zeit der Veröffentlichung unwahrscheinlich gewesen sei (vgl. S. 40). Vgl. S. 33–39 für Sappho als Doppelfigur (Dichterin und feminines „Monster“ in der Antike) und damit auch Vorbild für die Doppelstruktur der Catull’schen Dichter-Persona mit der ihr inhärenten Weiblichkeit. Für andere Positionen vgl. etwa Heyworth [2001] 121 und 121 f. Anm. 16, der nicht glaubt, dass das Arrangement der Gedichte vom Dichter selbst stammt; Hutchinson (2003) geht von zwei Büchern aus. Vgl. zusammenfassend zur Kontroverse um die Buchstruktur bei Catull auch Höschele (2010) 23–26.
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Situationen, die von Liebe und Hass bestimmt sind, als verschiedene Aspekte dieser Zyklen zentrale Leitmotive für den zweiten Teil der tractatio Ovids darstellen – die Reaktion auf Catulls Carmina ist dabei noch deutlicher als die auf die erotischen Epoden des Horaz. Um die Carmina Catulls im beschriebenen generischen Kontext zu untersu‐ chen, bedarf es zunächst einer Charakterisierung des Korpus und der Erläute‐ rung, inwiefern man die Zugehörigkeit zahlreicher Gedichte, v. a. auch solcher, die für die Remedia einflussreich sind, zur Gattung Jambus begründen kann. Das bedeutet, dass ich nun in der zeitlichen Chronologie der literarischen Texte zurückgehe und Catull, der ja nicht nur Vorgänger von Ovid, sondern auch von Horaz war, in das Blickfeld rücke.609 4.3.2.1 Catulls iambi Drei (oder vier) Mal610 innerhalb seiner Sammlung bezeichnet Catull eigene Äußerungen als iambi: in c. 36, in dem Lesbia gelobt, die Schriften des pessimus poeta (V. 6) ins Feuer zu werfen, falls Catull von seinen Jamben ablässt (uouit, si sibi restitutus essem / desissemque truces uibrare iambos, V. 4 f.); in c. 40, in dem Ravidus zum Opfer der Invektive wird, da er sich an Catulls amores (V. 7) vergangen hat (Quaenam te mala mens, miselle Rauide, / agit praecipitem in meos iambos?, V. 1 f.); und in c. 54, das Catulls Angriff auf „drei (nicht weiter bekannte) Günstlinge Cäsars“ thematisiert und eine „inszenierte Leserreaktion“611 auf Cä‐ sars scheinbare Indigniertheit zeigt (irascere iterum meis iambis / inmerentibus, unice imperator, V. 6 f.). Alle Beispiele finden sich somit im ersten Buch der Poly‐
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Für den kurzen Überblick beziehe ich mich insbesondere auf die aktuelleren Forschungs‐ ergebnisse von Heyworth (2001), Barchiesi (2001b), Holzberg (2003) und Wray (2009). Die Frage nach der Häufigkeit des Begriffes ‚iambus‘ im Korpus ist nicht eindeutig zu beantworten, da der Status der Fragmente Catulls nicht endgültig geklärt werden kann. Denn Fragment Nr. 3 lautet: at non effugies meos iambos. Holzberg (2009a) 196 ist der Ansicht, dass nicht klar sei, wieso sie, wenn sie von Catull stammen sollten, nicht Teil der Polymetra seien und dass es wahrscheinlich sei, dass es sich „um falsche Zitate von 40,2 oder 54,6 handeln [könnte]“; möglicherweise seien sie fälschlicherweise Catull zugeordnet worden. Dagegen hält etwa Heyworth es für möglich, dass es sich um ein legitimes Fragment der Carmina handelt; er ist sich aufgrund des Metrums, des Hendekasyllabus, dabei sogar sicher, dass dieser Vers zumindest einem der Neoteriker zugeschrieben werden muss (vgl. Heyworth [2001] 126 und 126 Anm. 31). Beide Zitate Holzberg (2003) 110.
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metra,612 das zudem alle Gedichte enthält, die jambische Versmaße verwenden.613 Dabei zeigt sich jedoch bereits eine Schwierigkeit, Catulls Carmina in Bezug auf die Gattung zu kategorisieren: Der generische Terminus fällt in keinem der Gedichte, die in jambischen Metren verfasst sind, sondern stets in Gedichten, die einen Hendekasyllabus aufweisen. Zudem finden sich der typische, für die jambische Gattung charakteristische,614 Spott und die jambische Invektive vor allem in carmina, die in diesem Versmaß oder in elegischen Distichen geschrieben sind, und die Persona droht die jambische Invektive den Adressaten Marrucius Asinius und Lesbia615 ebenfalls in Form von hendecasyllabi (vgl. c. 12, 10 und 42, 1) an. Die formal gesehen jambischen Gedichte wiederum weisen, der metrischen und thematischen Vielfalt der Polymetra entsprechend, nicht nur jambus-spezifische Inhalte auf.616 Das bedeutet: „Invective is not a function 612
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Da die Carmina auf einem codex unicus basieren und korrupte Stellen und Lücken existieren, müssen Deutungsversuche, die sich mit der strukturellen Gliederung und der Linearität der Lektüre befassen, trotz aller Plausibilität Vermutungen bleiben. Ich halte aber Holzbergs (2003) Darlegungen für überzeugend, da er das vorhandene Textmaterial in seiner überlieferten Form akzeptiert und mithilfe intra- und intertextueller Verweise eine Gesamtinterpretation des Korpus und seiner Untergliederung in drei Bücher liefert (siehe auch oben Anm. 608). Insgesamt finden sich zwölf Gedichte in jambischen Versmaßen: In jambischen Tri‐ metern sind c. 4, 29 und 52, in katalektischen jambischen Tetrametern c. 25 und in Hinkjamben c. 8, 22, 31, 37, 39, 44, 59 und 60 verfasst, vgl. Heyworth (2001) 118 f. und Holzberg (2003) 44 f. Vgl. Holzberg (2003) 44. Es bleibt offen, wen Catull mit moecha putida (c. 42) meint. Goold (1989) etwa schließt kategorisch aus, dass es sich um Lesbia handeln könne, da er diese niemals als „common woman“ betrachtet hätte (vgl. S. 244 ad c. 42), und auch für Fordyce (1961) handelt es sich schlicht um eine junge Frau (vgl. S. 192 ad c. 42). Holzberg (2003) erachtet es aber durchaus als möglich, dass Lesbia derart beschimpft werden könne, da von Catull häufiger auch ihre „hetärenhaften Züge“ (S. 82) und ihr teils ‚hurenhaftes‘ Wesen (vgl. S. 96) betont werden – es könne also sein, dass Lesbia versucht, die Jamben Catulls zu konfiszieren und dafür von Catull beschimpft wird. Dadurch würden auch c. 36, 37 und 42 miteinander verbunden werden (vgl. S. 82, 95–97) Vgl. auch Álvarez Hernández (2006) zur Identifizierung der moecha putida mit Lesbia. Vgl. u. a. Heyworth (2001) 119 f. und zu den Polymetra u. a. Skinner (1981) mit einer Strukturanalyse zu den Zyklen in c. 2–26 (S. 39–68) und allgemein zum ersten Buch von Catull mit dem Titel Passer, das sie aber in der ursprünglichen Fassung mit c. 51 enden lässt (vgl. u. a. S. 73–76); vgl. auch Fuhrer (1994) zu den Gründen für die Mischung verschiedener Gattungen in den Polymetra und die Rolle von Meleager, Laevius und hellenistischen Epigrammatikern und etwa auch Forsyth (1993) mit kritischer Rezeption von Dettmers (1988) Versuch, die Polymetra sowie das gesamte Korpus nach „mathematical symmetry“ (Forsyth [1993] 495) zu organisieren, und einem ‚Caveat‘ zu ähnlichen rigiden Versuchen und dem Hinweis auf die CW-Ausgabe 81 (5) zum Thema „Aesthetic Patterning in Catullus: Textual Structures, Systems of Imagery and Book Arrangements“.
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common to all Catullus’ iambic poems, whilst iambic is not the only, or even the predominant, metre he uses for invectice“, weshalb wir als Leser auch dazu aufgerufen sind, „to read more widely for iambos.“617 Eine Lösung, mit der man sich dem ‚Problem‘ der Catull’schen Jamben nähern kann, besteht etwa darin, Catulls flexiblen Umgang mit dem Genre als Teil des bewussten Gattungsspiels618 zu betrachten, das sich an mehreren Stellen inner‐ halb der Sammlung zeigt und mit dem er sich sowohl in die Gattungsgeschichte einordnet als auch frei in ihr bewegt und bestehende Ansätze eigenständig weiterentwickelt.619 So findet sich die Verwendung anderer Metren schon bei Archilochos, der für seine Invektiven auch elegische Distichen einsetzte,620 und bei Kallimachos, der sich u. a. des Hendekasyllabus bediente.621 Bei Catull wiederum verschiebt sich der Schwerpunkt, da seine inhaltlich jambischen Gedichte besonders in den beiden anderen genannten Metren verfasst sind. Im dritten, rein das elegische Distichon verwendenden, Buch dominiert zudem Invektive als „most common mode within the collection of epigrams“622, wobei die invektivischen Tendenzen sowohl in personellen Kontinuitäten begründet liegen, da wie im ersten Buch z. B. Lesbia, Juventius und Mamurra Gegenstand der Gedichte und der Schmähungen sind, als auch in der Schaffung etwa des unabhängigen Gellius-Zyklus, durch den das dritte Buch zusätzlich an Schärfe gewinnt und dem ersten Buch somit in seinem jambischen Charakter nicht nachsteht. Eine andere Möglichkeit, die formale Flexibilität der Catull’schen Jamben unter einem Gattungsbegriff zu subsumieren, schlägt dagegen Holzberg vor. So könne man alle carmina minora und auch die jambischen Gedichte Catulls der Gattung „Epigramm“ zuordnen, da metrische Vielfalt für sie kein 617 618 619
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Heyworth (2001) 130, mit Verweis auf Kroll (1968) 67 ad 36, 5: „iambos geht nicht auf das Versmaß, sondern auf den Inhalt“. Des Weiteren betont er die Reichweite jambischen „Geistes“ innerhalb der Carmina (Heyworth [2001] 139, übers. Zitat). Vgl. auch „Generic play in Catullus“ (Heyworth [2001] 120). Neger (2012) beobachtet bei Martial etwas m. E. Vergleichbares. Martial, der Catull zu den Epigrammatikern rechnet (siehe unten Anm. 624), verwendet in 1, 1, dem pro‐ grammatischen Eröffnungsgedicht seiner epigrammaton libelli (1, 1, 3), das Metrum des Hendekasyllabus und nicht das elegische Distichon, nachdem er in der Vorrede Catull als Epigrammatiker bezeichnet hatte (vgl. 1 praef.); und auch in Epigramm 1, 7, in dem Catull wieder genannt wird, findet sich dieses Versmaß (vgl. S. 55). „Martial nimmt offenbar eine metrische Erweiterung des Epigramm-Begriffs vor“ (S. 55 f.), weil er auch die Gedichte mit einbezieht, die Catull selbst iambi oder hendecasyllabi nennt (vgl. S. 56). Dies scheint, soweit man das mit Blick auf die fragmentarische Überlieferung von Martials Vorgängern beurteilen könne, „eine Innovation Martials“ (S. 56) gewesen zu sein. Vgl. Holzberg (2003) 46 f. Zur intertextuellen Verbindung zwischen Catull und Archi‐ lochos vgl. u. a. auch Wray (2001) 167–186, besonders 184. Vgl. Heyworth (2001) 130 Anm. 37. Heyworth (2001) 137.
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Problem darstelle; damit scheine auch der quintilianischen Einordnung Catulls Genüge getan, da dieser von Catull einmal als Jambiker (inst. 10, 1, 96)623 und in Bezug auf c. 84 einmal als Epigrammatiker spricht.624 Die Feststellung, dass man – unabhängig von der Frage nach der metrisch-ge‐ nerisch genauen Gattungszuschreibung – eine Vielzahl an carmina „Jamben“ nennen kann, ergibt sich auch aus den inhaltlichen Traditionen, die Catull von seinen Vorgängern übernommen hat:625 Wie schon bei den Archegeten der Gattung werden einzelne Personen Zielscheiben des teils harschen Angriffs, 623
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Die Einleitung zu dieser Passage bei Quintilian spricht gegen eine Verallgemeinerung der Bezeichnung für Catull, da diese – nach metrischen Gesichtspunkten klassifizierte – Gattung nicht als ein eigenes Genre kultiviert worden sei: Iambus non sane a Romanis celebratus est ut proprium opus †quibusdam interpositus†. Vgl. auch Holzberg (2003) 44, demzufolge man die von Catull als iambi bezeichneten Gedichte als Epigramme der Untergattung des Schimpf- und Spottepigramms verstehen könne (vgl. S. 45 f.); dieser „Epigrammtyp“ sei für Catull am bedeutendsten (S. 45). Vgl. ebenfalls Quintilians Gattungsbezeichnungen für Catull: In inst. 9, 4, 141 äußert Quintilian sich zu c. 29, 1 in Verbindung mit dem Jambus: aspera uero et maledica, ut dixi, etiam in carmine iambis grassantur; in 9, 3, 16 (zur altertümlichen Verwendung von dum in Catull. 62, 45) sieht man die Bezeichnung dieses carmen als eines Epithalamium. Die Klassifizierung von c. 84 als Epigramm erfolgt in inst. 1, 5, 20 im Kontext der Ausführungen zur Aspirierung und Aussprache bestimmter Laute mit „h“. Vgl. drei weitere Verweise auf Catull, allerdings ohne explizite Gattungsbezeichnung: in 6, 3, 18, dem Kapitel zum Lachen, zur Bedeutung von sal in c. 86, 4; in 11, 1, 38 zur Frage, welches eloquentiae genus (11, 1, 31) sich für jeden ziemt, mit Referenz auf c. 93; und in 1, 5, 8 zur Verwendung regionaler Begriffe (innerhalb der Ausführungen zum barbarismus) mit Bezug auf c. 97, 6. Catull ist sicher ein zentrales Vorbild für den Epigrammatiker Martial. Vgl. hierzu Neger (2012) 54–73 mit Verweis auf weitere Forschung. Während Catull den Begriff epigramma für sich selbst nicht beansprucht (vgl. S. 55 und 241), obwohl er aber von der hellenistischen Epigrammatik stark beeinflusst war (vgl. S. 55 mit weiterführender Literatur in Anm. 8), benutzt Martial ihn zur Beschreibung des Neoterikers. So gliedert er ihn in „die Rubrik epigrammata“ (S. 241) ein, siehe auch oben Anm. 619. Neger hebt hervor, dass das Catullbild Martials durchaus von dem abweicht, das Catull den Lesern präsentiert (vgl. S. 55 und 54–73) und folgt Swanns (1998) 48 f. Schlussfolgerung, dass wir einen anderen Eindruck von Catull hätten, wenn wir nur Martials Präsentation folgen würden. Für den Einfluss des griechischen Epigramms, u. a. auch des Kranzes des Meleager, auf Catull vgl. u. a. Holzberg (2003) 53–55 und Gutzwiller (2012). An dieser Stelle verweise ich auf Holzbergs ausführliche und systematisch erschlossene Bibliographien, u. a. zur augusteischen Dichtung, zum Epigramm und Horaz (vgl. Holzberg [2009b; 2014; 2017]), die er auf seiner Homepage frei zur Verfügung stellt und die eine Grundlage für meine Literaturrecherchen sind. Vgl. zudem Heyworths (2001) 130 Resümee, der hervorhebt, dass sich „klare Anspie‐ lungen auf Archilochos [Anm.: auch] in nicht-jambischen Gedichten“ fänden (übers. Zitat). Neben der Tatsache, dass die jambischen Gedichte über die Sammlung verteilt seien, solle dies den Leser für die Breite des Jamben-Spektrums sensibilisieren.
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wobei sich auch konkrete intertextuelle Anspielungen auf Fragmente der Vorgänger erkennen lassen – die Attacken auf Lesbia kann man beispielsweise mit Archilochos’ Hass auf Neobule und damit einhergehend auf ihren Vater Lycambes vergleichen.626 Man findet zudem weitere, für den archaischen und hellenistischen Jambus typische, Gestaltungselemente wie das Einbeziehen von Anekdoten, die Verknüpfung von Freund- und Feindschaft, die Direktheit bei Äußerungen über Sexualität und die (metapoetische) Bedeutung von Literatur sowie die mit der Verspottung anderer einhergehende Tendenz dazu, sich als Sprecher selbst lächerlich und zur Zielscheibe des Spotts zu machen.627 Diese Haltung kennt der Leser auch aus den Epoden des Horaz. Zwar bezieht sich dieser, seinen poetologischen Aussagen zufolge, v. a. auf die archilochi‐ sche Jambustradition (siehe Kapitel 4.3.1.3). Seine Epoden sind aber vor dem gesamten literarhistorischen Kontext zu lesen, da man auch Einflüsse aus der „confrontation between comic and iambic poetry“, wie sie auch von seinem Vorgänger Kallimachos bekannt sind,628 erkennen kann, und Horaz auch in ein Verhältnis zum unmittelbaren römischen Vorgänger Catull tritt.629 Dabei fällt vor allem die Abgrenzung von diesem auf, da Horaz anders als Catull auf die Verwendung jambischer Metren achtet, der Catull’schen libertas und Ungestümheit die Ordnung als Augusteer entgegenstellt630 und zudem einzelne inhaltliche Leerstellen des republikanischen Autors bewusst zu füllen scheint.631 Das Verhältnis zwischen Horaz und Catull, nicht nur in Bezug auf die jambische Gattungstradition, zu bestimmen, ist jedoch nicht Aufgabe dieses 626 627 628
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Vgl. Holzberg (2003) 47 und Barchiesi (2001b) 159. Für eine Aufzählung dieser Aspekte vgl. Heyworth (2001) 130 f. Auch führt er an, dass Gedichte, die sich mit Heimkehr befassen, auf Werke des Archilochos oder Kallimachos reagieren. Zur jambischen Tendenz des Sich-Lächerlich-Machens siehe auch oben Anm. 542). Zitat und Ausführungen Barchiesi (2001b) 151, vgl. zudem S. 150–152 sowie 158 zur Pro‐ blematik, wie sehr Horaz durch seine Rezeption einen eigenen, milderen Kallimachos, „konstruiert“. Vgl. S. 158 zu Horaz’„self-conscious paradox“ einer Distanzierung vom und Orientierung am Jambiker Kallimachos. Zu Kallimachos und dem Kontrast seiner (Hink-)Jamben zum Vorgänger Hipponax vgl. u. a. L. Watson (1990) 27 Anm. 19, der hervorhebt, dass Callimachus die hipponakteischen Hinkjamben verwende, gleichzeitig aber abmildere „in favour of an insinuating irony and gentle raillery which make wry acknowledgement of human shortcomings“ (welche sich wiederum in Catull. 22 fänden; zitiert in Heyworth [2001] 121). Vgl. Barchiesi (2001b) 149–152, besonders 151. In dieser Herangehensweise sieht Barchiesi (2001b) besonders einen direkten Kontrast zu Catull, da Horaz, wie er explizit in epist. 1, 19 sagt, Archilochos’ formalen, aber nicht inhaltlichen Kriterien folgt, und Catull durch intertextuelle Anspielungen auf Archilochos diese Provenienz markiert, gleichzeitig aber frei von „generic and formal classification“ dichtet (Gedankenführung und Zitat S. 159). Horaz benutzt, im Gegensatz zu Catull, Tiermetaphorik, vgl. Heyworth (2001) 136 f.
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Kapitels.632 An dieser Stelle sei nur auf die intertextuelle Kante innerhalb des Intertextualitätsdreiecks zwischen den Remedia, den Epoden und Catulls Carmina verwiesen, welche die Bezugnahme von Horaz auf Catull als Einzel‐ textreferenz symbolisiert und zur Systemreferenz innerhalb des jambischen Gattungshorizonts beiträgt. Stattdessen geht es um die Parallelen zwischen Ovid und Catull (sowohl als Jambiker als auch ‚gattungsoffener‘ Darsteller seiner Liebeszyklen), die nicht nur darin begründet liegen, dass beide Autoren den Dichtungsstandards des Kallimachos verpflichtet sind633 und vor dem Horizont dieser neuen „ästhetischen Werte“634 und des neuen poetischen Selbstverständnisses dichten.635 Vielmehr zeigt sich an mehreren Stellen im ovidischen Œuvre, dass die Spuren Catulls von Beginn des Schaffens an, also seit den Amores, durchgehend bis zu seinem Spätwerk der Metamorphosen erkennbar sind, und ein Vergleich zwischen den Carmina und Ovids Remedia amoris schon aus dieser Perspektive gerechtfertigt erscheint. 4.3.2.2 Catull in Ovids Œuvre Die Anspielungen auf Catulls Carmina zeigen mehrfach, dass Ovid das Werk des Vorgängers dazu nutzt, seinen eigenen Gedichten zusätzliche Bedeutungsdimen‐
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Vgl. für eine grundlegende Untersuchung Putnam (2006), wobei ich besonders seine konzise und differenzierte Konklusion (S. 141–144) hervorheben möchte. In dieser hält Putnam etwa fest, wie Horaz als aemulator Catulli (vgl. S. 144) fungiere, die emotionale Involviertheit und Direktheit aber reduziere (vgl. S. 141). Vgl. weiterführend etwa Casali (2009) 350–352. Acosta-Hughes (2009) führt Beispiele aus der zweiten Hälfte der Remedia an, die auf Kallimachos anspielen oder ihn zitieren (V. 597 und 747 f., vgl. S. 239). Vgl. zum Einfluss des Kallimachos und hellenistischer Werke auf rö‐ mische Dichtung anhand konkreter Textbeispiele (etwa durch intertextuelle Bezugnahmen bei Properz, Vergil und Ovid) auch Hunter (2006), auf den auch Acosta-Hughes mehrfach verweist. Zudem erläuert Acosta-Hughes, dass die „juxtaposition of Callimachus and Sappho“ (die dem Leser in V. 757–66 in der Liste zu vermeidender Liebesdichter begegnet) „particularly Catullan“ (S. 240) sei, wenngleich diese Verbindung zu Ovids Zeiten bereis konventionalisiert gewesen sei (vgl. ebd.). Wray (2009) 255 (übers. Zitat), der festhält, dass man zwar nicht von einer organisierten Be‐ wegung im heutigen Sinne sprechen, man aber doch ein gemeinsames „set“ an ästhetischen Werten erkennen könne: etwa „allegiance to polished dictional elegance […], coupled with a strong interest in erotic themes and the depiction of psychological interiority, especially that of female characters, in extreme dramatic and narrative situations“. Die besondere Bedeutung des Kallimachos für Catull zeigt sich auch darin, dass er anders als die beiden archaischen Vorgänger als „Battiade“ namentlich als Vorbild genannt wird, und zwar drei Mal in den elegischen Distichen des dritten Buches der Carmina (vgl. c. 65 und 115). Vgl. zum Einfluss des Kallimachos, seiner Aitia als hellenistisches Beispiel und Vorbild für ein bewusst konzipiertes Buch, auf die Rahmung von Catulls drittem Buch (c. 65–7 und 116) Barchiesi (2005) 332–336.
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sionen zu verleihen und den eigenen poetischen Genius durch aemulatio 636 des Vorgängers zu betonen. David Wray (2009) betont in diesem Zusammenhang zu Recht, dass wir durch die Analyse der Bezüge erschließen können, wie Ovid seinen Vorgänger gelesen und verstanden hat, und dadurch ein tieferes Verständnis dafür entwickeln können, „was für eine Art Dichter“637 er selbst war. Als metapoetischer Hinweis auf die Präsenz Catulls bei Ovid kann die Äußerung in der Sphragis am Ende der Amores gewertet werden: Mantua Vergilio gaudet, Verona Catullo; / Paelignae dicar gloria gentis ego (am. 3, 15, 7 f.). Ovid verheißt seinem Werk ewigen Ruhm, und stellt sich dabei neben diese literarischen Vorbilder – ein Akt, der den zeitgenössischen Lesern „as an instance of emulatio“638 erschienen sein dürfte und Ovid somit, zumindest partiell, als einen Nachfolger Catulls wahrnehmbar macht. Neben diesem expliziten Bezug auf den Vorgänger findet sich in den Amores eine motivische Bezugnahme: das Epikedeion auf den Papagei in am. 2, 6, mit welchem der Tod von Lesbias passer (Catull c. 3) evoziert wird.639 Die Anspielungen gipfeln, wie bereits Ende der 1980er beobachtet wurde, in einer selbstreflexiven Betrachtung des ovidischen Sprechers,640 da der psittacus als „Eois imitatrix ales“ (vgl. V. 1) charakterisiert wird und man die Nachahmung nicht nur auf das Naturell dieser Vogelart, sondern auch die literarische Nach‐ ahmung des Catull’schen Sperlings im Werk Ovids beziehen kann.641 Es ist noch ein weiteres Beispiel für die aemulatio in den Amores denkbar. In am. 3, 9 benennt der ovidische Sprecher im Rahmen des Epikedeions auf Tibull642 die literarische Elite, zu der Tibull nach seinem Tod hinzustößt (vgl. am. 3, 9, 59–68). Dabei verleiht er Catull das Epitheton doctus (vgl. V. 62), was sowohl die Achtung vor dem Vorgänger zeigt, als auch die Poetik der anspruchsvoll konzipierten
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Zur Verwendung dieses literaturwissenschaftlichen Terminus siehe oben S. 48–50. Für die Anwendung auf Ovids Umgang mit Catull vgl. Wray (2009) 261–263. Für den Gedanken und das übers. Zitat vgl. Wray (2009) 257. Wray (2009) 261. Zum Versuch, aus der strukturellen Ähnlichkeit von am. 2, 6 und 3, 9 eine Beziehung zwischen beiden Epikedeia herzustellen, vgl. Bretzigheimer (2001) 150 f. und auch Boyd (1987) 204 f. Vgl. Boyd (1987) 204 zu den humorvollen Aspekten dieser metapoetischen „parrot-turned-poet“-Situation. Vgl. auch hierfür Hinds’ (1987) wegweisenden Artikel, besonders S. 7. In der Forschung wurde die Sukzessionsreihe der intertextuellen Anspielungen erweitert und das ‚Fort‐ leben‘ auch über Ovid hinaus bei späteren Dichtern betrachtet; vgl. etwa Lefèvre (1999) und Arcaz Pozo (1995). Vgl. u. a. Weinlich (1999) 229–235 zur Untergliederung der Totenklage und den Bezügen zu Tibulls Werk sowie Bretzigheimer (2001) 150–152 zur Stellung des Gedichts innerhalb der Sammlung und konkreten Bezügen zu anderen Elegien in den Amores sowie zu Tibull.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
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Kleinpoesie evoziert.643 Doch nicht nur durch die namentliche Nennung zeigt sich seine Wertschätzung Catulls. Bereits im fünften Gedicht des ersten Buches nutzt Ovid möglicherweise Catull,644 um den gebildeten Leser durch eine spielerische Parodie Catull’schen Wortmaterials zu stimulieren und dadurch auch das eigene poetische Können und die eigene „Ovidian Subtlety“645 zu demonstrieren. In dieser Elegie schildert Ovid, wie Corinna zur Mittagszeit in sein Schlafzimmer eintritt. Dabei liest man von ihrem weißen Hals, auf den das gescheitelte Haar hinabfällt: ecce, Corinna uenit tunica uelata recincta, / candida diuidua colla tegente coma (am. 1, 5, 9 f.). Ovid spielt dabei zum einen auf die Beschreibung der auf die weißen Schultern herabfallenden Haare Aphrodites in Apollonios Rhodios’ Argonautica an.646 Doch bleibt es nicht nur bei der Referenz auf diese hellenistische Darstellung einer Göttin. So nutzt Ovid, wie Stephen Hinds überzeugend dargelegt hat, zum anderen auch die Epiphanie647 der Lesbia, der candida diua, deren Eintreten in das Haus des Allius in Catull. 68, 70–74 dargestellt wird. Dadurch gelingt es ihm, Corinnas Erscheinung zwar ebenfalls als Epiphanie darzustellen,648 aber gleichzeitig etwas zu „profanieren“.649 Denn anstatt der von Catull bekannten und erwarteten Stilisierung der puella zur weiß erstrahlenden diua wählt er mit
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Neben Catull werden mit Calvus und Gallus auch andere „Vertreter der poetischen Kleinform“ (Weinlich [1999] 234) genannt. Wray (2009) zufolge ist dies die deutlichste Manifestation von Ovids anerkennender Haltung gegenüber Catull, was dadurch betont werde, dass er diese Aussage am Beginn seines poetischen Schaffens, in den Amores, treffe (vgl. S. 258) und Catull der einzige Dichter sei, den er mit diesem Epitheton versehe (vgl. S. 260). Mit der Entwicklungslinie von Ovids Werken passt auch die Deutung Wrays (2009) 260 zusammen, dass man aus der Situierung des Gedichts (Abschiedsgedicht an einen toten Elegiker, Aufenthalt der Vorbilder, auch des Catull, in der Unterwelt) ableiten könne, dass Ovid seinen eigenen Genius präsentiere; mithilfe dessen sei er über seine Vorbilder hinausgewachsen und führe auch die Elegie, die an ihrem Ende angelangt sei, weiter. Vgl. Hinds (1987) 6 zu Catull als „privileged model“ für Ovid an dieser Stelle. Zitat Casali (2009) 348 mit folgender (S. 348 f.) Paraphrase von Hinds (1987). Vgl. McKeown (1989) 110 ad 1, 5, 9–10. Aphrodite wird von Hera und Athene aufgesucht, da diese die Liebesgöttin und ihren Sohn überreden wollen, Medea in Liebe zu Jason zu versetzen, damit Jason so das goldene Vlies erhalten und nach Jolkos zurückfahren kann (vgl. Ap. Rhod. 3, 1–89). Die intertextuell durch candida diuidua colla tegente coma aufgegriffene Stelle lautet: λευκοῖσιν δ’ ἑκάτερθε κόμας ἐπιειμένη ὤμοις (V. 45). Für die Bezeichnung vgl. u. a. Bretzigheimer (2001) 32 und McKeown (1989) 110 ad 9–10, der aufgrund des Themas der erfolgreichen Liebesbegegnung v. a. auf die Parallelen zu Properz (2, 15) verweist (vgl. S. 103 f.). Vermutlich greift Catull selbst auf literarische Traditionen zu göttlichen Epiphanien zurück – man denke etwa an Epiphanien bei Catulls Vorbild Kallimachos. Vgl. weiterführend etwa Hunter/Fuhrer (2002) u. a. 146. Vgl. auch McKeown (1989) 110 ad 1, 5, 9–10, der darauf hinweist, dass das Attribut candidus bzw. candida typischerweise verwendet wird, um „elegiac mistresses“ darzustellen (in den Amores auch in 1, 7, 40; 3, 3, 5 und 3, 7, 8). Die pointierte Beschreibung „Profanierung“ findet sich bei Holzberg (2003) 168.
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diuidua einen Begriff zur Beschreibung des gescheitelten Haares.650 Anstatt des bei Catull folgenden Vergleichs Lesbias mit der „mythischen Heroine“ Laodamia (vgl. c. 68, 73–76) wird Corinna bei Ovid zudem mit der babylonischen Herrscherin Semiramis, die für ihre „notorische Unzüchtigkeit“651 bekannt war, und der Hetäre Lais (vgl. V. 11 f.) verglichen. Dieser Umgang mit dem lexikalischen Material des Vorgängers verweist auf die beschriebene literarische Feinsinnigkeit Ovids und gleichzeitig die Markiertheit der intertextuellen Anspielungen, die bewusst als solche wahrgenommen werden sollen.652 Doch nicht nur im Erstlingswerk, auch in der Ars Amatoria scheint mindes‐ tens eine intertextuelle Anspielung augen- oder vielmehr ‚ohrenfällig‘. Denn auch Ariadnes klagende Worte am Strand von Naxos, die sie in Anbetracht des wortbrüchigen, sie verlassenden Theseus perfidus in Catulls Epyllion äußert (vgl. c. 64, 132–201 und Bacchus’ Ankunft auf Naxos c. 64, 251–264), bilden möglicherweise eine Grundlage für die ovidische Fortschreibung der Szene in ars 1, 527–564,653 in welcher Bacchus die verlassene Heroine antrifft, wie u. a. Holzberg (2003) hervorhebt: So scheint Ovid die „Klangspiele“ bei Catull (besonders V. 132–135) erkannt, in ars 1, 536–538 „nachgeahmt und zugleich auf die Spitze getrieben“ zu haben, indem die „Töne noch schriller“ sind und diesen die „dumpfen Laut[e] [der] […] Musikinstrumente der Bacchantinnen“654 gegenüberstellt werden.655 Hier erkennt man somit Ovids „comic refunction‐ ing of preformed linguistic material“ – um Roses Parodiebegriff erneut zu bemühen –, wenn er den Prätext noch überbietet und sozusagen „exzessiv“656
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Vgl. Hinds (1987) 7–9 und auch Holzberg (2003) 168. Für weitergehende Wortspiele in Bezug auf Lesbia (Catulls candida diua), Semiramis und Lais vgl. Hinds (1987) 10. Beide Zitate McKeown (1989) 111 ad 1, 5, 11–12 (übers.). McKeown verweist auf die ensprechenden Stellen bei Euphorion Suppl. Hell. 415 col. 1 vv. 9 ff., Diod. Sic. 2, 13, 4, Plin. Nat. 8, 155 und Aug. Civ. 18, 2. Paraphrase von Hinds (1987) 7 bei Casali (2009) 349. Auch zu Catull. 32 findet sich eine Parallele, da in diesem carmen ebenfalls die Mittagsruhe als „Zeitpunkt sexueller Begehrlichkeit thematisiert“ (Bretzigheimer [2001] 33) wird. Vgl. Hollis (1977) 121 ad loc. Holzberg (2003) 139. Die folgende Hervorhebung der Vokale ist Holzberg (2003) 138 f. und 139 f. ent‐ nommen: plangebant aliae proceris tympana palmis, / aut tereti tenuis tinnitus aere ciebant; / multis raucisonos efflabant cornua bombos / barbaraque horribili stridebant tibia cantu (Catull. 64, 261–264) und sicine me patriis aceutam, perfide, ab aris, / perfide, deserto liquisti in litore, Theseu? / sicine discedens neglecto numine diuum, / immemor a! deuota domum periuria portas? (Catull. 64, 132–135); perfidus ille abiit: quid mihi fiet?’ ait;/ ‘quid mihi fiet?’ ait; sonuerunt cymbala toto / litore et attonita tympana pulsa manu (ars 1, 536–538). Vgl. Hinds’ (1987) 11 Bezeichnung Ovids als „Excessively Literary Poet“.
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ausgestaltet.657 Berücksichtigt man, dass das lange ‚Lamento‘ Ariadnes bei Catull im Lehrgedicht extrem verkürzt ist (wobei die Frage quid mihi fiet auch noch eine wörtliche Wiederholung ist), zeigt sich aber auch die anamorphotische Haltung Ovids: Aus 70 Versen für das Ariadnezitat bei Catull werden eineinhalb Verse bei Ovid, und statt der Klage der intradiegetischen Sprecherin steht Bacchus’ Ankunft bei Ovid im Fokus (auf diese Szene entfallen bei der Ekphrasis der Hochzeitsdecke in c. 64 14 Verse, vgl. V. 251–264, jedoch in ars 1 28 Verse, vgl. V. 537b–564).658 Vielleicht ließe sich an dieser Stelle, da von den Klangspielen abgesehen die Parallelen eher thematischer als lexikalischer und motivischer Natur sind,659 insgesamt von einer Kontrastimitation Catulls sprechen. Diese Catullpassage ist aber zugleich die Grundlage für eine zweite Wieder‐ aufnahme bei Ovid, und zwar in den Fasti (3, 459–516),660 welche auf dem Catull’schen Prätext und auch früheren Versionen des Mythos innerhalb des
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Vgl. Holzberg (2003) 140. Er ist der Ansicht, dass auch bei Catull die Stelle nicht wirklich pathetisch sei, sondern dass Leser die Passage eher lustig gefunden hätten, etwa weil der Erzähler sich durch intratextuelle Anspielungen „mit der Heroine identifiziert“ habe (ebd., mit Verweis auf S. 136 f.). Da das Pathos nicht ernst zu nehmen sei, könne man nicht von einem „parodistische[n] Spiel“ reden. Holzberg geht vielmehr davon aus, dass „Ovid mit Catull in einen intertextuellen Dialog unter Kollegen tritt“. Mir scheinen diese Beobachtungen Roses Parodiebegriff nicht zu widersprechen, auch unabhängig davon, ob der Text ‚pathetisch‘ gelesen wurde oder nicht. Ohne den Begriff anamorphotisch zu verwenden, beobachtet Hollis (1977) 122 diese Verschiebung ebenfalls. Er hält fest, dass der Stoff eine lange Klagerede geradezu „inevitably“ mit sich bringe, Ovid dagegen gebe nur „a snatch of her lament“. Auch wenn Hollis diese andersartige Akzentuierung mit der Notwendigkeit des Kontextes in der Ars begründet sieht, hält er doch fest, dass die Episode „an unusual turn and an extra spice“ erhalte. Auch die Frage quid mihi fiet findet keine lexikalische Entsprechung bei Catull. Hollis (1977) 122 ad ars 1, 536 beobachtet jedoch, dass sich rhetorische Fragen auch beim Vorgänger finden (vgl. Catull. 64, 177 ff.). Vgl. auch Frings (2005) 29 f. mit Hinweisen zu Bezügen auf ars 1 (fast. 3, 487 f. und ars 1, 555 f.). Noch deutlicher sei aber die Wiederaufnahme von Bacchus’ Versprechen, Ariadne in den Himmel zu erheben (vgl. ars 1, 557 f.), wenn diese ihn in fast. 3, 505 f. daran erinnert. Ein weiteres Beispiel für Anspielungen auf Catull liegt etwa in fast. 4, 852 (atque ait ‘inuito frater adempte, uale’) vor, wenn Catulls Klage um seinen Bruder in Romulus’ Klage um seinen Bruder verwandelt wird, vgl. Hinds (1992), besonders 148; Höschele (2009) 142 f. und Myers (2012) 241. Höschele erfasst, dass über Ovids Verwendung des Adjektivs invitus eine doppelte intertextuelle Anspielung auf sowohl Catull. 68 als auch 66 vorliegt und man daran auch erkennen könne, wie Ovid Verbindungen innerhalb der Catull’schen Sammlung erkannt und verarbeitet hat. Wie Myers (2012) 241 treffend hervorhebt, zeichnet dieses „sensitive reading as interpretation“ Ovids Schreibweise und „response to his literary models in all of his poetry“ aus.
