Impfe und herrsche: Veterinärmedizinisches Wissen und Herrschaft im kolonialen Namibia 1887–1929 [1 ed.] 9783666317255, 9783525317259


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German Pages [408] Year 2020

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Impfe und herrsche: Veterinärmedizinisches Wissen und Herrschaft im kolonialen Namibia 1887–1929 [1 ed.]
 9783666317255, 9783525317259

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transnationale geschichte band #

Klemens Wedekind

Impfe und herrsche Veterinärmedizinisches Wissen und Herrschaft im kolonialen Namibia 1887–1929

Transnationale Geschichte Herausgegeben von Michael Geyer und Matthias Middell Band 13: Klemens Wedekind Impfe und herrsche

Klemens Wedekind

Impfe und herrsche Veterinärmedizinisches Wissen und Herrschaft im kolonialen Namibia 1887–1929

Mit 5 Abbildungen und 8 Karten

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Bildarchiv der Deutschen Kolonialgesellschaft, Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Bildnummer: 018-0217-13 »Impfen eines Kalbes in Deutsch-Südwestafrika« Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-1021 ISBN 978-3-666-31725-5

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einleitung: Tierseuchen, Veterinärmedizin und Siedlerkolonialismus im südlichen Afrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Teil I: Modalitäten und Folgen der Produktion veterinärmedizinischen Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Erforschung unbekannter Seuchen: Die Suche nach einem Heilmittel gegen die Afrikanische Pferdesterbe . . . . . . . . . . . . 47 1.1 Entwicklung und Rezeption präventiver Maßnahmen gegen die Afrikanische Pferdesterbe bis 1894 . . . . . . . . . . . . . . . 49 1.2 Der Beginn der Tierseuchenforschung in Deutsch-Südwestafrika: Sanders Expedition 1894 . . . . . . . . . 54 1.3 Forschungsarbeiten in Deutsch-Südwestafrika seit 1899 . . . . 66 1.3.1 Pferdesterbe und Malaria. Der Irrweg von Philalethes Kuhn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1.3.2 Erfolg durch »gegenseitige Fühlung«. Die Entwicklung eines Impfstoffes gegen die Pferdesterbe . . . . . . . . . . . 75 1.4 Deutschland oder Südafrika? Beschaffung und Anwendung von Pferdesterbeimpfstoff zwischen 1909 und 1924 . . . . . . . . 85 2. Anpassung europäischer Strategien und Praktiken: Die Bekämpfung der Rinderpest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2.1 Scheitern europäischer Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2.2 Erweiterung: Die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Rinderpest 1896–97 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2.2.1 Forschungen in Transvaal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2.2.2 Erfolg durch die Rezeption lokaler Praktiken? Robert Kochs Forschungsarbeiten in der Cape Colony . . 116 2.2.3 Wissenschaftlicher Wettstreit und transkolonialer Austausch – Die Rinderpestkonferenz 1897 in Pretoria . . 123 2.3 Anpassung der Koch’schen Impfmethode in Deutsch-Südwestafrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

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Inhalt 

2.3.1 Die Impfkampagne 1897 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2.3.2 Bekämpfung der Rinderpest 1900/1901 . . . . . . . . . . . . 143 3. Die Bildung eines kolonialen Expertennetzwerkes und die Abkoppelung der südafrikanischen Veterinärmedizin . . . . . . 153 3.1 Die interkolonialen Veterinärkonferenzen . . . . . . . . . . . . . 154 3.1.1 Setzung veterinärmedizinischer Standards . . . . . . . . . 158 3.1.2 Rezeption der Konferenzen in DSWA . . . . . . . . . . . . . 163 3.2 Die tropische Veterinärmedizin im internationalen Kontext . . 168 3.2.1 Die internationalen tierärztlichen Kongresse . . . . . . . . 169 3.2.2 Europa als Lieferant von Technik und Expertise . . . . . . 177 3.3 Abkoppelung der südafrikanischen Veterinärmedizin . . . . . 180 3.3.1 Etablierung kolonialer Wissens- und Technologietransfers – Maßnahmen und Praktiken zur Bekämpfung der Räude . . . . . . . . . . . . 181 3.3.2 Veterinärmedizinische Ausbildung in Europa und die Schaffung kolonialer Ausbildungsstätten . . . . . . . . 192 Teil II: Veterinärmedizinisches Wissen im Kontext kolonialer Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 4. Entstehung und Ausgestaltung des staatlichen Veterinärwesens im kolonialen Namibia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 4.1 Das koloniale Veterinärwesen bis 1915 . . . . . . . . . . . . . . . . 209 4.1.1 Veterinärgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 4.1.2 Organisation des kolonialen Veterinärdienstes . . . . . . . 216 4.1.3 Rekrutierung und Anstellungsverhältnisse der Regierungstierärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 4.2 Schaffung von Wissensorten: Das veterinärbakteriologische Institut Gammams und andere tiermedizinische Einrichtungen 232 4.2.1 Neubau oder Erweiterung? Die »Osona-Debatte« . . . . . 236 4.2.2 Veterinärlabore im Kontext kolonialer Herrschaftssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 4.3 Zusammenbruch und Kontinuitäten: Der Veterinärdienst unter südafrikanischer Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 4.3.1 Veterinärmedizinische Versorgung zwischen Weltkrieg und Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 4.3.2 Deutsche Veterinäre und die Errichtung der südafrikanischen Mandatsregierung . . . . . . . . . . . 252

Inhalt

5. Ausbildung und Einbindung tiermedizinischer Laien . . . . . . . . 263 5.1 Die Zivilbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 5.1.1 Tiermedizinische Laien im staatlichen Auftrag: Sachverständigenkommissionen und Stock Inspectors . . 265 5.1.2 Schaffung eines tiermedizinischen Problembewusstseins: Staatliche Wissensvermittlung bis 1915 . . . . . . . . . . . . 275 5.1.3 Zwischen Selbsthilfe und Professionalisierung: Das veterinärmedizinische Bildungsprogramm unter südafrikanischer Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 5.2 Die Exekutivkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 5.2.1 Die Schutztruppe wird zur Impftruppe . . . . . . . . . . . . 293 5.2.2 Polizeiliche Überwachung der Tiergesundheit bis 1915 . . 301 5.2.3 Professionalisierung der polizeilichen Kontrolle ab 1920 305 6. Veterinärpolitik und koloniales Regieren . . . . . . . . . . . . . . . . 311 6.1 Anreiz zur Gesetzestreue: Staatliche Kompensationsleistungen 313 6.2 Veterinärpolitische Selbststeuerung: Die Viehversicherung . . . 328 6.3 Instrumente kolonialstaatlicher Kontrolle: Brandzeichen . . . . 335 6.4 Bekämpfung von Tierseuchen im Zuge der südafrikanischen Herrschaftserrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Archive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 Internetressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 Karten- und Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Länderregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407

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Vorwort

Dieses Buch basiert auf meiner Dissertationsschrift, die ich im Winter­ semester 2016 am Fachbereich III der Universität Trier im Fach Geschichte eingereicht habe. Es ist zugleich das Resultat einer sich über viele Jahre hinziehenden Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte im Allgemeinen und der Geschichte Namibias bzw. des südlichen Afrika im Besonderen. Den zahlreichen Personen und Institutionen, die den Forschungs- und Schreibprozess begleitet haben, möchte ich meinen Dank aussprechen. An erster Stelle gilt mein herzlicher Dank Ursula Lehmkuhl, die mir den erforderlichen Freiraum zur wissenschaftlichen Arbeit gab und mein Forschungsprojekt stets kritisch und konstruktiv kommentierte. Sie ermöglichte mir zudem, mich zwischen 2013 und 2018 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Geschichte in einem reizvollen und heraus­ fordernden Arbeitsumfeld zu betätigen. Herzlich danken möchte ich auch Christian Jansen, der sich für meinen Forschungsgegenstand begeistern konnte und freundlicherweise das Zweitgutachten übernahm. Rebekka Haber­mas hat meine Arbeiten zu Tierseuchen seit 2008 wohlwollend begleitet sowie das Fortkommen der Dissertation durch Empfehlungsschreiben und Gutachten maßgeblich unterstützt, wofür ich Ihr ebenfalls ganz herzlich danke. Wenn mich Dominik Hünniger seinerzeit nicht auf die Spur der Tier­ seuchen gebracht hätte, wäre dieses Buch wohl nie geschrieben worden. Ihm und Richard Hölzl danke ich für die Ermunterung und Unterstützung besonders in der Anfangszeit. Das mittlerweile nicht mehr existierende Historisch-Kulturwissenschaftliche Forschungszentrum der Universität Trier hat es mir durch die Gewährung eines Stipendiums ermöglicht, mich in einem kollegialen und inspirierenden Umfeld voll und ganz der Dissertation zu widmen. Für den Austausch in wissenschaftlicher Hinsicht im Rahmen von Konferenzen, Workshops und Kolloquien danke ich Christoph Marx, Ulrike Lindner, Simon Karstens, Christoph Laugs und ganz besonders Eva Bischoff, von deren weitreichenden Kenntnissen und klugen Ratschlägen die Arbeit sehr profitiert hat. Die MitarbeiterInnen der Basler Afrika Bibliographie haben mich mehrfach herzlich aufgenommen. Insbesondere Dag Henrichsen, Anna Vögeli und Giorgio Miescher haben mir in längeren Gesprächen wertvolle Hinweise in Bezug auf die konzeptionelle und inhaltliche Ausgestaltung der Arbeit gege-

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Vorwort 

ben sowie mich mit Ratschlägen und Kontakten in Bezug auf den Rechercheaufenthalt in Namibia unterstützt. Giorgio Miescher hat mir zudem freundlicherweise gestattet, einige Abbildungen aus seiner Dissertation für den Druck dieses Buches zu verwenden. Die MitarbeiterInnen des Bundesarchivs Berlin-Lichterfelde haben mich ausgiebig mit Akten und Mikrofilmen versorgt. Bei der Orientierung in den Archivbeständen des Deutschen Instituts für Tropische und Subtropische Landwirtschaft (der ehemaligen Deutschen Kolonialschule) in Witzenhausen hat mich Claudia Blaue unterstützt. Eine wesentliche Grundlage dieses Buches bildet das umfangreiche Material, das ich während meines Rechercheaufenthaltes in Windhoek zusammentragen konnte. Die Forschungsreise nach Namibia wurde mir dankenswerter Weise durch ein Reisestipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes ermöglicht. In Namibia erfuhr ich vielfältige und großzügige Unterstützung. In den National Archives of Namibia in Windhoek konnte ich von Werner Hillebrechts Fachkenntnissen sehr profitieren. Gunter von Schumann und Armin Jagdhuber von der Namibia Scientific Society Windhoek danke ich für das mir entgegenbrachte Vertrauen. Für tiefere Einblicke in die namibische Gesellschaft, die Vermittlung von weiterführenden Kontakten und einen rundum angenehmen Forschungsaufenthalt in Windhoek sei an dieser Stelle Gerda Schuler und Berfina Nikodemus ganz herzlich gedankt. Es freut mich sehr, dass Michael E. Geyer und Matthias Middell dieses Buch in die Reihe Transnationale Geschichte aufgenommen haben. Die Reihe ist der für mich denkbar beste Publikationsort, da sie transnationale Zusammenhänge und Grenzüberschreitungen in unterschiedlichen Gegenden der Welt von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart in den Blick nimmt. Die Karten wurden von Micheal Grün professionell erstellt und überarbeitet. Mein ganz besonderer Dank geht an meine Kollegin Maike Schmidt für die vielen konstruktiven Gespräche und Ratschläge sowie die freundschaftliche Verbundenheit. Bedanken möchte ich mich zudem bei Almut und S­ ebastian, die mir stets einen Schlafplatz in Berlin zu Verfügung gestellt haben, meinen Eltern sowie den vielen anderen hier ungenannten Freundinnen und Freunden, die mir in meiner Zeit mit »den toten Kühen in Afrika« zur Seite standen. Mein größter Dank gilt Katrin. Sie hat das Projekt Dissertation von Beginn an begleitet und – vor allem in den krisenhaften Phasen – unterstützt. Trier, im Februar 2020

Einleitung: Tierseuchen, Veterinärmedizin und Siedlerkolonialismus im südlichen Afrika

Anfang des Jahres 1894 erschien in der Deutschen Tierärztlichen Wochenschrift ein zweiteiliger Artikel »Zur Frage der Kolonialthierärzte«.1 Anlass für den Artikel war die erste von der DKG finanzierte Expedition zur Erforschung der in DSWA auftretenden Tierseuchen. Dieses Unternehmen wurde zwar grundsätzlich vom Autor des Artikels begrüßt, jedoch bezweifelte er den Nutzen der Expedition. Anstelle einer zeitlich begrenzten Expedition könne die wissenschaftliche Erforschung von Tierseuchen auf Dauer nur vor Ort erfolgen. Eine wesentliche Grundvoraussetzung dafür sei die Schaffung eines kolonialen Veterinärdienstes. Um Zeit und Kosten zu sparen, sollten sich die deutschen Kolonialbehörden an dem seit 1877 in der britischen Cape Colony eingerichteten Veterinärdienst orientieren und vor allem aus dessen Mängeln in Bezug auf Organisation und Anstellungsverhältnisse lernen. Der Verfasser des Artikels, der deutsche Tierarzt Otto Henning, war 1892 nach Südafrika ausgewandert und seitdem als Regierungstierarzt in der Cape Colony tätig. Ende des 19. Jahrhunderts hielt sich eine sehr überschaubare Anzahl von Tierärzten im südlichen Afrika auf. Entsprechend umfangreich war das Einsatzgebiet der wenigen verfügbaren Experten. Als Anfang 1896 die Rinderpest im südlichen Afrika ausbrach, unterstützte Henning zunächst die Bekämpfungsmaßnahmen im Bechuanaland Protectorate und im Oranje-Vrystaat. Dort traf er erstmals mit dem Staatstierarzt des Transvaal, dem Schweizer Arnold Theiler, zusammen. Wenig später wurde Henning von der Regierung der Cape Colony nach Kimberley entsandt, um dort Robert Koch, der zu diesem Zeitpunkt zu den international renommiertesten Wissenschaftlern zählte, bei der Entwicklung einer Impfmethode gegen die Rinderpest zu unterstützen. Bereits nach wenigen Monaten wurden die Forschungsarbeiten von Kochs Team erfolgreich abgeschlossen und Otto Henning wurde Mitte 1897 zum Staatstierarzt des Oranje-Vrystaates ernannt. Während des Südafrikanischen Krieges diente Henning ab 1900 als Divisional Veterinary Officer der britischen Polizeikräfte. Zwischen 1901 und 1907 bekleidete Henning die Stelle 1 Henning, Kolonialthierärzte.

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Einleitung

des Cheftierarztes des Basutolandes sowie der Orange River Colony.2 Im Zuge der Bekämpfung der Rinderpest hatte sich ab 1897 im südlichen Afrika ein Expertennetzwerk konstituiert, das den fachwissenschaftlichen Austausch durch »intercolonial veterinary conferences« institutionalisierte. Als Gesandter der unterschiedlichen Kolonialverwaltungen nahm Henning ab 1897 an mehreren dieser Konferenzen teil. In seiner Eigenschaft als Regierungstierarzt wirkte er dabei aktiv an der Entwicklung und Implementierung veterinärpolizeilicher Standards mit. Auf dem Veterinärkongress in Bloemfontein 1903 äußerte Henning gegenüber dem Cheftierarzt von DSWA, Wilhelm Rickmann, den Wunsch, »als Deutscher wieder auf deutschen Grund und Boden zurückzukehren«.3 Dies wurde von der deutschen Kolonialverwaltung begrüßt, die bereits mehrere Versuche unternommen hatte, Henning für den Veterinärdienst in den deutschen Kolonien zu gewinnen.4 Fünf Jahre später, im Januar 1908, wurde Otto Henning zum Sachverständigen für Viehzucht und Veterinärwesen von DSWA ernannt.5 Im Zuge der weiteren Konsolidierung der kolonialen Herrschaft nach dem Ende des Namibischen Krieges6 forcierte das deutsche Gouvernement die Modernisierung der kolonialen, von europäischen Siedlern betriebenen Landwirtschaft. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung wurde Henning der weitere Ausbau des Veterinärdienstes sowie die Überarbeitung der veterinärpolizeilichen Gesetzgebung übertragen. Hennings persönliche Bekanntschaft mit Arnold Theiler, der mittlerweile Leiter des veterinärbakteriologischen Instituts in Pretoria war, trug maßgeblich zu einer engeren deutsch-britischen Kooperation in veterinärmedizinischen Fragen bei. 1911 2 Handschriftlicher Lebenslauf von Otto Henning, Stand 1907, BAB R 1002/721, Bl. 77–78. 3 Henning an stellv. Gouverneur Tecklenburg, 16.05.1905, BAB R 1002/721, Bl. 8–9, hier Bl. 9. 4 1891 hatte Henning erstmals bei der Kol.Abt. um eine Anstellung nachgesucht. 1897 war ihm eine Tierarztstelle in DOA und 1902 die Direktorenstelle der Schäfereigesellschaft Gibeon (DSWA) angeboten worden. Ebd. Bl. 8. 5 Gouverneur Schuckmann an Henning, 14.01.1908, BAB R 1002/721, Bl. 75. Henning war am 23.12.1907 in Swakopmund eingetroffen und wurde am 14.03.1908 offiziell vereidigt. Lebenslauf Henning, Stand 1907, Bl. 77–78. 6 Anstelle der Bezeichungen »Hereroaufstand« oder »Herero- und Namakrieg« hat sich in der Forschung mittlerweile der Begriff »Namibischer Krieg« bzw. »Namibian War« etabliert und wird hier bewusst verwandt. Zum einen, weil »Krieg« den Umfang und die Bedeutung der Ereignisse deutlicher markiert und gleichzeitig die implizite Legitimation der deutschen Kolonialherrschaft vermieden wird, die mit Begriffen wie »Aufstand« oder »Rebellion« einhergeht. Zum anderen ermöglicht es die anachronistische Bezeichnung »Namibisch« den Konflikt nicht mehr entlang ethnischer (z. T. konstruierter) Kategorien zu beschreiben und unterstreicht die Bedeutung dieses größten in der Region ausgetragen Konfliktes. Vgl. Wallace, S. 155.

Tierseuchen, Veterinärmedizin und Siedlerkolonialismus im südlichen Afrika

unternahm Henning eine Reise, um die Veterinärinstitute in Khartoum und Pretoria zu besuchen. Im Zuge der Restrukturierung des kolonialen Veterinärwesens in DSWA, die Henning mit angestoßen hatte, wurde ihm Ende 1911 die Leitung des Referates für Viehzucht übertragen.7 In dieser Funktion reiste Henning im Juli 1913 nach Australien, wo er Zuchttiere zur Förderung der Wollschafzucht in DSWA ankaufte und direkt in die Kolonie verschiffen ließ.8 Nach der Kapitulation der deutschen »Schutztruppe« im August 1915 wurde Henning aufgrund seiner Expertise und engen persönlichen Beziehungen zunächst veterinärtechnischer Berater der südafrikanischen Militäradministration. 1920 wurde er schließlich zusammen mit drei weiteren ehemaligen deutschen Regierungsveterinären in die Veterinary Service Branch der südafrikanischen Mandatsregierung übernommen. Bis zu seiner Pensionierung 1923 war Henning als Regierungstierarzt in Keetmanshoop stationiert.9 Namibia verließ er nicht mehr. 1933 starb Otto Henning auf seiner Farm »Felsenquelle« in der Nähe von Grootfontein.

Thema und Gegenstand Mit dieser Biographie stellt Otto Henning den Prototyp eines im transimperialen Raum agierenden Kolonialexperten dar. Er war an der Produktion und praktischen Anwendung kolonialen Spezialwissens beteiligt. Ferner trug Henning auch aktiv zum Transfer dieses Wissens bei und förderte die engere Kooperation zwischen deutschen und britischen Veterinärbehörden. Gleichzeitig eröffnet die Biographie dieses deutschen Veterinärs die Perspektive auf die von der (kolonial-) historischen Forschung bislang weitgehend ignorierte Frage nach der Rolle und Bedeutung der kolonialen bzw. tropischen Veterinärmedizin im Kontext kolonialer Herrschaftserrichtung. Tiermediziner, die wie Otto Henning über mehrere Jahrzehnte praktische Erfahrungen in Afrika gesammelt hatten, zählten offenbar zu gefragten Experten. Damit ist die Person Otto Henning auch ein Oszillationspunkt der vorliegenden Arbeit. Der Fokus der Untersuchung liegt auf der Produktion veterinärmedizinischen Wissens und dessen Anwendung zur kolonialen Herrschaftssicherung 7 Gouverneur Seitz an Henning, 12.12.1911, Personalakte, BAB R 1002/721, Bl. 165. 8 Aktenvermerk zur Genehmigung und Abrechnung der Reise, BAB R 1002/721, Bl. 192. 9 Henning an SVO, 10.10.1923, NAN AGV 78/G.12-17-2.

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Einleitung

in Namibia zwischen 1887 und 1929. Ausgehend von den unterschiedlichen Akteuren, die an der Produktion veterinärmedizinischer Wissensbestände beteiligt waren, verfolgt die Arbeit das Ziel, den Einfluss der Produktion und Anwendung veterinärmedizinischen Wissens auf die Herrschaftspraktiken der deutschen und südafrikanischen Kolonialmacht zu erfassen und nachzuzeichnen. Dass dabei die transnationale Verflechtung der Experten nicht übergangen werden kann, macht die transimperiale Karriere Otto Hennings deutlich. Ferner institutionalisierte sich ab 1897 im südlichen Afrika ein veterinärmedizinisches Expertennetzwerk durch interkoloniale Konferenzen. Zudem ist es sinnvoll, die Perspektive über das faktische Ende der deutschen Kolonialherrschaft hinaus zu weiten, da 1920 vier deutsche Regierungstierärzte in den Veterinärdienst der Mandatsregierung übernommen wurden. Die Ausrichtung der Arbeit gründet sich auf folgende Ausgangsüberlegungen: Die Erforschung von Tierseuchen sowie die Entwicklung von Präventions- und Bekämpfungsstrategien ermöglichten und beförderten die Einrichtung kolonialer Veterinärdienste. Die von diesen zur Tierseuchenbekämpfung etablierte veterinärpolizeiliche Kontrolle spielte eine zentrale Bedeutung für die Errichtung, Aufrechterhaltung und weitere Ausdehnung des kolonialen Herrschaftsanspruches. Entsprechend war die veterinärpolizeiliche Gesetzgebung eng verzahnt mit anderen herrschaftssichernden Maßnahmen wie etwa der »Eingeborenenpolitik«. Zum einen werden die Generierung und Anpassung veterinärmedizinischen Wissens im kolonialen südlichen Afrika sowie die durch die Forschungsarbeiten ausgelösten dynamischen Verflechtungs- und Transferprozesse rekonstruiert. Diese führten zur Herausbildung eines kolonialen Expertennetzwerkes, das zwar weiterhin mit den europäischen Wissenschaftszentren verbunden war, sich aber zunehmend von diesen loslöste. Auf der anderen Seite wird herausgearbeitet, wie das in den Kolonien produzierte veterinärmedizinische Wissen in veterinärpolizeiliche Verordnungen übersetzt und in den Kontext kolonialer Herrschaftserrichtung  – sinnbildlich gesprochen »Impfe und herrsche«– eingebunden wurde. Dabei geht es weniger darum zu belegen, dass veterinärmedizinisches Wissen in Form einer kolonialen Veterinärpolitik als »tool of empire« zur Herrschafterrichtung eingesetzt wurde. Vielmehr gilt es, die Komplexität und Vielschichtigkeit der Anwendung veterinärmedizinischen Wissens im Kontext der kolonialen Herrschaftssicherung in Namibia sowie dessen enge Verschränkung mit anderen zur Festigung kolonialstaatlicher Kontrolle über das Territorium und vor allem über die indigene Bevölkerung erlassenen Verordnungen aufzuzei-

Tierseuchen, Veterinärmedizin und Siedlerkolonialismus im südlichen Afrika

gen. Wie dies im Einzelnen geschah, wurde von einer Vielzahl von Faktoren, Akteuren, Interessen und nicht zuletzt Tierseuchen beeinflusst, auf welche die Kolonialbehörden wie auch die einzelnen Experten nur bedingt Einfluss nehmen konnten und wollten. Um die Produktion, Zirkulation und praktische Anwendung kolonialen (veterinärmedizinischen) Wissens zu untersuchen, ist Namibia aus mehreren Gründen ideal. Aufgrund der geographischen und klimatischen Verhältnisse war  – anders als in den tropischen Kolonien West- und Ostafrikas  – eine dauerhafte Besiedlung durch Europäer möglich. Entsprechend entwickelte sich die 1884 gegründete Kolonie DSWA relativ schnell zur einzigen Siedlerkolonie des Deutschen Reiches.10 Die Grenzen dieses Territoriums, die endgültig im sogenannten Helgoland-Sansibar-Vertrag festgeschrieben wurden, blieben nach dem Ersten Weltkrieg unverändert und sind mit denen des Gebiets der heutigen Republik Namibia weitgehend deckungsgleich. Des Weiteren befanden sich mit der britischen Cape Colony, dem Bechuanaland Protectorate sowie den »Burenstaaten« Transvaal und Oranje Vrystaat bzw. ab 1910 der Südafrikanischen Union weitere europäische Siedlerkolonien in direkter Nachbarschaft. Dies hatte dazu geführt, dass Zentral- und Südnamibia über den Viehhandel bereits vor der Gründung des deutschen »Schutzgebietes« an globale Handels- und Warenströme angeschlossen war.11 Bis zum Ersten Weltkrieg standen sich mit der Cape Colony und DSWA eine Kolonie mit einer komplexen Regierungs- und Gesellschaftsstruktur und eine sich im Aufbau befindliche Kolonialregierung gegenüber. Der Kontakt zwischen beiden vollzog sich zwar grundsätzlich in einem Spannungsfeld zwischen gegenseitiger Abgrenzung und Kooperation, gleichzeitig war aber auch eine regelmäßige wechselseitige Verständigung selbstverständlich.12 Die Logik des Siedlerkolonialismus fungierte dabei in mehrfacher Hinsicht als ein einigendes Moment. Zum einen wurde die afrikanische Umwelt generell – und die dort auftretenden Viehseuchen im Besonderen – sowie

10 Zur Typologie der europäischen Kolonien: Marx, Geschichte Afrikas, S. 169–181 sowie Osterhammel, S. 16–18. 11 Zu den Oorlam und zum Viehhandel mit der Cape Colony siehe: Krüger, Das goldene Zeitalter, S. 13–25; Schürmann, S. 65–84. 12 Zu den Abgrenzungen und Kooperationen vor allem in Bezug auf die Wahrnehmung der jeweils betriebenen Kolonialpolitik gegenüber der indigenen Bevölkerung, der Kriegführung gegen die indigenen Gesellschaften, die Festlegung von gemeinsamen Grenzverläufen sowie die Rolle der Missionsgesellschaften in den jeweiligen Kolonien ausführlich: Lindner, Koloniale Begegnungen, S. 114–137.

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die indigene Bevölkerung als feindlich und wild wahrgenommen.13 Zum anderen folgte die von der deutschen Kolonialverwaltung spätestens ab 1907 betriebene Politik – wie auch in den anderen Siedlerkolonien des südlichen Afrika14  – einer rassistisch begründeten Herrschaftslogik. Diese verfolgte das Ziel, einen Privilegienfreiraum zur Förderung der von europäischen Siedlern betriebenen Landwirtschaft zu schaffen.15 Dabei orientierte sich die deutsche Verwaltung unter anderem an der zunächst im Transvaal und dann ab 1910 in der Südafrikanischen Union praktizierten Segregationspolitik.16 Aufgrund dieser ideologischen Nähe konnte die südafrikanische Mandatsregierung bei der Implementierung der »neuen« kolonialen Ordnung nahezu nahtlos an die bereits von der deutschen Verwaltung eingeschlagenen Eckpfeiler einer rassistisch segregierten Siedlergesellschaft anknüpfen und diese weiter ausdifferenzieren.17 Mit Blick auf das Thema der vorliegenden Untersuchung wurde die transimperiale Verständigung über veterinärmedizinische Angelegenheiten dadurch befördert, dass die klimatischen Gegebenheiten die Errichtung und Implementierung kolonialer Herrschafts- und Wirtschaftsstrukturen in den Siedlerkolonien des südlichen Afrika nachhaltig beeinflussten. Aufgrund der weiten und dünn besiedelten Halbwüsten waren die kolonialen Exekutivkräfte bei der Durchsetzung des kolonialen Herrschaftsanspruches auf einsatzbereite und gesunde Reit-, Last- und Zugtiere angewiesen. Zudem hing der gesamte Güter- und Postverkehr im kolonialen südlichen Afrika von Ochsenwagen ab. Gleichzeitig setzte das semiaride Klima der wirtschaftlichen Nutzung bzw. Ausbeutung der natürlichen Ressourcen mitunter sehr enge Grenzen. Neben der Erschließung und dem Abbau von Bodenschätzen war in weiten Teilen lediglich extensive Viehwirtschaft möglich. In Namibia konnte auf rund zwei Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche

13 Dazu sowie zum »kolonialen Erbe« dieser Wahrnehmung: Gissibl, S. 23–25. 14 Darunter werden im Folgenden die (1910 zur Südafrikanischen Union zusammengeschlossenen) Kolonien Cape Colony, Transvaal, Oranje-Vrystaat, Natal sowie das Bechua­naland Protectorate, Rhodesien und DSWA subsumiert. 15 Marx, Geschichte Afrikas, S. 173. 16 Zur Errichtung der deutschen Kolonialherrschaft u. a.: Zimmerer, Deutsche Herrschaft. Für einen sehr detaillierten verwaltungs- und wirtschaftshistorischen Überblick: Kaulich. 17 Für einen Überblick zum Übergang von der deutschen zur südafrikanischen Kolonialherrschaft sowie der Implementierung der »neuen« kolonialen Ordnung zwischen 1915 und 1946: Wallace, S. 205–242. Vertiefend: Hayes, Silvester, Wallace u. Hartmann.

Tierseuchen, Veterinärmedizin und Siedlerkolonialismus im südlichen Afrika

ausschließlich extensive Rinder- oder Schafzucht betrieben werden.18 Entsprechend bildeten Viehzucht und Viehhandel das Rückgrat des kolonialen Wirtschaftsgefüges. Auch für die indigenen pastoralen Gesellschaften stellte die Tierzucht die ökonomische Existenzgrundlage dar.19 Gleichzeitig spielte der Besitz von Nutztieren und vor allem Rindern innerhalb der pastoralen indigenen Gesellschaften, wie den Herero, eine zentrale Rolle für die Konsolidierung sozialer und politischer Machtverhältnisse. An der Spitze der jeweiligen politischen Gemeinwesen der Herero-Gesellschaften standen so genannte omuhona, die ihre Machtposition aus ihrem Viehbesitz und der Größe ihrer Anhängerschaft ableiteten. Dazu teilten sie ihre Herden in kleinere Herden  – so genannte Posten – auf und übergaben diese in die Obhut von Gefolgsleuten. Zusätzlich nahmen große markante Bullen eine Status- und Kultfunktion innerhalb des Gesellschaftsgefüges ein.20 Dieses buchstäblich auf dem Rücken von Nutztieren beruhende koloniale Herrschafts- und Wirtschaftsgefüge wurde beständig von einer Vielzahl von Viehseuchen und Tierkrankheiten bedroht. Begünstigt durch den regen Viehverkehr, die saisonalen Wanderungen der Wildtiere und die transhumante Weidewirtschaft konnten lokal ausbrechende Viehseuchen schnell regionale und sogar (sub-)kontinentale Wechselwirkungen entfalten. Vor allem hochinfektiöse und hohe Mortalitätsraten evozierende Seuchen wie die Afrikanische Pferdesterbe oder die Rinderpest konnten binnen weniger Wo18 Die Rinderzucht stellte bis in die 1990er Jahre einen wichtigen Wirtschaftszweig Namibias dar. »As far as the agriculture potential of Namibia is concerned, 85 per cent (69 million ha) of the country’s total surface area is utilized for stock farming.« Von dieser Fläche wurden 1988 ca. 33 Mio. ha für die Rinderzucht genutzt. Schneider, S. 145. Mittlerweile stellt die Rinderzucht auf den meisten Farmen nur noch einen Nebenerwerbszweig dar; da die touristische Vermarktung »afrikanischer Wildnis« einträglicher ist, haben viele Farmer ihre Betriebe auf »Game Farming« umgestellt. Neben Fotosafaris boomt vor allem das Geschäft mit Jagdtouristen aus aller Welt. 19 Die indigene Bevölkerung Südwestafrikas wies zur Zeit der Ankunft der ersten Europäer bereits seit Jahrhunderten pastorale Prägungen auf. Unter dem Begriff »pastorale Gesellschaft(en)« sind im Zusammenhang dieser Untersuchung die indigenen Bevölkerungsgruppen zu verstehen, deren soziale- und wirtschaftliche Lebenswelten maßgeblich von der von ihnen betreiben Viehhaltung geprägt wurden. Die pastoralen Gesellschaftsstrukturen hatten sich bei den Herero erst seit den 1860er Jahren entwickelt. Zur Entstehung der pastoralen Gesellschaftsform der Herero und anderer indigener Gesellschaften im heutigen Namibia: Bolling u. Gewald, People, Cattle, Land, S. 3–55; Henrichsen, (Re)pastoralization, S. 149–186. 20 Zur Hererogesellschaft im 19. Jahrhundert siehe überblicksartig: Henrichsen, Die Hegemonie der Herero, S. 44–61, hier: S. 48.

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Karte 1: Landwirtschaftliche Nutzungsmöglichkeiten Namibias (Kartenvorlage: »Wirtschaftliche Grundlagen« aus: Eckert, S. 30)

chen zu massiven Krisen führen. Neben fundamentalen sozioökonomischen Umwälzungsprozessen wurden diese häufig durch den zeitweisen Infarkt des kolonialen Güterverkehrs respektive die operative Handlungsunfähigkeit der Exekutivkräfte ausgelöst. Kurz gesagt: Die von Indigenen und europäischen Siedlern betriebene Wirtschaft und damit auch das gesamte, rassistisch gespaltene Gesellschaftsgefüge im kolonialen Namibia hingen fundamental von der Nutzung von

Tierseuchen, Veterinärmedizin und Siedlerkolonialismus im südlichen Afrika

Tieren ab. Mehr noch, Mobilität und Transport waren in den Kolonien des südlichen Afrika ohne Last- und Zugtiere nicht denkbar. Die koloniale Welt des südlichen Afrika drehte sich um Nutztiere. Die Gesundheit des Tierbestandes war daher zentral für gesellschaftliche und ökonomische Stabilität und damit entscheidend für die koloniale Herrschaftssicherung. Folglich war der Schutz der Nutztiere gegen Seuchen und damit veterinärmedizinisches Wissen zentrales Mittel der Überlebens- und Herrschaftssicherung. Wer herrschen wollte, musste impfen können! Dies wurde den Kolonialregierungen des südlichen Afrika durch den Ausbruch der Rinderpest 1896/97 klar vor Augen geführt. Obwohl es unter Beteiligung international renommierter Experten binnen kürzester Zeit gelang, gleich mehrere Impfmethoden zu entwickeln, markierte die Rinderpestepizootie21 einen sozioökonomischen Wendepunkt und wirkte auch als Katalysator in Bezug auf den Auf- und Ausbau kolonialer Veterinärdienste. Entsprechend wurde der seit 1894 rudimentär existierende Veterinärdienst in DSWA unter der Leitung des ehemaligen Militärrossarztes Wilhelm Rickmann ab 1898 kontinuierlich personell aufgestockt und technisch modernisiert. Dabei wurde auch auf Erfahrungen und Wissen der entsprechenden Dienste in Transvaal und der Cape Colony zurückgegriffen. Bis zum Ersten Weltkrieg entwickelte sich so ein vielschichtiger Kontakt zwischen Vertretern der britischen und der deutschen Kolonialregierung.22 Informationen über veterinärmedizinische Forschungen, Meldungen über Tierseuchenausbrüche sowie die ergriffenen Bekämpfungsmaßnahmen, aber auch über die organisatorischen Strukturen und veterinärpolizeilichen Verordnungen waren wesentliche Bestandteile des gegenseitigen Austausches. Dass erfahrene Kolonialtierärzte für die Durchsetzung kolonialer Herrschaft einen zentralen Stellenwert hatten, belegt die Eingliederung von vier deutschen Regierungstierärzten in die Veterinärbehörde der südafrikanischen Mandatsregierung. Erst die ab Mitte der 1920er Jahre einsetzende flächendeckende Motorisierung ließ die Abhängigkeit der Kolonialbeamten, Missionare, Polizisten und Militärs von Pferden, Maultieren und Ochsen langsam schwinden.23 Ab 1927 verfügten alle Regierungstierärzte in SWA über Dienstwagen. Mitte der 1930er Jahre schieden die letzten ehemaligen 21 Der Begriff Epizootie bezeichnet das epidemische Auftreten einer seuchenhaften Erkrankung bei Tieren. Wiesner u. Ribbeck, S. 452. 22 Lindner, Koloniale Begegnungen. 23 Schmid, S. 25. Zur Bedeutung der Motorisierung in Namibia auch: Gewald, Missio­ naries, Hereros, and Motorcars.

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deutschen Regierungstierärzte aus dem aktiven Dienst aus. Zudem begann die südafrikanische Mandatsregierung ab den 1930er Jahren ihren Herrschaftsanspruch nachhaltig durchzusetzen. Daher bildet das Jahr 1929 den zeitlichen Endpunkt der Untersuchung.

Forschungsstand und Erkenntnisinteresse Dass Tierseuchen historische und auch aktuelle Lebenswelten beeinflussen, kann als allgemein anerkannt gelten. Dennoch stellen die Geschichte der Veterinärmedizin sowie die Wirkmächtigkeit der von Tierseuchen ausgelösten Krisen und Entwicklungen noch immer weitgehende Desiderate der historischen Forschung dar. In der deutschen Geschichtswissenschaft wurde dieses Feld bislang überwiegend von Arbeiten dominiert, die sich an der Veterinärhistoriographie des 19. Jahrhunderts orientierten. Ganz der Denktradition der »Geschichte großer Männer« verhaftet, die auf der »Suche nach der Wahrheit« waren, bestand die Grundprämisse für die Beschäftigung mit der Geschichte darin, aus den »Fehlern« der Vergangenheit zu lernen.24 Diese Art der Auseinandersetzung mit der Geschichte der Veterinärmedizin hielt sich bis weit in das 20. Jahrhundert. Auch in neueren Arbeiten stößt man daher immer wieder auf teleologische, unreflektierte Fortschrittsnarrative, die den historischen Kontext weitgehend vernachlässigen.25 Von Seiten der Umweltgeschichte wurden in der jüngeren Vergangenheit einige Arbeiten veröffentlicht, die sich mit Viehseuchen und deren Folgen im Europa der Frühen Neuzeit befassen.26 Diese liefern zwar anregende Überlegungen, sind aber aufgrund der zeitlichen Verortung und den deutlich enger gesteckten Untersuchungsgebieten für die vorliegende Studie nur bedingt hilfreich. In der deutschen Kolonialhistoriographie wie auch der namibischen Geschichtswissenschaft wurden bisher sowohl die Auswirkungen von Tierseuchen auf das koloniale Gesellschaftsgefüge wie auch die Geschichte des Veterinärdienstes nur marginal thematisiert. Zu diesem Themenkomplex existierten lange Zeit lediglich zwei von Veterinären vorgelegte Studien. Zum 24 Programmatisch für die sich im 19. Jahrhundert etablierende Tradition der Veterinärgeschichtsschreibung: Dieckerhoff, Geschichte der Rinderpest. 25 Exemplarisch die Arbeiten von Münzer und Wagner. Die umfangreichen Monographien von Spinage und Blancou bleiben den rein kompilatorischen und fortschrittsgläubigen älteren Darstellungen verhaftet. 26 In erster Linie die Arbeiten von Hünniger und Stühring.

Tierseuchen, Veterinärmedizin und Siedlerkolonialismus im südlichen Afrika

einen die von Manuel Töpfer 2010 vorgelegte Dissertation »Der Veterinär­ dienst des Deutschen Reiches in China von 1898 bis 1914«27 sowie die von Herbert Schneider bereits 1977 erstellte »Analyse der Tiergesundheitssitua­tion in Südwestafrika / Namibia, Vergangenheit und Gegenwart«.28 In Schneiders umfassender Studie wird in einem ersten Teil die Geschichte des kolonialen Veterinärdienstes in Namibia entlang eines teleologischen Fortschrittsnarrativs sehr einseitig und auf teilweise nicht nachvollziehbarer Quellengrundlage dargestellt. Angereichert wird der »historische Teil« mit einer kompilatorischen Auflistung der in Namibia bis in die 1970er Jahre ausgebrochenen Tierkrankheiten. Darin werden die Krankheiten, deren Erreger und Übertragungswege, die Seuchengeschichte sowie die veterinärpolizei­lichen Maßnahmen kurz beschrieben. Von Seiten der deutschen Kolonialhistoriographie wurden die Arbeiten von Schneider und Töpfer bislang ignoriert, obwohl sie schon aufgrund ihrer geschichtswissenschaftlich methodischen Mängel und der unkritischen Darstellung in vielerlei Hinsicht den Anstoß für weitere Forschungen eröffnen. So stellte die Arbeit von Schneider einen wesentlichen Ausgangspunkt sowie wichtige Orientierungshilfe bei der Einarbeitung in die veterinärmedizinischen Fachbegriffe sowie das Themenfeld der vorliegenden Dissertation dar. Auch in Töpfers Ausführungen zur Tätigkeit deutscher Militärveterinäre in China fanden sich durchaus einige für diese Arbeit relevante Informationen zu kolonialen Karrierewegen einzelner Veterinäre und dem damit verbundenen Wissenstransfer. In Bezug auf den Einfluss von Tierseuchen auf das koloniale Gesellschaftsgefüge taucht in der deutschen Kolonialismusforschung lediglich die in Afrika 1897 aufgetretene Rinderpestepizootie auf.29 Dabei richtet sich das Hauptaugenmerk auf die katastrophalen sozioökonomischen Folgen der Seuche in DSWA . Die Rinderpest trug zur Erosion der pastoralen Hererogesellschaft und damit zur zunehmenden Abhängigkeit der Herero wie auch 27 Die Dissertation von Töpfer folgt, ähnlich wie die Studie von Schneider, einen Erfolgsnarrativ. Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht ist die Quellengrundlage nicht erschöpfend. Als wichtigste Quellen werden die Zeitschrift für Veterinärkunde, die BTW sowie die »Denkschrift betreffend die Entwicklung des Kiautschou Gebietes« herangezogen. Töpfer, S. 8. Eine Sichtung der im BAB verfügbaren Akten des RKA ist nicht erfolgt. Zudem hat Töpfer nur marginal geschichtswissenschaftliche Sekundärliteratur berücksichtigt. Töpfer setzt sich auch nicht kritisch mit dem Problem auseinander, dass eine chinesische Perspektive oder gar agency fehlt – er erwähnt es nicht einmal. 28 Schneider. 29 Die Rinderpest war aber auch außerhalb der afrikanischen Kolonien ein Problem. Siehe z. B. zu deren Auftreten in Indien: Spinage, S. 447–466; in Kiautschou: Töpfer, S. 43–47.

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anderer indigener Gesellschaften von Lohnarbeit bei. Die daraus entstehenden Konflikte zwischen den indigenen Gesellschaften und den europäischen Siedlern werden in eine Kette von Ereignissen eingeordnet, die in einer Spirale der Gewalt und Hoffnungslosigkeit eskalierten und 1904 schließlich zum Ausbruch des Namibischen Krieges und zur Etablierung einer von den europäischen Kolonialherren dominierten Siedlergesellschaft führten.30 Abgesehen von dieser eindimensionalen Deutung der Rinderpest wurden die von Tierseuchen ausgelösten Folgen in Namibia wie auch in anderen »Schutzgebieten« bisher nur von wenigen Arbeiten ansatzweise dokumentiert.31 Zur Bedeutung und zum Einfluss von Tierseuchen auf die Errichtung der deutschen Kolonialherrschaft bestand bislang lediglich eine auf vagen Vermutungen basierende These. In seiner detaillierten Studie über das Ostküstenfieber in Rhodesien bemerkte Cranefield: »I would however surmise that the use of science as an agent of imperial power was more conscious, systematic and deliberate in the German empire than it was in the British Empire«.32 Der Grund für diese Lücke in der deutschen Kolonialhistoriographie ist darin zu sehen, dass lange Zeit die Beziehung(en) zwischen Afrikanern und Deutschen während der Kolonialzeit sowie deren Bedeutung für die Entwicklung der heutigen afrikanischen Staaten, im Mittelpunkt des Forschungsinteresses standen. Im Zuge der breiten Rezeption der postcolonial studies richtete sich ein zweiter Schwerpunkt der Forschung auf die gesellschaftlichen und kulturellen Rückwirkungen der kolonialen Erfahrung auf das Kaiserreich.33 In Bezug auf Namibia nehmen dabei nach wie vor die Erforschung des Namibischen Krieges im Hinblick auf die genozidale Kriegsführung und die anschließenden kolonialen Repressionsmaßnahmen sowie jüngst die Debatten um die Rückführung von menschlichen Überresten den größten Raum ein.34 30 Bley, S. 166–177; Gründer, S. 114–119; Drechsler, S. 118–120. 31 Jüngst rückten auch der allgemeine Seuchenzug sowie die Folgen der Rinderpest in Bezug auf die Errichtung kolonialer Herrschaft in Äthiopien und dem östlichen Afrika in den Fokus der deutschsprachigen ethnologisch-historischen Forschung. Loimeier, S. 83–114. 32 Cranefield, S. 286. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Cranefield zwar ausführlich auf die Beteiligung Robert Kochs bei der Erforschung des Ostküstenfiebers in Rhodesien eingeht, die entsprechenden Archivbestände in Deutschland aber nicht eingesehen hat. Dies sei seiner Ansicht nach die Aufgabe weiterer Forschungsarbeiten, die sich mit der Rolle der deutschen Wissenschaftler auseinandersetzen sollte. 33 Kundrus, Phantasiereiche; van der Heyden u. Zeller. 34 Insbesondere um 2004 stieg die Zahl der Publikationen zum Namibischen Krieg massiv an. Beispielhaft: Zimmerer u. Zeller, Völkermord in Deutsch-Südwestafrika; Gerwarth u. Malinowski. Zu Repression und Kolonialpolizei siehe: Zollmann und

Tierseuchen, Veterinärmedizin und Siedlerkolonialismus im südlichen Afrika

Ähnlich wie die deutschsprachige Forschung hat sich auch die namibische Geschichtswissenschaft lange Zeit ausschließlich auf die von der Rinderpest ausgelösten Umwälzungsprozesse konzentriert.35 Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die namibische Geschichtswissenschaft bis 1990 im Sinne des namibischen Befreiungskampfes politisch instrumentalisiert wurde.36 Befreit von dem Druck der politischen Positionierung rückten nach 1990 zunächst einzelne Regionen und Ethnien in den Mittelpunkt der namibischen Geschichtswissenschaft. Daneben entstanden Studien, die sich schwerpunktmäßig mit der südafrikanischen Kolonialherrschaft auseinandersetzten und auch umwelthistorische Ansätze verfolgten.37 Diese Engführung der historischen Forschung entlang der von den Kolonialmächten geprägten ethnischen und geographischen Kategorien wurde erst in jüngster Zeit aufgebrochen.38 In Bezug auf eine postkoloniale Perspektive auf die namibische Geschichte wie auch die realhistorische Bedeutung von Tierseuchen bildet die Dissertation von Giorgio Miescher eine Ausnahme.39 Diese innovative Arbeit befasst sich mit der Geschichte des Veterinärzaunes der sogenannten »Red Line«, die bis heute Nordnamibia vom kommerziellen Farmland trennt. Diese zunächst von der deutschen Kolonialadministration als Postenkette zur Abwehr der Rinderpest eingerichtete Demarkationslinie wurde von der süd-

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­ uschalek. Zu den Debatten um die Restituion kolonialer Kulturgüter und menschM licher Überreste: Stoeker, Schnalke u. Winkelmann. Die sozialen Umwälzungsprozesse für die Hererogesellschaft haben Jan-Bart Gewald und Michael Bollig detailliert aufgearbeitet. Gewald, Towards Redemption; Bollig u. Gewald, People, Cattle and Land. Auch Marion Wallace ordnet die Folgen der Rinderpest entlang der zunehmenden Herrschaftssicherung der Deutschen durch die Schwächung der indigenen Bevölkerung ein. Sie weist aber darauf hin, dass die Auswirkungen der Rinderpest für die Bevölkerung im Süden Namibias wie auch für kleinere indigene Gruppen in Zentralnamibia bislang so gut wie unerforscht sind. Wallace, S. 144–146. Dazu ein knapper Überblick bei: Miescher, S. XIX–XX. Diese Widerstands-Historiographie ist heute zentraler Bestandteil des von der Regierungspartei und ehemaligen Widerstandsbewegung SWAPO verordneten offiziellen und auch umstrittenen Geschichtsbildes. Dieses wird eindrücklich bei einem Besuch des 2014 eröffneten Independence Memorial Museum in Windhoek deutlich. Zur politischen Instrumentalisierung des Befreiungskampfes und den gesellschaftspolitischen Debatten siehe aktuell: Melber, und Kornes. Hayes, Silvester, Wallace u. Hartmann; Botha, Politics of Land Settlement; Botha, People and the Environment. Wegweisend in dieser Beziehung Wallace, History. Miescher, Rote Linie. Die Arbeit erschien zunächst auf Englisch unter dem Titel: Namibias Red Line. The History of a Veterinary and Settlement Border, New York 2012. Im Folgenden wird auf die deutsche Ausgabe Bezug genommen.

