In Kommunikation mit Wort und Raum: Bibelorientierte Kirchenpädagogik in einer pluralen Kirche und Gesellschaft [1 ed.] 9783737005326, 9783847105329, 9783847005322


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German Pages [380] Year 2016

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In Kommunikation mit Wort und Raum: Bibelorientierte Kirchenpädagogik in einer pluralen Kirche und Gesellschaft [1 ed.]
 9783737005326, 9783847105329, 9783847005322

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Arbeiten zur Religionspädagogik

Band 58

Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h.c. Gottfried Adam, Prof. Dr. Dr. h.c. Rainer Lachmann und Prof. Dr. Martin Rothgangel

Birgit Sendler-Koschel

In Kommunikation mit Wort und Raum Bibelorientierte Kirchenpädagogik in einer pluralen Kirche und Gesellschaft

V&R unipress

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MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-6177 ISBN 978-3-8471-0532-9 ISBN 978-3-8470-0532-2 (E-Book) ISBN 978-3-7370-0532-6 (V&R eLibrary) Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2016, V&R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, 37079 Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Rosette in Chartres mit Illumination eines biblischen Erzählfensters, © Günter Koschel Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Zum Alten Berg 24, 96158 Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Für Günter, Miriam, Nora und Donata

Inhalt

Du stellst meine Füße auf weiten Raum… . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Die Kirchenpädagogik als Chance und Herausforderung für Kirche und Theologie – Entstehungsgeschichte, Entwicklungen, religionspädagogische Perspektiven und Begriffsdefinition . . . . . . 2.1 Im nicht-christlichen Umfeld christliche und biblische Tradition zeigen – die Anfänge der Kirchenpädagogik in den evangelischen Kirchen in der DDR und im wiedervereinigten Deutschland . . . 2.2 Die Entwicklung der Kirchenpädagogik im Zusammenhang der theologischen Neugewichtung der Kirchenräume, in veränderten Kirchenführungsformaten und in der verlässlichen Öffnung der Kirchenräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Entwicklung und die bisherigen Perspektiven der Kirchenpädagogik als religionspädagogischem Handlungsfeld . . 2.3.1 Die Kirchenpädagogik in ihrer Gründungs- und Konsolidierungsphase als Teilbereich der Religionspädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Meilensteine religionspädagogischer Veröffentlichungen in der Kirchenpädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Die Situation der Kirchenpädagogik in kirchlich (mit) verantworteten Bildungsfeldern . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.1 Schule und Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . 2.3.3.2 Kindertagesstätten, Familienbildung und Gemeindepädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.3 Erwachsenenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.4 Kirchenführerausbildungen und die Dienste für Freizeit und Tourismus . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

2.3.4 Bündelung und religionspädagogische Weiterentwicklung der Kirchenpädagogik im Bundesverband Kirchenpädagogik e. V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 Kirchenpädagogik mit konfessionellen Akzentuierungen kirchenraumbezogener Religionsdidaktik . . . . . . . . . . . 2.3.6 Didaktische Grundorientierungen und Auslegungsperspektiven der Kirchenpädagogik . . . . . . . . A. Bildung mit prinzipieller Subjektorientierung . . . B. Didaktische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Sozialformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Lerngegenstände/inhaltliche Auslegungsperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.7 Die bibelorientierte Auslegungsperspektive in der bisherigen Kirchenpädagogik und ihre Bedeutung in einer konfessionssensiblen und ökumenisch ausgerichteten Weiterentwicklung der Kirchenpädagogik . . . . . . . . . . 2.3.7.1 Die bibelorientierte Auslegungsperspektive als ekklesiologisch und religionsdidaktisch notwendige . 2.3.7.2 Die bibelorientierte Auslegungsperspektive in der bisherigen Kirchenpädagogik . . . . . . . . . . . . . . 2.3.7.3 Kirchliche Kontexte und Desiderate einer bibelorientierten Auslegungsperspektive in der Kirchenpädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.8 Der Begriff Kirchenpädagogik und seine Definition . . . . . 2.4 Resümee: Kirchenpädagogik als Religionspädagogik im Kontext des Auftrags der Kirche zur Kommunikation des Evangeliums . . 3. Zur Theorie einer bibelorientierten Kirchenpädagogik . . . . . . 3.1 Raum und Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Raum – etymologische, philosophische und religionsphänomenologische Aspekte der Raumkonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Biblische und kirchlich-konfessionelle Positionen zum Verständnis des Kirchenraums als religiösem Raum . . 3.1.2.1 Der personalisierte ›heilige Raum‹ im Neuen Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.2 Der Kirchenraum als heiliger Raum in der katholischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . .

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3.1.2.3 Der Kirchenraum als Funktionsraum für Wortverkündigung und Sakrament – reformatorische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Raum geben für Religion – Soziologische und philosophische Impulse für eine gegenwartsbedeutsame Annäherung an Kirchenräume und ihre theologische Reflexion in der Kirche des 21. Jahrhunderts . . . . . . . . . 3.1.3.1 Kirchenräume als institutionalisierte Form des relationalen Beziehungsraumes –Löws Raumsoziologie und Kirchenpädagogik . . . . . . . . 3.1.3.2 Kirchenbauten als Heterotopien und zu deutende religiöse Räume bei Mertin . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3.3 Kirchenbauten und die Predigt der Steine – Möllers Anregungen für die Kommunikation des Evangeliums über nicht phonetische Zeichen im Kirchenraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3.4 Atmosphäre und die Ekstase der Dinge – Anregungen für die Kirchenpädagogik aus der neuen Ästhetik von Böhme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3.5 Der Beitrag phänomenologischer Theologie zum Verständnis des Kirchenraums und zur Kommunikation des Evangeliums durch Wort und Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4. Resümee: Raum und Wort – Der Kirchenraum als gestalteter religiöser Kommunikations- und Beziehungsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Wort und Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Semiotische Perspektiven zur Kommunikation mit Wort und Raum – Ecos Theorie der Zeichen in Kommunikation und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Wort Gottes – die Entwicklung der Begrifflichkeit und ihrer Bedeutung in der alt- und neutestamentlichen Wort-Gottes-Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Das Wort Gottes im verkündigenden Menschenwort und das Ereignis des geoffenbarten Worts – die Weiterführung der Wort-Gottes-Theologie im Protestantismus . . . . . . . 3.2.4 Rezeptionsästhetische Theorien und ihre Relevanz für Zugänge zur Bibel und für eine Kirchenpädagogik in Kommunikation mit Wort und Raum . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3.2.4.1 Der Akt des Lesens – Impulse aus Isers Rezeptionsästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4.2 Die Rezeption von Texten beim Hören und Lesen – Impulse aus der wirkungsorientierten Rezeptionsästhetik für die Theologie . . . . . . . . . 3.2.4.3 Die Lenkung der Interpretation durch den Text – Ecos semiotische Rezeptionsästhetik in der Kommunikation mit Wort und Raum . . . . . . . . 3.2.5. Resümee: Wort und Raum – Das Wort Gottes als Ereignis der Aktualisierung des Christusgeschehens in der je individuell bedeutsamen Kommunikation und Rezeption des Evangeliums in Wort-Raum-bezogenen Lernprozessen

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4. Kirchenpädagogik in Kommunikation mit Wort und Raum als kirchliche Bildungsaufgabe und christliche Religionspädagogik in einer pluralen Kirche und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Kirchenpädagogik und Kirchenentwicklung – Herausforderungen und Chancen originaler Begegnung an vernetzten Lernorten religiöser Bildung und kirchlicher Handlungsfelder . . . . . . . . . 4.2 Die religiöse Pluralität in Kirche und Gesellschaft als Herausforderungen an eine kirchenpädagogische Religionsdidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Ästhetik und Pädagogik in kirchenpädagogischer Kommunikation mit Wort und Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Kirchenpädagogik und die Anbahnung von Kompetenzen religiöser Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 In Kommunikation mit Wort und Raum – kirchenpädagogische Religionsdidaktik für kommunikative Lernprozesse in und mit Kirchenräumen/-gebäuden und biblischer Tradition . . . . . . . . 4.5.1 In Kommunikation mit Wort und Raum – unterrichtliche Schritte kirchenpädagogischer Religionsdidaktik . . . . . . . Erste Phase: Wahrnehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweite Phase: Selektieren und konzentrieren . . . . . . . . . Dritte Phase: Deuten und Deutungen vergleichen . . . . . . Vierte Phase: Gestalten und erproben . . . . . . . . . . . . . 4.5.2 In Kommunikation mit Wort und Raum – Religionsdidaktische Varianten einer bibelorientierten Auslegungsperspektive in der Kirchenpädagogik . . . . . . . Skizze eines Beispiels zu Variante 1 . . . . . . . . . . . . . . Skizze eines Beispiels zu Variante 2 . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

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Skizze eines Beispiels zu Variante 3 . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Kirchenpädagogik im Kontext aktueller religionsdidaktischer Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.1 Performative Religionsdidaktik und Kirchenpädagogik . . . 4.6.2 Theologisieren mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen 4.6.3 Bibeldidaktik und bibelorientierte Kirchenpädagogik . . . .