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ovidischen Œuvres basieren.661 In dieser Passage beschreibt die Heroine, die nach Theseus auch noch von ihrem Retter Bacchus verlassen worden ist, ihre Erinnerung an die frühere Situation mit folgenden Worten: dicebam, memini, ‚periure et perfide Theseu!‘/ ille abiit, eadem crimina Bacchus habet. / nunc quoque ‚nulla uiro‘ clamabo ‚femina credat‘ (V. 473–475). Die Erinnerung bezieht sich dabei nicht nur auf das frühere Geschehen und die früheren Taten des Theseus, sondern ist auch literarischer Natur,662 da Ariadne an ihre früheren Worte sowohl in Ovids Ars amatoria (vgl. das Selbstzitat perfidus ille abiit in ars 1, 536)663 und den Heroides 664 als auch, wie Conte und nachfolgend Hinds herausgearbeitet haben, bei Catull (siehe die Unterstreichungen) zu denken scheint:665 661
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Wenngleich Ellis (1876) die Ars-Stelle noch nicht nennt, verweist er trotzdem auf die Nachahmung Catulls durch Ovid im zehnten Heroides-Brief und die genannte Fasti-Stelle (vgl. S. 253 ad 132–201). Vgl. Hollis (1977) 122 ad 527–64 zur intratextuellen Verbindung zwischen der Ars- und Fasti-Stelle, in der Ariadne jeweils spricht; ad 536, 537, 538 zu den Catull-Parallelen; ad 536 zur Heroides-Parallele. Myers (2012) betont nach ihrer kurzen Sammlmung Catull’scher Intertexte bei Ovid, dass Ariadne ein Leitmotiv bei Ovid sei (vgl. S. 240 mit Referenz auf die Stellen in den Heroides, der Ars, den Fasti und den Metamorphosen), wobei die Stelle met. 8, 169–82 unter Rückgriff auf u. a. den Catull’schen Prätext das Verfahren der ovidischen Verdichtung meisterhaft darstelle (vgl. S. 244 f.). Ähnlich auch Heyworth (2019) 173 ad 459–516, der die Passage sogar als „cento“-ähnlich (mit Zitaten aus u. a. epist. 10, ars 1, 525–564 und met. 8, 169–82) bezeichnet. Deshalb sei sie auch ein „foundation stone for discussion of the signposting of allusion in Latin poetry“ (S. 174 mit Verweis auf wichtige Forschungsbeiträge) geworden. Vermutlich spielt in der knappen Darstellung met. 8, 176b–177a (desertae et multa querenti / amplexus et opem Liber tulit) die Verbindung multa querenti „leicht ironisch“ darauf an, dass Ariadne bei Catull viel (also über viele Verse hinweg) geklagt habe (vgl. Holzberg [2015] 30–32, Zitat S. 31). Vgl. Hinds (1987) 17. Für die Parallele vgl. auch Heyworth (2019) 178 ad loc. (471–6). Vgl. epist. 10, 76, Heyworth (2019) 178 ad loc. (471–6). Für intertextuellen Reminiszenzen etwa auf den Heroides-Briefs Ariadnes an Theseus vgl. Heyworth (2019) ebd. und zur Intertextualität zwischen der Fasti- und der Catullstelle knapp Kennedy (2006). Es geht Kennedy vielmehr darum, am Beispiel von Ariadne und Phyllis zu zeigen, wie die Schülerinnen aus Ars 3 (und den Remedia) im Dichterkatalog auf die Heroides verwiesen werden und was sie durch die dabei entstehende intertextuelle Lektüre und das Nachahmen einzelner Wörter lernen. Vgl. Conte (1986) 60–63. Vgl. auch Hinds (1987) 17, der betont, dass es sich bei dieser Stelle um ein „especially clear instance of self-referential elaboration of allusion“ handle, und memini als „refinement“ des von D. O. Ross geprägten Begriffs der Alexandrinischen Fußnote erachtet; vgl. zudem Hinds (1998) 3–5, J. Miller (1993) 154 und Casali (2009) 342 f. sowie passim seinen Forschungsbericht zur Intertextualität bei Ovid, die den Grundcharakter seines Werkes ausmache, und S. 342 f. zu Contes Beobachtungen hinsichtlich Ariadnes Klagen in den Fasti und Catull. 64. Vgl. S. 343 zu Contes Differenzierung zwischen zwei Formen der Intertextualität: Anspielungen, die den Sinn des Ausgangstextes reproduzieren (integrative allusion/allusion as metaphor)
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sicine me patriis auectam, perfide, ab aris, perfide, deserto liquistis in litore, Theseu? sicine discedens neglecto numine diuum, immemor a! deuota domum periuria portas? […] nunc iam nulla uiro iuranti femina credat. (Catull. 64, 132–135 und 143)
Die aemulatio Catulli ist innerhalb der gleichzeitig wirkenden Prätexte somit durch die motivische Parallele zur (an-)klagenden Ariadne und die lexikalischen Parallelen nachweisbar. Doch nicht nur in den Fasti, sondern auch später in der Exildichtung666 und in seinen Metamorphosen findet sich das ovidische Verfahren der Einzeltextre‐ ferenz wieder, das für das eigene Werk bedeutungstragende Funktion hat.667 Ein Beispiel für eine lexikalisch eindeutig bestimmbare „intentional allusion“, die ebenfalls auf Catulls Status als „chief model and rival“668 verweist, findet sich etwa in der Narziss-Stelle der Metamorphosen. In dieser bedient sich das Sprecher-Ich wörtlicher Anleihen aus Catulls carmen 62, dem Hochzeitslied, das aus einem strophisch wechselnden Gesang von Mädchen- und Jungenchor besteht. Denn die Anziehungskraft und gleichzeitig die Unnahbarkeit des Narziss (vgl. met. 3, 353–356) werden auf fast dieselbe Weise beschrieben wie die bei Catull besungene Blume der Jungfräulichkeit, die ihren unwiderstehlichen
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und Anspielungen, in denen Ovid v. a. die eigene Literarizität in den Vordergrund stellt, etwa wenn sich eine Figur an ihre früheren Äußerungen „erinnert“ (reflexive allusion/allusion as simile). Einen aktuelleren Beitrag, der sich ebenfalls der intertextu‐ ellen Beziehung zwischen der Ariadne-Stelle in den Fasti und Catull. 64 widmet, leistet Gamberale (2002). Vgl. für die Anspielungen auf Catull in den Fasti auch Heyworths (2019) Kommentar ad loc. Vgl. weiterführend Bonvicini (2000) zu den Tristien und Myers (2012) 240. Auch auf die Parallelen zu den Heroides sei nicht weiter eingegangen, vgl. dazu exemplarisch Bessone (1995). Vgl. Myers (2012) 241. Myers unterscheidet unter Rückgriff auf bestehende Forschungser‐ gebnisse „combined allusion“, also wenn mehrere Catull-Stellen an einer Stelle verarbeitet werden, und „divided allusions“ (Zitate S. 241), wenn eine Catullstelle als Vorbild für mehrere getrennte Stellen bei Ovid dient. Untergliedert nach den thematischen Komplexen „Marriage“, „Catasterism“ und „Temporalities: Catullus 64“ führt sie die Erzählungen von Narziss, Vertumnus und Pomona, Ariadne sowie die „narrative und chronologische Kom‐ plexität“ (übers. Zitat, S. 249) auf Catull zurück. Besondere Bedeutung für das Gesamtwerk der Metamorphosen habe dabei Catull. 64 als „precedent for the erotic treatment of myth in epic based on learned Alexandrian models“ (ebd.). Beide Zitate Wray (2009) 262. Wray weist darauf hin, dass der Rückgriff auf die neoterische Poetik in den Amores deutlich sei und es fraglich sei, ob dieselbe Haltung auch in späteren Werken bestehen bleibe (vgl. ebd.).
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Reiz verliert, wenn sie einmal gepflückt ist:669 So lässt sich multi illum iuuenes, multae cupiere puellae; / sed (fuit in tenera tam dura superbia forma) / nulli illum iuuenes, nullae tetigere puellae (met. 3, 353–356) mit dem Prätext vergleichen: multi illum pueri, multae optauere puellae: / idem cum tenui carptus defloruit ungui, / nulli illum pueri, nullae optauere puellae (Catull. 62, 42–44). Das Ziel dieses Überblicks ist es, anhand einzelner prominenter Beispiele sum‐ marisch zu belegen, dass es nicht nur legitim ist, Catulls Carmina als einen Prätext für zahlreiche ovidische Textpassagen zu betrachten, sondern dass es vielmehr notwendig erscheint, seinen Einfluss genauer zu untersuchen – und das nicht nur für die ‚kanonischen‘ Werke, sondern auch die weniger beachteten Remedia amoris. Wray (2009) bringt Catulls grundsätzlichen Einfluss auf Ovid präzise auf den Punkt: „[t]he chief way in which Catullus figured in Ovid’s own poetic imagination was as an illustrious predecessor of the highest artistic order, a model and rival whose accomplishments challenged him to become the poet he was.“670 Ov. am. 3, 11 (und 3, 14)
Catull. 8; 76; 85
Liebeselegie, v. a. Tib. 1, 9;
Ov. rem.
Ov. am. 2, 9
Prop. 2, 5 sowie 3, 17/21/24/25
Abbildung 11: Intertextualitätsvieleck I zur renuntiatio amoris
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Wray (2009) 263 verwendet bewusst den Begriff der Intentionalität, da die Bezugnahme an dieser Stelle so auffällig sei: „It merits the designation ‚intentional allusion‘ to just the degree to which any human action merits being called ‚intentional x’ when other people regard it as (1) deliberate not accidental and (2) recognizable as an instance of the kind of action they call by the name ‚x‘.“ Wray (2009) 263.
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Als Ausgangspunkt kann die Catull’sche Formel odi et amo dienen, wobei auch hier zunächst der Blick auf ein anderes Werk Ovids, seine elegischen Amores, und die intertextuelle Beziehung zwischen Catull. 85 und der Elegie am. 3, 11 zu richten ist. Um das inter- und das intratextuelle Gefüge, das Ovid mit seinen Vorgängern und mit sich selbst verbindet, zu visualisieren, nutze ich an dieser Stelle das Pyramidenmodell und betrachte die Beispiele für die (elegische) renuntiatio amoris 671 aus zwei verschiedenen Perspektiven (siehe Abbildung 11). Wie u. a. von Michaela Keul (1989) hervorgehoben, stehen nicht nur einzelne Elegien von Tibull und v. a. Properz im Hintergrund der Konzeption von Ovids berühmtem renuntiatio-Gedicht am. 3, 11, sondern auch Catull, v. a. carmen 85.672 Die Dualität aus Liebe und Hass, aus odi et amo, spiegelt sich etwa lexikalisch im Distichon der Verse am. 3, 11, 33 f. wider: Luctantur pectusque leue in contraria tendunt / hac amor, hac odium; sed, puto, uincit amor. 673 Auch aus der
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Vgl. nicht nur Cairns (1972) zur renuntiatio amoris (siehe oben Anm. 523), sondern auch Keul (1989) zum Phänomen des „Ringens um Liebe“ (S. 250), mit Schwerpunkten auf am. 3, 11, aber auch den „Liebe im Widerstreit“-Gedichten innerhalb der Amores (3, 5; 3, 3; 2, 5; 1, 7; 2, 9; 3, 14) und bei den literarischen Vorgängern Ovids. Vgl. S. 248–300 zu typischen „Absagegedichten“ der Elegiker (Prop. 3, 24; 3, 25; Tib. 1, 9; Prop. 3, 17; 3, 21 sowie „Ansätze für Ovids spielerischen Umgang mit dem Liebesdilemma in der Absagedichtung des Properz“); vgl. S. 304–323 zu Catull. 8 als „Brückengedicht zwischen Absage und Liebe im Widerstreit“, und den „Liebe im Widerstreit“-Gedichten Catull. 76; 85; Prop. 2, 5; Hor. carm. 3, 26. Mit ihrer Differenzierung dreier Gruppen von Absagegedichten, die Ovid am. 3, 11 vorausgehen, will Keul sich von der zu pauschalen Kategorisierung dieser Gedichte als renuntiationes amoris (vgl. Cairns [1972]) abgrenzen, welche die „Entwicklungslinie“ bis zu Ovid sowie die Originalität Ovids nicht genügend beachte (vgl. S. 248 f. Anm. 2 und S. 249 f.). Dadurch wird Keul zwar Ovids Erneuerungstendenzen gerecht, zumal sie auch seine „spielerische Haltung“ heraushebt (der Kontrast zwischen Catull und Ovid ist m. E. in diesem Kontext aber zu stark herausgehoben) und seine Leistung betont, in am. 3, 11 alle Spielarten der „Liebe im Widerstreit“-Gedichte zu integrieren (vgl. S. 374–376). Dennoch ist es sinnvoll, weiterhin von renuntiationes amoris zu sprechen: erstens, um die Kontinuitäten und Modifikationen bzw. Spielarten innerhalb des Topos gleichzeitig betrachten zu können, und zweitens, da sich dieser Begriff auch in der Forschung durchgesetzt hat. Der Einfluss von Horaz carm. 3, 26 (vgl. Keul [1989] 248) ist an dieser Stelle für meine Betrachtungen nicht so zentral und daher nicht in der Pyramide berücksichtigt. Im Ab‐ schlussresümee hebt Keul (1989) hervor, dass Ovid sich der Absage-Motive der Vorgänger, deren Initiator aber Catull gewesen sei (vgl. S. 376), bediene, diese aber mithife seines eigenen originellen Ansatzes spielerisch variiere und dadurch letztlich einen Schlusspunkt unter die Entwicklung der „Liebe im Widerstreit“-Gedichte setze (vgl. S. 372–376) – ein Verfahren, das zu Ovids Umgang mit Gattungen grundsätzlich passt. An dieser Stelle ist auch auf die intertextuelle Parallele zu Verg. ecl. 10, 69 (omnia uincit Amor: et nos cedamus Amori) und Properz 1, 3, 14 (hac Amor hac Liber) zu verweisen. Da der Kommentar McKeowns zum dritten Buch der Amores bislang nicht erschienen ist, danke ich James McKeown für den Möglichkeit, Einblick in seine Ausführungen
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Tatsache, dass Ovid Corinna in der fingierten Anrede davon abhält, ihn weiter verbal zu umgarnen, und sich dabei von seiner früheren Dummheit distanziert (desine blanditias et uerba potentia quondam / perdere: non ego sum stultus, ut ante fui, V. 31 f.), wird, wie Holzberg betont, „psychologisch […] schlüssig, daß Ovid schwanken wird und wie Catull […] seinem Zwiespalt zwischen amor und odium Ausdruck verleiht“674. Für die Verschränkung der Doppelformel aus odisse und amare mit dem Zitat „perfer (et) obdura“ (am. 3, 11, 7 und Catull. 8, 11)675 ist Catulls Werk ebenfalls Prätext für Ovid.676 Ovids spielerischer, des elegisch-emotionalen Pathos entkleideter Umgang mit dem odi-et-amo-Motiv und dem renuntiatio-Motiv in am. 3, 11 und 3, 14 lässt dabei aber auf eine insgesamt parodistische Haltung gegenüber dem Catull’schen Prätext sowie letztlich der Gattung Elegie schließen – wenn aus dem scheinbar „echten, authentischen“ inneren Zwiespalt Catulls bei Ovid der eindeutige Sieg des amor (am. 3, 11) wird und der poeta-amator letztlich durch simulatio, Selbstbetrug, und Aufforderung der puella zum Vortäuschen ihrer Treue (am. 3, 14) den Weg der Therapie und Heilung beschreitet und dadurch die Regeln der Elegie, die eine Authentizität der Leidenserfahrungen verlangen, sprengt.677 Dass sich diese
674 675
676
677
und Notizen zum dritten Buch zu erlangen. In diesen hält er einen grundsätzlichen Unterschied in der emotionalen Disposition der beiden Sprecher fest: Während Catull gleichermaßen zwischen beiden Extremen gefangen sei, leide Ovid nicht daran und könne daher schlagfertig diese Beobachtung vornehmen (ad 3, 11, 34). Holzberg (2011c) 136. In dieser Phrase steckt auch ein Selbstzitat Ovids, da er sich in ars 2, 178 und später in trist. 5, 11, 7 ebenfalls der doppelten Imperativformel bedient, vgl. Frings (2005) 42 und 42 Anm. 113. Für die Kette der intertextuellen Beziehungen (in Ars 2 finde sich die „scherzhaft pathetische Wiederholung der nur scheinbar ernsten Selbstermahnung des enttäuschten Liebhabers in am. 3, 11, 7 […], wo Ovids Catull Versuch, die Trennung von der Geliebten zu bewältigen, rekapituliert, vgl. Cat. 8, 11“, vgl. Janka [1997] 163 ad loc.). Vgl. auch Hinds (1998) 26–29, der diese Anspielung illustrierend zu seiner Diskussion, ob und wie man Intertextualität ‚sicher‘ erkennen könne, nutzt. Vgl. auch Seng (2019), der durch das Aufzeigen lexikalischer, motivisch-thematischer und struktureller Referenzen (etwa zu der zitierten Stelle perfer [et] obdura oder dem odi et amo-Motiv) zwischen am. 3, 11 und Catulls Carmina (v. a. c. 8; 76, aber auch c. 11; 72; 75; 85) für die Einheit von Ov. am. 3, 11 argumentiert. Dabei stellt er auch heraus, wie sich Ovid parodistisch und kontrastiv mit Catull auseinandersetzt. Weitere Parallelen zwischen beiden Gedichten (u. a. dass sich in perfer et obdura eine Form der bei Catull häufigen Selbstadressierung widerspiegelt) führt McKeown in seinen Notizen zum noch unveröffentlichten Kommentar an. In den Remedia findet sich perfer ebenfalls zwei Mal, V. 218 und 642. Für die Parallele zwischen diesen Beispielen und dem Inhalt von rem. 245 (quod nisi firmata properaris mente reuerti) mit Catull. 8, 11–12 vgl. Hardie (2006) 175. Zur Beschreibung der „parodischen Haltung“ vgl. Keul (1989) 377. Wenngleich Keuls Deutung m. E. richtig ist, sind ihre Prämissen nicht immer treffend. So ist sie, auch wenn sie bewusst von dem Begriff der Erlebnisdichtung in Bezug auf Catull Abstand
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
191
parodistische Haltung durch das gesamte erotische Schaffen zieht und eine literarische Grundhaltung des tenerorum lusor amorum ist, die für die Remedia bestimmend wird, konnte ich bereits in Bezug auf Ovids Verhältnis zu Lukrez und Horaz herausarbeiten – dass diese Haltung auch für den Umgang mit Catull zutrifft, zeige ich im Folgenden auf. Verändert man nun die Perspektive und macht nicht am. 3, 11, sondern die Remedia amoris zum Gegenstand der Untersuchungen, steht dieser Text an der Spitze der Pyramide (siehe Abbildung 12). Ov. Remedia amoris (2. Teil der Tractatio)
Catull. 8; 76; 85
Hor. epod. 15 (renuntiatio amoris)
Ov. am. 3, 11 und 3, 14
Liebeselegie, v. a. Tib. 1, 9; Prop. 2, 5 sowie 3, 17/21/24/25
Abbildung 12: Intertextualitätsvieleck II zur renuntiatio amoris
Ovids Elegie 3, 11 steht, als Fortsetzung der ‚erfolglosen‘ renuntiatio in am. 2, 9678 und in Verbindung mit der ‚Fortsetzung‘ der Haltung in am. 3, 14, grundsätzlich in einer engen thematischen Beziehung zu den Remedia amoris, da der Wunsch nach Lösung von der Geliebten das Programm des Heilmittellehrgangs darstellt und einzelne Strategien aus 3, 11 und 3, 14 inhaltliche Parallelen mit praecepta der Remedia und auch der Ars aufweisen (auch wenn die Lösung von der Liebe in den Gedichten letztlich nicht vollzogen wird) – diese Kante in der
678
nimmt (vgl. S. 348), noch einer Lesart verhaftet, die Catulls Schreiben im Rahmen der literarischen Fiktion noch nicht deutlich genug herausstellt (so betont sie den Aspekt des „wahrhaften Empfindens“, u. a. S. 377, häufig zu stark). Für eine treffsichere, auch den Umgang mit der Gattung Elegie beachtende Deutung vgl. Bretzigheimer (2001) 145 f., die auf die simulatio-Technik der Remedia rekurriert und festhält: „Mit der Lösung, sich Seelenfrieden durch Illusion und Selbsttäuschung zu erkaufen, sprengt er [Anm.: der amator] die Gesetze elegischer Liebe“ (S. 146). Zum Verhältnis beider Gedichte vgl. u. a. Cairns (1979) 121–141 sowie Keul (1989) 211–247 und Bretzigheimer (2001) 141.
192
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
Pyramide visualisiert also eine intratextuelle Beziehung.679 Auch die Beziehung der Remedia zur renuntiatio in Epode 15, die ich in Kapitel 4.3.1.3 thematisiere, lässt sich an dieser Stelle visualisieren. Den Einfluss des Distichons c. 85 auch auf den späteren Text der Remedia haben wiederum etwa Hardie (2006) und Boyd (2009) bereits erkannt:680 Denn innerhalb der, von Boyd als fünfter Gruppe identifizierten, praecepta-Reihe, die sich mit der Vermeidung von Rückfall und contagium befasst, wird vor der „extremity of such emotions [that] brings love and hate too close“681 gewarnt. Dieser Rat zu maßvollem Verhalten682 schlägt dabei eine deutlich erkennbare Brücke zu Catull. 85, 1: Odi et amo. quare id faciam, fortasse requiris.683 Boyd verweist somit auf die Verwandtschaft Ovids zu Catull, deutet diesen Befund aber nicht weiter.684 Ich denke jedoch, dass man hierbei von mehr als nur einem 679
680 681 682 683 684
Vgl. Bretzigheimer (2001) 141 zu den Parallelen zwischen am. 3, 11 und den Remedia. Indem der amator sich in der ersten Hälfte der Elegie das schmähliche Verhalten der puella vor Augen führe, entspreche er den Weisungen der Remedia (saepe refer tecum sceleratae facta puella / et pone ante oculos omnia damna tuos, V. 299 f.). Dass die Heilung nicht Bestand haben wird, weiß der Leser der Remedia aus der Retrospektive: Denn trotz der erfolgreichen „Autosuggestion“ und der Entstehung von „odii semina“ (am. 3, 11, 33–44) obsiege noch der amor bei Ovid, da die Liebe nicht langsam, sondern „forcier[t]“ und „abrup[t]“ beendet werde (vgl. rem. 649–654; für Zitate und Gedankengang vgl. Bretzigheimer [2001] 142). Doch auch zwischen 3, 14 und den Remedia bestehen Übereinstimmungen. Der Sprecher sei schließlich in der Lage, anders als Tibull „[ü]ber das Stadium von Liebespein und Todeswunsch aus Eifersucht“ (S. 144) hinauszugehen, da er sich mithilfe von „Strategien des Selbstbetrugs“ (ebd., vgl. ars 2, 521 f. und 539 f.) dazu bringen wolle, die Existenz des Rivalen zu ertragen – bis hin zu dem Punkt, dass er keine Recherchen mehr anstelle und sich von der puella bewusst anlügen lassen wolle (vgl. S. 144–146). Vgl. auch Keul (1989) 214–217 zu den „Liebe im Widerstreit“-Gedichten in den Amores, dass 3, 14 eine „Weiterentwicklung von am. 3,11“ (S. 214) sei. Für die Parallelen zwischen am. 3, 14, 1–4 und Catull. 76, 23–25 (einer der Kanten in meinem Intertextualitätsdreieck zwischen den Remedia, Catull und den Amores) vgl. S. 217 f. Das Motiv hat dabei auch einen Einfluss auf die Amores Ovids, vgl. weiterführend Ferrara (2004). Boyd (2009) 114. Vgl. Boyd (2009) 114 mit dem Verweis darauf, dass dies „der Prämisse, auf der die erotische Elegie gegründet ist, ein Ende setzt“ (übers. Zitat). Vgl. Boyd (2009) 114. Knapp und anders akzentuiert vgl. Hardie (2006) 175: „If only not to care were enough.“ Sie verweist auf diese Parallele im Kontext ihrer Klassifikation der Ovid’schen praecepta-Gruppen und belegt überzeugend, wie die Gefahren des „excess“ mit den folgenden Vorschriften verbunden seien: Denn das Gegenteil, „moderation“, sei für zahlreiche anschließende Weisungen maßgeblich, in denen „concealment of emotion“ und „contagion and its avoidance“ bevorzugt würden (S. 114). Für literarische Verar‐ beitungen zu den Themen excess and restraint sowie moderation sei auf Gibson (2007) mit Fokus auf Properz, Horaz und Ovid und auch entsprechende philosophische Traditionen verwiesen.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
193
‚Brückenschlag‘ oder reiner motivischer Verwandtschaft sprechen kann. Denn die innere Situation des Catull’schen Sprecher-Ich, das im Spannungsfeld der emotionalen Extreme gefangen ist, scheint im Hintergrund der Remedia zu stehen – und zwar, anders als in den Amores, in strukturell-kompositorischer Hinsicht. Aus dem Spiel mit der renuntiatio-Topik und dem Umgang mit der emotionalen Zerrissenheit, die sich in den Amores und auch bei Horaz findet, wird die Umsetzung für einen Lehrgang, der sich eine therapeutisch wirksame Lösung von der Liebe zum (scheinbaren) Ziel gesetzt hat. Daraus resultiert meine Leitfrage: Ist Catull, noch stärker als das Epoden-Ich mit seinem Schwanken zwischen odium und amor, möglicherweise ein Negativbeispiel bzw. warnendes Exempel für alle, die den Wunsch verspüren, sich von der Liebe zu lösen, oder solcher Menschen, die nicht in der Lage sind, ihre emotionalen Widersprüche zu besiegen und sich aus den emotionalen Teufelskreisen zu verabschieden? Ich denke ja. Aus diesen Beobachtungen und Vorüberlegungen formuliere ich meine Haupt‐ these, die ich in den folgenden Ausführungen belege. Dabei ergibt sich auch eine mit geringerer Intensität verfolgte Nebenthese. Zur Hauptthese: Catull ist ein konkretes Vorbild für die ovidische Verbindung der Themen desinere-odisse-amare im Remedia-Lehrgang, einer Verbindung, in der sich die emotionalen Extreme und der Wunsch nach Lösung von der Geliebten widerspiegeln. Diese Aspekte sind dabei nicht nur für die ‚literarische Subgattung‘ der renuntiatio amoris bestimmend, sondern stellen auch zentrale Konstituenten des Werkes Remedia amoris dar.685 Daraus ergibt sich, dass die Liebeszyklen Catulls, in denen sich auch zahlreiche jambische Gedichte bzw. Gattungsreferenzen finden, zu einer wesentlichen Strukturfolie für die inhaltliche und kompositorische Konzeption des zweiten Remedia-Teils werden. Zur Nebenthese, welche die zu beobachtende Einzeltextreferenz um eine Systemreferenz erweitert und Folgen für die Wahrnehmung der Amores hat: Die Ähnlichkeiten, die sich zwischen am. 3, 11 (und 3, 14) und den Absagebzw. Rückfallgedichten Catulls ergeben und die eine vergleichbare Situation und Emotionalität des Sprecher-Ich suggerieren, sind auch ein Hinweis darauf, dass Ovid mit dem Catull’schen und seinem eigenen Prätext, den Amores, in den Remedia auf eine ähnliche Art und Weise umgeht. Mit demselben Blick, mit dem Ovid zeigt, dass sich Catull besser verhalten könnte, wenn er die Weisungen in den Remedia amoris beachten würde, betrachtet er auch sein eigenes elegisches Werk. Auch wenn es längst Forschungskonsens ist, dass die Amores selbst 685
Anders als Rosati (2006) und Hardie (2006) setze ich die Remedia nicht mit diesem Konzept gleich, siehe auch oben Anm. 362, 377 und 525.
194
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
schon gattungsparodistische Züge aufweisen und die subjektive Grammatik der Liebeselegie bereits in brüchiger Form präsentieren,686 lässt sich dem ein neuer Akzent hinzufügen: Denn es verdoppelt sich der spielerisch-parodistische Um‐ gang Ovids mit elegischen Konstellationen in den Remedia. Diese führen nicht nur die Gattung Elegie ans Ende, sondern zeigen, indem sie das Verhalten Catulls bewusst zur ‚Negativfolie‘ machen, indirekt auch, dass das Verhalten des ovidi‐ schen Ich in den Amores ebenfalls ein Negativbeispiel darstellt, da es Teil der emotionalen Teufelskreise ist, die auch in renuntiationes gipfeln – kurz gesagt: Ovid bietet uns in den Remedia auch eine Parodie seiner Parodie. 4.3.2.3 Catull als Geschichte eines Rückfalls Damit erkennbar wird, wie die Liebeszyklen um Catull und Lesbia bzw. Catull und Juventius und die inhaltlich teils jambischen Gedichte der Sammlung mit dem zweiten Teil der Remedia zusammenhängen, bedarf es einer genaueren, auch strukturellen Betrachtung dieser Vorschriften bei Ovid. Wie bereits be‐ schrieben,687 behandelt die ars vitandi die Rückfallprävention, die angeführt wird, damit der Schüler Ovids nicht nur beinahe, sondern vollständig im sicheren Hafen der Heilung (vgl. inque suae portu paene salutis erat, rem. 610) ankommt. Während Lukrez m. E. wichtig für den Aufbau der ars agendi ist, argumentiere ich dafür, dass die Erfahrungen Catulls eine maßgebliche Grundlage für Ovids Aufbau der ars vitandi sind – in lexikalischer, motivischer und struktureller Sicht. Zur Illustration meiner Thesen präsentiere ich im Folgenden mehrere Abbildungen, die eine bessere Nachvollziehbarkeit meiner Ausführungen gewährleisten sollen. Meine Hauptthese lässt sich in zweifacher Hinsicht konkretisieren. Erstens: Catulls (jambische) Epigramme sowie seine Elegien zu den beiden Liebes‐ zyklen688 um Lesbia und Juventius stellen negative Prototypen für das Projekt von Heilmitteln gegen die Liebe dar. Zweitens: Dadurch wird das Prinzip der missachteten emotionalen Indifferenz, das Catull selbst ex negativo und aus der Sicht Lesbias in c. 83 positiv artikuliert, humorvoll als Kontrastfolie zu Ovids Forderung vorgeführt, die darin besteht, dass man Neutralität beim Prozess der Lösung von der Liebe an den Tag legen solle. 686 687 688
Vgl. Conte (1989) 449–456. Siehe oben S. 33 f. Die politischen Epigramme, v. a. den Mamurra-Zyklus, und die Invektiven gegen Gellius sind nicht Bestandteil meiner Betrachtungen, auch wenn sie einen zentralen Teil des Catull’schen Jambenkorpus ausmachen. Aufgrund ihrer thematischen Nähe zu den Remedia sind jedoch für meine Betrachtungen nur die erotischen Liebeszyklen um Lesbia und Juventius, in denen sich auch an einigen Stellen jambisch-invektivische Gedichte oder Sprechweisen finden, relevant.
„Vermeid[e] die Gesellschaft Verliebter“
609–620
Vermeide Treffen mit der Geliebten und ihren Verwandten sowie auch Gespräche mit ihnen
621–642
Beende die Liebe langsam
Dreiergruppe
649–654
Vermeide Hass auf die Geliebte
655–672
renuntiationes amoris: c. 8, (11,) 76; 99 Negativexempla Lesbia und Catull: c. 83, 92 und 104
„Vermeid[e] nachträglich[e] Klagen“
643–648
Vermeide Aussprache bei Wiedersehen, denke an die bisherigen praecepta
673–698
Exkurs: Treuebekundung an Amor, Anrufung und Erscheinung Apolls
699–706
Vergleiche die puella mit schöneren und begabteren Frauen
707–714
Vermeide alte Briefe und Orte, die Erinnerungen hervorrufen
715–740
Vermeide Luxus und Theater und Liebeslyrik unter Bevorzugung der Armut
741–766
Vermeide Eifersucht auf den (potentiellen) Rivalen
767–784
Besuche die alte Geliebte nicht
785–790
Für die Zitate der (praecepta) vgl. Holzberg (2011d) 80–85, der die Vorschriften im Kommentarteil zu seiner Übersetzung mit diesen Formulierungen gliedert.