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afrikanischen Mandatsregierung bis 1960 kontinuierlich ausgebaut. Neben der Tierseuchen­prävention und Kontrolle der Viehbewegungen diente die Grenze auch zur räumlichen Segregation der europäischen und afrikanischen Siedlungsgebiete. Anhand der Geschichte dieser Binnengrenze zeigt Miescher auf, wie die veterinärmedizinische Gesetzgebung zur kolonialen Raumordnung und damit zur sozioökonomischen Absicherung der deutschen sowie der südafrikanischen Kolonialherrschaft beitrug. Die Dissertation geht auch auf die Organisation des Veterinärdienstes ein. Dabei greift sie vor allem auf die Arbeit von Schneider zurück und ergänzt diese um die Folgen der Umsetzung veterinärpolizeilicher Maßnahmen. Da Miescher im Rahmen seiner Darstellung neben der Rinderpest auch auf die Bedeutung weiterer Viehseuchen und die bei deren Eindämmung auftretenden Konflikte hinweist, bot sie produktive Anregungen für die Auseinandersetzung mit der »im Hintergrund« stattfindenden Generierung und Zirkulation kolonialen Wissens. Diese transnationale Dimension wird aufgrund des Erkenntnisinteresses von Miescher nur gestreift.40 Ähnlich wie in Deutschland und Namibia wurde auch in der britischen Historiographie die Geschichte der Veterinärmedizin lange Zeit ignoriert. Allerdings rückten ab den 1990er Jahren die von Tierseuchenausbrüchen ausgelösten ökonomischen, sozialen und kulturellen Aspekte mehr und mehr in den Fokus der britischen Geschichtswissenschaft.41 Unter dem Einfluss der Umweltgeschichte sowie der noch relativ jungen animal studies wurde dieser Trend auch von der höchst differenzierten Empire-Forschung aufgegriffen. Dabei konnte sie an die breit gefächerten Ansätze der seit den 1980er Jahren als Forschungsgegenstand etablierten Colonial Medicine anknüpfen.42 In den letzten zwei Jahrzehnten entstanden so mehrere Arbeiten, die sich mit den sozioökonomischen Folgen von Umwelteinflüssen und Tierseuchen sowie der kultur- und sozialhistorischen Bedeutung von Nutztieren im Kontext kolonialer Machtentfaltung befassen. Entsprechend liegen zum Themenfeld Tierseuchen, Veterinärmedizin und koloniale Herrschaft mittlerweile umfangreichere Untersuchungen vor. Diese 40 Lediglich die Resolutionen der Rinderpestkonferenz von Vryburg im August 1896 und die Forschungsarbeiten der europäischen Experten um Robert Koch in der Cape Colony und dem Transvaal werden kurz erläutert. Miescher, S. 20 und S. 27–28. 41 Für einen Überblick über den Stand der historischen Forschungen siehe ausführlich: Mishra. 42 Zum Gegenstand der Colonial Medicine siehe exemplarisch: MacLeod u. Lewis; Marks; Sutphen u. Andrews. Für die deutsche Kolonialismusforschung: Eckart; Isobe.

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Arbeiten nehmen die lokalen sowie kolonialen Verhältnisse genauer in den Blick. Der Großteil dieser Studien entfällt auf Südafrika bzw. die britische Cape Colony, daneben finden sich auch einzelne Studien zu Kenia, Simbabwe und Botswana.43 Aus einer postkolonialen Perspektive befassen sich einige Untersuchungen mit den seuchenevozierten tiefgreifenden soziopolitischen Umwälzungsprozessen sowie den massiven Auswirkungen auf die koloniale Siedlungsstruktur und -politik. Die maßgebliche historische Bedeutung von Tierseuchen – insbesondere der Rinderpestepizootie – wird darin gesehen, dass in ihrem Kielwasser soziale Spannungen aufbrachen, die wiederum eine weitere Zementierung der kolonialen Herrschaft in einem bestimmten Gebiet zur Folge hatten.44 Daneben entstanden Arbeiten, die sich aus einer umwelthistorischen Perspektive mit dem Phänomen der afrikanischen Tierseuchen auseinandersetzen.45 Neben der Rinderpest fanden dabei auch einige andere Tierseuchen Berücksichtigung.46 Mit dem zunehmenden Interesse an der Rolle der westlichen Wissenschaft im Kontext des britischen Imperialismus47 wurden in einigen Untersuchungen die koloniale Veterinärmedizin sowie einzelne Tierärzte in den Blick genommen. Der Fokus dieser wissenschafts- und umwelthistorisch geprägten Arbeiten liegt unter anderem auf dem Einfluss der ersten europäischen Veterinäre auf die Tierhaltungspraktiken in der Cape Colony48 sowie auf den in Südafrika betriebenen veterinärmedizinischen Forschungen. Im Zentrum steht dabei das Onderstepoort Veterinary Institute in Pretoria sowie die Akteure, die dort gearbeitet haben.49 Neben den Forschungsarbeiten werden auch die sie begleitenden Rivalitäten sowie die wissenschaftlichen Forschungsansätze zum Teil sehr detailliert dargestellt.50 Dabei konnten 43 44 45 46 47 48

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Zu Kenia, Simbabwe und Botswana siehe: Waller; Cranefield; Marquardt. Zu Südafrika siehe: van Onselen; Ballard; Phoofolo, Zafa! Kwahlwa! Kwasa!; Andreas. Dazu u. a.: Marquardt; Beinart, Transhumance; Beinart, The Rise of Conservation. Arbeiten zu anderen Tierseuchen u. a.: Giblin, Trypanosomiasis; Tilley, Ecologies; Giblin, East Coast Fever; Brown, From Ubombo to Mkhuzi. Eine kritische Zusammenfassung der in Großbritannien geführten Debatten über den Aufstieg und die Entstehung der »Western Science« im Kontext des British Empire findet sich bei Harrison. Siehe auch Hodge. Beinart, Vets, Viruses, and Environmentalism. In dem Sammelband fasst ­Beinart eine ganze Reihe von Aufsätzen zur Umweltgeschichte Südafrikas zusammen. Die einzelnen Beiträge befassen sich u. a. mit der Implementierung und dem Einfluss der Wassererschließung, Bodenkultivierung, Einfuhr von Nutzpflanzen sowie Schädlingsbekämpfung. Brown, Tropical Medicine. Gilfoyle, Veterinary Immunology; Gilfoyle, Veterinary Research.

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diese Studien nachweisen, dass die Methoden der westlichen Wissenschaft in den Kolonien adaptiert und weiterentwickelt wurden, was als Beleg für die bedeutende Rolle der Kolonien bei der Ausdehnung der imperialen und zunehmend auch globalen Wissenschaftskultur angeführt wird.51 Für die Entwicklung der vorliegenden Dissertation boten diese von südafrikanischen und britischen Historikern vorgelegten Studien produktive Anregungen und wichtige Bezugspunkte, da diese Arbeiten sowohl die umweltbedingten Einflüsse und deren sozioökonomische Folgen als auch die Reaktionen der Kolonialregierungen sowie die Vielzahl der beteiligten Akteure berücksichtigen. In der Summe decken diese dispersen Arbeiten die gesamte Bandbreite der für diese Untersuchung relevanten Themenbereiche in unterschiedlicher Tiefe und in verschiedenen zeitlichen wie geographischen Räumen ab. Es fehlt aber weitgehend an systematischen Monographien. Damit ist auch ein weiteres generelles Desiderat der Kolonialhistoriographie bzw. Empire-Forschung umrissen. Zwar gehen einige Studien auf die Beteiligung Robert Kochs an der Tierseuchenforschung im Auftrag der britischen Kapregierung ein.52 In der gesamten englischsprachigen Literatur wird der Blick aber nur selten über die kolonialen Grenzen hinaus geweitet und falls doch, geschieht dies lediglich im Rahmen des britischen Empire. Weder die Seuchenausbrüche noch die in Absprache mit den britischen Kolonialregierungen ergriffenen Abwehrmaßnahmen in den benachbarten nichtbritischen Kolonien werden in den Untersuchungen erwähnt. Lediglich in der oben genannten Studie von Miescher wird die transnationale Dimension der Tierseuchenerforschung und -bekämpfung gestreift.53 Die durch das Verharren innerhalb national-kolonialer Entitäten entstehenden blinden Flecken sind in Bezug auf die deutsche Kolonialgeschichte noch gravierender. Die überwiegende Mehrheit der Arbeiten beschränkt sich auf die Geschichte einzelner ehemaliger »Schutzgebiete« während der relativ kurzen Periode des deutschen Kolonialreiches zwischen 1884 und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges bzw. dem formellen Verlust der Kolonien 1919.54 Nur selten ist das formale Ende der deutschen Kolonialherrschaft 51 52 53 54

Brown, Tropical Medicine, S. 515. Gilfoyle, Veterinary Research und Cranefield. Miescher, S. 13–16. So finden sich beispielsweise zu fast allen ehemaligen deutschen Kolonien ausführliche Studien über deren Wirtschafts- und Verwaltungsstrukturen. Diese basieren in der Regel auf dem in Deutschland verfügbaren Archivmaterial und geben somit lediglich die Innenansicht der kolonialen Verwaltung wieder. Für die vorliegende Untersuchung wurde die umfassende Arbeit von Kaulich mehrfach zu Rate gezogen.

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überschritten worden, obwohl sich dies gerade im Falle Namibias mit seiner bis heute existierenden deutschen Bevölkerung geradezu anbietet.55 Diese Engführung der Forschung hängt nicht zuletzt mit der Tatsache zusammen, dass in der deutschen Forschungslandschaft nur wenige Verbindungen zwischen Wissenschaftlern, die außereuropäische Geschichte betreiben und solchen, die sich mit der Kolonialgeschichtsschreibung befassen existieren. Letztere verorten sich zudem mehrheitlich in der Kaiserreichsforschung.56 In dieser Hinsicht stellt die innovative Studie von Ulrike Lindner zur transnationalen kolonialen Verflechtung zwischen dem Kaiserreich und Großbritannien eine Ausnahme dar. Lindner analysiert die vielfältigen Interaktionen zwischen den deutschen und britischen Kolonien in Ost- und Südafrika. Konkret wird nachgezeichnet, wie sich Briten und Deutsche als Kolonisatoren in Afrika gegenseitig wahrnahmen und begegneten, wie sie den Ausbruch von Kriegen in den benachbarten Kolonien rezipierten und dabei kooperierten, wie sich der Rassismus in den Kolonien entwickelte und welche Rolle grenzübergreifende Kontakte dabei spielten. Vor allem der Befund Lindners, dass Briten und Deutsche trotz aller Abgrenzungsbestrebungen stets darauf bedacht waren, »die weiße Superiorität in Afrika zu erhalten«,57 war in Bezug auf die Ausrichtung dieser Arbeit richtungsweisend. Vor diesem Hintergrund setzt die vorliegende Studie an folgenden Punkten an: Aus einer transnationalen Perspektive auf die beteiligten tiermedizinischen Experten stellt sich die Frage nach der kolonialen Verflechtung der veterinärmedizinischen Forschungen im südlichen Afrika. Diese wurde bislang ausschließlich im Kontext des British Empire untersucht. Die fachwissenschaftlichen Konferenzen, die im kolonialen Raum wie auch auf internationaler Ebene stattfanden, fanden bestenfalls am Rande Beachtung.58 Diese dienten aber nicht allein dem Austausch über neueste Forschungsergebnisse, sondern auch der Koordination und Standardisierung von Bekämpfungsstrategien. Ergänzt wurde dieser Wissenstransfer durch Veröffentlichungen der vor Ort forschenden Experten. Die genauen Wege dieser Wissensaneignung, die sich sowohl im Spannungsfeld zwischen kolonialer 55 Eine der wenigen deutschsprachigen Studien, die sich mit dem Übergang von der deutschen zur südafrikanischen Herrschaft befasst: Eberhardt. 56 Lindner, Plätze an der Sonne?, S. 509–510. 57 Lindner, Koloniale Begegnungen, S. 461. 58 So findet sich im Zusammenhang mit der vom Colonial Office ab 1920 betriebenen zunehmenden interdisziplinären Vernetzung der britischen Kolonialexperten eine Auflistung der intercolonial veterinary conferences bei Tilley, Africa, S. 133.

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Metropole und Peripherie als auch innerhalb transkolonialer Austauschprozesse vollzog, sind bislang noch nicht in den Blick der Forschung geraten. Ein weiteres Desiderat stellt eine kritische Institutionengeschichte des kolonialen Veterinärdienstes in Namibia dar. Der organisatorische Aufbau des Veterinärdienstes wie auch die Schaffung der erforderlichen gesetz­ lichen Grundlagen vollzog sich ebenfalls unter dem Einfluss transnationaler Kontakte. Die Gründe für die Integration vier ehemaliger deutscher Veterinäre in den Veterinary Service der südafrikanischen Mandatsregierung sind ebenfalls noch nicht erschöpfend untersucht worden. Verknüpft mit diesen personellen Kontinuitäten ist ferner die Frage nach institutionellen Kontinuitäten. Zur Beantwortung dieser Frage ist es erforderlich, grundsätzlich der Rolle der Veterinärpolitik und deren enger Verzahnung mit anderen kolonialstaatlichen Herrschaftstechniken nachzugehen. Veterinärpolizeiliche Maßnahmen wurden von den Kolonialregierungen in Namibia durchaus auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlicher Intensität zur Festigung kolonialstaatlicher Kontrolle genutzt. Obwohl die Viehzucht eine zentrale sozioökonomische Rolle spielte, wurden auch diese Fragen von der Forschung bislang nur am Rande gestreift. Somit ergeben sich für diese Arbeit folgende konkrete Fragestellungen: Welche unterschiedlichen Reaktionen / Wissenskrisen wurden von Tierseuchen ausgelöst? Wie reagierte die veterinärmedizinische Forschung auf einer transnationalen Ebene auf die verschiedenen Herausforderungen? Welchen Einfluss hatten sowohl externe kolonialpolitische Faktoren als auch die vor Ort gesammelten Erfahrungen auf den Aufbau des kolonialen Veterinärdienstes in Namibia? Wie versuchte man strukturelle Probleme zu lösen? Wie wurde veterinärmedizinisches Wissen zur Herrschaftssicherung eingesetzt? Wie gestaltete sich bis 1915 das Spannungsverhältnis zwischen Kooperation und Konkurrenz? Wie lassen sich personelle und institutionelle Kontinuitäten erklären?

Theoretisch-methodische Überlegungen Mit der Fragestellung ist die vorliegende Untersuchung an der Schnittstelle zwischen Umwelt-, Wissenschafts- und Kolonialgeschichte angesiedelt. Die Arbeit folgt zudem nicht der konventionellen Einteilung der namibischen Kolonialgeschichte und nimmt eine dezidiert transnationale Perspektive ein. Demzufolge orientiert sich der zugrundliegende methodische Ansatz an den

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Konzepten der Transfer- und Verflechtungsgeschichte. Da es im Kern der Arbeit um die Frage geht, wie die Produktion von Wissen über das annektierte Territorium die koloniale Herrschaftsausübung im Sinne eines tool of empire59 beeinflusste, stellt »Wissen« die zentrale analytische Kategorie dar. Entsprechend muss die methodische Ausrichtung durch Ansätze der Wissensgeschichte, Überlegungen zur Verknüpfung von Wissen und Macht sowie Konzepte zur Zirkulation von Wissen ergänzt werden. Seit der breiten Rezeption der Arbeiten von Michel Foucault gehört die Verknüpfung von Herrschaft und Wissen zu den allgemein anerkannten Grundannahmen der Geschichtswissenschaft. Die Überlegung, dass Macht Wissen produziert und zugleich Wissen von Macht durchdrungen ist,60 bildet für die vorliegende Studie eine zentrale Hypothese. Die Verschränkung von Wissen und Macht ist bei Foucault eng mit dem Begriff der Gouvernementalität verbunden. Mit diesem Begriff beschreibt Foucault eine Machtechnologie, die auf liberaler politischer Rationalität und Freiwilligkeit beruht.61 Das Konzept hatte Foucault anhand der Geschichte der europäischen / französischen Staatlichkeit entwickelt und dabei eine Anwendung auf koloniale Herrschaftsverhältnisse nicht in Erwägung gezogen. Entsprechend entwickelte sich eine Forschungsdebatte darüber, inwiefern sich Foucaults Konzept im Sinne einer colonial governmentality auf die »koloniale Situation« übertragen lässt.62 Aufgrund der heterogenen kolonialen Machtverhältnisse lässt sich Foucaults Konzept in der Tat nur begrenzt auf die Untersuchung des Einflusses veterinärmedizinischen Wissens auf die koloniale Herrschaftssicherung anwenden. Grundsätzlich wird aber davon ausgegangen, dass die von Foucault beschriebenen Formen der souveränen Macht, Disziplinierung und Gouvernementalität auch in den Kolonien vorzufinden waren.63

59 Dieser Begriff wurde Anfang der 1980er Jahre von Daniel Headrick geprägt und diente ursprünglich dazu, den Einfluss von europäischen Technologien auf die koloniale Herrschaftserrichtung analytisch zu untersuchen. Da die koloniale (Veterinär-) Medizin grundsätzlich darauf ausgerichtet war, praktisch anwendbare Lösungen, wie Impftechniken, zu entwickeln ist der Begriff des tool of empire durchaus zutreffend. Headrick. 60 Foucault, Dispositive, S. 109. 61 Lemke, S. 143–150. 62 Dazu u. a.: Scott, S. 191–220 sowie Pesek, S. 41–59. Für einen knappen Überblick: Hée, S. 14–17. 63 Dazu ausführlich: Lemke, S. 68–79 (Disziplin), S. 143–194 (souveräne Macht & Gouvernementalität).

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Auf einer basalen Ebene dienten auch weitere Überlegungen Foucaults als Orientierungspunkte für den methodischen Aufbau der vorliegenden Untersuchung. So liegt der Arbeit Foucaults die Annahme zu Grunde, dass historische Prozesse weniger von klaren Brüchen und Zäsuren als vielmehr von Kontinuitäten geprägt sind, die grundsätzlich parallel und ungleichzeitig erfolgen.64 Auch in der Forschung wurde die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen als ein zentrales Charakteristikum kolonialer Macht bezeichnet.65 Für die Untersuchung der Anwendung veterinärmedizinischen Wissens im Rahmen kolonialer Herrschaftssicherung diente Foucaults Konzept der Bio-Politik – mit einigen Abstrichen – als Anregung. Laut Foucault entstand Bio-Politik aus zwei miteinander verbundenen Hauptachsen: der Disziplinierung des Individualkörpers sowie der Regulierung der Bevölkerung.66 Foucault hatte dieses Konzept zur Analyse von menschlichen Gesellschaften entwickelt und entsprechend wurde es auch in der Forschung bislang angewandt. Das Grundprinzip der Bio-Politik lässt sich aber auch auf die koloniale Veterinärpolitik übertragen. Die Viehseuchenbekämpfung und -prävention gehörte im 19. Jahrhundert zum Kernbereich staatlicher Fürsorge. Ziel veterinärpolizeilicher Gesetze war es, die staatliche Kontrolle über die Tierkörper und die allgemeine Tiergesundheit zu erlangen. Die möglichst lückenlose Erfassung der Tierbestände ermöglichte es wiederum, die Tierbesitzer dem staatlichen Herrschaftszugriff zu unterwerfen. Da im südlichen Afrika die meisten Farmen nicht eingezäunt waren, stellte die Erfassung und Kennzeichnung der Tierbestände einen weiteren ambitionierten Versuch dar, den kolonialen Herrschaftszugriff auf das Territorium auszudehnen. Auch wenn die flächendeckende Kontrolle des Territoriums eine Illusion blieb, war koloniale Herrschaft im südlichen Afrika eng mit der Kontrolle über Nutztiere verbunden. Dies erklärt, warum in den Siedlerkolonien des südlichen Afrika Konflikte zwischen der Kolonialmacht und der indigenen Bevölkerung vor allem über den Besitz von Tieren ausgetragen wurden. In jedem Feldzug gegen »aufständische Eingeborene« beschlagnahmten die kolonialen Exekutivkräfte Rinder und Kleinvieh bzw. mussten diese als Kompensationsleistungen abgegeben werden. Hinzu kam, dass die Viehbesitzer großes Interesse an der Erhaltung und Förderung des Gesundheitszustandes ihrer Bestände hatten. Entsprechend entwickelten die 64 Foucault, Ordnung der Dinge. 65 Wirz, S. 5–34. 66 Zu Foucaults Problematik der Bio-Politik bzw. Bio-Macht: Lemke, S. 134–143.

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europäischen Farmer eigene Techniken zur Absicherung ihrer wirtschaftlichen Lebensgrundlage. Diese an Konzepte Foucaults angelehnte Betrachtung der Nutzung tiermedizinischen Wissens zur Herrschaftssicherung wird durch die Analyse der Generierung und Zirkulation von Wissen ergänzt. Das europäische Fachwissen der Veterinäre stieß in den afrikanischen Kolonien an unterschiedliche Grenzen und musste permanent an die kolonialen Gegebenheiten an- und in diese eingepasst werden. Die entsprechenden Forschungsarbeiten gingen der praktischen Umsetzung zwar prinzipiell voran, waren aber aufgrund der technischen Voraussetzungen grundsätzlich auf großangelegte in vivo-Versuchsreihen angewiesen. Dabei wurden, insbesondere im Rahmen der von den europäischen Experten betriebenen Grundlagenforschungen, häufig indigene Wissensbestände bzw. Erfahrungswissen der europäischen Farmer in die Forschungsarbeiten einbezogen. Diese Wissensbestände werden im Folgenden unter dem Begriff »lokales Wissen« subsumiert. Dies ist erforderlich, da die europäischen Experten von der grundsätzlichen zivilisatorischen Überlegenheit Europas überzeugt waren und daher bestenfalls zwischen den Zeilen auf den indigenen Ursprung von Wissensbeständen hinwiesen. Mithin umfasste das in den Kolonien generierte Wissen nicht nur nach europäischen Maßstäben definiertes wissenschaftliches Wissen über die Ätiologie und Diagnose der Krankheiten, sondern auch auf Erfahrungen basierende Kenntnisse über Techniken und Praktiken der Seuchenprävention und -bekämpfung sowie des organisatorischen Aufbaus eines kolonialen Veterinärdienstes. Was aber ist nun konkret unter dem Begriff »Wissen« zu verstehen? Laut Achim Landwehr existiert weder eine einheitliche noch allgemein anerkannte Definition, um Wissen historisch zu fassen.67 Um die Generierung und Verflechtung veterinärmedizinischen Wissens verständlich zu machen, ist es also zunächst erforderlich, eine Definition des Wissensbegriffes vorzunehmen. Dabei orientiert sich diese Studie an den neueren Ansätzen der Wissensgeschichte,68 wonach Wissen generell als ein historisches Phänomen aufgefasst und untersucht wird. Es geht also um die Frage, wie, wann und warum bestimmtes Wissen erzeugt wurde. Das in den Kolonien generierte veterinärmedizinische Wissen bestand zwar tendenziell aus rational begründeten, 67 Landwehr, S. 61–89. 68 Einen Überblick zu den Ansätzen der Wissensgeschichte siehe: Sarasin, Wissens­ geschichte.

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empirisch überprüfbaren Hypothesen und Theorien.69 An der Produktion dieses Wissens waren aber neben Medizinern, Veterinären, Bakteriologen und Entomologen auch tiermedizinische Laien, wie Soldaten, Polizisten sowie indigene und europäische Viehbesitzer, beteiligt. Diese Wissensträger wiederum präfigurierten und beeinflussten die Wissensproduktion durch ihre kulturell-gesellschaftliche Prägung sowie durch ihre im Studium und in der Ausbildung erfolgte epistemologische Sozialisation. Was wiederum als allgemein gültiges Wissen anerkannt wurde, verhandelten schlussendlich vor allem europäische Experten. Damit war die Wissensproduktion eng an die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gekoppelt – in diesem Fall die von einem rassistisch begründeten Machtgefälle geprägte koloniale Siedlergesellschaft. Entsprechend den heterogenen Wissensträgern und -beständen wird, in Anlehnung an Sujit Sivasundaram, Wissen(schaft) als Praktik aufgefasst. Dies ermöglicht es »to trace the production of knowledge in everyday social and public life, not allowing it to be the exclusive preserve of men in white coats«.70 Eine solche Auffassung von Wissen schließt die zeitgenössische Vorstellung des 19. Jahrhunderts von einem beständigen Fortschreiten und Anwachsen des Wissens aus. Das akkumulierte (veterinärmedizinische) Wissen wurde erst dadurch zu gesellschaftlich anerkanntem Wissen, indem es durch Experten / Wissenschaftler in Kategorien eingeteilt, miteinander in Beziehung gesetzt, abgegrenzt und institutionalisiert wurde. Diese Kategorien sind sozial konstruiert.71 Bei der Generierung wissenschaftlich begründeten und gesellschaftlich anerkannten kolonialen Wissens floss, wie bereits erwähnt, lokales Wissen in nicht unerheblichen Maß mit ein. Daher wird es im Folgenden um die Analyse von Wissen gehen, das in einem rationalen und europäisch geprägten Wissenssystem verortet wurde.72 Die afrikanischen Kolonien waren eine Bühne für Konflikte zwischen unterschiedlichen imperialen Mächten, die um Einfluss rangen. Trotz grund69 Neben dem rational begründeten und empirisch überprüfbaren »wissenschaftlichen Wissen« unterscheidet Sarasin noch zwei weitere idealtypische Dimensionen von »Wissen«: Zum einen nicht- bzw. kaum rational begründbare Überzeugungen (Glaubenssysteme wie Religion, Ideologien, Spielregeln) sowie expressiv-ästhetisches Wissen (Kunst, kulturelle Genres und Stile). Diese einzelnen belief systems sind in der Praxis aber instabil und überlagern sich vielfach. Sarasin, Wissensgeschichte, S. 164–167. 70 Sivasundaram, S. 157. 71 Das positivistische Wissenschaftsverständnis hat die soziale Konstruiertheit von wissenschaftlichem Wissen lange Zeit ignoriert. Dies hat bereits Fleck kritisiert. 72 Sarasin, Wissensgeschichte, S. 166.

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sätzlicher Spannungen lernten die kolonialen Nachbarn voneinander und beeinflussten sich gegenseitig.73 Das in den Kolonien produzierte Wissen verharrte, wie auch die Tierseuchenerreger, nie innerhalb national- oder kolonialstaatlicher Grenzen. Um funktionieren zu können, ist Wissen vielmehr auf die Zirkulation zwischen Menschen und Gruppen außerhalb von institutionellen, sozialen, politischen und geographischen Grenzen angewiesen. Es reagiert auf Anstöße aus anderen Wissensfeldern und unterschiedlichen sozialen Gegebenheiten. Auf diese Weise wird es an anderen Orten wieder aufgegriffen und dabei umgeformt.74 Als Instrument von Herrschaft stellt Wissen also eine hochdynamische Ressource dar. Insbesondere im kolonialhistorischen Kontext war die Zirkulation von Wissen eng an die dieses tragenden, produzierenden und rezipierenden Akteure gebunden. Die im Laufe des 19. Jahrhunderts in Europa einsetzende Anerkennung der Veterinärmedizin als eigenständige wissenschaftliche Disziplin und ihre beginnende Diversifizierung gingen mit einer weitgehenden Standardisierung der Wissensinhalte und -praktiken einher. Diese wurden potenziell von allen europäischen Kolonialveterinären geteilt. Während ihrer teilweise mehrjährigen Aufenthalte in den Kolonien eigneten sich europäische Experten durch die Rezeption lokalen Wissens sowie die Interaktion mit indigenen und europäischen Viehbesitzern ein spezielles, koloniales Wissen an.75 Ein nicht unerheblicher Teil spezifischen Fachwissens war also potenziell überall dort, wo auch europäische Veterinäre waren. Anders ausgedrückt: Das Wissen an sich wanderte nicht, es konnte aber gleichzeitig an mehreren Orten sein. Ihre Kenntnisse streuten diese Experten zum Teil durch ihre persönliche Mobilität sowie durch Korrespondenzen, Berichte, Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Zeitschriften oder im Rahmen von Konferenzen. Die Wissensaneignung wurde folglich von mehr oder weniger stabilen Netzwerken getragen, die sich über nationalstaatliche und koloniale Grenzen hinwegsetzten. Koloniales Wissen speiste sich daher aus verschiedenen Wissensbeständen unterschiedlicher Kolonien und Imperien.76 Gleichzeitig fand durch die Zirkulation des Wissens auch die Koppelung von Wissen und Macht statt,

73 Lindner, Koloniale Begegnungen. 74 Sarasin, Wissensgeschichte, S. 164. Zur Zirkulation und Verflechtung von Wissen im kolonialen Kontext und nach wie vor wegweisend Cooper u. Stoler, S. 1–58. 75 Beinart, Brown u. Gilfoyle, Experts and Expertise, S. 420–422. 76 Lindner, Koloniale Begegnungen, S. 18. Auch Habermas u. Przyrembel, S. 10–13.

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indem durch das Expertennetzwerk bestimmte Wissensbestände als »wahr« qualifiziert wurden.77 Aufgrund der hohen Mobilität der Akteure greifen bei der Erforschung von Experten- und Wissensnetzwerken bipolare Erklärungs- und Analysemuster nur begrenzt.78 Ein Hauptproblem der Vorstellung eines die Welt umspannenden Wissensnetzwerkes ist die Konzentration auf einzelne Orte, die jeder für sich als Zentrum fungieren können.79 Um die dezentralen, vielschichtigen und dynamischen Prozesse der veterinärmedizinischen Wissensproduktion und -aneignung methodisch fassen zu können, nimmt die vorliegende Studie – wie bereits erwähnt – eine transnationale Perspektive auf die Wissensträger ein. Damit knüpft sie an global orientierte umwelthistorische Forschungen ebenso an wie an wissenschaftshistorische Arbeiten, die sich mit der »Globalisierung von Wissen« im Zeitalter des Kolonialismus befassen.80 Die gegenseitige Wahrnehmung und Interaktion der beteiligten Akteure werden methodisch mit dem Ansatz der entangled history untersucht. Mit Hilfe der verflechtungshistorischen Perspektive ist es möglich, die reziproken Beziehungen zwischen den kolonisierenden und kolonisierten Ländern in den Blick zu nehmen. Die von Tierseuchen ausgelösten Wechselwirkungen waren aber weitaus komplexer und enger mit einander verknüpft, als es mit einem Metropole-Kolonie Schema erfasst werden könnte. Der verflechtungshistorische Ansatz ermöglicht es, diese bipolare Einteilung aufzubrechen und als ein Bestandteil der transnationalen Beziehungen und Aneignungsprozesse zwischen den unterschiedlichen Kolonien untereinander zu identifizieren. Mit Hilfe eines solchen Ansatzes wurde bereits die Vielgestaltigkeit der Wissensverflechtungen zwischen Europa und den Kolonien aufgezeigt. Ulrike Linder gelang es nachzuweisen, wie durch die transnationalen Verflechtungen zwischen dem britischen Empire und dem Deutschen Reich kollektive koloniale Wissensbestände konstituiert wurden.81 Mit dieser methodischen Ausrichtung leistet die Studie nicht nur einen weiteren Beitrag zu einem speziellen Feld der kolonialen Verflechtungsgeschichte. Sie nimmt auch Bezug auf die von der wissenschaftshistorisch 77 Zu dieser Koppelung, die durch sozialhistorische Raster nur ansatzweise ermittelt werden kann, siehe Sarasin, Wissensgeschichte, S. 169. 78 Rheinberger und Vogel. 79 Sivasundaram, S. 158. Zu diesem Problem siehe auch: Chambers u. Gillespie, S. 221–240. 80 Dazu u. a.: Stuchtey. 81 Lindner, Koloniale Begegnungen, hier v. a. S. 297–453.

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orientierten Umweltgeschichte vorgetragene Forderung, die historische Erforschung der Veterinärmedizin wie auch der Tierseuchen stärker für komparative Perspektiven zu öffnen.82 Zudem versteht sich die Untersuchung als eine Anregung, die Erforschung von Imperien grundsätzlich aus einer transimperialen Perspektive zu betreiben sowie die immer noch sehr starre zeitliche Eingrenzung insbesondere der deutschen Kolonialhistoriographie zu überdenken.

Struktur der Arbeit Um eine Aussage darüber treffen zu können, inwiefern veterinärmedizinisches Wissen zur Herrschaftssicherung im kolonialen Namibia beitrug, ist die vorliegende Arbeit in zwei thematische Teile mit jeweils drei Kapiteln gegliedert. Der erste Teil widmet sich den Bedingungen und Auswirkungen der durch Tierseuchen angestoßenen Produktion veterinärmedizinischen Wissens im Spannungsfeld zwischen kolonialer Metropole und Peripherie. Im zweiten Teil geht es um die Institutionalisierung und Anwendung dieses Wissens durch die Schaffung eines kolonialen Veterinärdienstes sowie die Verzahnung der Veterinärpolitik mit anderen Maßnahmen zur Stabilisierung kolonialstaatlicher Kontrolle über die Bevölkerung und das Territorium. Die Anordnung der einzelnen Kapitel folgt nur einer groben Chronologie. Inhaltlich sind die einzelnen Kapitel hingegen weitgehend chronologisch aufgebaut und decken größtenteils den gesamten Untersuchungszeitraum ab. Zentrale historische Ereignisse wie der Namibische Krieg von 1904–1907 oder die Übertragung des Völkerbundmandats an die Südafrikanische Union 1919/20 tauchen daher wiederholt auf. Um Redundanzen weitgehend zu vermeiden, werden in den einzelnen Kapiteln nur die für den jeweiligen Gegenstand relevanten Auswirkungen dieser »Großereignisse« aufgegriffen. Kapitel eins befasst sich mit der Entwicklung und der Rezeption von Präventionsmaßnahmen gegen die vor allem militärisch relevante Afrikanische Pferdesterbe in DSWA . Bei der Rekonstruktion der zwischen 1894 und 1906 in DSWA durchgeführten Forschungsarbeiten zur Entwicklung eines Immunisierungsverfahrens gegen diese von Mücken und Stechfliegen übertragene Viruserkrankung zeigt sich, dass die Entwicklung einer Impf82 Brown u. Gilfoyle, Introduction, S. 3 und S. 13.

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methode aufgrund der Rezeption der parallel in Transvaal durchgeführten Versuche gelang. Die lose Zusammenarbeit der Veterinäre legte den Grundstein für eine engere Kooperation zwischen DSWA und Transvaal. Die deutsche Kolonialregierung importierte ab 1908 Impfstoffe aus Transvaal, um die Einsatzbereitschaft des Militärs und der Polizei aufrechtzuerhalten. Den Schlusspunkt bildet die Bedeutung der Pferdesterbe für die Errichtung der südafrikanischen Mandatsmacht. Diese führte den Import von Impfstoffen grundsätzlich weiter, war aber gleichzeitig gezwungen, auf altbewährte Präventionsmaßnahmen zurückzugreifen sowie neue zu entwickeln. Im zweiten Kapitel geht es um den Beginn des internationalen veterinärmedizinischen Wissenstransfers. Dieser wurde durch die Rinderpestepizootie ausgelöst, die zwischen 1895 und 1898 in den Kolonien des südlichen Afrika ausbrach.83 Aufgrund der zentralen Bedeutung von Rindern für das koloniale Herrschafts- und Gesellschaftsgefüge war die Erforschung und Entwicklung von Präventions- und Bekämpfungsstrategien von Beginn an von internationalem Interesse. Die einzelnen Akteure und Regierungen tauschten sich seit 1896 über unterschiedliche Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung aus. Durch die Hinzuziehung international renommierter Experten wie Robert Koch sowie die Rezeption lokaler Behandlungsmethoden wurden innerhalb kurzer Zeit unterschiedliche Impfmethoden entwickelt. Dieses neue Wissen musste bei seiner praktischen Anwendung in DSWA an die kolonialen Gegebenheiten angepasst und weiterentwickelt werden. Etwa zeitgleich fand 1897 der interkoloniale Rinderpestkongress in Pretoria statt. Dieser legte den Grundstein für die weitere Institutionalisierung des transkolonialen Wissenstransfers. Daran anknüpfend thematisiert das dritte Kapitel die zunehmende Vernetzung der Veterinäre in den Kolonien, die Verortung der kolonialen Vete­ rinärmedizin auf internationaler Ebene sowie die dadurch ausgelösten institutionellen Abkoppelungsprozesse der kolonialen Veterinärmedizin. Insgesamt trugen die zwischen 1897 und 1929 in loser Abfolge abgehaltenen transkolonialen Veterinärkonferenzen zur Festigung und Ausdifferenzierung kolonialer tiermedizinischer Expertise bei. Ab 1905 führte die Präsenz einzelner Kolonialveterinäre auf den internationalen tiermedizinischen Kon83 Die Darstellung der veterinärmedizinischen Forschungen konzentriert sich damit nur auf zwei der wichtigsten Tierseuchen. Eine generelle Betrachtung der Tierseuchen wäre kaum umzusetzen, da in Namibia bis in die 1920er Jahre rund 30 verschiedene Tierseuchen und -krankheiten auftraten. Zu den einzelnen Krankheiten und Seuchen siehe Schneider, S. 39–259.

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gressen dazu, dass sich Anfang des 20. Jahrhunderts die koloniale bzw. tropische Veterinärmedizin als Subdisziplin im europäischen Wissenschaftssystem etablierte. Zwar war die koloniale Veterinärmedizin auf die Bereitstellung europäischer Expertise und vor allem Technologie angewiesen, spätestens ab 1908 setzte aber eine zunehmende institutionelle Abnabelung der kolonialen (tropischen) Veterinärmedizin ein. Bei der Analyse des transimperialen Wissens- und Technologietransfers zeigt sich zum einen, dass tiermedizinische Laien maßgeblich an der Produktion veterinärmedizinischen Wissens beteiligt waren. Zum anderen wird deutlich, wie die interkolonialen Konferenzen zur Etablierung veterinärpolizeilicher Standards in den Kolonien des südlichen Afrika sowie zu einer engen Kooperation bei der Ausbildung der Kolonialveterinäre beitrugen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Ausbildung der Kolonialtierärzte endgültig in die Südafrikanische Union verlagert. Das vierte Kapitel stellt im Kern eine kritische Institutionengeschichte des Veterinärdienstes im kolonialen Namibia aus transnationaler Perspektive dar. Neben dem Aufgabenspektrum der Regierungstierärzte mussten auch der organisatorische Aufbau der Veterinärbehörde und die flankierenden veterinärpolizeilichen Gesetze an die kolonialen Gegebenheiten angepasst werden. Dabei dienten die auf den interkolonialen Veterinärkonferenzen gefassten Beschlüsse sowie der Veterinärdienst Transvaals als Vorbilder. Zunächst gilt es, die institutionellen Probleme zu identifizieren, die die Einrichtung des Veterinärdienstes in DSWA begleiteten, um anschließend die von der Kolonialregierung verfolgten Lösungsstrategien zu analysieren. Damit der Veterinärdienst effektiv arbeiten konnte, war der Bau veterinärbakteriologischer Labore erforderlich. Deren Funktion bestand aber nur auf den ersten Blick in der vermeintlich unpolitischen tiermedizinischen Forschung. Die Wahl der jeweiligen Standorte wurde ebenso von herrschaftspolitischen Überlegungen bestimmt wie auch von den Interessen der Veterinäre und europäischen Siedler beeinflusst. Zudem trugen die Labore durch die Impfstoffproduktion und Überprüfung neuer Behandlungsmethoden zumindest indirekt zur Herrschaftssicherung bei. Abschließend wird die Rolle der deutschen Veterinäre während der südafrikanischen Militärbesatzung zwischen 1915 und 1919 sowie die Einrichtung der Veterinary Service Branch durch die Mandatsregierung ab 1920 nachgezeichnet. Es stellt sich die Frage, wie sich die personellen und institutionellen Kontinuitäten innerhalb der Veterinärbehörde beim Übergang von der deutschen zur südafrikanischen Herrschaft erklären lassen. Bei der Analyse zeigt sich, dass bereits die Zeitgenossen den

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generellen Mangel an qualifizierten Veterinären als ein Hauptproblem des kolonialen Veterinärdienstes identifizierten. Das fünfte Kapitel befasst sich mit den kolonialstaatlichen Versuchen zur Implementierung einer flächendeckenden veterinärpolizeilichen Kontrolle sowie den staatlichen Anstrengungen zur Modernisierung der kolonialen Landwirtschaft. Anknüpfend an die im vorangegangenen Kapitel aufgezeigten Kontinuitäten wird zunächst die institutionelle Einbindung der Zivilbevölkerung sowie des Militärs und der Polizei in die Tierseuchenprävention und -bekämpfung während der deutschen und südafrikanischen Kolonialherrschaft rekonstruiert. Aufgrund des Mangels an Tierärzten durchliefen Siedler und Kolonialbeamte staatliche Ausbildungsprogramme, in denen basale veterinärmedizinische Kenntnisse vermittelt wurden. Diese tiermedizinischen Laien wurden dann als »Sachverständige« und »Impfhelfer« in die veterinärpolizeilichen Kontrollmaßnahmen eingebunden. Um die Wirksamkeit dieses Vorgehens beurteilen zu können, werden die Aussagen der »LaienHelfer« den Einschätzungen der Regierungstierärzte gegenübergestellt. Ergänzend zur Erweiterung des tiermedizinisch geschulten Personals verfolgte die deutsche Kolonialregierung wie auch die südafrikanische Mandatsmacht die Förderung der kommerziellen Landwirtschaft im Sinne einer am europäischen Vorbild ausgerichteten Modernisierung. Die in diesem Rahmen lancierten Maßnahmen zielten ausschließlich auf die Förderung der europäischen Siedler, entsprechend wurden indigene Viehbesitzer von den staatlichen Bildungsprogrammen ausgeschlossen. Der Fokus der Analyse liegt auf der herrschaftspolitischen Wirkung der staatlichen Bildungsmaßnahmen, sowohl in Bezug auf die Exklusions- als auch die Inklusionseffekte. Der Einfluss der Veterinärpolitik und der Modernisierungsbemühungen auf die koloniale Herrschaftssicherung wird im folgenden sechsten Kaptiel analysiert. Die vielfältigen Effekte werden anhand der staatlichen Kompensationsleistungen, den Überlegungen zur Einführung einer Viehversicherung, der staatlichen Erfassung der Rinderbestände sowie der Durchführung flächendeckender Präventionsmaßnahmen aufgezeigt. Ganz im Sinne der Modernisierung der kolonialen landwirtschaftlichen Produktion zielten die veterinärpolitischen Maßnahmen auf die Förderung derjenigen Siedler ab, die nach dem europäischen Vorbild wirtschafteten. Trotz der teilweise harschen Kritik an den staatlichen Vorgaben traten auf Seiten der europäischen Siedler dabei durchaus politische Selbststeuerungseffekte zutage, wie das Beispiel der Überlegungen zur Einführung einer Viehversicherung bzw. allgemeinen Viehsteuer zeigt. Diese wurden von den Farmerverbänden initiiert

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und deckten sich mit den Interessen der Kolonialregierung. Entsprechend erfolgte die Umsetzung solcher Maßnahmen immer auch im Zusammenhang mit der rassistischen Segregation der kolonialen Bevölkerung und beförderte gleichzeitig die weitere Festigung der kolonialstaatlichen Kontrolle über die Viehbesitzer sowie den Viehverkehr. Die Veterinärpolitik der deutschen Kolonialadministration orientierte sich dabei grundsätzlich an den entsprechenden Empfehlungen der interkolonialen Veterinärkonferenzen sowie an der Cape Colony und dem Transvaal. Damit schlug die deutsche Kolonialregierung die Eckpfeiler für die von der südafrikanischen Mandatsregierung ab 1920 verfolgte Veterinärpolitik ein. Die südafrikanische Administration differenzierte einzelne Maßnahmen, wie etwa die Registrierung der Viehbestände, im Zuge der Implementierung der »neuen« Segregationspolitik weiter aus. Zwar gelang es weder der deutschen Kolonialregierung noch der südafrikanischen Mandatsregierung, das Territorium einer flächendeckenden Kontrolle zu unterwerfen. Anhand der 1928 landesweit durchgeführten Kampagne zur Bekämpfung der Schafräude wird aber deutlich, wie eng die zur Förderung der Siedler betriebene Veterinärpolitik sowohl mit dem Ausbau der staatlichen Kontrolle über die indigene Bevölkerung als auch mit der Rassentrennungspolitik verzahnt war.

Quellen Den Kern des Quellenkorpus dieser Untersuchung bilden die einschlägigen Aktenbestände des RKA, des Reichsgesundheitsamtes, des Kaiserlichen Gouvernements von DSWA sowie der südafrikanischen Militäradministration und Mandatsverwaltung. Die Akten des RKA und des Reichsgesundheitsamtes bieten Einblicke in die Rezeption der in den Kolonien gesammelten Erfahrungen und Forschungsergebnisse in der »Metropole«. In den Akten über »Tierseuchenbekämpfung in den Kolonien« sind neben den Kopien der geltenden Viehseuchenverordnungen und Meldungen über Viehseuchenausbrüche auch unterschiedliche Expertengutachten sowie die relevanten Unterlagen über die transkolonialen und internationalen Veterinärkonferenzen abgelegt. Ebenso überliefert sind Dokumente zur Organisation der Ausbildung der für den Kolonialdienst vorgesehen Veterinäre sowie zu den wenigen in Deutschland durchgeführten Forschungsarbeiten zu »kolonialen Viehseuchen«. Die in Berlin erhaltenen Personalakten deutscher Regierungsveterinäre dienen

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nicht nur als empirische Grundlage, sondern bieten vor allem Einblicke in die Anstellungsverhältnisse der Kolonialtierärzte. Die Akten des Gouvernements von DSWA sind vor allem in Bezug auf die veterinärpolizeiliche Gesetzgebung und deren Umsetzung, die Einrichtung veterinärbakteriologischer Forschungsanstalten sowie die Organisation des Veterinärdienstes vor Ort sehr ergiebig. Zudem finden sich Informationen über die gegenseitige »Dienstverpflichtung« von Regierungsveterinären und Militärtierärzten sowie fragmentarische Hinweise über die Zahl der Militärveterinäre.84 Für die Rekonstruktion des interkolonialen Wissenstransfers sowie der Kooperation mit anderen Kolonialbehörden sind diese Akten ebenfalls von unschätzbarem Wert. Neben Berichten von Konsulatsvertretern und Tierärzten, die an den internationalen Konferenzen in Britisch-Südafrika teilnahmen, finden sich auch Berichte von Privatpersonen, die im Auftrag des Gouvernements Forschungsreisen unternahmen. Die in den Beständen abgelegten Ausschnitte der »Deutsch-Südwestafrikanischen Zeitung« sowie landwirtschaftlichen Merk- und Informationsblätter für Farmer geben Aufschluss über die Zirkulation des veterinärmedizinischen Wissens innerhalb der Siedlergesellschaft DSWAs. Die in den National Archives of Namibia in Windhoek lagernden Akten der deutschen Distrikts- und Bezirksämter ergänzen die Quellenbasis auf unterster Verwaltungsebene. In einigen finden sich Berichte über Tierseuchenkonferenzen und Gutachten über die Errichtung von Veterinärinstituten, die sich in den in den Beständen des RKA oder des Gouvernements nicht niedergeschlagen haben. Neben den einschlägigen Akten der Militäradministration und der Mandatsverwaltung erwiesen sich für die Zeit nach 1915 vor allem die umfangreichen Bestände der 1920 gegründeten Agricultural and Veterinary Service Branch als sehr ergiebig. Anhand dieser Unterlagen lassen sich neben der Personalstruktur auch das erweiterte Aufgabenspektrum der Regierungsveterinäre und die Methoden des staatlichen Bildungsprogrammes für die Siedler nachvollziehen. Um einen tieferen Einblick in die Produktion und Zirkulation veterinärmedizinischen Wissens zu erhalten, werden die sehr umfangreichen amtlichen Quellen durch Primärquellen unterschiedlicher Provenienz ergänzt. Zu diesem zweiten wesentlichen Quellenbestand zählen neben veterinärmedizinischen Fachbüchern und agrarwissenschaftlichen Veröffentlichungen 84 Da die Akten des Oberkommandos der Schutztruppen im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurden, ist eine erschöpfende Angabe der zwischen 1890 und 1915 in DSWA stationierten Militärveterinäre nicht möglich.

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aus Deutschland, Großbritannien, Südafrika und Namibia auch kolonialwirtschaftliche Publikationen, Auswandererratgeber, zeitgenössische (Auto-) Biographien und Reiseberichte. Diese sind in der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, dem Bibliotheksarchiv des Deutschen Instituts für Tropischen und Subtropischen Landbau in Witzenhausen,85 der Basler Afrika Bibliographie sowie der Bibliothek der Namibia Scientific Society und der National Library in Windhoek verfügbar. Die Bestände der Namibia Scientific Society ermöglichen zudem ergänzende Rückschlüsse auf die kolonialstaatliche Einbindung des Landesrats in die veterinärpolizeiliche Gesetzgebung sowie die Wissenszirkulation nach Ende des Ersten Weltkrieges. Letztere wurde für die deutschsprachige Bevölkerung durch die von dem deutschen Farmerverein zwischen 1919 und 1928 herausgegbenen »Mitteilungen der Farmwirtschafts-Gesellschaft« aufrechterhalten. Diese Publikationen befassen sich vor allem mit Fragen der Tierzucht und enthalten entsprechend viele Artikel zu Präventions- und Bekämpfungsmaßnahmen gegen Tierseuchen. Angesichts der in der Summe reichhaltigen britisch-südafrikanischen Forschungen zu den Auswirkungen von Tierseuchen und der Geschichte der veterinärmedizinischen Forschungsinstitutionen in Südafrika erschien ein Besuch der südafrikanischen Archive nicht zwingend erforderlich. Dieser Eindruck verstärkte sich, da die Recherche ergänzender veterinärmedizinischer Quellen südafrikanischer Provenienz dank der umfassenden Digitalisierung der zeitgenössischen veterinärmedizinischen und landwirtschaftlichen Journale sowie der Verfügbarkeit einschlägiger Datenbanken problemlos von Deutschland aus möglich war.86 Im Zusammenhang mit meinem Projekt wären noch die Bibliotheks­ bestände des bakteriologischen Instituts Gammams sowie die Akten der deutschen Zollbehörden von DSWA von großem Interesse gewesen. In beiden Fällen ist die Überlieferungssituation leider nicht sehr günstig. Die Bestände des bakteriologischen Instituts wurden nach 1915 zersplittert. Über nicht zu rekonstruierende Umwege ist mittlerweile ein Teil dieser Bibliothek in 85 Das DITSL ist seit 1957 Nachfolger der 1898 gegründeten Deutschen Kolonialschule für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe und ist heute ein Nebenstandort der Universität Kassel. 86 Die zeitgenössischen Fachjournale sind über das Portal Sabinet (https://journals.co.za/) frei zugänglich. Für biographische Eckdaten war die von Cornelis Plug zusammengestellte Biographical Database of Southern African Science (S2A3) besonders hilfreich, auch wenn die dort hinterlegten Informationen zum Teil bruchstückhaft sind. http:// www.s2a3.org.za / bio / A lpha_list_names.php?sciname=E&submit1=Search.