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5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Du stellst meine Füße auf weiten Raum…

Auch im 21. Jahrhundert stehen Kirchengebäude für das Christentum. Mancherorts scheinen sie wie eine Glucke das Dorf um sie herum zu hüten. Andernorts spiegeln sich die Kirchtürme in den Fenstern der sie längst überragenden Hochhäuser oder treten in der Nähe eines Minaretts ein in einen zeichenhaften interreligiösen Dialog. Dieser Entwurf einer evangelisch-theologisch verantworteten und religionsdidaktisch auf Basis der Semiotik entwickelten Kirchenpädagogik hätte nicht entstehen können ohne die Wahrnehmung, wie Kirchenräume viele Menschen jeden Alters und ganz verschiedener Einstellung zu Religion und Christentum zu einer Auseinandersetzung mit christlichem Glauben und biblischer Überlieferung anregen. Plötzlich gewinnt in Kommunikation mit Wort und Raum ein Zeichen im Kirchenraum oder ein biblischer Text Bedeutsamkeit. Er wird durch den Kirchenraum und in ihm Lernende interpretiert und interpretiert sie ebenfalls: Solche Kommunikation gibt religiös zu entdecken und darin zu lernen. Mir stand beim Arbeiten an diesem Entwurf der Kirchenpädagogik, der als Dissertationsschrift an der Universität Hildesheim eingereicht wurde (Disputation am 16. Juli 2015), vor Augen, wie interessiert und oft berührt Konfirmandinnen, Kindergartenkinder, Vikare oder Lehramtsanwärter im Kirchenraum die Bedeutung der Taufe entdeckten. Oft entwickelten Erwachsene bei ihrer Deutung der Kirchenarchitektur eine eigene religiöse Sprachfähigkeit mit Anleihen an die biblische Tradition. Kirchenpädagogik kann – so wird gezeigt – die praktischen Bildungs-, Ausbildungs- und Handlungsbereiche in einer pluralen Kirche und Gesellschaft mit räumlich-ästhetischen Erschließungsmöglichkeiten und Neuentdeckungen biblischer Be-Deutung bereichern. So wie die Längsachsen nach Osten ausgerichteter Kirchen ›Orientierung‹ schenken am österlichen Morgenlicht und Zeichen dafür setzen, wie Gott Lebens- und Denkrichtungen umzudrehen vermag, so brauchen auch wissenschaftlich Arbeitende Formate, die neu zu denken geben. Ich lernte viel im Format des bildenden Diskurses der Kirchen und verschieden konfessionell positionierter und zugleich dialogischer wissenschaftlicher Theologie. Das eine

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Du stellst meine Füße auf weiten Raum…

oder andere neu und anders herum zu denken, bedeutet zugleich stets an dem Gebäude christlicher Theologie weiterzubauen, in und an dem andere bereits gedacht, geforscht und konzipiert haben. Daher danke ich Prof. Dr. Martin Schreiner und Prof. Dr. em. Bernhard Dressler für zahlreiche, für mich wichtige Fragen und Anregungen. Hinweise von Prof. Dr. Annette Scheunpflug aus der Erziehungswissenschaft und solche von Prof. Dr. Thomas Erne und Prof. Dr. Thomas Schlag aus der Praktischen Theologie und der Kirchraumtheorie eröffneten meinen Gedanken erweiterte Horizonte. Prof. Dr. Martin Schreiner und Herrn Prof. Dr. Carsten Jochum-Bortfeld gilt mein Dank für die Begutachtung. Der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Evangelischen Landeskirche in Württemberg danke ich für die Unterstützung. Nicht zuletzt bin ich dankbar für die Offenheit und das Interesse, mit dem meine Familie dieses wissenschaftliche Kirchenpädagogik-Projekt begleitete. Ohne sie und ihre vielfältige Klugheit, ihre Fröhlichkeit und Wärme hätte ich nicht so getrost forschen und schreiben können. Dr. Birgit Sendler-Koschel Hannover, 10. November 2015

1.

Einleitung

Kirchenbauten fallen auf und geben religiös zu lernen. Mit ihren gen Himmel weisenden Türmen, mit ihrer Form und Farbigkeit setzen sie Zeichen für den christlichen Glauben. Ihre Mauern, Bögen und Fenster umgeben beständig die mit wandelnden Motiven kommenden Besucher. Schnell lassen sich Kirchenräume durchschreiten oder lange betrachten. Sie eröffnen der Religion Raum. Ihre Zeichen geben zu deuten. Ihre Baukunst lädt zum Genießen oder zum Widerspruch ein. Kirchengebäude sind anregend und widerständig zugleich. Sie eröffnen Lernraum und bieten Lerngelegenheiten. Als Zeugen vergangener Gottes- und Weltbilder gehören sie mitten hinein in das gottesdienstliche und stadtkulturelle Leben von heute. Sie vertragen Pluralität und bezeugen sie, denn ihre Zeichenwelten verweisen auf die Vielstimmigkeit der Bibel und ihre wechselnden Ausstattungen auf den Wandel im liturgischen Feiern und im theologischen Denken der christlichen Kirche. Zugleich geben ihre Kreuze und ihre Auferstehungszeichen kontinuierlich Auskunft über die christliche Hoffnung. Wer eine Kirche betritt, schreitet hinein in einen religiösen Raum. Während die Gesellschaft hierzulande religiös und weltanschaulich pluraler wird, steigt die Anzahl der Besucher von historisch und kunstgeschichtlich bedeutsamen, wie auch nur lokalgeschichtlich relevanten Kirchenbauten stetig. Als meistbesuchtes Architekturdenkmal in Deutschland liegt der Kölner Dom bei etwa sechs Millionen Besuchern jährlich1. Bedeutsame evangelische Kirchen verzeichnen seit Jahren steigende Besucherzahlen2. Bereits in den 1970er Jahren 1 Nach Auskunft des Dompropstes per E-Mail lässt das Domkapitel die Besucher nicht zählen. Der Besucherstrom hält aber unvermindert an. Deutlich sei eine Zunahme der Besuchenden aus den asiatischen Ländern. Die Zahl der sechs Millionen Besucher wurde nicht von der katholischen Kirche lanciert. Das Domkapitel betont die Ermöglichung der Begegnung mit dieser touristisch bedeutsamen Kathedrale bei freiem Eintritt (E-Mail vom 17. 10. 2012). 2 Im Hamburger Michel wurden 2010 1.333.829 Besuchende gezählt. Trotz der Sperrung der Kirche für mehrere Monate im Jahr 2011 sank die Besucherzahl von Kirche/Turm/Krypta in 2011 kaum. Mit den neuen Tourguides wurden ab 2012 noch mehr Führungen realisiert, da der

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Einleitung

deutete sich das neue Interesse an historischen Kirchengebäuden an. Die evangelischen Kirchen in der damaligen DDR reagierten auf das bunt gemischte und mit unterschiedlicher Motivation vermehrt anreisende Publikum mit einer religionspädagogischen Erweiterung und Veränderung der bisher rein kunsthistorischen Kirchenführungen. Fast zeitgleich bahnte sich dieselbe Entwicklung in Westdeutschland an. Die Kirchenpädagogik entstand3. Sie entwickelte sich aus der Erkenntnis heraus, dass die Form der Kirchenführung, die die Geführten mit einer Fülle historischer und kunsthistorischer Fakten überhäuft, kaum Zugänge zum Kirchengebäude als religiös geprägtem und gottesdienstlich genutztem Raum erschließt. Neue didaktische Zugangsformen wurden erprobt. Die Kirchenpädagogik entwickelte sich als experimentelle, religionsdidaktische Praxis mit dem Anspruch, kunsthistorische und theologische Zugänge zum Kirchenraum und seiner Ausstattung in einer aktiv-entdeckenden Methodik zu erschließen. Durch eine religionsdidaktisch geplante und inszenierte Verlangsamung nahm die Intensität der sinnlichen Wahrnehmung von Raum, Kunst und religiösen Formen zu. Die Zeichen im Raum und den Raum als Zeichen wahrnehmend, sollten Besuchende die Kirche und ihre Kunst zu deuten beginnen und daran auch religiös lernen. Die Impulse der zur Erkundung der Kirche Anleitenden zielten nicht länger auf möglichst umfassende Information über die Geschichte des Kirchenbaus und seiner Ausstattung, sondern motivierten zum Fragen nach der Bedeutung der Kirchenräume, der Kirchengebäude, der christlichen Kunst und der darin zu beobachtenden Äußerungen des christlichen Glaubens für die Spiritualität des einzelnen Menschen, für die christliche Kirche und ihre Theologie. Zunächst erkannten einige evangelische Kirchengemeinden und Kirchenbezirke die Chance, einer wachsenden Zahl von Besuchenden über den KirchenKirchenraum über die Tourguides auch während der Orgelübestunden erschlossen werden kann. Seitdem stieg bis 2015 die Besucherzahl kontinuierlich. Ähnliche Entwicklungen der Besucherzahlen zeigen sich beim Ulmer Münster und der Dresdner Frauenkirche. Während der Hamburger Michel und die Dresdner Frauenkirche auch von zahlreichen Besuchenden mit stadt- oder zeitgeschichtlichem Interesse aufgesucht werden, zeigt sich der Trend wachsenden Interesses an verschiedenen Angeboten der Kirchenerschließung und des freien und selbstständigen Erkundens der Kirche auch beim Ulmer Münster mit seiner weniger weit bekannten zeit- oder metropolgeschichtlichen Funktion (nach E-Mail-Auskunft des Pfarramts Michaeliskirche, des Pfarramts der Frauenkirche und des Evangelischen Dekanatamts Ulm, 10/2011 und 04/2015). 3 Seit Anfang der 1990er Jahre setzte sich mehrheitlich dieser abgekürzte Begriff für eine Religionspädagogik zur Erschließung des Kirchenraumes und des Kirchenbaus durch. Während in den Kirchen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) der Terminus ›Kirchraumpädagogik‹ entstand, nannten die Landeskirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die damals nur aus den evangelischen Kirchen in der BRD bestand, die neue Form der Kirchenerkundung häufiger ›Kirchenpädagogik‹.