Rivalenklammer Rivale und/oder Hass: Parallelen bei Catull (mit jambischer Schmähung): c. 11, 36, 37, (38,) 40, 42, 43, 58, 79; 15, 16, 21, 99
Amor Lethaeus (Alltagssorgen), hüte dich vor Einsamkeit (sonst verschärfen sich die furores)
Lege Furcht vor dem Rivalen ab, da diese die Liebe wachsen lässt; „Misstrauen verlängert die Liebe“
praecepta
Parallelen zu Catull
549–608
543–548 (noch ars agendi)
„tractatio Teil II / ars vitandi“ Vermeide Hass auf den potentiellen Rivalen
791–794
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm 195
Abbildung 13: Tabellarische Übersicht zum zweiten tractatio-Teil der Remedia amoris
196
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
Auf den Aufbau der ars vitandi und die Themenkomplexe, die durch die ein‐ zelnen Vorschriftengruppen abgedeckt werden, ist in verkürzter Form bereits im vorangegangenen Kapitel, bei der Besprechung der Epoden des Horaz, hin‐ gewiesen:689 Vorschriften, die besagen, dass man das Aufeinandertreffen mit der Geliebten, ihrer Familie und die Begegnung mit alten Erinnerungsstücken ver‐ meiden soll, wechseln u. a. mit praecepta ab, die emotionale Indifferenz der Ge‐ liebten und dem potentiellen Rivalen gegenüber verlangen und die Hass und Eifersucht auf den Rivalen zu vermeiden lehren, damit man sich als unglücklich Verliebter nicht in einen circulus vitiosus aus Liebe und Leid verstrickt. Diese Passagen stehen aber nicht einfach nur nebeneinander, vielmehr sind sie durch ihre strukturelle Komposition bewusst und hierarchisch angeordnet bzw. verweisen durch ihre Zusammenstellung auf die thematischen Foki des zweiten Teils, die sich m. E. auch an der emotionalen Entwicklung des Catull’‐ schen Sprecher-Ich orientieren. Deshalb soll dieser zweite Teil, der dabei auch klare Bezüge zum ersten Teil aufweist, hier einer noch genaueren Analyse unterzogen werden (siehe die tabellarische Übersicht in Abbildung 13). Die Weisungen, die sich um die Vermeidung von Hass und Eifersucht auf den wirklichen, potentiellen oder nur imaginierten Rivalen drehen, bilden nämlich einen thematischen und kompositionellen Rahmen um die Weisungen des zweiten tractatio-Teils. Dadurch tritt ein zweiter inhaltlicher Schwerpunkt neben das Thema „Erinnerung“ (admonitus) als „Hauptgefahr“ für Rückfälle.690 Kurz vor Ende des ersten Teils findet sich die Vorschrift, dass man sich aktiv von Furcht (metus) vor dem Konkurrenten und damit von Misstrauen (diffidentia) dem Rivalen gegenüber befreien solle (vgl. rem. 543–548). Dieser Gedanke, dass man von dieser Haltung Abstand zu nehmen habe, um so genesen zu können, findet sich an dieser Stelle zum ersten Mal,691 vgl. positiv und ex negativo: 689 690
691
Siehe oben S. 159–161. Geisler (1969) 64 und 68 sowie, ohne klare Referenz auf Geisler, Lucke (1982) 45. Geisler ist der Ansicht, dass der zweite tractatio-Teil insgesamt unter diesem Thema steht, was ich jedoch als zu einseitig und zu wenig überzeugend empfinde. So gelingt es ihm auch nicht, alle praecepta unter dieses Thema zu subsumieren. Das führt dazu, dass er wertend anführt, einzelne Vorschriften (z. B. 707–714 und 649– 654) seien „wirklich unpassend […] eingefügt“ (S. 70), während auch die am Ende stehenden Vorschriften zum Thema „Eifersucht“ „gewisse Schwierigkeiten“ böten (ebd.). Solche Urteile halte ich für problematisch, da sich bei genauerer Analyse Möglichkeiten ergeben, bewusste Kompositionsprinzipien unter einem anderen the‐ matischen Schwerpunkt zu erkennen (die von ihm problematisierten Stellen 649–654 und 767–791 sind für meine Argumentation etwa besonders wichtig). Vgl. Holzbergs (2011a) 80 Wahl der Überschrift für diese Empfehlung: „Misstrauen verlängert die Liebe“.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
197
hunc [sc. amorem] tu si quaeres ponere, pone metum. qui timet ut sua sit, ne quis sibi detrahat illam, ille Machaonia uix ope sanus erit. (V. 544–546)692
Im Anschluss an diese vorletzte Vorschrift des ersten Teils erfolgt ein kleiner Exkurs zu Amor Lethaeus, da die Fokussierung auf die Alltagssorgen ebenfalls zum Prozess der Liebesheilung beitrage (vgl. V. 549–578), woraufhin Ovid die ars agendi durch die Vorschrift abschließt, dass man sich vor loca sola (V. 579) hüten solle, da Einsamkeit den Liebeskummer verschlimmere. Das scheinbare kompositionelle Problem dieser Stelle, das darin besteht, dass der Hinweis auf Misstrauen und Eifersucht nur „assoziativ“ an die vorhe‐ rigen Weisungen des ersten Vorschriftenteils anschließt und einen „Gedanken‐ sprung“693 zu den unmittelbar vorangehenden Sex-praecepta darstellt, diese Weisung also aus kompositorischer Sicht unpassend ist, lässt sich in meinen Augen mit Blick auf den zweiten Teil der Remedia lösen. Denn das eigentliche Ende aller Vorschriften, die vor den Ausführungen zu Diätvorschriften und dem Epilog die ars vitandi abschließen,694 bilden zwei praecepta, die sich ebenfalls dem Thema ‚Rivale‘ widmen. So fordert Ovid seine Schüler am Ende dazu auf, weder Eifersucht noch Hass auf den Rivalen aufkommen zu lassen oder diese Emotionen notfalls zu überspielen, vgl.: at tu riualem noli tibi fingere quemquam / inque suo solam crede iacere toro (V. 769 f.) und die bereits im vorangegangenen Kapitel zitierte Stelle:
692
693
694
Die vorausgegangene Erwähnung des Rivalen (vgl. diligit ipsa alios, a me fastidit amari: / institor heu noctes, quas mihi non dat, habet, V. 305 f.) erfolgt unter anderen Vorzeichen, da Ovid gegenteilig dazu aufruft, aktiv an den Rivalen und die damit einhergehende ungerechte Behandlung durch das Mädchen zu denken, um sich dieses schlechtzureden. Für die unterschiedliche Bedeutung der Rivalen-Vorschriften siehe unten S. 200 f. mit Anm. 707. Für die Zitate vgl. Lucke (1982) 172 ad 543–548 mit Verweis auf Geisler (1969) 67. Dieser Beobachtung stimmt Lucke auch zu. Sie sieht in V. 543–548 nur eine oberflächliche Behandlung des Themas Eifersucht, das in 767 ff. „unter verändertem Aspekt nach vollzogener Trennung“ (S. 45) erneut aufgenommen sei. „Darauf folgt übergangslos die Epiphanie Amors“ (ebd.); weitere Schlussfolgerungen finden sich bei ihr nicht. Geisler erachtet die spätere Wiederaufnahme sogar als „unglücklich“ (vgl. S. 67). Geisler (1969) hat die Gesamtkomposition der Remedia mit ihren internen Rahmungen und Fokussierungen von ‚Mitten‘ treffend herausgearbeitet. So entspreche der Ab‐ schnitt zu den Diätvorschriften als Abschluss der Einleitung der tractatio (vgl. V. 79– 134), wodurch in Verbindung mit dem Proöm und dem Schluss eine doppelte Rahmung um die Remedia amoris entstehe. Für weitere Beobachtungen, etwa auch, dass der metapoetische Exkurs Ovids und der Exkurs im zweiten Teil (vgl. V. 699–706) jeweils in der Mitte der tractatio-Hälften stehen, vgl. S. 72–74.
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hunc quoque, quo quondam nimium riuale dolebas, uellem desineres hostis habere loco. at certe, quamuis odio remanente, saluta; oscula cum poteris iam dare, sanus eris. (V. 791–794)
Schon Lucke erkennt, dass Ovid das Thema nicht einfach als Wiederholung an zwei Stellen in seinem Werk anführt,695 und differenziert zwischen den Argumentations‐ zusammenhängen: „Hier [Anm.: im ersten Teil, V. 543–548] bedeutet Misstrauen Gefahr, sich von dem Mädchen nicht lösen zu können, dort, ihr nach vollzogener Trennung erneut zu verfallen“.696 Pinotti spricht ebenfalls von „funzioni diverse“ des Rivalenmotivs an verschiedenen Stellen.697 Diese Befunde kann man jedoch erweitern. Denn dadurch, dass der Rivale zwei Mal am Ende des Werkes fokussiert wird (nur unterbrochen von der thematisch verwandten Aufforderung, am limen zum Haus der domina vorüberzugehen und sich somit nicht wie ein elegisch Verliebter zu verhalten, vgl. V. 785–790)698, erhält diese Weisung besonderes Gewicht
695
696 697 698
Sie bezieht sich hierbei auf eine Aussage von Prinz, der behauptet, „Ovid lehre an zwei Stellen dasselbe und rechne damit, dass der Leser es nicht merke“ (Lucke [1982] 172), und weist diesen Gedanken ab. Die Kommentatoren verweisen auch auf die intratextuelle Anspielung Ovids innerhalb der liebesdidaktischen Tetralogie. Denn bereits in ars 2, 539 rät der praeceptor amoris seinem Schüler: riualem patienter habe, damit sich dieser so der Liebe seines Mädchens sicher sein könne (Bretzigheimer [2001] 144 bezeichnet die Akzeptanz des Rivalen als „Königsweg zu einem leidlosen amor“, der, bereits in amores 3, 14 ausgeführt, in der besagten Stelle aus ars 2 „zum Dodonischen Orakelspruch hochstilisiert“ werde), vgl. Lucke (1982) ad 791–794, Henderson (1979) 136 ad 792 und Pinotti (1993) 332 ad 791–94. Janka (1997) 263 f. (Verweis S. 395 ad 539–540) hält bereits zu V. 336 fest, dass rivalis als „Nebenbuhler“ (S. 263) bei Ovid „relativ beliebt“ (S. 264) sei. Vgl. zudem seine Beobachtung, dass V. 336, in dem zum ersten Mal in ars 2 der Rivale angesprochen wird, als „Scharnierstelle“ zwischen den Buchhälften fungiert, bevor dieser in der „zweite[n] Buchhälfte (mit ihren Themen Trennung, Seitensprung und Versöhnung bei einer gefestigten Liebesbeziehung)“ die „leitmotivisch bestimmende Figur“ wird (S. 263) – denn auch für die Remedia übernimmt der Rivale in der zweiten Hälfte eine in meinen Augen bedeutende Funktion. Janka bezeichnet später die Vorschrift zur „Patientia des Mannes gegenüber einem Rivalen“ als „Gipfelpraeceptum“, das zum „Herzstück der Ars“ gehört (S. 392 ad 535–600). Für weitere Rivalen-praecepta in unterschiedlichen Kontexten (etwa ars 3, 591–598 und ars 2, 436 im Kontext, dass Eifersucht die Liebe stärken kann) vgl. u. a. Lucke (1982) 339 ad 767–784. Lucke (1982) 172 ad 543–548. Pinotti (1993) 324 ad 767–68. Entgegen etwa der Kritik Geislers (1969) 71 f., dass diese Vorschrift die Rivalenweisungen unpassend unterbreche, führt Pinotti (1993) überzeugend an, dass die für die römische Elegie und hellenistische Dichtung typische Situation des exclusus amator/Paraklausithy‐ rons und das Ausgeschlossensein des eifersüchtigen Liebhabers (während der Rivale beim Mädchen zugelassen ist) durchaus in engem Zusammenhang mit dem Thema des
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
199
und bereitet auf das nahe Ende des Lehrgangs vor, nimmt also eine strukturell bedeutsame Rolle ein.699 Auch die Wortwahl Ovids indiziert, dass es sich beim Umgang mit Eifersucht auf den Rivalen um seine wichtigste Weisung handelt: aemulus est nostri maxima causa mali (V. 768).700 Gleichzeitig schlägt dieses Doppel-praeceptum einen Bogen zur verwandten Vorschrift in V. 543–548, die trotz des andersartigen Kontextes thematisch bereits auf die späteren Vorschriften vorbereitet, zurück: Denn es wird dem negativen, von Eifersucht bestimmten Gedanken an Rivalen jeweils eine Absage erteilt.701 Das praeceptum in V. 543–548 hat somit die Funktion, als Vorschluss‐ vorschrift den ersten Teil der tractatio zu beenden und den Übergang zum zweiten Teil vorzubereiten – die ‚Rivalenklammer‘ schließt sich also vom Ende des ersten Teils bis (fast) zum Ende des Werkes um die Instruktionen, wie man Rückfälle verhindern kann. Diese Rahmung wird auch noch durch eine intratextuelle lexikalische Referenz zwischen den Abschlussklauseln ‚sanus und Form von esse (eris bzw. erit)‘ verstärkt: Keine Furcht vor dem Rivalen bzw. sogar das Küssen des Rivalen als „freundschaftliche[r] Geste“702 und Zeichen der Selbstüberwindung führen zur Genesung (vgl. V. 546 und 794).703
699 700 701
702 703
Rivalen stünden (vgl. 329 f. ad 785–90 mit Verweis auf Parallelstellen aus der römischen Liebeselegie zu dieser Situation). Lucke (1982) 338 ad 767–794 subsumiert diese Vorschriften unter eine Gruppe und betrachtet die dazwischenstehende Weisung als „Einschub“. Vgl. auch Geisler (1969) 70. Auch wenn Kommentatoren bereits bei den Versen 767–784 die Rückkehr zur früheren Rivalen-Vorschrift erkannt haben, vgl. Henderson (1979) 133 ad 767–94, Lucke (1982) 338 f. ad 767–784 und Pinotti (1993) 324 ad 767–68, konnte ich bislang keinen Ansatz finden, der diese Beobachtung auswertet und strukturell-kompositorische Schlussfol‐ gerungen für die Remedia zieht. Lucke (1982) 355 ad 794. Sie verweist darauf, dass der Kuss zu republikanischen Zeiten nicht nur eine Begrüßungsform war, sondern auch der Freundschaftsbekundung diente. Auf die Wiederholung dieses „motivo terapeutico centrale nell’opera“, das auch zentrale termini technici des Finales vorwegnehme, vgl. Pinotti (1993) 332 ad 791–94. Pinotti verweist auch darauf, dass sich die „clausola sanus erit“ (ebd.) zudem in V. 504 (qui poterit sanum fingere, sanus erit) findet; ebenso auch Lucke (1982) 356 ad 794. Auch hier lässt sich m. E. ein Bezug zur Abschlussvorschrift der Verse 791–794 herstellen. In V. 504 geht es thematisch um die Autosuggestion beim ‚Entlieben‘, also dass man sich durch Einreden der Genesung und mentale Übung im Distanzieren letztlich selbst dazu bringen kann, gesund zu sein. Auch in V. 794 findet sich, wenngleich nur in impliziter Form, ein Verweis auf diese Technik. Denn Ovid führt an, dass man sich dem Rivalen gegenüber positiv verhalten solle, auch wenn der Hass weiterhin bestehen bleibe (vgl. V. 793); wenn im folgenden Pentameter dann die freundschaftliche Kuss-Geste in Verbindung mit sanus eris angeführt wird, spricht das dafür, dass die Verstellung trotzdem zur Heilung geführt hat. Für den Verweis auf die hier wiederaufgegriffene
200
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
Aufmerksame Leser werden nun darauf hinweisen, dass ihnen das Motiv des Rivalen an zwei weiteren Stellen in den Remedia begegnet: und zwar in V. 305 f. und 677 f. Dabei sind jedoch die Vorzeichen wie auch der Umgang mit dem Thema anders als in den besprochenen Stellen zur Rückfallprävention. So geht es jeweils um Situationen, in denen erstens der „Verkehr mit der Geliebten [vorausgesetzt]“704 wird und in denen zweitens der Rivale als Übel zu imaginieren (und eben nicht ohne Hass, Eifersucht oder Angst zu betrachten) ist: In V. 305 f. (diligit ipsa alios, a me fastidit amari: / institor, heu, noctes, quas mihi non dat, habet) steht der junge Mann im Zentrum, der in der Stadt gefangen ist und sich aktiv an die ungerechte Behandlung durch die puella erinnern und sie schlechtreden muss, um sich von der unglücklichen Liebe zu lösen; dazu gehört eben auch die frustrierende Bevorzugung des Rivalen durch das Mädchen. In V. 677 f. (nunc tibi riualis, nunc durum limen amanti, / nunc subeant mediis irrita uerba deis) präsentiert Ovid seinem Patienten die Verhaltensvorschrift für den Fall, dass er der Frau nach erfolgreicher Lösung von der Liebe durch Zufall persönlich begegnet. Die direkte Konfrontation stellt schon einen Unterschied zu den anderen Vorschriften gegen Rückfälle dar und verbindet diese thematisch eher mit dem ersten Teil der tractatio. Für diesen Fall muss sich der Patient nämlich an bereits aus dem ersten Teil bekannte Handlungsmaximen halten: So soll er sich an alle Tipps Ovids erinnern (vgl. V. 675) und sich eben auch den Schmerz vergegenwärtigen, den er durch die Bevorzugung des Rivalen erfahren hat. Deshalb widerspricht dieser Befund dem Rahmungsargument nicht – allenfalls betont er die grundsätzliche Bedeutung des Rivalenmotivs für den gesamten Lehrgang705 und verweist auf die Verklammerung von erstem und zweitem Teil; Ovid sagt selbst nam quoniam uariant animi, uariabimus artes (V. 525): Je nach Herz (oder auch Situation)706 bedarf es anderer Maßnahmen für die Heilung; eine Begegnung nach erfolgter Trennung benötigt ad hoc-Mittel, damit die Gefahr der erneuten Infektion bekämpft werden kann. Dazu gehört nun nicht, wie in den Weisungen des Rivalen-Rahmens, eine indifferente, also
704 705 706
simulatio-Technik vgl. u. a. auch Pinotti (1993) 323 ad 767–94. Zu den Parallelen zu Catull c. 83, 3 siehe unten S. 241. Geisler (1969) 67. Zur grundsätzlichen Bedeutung des Rivalen in der elegischen Dichtung siehe unten Anm. 831. Vgl. Geisler (1969) 71.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
201
quasi erhabene, Haltung gegenüber dem Konkurrenten, sondern ein Rückgriff auf die negativen Emotionen, wie sie aus der früheren Weisung bekannt sind.707 Eine Verknüpfung zwischen beiden tractatio-Hälften wird auch durch die Verbindung zwischen der Abschlussvorschrift des ersten Teils und der am Anfang des zweiten Teils stehenden Weisung geschaffen. Denn in beiden, bei einer linearen Lektüre nebeneinanderstehenden, Vorschriften ruft der praeceptor den Schüler dazu auf, etwas zu vermeiden. Muss dieser sich zunächst – noch in der akuten Phase des ‚Entliebens‘ – vor Einsamkeit hüten (vgl. V. 579–608), soll er schließlich die Gesellschaft Geliebter vermeiden (vgl. V. 609–620), um sicher im Hafen der Rettung verweilen zu können. Der Beginn der ars vitandi knüpft dadurch nahtlos an die ars agendi an.708 Ovid gelingt es also einerseits, beide Teile miteinander zu verbinden. Andererseits schafft er einen abgeschlossenen Rahmen, der zwar gegen Ende des ersten Teils beginnt, funktionell gesehen aber dem zweiten Teil thematisch und strukturell Geschlossenheit verleiht. Und ebendiese strukturell wichtigen Passagen stellen auch die inhaltlichen Schwerpunkte der Rückfallprävention – und zugleich die Bezugspunkte auf Catull – dar. 707
708
Diese Weisung (V. 677 f.) nimmt m. E. strukturell gesehen auch die Funktion eines Bindegliedes zwischen beiden tractatio-Teilen ein, schlägt also eine Brücke zum ersten Teil (was gut zu Geislers [1969] 69 Behauptung passt, dass sich an der Stelle vor dem Exkurs ein Höhepunkt in der Argumentation finde). Einerseits erkennt man neben dem jeweils ähnlichen Umgang mit dem Rivalen (dass man ihn sich aktiv in Erinnerung rufen soll, vgl. auch V. 305 f.) weitere Verweise auf die Vorschrift zur Autosuggestion und dabei besonders die damna, die sich der unglücklich Verliebte vergegenwärtigen soll (Parallelen dabei besonders zu V. 299–306 bzw. 308); die Wiederholung der anfänglichen Motive an der späteren Stelle hat Lucke (1982) bereits erkannt (vgl. S. 264 ad 677 f.). Der Verweis auf Paraklausithyra findet sich in V. 304 und 677, auf die falschen Schwüre der puella wird sowohl in V. 303 als auch in V. 678 zurückgegriffen und auch die negativen Voraussetzungen eines sich nur zögerlich von der Geliebten distanzierenden Patienten ähneln sich: aegre dediscis amare (V. 297) korrespondiert, was bisher von keinem Kommentator festgehalten wurde, auch aufgrund der Verbindung der Verben mit zwei ähnlichen Adverben m. E. mit desinimus tarde (V. 685). Andererseits findet sich in der späteren Weisung auch ein klarer Unterschied zur Passage im ersten Teil der tractatio. Denn Ovid sagt zuvor: haec refer, hinc odii semina quaere tui. / atque utinam possis etiam facundus in illis / esse! dole tantum, sponte disertus eris. (V. 308–310). Dies steht nun im Widerspruch zu den auf V. 673–682 folgenden Ausführungen, dass man bei der persönlichen Begegnung eben nicht beredt sein und eine Aussprache verhindern und man der puella keine Möglichkeit der Rechtfertigung geben solle (vgl. V. 693–698). In diesem Schweigegebot zeigt sich eine deutliche Zugehörigkeit zum zweiten tractatio-Teil, womit die Weisung eine strukturell wichtige Rolle in der Gesamtkomposition übernimmt. Auf diesen nahtlosen Übergang verweist auch schon Geisler (1969) 66 mit einem leicht anderen Fokus. So hebt er hervor, dass der „Gedankenfluß“ trotz der klaren Markierung „doch nicht unterbrochen, sondern weitergeführt“ werde; denn „man soll die Einsamkeit meiden, aber doch nicht jede Art von Gesellschaft suchen“.
202
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
Innerhalb der Vorschriften der ars vitandi kann man zusätzlich eine weitere Gruppierung vornehmen. Neben den bereits genannten Vorschriften, welche die Gesellschaft mit Verliebten, der (früheren) Geliebten und ihren Verwandten verbieten, fällt vor allem die indirekte Weisung auf, dass man Hass auf die Geliebte vermeiden solle (non curare sat est: odio qui finit amorem, / aut amat aut aegre desinet esse miser, V. 657 f.). Denn das Thema Hass stellt eine Verbindung zur letzten Rivalenvorschrift her, in der auch dazu geraten wird, nicht nur Eifersucht (vgl. V. 767–784), sondern auch Hass auf den Konkurrenten zu ver‐ drängen und zu überspielen. Die Weisung wiederum gehört zur Dreiergruppe von V. 643–672 (Vermeide nachträgliche Klagen – Beende die Liebe langsam – Vermeide Hass), die auf die Entwicklung emotionaler Indifferenz abzielt.709 Sowohl diese Dreiergruppe als auch die Rivalen-/Hass-Klammer um den zweiten Teil der Remedia weisen, wie ich im Folgenden zeige, eine deutliche, motivische und lexikalische, intertextuelle Bezugnahme auf Catull auf. Und eben dieser Catullbezug stellt bei genauerer Betrachtung auch eine Verbindung zwi‐ schen diesem ‚Weisungs-Triptychon‘ und dem Rahmen her und sorgt damit für eine noch stärkere innere Kohärenz des zweiten Teils. Denn man kann erkennen, dass Ovids Weisungen eine Reaktion auf Catulls ‚Geschichten von Rückfällen in Liebesangelegenheiten‘ inhärent ist.710 Dabei sind diese intertextuellen Verweise auf Catulls Carmina nicht oberflächlicher Natur; vielmehr können die rahmende Funktion der ovidischen praecepta und der innere Zusammenhang des zweiten Teils von den Lesern erst unter Berücksichtigung der Catull-Bezüge in ihrer Tiefe erfasst werden. Damit ich belegen kann, wieso es legitim ist, Catulls „Liebesgeschichten“ als wichtige Intertexte für die zweite Hälfte der Remedia zu postulieren, wieso die Dreiergruppe der Verse 643–672 trotz ihrer unterschiedlichen Inhalte als ‚Einheit‘ und gleichzeitig Kernstück des zweiten Teils gedeutet werden kann und weshalb Catulls Werk den Grundtenor des zweiten, in sich gerahmten, Remedia-Teils maßgeblich mitbestimmt, muss erläutert werden, wie die Liebeszyklen des Catull funktionieren. Erst so wird begreiflich, wie ihre Gestaltung in signifikantem Maße
709
710
M. E. hängen also diese drei Vorschriften eng miteinander zusammen. Dadurch unter‐ scheide ich mich etwa von Luckes (1982) 246 ad 649–654 Position: Diese hält nur fest, dass das praeceptum zur langsamen Beendigung der Liebe die „Gedankenfolge 643 – 648 ‚keine Klagen über die Geliebte‘ und 655 – 672 ‚kein Haß auf die Geliebte‘ [unterbrechen]“ würde – sie begründet dies somit durch inhaltliche Ähnlichkeit der äußeren praecepta. Dass auch die anschließende Vorschrift 673–698 durchaus Bezüge zu dieser Dreiergruppe herstellt, werde ich im Folgenden weiter behandeln. Auch Hardie (2006) 175 sieht eine intertextuelle Anspielung auf Catull, besonders die renuntiationes in c. 8 und 76.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
203
auf die Remedia Einfluss nehmen kann. Denn: Die Weisungen zur Verhinderung des Rückfalls lassen sich v. a. als Reaktion darauf lesen, was Catull bei seinen Liebschaften alles ‚falsch‘ gemacht hat. Meine Lesart ist somit eine primär ‚naivlineare‘, da ich auch glaube, dass die intentionale Rezeption Catulls durch Ovid auf ebendiese Weise funktioniert und ein bewusst ‚naiv‘ in der textchronologi‐ schen Reihenfolge gelesener Catull als Prätext für die Remedia fungiert.711 Somit nehme ich eine Art rezeptionsästhetische Position ein, in der ich Catull aus der Sicht Ovids zu lesen versuche und dabei die „‘writerly’ role of the reader“712 (des Lesers Ovid) betonen möchte, der durch seine Lektüre, Rezeption und intertextuelle Verarbeitung neue Bedeutungsdimensionen nicht nur für den eigenen Text, sondern auch für den Prätext erschafft.713 Wie das horazische Ich ist auch Catull ständig in emotionalen Teufels‐ kreisen gefangen, die prinzipiell den inhaltlichen Anknüpfungspunkt für die Liebes-(Heilungs-)Thematik der Remedia darstellen. Um die innere Entwick‐ lung der Catull’schen Persona – oder besser gesagt der unterschiedlichen Catull’schen personae, die in den Carmina auftreten und sich in einer Art „dialectic progression“ abwechseln714 – besser nachvollziehen zu können, sind die Liebeszyklen um Lesbia und Juventius in eigenen Diagrammen visualisiert (die Graphen der Abbildungen 14 und 15 repräsentieren die Lesbiagedichte, der Graph in Abbildung 16 den Juventiuszyklus; gestrichelte Linien zeigen, dass sich manche Gedichte je nach Interpretation auch einer anderen emotionalen Kategorie auf der ‚y-Achse‘ zuordnen lassen).
711 712
713 714
Eine „naive“ Lektüre unternimmt im ovidischen Kontext auch Wildberger (1998) bei ihrer Untersuchung der „Form der Oberfläche“ (S. 405) der Ars amatoria, vgl. für die Zitate und zusammenfassende Einschätzung Janka (2007) 15 und 15 Anm. 44. Wray (1996) 85. Wray lehnt J. K. Newmans auf den russischen Formalisten beruhende Theorie der „recapitulation of genres“ bei der Genreentwicklung ab und betont stattdessen die „idea of reading as production“ (S. 88), die darin besteht, dass das Lesen einen Einfluss auf die literarischen Vorgänger habe (so sei Kallimachos’ Lektüre des Archilochos einflussreich auf Catulls Lektüre des archaischen Gattungsbegründers); Gattungen würden sich dadurch vorwärts und nicht zunächst rückwärts bewegen (vgl. S. 84–91). Vgl. ähnlich auch Wray (2009) 257, demzufolge wir durch die Untersuchung von Ovids Verhältnis zu Catull auch etwas Neues über Catull selbst lernen würden. Wray (1996) befasst sich in seiner Dissertation dem Phänomen der sexuellen personae Catulls und ihrem Zusammenhang zur „invective tradition“ der Carmina in umfangrei‐ cher und erhellender Weise. Er belegt dabei u. a. die Existenz sexueller personae, die sich zwischen den Extremen einer effeminierten, auf kallimacheischen (Dichtungs-)Stan‐ dards basierenden, und einer „hyper-masculine“ Persona, die sich v. a. in invektivischen Äußerungen manifestiert, befinden (vgl. u. a. S. 172 und passim).
204
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
Abbildung 14: Emotionale Entwicklung im Lesbiazyklus I
Abbildung 15: Emotionale Entwicklung im Lesbiazyklus II
5. Wendepunkt: Absage/renuntiatio amoris
4. Schmähung/ Jambik (wegen Verletzung), Hass auf Geliebte(n)/ Rivalen
3. Verzweiflung/ Angst/Gefangensein oft durch Enttäuschung, Eifersucht
2. Überwältigung, (potentiell) erfüllbare Sehnsucht
1. Glück/Verliebtheit/ positive Haltung
68
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70'
Verhältnis zu Lesbia (II)
72
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87
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100
100'
107
109
?
Carmina in linearer Sukzession
104
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm 205
Abbildung 16: Emotionale Entwicklung im Juventiuszyklus
5. Wendepunkt: Absage/renuntiatio amoris
4. Schmähung/ Jambik (wegen Verletzung), Hass auf Geliebte(n)/ Rivalen
3. Verzweiflung/ Angst/Gefangensein oft durch Enttäuschung, Eifersucht
2. Überwältigung, (potentiell) erfüllbare Sehnsucht
1. Glück/Verliebtheit/ positive Haltung
15
Verhältnis zu Juventius
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24'
40
40'
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?
Carmina in linearer Sukzession
99'''
99''
99'
99
206 4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
207
Vorab ein paar Erläuterungen zur Struktur: Die x-Achse repräsentiert die lineare Abfolge der Carmina Catulls, wie sie in der uns überlieferten Form angeordnet sind. Die y-Achse stellt die Extreme des emotionalen Kontinuums Catulls dar und reicht von emotionaler Nähe bis zu emotionaler Distanz, wobei sich innerhalb dieser Spannweite verschiedene Zwischenstadien identifizieren lassen. Wenn ich im Folgenden die lineare Entwicklung der beiden Zyklen betrachte und zur Grundlage für Ovids intertextuelle Rezeption erhebe, heißt das nicht, dass ich von einer tatsächlichen Chronologie der Geschehnisse spreche. In der Catullforschung wurde bereits vielfach auf die Probleme hingewiesen, welche die Darstellung der Liebesgeschichten Catulls mit sich bringen. Man hat etwa versucht, die ‚richtige‘ innere zeitliche Reihenfolge der Lesbia-Gedichte zu rekonstruieren, weil sich dem Leser kein chronologischer Lesbia-Roman prä‐ sentiert, oder hat sich auf Aussagen zu den ersten carmina (2–26) beschränkt,715 in denen sich Zusammenhänge und Chronologien noch belegen lassen; so könne man zumindest in den ersten drei Gedichtpaaren716 die Liebesgeschichte in nuce, die von Glück bis zur Beendigung des Verhältnisses reiche, erkennen.717
715
716
717
So etwa die Ergebnisse von Stroh (1990) und Beck (1996). Stroh geht davon aus, dass c. 2– 26 als eigene Sammlung publiziert wurden (vgl. u. a. S. 136). Auch wenn sich in Strohs Aufsatz einzelne mittlerweile überholte Positionen finden, er nur die Anfangsgedichte betrachtet und etwa auch für c. 68 aufgrund der andersartigen Liebesdarstellung aus‐ schließt, dass darin auch Lesbia thematisiert wird (vgl. S. 145), sind seine strukturanaly‐ tischen Betrachtungen zur Axialsymmetrie bei der Gedichtanordnung äußerst präzise. Obwohl ich an der Publikation in Form von drei zusammenhängenden Büchern nicht zweifle, spricht dies nicht gegen die innere Strukturierung innerhalb der Polymetra. Ich unterscheide mich von Beck, der sogar von zwei libelli, einem „‚Lesbia‘-libellus“ und einem „‚Aurelius- und Furius‘-libellus“, spricht, eine Einheit des Korpus negiert und von einer posthumen Gesamtausgabe ausgeht (vgl. u. a. S. 69–81). Von den Einzelanalysen und Strukturbeobachtungen abgesehen ist zudem problematisch, dass er teils noch viele Gedichtelemente und Sprechhaltungen zu wörtlich und als Reaktion auf reale Begebenheiten aus Catulls Leben (mit entsprechenden Datierungsversuchen) sieht (vgl. u. a. S. 264 zur realen Liebe zu Clodia und S. 276 f. zu einer tatsächlich stattgefunden habenden Kritik von Furius und Aurelius). Die Erkenntnis, dass Catull häufig mit Gedichtpaaren arbeitet, reicht bis ins 19. Jahr‐ hundert zurück, vgl. Westphal (1870) 2–4 (im Rahmen der Überlegungen zur Anordnung der Sammlung und internen Zyklen, vgl. S. 2–24); vgl. für den Verweis auf Ergebnisse Westphals Beck (1996) 47–52, besonders 49. Auch in der neueren Forschung bleibt die Argumentation mit Gedichtpaaren Standard, vgl. u. a. Wray (1996) 69–72, Holzberg (2003) passim, Dyson (2007) und P. Miller (2007). So betont P. Miller (2007) 403 mit Verweis auf die einschlägige Forschung, dass es mittlerweile Konsens sei, dass der Beginn der Polymetra eine „encapsulated form of the narrative of the Lesbia affair as a whole“ darstelle. Diese verbreitete Ansicht stellt aber Holzberg (2003) in Frage, indem er die negativen Obertöne auch der passer- und der Kuss-carmina hervorhebt und damit ernsthafte Ansätze von „Liebesfreuden der
208
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
Dieses Bedürfnis des Lesers, aus den Lesbia-Gedichten als „Fragmenten einer Liebesgeschichte“718, aus der „relationship […] all jumbled up“719 ein zusammen‐ hängendes Narrativ zu spinnen, entspringt der Anordnung der Gedichte.720 Dabei ist ein logisches Rearrangement aber nicht notwendig, da ich – wie etwa auch Holzberg (2003), Wray (1996) und Dyson (2007) – denke, dass diese Erwartungshaltung durch Catull bewusst geschürt und enttäuscht wird; einen Liebesroman, wie man ihn etwa bei den Elegikern häufig in Ansätzen erkennen kann, bietet er nicht, auch wenn sich mehrere narrative Sequenzen deutlich erkennen lassen.721 Vielmehr geht es ihm darum, die Beziehung in Form von „Berichten und Reflexionen über bestimmte Aspekte des Verhältnisses“722 zu präsentieren und so zugleich die „Zwanghaftigkeit und Zeitlosigkeit der Affäre“ darzustellen, die ihm eine logische Reihenfolge unmöglich macht.723 Sowohl aus dieser ‚psychologisch‘ begründbaren Unfähigkeit als auch aus der intentio‐ nalen Darbietung in der überlieferten Reihenfolge ergibt sich eine andere Art der chronologischen Reihenfolge: Diese zeigt, wie sich das dichtende Ich die
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721
722 723
Frühphase einer Beziehung“ (S. 89) negiert, vgl. S. 88 f. Für eine genauere Betrachtung der Gedichte siehe meine Analyse der Liebeszyklen. Wray (1996) 72 (übers. Zitat). Dyson (2007) 254. Vgl. auch Janan (1994) 43: „We seek meaning – we interpret – in noticing the points of resemblance and difference between different parts of the Catullan corpus. We are invited to do so, by repetition and difference in subject matter and imagery […], but as well in meter, vocabulary, and the like. We are simultaneously frustrated, because the Lesbia cycle falls far short of the totality of a novel, a play, or an epic poem“ (zitiert auch in Wray [1996] 81 Anm. 68). Die Notwendigkeit dieses Verlangens wird für moderne Leser aber auch angezweifelt, vgl. Harrison in seiner Rezension (1995) 441. Janan betrachtet den Lesbia-Zyklus in einer linearen (aber auch durch weitere Korrespondenzen innerhalb der Carmina erweiterten, vgl. S. 38) Progression, auch mit Blick auf die Probleme der narrativen Entwicklung der Affäre (vgl. etwa auch S. 78). Dabei unterzieht sie die Gedichte bei ihren close readings einer komplexen psychoanalytischen Lesart Catulls (auf Grundlage ihrer Ausführungen zu Platon, Freud und Lacan) und fokussiert auch gender roles, wodurch sich ihr Schwerpunkt von meinem unterscheidet. Vgl. Holzberg (2003) 100 f. P. Miller (2007) passim hebt zurecht hervor, dass die narrativ zusammengehörigen Lesbia-Sequenzen genauso wie die Figur und die Komposition der Buchstruktur selbst aber klare Vorbilder für die späteren Liebeselegiker darstellen, die narrativ zusammenhängende (und an Romane erinnernde) Kollektionen erschaffen. Wray (1996) spricht von einem „roman de Lesbie“ (vgl. u. a. S. 68 u. 216), den – wie die Rezeptionsgeschichte zeigt – Catull wahrscheinlich bewusst so konzipiert hat, dass der Leser automatisch beginnt, daraus eine Liebesgeschichte zu rekonstruieren (vgl. S. 71 f.); in übertragenem Sinn kann man ja durchaus von einem ‚Roman‘ sprechen, der sich in seiner ‚inkohärenten‘ Reihenfolge dem Leser präsentiert. Holzberg (2003) 100 f. Vgl. Dyson (2007) 264 für die Ausführungen und das übers. Zitat.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
209
gemeinsamen Erlebnisse und die eigenen Emotionen sukzessiv vergegenwärtigt und diese beim Akt des Dichtens bzw. Berichtens erlebt oder nacherlebt und vor allem dem Leser in Form des ersten linearen724 Lektüreerlebnisses präsentiert. Noch eine Vorbemerkung: Die Catull-Forschung bedarf keiner wiederholter ausführlicher Einzelbetrachtung aller Lesbia- und Juventiusgedichte. Es ist mir auch nicht möglich, in der folgenden Analyse die gesamten umfangreichen Beobachtungen zu allen Einzelgedichten, den intratextuellen Verweisen und literarischen Vorbildern Catulls sowie zu den sich wandelnden Catull’schen personae zu referieren.725 Einzelbetrachtungen sind auch nicht mein Ziel. Schließlich geht es um eine globale Sicht auf die Zyklen, die ich in ihrer Dynamik neu akzentuiere. Denn meine rezeptionsästhetische Perspektive aus Sicht des die Remedia amoris verfassenden Ovid erlaubt es mir, auch wenn sich bereits Ansätze zyklischer Beschreibungen in der Forschung finden,726 eine
724
725
726
Dem widerspricht nicht, dass die komplexen Konstellationen der Gedichte dazu auf‐ rufen, die Gedichte immer wieder, und das auch unter Berücksichtigung der benach‐ barten oder motivisch bzw. inhaltlich verwandten Gedichte, zu lesen, vgl. P. Miller (2007) 403 mit Verweis auf Williams (1980) ix–x und Skinner (1981) 106. Eine umfassende, alle Carmina und ihre thematischen Verbindungen und Verweise betrachtende Analyse bietet etwa Holzberg (2003), der, basierend auf der älteren Ca‐ tull-Forschung und diese gleichzeitig revolutionierend, umfassende interpretatorische Akzente setzt und eine Grundlage meiner Betrachtungen ist, die ich aber u. a. um die Beiträge in den einschlägigen Catull-Kommentaren und die auf die Liebeszyklen spezialisierten Beiträge Dysons (2007) und, in kritischer Rezeption, auch Strohs (1990) und Becks (1996) ergänze. Ohne die emotionalen Höhen und Tiefen graphisch und detailliert zu betrachten, er‐ kennt auch Dyson (2007) Grundzüge dieser Entwicklung. So hebt sie hervor, dass die polymetrische und die epigrammatische Lesbia Macht über Catulls Herz hätten und ihm „ecstasy through love and misery through betrayal“ (S. 470) bringen könnten. Eine ähnliche, explizit aber nicht auf die Lesbia-, sondern die Freundschaftsgedichte bezogene, Beobachtung führt auch Wray (1996) 174 f. an. So beschreibe Catull jedes Mal, wenn eine Freundschaft verraten oder ein foedus zerbrochen sei, seine Enttäuschung wie die von Theseus verlassene Ariadne und wende sich zur Ausübung von Rache invektivischer Dichtung zu, sobald der „Schock des Verlustes und des Verlassenseins“ (übers. Zitat) vorbei sei. Wray bezeichnet diese Entwicklung als „thread running through the corpus of Catullus’ poems“ (S. 175). Zumindest für Teile des Lesbiazyklus lässt sich eine analoge lineare Abfolge der emotionalen Stufen erfassen. Aus Sehnsucht wird Glück, das aufgrund von Enttäuschung oder Verzweiflung, oft durch die Präsenz von Rivalen bedingt, in Hass, verbunden mit jambischen Schmähungen, umschlägt und schließlich sogar in renuntiationes münden kann, die jedoch in sich bereits das Potenzial zu einem neuen Beginn ähnlicher Kreisläufe tragen (siehe hierzu die Ausführungen in diesem Kapitel). Detaillierte graphisch visualisierte Betrachtungen der gesamten Zyklen mit Blick auf die emotionalen Stadien des Sprecher-Ich konnte ich in den genannten Forschungsbeiträgen nicht finden. Vgl. zu den verschiedenen, sich abwechselnden Zyklen als strukturelles Aufbauprinzip von c. 2–26 Skinner (1981) 39–68.