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den Besitz der National Library of Namibia in Windhoek gelangt. Bedauerlicherweise lagerte der Großteil der Bücher seit mindestens zehn Jahren und noch im Frühjahr 2014 unkatalogisiert in den Magazinregalen der National Library. Dankenswerter Weise ermöglichte der Leiter der National Archives, Herr Hillebrecht, den Zugang zu den bislang nicht erfassten Magazinbeständen. So war es möglich, zumindest einen groben Überblick über den erstaunlichen Umfang des »Wissensspeichers« des bakteriologischen Instituts zu erlangen. In Bezug auf die Zollamtsakten ist die Überlieferungssituation gravierender. Laut Herrn Hillebrecht wurden diese Aktenbestände von der südafrikanischen Mandatsregierung komplett kassiert. Mit diesen Akten sind auch die Ein- und Ausreiseregister vernichtet worden, was vor allem in Bezug auf die Anzahl und Mobilität der in der Kolonie tätigen Veterinäre interessant gewesen wäre. Um diese Überlieferungslücke zu schließen, hat man bei der Namibia Scientific Society begonnen, auf der Grundlage des Reichskolonialblattes die aus Deutschland nach DSWA ausgereisten Personen zu erfassen. Diese Listen deckten Anfang 2014 jedoch erst den Zeitraum zwischen 1898 und 1905 ab. Eine auf dieser Grundlage erstellte Liste kann aber nur eine grobe Orientierungshilfe sein. Im Reichskolonialblatt wurde nur ein Teil der von Deutschland über den Seeweg direkt nach DSWA ausreisenden Personen erfasst. Darüber hinaus fehlen alle inländischen Grenzübertritte. Da sich die vorliegende Arbeit ausschließlich auf archivalische Quellen stützt, spiegelt die Quellenbasis, trotz ihrer relativen Breite, lediglich die Perspektive der »Kolonialherren«. Um diesen kolonialen Blick der Quellen aufzubrechen, hätten indigene Wahrnehmungen und Bewertungen von Tier­ seuchenausbrüchen und der veterinärpolizeilichen Gesetzgebung sowie die sich daraus ergebenden Handlungsspielräume und Einflussmöglichkeiten – kurz: die agency der indigenen Bevölkerung – ebenfalls in die Analyse einbezogen werden müssen. Die indigenen Gesellschaften des südlichen Afrika praktizieren aber mehrheitlich eine mündliche Tradierung von Geschichte. Im Fall der Herero wurden Mitte der 1950er Jahre einige der in Form von Gesängen tradierten Erinnerungen aufgezeichnet, übersetzt und veröffentlicht. Die Sammlung der Texte erfolgte offenbar rein quantitativ. Diesen wurden in der Publikation dann offenkundig »europäische Kategorien« zugewiesen. Tierseuchen und deren Folgen wie auch eine kritische Wahrnehmung kolonialer Herrschaft tauchen darin gar nicht auf.87 Zudem wurden Indigene 87 Dammann. Zu den Herero-Gesängen als historische Quelle: Henrichsen, »Ehi rOvaherero«.

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weitgehend von den veterinärmedizinischen Bildungsprogrammen ausgeschlossen und auch niemals offiziell mit der Leitung und Überwachung veterinärpolizeilicher Maßnahmen beauftragt. Entsprechend finden sich in den kolonialen Archiven nur spärliche Hinweise auf die Wahrnehmung und Reaktionen der indigenen Bevölkerung. Die wenigen Dokumente, aus denen diese hervorgehen, beschränken sich in der Regel auf Beschwerden beziehungsweise die Schilderung von Widerständen einzelner oder größerer Gruppen von Indigenen im Rahmen der Durchführung veterinärpolizeilicher Maßnahmen. Um die indigene Perspektive adäquat in die Untersuchung mit einzubeziehen, wären eine breit angelegte Feldforschung sowie der Erwerb zumindest basaler Kenntnisse von mindestens zwei afrikanischen bzw. namibischen Sprachen erforderlich gewesen. Die Durchführung eines solchen zeitintensiven Unternehmens war im Rahmen dieser Disseration nicht zu leisten. Daher kommen in der Arbeit die Handlungsspielräume und Einflussmöglichkeiten der indigenen Bevölkerung auf die Produktion veterinärmedizinischen Wissens und dessen Anwendung im Rahmen der kolonialstaatlichen Veterinärpolitik zugegebenermaßen zu kurz. Die Gründe hierfür liegen aber nicht nur in dem angesprochenen Quellen- und Sprachproblem begründet, sondern sind auch eng mit methodischen Problemen der »westlich-geprägten« Geschichtswissenschaft verknüpft, steht diese doch der Nutzung oraler Tradition als historische Quelle grundsätzlich skeptisch gegenüber. Ohne Rückgriff auf eine afrikanische Oral History wird es der Geschichtswissenschaft jedoch nur schwer gelingen, eine gleichberechtigte afrikanische Perspektive auf den Kolonialismus zu erarbeiten. Somit stellt ein solches Projekt ein lohnenswertes Feld für künftige historisch-anthropologische Studien dar. Trotz der durch die verfügbaren Quellen entstehenden blinden Flecken wurde versucht, die indigenen Reaktionen und Handlungsspielräume zumindest ansatzweise zu skizzieren, um zu verhindern, dass diese vollkommen aus dem Blick geraten. Abschließend noch einige Worte zum Überlieferungszustand der Akten. Auf den ersten Blick sind die Aktenbestände des RKA wie auch die des Gouvernements von DSWA über Viehseuchen reichhaltig. Trotz des quantitativen Umfangs der einzelnen Bestände waren diese in sich nicht konsistent. Viele Dokumente, die sich mit einem bestimmten Vorgang befassten, mussten aus verschiedenen, disparaten Beständen zusammengetragen werden oder waren gar nicht aufzufinden. Ausbruchsmeldungen von Tierseuchen sowie die Berichte von Impfkommandos über deren Bekämpfung sind in den ent-

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sprechenden Beständen der deutschen Verwaltung derart fragmentarisch abgelegt, dass sich bei der Rekonstruktion zum Teil sehr große Lücken ergeben. Dieses geordnete Chaos in den Akten belegt, wie stark die sich auf dem Papier beständig weiter ausdifferenzierende Kolonialverwaltung mit permanentem Personalmangel und unklaren Zuständigkeiten zu kämpfen hatte. Im Fall der Viehseuchenakten kam häufig ein erheblicher Zeitdruck hinzu. Einige der Seuchen – wie die Rinderpest – verbreiteten sich derartig schnell, dass Meldungen über deren Ausbruch zu spät eintrafen, um auf deren Grundlage Bekämpfungsmaßnahmen koordinieren zu können. Die Akten der südafrikanischen Militär- und vor allem der Mandatsverwaltung hingegen sind kohärenter. Zu diesen Beständen ist grundsätzlich anzumerken, dass sie allesamt nicht archivalisch paginiert und chronologisch rückwärts – beginnend mit dem jüngsten Dokument – abgelegt worden sind. Insbesondere die Unterlagen der Mandatsverwaltung waren thematisch deutlich strukturierter als die Bestände der deutschen Kolonialadministration. Im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde lagern neben den Akten des RKA auch die Akten des Kaiserlichen Gouvernements von DSWA auf Mikrofilm. Die Originalakten waren Anfang der 1970er Jahre in Windhoek von südafrikanischen Archivaren verfilmt und bis 1991 in den National Archives of South Africa in Pretoria aufbewahrt worden. Danach gelangten sie zunächst in den Besitz des Bundesarchivs Koblenz und wurden später nach Berlin verbracht. Der Zugang zu den Gouvernementsakten ist entsprechend der Überlieferungsgeschichte schwierig. Jede der Institutionen versah die Mikrofilme mit einer neuen Signatur und das in Berlin vorhandene Findbuch (Bestandsignatur R 151 F) war im Sommer 2013 noch nicht überarbeitet, was die Recherche sehr zeitaufwendig machte. Hinzu kommt, dass nach Aussage des Leiters der National Archives of Namibia die Verfilmung der Akten unvollständig und nachlässig durchgeführt wurde. In den National Archives of Namibia wurden daher einige für die Arbeit neuralgische Aktenbestände nochmals gesichtet und einige Lücken geschlossen. Für einen besseren Überblick werden in den Fußnoten die Signaturen der National Archives of Namibia angegeben.

Teil I: Modalitäten und Folgen der Produktion veterinärmedizinischen Wissens

Bei der Errichtung und Implementierung kolonialer Herrschafts- und Wirtschaftsstrukturen in den Siedlerkolonien des südlichen Afrika spielte die Tiergesundheit eine zentrale Rolle. Den Kolonialbeamten, Militärs und europäischen Farmern wurde relativ schnell bewusst, wie abhängig sie von gesunden Nutztieren waren. Im Zuge der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmenden Ausdehnung europäischer Einflusssphären initiierten die Kolonialregierungen ihre Anstrengungen zur Modernisierung der kolonialen Landwirtschaft. Ziel war es, die natürliche Ressource Weideland durch extensive Haltung von Schafen und Rindern für den Weltmarkt nutzbar zu machen. Neben der Wollproduktion war vor allem die Rinderzucht eine der wichtigsten Einnahmequellen für die europäischen Farmer. Für den Individualverkehr und die Sicherung des Herrschaftsanspruches waren Pferde und Maultiere unerlässlich. Mit der wirtschaftlichen und herrschaftspolitischen Bedeutung der Tierzucht in den Siedlerkolonien des südlichen Afrika stieg auch die Bedeutung veterinärmedizinischen Wissens. Tierseuchen, die zuvor bereits in regelmäßigen Abständen aufgetreten waren, entwickelten sich im Zuge der Modernisierungsbestrebungen regelmäßig zu einer massiven Bedrohung, da die für eine Bekämpfung erforderlichen Kenntnisse fehlten. Um diesen Wissenskrisen zu begegnen, wurden europäische Experten zur Erforschung der Tierseuchen und Entwicklung effektiver Bekämpfungsmaßnahmen in die Kolonien entsandt. Aufgrund der in den Kolonien gesammelten Erfahrungen erkannten die Veterinäre, dass europäische Wissensbestände und Praktiken nur begrenzt im südlichen Afrika angewandt werden konnten. Die Experten mussten in der Regel Grundlagenforschung betreiben und waren daher auf einen längeren – zum Teil auf Dauer angelegten – Aufenthalt in den Kolonien angewiesen.1 1 Damit stellte die Veterinärmedizin keine Ausnahme dar. Bereits seit den 1850er Jahren stieg die allgemeine Bedeutung von Expertenwissen im Kontext des imperialen Ausgreifens der Europäer massiv an. Diese produzierte, flankiert durch die zunehmende Industrialisierung und globale Vernetzung, neue Herausforderungen. Ärzte, Ingenieure, Geographen, Beamte und viele andere Experten schlossen sich zu »epistemischen Ge-

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Modalitäten und Folgen der Produktion veterinärmedizinischen Wissens

Die Produktion veterinärmedizinischen Wissens wurde maßgeblich davon beeinflusst, ob es sich bei den erforschten Tierseuchen um eingeschleppte und den europäischen Experten bekannte oder um in Afrika endemisch auftretende, den Experten unbekannte Erkrankungen handelte. In beiden Fällen wurden lokale Wissensbestände und Praktiken von den Experten rezipiert und in die Forschungsarbeiten integriert. Diese Wissensproduktion hatte vielschichtige und dynamische Entwicklungen zur Folge. Dieses im südlichen Afrika produzierte Wissen über Verhütung und Bekämpfung von Tierseuchen war in Europa kaum von praktischer Bedeutung. Entsprechend wurde es nur begrenzt rezipiert und überwiegend theoretisch in die kolonialtierärztliche Ausbildung integriert. Das Ende des 19. Jahrhunderts in den Siedlerkolonien des südlichen Afrika generierte veterinärmedizinische Wissen zirkulierte daher vor allem im kolonialen Raum. Dort war es Gegenstand eines sich immer weiter auffächernden Expertendiskurses. Die Viehbesitzer stellten nicht nur passiv ihr lokales Erfahrungswissen bereit, sondern speisten ihr Wissen auch aktiv in die unterschiedlichen Diskurse ein. Insbesondere in Bezug auf die praktische Anwendung veterinärpolizeilicher Maßnahmen sowie alle mit dem Themenkomplex Tierzucht zusammenhängenden Bereiche nahm diese »Laienexpertise« einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert ein. Einige dieser Laien waren als Sachverständige bzw. nichtwissenschaftliches Personal der Kolonialverwaltungen direkt an der »Modernisierung« der kolonialen Landwirtschaft und damit an der Konsolidierung der Herrschaft in den Siedlerkolonien des südlichen Afrika beteiligt. Der Fokus veterinärmedizinischer Forschungen in DSWA lag zunächst auf der militärisch relevanten Afrikanischen Pferdesterbe. Dabei griffen die deutschen Experten anfangs nur begrenzt, ab 1900 umfangreicher auf das bereits seit den 1880er Jahren in der Cape Colony generierte Wissen zurück. Diese Intensivierung der Forschungsarbeiten verstärkte die durch die Rinderpestepizootie 1896/97 angestoßene Professionalisierung und transnationale Vernetzung der Kolonialveterinäre. Zum festen Handlungsrepertoire der Kolonialveterinäre gehörten seit 1897 die Teilnahme an interkolonialen und internationalen tierärztlichen Fachkongressen, die grenzüberschreitende meinschaften« zusammen, um Lösungsstrategien zu entwickeln und Reformen zu beraten. In Europa gingen daraus die Kolonialwissenschaften hervor. Zu diesen von Europa ausgehenden und vor allem dort wirkmächtigen Prozessen siehe den Sammelband von Rodongo, Struck u. Vogel.

Erforschung unbekannter Seuchen

Verbreitung von Fachpublikationen sowie die Durchführung von Studienreisen. Mithin bewegten sich die Experten zunehmend in einer transimperialen Sphäre außerhalb nationaler und kolonialstaatlicher Grenzen.2 In der Folge bildete sich im südlichen Afrika ein mehr oder weniger stabiles Netzwerk kolonialer Experten. Dies führte dazu, dass sich Anfang des 20. Jahrhunderts die tropische Veterinärmedizin herausbildete und entsprechende Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen in den Kolonien eingerichtet wurden. Vor allem letzteres leitete die institutionelle Abkoppelung der in den Kolonien betriebenen veterinärmedizinischen Forschung und Ausbildung von den Metropolen ein. Dieser Prozess wurde 1920 durch die Gründung des Onderstepoort Institute for Veterinary Research and Education in Pretoria abgeschlossen. Die Rekonstruktion der zunehmenden Vernetzung veterinärmedizinischer Experten im südlichen Afrika ist Gegenstand der folgenden zwei Kapitel. Daran anknüpfend befasst sich das dritte Kapitel mit dem Spannungsverhältnis zwischen lokalen (kolonialen) und metropolitanen (europäischen) Wissensbeständen und Praktiken sowie den dadurch ausgelösten dynamischen transkolonialen Verflechtungs- und schlussendlich Abkoppelungsprozessen.

1.

Erforschung unbekannter Seuchen: Die Suche nach einem Heilmittel gegen die Afrikanische Pferdesterbe

Pferde und Maultiere spielten eine zentrale Rolle in der Geschichte der Siedlerkolonien des südlichen Afrika. Aufgrund der geringen Besiedlungsdichte und der Weite des Landes waren die kolonialen Exekutivkräfte bei der Errichtung und Sicherung des kolonialen Herrschaftsanspruches auf gesunde und einsatzbereite Last- und Reittiere angewiesen. Daran änderte auch die ab den 1860er Jahren in Südafrika begonnene infrastrukturelle Erschließung der Kolonien durch den Bau von Eisenbahnen nur wenig. Seit dem Beginn der europäischen Besiedlung im 17. Jahrhundert stellte die Afrikanische Pferdesterbe eines der größten Hindernisse für die weitere Ausdehnung und Inbesitznahme des »Hinterlandes« dar. Mit der zunehmenden Zahl von Siedlern und der weiteren Festigung kolonialer Herrschaft

2 Dies hat die Forschung jüngst für die europäische Sozialreformbewegung heraus­ gearbeitet. Leonards, Randeraad, S.111–130.

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wurde die Pferdesterbe zunehmend zu einem Problem, da sie die operativen Möglichkeiten des Militärs massiv einschränkte. Bei der Pferdesterbe handelt es sich um eine im südlichen Afrika endemisch auftretende Krankheit. Entsprechend konnten die europäischen Siedler, Kolonialbehörden und Veterinäre bei der Suche nach Präventions- und Behandlungsmethoden nur bedingt auf europäische Wissensbestände zurückgreifen. Die Produktion, Entwicklung und Anwendung spezifischen veterinärmedizinischen Wissens über diese Tierseuche sowie dessen Verbreitung und Adaption in den unterschiedlichen Kolonien des südlichen Afrika ist Gegenstand dieses Kapitels. Das erste Unterkapitel zeichnet den Beginn der Wissensproduktion über die Pferdesterbe nach. Bereits im 18. Jahrhundert entwickelten die europäischen Siedler durch die Aneignung indigener Praktiken Präventionsmaßnahmen gegen diese Tierseuche. Durch den interkolonialen Viehhandel gelangte dieses Wissen um 1840 in das Gebiet des heutigen Namibia. Aufgrund der zentralen militärischen Bedeutung führten britische Veterinäre ab Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten ätiologischen Studien über die Krankheit durch. Damit gehörte die Pferdesterbe zu den ersten Viehseuchen, die von europäischen Experten im südlichen Afrika systematisch erforscht wurden. Da die Pferdesterbe saisonal und regional begrenzt auftrat und infizierte Tiere innerhalb kürzester Zeit starben, waren europäischen Standardmaßnahmen zur Tierseuchenbekämpfung, wie Quarantänen und Importverbote, sinnlos. Mit dem zunehmenden Einfluss der Bakteriologie Ende des 19. Jahrhunderts hofften die europäischen Veterinäre, die Pferdesterbe mit Hilfe einer Impfmethode unter Kontrolle zu bekommen. In DSWA wurden veterinärmedizinische Forschungen zur Entwicklung eines Immunisierungsverfahrens infolge der relativ späten Errichtung deutscher Herrschaft erst ab 1894 aufgenommen. Im zweiten und dritten Unterkapitel werden diese sowohl von Humanmedizinern als auch Veterinären durchgeführten Forschungsarbeiten rekonstruiert. Dabei werden zunächst die Gründe für das Scheitern der Humanmediziner herausgearbeitet sowie die Bedeutung dieses Scheiterns für die weitere Festigung veterinärmedizinischer Expertise in der deutschen Kolonie aufgezeigt. Daran anknüpfend werden die unter »gegenseitiger Fühlung« bis 1906 in DSWA und dem Transvaal erfolgreich durchgeführten veterinärmedizinischen Forschungsanstrengungen und deren Einfluss auf die weitere Sicherung und Durchsetzung kolonialer Herrschaft dargestellt. Der Fokus des letzten Unterkapitels liegt auf der Fortführung der transimperialen Kooperation in Bezug auf die Bekämpfung sowie dem Umgang

Erforschung unbekannter Seuchen

mit der Pferdesterbe im Kontext der Implementierung der südafrikanischen Herrschaft bis Mitte der 1920er Jahre. Die Forschung hat sich bislang vor allem mit dem wissenschafts-, sozial- und kulturhistorischen Einfluss der Pferdesterbe in der Cape Colony befasst.3 Die zeitgenössische Erforschung dieser Tierseuche war darüber hinaus in einen transimperialen Rahmen kolonialer Herrschaftssicherung eingebettet.

1.1 Entwicklung und Rezeption präventiver Maßnahmen gegen die Afrikanische Pferdesterbe bis 1894 Mit der Expedition Jan van Riebeeks und der Gründung der niederländischen Kolonie am Kap der Guten Hoffnung im Jahr 1652 gelangten die ersten Pferde (equus caballus) ins südliche Afrika.4 Zuvor waren dort Zebras, Esel und Quaggas die einzigen endemischen Vertreter der Gattung der Equiden gewesen. Im südlichen Afrika war die Nutzung von Pferden von Beginn an unerlässliches Instrument zur Errichtung und Sicherung von Herrschaftsräumen. 1719 kam es zum ersten aktenkundigen Ausbruch der Pferdesterbe in der niederländischen Kapkolonie, dem ein Großteil des Pferdebestandes zum Opfer fiel. Seitdem kam es im Abstand von ca. 20 Jahren immer wieder zu epizootischen Ausbrüchen mit extrem hohen Verlusten.5 Aufgrund der zentralen wirtschaftlichen, militärischen und kulturellen Bedeutung des

3 Zur wissenschaftshistorischen Forschung siehe: Gilfoyle, Veterinary Immunology, S. 47–63; Brown, Frontiers of Disease, S. 30–57 sowie Vandenbergh. 4 Ab der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends vor Chr. gelangten die ersten Pferde aus Asien auf den afrikanischen Kontinent. Ausgehend von Ägypten gelangten die Tiere über den transsaharischen Handel bis nach Westafrika. Dort spielten Pferde ab dem 14. Jahrhundert eine wichtige Rolle als Macht- und Statussymbole innerhalb der indigenen Gesellschaften. Im 15. Jahrhundert verbreiteten sich Pferde zunehmend an der westafrikanischen Küste, da u. a. portugiesische Sklavenhändler die Tiere als Tausch­ objekte nutzten. Siehe dazu ausführlich: Law, Kaptiel 7. Swart vermutet, dass entlang des Äquators auftretende Krankheiten wie die afrikanische Pferdesterbe eine weitere Verbreitung der Tiere nach Zentral- und Südafrika verhinderten. Swart, Riding High, S. 47. 5 Nach 1719 folgten weitere schwere Ausbrüche der Pferdesterbe in den Jahren 1780, 1806, 1819, 1829, 1854, 1888, 1891, 1893, 1905 und 1922. Zu den Jahreszahlen und den Folgen der Ausbrüche siehe: Brown, Frontiers of Disease, S. 32–33; Swart, »The world the Horses made«, S. 247–248; Gilfoyle, Veterinary Immunology, S. 33–34 sowie Edington, Horse Sickness.

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Pferdes für die europäische Siedlergesellschaft wurden aber weiterhin Pferde in großen Zahlen importiert.6 Seit dem 18. Jahrhundert begannen europäische Siedler, Missionare und Kolonialbeamte, ihre Beobachtungen über den Verlauf und die Symptome der Pferdesterbe aufzuzeichnen.7 Aufgrund der äußeren Symptome unterschieden die Siedler zwei Formen der Krankheit: die chronisch verlaufende »Dikkoppaardensiekte« (Dickkopfseuche) und die akut verlaufende »Dunkoppaardensiekte« (Dünnkopfseuche).8 Die wenigen Tiere, die eine Infektion überlebten, erwarben eine gewisse Immunität. Solche »gesalzenen« (afrikaans: gezouten) Tiere stiegen im Wert um das Drei- bis Vierfache. Zudem bemerkten die europäischen Siedler schnell, dass die Pferdesterbe saisonal sowie regional in unterschiedlicher Intensität und Regelmäßigkeit ausbrach. Mit dem Einsetzen der Regenzeit – zwischen November und März – trat die Krankheit vor allem in feuchten Niederungen und Flusstälern auf und verschwand mit dem Einsetzen der ersten Nachtfröste Anfang April. Pferde, die über Nacht in Ställen gehalten und nach Tagesanbruch nur auf trockene Weiden gelassen wurden, blieben in der Regel gesund. Diese Beobachtungen führten in Verbindung mit den bis Ende des 19. Jahrhunderts verbreiteten miasmatischen Vorstellungen der Krankheitsüber­ tragung dazu, dass die Auslöser der Pferdesterbe mit der Aufnahme taunassen Grases bzw. dem am Morgen aufsteigenden Dunst in Verbindung gebracht wurden.9 Entsprechend empfahl ein Ratgeber 1878: To guard against this sickness…they [horse owners] were recommended never to permit their horses to bite grass or drink water until the morn6 Bereits 1744 betrug die Zahl der Pferde in der VOC-Kolonie knapp 6.000 Tiere. Brown, Frontiers of Disease, S. 32. Zur kulturellen Bedeutung der Pferde innerhalb der süd­ afrikanischen Siedlergesellschaft siehe ausführlich: Swart, Riding High. 7 Morgens zeigten die Pferde meist noch keine Anzeichen, litten dann abends aber an hohem Fieber und starben meist kurz darauf unter Krämpfen, wobei erhebliche Mengen gelblich schaumiger Flüssigkeit aus den Nüstern liefen. Zur Ätiologie und Beschreibung der Symptome siehe: Schneider, S. 163–167. 8 Die Farmer verwandten zur Kategorisierung der von ihnen angetroffenen Krankheiten die niederländischen / a frikaansen Bezeichnungen, die die Symptome der Krankheiten oder die betroffenen Körperteile beschrieben. Weitere Beispiele sind: hartwater (Herzwasser-Krankheit), longziekte (Lungenseuche), brandziekte (Räude). Beinart, Vets, Viruses, and Environmentalism, S. 132. 9 Eine weitere populäre Erklärung war, dass es sich bei der Pferdesterbe um eine durch den Verzehr bestimmter Pflanzen hervorgerufene Vergiftung handelte. Brown, Frontiers of Disease, S. 36.

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ing mists, haze, or miasma, with which the low grounds are frequently covered, should have been first entirely dissipated, leaving the dry veld.10 Bereits während des 18. Jahrhunderts entwickelten die Siedler in der Cape Colony eine weitere Methode, ihre Pferde vor der Krankheit zu schützen. Sie trieben die Pferde zu Beginn der Regenzeit auf höher gelegene Weiden, wo die Pferdesterbe nicht auftrat. Dieses Vorgehen hatten sie bei den indigenen pastoralen Gruppen beobachtet, die mit ihren Rinder- und Schafherden weiterzogen, sobald sie unter ihren Tieren Anzeichen einer Krankheit feststellten. Die Siedler übernahmen diese indigene transhumante Praktik zur Seuchenvermeidung und wandten sie auf die ihnen unbekannte Pferdesterbe an. Dieses so neu entstandene lokale Wissen zur Seuchenprävention, das auch von indigenen Pferdehaltern adaptiert wurde, bezeichnet Swart treffend als koloniales Amalgam.11 Diese Präventionsmaßnahmen bildeten für mehrere Jahrzehnte den einzigen bekannten Schutz vor einer Infektion. Das saisonale und regionale Auftreten der Krankheit hatte massiven Einfluss auf die Besiedlung Südafrikas durch Europäer. Swart konnte nachweisen, dass »both the strengths and vulnerabilities of horses acted as an historiographic ›unseen hand‹, radically affecting patterns of human s­ ettlement«.12 Europäische Siedler ließen sich bevorzugt in Gebieten nieder, die als pferdesterbefrei galten. Die Pferdesterbe trug auch dazu bei, dass sich im 19. Jahrhundert der vergleichsweise langsame Ochsenwagen gegenüber den schnelleren Pferdegespannen im kolonialen Transportverkehr durchsetzte.13 Daneben hatte die Krankheit massive wirtschaftliche Folgen. Da die in den Kolonien betriebene Pferdezucht ebenfalls erheblich betroffen war,14 konnten die jährlichen Verluste nur durch anhaltende und sehr kostspielige Importe von Pferden aus Europa und Südamerika ausgeglichen werden. Die Pferdesterbe schränkte zudem die operativen Möglichkeiten der überwiegend berittenen kolonialen Exekutivkräfte spürbar ein. Vom britischen Militär wurde die Pferdesterbe als Hindernis der imperialen Expansion beAylward, S. 222. Swart, »The World the Horses made«, S. 247. Ebd., S. 248. Brown, Frontiers of Disease, S. 33. Durch die Verlagerung des kolonialen Transportwesens auf den Ochsenwagen führte der Ausbruch der Rinderpest ab 1896 erneut zu einer durch Tierseuchen ausgelösten Krise. Siehe dazu Kapitel 2 dieser Arbeit. 14 1854/55 starben ca. 60 % der in der Cape Colony und dem Oranje-Vrystaat lebenden Pferde an der Pferdesterbe und der bis dahin lukrative Export von Pferden nach Indien musste aufgegeben werden. Ebd., S. 34. 10 11 12 13

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trachtet. Seuchenausbrüche hatten wiederholt Feldzüge gegen die indigene Bevölkerung zum Erliegen gebracht.15 Auch in DSWA beeinflusste die Pferde­ sterbe die Ausdehnung der kolonialen Herrschaft. Das massive Auftreten der Krankheit im nördlichen Ovamboland war ein wesentlicher Grund, warum die Region bis 1914 von größeren Feldzügen und damit der Errichtung des kolonialen Herrschaftszugriffes verschont blieb.16 Nach einem besonders schweren Ausbruch 1854/55 setzte die Regierung der Cape Colony eine Untersuchungskommission ein, um den Ursprung, die Verbreitung sowie die Folgen der Pferdesterbe aufzuklären. Dazu wurden über die lokalen Civil Commissioner Fragebögen an betroffene Farmer und Pferdebesitzer verteilt. Diese erste offizielle Erhebung des Wissensstandes über die Afrikanische Pferdesterbe ergab, dass es sich um eine epidemische Krankheit ungeklärter Ursache handele. Als Schutz vor einer Ansteckung sollten Pferde über Nacht entweder in festen Ställen oder Rinderkraalen gehalten werden. Wo dies nicht gewährleistet werden konnte, sollten die Tiere rechtzeitig vor Beginn der »sickly season« auf »elevated table-lands, or certain dry tracts of country« getrieben werden.17 Dieses aggregierte lokale Wissen bildete für die Kolonialverwaltung, deren medizinische Berater in Europa und für die seit 1870 in der Cape Colony anwesenden Veterinäre die Grundlage für staatliche Maßnahmen sowie den Ausgangspunkt für weitere Forschungen. Anfangs teilten die britischen Veterinäre das an Umwelteinflüsse gekoppelte Krankheitsverständnis der Farmer.18 Mit der zunehmenden Durchsetzung der Bakteriologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und vor allem aufgrund der militärischen Bedeutung der Pferde begannen Mediziner und Veterinäre ab Ende der 1880er Jahre, die Pferdesterbe systematisch zu erforschen. Der britische Militärtierarzt Joshua Nunn war einer der ersten Veterinäre, der 1887/88 die Pferdesterbe mit Hilfe bakteriologischer Methoden untersuchte.19 15 So z. B. die Feldzüge britischer Truppen gegen die Pedi und Zulu in den 1870er Jahren. Auch während der »Burenkriege« wurden Militäroperationen wiederholt aufgrund von Pferdesterbeausbrüchen abgebrochen bzw. verschoben. Gutsche, S. 20–22. 16 Botha, People and the Environment, S. 174. Zur Geschichte des kolonialen »Ovambolandes« siehe u. a. auch: Miettinen. 17 Edington, Horse-Sickness, S. 357–358. 18 Dies belegt auch Beinart in Bezug auf die Bekämpfung anderer Tierkrankheiten. ­Beinart, Vets, Viruses, and Environmentalism, S. 138–140. 19 Joshua Arthur Nunn schloss 1877 seine Ausbildung als Militärtierarzt in London ab und war von 1877 bis 1885 in Afghanistan und Indien als Militärveterinär statio-

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Etwa zeitgleich gingen in der Kol.Abt. in Berlin die ersten Berichte über die Pferdesterbe aus DSWA ein. Eine erste ausführlichere Beschreibung der Krankheit findet sich in einem Bericht des Landeshauptmannes Curt von François aus dem Jahr 1891.20 Die Schilderung der Symptome, Ursachen und Präventionsmaßnahmen waren deckungsgleich mit dem seit dem 18. Jahrhundert in den südafrikanischen Kolonien kursierenden Wissen über die »Sterbe«. Mit der Einrichtung sogenannter »Sterbeposten« adaptierte die deutsche Kolonialregierung das in der Cape Colony entwickelte und in DSWA bereits vorhandene lokale Wissen zur »Sterbeprävention«.21 Träger dieses Wissens waren die Oorlam-Gruppen, die zwischen 1796 und 1863 aus der nordöstlichen Cape Colony in das heutige Süd- und Zentral­ namibia eingewandert waren.22 Zur Sicherung der eigenen wirtschaftlichen Unabhängigkeit etablierten die heterogenen Oorlam-Gruppen ab den 1820ern in Süd- und Zentralnamibia eine Tribut- und Beuteökonomie. Neben Gewehren dienten dabei Pferde als zentrales Mittel zur Herrschaftssicherung.23 Den Nachschub an Pferden und Waffen beschafften sich die

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niert. Nachdem er eine spezielle bakteriologische Schulung in Cambridge und Paris absolviert hatte, wurde Nunn im Januar 1887 nach Natal abkommandiert, um die Pferdesterbe zu untersuchen. 1901–1904 war Nunn Deputy Director of the Army Veterinary Department in England. 1905/06 hielt er sich nochmal in Südafrika auf. Ende Februar 1908 starb Nunn in Oxford. (http://www.s2a3.org.za/bio/Biograph_final. php?serial=2048). François, S. 317–320. Der Bericht war am 15.05.1891 bei der Kol.Abt. eingegangen. Die Bezeichnung »Sterbeposten« ist dabei auf den ersten Blick irreführend, da die Tiere dorthin zum Schutz vor einer tödlichen Infektion getrieben wurden. Derartige Posten wurden von der Kolonialverwaltung ab 1890 in Nauchas, Areb, Sorris-Sorris, Aredareigas bei Windhoek, Grünau, Hasuur, Kubub / Aus, Umgebung von Karibib, Spitzkopje und Gauss bei Grootfontein eingerichtet. Schneider, S. 165. Die einzelnen Oorlam-Gruppen waren heterogene Gemeinschaften, die sich sowohl aus entflohenen Sklaven, »Mischlingen« und anderen in der Cape Colony gescheiterten Individuen zusammensetzten und die koloniale Sphäre aus unterschiedlichsten Gründen verließen. Als »cultural product of the frontier« hatten die Oorlam eine eigene Identität als »people living outside the Cape colony but possessing attributes acquired within the colony« entwickelt. Zentrale gemeinsame Elemente bestanden in der überwiegenden Christianisierung, Vertrautheit mit europäischen Denkweisen und Sprachen sowie der Verwendung von Pferden, Gewehren und Ochsenwagen. Die wirtschaftliche Grundlage dieser Gruppen bildeten Jagd, Handel, Viehzucht sowie eine Raubökonomie. Zu den Oorlam sowie den Machtverhältnissen und politischen Entwicklungen im »vorkolonialen« Namibia siehe ausführlich: Henrichsen, Herrschaft und Identifikation sowie überblicksartig: Wallace, S. 50–73. Zur Rolle der Missionare innerhalb dieses Tributsystems wie auch in den weiteren Auseinandersetzungen zwischen den indigenen Machthabern siehe Krüger, Das goldene Zeitalter, S. 21–23. Schürmann, S. 69–73.

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Oorlam-​Gruppen in der Cape Colony, wo sie auch das Wissen über die Präventionsmaßnahmen gegen die Pferdesterbe rezipierten. Aus dem Tagebuch des deutschen Missionars Kleinschmidt geht hervor, dass die Oorlam ihre Pferde ab den 1840er Jahren zeitweise in die Gebirge um Windhoek trieben, um sie vor der Pferdesterbe zu schützen.24 Die Praktik der »Sterbeplätze« bot aber keinen hundertprozentigen Schutz vor der Krankheit. Vor allem in regenreichen Jahren brach die Krankheit auch auf einigen dieser sonst »sterbefreien« Plätze aus. Dies führte dazu, dass einige Kolonialbeamte dieses Vorgehen als nutzlos ablehnten. Landeshauptmann von François verstieg sich 1891 sogar zu der Ansicht, dass »diese Methode ein von den Bastards erfundener Schwindel ist, da sie so leichter mit den Europäern Handel treiben können, da die Sterbeplätze in ihren besten Jagdgebieten liegen«.25 Das vor allem in englischsprachigen wissenschaftlichen Publikationen und Kolonialratgebern und unter Viehbesitzern seit den 1840er Jahren zirkulierende Wissen über die Pferdesterbe wurde in DSWA zunächst einfach übernommen.26 Dies änderte sich ab Mitte der 1890er Jahre. Als erste Tierseuche in den deutschen Kolonien wurde die Pferdesterbe zum Gegenstand systematischer veterinärmedizinischer Forschung. Dabei spielten die Neuorientierung der Kolonialpolitik des Deutschen Reiches, aber vor allem die im Zuge der Etablierung kolonialer Herrschaft ausbrechenden Konflikte mit der indigenen Bevölkerung eine zentrale Rolle.

1.2 Der Beginn der Tierseuchenforschung in Deutsch-Südwestafrika: Sanders Expedition 1894 Die von Reichskanzler Caprivi ab den 1890er Jahren betriebene Kolonialpolitik zielte darauf ab, die deutsche Herrschaft durch die Entsendung von Verwaltungsbeamten und Soldaten nachhaltig zu festigen. Mit dem direkten Engagement des Reiches nahmen auch die Pläne für die »Inwertsetzung« der Kolonien – gemeint war die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen – kon-

24 Kleinschmidt, S. 222. 25 François, S. 319. 26 Dove, Ueber die gesundheitlichen Verhältnisse, S. 455–456. Lindequist an Kol.Abt., 18.04.1895, Bericht über den Stand der Lungenseuche, Blutseuche und Pferdesterbe in den Bezirken Windhoek & Otjimbingwe, BAB R 1001/6060 Bl. 135–136.

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kretere Formen an. Neben der Plantagenwirtschaft und der Erschließung von Bodenschätzen sahen die Zeitgenossen vor allem in der extensiven Viehzucht in Ost- und Südwestafrika eine Möglichkeit zur wirtschaftlichen Nutzung der »neuen Schutzgebiete«. Dies führte dazu, dass die in den Kolonien auftretenden Viehseuchen in den Fokus der Befürworter der kolonialen Expansion sowie der unterschiedlichen Kolonialvereine und -gesellschaften rückten. Die deutschen (Veterinär-)Mediziner, Bakteriologen und Hygieniker verfügten bis dahin lediglich über sehr begrenzte und fragmentarische Kenntnisse über die in den afrikanischen Kolonien auftretenden Tierkrankheiten. Da bis 1894 kein tiermedizinisch ausgebildeter Sachverständiger in DSWA verfügbar war, wurden die von der Kolonialverwaltung verfassten Meldungen über Tierseuchen zur Begutachtung an Wilhelm Dieckerhoff 27 von der Tierärztlichen Hochschule Berlin gesandt. Aufgrund der Berichte identifizierte Dieckerhoff die Seuchen. Bei der Pferdesterbe stützte er sich ausschließlich auf die ihm zugängliche Fachliteratur und mutmaßte, dass die »angenommenen zwei Arten dieser Pferdeseuche…lediglich auf Formenverschiedenheiten in dem Krankheitsbilde beruhen«.28 Die von François dargelegten Auslöser (starke Fütterung, Erkältung oder anhaltende Arbeitsleistung) der Krankheit seien »nicht als zutreffend anzusehen«. Obwohl der Übertragungsweg der Krankheit unbekannt war, riet Dieckerhoff, die erkrankten Tiere zu isolieren, deren Kadaver zu vernichten sowie die Standorte zu desinfizieren. Mit diesen europäischen Standardmaßnahmen »könnte den Verlusten…begegnet werden«.29 Den Experten in Deutschland war durchaus bewusst, dass die Erstellung von »Ferndiagnosen« auf der Grundlage von Laienberichten nicht geeignet war, um in den Kolonien effektive veterinärpolizeiliche Maßnahmen ergreifen zu können. Dazu war es erforderlich, die Ätiologie der betreffenden Krankheiten vor Ort zu erforschen. Die Initiative für derartige Vorhaben ging zunächst von einzelnen Akteuren aus. Als einer der ersten forderte der

27 Friedrich Julius Heinrich Wilhelm Dieckerhoff (1835–1903) studierte 1853–57 an der Tierarzneischule in Berlin und war dann zwölf Jahre in der tierärztlichen Praxis in Bochum tätig. 1870 wurde er an die Tierärztliche Hochschule in Berlin berufen und übernahm 1877 als Professor die größte Pferdeklinik des Deutschen Reiches, 1884 wurde er Direktor der internen Abteilung. 1897 wurde Dieckerhoff Geheimer Regierungsrat. (http://www.deutsche-biographie.de/sfz9847.html). 28 Dieckerhoff an Kol.Abt. 31.07.1893, Betrifft die in Deutsch-Südwestafrika vorkommenden Viehseuchen. Zum Erlasse vom 25.Juli 1893, BAB R 1001/6059 Bd. 1, Bl. 86–88. 29 Ebd.

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Marinestabsarzt Karl Ludwig Sander,30 die Erforschung der in Afrika ende­ mischen Tierkrankheiten und -seuchen von Experten vor Ort ausführen zu lassen. Auf einer Sitzung der Abteilungen Tropenhygiene und Veterinärmedizin der GdNÄ hielt Sander 1893 einen Vortrag über »Viehseuchen in Afrika und Mittel zu ihrer Bekämpfung«. Die zu diesem Zeitpunkt bereits vorhandenen veterinärmedizinischen Abhandlungen britischer Tierärzte nahm Sander nicht zur Kenntnis, sondern stützte sich bei seinen Ausführungen vor allem auf Reiseberichte und Meldungen deutscher Beamter und Händler, die mehrheitlich aus DOA stammten.31 Ausgehend von dieser aus veterinärmedizinischer Perspektive dünnen Informationslage unterteilte Sander die »afrikanischen Viehseuchen« in solche, die »von den Culturstaaten hereingeschleppt« worden seien und eine »zweite Art von Seuchen, die Afrika eigentümlich sind«.32 Die Bekämpfung der eingeschleppten Krankheiten könne mit Hilfe der bereits in Europa erfolgreich angewandten Maßnahmen erfolgen. Zur Bekämpfung der afrikanischen Seuchen sei hingegen »eine Untersuchung durch Sachverständige an Ort und Stelle [erforderlich], die mit allen den modernen hochvervollkommneten [bakteriologischen] Untersuchungsmethoden vertraut und mit dem dazu nötigen…Apparat ausgerüstet« werden müssten. Zwar zog Sander noch die Existenz miasmatischer Krankheiten33 in Erwä30 Karl Ludwig Gotthard Sander ging nach dem Medizinstudium 1882 zur Marine. Erste Reise nach Sansibar 1884/85. Als Marinearzt war er 1890 an der Niederschlagung des Aufstandes der Küstenbewohner in DOA beteiligt. Nach Ausscheiden aus dem aktiven Dienst war Sander zwischen 1891 und 1893 am Hygienischen Institut der Universität Berlin tätig. 1893 ging er im Auftrag der DKG nach DSWA zur Erforschung der dortigen Tierkrankheiten (siehe dieses Kapitel) und nahm am Feldzug gegen Hendrik Witbooi 1894 teil. Nach kurzer Rückkehr nach Deutschland war Sander von 1896 bis 1899 Generalvertreter der Südwestafrikanischen Gesellschaft in DSWA und beteiligte sich an der Bekämpfung der Rinderpest 1897/98. Von 1901 bis 1902 war Sander als Arzt in DOA tätig und trat 1902 eine Stelle am Hamburger Institut für Schiffs- und Tropenhygiene an. Von 1904 bis 1910 war Sander Sekretär der DKG. Vgl. DKL, Bd. III (1920), S. 248. 31 In seinem Vortrag bezog sich Sander auf insgesamt 25 Quellen, von denen 14 aus DOA stammten und lediglich jeweils zwei aus Französisch-Westafrika und dem südlichen Afrika. Bei den restlichen Titeln handelte es sich um allgemeinere veterinärbakteriologische Abhandlungen. Sander, 1893, Die Viehseuchen in Afrika und Mittel zu ihrer Bekämpfung (Vortrag). BAB R 1001/6059, Bl. 105–110, hier: Literatur Liste Bl. 110. Es handelt sich um einen Ausschnitt der 1893 in Nürnberg geführten und veröffentlichten Verhandlungen der GdNÄ. 32 Sander, Viehseuchen in Afrika, BAB R 1001/6059, Bl. 105. 33 Zu diesen zählt Sander auch die Malaria. Ebd., Bl. 106.

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gung, er war aber davon überzeugt, dass die Entwicklung von Impfungen das einzige Heilmittel darstellte. Im Interesse der nachhaltigen Inwertsetzung der Kolonien müssten sich die Untersuchungen zunächst vor allem auf die »mörderischsten« Krankheiten richten. Zu diesen zählte Sander unter anderem die »afrikanische Pferdeseuche«.34 Gegen diese könne mit Sicherheit eine Schutzimpfung entwickelt werden, da aus den Berichten hervorgehe, dass Tiere, die die »Sterbe« überlebten, sich bei einem erneuten Ausbruch als immun erwiesen hätten.35 Ferner habe die DKG bereits ihre finanzielle Beteiligung an einer Expedition zur Erforschung von Tierseuchen in den afrikanischen Kolonien zugesagt. Sander gelang es, die anwesenden Mitglieder der GdNÄ von der Wichtigkeit einer solchen Reise zu überzeugen. Am 18. Oktober 1893 richteten sie eine Eingabe an die Kol.Abt. Diese sollte die restlichen Kosten einer geplanten Expedition nach Ostafrika übernehmen.36 Binnen weniger Wochen änderten sich jedoch Inhalt und Ziel der Expedition. Am 2. November 1893 teilte die DKG der Kol.Abt. mit, dass sie eine neunmonatige Forschungsreise Sanders nach DSWA finanziere.37 Sander verfügte über keinerlei tiermedizinische Ausbildung. In entsprechenden Fachgutachten wurde er aber als gewissenhafter und begabter Mediziner beschrieben, der sich »speziell mit den bis jetzt bekannten Erregern tieri-

34 Zu den wichtigsten Seuchen, die bekämpft werden müssten, zählte Sander noch die Lungenseuche der Rinder sowie die »Sadoka«, die in Ostafrika die Rinderherden dezimierte. Deren Ausbruch, Verlauf und Ausbreitung in Ostafrika schildert Sander anhand verschiedener Quellen sehr detailreich und schließt mit der Bemerkung, dass es sich wahrscheinlich um die Rinderpest handele. Eine endgültige Diagnose sei aber erst vor Ort zu stellen. Sander, Viehseuchen in Afrika, Bl. 107–109. In der Tat wird es sich um die Rinderpest gehandelt haben, die um 1891 in Ostafrika flächendeckend ausbrach und sich bis 1895 bis ins südliche Afrika ausbreitete. Vgl. Spinage, S. 501–510 sowie Loimeier, S. 92–94. 35 Sander, Viehseuchen in Afrika, BAB R 1001/6059, Bl. 109. 36 Laut dem beiliegenden Plan sollten ein Tierarzt sowie ein bakteriologisch geschulter Arzt nach Ostafrika zur Erforschung der dort herrschenden Rinderseuche entsandt werden. Die von der GdNÄ eingesetzte Planungskommission bestand aus Prof. Schütz von der TiHo Berlin und Ludwig Sander. Schütz / Sander an Reichskanzler, 18.10.1893, Aufforderung die Erforschung der afrikanischen Viehseuchen einzuleiten, BAB R 1001/6059, Bl. 96–98. 37 Die DKG hatte die gesamte Ausrüstung für die Expedition bereitgestellt sowie Sander 3.000 Mark für die Durchführung der Reise gewährt. Lediglich der Ankauf eines Mikro­skops sollte von der Kol.Abt. geleistet werden, da dieses anschließend in der Kolonie bleiben sollte. Die Kol.Abt. weigerte sich jedoch und das Mikroskop wurde ebenfalls von der DKG beschafft. BAB R 1001/6059, Bl. 111 und Bl. 124.

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scher Seuchen beschäftigt« habe38 und aufgrund seiner »bakteriologischen Vorbildung…aufs Entschiedenste« zu empfehlen sei.39 Dahinter stand die damalige Geringschätzung der Veterinärmedizin, die sich erst seit kurzem als universitäre Disziplin etabliert hatte. Es herrschte aber noch die Ansicht vor, dass jeder Humanmediziner aufgrund der umfänglicheren Ausbildung und der Tatsache, dass er sich mit höchsten Lebewesen befasste, ohne weiteres in der Lage sei, veterinärmedizinische Tätigkeiten zu übernehmen.40 Bereits am 30. November 1893 reiste Sander nach DSWA,41 um die dort »auftretende Pferdeseuche sowie die sonst vorkommenden Viehseuchen« zu untersuchen42 und diese »wirksam zu bekämpfen und ausrotten zu lernen«.43 Die unverzügliche Ausreise sei angezeigt, da die Pferdeseuche vor allem während der Regenzeit (Dezember bis März) besonders stark auftrete und somit die Bedingungen für deren Erforschung ideal seien.44 Der eigentliche Grund für diese kurzfristige Änderung dürfte hingegen die aktuelle militärische Lage in der Kolonie gewesen sein. Hendrik Witbooi,45 einer der einflussreichsten und mächtigsten indigenen Führer in DSWA, hatte sich seit den 1880er Jahren geweigert, einen »Schutzvertrag« mit dem Deutschen Reich abzuschließen. Landeshauptmann François hatte daher die Kol.Abt. in Berlin mehrfach um die Erlaubnis für ein militärisches Vorgehen gebeten. Im April 1893 befahl François eigenmächtig einen Überraschungsangriff auf Hornkranz, den Hauptsitz Witboois. Bei dem anschlie38 Schütz (TiHo Berlin), 02.11.1893, Gutachten zur Eignung Sanders, BAB R 1001/6059, Bl. 99–100. 39 Der Mitteilung beiliegende Gutachten von angesehenen Experten (Dieckerhoff, Schütz sowie Rubner) unterstrichen die Wichtigkeit der Forschungsreise sowie die besondere Eignung Sanders für die Durchführung der Forschungsarbeiten. Rubner (Hygienisches Institut Berlin), 02.11.1893, Gutachten zur Eignung Sanders, BAB R 1001/6059, Bl. 100. 40 Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich die Veterinärmedizin noch nicht vollständig als eigenständige wissenschaftliche Disziplin etabliert. Die Promotion zum Dr. med. vet. war seit 1832 in Gießen möglich, die meisten anderen Tierärztlichen Hochschulen erhielten das Promotionsrecht erst Anfang des 20. Jahrhunderts. Driesch u. Peters, S. 142–144. Zum Ruf der Tiermedizin sowie deren langsamer Etablierung als universitäres Fach siehe ausführlich: Dunlop u. Williams, S. 319–332. 41 Ausschnitt aus der Vossischen Zeitung 56 (03.02.1894), in: BAB R 1001/6059, Bl. 131. 42 Generalsekretär DKG an Kol.Abt., 02.11.1893, BAB R 1001/6059, Bl. 98–99. 43 Rubner, 02.11.1893, Gutachten BAB R 1001/6059, Bl. 100. 44 Generalsekretär DKG an Kol.Abt., 02.11.1893, BAB R 1001/6059, Bl. 101. 45 Zur Person Hendrik Witboois, einem der bekanntesten und bis heute populärsten indigenen Anführer, die sich gegen die Kolonialherrschaft aufgelehnt haben, siehe u. a.: Bühler, S. 49–52 und v. a. S. 65–74; Drechsler, S. 84–87; Hillebrecht, Hendrik Witbooi, S. 144–153.