Einleitung

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raum die eigene, christliche Tradition zu erschließen. Die neu entstehende Kirchenpädagogik trug so von Anfang an dazu bei, religionspädagogisch einen Traditionsaufbau4 über die Erschließung der Kirchen als religiösen Räumen, in deren Architektur und Ausstattung sich Glaube äußert und die vom geistlichen Leben bis heute geprägt wurden, anzubahnen. Inzwischen hat sich die Kirchenpädagogik in der Freizeit- und Tourismusarbeit über die Kirchenführerausbildung, in der Erwachsenenbildung, in der Aus- und Fortbildung von Hauptamtlichen der Kirche und – örtlich verschieden ausgeprägt – in der Konfirmandenarbeit und der schulischen Arbeit etabliert. Kirchenpädagogik gewann auch im Raum der katholischen Kirche an Bedeutung. Längst geht es nicht mehr nur darum, touristisch bedeutsame Kirchen zu erschließen. Auch wenn die Kirchenpädagogik mit der Erschließung großer und bekannter gotischer oder barocker Kirchengebäude begann, ist heute unumstritten, dass jede Kirche als Gebäude und Raum religiös zu lernen gibt. Was aber genau soll gelernt werden? Weist die Tatsache, dass ›Kirchen-Pädagogik‹ ein ›Pluralbegriff‹ ist, darauf hin, dass sie unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen kann? 5 Die Genese, Begrifflichkeit und das bisherige Spektrum der Kirchenpädagogik wird unter religionspädagogischer Perspektive im ersten Teil der vorliegenden Arbeit kritisch darzustellen und zu reflektieren sein. Dabei muss aus protestantischer Perspektive gefragt werden, wie die Kirchenpädagogik mit ihren verschiedenen Ansätzen auf- und wahrnimmt, dass der Kirchenraum als Raum für Wortverkündigung und sakramentale Feier gebaut wurde. Kommt bei kirchenpädagogischen Erschließungen für die Lernenden in den Blick, dass nicht nur Architektur und Kunst durch die biblische Tradition inspiriert wurden, sondern dass sie in Beziehung stehen zur sich ständig neu ereignenden Aktualisierung der Bibel als des in Gottesdienst und Andacht zur Verkündigung kommenden Wortes Gottes? Erschließt sich in kirchenpädagogischen Lerngängen, dass jede Kirche ein ›Wort raum‹ ist, der gerade deshalb für Christinnen und Christen jenseits seiner mehr oder weniger gelungenen architektonischen und künstlerischen Qualität bedeutsam ist? Die vorliegende Arbeit untersucht die bisher entstandene Kirchenpädagogik unter der Frage, ob und wie sie eine Kirche als ›Wortraum‹ erschließt. 4 Der von den Kirchenführern im Osten wahrgenommene Abbruch der Weitergabe der christlichen Tradition sollte dadurch aufgefangen werden, dass über eine neue Methodik der Kirchenerschließung mit teilnehmerorientierten, exemplarischen inhaltlichen Vertiefungen ein neuer Kontakt mit der christlichen Tradition und der Kirche als lebendiger Gemeinschaft der Glaubenden eröffnet wurde. 5 Thomas Klie wies darauf hin, dass der Pluralbegriff ›Kirchenpädagogik‹ faktisch unterschiedliche ›Kirchenpädagogiken‹ mit je verschiedenen Zielsetzungen verbinde. Vgl. T. KLIE: Wenn Liturgik und Didaktik sich küssen, in: kirchenPÄDAGOGIK. Zeitschrift des Bundesverbandes Kirchenpädagogik 1/2002, 12-16.

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Einleitung

Dabei wird in einem zweiten Schritt zu klären sein, wie Wort und Raum in Theologie, Semiotik, Rezeptionsästhetik, Soziologie und Philosophie verstanden werden und wie sie in kirchenpädagogisch geplanten Lernprozessen aufeinander bezogen wahrgenommen, erlebt, kommuniziert und interpretiert werden können. Daraus wird ein religionsdidaktischer Ansatz entwickelt für die Erschließung von biblischen Texten und Kirchenraum im Kontext von kirchenpädagogischen Lerngängen, der nicht voraussetzt, dass die Teilnehmenden in kirchenpädagogischen Lerngängen schon Kenntnisse über den christlichen Glauben, über den Kirchenbau, die Bibel oder gottesdienstliches Feiern mitbringen. Die Heterogenität einer Lerngruppe, die stets die Pluralität in Kirche und Gesellschaft abbildet, wird als Perspektivreichtum für die religiöse Kommunikation und die Kommunikation über religiöse Deutungen und Bedeutung genutzt. Der auf der Semiotik basierende religionsdidaktische Ansatz ist ein religionspädagogischer Beitrag dazu, wie über religiöse Bildung, die Erleben und Reflektieren zusammenhält, die Pluralitätsfähigkeit religiös Lernender erweitert wird, wenn diese über ihre eigenen Deutungen und die traditionellen Deutungen der christlichen Theologie in Kommunikation und zur Verständigung kommen. Wenn Kirchenpädagogik mit biblischen Texten für Schule und Gemeinde relevant werden soll, muss sie über ihre Funktion und ihren didaktischen Ort im Zusammenhang des Zugewinns religiöser Kompetenz in religiösen Bildungsprozessen auskunftsfähig sein. Daher erfolgt eine Einordnung der Kirchenpädagogik in die Diskussion um die Erweiterung der religiösen Kompetenzen in religiösen Bildungsprozessen im Kontext religionspädagogischer Arbeit an verschiedenen religiösen Lernorten. Die Bedeutung der Kirchenpädagogik in der Religionspädagogik in Kindertagesstätten, Schule und Gemeinde, in der Erwachsenenbildung, in den Medien sowie im Bereich Kirche und Tourismus wird gezeigt und auch auf die Funktion im Rahmen der Kirchenentwicklung in einer pluralen Kirche und Gesellschaft hin befragt. Im didaktischen Teil erfolgt die detaillierte Entfaltung einer semiotisch begründeten Religionsdidaktik für eine kirchenpädagogische Praxis, die die Teilnehmenden in Kommunikation mit Kirchenraum und Bibeltexten, mit Deutungen der Lerngruppe sowie der christlichen Theologie bringt. Die entwickelte, bibelorientierte Kirchenpädagogik kommt in Varianten zum Einsatz, die dadurch unterschieden werden können, welche didaktische Verortung und Funktion die biblischen Texten in den jeweiligen kirchenpädagogischen Lerngängen hat. Hier zeigt sich, dass der Wort-Raum-Bezug immer neu – je nach Lerngruppe und Lerngangszielen – gewichtet und entsprechend religionsdidaktisch inszeniert werden muss. Als subjektorientierte Bildungsarbeit in evangelischer oder katholischer Bildungsverantwortung oder Bildungsmitverantwortung reagiert die Kirchenpäda-