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‚neue‘ Sicht auf Catull, Lesbia und Juventius zu bieten. Auch die konsequente Zuordnung aller Lesbia- und Juventiusgedichte zu den einzelnen Emotionen und die Betrachtung der dabei entstehenden linearen Entwicklung der Emoti‐ onskurve erachte ich als neuen Akzent. Folgt man also der linearen Abfolge der Carmina, erkennt man das emotio‐ nale „Auf-und-Ab“727 des Ich und seine innere Instabilität, da es beim Bericht über seine Liebschaften zwischen fünf Stadien hin- und herschwankt728 und dabei mehrfach kleinere Zyklen eines ‚emotionalen Karussells‘ durchläuft: Das Glück/die Verliebtheit/eine positive Haltung der Geliebten gegenüber und der Wendepunkt/die Absage an die Liebe in Form einer renuntiatio amoris stellen die beiden Gegenpole im emotionalen Kontinuum der Persona/personae dar. Dazwischen kann man aber noch drei weitere Stufen der inneren Verfassung erkennen: zunächst ein Stadium, das ein grundsätzliches Erfüllungspotenzial in sich trägt und somit dem Glück als Ziel noch nahesteht, wie es sich in der Überwältigung durch die Geliebte oder in einer (potentiell) erfüllbaren Sehn‐ sucht zeigt. In der Mitte der Skala ist die sich oft aufgrund von Enttäuschung oder Eifersucht manifestierende Verzweiflung/Angst bzw. eine innere ‚Gefan‐ genschaft‘, der das Ich nicht entrinnen kann, zu lokalisieren, die sich sowohl zum positiven als auch zum negativen Extrem der Gefühle hin entwickeln kann. So steht sie einerseits dem Pol der Liebesbejahung grundsätzlich noch nah, da sie die innere Gebundenheit des Ich zum Audruck bringt. Andererseits kann sich daraus auch Hass entwickeln, eine Emotion, die, obwohl sie ebenfalls noch eine innere Abhängigkeit vom geliebten Menschen offenbart, zumindest auf rhetorischer Ebene nicht mehr fern von einer potentiellen Absage ist. Besonders prominente Manifestationen und Artikulationen dieses Hasses sind, so meine Prämisse, die jambischen Schmähungen, die probra dicta (vgl. rem. 697 f.), und Drohungen, die an den geliebten Menschen oder auch den Rivalen gerichtet sind und meist auf einer Form von Verletzung basieren. Denn in ihnen verbalisiert 727
728
Dieses Schwanken zwischen „Glück und Verzweiflung“ hat bereits Stroh (1990) 140 erfasst, wobei er die Lesbiagedichte von den Juventius-Gedichten abgrenzt, denen er einen „einheitlichen Ton“ und eine „derb-drollig[e]“ (ebd.) Art attestiert; weitere Ana‐ lysen zum „emotionalen Kontinuum“ der personae Catulls wie auch eine Betrachtung des emotionalen Spektrums, das Catull auch mit Juventius erlebt, finden sich aber nicht. Zu den beiden Extremen der Emotionen vgl. auch Beck (1996) 274, Dyson (2007) passim und Holzberg (2003) 179–191, P. Miller (2007) 403–406 zu den konträren, miteinander wettstreitenden Emotionen ab c. 68 bzw. 70. Ich bin mir bewusst, dass diese Einteilung keine unabdingbare Gültigkeit besitzt und auch eine vier- oder sechsgliedrige Skala überzeugen kann. An den grundsätzlichen Schlussfolgerungen würde aber auch eine leicht veränderte Kategorisierung m. E. nichts ändern. Auch Wray (2001) 80 spricht unter Bezug auf Janan (1994) von einem „spectrum“, das von „[c]ourtly love“ bis „misogyny“ reicht.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
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das Ich diese emotionale Situation plakativ. Dadurch, dass diese Gefühle und Äußerungen negativer und destruktiver Natur sind, stehen sie dem zweiten Pol näher. Die vertikale Anordnung dieser fünf emotionalen Stufen symbolisiert dabei die Hierarchie vom Höhepunkt (Glück) bis zum Tiefpunkt (Wunsch nach Beendigung des Verhältnisses). Dabei erkennt man die Inkonsistenz der Persona in der Art, wie sie – aus Sicht einer linearen Lektüre – über ihre Liebeserfahrungen spricht und dem Leser so ihre Geschichte erzählt. Betrachten wir zunächst den durchaus komplexen und umfangreichen Lesbia-Zyklus (die Ausführungen sind eine Erläuterung der Abbildungen 14 und 15). Ich zähle hierzu alle Gedichte, die sicher oder auch nur vermutlich von Lesbia handeln – denn auch wenn nur von amores oder einer puella die Rede ist, ist es m. E. doch nicht unwahrscheinlich, dass ein Leser wie Ovid die von Anfang an so prominente Figur Lesbia auch an den Stellen, die mehrdeutig sind, zumindest als Option mitgelesen hat; c. 40, das sowohl auf Lesbia als auch Juventius bezogen sein könnte, habe ich in beide Zyklen integriert (das jeweilige Fehlen oder Hinzufügen hat keine Auswirkungen auf die Gesamtdeutung der beiden Liebeszyklen).729 Insgesamt ergeben sich für das
729
Der „initial ‚cycle‘“ mit den Sperling-, Kuss- und renuntiatio-Paaren (vgl. Dyson [2007] 260) wird, auch wenn Lesbias Name nicht immer fällt, einstimmig zum Lesbia-Zyklus gerechnet (zumal Lesbia im ersten sie betreffenden Gedicht c. 2 nur als puella bezeichnet wird, vgl. S. 255). Obwohl sie nicht eindeutig von Lesbia sprechen, werden viele der nicht einheitlich betrachteten Gedichte c. 13, 32, 40, 42, 56, 60 recht häufig dem Lesbia-Zyklus zugerechnet. Holzberg (2003) spricht sich etwa für die Polymetra für eine Zahl zwischen 12 und maximal 18 Gedichten aus (vgl. S. 88) und nimmt 42 und 60 zum Lesbia-Zyklus dazu (vgl. S. 87–101). Zur Identifikation der puella in c. 13 mit Lesbia vgl. u. a. Dyson (2007) 261, Holzberg (2003), der Lesbia eine „Nebenrolle“ (S. 73) zuspricht, Goold (1989) 239 ad XIII, der darin die „Lesbia of happy days“ sieht; Godwin (1999) dagegen ohne Äußerung. In c. 32, 1 gibt es aufgrund eines textkritischen Problems mehrere Lesarten für die angesprochene Person (zur schwierigen Überlieferungssituation vgl. etwa Holzberg [2009a] 207–212); es finden sich u. a. Ipsitilla (so auch bei Mynors [1958]) oder ipsicilla (Codex Vaticanus, Handschrift R). Nach Kroll (1968) handelt es sich um einen „spezifische[n] Dirnenname[n]“ (S. 60 ad loc.); Vgl. Quinn (1970) 187 f. zur Identifikation mit einer Frau namens Ipsitilla; dagegen Godwin (1999) 149 ad loc., demzufolge der Name eine Erfindung und das feminine Diminutivum zu ipsa darstellt. Nach Holzberg (2003) 79 liegt ein Diminutiv für den Kosenamen der nicht immer namentlich genannten domina Lesbia vor. Die „neutrale“ (vgl. Holzberg [2003] 47) Bezeichnung mei amores in c. 40, 7 kann sowohl auf Lesbia als auch Juventius bezogen sein. Wegen der Stellung innerhalb des Themenblockes zu Lesbia ist nach Holzberg (2003) 80–83 wahrscheinlich Lesbia gemeint (ohne dass eine Identifikation mit Juventius auszuschließen ist). Vgl. für letztere Position u. a. Wray (1996) 99 f.; P. Green (2005) 225 zur Unmöglichkeit einer Identifikation oder Geschlechtsbestimmung; Godwin (1999) und Goold (1989) ohne Äußerung. C. 40 wie auch 42 fehlen bei Dyson (2007). C. 42 schließen auch u. a. Fordyce (1961) 192,
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erste Buch 18 und für das dritte 15 Lesbia-Gedichte,730 wobei sich innerhalb dieser Gesamtsequenz, wie überzeugend von u. a. Paul A. Miller (2007) dargelegt, mehrere innere Zyklen und narrative Sequenzen erkennen lassen, die meinem Ansatz einer zusätzlich umfassenden Lesart dabei aber nicht widersprechen. Auch die Gedichte, in denen sich Lesbia über ihre Liebe zu Catull äußert und sich somit ein Perspektivenwechsel vollzieht, sind in meine Analyse einbezogen, zumal diese carmina besondere Bedeutung für Ovids Argumentation in den Remedia entfalten. Mit dem beginnenden Paar der Sperling-Gedichte äußern sich gleichzeitig eine gewisse Form der Sehnsucht nach und Überwältigung von der Geliebten und die Verliebtheit Catulls im Rahmen der „coy erotics“731, die sich im sexuell aufgeladenen Spiel Lesbias mit dem Sperling und auch der emotionalen Be‐ schreibung ihrer Trauer um den toten Spatz zeigen. Doch schwingen zugleich auch obszöne und düstere Obertöne mit; so spricht Catull in c. 2 von seinen tristes animi curae, 732 und auch die Übertragung des toten Spatzes aus c. 3 auf die Impotenz Catulls erscheint möglich.733 Auch wenn der aufmerksame
730 731 732 733
Kroll (1968) 76 und Goold (1989) 244 indirekt oder direkt aus der Lesbia-Reihe aus (auch da sie die Beziehung zu Lesbia als zu rein und ernsthaft erachten). Quinn (1970) verweist auf die Zurückhaltung mancher früherer Forscher, Lesbia mit der moecha putida gleichzusetzen (vgl. S. 215), hält aber selbst Lesbia als Empfängerin der codicilli für wahrscheinlich (vgl. S. 216 f.). Für Godwin (1999) 160 ist die Bestimmung der Figur weder klar noch notwendig. Nach Holzberg (2003) wird voraussichtlich Lesbia angesprochen, wobei dann eine „vom Autor inszenierte Leserreaktion“ vorliege, da offenbar die in c. 36, 5 angesprochenen iambi so „diskriminierend“ gewesen seien, dass Lesbia diese „konfisziert“ habe (S. 97). In c. 56 geht er ebenfalls von Lesbia als puella aus (vgl. S. 47, auch zur Möglichkeit einer beschriebenen ménage à trois mit ihr und ihrem Sklaven, dem pupulus aus c. 56, 5). Godwin (1999) 177 hält die „identity of the boy (and the girl)“ für unwichtig. C. 60 wiederum wird häufig zu den Lesbiagedichten gezählt; vgl. u. a. Dyson (2007) zu den Kontrasten zwischen dem zarten Sperling des Anfangs und den wilden Kreaturen aus c. 60, wodurch „the depth of the poet’s despair“ (S. 265) demonstriert werden könne. Auch für Holzberg (2003) 93 handelt es sich bei der Adressierten wahrscheinlich um Lesbia; dies sei auch bei Kommentatoren meist üblich, wie Godwin (1999) 182 anführt. Die schlechte Überlieferungssituation erschwert aber letztgültige Aussagen, v. a. auch über antike intertextuelle Rezeptionen Catulls und die wahrgenommene Reichweite der Lesbia-Gedichte. Es handelt sich um c. 68 als Teil der vier einleitenden Elegien des dritten Buches (Holzberg [2003] u. a. 163) und die folgenden 14 Lesbia-Epigramme (vgl. S. 179). P. Miller (2007) 403. Vgl. hierzu auch Holzberg (2003) 88, der heraushebt, dass man von Anfang an nicht von einem „Stadium des Liebesglücks“ sprechen könne, da die negativen Aspekte zu präsent seien. Vgl. Giangrande (1975), besonders 490 f. und 493 f., und auch Holzberg (2003) 64 f. und 88. Dass diese m. E. überzeugende These nicht immer auf Zustimmung trifft, zeigt
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
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Leser somit von Beginn an ‚Klänge‘ vernimmt, die auf eine Trübung der Beziehung hinweisen, lässt sich doch die gleichzeitig potentielle Erfüllung der erotischen Wünsche nicht verneinen.734 Im Folgenden präsentiert Catull, wie sich in den Kussgedichten c. 5 und 7 zeigt, wie glücklich er scheinbar mit Lesbia ist, wobei auch in diesen Gedichten, besonders in c. 7, erneut Zeichen einer „slight discordance“735 zu erkennen sind – von einem zumindest bei der Persona „subjektiv […] ungetrübte[n] Glücksgefühl“736, wie Stroh es nennt, kann man noch in Teilen und wenigstens bei einer naiv-primären Lektüre sprechen. Darauf folgt mit der Pendelbewegung zum anderen emotionalen Extrem in c. 8 die erste renuntiatio amoris, die mit einem Appell an die eigene Person beginnt: Miser Catulle, desinas ineptire (V. 1). Im Gedicht zeigt sich aber die akute Rück‐ fall-Gefährdung des Ich, die schon darauf hinweist, dass es sich nicht wirklich um einen ernsthaften Endpunkt in der Beziehung handeln kann: Es imaginiert das vergangene Glück lebhaft, drängt sich selbst insistierend zur Aufgabe der Liebe mithilfe zahlreicher Imperative und bezeichnet sich schließlich selbst als destinatus (V. 19), also mit einem Terminus, der in der femininen Form normal für eine an einen Mann gebundene bzw. mit ihm verlobte Frau verwendet wird.737 Trotz der Selbstaufforderung obdura (V. 19)738 verweist dies also auf die weiterhin bestehende Stärke von Catulls „Hörigkeit“739 Lesbia gegenüber.740 Zum
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exemplarisch Dyson (2007) 257, die Argumente für und gegen die obszöne Lesart des Sperlings als Penis anführt. Die Gleichzeitigkeit beider Interpretationen wird in der Graphik dadurch repräsentiert, dass die gestrichelten Linien in Richtung der Emotion Verzweiflung/Enttäuschung zeigen. Vgl. Dyson (2007) 258 f., da etwa in c. 5 bereits die Fokussierung auf Geld und in c. 7 „loss of innocence“ durch die Betonung der „adulterous nature“ der Beziehung (etwa durch die Nennung von Silphium und dem notorischen Ehebrecher Jupiter) Einzug nehmen. Vgl. auch Holzberg (2003) 88, der in der Betonung der Küsse sozusagen Nachwehen der vorangegangenen Impotenz sieht. Stroh (1990) 137. Vgl. Holzberg (2003) 90 und Keul (1989) 321. Bei der näheren Interpretation des letzten Verses von Catull. 8 geht Keul auf die Effeminisierung Catulls ein, die mit der Bezeichnung als destinatus einhergeht. Für die Entdeckung zu destinatus vgl. Koster (1981) 127 f. Holzberg (2003) 90 verweist darauf, dass carmen 8 auf das in Komödien präsente „Hetärenmilieu anspielt“ und Catulls „übertriebenes Pathos […] Zweifel an der Ernst‐ haftigkeit seine Worte“ hervorruft; da obdurare auf Erektionen verweisen könne, werde der ernsthafte Versuch der renuntiatio ebenfalls konterkariert. Holzberg (2003) 89, der auch hervorhebt, dass Lesbia in c. 8 wie auch an anderer Stelle hetärenhafte Züge trage und nur mit Catull spiele. Vgl. Keul (1989) 304–323 für eine ausführliche Analyse der Schwankungen des Ich zwischen Liebe und Absage. Wenn sie schlussfolgert, dass c. 8 mit demselben Konflikt der widerstreitenden Gefühle, mit dem es begonnen habe, ende und dass es eine Lösung nicht zu geben scheine (S. 323), bleibt sie in ihrer Perspektive auf die motivische
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renuntiatio-Paar der Polymetra gehört neben carmen 8 auch carmen 11, in dem Catull Furius und Aurelius dazu auffordert, seiner Geliebten pauca […] / non bona dicta (V. 15 f.) zu überbringen. Dieser verbindet seine renuntiatio 741 mit einer Schmähung Lesbias, da er sie als untreue „Nymphomanin“, die Unterleibe von sogar dreihundert Männern „zerrüttet“742 und somit Rivalen den Vorzug gibt, diskreditiert (vgl. 17–20), bevor er in der letzten Strophe metaphorisch die Tiefe seiner Liebeswunde zum Ausdruck bringt.743 Dem folgt, nachdem Lesbia vermutlich in c. 13 als feste Gefährtin Catulls erwähnt wird,744 wiederum der Wunsch nach einem gemeinsam verbrachten Mittagsschlaf, dem keine äußeren Hindernisse im Wege stehen (illud adiuuato, / ne quis liminis obseret tabellam, / neu tibi lubeat foras abire, / sed domi maneas paresque nobis / nouem continuas fututiones, c. 32, V. 4b–8). An dieser Stelle äußert sich m. E. sowohl die Sehnsucht des Sprecher-Ich als auch ein Hauch von Verzweiflung, wenn man die vorsichtigen und ängstlichen Bitten betrachtet, dass sie ihn nicht abweisen solle.745 Mit c. 32, oder spätestens 36, beginnt ein zweiter interner Zyklus, nachdem dem Leser in den Anfangsgedichten bereits das emotionale Spektrum von Glück bis Abkehr von der Geliebten präsentiert worden ist.746 Der Tonfall ändert sich dabei in c. 36–43, wobei Catull es im Paar c. 36 und 37 schafft, „intense emotion, intellectual playfulness, and scatological crudity“747
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Entwicklung der „Liebe im Widerstreit“ verhaftet, ohne dass sie genauer die Stellung des Gedichts innerhalb des Liebeszyklus betrachtet. Von Keul (1989) wird dieses Gedicht mit in die Reihe der „Liebe im Widerstreit“-Texte übernommen. Zur Zugehörigkeit zu den renuntiatio-Gedichten vgl. u. a. Cairns (1972) 80 und Dyson (2007) 260. Vgl. die Übersetzung der fünften Strophe bei Holzberg (2009a) 21. Vgl. Dyson (2007) 261. Für die weibliche Selbstdarstellung und damit den Rollentausch von Lesbia und ihm nicht nur in c. 8, sondern auch c. 11 vgl. u. a. auch Holzberg (2003) 90–93 und allgemein zur kallimacheischen, femininen sexuellen Persona als Kontrast zur hyper-maskulinen Persona Wray (1996) passim, v. a. 137–176. Vgl. Holzberg (2003) 93. Die Zuordnung zur Kategorie „Glück“ aufgrund der mögli‐ cherweise positiven Beziehungsstruktur, die in diesem Moment vom Catull’schen Ich imaginiert wird, erscheint mir hier plausibel, wenngleich Lesbia in diesem Gedicht keine Hauptrolle spielt. Vgl. an dieser Stelle auch Dysons (2007) 261 Beobachtung, dass mit c. 13 der anfängliche Lesbia-Zyklus zu „harmless fun“ zurückkehre und so einen komischen Aspekt in die Lesbia-Geschichte einbringe. Zum Aspekt der Sehnsucht vgl. Holzberg (2003) 80. Zur Möglichkeit, dass es sich um keine Ipsitilla, sondern um Lesbia handelt, siehe oben Anm. 729. Siehe hierzu oben Anm. 729 und vgl. auch Holzbergs (2003) 87 Beobachtung, dass in c. 1–34, also in der ersten Buchhälfte, Themen vorgestellt würden, die sich in der zweiten Hälfte erneut fänden. Dies passt zu meiner Analyse, die darauf abzielt, dass das Ich auch wiederholt verschiedene emotionale Stadien durchläuft. Zum invektivischen Paar c. 36 und 37 vgl. auch Wray (2001) 75–87. Dyson (2007) 262.
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zu vereinen: Lesbia wird als pessima […] puella (c. 36, 9) dargestellt, die keine Ahnung von der Literatur Catulls hat, der wiederum als Jambiker auftritt. Auch scheint sie zuvor selbst, wie in diesem Gedicht Volusius, Opfer von Catulls jambischen Schmähungen geworden zu sein (vgl. V. 4 f.), weshalb sie um Versöhnung bittet.748 Eine Kostprobe der jambischen Schärfe gegenüber Lesbia und Catulls Rivalen findet sich dabei im Folgegedicht, wobei die komischen Töne, die Catull wie einen miles gloriosus erscheinen lassen,749 deutlich sind. Aus der typisch jambischen „Position der Schwäche“750 heraus droht Catull den Wirtshausbesuchern als Rivalen die Irrumatio an, da sie sich alle mit seiner puella […], quae […] / amata tantum quantum amabitur nulla (c. 37, 11 f.),751 vergnügen – in diesem carmen artikuliert Catull somit sowohl Verzweiflung als auch jambisch motivierte Abneigung. Jamben werden nach Catulls Zorn auf Cornificus in c. 38752 auch in c. 40 gegen Ravidus als Rivalen geschleudert, was ebenfalls Verzweiflung in der Liebe (ob zu Lesbia oder Juventius, ist unklar)753 implizieren kann. Möglicherweise wird Lesbia daraufhin (c. 42) sogar als moecha putida beschimpft, da eine namentlich nicht genannte Frau Catulls 748
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Vgl. Wray (1996) 214–220 zur Interpretation dieses carmen und den in diesem Gedicht zusammentreffenden personae Catulls (der Persona in den Invektiven und derjenigen in den Lesbia-Gedichten). In den Polymetra handelt es sich dabei neben c. 7 um das einzige Gedicht, in dem Lesbia selbst zu Wort kommt, vgl. Dyson (2007) 262. Vgl. u. a. Wray (2001) 85 f. Holzberg (2003) 48. Vgl. zur intratextuellen Verbindung mit Catull. 8 (durch die fast wörtliche Wiederauf‐ nahme von V. 5) u. a. Wray (2001) 82 f. Wray referiert die treffenden Analysen von Thomas (1984) und Skinner (1971), die durch Parallelen zur Komödie bei Menander und Plautus an der „‘Aufrichtigkeit’“ von c. 8 zweifeln (S. 83, übers. Zitat). Vgl. S. 83–87 zu c. 37, wobei Wray auch für dieses carmen Parallelen zur Komödie nennt, aber herausstellt, dass es nicht primär um die Beziehung zu Lesbia gehe. „The exchange or message […] is ‘homosocial’“, es gehe um Catulls Verlust von „manhood“ (S. 87) gegenüber seinen contubernales – „neither ‘courtly love’ nor even ‘misogyny’ functions in the represented interiority of the poem’s speaker“ (ebd.). Wrays interpretatorischer Akzent, dass viele Lesbia-Gedichte vor allem von „Catullan poetics of manhood“ (S. 68) motiviert seien, kann neben meinem eigenen bestehen bleiben, da die Annahme einer intendiert naiven Lesart anderen, tieferliegende Bedeutungsschichten betrach‐ tenden Interpretationen nicht widersprechen muss. Wrays (2001) 107 f. These, dass die Lesbia-Gedichte, etwa c. 51 im Kontrast mit c. 36 und 37, zu verschiedenen „order[s]“ gehören (vgl. S. 108), ist für meine Sicht ebenfalls nicht primär relevant. In c. 38, 6 findet sich wie in c. 40, 7 die Formulierung meos amores. Die Interpretation dieses carmen ist jedoch schwierig, was an der sprachlichen (elliptischen), mehrdeu‐ tigen Gestaltung von V. 6 und meos amores liegt. So könnte sowohl gemeint sein, dass der Zorn sich auf Cornificus als Rivalen bezieht (vgl. etwa Holzberg [2003] 81, der das Gedicht dem Lesbia-Zyklus zurechnet) als auch, dass Cornificus seine Liebe zu Catull nicht erwidert habe, vgl. die Diskussion bei Quinn (1970) 207 ad 38, 6. Siehe oben Anm. 729.
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codicilli gestohlen hat – vielleicht, um Catull von der weiteren Produktion sie schmähender Jamben in Form von hendecasyllabi abzuhalten?754 Mit c. 43 beginnt Catull sich emotional Lesbia wieder zuzuwenden, indem er der hässlichen Ameana keine Vergleichbarkeit mit Lesbia zuspricht (tecum Lesbia nostra comparatur?, V. 7) – wie der spätere Leser indirekt durch Ovid weiß, ist dies aber keine bewährte Strategie, falls man Rückfällen vorbeugen will. Um emotionale Distanz zur Geliebten aufrecht zu erhalten, müsste man sich nämlich ein gegenteiliges Verhalten angewöhnen und sein Mädchen vielmehr mit schöneren und begabteren Frauen vergleichen (vgl. das praeceptum in rem. 707–714). Auch wenn die Natur der Unvergleichbarkeit Lesbias nicht weiter geklärt wird,755 kulminiert die Sicht auf Lesbia schließlich in c. 51, dem Gipfel von Catulls Überwältigung, als er sie erblickt und einer Ohnmacht nahe ist. Ob dies, wie häufig vermutet, den eigentlichen Beginn des Lesbia-Narrativs darstellt, ist dabei irrelevant, da es mir darum geht, in welcher Reihenfolge die emotionalen Stadien referiert und vom Ich sowie vom Leser (wieder) durchlebt werden. Liest man die Geschichte der Reflexionen über Lesbia also linear, verdeutlicht dies einen erneuten gedanklichen Rückfall in Catulls emotionale Abhängigkeit von der Geliebten, zumal sich in diesem Gedicht die „obsessiveness and time‐ lessness“ der Affäre, wie sie Dyson identifiziert hat, manifestiert.756 Eine gewisse Distanzierung zeigt sich in Catulls Reaktion auf Lesbias Un‐ treue, die er überraschenderweise als witzig empfindet und, vielleicht, scheinbar unbedarft zu einer ménage à trois nutzt (vgl. c. 56),757 wobei ich auch hier die Möglichkeit impliziter Enttäuschung aufgrund eines existierenden Rivalen nicht von der Hand weisen möchte. C. 58 zeigt jedoch klar, dass Verzweiflung und
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Vgl. Holzberg (2003) 97 zu dieser Deutung von c. 42. Vermutlich ist die Aussage so zu lesen, als wäre Lesbia aufgrund ihrer herausragenden Schönheit nicht mit Ameana vergleichbar. Doch auch hier ist, nach so vielen aus‐ geführten oder rückblickend erwähnten jambischen Äußerungen gegenüber Lesbia und/oder Catulls Rivalen, zu bedenken, dass die mangelnde Vergleichbarkeit aus der anderen Pespektive intendiert sein könnte, also dass Lesbia noch hässlicher als Ameana ist und Lesbia dadurch indirekt geschmäht wird, vgl. Holzberg (2003) 82 und 97, auch zur Zusammengehörigkeit des Gedichtpaars c. 41/43. Letztgültig ist dies nicht zu entscheiden, wobei ich doch bei einer primär naiven Lesart vermute, dass die erste Deutung plausibler ist, auch wenn man aus der Retrospektive des positiven Lesbiagedichts (c. 51) eine möglicherweise zweideutige Interpretation überdenkt. Denn in diesem Gedicht ist Catull allzu bereit, seine eigene emotionale Überwältigung durch Lesbia zum Ausdruck zu bringen. Vgl. Dyson (2007) 264 für das Zitat und die Beobachtungen und Janan (1994) 71 zur Unmöglichkeit, aus c. 11 und 51 eine „narrative sequence“ abzuleiten. Ich folge hierbei Holzberg (2003) 47, siehe auch die kurze Diskussion zum Gedicht oben Anm. 729.
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Verletzung in Bezug auf Lesbia und ihre fehlende Bindung an Catull dominieren, da er schildert, wie sie an öffentlichen Straßen die Remi nepotes felliert758 – dieses jambische Moment mündet am Ende des ersten Buches schließlich in einen erneuten Ausdruck seiner inneren Verzweiflung,759 wenn er Lesbia als Spross einer grausamen Löwin und Skyllas bezeichnet, die ihn als supplex im Stich lässt (vgl. c. 60). Mit einer „jambische[n] puella“760 wird also das erste Drittel des Korpus abgerundet. Das Bild einer von Übertreibungen geprägten polymetrischen Lesbia ver‐ ändert sich im dritten Buch, wie man auch an sich wandelnden Themen und dominierenden Metaphern erkennen kann.761 Doch auch innerhalb dieser Neuakzentuierungen ändert sich ein Strukturmerkmal nicht: Catull berichtet weiterhin von Erlebnissen, die zum Schwanken zwischen den Extremen im emotionalen Kontinuum führen, und präsentiert dadurch weitere interne Zy‐ klen eines instabilen Catull’schen Erzählers, dessen jambische Seite in c. 79 noch sichtbar ist. 758
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So auch Dysons (2007) Beschreibung von Lesbias „indiscriminate sexual rapacity“ (S. 264). Holzberg (2003) 98 hält die sexuellen Konnotationen von glubere, also der Aktivität, der sich Lesbia widmet, für dominant und referiert dabei eine Entdeckung Randalls (1979), demzufolge das Verb die Mundbewegung der Fellatio nachbildet; die Parallelen zur oral befriedigenden Lesbia aus c. 11 würden zudem das entstehende Bild der fellierenden Lesbia unterstützen. Vgl. auch Adams (1982) 74 zum Gebrauch von glubo „metaphorically […] of the act of retracing the foreskin“, wobei Catull in c. 58, 5 Adams zufolge nicht klar mache, ob es sich um „manual, oral or vaginal stimulation“ (S. 168) handle. Cairns (1972) rechnet wie auch McKeown (1998) 169 ad am. 2, 9 dieses carmen zu den repräsentativen Formen einer renuntiatio amoris (vgl. S. 80), da der sekundär für diese Gattung relevante Topos „[t]he Lover’s previous sentiments for the beloved“ (ebd.) in den Versen 1–3 sowie eine Erwähnung von „[t]he Lover’s rivals/successors“ (S. 81) in den Versen 4–5 zu finden seien. Diese Ausführungen sind überzeugend, wobei ich aber den aktiven Akt der renuntiatio, wie man ihn etwa in c. 8, 11 und 76 deutlich erkennen kann, an dieser Stelle nicht finde. Es scheint mir offensichtlicher, auf die jambischen und den Blick auf Lesbia ‚verdüsternden‘ (vgl. Dyson [2007] 264 f.) Momente hinzuweisen. Vgl. u. a. Dyson (2007) 265. Holzberg (2003) 100. Auf die das Buch rahmende Funktion der Gegensätze von Sperling und wilder Löwin, mit der Lesbia in c. 60 verglichen wird, sei hier nur am Rande hingewiesen, vgl. auch Holzberg (2003), der für die Beschreibung des ersten Buches die Überschrift „Vom Sperling zur Löwin“ wählt (S. 87), und Dyson (2007) 265. So unterscheidet Dyson (2007) für die drei Bücher drei unterschiedliche Lesbia-Figuren. Neben der polymetrischen Lesbia und der Lesbia des c. 68 identifiziert sie eine epigram‐ matische Lesbia im letzten Buch, deren Rolle und auch Beschreibung sich gewandelt hätten. Die ‚erste‘ Lesbia sei noch durch (v. a. auch numerische) Übertreibungen und eine rein physische Erscheinung im Korpus präsent; ab c. 70 zeichne sie sich durch „divinity, power, and adulthood“ (S. 269) aus. Auch Holzberg (2003) unterscheidet die jambische puella der Polymetra von der elegischen puella des dritten Buches (vgl. u. a. S. 100 f.).
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Eine zunächst positivere Perspektive auf Lesbia bietet der Anfangsteil des dritten Buches. So schildert Catull in der Briefelegie762 an Allius, wie dieser ihm zu einem früheren Zeitpunkt in Liebesangelegenheiten mit Lesbia geholfen und auch ermöglicht hat, dass er seine Herrin zu communes amores (vgl. c. 68, 69) treffen könne, vgl.: isque domum nobis isque dedit dominam 763 (V. 68). Wenngleich der Zeitpunkt in der Vergangenheit liegt, wird das Glücksmoment an dieser Stelle in den Carmina imaginiert. Und genau diese Erinnerung ist es, die Catull wieder innerlich an Lesbia annähert und seine fortdauernde Bindung an Lesbia demonstriert – was Ovids späteren Hinweis in den Remedia aus Lesersicht sozusagen retrospektiv bestätigt: admonitu refricatur amor uulnusque nouatum / scinditur: infirmis culpa pusilla nocet (rem. 729 f.). Auch wenn der Aspekt der ewigen Bindung für das dritte Buch weiter dominant sein wird, bleibt c. 68 nicht bei diesen Glück evozierenden Erinnerungen. Denn fast alle der im ersten Buch bereits präsentierten Phasen werden zudem in c. 68 sichtbar. Catull rekapituliert in seinem Überblick über den Beginn der Affäre schließlich auch erste Anzeichen von Lesbias Untreue mit einem vir als Rivalen Catulls764 und Catulls Unsicherheiten im Umgang damit (vgl. V. 131–148).765 C. 68 stellt also in nuce eine Zusammenfassung verschiedener Phasen der Beziehung dar und umfasst Empfindungen von Glück über Sehnsucht bis hin zu Verzweiflung; Catull versucht, seine Geliebte zu idealisieren, erkennt jedoch schließlich sein Scheitern in dieser Hinsicht766 – dem Leser begegnet ein „step-by-step collapse of the Romantic vision“.767
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Vgl. P. Miller (2007) 410–413 zu c. 68 als Vorläufer der römischen Elegie und S. 401–404 zu Catulls Carmina als „first example of the composition of a self-conscious poetic collection in Latin“ (S. 403), wobei „multi-temporal and self-reflexive poetic subjectivity“ – von Miller als „lyric consciousness“ (S. 404) bezeichnet – zur Schau gestellt werde. Ich folge hier nicht Mynors (1958) Version dominae, sondern wähle mit Holzberg (2009a) 211 (Anmerkungen zu „Überlieferung und Textkritik“) die in V (Codex Veronensis) verzeichnete Lesart dominam. Ob es sich dabei um Lesbias Ehemann oder ihren Hauptliebhaber (vgl. z. B. Holzberg [2003] 171) handelt, möchte ich an dieser Stelle nicht weiter problematisieren, da es für meine Argumentation nicht von Relevanz ist, zumal klar ist, dass „Catull sich als ‚Dritter im Bunde‘ auf jeden Fall nach Lesbias Wünschen richten“ (ebd.) muss. Vgl. P. Miller (2007) 403 für die Bedeutung des Motivs. Er stellt zudem heraus, dass die Entwicklung im mit c. 68 beginnenden zweiten Teil der Lesbia-Erzählungen nicht mehr narrativ wie in den Polymetra, sondern v. a. analytisch strukturiert sei, und verweist dabei auf die dazu einschlägigen Forschungsergebnisse (ebd.). Die Bedeutung des kunstvollen Aufbaus, der mythologischen Exempel und der Selbstpräsentation der Persona in dieser komplexen Elegie seien hier nicht weiter erörtert. Vgl. Hinds (1987) 8. Zitat von Lyne (1980), zitiert u. a. in Hinds (1987) 8.