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ßenden Massaker tötete die deutsche Schutztruppe ca. 80 Frauen, Männer und Kinder.46 Witbooi und dem Großteil seiner Kämpfer gelang jedoch die Flucht. Sie zogen sich in die unzugänglichen Naukluftberge zurück und begannen von dort einen Guerillakrieg gegen die deutsche Kolonialmacht. Anstatt Witbooi zur Unterzeichnung eines Schutzvertrages zu zwingen, hatte François mit der Aktion einen Krieg vom Zaun gebrochen, der die deutsche Herrschaft zunehmend unter Druck setzte. Wegen seines erfolglosen und unbegründeten Angriffs auf Hornkranz wurde François seines Kommandos enthoben. Ende 1893 trafen sein Nachfolger, Theodor Leutwein, und weitere militärische Verstärkung zusammen mit Ludwig Sander in der Kolonie ein. An einen sofortigen Feldzug gegen Witbooi war wegen der bevorstehenden Regenzeit nicht zu denken, da in dieser Zeit die Afrikanische Pferdesterbe auftrat. Leutwein war der potenzielle militärische Nutzen veterinärmedizinischer Forschungsarbeiten bewusst. Neben dem Krieg gegen Hendrik Witbooi und andere indigene Machthaber stellte die Erforschung der Tierseuchen für Leutwein eine der »wichtigsten Lebensfragen der Kolonie« dar. Um »aufständische Eingeborene« erfolgreich bekämpfen zu können, brauchte das Militär zur Durchführung von Feldzügen vor allem gesunde Pferde. Leutwein sah sich gezwungen, den Anfang 1894 begonnenen Feldzug gegen Hendrik Witbooi Ende März abzubrechen, nachdem die Schutztruppe 75 von 120 eingesetzten Pferden durch die Pferdesterbe verloren hatte.47 Daraufhin untersagte Gouverneur Leutwein, während der »Sterbezeit« Patrouillenritte zu unternehmen, sofern diese nicht unbedingt erforderlich waren.48 Dies bedeutete, dass es während der drei- bis fünfmonatigen Regenzeit zu einem deutlichen Rückgang der ohnehin geringen Präsenz der Schutztruppe und damit der kolonialstaatlichen Kontrolle kam. Derartige Hemmnisse fast vorausahnend hatte Leutwein Sander von Anfang an aufgefordert, seine Forschungen »in erster Linie bei der Truppe« vorzunehmen49 und den Forschungsarbeiten seine »thatkräftige Förderung« zugesagt. Sander wurden leere Räume des Kommissariats in Windhoek für die Einrichtung eines behelfsmäßigen Laboratoriums zur Verfügung ge-

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Wallace, S. 129 Sander, S. 253. Leutwein, S. 132. Leutwein an Reichskanzler, 03.01.1894, BAB R 1001/6059, Bl. 132–133, hier Bl. 133–1.

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stellt.50 Trotz dieser Unterstützung musste Sander feststellen, dass sich die Durchführung seines Forschungsvorhabens deutlich schwieriger gestaltete als erwartet. Die Räumlichkeiten entsprachen keineswegs den Anforderungen an die Einrichtung eines bakteriologischen Laboratoriums.51 Wegen des Raummangels fanden Obduktionen immer im Freien statt, was sich negativ auf die Anfertigung der Untersuchungspräparate auswirkte.52 Ein reibungsloser Ablauf der Forschungsarbeiten wurde zusätzlich dadurch erschwert, dass Thermometer und andere wichtige Instrumente auf dem Transport zum Teil schwer beschädigt worden waren.53 Der Großteil dieser Probleme war auf die relativ kurze Vorbereitungszeit für die Expedition sowie auf Sanders mangelnde Kenntnisse über die Verhältnisse in der Kolonie zurückzuführen.54 Sander war bewusst, dass aufgrund der Unzulänglichkeiten vor Ort der Großteil seiner Forschungsarbeiten nicht entsprechend der bakteriologischen Standards durchgeführt werden konnte. Entsprechend waren auch die Zuverlässigkeit und Aussagekraft seiner Ergebnisse in vielen Fällen zweifelhaft.55 Dennoch setzte er seine bakteriologischen Untersuchungen fort. Dabei orientierte er sich vor allem an der von einem Teil der Forschungsliteratur vertretenen These, dass es sich bei der Pferdesterbe um eine milde Form von Pferdemilzbrand handele.56 Damit ignorierte Sander die Forschungsergeb50 Aufgrund des allgemeinen Mangels an Unterkünften wurde Sander außerdem in einem der Wohnräume Leutweins untergebracht. Sander, S. 251 51 Die Räume waren zugig und nicht frei von Ungeziefer. Sander berichtet von kleinen weißen Ameisen, die regelmäßig Reagenzgläser, Glasplatten, Nährböden und angelegte Bakterienkulturen verunreinigten. Sander, S. 251, 257, 258 und 262. Hinzu kam, dass Sander über keinen Laboratoriumsdiener verfügen konnte und laut eigener Aussage sehr viel Arbeitszeit in die Vorbereitung der Untersuchungen (wie die Herstellung von Nährböden) investieren musste. Sander an Kol.Abt., 06.04.1894, Bericht über die verschiedenen Viehseuchen, Impfmethoden und die Notwendigkeit der Einrichtung eines Institutes in DSWA, BAB R 1001/6059, Bl. 169–175. 52 In einem Fall wurden die entnommen Organteile von streunenden Hunden »entwendet«, Sander, S. 260. 53 Vor allem mangelte es Sander an Glasgefäßen und Versuchstieren. Die aus Deutschland mitgebrachten Mäuse waren Ende März »verbraucht«. Da er nur über begrenzte Mittel vor Ort verfügen konnte, war der Ankauf von Pferden, Rindern oder Kleinvieh zu Untersuchungszwecken nicht möglich und »afrikanische Mäuse« konnte Sander laut eigener Aussage nicht verwenden, da deren Anfälligkeit für die vermeintliche Milzbrandinfektion nicht bekannt war, Ebd., S. 285. 54 Für die konkrete Planung und die Beschaffung der Ausrüstung standen ihm lediglich drei Wochen zur Verfügung. Ebd., S. 249–250. 55 Ebd., S. 252. 56 Sander bezog sich explizit auf: Dieckerhoff, Lehrbuch, S. 204 und Theiler, Ueber südafrikanische Pferdeseuche, S. 202–219.

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nisse britischer Veterinäre vollkommen. Bereits 1888 hatte der Regierungstierarzt der Cape Colony, Joshua Nunn, nachgewiesen, dass es sich bei der Pferdesterbe nicht um Milzbrand handelte. Diesen Befund hatten 1892 weitere in der Cape Colony durchgeführte Versuche des Bakteriologen Alexander Edington sowie der Regierungsveterinäre John Borthwick und Duncan Hutcheon bestätigt.57 Ungeachtet aller Probleme und Missstände hatte Sander bereits nach der Untersuchung des ersten an der Seuche eingegangenen Pferdes nach Berlin gemeldet, dass die Entwicklung eines Impfstoffes nur eine Frage der Zeit sei, da er nachgewiesen habe, dass es sich bei der »Sterbe« um eine Form des Milzbrandes handele.58 Entsprechend richtete Sander seine anschließenden Forschungen darauf aus, weitere Belege für diese Diagnose zu finden. Er behauptete, in allen Organproben milzbrandähnliche Bakterien nachgewiesen zu haben,59 obwohl es ihm nicht gelang, den wissenschaftlich anerkannten Nachweis für eine Milzbrandinfektion zu führen.60 Dafür machte Sander seine mangelhafte Ausrüstung und die ungeeigneten Räumlichkeiten in der Kolonie verantwortlich. Die massiven Defizite seiner Ergebnisse versuchte Sander mithilfe einer Analogieannahme zu stützen. Dazu listete er aus zwei Standardwerken zum Milzbrand die Beschreibungen über Ätiologie, Ausbruch, Verlauf, Symptome, Sektionsbefunde und Therapie auf.61 Diesen stellte er dann die auf 57 Entsprechend wurde die Milzbrandthese von britischen Veterinären abgelehnt. Neben Sander hätten auch Villoresi, Merensky sowie ein Dr. Schlesinger die Pferdesterbe als eine Form des Milzbrandes diagnostiziert. Diesen war aber ebenfalls der wissenschaftliche Milzbrand-Nachweis nicht gelungen. N. N., Horse-Sickness, S. 363–365. Zum Stand der britischen Forschungsarbeiten um 1900 siehe: Edington, South African Horse-Sickness, S. 200–231 und S. 281–300. 58 Sander an Kol.Abt., 10.03.1894, Bericht über Pferdesterbe Forschung, BAB R 1001/6059, Bl. 164–165. 59 Insgesamt untersuchte Sander 14 Fälle von Pferdesterbe in der Umgebung von Windhoek. Die ausführlichen Berichte über jeden einzelnen Fall finden sich bei Sander, S. 253–267. 60 Der wissenschaftlich anerkannte Nachweis, dass es sich um Milzbrand handelte, bestand in der künstlichen Infektion von Mäusen mit Reinkulturen. Die Mäuse mussten daraufhin die typischen Milzbrand-Erscheinungen zeigen, um einen positiven Befund nachzuweisen. Sander gelang es, nur eine Maus mit Reinkulturen zu impfen. Die Maus starb aber, bevor sie die Krankheitssymptome ausbilden konnte. Er behauptete dennoch, dass es ihm gelungen sei, in Organausstrichen der Maus die gleichen Bakterien nachzuweisen. Sander, S. 286. 61 Dabei bezog er sich auf die Veröffentlichungen von Dieckerhoff sowie Friedberger und Fröhner. Ebd., S. 288–294.

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seinen Beobachtungen beruhenden Beschreibungen über die Pferdesterbe gegenüber. Aus dieser Gegenüberstellung ginge, so Sander, klar hervor, dass die afrikanische Pferdesterbe und der Pferdemilzbrand identische Krankheiten seien.62 Diesen Befund versuchte Sander mit dem angenommenen Übertragungsweg der Pferdesterbe zu untermauern. Die Krankheit werde, wie der Milzbrand, durch die Aufnahme von Sporen, die sich auf dem taunassen Gras befänden, übertragen. In dem Umstand, dass die Annahme der Übertragung der Pferdesterbe auf ein miasmatisches Krankheitsverständnis zurückzu­ führen war, sah Sander keinen Widerspruch. Auch überging er die Tatsache, dass es ihm nicht gelungen war, »Pferdesterbe-Sporen« nachzuweisen. Stattdessen drängte Sander – noch während seines Aufenthalts in DSWA und mit Unterstützung Leutweins – die Kol.Abt. und die DKG, ihm weitere teure Apparate zu schicken sowie die Mittel für den Bau eines Laboratoriums in Windhoek freizugeben.63 Unter dem Hinweis, dass sie bereits erhebliche Mittel für die Expedition aufgewandt habe, fragte die DKG daraufhin bei der Kol.Abt. an, ob diese die Kosten für ein Labor übernehmen würde.64 Die DKG signalisierte zwar ein grundsätzliches Interesse an der Schaffung einer veterinärbakteriologischen Forschungsstation in DSWA, die Begutachtung des Antrages war aber bis zur Ausreise Sanders noch nicht abgeschlossen.65 Die »Milzbrandthese« Sanders wurde 1896 endgültig vom Veterinär Wilhelm Rickmann66 entkräftet. Rickmann hatte nach seiner Ankunft in DSWA Mitte 1894 begonnen, systematisch Informationen über die Pferdesterbe ein-

62 Ebd., S. 294. 63 Die Kosten für die Einrichtung eines solchen Laboratoriums wurden mit 10.000 Mark angegeben. Sander an Kol.Abt., 10.03.1894, BAB R 1001/6059, Bl. 164–165 sowie Duft an Reichskanzler, 09.04.1894, BAB R 1001/6059, Bl. 162. 64 DKG an Kol.Abt., 19.05.1894, Aufstockung des Etats von Dr. Sander in Hinblick auf die Einrichtung eines Forschungslabors in DSWA, BAB R 1001/6059, Bl. 149–150. 65 Kol.Abt. an DKG, 06.06.1894, BAB R 1001/6060, Bl. 5 66 Wilhelm Rickmann war kurz nach Sander in DSWA eingetroffen. Zuvor hatte Rickmann ein Studium an der Tierärztlichen Hochschule Berlin absolviert und ging 1894 als Rossarzt der Schutztruppe nach DSWA. Von 1896 bis 1906 war er Cheftierarzt von DSWA und ab 1898 Leiter des veterinärbakteriologischen Instituts Gammams. Zu seinen Aufgaben gehörte in erster Linie die Erforschung der in der Kolonie auftretenden Viehseuchen. Darüber hinaus war er maßgeblich an dem Aufbau und der Organisation des Veterinärwesens und der Tierzucht beteiligt. Rickmann war mit insgesamt zwölf Dienstjahren der Regierungstierarzt mit der längsten Dienstzeit in der Kolonie. DKL, Bd. III., S. 171 f.; BAB R 1002/1385/86, Personalakte Rickmann.

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zuholen. Dazu verschaffte er sich sowohl einen Überblick über die bislang publizierten wissenschaftlichen Ergebnisse wie auch über das vorhandene praktische Wissen der lokalen Viehbesitzer. In einem Gutachten zu Sanders Bericht über die Südafrikanischen Epizootien äußerte Rickmann 1896, dass der Milzbrand in der Kolonie unter dem Namen »Bloedziekte« (afrikaans: Blutseuche) bekannt sei und »selbst die Eingeborenen scheiden streng zwischen Sterbe und Bloedziekte der Pferde, bei letzterer wohl den Unterschied zwischen äußerer und innerer Form kennend«.67 Allein durch die Befragung der indigenen Bevölkerung war es Rickmann gelungen, das von Sander mit europäischen Labortechniken generierte Wissen zu widerlegen. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass Sander seine Forschungen von Beginn an ausschließlich darauf ausgerichtet hatte, die Milzbrandthese zu bestätigen. Aufgrund seiner auch nach zeitgenössischen Maßstäben unprofessionellen Vorgehensweise ist es sehr unwahrscheinlich, dass für ihn überhaupt eine andere Diagnose denkbar gewesen wäre. Weder verschaffte sich Sander einen umfassenden Überblick über den Stand der veterinärmedizinischen Forschungen zur Pferdesterbe, noch zog er eine umfangreichere Befragung der lokalen Pferdebesitzer in Erwägung. Das Scheitern Sanders bedeutete, dass die operativen Möglichkeiten und damit die Durchsetzung des kolonialen Herrschaftsanspruches weiterhin während der Regenzeit stark eingeschränkt blieben. Damit hatten sich auch die Hoffnungen Leutweins zerschlagen, durch die Forschungsarbeiten möglichst schnell in den Besitz eines Impfstoffes gegen die Sterbe zu gelangen und so im Krieg gegen Hendrik Witbooi einen Vorteil zu erlangen. Erst durch diplomatische Verhandlungen und vor allem mit Hilfe weiterer militärischer Verstärkungen gelang es Leutwein im September 1894, Hendrik Witbooi zur Unterzeichnung eines Schutzvertrages zu zwingen. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland setzte sich Sander – unbeirrt von seiner gescheiterten Expedition – dafür ein, die Erforschung der in DSWA auftretenden Viehseuchen sowie die Entwicklung von Schutzimpfungen weiter voranzutreiben. Ende 1894 legte er die Denkschrift »Die Viehseuchen in Deutsch Südwestafrika ihre wirthschaftliche Bedeutung und Mittel zu

67 Rickmann an Lhptm., 05.06.1896, Bericht über den Schlusspassus in der Fortsetzung des Aufsatzes des Marinestabsarztes a. D. Dr. Sander über »Südafrikanische Epizootien mit besonderer Berücksichtigung der Pferdesterbe«, NAN ZBU 1330 O.IV.b.1-1, Bl. 10–12a.

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ihrer Bekämpfung«68 vor. Im Vertrauen darauf, mit Hilfe der Bakteriologie alle Viehseuchen in DSWA relativ schnell durch die Entwicklung von Impfmethoden unter Kontrolle zu bekommen, forderte Sander darin, ein vollausgestattetes bakteriologisches Institut in der Kolonie einzurichten. An diesem sollten ständig je ein Bakteriologe, Veterinär und Laboratoriumsdiener angestellt sein, um die nötigen Grundlagenforschungen sowie die Entwicklung und Produktion von Impfstoffen leisten zu können.69 Die Denkschrift Sanders wurde zusammen mit den Ergebnissen seiner Feldforschungen den »außerordentlichen veterinärtechnischen Mitgliedern des Gesundheitsamtes« zur Begutachtung vorgelegt. Die Gutachter sprachen sich aufgrund der »Unsicherheit der wissenschaftlichen Unterlagen« sowie der Mängel der von Sander mitgebrachten Präparate gegen eine sofortige Umsetzung der Pläne aus. Die Gutachter sahen es als keineswegs erwiesen an, dass die von Sander beschriebenen »Thierkrankheiten wirklich diejenigen sind, für welche er sie anspricht«.70 Zu seiner Verteidigung räumte Sander ein, dass sich seine veterinärmedizinischen Kenntnisse auf eine kurze Einweisung an der Tierärztlichen Hochschule in Berlin sowie auf seine Erfahrungen als Sohn eines Landwirtes beschränkten. Daher sei er »selbstverständlich nicht in der Lage gewesen, jedes einzelne Symptom in seinem differential-­ diagnostischen Werthe schätzen zu können«.71 Darüber hinaus hätten ihm bei der Obduktion die Instrumente gefehlt, um die entnommenen Organe zu messen. Er habe daher zunächst die Größe der Organe geschätzt und nach seiner Rückkehr mehreren Pferdeobduktionen beigewohnt, um seine Schätzungen zu überprüfen.72 Mit diesen Anmerkungen bestätigte Sander die Zweifel der Gutachter sowie auch die vom Regierungstierarzt der Cape Colony, Otto Henning, bereits Anfang 1894 in einem Artikel der »Berliner Tierärztlichen Wochenschrift« vorgebrachten Einwände. Unter Berufung auf seine seit 1892 als praktizierender Regierungstierarzt in der Cape Colony gesammelten Erfahrungen

68 Ludwig Sander, Denkschrift: Die Viehseuchen in Deutsch Südwestafrika ihre wirthschaftliche Bedeutung und Mittel zu ihrer Bekämpfung, o. O. 1894, in: BAB R 1001/​ 6060, Bl. 73–108. 69 Ebd., Bl. 102. 70 Köhler (Direktor Reichsgesundheitsamt) an Kol.Abt., 19.07.1895, Betrifft die Bekämpfung der Viehseuchen in Deutsch-Südwest-Afrika. Referent: außerordentliches Mitglied des Gesundheitsamtes Professor Dr. Schütz, BAB R 1001/6060, Bl. 151–154. 71 Sander, S. 273–274. 72 Ebd., S. 281.

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hatte Henning darauf hingewiesen, dass die Erforschung von Tierseuchen ausschließlich von erfahrenen und bakteriologisch ausgebildeten Tierärzten durchgeführt werden sollte. Laut Henning verfügten Humanmediziner schlicht nicht über »das genügende Mass von Kenntnissen in der thierärztlichen pathologischen Anatomie, thierischen Parasitenkunde, Toxikologie, in der Seuchenlehre und Veterinärpolizei«.73 Er schlug daher vor, möglichst zeitnah je drei Veterinäre nach DSWA und DOA zur Durchführung entsprechender Forschungsarbeiten zu entsenden. Hennings Vorschläge wurden 1895 bei der Begutachtung von Sanders Forschungsleistungen in Erwägung gezogen. Die Gutachter bestätigten grundsätzlich die Wichtigkeit veterinär-bakteriologischer Forschungsarbeiten in der Kolonie. Um effektive Bekämpfungsmaßnahmen gegen die »afrikanischen Tierseuchen« zu entwickeln, müssten aber auch klimatische Faktoren sowie die Ernährungsbedingungen berücksichtigt werden. Zudem müsste geklärt werden, welche Rolle die »Verkehrsverhältnisse und die menschliche Gesellschaft bei der Verbreitung der Seuchen« spiele.74 Um derartig komplexe Beobachtungen durchzuführen, votierten die Gutachter für die Entsendung eines bakteriologisch geschulten und praktisch erfahrenen Veterinärs. Dieser solle im Auftrag der Kol.Abt. für ein Jahr in die Kolonie entsandt werden und im ständigen Kontakt mit dem Gesundheitsamt die erforderlichen Daten sammeln. Diese sollten dann in Deutschland ausgewertet und mit den Erfahrungen, die andere Staaten, vor allem Frankreich und die Niederlande, in ihren Kolonien bei der Bekämpfung von Tierkrankheiten gemacht haben, abgeglichen werden.75 Auf dieser Grundlage könne dann entschieden werden, welche dauerhaften Maßnahmen zur Unterdrückung der Viehseuchen in DSWA zu treffen seien. Bei allen Widrigkeiten boten Sanders Forschungsergebnisse den Anstoß, weitere Anstrengungen zur Erforschung der Tierseuchen in DSWA in die Wege zu leiten. Mit Blick auf eine möglichst kostengünstige Lösung entschied die Kol.Abt., zunächst einen bakteriologisch geschulten Veterinär nach DSWA zu entsenden. In enger Zusammenarbeit mit den Sachverständigen des Reichsgesundheitsamtes wurde ab 1895 ein geeigneter Kandidat gesucht. Mit der Entsendung Karl Borchmanns 1896 wurde dann der Grund-

73 Henning, Kolonialthierärzte, S. 35. 74 Köhler an Kol.Abt., 19.07.1895, BAB R 1001/6060, Bl. 152. 75 Ebd., Bl. 154.

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stein für den Aufbau des kolonialen Veterinärwesens in DSWA gelegt.76 Der von Sander in seiner Denkschrift aufgestellte Plan für die Einrichtung eines Laboratoriums diente 1898 als Grundlage für das veterinärbakteriologische Institut Gammams bei Windhoek.77 Auffällig ist, dass die Sicherung der Viehbestände der indigenen Bevölkerung in der gesamten Debatte nicht erwähnt wurde. Von Beginn an verfolgten die Experten in der »Metropole« wie auch in der »Kolonie« mit der Viehseuchenbekämpfung ausschließlich die Inwertsetzung der Kolonien und die Sicherung des kolonialen Herrschaftsanspruches.

1.3 Forschungsarbeiten in Deutsch-Südwestafrika seit 1899 Nachdem Ludwig Sander DSWA verlassen hatte, mussten weitere Forschungsarbeiten zur Pferdesterbe zunächst zurückgestellt werden. Der Ausbruch der Rinderpest im April 1897 band die wenigen verfügbaren veterinärmedizinisch ausgebildeten Kräfte bis Ende 1898.78 Aufgrund der militärischen Bedeutung der Pferdesterbe für die Herrschaftserrichtung nahmen der Stabsarzt der Schutztruppe, Philalethes Kuhn, sowie der Cheftierarzt DSWAs, Wilhelm Rickmann, unmittelbar nach dem Abebben der Rinderpest die systematische »Sterbeforschung« wieder auf. Nahezu zeitgleich begannen der Bakteriologe der Cape Colony, Alexander Edington, und der Cheftierarzt Transvaals, Arnold Theiler, mit entsprechenden Forschungsarbeiten. Den Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Immunisierungsverfah­ rens gegen die Pferdesterbe bildeten die kurz zuvor gegen die Rinderpest entwickelten Impfmethoden.79 Mit dem 1898 eingerichteten veterinär­ bakteriologischen Institut Gammams stand zudem auch die Infrastruktur zur Durchführung eigenständiger laborgestützter Forschungen zur Verfü76 Köhler an Kol.Abt., 06.02.1896, Suche nach einem Tierarzt für DSWA und Kostenvoranschlag für die Entsendung, BAB R 1001/6061, Bl. 17–18. Zum Aufbau des kolonialen Veterinärdienstes bis 1915 siehe Kapitel 4.1 dieser Arbeit. 77 Die Kostenkalkulationen finden sich bei: Sander, Denkschrift, BAB R 1001/6060, Bl. 103–106. Zu den Veterinärlaboren siehe ausführlich Kapitel 4.2 dieser Arbeit. 78 Zur Rinderpest siehe Kapitel 2. dieser Arbeit. 79 Diese bestanden darin, die Tiere mit Hilfe von Galle bzw. Serum immuner Tiere und infektiösem Blut zu impfen. Zur Entwicklung der Immunisierungsverfahren gegen die Rinderpest siehe Kapitel 2.2 und 2.3; zur Bildung des veterinärmedizinischen Expertennetzwerkes und die dadurch angestoßenen Entwicklungen siehe Kapitel 3. dieser Arbeit.

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gung. Anders als Sander rezipierten Rickmann und Kuhn die in der Cape Colony und vor allem im Transvaal erzielten Ergebnisse, maßen diesen aber einen unterschiedlichen Stellenwert innerhalb ihrer eigenen Forschungsarbeiten bei. Dabei spielte der disziplinäre Hintergrund – Rickmann Veterinär, Kuhn Humanmediziner – ebenso eine Rolle wie persönlicher Geltungsdrang. Im Folgenden werden die Auswirkungen dieser Faktoren auf die Ergebnisse der Forschungsarbeiten von Kuhn und Rickmann rekonstruiert. Neben dem Einfluss der Forschungsergebnisse auf die weitere Errichtung kolonialer Herrschaft in DSWA steht dabei auch deren Verortung innerhalb des sich seit 1897 etablierenden veterinärmedizinischen Expertennetzwerkes im südlichen Afrika im Mittelpunkt.

1.3.1 Pferdesterbe und Malaria. Der Irrweg von Philalethes Kuhn

In DSWA ging die Initiative für weitere Forschungen zur Entwicklung einer Impfmethode gegen die Pferdesterbe zunächst vom Militär aus. Der Stabsarzt, Philalethes Kuhn, hatte im Dezember 1898 in Grootfontein mit Immunisierungsversuchen an ausrangierten Pferden und Mauleseln, sogenannten Remonten, des Bezirkskommandos begonnen.80 Bereits ein halbes Jahr später meldete Kuhn, gleich mehrere potenzielle Möglichkeiten für die Immunisierung von Pferden und Mauleseln ausfindig gemacht zu haben.81 Nach mehreren Versuchsreihen kam Kuhn zu folgenden Ergebnissen: Zunächst hatte er die von Edington bereits 1891 in Grahamstown durchgeführten Infektionsversuche wiederholt und sah diese bestätigt. Dabei habe sich gezeigt, dass bereits geringe Mengen Blut von an »Sterbe gefallenen« Tieren ausreichten, um einen tödlichen Krankheitsverlauf auszulösen. Ferner stellte Kuhn fest, dass Herzbeutelwasser von an Pferdesterbe eingegangenen Tieren lediglich eine leichte Erkrankung hervorrief. Weitere Tests hatten ergeben, dass Tiere, die eine leichte Erkrankung überstanden hatten, nach einer späteren Impfung mit virulentem Blut zwar erneut erkrankten, aber überlebten. Zudem war es Kuhn gelungen, durch Zusatz von Carbolsäure82 die Haltbarkeit des viru80 Bei diesen ersten Versuchen wurde Kuhn von Leutnant Eggers »kameradschaftlich und wissenschaftlich« sowie von Hauptmann Estorff (Bezirkshauptmann Outjo) unterstützt. Kuhn an Leutwein, 06.05.1899, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-1, Bl. 6–7. 81 Ebd. 82 Dabei handelt es sich um die zeitgenössische Bezeichnung für Phenol. Carbolsäure wurde vor allem als Desinfektionsmittel eingesetzt.

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lenten Bluts deutlich zu erhöhen. Somit war es möglich, die für eine aktive Immunisierung erforderliche künstliche Infektion jederzeit hervorzurufen. Ausgehend von diesen Beobachtungen entwickelte Kuhn die Theorie, dass Pferde durch Injektionen nicht letaler, progressiv steigender Dosen virulenten Blutes gegen die Pferdesterbe immunisiert werden könnten. Konkret bestand das von Kuhn vorgeschlagene Verfahren darin, gesunde Tiere subkutan mit Herzbeutelwasser von an Pferdesterbe eingegangenen Tieren zu impfen, um einen nicht tödlichen »leichten Sterbeanfall« auszulösen. Nach dem Abklingen der Krankheitssymptome sollte nach einigen Wochen eine zweite Impfung mit infektiösem »Sterbeblut« erfolgen. Laut Kuhn sollte die zweite daraufhin eintretende leichte Erkrankung die Pferde für mindestens ein Jahr immunisieren.83 Um dieses Verfahren in der Praxis zu testen und ein praktisch anwendbares Immunisierungsverfahren zu entwickeln, bat Kuhn die Kolonialverwaltung im Mai 1899, ihn bei der Beschaffung von Versuchstieren zu unterstützen.84 Das von Kuhn in Aussicht gestellte Immunisierungsverfahren stieß bei der Kolonialverwaltung auf großes Interesse. Aufgrund der negativen Erfahrungen mit Sanders Forschungen sowie dem Ausbleiben weiterer detaillierterer Berichte von Kuhn machte Landeshauptmann Leutwein die Unterstützung weiterer Versuche von Fachgutachten abhängig.85 Dabei griff die Kolonialverwaltung auf die vor Ort verfügbaren Experten, den Cheftierarzt Rickmann sowie den Regierungsarzt Anton Lübbert, zurück. Die Ergebnisse von Kuhns Versuchen wurden von Rickmann im Juni 1899 als »aussichtsvoll« angesehen und er empfahl, zur Weiterführung der Versuche ausrangierte Regierungspferde zur Verfügung zu stellen.86 Entsprechend der Empfehlung überstellte das Gouvernement Kuhn 18 dienstuntaugliche Pferde.87 Zu den von Kuhn durchgeführten Versuchsreihen erstellte der Regierungsarzt Lübbert weitere begleitende Gutachten. In einem ersten Bericht war Lübbert im Dezember 1899 vollkommen überzeugt, dass Kuhn die entscheidende Impfmethode gegen die Pferdesterbe gefunden habe. Damit sei, laut Lübbert, endlich »die noch fehlende Hauptbedingung für eine erfolgreiche Pferdezucht« vorhanden. Vor allem aber sei der militärische Nutzen von Kuhns 83 Kuhn an Gouv., 23.05.1899, Ergebnisse der Pferdesterbeversuche, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-1, Bl. 17–18. 84 Kuhn an Leutwein, 06.05.1899, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-1, Bl. 6–7. 85 Leutwein an Kol.Abt., 25.11.1899, BAB R 1001/6064, Bl. 45. 86 Rickmann an Gouv., 20.06.1899, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-1, Bl. 19. 87 Leutwein an Kol.Abt., 25.11.1899, BAB R 1001/6064, Bl. 45.

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Mittel nicht zu unterschätzen, da zukünftig »die Schutztruppe in ihrer Aktionsfähigkeit nicht mehr behindert« werde.88 Der Erfolg Kuhns hatte sich offenbar schnell herumgesprochen. Lübbert berichtete, dass sich in Grootfontein Herero mit ihren Pferden eingefunden hätten, um diese von Kuhn impfen zu lassen. Lübbert und auch Kuhn war zu diesem Zeitpunkt bewusst, dass das Ergebnis der Impfungen nur durch eine natürliche Infektion endgültig überprüft werden konnte, wozu noch die nächste »Sterbezeit« abgewartet werden musste. Auf diesen Umstand wies Lübbert auch das Gouvernement hin, er zweifelte aber nicht an dem Erfolg von Kuhns Immunisierungsverfahren und wollte die späteren Pferdesterbeimpfungen in der gesamten Kolonie auch persönlich unterstützen. In einem entsprechenden Bericht vom August 1900 bezeichnete Lübbert die von Kuhn ausgeführten Immunisierungsversuche gegen Pferdesterbe weiterhin als durchweg erfolgreich. Laut dem Bericht von Lübbert war es Kuhn gelungen, »für Sterbe hochgradig empfängliche Pferde…derart in ihrem Organismus zu verändern«,89 dass die Tiere für mindestens ein Jahr gegen eine natürliche Infektion mit Pferdesterbe immun waren. Der »streng wissenschaftliche Beweis« sei mit Hilfe von unbehandelten Kontrolltieren erbracht worden. Nun ginge es darum, das Verfahren in Bezug auf seine praktische Anwendbarkeit zu optimieren und ein Pferdesterbeserum zu entwickeln. Ohne quantitativ belastbare Angaben zu den Erfolgen des Impfverfahrens zu nennen, schloss Lübbert sein Gutachten mit der Empfehlung an die Landeshauptmannschaft, Kuhns Arbeiten weiterhin »mit allen Mitteln die er nötig hat« zu unterstützen. Mitte des Jahres 1901 veröffentlichte Kuhn einen Artikel, in dem er, ohne auf Details des Verfahrens einzugehen, behauptete, ein Impfverfahren gegen die Pferdesterbe entwickelt zu haben, das sowohl präventive als auch kurative Wirkung habe.90 Laut Kuhns Bericht hätten 60 % der von ihm geimpften Pferde die »Sterbezeit« überlebt. Ferner sei es mit Hilfe des »Sterbeserums« gelungen, die Mortalitätsrate bei erkrankten Tieren auf 50 % zu reduzieren. Trotz der vermeintlichen Erfolgsmeldungen und den positiven Gutachten Lübberts finden sich keine Belege dafür, dass die Impfmethode in DSWA zur Anwendung gekommen ist. Im Gegenteil, die Kolonialverwaltung stellte ab 1901 die Unterstützung von Kuhns Pferdesterbeforschung ein. Über die 88 Lübbert an Gouv., 19.12.1899, BAB R 1001/6064, Bl. 54–55. 89 Lübbert an Gouv., 02.08.1900, Bericht über die Erzeugung von Unempfänglichkeit gegen Pferdesterbe, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-1, Bl. 41–42. 90 Kuhn, Impfung gegen Malaria, S. 342.

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Gründe finden sich in den Quellen leider keine Hinweise. Die vorliegenden Informationen über das Impfverfahren dürften der Kolonialverwaltung aber wenig vertrauenswürdig erschienen sein. Zum einen war aufgrund der Erfahrungen mit der Pferdesterbe allgemein bekannt, dass deren natürliche Mortalitäsrate durchschnittlich 50–75 % betrug.91 Sowohl die von Kuhn behauptete kurative Wirkung des Serums als auch der vermeintliche Impferfolg von 60 % lagen also durchaus im Toleranzbereich der natürlichen Mortalitätsrate. Zum anderen lieferten weder Kuhn noch Lübbert genauere Angaben zur Herstellung des Impfstoffes, den verwendeten Dosierungen und Zeiträumen zwischen den einzelnen Impfungen. Gerade solche Daten nahmen aber in vergleichbaren Berichten über Forschungsarbeiten zu Tierseuchen einen zentralen Stellenwert ein. Auf Seiten der Kolonialverwaltung wie auch aus veterinärmedizinischer Perspektive bestanden also genügend Gründe, an der Wirksamkeit von Kuhns Immunisierungsverfahren zu zweifeln. Diese Vermutungen wurden zusätzlich dadurch gestützt, dass Kuhn mit der Entwicklung einer Impfmethode gegen die Pferdesterbe – im Gegensatz zu den damit befassten Veterinären – im Grunde ein anderes Ziel verfolgte. Bereits seit 1899 nutzte Kuhn die Forschungen über die Pferdesterbe als Grundlage für Experimente zur Behandlung von Malaria. In einem 1901 veröffentlichten Artikel »Über die Impfung gegen Malaria« konstatierte Kuhn eine Verbindung zwischen Pferdesterbe und Malaria.92 Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass beide Krankheiten immer zeitgleich während der Regenzeit – der Schwärmphase der Moskitos auftraten. Dass Moskitos die Malaria übertragen, war seit 1897 bekannt.93 Aus der zeitlichen Koinzidenz beider Krankheiten schloss Kuhn, dass Moskitos auch die Pferdesterbe übertragen würden.94 Laut Kuhn ließen zudem die typischen Krankheitserscheinungen eindeutig darauf schließen, dass es sich bei der »Sterbe« um eine »echte Blutkrankheit« analog zur Malaria handele. Diese Annahme sah Kuhn darin bestätigt, dass Cheftierarzt Rickmann im Blut von an Pferdesterbe erkrankten Tieren Blutparasiten nachgewiesen hatte, welche mit denen 91 Sieber, S. 351. 92 Kuhn, Impfung gegen Malaria, S. 350–351. 93 1897 gelang Ronald Ross der Nachweis, dass die Malaria durch Anopheles-Mücken übertragen wird. Ross, S. 1787. 94 Kuhn, Impfung gegen Malaria, S. 343–344. Die Theorie, dass blutsaugende Insekten die Pferdesterbe übertagen würden, war 1901 auch von Theiler und Nocard geäußert worden. Den wissenschaftlichen Nachweis hierfür erbrachte Watkins-Pitchford 1903. Allerdings gelang es ihm nicht, die Insektenart, die als Vektor fungierte, zu bestimmen. Watkins-Pitchford.

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der »Menschenmalaria größte Ähnlichkeit besaßen«.95 Zwar hatte Kuhn Kenntnis davon, dass Rickmann, wie auch der Cheftierarzt T ­ ransvaals, Arnold Theiler, nachgewiesen hatten, dass es sich bei den besagten Blutparasiten nicht um den Erreger der Pferdesterbe handelte. Zudem war von Seiten der Veterinärmedizin 1900 der Beweis erbracht worden, dass der Erreger der Pferdesterbe mit den zur Verfügung stehenden bakteriologischen Verfahren nicht isoliert werden konnte.96 Demgegenüber wandte Kuhn ein, ihm und auch Regierungsarzt Lübbert sei es »ebenso leicht wie bei der Malaria« gelungen, die Blutparasiten bei pferdesterbekranken Tieren nachzuweisen.97 Damit sprach er, der Humamediziner, den Tiermedizinern indirekt die wissenschaftliche Kompetenz ab. Kuhn beschrieb die Erscheinungsformen der von ihm und Lübbert bei Pferden gefundenen Parasiten ausführlich. Diese seien zwar deutlich kleiner als die Malariaparasiten des Menschen, hätten mit diesen aber in einem bestimmten Entwicklungsstadium »die allergrößte Ähnlichkeit«. Unter Missachtung der Forschungsergebnisse der Veterinärmedizin schloss Kuhn daraus, »dass das Vorkommen von Blutparasiten bei der Pferdesterbe…nicht gegen meine Theorie spricht«.98 Kuhn räumte zwar ein, dass diese Theorie »noch der scharfen Beweisführung« bedürfe, dennoch stellte er, wie zuvor auch Sander, zu deren Untermauerung einige »typische Berührungspunkte« der beiden Krankheiten tabellarisch einander gegenüber.99 Fraglich sei lediglich, ob die Krankheitserreger bei Tier und Mensch einen Generationswechsel durchlaufen. Dies würde erklären, warum die Übertragungsversuche der Malaria vom 95 Kuhn, Impfung gegen Malaria, S. 354; Rickmann, Erreger der Pferdesterbe, S. 311–329. Zu den von Rickmann seit 1899 durchgeführten Forschungsarbeiten siehe das folgende Kapitel 1.2.2 dieser Arbeit. 96 Theiler veröffentlichte 1902 seine 1900/01 erzielten Ergebnisse. Theiler, Equine Malaria, S. 40–54. 97 Kuhn, Impfung gegen Malaria, S. 355. 98 Ebd., S. 356. Was Kuhn dabei unterschlägt, ist die Tatsache bzw. das Wissen darum, dass durch die Verimpfung von virulentem Blut die Pferdemalaria zusammen mit der Pferdesterbe übertragen werden konnte. Dieses Prinzip der Doppelinfektion durch die Impfung mit virulentem Blut wurde Rickmann endgültig im Rahmen der Impfkampagne gegen die Rinderpest 1900/01 bewusst, als bei der Nachimpfung neben Rinderpest auch Texasfieber übertragen wurde. Diese Doppelinfektion führte zu teilweise »unerklärlichen« hohen Verlusten. Siehe dazu Kapitel 2.3.2 dieser Arbeit. Die Gefahr einer Übertragung von Blutparasiten, die in den Tropen »allgegenwärtig« zu sein schienen, war auch Theiler sowie anderen Veterinären mit praktischer Impferfahrung klar. Daraufhin wurden entsprechende Anweisungen und Verordnungen erlassen und auch die Experimente dahingehend erweitert. 99 Kuhn, Impfung gegen Malaria, S. 350–351.

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Menschen auf Pferde wie auch der Pferdesterbe auf Menschen misslungen waren.100 Dennoch sei es Kuhn gelungen, das von ihm entwickelte Pferdesterbeserum erfolgreich zur Behandlung der Malaria bei Menschen einzusetzen. Zwischen Januar und April 1899 hatte Kuhn, laut eigener Aussage, »zahlreiche Eingeborene« sowie rund 20 Europäer, die allesamt zweifellos an Malaria gelitten hätten, mit Pferdesterbeserum behandelt.101 Den Einfluss der Impfungen auf den Verlauf des Malariafiebers beschrieb Kuhn als »in jedem einzelnen Fall verschieden«. Er behauptete, dass nach einer Impfung mit Pferdesterbeserum während der Fieberanfälle die Symptome während der folgenden Anfälle immer weiter an Intensität abgenommen hätten. Kuhn war überzeugt, dass das Pferdesterbeserum dem Organismus »Schutzstoffe« zugeführt habe, welche denen »der Malaria gleich oder sehr nahe verwandt« seien und so den Vorgang der Keimabtötung im Körper beschleunigt habe.102 Sollte das Pferdesterbeserum eine derartige Wirkung entfaltet haben, hätte Kuhn durch Blutbefunde den Einfluss der Impfungen nachweisen müssen. Derartige Blutbefunde erbrachte er jedoch nicht. Schlussendlich räumte Kuhn ein, dass es ihm aufgrund der »unentwickelten Verhältnisse der Kolonie« nicht möglich gewesen sei, alle Geimpften genauer zu beobachten und deren Krankheitsverläufe aufzuzeichnen.103 Seine Ausführungen über den Erfolg der Impfungen gegen die Malaria stützten sich daher lediglich auf zwei Fälle, in denen die Fieberkurven vollständig erfasst worden seien. Diese zog Kuhn heran, um die Wirkung der Impfungen zu belegen. Ungeachtet dieser sehr dünnen empirischen Beweisführung war Kuhn davon überzeugt, dass die Impfung mit Pferdesterbeserum für die kurative und prophylaktische Malariabehandlung geeignet sei. Eine leicht überarbeitete und ins Englische übersetzte Version seines Artikels sandte Kuhn an die Indian Medical Gazette. Dort erschien im April 1903 eine Rezension zu Kuhns Malariaexperimenten. Der ungenannte Rezensent war »weit davon entfernt…des Schreibers Behauptungen als erwiesen oder 100 Akten bzw. Berichte, die die Behauptung Kuhns, auch Rickmann habe »Menschenversuche« durchgeführt, bestätigen, waren nicht auffindbar. 101 Kuhn, Impfung gegen Malaria, S. 356–365. 102 Kuhn ging davon aus, dass der Organismus durch einen Malariaanfall nur solange »Schutzstoffe« produziere, bis die Zahl der Parasiten nicht mehr ausreichte, um die äußeren Krankheitserscheinungen hervorzurufen. Die »Schutzstoffe« würden mit der Zeit vom Körper ausgeschieden, bis ihre Konzentration so weit zurückgegangen war, dass es zu einer erneuten Vermehrung der Parasiten und zu einem »Rückfall« kam. Ebd., S. 359. 103 Ebd., S. 363.

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auch nur als wahrscheinlich zu betrachten« und dekonstruierte Kuhns Argumente und Behauptungen.104 Der von Kuhn aufgestellte klinische Vergleich der beiden Krankheiten sei wenig überzeugend. Selbst wenn der von Kuhn nachgewiesene Blutparasit die Pferdesterbe verursachen würde, sei dieser überhaupt nicht mit dem Erreger der Malaria identisch. Eine Anwendung des Pferdesterbeserums zur Impfung gegen Malaria sei daher von vornherein ausgeschlossen. Insgesamt handele es sich bei Kuhns Artikel um »ein gutes Beispiel für einen fehlerhaften Schluß, gezogen aus noch fehlerhafteren Behauptungen«.105 Aufgrund der Koinzidenz des zeitlichen Auftretens der Malaria und der Pferdesterbe sowie der Entdeckung ähnlicher Blutparasiten war Kuhn offenbar der Hoffnung auf wissenschaftlichen Ruhm erlegen, den die Entwicklung eines Mittels gegen die Malaria bedeutet hätte. Dabei hatte Kuhn den tiermedizinischen Kenntnisstand über die Pferdesterbe zwar rezipiert. Aus einem Gefühl der wissenschaftlichen Überlegenheit der Humanmedizin gegenüber der Veterinärmedizin heraus hatte er diesen aber offenbar nicht ernst genommen. Kuhns grundsätzliche Geringschätzung der Veterinärmedizin wird auch im Rahmen seiner weiteren Forschungen zur Pferdesterbe deutlich. Diese nahm Kuhn ab 1909 im Rahmen seiner Tätigkeit in der bakteriologischen Abteilung des Berliner Gesundheitsamtes wieder auf. Mittlerweile waren von den Regierungstierärzten in DSWA und Transvaal unterschiedliche Immunisierungsmethoden für Maultiere gegen die Pferdesterbe entwickelt worden. Diese sowie den aktuellen Stand der Forschungen zog Kuhn erneut nur sehr selektiv in Betracht. Ein grundsätzliches Problem der Schutzimpfung bestand noch immer darin, einen Infektionsstoff von einheitlicher Wirkung (Virulenz) herzustellen. Den Ausgangspunkt der von Kuhn in Berlin angestellten Experimente bildeten Ergebnisse Edingtons aus dem Jahr 1901.106 Dieser hatte versucht, durch Erwärmung virulenten Blutes einen abgeschwächten Impfstoff herzustellen. Edingtons Feldversuche waren aber fehlgeschlagen. Laut Kuhn war dieses Verfahren anschließend von den Veterinären zu Unrecht als unbrauchbar abgetan worden. Dies wollte Kuhn nun widerlegen. Als Infektionsstoff wählte er Lungenwasser von an Pferdesterbe verendeten Tieren. Dieses sollte durch Erhitzen auf eine für eine Immunisierung brauchbare Virulenz gebracht werden. Dazu erhitzte er 104 Rickmann an Gouv., 17.08.1903, Übersetzung aus der Indian Medical Gazette 119 (1903), NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-1, Bl. 76. 105 Ebd. 106 Kuhn, Immunisierung von Pferden.

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den Infektionsstoff über unterschiedliche Zeiträume mit unterschiedlichen Temperaturen. Sowohl die Temperaturen wie auch die Erhitzungszeiträume scheint Kuhn willkürlich gewählt zu haben, zumindest gibt er keine Begründungen an. Von den insgesamt 25 behandelten Versuchstieren gingen 18 (72 %) an Pferdesterbe ein. Die Quote entsprach damit den im Rahmen einer natürlichen Infektion zu erwartenden Verlusten, folglich erwiesen sich die überlebenden Tiere bei der Kontrollimpfung als immun. Kuhn führte keine weiteren Versuche zur Überprüfung einer praktischen Anwendbarkeit des Verfahrens durch. Stattdessen konstruierte er aus dem negativen Ergebnis einen vermeintlichen Erfolg. Laut Kuhn bestand ein wesentlicher Befund darin, dass sich die Inkubationszeit durch das Erhitzen des Infektionsstoffes auf bis zu 45 Tage ausgedehnt hatte. Diese Erkenntnis diente ihm als Hauptargument, um die Ergebnisse der bislang von Veterinären durchgeführten Experimente in Bezug auf die postulierte Inkubationszeit der Pferdesterbe zu kritisieren.107 Dabei ignorierte Kuhn, dass seine Erkenntnisse keinerlei praktischen Wert hatten, da eine Erhitzung und die daraus folgende Verlängerung der Inkubationszeit für die Eindämmung der natürlichen Infektionen irrelevant waren. Insgesamt fällt auf, dass sich Kuhn in seinen Veröffentlichungen häufig auf einer dünnen empirischen Grundlage zu allgemeineren Behauptungen hinreißen ließ. Dies brachte ihm zumindest in einem Fall vernichtende Kritik ein. Entsprechend wurden Kuhns Ergebnisse spätestens seit 1903 von den in den Kolonien mit der Pferdesterbeforschung befassten Veterinären und Bakteriologen nicht mehr wahrgenommen. Diese begannen sich immer stärker gegenüber den von Humanmedizinern durchgeführten tiermedizinischen Forschungen abzugrenzen. Begünstigt wurde dies durch die interkolonialen Veterinärkonferenzen108 und die Rezeption der von den Regierungen der Cape Colony und des Transvaal herausgegebenen veterinärmedizinischen Fachzeitschriften.109 107 Kuhn, Bemerkungen, S. 316–320. 108 Zu den Konferenzen und ihrem Einfluss auf die Bildung eines kolonialen veterinärmedizinischen Expertennetzwerkes siehe ausführlich Kapitel 3. dieser Arbeit. 109 Die wichtigsten veterinärmedizinischen Fachzeitschriften wurden vom Referat für Veterinärwesen spätestens seit 1910 angeschafft und waren in der Bibliothek in Gammams verfügbar. Zur Beschaffung von Fachliteratur siehe beispielhaft: Karl Borchmann an Kol.Abt., 30.05.1896, Bitte die notwendigsten Ausrüstungsgegenstände noch vor seiner Abreise nach DSWA zu besorgen, BAB R 1001/6061, Bl. 100–101; RKA an Gouv., 13.03.1910, Liste der versandten tiermedizinischen Fachliteratur, BAB R 1001/6099, Bl. 148.

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In einem 1911 vom Veterinärbakteriologen Hans Sieber veröffentlichten Artikel über die Immunisierungsverfahren gegen Pferdesterbe wurden die Forschungsergebnisse Kuhns und Sanders nicht weiter berücksichtigt und lediglich im Literaturverzeichnis aufgeführt. Dieses umfasste nahezu alle deutsch- und englischsprachigen Veröffentlichungen über die Pferdesterbe, die bis dato erschienen waren.110 Dies lässt darauf schließen, dass sich das von den Kolonialveterinären erarbeitete Expertenwissen spätestens seit Kuhns gescheiterter Pferdesterbeforschung durchgesetzt hatte. Für die Kolonialverwaltung stand damit endgültig fest, dass die im Interesse der Herrschaftssicherung durchgeführte tiermedizinische Grundlagenforschung nur von gut ausgebildeten Veterinären betrieben werden konnte. Entsprechend wurden ab 1901 nur noch die Forschungsarbeiten des Cheftierarztes Rickmann und anderer Veterinäre gefördert.