Einleitung

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gogik religionspädagogisch auf die Pluralisierung in Kirche und Gesellschaft. Daher wird die Bedeutung und das Potential der Kirchenpädagogik als Kommunikation mit Wort und Raum in den Horizont aktueller religionspädagogischer Entwicklungen und Entwürfe eingezeichnet. In der kirchenpädagogischen Praxis der Verfasserin sind es Konfirmanden und Konfirmandinnen sowie Schülerinnen und Schüler und immer wieder Kindergartenkinder oder Erwachsene, die ihren Kirchenpädagoginnen und -pädagogen in Hinblick auf die Relevanz der Bibel für die Erschließung des Kirchenraums zu lernen geben. Die Jugendlichen und die Kinder stellen interessierte Fragen unter anderem zur Altarbibel und zu biblischen Hintergründen des Kirchengebäudes und seine Ausstattung. Die Erwachsenen nutzen gerne die Lerngelegenheiten und Freiräume, die die Kirchenpädagogik zur individuellen kreativen Schwerpunktsetzung und Gestaltung gibt, um von ihnen entdeckte und sachlich begründete Beziehungen und Resonanzräume zwischen biblischen Texten und dem Kirchengebäude zeichenbasiert darzustellen und zu neuer Deutung anzubieten. Der vorliegende Ansatz einer Kirchenpädagogik mit biblischen Texten zieht religionspädagogisch und theologisch Konsequenzen aus Fragen und Impulsen von Kindern, sowie jugendlicher und erwachsener Teilnehmender an kirchenpädagogischen Lerngängen. Dabei arbeitet er nötige Unterscheidungen im Verständnis des Kirchenraums aus konfessioneller Perspektive heraus und verdeutlicht das Profil einer bibelorientierten Kirchenpädagogik vor dem Hintergrund der Theologie und der kirchlichen Tradition des Protestantismus. Er kann gedeutet werden als Versuch einer reformatorischen Wiedergewinnung des je aktuell ansprechenden Wortraums Kirche, in den der Einzelne eintritt, sprachliche und nicht sprachliche Zeichen wahrnimmt, deutet, kommuniziert, vergleicht und nutzt, biblische sowie christliche Traditionen entdeckt, irritiert oder berührt wird und so kognitive und emotionale Anregungen erhält zur weiteren Entfaltung religiöser Kompetenzen. Im Kontext der Herausforderung, dass religiöse Bildung heute nicht nur Konfessionalität verständlich machen und eigene begründete Positionierung bei gleichzeitiger aktiver Akzeptanz anderer religiöser oder nicht religiöser Orientierungen fördern soll, gilt es gerade bei einer Akzentuierung protestantischer Perspektiven auf die Kirchenpädagogik, christlich-ökumenische Gemeinsamkeiten zu zeigen und Unterschieden gerecht zu werden. Damit möchte die vorliegende Arbeit einen Beitrag dazu leisten, die vorhandenen Kirchengebäude als Lern- und Begegnungsräume mit dem christlichen Glauben über die Tourismusarbeit hinaus mit all den Angeboten religiösen Lernens zu verschränken, in denen die großen Kirchen in der von ihnen wahrgenommenen Bildungsverantwortung und Bildungsmitverantwortung Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen begegnen. Kirchenpädagogik bietet die Chance, Menschen jeden Alters und mit völlig unterschiedlicher kirchlicher Verbun-

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Einleitung

denheit, Religionslosigkeit oder außerchristlicher Religion über das Erlebnis des religiösen Raums Kirche zu zeigen, warum eine religiöse Sicht der Welt lebensrelevante Bedeutung hat und warum sie in Geschichte und Gegenwart so vielfältige, oft künstlerisch bedeutsame und berührende Zeichen, Formen und Zeichenwelten hervorbrachte und hervorbringt, in denen sich der Glaube an Christus mit seinen biblischen Grundlagen äußert.

2.

Die Kirchenpädagogik als Chance und Herausforderung für Kirche und Theologie – Entstehungsgeschichte, Entwicklungen, religionspädagogische Perspektiven und Begriffsdefinition

Die Anfänge der Kirchenpädagogik entwickelten sich in den evangelischen Landeskirchen des Kirchenbundes der Evangelischen Kirchen in der DDR in den 1970er und 1980er Jahren. Von dort gelangten Beispiele gelingender Praxis neuartiger Kirchenerschließungen Mitte der 1980er Jahre nach Westdeutschland, vermischten sich mit ersten Erfahrungen mit kirchenpädagogischen Experimenten unter anderen Vorzeichen in westdeutschen Großstädten und entwickelten sich seit Mitte der 1990er Jahre zur Kirchenpädagogik als gemeinsamem Arbeitsfeld in ost- und westdeutschen evangelischen Landeskirchen bis hin zur Institutionalisierung dieses Arbeitsbereichs.6 Zunächst geht es um eine knappe Darstellung der Genese und Entwicklung der Kirchenpädagogik als religionspädagogischer Teildisziplin. Dabei wird deutlich, dass die Kirchenpädagogik als Reaktion der Kirchen auf Veränderungen in der Weitergabe christlicher Tradition in einer religions- und weltanschauungspluraler werdenden Umwelt gedeutet werden kann. Über eine experimentierende Praxis versuchten einzelne Kirchenführerinnen und später Kirchenleitungen über Beschlüsse, Äußerungen und Projekte zu fördern, dass Menschen jeden Alters möglichst voraussetzungslos in die Begegnung mit dem Kirchenraum und der ihn prägenden christlichen Tradition eingeführt werden konnten. Die entstehende kirchenpädagogische Praxis lernte von Beginn an von zeitgenössischen Entwicklungen in der Museumspädagogik, der Stadtplanung und der Erlebnispädagogik. Beim Durchgang durch Veröffentlichungen zur Kirchenpädagogik wird danach zu fragen sein, ob und wie Kirchenpädagogik in Praxis und Theorie ein 6 Auch wenn mittlerweile die Kirchenpädagogik in der katholischen Kirche und der katholischen wissenschaftlichen Religionspädagogik in Deutschland wahrgenommen wird und der Bundesverband für Kirchenpädagogik e. V. ökumenisch konzipiert wurde, liegen die Anfänge der Kirchenpädagogik im evangelischen Raum. Daher ist es der historischen Entwicklung der Kirchenpädagogik geschuldet, wenn die Darstellung sich zunächst weitgehend auf die evangelischen Landeskirchen konzentriert. Veröffentlichungen zum Thema kamen zunächst von protestantischen Theologinnen, Theologen, Kirchenführerinnen sowie Kirchenführern.

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Die Kirchenpädagogik als Chance und Herausforderung für Kirche und Theologie

Teilgebiet der Religionspädagogik ist und wie sie didaktisch, methodisch und von den Auslegungsperspektiven her arbeitet. Dabei wird sich zeigen, ob bisher WortRaum-Bezüge reflektiert und didaktisch erschlossen werden. Am Schluss des zweiten Kapitels finden sich eine Definition von Kirchenpädagogik und eine Darstellung des Verlaufs ihrer Institutionalisierung.

2.1

Im nicht-christlichen Umfeld christliche und biblische Tradition zeigen – die Anfänge der Kirchenpädagogik in den evangelischen Kirchen in der DDR und im wiedervereinigten Deutschland

Schon zu Beginn der 1970er Jahre konstatierten evangelische Kirchengemeinden in der DDR mit touristisch bedeutsamen Kirchen ein zunehmendes Interesse an ihren Kirchenbauten. Jahr für Jahr kamen mehr Besucherinnen und Besucher auf der Suche nach ästhetischer Raumerfahrung und sinnstiftender historischer Erinnerung.7 Die Kirchengemeinden nahmen wahr, dass sie diesem Bedürfnis nach einem Erleben von Raum und Kunstgenuss, nach einer Begegnung mit der christlichen Tradition und den vielen nicht mehr bekannten biblischen Grundlagen des christlichen Glaubens mit den bisher meist rein kunstgeschichtlichlokalgeschichtlich orientierten und die Besuchenden frontal unterrichtenden Führungen nicht mehr gerecht wurden. Evangelische Kirchengemeinden erprobten – von der Kirchenleitung wahrgenommen und ermutigt – neue, religionspädagogische Formen der Kirchenführungen, um dem Kulturtourismus zu begegnen und dabei Besuchern nicht nur den Kirchenraum, sondern auch Grundlagen des Christentums zu erschließen. Dabei konnten sie auf experimentelle neue Wege der Kirchenerschließung und der Präsentation kirchlicher Kunst zurückgreifen, die Heinz 7 Roland Degen verweist auf zwei für die Entstehung der Kirchenpädagogik wichtige Entwicklungen in Ost und West. Er nennt zum einen die durch Autoren wie Maurice Halbwachs geförderte Kultur der Erinnerung und des kollektiven Gedächtnisses, aus der heraus in zunehmender gesellschaftlicher Pluralität Zukunft neu gewonnen werden sollte. Zum anderen weist Degen darauf hin, wie die Museen in beiden deutschen Staaten in den 1980er Jahren ansteigende Besucherströme zu verzeichnen hatten und damit zusammen mit den Kirchen zu Orten ›rückwärtsgewandter Utopien‹ wurden. Vgl. R. DEGEN: Das Thema lag in der Luft: zehn Jahre Bundesverband Kirchenpädagogik e. V., in: kirchenPÄDAGOGIK. Zeitschrift des Bundesverbandes Kirchenpädagogik 2010, 48–50, 48f. Erika Grünewald zeigt in ihrer gründlichen Untersuchung zu den Anfängen der Kirchenpädagogik, dass zwar auch in Westdeutschland die Besucherzahlen an den touristisch bedeutenden Kirchen aus den von Degen vermuteten Gründen zunahmen, dass jedoch erst Ende der 1980er Jahre die evangelischen Kirchen im Westen darauf reagierten (s. E. GRÜNEWALD: Kunstgeschichte und Kirchenpädagogik. Ungelöste Spannungen, Berlin 2010, 169–177).