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Auch im weiteren Verlauf des dritten Buches der Carmina gibt es eine Absage an die Liebe ‚inklusive‘ Rückfall und Wunsch nach einer gemeinsamen Zukunft, also eine erneute emotionale ‚Berg- und Talfahrt‘ mit einem offenen Ende. Denn es finden sich zwei weitere interne Zyklen: Stellt „odi et amo“ in c. 70–85 noch das strukturierende Motiv dar,768 steht der abschließende Zyklus unter der Ägide der amicitia und ist von jambischen Äußerungen gegenüber Lesbia frei.769 C. 70 beginnt zunächst auch positiv, da Lesbia ihre Hingabe an Catull bekundet (vgl. c. 70, 1 f.). Doch der sie liebende und somit seine Sehnsucht nach ihr offenbarende Sprecher (vgl. cupido […] amanti, V. 3) erkennt die sprichwörtliche Nichtigkeit ihres Liebesschwurs, wodurch innerhalb dieses Gedichts schon ein Moment der Desillusionierung zum Vorschein kommt.770 Das direkt auf c. 70 reagierende c. 72771 führt die Trübung des Tonfalls hin zu einer Form der Enttäuschung und des Gefangenseins fort, da die offensichtlich fortdauernde Untreue Lesbias Catulls Meinung von ihr verschlechtert, während seine innere, noch stärker gewordene Gebundenheit aber weiterhin nicht negiert werden kann (nunc te cognoui: quare etsi impensius uror, / multo mi tamen es uilior et leuior, c. 72, 5 f.). Diese Perspektive findet ihre Entsprechung in carmen 75, in dem Lesbia die culpa (vgl. c. 75, 1) für die dichotome Gefühlslage zwischen Hass und Liebe zugerechnet wird. Bevor diese Doppelformel aus „hassen und lieben“ in c. 85 ihre berühmte Manifestation erfährt und die Abhängigkeit Catulls in Liebesdingen verrät, erfolgt die dritte große Absage an Lesbia in c. 76, welches den Lesbia-Zyklus 768 769
770 771
Vgl. P. Miller (2007) 403 zum mit c. 72 beginnenden „Thema“: „the poet’s inability either to esteem his beloved or to stop loving her.“ Vgl. auch Holzberg (2003) 180. Diese zusammengehörige Sequenz beginnt für Miller bereits mit c. 68, vgl. S. 405. Vgl. Dyson (2007) 270. Für sie ist das amicitia-Motiv das gesamte letzte Buch über dominant, was ich jedoch etwas zu vereinfachend finde. Holzberg (2003) 179 f. verweist auf die symmetrische Aufgliederung der 14 Lesbia-Epigramme in zwei Gruppen à sieben Epigramme. Während das Thema der ersten Gruppe Catulls Reaktion aufLesbias Treulosigkeit sei, gehe es in der zweiten Gruppe um seinen Wunsch nach einer ewigen Bindung, einer Hoffnung auf eine „unbegrenzte Fortdauer (der) Liebe“ in Analogie zum Wunsch nach Fortleben seiner Dichtung. Vgl. P. Miller (2007) 403. Die beiden Gedichte können als Diptychon angesehen werden. Diptycha können mit McKeown definiert werden als „dramatic sequence or […] variations on the same theme“ und finden sich nicht nur an dieser Stelle, sondern sind sowohl an anderen Stellen in der römischen Liebeselegie als auch im hellenistischen Epigramm präsent (für das Zitat und eine exemplarische Aufzählung von Beispielen sowie der Schwierigkeit, teilweise zwischen Diptycha und Einzelelegien mit „internal dramatic changes“ zu unterscheiden, vgl. McKeown [1989] 309 ad am. 1, 11). Vgl. ohne Verwendung des Diptychon-Terminus, aber unter Betonung der Zusammengehörigkeit von c. 70 und 72, auch P. Green (2005) 256 ad 72.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
vorläufig zu beenden scheint und das „Ringen Catulls mit sich selbst“772 sowie mit dem Wunsch nach einer Terminierung des morbus taeter (vgl. V. 25) und der damit einhergehenden Unfähigkeit, dies selbst zu tun, endet.773 Doch bereits drei Gedichte später verrät sich das elegisch-jambische Ich des dritten Buches erneut, wenn es den Fellator Lesbius als Lesbias Liebhaber schmähend bloßstellt (vgl. c. 79) und somit von einer inneren Loslösung von der Geliebten noch weit entfernt ist. Auch wenn in c. 83 Lesbias Gefühle (die in ihren Schmähungen inhärente Zuneigung zu Catull, die ihren Ausgangspunkt in der nicht von der Liebe geheilten Lesbia hat, vgl. 83, 3 f. und 6) thematisiert werden, lässt sich in der Beschreibung durch Catull sein Optimismus und ein grundsätzliches Glückspotenzial für die Beziehung erkennen.774 Aus der in c. 85 wiederum erkennbaren Qual des Ich, das zwischen den emotionalen Eckpunkten Liebe und Hass gleichermaßen und ohne Aussicht auf ein Ende des Dilemmas gefangen ist,775 wird schließlich erneut eine positive Hinwendung an die Geliebte, da Catull im Anschlussgedicht die unübertreff‐ liche Schönheit Lesbias lobt (vgl. c. 86, 5). Die Erinnerung Catulls an seine eigene Treue folgt darüber hinaus in c. 87. Da Catulls Loyalität aber als einseitig präsentiert wird, trübt sich eine eindeutig positive Sicht auf die emotionale Lage Catulls; vielmehr zeigt sich darin auch eine Form der Verzweiflung.776
772 773
774
775 776
Keul (1989) 333. Keul (1989) betont die Verbindung der carmina 8 und 76, wobei das letztere die Unmög‐ lichkeit einer wirklichen Absage an die Liebe und dadurch die stärkere emotionale Verzweiflung des Ich akzentuiert. Für eine detaillierte Interpretation von c. 76 mit einem Ergebnis, das sich mit meiner Beschreibung des Liebeszyklus als „Geschichte eines Rückfalls“ deckt, vgl. S. 323–341: So bezeichnet Keul Catull, wie er sich in c. 76 präsentiert, als „Gefangene[n] seiner eigenen Leidenschaft“, der sich von der Liebe zwar lösen will, aber nicht imstande ist, dies zu tun (S. 341). Holzberg (2003) 183 verweist, auch mit Blick auf das zur Schau gestellte „Pathos der Virilität“, zudem auf die Parallelen zu ähnlichen Szenen in der Neuen Komödie, was Zweifel an Catulls Fähigkeit, die Beziehung wirklich zu beenden, wecke. Dyson (2007) 272 beschreibt die Veränderung der Stimmung, der Verwandlung von „depressive seriousness of the previous poem“ in „a sense of hope and humor“. Auf die Bedeutung dieses carmen v. a. auch für die Rezeption in den Remedia siehe unten S. 241–247. Vgl. Keul (1989) 346. Ihr Resümee, dass „sich das Dilemma von Haß und Liebe doch bis in alle Ewigkeit fortzusetzen“ (S. 346) scheint, entspricht ebenfalls meiner Sicht auf den Liebeszyklus als einer nicht endenden Abfolge aus Verliebtsein, Absage und Rückfall. So auch P. Green (2005) 261 ad 87.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
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Dagegen häufen sich Glück referierende Berichte des Ich zum Ende hin.777 Denn Catull berichtet nicht nur von Lesbias erneuter Hingabe (restituis cupido atque insperanti, ipsa refers te / nobis, c. 107, 5 f.) und seiner eigenen Ekstase (quis me uno uiuit felicior?, V. 7). Am Ende des Lesbia-Zyklus imaginiert er sogar ein aeternum hoc sanctae foedus amicitiae (c. 109, 6) und nimmt, anders als zuvor, Lesbias Schwur an und bezweifelt seine (Auf-)Richtigkeit nicht. Doch ist auch diese Schlussentwicklung nicht in sich konstant – denn in c. 92, in dem wie in c. 83 ein Perspektivwechsel auf Lesbias Verhalten erfolgt und Catull dabei, wie noch gezeigt wird, seine eigene ununterbrochene Verfallenheit ex negativo beschreibt, findet sich in anderen Worten erneut die vorher exzessiv repräsentierte „odi et amo“-Formel: deprecor illam / […] amo, V. 3 f.778 Dabei wird also das Gefangensein Catulls zwischen Schmähen und Lieben, zwischen deprecari und disperire (vgl. V. 3 f.) artikuliert; Catull benutzt seine Selbstaussage, um sich pathetisch der Liebe Lesbias zu versichern, da sich diese wie er verhalte; eine sichere Bestätigung der Gefühle findet sich an dieser Stelle noch nicht.779 Wie die Kurven in den Abbildungen zum großen Lesbia-Zyklus zeigen, sind die emotionale Erregung Catulls und der Wechsel zwischen dem (scheinbaren) Wunsch nach Beendigung der Liebesqualen und dem temporär vergegenwär‐ 777
778
779
In den ‚Abschiedsgedichten‘ (vgl. Holzberg [2003] 187) rekurriert Catull vermutlich auch in c. 100 auf die Beziehung zu Lesbia, wenn er sich an Caelius’ frühere Hilfe (zum Zeitpunkt cum uesana meas torreret flamma medullas, V. 7) erinnert. Das Adjektiv ruft dabei c. 7, 10, uesano (vgl. Quinn [1970] 439 ad 100, 7), auf, wodurch der Bezug auf Lesbia wahrscheinlich wird (vgl. Holzberg [2003] 188). Die Rekurrenz auf den vergangenen Liebeswahn lässt das carmen m. E. am besten im Kontinuum zwischen der 1. und der 3. Stufe einordnen, da sowohl Verliebtheit als auch inneres Gefangensein und Verzweiflung zum Ausdruck gebracht werden können. Die Frage nach der Deutung von c. 104 ist nicht leicht zu beantworten. Catull behauptet, Lesbia nie geschmäht zu haben (was er aufgrund seiner Zuneigung auch nicht gekonnt hätte), und scheint zunächst dem zu widersprechen, was er in c. 83 und 92 behauptet hatte (Schmähungen als Zeichen von Liebe). Quinn (1970) 443 f. ad c. 104 zufolge kann man keine sichere Aussage über das Gedicht treffen, da eine andere Art von Attacke gemeint sei als in c. 83 und 92. P. Green (2005) 266 erachtet c. 104 deshalb als „fairly early poem“, hält aber als Deutung auch fest: „Catullus in love is quite ready to contradict himself“. Überzeugend ist Holzberg (2003) 188 f., der eine Verbindung zu c. 3 (Lesbias Liebe zu ihrem Sperling) herstellt und für den Catulls Beharren darauf, Lesbia nicht geschmäht zu haben, ein Zeichen sei, dass er eben genau dies früher gemacht habe. Die Erwartung, dass eine neue Phase der Jambik beginne, werde, so Holzberg, aber überraschend durch c. 107 enttäuscht. P. Green (2005) 262 ad c. 92 verweist auf den Zusammenhang mit c. 83 und hält fest, dass c. 92 „at a later stage in the relationship“ geschrieben worden sei. Dass sich Catull dabei aber der Reziprozität von Lesbias Emotionen keineswegs sicher ist, sondern eher unsicher (m. E. vielleicht auch verzweifelt) nach Bestätigung sucht, hebt neben Green u. a. auch Quinn (1970) 428 f. ad c. 92 hervor.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
tigten Glück die ‚inkonsistente Konstante‘, die seine Liebesgeschichte in seiner eigenen Wahrnehmung und linear erzählten Reflexion ausmacht. Lässt sich der Leser also nach c. 109 davon überzeugen, dass man dem ewigen Bund trauen darf? Ich wage das doch eher zu bezweifeln.780 Wie verhält sich nun Catulls Bindung an Juventius, die vor allem im ersten Buch innerhalb des Furius- und Aurelius-Zyklus781 beschrieben wird, und die, bei einer umfassenden Betrachtung, viele Parallelen zu den Lesbia-Gedichten aufweist?782 Wenngleich sich im Grunde nur ein einziger vollständiger Durch‐ lauf durch das emotionale Spektrum von Hingabe bis zur Bereitschaft, die Beziehung aufzugeben, findet, erkennt man alle, teils mehrfach repräsentierten, emotionalen Stufen auch in diesem zweiten Liebeszyklus. Der Beginn ist dabei zunächst von jambischen Invektiven geprägt, die sich gegen Furius und Aurelius als Rivalen im Kontext der Päderastie richten. So wird Aurelius in c. 15 die Irrumatio angedroht, falls er seine Liebschaft, seine amores,783 nicht unangetastet 780
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783
P. Green (2005) 267 ad c. 109 verweist wie andere auch darauf, dass foedus und amicitia verbunden meist für „political alliance or treaty“ stünden und dabei grundsätzlich fraglich sei, wann eine derartige Bindung überhaupt auf Dauer gehalten hätte (vgl. auch Godwin [1999] 217 f. ad c. 109). Blickt man auch auf die folgenden carmina und die darin enthaltenen derben Beschimpfungen Aufillenas, zeigt sich eine weitere Brechung des scheinbaren happy ending von c. 109 (vgl. Holzberg [2003] 190 f.). Dysons (2007) Betonung einer erwachsenen puella (vgl. S. 273) und ihre Simplifizierung der letzten fünf Gedichte unter „They lived happily ever after“ (ebd.) ist m. E. daher zu oberflächlich (auch dem von mir postulierten ‚naiven‘ Leser dürften die Brechungen, v. a. mit Blick auf die lineare Rekapitulation und Präsentation des Lesbia-Narrativs, auffallen bzw. aufgefallen sein). In folgendem, verkürztem Abriss des Juventius-Zyklus betrachte ich nur die carmina, in denen Juventius explizit thematisiert wird. C. 16, 23 und 26, die ebenfalls zu der Gedichtgruppe um die drei Personen gehören und sich nur durch jambische Äußerungen der Persona Catulls gegenüber Aurelius oder Furius auszeichnen (vgl. für die Charakterisierung der dabei erkennbaren „invektivischen sexuellen […] hyper-mas‐ kulinen Persona“ Wray [1996], v. a. 83–130, übers. Zitat S. 135), betrachte ich deshalb nicht genauer. Vgl. weiterführend dazu u. a. Holzberg (2003) 101–105. Ich weiche dabei von Beck (1996) ab, da er sich etwa von einer gemeinsamen Betrachtung aller Juventius-Gedichte (also 48, 81 und 99 mit den ersten Gedichten) distanziert (vgl. S. 284), wobei er aber zugesteht, dass Juventius in den späteren Gedichten „weiterverwendet“ (S. 286) worden sei, und da er auch Juventius als mit dem Begriff puer Gemeinten in c. 15 und 21 ausschließt (vgl. S. 285 f.). Zu den späteren Juventius-Gedichten vgl. u. a. Holzberg (2003) 196–198. Vgl. zur dieser Beobachtung u. a. Wray (1996) 221 f. anhand der Parallele zwischen c. 99, 15–16 und c. 8, 12–19. Dyson (2007) 268 verweist u. a. auf die Parallelen zwischen der polymetrischen Lesbia und Juventius, aber auch darauf, dass sich beide Figuren von den Polymetra hin zu den Epigrammen wandeln und jeweils erwachsen würden (vgl. S. 273 f.). Der Name Juventius wird hier noch nicht genannt, doch kann aus dem Kontext geschlossen werden, dass es sich bei den genannten amores um ihn handelt. Vgl. u. a. Quinn (1970) 141 ad 15, 1, der sich für die Möglichkeit einer Identifikation mit dem
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
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lässt (vgl. V. 18 f. und zuvor peto […] / ut […] conserues puerum mihi pudice, V. 2–5, und hunc unum excipio, V. 12). Dieser Angriff mit einer Beschimpfung und Herabsetzung des Adressaten (als pater esuritionum, vgl. c. 21, 1 f.) und der Androhung der Strafe (vgl. V. 12 f.) werden in c. 21 wiederholt,784 da die Annäherungsversuche des Rivalen und damit einhergehend auch Catulls Eifersucht anscheinend offenkundiger und intensiver geworden sind (vgl. V. 5). In dieser inneren Bewertung der Konstellation manifestieren sich wiederum indirekt Verzweiflung und Enttäuschung, da Juventius, wie auch aus c. 24 ersichtlich wird, dem Werben eines Rivalen, in diesem Fall nicht Aurelius, sondern Furius,785 nachgegeben hat (vgl. V. 6) – und das, obwohl Catull durch den ‚Lobpreis‘ des Angebeteten seine emotionale Hingabe deutlich ausspricht (vgl. V. 1 f.).786 Je nach Identifikation der amores aus V. 4 ist c. 40 ebenfalls im Kontext des Juventius-Gedichts zu lesen, woraus sich erschlösse, dass Catull sich erneut mit Jamben an einen Rivalen wendet; die Situation aus c. 24 wäre in gewisser Hinsicht verdoppelt. Im weiteren Verlauf akzentuiert Catull dann zunächst die Hoffnung auf die Er‐ füllung seiner Sehnsüchte, also den inneren ‚Aufstieg‘ innerhalb der emotionalen
784 785
786
Juventius der Gedichte 24, 48, 81 und 99 ausspricht, vgl. auch Goold (1989) 239 ad XV; vorsichtiger dagegen z. B. P. Green (2005) 218 ad c. 15. Dass Juventius auch in c. 21 „gewiß gemeint“ ist, behauptet schon Kroll (1968) 39 ad c. 2, 21. Vgl. auch Goold (1989) 240 ad c. XXI für die Eindeutigkeit der Identifikation. Beide Rivalen werden bewusst als arm diskreditiert, damit so ihre Untauglichkeit als Liebhaber demonstriert werden kann und sich Juventius von ihnen abwendet. Für die Identifikation des Rivalen in c. 24 mit Furius, der ja im vorausgehenden Gedicht ausführlich wegen seiner Armut attackiert wird, vgl. u. a. Goold (1989) 240 f. ad c. XXIV, Holzberg (2003) 104 und Godwin (1999) 140 ad c. 24, der in c. 23 und 24 ein weiteres Gedichtpaar sieht; ebenfalls P. Green (2005) 220 ad c. 24, der dieses Gedicht aber als das erste „attributed“ Juventius-Gedicht ansieht, da er für die vorausgehenden Gedichte keine klare Identifikation vornimmt. Interessant ist, dass Catull seine eigene Persona an anderen Stellen, etwa c. 13, als arm inszeniert und sich somit dasselbe Merkmal zuschreibt, das er bei seinen Rivalen als „shameful“ attackiert, vgl., auch für Deutungsansätze dazu, Wray (1996) 111–116 (vgl. S. 37–130 für die Verbindung der invektivischen sexuellen Persona zur indogermanischen und archilochischen „blame poetry“). Diese doppelte ‚emotionale Motivierung‘ von c. 15 und 21 ist in Abbildung 16 durch die gestrichelten Linien, die zur Kategorie in der Mitte der Skala verweisen, symbolisiert. Auch in c. 24, in dem die Enttäuschung über Juventius’ Verhalten ausgedrückt wird, zeigt sich eine weitere Emotion, und zwar Zuneigung, die sich in der Art, wie Catull Juventius anspricht, widerspiegelt; diese Mehrfachmotivierung ist ebenfalls mit einer ergänzenden Linie dargestellt.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
Stufen. Denn in c. 48, das auf die Kussgedichte des Lesbiazyklus rekurriert, äußert Catull den Wunsch danach, die Augen des Juventius zu küssen (vgl. V. 1 f.).787 Bedeutet dies, dass diese Liebesgeschichte fortan – also in der linearen Präsentation – als eine erfolgreiche wahrgenommen und keine Beendigung ersehnt wird? Die letzten beiden Gedichte dieses Narrativs, die sich im dritten Buch finden, belegen das Gegenteil. So bietet Juventius dem hingebungsvollen Catull keine Erfüllung seiner Träume, sondern zieht ihm wie etwa in c. 24 einen anderen – aus Catulls Sicht unwürdigen, vgl. c. 81, 3 f. – Mann vor: qui tibi nunc cordi est, quem tu praeponere nobis / audes, et nescis quod facinus facias? (V. 81, 5 f.). Dieser Weg der kontinuierlichen emotionalen Verbitterung mündet, wie der Leser auch mit Blick auf die Entwicklungen des Lesbia-Zyklus bereits wissen dürfte, schließlich in eine renuntiatio amoris in c. 99. Dabei durchläuft das erlebende und das erzählende Ich das gesamte, von mir skizzierte emotionale Spektrum.788 Denn auf die kurzzeitige Phase des Glücks, den Genuss eines von Juventius gestohlenen Kusses (vgl. c. 99, 1 f.) folgt sofort die drastische Abwehrreaktion des Knaben. Dieser empfindet Ekel, wäscht sich den Mund ab (und impliziert so vielleicht auch die Schmähung Catulls als Fellator)789 und quält schließlich den enttäuschten Catull übermäßig (praeterea infesto miserum me tradere amori / non cessasti omnique excruciare modo, V. 11 f.). Die Folge ist, dass Catull behauptet, seine Avancen in Zukunft einzustellen: numquam iam posthac basia surripiam (V. 16). An dieser Stelle endet nach – wahrscheinlich sechs oder sieben carmina – der Juventius-Zyklus.790 Doch kann man von einem Sprecher, als der sich Catull selbst präsentiert, wirklich erwarten, dass er es mit dem Abschied ernst nimmt? Vermutlich nicht. Die Tatsache, dass er sich über die Situation echauffiert, Juventius so darstellt, als ob er seiner Liebe
787
788 789 790
Auf die Effeminierung Catulls, die in diesem Gedicht besonders deutlich wird, soll nicht weiter eingegangen werden; vgl. exemplarisch dazu P. Green (2005) 227 ad c. 48 und Holzberg (2003) 27–39 zu bewusst inszenierten weiblichen Zügen der Persona sowie einem Abriss der traditionellen Geschlechterordnung zur Zeit Catulls. Godwin (1999) 210 ad c. 99 beschreibt etwa die rasche Entwicklung von „game“ über „serious trouble“ zum beim Leser entstehenden Gefühl „that the boy was clearly not worth it after all.“ Für die dadurch implizierte Darstellung Catulls als Fellator vgl. u. a. Holzberg (2003) 197 (auch schon in Ansätzen bei Kroll [1968] 273 ad 99, 10). P. Green (2005) 265 ad c. 99 betrachtet dieses carmen ebenfalls als ein „worrying poem“. So auch der Forschungskonsens. P. Green (2005) 265 ad c. 99 hält die Zugehörigkeit von c. 103 zum Zyklus für äußerst unwahrscheinlich. Auch bei den Juventius-Gedichten ist es für meine Argumentation nicht zentral, ob einzelne Gedichte aus dem Korpus ausgegliedert werden müssen (und eventuell auch aus antiker Lesersicht nicht zu den Juventius-Gedichten zu rechnen sind) – die grundsätzliche Entwicklung lässt sich auch bereits nur anhand der Gedichte nachweisen, in denen Juventius namentlich erwähnt ist.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
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nicht wert sei,791 und seine emotionale Verletzung preisgibt, zeigt einerseits, dass er innerlich noch an Juventius gebunden ist. Andererseits kann man davon ausgehend vermuten, dass er sich, wie im Falle von Lesbia, bei einem fortgesetzten mentalen Bericht wieder an die positiven Momente erinnert hätte und einen neuen emotionalen ‚Höhen- und Tiefflug‘ begonnen hätte, ohne dass der Wunsch nach einer Beendigung der – zumindest häufig – unglücklichen Liebeserfahrungen ernst zu nehmen wäre. Dysons (2007) offene Frage, ob am Ende der Affäre nicht nur Juventius, sondern auch Catull „erwachsen geworden“ sei,792 lässt sich m. E. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit „Nein“ beantworten. Die innere Verfasstheit des Ich kann bei der Lektüre beider Liebeszyklen also folgendermaßen zusammengefasst werden: Catull bekundet im Fall von Lesbia mindestens drei Mal (c. 8, 11, 76) und bei Juventius einmal (c. 99) seinen Wunsch danach, sich vom Objekt der Begierde zu lösen und aufzu‐ hören (desinere), der unglücklichen Liebe weiter anzuhängen. Dabei wird er aber beständig rückfällig (sicher im Fall von Lesbia, wahrscheinlich im Fall von Juventius) und schwankt zwischen der Bekundung von Sehnsucht und Glück, Verzweiflung/Enttäuschung und jambischer Schmähung, nicht nur den Geliebten, sondern auch den Rivalen seiner amores gegenüber, hin und her. In diesem Zusammenhang wird aber klar, dass die Lösung von den Geliebten nie wirklich das Ziel des Sprecher-Ich war und dass auch die renuntiationes nur als, später v. a. in der Elegie bekannte, Topoi zu werten sind.793 Eine wirkliche Loslösung gibt es auch in Horaz’ erotischen Epoden nicht, da in ihnen vielmehr die Strategie der endlosen Ablösung verschiedener neuer Geliebter als remedium amoris präsentiert wird. Ist vielleicht auch Juventius ein alius ardor/amor succedens, der nach der ersten Phase und dem scheinbaren Ende der Lesbia-Affäre794 Catull von der puella weg- und zum neuen Geliebten hinführt? Zeigt sich hier implizit diese Strategie, die dann explizit in den erotischen Epoden (v. a. epod. 11, 14, 15) und in den Remedia (vgl. V. 451 f. aus der ersten
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Vgl. Godwin (1999) 210 ad c. 99. Dyson (2007) 274 (übers. Zitat). Innerhalb von Ovids Œuvre finden sich die beiden bereits angeführten, bekannten renuntiationes am. 2, 9 und 3, 11 (zur Frage, ob diese beiden Elegien ein Diptychon darstellen, vgl. McKeown [1998] 169 ad am. 2, 9 mit Verweis auf die Einleitung zu am. 2, 2 und damit auf McKeown [1989] 309 f. ad am. 1, 11). Dafür ist vorauszusetzen, dass man c. 13 nicht mitrechnet und mit c. 11 einen klaren Bruch erkennt.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
tractatio-Hälfte) zu finden ist – und die bei Catull wie später bei Horaz auch nicht erfolgreich ist?795 Ich möchte diese Möglichkeit nicht von der Hand weisen. Ein Grund, weshalb ich im Folgenden nicht das vollständige (jambische) Intertexualitätsdreieck aus den erotischen Epoden, Catulls Carmina und den Remedia betrachte, sondern Catull in seiner Stellung privilegiere, liegt in der inhaltlich größeren Vergleichbarkeit Ovids mit den Catull’schen Liebeszyklen begründet. Denn bei Horaz geht es um eine Vielzahl an erotischen Objekten, die eher allgemein auf die erotischen Kreisläufe verweisen (Lyciscus löst Inachia ab, vgl. epod. 11; das Ich wird daraufhin von Phryne gemartert, vgl. epod. 14, und spricht in epod. 15 dann von der endlosen emotionalen Verstrickung mit Neaera). Bei Catull geht es um zwei einzelne Liebesbeziehungen, die, auch auf Grund ihrer narrativ-ausführlichen Entfaltung und emotionalen Intensität, der Bindung des ovidischen Schülers an eine puella somit thematisch näher stehen. Doch ähnelt Ovids Umgang mit Catull demjenigen mit dem Horaz der (erotischen) Epoden durchaus, da er auch das Werk dieses Vorgängers partiell parodiert; die Haltung beiden Dichter-personae gegenüber, die ihrer Ver‐ strickung in je spezifisch akzentuierte erotische Teufelskreise nicht entkommen können, ist somit in dieser Hinsicht durchaus vergleichbar. Deshalb zurück zu Catull, den Liebeszyklen und den Absagegedichten. Was wäre also, wenn man die renuntiationes Catulls ‚naiv‘ liest, also wörtlich nimmt, und dabei die emotionale Selbstpräsentation des Ich konsequent in ihrer linearen Reihenfolge rezipiert? Genau dieses Experiment des ‚absichtlich-wörtlich-Neh‐ mens‘ führt – wie bereits angekündigt – Ovid m. E. durch und wählt Catull dafür zum Negativvorbild für rückfällig gewordene Verliebte, die nicht in der Lage sind, emotionale Indifferenz zu entwickeln und sich von den unglücklichen Liebschaften zu lösen. Denn durch intertextuelle Anspielungen evoziert er beim Leser die Erinnerung an Catulls ‚Fehler‘ und erreicht dadurch eine noch größere Eindringlichkeit und Nachvollziehbarkeit seiner Ausführungen. Diese Betrachtung bedarf dabei keiner besonderen Berücksichtigung des ursprüngli‐ chen Gedicht-Kontextes, da Ovid Catull, wie ich denke, funktional auf eine Figur reduziert, die sich durch ihre Inkonsistenz lächerlich macht und beständig ihr Scheitern in Liebesdingen demonstriert. Nun lässt sich dieser Bezug, auf Grund‐ lage der vorangegangenen Erläuterungen zu Catulls iambi und der Struktur und linearen Präsentation der beiden Liebeszyklen sowie der Erläuterungen zur ars vitandi Ovids, durch konkrete lexikalische Anspielungen belegen. 795
Für die (im Rahmen meines Vortrags zu intertextuellen Bezügen der Remedia amoris auf Horaz’ Epoden an der LMU München gegebene) Anregung zur Überlegung, dass man den Knaben Juventius mit der Remedia-Strategie einer Ablösung von der Geliebten verbinden könne, möchte ich Rüdiger Bernek danken.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
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4.3.2.4 Ovid, Catull und die Missachtung der emotionalen Indifferenz Die verbalen Anspielungen finden sich gehäuft im ‚Triptychon‘ der Vor‐ schriften, die das ‚Prinzip der emotionalen Indifferenz‘ prominent postulieren (vgl. rem. 643–672; siehe die tabellarische Übersicht in Abbildung 13). In diesen praecepta erkennt man zwei sprachlich-lexikalische Auffälligkeiten, die für die Bezugnahme Ovids auf Catull wesentlich sind und durch ihre leitmotivische Wiederholung auch auf ihre zentrale Bedeutung innerhalb des zweiten trac‐ tatio-Teils verweisen: die Manifestationen des Verbs desinere und die Präsenz des Wortfeldes „sprechen und schweigen“, und zwar im Kontext von Liebe oder Hass bzw. auch ihrer Verschränkung. Catull verwendet desinere zehn Mal in seinem Werk, davon zwei Mal promi‐ nent in seinen renuntiationes (c. 8, 1: Miser Catulle, desinas ineptire, und 76, 11 f.: quin tu animo offirmas atque istinc teque reducis, / et dis inuitis desinis esse miser?), die sich per definitionem mit dem Thema des Aufhörens befassen und in denen sich Catull direkt und indirekt dazu auffordert, den Zustand seiner emotionalen Gebundenheit zu beenden.796 Insgesamt sind zwei kontextuelle Schwerpunkte erkennbar: die Verwendung des Verbs in Gedichten, in denen das Ich sich selbst adressiert, und die Verwendung in solchen mit vornehmlich invektivischem Inhalt.797 Man kann deshalb von einer in Ansätzen leitmotivi‐ schen Verwendung des Verbs bei Catull sprechen,798 die meist mit affektiven, auf
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Vgl. auch McCarren (1977) 41. Catull verwendet es in c. 8, 1 und 76, 12 sowie auch in c. 21, 12 (Aurelius soll aufhören, Juventius zu umgarnen, da ihm sonst die Irrumatio droht); c. 23, 27 (in dieser Invektive soll Furius aufhören, um 100.000 Sesterzen zu bitten, weil er beatus genug sei); c. 36, 5 (Lesbia habe gelobt, die Schriften des pessimus poeta zu verbrennen, falls er aufhörte, Jamben zu schleudern; zur bewusst vagen Formulierung des Gelübdes vgl. u. a. Godwin [1999] 153 ad c. 36); 61, 82 bzw. 86, je nach Zählung (Aurunculeia soll im „Bewußtsein ihrer Schönheit“, vgl. Kroll [1968] 113 ad 61, 86, zu weinen aufhören); c. 69, 10 (in dieser Invektive soll der nach Achselschweiß stinkende Rufus aufhören, sich zu wundern, weshalb die Frauen vor ihm fliehen); c. 73, 1 (Catull soll mit dem Verlangen aufhören, sich um Freunde verdient zu machen); c. 89, 4 (in dieser Gellius-Invektive wird rhetorisch gefragt, warum Gellius aufhören sollte, mager zu sein; denn der häufige Inzest mit seiner Familie führt zu seiner dünnen Figur) und c. 103, 3 (der Zuhälter Silo soll aufhören, saeuus und indomitus zu sein, wenn er weiterhin Geld mit seinem Geschäft verdienen will). Zwischen c. 8, 73 und 76 besteht insofern eine Verbindung, als sich der Dichter jeweils selbst „with a rebuke and an order“ addressiert, wobei die präsentierten Emotionen sofort zurückgewiesen werden (Zitat und Erläuterung Godwin [1999] 187 ad c. 73). In c. 73 geht es aber nicht um den Liebeskontext, sondern das Thema der treulosen Freunde. Nur desinere in c. 61 (siehe oben Anm. 796) stellt eine Ausnahme dazu dar. Das Synonym desistere, das in c. 75, 4 mit amare verbunden ist (vgl. auch McCarren [1977] 42) und somit in einer sehr ähnlichen Bedeutung verwendet wird, findet sich nur einmal bei Catull, in den Remedia dagegen nicht.
228
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
Zuneigung oder Hass ausgerichteten Botschaften verbunden ist – was mit der ovidischen Rezeption des Verbs in der Form, wie Catull es in den renuntiationes einsetzt, durchaus vergleichbar ist. Eine lexikalische und motivische Verbindung dieser Emotionen mit dem (Nicht-)Sprechen über die geliebte Person findet sich ebenfalls mehrfach bei Catull:799 neben c. 6, dem Gedicht über Flavius’ deliciae,800 etwa in den für die folgenden Untersuchungen relevanten carmina 76, 83 und 92. Während Catull sich in c. 76 wie zuvor in c. 8 dazu auffordert, die Liebe zu Lesbia zu beenden (desinere) und sich dafür seine vergeblich getätigten Worte in Erinnerung ruft,801 äußert er sich in c. 83 und 92 über den Zusammenhang von Sprechen und Lieben bzw. Hassen: Lesbias ostentatives Schmähen Catulls ihrem Mann gegenüber, ihr
799
800
801
Einen Überblick über alle Manifestationen aller Verben und Phrasen, die das Wortfeld „sprechen und schweigen“ aufspannen, würde zu weit führen und wäre m. E. auch nicht unbedingt zielführend, da die Kontexte im 116 carmina umfassenden Œuvre sehr heterogen sind. So finden sich beispielsweise mehr als 40 Formen von dicere, vgl. McCarren (1977) 42 f., und je sieben Formen von loqui (4, 12; 50, 13; 63, 77; 67, 41; 68, 46; 78b, 4; 83, 6) und tacere (6, 3; 6, 12; 7, 7; 21, 9; 61, 119; 83, 3; 92, 1) bei Catull, vgl. S. 99 und 183. Die enge Verbindung zwischen Liebe und Sprechen zeigt sich auch in c. 6, das ansonsten nicht weiter von mir betrachtet wird, da es außerhalb des Lesbia-Zyklus steht. In diesem Gedicht in hendecasyllabi geht es um die Geliebte des Flavius. Catull behauptet, dass diese deliciae (vgl. V. 1) illepidae atque inelegantes (V. 2) seien, was man aus Flavius’ Schweigen über sie erschließen könne (vgl. V. 3). Denn über ein scortum febriculosum scheue man sich zu sprechen (vgl. V. 4 f.). Flavius’ Redescheu wird in V. 12 wiederholt. Am Ende fordert der Sprecher Flavius aktiv auf, darüber zu reden, damit er selbst darüber singen könne (vgl. V. 16 f.). Die Leitmotivik von „sprechen“ und „schweigen“ erkennt man auch daran, dass sogar das stumme cubile laut über die Beziehung spricht (clamat, V. 7, was auf das Quietschen beim Geschlechtsverkehr hinweist, vgl. Godwin [1999] 120 ad loc.). Insgesamt finden sich in c. 6 sieben entsprechende Verbformen: dicere nec tacere, fateri, clamat, tacere, dic, uocare und zusätzlich das Adjektiv tacitum. Vgl. Godwin (1999) 121 ad 16–17 zur metapoetischen Bedeutungsebene, die sich in den letzten Versen manifestiere. Dagegen Uden (2005) 641, demzufolge die letzten drei Verse die Bedeutung des Gedichtes nicht maßgeblich bestimmen; das Ziel von c. 6 sei v. a. die Attacke von Flavius’ Geliebter, welche literarisch geschickt durch „the ‘hackneyed motif’ of the man inquiring about a friend’s love“ vollzogen werde (Zitate und Ausführungen S. 642). Für den Zusammenhang zum Lesbiazyklus (durch die Stellung zwischen c. 5 und 7) vgl. Holzberg (2003) 24–28, der Catull in der Rolle des „Voyeurs“ (S. 25) sieht, welcher möglicherweise in c. 6 indirekt die eigene Impotenz bei Lesbia zum Ausdruck bringt. Vgl. nam quaecumque homines bene cuiquam aut dicere possunt / aut facere, haec a te dicta factaque sunt. / omnia quae ingratae perierunt credita menti (V. 7–9).
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
229
Nicht-Schweigen, offenbart ihre emotionale Bindung an Catull (die, wie explizit und implizit gezeigt wird, wechselseitig ist).802 Das, vor allem für die carmina 70–85, strukturbildende ‚odi-et-amo‘-Motiv803 spannt Catull lexikalisch breit auf. In c. 72 wird der Zusammenhang etwa folgendermaßen dargestellt: quare etsi impensius uror, / multo mi tamen es uilior et leuior. (V. 5bf.). Die antithetische Verbindung findet sich auch in c. 75: ut iam nec bene uelle queat tibi, si optima fias, / nec desistere amare, omnia si facias (V. 3 f.). Nach dem „analytic treatment“804 des Themas in der renuntiatio in c. 76 wird in c. 83 bei der Beschreibung Lesbias schließlich uritur (V. 6) für ihre Liebesempfindung verwendet – und sogleich mit loquitur, also einem Verb aus dem Wortfeld „sprechen“ verbunden. Diese kurze Zusammenfassung von Catulls Lexik zu desinere und seiner Verbindung der beiden Wortfelder ist Grundlage für die folgende detailliertere, auf die Rezeption durch Ovid bezogene Analyse. Da sich die Darstellung emotionaler Indifferenz bzw. ihrer Negation aus verschiedenen Motiven und lexikalischen Aspekten konstituiert und die zwei genannten sprachlichen Schwerpunkte un‐ terschiedlich in mehreren carmina Catulls und an verschiedenen Stellen bei Ovid eingesetzt werden, kann man bei der Analyse lexikalische und motivische Referenzen nicht konsequent getrennt voneinander behandeln. Um die Nach‐ vollziehbarkeit der Ausführungen und des ‚argumentativen roten Fadens‘ zu erleichtern, untergliedere ich diesen Abschnitt in einzelne thematische Blöcke. a) desinere in Catulls renuntiationes und in Ovids Triptychon Vorab ein Überblick über die Textstellen, in denen das Prinzip der emotionalen Indifferenz bzw. seine Negation bei beiden Autoren mit dem Verb desinere in Verbindung gebracht wird: Catull.