1.3.2 Erfolg durch »gegenseitige Fühlung«. Die Entwicklung eines Impfstoffes gegen die Pferdesterbe

1899 teilte Leutwein der Kol.Abt. in Berlin mit, dass »mit Rücksicht auf die militärische Wichtigkeit der Sache…Roßarzt Rickmann, unabhängig von dem von Dr. Kuhn eingeleiteten Verfahren…gleichfalls mit Impfversuchen gegen die Pferdesterbe« beauftragt worden war.111 Durch seine Widerlegung von Sanders Milzbrandthese sowie seine Beteiligung an der Bekämpfung der Rinderpest hatte Rickmann sich bereits ein gewisses Maß an Expertenwissen angeeignet sowie das Ansehen Leutweins erworben. Über den aktuellen Stand seiner Forschungsergebnisse unterrichtete Rickmann das Gouvernement regelmäßig durch Berichte und mündliche Vorträge.112 Um Immunisierungsversuche überhaupt durchführen zu können, musste Rickmann in der Lage sein, die Versuchstiere künstlich mit Pferdesterbe zu infizieren. Die Beschaffung von Infektionsmaterial  – wie auch die Über110 Hans Sieber, der 1911 am Onderstepoort Institute in Pretoria arbeitete und ab 1912 Leiter des veterinärbakteriologischen Gammams war, geht nur auf die von Koch, Theiler und Rickmann entwickelten Methoden der Hyperimmunisierung ein. Sieber, S. 343–354. 111 Leutwein an Kol.Abt., 28.12.1899, BAB R 1001/6064, Bl. 53–55. 112 Einen Bericht schloss Rickmann mit dem Worten: »Halte ich es für geboten das Kaiserliche Gouvernement…zu informieren und werde am nächsten Sonnabend darüber wieder mündlich referieren«. Rickmann an Gouv., 16.01.1900, Bericht über Pferdesterbeforschung, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-1, Bl. 30–31.

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prüfung von Immunisierungsversuchen – konnte jeweils nur während der Regenzeit zwischen November und April, wenn die Pferdesterbe gehäuft auftrat, erfolgen. Entsprechend war Rickmann 1899 zunächst damit beschäftigt, Blut von erkrankten bzw. an der Sterbe verendeten Tieren zu sammeln.113 Im Anschluss blieb für komplexere Immunisierungsversuche keine Zeit. Stattdessen führte Rickmann einige »einfachere« Versuchsreihen durch, bei denen er erfolglos versuchte, die Infektiosität des »Sterbeblutes« durch den Zusatz von Chemikalien oder Erwärmung abzuschwächen.114 Nach dem Vorbild der von Theiler in Transvaal seit 1899 durchgeführten Pferdesterbeversuche plante Rickmann, zur Sterbesaison 1900/1901 Experimente auf der Basis des serotherapeutischen Ansatzes aufzunehmen. Dieser galt als einer der vielversprechendsten Ansätze der zeitgenössischen Immunologie und war in Transvaal bereits 1898 erfolgreich zur Entwicklung eines Impfverfahrens gegen die Rinderpest angewandt worden.115 Dabei wurden die Tiere einer Simultanimpfung mit Blutserum immuner Tiere sowie virulentem Blut unterzogen. Um das benötigte Immunserum zu erhalten, mussten zunächst Pferde angekauft werden, die eine natürliche Infektion überlebt und so eine Immunität entwickelt hatten. Um ein möglichst hochwirksames Immunserum zu erhalten, wurde die Immunität dieser »gesalzenen« Tiere durch die Injektion progressiv steigender Mengen infektiösen Blutes »hochgetrieben«, bis sie schließlich mehrere Liter »Sterbeblut« vertrugen, ohne ausgeprägte Krankheitssymptome zu entwickeln. Insgesamt handelte es sich um ein sehr zeitaufwendiges und kostenintensives Verfahren, bei dem eine große Anzahl von Versuchstieren geopfert werden musste. Diese Pläne musste Rickmann jedoch zurückstellen. Zum einen gestaltete sich die Beschaffung »gesalzener« Pferde äußerst schwierig. Zum anderen kam es in Folge des Ausbruches des Südafrikanischen Krieges auch in 113 Rickmann an Gouv., 21.09.1899, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-1, Bl. 26. 114 Rickmann, Impfung von Maultieren. 115 Zur Entwicklung der Impfmethode gegen Rinderpest siehe Kapitel 2.2 und 2.3 dieser Arbeit. Als Vorbild für die serotherapeutischen Forschungen im südlichen Afrika diente die in den 1890er Jahren in Europa entwickelte Behandlung der Diphterie. Im Berliner Institut für Infektionskrankheiten hatten Behring und Kitasato festgestellt, dass das Blutserum von genesenen Diphterie-Patienten ein neutralisierendes Antitoxin enthielt. Mit dem Blutserum konnten Erkrankte erfolgreich therapiert und gesunde Probanden vor einer Infektion geschützt werden. In den 1890er Jahren wurde ein Verfahren zur Produktion von Antitoxin entwickelt. Dazu wurden immune Pferde mit progressiv steigenden Mengen von Diphterie-Toxin geimpft. Siehe dazu detaillierter: Weindling, S. 72–84. Zur Bedeutung dieses Ansatzes bei der Pferdesterbeforschung in Transvaal und Südafrika siehe: Gilfoyle, Veterinary Immunology, S. 38–42.

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DSWA zwischen 1900 und 1902 zu etlichen Tierseuchenausbrüchen, deren Eindämmung die volle Aufmerksamkeit der Veterinäre erforderte.116 Auf der Grundlage des verfügbaren Wissensstandes erarbeitete Rickmann daher zunächst veterinärpolizeiliche Empfehlungen. Grundsätzlich sollten »an Sterbe eingegangene Tiere, am besten durch Verbrennen oder…Vergraben in trockenem Erdreich« beseitigt sowie die Ställe und Kraale gründlich desinfiziert werden. Ferner sollte die Durchführung von Sterbeversuchen in der Nähe von Verkehrswegen und größeren Ortschaften untersagt werden.117 Im Interesse der Herrschaftssicherung wollte vor allem das Militär möglichst optimal auf den Ausbruch der Pferdesterbe vorbereitet sein. Auf Anfrage des Schutztruppenkommandanten erstellte Rickmann im Januar 1902 für die Pferdedepots des Militärs Rezepte zur Behandlung von an Pferdesterbe erkrankten Tieren.118 Ergänzend zu der Praxis der »Sterbeposten« hätten sich demnach bei frühem Erkennen der Krankheit folgende Maßnahmen bewährt: Starker Aderlass, Prißnitz’sche Umschläge,119 Einreibungen mit Terpentin, Campher und Sublimat sowie die Inhalation von Schwefelund Creolindämpfen. Aber auch das Verabreichen großer Mengen Alkohols (0,5 Liter Rum) habe sich positiv ausgewirkt.120 Mit dieser Auflistung fasste Rickmann Behandlungsmethoden zusammen, die seit längerem von Farmern und anderen tiermedizinischen Laien angewandt und immer wieder empfohlen wurden. Wohl wissend, dass die Wirkung dieser Behandlungsmethoden wissenschaftlich nicht bewiesen und höchst zweifelhaft war, setzte Rickmann Anfang 1902 die Versuche zur Entwicklung einer Serumimpfung fort. Als Versuchstiere wurden ihm regelmäßig ausgemusterte Pferde und Maultiere vom Kommando der Schutztruppe sowie dem Regierungsgestüt Nauchas 116 Dazu gehörte auch das Aufflackern der Rinderpest zwischen 1900 und 1902. Siehe dazu ausführlicher Kapitel 2.3.2 dieser Arbeit. 117 Rickmann an Gouv., 15.11.1901, Veterinärpolizeiliche Vorschläge auf Grundlage der Forschungsergebnisse, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-1, Bl. 49–50. 118 Rickmann an Gouv., 09.02.1900, betr. Erreger der Pferdesterbe, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-1, Bl. 31–32a. 119 Dabei handelt es sich um eine von Vinzenz Prießnitz eingeführte Form der Anwendung von feuchter Wärme bei Erkrankungen: in kaltes Wasser getauchte und wieder ausgewrungene, dann mehrfach zusammengelegte Tücher werden auf den erkrankten Körperteil gelegt, mit trockenen wollenen Tüchern dicht bedeckt, und bleiben mehrere Stunden liegen, wobei sich die Kälte bald in feuchte Wärme umwandelt. Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911, S. 455. 120 Rickmann an Kommando Schutztruppe, 16.01.1902, Recepte für Heilverfahren bei der Pferdesterbe, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-1, Bl. 73.

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überstellt.121 Um weiteres Infektionsmaterial zu erhalten, forderte Rickmann alle Distrikt- und Bezirksämter auf, standardisierte Obduktionsberichte samt Blutproben von allen an Pferdesterbe verendeten Tieren zu erstellen und an das Institut Gammams zu senden.122 Die Präparation der Serumtiere zog sich bis zum Ende des Jahres 1903 hin. Die für Anfang 1904 geplanten ersten praktischen Versuche konnten aufgrund des Ausbruchs des Namibischen Krieges nicht ausgeführt werden. Bereits zu Beginn der Kampfhandlungen wurde das bakteriologische Institut in Gammams zerstört und die Serumtiere gestohlen.123 Nach der »Schlacht am Waterberg« kam es ab August 1904 kaum noch zu größeren, offen geführten Gefechten.124 Die »Aufständischen« begannen stattdessen, einen kleinteiligen Guerillakrieg gegen das deutsche Militär zu führen, das darauf mit einer genozidalen Kriegsführung reagierte. Zur Verfolgung der versprengten Herero und Absperrung der Omahekewüste wie auch zur Bekämpfung der Nama und anderen »Räuberbanden« im Süden der Kolonie steigerte die Schutztruppe die Intensität von Patrouillenritten.125 Um diese Strategie taktisch umsetzen zu können, mussten die Soldaten auch während der Regenzeit möglichst uneingeschränkt operieren können. Entsprechend groß war das Interesse an einem verlässlichen Immunisierungsverfahren gegen die Pferdesterbe. Nach dem Wiederaufbau des Instituts Gammams Ende 1904, nahm Rickmann daher ab April 1905 die Arbeiten zwecks Immunisierung von Einhufern gegen die Pferdesterbe mit »allem Nachdruck« wieder auf. Unterstützt wurde er dabei vom Regierungstierarzt 121 Rickmann an Kommando Schutztruppe und Gestütsverwaltung Nauchas, 07.02.1902, NAN ZBU 1330/O IV B2 Bd 1, Bl. 55; Leipziger an Kommando Schutztruppe, 08.05.1906, Empfangsbestätigung über den Erhalt von 18 dienstuntauglichen Pferden, NAN ZBU 1302 O.II.c.3-1, Bl. 65. 122 Rickmann Rundschreiben, 15.09.1903, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-1, Bl. 78. 123 Rickmann, Impfung von Maultieren, S. 2. 124 Zum allgemeinen Verlauf des Namibischen Krieges, der in der Forschung lange in den Krieg gegen die Herero und den anschließenden Waffengang gegen die Nama unterteilt wurde und wird, siehe: Kuß, S. 62–77; Hillebrecht, Nama und der Krieg, S. 121–133. 125 Die Kriegsführung wurde insgesamt sehr stark von Tierseuchen beeinflusst. Neben der Pferdesterbe waren es vor allem der Rotz der Einhufer sowie die Rinderpest und Lungenseuche, die die Operationen der Schutztruppe wie auch den militärischen Nachschub immer wieder zum Erliegen brachten. Da eine flächendeckende Überwachung und Impfung der Tierbestände aufgrund des Kriegszustandes nicht gewährleistet werden konnte, versuchte die Militärführung die gravierendsten Einschränkungen durch den Import von Maultieren und Kamelen abzufedern, da diese gegenüber den meisten Tierseuchen relativ unempfänglich waren. Zum Einsatz von Kamelen in DSWA siehe: Janssen, S. 32–95; Massmann.

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Erwin Leipziger, der kurz zuvor in der Kolonie eingetroffen war.126 Einen konkreten Ansatzpunkt für weiterführende Immunisierungsversuche bildeten zwei Berichte von Robert Koch über ein von ihm in Rhodesien 1903/04 entwickeltes Impfverfahren.127 Demnach sollte jedes einzelne Tier über den Zeitraum von 60 bis 96 Tagen durch die Injektion progressiv gesteigerter Mengen virulenten Blutes und entsprechender Nachimpfung mit Serum immunisiert werden.128 Nach einem ersten größeren Versuch 1905 stellte Leipziger fest, dass diese »Immunisierungen sehr langsam fortschreiten und so auch dieser grosse Forscher…kein für die Praxis im grossen Stil geeignetes Verfahren« hinterlassen habe.129 Außerdem belegten die Versuche, dass die Serumimpfung gegen die Pferdesterbe zwar prinzipiell Ähnlichkeiten mit derjenigen gegen die Rinderpest hatte, aber »nach verschiedenen Richtungen hin mit grösseren Schwierigkeiten verbunden« war. So zeigte sich, dass Maultiere im Gegensatz zu Pferden deutlich resistenter gegenüber der Sterbe waren und sich erheblich leichter gegen die Krankheit immunisieren ließen. Entsprechend konzentrierten sich die weiteren Versuche zunächst darauf, Maultiere für die Serumproduktion einzusetzen. Dazu wurde den Tieren virulentes Blut im Abstand von zehn bis 14 Tagen in langsam steigenden Dosierungen subkutan injiziert. Mit Hilfe dieses von Rickmann als »Progressionsimpfung« bezeichneten Verfahrens gelang es, die Tiere vollkommen ohne Immunserum über einen Zeitraum von ca. drei Monaten gegen eine natürliche Infektion zu immunisieren. Aufgrund der langen Dauer eignete sich die Progressionsimpfung aber nicht für die Immunisierung größerer Bestände. Rickmann und Leipziger verfügten nun aber über eine verlässliche Methode zur künstlichen Präparation von Serumtieren, was die Anschaffung der sehr teuren »gesalzenen« Pferde überflüssig machte. Mit Hilfe der Progressionsimpfung wurden Ende 1905 zunächst 40 Maultiere in Gammams »hochgetrieben«, um sie als Serumlieferanten verwenden zu können.130 Die Militärverwaltung hoffte, schnell eigene Serumtiere präparieren zu können 126 Rickmann an Gouv., 17.04.1905, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-2, o.P. (Brandschaden) 127 Koch, Progress Report; Koch, Second Report. Die beiden in Salisbury gedruckten Berichte finden sich in den Akten des Gouvernements NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-1. 128 Koch, Second Report, S. 6–8. 129 Leipziger an Gouv., 11.12.1905, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-2., o.P. (Brandschaden) 130 Die erste Dosierung betrug 0,0005 ccm Virus. Diese Menge wurde dann allmählich auf 0,001, 0,01, 1,0 bis auf 5,0 ccm gesteigert. Die subkutane Injektion zog Rickmann der intravenösen Injektion vor, letztere war technisch deutlich komplizierter durchzuführen. Rickmann, Impfung von Maultieren, S. 5–9.

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und ließ kurz darauf weitere 40 Maultiere auf dem Militärposten Goreangab (ca.  drei Kilometer von Gammams entfernt) mit Hilfe der Progressionsimpfung »hochtreiben«. Die von Oberveterinär Jacobsen durchgeführten Impfungen führten jedoch zu hohen Verlusten und wurden daraufhin vorübergehend eingestellt.131 Hatten zunächst noch die Forschungsarbeiten von Robert Koch als Orientierung für weitere Versuche gedient, befassten sich Rickmann und Leipziger hinsichtlich der Entwicklung eines Immunisierungsverfahrens nun intensiver mit den von Arnold Theiler in Transvaal erarbeiteten Erkenntnissen. Im Rahmen der Vorbereitung weiterer Versuche nahm Rickmann spätestens im Dezember 1905 direkt Kontakt zu Theiler auf.132 Dieser hatte bereits 1904 durch Simultanimpfungen (gleichzeitige Injektion von Immunserum und virulentem Blut) erste Erfolge bei der Immunisierung von Maultieren erzielt.133 Ende Januar 1906 erklärte sich Theiler damit einverstanden, Rickmann 50 Dosen des von ihm produzierten Pferdesterbeserums samt der dazugehörigen Impfinstruktionen zur Verfügung zu stellen.134 Rickmann erhielt so genauere Kenntnisse über die Durchführung von Theilers Immunisierungsverfahren. Parallel verfolgten Rickmann und Leipziger weiterhin eigene Versuche zur Entwicklung eines Verfahrens, das sie als »Inkubationsimpfung« bezeichneten. Dazu wurde den Tieren zunächst eine geringe Dosis infektiösen Blutes injiziert. Drei Tage nach der künstlichen Infektion erfolgte die Impfung mit Immunserum. Zwölf bis 14 Tage später erfolgte eine weitere Impfung mit infektiösem Blut. Die letzte Impfung diente sowohl zur Prüfung der Immunität als auch der »Festigung und Erhöhung« derselben.135 Da ein Großteil der bei den Versuchen verwandten Maultiere in der Cape Colony angekauft worden war, konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die Tiere bereits über 131 Ebd., S. 8–13. 132 Handschriftlicher Vermerk Rickmanns »Ich habe bereits privatim Theiler geschrieben« auf dem Bericht Leipzigers an Gouv., 21.12.1906, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-1, o.P. (Brandschaden). 133 Bei größeren Tieren erfolgte fünf Tage später eine Nachimpfung mit Serum. Zu den Forschungen Theilers im Kontext von Immunisierungstheorien und deren praktischer Umsetzung siehe ausführlich: Sieber, S. 350 sowie Gilfoyle, Veterinary Immunology, S. 37–48. 134 Theiler an Gouv., 11.01.1906, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-1, o. P. (Brandschaden) 135 Die durch die Impfung mit Virus und Blut erzielte passive Immunität wurde durch die erneute Injektion virulenten Bluts in eine aktive umgewandelt. Rickmann, Impfung von Maultieren, S. 35–36.

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eine natürlich erworbene Immunität gegenüber der Pferdesterbe verfügten. Da dies die Impfresultate verfälschen konnte, veranlasste Rickmann den Ankauf von Maultieren in Argentinien. Bei diesen Tieren konnte mit Sicherheit eine natürliche Immunität ausgeschlossen werden.136 Bis April 1906 war die Inkubationsimpfung an den argentinischen Tieren erfolgreich erprobt und als tauglich für die praktische Impfung von Maultieren befunden worden. Zwar blieb die Immunisierung von Pferden weiterhin problematisch, Rickmann sah sich im April 1906 aber im Stande, »in der nächsten Trockenzeit die Mengen von Serum, welche von dem Gouvernement und von Privatleuten zur Maultierimpfung gebraucht werden, herzustellen, nicht aber den grossen Bedarf der Truppe«.137 Aufgrund des 1906 noch andauernden Krieges hatte das Militär weiterhin sehr großes Interesse an einer möglichst schnellen Impfung seiner Maultierbestände. Um im Interesse der Schutztruppe Zeit und Kosten zu sparen, schlug Rickmann vor, dass die Militärverwaltung sich mit eigenen Mitteln an der Serumproduktion und weiteren Forschungsarbeiten beteiligen sowie einen Veterinär abstellen sollte. Letzterer sollte in Gammams theoretisch und praktisch in der komplizierten Herstellung von Sterbeserum unterwiesen werden. Der Kommandeur der Schutztruppe, Ludwig von Estorff, nahm das Angebot an. Im Mai 1906 wurde der Oberveterinär Georg Reinecke nach Gammams abkommandiert. Zusätzlich überstellte das Kommando der Schutztruppe auch »eingeborene Arbeiter«, weitere Versuchstiere sowie ein Stallzelt.138 Über die von ihm ausgeführten »Immunisierungsarbeiten« verfasste Reinecke 1909 seine Doktorarbeit. Diese stellte die erste auf Deutsch erschienene Zusammenstellung des veterinärmedizinischen Forschungsstandes zur Afri­kanischen Pferdesterbe dar. Neben den in DSWA durchgeführten Versuchen geht Reinecke insbesondere auf die Forschungsergebnisse aus der Cape C ­ olony und Transvaal ein.139 Die Arbeiten von Sander und Kuhn erwähnte er – wie später auch Hans Sieber – lediglich der Vollständigkeit halber. Dies belegt erneut, dass sich die veterinärmedizinische Forschung in DSWA 1906 136 Insgesamt kaufte das Gouv. 50 Maultiere im Wert von 21.000 Mark für Versuchs­ zwecke an. Graf v. Königsmark aus Buenos Aires an Gouv., 18.08.1906, NAN ZBU 1302 O.II.c.3-1, Bl. 41. 137 Rickmann an Gouv., 24.04.1906, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-2, Bl. 2–4a, hier: Bl. 3. 138 Estorff an Gouv., 04.06.1907, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-2, Bl. 51. Das gesamte Personal und Material wurde im Juni 1907 wieder abgezogen. 139 Reinecke, S. 80–85.

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bereits vollkommen an dem in den Nachbarkolonien produzierten Wissen orientierte.140 Zusammen mit Reinecke und dem von Theiler gelieferten Serum führten Rickmann und Leipziger in Gammams zunächst weitere, erfolglos verlaufende Immunisierungsversuche an Pferden durch.141 Gleichzeitig begannen sie mit der Produktion von Serum zur Impfung von Maultieren. Anfang August 1906 stand genug Serum zur Verfügung, um erste Probeimpfungen auf einem Militärposten durchführen zu können. Nachdem diese positiv ausgefallen waren, leitete Reinecke, unterstützt von zwei weiteren Militärtierärzten, zwischen Mitte August und September 1906 einen ersten größeren Feldversuch. Insgesamt wurden 715 Maultiere der Schutztruppe geimpft. Dabei kamen sowohl die Inkubations- wie auch die Simultanimpfung zur Anwendung, um deren Eignung für Massenimmunisierungen zu prüfen.142 Parallel dazu impften Rickmann und Leipziger weitere 140 Maultiere des Gouvernements. Während bei letzteren lediglich 3 % der Tiere infolge der Impfung starben, waren die Verluste der Schutztruppe mit 9,1 % deutlich höher.143 Die höhreren Verluste führten Leipziger und Reinecke auf die unsachgemäße Haltung der Tiere zurück.144 Kommandeur von Estorff bezeichnete die Immunisierung der Schutztruppen-Maultiere dennoch als insgesamt erfolgreich, da von den überlebenden Tieren keines an Sterbe erkrankte. Darüber hinaus wusste von Estorff, dass im Rahmen der von Theiler in Transvaal durchgeführten Impfungen ähnlich hohe Verluste aufgetreten waren.145 Für die Militärführung bewegten sich die aufgetretenen Impfverluste daher innerhalb eines akzeptablen Toleranzbereiches und von Estorff 140 Da das Institut in Gammams Anfang 1904 zerstört und geplündert worden war, ist davon auszugehen, dass sich die älteren Veröffentlichungen im Privatbesitz Rickmanns befunden haben und nicht im Institutsgebäude aufbewahrt worden waren. Aufgrund von Rickmanns Vorgehen liegt zudem die Vermutung nahe, dass er bis etwa 1903 die in der Cape Colony und dem Transvaal durchgeführten Forschungsarbeiten nur bruchstückhaft rezipierte. 141 Die Tiere reagierten individuell sehr unterschiedlich auf die Injektion mit Sterbevirus und gingen in der Mehrzahl der Fälle ein. Reinecke, S. 47–49. 142 Ebd., S. 52–61. 143 Zu den Verlustzahlen siehe: Leipziger an Gouv., 20.05.1908, Bericht über die Immunisierung von Maultieren und Pferden gegen die Pferdesterbe, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-2, Bl. 113–130, hier: Bl. 125; Estorff an Gouv., 16.10.1907, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-2, Bl. 87. 144 Ebd.; Reinecke, S. 60; Leipziger an Gouv., 22.10.1907, Stellungnahme NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-2, Bl. 88. 145 Estorff an Gouv., 16.10.1907, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-2, Bl. 87.

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bekundete ein weiterhin ungebrochenes Interesse an der Fortführung der Immunisierungsversuche. Ende 1906 wurde Reinecke vom Oberveterinär Kitzel abgelöst.146 Nachdem Rickmann Ende 1906 aus gesundheitlichen Gründen aus dem Kolonialdienst ausscheiden musste, übernahm Leipziger die Leitung der Forschungsarbeiten in Gammams. Dabei konzentrierte er sich auf die weitere Entwicklung der Simultanimpfung. Diese hatte sich für die Immunisierung größerer Tierbestände als vorteilhafter erwiesen, da die Tiere nur zweimal eingefangen und geimpft werden mussten, während die Inkubationsimpfung drei aufeinanderfolgende Injektionen erforderte. Zwar stellte die Militärführung die personelle Unterstützung im Zuge der Anfang 1907 begonnenen Reduktion der Truppenstärke ein, die Schutztruppe leistete aber weiterhin materielle Unterstützung in Form von Versuchs- und Serumtieren.147 Nach der 1907 erfolgten organisatorischen Trennung zwischen Militärund Zivilverwaltung begann das Militär zudem mit eigenen Immunisierungsversuchen. Unter der Leitung des Oberveterinärs Kitzel wurde zwischen November 1907 und März 1908 an 255 Maultieren der Schutztruppe ein Feldversuch zur weiteren Optimierung der Simultanimpfung durchgeführt. Ziel war es, das wirksamste Verhältnis zwischen Serum und Infektionsstoff zu ermitteln. Dazu wurden den Tieren bei gleichbleibender Serummenge unterschiedlich hohe Dosierungen virulenten Blutes injiziert und eine anschließende Nachimpfung mit Serum vorgenommen. In einem zweiten Durchlauf wurde die Serumdosis reduziert und die Nachimpfung weggelassen. Nur Tiere, die eine sehr starke Reaktion auf die Impfung zeigten, wurden mit Serum behandelt. Diese Heilimpfung hatte auf den weiteren Krankheitsverlauf in allen Fällen einen positiven Einfluss. Damit war der Nachweis erbracht, dass das Pferdesterbeserum bei Maultieren auch kurativ angewandt werden konnte. Da die beteiligten Veterinäre zusätzlich darauf achteten, dass die Haltungsbedingungen der Tiere möglichst optimal waren, fielen die Impfverluste mit rund 3 % zufriedenstellend aus.148 Somit verfügte die Kolonialverwaltung über ein praktikables und sicheres Verfahren zur Immunisierung von Maultieren. Durch die Immunisierung der Maultiere war das Militär in der Lage, auch während der »Sterbesaison« Patrouillenritte durchzuführen. Der zuvor während der Regenzeit durch die Pferdesterbe erzwungene 146 Estorff an Gouv., 04.07.1907, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-2, Bl. 51. 147 Ebd. 148 Leipziger an Gouv., 20.05.1908, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-2, Bl. 126–129.

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zweitweise Einbruch der kolonialen Kontrolle konnte so wenigstens abgefedert werden. Weiterhin problematisch blieb jedoch die Immunisierung von Pferden. Diese gingen noch immer relativ häufig infolge der Impfung ein. Bis Anfang 1908 führte Leipziger daher noch weitere Immunisierungsversuche zur Verbesserung der Simultanimpfung an Pferden durch. Dabei impfte er die Tiere mehrfach über einen Zeitraum von drei Monaten. Um eine langsame Gewöhnung der Pferde an den Infektionsstoff zu erzielen, senkte Leipziger graduell die Menge des injizierten Serums, während er die Dosis des infektiösen Blutes entsprechend erhöhte. Die Versuche fielen zwar sehr disparat aus, gaben aber, laut Leipziger, Grund zur Hoffnung, dass sich durch weitere Forschungen das Impfverfahren wesentlich verkürzen sowie die Impfverluste deutlich reduzieren lassen würden.149 Ende 1908 verließ auch Leipziger DSWA . Trotz der positiven Aussichten, ein Immunisierungsverfahren für Pferde entwickeln zu können, kamen durch den Weggang von Rickmann und Leipziger die Forschungsarbeiten über die Pferdesterbe zum Erliegen. Auch wurde die aufwendige und komplizierte Produktion von Impfserum für Maultiere in Gammams zwischen 1908 und 1912 offenbar vollkommen eingestellt. Die nach dem Weggang von Leipziger und Rickmann in der Kolonie anwesenden Veterinäre verfügten nicht über die zur Herstellung von Immunserum erforderlichen theoretischen und praktischen Kenntnisse.150 In der zeitgenössischen Fachliteratur findet sich immer wieder der Hinweis, Rickmann und Theiler hätten nahezu zeitgleich und unabhängig voneinander Immunisierungsmethoden gegen die Pferdesterbe entwickelt.151 Tatsächlich profitierten die von Rickmann und Leipziger betriebenen Forschungen aber spätestens ab 1903 von der »wissenschaftlichen Einzelarbeit unter gegenseitiger Fühlung«.152 Neben der zunehmenden Rezeption der Forschungsergebnisse aus den anderen Kolonien des südlichen Afrika gehörte dazu auch der direkte Austausch mit anderen Experten. Im Interesse einer möglichst optimalen Seuchenbekämpfung scheuten sich diese auch 149 Leipziger an RKA & Gouv., 11.08.1908, Bericht über die Immunisierung gegen die Pferdesterbe, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-2, Bl. 145–222. 150 Ende 1911 wurde die Aufnahme der Serumproduktion angekündigt. Gouv. an RKA, 11.12.1911, NAN ZBU 1302 O.II.c.1-1, Bl. 9–10. 151 Jacobsen, S. 23. Rickmann selbst behauptete 1907, sich unabhängig von den Forschungen Theilers und Kochs »bereits mehrere Jahre vor den in Betracht kommenden Veröffentlichungen der Serummethode als der aussichtsvollsten zugewandt« zu haben. Rickmann, Impfung von Maultieren, S. 4. 152 Rickmann, Tierzucht und Tierkrankheiten, S. 76.

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nicht, wie das Beispiel Theiler gezeigt hat, die Ergebnisse ihrer Arbeit zugänglich zu machen. Rickmann und Leipziger verfolgten zwar mit der Inkubationsimpfung zunächst einen eigenen Ansatz. Dieser basierte aber auf demselben theoretischen Modell und den gleichen praktischen Methoden wie die von Theiler entwickelte Simultanimpfung. Die wiederum war zuvor bereits erfolgreich bei der Bekämpfung anderer Tierseuchen in den Kolonien angewandt worden. Mit der Pferdesterbeforschung erarbeiteten sich Theiler, Rickmann und Leipziger nicht nur weiteres koloniales Expertenwissen, sondern trugen auch zur Etablierung und weiteren Festigung des kolonialen Expertennetzwerkes bei. In Bezug auf die Entwicklung eines Immunisierungsverfahrens für Pferde sowie die Lieferung von Impfstoff spielten die interkolonialen Kontakte der Experten ab 1909 eine wichtige Rolle. Gleichzeitig wurde versucht, die engere transkoloniale Kooperation durch die Entwicklung eines Pferdesterbeimpfstoffes in Deutschland einzudämmen.

1.4 Deutschland oder Südafrika? Beschaffung und Anwendung von Pferdesterbeimpfstoff zwischen 1909 und 1924 Während ein Immunisierungsverfahren gegen die Pferdesterbe für Maultiere zur Verfügung stand, stockten die Versuche, mit Hilfe des serotherapeutischen Ansatzes eine Impfmethode für Pferde zu entwickeln. Ein Hauptproblem bestand darin, dass die meisten Immunsera bei Pferden eine tödliche Hämolyse verursachten. Nachdem Rickmann in der zweiten Jahreshälfte 1906 aus gesundheitlichen Gründen nach Deutschland ausreisen musste, nutzte er seinen Aufenthalt, um am Frankfurter Institut für experimentelle Therapie von Prof. Ehrlich einen »Serum-Kurs« zu belegen.153 Rickmanns serologische Kenntnisse beruhten bis dahin im Wesentlichen auf in der Kolonie gesammelten praktischen Erfahrungen sowie autodidaktischen Studien. Im Anschluss an den Kurs wollte sich Rickmann der Lösung des Problems der hämolytischen Wirkung der Pferdesterbesera widmen.154 Dazu erhielt er Ende 1906 »Sterbeblut« sowie einige Dosen Maultierserum aus Gammams.155 Rickmann führte seine weiteren Versuche zur Entwicklung eines 153 Rickmann war für mindestens zwei Monate an Ehrlichs Institut in Frankfurt. Rickmann an Kol.Abt., 16.12.1906, BAB R 1001/6077, Bl. 68. 154 Rickmann an Kol.Abt., 14.07.1906, BAB R 1001/6077, Bl. 12. 155 Ende Dezember trafen Serum und infektiöses Blut in Hamburg ein. Rickmann an Kol.Abt., 30.12.1906, BAB R 1001/6077, Bl. 72.

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Immunisierungsverfahrens offenbar in enger Zusammenarbeit mit den in Höchst am Main ansässigen »Höchster Farbwerken vormals Meister Lucius & Brüning« durch. Ende März 1908 wandten sich die Höchster Farbwerke erstmals an das RKA . Laut dem Schreiben sei es gelungen, das Problem der Hämolyse zu lösen und ein Impf- und Heilverfahren für Pferde zu entwickeln. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Laborversuche waren die Vertreter der Farbwerke überzeugt, »nunmehr zur Erzeugung eines wirksamen Sterbeserums im großen« übergehen zu können.156 Dies knüpfte die Firma aber an die Bedingung, dass das RKA den »Ersatz der gehabten Kosten und der geleisteten Arbeit in sichere Aussicht« stellte. Die Farbwerke hatten sich, laut eigener Aussage, auf Veranlassung Robert Kochs seit längerem mit der Gewinnung eines Heil- und Impfstoffes zur Bekämpfung der Pferdesterbe befasst. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Initiative für die Durchführung der Forschungsarbeiten wie auch die dafür notwendigen Präparate und Infektionsstoffe mit Rickmann zur Firma Höchst gelangt sind. Die Forschungsarbeiten beruhten mithin vollständig auf kolonialem Wissen. Nahezu alle Kenntnisse über die Pferdesterbe und insbesondere die praktischen Erfahrungen mit Präventions- und Bekämpfungsmaßnahmen wie auch das gesamte Untersuchungsmaterial waren in den Kolonien produziert worden. Im Rahmen der Verhandlungen mit dem RKA trat Rickmann wiederholt als Berater der Farbwerke auf 157 und traf dabei auf einen alten Bekannten. Für das RKA führte der ehemalige Gouverneur von DSWA, Friedrich von Lindequist, die Verhandlungen.158 Diese zogen sich bis Anfang 1910 hin. Im Wesentlichen ging es um die Modalitäten eines Vertrages zwischen den Höchster Farbwerken und dem RKA bzw. der Reichsregierung. Gegen die Zahlung einer Abfindungssumme von 100.000 Reichsmark war die Firma bereit, dem RKA die Details zur Herstellung des Immunserums mitzuteilen sowie den gesamten Bestand an bereits produziertem Serum samt aller Serumtiere abzutreten. Die genaue Höhe der Abfindung sollte von dem Ergebnis eines größeren, mit Unterstützung eines Gesandten der Farbwerke in 156 Höchster Farbwerke an RKA, 27.03.1908, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-2, Bl. 225. 157 Abschrift des Berichtes über die Verhandlungen zwischen RKA und den Höchster Farbwerken, 24.06.1908, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-2, Bl. 231; RKA an Gouv., 14.03.1910, Bericht über die weiteren Verhandlungen mit den Höchster Farbwerken, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-3, Bl. 55–57. 158 Lindequist an Höchster Farbwerke, 20.06.1908, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-2, Bl. 229 sowie Lindequist an Höchster Farbwerke, 02.12.1909. NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-3, Bl. 49.

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der Kolonie durchgeführten Feldversuches abhängig sein. Nach dem erfolgreichen Test sollte die Kolonialverwaltung in DSWA die Produktion und den Verkauf des Serums übernehmen. An den erzielten Einnahmen seien die Farbwerke »angemessen zu beteiligen«.159 Die Höchster Farbwerke behaupteten ferner, ihr Immunserum sei gegen­ über dem von Theiler in Transvaal entwickelten deutlich besser und verträglicher.160 Da vor allem die Schutztruppe nach wie vor ein großes Interesse an einem Pferdesterbeimpfstoff hatte, setzte Lindequist im Juli 1909 das Gouvernement von den Verhandlungen in Kenntnis und erbat einen detaillierten Bericht über die Wirksamkeit des »Theiler’schen Impfstoffes«. In DSWA war dieser Impfstoff aber bislang kaum zum Einsatz gekommen und es fehlten entsprechende Erfahrungswerte. Gouverneur Schuckmann zog daher den Nachfolger Rickmanns, Cheftierarzt Otto Henning, hinzu. Henning, der zuvor 16 Jahre als Regierungstierarzt in Britisch-Südafrika tätig gewesen war, bezweifelte, dass das von den Höchster Farbwerken hergestellte Serum die »ausgezeichneten Eigenschaften des Theilerschen Serums« übertreffen könne. Da das Höchster Serum die »Feuerprobe im afrikanischen Veld noch nicht bestanden« habe, befürwortete Henning, vor Abschluss eines Vertrages größere Feldversuche in der Kolonie durchzuführen. Darüber hinaus empfahl er dem RKA, Theiler anlässlich seines Aufenthalts in B ­ erlin161 Einblick in die Arbeiten der Höchster Farbwerke zu gewähren. Dazu ist es aber offenbar nie gekommen.162 In die weiteren Verhandlungen wurde die Veterinärbehörde in Windhoek eng eingebunden. Da die Farbwerke keinerlei Detailinformationen über die Gewinnung und Anwendung des vermeintlichen Heil- und Immunserums preisgaben, fielen Hennings Gutachten sehr verhalten aus. Aufgrund seiner Expertise bestimmten sie aber maßgeblich die Verhandlungsposition des RKA . Dabei ging es vor allem um die Bewertungskriterien des durchzuführenden Feldversuches. Nach Hennings Ansicht, waren die von den Farb­ werken vorgeschlagenen Höchstgrenzen für Impfverluste von 20–50 % viel zu 159 Höchster Farbwerke an RKA, 25.02.1910, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-3, Bl. 58. 160 Lindequist an Gouv., 15.07.1909, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-3, Bl. 20–21. 161 Arnold Theiler befand sich im Juli 1909 auf einer Europareise anlässlich des inter­ nationalen Tierärztlichen Kongresses in Den Haag. Siehe dazu ausführlich Kapitel 3.2 dieser Arbeit. 162 Schuckmann an RKA, 20.08.1909, betr. Imfungen gegen Sterbe, BAB R 1001/6067, Bl. 126–128. Der von Henning überarbeitete und kommentierte Bericht findet sich in den Akten der Kolonialverwaltung. Henning an RKA, 20.08.1909, Gutachten, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-3, Bl. 23–25.

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hoch gegriffen. Unter Berufung auf seine langjährige praktische Erfahrung als Tierarzt im südlichen Afrika wies Henning darauf hin, dass ein Impfverfahren, »um praktisch brauchbar zu sein, höhere Gesamtverluste wie 10–15 % auf keinen Fall verursachen« dürfe.163 Zudem lehnte Henning den Vorschlag ab, die Versuchsimpfung an 20–30 Pferden durchzuführen. Die Pferdesterbe sei in der Kolonie »in sehr großen Gebieten in grösserem oder geringerem Masse [sic] heimisch«, daher gebe es bei der Auswahl der Versuchstiere keine Gewissheit darüber, ob diese nicht bereits eine natürliche Immunität erworben hätten. Aufgrund dessen müsse ein Praxistest an wenigstens 100 Tieren und über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren ausgeführt werden.164 Nur auf der Grundlage solcher Ergebnisse sei es sinnvoll, weitere Verhandlungen zu führen. Die Farbwerke ließen sich offenbar nicht auf eine längerfristige Prüfung ihres Serums ein. Weder kam ein Vertrag zwischen der Firma Höchst und dem RKA zu Stande, noch wurde jemals Pferde­ sterbeserum aus Deutschland nach DSWA verschifft. Stattdessen bezog das Gouvernement in Windhoek zwischen 1908 und 1910 große Mengen Pferdesterbeserum aus Theilers Veterinärinstitut in ­Onderstepoort.165 Ein wesentlicher Grund für den Entschluss, den Impstoff aus Transvaal zu beziehen, lag darin, dass in DSWA die für die Serum­ produktion notwendige Expertise ab 1908 fehlte. Zudem war die Produktion des erforderlichen Immunserums sehr zeitaufwendig. Die künstliche Präparation von Serumtieren dauerte rund fünf Monate. Anschließend mussten die einzelnen Sera zunächst in vitro und in vivo auf ihre hämolytische Wirkung getestet werden. Diese Überprüfung beanspruchte mindestens weitere zwei Monate. Bis Serum zur Immunisierung genutzt werden konnte, vergingen im Idealfall rund acht Monate.166 Neben einem entsprechend ausgestatteten Labor setzte die Serumproduktion auch Personal voraus, dass ein hohes Maß an theoretischem und praktischem Expertenwissen besaß. Nachdem Rickmann 1906 und Leipziger Mitte 1908 die Kolonie verlassen hatten, verfügte keiner der der Kolonie anwesenden Veterinäre über die Expertise 163 Henning an RKA, 25.04.1910, betr. Sterbeserum der Höchster Farbwerke, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-3, Bl. 60. 164 Henning an RKA, 03.03.1909, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-3, Bl. 53–54. 165 Veterinary Research Laboratory Onderstepoort an Gouv., 31.01.1909, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-3, Bl. 24–26; Henning an Gouv., 20.02.1910, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-3, Bl. 39. 166 Bereits kleinste Ungenauigkeiten bei den unterschiedlichen Arbeitsschritten konnten dazu führen, dass sich diese Zeitspanne deutlich verlängerte. Für die Zeiträume sowie die Beschreibung des Prüfverfahrens vgl. die Versuchstabellen in: Rickmann, Impfung von Maultieren, S. 6–9, 20–21 sowie 23–33.

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zur Serumherstellung. Hinzu kam, dass aufgrund des generellen Personalmangels des Veterinärdienstes ohnehin nicht an eine Wiederaufnahme der Serumproduktion gedacht werden konnte.167 Aufgrund der guten Ergebnisse, die seit November 1905 in Britisch-Südafrika mit dem Serum erzielt worden waren, war dieses bereits 1906 in DSWA erfolgreich getestet worden. Daher hatten die Inspektion der Landespolizei sowie das Kommando der Schutztruppe dem Gouvernement Mitte 1908 den Plan unterbreitet, einige Hundert Dosen Immunserum bei Theiler zu bestellen. Leipziger hatte sich kurz vor seinem Weggang aus der Kolonie zwar gegen derartige Pläne ausgesprochen, da der »Schutzwert des Theiler’schen Serums« gegenüber dem in Gammams produzierten geringer sei.168 Gouverneur Schuckmann unterstützte aber die von Militär und Polizei vorgelegten Pläne. Entsprechend teilte er Ende 1908 Cheftierarzt Henning mit: Damit auch während der Regenzeit der Polizeidienst voll ausgeführt werden kann, wird es notwendig, dass die Maultiere,…der Landespolizei… alsbald auf Sterbe geimpft werden. Das etwa fehlende Serum ist in Kapstadt zu bestellen und nach dessen Eintreffen…die Impfung unverzüglich vorzunehmen.169 Insgesamt sollten – zusätzlich zu den bereits zum Großteil geimpften Maultieren der Distrikt- und Bezirksämter – 1908 insgesamt weitere 492 Maultiere der Landespolizei geimpft werden.170 Aufgrund seiner langen Dienstzeit in Britisch-Südafrika war Cheftierarzt Henning über die sehr guten Ergebnisse der in Transvaal durchgeführten Immunisierungsversuche informiert und unterstützte maßgeblich die Beschaffung des Impfstoffes.171 Er wusste auch, dass es Theiler durch großangelegte Feldversuche 1905/06 gelungen war, unterschiedliche Erregerstämme der Pferdesterbe zu identifizieren und in anschließenden Versuchen erste polyvalente Immunsera zu entwickeln.172 167 Zur Personalstruktur des Veterinärdienstes siehe ausführlich Kapitel 4. dieser Arbeit. 168 Leipziger an RKA & Gouv., 11.08.1908, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-2, Bl. 145–222, hier: Bl. 221. 169 Gouv. an Gammams, 31.10.1908, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-1, Bl. 255–257, hier: Bl. 256. 170 Ebd., Bl. 257. 171 In Transvaal wurden zwischen November 1905 und Juni 1908 insgesamt rund 12.000 Maultiere mit der von Theiler entwickelten Simultanimpfung geimpft. Die Impfverluste betrugen höchstens drei bis vier Prozent. Henning an RKA, 20.08.1909, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-3, Bl. 23–25, hier: Bl. 24. 172 Siehe dazu ausführlich: Gilfoyle, Veterinary Immunology, S. 40–45.

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Darüber hinaus verfügte Theiler über die für die Serumproduktion im großen Stil erforderlichen technischen, personellen und auch finanziellen Ressourcen. Neben diesen praktischen Gründen spielte auch die persönliche Bekanntschaft zwischen Henning und Theiler eine gewisse Rolle. Für die Impfstofflieferung traf Henning mit Theiler »besondere Abmachungen«, die offenbar den Preis pro Impfdosis betrafen.173 Die Kosten für den importierten Impfstoff betrugen ungerechnet 16–22 Reichsmark pro Tier.174 Damit war die Beschaffung der Impfstoffe in Transvaal nicht teurer als deren Herstellung in DSWA .175 Im November 1908 bestellte das Gouvernement über das Kaiserliche Generalkonsulat in Cape Town insgesamt 700 Dosen Pferdesterbeimpfstoff bei Theiler.176 Aufgrund des fast zeitgleichen Umzuges des Theilerschen Instituts von Daspoort nach Onderstepoort kamen die bestellten Impfdosen erst im Februar 1909 in DSWA an.177 In der Regenzeit 1908/09 konnten die Landespolizei und die Schutztruppe daher nur auf die bereits geimpften Maultiere zurückgreifen. Zur folgenden »Sterbesaison« 1909/10 standen jedoch wie geplant weitere rund 500 Maultiere für den Patrouilleneinsatz bereit. Die entsprechenden Impfungen wurden ab Juni 1909 durchgeführt und die Einsatzbereitschaft sollte weiter gesteigert werden.178 Zur Ergänzung des bereits gelieferten Impfstoffes bestellte das Gouvernement im Juli 1909 weitere 400 Dosen. Von diesen waren »200 Portionen für die Maultiere der Landespolizei und 200 für die Maultiere des kaiserlichen Gouvernements und der Farmer« bestimmt.179 Aufgrund der schwebenden Verhandlungen mit den Höchster Farbwerken wies Lindequist die Kolonialverwaltung zwar an, von weiteren Impfstoff-Lieferungen aus Onderstepoort Abstand zu neh173 Aktenvermerk von Henning betreffs die in Rechnung gestellten Summen für die Serum­lieferungen, 20.01.1910, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-3, Bl. 46. 174 Aktenvermerk von Henning zu den vom Onderstepoort-Institut eingereichten Rechnungen, 20.01.1910, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-3, Bl. 47. 175 Laut einer Aufstellung Rickmanns beliefen sich die Kosten für die Produktion einer Dosis Serum in Gammams auf rund zehn Reichsmark. In dieser Kostenkalkulation hatte Rickmann aber die Unterhaltskosten des Instituts sowie die schwankenden Preise für Versuchstiere und die zum Teil unsicheren Ergebnisse der Serumproduktion nicht berücksichtigt. Rickmann, Impfung von Maultieren, S. 48. 176 Theiler an Gouv., 10.11.1908, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-3, Bl. 12. 177 Daspoort und Onderstepoort liegen etwa 15 Kilometer voneinander entfernt und gehören heute zum Stadtgebiet von Pretoria bzw. Tshwane. 178 Henning an RKA, 20.08.1909, Impfungen gegen Sterbe, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-3, Bl. 23. 179 Gouv. an Theiler, 08.07.1909, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-3, Bl. 18.

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men.180 Zwischen November 1908 und August 1909 waren aber bereits insgesamt 1.200 Dosen Pferdesterbeserum geliefert worden.181 Für das Jahr 1910 belief sich der Gesamtbestand an Eseln und Maultieren in DSWA auf rund 5.000 Tiere.182 Berücksichtigt man die Tatsache, dass seit 1906 bereits rund 1.400 Maultiere geimpft worden waren und zur Regenzeit 1909/10 weitere 1.200 geimpft wurden, gelang es der Kolonialverwaltung offenbar, nahezu alle Maultiere der Exekutivkräfte gegen die Sterbe zu immunisieren. Und dies so erfolgreich, dass für die kommenden zwei Jahre kein Bedarf an weiteren Impfstoffimporten bestand. Erst 1912 wurde in Gammams, unter der Leitung des Bakteriologen Hans Sieber, die Produktion von Pferdesterbeserum wieder aufgenommen.183 Die umfangreichen Impfstoffimporte ermöglichten es der Kolonialverwaltung, die flächendeckende Immunisierung von Maultieren relativ schnell umzusetzen. Dies trug zweifelsohne maßgeblich dazu bei, Präsenz und Kontrolle des Kolonialstaates durch regelmäßige Patrouillen auch während der Regenzeit aufrechtzuerhalten. Da aufgrund der physiologischen Unterschiede zwischen Pferden und Maultieren ausschließlich letztere geimpft wurden, führte dies auch zu einem Bedeutungszuwachs von Maultieren. Waren sie zuvor fast ausschließlich als alternative Zug- und Lasttiere eingesetzt worden, gewannen Maultiere nun auch als Reittiere zur Durchsetzung und Absicherung des kolonialen Herrschaftsanspruches zunehmend an Bedeutung.184 Auch für die südafrikanische Mandatsverwaltung war die Verfügbarkeit von pferdesterbeimmunen Reittieren von zentraler Bedeutung, um ihren 180 Lindequist an Gouv., 15.07.1909, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-3, Bl. 20. 181 Neben dem Pferdesterbeserum wurden auch rund 18.000 Dosen Blauzungenimpfstoff aus Onderstepoort importiert. Lieferbestätigung und Rechnung des Transvaaler Landwirtschaftsministeriums, 12.08.1909, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-3, Bl. 25–27. 182 Ostertag gab den Gesamtbestand an Maultieren, Mauleseln und Eseln 1910 mit 5.100 an. Laut der amtlichen Viehzählung 1913 belief sich der Gesamtbestand an Maultieren auf 5.055 Tiere. Zu den Zahlen vgl. Ostertag, Veterinärwesen, S. 116–117 sowie Luerssen, S. 26–27. 183 Rundschreiben Gouv. an Distrikts- und Bezirksämter, 11.03.1912, derzeitige Auslastung von Gammams, NAN ZBU 1302 O.II.c.5-1, Bl. 19. Vgl auch: Gouverneur an RKA, 11.12.1911, NAN ZBU 1302 O.II.c1-1, Bl. 9–10. Das Institut Gammams war seit 1911 auf Veranlassung von Gouverneur Seitz instand gesetzt und modernisiert worden. 184 Während über die Bedeutung von Pferden und Kamelen im Rahmen kolonialer Herrschaftserrichtung bereits einige militär- und kulturhistorische Studien vorliegen, fehlen bislang vergleichbare Arbeiten, die sich mit der Nutzung und kulturellen Bedeutung von Maultieren befassen. Gleiches gilt für die Nutzung der im südlichen Afrika verbreiteten Reitochsen.