Im nicht-christlichen Umfeld christliche und biblische Tradition zeigen

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Hoffmann vor allem in Brandenburg erprobt hatte. Mit den Ausstellungen »Plastik zum Begreifen«, die er 1979–1988 in Brandenburg an der Havel durchführte, gelangten neben dem bewussten Sehen unter unterschiedlichen, durch Bewegung im Raum gewechselten Perspektiven, haptische Sinneseindrücke in das methodische Repertoire zur Erschließung von Kunst, Kirchenraum und theologischer Bedeutung. Aus dem Bewegen im Raum heraus, dem inszenierten räumlichen Perspektivwechsel, setzte sich ein didaktischer Perspektivwechsel bei den Kirchenführungen durch. In einem offenen Erschließungsprozess sollten die Besucher bei diesen Führungen selber das entdecken dürfen, was sie vertieft wahrnehmen und verstehen wollten. Dabei wurden ›alle Sinne‹ einbezogen. Obwohl eigentlich nur das Sehen und Erfühlen sowie die Kinästhetik angesprochen wurden, gelangte so in die neu entstehende Kirchenpädagogik das Stichwort ›mit allen Sinnen‹, das später in der kirchenpädagogischen Literatur in den nie klar definierten, aber oft benutzten Bezeichnungen ›ganzheitlich‹ und ›handlungsorientiert‹8 aufgenommen wurde. Schon Mitte der 1970er Jahre verfolgten die Kirchenleitungen in der DDR wach das neue Interesse an bedeutenden historischen Kirchenbauten9. Konsistorialrat Achim Giering nahm für den Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR vom 8. bis 17. Mai 1975 an der vom Ökumenischen Rat der Kirchen veranstalteten Konferenz in Schloss Windsor teil, die sich mit den unerwarteten Besuchendenmengen an touristisch bedeutsamen Kirchen und möglichen kirchlichen Reaktionen darauf beschäftigte. Aus dieser internationalen Konferenz gelangten zahlreiche Impulse in die Kirchen der DDR. Die Teilnehmenden wollten die Erwartungen der Besuchenden besser einschätzen lernen und zu8 Es ist ein Desiderat in der älteren und neueren Literatur zur Kirchenpädagogik, den Terminus ›ganzheitlich‹ dahingehend zu klären, dass ein nicht legitimer Zugriff auf die ganze Person eines Menschen pädagogisch nicht intendiert ist. In der kirchenpädagogischen Literatur wird mit ›handlungsorientiert‹ und ›ganzheitlich‹ – wie durch die Anfänge bei Hoffmann angebahnt – bezeichnet, dass ein mehrdimensionales Lernen mit Kopf, Herz und Hand (Pestalozzi), d. h. kognitiv, affektiv und psychomotorisch ermöglicht werden soll. Das affektive Lernen wurde damals von Hoffmann noch nicht so sehr in den Blick genommen. Wie weiter unten dargestellt, kam diese Dimension mit den ersten – so damals allerdings noch nicht bezeichneten – kirchenpädagogischen Lerngängen in Berlin reflektiert in den Blick. 9 Birgit Neumann, Kirchenprovinz Sachsen, hält es nicht für einen Zufall, dass gerade in der DDR die Kirchenpädagogik entstand. In der evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen mit ihrer großen Dichte an Kirchengebäuden etablierte sie den ersten Kirchenführerkurs. Sie schreibt über die Entstehung der Kirchenpädagogik in der DDR: »In vielen Kirchengemeinden (in Ostdeutschland) spielt dagegen das Kirchengebäude seit jeher eine bedeutende Rolle. Die Gemeinde trägt ihre Verantwortung als Eigentümerin und das Kirchengebäude ist nicht zuletzt dadurch im Bewusstsein der Gemeinde ein Ort der Erinnerung und des Gedächtnisses. Die Gemeinden haben – häufig gegen große Schwierigkeiten – nach dem Krieg und über 40 Jahre in der DDR die Gebäude erhalten und so deutlich gemacht, dass hier Menschen an dem Gebäude interessiert sind«, in: B. NEUMANN: Kirchenpädagogische Arbeit mit Erwachsenen – Impulse für die Evangelische Erwachsenenbildung, in: forum erwachsenenbildung, 1/2002, 32.

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Die Kirchenpädagogik als Chance und Herausforderung für Kirche und Theologie

gleich »praktikable, der jeweiligen Situation entsprechende Möglichkeiten der Verkündigung«10 erproben. Giering schrieb: »Auf der Freitreppe wurden ›szenische Darstellungen‹ der Bibelgeschichten aufgeführt, in den angeschlossenen Kreuzgängen wurden Kinderecken mit Malmöglichkeiten eingerichtet und altersgemäße szenische Darstellungen aus der Legende des heiligen Georg angeboten. Als Zeichen der Gastfreundlichkeit – und außerordentlich britisch – gab es einen kostenlosen Teeausschank. Am Kirchenausgang reichte man Brot als Zeichen der Gemeinsamkeit und Wegzehrung. In einer Seitenkapelle gab es die Möglichkeit zum meditativen Gebiet und im Kirchenraum experimentierte man akustisch mit Gesang und kurzen Gebeten oder Einzelworten. Im Altarraum näherte man sich dem Begriff des ›modernen Heiligen‹. An ausgesuchten Orten gab es die Möglichkeit zum Gespräch«11.

Die Konferenz ließ die Teilnehmenden und als Testpersonen eingeladene Besucher die Erlebnisse reflektieren und auswerten. Vor allem die Angebote innerhalb des Kirchenraumes stießen auf große Resonanz. Offenkundig schätzten die Teilnehmenden die ästhetische Eindrücklichkeit des Kirchenraumes, die bei diesen Experimenten sowohl mit biblischen Worten und liturgischen Elementen wie auch mit Gesten der Gastfreundschaft oder mit der Möglichkeit zu innerer Einkehr verbunden worden war. Anders als bei Führungen in der Gestalt kunstgeschichtlich-lokalhistorisch gestalteter Frontalvorträge, die wenig didaktisch reflektiert wurden, entdeckte man jetzt religionsdidaktisch geplante und gestaltete Formen der Inszenierung biblisch-liturgischer Traditionen im Kirchenraum und die Anbahnung von Erlebnissen mit einer gastfreundlichen Kirche. Es ging Giering bei der Multiplikation der Ideen in die evangelische Kirche hinein um die Motivation, Besuchern die Lebendigkeit der Kirche zu erschließen und sie fremden Besuchenden wichtig zu machen12. Die erdachten Methoden wurden in der entstehenden Kirchenpädagogik, die noch lange von ›Kirchenführungen‹ sprach, fast vollständig aufgenommen. Giering veranlasste nach der Konferenz eine Erhebung in allen Kirchengemeinden, um schon vor dem Lutherjubiläum 1983 einen Überblick über die Herausforderungen durch den Kirchentourismus zu gewinnen. Die Antworten wurden 1977 bei der Konsultation des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR ausgewertet. Impuls10 Die Darstellung der Inhalte und Folgen dieser Konferenz bezieht sich auf E. GRÜNEWALD: Kunstgeschichte, 125ff. Grünewald lag der Bericht von Kirchenrat Giering »Bericht über Teilnahme an einer Konsultation des Weltrates der Kirchen, Genf 1975« vervielfältigt vor. 11 Beschreibung von Giering bei E. GRÜNEWALD: Kunstgeschichte, 126. 126. Ort der Konferenz war die St. Georges Chapel. In der Erschließung der Georgslegende zeigt sich, dass Bezüge zwischen dem Raum und der diesen Raum mit prägenden christlichen Überlieferung – in diesem Fall die einer Heiligenlegende – bei dieser Tagung im Blick waren. 12 Vgl. E. GRÜNEWALD: Kunstgeschichte, 126.