Ov. rem. 643–698
c. 8: Miser Catulle, desinas ineptire
tu quoque, qui causam finiti reddis amoris, (V. 1)
[…]
802 803 804
deque tua domina multa querenda refers, parce queri: melius sic ulciscere tacendo,
In c. 83 finden sich die Formen dicit, oblita, taceret, gannit, obloquitur, meminit, loquitur, in c. 92 dicit, tacet, deprecor. Für eine genaue Analyse siehe unten S. 243–247. Siehe oben S. 219 mit Anm. 768. P. Miller (2007) 403.
230
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
Catull.
Ov. rem. 643–698
sed obstinata mente perfer, obdura.
ut desideriis effluat illa tuis.
uale puella. iam Catullus obdurat,
et malim taceas quam te desisse loquaris:
nec te requiret nec rogabit inuitam.
qui nimium multis ‘non amo’ dicit, amat. sed meliore fide paulatim extinguitur ignis
at tu dolebis, cum rogaberis nulla. scelesta, uae te, quae tibi manet uita?
quam subito; lente desine, tutus eris.
quis nunc te adibit? cui uideberis bella?
(V. 643–650)
quem nun amabis? cuius esse diceris?
[…]
quem basiabis? cui labella mordebis?
sed modo dilectam scelus est odisse puellam;
at tu, Catulle, destinatus obdura.
exitus ingeniis conuenit iste feris. (V. 11–19)
non curare sat est: odio qui finit amorem, aut amat aut aegre desinet esse miser.
c. 76:
(V. 655–658)
quin tu animo offirmas atque istinc teque reducis et dis inuitis desinis esse miser?
[…] desinimus tarde, quia nos speramus amari;
difficile est longum subito deponere amorem,
dum sibi quisque placet, credula turba sumus.
difficile est, uerum hoc qua lubet efficias: una salus haec est, hoc est tibi peruincendum, hoc facias, siue id non pote siue pote. o di, si uestrum est misereri, aut si quibus umquam extremam iam ipsa in morte tulistis opem, me miserum aspicite et, si uitam puriter egi, eripite hanc pestem perniciemque mihi (V. 11–20) […]
(V. 685 f.) […] nec causas aperi quare diuortia malis nec dic quod doleas, clam tamen usque dole; nec peccata refer, ne diluat: ipse fauebis, ut melior causa causa sit illa tua. qui silet, est firmus; qui dicit multa puellae probra, satisfieri postulat ille sibi. (V. 693–698)
ipse ualere opto et taetrum hunc deponere morbum. o di, reddite mi hoc pro pietate mea. (V. 25 f.)
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
231
Catull bezeichnet Lesbia in c. 8, nachdem er sich ‚offiziell‘ von ihr verabschiedet (uale, puella, V. 12) und in futurischen Äußerungen seine Distanz von ihr demonstriert hat (vgl. V. 12 f.), weiterhin emotional als scelesta (vgl. V. 15), prophezeit ihr fast hämisch ein ruhmloses Leben (vgl. V. 15–18) – und muss sich am Ende doch selbst dazu ermahnen, hart zu bleiben (at tu, Catullus, destinatus obdura, V. 19), was seine Unfähigkeit, dies durchzuführen, performativ bestätigt. Er achtet also nicht darauf, sich emotional indifferent zu zeigen. In c. 76 ist das Scheitern des Versuchs noch deutlicher sichtbar: Catull versucht sich selbst, auch durch Kunstgriffe wie autosuggestive rhetorische Fragen,805 dazu anzuspornen und davon zu überzeugen,806 von seinem Wahnsinn abzulassen und endlich aufzuhören, sich elend zu fühlen. Er erkennt, dass er trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten (vgl. die anaphorische Wiederaufnahme von difficile in V. 13 f. und die antithetische Juxtaposition von longum und subito in V. 13807) von der problembehafteten Liebe zu Lesbia Abstand nehmen muss, benötigt aber dazu die Hilfe der Götter, die die Selbstqual des Ich nicht gutheißen (vgl. dis inuitis, V. 12) und die Catull mehrfach anruft.808 An keiner Stelle demonstriert das Ich somit Sicherheit, und es wünscht sich am Ende nur, von der Liebe loszukommen, die topisch – aber deshalb nicht weniger emotional – als Krankheit dargestellt wird. Das stete Ringen des Ich wird nach der Lektüre dreier renuntiationes (c. 8, 11, 76), der emotionalen Grundlagen für den Abschied und der stets vergegenwärtigten (emotionalen) Rückfälle, nur noch deutlicher. Ovid wiederholt das Verb desinere, das u. a. auch in der letzten Weisung des Riva‐ lenrahmens aufgegriffen wird (vgl. V. 792), in der ‚Triptychon‘-Weisungsgruppe drei Mal (vgl. V. 647, 650, 658). Zudem ist das Wortfeld „sprechen und schweigen“ 805
806 807 808
Der Erkenntnis, dass seine Handlungen und Worte Lesbia unbeeindruckt ließen, mündet etwa in die Selbstansprache des Ich: quare iam te cur amplius excrucies? / quin tu animo offirmas atque istinc teque reducis /et dis inuitis desinis esse miser? (V. 10–12). Dass bereits an dieser Stelle klar ist, dass der Widerstandsversuch des Ich letztlich nicht erfolgreich sein wird, bestätigt sich bei einer linear fortschreitenden Lektüre auch in c. 85 aus der Retrospektive, da in diesem carmen das Verb excruciare an prominenter Stelle wiederaufgegriffen wird. Die Überzeugungsarbeit wird sprachlich auch durch das Gerundiv bei hoc es tibi peruin‐ cendum (V. 15) und durch den Jussiv hoc facias (V. 16) verstärkt. Quinn (1970) 408 ad loc. spricht etwas vager von „emphatic collocation“. Vgl. o di in V. 17 und 26 sowie die Imperative, die den Wunsch Catulls ausdrücken, von den Göttern aus seiner emotionalen Situation befreit zu werden: aspicite (V. 19), eripite (V. 20), reddite (V. 26). Insgesamt finden sich alle formalen Bestandteile eines klassischen Gebets hier wieder (vgl. u. a. Godwin [1999] 190 ad c. 76). Zur Struktur der Elegie und weiteren Beobachtungen zu intratextuellen Bezügen innerhalb der carmina und Topoi wie etwa auch der Liebeskrankheit vgl. Quinns (1970) 406–410 und Godwins (1999) 190–193 detaillierte Analysen.
232
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
neben dem omnipräsenten Wortfeld „Hass vs. Liebe“ durch zahlreiche Beispiele vertreten, vgl. causam reddere (vgl. V. 643), queri (vgl. V. 644, 645), tacere (vgl. V. 645, 647), loqui (vgl. V. 647), dicere (vgl. V. 648). Primär besagen diese mit desinere verbundenen Hinweise, dass für die Rückfallprävention Schweigen besser ist als ein beständiges Bekräftigen der inneren Unabhängigkeit (vgl. V. 647), dass man die Liebe mit Blick auf die zukünftige Genesung behutsam und langsam beenden solle (vgl. V. 650), und dass derjenige, der sich im Hass vom geliebten Menschen trennt, in Wahrheit weiterhin liebt oder sich auch in Wirklichkeit nur ungern aus seiner elenden Situation befreien will (vgl. V. 657 f.) – mit anderen Worten: Sich ohne Hast emotionale Indifferenz, also non curare (vgl. rem. 657), zu eigen zu machen, ist ein erfolgversprechendes Konzept, das man mithilfe unterschiedlicher Methoden umsetzen kann.809 Eben dieses Prinzip missachtet Catull aber durch seine zwischen den Extremen schwankenden Emotionen, welche die ‚goldene Mitte‘ der Unbekümmertheit auslassen.810 An dieser Stelle eine kurze Anmerkung: Aufhören zu lieben, die Präsenz von Rivalen und damit verbundener Hass auf die Beteiligten des Treuebruchs, Schweigen als Umkehrung von Instruktionen, die besagen, dass man die Ge‐ liebte mit Worten überzeugen soll – Bezüge der Remedia amoris zur Ars ama‐ toria 811 und allgemein zu elegischen Konstellationen sind nicht zu übersehen. Diese Aspekte möchte ich auch nicht in ihrer Gültigkeit beschränken. Ich gehe vielmehr von einer Mehrfach-Motivierung Ovids bei der Gestaltung dieser Weisungen und v. a. der zweiten tractatio-Hälfte aus. So bleibt es die grund‐ sätzliche und übergeordnete Zielrichtung der Remedia, das elegische System zu demontieren. Zudem argumentiere ich für eine gleichzeitige intentionale parodistische Betrachtung Catulls an diesen Stellen.812
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Ähnlich ist auch Boyds (2009) 114 Beobachtung, dass Ovid in den genannten praecepta vor „dangers of excess“ warnt, die schließlich im Vorschlag gipfeln, dass man die puella nicht hassen solle – „for the very extremity of such emotions brings love and hate too close“; hier verweist Boyd auf die Parallele zu Catulls odi et amo. Man mag einwenden, dass der früher dichtende Catull ein ‚Prinzip‘, das erst beim Nachfolger ‚formuliert‘ wird, nicht aktiv missachten oder negieren kann. Doch liegt m. E. der Witz auch gerade darin, dass Ovid Catull aus der Retrospektive spielerisch ‚kritisiert‘. Denn aus den Erfahrungen u. a. Catulls lässt sich das Prinzip bei Ovid entsprechend entwickeln. Wie bereits angeführt, gilt die Weisung riualem patienter habe: uictoria tecum /stabit (ars 2, 539 f.), also dass man den Rivalen gelassen ertragen soll, bereits in der Ars amatoria, siehe auch oben Anm. 695. Der Kontext ist jedoch ein völlig anderer, da es das Ziel ist, ein Fortdauern der Beziehung zu gewährleisten. In der Foschung, v. a. auch den Kommentaren, wird zwar auf einzelne Parallelstellen verwiesen; eine konsequente Interpretation und Zusammenschau der intertextuellen Bezüge fehlt jedoch – vielleicht auch deshalb, weil man häufig eher auf die sichtbaren Bezüge zur
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
233
Zurück zur Analyse: Wie wichtig diese Motive (aufhören zu lieben; schweigen) sind, zeigt auch ihre Präsenz in der Anschlussvorschrift (V. 673–698), die durch ihre thematische und strukturelle Stellung gesondert zu betrachten ist, aber interpretatorische Rückschlüsse auf die Bedeutung dieser Wortfelder für die vorangegeangenen praecepta zulässt und das Triptychon in gewisser Hinsicht zu einem ‚Quartett‘ als Herzstück der ars vitandi erweitert. desinimus tarde, quia nos speramus amari; dum sibi quisque placet, credula turba sumus. at tu nec uoces (quid enim fallacius illis?) crede nec aeternos pondus habere deos. 813 neue puellarum lacrimis moueare, caueto: ut flerent, oculos erudiere suos. artibus innumeris mens oppugnatur amantum, ut lapis aequoreis undique pulsus aquis. nec causas aperi quare diuortia malis nec dic quod doleas, clam tamen usque dole; nec peccata refer, ne diluat: ipse fauebis, ut melior causa causa sit illa tua. qui silet, est firmus; qui dicit multa puellae probra, satisfieri postulat ille sibi. (V. 685–698)
Die Stelle ist insofern prominent, als direkt darauf der Mittelexkurs zu Amor und Apollo (vgl. V. 699-706) 814 folgt und damit eine Zäsur gegeben ist, die Gewicht auf die vorangehenden Hinweise legt. In diesen wiederholt Ovid einerseits, wie bereits erläutert,815 zentrale Konstellationen und Wei‐ sungen aus dem ersten Teil (vgl. V. 673–676), aber andererseits auch ein Kernthema aus dem, soweit schon abgehandelten, zweiten tractatio-Teil
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Liebeselegie und auch zur Ars geachtet hat. Beide Perspektiven schließen sich aber nicht aus, sondern ergänzen sich vielmehr, da sie Ovids Referenz auf mehrere Prätexte illustrieren. Das Distichon V. 687 f. mit dem Verbot, an die nichtigen, an die Götter gerichteten, Schwüre der puella zu glauben, rekurriert dabei grundsätzlich auf den Topos der Ungültigkeit von Liebesschwüren, der sich in den Remedia auch in V. 286, 303 und 678 findet (vgl. u. a. Henderson [1979] 122 f. ad 678 und 688); zum Topos der verba irrita, die vom Wind davongetragen werden, vgl. u. a. Fordyce [1961] 166 ad c. 30, 10 und Geisler [1969] 304 ad rem. 286). Lucke (1982) 278 sieht in der „erneute[n] Rechtfertigung gegenüber Amor und [der] Anrufung Apollons“ ein weiteres Beispiel für die „lockere Gedankenführung Ovids“. Dagegen erkennt Geisler (1969) 68 in den Weisungen, die zum in der Mitte stehenden Exkurs führen, einen „Höhepunkt“, was mir die strukturell bewusste Komposition der ars vitandi besser zu reflektieren scheint. Siehe oben S. 200 f. mit Anm. 707 sowie unten Anm. 818.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
(vgl. V. 683–698):816 Denn Ovid fordert für den Fall des zufälligen Treffens auf die frühere Geliebte, dass man nicht über die Gründe der Trennung reden und der Geliebten keine Gelegenheit zur Rechtfertigung geben dürfe. Sowohl die Formulierung des Schweigegebots als auch die Einleitung dazu (vgl. V. 685 f.) greifen auf das mehrfach verwendete desinere sowie auf das Wortfeld „sprechen und schweigen“ zurück, auch wenn es an dieser Stelle v. a. um Überbrückungstechniken bei der Begegnung und nicht primär um die Etablierung einer stabilen emotionalen Indifferenz geht. Doch spiegelt sich die im ‚Triptychon‘ präsentierte Forderung nach dieser Indifferenz in den zwei rahmenden Distichen (V. 685 f. und 697 f.) wider.817 Die beiden diagnoseartigen Äußerungen, dass wir deshalb nur zögerlich aufhören zu lieben, weil wir geliebt zu werden hoffen, und dass nur derjenige stark ist, der schweigt (dem Mädchen multa probra an den Kopf zu werfen, for‐ dere diese schließlich nur zur Rechtfertigung auf), benennen den negativen emotionalen Ist-Zustand und den erwünschten inneren Soll-Zustand, der in den Versen 643–672 postuliert worden ist.818 In gewisser Hinsicht stellt 816
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Der Übergang zwischen der letzten Triptychonvorschrift und der folgenden Vor‐ schrift ab V. 673, in der es um das Treffen auf die puella geht, wird m. E. dadurch fließend gestaltet, dass das exemplum der letzten Triptychonvorschrift schon eine Begegnung mit der früheren Geliebten (die Sänfte-Szene) beinhaltet. An dieser Stelle fallen auch die intratextuellen Bezüge innerhalb des Ovidischen Œuvres auf. Mit V. 685 f. rekurriert Ovid auf ars 3, 673 f.: efficite (et facile est) ut nos credamus amari: / prona uenit cupidis in sua uota fides und invertiert so die Vorschrift an die Mädchen, vgl. Lucke (1982) 270 ad 685 ff. und auch Pinotti (1993) 294 ad 683–86. Pinotti erkennt die abschließende Funktion des Distichons V. 697 f. (der Abschluss erfolge „in modo apodittico“ [S. 296 ad 697–98]), die auch durch die besondere stilistische Gestaltung (qui-Anapher, adversatives Asyndeton und dreifache p-Alliteration) bestätigt werde (vgl. ebd.). Weitere Bezüge zum zweiten Teil der Remedia, wie von mir postuliert, werden bei den Kommentatoren nicht angeführt. Die Vorschrift, wie man sich bei der zufälligen Begegnung mit der früheren Geliebten verhalten solle, wird stets als Einheit und nicht in ihrer Zweiteilung betrachtet, wie sich sowohl in den Kommentaren als auch in den Übersetzungen erkennen lässt (auch Holzberg [2011d] 82 gibt dem Abschnitt nur eine Überschrift). Die Zweiteilung scheint mir nur in Kenneys (1995) textkritischer Ausgabe angelegt, da er nach V. 682 einen Absatz einfügt und damit die Verse 683–698 von der vorherigen Vorschrift abtrennt. Dass sich die inhaltliche Stoßrichtung der Weisung in V. 683 ändert, zeigt sich an der intratextuellen Wiederaufnahme bestimmter Verben/Phrasen – nec causas aperi (V. 693) greift V. 643–645 (tu quoque, qui causam finiti reddis amoris […] parce queri) auf; während V. 673–682 auf V. 299–308 (also eine Passage im ersten tractatio-Teil) rekurrieren, widerspricht das Schweigegebot insgesamt der Aufforderung in V. 309 f., da der Schüler beim Bemängeln der puella im zweiten Teil facundus und disertus sein soll. Auch wenn sich das Verb referre häufig in den Remedia findet, sehe ich in nec peccata refer (V. 695) eine Inversion der Weisung aus V. 299: saepe refer tecum sceleratae facta puellae.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
235
diese zweite Hälfte des praeceptum bei der Begegnung mit der Geliebten also eine Form des Resümees zum Weisungstriptychon dar. Die Feststellung desinimus tarde greift dabei etwa eindeutig das praeceptum in V. 650 lente desine auf, wie sich an der Wiederholung von Adverbien, die Ähnlichkeiten in ihrer Bedeutung haben,819 und auch an der jeweils absoluten Verwendung von desinere anstatt desinere amare zeigt. Und auch mit der Feststellung odio qui finit amorem, / aut amat aut aegre desinet esse miser (V. 657 f.) teilt V. 685 die Bedeutungsähnlichkeit von aeger und tarde sowie den Modus als indikativischer Aussage. M. E. wird dadurch die Bedeutung von desinere als Leitmotiv für diesen Textabschnitt in der zweiten tractatio-Hälfte, das in den vorangegangenen Hinweisen etabliert und sogar schon im Proöm vorweggenommen worden ist, herausgestellt.820
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Ohne diese Parallele deutlich herauszustellen, schreibt Lucke (1982) nur: „650 empfiehlt Ovid, allerdings aus anderen Gründen: lente desine“ (S. 271 ad 685). Ich sehe hier eine deutliche Wiederaufnahme, denn beide Adverbien haben die Grundbedeutung ‚langsam‘, (vgl. Georges [2013] s. v. „lente“, 2. Bd., I., Sp. 2854 und „tarde“, 2. Bd., I., Sp. 4670), wobei aber lente desine bedeutet, der Schüler solle langsam – als Gegenteil zu plötzlich und übereilt – die Liebe beenden, während desinimus tarde auf unsere menschliche, grundsätzlich nur zögerliche Haltung anspielt (vgl. hierzu auch Holzbergs [2011a] 59 Übersetzung von V. 685). Zugleich sehe ich auch eine Rekurrenz auf die Phrase aegre dediscis amare (V. 297), die am Anfang der Passage zum Schlechtreden steht. V. 685, der in der Mitte des inhaltlich zweigeteilten praeceptum steht, verweist somit sowohl auf eine Passage in der ersten als auch zwei Passagen in der zweiten Remedia-Hälfte. Diese absolute Verwendung von desinere anstatt desinere amare findet sich schon in Vers 21 f. (qui, nisi desierit, misero periturus amore est, / desinat, et nulli funeris auctor eris), der programmatische Bedeutung für das weitere Werk hat und durch die doppelte Verwendung von desinere einen aufmerksamen Leser bereits für dieses Verb sensibilisieren könnte. Darüber hinaus liegt diese absolute Verwendung auch in V. 647 und 685 vor, vgl. Lucke (1982) 246 ad 647 und 271 ad 685. Zudem findet sich desinere noch in V. 658 und 792, also an zwei Stellen, in denen das Verb in das Weisungstriptychon und den Rivalenrahmen eingebunden ist. Zwei weitere Passagen, in denen Ovid desinere in den Remedia verwendet, sind V. 404 und 531 f., wobei das Verb desinere keine besonders markierte Bedeutung hat (in 403 f. ist der Kontext, dass man sich zum Lösen von der Liebe vor dem Verkehr mit der puella eine beliebige andere Frau nehmen und sich beim Sex ermüden soll, damit „uoluptas / desinat“; in V. 531 wird der Schüler dazu augerufen, sich nicht gegen die Liebesfesseln zu wehren, wenn er emotional zu sehr involviert ist: desine luctari; vielmehr müsse er sich das Mädchen dann durch Überdruss verleiden).
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
b) Ovids intertextuelle Bezugnahme auf desinere bei Catull Über diese mehrfache, leitmotivische Verwendung von desinere 821 bezieht sich Ovid intertextuell nun auf zwei der großen renuntiationes Catulls innerhalb des Lesbia-Zyklus (c. 8 und 76), in denen dieses Verb zwei Mal prominent verwendet wird. So zeichnet sich rem. 658 durch eine doppelte intertextuelle Anspielung aus: (aut aegre) desinet esse miser greift sowohl den ersten Vers von c. 8 als auch, in einer fast wörtlichen Übernahme, V. 12 von c. 76 auf.822 Diese
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In der Ars amatoria verwendet Ovid vier Mal desinere (ars 1, 411; ars 2, 306 und 654, ars 3, 757) und in den Amores sogar acht Mal (am. 1, 4, 7; 1, 9, 32; 1, 10, 64; 2, 2, 10; 2, 19, 48; 3, 1, 61; 3, 4, 11 und 3, 11, 31). Blickt man zudem noch auf das Œuvre von Tibull und Properz, erkennt man die durchaus beachtliche Präsenz des Verbs in liebeselegischen Werken (Tib. 1, 8, 7 und 77; 2, 6, 41; Prop. 1, 5, 31; 1, 15, 25; 2, 34, 41 und 42; 3, 15, 32; 4, 7, 78 und 4, 11, 1). Ein umfassender Stellenvergleich wäre an dieser Stelle rahmensprengend, zumal desinere nicht an jeder Stelle lexikalisch besonders markiert ist. Und auch wenn die Themen einzelner Elegien motivisch mit den Remedia in Verbindung stehen, lassen sich bei den konkreten Textstellen m. E. keine besonderen Übereinstimmungen finden. Zudem fehlt desinere bei den früheren Elegikern in den renuntiatio amoris-Gedichten, die thematisch eine Grundlage für die Vergleichbarkeit mit den Remedia-Passagen darstellen. Anders verhält es sich bei Ovids Amores, wobei aber der Imperativ desine entweder an den Wächter Bagoas, der die Frau bewachen soll (am. 2, 2), oder das Mädchen selbst gerichtet ist (wenn sie keine munera fordert, wird sie diese, insbesondere ewigen literarischen Ruhm, erhalten, vgl. am. 1, 10; sie soll mit ihren blanditiae aufhören, weil diese jetzt nicht mehr bei Ovid wirken würden, vgl. am. 3, 11); in am. 2, 19 steht desinere im Kontext der Aufforderung an den Mann, die puella zu bewachen. Die Imperative richten sich also nicht an den Verliebten (wie bei Catull oder in den Remedia), der aufhören soll, sich in einer gewissen Weise zu verhalten. Auch in der Ars ist desinere mit den jeweiligen praecepta verbunden; anders als in den Remedia findet sich aber keine Verbindung zum Aufhören, sich zu beklagen, über die Liebe zu reden oder unglücklich zu sein, wodurch auch hier die Vergleichsbasis fehlt. Lucke (1982) 252 ad 658 spricht vom „Anschluß an Catull. 76, 12“, Henderson (1979) 119 ad 658 setzt die Verbalphrase mit amare gleich und verweist ebenfalls auf die Catull-Stelle, und Pinotti (1993) 286 ad 657–58 spricht von einem „Zitat“ Catulls, wobei sie eine weitere Anspielung beschreibt: So sei in der ovidischen Diagnose, die das Fortbestehen der Liebe bei denen erkennt, die ihre puella zu hassen beginnen, auch das Prinzip „odi et amo“ aus c. 85 impliziert (vgl. ebd.). Die Parallele zu c. 8 wird von den Kommentatoren nicht erwähnt, obwohl doch sowohl miser als auch desinere in der ersten renuntiatio Catulls verbunden werden (auch wenn miser in der Apostrophe Catulls als Attribut verwendet ist und somit auf den elegischen Topos des unglücklich Verliebten anspielt, scheint mir diese Anspielung nicht ausgeschlossen). Eine Beziehung zwischen den Manifestationen von miser in beiden renuntiationes Catulls (c. 8, 1 und auch 8, 10 f. und 76, 12) ist dabei eindeutig, vgl. u. a. auch Quinn (1970) 408 ad 76, 11–12 und 12. Bereits Prinz (1914) betont unter Bezug auf frühere Forschung die Referenz von rem. 658 auf Catull. 76, 12, was in der thematischen Nähe des raschen Liebesendes begründet liege (vgl. S. 74, auch zur Parallele von Catull. 76, 11–16 und rem. 649 f.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
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lexikalische Referenz lässt sich aber noch durch den Nachweis eines motivischen Bezugs erweitern, da Ovid das Motiv der emotionalen Verfasstheit, das man bei Catull erkennen kann, produktiv rezipiert und verwandelt. Catull hatte seine emotionale Verstrickung mehrfach präsentiert und – letztlich erfolglos – seine Befreiung von der Bindung an Lesbia gewünscht. Dagegen führt Ovid vor, dass derart ausweglose emotionale Situationen – sie bestehen darin, dass die Liebe trotz Unglück und auch bereits erfolgter Loslösung fortdauert oder man sich nur mit Mühe von der Geliebten trennen kann – darin resultieren, dass man sich mit Hass vom amor abwendet und dadurch nur noch rückfallgefährdeter wird. Denn wer sich sorgt oder Hass zeigt, demonstriere seine Liebe oder die Unfähigkeit, sich zu lösen (vgl. V. 657 f.). Aus dem Ich-Bezug beim erlebenden und erzählenden Catull wird bei Ovid also eine allgemeingültige, personenun‐ abhängige Regel – eine Regel allerdings, die auch auf einer indirekten Analyse und Bewertung von Catulls Verhalten basiert. Denn Catulls Sprecher-Ich ent‐ sagt seinen Liebschaften meist, nachdem ihn Verbitterung oder Verzweiflung aufgrund von Enttäuschung und Eifersucht erfasst und auch zu jambischen Schmähungen getrieben haben – und ohne, dass er jemals Gelassenheit in diesen Dingen bewiesen hat; er ist entweder „himmelhoch jauchzend“ oder „zu Tode betrübt“.823 Zudem redet Catull beständig von den Schandtaten der Lesbia und des Juventius und erzählt mithilfe seiner Gedichte ‚zu vielen‘ (man darf, wenn man nimium multis in rem. 648 mit Bezug auf Catull liest, ergänzen: Lesern), dass er nicht mehr liebe, obwohl in den folgenden carmina die Liebe-Leid-Zyklen von Neuem beginnen. Aus Catulls emotionaler Entwicklung wird klar: Catullus amat aut aegre desinet esse miser, er verletzt das Prinzip emotionaler Indifferenz. Der Einsatz von desinere ist bei beiden Autoren programmatisch motiviert: Denn sowohl den Remedia amoris als auch den Absagegedichten eignet der Wunsch nach einem Ende einer bestimmten Liebesform. Die Motivation für die lexikalischen und motivischen Referenzen auf die Catull’schen renuntiationes bei Ovid liegt aber noch tiefer, und zwar im spezifischen Programm des Heilungslehrgangs begründet. Denn eben diese Manifestationen der Absage an die Liebe, der Tiefpunkt im emotionalen Spektrum, können die Grundlage sein, weshalb sich Catull theoretisch zum Schüler Ovids qualifiziert und weshalb Catulls Werk zum relevanten Prätext für die Remedia-Passage wird. Dass das Distichon der Verse rem. 657 f. mit Sicherheit auf Catull anspielt, zeigt sich auch darin, dass die Catull’sche Doppelformel aus „odisse et amare“
823
[fälschlicherweise als 659 ff. zitiert], wobei er auch c. 85 hinzuzieht und darauf hinweist, dass Ovid dieses carmen bereits in am. 3, 11b benutzt habe). So das „geflügelte“ Zitat aus Goethes Egmont.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
wörtlich bei Ovid evoziert wird;824 inwiefern Catull wiederum liebt oder nur mit Mühe aufhört zu lieben, kann man etwa an seinen Äußerungen in c. 72 und 75 erkennen, welche zum für seine Liebeszyklen maßgeblichen Wortfeld „Hass vs. Liebe“ gehören. Catull gesteht, dass er Lesbia aufgrund ihrer Untreue immer stärker verachtet, ihr aber gleichzeitig immer stärker verfallen ist (vgl.: nunc te cognoui: quare etsi impensius uror, / multo mi tamen es uilior et leuior, c. 72, 5 f. und huc est mens deducta […], ut iam nec bene uelle queat tibi […] / nec desistere amare, c. 75, 1–4a). c) praeterea quis amat aut desinet esse miser? Gleichzeitige Referenzen auf das Epoden- und das Amores-Ich An dieser Stelle greife ich erneut auf zwei bereits beschriebene Intertextuali‐ tätsdreiecke zurück: zunächst auf das (eroto-)jambische Dreieck zwischen den Remedia, Horaz’ erotischen Epoden und Catulls Carmina (siehe Abbildung 10). Denn nicht nur bei Catull und Ovid, auch in Epode 11 wird desinere verwendet, und zwar an einer bezeichnenden Stelle. Wie bereits angeführt,825 hatte Horaz’ Sprecher bei Gastmählern gesagt, seine verletzte Ehre werde aufhören (desinet, V. 18), sich mit minderwertigen Rivalen zu messen. Zudem spricht Horaz Pettius gegenüber davon, dass er von der Liebe zu Inachia Abstand genommen habe (destiti / Inachia furere, V. 5 f.). Zwei Mal wird in dieser Epode also vom Aufhören gesprochen, einmal mithilfe von desinere (übrigens die einzige Manifestation des Verbs in den Epoden), wobei aber jeweils das Scheitern des Ich im Mittelpunkt steht: Dem großspurigen Verkünden beim Essen war direkt die misslungene exclusus amator-/Paraklausithyron-Szenerie gefolgt, und drei Jahre nach dem Ende der Beziehung zu Inachia brennt der Sprecher für Lyciscus. Man sieht also bei Horaz ein Ich, das sich lächerlich macht und vor allem zeigt, dass es sich konträr dazu verhält, wie es sich eigentlich in der Sammlung präsentiert – nämlich als Jambiker. Durch sein Scheitern, unglückliche Liebe zu beenden, und das willentliche Sich-Einlassen auf beliebig viele emotionale Teufelskreise macht es sich aber stattdessen weiter zum Gespött der Leute und büßt „Glaub‐ würdigkeit“826 als erfolgreicher Jambiker ein. Möglicherweise stehen also nicht nur Catull, sondern auch Horaz und das jeweilige Scheitern hinsichtlich des Programms desinere Pate für Ovids Remedia, wodurch sich eine Systemreferenz auf eine Art jambischer ‚Liebeskummerdichtung‘ ergibt. Aufgrund der stärkeren lexikalischen Markierung erachte ich Catulls Absagegedichte, die auch in Form der Einzeltextreferenz rezipiert werden, aber als noch privilegiertere Modelle. 824 825 826
Für diese Beobachtung vgl. auch Pinotti (1993) 286 ad 657–58 und Boyd (2009) 114. Siehe oben S. 153 und Holzberg (2009c) 106. Für Zitat und Gedankengang vgl. auch Holzberg (2009c) 106.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
239
Nun zum zweiten Intertextualitätsdreieck, zu den Parallelen zwischen Catulls Carmina, den Remedia und am. 3, 11 (siehe Abbildung 12). Denn es lassen sich nicht nur Verbindungen zwischen am. 3, 11 und den Catull’schen renuntiationes amoris, 827 die auch in der jeweiligen Verschränkung von odisse und amare begründet liegen, verzeichnen. Vielmehr kann man zudem Ovids frühere Elegie im Hinblick auf das Motiv der mangelnden Indifferenz mit den Remedia kontrastieren. So findet sich in der ovidischen Amores-Elegie mehrfach eine Rekurrenz auf die demütigende Behandlung des Ich durch die puella, wenn diese seinen Rivalen zugelassen und es so der Schmach des Gesehenwerdens durch den Rivalen ausgesetzt hat (vgl. am. 3, 11, 13–16) und zwar für Ovid, nie aber für seinen Rivalen krank gewesen sei (vgl. V. 25 f.). Ovid referiert, dass ihn das Ausharren vor den Türpfosten, nachdem er wie‐ derholt ausgesperrt worden war (vgl. V. 9 f.), und das Ertragen meineidiger Liebesschwüre (vgl. V. 22) sowie des Rivalen hart gemacht hätten und sich Corinna einen anderen suchen solle, der diese Behandlung gerne erduldet (vgl. V. 28). Die emotionale Art der Beendigung weist auf den anschließenden Rückfall voraus. Wenn Ovid schließlich sagt: odero, si potero; si non, inuitus amabo (V. 35), nachdem er zuvor (V. 34) konstatiert hat, dass Liebe und Hass in ihm widerstreiten, formuliert er im Grunde ebenfalls die Situation, die im Hintergrund von rem. 655–658 steht. Ovid beschließt aus Gründen der Verbitterung, Corinna zu hassen, falls es ihm möglich ist; dabei vergleicht er sich mit einem Stier, der das unabwendbare Joch trägt, aber hasst (vgl. nec iuga taurus amat; quae tamen odit, habet, V. 36). Als späterer Lehrdichter hält Ovid wiederum fest: sed modo dilectam scelus est odisse puellam; / exitus ingeniis conuenit iste feris (V. 655 f.). Blickt er vielleicht an dieser Stelle auch auf sein früheres Ich und charakterisiert dieses implizit als ein wildes Tier, geht also über die reine Vergleichsebene hinaus, und parodiert die frühere Aussage? Die Alternative, die das Amores-Ich zum Hass sieht, ist die ‚Liebe wider Willen‘, die ein grundsätzliches Potential zu miseria in sich trägt. Vielleicht lässt sich wie auch schon in Bezug auf Catull formulieren: Ovidius (der Ovid der Amores) amat aut aegre desinet esse miser. Denn Ovid ist selbst ein Negativbeispiel, das – wie schon Catull und auch andere Liebeselegiker – stets wieder rückfällig wird, und dies besonders prägnant in diesem Gedicht,
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Siehe oben S. 189–191 und Abbildung 11.