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Herrschaftsanspruch in SWA, wie die ehemalige deutsche Kolonie ab 1919 offiziell bezeichnet wurde, durchzusetzen. Nach der Besetzung der deutschen Kolonie durch südafrikanische Truppen wurde 1915 das bakteriologische Institut Gammams aufgelöst. Damit war die einzige Produktionsstätte für Immunserum in SWA geschlossen worden. Nach der Errichtung der südafrikanischen Mandatsverwaltung wurden daher ab 1920 wieder Impfstoffe aus Onderstepoort eingeführt.185 Aus der Perspektive des Landwirtschaftsministeriums in Pretoria hatte die Zentralisierung der Herstellung und Distribution von Impfstoffen in Onderstepoort den Vorteil, dass Qualität und Menge der im Einflussbereich der Südafrikanischen Union verwandten Impfstoffe effizient gesteuert und kontrolliert werden konnten.186 Da das Veterinärinstitut in Onderstepoort den großen Bedarf nicht decken konnte, wurden erst 1923 geringe Mengen Pferdesterbeserum nach SWA geliefert, mit denen einige Maultiere der Regierung gegen Pferdesterbe immunisiert wurden.187 In den kommenden Jahren änderte sich daran kaum etwas. Der Großteil des verfügbaren Sterbeserums wurde durch die anhaltenden Forschungsarbeiten in Onderstepoort zur Entwicklung eines Immunisierungsverfahrens für Pferde verbraucht. 1928 äußerte der Leiter des Veterinärdienstes der Südafrikanischen Union die Hoffnung, die Serumproduktion derart zu steigern, dass Anfang 1930 auch der Bedarf in SWA gedeckt werden konnte.188 Doch selbst

185 Dabei handelte es sich zunächst vor allem um Impfstoffe gegen Milzbrand, Rauschbrand und Blauzungenkrankheit. Vgl. beispielhaft SVO an GVOs and Stock Inspectors, 14.10.1921, NAN SWAA 0303 A34-10-1 sowie SVO an Secretary, 19.02.1929, NAN SWAA 0303 A34-10-1. 186 Die Veterinärbehörde forderte, die in der Union geltenden Gesetze zur Regulierung der Medikamentenimporte auch auf das Mandatsgebiet auszudehnen. Dies geschah auch kurze Zeit später. SVO an Secretary, 29.02.1924, NAN SWAA 0303 A34-10-1. Der entsprechende Erlass der Verwaltung: Regulations regulating the Importation, Manufacture and Sale of Vaccine, Toxine, Virus, Lymph and Sera, intended or Treatment of Stock in South West Africa, Juli 1924, NAN SWAA 0303 A34-10-1. 187 GVO Keetmanshoop an SVO, 04.07.1923, Immunization of Mules belonging to Irrigation Department, NAN AGV 107 V.2/68-1. Aufgrund des Engpasses bei der Serumlieferung wurden die ersten Tiere von Privatbesitzern erst 1928 geimpft. GVO Sigwart an SVO, 11.01.1928, Impfung von Maultieren auf der Farm Schönwalde, NAN AGV 151 V.13/10-1. 188 Du Toit (Director Veterinary Services) an SVO, 20.01.1928. NAN AGV 107 V.2/68-2. 1928 konnten lediglich 16 Dosen Immunserum geliefert werden. Landwirtschafts­ ministerium Pretoria an SVO, 07.03.1928, NAN AGV 151 V.13/10-1.

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nachdem 1935 die Entwicklung eines Immunisierungsverfahrens für Pferde gelungen war,189 wurden nur begrenzte Mengen Serum nach SWA geliefert. Aufgrund der Lieferengpässe hatte der Leiter der Veterinärbehörde in Windhoek, SVO Goodall, bereits 1922 Kontakt zum rhodesischen veterinärbakteriologischen Labor in Salisbury aufgenommen. Doch auch dort fehlten die Kapazitäten für eine größere Serumlieferung.190 Um trotz des Mangels an Immunserum die Einsatzbereitschaft der Polizeikräfte sowie den Individualverkehr in SWA bestmöglich aufrechtzuerhalten, suchten die Regierungstierärzte nach alternativen Präventionsmaßnahmen. Bei der Revision der verfügbaren Forschungen über die Ätiologie der Pferdesterbe stießen die Veterinäre auf einen Bericht des Regierungstierarztes von Natal, Herbert Watkins-Pitchford. Diesem war 1903 der experimentelle Nachweis gelungen, dass die Sterbe durch blutsaugende Insekten übertragen wurde. Da sich die Kolonialtierärzte seit 1899 fast ausschließlich auf die Entwicklung eines Impfverfahrens konzentriert hatten, war dieses Wissen in den Hintergrund getreten. Welche Insekten als Vektor fungierten, hatte Watkins-Pitchford zwar nicht herausgefunden, dennoch gab es Grund zur Hoffnung, die Tiere vor einer Infektion schützen zu können. Entsprechend empfahl die Veterinärbehörde ab 1920 als Präventionsmaßnahme, die Tiere mit einem Insektenschutzmittel auf Paraffinbasis einzureiben und verbreitete das Rezept zu dessen Herstellung unter Farmern und Tierbesitzern.191 Nachdem die Pferdesterbe 1923 in den nördlichen Distrikten SWAs besonders stark aufgetreten war, führte GVO Revington an Polizeipferden Behandlungsversuche mit Atoxyl bzw. Soamin

189 Nachdem Analogien zwischen der Pferdesterbe und dem Gelbfieber festgestellt worden waren, dienten Max Theiler, dem Sohn Arnold Theilers, die erfolgreichen Gelbfieber-Experimente als Ausgangspunkt. Zur Abschwächung des Gelbfiebervirus infizierte Theiler zunächst Rhesusaffen und injizierte eine Emulsion aus deren Hirnmasse in das Hirn von Mäusen (intrazerebrale Passage). 1935 war es gelungen, Labormäuse mit dem Pferdesterbevirus zu infizieren und die Virulenz des Virus durch intrazerebrale Passagen abzuschwächen. Damit wurde eine aktive Immunisierung mit abgeschwächten Lebendvakzinen möglich. Zur Methode Max Theilers und deren Adaption in Onderstepoort siehe ausführlich: Gilfoyle Veterinary Immunology, S. 52–64. 190 SVO Goodall an Director of Veterinary Research Salisbury, 28.08.1922, und Antwort Government bacteriological Laboratory Salisbury an GVO Windhoek, 16.10.1922, NAN AGV 107 V.2/68-1. 191 Bei dem Paraffin-Repellent handelte es sich um eine Mischung aus zwei Teilen Seifenlauge, drei Teilen Paraffin und 20 Teilen Wasser. Dieses sollte in allen sterbe­ gefährdeten Gebieten angewandt werden. Siehe z. B. SVO an Game Warden Namutoni, 25.08.1920, NAN AGV 107 V.2/68-1.

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durch.192 Nach Abschluss seiner Experimente stellte Revington 1924 fest, dass Tiere, die sich natürlich infiziert hatten, nach wiederholten subkutanen Impfungen mit Soaminlösungen überlebten. Bei künstlich infizierten Pferden versagte die Behandlung hingegen vollkommen.193 Obwohl die Ergebnisse Revingtons auf einer sehr dünnen empirischen Grundlage beruhten  – er hatte die Versuche lediglich an zehn Tieren durchgeführt –, gab es Grund zu der Annahme, dass sich die Soamin-Behandlung positiv auf den Krankheitsverlauf auswirkte. Entsprechend empfahl die Veterinärbehörde ab 1924 die Soamin-Behandlung für Pferde in den nördlichen Distrikten.194 In welchem Umfang von den alternativen Behandlungsmethoden – Paraffin-Repellent und Soamin-Injektionen – Gebrauch gemacht wurde, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Aufgrund des Mangels an Immunserum konzentrierte sich die Veterinärbehörde weiterhin auf die Vermeidung einer Infektion. Neben der Behandlung der Tiere mit Insektenschutzmitteln und der Stallhaltung während der Regenzeit spielte dabei nach wie vor die bereits im 18. Jahrhundert entwickelte und auch von der deutschen Kolonialverwaltung bis 1914 beibehaltene Praxis der »Sterbeposten« eine zentrale Rolle.195 Ab Mitte der 1930er Jahre standen zwar Impfverfahren zur Verfügung. Zu diesem Zeitpunkt spielte die Immunisierung von Pferden und Maultieren für den Erhalt und die Durchsetzung des staatlichen Herrschaftsanspruches in SWA aber eine immer geringere Rolle. Zwar blieben Pferde und Maultiere vor allem in den entlegeneren nordwestlichen und östlichen Gebieten SWAs bis in die 1950er Jahre die einzigen Fortbewegungsmittel. In den wirtschaftlich und herrschaftspolitsch bedeutenden Gebieten in Zentral- und Südnamibia führte die seit Ende der 1920er Jahre zunehmende Motorisierung der kolonialen Verwaltungs- und Polizeiorgane, dazu, dass Patrouillenritte nur noch in sehr begrenztem Umfang durchgeführt wurden. Mit geringer 192 Bei Atoxyl und Soamin handelt es sich um Arsenderivate. Beide Mittel waren seit längerem auch zur Behandlung der Schlafkrankheit verwendet worden. Bauche, S. 11–13. 193 GVO Revington an SVO, 19.05.1923, 01.06.1923 und 08.08.1924, NAN AGV 107 V.2/68-1. 194 Rundschreiben Revington an die Polizeistationen Franzfontein, Outjo, Tsumeb und Otavifontein, 04.12.1924, NAN AGV 107 V.2/68-1. Die Empfehlungen wurden kurze Zeit später auch an die Farmer ausgesprochen. SVO an Farmmanager Klein Otavi, 30.01.1924, NAN AGV 107 V.2/68-1. 195 Trotz der Verfügbarkeit einer Impfmethode seit 1935 bzw. 1960 konzentrieren sich die tierärztlichen Präventions- und Therapiemethoden bis heute vor allem auf die systematische Insektenbekämpfung und Stallhaltung gefährdeter Tierbestände. Mitscherlich u. Wagener, S. 301–313. Scacchia, Lelli, Peccio, Di Mattia, Mbulu, Hager, Monaco, Savini u. Pini, S. 266.

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Verzögerung wurde das Auto bzw. der LKW auch für den Individualverkehr immer bedeutender.196 Bis zur Motorisierung der kolonialen Exekutivkräfte war die Immunisierung von Maultieren und Pferden gegen die Pferdesterbe eine nicht zu unterschätzende Stütze der kolonialen Herrschaftssicherung. Die Durch­ setzung kolonialer Kontrolle war bis in die 1930er Jahre grundsätzlich eng begrenzt und brach, solange keine ausreichende Anzahl pferdesterbeimmuner Reittiere zur Verfügung stand, während der Regenzeit vollkommen zusammen. Daher hatten die Kolonialregierungen in Namibia wie auch in anderen Siedlerkolonien des südlichen Afrika seit den 1890er Jahren erhebliche Mittel und Kapazitäten zur Entwicklung eines Immunisierungsverfahrens gegen die Pferdesterbe aufgewandt. Während die Impfung möglichst aller verfügbaren Maultiere und Pferde auf die Sicherung des kolonialen Herrschaftsanspruches abzielte, hatten die entsprechenden Forschungsarbeiten zur Durchsetzung der kolonialen Veterinäre beigetragen. So hatten die gescheiterten Versuche der Humanmediziner Sander und Kuhn endgültig dazu geführt, dass in der Folgezeit ausschließlich Veterinäre mit der Erforschung der kolonialen Tierseuchen betraut wurden und diese ihre Expertise weiter festigten. Ferner hatte die Entwicklung eines Immunisierungsverfahrens gegen die Pferdesterbe maßgeblich von dem zunehmenden transkolonialen tiermedizinischen Wissenstransfer profitiert und dessen weitere Etablierung befördert. Im Interesse der Herrschaftssicherung nutzte die deutsche Kolonialverwaltung sogar die transimperialen, persönlichen Kontakte der Veterinäre, um möglichst schnell in den Besitz von Impfstoffen zu kommen. Den Anstoß für die zunehmende Kooperation veterinärmedizinischer Experten und Kolonialregierungen im Interesse der Tierseuchenbekämpfung sowie der Sicherung des kolonialen Herrschaftsanspruches hatte die afrikanische Rinderpestepizootie geliefert. Diese hochinfektiöse Tierseuche war zwischen 1895 und 1898 in den Kolonien des südlichen Afrika ausgebrochen.

196 Gewald, Missionaries, Hereros, and Motorcars, S. 257–285.

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Anpassung europäischer Strategien und Praktiken: Die Bekämpfung der Rinderpest

Neben Pferden und Maultieren bildeten Rinder die wichtigste tierische Ressource zur Sicherung von Herrschaftsansprüchen im südlichen Afrika. Während Pferde erst während des 17. Jahrhunderts im Zuge der europäischen Expansion in die Kapregion gelangten, betrieben indigene Gesellschaften im südlichen Afrika bereits seit langem eine transhumante Rinderhaltung.197 Wann sich diese im südlichen Afrika etablierte, lässt sich nicht exakt bestimmen. Einer breit rezipierten Theorie zufolge gelangten Rinder durch Migration bantusprachiger Gruppen zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert aus dem östlichen Afrika zunächst in die Region des heutigen Namibia und von dort in relativ kurzer Zeit ins nördliche Kapland.198 Neueste archäologische Untersuchungen belegen jedoch, dass Rinder bereits um 800 n. Chr. im westlichen Südafrika gehalten wurden, also zum Zeitpunkt der Ankunft der bantusprachigen pastoralen Gesellschaften bereits Rinderzucht betrieben wurde.199 Gesichert ist, dass Rinder ab dem 17. Jahrhundert zu den wichtigsten Gütern in den Handelsbeziehungen zwischen Zentralnamibia und dem nördlichen »Ovamboland« gehörten. Aufgrund der zunehmenden Expansion der europäischen Siedler wanderten Ende des 18. Jahrhunderts Khoikhoi-Hirten mit ihrem Vieh aus der Kapregion ins südliche Namibia ein. Zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert ließen sich zudem immer wieder pastorale Gruppen aus der Region des Ngami-Sees (heutiges Botswana) im nordöstlichen Teil Namibias nieder.200 Innerhalb der pastoralen Gesellschaften wurden Rinder nicht nur als Handelsgüter, sondern auch zur Konsolidierung sozialer und politischer Macht197 Als erste Europäer erreichten portugiesische Seefahrer Ende des 15. Jahrhunderts das südliche Afrika und berichteten von großen Rinderherden, die im Besitz von Khoikhoi-Gruppen waren. Der Zugriff auf diese Rinder war, neben der strategisch günstigen Lage, ein ausschlaggebender Faktor für die Gründung der niederländischen Kolonie in der Tafelbucht. Im 17. Jahrhundert erwarben die ersten niederländischen Siedler Rinder von der indigenen Bevölkerung. Dazu ausführlich: Marx, Südafrika, S. 25–36. 198 Zur Theorie der Bantu-Migration siehe zusammenfassend: Kaulich, S. 32–33. 199 Orton, Mitchell, Klein, Steele u. Horsburgh, S. 117. Dieser, mittlerweile durch RadioCarbon-Proben bestätigte Verdacht wurde bereits früher geäußert, da Knochenfunde, aber vor allem Felsgravuren nahelegten, dass Rinder wie auch Schafe und Ziegen deutlich vor dem 16. Jahrhundert im südlichen Afrika gehalten wurden. Zu den Felsgravuren siehe: Manhire, Parkington, Mazel u. Maggs, S. 28–29; Schweitzer, S. 81. 200 Siehe dazu überblicksartig Vögeli, S. 16–19 sowie: Miescher, S. 26–33.

Anpassung europäischer Strategien und Praktiken

verhältnisse genutzt. Die Besitzer von Rinderherden teilten diese gewöhnlich in kleinere Herden, sogenannte Posten auf.201 Diese wurden in die Obhut von Gefolgsleuten übergeben. Die so erzeugten Klientelbeziehungen bildeten die Grundlage der politischen und sozialen Machtverhältnisse. Wegen ihrer zentralen Rolle im Gesellschaftsgefüge wurden Rinder nur in sehr begrenztem Umfang zur Fleischversorgung genutzt. Die Tiere dienten in erster Linie als Lieferanten für Sauermilch  – ein Grundnahrungsmittel der pastoralen Gesellschaften – sowie zur Versorgung mit Brennstoff und Baumaterial.202 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts löste die von den Oorlam etablierte Beuteökonomie einen fundamentalen sozioökonomischen Transformationsprozess in Süd- und Zentralnamibia aus. Ihre zentralen Herrschaftsmittel – Pferde und Gewehre – erwarben die Oorlam in der Cape Colony im Tausch gegen zuvor erbeutete Rinder. Diese Praxis führte in Verbindung mit dem seit 1820 massiv steigenden Bedarf an Rindern in der Cape Colony und dem Transvaal zur Entstehung eines überregionalen Handelsnetzwerkes und somit zum Anschluss Zentralnamibias an die internationalen Warenströme.203 Aufgrund der Pferdesterbe hing der gesamte transkoloniale Transportverkehr zudem von Ochsenwagen ab. Rinder waren insofern auch ein zentrales Element kolonialer Kommunikations- und Transportsysteme, die wiederum anfällig für den Ausbruch von Rinderseuchen waren. Herero und Nama adaptierten die Herrschaftspraxis der Oorlam und ab Mitte des 19. Jahrhunderts war der Besitz von Rindern zum zentralen Faktor für die Errichtung und Konsolidierung der sozialen und politischen Machtverhältnisse in Süd-und Zentralnamibia geworden. In der Folge wuchsen ab den 1870er Jahren die Rinderbestände in Zentralnamibia massiv an. Dies trug dazu bei, dass die Herero von der Kolonialliteratur und Ethnographie bis

201 Durch die Aufteilung in viele kleine Herden wurde zudem das Risiko größerer Verluste durch Dürre, Seuchen oder Raub verringert. 202 Als Fleischlieferanten wurden vor allem Schafe und Ziegen genutzt. Rindfleisch stammte in der Regel von alten Tieren, die zeitnah eines natürlichen Todes gestorben wären. Der getrocknete Dung der Tiere wurde in den holzärmeren Gebieten sowohl zum Feuer machen als auch zum Bau der einfachen Rundhütten, der sogenannten Pontoks, verwendet. Berichte RMG, Jg. 55 (1898), Nr. 3, S. 79; Gewald, Towards Redemption, S. 147; Phoofolo, S. 118. 203 Zur Versorgung der ab 1820 schnell wachsenden Zahl von Siedlern reichten die Rinderbestände der Cape Colony und Transvaals kaum aus. Zur Deckung des Bedarfs nutzten Händler ab 1840 die von Oorlam in Süd- und Zentralnamibia implementierte Beuteökonomie. Krüger, Das goldene Zeitalter, S. 20

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weit in das 20. Jahrhundert als »stolz und viehliebend« dargestellt wurden.204 Gleichzeitig löste die erhebliche Zunahme der Rinderherden Konflikte zwischen Herero, Nama-Oorlam und Damara-Gruppen um Weideflächen und Wasserstellen aus. Der Rinderhandel mit der Kapregion sowie dem Transvaal diente zur Beschaffung der für die Kriegsführung erforderlichen Pferde und Waffen. Die Erschließung der Goldlagerstätten am Witwatersrand Ende der 1880er Jahre führte zu einem massiven Anstieg des Rindfleischbedarfs, wodurch die Rinderzucht in Namibia endgültig zu einem rentablen Wirtschaftszweig wurde.205 Trotz der instabilen politischen Verhältnisse beteiligten sich daher ab 1890 erstmals deutsche Händler am transkolonialen Viehhandel.206 Zeitgleich begann die deutsche Kolonialverwaltung, ihren Herrschaftsanspruch in Zentralnamibia durch die von Leutwein lancierte Politik des divide et impera zunehmend mit Gewalt durchzusetzen. Die Bedeutung der Rinder für den Machterhalt wurde dabei von den Deutschen systematisch genutzt.207 Mit dem Ziel, eine gewinnorientierte Nutztierwirtschaft als Grundlage einer zu errichtenden Siedlerkolonie nach englischem Vorbild zu etablieren, musste den indigenen Gesellschaften Land und Vieh entzogen werden. Daher adaptierte die Kolonialverwaltung die von den Oorlam eingeführte Praktik der cattle raids. Leisteten indigene Gruppen Widerstand oder missachteten die kolonialherrschaftlich festgesetzten Grenzen, konfiszierte die Schutztruppe große Stückzahlen von Rindern als Straf- bzw. Kompensationszahlungen. Die Tiere wurden anschließend verbündeten indigenen Führern überstellt oder öffentlich versteigert.208 Dennoch gelang der Kolonialmacht die Verschiebung der Besitzverhältnisse über Vieh und Land zu Gunsten der europäischen Siedler nur in sehr begrenztem Umfang. Dies begann sich erst 204 Daneben spielten bei der Herrschaftsrepräsentation auch der Besitz von europäischer Kleidung und Konsumgütern eine Rolle. Henrichsen, Hegemonie der Herero, S. 48. 205 Zwischen 1886 und 1891 wurden jährlich 2.000–6.000 Rinder aus Namibia in die britischen Kolonien exportiert. Auf einer zeitweise eingerichteten Route, die das durch Kämpfe destabilisierte Zentral- und Südnamibia umging, wurden zwischen 1883 und 1894 schätzungsweise weitere 10.000 Rinder direkt nach Transvaal getrieben. Henrichsen, Herrschaft und Identifikation, S. 265–266; S. 290–292.; Vögeli, S. 24. Gad, S. 70. 206 Grimm, Voigts, S. 20–23. 207 Um die Herero omuhona wieder zum Abschluss des 1888 aufgekündigten Schutzvertrages zu bewegen, blockierte François mit seinen Soldaten den wichtigsten Nachschubweg, auf dem Waffen und Munition transportiert wurden. Dadurch gerieten die omuhona zunehmend unter Druck und unterzeichneten schließlich 1890 erneut den Schutzvertrag. Gewald, Herero Heroes, S. 32–39. 208 Auf diesem Weg konnten die europäischen Siedler vergleichsweise schnell und günstig Rinder für die eigene Zucht erwerben. Kaulich, S. 362.

Anpassung europäischer Strategien und Praktiken

durch den Ausbruch der Rinderpest Ende der 1890er Jahre grundlegend zu ändern.209 Im Gegensatz zur Pferdesterbe gelangte die hochansteckende Rinderpest210 erst Ende des 19. Jahrhunderts im Kielwasser der europäischen Expansion nach Ostafrika. Zur Versorgung der italienischen Kolonialarmee wurden 1887 infizierte Schlachtochsen aus Indien ins heutige Eritrea importiert. 1888/89 kam es in Eritrea und Äthiopien zum ersten flächendeckenden Ausbruch der Rinderpest.211 Von dort breitete sich die Seuche entlang der von pastoralen Gesellschaften genutzten Wanderrouten sowie der transkolonialen Handelswege schnell aus. Der lokale Ausbruch entwickelte sich binnen kurzer Zeit zu einer Epizootie, von der das gesamte subsaharische Afrika betroffen war und die bis zu 90 % der afrikanischen Rinderbestände vernichtete.212 In Verbindung mit zeitgleich auftretenden ökologischen Katastrophen löste die Rinderpestepizootie Anfang der 1890er Jahre in Ostafrika Hungersnöte und tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzungsprozesse aus.213 Bereits 1893 wurden Ausbrüche der Rinderpest am Nordufer des Sambesi gemeldet. Der große Fluss stellte eine natürliche Barriere dar, welche die weitere Verbreitung der Seuche Richtung Süden zunächst stoppte.

2.1 Scheitern europäischer Maßnahmen Erste Berichte, dass die Viehseuche den Sambesi überschritten habe, erreichten die Kolonialverwaltung in Bulawayo (heutiges Simbabwe)  im Februar 1896.214 Im März 1896 bestätigten der von der englischen Administration aus 209 In Zentral- und Südnamibia konnten die indigenen Gesellschaften bis 1904 noch weitgehend den Zugriff auf die naturalen Ressourcen Weide, Wasser und Vieh behaupten und sich daher dem kolonialen Herrschaftsanspruch der Deutschen widersetzen. 210 Der zum Stamm der Masernviren gehörende Rinderpesterreger befällt außer Rindern nahezu alle Arten von Wiederkäuern (Schafe, Ziegen, Antilopen und Büffel). Mitscherlich u. Wagener, S. 354. 211 So die Berichte des italienischen und US-amerikanischen Gesandten Antonelli bzw. Skinner, Spinage, S. 502. 212 Zum Verlauf der Rinderpestepizootie in Afrika: Mack, S. 210–219; Loimeier, S. 85–91; Spinage, S. 425–446, S. 497–594. 213 Seit den 1880er Jahren waren in vielen Großregionen des subsaharischen Afrika Dürreperioden aufgetreten, als der Rinderpestepizootie weitere Epidemien und Heuschreckenpalgen folgten. Loimeier, S. 105; Marquardt, S. 78. 214 Dies geschah vermutlich durch eine größere Herde infizierter Tiere, die aus der Region um den Sambesi nach Bulawayo gebracht worden war. Von dort hatte man die Tiere

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Rhodesien entsandte Veterinär Charles Gray 215 und der Regierungstierarzt von Transvaal, Arnold Theiler,216 den Ausbruch der Rinderpest südlich des Sambesi. Nachdem die Nachricht Pretoria erreicht hatte, erließ die Regierung Transvaals sogleich ein Importverbot für Rinder aus den nördlichen Territorien und veranlasste die Einrichtung einer viehfreien Zone südlich des Limpopo-Flusses. Dieser sollte als natürliche Grenze dienen.217 Aufgrund des überregionalen Rinderhandels und regen Ochsenwagenverkehrs stellte die Rinderpest mit ihrer hohen Mortalitätsrate auch für die restlichen Kolonien des südlichen Afrika eine ernste Bedrohung dar. Die Nachricht vom Überschreiten des Sambesi löste daher umgehend transnationale Reaktionen aus. Die Regierung der britischen Cape Colony versuchte die Bekämpfung der Rinderpest auf interkolonialer Ebene zu koordinieren. Auf Initiative des Landwirtschaftsministers der Kapregierung fand am 17. April 1896 die erste internationale Rinderpestkonferenz in Mafeking statt. An diesem ersten Krisengipfel nahmen Vertreter der Cape Colony, Natals, des Oranje-Vrystaates, Transvaals und Bechuanaland Protectorates teil.218 Ausgehend von den in Europa seit dem 17. Jahrhundert mehr oder weniger erfolgreich angewandten Bekämpfungsmaßnahmen gegen die Rinderpest219 hoffte man auch in Afrika die Seuche durch international koordinierte Importverbote, Grenzsperrungen, sowie Keulung infizierter Bestände in den Griff zu bekommen. Entsprechend verständigten sich die Delegierten darauf, [t]hat the Western and Northern borders of British Bechuanaland and the Transvaal border should be fenced by a double fence, and that all outbreaks

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in verschiedene Teile des Landes weiterverkauft und so die Ausbreitung der Epidemie begünstigt. Inwiefern Wildtiere zur Verbreitung der Rinderpest beigetragen haben, lässt sich nicht rekonstruieren. Mack, S. 211. Charles Gray war seit 1895 in Afrika, hatte aber bis zum Ausbruch der Rinderpest in einer Telegraphenstation gearbeitet, da man der Meinung war, dass man keinen weiteren Veterinär bräuchte. Spinage, S. 526. Arnold Theiler hatte in der Schweiz 1889 die Staatliche Prüfung als Veterinär bestanden. Er ging 1891 nach Südafrika und ließ sich in Pretoria nieder. Zunächst bestand in Transvaal kein Bedarf an Tierärzten, dies änderte sich mit dem Ausbruch der Rinderpest. Theiler wurde später zum Mitbegründer und ersten Leiter des OnderstepoortInstituts, das weltweit führend in der Veterinärwissenschaft wurde. Zur Biographie Theilers ausführlich: Theiler, Arnold Theiler. Du Toit u. Curson, S. 188. Mack, S. 212. Zu den Rinderpestausbrüchen in Europa siehe Driesch u. Peters, S. 178–182.

Anpassung europäischer Strategien und Praktiken

of the disease south and east of that fenced boundary should be immediately stamped out.220 Während im Bechuanaland Protectorate unter der Leitung der Veterinäre Otto Henning und Duncan Hutcheon alle infizierten Tiere erschossen wurden,221 verhängte die Regierung der Cape Colony zusätzlich ein striktes Importverbot für Rinder und veranlasste den Bau eines 1.600 km langen doppelten Grenzzaunes entlang des Südufers des Oranje Flusses.222 Wegen des allgegenwärtigen Personalmangels war eine systematische Notschlachtung nur schwer durchführbar. Diese löste zudem wachsende Widerstände der indigenen, aber auch der europäischen – meist burischen – Viehbesitzer aus.223 Daher wurde die flächendeckende Keulung verdächtiger und infizierter Rinderbestände Ende 1896 endgültig eingestellt.224 Von einer groß angelegten Keulung wie auch der Errichtung eines Grenzzaunes nahm die Regierung Transvaals von Beginn an Abstand, da sie nicht über die dafür erforderlichen finanziellen Ressourcen verfügte. Die Regierung beschränkte sich daher auf die Kontrolle der Hauptverkehrswege, um die erlassenen Handelsbeschränkungen durchzusetzen. Da ein Großteil der burischen Farmer in der Rinderpest eine Strafe Gottes sah, ordnete das »God-fearing farmer Gouvernment at Pretoria« ferner »prayer days« an.225 Ein Beleg dafür, dass vor allem innerhalb der religiös geprägten burischen Siedlergesellschaft frühneuzeitliche Deutungsmuster und Bewältigungsstrategien wie miasmatische Ausdünstungen oder Gottesstrafen noch weit verbreitet waren. Aufgrund der anhaltenden Bedrohung berief die Regierung der Cape ­Colony für den 31. August 1896 in Vryburg eine zweite internationale Krisenkonferenz ein. An dieser nahmen Delegierte aus allen Kolonien des südlichen Afrika, mit Ausnahme der portugiesischen Territorien, teil. Der deutsche Konsul in Cape Town, Bruno von Schuckmann, war als Repräsentant der 220 Curson, S. 190. 221 Mack, S. 212. 222 Der Zaun wurde im Dezember 1896 fertiggestellt. Phoofolo, Epidemics and Revolutions, S. 114; Mack, S. 214. 223 Die Keulung war 1896 der Auslöser des sogenannten Matabeleaufstandes. Spinage, S. 498. Am Ende des Jahres kam es auch in der Cape Colony immer wieder zu Unruhen. Darüber berichtete auch Paul Kohlstock nach Berlin. Kohlstock an Kol.Abt., 18.01.1897, BAB R 1001/6089, Bl. 79. 224 Gilfoyle, Veterinary Research, S. 138–139. 225 Insgesamt wurden zwischen März 1896 und Oktober 1897 fünf derartige »prayer days« in Transvaal angeordnet. Curson, S. 188.

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Kolonialverwaltung von DSWA entsandt worden.226 Da zu diesem Zeitpunkt weder eine kurative Behandlung noch ein Immunisierungsverfahren gegen die Rinderpest bekannt waren, bekräftigten die Delegierten erneut die in Mafeking gefassten Ratschläge. Diese sollten den einzelnen Staaten als Grundlage bei der gemeinsamen Tierseuchenbekämpfung dienen. Die primäre Strategie der Seuchenbekämpfung blieb damit weiterhin auf das defensive Verhindern der Seuchenausbreitung beschränkt. Um die zwischenstaatlichen Grenzen für den Tierverkehr effizient zu sperren, sollten entlang der Landesgrenzen im Abstand von 500 Metern doppelte, rund 1,40 Meter hohe Stacheldrahtzäune errichtet werden. Diese Grenzstreifen sollten ständig bewacht und alle Tiere, die sich zwischen den Zäunen aufhielten, erschossen werden. Ferner wurde empfohlen, die Bewegungsfreiheit der indigenen Bevölkerung massiv einzuschränken, da diese als potenzielle Krankheitsüberträger angesehen wurde. Wie Miescher feststellt, bestand die einzige Anpassung der europäischen Abwehrmaßnahmen an die kolonialen Verhältnisse in der rassistisch motivierten Wahrnehmung und daraus abgeleiteten Behandlung der indigenen Bevölkerung. Afrikanerinnen und Afrikaner sollte der Übertritt von infizierten in seuchenfreie Gebiete nur nach einer gründlichen Desinfektion erlaubt werden.227 Den Desinfektionsmaßnahmen mussten sich später zwar auch Europäer unterziehen, aber es wurde weiterhin klar zwischen den »Rassen« unterschieden, wie aus dem Bericht Paul Kohlstocks von 1897 hervorgeht: Auf der Bahnstation werden die Trittbretter der Eisenbahnwagen mit einer Carbol-Seifen-Lösung von sogenannten Heyes-Fluid, abgewaschen, ebenso Stiefel und Reisedecken der Reisenden der I. u. II. Klasse. Passagiere der III. Klasse, meistens Natives, werden in besonderen Wellblechhütten sammt ihren Effekten mit schwefliger Säure durchgeräuchert, wenn sie verdächtig sind werden sie entkleidet und in Heyes-Fluid gebadet, ihre Kleider geräuchert. An den Thoren der Fence findet eine entsprechende Desinfektion statt.228

226 Offizielle Einladung: Charles Currey (Undersecretary Departement of Agriculture) an Lhptm., 14.08.1896, Einladung zur Rinderpest Interstate Conference in Vryburg, BAB R 1001/6061, Bl. 175. 227 Zu der Konferenz in Vryburg sowie den dort beschlossenen Maßnahmen siehe auch: Miescher, S. 2–3. 228 Kohlstock an Kol.Abt, 18.01.1897, BAB R 1001/6089, Bl. 79.

Anpassung europäischer Strategien und Praktiken

Ungeachtet der von den Regierungen lancierten Maßnahmen breitete sich die Rinderpest weiter im südlichen Afrika aus. Im März 1897 hatte die Seuche die Absperrungslinien der Cape Colony überwunden; im April brach die Seuche in DSWA aus; ab Mai breitete sich die Rinderpest in den bisher seuchenfreien Gebieten Transvaals und des Oranje-Vrystaates aus;229 Natal wurde im Juli von der Seuche ergriffen.230 Diese schnelle Ausbreitung der Rinderpest im südlichen Afrika wurde durch umweltbedingte Faktoren begünstigt.231 Das semiaride Klima führte dazu, dass der größte Teil der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche lediglich zur extensiven Viehwirtschaft genutzt werden konnte. Mit der zunehmenden Ausdehnung und Konsolidierung der kolonialen Herrschaft war ab den 1850er Jahren die Zahl der Rinder stark angestiegen. Die dünne Nahrungsdecke und die spärlichen Wasservorkommen erforderten extrem große Flächen für den Farmbetrieb. Anders als in Europa waren feste Stallbauten eine Seltenheit und nur die wenigsten Farmen waren eingezäunt. Diese Art der Viehhaltung erschwerte die Isolierung einer Farm, da das Zusammentreiben der halbwilden Tiere mitunter mehrere Tage dauern konnte.232 Die Einrichtung von Absperrungslinien und Grenzzäunen zur Seuchenabwehr wurde zusätzlich durch die seit 1894 anhaltende Dürreperiode erschwert. Die lange Trockenheit hatte dazu geführt, dass die zuvor schon knappen Weideflächen und Wasserstellen erheblich schrumpften und die verbliebenen noch intensiver genutzt wurden. Insbesondere an den Wasserstellen – die zudem von Antilopen und Büffeln aufgesucht wurden, die ebenfalls empfänglich für die Rinderpest waren – drängten sich immer größer werdende Rinderherden, die immer weitere Wege zurücklegen mussten. Ferner nutzten die Frachtfahrer die entlang der Verkehrswege liegenden Wasserlöcher, um ihre Zugochsen zu tränken. 229 Hier war es bereits seit dem 13.12.1896 immer wieder zu einzelnen Ausbrüchen in den gefährdeten Grenzgebieten gekommen. Staatssekretär des Inneren an Dr. Köhler (Direktor Reichsgesundheitsamt), 26.01.1897, BAB R 86/3000, Nr. 169. 230 Über das Auftreten der Rinderpest in Portugiesisch-Ostafrika (Mosambik) finden sich nur spärliche Hinweise. Im Juli 1897 wurde zwar von dort der Ausbruch einer Viehseuche gemeldet, jedoch dementierte die portugiesische Kolonialverwaltung hartnäckig die Identifizierung der Seuche als Rinderpest. Laut der offiziellen ­Stellungnahme handelte es sich um eine äußerst seltene Lungenkrankheit, die in einigen Grenzdistrikten ausgebrochen sei. Konsul Markus Graf von Pfeil aus Lourenço Marques (Mosambik) an Reichsgesundheitsamt, 17.07.1897, BAB R 86/3000, Nr. 1143. 231 Zu den umweltbedingten Faktoren, die zur Verbreitung der Rinderpest beigetragen haben, siehe: Marquardt, S. 75–76; Ballard, S. 437–439. 232 Zur Stallnutzung in DSWA siehe Gad, S. 72–74.

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Karte 2: Ausbreitung der Rinderpest in Afrika 1887–1898. Aus: Loimeier, Rinderpest 1887–1898, S. 91.

Durch den engen Kontakt an den Wasserstellen reichten einige wenige rinderpestkranke Tiere aus, um in sehr kurzer Zeit eine große Anzahl an Rindern zu infizieren. Dies führte dazu, dass sich die Rinderpest vor allem entlang der Hauptverkehrswege sehr schnell ausbreitete. Die daraufhin von den Kolonialregierungen verfügten Sperrungen der Wege misslangen, da die zuständigen Exekutivkräfte Mühe hatten, die Hauptverkehrswege genau zu lokalisieren und vom Verlauf der vielen kleineren Verbindungswege zwischen Farmen und Orten bestenfalls rudimentäre Kenntnis hatten. Dementsprechend konnten die eingerichteten Kontrollposten von den Frachtfahrern und Viehtreibern problemlos umgangen werden. Insgesamt verfügten

Anpassung europäischer Strategien und Praktiken

die Kolonialverwaltungen über ungenaue Geländekenntnisse und viel zu wenig Personal, um die weiträumigen Grenzen auch nur ansatzweise abriegeln zu können. Um diesem Missstand zu begegnen, wurden umfassende Grenzzäune errichtet. Diese Zäune verursachten hohe Kosten, waren aber wenig effektiv, da zu wenig Personal zu deren Überwachung zur Verfügung stand.233 Schon aufgrund der divergierenden klimatischen Verhältnisse und Viehhaltungspraxis konnten die in Europa halbwegs erfolgreichen Quarantäne- und Absperrungsmaßnahmen nicht auf die afrikanischen Kolonien übertragen werden. Auch die Kolonialverwaltung in DSWA hatte mit dem Mangel an geographischen Kenntnissen, Personal und finanziellen Ressourcen zu kämpfen. Die Umsetzung der auf den Konferenzen in Mafeking und Vryburg beschlossenen Maßnahmen wurde in DSWA zunächst durch die bis dahin verfolgte Gesetzgebungspraxis behindert. Anders als in der Cape Colony, wo seit 1893 der »Animal Disease Act« die legislative Grundlage für die staatliche Bekämpfung von Viehseuchen regelte, existierte in DSWA keine umfassende Viehseuchengesetzgebung. In der Kolonie war lediglich 1887 die »Verordnung betreffend die unter dem Namen ›Longzikte‹ bekannte Krankheit des Rindviehs« erlassen worden.234 Für die Bekämpfung der sich bedrohlich ausbreitenden Rinderpest musste daher zunächst ein entsprechender legislativer Rahmen geschaffen werden. Entsprechend erließ Landeshauptmann Leutwein zwischen Juni 1896 und Januar 1897 eine Reihe von Verordnungen »zur Verhütung der Einschleppung der Rinderpest«.235 Entsprechend den in Vryburg empfohlenen Maßnahmen wurden darin zunächst Einfuhrverbote für Tiere und Tierprodukte verhängt, eine Sperrung der nördlichen und östlichen Grenzen verfügt sowie die Einreise von Personen in die Kolonie sanktioniert. In Bezug auf weitere veterinärpolizei233 Da die Zäune zum Teil durch baumlose Gegenden führten, musste das Holz für die Pfosten häufig über weite Strecken transportiert werden. Zudem wurde der erforderliche Stacheldraht vollständig aus Europa importiert. Der Bau des längsten Zaunes entlang des Oranje-Flusses sowie die Finanzierung sämtlicher anderer Maßnahmen kostete die Kapregierung über ₤600.000, was einem Zehntel des jährlichen Haushaltes der Cape Colony entsprach. Gilfoyle, Veterinary Research, S. 139. 234 Reichskommisar Göring an Kol.Abt., 01.03.1887, Verordnung des Kaiserlichen Kommissars für das südwestafrikanische Schutzgebiet, betreffend die unter dem Namen »Longzikte« bekannte Krankheit des Rindviehs, BAB R 1001/6059, Bl. 18–19. 235 Dies waren: Verordnung betreffend die Maßregeln zur Verhütung der Einschleppung der Rinderpest vom 22. Juni 1896 nebst den dazu gehörigen Zusatzbestimmungen vom 16.09.1897, 30.09.1897 sowie der Anordnung den Bezirkshauptleuten überlassen als Lokal-Verordnung vom 13.01.1897, NAN ZBU 1313 O.III.c.3-1, Bl. 1–6.

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liche Maßnahmen waren die Bestimmungen ausgesprochen allgemein gehalten. Im Falle eines Ausbruchs wurde den Bezirkshauptleuten ein beachtlicher Handlungsspielraum eingeräumt. Dazu verschickte die Kolonialverwaltung einen Auszug aus dem im Deutschen Reich seit 1869 geltenden Rinderpestgesetz. Dabei handelte es sich um die Paragraphen zur Anzeigepflicht eines Seuchenausbruchs sowie Dienstverpflichtung der Zivilbevölkerung im Seuchenfall.236 Auf dieser Grundlage sollten die Bezirke eigenständig die entsprechenden Abwehrmaßnahmen »ergreifen, welche geeignet sind die Weiterverbreitung der Seuche zu verhüten und die im Lande selbst ausgebrochene Seuche zu unterdrücken« und waren ermächtigt, rechtswidrig eingeführtes Vieh sofort zu töten.237 Ein doppelter Zaun entlang der nördlichen und östlichen Grenze DSWAs wurde nicht errichtet. Abgesehen davon, dass die Kolonialregierung selbst nicht genau wusste, wo ihr Einflussbereich eigentlich endete und somit auch keine genaue Vorstellung von dem exakten physischen Verlauf einer solchen Demarkationslinie hatte, verfügte sie auch nicht über die für den Bau eines Zaunes erforderlichen materiellen und personellen Ressourcen. Gemäß der Empfehlung Schuckmanns zu den Beschlüssen der Vryburg Konferenz hatte die Kolonialverwaltung in Windhoek lediglich die Sperrung der Hauptverkehrswege sowie die Einrichtung eines ca. 30 Kilometer breiten Grenzstreifens entlang der Nord- und Ostgrenze veranlasst. Innerhalb dieser Zone sollten Grenzpatrouillen alle angetroffenen Wiederkäuer erschießen.238 Dazu wurden zwischen November 1896 und Februar 1897 insgesamt 16 Militärposten angelegt, die zusammen eine über 500 km lange Absperrlinie bildeten (siehe Karte 3). Der Verlauf dieser Linie wie auch die Wahl der Stationsorte spiegelten sowohl machtpolitische Realitäten als auch geographische Un236 Ebd., Bl. 6. Laut dem Reichsgesetz verlor der Betroffene jeden Anspruch auf staatliche Entschädigung, wenn die Anzeigepflicht verletzt wurde. Die wichtige Frage, ob und wenn in welchem Umfang die Kolonialverwaltung Entschädigungszahlungen leisten konnte, blieb hingegen ungeklärt. Siehe dazu ausführlich Kapitel 6.1. dieser Arbeit. Die Dienstverpflichtung der Zivilbevölkerung im Seuchenfall war nötig, um die Umsetzung der personalintensiven Abwehrmaßnahmen angesichts der geringen Bevölkerungsdichte überhaupt zu ermöglichen. Nach dem Ausbruch der Seuche in der Kolonie hatten die Bezirkshauptleute dennoch erhebliche Schwierigkeiten, die Dienstverpflichtung umzusetzen. Dies geht aus den Aufzeichnungen des Distriktchefs von Omaruru, Victor Franke, hervor, dem es offenbar nicht gelang, alle Einwohner zur Unterstützung heranzuziehen. Franke, S. 47. 237 Verordnung betreffend die Maßregeln zur Verhütung der Einschleppung der Rinderpest, 22. Juni 1896, NAN ZBU 1313 O.III.c.3-1, Bl. 1–3. 238 Schuckmann an Reichskanzler, 06.09.1896, BAB R 86/1360, Nr. 1511.

Anpassung europäischer Strategien und Praktiken

kenntnis. Große Teile des nominellen »Schutzgebietes« wurden ausgespart, da sie außerhalb der tatsächlichen Einflusssphäre der Kolonialmacht lagen. Zudem war die Kolonialverwaltung bei der Errichtung und Besetzung der einzelnen Stationen massiv auf die Kooperationsbereitschaft der lokalen indigenen Bevölkerung angewiesen.239 Wie zuvor in den anderen Kolonien erfüllte auch die in DSWA errichtete Absperrlinie ihren Zweck nicht. Die einzelnen Posten lagen zu weit auseinander und waren personell unterbesetzt, um durchgehende Kontrollen gewährleisten zu können. Zudem wurde die ohnehin geringe Zahl der Soldaten noch durch eine Fieberepidemie dezimiert.240 Die erste offizielle Meldung über den Ausbruch der Rinderpest ging in Windhoek am 6. April 1897 ein. Gouverneur Leutwein teilte der Kol. Abt. per Telegramm am 27. April den Ausbruch sowie die umgehend verfügte Absperrung der Gebiete östlich von Windhoek mit.241 Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Rinderpest bereits ein halbes Jahr zuvor in der nordöstlichen Grenzregion ausgebrochen war. In den Berichten der Rheinischen Missionsgesellschaft wird der Ausbruch der Rinderpest im »Osthereroland« bereits im September des Jahres 1896 erwähnt.242 Dies erscheint aufgrund der engen Handelsbeziehungen sowie der geringen Reichweite der kolonialen Kontrolle durchaus möglich. Zudem wurde die Seuche von vielen Viehbesitzern aufgrund der ähnlichen Symptome häufig mit der Lungenseuche verwechselt. Diese Fehldiagnose stellte auch der Veterinär Borchmann, der kurz nach dem Eintreffen der ersten Seuchenmeldungen in die nordöstliche Grenzregion entsandt worden war.243 Bis die entsprechenden Quarantäne- und Absperrungsmaßnahmen in die Wege geleitet wurden, hatten europäische Händler und Frachtfahrer die Rinderpest aus dem »Osthereroland« ins Landesinnere verschleppt.244

239 Dazu ausführlich: Miescher, S. 7–12. 240 Gewald, Towards Redemption, S. 139; Mehr, S. 315–317. 241 Kol.Abt. an Köhler (RGA), 11.06.1897, BAB R 86/3000, Nr. 817. Dem Schreiben liegt eine Abschrift von Leutweins Meldung vom 27.04.1897 bei. 242 Berichte RMG, Jg. 53 (1896), Nr. 9, S. 280. Zudem kursierten in der Kapkolonie seit Oktober 1896 immer wieder Gerüchte, welche vom Auftreten der Rinderpest in DSWA berichteten. Schuckmann an Köhler (RGA), 16.12.1896, BAB R 86/3000, Nr. 169. 243 Leutwein äußerte daher den Vorwurf, dass Borchmann an dem Seuchenausbruch zumindest eine Teilschuld getragen habe, da er die ersten Fälle der Rinderpest irrtümlich als Lungenseuche diagnostiziert hatte. Leutwein an Reichskanzler, 17.05.1897, BAB R 86/1360, Nr. 932. 244 Rohrbach, Deutsche, S. 273–275.

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Karte 3: Rinderpestabsperrlinien in DSWA 1896/97 (Kartenvorlage: Miescher, Rote Linie, S. 370)

Anpassung europäischer Strategien und Praktiken

Am 29. April 1897 erreichte die Seuche Windhoek,245 das Verwaltungszentrum sowie den wichtigsten Verkehrsknotenpunkt und Warenumschlagplatz der Kolonie. Dies beschleunigte die Verbreitung der Rinderpest, die sich entlang der größeren Binnenhandelsrouten in nördlicher, südlicher und westlicher Richtung ausweitete. Am 24. Mai des Jahres stellte der Distriktchef von Otjimbingwe, Victor Franke,246 den Ausbruch der Seuche entlang der wichtigsten Verkehrsader, dem Baiweg zwischen Swakopmund und Windhoek fest.247 Bereits Ende Mai 1897 wurden Rinderpestfälle aus dem Südosten der Kolonie, dem Gebiet des Nosobflusses, gemeldet und Ende des Jahres erreichte die Seuche die Regionen im Norden, die sich außerhalb des Herrschaftszugriffes der Kolonialverwaltung befanden.248 Obwohl die Kolonialregierungen die in Mafeking und Vryburg gefassten Beschlüsse beherzigten und erhebliche finanzielle Mittel zur Seuchen­ abwehr aufwandten, versagte die in Europa bewährte Bekämpfungsstrategie in Afrika. Wesentliche Hauptfaktoren waren die durch die klimatischen Verhältnisse bestimmte Art der Viehhaltung, der durch die seit 1894 herrschende Dürre problematischer werdende Zugang zu Wasserstellen sowie der transkoloniale Ochsenwagenverkehr. Diese Faktoren wurden durch den Mangel an Personal, fehlende finanzielle Ressourcen und vor allem durch die rudimentären Kenntnisse der Regierungen von den Gegebenheiten vor Ort weiter verstärkt.