Im nicht-christlichen Umfeld christliche und biblische Tradition zeigen

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vorträge u. a. von Giering beleuchteten das Phänomen und gaben Anregungen zum Umgang damit. Hoffmann stellte seine Arbeit in Brandenburg vor. In der Folge wurden Mitglieder aus Kirchengemeinden ausgebildet, um die neue Art der Kirchenführung zu realisieren und weiter zu entwickeln. Man setzte voraus, in der Regel mit Menschen zu arbeiten, die kaum Zugang zur christlichen Tradition hatten. Der didaktische Perspektivenwechsel hin zu den Besuchern und ihren Interessen bei der Erkundung blieb konstitutiv. Methodisch arbeitete man mit Verlangsamung, Konzentration auf wenige Elemente im Raum und das Ansprechen der Sinne und versuchte so, die ästhetische Eindrücklichkeit von Raum und Kunst zu intensivieren und sie mit Information über die Hintergründe der christlichen Tradition zu verknüpfen. Die Besuchenden sollten eine Haltung zum Kirchenraum und der darin wahrnehmbaren christlichen Tradition entwickeln können. Die evangelischen Kirchen in der damaligen DDR verstanden diese Arbeit als Diakonie und Seelsorge an den Besuchenden – wohl auch, weil religiöse Bildung als Kategorie kirchlichen Handelns in der offenen Arbeit mit Menschen aus der sozialistischen Gesellschaft nicht kommunizierbar gewesen wäre. Sie nutzten die Chance, die christliche Kirche mit ihrer Tradition im Zuge eines neu erwachenden Interesses an Kulturgütern vor Ort wahrnehmbar zu machen und Zugänge zu dieser Tradition zu eröffnen.13 Damit wurde über die Kulturgüter Kirchenraum und kirchliche Kunst eine neue Form religionsdidaktischen Arbeitens für überwiegend nicht christlich sozialisierte Besucher aktiv als Arbeitsfeld in den Blick genommen. In diesen Anfängen der Kirchenpädagogik vermischten sich religionspädagogische, liturgische, missionarische, seelsorgliche und diakonische Aspekte, ohne dass sie voneinander getrennt wurden. Dieses enge Ineinander unterschiedlicher Felder kirchlicher Arbeit kennzeichnet die Kirchenpädagogik bis heute. 1988 formulierte Giering neun Thesen zu »Kirchliche Kunst als gottesdienstliche Funktion«14. Hier definierte er Gottesdienst als Begegnungsgeschehen von Gott und Mensch, das sich bei Kirchenerschließungen ereigne, indem eine Beziehung zwischen dem Besucher und einem Gegenstand kirchlicher Kunst aufgebaut werde. »Der Interpret« – so bezeichnet Giering die eine Kirche erschließende Person in These 6 – »hat dabei zumeist die Doppelfunktion, als möglichst sachgerechter Vermittler sowohl der biblischen Botschaft als auch der gestalteten Aussage zu wirken. In beiden Bereichen wird er Kenntnisse weitergeben, Eindrücke vermitteln und zugleich intentionale 13 Vgl. die Darstellung des Vortrags Friedrich Winters für die Konsultation 1982 ›Die Rezeption des Kulturerbes für den Gemeindeaufbau‹ bei E. GRÜNEWALD: Kunstgeschichte, 140. 14 Vgl. E. GRÜNEWALD: Kunstgeschichte, 343f.

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Zurückhaltung üben […] (These 9): Durch die biblische Botschaft wird der Mensch in seiner Ganzheit angeredet und in eine Begegnung zu Gott gestellt, damit sein ganzes Leben zum Gottesdienst werde; künstlerisches Werk kann diese Begegnung eröffnen, unterstützen, verstärken und verinnerlichen«15.

Gierings Thesen gehen von einem Gottesdienstverständnis aus, das Gottesdienst im Alltag verortet und als Begegnung mit Gott denkt. Ähnlich wie später Christoph Bizer16 sieht er die Möglichkeit, dass über das Verlauten-Lassen der biblischen Botschaft Menschen hineingestellt werden in einen mit dem laut gesprochenen oder erzählten biblischen Wort entstehenden Wortraum, der Begegnung mit Gott als Möglichkeit eröffnet und in dem der Besucher das biblische Wort nicht nur hören, sondern sich auch gesagt sein lassen kann. Diese Begegnung mit biblischem Wort werde verstärkt durch die Kunst im Kirchenraum und die Architektur der Kirchen als künstlerisch gestalteten religiösen Räumen. Mit seinen Thesen verschriftlichte Giering 1988 den Stand der Erfahrungen und Positionen zu diesem neuen Arbeitsbereich der Erschließung von Kirchenräumen und kirchlicher Kunst innerhalb der evangelischen Kirchen in der damaligen DDR. Dabei nahm er auch die schriftlich zusammengefassten und über die Zeitschrift ›Die Christenlehre‹ veröffentlichten Erfahrungen von Christiane Winter auf, die von 1977–1991 an der Berliner Marienkirche als Kirchenführerin arbeitete und die neuen Anregungen für eine Kirchenführung zum Entdecken und Anfassen in langjähriger Praxis erprobte und weiterentwickelte. Sie sprach damals davon, dass Kinder eine »Kirche besichtigen«17 und hatte zugleich einen Dienstauftrag, der diese Kirchenführungsarbeit als Verkündigungsdienst verstand.18 Die Veröffentlichung der Kirchen erschließenden Arbeit Winters in der gemeindepädagogischen Zeitschrift markiert, dass Winters Kirchenführungen für Kinder als Teil des Bildungshandelns der Kirche verstanden wurden. Sie eröffneten religionsdidaktisch Zugänge zu Raum und Kunst genauso wie zu biblischen Geschichten. Impulse und Erfahrungen dieser frühen kirchenpädagogischen Arbeit in der DDR gelangten über Christiane Kürschner in den Westen. Kürschner arbeitete seit Mitte der 1980er Jahre mit Winter zusammen in Berlin an der Marienkirche. 1988 wechselte Kürschner an die Marktkirche in Hannover und begann dort 15 A. GIERING: Thesen zu »Kirchliche Kunst als gottesdienstliche Funktion«, in: E. GRÜNEWALD: Kunstgeschichte, 344. 16 Vgl. C. BIZER: Kirchliches, in: S. LEONHARD/T. KLIE: Schauplatz Religion, Leipzig 2006, 23– 46. 17 Vgl. C. WINTER: Kinder besichtigen eine Kirche. Erfahrungen in der Berliner Marienkirche, in: Die Christenlehre. Zeitschrift für den katechetischen Dienst, Berlin (Ost) 1984, H7, 205– 212. 18 Vgl. E. GRÜNEWALD: Kunstgeschichte, 145.

Im nicht-christlichen Umfeld christliche und biblische Tradition zeigen

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ihre Arbeit unter dem Motto »Kirche zum Anfassen«19. In ihre religionspädagogische Arbeit übernahm sie das in den evangelischen Kirchen der DDR entwickelte religionsdidaktische Konzept der neuen Art der Kirchenerschließung: – Verlangsamung, – Konzentration auf nur wenige Objekte, die mit den Sinnen, also auch haptisch begriffen werden durften, – aktiv-entdeckendes Lernen der Besuchenden, die Interessenschwerpunkte setzen konnten, – Zielbestimmung der Lerngänge: Die Lernenden sollen eine Beziehung zum Raum, zur Kunst im Raum und zu den dahinter stehenden biblischen Aussagen zugleich gewinnen. Zielgruppe für die neue Form der Kirchenerschließung waren Kinder und Jugendliche in Gemeinde und Schule. Durch die Öffnung der innerdeutschen Grenze nur ein Jahr später intensivierten sich die Kontakte von Ost und West. Nun gelangten die Erfahrungen und konkrete Praxisansätze aus den ostdeutschen Landeskirchen in den Westen und stießen hier auf eine ähnliche, allerdings jüngere experimentelle kirchenpädagogische Arbeit unter anderen Vorzeichen, da die Situationen der Kirchen unterschiedlich waren. Was alle evangelischen Landeskirchen in Ost und West seit Mitte der 1970er Jahre verband, war das steigende Interesse der Menschen an Orten und Objekten kultureller Erinnerung20. Auch in den westdeutschen Landeskirchen hatten die Besucherströme an den touristisch bedeutsamen Kirchen zugenommen. Allerdings thematisierten Kirchbautage in diesen Jahren, in denen noch neue Kirchen und vor allem Gemeindezentren gebaut wurden, die Herausforderungen an eine 19 Vgl. C. KÜRSCHNER: Beobachtungen in der Marktkirche, in R. DEGEN/I. HANSEN/C.-T. SCHEILKE (Hg.): Lernort Kirchenraum. Erfahrungen – Einsichten – Anregungen, Münster 1998, 3f.; und dies.: »Die Kirche hat mir was erzählt«, a. a. O., 129–139. 20 Die Besucherzahlen zunächst in Museen stiegen unaufhörlich. Nach Degen zählte man 1975 in den 1.800 Museen rund 22 Millionen Besucher, 1989 waren es im gleichen Gebiet in den inzwischen 2.800 Museen 70 Millionen Besucher. Degen verstand dieses Phänomen als »ein unbewusstes Ausschauhalten nach Antworten auf die Grundfragen individuellen Lebens und seiner Identität. Offenkundig sind Antworten auf die Sinnfrage des Lebens nicht ohne die Auseinandersetzung mit Sinntraditionen zu gewinnen. Gegenwart ist gewordene Gegenwart und ohne dieses Vorher weder zu verstehen noch zu bestehen. Dabei verliert jedoch ›das Begriffliche‹ zu Gunsten des Sinnenhaften an Bedeutung. Identität artikuliert sich nicht mehr so sehr als programmatischer Daseinsentwurf, sondern als ästhetische Gestalt. […] Verbindlicher Sinn wird weniger in abstrakten Deutungsmustern ausgesagt als in sinnfälligen Symbolen aufgehoben« (R. DEGEN: Echt stark hier, in: R. DEGEN/I. HANSEN/C.-T. SCHEILKE (Hg.): Lernort Kirchenraum. Erfahrungen – Einsichten – Anregungen, Münster 1998, 6f.). Museen und historische Kirchen seien so zu Orten der Sinnsuche und Sinnvergewisserung über ästhetischen Genuss und Bildung geworden.