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
das einen Kreislauf des ‚Entliebens‘ und Rückfällig-Werdens in nuce zum Ausdruck bringt.828 d) desinere und der Hass auf den Rivalen Am Ende der Remedia wird der Aspekt des Aufhörens, lexikalisch durch die Verwendung von desinere realisiert, erneut mit dem Thema Hass verbunden, wobei der Bezug auf die Existenz eines Rivalen zusätzlich expliziert wird: hunc quoque, quo quondam nimium riuale dolebas, uellem desineres hostis habere loco. at certe, quamuis odio remanente, saluta; oscula cum poteris iam dare, sanus eris. (V. 791–794)
Im ‚Kernstück‘ der ars vitandi ging es zunächst nur darum, den Hass auf die puella zu vermeiden. Insofern erweitert dieses letzte praeceptum die Reichweite des zu umgehenden odium. Aus der Lektüre der Catull’schen Zyklen kennt der Leser aber schon die Tendenz des Verliebten, beide Gruppen, also die bzw. den Geliebte(n) und die jeweiligen Rivalen, zu schmähen. Über diese Verbindung zu Catull ist es also nur folgerichtig, dass am Ende Ovid zusätzlich dazu aufruft, auch den Rivalen nicht länger als Feind anzusehen. Es bleibt dabei aber zu beachten, dass er keine völlige Negierung des Hasses verlangt – zumal dies in der Realität auch schwer möglich ist – sondern eine Art Verstellung bzw. simulatio (quamuis odio remanente): Küsst man und grüßt man den Kontrahenten und gibt als Test des eigenen Zustands Gelassenheit vor, wird man gesund sein (vgl. rem. 793 f.). Zwar stehen bei dieser Vorschrift die Inversion des „Herzstück[s] der Ars“829 (riualem patienter habe) und das Motiv der Eifersucht auf den Rivalen in der
828
829
Wenn ich dieses Intertextualitätsdreieck an dieser Stelle betrachte, möchte ich die Intertextualitätskante, die besonders die Amores und Properz’ Monobiblos verbindet, nicht übergehen. Denn die Präsenz von desinere in am. 3, 11, 31 f. lässt sich intertextuell nicht mit Catull oder den Remedia verbinden. Vielmehr liegt an dieser Stelle eine deutliche Aufnahme von Properz vor. Wenn Ovids Sprecher mit folgenden Worten Corinna apostrophiert: desine blanditias et uerba potentia quondam / perdere: non ego sum stultus, ut ante fui rekurriert dies auf Properz’ Forderung in 1, 15, 25 f.: desine iam reuocare tuis periuria uerbis, / Cynthia, et oblitos parce mouere deos, so u. a. McKeowns Notizen zum noch unveröffentlichten Kom‐ mentar ad loc. Der Kontext und die Verwendung von desinere unterscheiden sich dabei von denen in Catull und auch den Remedia. Die Beziehungskante zwischen den Elegikern weiter zu verfolgen, möchte ich an dieser Stelle jedoch unterlassen. Janka (1997) 392 ad 535–600, siehe auch oben Anm. 695 und Anm. 811. Vgl. zum Bezug zur Stelle in ars 2 auch Lucke (1982) 354 ad 791–794 und Pinotti (1993) 332 ad 791–94.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
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Elegie im Hintergrund830 – der Rivale und die Eifersucht auf ihn übernehmen für die Elegie etwa eine gattungskonstitutive Funktion, wie Ruth Caston (2012) überzeugend darlegt.831 Aber muss die Bezugnahme Ovids auf seine eigenen Werke und die elegischen Vorgänger beschränkt sein? Ich behaupte: nein. Denn am Ende der Weisung, beim Versschluss sanus eris, der das zentrale therapeutische Motto Ovids in den Remedia wie schon in den Versen 504 und 546 aufgreift,832 findet sich ein weiterer lexikalisch greifbarer Bezug auf Catull. Das Sprecher-Ich beschreibt Lesbias Gefühlslage nämlich mit folgender irrealer konditionaler Periode: si nostri oblita taceret / sana esset (c. 83, 3 f.), wobei die Ge‐ nesungsformel prominent vor der Trithemimeres steht und dadurch besonderes Gewicht erhält. Und in ebendiesem Gedicht demonstriert Catull am Beispiel Lesbias, wie ich noch ausführe,833 die Folgen mangelnder Indifferenz und steht so mit der ovidischen Vorschrift zur Indifferenz dem Rivalen gegenüber in thematisch engem Zusammenhang. Die Vorschrift V. 791–794 birgt also grundsätzlich eine starke inter- und intratextuelle Verweiskraft in sich: So rekurriert sie thematisch und lexikalisch, besonders durch die Verwendung von desinere, zum einen auf die Verse 643–658, die so mit dem Rivalenrahmen um den zweiten Teil der Remedia verknüpft werden. Zum anderen schlägt Ovid am Ende auch eine Brücke zum ersten Teil der tractatio, in welcher die Verstellung/simulatio und der Selbstbetrug zentrale Aspekte darstellen.834 Dadurch verleiht er seinem Werk, das grundsätz‐ lich aus einer Aneinanderreihung von Einzelvorschriften besteht, insgesamt 830
831
832 833 834
Der Gedanke des Rivalen als maxima causa des Sprechers, der in der Einleitung zum Rivalenrahmen expliziert wird (aemulus est nostri maxima causa mali, rem. 768) ist dabei intertextuell eindeutig auf Properz zurückzuführen (vgl. Praetor ab Illyricis uenit modo, Cynthia, terris, / maxima praeda tibi, maxima cura mihi, Prop. 2, 16, 1 f.), vgl. Lucke (1982) 340 ad 768 und Pinotti (1993) 324 ad 767–68. Caston spricht sich dafür aus, dass die Eifersucht auf den Rivalen nicht nur ein Beiwerk der Elegie oder auch nur ein wichtiges Motiv sei, sondern dass sich darüber erst der Ursprung vieler zentraler generischen Merkmale erklären lasse, und bezeichnet die Elegie als „[g]enre structured by [j]ealousy“ (Überschrift S. 157). Zu diesen Themen gehören sowohl „the obsessive chronicling of the love affair, the pervasiveness of role-playing, and the significance of fides of various kinds“ (ebd.). Bei der Betrachtung des Rivalenthemas in den Texten Ovids ist damit grundsätzlich nicht nur Catull zu berücksichtigen, der in der genealogischen Abfolge den Liebeselegikern vorausgeht und in gewisser Hinsicht einer der Vorläufer der Elegiker war, sondern stets auch die Liebeselegie selbst. Der Grund, weshalb ich die elegischen Referenzen nicht weiter untersuche, liegt in der Schwerpunktsetzung dieser Arbeit begründet. Vgl. zur Versschlussformel u. a. Lucke (1982) 356 ad loc. und Pinotti (1993) 332 f. ad 791–94 und siehe oben S. 199 mit Anm. 703. Siehe unten S. 243–247. Siehe hierzu die Ausführungen unten in Kapitel 4.1.2 und 4.1.3.
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kompositorische Geschlossenheit. Dass aber der zweite Teil strukturell in sich geschlossen ist, wird wiederum durch die ‚Rivalen- und Hassklammer‘ erreicht (siehe Abbildung 13), welche motivisch auch die Erfahrungen der Catull’schen Persona zur Grundlage nehmen. e) desinere und die Schwierigkeit des richtigen Zeitpunkts Ein weiterer Bezug Ovids auf Catull liegt zudem in der kontextuellen Verwen‐ dung von desinere in rem. 650. Denn dort wird, wie schon zuvor an anderer Stelle in den Remedia,835 die Frage nach der angemessenen zeitlichen Strategie im Liebesheilungsprozess beantwortet: Eine allmähliche (paulatim) Beendigung ist einer plötzlichen (subito) vorzuziehen, damit Rückfälle des bereits von der Liebe Geheilten verhindert werden. Schon Catull benennt, im Rahmen der oben analysierten renuntiatio c. 76, die Schwierigkeit des Unterfangens, die Liebe plötzlich zu beenden. Er prophezeit sein Scheitern aber in einer Art performativem Selbstwiderspruch, da er trotz des Wissens, dass es difficile ist, plötzlich von der Liebe ablassen will (difficile est longum subito deponere amorem, c. 76, 13).836 Es ist bereits klar, dass er sein Vorhaben aber letztlich nicht durchführen kann und wird, wie auch die folgenden Reflexionen über seine innere Verfassung belegen (vgl. V. 19–26). Man kann Ovids Aussage zur zeitlichen Dimension innerhalb des Triptychons also durchaus auch als Reaktion auf Catull werten.837 Wirkliche Sicherheit erlangt man nur, wenn man sich nicht abrupt von der bzw. dem Geliebten löst, also wenn man sich einer Strategie bedient, an der Catull konsequent scheitert. Catulls Persona bleibt 835
836
837
Vgl. V. 115–120 (auch aufgrund der Parallelen bei der Verwendung von Feuermeta‐ phorik) und auch V. 495, wobei aber die Beziehung jeweils noch nicht abgebrochen ist, während es im zweiten Teil darum geht, sich nach der „erfolgten Trennung die Liebe allmählich abzugewöhnen“ (Gedanke und Zitat Lucke [1982] 246 ad 649–654). Vgl. auch Henderson (1979) 119 ad 650 mit zusätzlichem Verweis auf die Parallele zu V. 243 f. Laut Godwin (1999) 192 ad loc. betont die Nebeneinanderstellung von longum subito die Schwierigkeit der Aufgabe, wie auch das wiederholte difficile est. Auch Hardie (2006) 175 beobachtet die Bezugnahme: „This [Anm.: das praeceptum rem. 649 f.] seems all too easy a solution to the Catullan predicament of poem 76. 11–16.“ Pinotti (1993) 283 ad 649–50 erkennt, wie so oft, die Parallelen zu Catull und stellt diese präzise heraus. So spricht sie von einer erneuten oppositio in imitando bei der Nachahmung Catulls (wobei Ovid die Oppsition von longum und subito bei Catull in die Gegenüberstellung von subito und lente verwandelt) und sieht durch die Übereinstim‐ mungen bei desinet/desinis esse miser den Beleg für eine eindeutige Intertextualität, die Ovids Weisung mit Catull verbindet. Auch hebt sie den Kontrast hervor, da Ovid das Gegenteil von Catull fordert: „il precetto in sostanza consiglia di procedere in modo antitetico rispetto a Catullo, e di spegnere a poco a poco l’amore, con estrema cautela“ (ebd.). Wenngleich eine grundsätzliche interpretatorische Auswertung fehlt, erkennt sie doch Catulls Bedeutung für die Remedia.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
243
somit das im Hintergrund stehende Negativbeispiel, da es nicht einmal seinen eigenen Erkenntnissen folgt. Es wird dadurch ex negativo zum Kontrastvorbild für die Aussage in den Remedia. f) desinere im Spannungsfeld von dicere und tacere: Catull. 83, 92 und die Remedia Doch das Motiv des Aufhörens ist bei Ovid nicht nur auf die emotionalen Aspekte des Liebens und Hassens sowie die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt, sondern auch auf die verbalen Äußerungen in Liebesdingen bezogen. Übermäßiges Be‐ kunden, dass man zu lieben aufgehört hat, zeigt in Wahrheit nur, dass man innerlich noch gefangen ist, es verrät also das gegenteilige Befinden (vgl. rem. 648). Und genau der Akt des Sprechens ist es, der Catull in seiner Rolle nicht nur allgemein als Dichter, sondern spezifisch auch als Jambiker, in die er in seinen Liebeszyklen mehrfach schlüpft, ausmacht. Würde er seinen Ankündigungen Folge leisten, würde er sich wirklich von der emotionalen Bindung an Lesbia oder Juventius lösen, könnte er sich auch nicht mehr jambisch über ihr Verhalten echauffieren. Er müsste also auf dieselbe Art und Weise aufhören, Dichter zu sein, wie der elegische poeta-amator, dessen Klagen zu seiner elegischen conditio gehören. Damit negiert er schon grundsätzlich jegliche ernst gemeinte Absage an die Geliebte und öffnet die Pforten für den Rückfall in vorherige Kreisläufe – und dafür, durch dieses paradoxe Verhalten selbst Gegenstand jambischen Spotts zu werden. Dass sich Catull also gar nicht anders verhalten kann, vertieft die humoristischen Implikationen bei Ovid – Catull kann also auch aus dieser Sicht nichts anderes als ein Negativbeispiel sein. Catull zeigt aber auch, dass er seine eigene bedingungslose Verfallenheit klar erkennt. So nutzt er in c. 83 Reflexionen über Lesbias Verhalten m. E. dazu, auch seine eigene Verfassung indirekt zu charakterisieren, wenngleich es zunächst nur um Lesbia geht.838 Diese äußert ihrem vir gegenüber (der als mulus die wahre Bedeutung ihres Schimpfens nicht erfasst) Negatives über
838
In eine etwas andere Richtung geht die Interpretation Godwins (1999) 198 ad c. 83. Auch er bezieht die Aussagen über Lesbia mehr auf den Sprecher, allerdings auf seine Interpretationsleistung. Denn im Grunde gehe es in c. 83 nicht um Lesbias Offenbarung ihrer eigenen Hilflosigkeit, sondern um die Catulls „who cannot resist interpreting everything she says as evidence of her love for him“.
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Catull und zeigt dadurch, so Catull, dass sie nicht sana, sondern in ihn verliebt ist:839 Lesbia mi praesente uiro mala plurima dicit: haec illi fatuo maxima laetitia est. mule, nihil sentis? si nostri oblita taceret, sana esset: nunc quod gannit et obloquitur, non solum meminit, sed, quae multo acrior est res, irata est. hoc est, uritur et loquitur.
In c. 92 expliziert er dann die Parallele zwischen seinem eigenen, paradoxen Gebaren und Lesbia840 und gibt sich in diesem Zuge einer typisch jambischen Selbstverspottung preis: Lesbia mi dicit semper male nec tacet umquam de me: Lesbia me dispeream nisi amat. quo signo? quia sunt totidem mea: deprecor illam assidue, uerum dispeream nisi amo.
Was genau macht Lesbia also? Sie missachtet das Prinzip der Indifferenz841 und das damit verbundene Schweigegebot.842 Denn sie äußert sich ihrem vir gegenüber schlecht über Catull, sie klagt und schimpft (vgl. c. 83, 4) und ist durch ihren Zorn emotional erregt. Weil sie nicht schweigt, tacet, hat sie Catull also nicht vergessen, denn nur dies könnte eine dauerhafte ‚Heilung‘ von der Liebe 839
840
841 842
Zarker (1969) verweist darauf, dass sana auf Catulls Selbstbezeichnung als uesanus (vgl. c. 7, 9 f.) rekurriert und auch mit der renuntiatio c. 76 zusammenhängt, da Catull seine Liebe als Krankheit und sich selbst damit als Kranken beschreibe (vgl. S. 173). Damit sei klar, dass auch Lesbia verliebt sei. Vgl. auch Godwin (1999) 197 ad c. 83 zum Zusammenhang von Aufmerksamkeit und Zuneigung: „attention – even hostile attention – indicates interest and thus that apparent dislike may in fact mask love“, denn: „love and hate are both sides of the same coin (cf. 85)“ (S. 198). Für die Verbindung von c. 83 mit 72, 75, 76 und auch 85 vgl. u. a. auch Holzberg (2003) 184 f. Vgl. Zarker (1969) 173. Dass c. 83 und 92 grundsätzlich miteinander korrespondieren, hat er erkannt (vgl. u. a. S. 172). Er vermutet auch, dass die beiden Gedichte „in light of the other“ (ebd.) gelesen werden müssten. Die Ähnlichkeiten der Wortwahl, etwa des jeweils ersten Verses, und das Wiederaufgreifen von tacere aus 83, 3 in 92, 1 (vgl. S. 172 f.), wiesen bereits darauf hin. Im Weiteren befasst sich Zarker aber mit Parallelen zwischen c. 83 und 17 und der Darstellung des vir als mulus sowie der historischen Identifikation der Personen. Dass c. 83 und c. 92 thematisch übereinstimmen, stellen u. a. auch Quinn (1970) 417 ad c. 83, Godwin (1999) 204 ad c. 92 und Holzberg (2003) 187 fest. Ähnlich Godwin (1999) 198 ad c. 83, der feshält, dass Liebe und Hass beide das Gegenteil von Indifferenz darstellten. Vgl. ex negativo, dass Sprechen emotionale Involviertheit bedeutet, etwa Godwin (1999) 197 f. ad c. 83.
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bewirken (vgl. V. 3 f.). Das Gedicht endet mit einer Doppelformel, die an „odi et amo“ erinnert, aber einen neuen Akzent setzt. „[U]ritur et loquitur“ präzisiert die Beobachtung, dass Reden und Lieben zusammengehören.843 Leitmotivisch wird die Verbindung aus dicere und tacere auch in c. 92, 1 aufgegriffen.844 Von der bekräftigenden Wiederholung ausgehend, dass Lesbias beständiges Thematisieren Catulls ihre emotionale Lage verrät,845 erfolgt der Übergang zur Persona selbst und damit der ersten Person Singular (vgl. V. 3 f.), wobei diese Parallele durch die symmetrische Gestaltung der Verse unterstri‐ chen wird.846 Und diese Stellen sind wiederum deutliche Parallelen zur besagten (erwei‐ terten) Triptychon-Passage in Ovids zweitem Remedia-Teil und ihrer Dominanz des Wortfeldes „sprechen und schweigen“, wobei Ovid aber in der männlichen Perspektive verharrt und die Erkenntnisse Catulls und seine persönliche Sicht auf Lesbia für seine allgemeingültigen Weisungen anpasst.847 Grundsätzlich stehen hinter dieser Bezugnahme auch das topische Motiv in erotischer Dich‐ tung „that an angry tongue is a proof of love“, das sich etwa auch in Properz, besonders der Elegie 3, 8 spiegelt,848 und das typisch elegische Verhalten, das sich
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Auffällig ist dabei auch die leitmotivische Rahmung von c. 83 durch dicit und loquitur (mit Aufgreifen von loquitur am Ende von V. 4), vgl. Godwin (1999) 198 ad 83, 6. Dadurch werde „speech […] key indicator of Lesbia’s feelings“. Treffend ist auch Godwins Beobachtung, dass die kausale Verbindung zwischen den beiden Verben am Schluss vom Leser (wie auch von mir ausgeführt) selbst hergestellt werden müsse. Quinn (1970) 429 ad 92, 1 verweist auch auf die Nebeneinanderstellung beider Verben in c. 6, 3. Godwin (1999) 204 ad 92, 1 deutet Catulls Wiederholung, dass Lesbia immer spricht und niemals schweigt, als Abbild ihrer Wiederholung. Vgl. zudem Quinn (1972) 61, zitiert auch in P. Green (2005) 262 ad 92: „These are not the words of a man who doubts his mistress’s fidelity; they betray no uneasy, nagging suspicion. They are the words of a man who is eagerly looking for confirmation of what he feels sure of“. Mir fehlt aber bei dieser Schlussfolgerung die zusätzliche Betrachtung, dass Catull an Lesbia dadurch das anprangert, was er selbst die ganze Zeit macht – eben über Lesbia zu reden und nicht zu schweigen. So werde aus ihrem dispeream nisi amat sein dispeream nisi amo und ihrem mi dicit semper male sein deprecor illam assidue (Godwin [1999] 204 ad c. 92). Mit der Frage, in welchem Stadium der Beziehung dieses Gedicht verfasst wird, möchte ich mich auch an dieser Stelle nicht befassen (vgl. etwa P. Green [2005] 262 ad c. 92, der darin eine spätere Phase repräsentiert sieht). Holzberg (2003) 187 sieht im Vergleich zu den vorherigen Zwiespalt-Gedichten eine „humorige Abwandlung von ‚Ich hasse und liebe…‘“. Lucke (1982) 243 ad 643–648 spricht nur allgemein von einer motivischen Übereinstim‐ mung zwischen rem. 643–648 und Catull. 83 und 92. Vgl. für Verweis und Zitat Quinn (1970) 418 ad 83, 6. Vgl. für die Parallele auch Lucke (1982) 243 ad 643–648 und Pinotti (1993) 282 ad 643–46. Grundsätzlich könnte auch zwischen Catull (c. 83 und 92), der Remedia-Passage und Prop. 3, 8 als elegischer Manifestation des
246
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
darin zeigt, bei seinen Freunden über die schmerzhafte Liebe zu klagen.849 Doch die lexikalischen Referenzen und die Präsenz des beschriebenen Wortfeldes weisen m. E. präzise auf die Catull’schen Prätexte hin. Catull.
Ov. rem. 643–647
Lesbia mi praesente uiro mala plurima dicit
tu quoque, qui causam finiti reddis amoris
(c. 83, 1) Lesbia mi dicit semper male nec tacet umquam de me: Lesbia me dispeream nisi amat.
deque tua domina multa querenda refers, parce queri: melius sic ulciscere tacendo, ut desideriis effluat illa tuis.
quo signo? quia sunt totidem mea: deprecor illam
et malim taceas quam te desisse loquaris:
assidue, uerum dispeream nisi amo. (c. 92)
849
Zusammenhangs von Hass/Liebe und Sprechen ein Intertextualitätsdreieck aufgespannt werden, vgl. für die Parallelen schon Prinz (1914) 75. Mir geht es an dieser Stelle aber nicht um die Kante, welche die Remedia mit Properz verbinden, sondern nur um die Verbindung zu Catull. Dass man die Betrachtung beider Prätexte trennen kann, zeigt sich auch dadurch, dass die lexikalischen Anspielungen auf Catull eine besondere eigene Qualität besitzen. Das liegt auch am andersgearteten Schwerpunkt bei Properz. Zwar beschreibt Properz auch, dass Cynthia ihm gegenüber tot maledicta (V. 2) äußere, ihm drohe (vgl. V. 7) und ihm (je nach Lesart rabida oder) grauida […] conuicia lingua (V. 11) entgegenschleudert; auch erkennt das properzische Ich, dass es als erfahrener haruspex (V. 17) in diesen Äußerungen Zeichen von Liebe erkennen kann. Den bei Catull schon beschriebenen Zusammenhang von Schmähung und emotionaler Bindung beschreibt also auch Properz (für die Parallele zwischen Prop, 3, 8, 11 f. und Catull. 92 vgl. u. a. Camps [1966] 90 ad loc.). Doch werden die verbalen Äußerungen Cynthias auch mit physischen Attacken auf Properz verbunden, was in den entsprechenden Catull-Gedichten sowie auch bei Ovid fehlt (teilweise sind Properz’ Beobachtungen aber verallgemeinert ausgedrückt, vgl. z. B. V. 11 f. und 19 f.). Zudem geht es nicht, wie etwa in Catull. 83 und auch in den Remedia, um Klagen der puella einer anderen Person gegenüber. Dass man nicht nur von einer allgemein motivischen Parallele von Ovid zu Catull sprechen darf, sondern dass ich die konkrete intertextuelle Bezugnahme analysiere, liegt auch an den oben belegten lexikalischen Parallelen (verba dicendi und tacendi finden sich außer bei minitari [vgl. V. 7] und der Phrase conuicia iactare [vgl. V. 11] bei Properz kaum, stattdessen Substantive, die die Äußerungen bezeichnen) und strukturellen Betrachtungen. Da aber auch bei Properz das Thema Rivale in diese Elegie integriert ist, wäre eine vertiefte Beobachtung des Zusammenhangs zum Weisungstriptychon lohnenswert (ohne mich hier auf die Teilungsdiskussion zur Elegie einzulassen, folge ich Fedeli [1985], der eben auch durch das Motiv des Rivalen eine Teilung der Elegie als zu drastisch einschätzt und die Elegie als Einheit betrachtet, vgl. S. 282 f.). Vgl. Pinotti (1993) 282 ad 643–46 zum Topos mit Verweis auf beide Catull-carmina und die Properz-Elegie.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
247
Wenn Ovid seinem Schüler sagt: tu […], qui […] deque tua domina multa querenda refers, / parce queri (rem. 643–645), evoziert er, wie ich denke, den ersten Vers aus c. 83: Das verbum dicendi refers findet seine Entsprechung in dicit; das Objekt der Beleidigungen wird ebenfalls genannt (de tua domina bei Ovid – mi bei Catull), und auch eine substantivierte Bezeichnung für die negativen Worte (querenda bei Ovid – mala bei Catull), die zudem jeweils mit Mengenangaben verbunden sind (multa – plurima), schlägt eine Brücke von Ovid zum älteren Dichter. Auch dass Ovid das Verb tacere zwei Mal im direkten Umfeld verwendet (vgl. rem. 645 und 647), macht die beiden carmina Catulls als intertextuelle Bezugspunkte für diese Passage bei Ovid erkennbar. Im ‚eroto-jambischen‘ Intertextualitätsgefüge findet sich also ein weiteres Beispiel für die Remedia-Catull-Kante der intertextuellen Anspielung. Der abschließende Bezug Catulls zu seinem eigenen Verhalten in c. 92 schlägt dabei die Brücke von den Lesbia-Reflexionen zum gesamten Korpus der Carmina und dem Verhalten Catulls, das aus Ovids Rezeptions-Sicht als ‚Fehl‘-Verhalten bewertet wird. Denn dieser lässt seinem Zorn und seiner Verzweiflung auch in jambischen Schmähungen freien Lauf, wodurch das Prinzip der missachteten emotionalen Indifferenz auf ihn noch viel deutlicher zutrifft als auf Lesbia, die so zum Spiegelbild en miniature der Catull’schen Persona wird. g) Konklusion: der zweite Remedia-Teil als ‚ars desinendi et tacendi‘ Wenn Ovid in rem. 645 das Verb parcere in seiner Funktion als Ersatz für die Negation einer Handlung850 verwendet und dabei durchaus die Bedeutung ‚un‐ terlassen‘ evoziert, schafft er erneut eine Verbindung zu Catulls renuntiationes mit ihrer leitmotivischen Verwendung von desinere: Denn damit aufzuhören, wahnsinnig zu sein (vgl. c. 8, 1), entspricht im Kontext der Liebesklagen Ovids Anweisung parce queri. Die Kunst, Rückfälle zu verhindern, ließe sich mit Blick auf die Erfahrungen Catulls also auch als „ars desinendi et tacendi“ bezeichnen: Höre auf zu hassen und zu reden, bemühe dich darum, in einer Haltung der Indifferenz ruhig zu schweigen – dann wird deine Heilung vielleicht dauerhaft Erfolg haben können. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die Verse 685–698 das Weisungs‐ triptychon zu einem ‚Quartett‘ erweitern und auch durch die Wiederholung vorher etablierter Motive eine Art Resümee dazu darstellen.851 In dreifacher 850 851
Vgl. Lucke (1982) 244 f. ad loc., die hervorhebt, dass „parcere mit Infinitiv häufig dichterische Negation“ sei. So auch im ThLL s. v. „parco“ (I, A, 2., a, b: imperat.), vgl. Korteweg (1982–1997) Sp. 332, Z. 36–56: „fere pro noli“ (Z. 36). Siehe oben S. 233–235.
248
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
polysyndetischer Reihung mit anaphorischem nec wird der Schüler nämlich dazu aufgefordert, der puella gegenüber keine erläuternden Äußerungen zum Trennungsgrund zu tätigen, wenn er ihr nach vollzogener Trennung erneut begegnet (nec causas aperi […] nec dic quid doleas […] nec peccata refer, V. 693– 695) – sowohl causa als auch referre finden sich in der Passage zur emotionalen Indifferenz, das Wortfeld „sprechen und schweigen“ ist auch an dieser Stelle dominant. Aus der entgegengesetzten Sicht führt das schließlich zur Erkenntnis, die pointiert am Ende formuliert wird: qui silet, est firmus (V. 697), im Anschluss nochmals positiv wiederholt: qui dicit multa puellae / probra, satisfieri postulat ille sibi (V. 697 f.). Auch wenn sich der Kontext von den vorher ausgeführten Weisungen unterscheidet, fällt die Wiederholung einzelner Ausdrücke (auch die Verwendung von silet als Variation zu tacet und von multa probra in V. 697 f. statt multa querenda in V. 644) auf. Man erkennt darin eine Art Selbstkommentierung852 Ovids, der so betont, wie zentral die Vorschriften zum Thema „Sprechen und Schweigen“ und damit einhergehend auch die emotionale Distanzierung für ihn und v. a. für seinen Schüler sind. 4.3.3 Resümee zum Umgang mit den satirischen und jambischen Prätexten sowie weiteren carmina der Catull’schen Liebeszyklen Meine Beobachtungen zu Ovids Bezugnahme auf Catull basieren auf einer intendiert naiven Lesart des Prätextes, die damit jedoch die Existenz tieferer Bedeutungsschichten indirekt bejaht. Denn es dürfte unstrittig sein, dass Ovid die poetologischen Implikationen der Carmina, Catulls bewusste metrische und inhaltliche Neuakzentuierungen etwa der Gattung Jambus und damit einherge‐ hend auch die Brechung der Liebeszyklen als ‚authentischer‘ Erfahrung, erkannt hat. In der doppelbödigen Gestaltung liegt zudem eine Parallele zwischen Ovids Lehrgang und der Liebesgeschichte Catulls begründet. Denn auch die Remedia lassen sich zunächst naiv als ein Liebesheilungs-Ratgeber verstehen, der als in sich konsistentes Handbuch konzipiert ist. Erst auf den zweiten Blick erkennt man die darunter liegende Programmatik des Werkes, durch Referenzen auf und Funktionalisierung von anderen literarischen Werken und Gattungen dem Genre der römischen Liebeselegie ein Ende zu setzen. (Eroto-)Jambische (und satirische) Prätexte, deren Integration in die Remedia dazu beiträgt, die Gattungsgrenzen der Liebeselegie zu sprengen, sind, wie ge‐ zeigt, Horaz’ Satiren und Epoden sowie Catulls Carmina, wobei die Bezugnahme auf Catull über die jambischen Texte hinausgeht und das gesamte erotische
852
Vgl. auch Hinds’ (1998) 1–16 Begriff der self-annotation.
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
249
Œuvre der Liebeszyklen um Lesbia und Juventius umfasst. Die aemulatio Horatii und die aemulatio Catulli eint dabei eine grundlegende Übereinstimmung. So nutzt Ovid die Texte beider Vorgänger funktional für sein eigenes Werk und liest die Liebeserfahrungen sowohl der Epoden-Persona als auch besonders Catulls auf einer primär naiven Ebene, um so Negativ-exempla für den falschen Umgang mit Liebesleid und (bewusst) eingegangenen Teufelskreisen zu erhalten und vor diesem Hintergrund Autorität für seine eigenen Ratschläge zu beanspruchen. Dennoch unterscheidet sich die Art der intertextuellen Bezugnahme auf Horaz von derjenigen auf Catull. Während ich zwar auch für die Adaption der Satiren und der Epoden (nicht gleichermaßen starke) Einzeltextreferenzen aufzeigen konnte, stehen diese vor dem Hintergrund einer mehr gattungsbezogenen Systemreferenz. Denn die aemulatio Horatii besteht bei Ovid darin, sich vor dem Hintergrund beider Gattungstraditionen und vor allem ihrer horazischen Ausprägung an die moderate Gattungsrevolution des Augusteers anzulehnen, durch die rein erotodidaktische Ausrichtung der ursprünglich auch moralphi‐ losophisch geprägten Texte Horaz humorvoll zu parodieren und dadurch seine eigene – destruktive – Gattungsrevolution voranzutreiben. Hinsichtlich Catull wiederum ist der allgemeine generische Bezugsrahmen weniger spürbar und deutlich ‚zurückgefahren‘, da sich Ovid auf dessen kon‐ kretes Textkorpus bezieht. Die aemulatio Catulli basiert somit auf dem Prinzip der Einzeltextreferenz. Denn es geht weniger darum, konkret die – nicht immer eindeutig bestimmbaren und eingrenzbaren – Jamben Catulls zu adaptieren, als vielmehr darum, auf die beiden Liebeszyklen um Lesbia und Juventius und auch die damit verbundenen jambischen Sprechweisen in den Remedia zu rekurrieren. Die emotionale Entwicklung und Situation des Sprecher-Ich werden aber nicht nur motivisch, sondern auch strukturell in die Heilmittel gegen die Liebe integriert. So argumentiere ich dafür, dass die Komposition des zweiten tractatio-Teils der Remedia auf den Liebeserfahrungen Catulls basiert. Indem Ovid die Berichte Catulls bewusst wörtlich nimmt und für seinen eigenen Lehrgang als Negativvorbilder verwendet, zeigt sich auch hier der parodistische Grundimpetus des Dichters. Dieses bewusste Ernstnehmen Catulls bezieht sich v. a. auf die renuntiationes amoris, die thematisch eine Ähnlichkeit mit dem Grundprogramm der Remedia darstellen. Denn dass diese bei Catull nicht ernst gemeint sind, zeigt letztlich auch die traumhaft imaginierte Vereinigung mit Lesbia und der sehnsüchtige Wunsch nach einem foedus aeternum am Ende des Zyklus (vgl. c. 107 und 109), die jede versuchte Absage an die Liebe konterkarieren. Aufgrund der lexikalischen, thematischen und motivischen Parallelen kann man also von einem „comic refunctioning of pre-formed linguistic or artistic material“ (so Roses Parodiebegriff), von einer
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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris
spielerischen, nacheifernden Überbietung, also aemulatio, Catulls sprechen – und somit letztlich auch von einer Parodie der Carmina. Trotzdem sollte man auf einer sekundären Ebene auch die Gattungsparodie der Jamben Catulls mitdenken. Wie bereits angeführt, ist eine wichtige Forderung Ovids, über die verflossene Liebschaft zu schweigen. Täte Catull dies, wäre er also im Sinne Ovids ein folgsamer Schüler, würde er seiner schriftstellerischen und auch besonders seiner jambischen Existenz entsagen – würde er schweigen, gäbe es ihn als Dichter und v. a. als Jambiker nicht. Bedenkt man diese metapoetischen Implikationen, betrachtet man nicht nur die Catullanspielungen bei Ovid, sondern auch die Versuche Catulls, sich von der Liebe zu lösen, mit einem lachenden Auge und erkennt den komischen Grundtenor der Remedia amoris. Dieser Umgang sowohl mit Horaz als auch Catull und den allgemeinen jambisch-satirischen Sprechhaltungen und thematischen Foki (etwa durch die Betonung des Obszönen und die illokutiven Sprechakte, siehe Kapitel 4.3.1/4.3.1.3) lässt sich graphisch, unter Fokussierung jambischer Traditionen, mithilfe der Intertextualitätspyramide darstellen (siehe Abbildung 2). Dabei können sowohl die Einzeltextreferenzen auf Catulls Carmina und die ihnen inhärenten iambi und Horaz’ Satiren und Epoden als auch die Systemreferenzen auf erotisch-jambische Traditionen und das jambisch-satirische Sprechen bei Horaz unter dem Oberbegriff „parodistische und funktionale Einbindung in Ovids Werk“ subsumiert werden. Der Jambus wird aber dadurch seiner ur‐ sprünglichen Schockwirkung und Gewalt entkleidet, ja indirekt an sein Ende gebracht, da ein zentraler Aspekt, die Schmähung eines anderen, im Rahmen der Rückfallprävention verboten wird. Das bedeutet, dass der Umgang mit der Gattung Jambus zumindest teilweise auch ein bewusst destruktiver ist. Durch diese Haltung gelingt es Ovid aber zugleich, eine Parallele zwischen diesem Genre und seinem ‚Gegenpol‘, der römischen Liebeselegie mit ihrem Verbot der jambischen Obszönität, zu schaffen. Denn auch der Existenz des elegischen poeta-amator, der sich durch seine sklavische Bindung an seine puella lächerlich macht und vom topisch gewordenen Akt des Paraklausithyrons nicht ablassen möchte, wird durch die Remedia ein Ende bereitet. Weder der poeta iambicus noch der poeta elegiacus können also fortdauern, wenn man diese metapoetischen Anspielungen zugleich mitbedenkt; beide literarischen Gattungen haben nach den Remedia keine Möglichkeit mehr, fortzubestehen. Die Remedia stellen also eine ‚Exekution‘ des Jambus und der Elegie dar
4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm
251
und begegnen beiden konträren Gattungen auf eine ähnlich destruktive und demontierende Weise.853 Die Erkenntnis, dass Ovids Entsagung zwei poetae-Typen betrifft, beant‐ wortet zugleich eine Leerstelle, die bei der Lektüre des Textes entsteht. Denn während des Lehrgangs erklärt Ovid, wie man sich als Leser verhalten und welche Texte man nicht rezipieren solle, da Liebesdichtung, allein schon wegen ihres Klanges, und der ihr inhärenten Gefahr, Rückfälle zu provozieren, zu meiden sei (vgl. rem. 757–766). Eine alternative Zukunft für Dichter, die sich aufgrund ihrer selbst gewählten Themen in Kreisläufen aus Liebe und Leid befinden, zeichnet Ovid dabei aber nicht auf. Wie man durch Ovids Umgang mit den untersuchten Gattungen erkennen kann, sind weder Jambik noch Elegie ein literarisches Feld, in welchem man sich künftig noch betätigen kann, wenn man über Liebesdinge spricht – denn man soll schließlich indifferent bleiben und sich im Schweigen üben. Bedeutet dies, dass literarische Produktion zu diesen Themen für Ovid keine Zukunft mehr hat oder dass man nicht mehr als Elegiker und Jambiker in Erscheinung treten darf? Eine Antwort liefert nicht nur die Biographie Ovids, der in seinen Metamorphosen den Themen Liebe und Liebesleid viel Platz einräumt und in seinem Spätwerk der Fasti und den Briefelegien Epistulae ex Ponto und den Tristia das Metrum verwendet, das den Leser und Dichter in die elegische Welt zieht. Die Antwort „Nein“ erhält man auch dann, wenn man die globale Anlage der Remedia berücksichtigt und dabei die anderen Aspekte meiner Schlussfol‐ gerungen zum Umgang mit Jambus und Elegie integriert: Denn Ovid konzipiert kein ernsthaftes Projekt der Remedia amoris, die sich kompromisslos mit der Demontage dieser Gattungen befassen. Wie bereits mit Blick auf bestsehende Forschungsergebnisse referiert, stehen allein schon die metrisch-formale Ge‐ staltung der elegischen Distichen einer tatsächlichen Absage an die elegische Grammatik im Weg. Man darf Ovid nicht wörtlich nehmen, wenn man den Witz dieses Werkes, das sich auf einer ersten Ebene als einfacher Ratgeber lesen lässt, erkennen will – den Witz eines Werkes, das sich durch tiefer liegende Bedeutungsebenen und durch vielschichtigen, elaborierten Humor und intertextuell-parodistischen Umgang mit ganzen literarischen Werken und Gattungstraditionen auszeichnet.
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Es bleibt hier auch zu bedenken, dass die elegischen Jamben Catulls, die im Kontext der Liebeszyklen verfasst sind, v. a. aufgrund ihrer metrischen und auch inhaltlichen Gestaltung, etwa durch die Artikulation des foedus aeternum, auch als elegische iambi bezeichnet werden können – schon beim ovidischen Vorgänger zeigt sich also eine Annäherung beider entgegengesetzter Genres, die man, wenngleich in anderer Art, bei Ovid findet.