245 Berichte RMG, Jg. 54 (1897), Nr. 7, S. 215. 246 Victor Franke (1866–1936) trat 1896 in die Schutztruppe für DSWA ein. Zunächst wurde Franke Distriktchef in Omaruru. Im Laufe der Dienstzeit erhielt er mehrere Auszeichnungen und Beförderungen (Franke wurde 1905 als einzigem Angehörigen der Schutztruppe für seine militärischen Leistungen im »Hererokrieg« der Orden »pour le merite« verliehen). Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde Franke zum Kommandeur der Schutztruppe ernannt. 1919 wurde er repatriiert und ging 1930 nach Brasilien. 1936 starb er in Hamburg an den Folgen einer langjährigen Tropenkrankheit. Franke, S. VIII–XII; DKL, Bd. I., S. 660. 247 Ebd., S. 46. 248 Über den genauen Verlauf der Seuche in diesem Gebiet gibt es kaum Aufzeichnungen, da sich die Ovambo dem Herrschaftsanspruch der Deutschen erfolgreich widersetzten. Dort konnten sich nur wenige Missionsstationen halten, von denen die spärlichen Berichte stammen. Berichte RMG, Jg. 55 (1898), Nr. 3, S. 74.

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2.2 Erweiterung: Die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Rinderpest 1896–97 Das totale Versagen der in Europa bewährten Abwehrstrategie gegen die Rinderpest produzierte eine generelle Wissenskrise über den Umgang mit und die Bekämpfung von Tierseuchen in den Kolonien des südlichen Afrika. Diese Wissenskrise zeichnete sich für einige der mit der Bekämpfung der Rinderpest befassten Veterinäre bereits 1896 ab. Angesichts des Versagens der »stamping out policy« in British Bechuanaland und der Cape Colony äußerte der Chefveterinär von Natal, Watkins-Pitchford, auf der Konferenz in Vryburg, »that the only possible hope of  a remedy being in the serum treatment«.249 Diese Ansicht teilte auch Arnold Theiler, der aufgrund des Seuchenausbruchs kurz zuvor zum ersten »Staatsveearts« Transvaals ernannt worden war.250 Die Hoffnung, ein Impfverfahren gegen die Rinderpest zu entwickeln, war nicht unbegründet. Da Rinder, die die Seuche überlebten, nicht mehr an dieser erkrankten, waren in Europa bereits seit dem 18. Jahrhundert immer wieder Impfversuche durchgeführt worden.251 Deren Ergebnisse waren aber sehr unzuverlässig und wurden daher von Seiten der Obrigkeit nicht weiter gefördert.252 Aus Angst, es könnte durch fehlgeschlagene Versuche zu einem Ausbruch der Seuche kommen, waren im Deutschen Bund ab 1869 Heilversuche jeder Art per Gesetz strengstens verboten worden.253 1896 gaben die jüngsten wissenschaftlichen Entwicklungen der Bakteriologie und Immunologie indes allen Grund zur Annahme, dass die Entwicklung eines Impfverfahrens im südlichen Afrika gelingen werde. Vor allem der Ansatz der Serum-Therapeutik galt zeitgenössisch als einer der vielversprechendsten Forschungsansätze.254 Von diesen wissenschaftlichen Fortschritten hofften 249 Zitiert nach: Spinage, S. 425. 250 Theiler, His Life and Times, S. 4. 251 Als Vorbild dienten die ersten erfolgreich durchgeführten Pockenimpfungen. Dabei wurden geringe Mengen der Pockenerreger unter die Haut gespritzt. Diese Methode war zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Osmanischen Reich bereits bekannt und kam durch die Frau eines englischen Diplomaten nach Europa. Dazu ausführlich: Wolff, S. 99–109. 252 Zu den Impfversuchen im 18. Jahrhundert siehe Hünemörder, S. 32–48; Huygelen, S. 182–196 sowie Spinage, S. 397–424. 253 Haupt, Rinderpest, S. 390. 254 Wie oben bereits ausgeführt, diente der serotherapeutische Ansatz später auch als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Immunisierungsverfahrens gegen die Pferdesterbe. Diese Methode beruhte auf der Entdeckung, dass Blutserum mit Diphterie infizierter Organismen eine immunisierende Wirkung aufwies. Der französische

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auch die Kolonialregierungen im südlichen Afrika zu profitieren. Umgehend wurden die verfügbaren Experten mit Forschungsarbeiten beauftragt. In den meisten Kolonien bestand der Veterinärdienst in der Regel aus wenigen Militärtierärzten und vereinzelten Veterinären.255 Diese nahmen ab Oktober 1896 ihre Arbeiten zur Entwicklung einer prophylaktischen oder therapeutischen Impfung gegen die Rinderpest auf. Obwohl die Cape Colony bereits seit 1891 über ein Forschungslabor sowie eine nennenswerte Anzahl von Regierungstierärzten verfügte, begann erst mit diesen Forschungsarbeiten die zielgerichtete, laborgestützte Produktion veterinärmedizinischen Wissens über Tierseuchen im südlichen Afrika. Für die Regierung der Cape Colony befasste sich Alexander Edington, der Leiter des bakteriologischen Instituts in Grahamstown, mit der Suche nach einer Impfmethode. Zeitgleich wurden die Regierungstierärzte Transvaals und Natals, Arnold Theiler und Herbert Watkins-Pitchford, mit gemeinsamen Forschungsarbeiten beauftragt.256 Parallel dazu wurden in Europa Experten angeworben, die bis Januar 1897 vor Ort eintrafen. Dem Premierminister der Cape Colony, Cecil Rhodes, gelang es, im Oktober 1896 mit Robert Koch einen der international renommiertesten Bakteriologen für die Entwicklung eines Impfverfahrens zu gewinnen.257 Die Regierung Transvaals erhielt Unterstützung vom Pariser Institut Pasteur. Dieses entsandte

Bakteriologe Roux entwickelte eine Methode, um Serum in großem Maßstab zu produzieren. Dazu injizierte er Pferden kleine Mengen von Diphteriebakterien und steigerte die Dosis, bis das Serum eine ausreichende Menge an Antitoxin enthielt. Gilfoyle Veterinary Research, S. 139–141. 255 Zur Hebung der Viehzucht hatte die Regierung der Cape Colony in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begonnen, ein koloniales Veterinärwesen aufzubauen. Die Hauptaufgaben der Veterinäre bestanden in der Erforschung und Entwicklung von Präventionsmaßnahmen gegen die in der Kolonie auftretenden Viehseuchen. Zu diesem Zweck richtete die Regierung der Cape Colony 1891 eine veterinär-bakteriologische Forschungsanstalt in Grahamstown ein. Wallace, Farming Industries, S. 30–33. 256 Verney, Rinderpest, S. 95–103. 257 Am 22. Oktober 1896 wandte sich Premierminister Cecil Rhodes mit einer Bitte an den deutschen Generalkonsul in Südafrika, Bruno von Schuckmann. Robert Koch sollte sich an der Erforschung der Rinderpest in der britischen Cape Colony beteiligen. Ungewöhnlich an dieser Anfrage ist, dass sie nicht auf dem normalen diplomatischen Weg an Koch gerichtet wurde. Eigentlich hätte sich Rhodes mit seinem Anliegen an die britische Botschaft in Berlin wenden müssen, die dieses dann weitergeleitet hätte. Laut Schuckmanns Bericht vermied Rhodes diesen aufwendigen Weg aus Angst, dass zu viel Zeit verstreichen würde. Schuckmann an Reichskanzler, 22.10.1896, BAB R 1001/6089, Bl. 53–54.

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im Januar 1897 mit den Bakteriologen Jules Bordet und Jean Danysz weitere europäische Spezialisten ins südliche Afrika. Zu den Beweggründen, warum sich die Kolonialregierungen um die Hilfe europäischer Wissenschaftler bemühten, vermutet Gilfoyle, dass die Regierungen die europäischen Bakteriologen in die Forschungen mit einbezogen, da sie an den Fähigkeiten der eigenen Veterinäre zweifelten.258 Dies erscheint durchaus plausibel. Zwar waren alle in den südafrikanischen Kolonien verfügbaren Veterinäre in Europa ausgebildet worden. Da es bis 1896 aber nur ein bakteriologisches Labor im südlichen Afrika gab, verfügten die wenigsten Regierungstierärzte über Routine im Umgang mit bakteriologischen Methoden. Ein weiterer gewichtiger Grund wird das internationale Renommee der Berliner und Pariser Institutionen bzw. der Person Robert Koch gewesen sein. Bordet und Danysz waren Mitte der 1890er Jahre zwei aufstrebende Bakteriologen und mit den neuesten Methoden und Techniken vertraut. Robert Koch hingegen galt sogar als einer der Begründer der Bakteriologie und genoss hohes internationales Ansehen. Zudem hatte er bereits umfangreiche Erfahrungen bei der Feldforschung in tropischen Gebieten gesammelt.259

2.2.1 Forschungen in Transvaal

Nachdem sie auf der Rinderpestkonferenz in Vryburg auf die Möglichkeit, einen Impfstoff gegen die Viehseuche zu entwickeln, hingewiesen hatten, begannen Arnold Theiler und Herbert Watkins-Pitchford, unterstützt vom Nataler GVO Frank Verney, im Oktober 1896 mit ihren Experimenten. Diese führten sie in einem eigens zu diesem Zweck eingerichteten Feldlabor am 258 Gilfoyle, Veterinary Research, S. 141. 259 Im Falle Kochs wird auch dessen persönliche Situation eine Rolle für die Expedition nach Südafrika gespielt haben. Den Zenit seiner wissenschaftlichen Karriere hatte Koch bereits überschritten und er führte ein für die Zeitgenossen skandalöses Privatleben. Laut den meisten Biographen nutzte Koch daher seit 1883 jede Möglichkeit, um sich der öffentlichen Aufmerksamkeit zu entziehen. Darüber hinaus lockten Koch wohl die guten Verdienstmöglichkeiten sowie die Aussicht, in Afrika neue wissenschaftliche Durchbrüche zu erzielen. Zu Kochs Motiven, seinen Forschungsreisen und deren wissenschaftlichem Ertrag siehe: Echenberg, S. 133–151. Leider konzentriert sich Echenberg in seinem Aufsatz zu sehr auf die Person Robert Koch und dessen Wahrnehmung. Dabei geraten etliche Details seiner Forschungsarbeiten in Kimberley sowie deren Wirkung und Einfluss auf die Seuchenbekämpfung etwas kurz. Auch wird Kochs vermeintlich negativer Einfluss auf die Entwicklung des Veterinärwesens im südlichen Afrika von Echenberg überschätzt.

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Marico-Fluss im nördlichen Transvaal durch.260 Der Ort war aufgrund seiner isolierten Lage sowie der Nähe zur Grenze des Bechuanaland Protectorate gewählt worden. Dort grassierte die Rinderpest seit März 1896 und somit war die Beschaffung von Untersuchungsmaterial relativ leicht.261 Durch die isolierte Lage des Feldlabors sollte die Gefahr einer Einschleppung und Verbreitung der Seuche durch die Versuchstiere reduziert werden. Dies führte jedoch auch dazu, dass die Versuche unter denkbar ungünstigen Umständen ausgeführt werden mussten.262 Bei der Suche nach einer prophylaktischen oder kurativen Impfmethode konzentrierten sich Watkins-Pitchford und Theiler von Beginn auf den serotherapeutischen Ansatz.263 Dieser basierte darauf, dass Blut von Tieren, die eine Krankheit überstanden hatten, ein »Antitoxin« enthielt. Injizierte man gesunden Tieren eine ausreichende Menge dieses Antitoxins, hatte dies eine immunisierende und mitunter heilende Wirkung. Da Rinder, die eine Infektion mit Rinderpest einmal überlebt hatten, über eine lebenslange Immunität verfügten, hofften Watkins-Pitchford und Theiler, dass deren Blut ebenfalls ein »Antitoxin« enthalte. Nach etlichen Versuchsreihen stellten sie fest, dass eine große Menge Blutserum immuner Tiere nicht nur eine passive Immunität erzeugen, sondern im frühen Krankheitsstadium auch eine kurative Wirkung haben konnte. In anschließenden Versuchen wurden immune Rinder wiederholt mit Blut erkrankter Tiere geimpft. Durch die künstliche Infektion, das sogenannte »Hochtreiben«, sollte der Organismus zur Produktion des »Antitoxins« angeregt und so die Wirksamkeit des Immunserums kontrolliert gesteigert werden. Theiler und Watkins-Pitchford behandelten daraufhin mehrere Versuchsrinder mit unterschiedlich hohen Dosen Immunserum, um dessen Wirksamkeit zu testen.264 Diese Versuche waren zwar erfolgreich, aber die dadurch erzeugte passive Immunität hielt nur circa vier Wochen an – zu kurz für die 260 Das Forschungslabor bestand aus mehreren Zelten, die in Owarsberg am Marico-Fluss (in der heutigen Republik Südafrika) aufgeschlagen wurden. Theiler, Life and Times, S. 4. 261 Innerhalb von nur 25 Tagen hatte sich die Seuche im gesamten Beschuanaland Protectorate ausgebreitet. Phoofolo, Epidemics and Revolutions, S. 113–114. 262 Verney, Rinderpest, S. 95. 263 Dieser Ansatz ging weitgehend in die gleiche Richtung wie die von Robert Koch ab Dezember 1896 in Kimberley begonnenen Forschungen. Als dieser in der Cape Colony eintraf, hatten Theiler und Watkins-Pitchford bereits die ersten Testreihen mit Blutserum abgeschlossen. 264 Bericht Rinderpest-Congress Pretoria, S. 44–45.

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Durchführung einer flächendeckenden Schutzimpfungskampagne. Daher musste ein Verfahren entwickelt werden, bei dem die passive in eine aktive und damit länger anhaltende Immunität umgewandelt wurde. Während Koch bereits die von ihm in der Cape Colony entwickelte »Gallenimpfung« als den Durchbruch präsentierte, führten Theiler und Watkins-Pitchford weitere Versuche durch. Dazu wurden Tiere künstlich infiziert und später mit Serum behandelt. Um das optimale Verhältnis von Infektionsstoff und Serum zu finden, wurden dabei unterschiedlich hohe Dosierungen verwen­ det. Da bei dieser Methode die Tiere mindestens zweimal geimpft werden mussten, verfolgten Watkins-Pitchford und Theiler parallel Versuche zur Entwicklung einer Simultanimpfung. Dazu wurden die Versuchsrinder gleichzeitig mit Immunserum und Pestblut geimpft. Damit hatten WatkinsPitchford und Theiler Anfang 1897 bereits eine brauchbare Grundlage für die Entwicklung einer Serum-Blut-Impfung geschaffen. Weitere Versuche, ein praktisch anwendbares Impfverfahren zu entwickeln, konnten sie aber nicht mehr durchführen. Im März 1897 wurde die Versuchsstation am Marico-Fluss aufgelöst. Watkins-Pitchford und GVO Verney kehrten nach Natal zurück. Arnold Theiler wurde den Bakteriologen Danysz und Bordet vom Institut Pasteur als Assistent zugeteilt. Diese hatten direkt nach ihrer Ankunft in Transvaal im Januar 1897 eine eigens von der Regierung eingerichtete Versuchsstation nördlich von Pretoria bezogen. Ohne die von Theiler und Watkins-Pitchford bereits erarbeiteten Ergebnisse zu rezipieren, hatten sie ebenfalls mit der Entwicklung eines Immunisierungsverfahrens auf der Basis der Serotherapeutik begonnen. Theiler arbeitete zusammen mit Bordet und Danysz an der Optimierung der Serum-Blut-Impfung.265 Zunächst konzentrierten sich die Versuche auf die optimale Präparation der Serumrinder. Zur Herstellung des Immunserums gab es zwei Möglichkeiten. Entweder wurde das abgezapfte Blut zunächst durch Schütteln oder kräftiges Rühren defibriniert, also von den Gerinnungsstoffen befreit, und anschließend durch Zentrifugation oder Stehenlassen von den festen Bestandteilen getrennt. Oder man kühlte das Blut mit Eis, um das Plasma von den festen Bestandteilen zu trennen. Das Plasma wurde anschließend unter 265 Spinage, S. 428–429. Es stellte sich heraus, dass es ausreichte, immune Tiere im Abstand von zehn Tagen zwei- bis dreimal mit 200–500 ccm Pestblut zu impfen, um ein ausreichend wirksames Immunserum zu erhalten. Der ideale Zeitpunkt zu dessen Gewinnung war 15 Tage nachdem die Tiere durch einen Anstieg der Körpertemperatur eine merkliche Reaktion auf die künstliche Infektion gezeigt hatten.

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hohem Druck filtriert, um es von den Gerinnungsstoffen zu befreien.266 Beide Verfahren erforderten, neben Zeit und Fachkenntnissen, entsprechend ausgestattete Räumlichkeiten und vor allem teure Apparaturen. Angesichts der sich schnell verbreitenden Seuche sowie dem Mangel an entsprechend ausgebildetem Impfpersonal mussten die Experten also das Verfahren an die bei der praktischen Anwendung zu erwartenden lokalen Gegebenheiten anpassen. Daher nutzen Danysz, Bordet und Theiler bei den weiteren Versuchen kein Plasma, sondern defibriniertes Blut immuner Tiere. Abgesehen von der geringeren Haltbarkeit wies dies eine vergleichbare Wirksamkeit auf und war zudem technisch deutlich einfacher und schneller herzustellen.267 Die ersten erfolgreichen Feldversuche mit der Serum-Blut-Impfung wurden in Transvaal ab Juli 1897 durchgeführt.268 Ab September 1897 kam das Serum-Blut-Verfahren in Transvaal flächendeckend zur Anwendung. Von der Impfkampagne profitierten vor allem europäische Farmer. Deren Rinder wurden mit defibriniertem Immunblut geimpft und anschließend der Infektion ausgesetzt. Letzteres erfolgte entweder durch das Zusammenstellen mit erkrankten Tieren oder künstlich, indem Schnauze und Nüstern mit einer Mischung aus dem Blut und dem Darminhalt eines kürzlich an Rinderpest gestorbenen Tieres eingerieben wurden. Anschließend wurden die Tiere erneut mit Immunblut geimpft. Tiere, die dennoch binnen 30 Tagen Krankheitserscheinungen zeigten, wurden ein drittes Mal geimpft. Aufgrund seiner kurativen Wirkung wurde das Immunblut auch zur Behandlung sich im Anfangsstadium der Erkrankung befindlicher Rinder angewandt. Insgesamt überlebten circa 85 % der geimpften Tiere.269 Die positiven Resultate veranlassten die Regierung Transvaals, 1898 in Daspoort eine »Impfstoff-Fabrik« unter der Leitung Theilers einzurichten.270 Als im Juli 1897 die Rinderpest in Natal ausbrach, verfügten die dortigen Veterinäre, Watkins-Pitchford und Verney, zwar über fundierte Kenntnisse 266 Zur Serumgewinnung siehe: Verney, Rinderpest, S. 100–101; Sieber, S. 348–349. 267 Bericht Rinderpest-Congress Pretoria, S. 66–68. 268 Zunächst wurden 200 Tiere erfolgreich geimpft und anschließend wurden durch eine Regierungskommission die ersten 3.600 Tiere geimpft. Dabei trat ein Verlust von »nur« 15 % auf. N. N., Note on the Prevention of Rinderpest, in: The Gundagai Independent and Pastoral, Agricultural & Mining Advocate (NSW) 12 October 1898. S. 4. 269 Ballard, S. 442. 270 Neben dem Rinderpestserum wurden in dem Labor in Daspoort später noch weitere veterinär- und humanmedizinische Impfstoffe (u. a. Pockenimpfstoff)  produziert. Jaff, S. 111–121.

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über die Serum-Blut-Methode. Diese konnte jedoch nicht angewandt werden, da es zum Zeitpunkt des Rinderpestausbruches keine für die Impfstoffproduktion erforderlichen immunen Rinder in Natal gab. Die Beschaffung solcher Tiere aus den benachbarten Kolonien gelang erst im August und nach der Präparation der »Serumrinder« erfolgte Ende 1897 die flächendeckende Serumimpfung.271 Bis dahin wurden die Rinder mit Hilfe der im März 1897 in der Cape Colony entwickelten »Koch’schen Methode« geimpft, bei der die Galle infizierter Tiere verwandt wurde. Mit dieser Technik waren zwei Regierungstierärzte vertraut, die längere Zeit in Kochs Versuchsstation mitgearbeitet hatten.272 Auch in Natal wurden die Herden europäischer Farmer bevorzugt geimpft und entsprechend fiel auch hier der Großteil der Rinderbestände indigener Farmer der Seuche zum Opfer.273

2.2.2 Erfolg durch die Rezeption lokaler Praktiken? Robert Kochs Forschungsarbeiten in der Cape Colony

Parallel zu Theiler und Watkins-Pitchford nahm ab Oktober 1896 der Direktor des Cape’s Bacteriological Insitute, Alexander Edington, seine Forschungsarbeiten auf. Um die Beschaffung von Untersuchungspräparaten relativ einfach und ohne Gefahr der Seuchenverschleppung bewerkstelligen zu können, richtete er sein Forschungslabor ebenfalls in unmittelbarer Nachbarschaft zum Bechuanaland Protectorate ein, wo bereits etliche Seuchenherde existierten. Als Labor nutzte Edington einen ausrangierten Eisenbahnwaggon, der auf einem Abstellgleis in Nähe der Siedlung Taung aufgestellt wurde.274 Bereits nach kurzer Zeit hatte er in Blutpräparaten rinderpestkranker Tiere einen Mikroorganismus nachweisen können und meinte den Erreger der Seuche identifiziert zu haben.275 Anschließend baute Edington seine Forschungen auf dem von Pasteur bei der Entwicklung des Milzbrandimpfstoffes angewandten Prinzips auf. Dies bestand darin, den Erreger der Krankheit zu isolieren und diesen gezielt im Labor abzuschwächen. Diese 271 Verney, Rinderpest, S. 98–100. 272 Die Assistenztierärzte, Stapley und Baxter hatten längere Zeit in Kochs Versuchsstation mitgearbeitet und die Entwicklung der Gallenimpfung begleitet. Verney, Rinderpest, S. 97. 273 Ballard, S. 443–445. 274 Spinage, S. 425. 275 Gilfoyle, Veterinary Research, S. 141.

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abgeschwächten Erregerkulturen sollten dann die Grundlage für einen Impfstoff werden. Seine Forschungen unterbrach Edington Ende November und reiste nach Cape Town. Nachdem dort Anfang Dezember 1896 auch Robert Koch und sein Assistent Paul Kohlstock eingetroffen waren, begleitete Edington die beiden Deutschen zusammen mit dem Chefveterinär der Cape Colony, Duncan Hutcheon, sowie dem Bakteriologen George Turner auf der Weiterreise nach Kimberley. Turner war Koch von der Regierung der Cape Colony als wissenschaftlicher Assistent zur Verfügung gestellt worden. Weitere Unterstützung erhielt Koch von der Regierung des Oranje-Vrystaats, die entsandte den GVO Otto Henning276 nach Kimberley. Auf dem drei Kilometer von der Stadt entfernt liegenden Gehöft Victoria Compound wurde unter Beteiligung der De Beers Company ein Forschungslabor für Koch eingerichtet. Die Lage nahe der Grenze zum Oranje-Vrystaat war ideal, da dort auf mehreren Farmen die Rinderpest ausgebrochen war.277 Kurz nachdem Koch seine Forschungsarbeiten aufgenommen hatte, wies er durch Infektionsversuche nach, dass es sich bei den von Edington gefundenen Mikroorganismen nicht um den Erreger der Rinderpest handelte.278 Weitere Bemühungen Kochs, den Erreger der Rinderpest zu isolieren, blieben erfolglos.279 Da es innerhalb der Bakteriologie bereits anerkannt war, dass etliche Krankheiten durch »ultravisible« Keime hervorgerufen wurden, stellten Koch und seine Mitarbeiter weitere Versuche in dieser Richtung ein.280 Bei der Untersuchung von Blutpräparaten stellte sich heraus, dass einige Rinder an einer Sekundärinfektion mit Texasfieber-Parasiten281 litten, welche den Krankheitsverlauf der Rinderpest 276 Otto Henning war zum Zeitpunkt des Ausbruches der Rinderpest 1896 leitender Veterinärbeamter des Oranje-Vrystaates, als dessen Vertreter nahm er später auch am dritten Internationalen Rinderpestkongress in Pretoria teil. Siehe dazu Kapitel 3.1 dieser Arbeit. 277 Koch, Reiseberichte, S. 2. 278 Kohlstock an Kol.Abt., 19.12.1896, Bericht aus Kimberley BAB R 1001/6089, Bl. 72–73; Koch, Reiseberichte, S. 16. Dies führte zusammen mit der massiven finanziellen Unterstützung Kochs durch die Regierung zu einem angespannten Verhältnis zwischen Edington und Koch, welches sich später negativ auf die Koordination der Impfkampagnen in der Cape Colony auswirkte. Siehe dazu ausführlich: Gilfoyle, Veterinary Research, S. 143–146. 279 Koch, Reiseberichte, S. 12–13. 280 Zum Konzept ultravisibler Erreger: Koch, An Address, S. 206–207. 281 Texasfieber ist eine durch einzellige tierische Organismen (Piroplasmen der Gattung Babesia bigemina)  hervorgerufene und durch bestimmte Zeckenarten übertragene Krankheit, die Rinder in den tropischen und subtropischen Regionen Afrikas, Austra­ liens sowie Mittel- und Südamerikas befällt. Rommel, S. 1443.

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offenbar negativ beeinflusste.282 Im Rahmen der weiteren Versuche, wurde daher nur Blut verwand, welches zuvor mikroskopisch untersucht worden war.283 Ansonsten wurde dieser »Entdeckung« zunächst keine weitere Bedeutung beigemessen. Bereits ab Mitte Dezember 1896 konzentrierten sich die weiteren Forschungsarbeiten auf die systematische Suche nach einem Immunisierungsverfahren. Dabei griff Koch auf die verschiedenen bislang erfolgreichen Methoden der Bakteriologie zurück. Eine Versuchsreihe orientierte sich, wie schon Edingtons Ansatz, an der von Pasteur mit Hilfe abgeschwächter Kulturen entwickelten Milzbrandimpfung. Wie Edington scheiterte auch Koch bei dem Versuch, den Rinderpesterreger im Blut mit Hilfe von chemischen oder physikalischen Mitteln abzuschwächen.284 Dies gelang zwar durch wiederholte Passagen durch mehrere Generationen von Ziegen. Die Produktion eines Impfstoffes auf diesem Wege wurde aber als zu zeitaufwendig angesehen. Parallel wurden daher Versuche auf der Grundlage des serotherapeutischen Ansatzes durchgeführt.285 Wie Theiler und Watkins-Pitchford stellte auch Kochs Forschergruppe fest, dass Blutserum immuner Tiere eine kurzzeitige Schutzwirkung erzeugte.286 Die Effektivität des Serums ließ sich durch die Beimischung von virulentem Rinderpestblut nur bedingt steigern.287 Um die Tiere mit Hilfe dieses Serum-Blut-Gemisches zu immunisieren, wurden sie einer 14-tägigen »Impfkur« unterzogen.288 Für eine praktische Anwendung war dieses Verfahren, aber ebenfalls zu langwierig. 282 Koch, Experimentalstudien, S. 227. Diese Erkenntnis war später bei der flächendeckenden Impfung von großer Bedeutung. 283 Koch, Reiseberichte, S. 15. 284 Das Blut wurde mit Phenol, Glycerin oder destilliertem Wasser gemischt. Dadurch wurden die Erreger aber vollständig abgetötet und das Blut für eine Impfung unbrauchbar. Koch, Experimentalstudien, S. 242. 285 Die Passage-Versuche wurden zunächst noch weitergeführt. Koch, Experimentalstudien, S. 241. In Afrika kam diese Methode aber nicht mehr zur Anwendung. Später gelang die Abschwächung des Erregers durch andere Tierarten und es wurde erfolgreich ein Serum gegen die Rinderpest entwickelt. Dazu ausführlich Spinage, S. 438–443. 286 Zu der gleichen Erkenntnis waren zwei Monate zuvor bereits Theiler und WatkinsPitchford in Transvaal gelangt. Diese bildete für die später von Theiler, Bordet und Danysz entwickelte Serummethode den Ausgangspunkt. 287 Dadurch verringerte sich auch die pro Tier benötigte Dosis von 100ccm Serum auf 20ccm Serum-Blut-Gemisch. Koch, Experimentalstudien, S. 242. 288 Nach Ende dieser Kur überstanden die Rinder die Injektion von 20ccm Rinderpestblut, was dem 10.000-fachen der von Koch berechneten tödlichen Dosis entsprach, ohne Anzeichen einer Erkrankung zu zeigen. Koch, Reiseberichte, S. 22.

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Zusammen mit Otto Henning reiste Koch mehrfach in den Oranje-­Vrystaat, um die unterschiedlichen Krankheitsstadien der Rinderpest zu studieren und Infektionsmaterial für weitere Versuche zu beschaffen. Dabei beobachtete Koch unterschiedliche Behandlungsmethoden, die von lokalen Farmern im Oranje-Vrystaat zum Schutz ihrer Rinder ergriffen wurden. Neben offensichtlich nutzlosen Verfahren289 hatten einige Farmer ihre Tiere erfolgreich mit einem Gemisch aus Blut, Galle und anderen Sekreten von an Rinderpest gestorbenen Tieren behandelt.290 Dabei wurde mit infektiösem Material getränkte Watte gesunden Tieren in eine Schnittwunde am Schwanz gelegt und diese Wunde dann verbunden. Ein ähnliches Verfahren wandten Farmer in Transvaal an. Dort war es unter dem Namen »Waterberg’sche Methode« bekannt.291 Wie auch Gilfoyle vermutet, liegt es nahe, dass diese Vorgehensweise auf der seit den 1850er Jahren im südlichen Afrika gebräuchlichen Impfmethode gegen Lungenseuche beruhte.292 Dabei wurde Watte mit Lungenflüssigkeit erkrankter Tiere getränkt und gesunden Tieren wie oben beschrieben appliziert. Dieses Impfverfahren war Anfang der 1850er Jahre vom belgischen Arzt Louis Willems in Europa entwickelt worden und basierte auf dem Prinzip der Pockenimpfung. Die Lungenseucheimpfung wurde 1853 erstmals in Zeitungen in der Cape Colony bekannt gemacht und von europäischen und indigenen Viehbesitzern adaptiert. Zusammen mit der Lungenseuche verbreitete sich das Wissen um die Impfmethode bis nach Namibia und wurde dort spätestens seit 1860 angewandt.293 289 Fast alle Rinder wurden mit Knoblauch am Hals eingerieben, in anderen Fällen haben die Farmer ihren Tieren offenbar ein Gemisch aus Karbolsäure und Petroleum oral verabreicht. Koch, Reiseberichte, S. 14. 290 Ebd., S. 12. 291 Bericht Rinderpest-Congress Pretoria, S. 19–21. 292 Gilfoyle, Veterinary Research, S. 142. 293 Die von dem belgischen Veterinär Louis Willems entwickelte Impfmethode gelangte aus Belgien zunächst nach Südafrika und anschließend durch den überregionalen Vieh- und Warenhandel der Oorlam nach Namibia. Die Impfmethode ging sehr rustikal von statten. »Die Lymphe wird einem eben gestorbenen oder todtgeschossenen lungenkranken Ochsen entnommen. Mit Hülfe eines Messers entblößt man jetzt die Haare der Schwanzquaste [des zu impfenden Tieres K. W.], schneidet in oben genannter Stelle ein Loch, steckt ein erbsengroßes Stück von der gewässerten Lunge hinein und verbindet die Wunde mit einem Leinwandläppchen. Nach 10 Tagen schwillt der Schwanz bei den Thieren, die die Lymphe angenommen haben mehr oder weniger stark an. Nach ca. 1 Monat fällt ein Theil des Schwanzes ab, und ist der Ochse mit diesem Akt gesund und unempfänglich vor jeder weiteren Ansteckung.« François an Kol.Abt., 13.01.1894, Bericht über Lungenseuche BAB R 1001/6059, Bl. 137–143. Zu den Impfungen in der Cape Colony Ende der 1850er Jahre siehe: Andreas, S. 63–66.

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Aufgrund seiner Beobachtungen ging Koch davon aus, dass die Galle erkrankter Tiere den Erreger der Rinderpest in abgeschwächter Form enthielt und dieses »natürliche Vakzin« den Tieren eine aktive Immunität verlieh. Die daraufhin angestellten Infektionsversuche mit Galle verliefen erfolglos. Als die mit Galle geimpften Rinder später künstlich infiziert werden sollten, zeigten sie jedoch keinerlei Krankheitssymptome. Umgehend wurden weitere Immunisierungsversuche mit der Galle erkrankter Tiere durchgeführt. Koch und seine Mitarbeiter erkannten, dass sich durch die subkutane Impfung mit Rinderpestgalle eine mindestens vier Wochen anhaltende Immunität gegen Rinderpest erzeugen ließ.294 Daraufhin verkündete Koch im März 1897, den Durchbruch erzielt zu haben. Dabei hatten die Erprobungsversuche keine eindeutigen Ergebnisse geliefert, ob die Galle eine passive oder aktive Immunisierung erzeugte. Zudem waren weder mit dem Serum-Blut-Verfahren noch mit der Gallenimpfung größere Feldversuche durchgeführt worden. Dennoch war Koch überzeugt, dass mit Hilfe der Blutserum-Methode und der Gallenimpfung »die Rinderpest mit nur geringen Schwierigkeiten in verhältnismäßig kurzer Zeit ausgerottet werden kann«, da »[d]er Modus operandi…bei beiden Methoden sehr einfach« sei.295 Entsprechend empfahl er die Verfahren so schnell wie möglich bekannt zu machen und gab er der Regierung der Cape Colony eine »Vorab-Empfehlung« für die Anwendung der beiden Impfverfahren bei der Tierseuchenbekämpfung.296 Die Serum-Methode könnte demnach dazu verwandt werden, gesunde Bestände zu impfen. So sollte ein breiter Gürtel mit prophylaktisch geimpften Tieren um die infizierten Gebiete herum geschaffen werden. Der Gallenimpfung sprach Koch hingegen einen »unberechenbaren Nutzen in den inficierten Gebieten« zu. Jeder Fall von Rinderpest würde eine gewisse Menge Galle liefern, die dann zur Impfung noch gesunder Tiere verwendet werden könne.297 Noch bevor die Versuchsreihen zur praktischen Anwendung der Gallenimpfung abgeschlossen waren, verließ Koch im März 1897 die Cape Colony, um Forschungsarbeiten zur Pest in Indien durchzuführen.298 Die weitere Entwicklung der Impfmethoden in Victoria Com294 Nach Ablauf dieser Zeit hatte man den Tieren das 20.000-fache einer tödlichen Dosis Rinderpestblut injiziert und die Tiere zeigten keinerlei Krankheitssymptome. Koch, Experimentalstudien, S. 242. 295 Koch, Experimentalstudien, S. 243. 296 Koch, Reiseberichte, S. 30–31. 297 Ebd., S. 23. 298 Vasold, S. 86–88.

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pound führten seine Assistenten Turner und Kohlstock durch. Letzterer verließ die Cape Colony im Mai 1897, um die Leitung der Rinderpestimpfungen in DSWA zu übernehmen.299 Ersetzt wurde er durch Wilhelm Kolle, ebenfalls ein Mitarbeiter von Kochs Berliner Institut für Infektionskrankheiten. Ende März brach die Rinderpest erstmals südlich des Oranje Flusses aus. Umgehend ordnete die Regierung der Cape Colony die Impfung mit Galle gemäß den Instruktionen von Koch an. In den betroffenen östlichen Distrikten der Cape Colony wurde ausschließlich die Koch’sche Gallen-Methode angewandt. Eine von Otto Henning verfasste genaue Beschreibung zu deren Durchführung wurde in der März Ausgabe des AJCGH veröffentlicht.300 Zunächst begrüßten indigene wie auch europäische Farmer die Impfung, da sie eine Alternative zur bis dahin verfolgten Absperrungs- und Notschlachtungsstrategie darstellte. Sehr bald traten jedoch Probleme auf. In den geimpften Beständen kam es zu Seuchenausbrüchen und die Gewinnung der für die Impfung nötigen Galle stellte sich deutlich schwieriger dar als von Koch angenommen. Es zeigte sich, dass die Galle erkrankter Rinder nur bedingt für die Impfung geeignet war. Um überhaupt genügend Impfstoff zu erhalten, mussten drei bis sieben Prozent der Bestände künstlich infiziert werden.301 Aber auch die Wirksamkeit war bei weitem nicht einheitlich. Ein weiteres Hindernis bestand darin, dass die »Impfgalle« nur wenige Tage aufbewahrt werden konnte, und das auch nur, wenn entsprechende Kühlmöglichkeiten vorhanden waren. Die Folge waren stark schwankende Impfverluste. Im Durchschnitt starben nach der Impfung 20 % der Rinder an der Rinderpest – es traten aber regelmäßig deutlich höhere Verluste von bis zu 80 % auf. Wurde die Gallenimpfung in einer vollkommen gesunden Herde angewandt, mussten die Viehbesitzer folglich davon ausgehen, dass sie durch die Impfstoffproduktion sowie die Impfung selbst mindestens 30 % ihrer Tiere verlieren würden, wenn nicht mehr. Die Unterstützung vor allem von Seiten der indigenen Viehbesitzer verwandelte sich daher sehr schnell in Skepsis und Ablehnung. Gerüchte entstanden, wonach die Regierung die Impfung nutze, um gezielt die Rinderherden der indigenen Gesellschaften zu vernichten, in der Absicht, sie ihres Reichtums und damit ihrer Unabhängigkeit zu berauben. Auch die meisten burischen Farmer lehnten die Impfung 299 Zur Impfkampagne siehe auch Kapitel 2.3.1 dieser Arbeit. 300 Henning, Koch’s Cure. 301 Laut den Berichten der mit der Impfung befassten Veterinäre lieferten nur ca. 20 % der an der Seuche verendeten Rinder überhaupt die grüne klare Galle, die von Koch als einzig brauchbare bezeichnet worden war. Gilfoyle, Veterinary Research, S. 143.

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ab, da sie den Methoden der »modernen« Wissenschaft skeptisch gegenüberstanden. Lediglich in den mehrheitlich von englischen Siedlern bewohnten Distrikten wurde die Impfkampagne unterstützt.302 Die schwankenden Ergebnisse der Gallenimpfung veranlassten Edington zu der Annahme, dass durch die Gallenimpfung die Rinderpest verbreitet werden würde. Im März 1897 veröffentlichte Edington eine alternative Impfmethode, bei der die Tiere zunächst mit Glycerin versetzter Galle und nach zehn Tagen mit virulentem Blut geimpft werden sollten. Angesichts der fatalen Erfahrungen mit der Gallenimpfung empfahl auch der Cheftierarzt der Cape Colony, Hutcheon, die von Edington vorgeschlagene Methode. Koch und das Landwirtschaftsministerium der Cape Colony hingegen beharrten auf der Gallenimpfung. Die Wissenschaftler waren sich uneinig und da beide Methoden gleichzeitig veröffentlicht wurden, entstand eine öffentliche Debatte.303 Versuche von Turner und Kohlstock belegten jedoch, dass die Galle lediglich das »Antitoxin« enthielt und die Seuche bei vollkommen gesunden Tieren nicht auslöste, sondern diese für ca. einen bis vier Monate gegen die Rinderpest immunisierte. Die schwankenden Impfverluste wurden auf die Tatsache zurückgeführt, dass die immunisierende Wirkung erst nach ca. sieben bis acht Tagen eintrat. In diesem Zeitraum konnte sich die Rinderpest in einem Bestand noch ungehindert ausbreiten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass in den Fällen, in denen nach der Gallenimpfung besonders hohe Verluste auftraten, infizierte Rinder unter den Impflingen waren, die sich in einem sehr frühen Krankheitsstadium befanden und noch keine äußeren Anzeichen der Rinderpest entwickelt hatten. Diese These korreliert mit der Inkubationszeit der Rinderpest, die durchschnittlich mit drei bis neun Tagen angegeben wird.304 Ein weiterer Unsicherheitsfaktor bei der Gallenimpfung bestand darin, dass die entsprechenden Desinfektionsmaßnahmen schlicht missachtet wurden bzw. aufgrund des Mangels an entsprechenden Chemikalien nicht eingehalten werden konnten. Ab Mai 1897 arbeiteten Kolle und Turner parallel an der Entwicklung eines Immunserums, das zur therapeutischen Behandlung bereits erkrankter Rinder dienen sollte. In Anbetracht der Probleme, die bei der Gallenimpfung aufgetreten waren, erweiterten sie den von ihnen verfolgten Ansatz und ver302 Ebd., S. 146–153. 303 Ebd., S. 144. 304 Ostertag u. Kulenkampff, S. 19; Mitscherlich u. Wagener, S. 355.

Anpassung europäischer Strategien und Praktiken

suchten auf der Basis der Simultanimpfung mit Pestblut und Immunserum eine prophylaktische Methode zu entwickeln.305 Kolle und Turner veröffentlichten die von Ihnen entwickelte Serum-Simultan-Methode Anfang 1898. Da die Rinderpest in der Cape Colony bereits weitgehend unter Kontrolle gebracht worden war, kam die Methode nicht mehr zur Anwendung.306 Trotz der Probleme und Unklarheiten, die die Durchführung der Impfkampagne begleiteten, gelang es, insgesamt ca. 60 % der Rinderbestände in der Cape Colony durch die Gallenimpfung zu retten. Anhand der Viehstatistiken der Cape Colony weist Gilfoyle nach, dass vor allem die mehrheitlich von europäischen Siedlern bewohnten Distrikte von der Anwendung der veterinärmedizinischen Technologie profitierten. Die überwiegend von Indigenen besiedelten Distrikte verzeichneten hingegen deutlich höhere Verluste. Dies lag nur zum Teil daran, dass in einigen dieser Territorien die Rinderpest ausbrach, bevor eine Impfmethode zur Verfügung stand. Nachdem die Regierung die umfassende Impfung der Bestände angeordnet hatte, wurden die meisten Regierungstierärzte in den vornehmlich von Europäern besiedelten Distrikten eingesetzt.307

2.2.3 Wissenschaftlicher Wettstreit und transkolonialer Austausch – Die Rinderpestkonferenz 1897 in Pretoria

Die Hinzuziehung der Experten aus Europa hatte dazu geführt, dass in relativ kurzer Zeit unterschiedliche Impfverfahren entwickelt worden waren, deren grundsätzliche Verfügbarkeit das Spektrum der europäischen Bekämpfungsstrategien erweitert hatte. Anstatt ausschließlich passiv mit Hilfe von Grenzsperrungen oder Keulungsaktionen die Einschleppung und Verbreitung der Seuche zu verhindern, konnten die Regierungen nun auch mit Impfkampagnen aktiv wie prophylaktisch gegen die Rinderpest vorgehen. Dies ermöglichte die gezielte Anwendung veterinärmedizinischen Wissens und Praktiken im Kontext kolonialer Herrschaftssicherung. 305 Gilfoyle, Veterinary Research, S. 145–146. 306 Turner und Kolle veröffentlichten ihre Erkenntnisse noch im gleichen Jahr auf Afrikaans und Deutsch. Mit Hilfe dieser Methode wurde der erneute Ausbruch der Rinderpest 1899 in Rhodesien und Teilen Transvaals erfolgreich bekämpft. Spinage, S. 433–435. Diese Impfmethode wurde auch 1910 zur Bekämpfung der Rinderpest im deutschen Pachtgebiet Kiautschou erfolgreich angewendet. Töpfer, S. 46. 307 Gilfoyle, Veterinary Research, S. 152.

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Mit Koch, Kohlstock, Danysz und Bordet gelangte aber nicht nur bakteriologische Expertise ins südliche Afrika, sondern es wurde auch ein von persönlichem Ehrgeiz, Neid und finanziellen Interessen geprägter Wettstreit geschürt. Dieser wurde nicht nur zwischen den aus Europa hinzugezogenen Koryphäen, sondern auch zwischen diesen und den bereits seit längerem in den Kolonien tätigen Experten ausgetragen. Wie sehr die »europäischen« Bakteriologen im Vergleich zu ihren »afrikanischen« Kollegen bevorzugt und gefördert wurden, belegen die finanziellen Zuwendungen.308 Hinzu kam, dass die Popularität der europäischen Forscher die wissenschaftlichen Leistungen der »afrikanischen Veterinäre« überdeckte. Kochs Popularität sorgte dafür, dass die von Edington vorgeschlagene Impfmethode lediglich als Angriff auf die von Koch empfohlene Gallenimpfung aufgefasst wurde. Die von Edington geforderte und zur Erzeugung einer aktiven Immunität erforderliche Nachimpfung mit Rinderpestblut wurde zunächst ignoriert.309 Bordet und Danysz wiesen zwar ausdrücklich auf die Leistungen von Theiler und Watkins-Pitchford bei der Entwicklung der Serum-Blut-Methode hin.310 Dennoch schlug sich die Popularität der französischen Bakteriologen in der Namensgebung für die entwickelte Impfmethode nieder, die schlicht als »französische Methode« bezeichnet wurde.311 Einige Jahre später forderte Watkins-Pitchford vergeblich eine Anerkennung seiner wissenschaftlichen Verdienste.312 Die Konkurrenzsituation zwischen den an der Entwicklung der Impfmethoden beteiligten Akteuren spielte auch im Rahmen des im August 1897 in Pretoria abgehaltenen Internationalen Rinderpestkongresses eine Rolle. Zweck des auf Initiative der Regierung Transvaals einberufenen Kongresses war es, »die besten Mittel zur Bekämpfung der Rinderpest bekannt zu machen«.313 308 Die europäischen Experten erhielten, neben neuen Laboren, auch überdurchschnittliche Zahlungen. Robert Koch bezog von der Regierung der Cape Colony ein stattliches Monatsgehalt von ₤200 zuzüglich Spesen. Edington hingegen erhielt jährlich ₤ 1.000, wovon er auch den Unterhalt für das bakteriologische Labor in Grahamstown bestreiten musste. Danysz und Bordet erhielten von der Regierung Transvaals, neben Reisekosten und Spesen, ein großzügiges Honorar in Höhe von ₤ 6.000. Theiler als Regierungstierarzt hingegen erhielt mit ₤500 einen deutlich niedrigeren Jahreslohn. Zu den Gehältern siehe: Gutsche, S. 124; Spinage, S. 434. 309 Gilfoyle, Veterinary Research, S. 146. 310 Danysz, Bordet u. Theiler, S. 497–501. 311 Herff an Reichskanzler, 14.08.1897, Bericht über den Anfang August 1897 in Pretoria abgehaltenen Rinderpest-Congress, NAN ZBU 1313 O.III.c.1-3, Bl. 13–16; Theiler, His Life and Times, S. 5. 312 Mack, S. 215. 313 Bericht Rinderpest-Congress Pretoria, S. 5.

Anpassung europäischer Strategien und Praktiken

In der Eröffnungsrede wies der Vorsitzende Landdrost von Pretoria, C. E. Schutte, ausdrücklich auf die Notwendigkeit und die bisherigen Erfolge der internationalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Rinderpest in Afrika hin. Es hinge von dem Kongress ab, »den grössten Theil des Reichthums unseres Landes, den einzigen Reichthum [der] Bürger zu retten«.314 Gemäß der kolonialen Herrschaftslogik waren damit die europäischen Siedler und deren Viehbestände gemeint. Teilnehmer des Kongresses waren Vertreter der Kolonien, die bereits an der zweiten Konferenz in Vryburg teilgenommen hatten315 sowie erstmals Repräsentanten der »portugiesischen Besitzungen«.316 Die deutschen Kolonien wurden erneut durch einen Mitarbeiter des Kaiserlichen Konsulats in Cape Town, von Herff, vertreten. Veterinäre oder andere medizinische Experten aus DSWA konnten aufgrund der dort zeitgleich durchgeführten Impfkampagne nicht an der Konferenz teilnehmen. Im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Rinderpestkonferenzen in Mafeking und Vryburg wurden in Pretoria erstmals Ergebnisse der in den Kolonien ausgeführten veterinärwissenschaftlichen Forschungsarbeiten diskutiert. Im Mittelpunkt stand zunächst die von Koch entwickelte Gallenimpfung. Arnold Theiler eröffnete die Debatte mit einem Bericht über die im Transvaal mit der Koch’schen Methode gewonnenen Erfahrungen. Dabei ging Theiler vor allem auf die schwankenden Impfverluste, die Probleme bei der Gewinnung von »Impfgalle« sowie die nur kurzzeitige Immunität ein. Aufgrund der bislang vorliegenden Ergebnisse vertrat er die Ansicht, dass die Gallenimpfung nur in vollkommen gesunden Herden angewandt werden sollte, während bereits infizierte Bestände mit der Serumimpfung behandelt

314 Ebd., S. 9. 315 Dies waren Transvaal, der Oranje Vrystaat, Natal, die Cape Colony sowie mit Konsul Herff ein Repräsentant der »deutschen Besitzungen«. Alle teilnehmenden Staaten schickten mindestens zwei Gesandte zu dem Kongress. Nur der Vertreter der deutschen Besitzungen, Konsul Herff, kam allein. Die Regierung von Transvaal sandte neben Schutte den GVO Theiler sowie Bordet und Danysz zu dem Kongress. Die beiden französischen Forscher sollten als Berater an dem Kongress teilnehmen. Zudem hatten verschiedene landwirtschaftliche Vereine Abgeordnete zu dem Kongress entsandt, die jedoch kein Abstimmungsrecht hatten. Ebd., S. 11–13. 316 Dies ist ein eindeutiger Hinweis darauf, dass die Rinderpest auch in PortugiesischOstafrika aufgetreten ist. Über die dortige Vorgehensweise und eventuellen Folgen der Seuche finden sich in dem offiziellen Bericht jedoch keine Hinweise. Auf dem Kongress hat offensichtlich auch keiner der portugiesischen Gesandten, Mario de Nascimento und J. Ferrar d’Azevedo, öffentlich berichtet. Ebd., S. 12.