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Die Kirchenpädagogik als Chance und Herausforderung für Kirche und Theologie

veränderte Nutzung der bestehenden, vor allem historisch bedeutsamen Kirchenräume durch den Kirchentourismus und die zurückgehende Zahl der Gemeindeglieder in den ›Cities‹ nicht. Dabei konnte man Anfang der 1980er Jahre an der Entwicklung nicht mehr vorbeisehen, dass in den Innenstädten der großen Städte der BRD die parochiale Struktur nicht mehr passte.21 1982 schlossen sich die fünf Hamburger Hauptkirchen zum Gemeinschaftswerk der Hamburger Hauptkirchen zusammen mit dem Ziel, die Hauptkirchen für die Stadt zu öffnen und zu Programmkirchen mitten in der Metropole umzuwandeln. Damit löste man lokal begrenzt die parochiale Struktur auf. Die City-Kirchen-Arbeit begann. Impulse erhielt die City-Kirchenarbeit und die damit mancherorts verbundene, neu entstehende Kirchenpädagogik aus den Arbeiten Martin C. Neddens22, der als Architekt und Stadtplaner die geschichtliche Rolle der großen Innenstadtkirchen im Kontext der Stadtentwicklung beleuchtete und mit seinem Stichwort des ›Kult-urorts‹ Perspektiven für die Funktion von Kirchen für die Stadtöffentlichkeit eröffnete. Das Hamburger City-Kirchen-Programm nutzte die ästhetische Wirkung der großen Kirchenräume. Religionspädagogische Zugänge zur biblischen Tradition

21 Bei nur 300 evangelischen Gemeindegliedern in einer Innenstadtgemeinde, wie z. B. in der Petrikirchengemeinde in Hamburg, war eine sinnvolle Nutzung der großen Kirche kaum noch möglich. 22 Vgl. M. C. NEDDENS: Das Thema: Gefährdeter Genius loci der Stadt im ökologischen Horizont, in: M. C. NEDDENS/W. WUCHER, (Hg.): Die Wiederkehr des Genius loci: Die Kirche im Stadtraum – die Stadt im Kirchenraum: Ökologie, Geschichte, Liturgie, Reihe: »Bild und Raum« des EKD-Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart an der Philipps-Universität Marburg, Band 5, Wiesbaden/Berlin 1987. Neddens wies darauf hin, dass die Zentralkirchen der Städte als städtische Tempel zu begreifen seien, die niemals nur für eine bestimmte Kirchengemeinde gebaut worden waren, sondern zuallererst darstellende Funktion hatten. Die Städte hätten die großen zentralen Kirchen gebaut, um zu zeigen, welches leitende Weltbild die Gesellschaft verband. Mitten in der Stadt sei so ein in der Regel weithin sichtbarer »Kulturort entstanden, der alle zentralen politischen und kulturellen Funktionen örtlich integrierte. Heute seien »nicht etwa ausbleibende Gottesdienstbesucher, also kircheninterne Belange, das Problem, sondern die aus ihren Kirchen ausgezogene Stadt« (24). Neddens plädiert deshalb dafür, die Citykirchen in ihrer Darstellungsfunktion als »Orte integrierter Wertsetzungen« (25) und öffentliche Räume zu nutzen. Adressat der TempelFunktion sei stets eine zweite Art von Gemeinde, nämlich die anonyme Stadtöffentlichkeit. Für die Kirche gehe es hier um die Übernahme von kirchlicher Verantwortung für die Welt. Als Erbin und Betreiberin der überkommenen städtischen Zentralkirchen müsse die Kirche mit der Stadt kooperieren, um die Tempelfunktion gegenwartsbezogen zu realisieren. Dabei könnten die Citykirchen als Bedeutungsschwerpunkte des Stadtgefüges und symbolische Orte einer Gegenkultur durchaus in einer polaren Beziehung zur Stadt stehen und eine wichtige Rolle als ›stadtkulturelles Gegenüber‹ wahrnehmen. Mit seiner Akzentuierung der großen Innenstadtkirchen als ›stadtkulturelles Gegenüber‹ bereitete Neddens den Weg für eine Kirchenpädagogik vor, die den Kirchenraum als ›Kult-urort‹ einer Stadt mit seiner biblischen und kirchlichen Kultur-Tradition experimentell für die Stadt und Touristen erschließt.

Im nicht-christlichen Umfeld christliche und biblische Tradition zeigen

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intendierte man mit diesen Programmen zwischen kreativen gottesdienstlichen Formen (z. B. lange Osternacht) und Kultur zunächst nicht. Als die zweite EKD-Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung23 1984 empirische Zahlen für den Traditionsabbruch innerhalb der evangelischen Kirche vorlegte, waren es Kirchenleitungen und Synoden, die im Kontext des Nachdenkens über Mission und Gemeinde- wie Traditionsaufbau nach und nach auch die Kirchenräume als wertvolle religiöse Räume sichtbarer und erschließbarer christlicher Tradition außerhalb der reinen Nutzung für den Gottesdienst in den Blick nahmen. Zeitgleich gelangten Impulse aus der Museumspädagogik unter dem Stichwort ›teilnehmerorientierte Zugänge‹ zu historischen Kunstobjekten mit kreativer Vertiefung zum Schaffen eines persönlichen Bezugs zum Kunstwerk in die entstehende Kirchenpädagogik. Museumsmitarbeitende wandten sich seit den 1970er Jahren Schulklassen zu. Kunsthistoriker nahmen dabei als Museumspädagogen auch historische Kirchenräume in den Blick24. Sie verbanden in ihrer Praxis kunsthistorische mit theologischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Aspekten. Die Museumspädagogik gab der evangelischen Kirche Anlass und Anregung, die eigenen Kirchenräume als Stätten der Vergewisserung und des ästhetischen Genusses neu zu entdecken und diese Kindern und Jugendlichen in Schule und Gemeinde pädagogisch zu erschließen. Eine Protagonistin für die Rezeption museumspädagogischer Zugänge in der entstehenden Kirchenpädagogik war Gabriele Harrassowitz, die einen Religionsunterricht im Museum entwickelte, der über sinnliches Lernen die theologischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Gehalte der Exponate zu erschließen suchte25. Die ersten Kirchenpädagoginnen wie die Kunstgeschichtlerin Erika Grünewald setzten museumspädagogische Impulse in der entstehenden Kirchenpäda23 Vgl. J. HANSELMANN/H. HILD/E. LOHSE: Was wird aus der Kirche? Zweite EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, Gütersloh 1984. 24 Gerhard Holzer (G. HOLZER: Grabdenkmäler im Mainzer Dom, in der Zeitschrift: Schule und Museum. Das Museum in Unterricht und Wissenschaft, (Hg.) Römisch-germanisches Zentralmuseum Mainz in Verbindung mit dem Landesmuseum Bonn und dem museumspädagogischen Zentrum München, Heft 2, Frankfurt am Main, 1976, 45) beschrieb unter Aufnahme von museumspädagogischen Entwicklungen in England ein Praxisbeispiel museumspädagogischer Arbeit, zu dessen Durchführung er das Museum verließ und Grabdenkmäler im Mainzer Dom erschloss. Er verband die kunsthistorische Erschließung mit theologischen Sichtweisen auf Tod und Sterben. 25 Vgl. G. Harrassowitz: Im Bilde sein. Bildbetrachtungen: Beispiele, Methoden, Ziele. Religionsunterricht im Museum. Nürnberg 1994. HARRASSOWITZ nahm die mittelalterliche Methode des vierfachen Schriftsinns auf, die auf die museums- und später dann auf eine kirchenpädagogische Zugangsmethodik übertragen wurde. Das sinnliche Erkunden und Wahrnehmen von Exponaten diente nicht nur deren kognitivem Erfassen, sondern sollte anregen zum Nachdenken über den tieferen Sinn der Dinge und deren Bezug zur eigenen Existenz und zum eigenen Zugang zur Spiritualität.

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Die Kirchenpädagogik als Chance und Herausforderung für Kirche und Theologie