5 Zusammenschau und Ausblick auf weitere Forschungsfelder Man mag sich nach der Lektüre dieser Ausführungen vielleicht fragen: Wieso werden ausgerechnet Lukrez, Horaz und Catull und ihre Werke intertex‐ tuell-parodistisch, auf Basis von Einzeltext- und/oder Systemreferenzen, zu Grundpfeilern der Remedia amoris, und das jeweils im Hinblick auf meist bestimmte Abschnitte der Remedia? Ich denke, dass sich in der Auswahl der In‐ tertexte insbesondere der Innovationsgeist Ovids zeigt, der auf der produktiven Verarbeitung der literarischen Tradition und dabei der jeweils ‚prominentesten und passendsten‘ Texte zu den gewählten Themen fußt. Lukrez’ Diatribe gegen die Liebesleidenschaft ist etwa ein berühmter Prätext für das Ziel, das thematisch v. a. den ersten tractatio-Teil Ovids bestimmt: die Befreiung von unerwünschter Liebesqual. Und genau diese prominente Folie ruft er auf, indem er sie mit einem feinsinnigen Wortspiel invertiert und parodiert – und gleichzeitig die philoso‐ phische Grundlage des lukrezischen Textes „profaniert“854 (nicht zu vergessen ist, dass Ovid so auch einen der gebildeten antiken Lesern bekannten ‚Leucht‐ türme‘ didaktischer Poesie aufgreift und im Zuge seiner anamorphotischen Poetik aus den „miniature [R]emedia amoris“855 ein 814-versiges Opus kreiert). Diese inhaltliche reductio (ad amorem) kennzeichnet ebenfalls den Umgang mit Horaz’ moralphilosophischen Satiren. Zwar steht auch Horaz’ Satiren- und Jambenkorpus auf Einzeltextebene Pate für die Remedia – doch erkennt man, dass Ovid Horaz nicht nur in der ersten tractatio-Hälfte und aus thematischen Gründen rezipiert, sondern dass er vielmehr die horazische Technik der Gat‐ tungsrevolution zum Vorbild nimmt und ad extremum führt. Das ist ein Grund dafür, dass die Referenzen auf Horaz und damit einhergehend die satirischen und jambischen Gattungshorizonte über beide Teile der tractatio hinweg spürbar sind. Die Verbindung aus Jambus und Erotik (eines der ‚Rezepte‘ für Ovid, das für die Programmatik der Remedia und die gleichzeitige ‚Exekution‘ der Elegie und ultima revolutio der erotisch-elegischen Gattung kennzeichnend ist) findet sich sowohl in den erotischen Epoden des Horaz als auch in einem der römischen kallimacheischen, und somit für Ovid vorbildlichen, Texte schlechthin: Catulls Carmina mit den Zyklen um Lesbia und Juventius. Da einem naiven Leser, wie ich ihn postuliere, vor allem die Rückfallneigung des Catull’schen Sprecher-Ich 854 855
Vgl. Holzberg (2003) 168 (siehe auch oben Anm. 649). Shulman (1981) 244.
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5 Zusammenschau und Ausblick auf weitere Forschungsfelder
sowie die zahlreichen jambischen Elemente der Sammlung, besonders auch innerhalb der beiden dominanten Liebeszyklen, auffallen dürfte, passt es, dass Ovid diese Texte zur Grundlage für den zweiten Teil seiner tractatio macht und sie parodistisch-intertextuell rezipiert. Ovid ist aus poetologischer Sicht ein alter Horatius, aus teleologischer Sicht ein Anti-Elegiker, der trotzdem in der elegischen Welt verhaftet bleibt, und aus inhaltlicher Sicht auf parodistische Weise ein Anti-Lukrez, wenn es um die Methoden des ‚Entliebens‘ geht – sowie ein besserer Catull, wenn der Versuch der Rückfallprävention im Zentrum steht; und bei alledem ist er doch der unverwechselbare Ovidius. Ovid schafft es also, die zeitgenössische ‚Literaturelite‘ in den Gattungsberei‐ chen Diatribe, Lehrgedicht, Satire und Jambus und damit auch diese Genres in je thematisch und kompositionell passender Weise in sein gattungssprengendes Finale der erotodidaktischen Tetralogie zu integrieren und sich dadurch selbst in die Reihe dieser Vorgänger einzuordnen. Zugleich setzt Ovid seine eigenen poetischen Akzente, die durch die Anspielungen in quasi-postmoderner Ma‐ nier eine zusätzliche Tiefendimension entfalten. Die intertextuellen Wahrneh‐ mungen nicht zu beachten, würde bedeuten, die Konzeption und das Programm der Remedia nicht vollständig zu durchdringen. Zu diesem Werk ist aber längst nicht alles gesagt. Der Fokus dieser Arbeit liegt auf Ovids Umgang mit den genannten Genres, wobei die Grundlage meiner Intepretationen meist weniger allgemeine Gattungmerkmale als vielmehr die Manifestationen generischer Charakteristika in konkreten Einzeltexten sind. Doch lohnt sich der Blick auf andere Gattungen, die Ovid ebenfalls in seine Remedia integriert. Zum Umgang mit der römischen Liebeselegie ist von vielen Forschern bereits Wichtiges herausgearbeitet worden (auch in dieser Arbeit ist dieser Horizont stets berücksichtigt, da er neben der erotodidaktischen Ausrichtung der Remedia das Wesen des Werkes entscheidend mitprägt).856 Dennoch sollte man die konkreten Bezüge zu Properz, die im Rahmen dieser Arbeit und auch oft in der Forschung punktuell angeführt werden,857 tieferge‐
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Mir scheint, dass hierzu bereits grundlegende Ergebnisse, die keiner neuen eigenstän‐ digen Bearbeitung bedürfen, existieren. Siehe hierzu auch den Forschungsüberblick in der Einleitung zu dieser Arbeit in Kapitel 1. Als ein Beispiel möchte ich Hardies (2006) 174 f., auf Henderson (1979) xv basierende Parallelisierung des Remedia-Epilogs (rem. 811–14) mit der renuntiatio in Properz’ drittem Buch (Prop. 3, 24, 15–20) anführen (Hardie spricht von unproblematischen und klar nachvollziehbaren „allusions to the Propertian experience“, S. 174). Auch in den Kommentaren und bereits bei Prinz (1914) passim werden des Öfteren einzelne Parallelen zu Properz, intertextuell oder allgemein in Bezug auf Topoi der Liebesdichtung, angeführt.
5 Zusammenschau und Ausblick auf weitere Forschungsfelder
255
hend betrachten. Bei diesem Dichter handelt es sich ebenfalls um einen der be‐ rühmtesten Vorgänger der gewählten Gattung, weshalb ihn Ovid entsprechend prominent in seinem Werk zu verarbeiten scheint – was wiederum zu seiner poetischen Grundhaltung passt.858 Es könnte sich auch lohnen, Ovids Umgang mit der ‚fachliterarischen‘ Tradi‐ tion der Konsolationsliteratur und den damit einhergehenden philosophischen Kontexten noch genauer zu untersuchen. Eine Grundlage dafür sind etwa Ansätze in der früheren Remedia-Forschung sowie Wildbergers umfassende Ausführungen zum Verhältnis zwischen epikureischen und stoischen Thera‐ pieverfahren und der affektpsychologischen Gestaltung der Remedia.859 Dass sich Ovid an den Topoi dieser Gattungen orientiert, hebt auch schon Geisler (1969) zurecht hervor.860 Auch scheint es mir ertragreich, weiter zu überprüfen, ob bzw. inwiefern weitere Dogmen der Philosophenschulen Epikurs (über Lukrez hinausgehend), der Stoa und des Peripatos – man denke etwa auch an die bei Horaz thematisierte Mesoteslehre861 – zum Gegenstand parodistischer Verfahren werden. Wenngleich ich nicht denke, dass Ovids Absicht eine primär
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Henderson (1979) xv, der Properz als grundlegende Inspiration für Ovid erachtet: „The outline of the programme for the Remedia seems to have been suggested to Ovid by Prop. 1. 1“; Hardie (2006) 174 f. Zur Interaktion zwischen Horaz, Properz und der Ars amatoria vgl. auch Gibson (2007). Man kann und sollte Properz m. E. auch außerhalb der allgemeinen Analyse eines gattungsbezogenen Intertextualitätsvielecks mit der römischen Liebeselegie im Allgemeinen herausheben und so eine eigene Untersuchung zum Verhätnis zwischen Properz und Ovid anstellen – insbesondere auch in Anbetracht der Heilungsthematik, die bei Properz eine wichtige Rolle spielt. Bereits Geisler (1969) ist der Ansicht, dass von allen Dichtern, die Ovid in seine Remedia integriert, Properz „am stärksten […] benutzt“ wurde (S. 79). Vgl. auch Heyworth (2009), der sich mit dem Einfluss des Properz auf Ovid, dabei insbesondere die Amores (aber auch die Medicamina faciei feminae, die auch als Antwort auf die antikosmetischen Äußerungen in Prop. 1, 2 zu sehen seien, vgl. S. 267), befasst: „This force of medicina [Anm.: die vom allerersten Distichon ausgehende Fokussierung auf das Thema der Liebeskrankheit und der im Folgenden thematisierten Medizin dagegen] also gets taken over by Ovid, not so much in the Amores […] as in the Remedia amoris […].“ Heyworth arbeitet heraus, dass Ovids Humor (in den Amores) „from his undermining of Propertian patterns“ (S. 269) komme – möglicherweise lässt sich diese Schlussfolgerung bei genauerer Untersuchung auch auf die Remedia amoris erweitern. Siehe für eine Zusammenfassung von Wildberger (2007) oben Anm. 75. Ein Ausgangs‐ punkt kann auch Filippetti (2015) sein. Vgl. auch Pinotti (1993) 18–23 mit Verweis auf konkrete Textbeispiele. Vgl. zudem Davisson (1996) 257 Anm. 51 zu Nikander. Vgl. bereits Geisler (1969) 41 und 57–62, der den Topos der Liebeskrankheit auf die philosophische Konsolationsliteratur zurückführt, da die „Philosophie als ἰατρική [sich] in einer Konsolationsliteratur nieder[schlägt], die remedia gegen Affekte verschiedener Art bietet“ (S. 59). Siehe auch oben Anm. 29, 50 und 75. Ein Ausgangspunkt kann insbesondere Gibson (2007) sein.
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philosophische ist, möchte ich doch nicht die Möglichkeit von der Hand weisen, dass etwa eine funktionalistische und parodistische Integration philosophischer Konzepte, wie man sie beim Umgang mit Lukrez und vielleicht auch mit den entsprechenden Therapieverfahren erkennen kann, in umfassender Art inten‐ diert ist. Zudem könnte sich eine konsequente Durchdringung der rhetorischen Strukturen der Remedia (auf Grundlage etwa der Erkenntnisse von Stroh [1972 und 1979] und Jones [1997]) und ihres Umgangs mit rhetorischen Schriften aus einer gattungsbezogenen Perspektive lohnen. Dabei bin ich überzeugt, dass eine weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit Ovids (scheinbarem) grande finale der liebeselegischen Didaktik noch viele neue Erkenntnisse zu Themen‐ bereichen, Gattungstraditionen und Prätexten, die hier nicht angesprochen sind, hervorbringen kann.
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7 Stellenindex Anthologia Palatina 5, 191, 5 f. 133 Anm. 476 Apollonios Rhodios 3, 45 183 Anm. 646 Catull c. 2 212 f. c. 3 182, 212 f. c. 5 213 c. 6 228 Anm. 800 c. 7 213 c. 7, 10 221 Anm. 777 c. 8 213 f., 225, 228, 229 ff., 236 f. c. 8, 1 213, 227 mit Anm. 796, 236, 247 c. 8, 11 190 c. 8, 19 213 c. 11 213 f., 225, 231 c. 13 214 c. 15 222 f. c. 21 223 c. 21, 12 227 Anm. 796 c. 22, 20 124 f. Anm. 448 c. 23, 27 227 Anm. 796 c. 24 223 f. c. 32 214 c. 36 176, 214 f. c. 36, 5 227 Anm. 796 c. 37 214 f. c. 38 215 c. 40 176, 211, 215, 223 c. 42 215 f. c. 43 216 mit Anm. 755 c. 48 223 f. c. 51 216 mit Anm. 755 c. 54 176
c. 56 216 c. 58 216 f. c. 60 217 c. 61, 82 227 Anm. 796 c. 62, 42–44 187 f. c. 64, 132–135 184 Anm. 655, 186 f. c. 64, 132–201 184 f. c. 64, 143 186 f. c. 64, 251–264 184 f. c. 64, 261–264 184 Anm. 655 c. 68 218 c. 68, 70–76 183 f. c. 69, 10 227 Anm. 796 c. 70 219 c. 72 219 c. 72, 5 f. 229, 237 f. c. 73, 1 227 Anm. 796 c. 75 219, 237 f. c. 75, 3 f. 229 c. 75, 4 227 Anm. 798 c. 76 219 f., 225, 228, 236 f. c. 76, 7–9 228 Anm. 801 c. 76, 10–12 231 Anm. 805 c. 76, 11 f. 227 c. 76, 11–26 229 ff. c. 76, 12 227 Anm. 796, 236 c. 76, 13–26 242 f. c. 76, 15 f. 231 Anm. 806 c. 79 217, 220 c. 81 224 c. 83 46 f., 220 f., 228 f., 243–247 c. 83, 3 f. 241 c. 83, 6 229 c. 85 189 f., 192 f., 219 f., 231 Anm. 805 c. 86 220
278
c. 87 220 c. 89, 4 227 Anm. 796 c. 92 46 f., 221, 228 f., 243–247 c. 99 224 f. c. 100, 7 221 Anm. 777 c. 103, 3 227 Anm. 796 c. 104 221 Anm. 778 c. 107 249 c. 107, 5–7 221 c. 109 221, 249 frg. 3 176 Anm. 610 Cicero de orat. 2, 189 80 f. de orat. 2, 191 81 Anm. 263 Tusc. 3, 81 35 Anm. 75 Tusc. 4, 63 35 Grattius 23 94 Horaz ars 73–92 108 ars 79 167 f. carm. 3, 30, 1 30 carm. 3, 30, 15 f. 31 Anm. 62 epist. 1, 19, 23–25 167 f. epist. 1, 19, 24 f. 114 epod. 2 163–165 epod. 2, 37 f. 164 f. mit Anm. 570 epod. 2, 67–70 163 f. epod. 8 158, 169 epod. 11 153–158, 162, 225 f., 238 epod. 11, 5 f. 238 epod. 11, 18 238 epod. 11, 20–22 153 ff. epod. 12 158, 169 epod. 14 159, 225 f. epod. 15 156–158, 159, 225 f. sat. 1, 1, 24 126
7 Stellenindex
sat. 1, 2 59, 127 Anm. 461, 109 f., 138 f. sat, 1, 2, 28–79 139 Anm. 507 sat. 1, 2, 37–79 139 sat. 1, 2, 47–63 109 f. sat. 1, 2, 64–67 137 f. sat. 1, 2, 78 139 sat. 1, 2, 103–108 110 Anm. 393 sat. 1, 2, 109 f. 110 sat. 1, 2, 119–124 140 sat. 1, 2, 123 f. 141 Anm. 509 sat. 1, 3 114–128 sat. 1, 3, 20 124 sat. 1, 3, 26 124 sat. 1, 3, 28 124 sat. 1, 3, 35 124 sat. 1, 3, 38–42 120 sat. 1, 3, 38–48 117 f. sat. 1, 3, 38–72 120–123 sat. 1, 3, 38–75 115 sat. 1, 3, 39 124 sat. 1, 3, 44 124 sat. 1, 3, 49–72 118 f. sat. 1, 3, 68 124 sat. 1, 3, 70 124 sat. 1, 3, 96 127 sat. 1, 3, 141 f. 127 sat. 1, 4 125 Anm. 450 sat. 1, 4, 9 128 Anm. 465 sat. 1, 4, 48–52 137 f. mit Anm. 500 sat. 1, 4, 101 128 Anm. 465 sat. 1, 4, 105 f. 128 Anm. 465 sat. 1, 4, 129–131 128 Anm. 465 sat. 1, 4, 131 124 sat. 1, 4, 139 f. 128 Anm. 465 sat. 1, 6 138 Anm. 503 sat. 1, 8 111 f. sat. 2, 2 127 Anm. 461, 133 Anm. 478 sat. 2, 3 130 f., 133–136 sat. 2, 3, 1–16 135
7 Stellenindex
sat. 2, 3, 259–271 135–137 sat. 2, 4 90 f., 124, 133 Anm. 478 sat. 2, 4, 94 f. 91 Anm. 306 sat. 2, 6 138 mit Anm. 503 sat. 2, 7 127 Anm. 461, 130 f., 133 ff., 138 f. sat. 2, 7, 21–45 134 sat, 2, 7, 46–94 134, 140–150 sat. 2, 7, 28 f. 138 Anm. 503 sat. 2, 7, 91 f. 139, 146 f. sat. 2, 7, 92 142 Anm. 512 sat. 2, 8 138 mit Anm. 503 Lucilius fr. 1326–1338 M 128 Anm. 465 Lukrez 1, 422–425 66 f. 1, 693–700 66 f. 1, 927 f. 91 Anm. 306 4, 26–822 66 4, 379–468 67 4, 469–521 66 f. 4, 722–822 68 Anm. 216 4, 962–1029 68 4, 1030–1036 68 4, 1037–1072 67 4, 1053 f. 67 Anm. 211 4, 1058–1191 65 4, 1061 f. 70 Anm. 223, 72 Anm. 232 4, 1063 f. 68 4, 1063–1072 59 f., 70 f. 4, 1064 72 4, 1065 89 4, 1065 f. 77 Anm. 244 4, 1068–1072 35 Anm. 79 4, 1069 68 Anm. 214 4, 1071 f. 77 Anm. 244, 89 4, 1073–1085 69 4, 1073–1120 67 f. 4, 1097–1104 69
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4, 1117 68 Anm. 214 4, 1121–1140 76 4, 1123 76 4, 1137 67 Anm. 211 4, 1144–1150 35 mit Anm. 79 4, 1149–1152 75 Anm. 237 4, 1149–1170 76, 114 4, 1149–1191 67 mit Anm. 211 4, 1150–1152 128 Anm. 466 4, 1162 121 4, 1174–1189 129 Anm. 468 4, 1177–1184 131–133 Ovid am. epigr. 34 Anm. 73 am. 1, 1, 1 41 am. 1, 4, 7 236 Anm. 821 am. 1, 5, 9 f. 183 f. mit Anm. 646 am. 1, 5, 11 f. 184 am. 1, 9, 1 f. 97 am. 1, 9, 32 236 Anm. 821 am. 1, 10, 64 236 Anm. 821 am. 1, 15 86 f. am. 1, 15, 23 66 am. 1, 15, 25 f. 86 Anm. 286 am. 2, 2, 10 236 Anm. 821 am. 2, 6 182 am. 2, 9 191, 225 Anm. 793 am. 2, 13 111 am. 2, 14 111 am. 2, 19, 48 236 Anm. 821 am. 3, 1, 61 236 Anm. 821 am. 3, 4, 11 236 Anm. 821 am. 3, 9, 59–68 182 f. am. 3, 11 29, 189–192, 225 Anm. 793, 239 f. am. 3, 11, 7 190 am. 3, 11, 31 236 Anm. 821 am. 3, 11, 31 f. 189 f., 240 Anm. 828 am. 3, 11, 33 f. 189
280
am. 3, 11, 36 239 am. 3, 14 29, 190 ff. am. 3, 15, 7 f. 182 ars 1, 17 28 ars 1, 29 14 Anm. 4 ars 1, 29–34 139 f. ars 1, 31 f. 140 ars 1, 45–50 103 Anm. 364 ars 1, 79 f. 103 ars 1, 133 f. 105 Anm. 373 ars 1, 411 236 Anm. 821 ars 1, 463 f. 80 ars 1, 527–564 184 f. ars 1, 536 186 ars 1, 536–538 184 Anm. 655 ars 1, 610 81 Anm. 264 ars 1, 611 78 ars 1, 611–646 80 ars 1, 615 f. 78 ars 1, 659–662 80 Anm. 261 ars 2, 306 236 Anm. 821 ars 2, 539 198 Anm. 695 ars 2, 539 f. 232 Anm. 811 ars 2, 593–600 139 f. ars 2, 641 f. 117 ars 2, 641–644 126 Anm. 456 ars 2, 641–662 115, 125 f. ars 2, 654 236 Anm. 821 ars 2, 657–662 76, 117 ars 2, 661 121 ars 2, 662 121 f. ars 2, 717 f. 105 Anm. 373 ars 3, 153–155 80 Anm. 259 ars 3, 199–250 129 Anm. 468 ars 3, 262 122 Anm. 435 ars 3, 579–588 99 Anm. 348 ars 3, 673 f. 234 Anm. 817 ars 3, 747 f. 30 Anm. 60 ars 3, 757 236 Anm. 821
7 Stellenindex
ars 3, 769–772 59 f., 89 ars 3, 773–788 89 Anm. 299 epist. 10, 76 186 Anm. 664 fast. 3, 459–516 185–187 met. 3, 353–356 187 f. Pont. 4, 16, 34 94 f. rem. 1–40 13, 27 rem. 15 f. 13, 27 rem. 21 f. 235 Anm. 820 rem. 31 f. 31 f. rem. 31–36 98 f. rem. 41–44 28 Anm. 50 rem. 41–78 27 f. rem. 43 f. 33, 40 rem. 47 f. 33 rem. 49 f. 27 rem. 49–52 27 Anm. 48 rem. 53 93 Anm. 321 rem. 53 f. 125, 141, 144 rem. 55 f. 105 rem. 57 f. 105 rem. 59 f. 105 rem. 65 f. 93 Anm. 321 rem. 70 30 Anm. 60 rem. 71 f. 33, 40 rem. 75–134 28 Anm. 50, 65 rem. 79–134 34, 79 rem. 81 105 rem. 81–92 148 rem. 89 f. 142 rem. 90 146 f. rem. 95 105 rem. 133 f. 125 rem. 135–144 97 rem. 135–150 34 Anm. 71 rem. 135–248 72 rem. 135–488 65, 71, 79 rem. 135–608 33 f. rem. 136–138 72 Anm. 231
7 Stellenindex
rem. 144 34 Anm. 71 rem. 150 34 Anm. 71 rem. 151 103 rem. 151–168 97 rem. 169 f. 164 f. rem. 169–186 85 f. rem. 169–210 94, 96 rem. 169–212 164 f. rem. 171–186 103 rem. 179–182 103 f. rem. 185 f. 95 rem. 199 f. 103 Anm. 364 rem. 207–210 103 Anm. 364 rem. 211 13, 102 rem. 211 f. 75, 164 rem. 213–248 97 f. rem. 215 f. 72 Anm. 232 rem. 225–232 28 Anm. 50 rem. 261 f. 105 rem. 263–288 105 rem. 291–356 75 ff. rem. 297 102, 201 Anm. 707, 235 Anm. 819 rem. 299 f. 76 rem. 299–308 201 Anm. 707, 234 Anm. 818 rem. 299–440 171 ff. rem. 300 141 rem. 303 f. 201 Anm. 707 rem. 305 f. 197 Anm. 692, 200 f. mit Anm. 707 rem. 308–310 201 Anm. 707 rem. 309 f. 234 Anm. 818 rem. 309–316 120 rem. 313–316 28 Anm. 50 rem. 315 125 Anm. 453 rem. 315–332 76 f. rem. 315–340 114 rem. 315–418 120–126 rem. 321 141, 150 rem. 324 125 Anm. 453
281
rem. 338 125 Anm. 453 rem. 348 125 Anm. 453 rem. 351–356 111 f. mit Anm. 404, 129 rem. 357 f. 87 rem. 357–360 34 Anm. 73, 59 f. rem. 361–396 34, 86 f., 100, 108 rem. 377 f. 173 rem. 379 f. 101 rem. 379–396 100 Anm. 353 rem. 385 f. 140 rem. 389 87 rem. 395 f. 34 Anm. 73, 86 Anm. 286 rem. 397 28 Anm. 51 rem. 397–418 59 f., 87 rem. 399 88 Anm. 293 rem. 399–440 109 rem. 401–404 88 rem. 403 88 Anm. 293 rem. 403 f. 73 rem. 404 235 Anm. 820 rem. 407–410 89 rem. 411 f. 129 rem. 417 129 rem. 418 125 Anm. 453 rem. 429–440 107 f., 129 rem. 433 110 rem. 439 110 f. rem. 441–488 73 rem. 451 f. 159, 225 f. rem. 453–460 105 rem. 462 159 rem. 467–486 105 rem. 467–488 93 Anm. 321 rem. 489–522 82 rem. 493–498 141, 144 f. rem. 493–515 77 f., 81 f. rem. 497 142 rem. 497 f. 80 rem. 497–504 73
282
rem. 503 102 rem. 504 199 Anm. 703, 241 rem. 505–510 142, 150 rem. 505–512 99 Anm. 348 rem. 511 f. 103 Anm. 362 rem. 513 150 Anm. 530 rem. 518 150 Anm. 530 rem. 519 150 Anm. 530 rem. 525 200 rem. 527 f. 28 Anm. 50 rem. 531 f. 235 Anm. 820 rem. 533 73 Anm. 232 rem. 543–548 34 Anm. 71, 160 Anm. 560, 196–199 rem. 546 199, 241 rem. 549–578 197 rem. 579 104 f., 197 rem. 579–608 201 rem. 583 f. 72 f. Anm. 232 rem. 607 f. 27 Anm. 48 rem. 609–620 201 rem. 609–810 34 rem. 629 102 f. rem. 630 104 f. rem. 643–647 245–247 rem. 643–648 160 f. rem. 643–650 229 f. rem. 643–658 231 f., 241 rem. 643–672 202, 227, 234 f., 247 f. rem. 643–698 229 f. rem. 645 247 rem. 647 235 Anm. 820 rem. 648 243 rem. 650 235 mit Anm. 819, 242 f. rem. 655 f. 239 rem. 655–658 230, 239 f. rem. 655–672 161 rem. 657 f. 161, 236–238 rem. 658 235 Anm. 820, 236
7 Stellenindex
rem. 661 f. 102 f. rem. 663–672 234 Anm. 816 rem. 673–676 233 rem. 673–682 234 Anm. 818 rem. 673–698 202 Anm. 709, 233 rem. 675 200 rem. 677 f. 200 f. mit Anm. 707 rem. 683–698 233 f. mit Anm. 818 rem. 685 201 Anm. 707, 235 Anm. 819 und 820 rem. 685 f. 230, 234 Anm. 817 rem. 685–698 233–235, 247 f. rem. 693–698 201 Anm. 707, 230, 247 f. rem. 699–706 34, 233 rem. 707–714 34 Anm. 71, 216 rem. 729 102 f. rem. 729 f. 218 rem. 733–784 93 Anm. 321 rem. 757 f. 101 f. rem. 757–766 251 rem. 766 102 Anm. 360 rem. 767–784 99 Anm. 347, 161, 202 rem. 768 199, 241 Anm. 830 rem. 769 f. 161, 197 rem. 785 f. 98 f., 142, 150 f. rem. 785–790 99 Anm. 347, 198 rem. 791–794 99 Anm. 347, 161, 197 ff., 240 ff. rem. 792 235 Anm. 820 rem. 794 199 rem. 795–810 28 Anm. 50 rem. 811 30 f. rem. 811–814 30 ff., 41, 254 Anm. 857 rem. 814 27 Anm. 48 trist. 2, 423–428 66 trist. 2, 471–492 92 Anm. 311 trist. 3, 3, 73 83 trist. 4, 10, 1 83
7 Stellenindex
Persius 5, 157–175 131 Anm. 473 Platon rep. 474d–475a 114 f. Plinius der Ältere nat. 32, 11 94 Properz 1, 3, 14 189 Anm. 673 1, 5, 31 236 Anm. 821 1, 7, 13 f. 100 Anm. 352 1, 15, 25 236 Anm. 821 1, 15, 25 f. 240 Anm. 828 2, 1, 57 f. 100 2, 5, 1–14 147 ff. 2, 5, 14 146 f. 2, 16, 1 f. 241 Anm. 830 2, 22a, 17 f. 124 Anm. 448 2, 34, 41 f. 236 Anm. 821 3, 8 245 f. mit Anm. 848 3, 15, 32 236 Anm. 821 3, 24, 15–20 254 Anm. 857 4, 8, 78 236 Anm. 821 4, 11, 1 236 Anm. 821 Quintilian inst. 1, 5, 8 179 Anm. 624 inst. 1, 5, 20 179 Anm. 624 inst. 6, 3, 18 179 Anm. 624 inst. 6, 3, 97 54 inst. 9, 2, 35 54 inst. 9, 3, 16 179 Anm. 624
283
inst. 9, 4, 141 179 Anm. 624 inst. 10, 1, 96 179 mit Anm. 623 inst. 10, 2, 1 50 Anm. 156 inst. 10, 7, 15 81 Anm. 264 inst. 11, 1, 38 179 Anm. 624 Terenz Eun. 46–49 137 Anm. 494 Tibull 1, 1, 45–48 165 Anm. 570 1, 2, 14 31 1, 2, 71–76 103 mit Anm. 365 1, 4 100 Anm. 352 1, 8, 7 236 Anm. 821 1, 8, 77 236 Anm. 821 2, 6, 41 236 Anm. 821 Vergil Aen. 1, 1 41 ecl. 2 103 f. ecl. 10 103 f. ecl. 10, 69 189 Anm. 673 georg. 2, 475–540 163 georg. 3, 1–48 86 f. georg. 3, 1–241 59 f. georg. 3, 16 86 Anm. 286 georg. 3, 42 f. 87 georg. 3, 49–122 88 georg. 3, 49–241 87 georg. 3, 123–137 88 georg. 3, 130 88 Anm. 293 georg. 3, 209–241 88
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6:
Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16:
Allgemeines Strukturmodell der Intertextualitätspyramide Jambische Traditionen im Pyramidenmodell zu den Remedia amoris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Didaktische Traditionen im Pyramidenmodell zu den Remedia amoris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intertextualitätsvieleck zu den ‚Sex-praecepta‘ . . . . . . . . . . . Tabellarische Übersicht zum ersten tractatio-Teil der Remedia amoris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Euphemisierungsstrategien und ‚rhetorische Selbstmanipulation‘ im Pyramidenmodell zu den Remedia amoris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intertextualitätsvieleck zu Euphemisierungsstrategien und ‚rhetorischer Selbstmanipulation‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intertextualitätsvieleck zu simulatio und simulacra . . . . . . . Intertextualitätsvieleck zu ‚Liebessklaven‘ . . . . . . . . . . . . . . Intertextualitätsdreieck zu erotisch-jambischen Traditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intertextualitätsvieleck I zur renuntiatio amoris . . . . . . . . . . Intertextualitätsvieleck II zur renuntiatio amoris . . . . . . . . . Tabellarische Übersicht zum zweiten tractatio-Teil der Remedia amoris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Emotionale Entwicklung im Lesbiazyklus I . . . . . . . . . . . . . Emotionale Entwicklung im Lesbiazyklus II . . . . . . . . . . . . . Emotionale Entwicklung im Juventiuszyklus . . . . . . . . . . . .
62 62 63 63 74
116 116 143 146 163 188 191 195 204 205 206
Classica Monacensia Münchener Studien zur Klassischen Philologie herausgegeben von Martin Hose und Claudia Wiener Die Classica Monacensia verstehen sich als Präsentationsforum für aktuelle Ergebnisse von Forschungsprojekten zur antiken Literatur, die an der LMU München entstanden sind. Seit mehr als 25 Jahren erscheinen in der Reihe Monographien, kommentierte Textausgaben und Sammelbände aus Themenbereichen der Griechischen und Römischen Antike. Der Schwerpunkt liegt dabei auf literaturwissenschaftlicher Forschung in Verbindung mit historischen und philosophischen Fragestellungen. Bisher sind erschienen: Band 28 Christian Zgoll Phänomenologie der Metamorphose Verwandlungen und Verwandtes in der augusteischen Dichtung 2004, 405 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-6025-4
Band 32 Gunther Martin Dexipp von Athen Edition, Übersetzung und begleitende Studien 2006, XII, 287 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6242-5
Band 29 Hellmut Flashar Spectra Kleine Schriften zu Drama, Philosophie und Antikerezeption 2004, 348 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-6118-3
Band 33 Patrizia Marzillo Der Kommentar des Proklos zu Hesiods „Werken und Tagen“ Edition, Übersetzung und Erläuterung der Fragmente 2010, LXXXVIII, 458 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6353-8
Band 30 Niklas Holzberg (Hrsg.) Die Appendix Vergiliana Pseudepigraphen im literarischen Kontext 2005, XX, 294 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6202-9 Band 31 Regina Höschele Verückt nach Frauen Der Epigrammatiker Rufin 2005, XII, 156 Seiten €[D] 48,00 ISBN 978-3-8233-6205-0
Band 34 Helmut Löffler Fehlentscheidungen bei Herodot 2008, X, 242 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6381-1 Band 35 Gregor von Nazianz Über Vorsehung Περὶ Προνοίας Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Andreas Schwab 2009, 142 Seiten €[D] 39,9,00 ISBN 978-3-8233-6418-4
Band 36 Peter Grossardt Achilleus, Coriolan und ihre Weggefährten Ein Plädoyer für eine Behandlung des Achilleus-Zorns aus Sicht der vergleichenden Epenforschung 2009, XII, 159 Seiten €[D] 39,9,00 ISBN 978-3-8233-6483-2 Band 37 Regina Höschele Die blütenlesende Muse Poetik und Textualität antiker Epigrammsammlungen 2010, X, 375 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-6552-5 Band 38 Alexander Müller Die Carmina Anacreontea und Anakreon Ein literarisches Generationenverhältnis 2010, VIII, 300 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-6575-4 Band 39 Andreas Patzer STUDIA SOCRATICA Zwölf Abhandlungen über den historischen Sokrates 2012, X, 370 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6579-2 Band 40 Maria Gerolemou Bad Women, Mad Women Gender und Wahnsinn in der griechischen Tragödie 2011, X, 442 Seiten €[D] 98,00 ISBN 978-3-8233-6580-8 Band 41 Karin Mayet Chrysipps Logik in Ciceros philosophischen Schriften 2010, 340 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-6581-5
Band 42 Nikolaos Vakonakis Das griechische Drama auf dem Weg nach Byzanz Der euripideische Cento Christos Paschon 2011, 184 Seiten €[D] 48,00 ISBN 978-3-8233-6582-2 Band 43 Evanthia Tsigkana Studien zu Euripides’ Elektra Das Motiv der Erwartung im griechischen Drama 2012, 320 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-6724-6 Band 44 Margot Neger Martials Dichtergedichte Das Epigramm als Medium der poetischen Selbstreflexion 2012, 392 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6759-8 Band 45 Isabella Wiegand Neque libere neque vere Die Literatur unter Tiberius und der Diskurs der res publica continua 2013, XIV, 362 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6811-3 Band 46 Sophia Bönisch-Meyer/Lisa Cordes/ Verena Schulz/Anne Wolsfeld/Martin Ziegert (Hrsg.) Nero und Domitian Mediale Diskurse der Herrscherrepräsentation im Vergleich 2014, VIII, 485 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6813-7 Band 47 Fabian Horn Held und Heldentum bei Homer Das homerische Heldenkonzept und seine poetische Verwendung 2014, IV, 388 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6837-3
Band 48 Jan-Markus Pinjuh Platons Hippias Minor Übersetzung und Kommentar 2014, 264 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-6849-6 Band 49 Olga Chernyakhovskaya Sokrates bei Xenophon Moral – Politik – Religion 2014, XII, 279 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6863-2 Band 50 Lukians Apologie Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Markus Hafner 2017, 159 Seiten €[D] 38,00 ISBN 978-3-8233-8071-9 Band 51 Manuel Caballero González Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur 2017, 628 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6991-2 Band 52 Philipp Weiß Homer und Vergil im Vergleich Ein Paradigma antiker Literaturkritik und seine Ästhetik 2017, 392 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-8110-5 Band 53 Andreas Patzer Von Hesiod bis Thomas Mann Dreizehn Abhandlungen zur Literaturund Philosophiegeschichte 2018, 245 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-8190-7
Band 54 Vicente Flores Militello tali dignus amico Die Darstellung des patronus-cliensVerhältnisses bei Horaz, Martial und Juvenal 2019, 366 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-8296-6 Band 55 Alexander Schütze, Andreas Schwab Herodotean Soundings The Cambyses Logos 2021, ca. 275 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-8329-1 Band 56 Margot Neger Epistolare Narrationen Studien zur Erzähltechnik des jüngeren Plinius 2021, 448 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-8345-1 Band 57 Alexander Sigl Die Modellierung epikureischer personae in der römischen Literatur Studien zur Erzähltechnik des jüngeren Plinius 2022, 550 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-8503-5 Band 58 Maria Anna Oberlinner Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris 2022, 285 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-8526-4
Ovids Remedia amoris zeichnen sich durch die produktive Rezeption paradigmatischer Intertexte und literarischer Gattungen (Lehrgedicht, Satire, Jambus) aus. Die Autorin zeigt, wie intertextuell-parodistisch auf Lukrez‘ Diatribe gegen die Liebesleidenschaft in De rerum natura 4, Horaz‘ Satiren und Epoden und Catulls Carmina referiert wird. Ferner wird dargestellt, inwiefern diesen Prätexten eine für die inhaltliche und strukturelle Komposition der Remedia werk-konstitutive Funktion zukommt. Der Untersuchung werden bestehende Perspektiven auf Parodie und Intertextualität zugrunde gelegt. Darauf aufbauend entwickelt die Autorin das visualisierende Pyramidenmodell der Intertextualität, das für die Untersuchung der Remedia und für weitere Studien eingesetzt werden kann. Das Buch richtet sich an interessierte Studierende, Dozierende und Literaturwissenschaftler:innen der Latinistik und klassischen Philologie. www.narr.de
ISBN 978-3-8233-8526-4