gogik um. Dadurch kam didaktisch die Relevanz der Beziehung zwischen Besucher und dem Kunstwerk, der Teilnehmerinteressen, der Partizipation und Binnendifferenzierung durch aktiv-entdeckendes Lernen und der kreativen Auseinandersetzungen mit Kunst in den Blick. Von Anfang an wollte die entstehende Kirchenpädagogik nicht länger in Führungen frontalunterrichtlich belehren, sondern für die und mit den Geführten Erlebnisse inszenieren, die gefühlsintensiv sind und auch emotionale Zugänge zum Kirchenraum eröffnen. Sie begann mit Methoden der Erlebnispädagogik26 Kirchenräume zu erschließen. Ziel war, die Lernintensität über das inszenierte Erlebnis zu steigern. Kirchenpädagoginnen und Kirchenpädagogen schreiben immer wieder im Blick auf die Aufgabe, Kirchenräume zu erschließen, von Erlebnissen und Erfahrungen, die sie ihren Zielgruppen eröffnen wollen.27 Auch wenn in den Thesen des Bundesverbandes Kirchenpädagogik28 die Erlebnispädagogik als Bezugsfeld keine Erwähnung findet, fällt doch auf, dass die vielen, mehrere Sinne ansprechenden Methoden und Medien in der Kirchenpädagogik auf die Inszenierung von Erlebnissen mit dem Kirchenraum und seiner Architektur wie Ausstattung zielen. Meist, aber nicht immer, wird über die Anbahnung von Erlebnissen eine intensivierte Reflexion intendiert. Damit geht die Kirchenpädagogik einen Weg, der Impulse aus der Erlebnispädagogik aufnimmt, indem Erlebnisse angebahnt werden, um zu lernen zu geben. In der Kirchenpädagogik vermischt sich eine erlebnisorientierte Didaktik mit anderen 26 Achim Großer und Gerhard Hess definieren die Erlebnispädagogik so: »Die Erlebnispädagogik versteht sich heute als ganzheitlicher Bildungsansatz für vielfältige Zielgruppen, in dem das Erfahrungslernen (also Lernen mit Händen und Füßen, allen Sinnen, Herz und Kopf) eine wichtige Rolle spielt. Ein Prinzip dabei ist, dass das Lernen durch die gemachten Erfahrungen in der Regel der kognitiven, also gedanklich-intellektuellen Zugangsweise und Verarbeitung voraus geht« (A. GROSSER/G. HESS: Die Erlebnispädagogik ein ganzheitlicher Bildungsansatz, in: ARBEITSKREIS ERLEBNISPÄDAGOGIK IM EVANGELISCHEN JUGENDWERK IN WÜRTTEMBERG (Hg.): Sinn gesucht – Gott erfahren. Erlebnispädagogik im christlichen Kontext, Stuttgart 2010, 8–25, 10). Die Erlebnispädagogik wolle in aller Ausdifferenzierung der Ansätze Erfahrungen anbahnen auf der Ebene individuellen Lernens und der Selbsterfahrung sowie auf der Ebene des sozialen Lernens. In der Erlebnispädagogik gehe es um Impulse für die Weiterentwicklung der Person und um deren Subjektwerdung. 27 Kürschner schreibt: »Dann dürfen alle endlich in das Kirchenschiff gehen und ganz allein diesen Raum in sich aufnehmen. Ohne Arbeitsaufgabe, ganz frei, gehen sie umher, schauen sich um und suchen meist unaufgefordert eine Stelle zum Verweilen. Sie erleben in dieser geöffneten Kirche gleichzeitig betende Menschen um sich herum […] Im Anschluss daran erleben alle eine ›Stille Zeit‹ auf ihrem Lieblingsplatz. […] Die große Nachfrage nach diesen kirchenpädagogischen Angeboten beruht auf dem einfachen Konzept, dass Kinder und Erwachsene bei der Begegnung mit dem Kirchenraum in ihrer ganzen Person angesprochen werden und Freude erleben« (C. KÜRSCHNER: Die Kirche hat mir was erzählt, Ferienwerkstatt nicht nur in der Kirche, in: R. DEGEN/I. HANSEN (Hg.): Lernort Kirchenraum, 1998, 129–139, 135f.; 139). 28 Vgl. Kap. 2.3.4 Bündelung und religionspädagogische Weiterentwicklung der Kirchenpädagogik im Bundesverband Kirchenpädagogik e. V.

Die Entwicklung der Kirchenpädagogik

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didaktischen Ansätzen wie der Wahrnehmung und Deutung von Zeichen. Kirchenpädagogik ist also keine Erlebnispädagogik, aber sie profitierte von Impulsen aus dieser. Zahlreiche körperbezogene spielerische Formen und erlebnisintensive sinnliche Zugänge wurden als Elemente aus der Erlebnispädagogik in die Kirchenpädagogik übernommen. ›Erleben lassen statt Belehren‹ kennzeichnete den didaktischen Perspektivenwechsel von der Kirchenführung hin zur Kirchenpädagogik. Die Kirchenpädagogik erkannte und nutzte, dass Erlebnisse und deren Reflexion emotional und kognitiv zu lernen geben. Aus der Erlebnispädagogik übernahm die Kirchenpädagogik die Methodik ›Aktion dann Reflexion‹ neben den oft ohne Definition gebrauchten Bezeichnungen ›Ganzheitlichkeit‹ und ›mit allen Sinnen‹29. So entstand aus der kreativen Rezeption und Erprobung unterschiedlicher didaktischer Ansätze und pädagogischer Strömungen eine völlig neue Form von Kirchenführungen bzw. Kirchenerschließung, die Teilnehmende und Lehrende in neue, interaktive Rollen brachte. Die Führenden oder Lehrenden wurden zu Regisseurinnen einer Kirchenerschließung, in der Teilnehmende Erlebnisse mitgestalteten und über die Reflexion von Erlebnissen in und mit dem Kult-urort Kirche lernten. In der Anregung zu und in der Begleitung dieser experimentellen Praxis lernte die evangelische Kirche neu, ihre Kirchenräume bewusst wahrzunehmen und als religiösen Lernort zu entdecken. Die dafür gängige Bezeichnung blieb damals die Begrifflichkeit ›Kirchenführung‹.

2.2

Die Entwicklung der Kirchenpädagogik im Zusammenhang der theologischen Neugewichtung der Kirchenräume, in veränderten Kirchenführungsformaten und in der verlässlichen Öffnung der Kirchenräume

Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts praktisch-theologische Entwürfe die ›Kirche‹ als Gebäude noch mit reflektierten30, führte die Religions- und Inkulturationskritik der dialektischen Theologie31 in der wissenschaftlichen Theologie 29 Erlebnispädagogik wie auch Kirchenpädagogik müssen sich immer neu kritisch prüfen, ob ihre Arbeit nicht zuerst und allein auf die unmittelbare Eindrücklichkeit setzt. Zu einer Erfahrung, an der ein Mensch lernt, kann ein inszeniertes Erlebnis nur werden, wenn es reflektiert wird. Für die Arbeit mit Erlebnissen im Kontext von Bildungsprozessen ist es wichtig, das Verhältnis von Erlebnis und Reflexion zu gestalten. Dabei zielt Erlebnispädagogik auf die Erweiterung der personalen und sozialen Kompetenzen, Kirchenpädagogik auf die Erweiterung der religiösen und ästhetischen Kompetenzen. 30 Vgl. F. NIEBERGALL: Praktische Theologie Band I, Tübingen 1918, 461–465. Darüber hinaus weist H. Rupp auf Ansätze der Kirchenpädagogik in der Berneuchener Bewegung hin (H. RUPP: Handbuch der Kirchenpädagogik, Stuttgart 2006, 10).

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Die Kirchenpädagogik als Chance und Herausforderung für Kirche und Theologie

über viele Jahre zu einer Marginalisierung der Themen ›Kirchengebäude‹, ›Kirche und Kunst‹ sowie ›Kultur‹. Die Kritik an jeglicher Form kulturell positivierter Religion im Kontext einer ›Inkulturationsdialektik‹ bezog allerdings den performativen Selbstwiderspruch vor allem auf die Bereiche der Theologie als Wissenschaft und der Predigt als der Kulturationsform des christlichen Glaubens, der als geistlicher und kultureller Praxis weiterhin eine Bedeutung zugemessen wurde. Das Wortgeschehen Predigt und die Rolle der Theologie wurden in der Denkbewegung der dialektischen Theologie dialektisch perturbiert durch das Bewusstsein von Gott als actus purus, der alle Vollzüge konkreter gelebter Religion als Feiern oder Denken immer als gebrochenes Menschenwerk und Sünde enttarnt32. Die breite Rezeption der dialektischen Theologie im 20. Jahrhundert hatte zur Folge, dass grundsätzliche Reflexionen zur Nutzung und Bedeutung von Raum und Gebäuden in der Praktischen Theologie wenig vorkamen, obwohl in der kirchlichen Praxis Fragen nach der Notwendigkeit und der Gestaltung des Kirchenraums in der Raumnot nach dem Zweiten Weltkrieg präsente Themen im Blick auf das konkret gelebte, christlich-gemeindliche Leben waren. Aus der Raumnot vieler Kirchengemeinden in der Nachkriegszeit heraus entstand 1949 der von der Evangelischen Kirche der Union getragene evangelische Kirchbautag. Architekten, Theologen, Künstlerinnen und Künstler, am 31 Kirchengebäude, die Gestaltung der Liturgie, die Kunst im Kirchenraum fielen als Menschenwerk unter den Begriff der Sünde. Vgl. K. BARTH: Dogmatik 1/2, 1993. Barth verstand Religion mit ihren äußeren Ausdrucksformen als Versuch des Menschen, »sich von einem eigensinnig und eigenmächtig entworfenen Bilde Gottes selber zu rechtfertigen und zu heiligen« (ders., 304). 32 Georg Pfleiderer schreibt dazu: »Vielleicht niemals in der Christentumsgeschichte, jedenfalls nicht in der protestantischen, ist eine neue theologische Bewegung so lauthals und entschlossen unter der Fahne nicht nur des Perfektionierungs- und Institutionalisierungsverbots des Christentums, sondern darüber hinaus auch gewissenmaßen des radikalen, ja totalen >InkulturationsInkulturationsdialektik>Gemeinschaft der Heiligen vor OrtFachkultur>Fachkultur>kirchliche>Heiligen Schrift