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werden sollten.317 In seinen anschließenden Ausführungen erläuterte Kochs ehemaliger Mitarbeiter, George Turner, vor allem die Gewinnung und Beschaffenheit der Galle. Es habe sich gezeigt, dass die von Koch zur Impfung empfohlene grüne Galle nicht immer wirksam sei. Deren Verwendung sei aber aus praktischen Erwägungen empfohlen worden, da Galle anderer Farbe häufig mit »Microben« verunreinigt sei und somit weitere Infektionen auslösen könne.318 In Bezug auf die schwankenden Impfverluste erklärte Turner, dass »der einzige uns unbekannte Factor…der Zustand worin die Heerden sich befinden« sei. In Fällen besonders hoher Impfverluste habe sich meist herausgestellt, dass zum Zeitpunkt der Impfung bereits etliche Tiere an der Rinderpest erkrankt waren.319 Eine angebliche Weiterentwicklung der Koch’schen Methode durch Edington wies Turner zwar grundsätzlich zurück. Er räumte aber ein, dass die durch die Gallenimpfung erzeugte Immunität durch die von Edington empfohlene Nachimpfung mit defibriniertem Pestblut durchaus verlängert wurde.320 Diese Einschätzung Turners bestätigte Otto Henning. Dieser war im Oranje-Vrystaat mit der Impfung der Rinderbestände betraut und hatte dort die Nachimpfung mit Pestblut im Anschluss an die Koch’sche Gallenimpfung veranlasst. Die so erzielten Ergebnisse bezeichnete Henning als befriedigend. Der deutsche Gesandte, Herff, konnte in seinem Bericht über die bisherigen Impferfolge in DSWA lediglich den Stand von Juni 1897 referieren. Herff beklagte, dass ihm aufgrund der kurzfristigen Einladung zu dem Kongress keine Zeit geblieben sei, aktuelle Berichte aus der Kolonie anzufordern. In Windhoek und Otjimbingwe sei es aber gelungen, 60–70 % der Rinder mit Hilfe der Gallenimpfung zu retten.321 Die beiden im Auftrag Transvaals tätigen französischen Forscher Bordet und Danysz schlossen sich der positiven Einschätzung der Koch’schen Methode zwar nicht an, räumten ihr aber durchaus einen gewissen Wirkungsgrad ein. Auf Nachfragen einiger Ge317 Ebd., S. 24–26. 318 Ebd., S. 27. 319 Ebd., S. 29. 320 Edington hatte der Galle zusätzlich Glycerin beigemischt und behauptet, dies würde die Impfung sicherer und wirksamer machen. Bei dieser Methode musste aber zwangsläufig mit Pestblut nachgeimpft werden, um eine Immunisierung hervorzurufen. Bericht Rinderpest-Congress Pretoria, S. 31–33. Zu der von Edington entwickelten Methode und dem Streit mit Koch: Gilfoyle, Veterinary Research, S. 139–146. 321 Bericht Rinderpest-Congress Pretoria, S. 33–34. Herff wusste zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht, dass mittlerweile flächendeckend Blutnachimpfungen in DSWA durchgeführt wurden.

Anpassung europäischer Strategien und Praktiken

sandter zur genauen Durchführung der Koch’schen Methode gaben Bordet und Danysz Ratschläge, wie diese zu optimieren sei.322 Auf dieser Grundlage verabschiedeten die Gesandten eine »Instruction zur Anwendung der Gallenmethode«, laut der die Nachimpfung mit Pestblut angeraten wurde. Anschließend wurde die von Theiler, Danysz und Bordet im Auftrag der Regierung von Transvaal entwickelte »französische Methode« sehr detailliert erläutert.323 Neben der Beschreibung des Verfahrens zur Serumgewinnung belegte Bordet anhand umfangreicher empirischer Versuchsberichte die Wirksamkeit der Serum-Blut-Impfung.324 Weiterhin wurde ein genau ausgearbeiteter Organisationsplan für die Behandlung von Tieren vorgestellt und ebenfalls von den Delegierten verabschiedet. In der darauffolgenden Erörterung der Frage, ob eines der beiden Immunisierungsverfahren in der praktischen Anwendung überlegen sei, erzielten die Delegierten keine Einigung. Zwar empfahl man die Anwendung der Koch’sche Methode vorzugsweise in seuchenfreien Gegenden, während die französische Methode in verseuchten Gebieten den Vorzug erhalten sollte. Der Kongress fasste aber auf Antrag des deutschen Gesandten Herff den Beschluss, dass den betroffenen »Staaten« die Wahl des Impfverfahrens freistehe.325 Obgleich es vordergründig zu einer objektiven Diskussion der Impfmethoden gekommen war, weckte deren Verlauf zumindest bei Herff Misstrauen. In einem Bericht an Reichskanzler Hohenlohe-Schillingsfürst äußerte er den Verdacht, dass die Regierung von Transvaal an einer objektiven Diskussion kein Interesse gehabt, sondern nur das Ziel verfolgt habe, »die von ihr begünstigte französische Methode zur Bekämpfung der Rinderpest über die Koch’sche Methode triumphieren zu lassen und zur alleinherrschenden in Südafrika zu machen«.326 Zudem habe Herff von Bordet erfahren, dass die Regierung Transvaals eifersüchtig gewesen sei, da sich die Cape Colony die Dienste Kochs gesichert hatte. Daher habe die Regierung Transvaals Bordet 322 Danysz gab den Rat, die Gallenimpfung in noch seuchenfreien Gebieten durch­ zuführen. Bordet wies darauf hin, dass Personen, die die gestorbenen Tiere obduzieren, nicht mit den zu impfenden Rindern in Berührung kommen sollten. Ebd., S. 35. 323 Zur französischen Methode ebd., S. 66–68. 324 Demnach wurde die Mortalitätsrate durch die Rinderpest mit Hilfe der französischen Methode auf ca. zehn Prozent gesenkt. Die Gallenimpfung konnte bei sachgemäßer Durchführung ein ebenso gutes Resultat erzielen. Ebd., S. 44–46. 325 Ebd., S. 68. 326 Herff an Reichskanzler, 14.08.1897, NAN ZBU 1313 O.III.c.4-1, Bl. 13–16, hier: Bl. 13.

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und Danysz angewiesen, eine Methode ausfindig zu machen, welche der Koch’schen Methode mit Erfolg gegenübertreten könne. Der deutsche Gesandte sprach in seinem Bericht den französischen Wissenschaftlern seine Anerkennung aus, da nur durch deren »taktvolles Auftreten« der Kongress überhaupt in die Lage versetzt worden sei, Beschlüsse zu fassen.327 Weitere Belege dafür, dass die Regierung Transvaals die Impfmethode politisch instrumentalisieren wollte, lassen sich nicht finden. Vor dem Hintergrund der zu diesem Zeitpunkt zunehmenden Spannungen zwischen den britischen und burischen Interessen am Witwatersrand erscheint dies zwar nicht vollkommen ausgeschlossen und traf mit Sicherheit auch auf die Zustimmung einzelner Delegierter. Dagegen spricht jedoch die Tatsache, dass zumindest den Veterinären klar war, dass die Eindämmung der Rinderpest nur durch eine internationale Orchestrierung veterinärpolizeilicher Maßnahmen gelingen konnte. Die Rinderpest stellte für alle Kolonien des südlichen Afrika eine ernste Bedrohung des kolonialen Herrschaftsgefüges dar. Entsprechend waren die Veterinäre, wie auch die einzelnen Regierungen im August 1897 noch voll und ganz damit beschäftigt, möglichst schnell und effizient die Rinderpest einzudämmen, um den Zusammenbruch der Rinderzucht und des kolonialen Handels abzuwenden. Sollte jemals ein Plan zur politischen Instrumentalisierung des Impfverfahrens bestanden haben, wurde er spätestens durch den Beschluss, den Regierungen die Wahl der Impfmethode freizustellen, vereitelt. Auch von den Experten der Cape C ­ olony wurde der von Herff geäußerte Verdacht offenbar nicht geteilt. Diese waren vor allem daran interessiert, die praktisch anwendbaren Impf­ verfahren allgemein bekannt zu machen. Turner veröffentlichte zusammen mit Hutcheon, Edington und Kolle im November 1897 einen Bericht, in dem alle bis dahin ergriffenen Abwehrmaßnahmen und Impfverfahren ausführlich beschrieben wurden.328 Ungeachtet aller wissenschaftlichen Unstimmigkeiten und persönlichen Ressentiments hatten die drei interkolonialen Rinderpestkonferenzen und vor allem der Kongress von 1897 den beteiligten Akteuren und Kolonialregierungen die Vorteile eines regelmäßigen Austausches über veterinärmedizinische Fragen vor Augen geführt. Entsprechend rezipierten die Veterinäre 327 Ebd., Bl. 14. 328 So findet sich in den Akten der Lhptm. u. a. Duncan Hutcheon / A lexander Edington / Wilhelm Kolle / George Turner, Rinderpest. It’s Pathology and the Means used to Combat its Invasion in South Africa, in: South African Medical Journal 11 (1897), S. 1–24.

Anpassung europäischer Strategien und Praktiken

in DSWA ab 1897 die in der Cape Colony und dem Transvaal entwickelten Verfahren zur Bekämpfung der Rinderpest.329 Wie oben bereits am Beispiel der Pferdesterbe ausgeführt, nahm dieser Wissenstransfer ab 1899/1900 einen immer größeren Umfang an. Das deutsche Konsulat sandte regelmäßig aktuelle Publikationen der südafrikanischen Forscher zu anderen Tierseuchen an die Kolonialverwaltung in Windhoek. Kurz darauf suchten die beteiligten Akteure auch den direkten Kontakt. Dies legte den Grundstein für einen kritischen Austausch zwischen den deutschen und britischen Veterinären, der maßgeblich zur Entstehung und Festigung kolonialen Spezialwissens beitrug.330 Bei der Anwendung und Weiterentwicklung der Koch’schen Gallen­impfung spielte diese Rezeption, wie schon bei den Forschungen Sanders und Kuhns zur Pferdesterbe, zunächst aber noch eine untergeordnete Rolle.

2.3 Anpassung der Koch’schen Impfmethode in Deutsch-Südwestafrika In DSWA wurden keine veterinärmedizinischen Forschungen in Bezug auf die Rinderpestimpfung durchgeführt. Der von Sander 1894 vorgelegte Plan zum Aufbau eines kolonialen Veterinärwesens lag 1897 noch in den Schubladen der Kol.Abt. und die Landeshauptmannschaft in Windhoek verfügte weder über eine eigene bakteriologische Forschungsstation noch über eine ausreichende Zahl qualifizierter Veterinäre. Entsprechend hatten die deutschen Kolonialbehörden sehr großes Interesse an der Entsendung Robert Kochs. Der Direktor der Kol.Abt., Oswald Freiherr von Richthofen, war überzeugt, dass die »von Dr. Koch vorzunehmenden Forschungen über die Rinderpest… speziell für Deutsch-Südwestafrika von dem größten Werthe« sein werden.331 Daher hatte sich Koch auf Bitte Richthofens bereit erklärt, nach seiner Ankunft in Südafrika von allen Ergebnissen seiner Forschungen fortdauernd Berichte nach Berlin und Windhoek zu senden. Außerdem wurde Stabsarzt Paul Kohlstock, der seit 1896 Referent für Medizinalsachen bei der Kol.Abt. war, als Assistent Kochs entsandt. Auf diese Weise sicherte sich die deutsche Regierung den uneingeschränkten Zugang zu den Forschungsergebnissen 329 Der Nachdruck der Broschüre von Turner et al. findet sich in den Akten der Kolonialverwaltung, NAN ZBU 1313 O.III.c.4-1, Bl. 45–70. 330 Siehe dazu ausführlich Kapitel 3. dieser Arbeit. 331 Richthofen an Leutwein, 10.12.1896, Reise Kochs nach Südafrika, BAB R 86/3783, o.P.

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und war somit nicht von weiteren Absprachen mit den anderen Kolonialmächten abhängig.332 Als die Rinderpest im April 1897 in DSWA ausbrach, hielten sich dort mit dem »Rossarzt« Rickmann und dem Veterinär Borchmann lediglich zwei ausgebildete Tierärzte auf. Daher wurden von der Kolonialverwaltung auch die in der Kolonie anwesenden Humanmediziner in die Seuchenbekämpfung einbezogen. Leutwein berichtet in seinen 1906 erschienen Memoiren, dass Rickmann und der Stabsarzt Kuhn »von selbst auf ein wenigstens den bösesten Wirkungen der Seuche vorbeugendes Impfverfahren« gekommen seien.333 In der Tat versuchten Rickmann, Kuhn und der Stabsarzt Lübbert, die Ausbreitung der Rinderpest mit Absperrmaßnahmen sowie Impfungen einzudämmen. Die Absperrungs- und Quarantänemaßnahmen hatte das Gouvernement entsprechend den auf den ersten beiden internationalen Rinderpestkonferenzen verabschiedeten Empfehlungen sowie den im Deutschen Reich geltenden veterinärpolizeilichen Gesetzen erlassen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sie dabei »von selbst« ein Impfverfahren entwickelt haben. Vielmehr griffen die Veterinäre und Mediziner auf die von Koch und Kohlstock verfassten Forschungsberichte aus Kimberley zurück.334 Nachdem feststand, dass Kohlstock zur Bekämpfung der Rinderpest nach DSWA gehen würde, hatte dieser begonnen, die Impfkampagne möglichst optimal vorzubereiten. Zu diesem Zweck lud Kohlstock den Distrikthauptmann von Swakopmund, Hauptmann von Perbandt, zu einer Besichtigung der Forschungsstation in Kimberley ein. Gemeinsam entwarfen sie einen Plan für die Anlage einer vergleichbaren Station in Swakopmund. Deren Hauptaufgabe sollte zunächst darin bestehen, »ein möglichst großes, unbedingt zuverlässiges Personal für die praktische Ausübung der Impfung auszubilden«.335 Bis zum Eintreffen Kohlstocks sollte Stabsarzt Lübbert die Leitung der Station übernehmen und ihn dann als Assistent begleiten. Gemäß den 332 Diese Hoffnung scheint in einem Bericht Schuckmanns durch, in dem er schreibt, dass es »auch im Interesse unseres Schutzgebietes [DSWA K. W.] liegt, daß ein Gelehrter die Seuche baldigst untersucht«, Schuckmann an Reichskanzler, 22.10.1896, BAB R 1001/6089, Bl. 53 333 Leutwein, S. 127. 334 Gemäß der mit der Kol.Abt. getroffenen Abmachung waren diese nicht nur nach Berlin, sondern über das deutsche Generalkonsulat in Pretoria auch direkt nach Windhoek gesandt worden. Eine Abschrift von Kochs letztem Bericht an die Regierung der Cape Colony vom 10.02.1897 findet sich in den Akten der Kolonialverwaltung in Windhoek. NAN ZBU 1313 O.III.c.2-1., Bl. 5–6. 335 Kohlstock an Kol.Abt., 25.04.1897, BAB R 1001/6089, Bl. 135.

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Vorgaben Kohlstocks hatte Lübbert bereits Mitte April ein provisorisches Laboratorium in Swakopmund eingerichtet.336 Auf der Grundlage der Berichte über die in Kimberley durchgeführten Versuche sowie der Kenntnisse von Perbandts wurden erste Impfungen durchgeführt. Ab Mitte April 1897 wurden unter der Aufsicht Rickmanns alle Rinder in der Gegend um Windhoek mit Galle geimpft. Gleichzeitig wurden im Distrikt Okahandja sowie in den Bezirken Rehoboth und Gibeon weitere Gallenimpfungen vorgenommen. Diese zeigten aber unzuverlässige Ergebnisse. So gingen allein im Distrikt Okahandja rund 75 % der geimpften Tiere ein.337 Der Plan, durch eine prophylaktische Impfkampagne die Absperrungsmaßnahmen durch immune Rinderbestände zu unterstützen und so die Seuche einzudämmen, war damit vorerst gescheitert. Dennoch war die Kolonialverwaltung im Mai 1897 noch zuversichtlich, den Seuchenausbruch unter Kontrolle zu bekommen. Dabei verfolgte die Kolonialverwaltung von Beginn an das Ziel, den Ausbruch der Rinderpest auch zur Absicherung der deutschen Herrschaft zu nutzen. Dies wird vor allem in einem Bericht Leutweins vom 17. Mai 1897 deutlich. Darin berichtet der Landeshauptmann, dass das »Hereroland« abgeriegelt worden sei und nun die Rinderpest endlich die Bestände der Herero auf ein »vernünftiges Maß« reduzieren werde. Während sich in Windhoek die meisten Deutschen mit Vorräten für 18 Monate »eingeigelt« hätten, hoffte man, dass es möglich sei, mit Hilfe der Notimpfungen 50 % der Tiere der europäischen Ansiedler zu retten.338 Auf der Grundlage der aus der Cape Colony eingegangenen Berichte sowie der mittlerweile gesammelten Erfahrungen mit der Gallenimpfung erließ die Kolonialverwaltung am 29. Mai 1897 eine »Zusatzverordnung zur Rinderpest Verordnung«.339 Neben der Ausdehnung der Handelsbeschränkungen für Tierprodukte wurde in Bezug auf die Beseitigung von Rinderpestkadavern, folgendes bestimmt:

336 Kohlstock an Lhptm., 11.09.1897, BAB R 1001/6090, Bl. 34; Kohlstock an Kol.Abt., 25.04.1897, BAB R 1001/6089, Bl. 135. 337 Von den 11.771 mit Galle geimpften Rindern überlebten 3.110. Von diesen wurde nur etwa die Hälfte (1.564) mit Blut nachgeimpft. An der zweiten Impfung verstarben weitere 57 Tiere. Nach Abschluss der Impfungen wurden nur noch 3.053 lebende Tiere gezählt. Impfliste für den Distrikt Okahandja (Gallen- und Blutimpfung), 25.04.1897, NAN ZBU 1313 O.III.c.4-1, Bl. 67. 338 Leutwein an Kol.Abt., 17.05.1897, BAB R 1001/6063, Bl. 29–30. 339 Mit der Verordnung reagierte die Lhptm. auf die aus der Cape Colony eingegangenen Berichte und die mittlerweile gesammelten Erfahrungen mit der Gallenimpfung.

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Die Gallen sind ebenso wie die übrigen Theile zu verbrennen und zu begraben, es sei denn, daß dieselben nach sorgsamer Unterbindung und Reinigung an die nächste Regierungs-Untersuchungs-Station abgeliefert werden. Für jede Galle, die dort für brauchbar zu Impfzwecken befunden ist, wird auf Antrag eine Vergütung von 3–6 Mark gewährt.340 Mit dieser Bestimmung wollte man einem Mangel an Impfstoff, wie er in der Cape Colony aufgetreten war, vorbeugen. Zudem sollte den Farmern ein Anreiz geboten werden, ihre infizierten Tiere zu melden. Aus Angst vor dem wirtschaftlichen Ruin, der bei einer offiziellen Meldung eines Seuchenausbruchs drohte, waren etliche Viehbesitzer der Anzeigepflicht nicht nachgekommen.

2.3.1 Die Impfkampagne 1897

Das zur Durchführung einer flächendeckenden Impfkampagne notwendige praktische Wissen gelangte erst mit Kohlstock in die Kolonie. Dieser traf am 26. Mai 1897 in Swakopmund ein.341 Die Weiterreise verzögerte sich bis zum 31. Mai, da Kohlstock noch auf wissenschaftliche Ausrüstungsgegenstände warten musste.342 In der Zwischenzeit verfasste Kohlstock konkrete Impf- und Desinfektionsanweisungen, um die Durchführung der Impfmaßnahmen vorzubereiten. Auf der Grundlage seiner in der Cape Colony gesammelten Erfahrungen wurde darin die Vorgehensweise der Koch’schen Gallenimpfung genau beschrieben.343 Die Beachtung der Desinfektions­ vorschriften bildete eine wesentliche Grundvoraussetzung für den Erfolg der Impfungen. Während des gesamten Impfvorgangs mussten die verwendeten medizinischen Instrumente, Gegenstände sowie alle beteiligten Personen, die mit den infizierten Tieren bzw. deren Ausscheidungen in Kontakt ge-

340 Zusatzverordnung zur Rinderpest Verordnung, 29.05.1897, NAN ZBU 1313 O.III.c.1-3, Bl. 16. 341 Kohlstock an Kol.Abt., 29.05.1897, BAB R 1001/6089, Bl. 176. 342 Die wissenschaftliche Ausrüstung war auf einen anderen Dampfer verladen worden. Ebd. 343 Bis dahin hatte die Lhptm. nur die regelmäßigen Forschungsberichte aus Kimberley in Abschrift erhalten. Der letzte dieser Berichte vom 10.02.1897 enthielt zwar den Hinweis, wie gegen die Rinderpest geimpft werden konnte, aber die Untersuchungen waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Ebd.

Anpassung europäischer Strategien und Praktiken

kommen waren, regelmäßig einer gründlichen Desinfektion unterzogen werden. Kohlstock empfahl zur Desinfektion Sublimat-344, Carbol-345 und Creolinlösung346 oder reinen Alkohol. Dabei berücksichtigte er, dass es in der Kolonie schnell zu einem Mangel der genannten Mittel kommen konnte. War kein Desinfektionsmittel verfügbar, sollten die Injektionsnadeln über eine offene Flamme gehalten und anschließend die gesamte Spritze mit Impfgalle durchgespült werden. Falls weder Feuer noch genügend Galle vorhanden waren, empfahl Kohlstock die Spritzen in der Sonne vollständig auszutrocknen.347 Andere Instrumente und Gegenstände konnten alternativ mit Wasser gereinigt und anschließend ebenfalls in der Sonne getrocknet werden. Die Impfgehilfen sollten ihre Hände zunächst mit Wasser reinigen und anschließend eine Minute lang »über ein Feuer so warm es zu ertragen ist« halten.348 Zusätzlich sollte jeder beim Verlassen des streng abzusperrenden Impfplatzes einer gründlichen Desinfektion unterzogen werden.349 Schließlich sollte nach Abschluss der Impfungen das Impfgelände ebenfalls desinfiziert bzw. abgesperrt und solange gemieden werden, bis die Sonne die Ausscheidungen der Tiere ausgetrocknet hatte. In einer Zusatzbestimmung konkretisierte Kohlstock noch einmal den Umfang der Desinfektionen, die im Vorfeld der eigentlichen Untersuchung und Impfung stattfinden sollten. Darin heißt es, in Weiterführung der Resolutionen des zweiten Rinderpestkongresses, dass alle Helfer per Schriftstück nachweisen mussten, dass sie nicht aus infizierten Gegenden stammten und nicht mit rinderpestkranken Tieren in Kontakt gekommen waren. Ferner sollten alle Gehilfen – egal welcher Hautfarbe – während der Impfung »frisch gewaschene Waschkleidung« tragen sowie ihre Schuhe und Kopfbedeckungen vor Beginn der Impfung mit Desinfektionslösung behandeln.350 344 Bei dem Begriff handelt es sich um die alte Bezeichnung für Quecksilberchlorid. 345 Bei dem Begriff handelt es sich um die alte Bezeichnung für Phenol. 346 Creolin ist ein aus Kohleteerölen bestehendes und bis heute im Handel erhältliches Desinfektionsmittel. 347 Kohlstock an Lhptm., 10.06.1897, Vorschriften für das Desinfektionsverfahren beim Impfgeschäft, NAN ZBU 1313 O.III.c.3-1, Bl. 21–24. 348 Ebd., Bl. 22. 349 Dies galt auch für Personen, die als passive Zuschauer dem Impfgeschäft beigewohnt hatten und eigentlich nicht mit den Tieren in direkten Kontakt gekommen waren. Ebd., Bl. 23. Bei den genannten Zuschauern wird es sich vermutlich um Personen gehandelt haben, die sich in der Ausbildung zum Impfer befanden, da ansonsten per Gesetz strenge Quarantänemaßnahmen verhängt wurden. 350 Ebd., Bl. 24.

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Die zweite  – für eine erfolgreiche Impfung unabdingbare  – Voraussetzung bildete die richtige Isolation und Aufteilung des betroffenen Bestandes. Dazu wurde die Körpertemperatur sämtlicher zur Impfung bestimmter Tiere gemessen. Rinder, die eine erhöhte Temperatur aufwiesen, galten als rinderpestverdächtig und sollten sofort isoliert werden.351 Nach dieser Vorunter­suchung wurden die Tiere gemäß Alter, Geschlecht, körperlicher Konstitution und Seuchenverdacht in vier Abteilungen eingeteilt.352 Diese mussten dann so voneinander getrennt werden, dass die Tiere nicht miteinander in Kontakt kommen konnten. Die anschließende Impfung sollte nach dem folgenden Schema durchgeführt werden: Zuerst werden sämtliche Thiere von Abtheilung I. geimpft. Abtheilung II. und III: werden 5 Tage nach I. geimpft. Abtheilung IV. wird an denselben wie bezw. am 1. oder 2. Tage nach I. geimpft, je nachdem wie die Zeit es gestattet. Wenn möglich, ist für IV. Personal zu verwenden, was nicht mit I., II., III. in Berührung kommt. Ist dies nicht möglich, so ist das Personal durch sorgfältige Desinfektion unfähig der Krankheitsübertragung zu machen.353 Die zur Impfung erforderliche Galle lieferten entweder kurz zuvor an der Rinderpest verendete oder erkrankte Tiere. Letztere sollten sechs Tage, nachdem bei ihnen Fieber festgestellt worden war, getötet werden. In Bezug auf die fachgerechte Entnahme der Galle merkte Kohlstock lediglich an, dass er die entsprechenden Vorsichtsmaßregeln als bekannt voraussetzen könne.354 Zur Impfung sollte nach Möglichkeit nur dunkelgrüne, klare und geruchlose

351 Die dafür notwendigen Vergleichswerte gab Kohlstock zunächst in Fahrenheit an. Später reichte er eine Ergänzung mit Grad Celsius nach. Kohlstock an Lhptm., 28.05.1897, Zusatz zu der Impfinstruktion, NAN ZBU 1313 O.III.c.3-1, Bl. 23. 352 »I. Alle ausgewachsenen kräftigen Thiere  – Bullen, Ochsen, Kühe bezw. Färsen II. Mütterkühe mit Saug-Kälbern III. Kälber, welche nicht mehr saugen und alte, bezw. schwächliche und kranke (natürlich nicht rinderpestkranke) Thiere, die IV. Abtheilung bilden die verdächtigen Thiere« Kohlstock an Lhptm., 28.05.1897, Impfanweisung und Desinfektionsanweisung, NAN ZBU 1313 O.III.c.1-3, Bl. 18. 353 Ebd., Bl. 20. 354 Zur Entnahme der Galle musste das Rind auf der linken Seite liegen. Nach dem Öffnen der Bauchdecke mussten die Eingeweide beiseite geschoben werden. Die Gallenblase wurde zur Gewinnung der Flüssigkeit nicht extra entfernt. Durch einen kleinen Einschnitt an der Gallenblase ließ man die ca. 500 ccm Flüssigkeit direkt in eine sterile Flasche fließen. Haupt, Rinderpest, S. 388.

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Galle verwandt werden, da mit dieser in der Cape Colony die besten Impfresultate erzielt worden seien. Kohlstock empfahl, »die Injektion zweckmäßig in die Wange rechts oder links vom Brustbein«355 zu setzten und die zur Impfung benutzte Kanüle unbedingt nach jedem Gebrauch zu desinfizieren. Die Durchführung der Impfungen gestaltete sich aber weit komplexer. Grundsätzlich erschwert wurde die Durchimpfung größerer Bestände durch die Möglichkeit, dass bereits infizierte Rinder, die noch keine äußeren Symptome entwickelt hatten, geimpft worden waren. Daher musste nach fünf bis sieben Tagen die Temperatur aller geimpften Tiere erneut gemessen werden. Diejenigen, die eine erhöhte Temperatur aufwiesen, mussten sofort separiert werden. Des Weiteren war Kohlstock bekannt, dass es technisch nicht möglich war, »die immunisierende Kraft und Wirkungsdauer guter Galle« vor ihrer Anwendung festzustellen. Entsprechend schwankte die Dauer des Impfschutzes, sofern dieser eintrat, zwischen einem und vier Monaten.356 Aufgrund dieser Unberechenbarkeit und um möglichst schnell Gewissheit über die Wirksamkeit der Impfung zu erlangen, ergänzte Kohlstock das Koch’sche Impfverfahren durch nachträgliche Kontrollimpfungen. Dazu wurden zwei Prozent der Tiere, die zehn Tage nach der Gallenimpfung noch gesund waren, mit Rinderpestblut nachgeimpft. Erkrankte eines der Kontroll­tiere binnen der folgenden acht Tage, bedeutete dies ein negatives Impfergebnis, was die erneute Impfung des gesamten Bestandes zu Folge hatte.357 Kohlstock hatte einen Weg gefunden, um zumindest die Wirksamkeit und damit den Erfolg der Impfung zu überprüfen, worüber er Koch unverzüglich in Kenntnis setzte. In den Impf-Instruktionen hatte Kohlstock zwar etliche Unwägbarkeiten berücksichtigt, insgesamt handelte es sich bei den Instruktionen aber um Idealvorgaben, die von den Impfkommandos nicht immer eingehalten werden konnten.358 Damit die Impfungen in DSWA möglichst effektiv vorbereitet werden konnten, sandte die Kolonialverwaltung umgehend Abschriften der Impf-Instruktionen an die für die Tierseuchenbekämpfung zuständigen Bezirks- und Distriktämter. Um die praktische Umsetzung zu überprüfen

355 Kohlstock an Lhptm., 28.05.1897, Impfanweisung und Desinfektionsanweisung, NAN ZBU 1313 O.III.c.1-3, Bl. 19. 356 Kohlstock an Kol.Abt., 11.09.1897, BAB R 1001/6090, Bl. 28–40, hier: Bl. 30. 357 Kohlstock an Lhptm., 28.05.1897, Impfanweisung und Desinfektionsanweisung, NAN ZBU 1313 O.III.c.1-3, Bl. 23. 358 Zu den Abweichungen siehe ausführlicher Kapitel 5.2.1 dieser Arbeit.

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und die Impfkampagne voranzutreiben, verließ Kohlstock in Begleitung von Hauptmann von Perbandt und Stabsarzt Lübbert am 31. Mai Swakopmund.359 Oberste Priorität hatte zunächst »das den Verkehr vermittelnde Zugvieh mit möglichster Schnelligkeit und mit allen Mitteln dauernd Rinderpest frei« zu machen.360 Entsprechend ritt die Gruppe auf dem Baiweg, der wichtigsten Verkehrsader zwischen der Küste und dem Inland, nach Windhoek. Den ersten Rinderpestfall stellte Kohlstock am 3. Juni auf einem Viehposten in Maddefontein361 fest und begann sofort mit der praktischen Anleitung seiner Begleiter.362 Deren Kreis hatte sich um den Landvermesser Dürling und den Distriktchef von Otjimbingwe, Hauptmann Franke, erweitert.363 Kohlstock demonstrierte den Anwesenden die Gallenentnahme und die Gallenimpfung gemäß der Koch’schen Methode sowie die Entnahme und Aufbereitung von Rinderpestblut für die Kontrollimpfung.364 Zur Sicherung des Gütertransportes zwischen der Küste und Windhoek ließ Kohlstock in Tsaobis eine Gallenstation errichten. Unter der Leitung von Stabsarzt L ­ übbert sollten dort die auf dem Baiweg verkehrenden Ochsengespanne geimpft werden. In Begleitung des stellvertretenden Landeshauptmanns Friedrich von Lindequist reiste Kohlstock am 8. Juni nach Otjimbingwe weiter. Aus den Tagebüchern Frankes geht hervor, dass Kohlstock die Bevölkerung in Otjimbingwe davon überzeugte, ihre Rinder impfen zu lassen und sofort Freiwillige für das Impfgeschäft ausbildete.365 Ab dem 16. Juni begann Kohlstock zusammen mit Lindequist in der näheren Umgebung von Windhoek die Impfungen zu organisieren und vor allem Angehörige der Schutztruppe als Impfer auszubilden.366 Die zur Durchführung der Impfungen erforderliche medizinische Ausrüstung wurde zunächst aus den Lazarettbeständen

359 Franke, S. 48. 360 Kohlstock an Kol.Abt., 11.09.1897, Kommentar zum Bericht des internationalen Rinderpestkongresses in Pretoria, BAB R 1001/6090, Bl. 37. 361 Wo genau dieser Ort liegt ist unklar, da er auf keiner zeitgenössischen Karte eingezeichnet ist. Es handelte sich vermutlich um eine Wasserstelle, in deren Nähe sich ein Viehposten befand. 362 Auf dem Viehposten standen 25 Gespanne. Da es sich offenbar nur um einen Fall von Rinderpest handelte, reichte die Galle nicht aus, um eine Impfung durchzuführen. Kohlstock an Kol.Abt., 11.09.1897, BAB R 1001/6090, Bl. 30. 363 Franke, S. 49. 364 Kohlstock an Kol.Abt., 11.09.1897, BAB R 1001/6090, Bl. 31. 365 Franke, S. 49. Die Impfungen unter Kohlstocks Leitung wurden in Otjimbingwe vom 10. bis 14.06.1897 durchgeführt. 366 Siehe dazu ausführlicher Kapitel 5.

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des Militärs ergänzt und auf dem schnellsten Weg Nachschub aus Europa angefordert.367 In Windhoek waren bereits vor dem Eintreffen Kohlstocks etliche Rinderherden mit Galle geimpft worden. Bei der Revision dieser Bestände zeigte sich erneut die Schwachstelle der Koch’schen Impfmethode. Aufgrund der nicht bestimmbaren Wirkung der für die Impfung verwendeten Galle war es vier Wochen nach der Gallenimpfung zu Rinderpestausbrüchen gekommen. Wie schon zuvor in der Cape Colony schwankten die Impfverluste in DSWA zwischen 20 und 70 %, was für die betroffenen europäischen Farmer mitunter den wirtschaftlichen Ruin bedeutete. Wenn es nicht gelang, die Rinderbestände zumindest solange zu immunisieren, wie die Bekämpfung der Seuche im Land andauerte, drohte eine endlose Kette von wiederholten Infektionen und anschließenden Impfungen. Am Ende einer solchen Entwicklung bestand die Gefahr, dass die Rinderpest endemisch werden konnte und somit dem anvisierten Hauptwirtschaftszweig, dem Export von Tierprodukten nach Übersee, die Grundlage entzogen wurde.368 Dies hätte den Zusammenbruch des gesamten sozio-ökonomischen Gefüges der Kolonie zur Folge gehabt. Mit der obligatorischen Blut-Kontrollimpfung und der etwaigen Gallennachimpfung allein ließ sich dieser Gefahr indes nicht begegnen, da damit das Problem der unsicheren Erfolge der Gallenimpfung nicht behoben wurde. Kohlstock waren sowohl die technischen Schwierigkeiten wie auch deren herrschaftspolitische Tragweite bewusst. In Bezug auf die beschränkte Dauer der Gallenimpfung wusste er, dass – vorausgesetzt die Tiere zeigten nach der Kontrollimpfung keine Krankheitssymptome – die Nachimpfung mit Rinderpestblut die Immunität verstärkte und deren Wirkung um etliche Monate verlängerte.369 Entsprechend dieser Erkenntnisse ergänzte Kohlstock das Koch’sche Verfahren ein weiteres Mal. Entlang des von Edington wenige Monate zuvor vorgeschlagenen und von Henning im Oranje-Vrystaat praktizierten Vorgehens sollte im Anschluss an eine positive Kontrollimpfung

367 Mitte Juni bestellte das Gouvernement telegrafisch insgesamt »60 Koch’sche 10 gSpritzen mit starken Kanülen, 200 Glasflaschen zu 500 & 1000g mit luftdichtem Glasstopfen, 100 Maximalthermometer«. Lindequist an Kol.Abt., 22.06.1897, BAB R 1001/6063, Bl. 11. 368 Schinzinger, S. 54. 369 Diese Prozedur löste bei den durch die Gallenimpfung passiv immunisierten Tieren eine aktive Immunisierung aus.

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die Nachimpfung mit Rinderpestblut erfolgen. Am 18. Juni unterbreitete Kohlstock der Kolonialverwaltung den Vorschlag, die Blut-Nachimpfung zunächst für alle Zugochsen obligatorisch anzuordnen und generell eine solche zu empfehlen.370 Parallel setzte er Koch von der Doppelimpfung mit Galle und Blut in Kenntnis, der diese nachträglich bestätigte.371 Vor Ort tauschte sich Kohlstock mit Rickmann über die Doppelimpfung aus, der bereits südlich von Windhoek die Gallenimpfungen durchgeführt hatte und die Nachimpfung mit Rinderpestblut für zweckmäßig und vor allem umsetzbar hielt. Während Kohlstock über Okahandja und Otjimbingwe nach Swakopmund zurückreiste, um weitere Impfungen anzuleiten sowie die Ergebnisse der bereits ausgeführten Impfungen zu überprüfen, begann unter der Leitung Rickmanns im Raum Windhoek die Blutnachimpfung. Angesichts der schwankenden Ergebnisse der Gallenimpfung verweigerten jedoch die meisten Viehbesitzer eine erneute Impfung ihrer Tiere. Erst durch die erfolgreiche Blutnachimpfung von Rinderbeständen der Kolonialverwaltung ließen sich die »Viehbesitzer von Windhoek und Umgegend von der Nützlichkeit und Nothwendigkeit der Blutimpfung« überzeugen.372 Am 21. Juli verfasste Kohlstock eine »Instruktion betreffend Entnahme, Mischung und Verimpfung von Rinderpestblut«, die in Abschrift an die zuständigen Verwaltungsbehörden und Leiter der Impfkommandos gesandt wurde. Sofern die Viehbesitzer zustimmten, wurden ab Ende Juli alle Rinderbestände entlang dieser Vorgaben mit der Gallen-Blutimpfung immunisiert. Die Herstellung des Pestblutes setzte einige medizinische Erfahrung voraus und sollte daher »nur von den am Impfgeschäft beteiligten Herrn Ärzten und Tierärzten bezw. anderen in Herstellung solcher Mischungen ausgebildeten Sachverständigen«373 durchgeführt werden. Um die Dosierung zu erleichtern, sollte das defibrinierte Rinderpestblut mit Kochsalzlösung vermischt werden.374 Die Kochsalz-Blut-Lösung wurde von den Verantwortlichen vor Ort wie folgt selbst hergestellt:

370 Leutwein an Reichskanzler, o. D., BAB R 86/3000, Nr. 6069. 371 Kohlstock bezog sich in seinem Bericht auf einen entsprechenden Brief, den er von Koch am 31.08.1897 aus Indien erhalten hatte. Kohlstock an Kol.Abt., 11.09.1897, BAB R 1001/6090, Bl. 28–40. 372 Ebd., Bl. 33. 373 Kohlstock an Lhptm., 21.07.1897, Instruktion betreffend Entnahme, Mischung und Verimpfung von Rinderpestblut, BAB R 86/3783, o.P. 374 Ebd.

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3 g Kochsalz, gelöst in 500 g destilliertem Wasser wurden eine Stunde lang sterilisiert und dann versiegelt. Dieser Salzlösung wurde vor dem Gebrauch 50 ccm defibriniertes, auf Bakterienfreiheit untersuchtes Rinder­ pestblut zugesetzt. Von der Blutmischung wurde jedem Tier ½ Spritze gleich 5 ccm eingespritzt.375 Während der gesamten Arbeiten mahnte Kohlstock, peinlich auf Sauberkeit und Hygiene zu achten. Deshalb sollte die Herstellung der Blutmischung im geschlossenen Raum stattfinden und die versiegelten Flaschen dunkel und mit Hilfe von feuchten Tüchern kühl gehalten werden. Kohlstock nannte dieses Verfahren »afrikanische Kühlung«.376 Die Haltbarkeit der Impflösung gab Kohlstock mit höchstens zwei Tagen an. Falls aufgrund der örtlichen Gegebenheiten die Blut-Kochsalzlösung nicht hergestellt werden konnte, sollte nur defibriniertes Rinderpestblut verwendet werden. Dieses konnte aber nur bei erwachsenen und kräftigen Tieren zur Nachimpfung verwendet werden und die Dosierung musste reduziert werden.377 Kohlstock wies ausdrücklich darauf hin, dass die Blutimpfung erst nach der Gallen- und anschließenden positiven Kontrollimpfung erfolgen durfte. Frühestens zehn Tage nach der Gallenimpfung wurden einige Kontrolltiere mit Rinderpestblut nachgeimpft. Zeigten diese nach acht Tagen keines der typischen Krankheitsanzeichen, wurde der gesamte Bestand mit Blut nachgeimpft. Bei der insgesamt rund drei Wochen dauernden Prozedur waren Impfverluste nicht zu vermeiden. Durchschnittlich starben zwischen fünf und zehn Prozent der geimpften Tiere,378 bisweilen traten auch höhere Verluste auf, da die Zeitspanne von acht Tagen, die den Kontrolltieren eingeräumt wurde, zu kurz war. Zudem stellte sich heraus, dass die regelmäßige Messung

375 Lazarettgehilfe Lehnberg an Lhptm., 22.11.1897, Bericht über die im Impfbezirk Otjimbingwe ausgeführten Nachimpfungen mit Rinderpestblut, NAN ZBU 1313 O.III.c.3-1, Bl. 90–92, hier: Bl. 91. 376 Kohlstock und auch andere Veterinäre benutzten diese Bezeichnung für eines der ältesten bekannten thermodynamischen Phänomene. Vermutlich sollte damit auf die Unzulänglichkeiten in den Kolonien und gleichzeitig auf den Einfallsreichtum der Kolonialveterinäre hingewiesen werden. 377 Kohlstock an Lhptm., 21.07.1897, Instruktion betreffend Entnahme, Mischung und Verimpfung von Rinderpestblut, BAB R 86/3783, o.P. 378 Rickmann an Lhptm., 10.04.1898, Verlauf der Impfungen im Süden, NAN ZBU 1314 O.III.c.3-1, Bl. 47; Rickmann an Lhptm., 18.05.1898, Bericht über Impfungen im Bezirk Keetmanshoop, NAN ZBU 1313 O.III.c.3-1, Bl. 154.

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der Körpertemperatur aufgrund der äußeren Temperaturschwankungen sowie der halbwilden Haltung der Tiere nicht zuverlässig durchgeführt werden konnte.379 Aufgrund dieser Erkenntnisse änderte Rickmann die von Kohlstock für die Blutimpfung veranschlagten Zeiträume und reduzierte die Zahl der Kontrolltiere. Anstelle eines prozentualen Anteils sollten lediglich zwei Rinder zehn Tage nach der Gallenimpfung zur Kontrolle mit Blut eines stark erkrankten Tieres geimpft werden. Anschließend sollte die Reaktion der Kontrolltiere zwölf Tage lang beobachtet werden. Zeigten die Kontrolltiere nach Ablauf dieser Frist noch Krankheitssymptome, musste der gesamte Bestand erneut geimpft werden.380 Durch diese geringfügigen Anpassungen der Impfprozedur gelang es, deren Erfolg deutlich zu steigern. Damit hatten Kohlstock und Rickmann binnen weniger Monate das von Koch entwickelte Verfahren erweitert und an die praktischen Anforderungen in DSWA angepasst. Dabei hatte Kohlstock, ohne dies explizit zu erwähnen, auf die von Edington empfohlene Blutnachimpfung zurückgegriffen. Zur Bekämpfung der Rinderpest wurden sukzessive Impfposten eingerichtet und die Kolonie  – parallel zu den Bezirks- und Distrikthauptmannschaften  – in Impfbezirke unterteilt.381 In diesen operierten Impfkommandos, die aus Soldaten, Offizieren, Kolonialbeamten, Ansiedlern und »eingeborenen Helfern« gebildet wurden. Durch diese Maßnahmen gelang es, die Rinderpest bis Ende 1897 in DSWA schnell und effizient zu bekämpfen. So berichtet etwa Karl Dove 1903, dass in den vorwiegend von Eingeborenen bewohnten Gegenden…immerhin noch 30 % des Rindviehbestandes, von dem Europäervieh 75–95 % durch die Koch’sche Impfmethode und die mit ihr verbundenen Massnahmen gerettet wurden. Ein weiterer herrlicher Erfolg war, dass…bereits 5 Monate nach dem Beginn des Impfgeschäfts der Hauptfrachtverkehr in vollem Umfange wiederaufgenommen werden [konnte].382

379 Rickmann an Grenzkontrolleur Schmidt, 29.01.1898, Blutimpfung und Probleme bei der Gallenimpfung, NAN ZBU 1313 O.III.c.3-1., Bl. 116–119. 380 Ebd., Bl. 118. 381 Bis Anfang 1898 wurden die Impfbezirke Otjimbingwe, Outjo, Grootfontein, Gobabis, Gibeon und Keetmanshoop eingerichtet. 382 Dove, Südwest-Afrika, S. 164. In späteren Publikationen wurden die Verluste der indigenen Viehbesitzer gar nicht mehr oder nur am Rande erwähnt.

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Insgesamt waren die Ergebnisse der Impfungen regional sehr unterschiedlich. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass die Impfungen erfolgreicher ausfielen, je höher der Anteil der europäischen Bevölkerung in einem Bezirk war. Dies belegen die Impflisten der Bezirke Windhoek und Otjimbingwe, wo neben den Herden der europäischen Farmer auch diejenigen indigener Viehbesitzer geimpft wurden. Insgesamt überlebten dort durchschnittlich 75–85 % der Tiere.383 Mit der Impfung des »Hereroviehs« hatten die Impfkommandos der Kolonialregierung hingegen erst ab Mitte 1897 begonnen.384 Zu diesem Zeitpunkt waren vor allem in östlichen Hereroland stellenweise bis zu 95 % der Rinderbestände verendet, während weiter südlich bereits ein Großteil der Rinder erkrankt war. Entsprechend war die Mortalitätsrate bei den Herden der Herero ungleich höher. So starben z. B. am Waterberg 50 % der geimpften Bestände. Die Verantwortung für diese hohen Verluste wurde den Herero zugewiesen. Diese seien beim Impfen zu sorglos und unachtsam vorgegangen.385 In dieser Behauptung spiegeln sich die rassistischen Motive der Kolonialherren, die den Herero Faulheit und Gleichgültig unterstellten.386 Die hohen Impfverluste führten dazu, dass viele indigene Viehbesitzer das Vertrauen in die von den Kolonialherren angeordnete Impfung verloren und keine weiteren Impfungen ihrer Tiere zuließen.387 Insbesondere für die indigene Bevölkerung waren die Folgen der Rinderpest verheerend. Bis Ende 1897 hatte die Mehrheit der indigenen Bevölkerung mit den Rindern auch ihre ökonomische Lebensgrundlage verloren.388 Durch im Folgejahr auftretende Epidemien wurde die bis dahin in Zentralnamibia dominierende Herero-Gesellschaft endgültig in ihren Grundfesten erschüttert. Zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes waren viele Afrikanerin383 Impfliste für den Bezirk Windhoek 1897, NAN ZBU 1313, O.III.c.2-1, Bl. 71–79; Impfliste für Otjimbingwe 1897, NAN ZBU 1313 O.III.c.2-1, Bl. 94–105. 384 Zuerst waren die Herden im »Osthereroland« nahe der Grenze zum Bechuanaland Protectorate von der Seuche betroffen. Dieses Gebiet gehörte zum Einflussbereich des omuhona Tjetjo. Leutwein, S. 126. 385 Rickmann an Lhptm., 25.12.1897, Impfbericht, NAN ZBU 1313 O.III.c.3-1, Bl. 6 386 So z. B. Sander, Vorschläge zur Beseitigung der infolge der Rinderpest in DeutschSüdwestafrika zu erwartenden Notlage, BAB 8023/1001, Bl. 2. Siehe auch: Külz, S. 279. Auch Schneider folgte 1977 dieser Erklärung und behauptete, die Afrikaner wären dem Impfverfahren mit Misstrauen oder völliger Gleichgültigkeit begegnet. Schneider, S. 140. 387 Gewald, Towards Redemption, S. 144. 388 Zu den Folgen der Rinderpest und der anschließenden Epidemien siehe ausführlicher: Gewald, Towards Redemption, S. 152–162; Miescher, S. 18–23. Miescher geht zudem auch auf die Auswirkungen der Rinderpest in Nordnamibia ein.

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nen und Afrikaner zur Aufnahme von Lohnarbeit in der sich etablierenden Kolonialgesellschaft gezwungen. Ehemals einflussreichen omuhona war ihre traditionelle Legitimationsbasis buchstäblich weggestorben. Einige omuhona versuchten daher, sich die für die Sicherung der Loyalität ihrer Gefolgsleute erforderlichen finanziellen Mittel durch die Vermittlung von Kontraktarbeitern sowie weitere Landverkäufe zu verschaffen.389 Dies wiederum führte zu einem Anstieg europäischer Siedler und damit zur weiteren Festigung der kolonialen Herrschaft. Die Impfkampagne hatte es der Kolonialregierung ermöglicht, aktiv auf die durch die Rinderpest verursachten Verluste Einfluss zu nehmen – was sie auch in ihrem Sinne durchaus getan hatte. Die Durchführung der Impfungen hatte sich zunächst auf die für den Erhalt kolonialer Macht neuralgischen Gebiete und Verkehrswege konzentriert. Wie in den anderen Kolonien des südlichen Afrika korrelierte auch in DSWA die Mortalitätsrate der Rinder mit dem Grad der europäischen Besiedlungsdichte und den damit verbundenen tierärztlichen Aktivitäten.390 Nachdem es bis Oktober 1897 gelungen war, die Rinderpest in Zentralnamibia weitgehend unter Kontrolle zu bekommen, lancierte die Kolonialverwaltung die Durchführung einer prophylaktischen Impfkampagne im Süden. Aufgrund der deutlich geringeren Anzahl von Rindern und der klimatisch bedingten größeren Weideflächen war Südnamibia von der Rinderpest zunächst weitgehend verschont geblieben. Den Anstoß für die Impfungen hatten Meldungen über Rinderpestausbrüche in der nördlichen Cape Colony geliefert.391 Umgehend wurde der Impfbezirk Keetmanshoop ein gerichtet und Stabsarzt Schöpwinkel und Obergrenzkontrolleur Schmidt legten Impfstationen an. Ab Januar 1898 übernahm Rickmann die Leitung der Impfkampagne.392 Bei dieser prophylaktischen Impfkampagne traten bisweilen hohe Impfverluste auf. Neben der Unachtsamkeit der Impfmannschaften wurden diese Verluste vermutlich durch die Übertragung einer weiteren Krankheit ausgelöst. Dies sollte sich einige Jahre später bestätigen und die Rinderpestbekämpfung in neue Bahnen lenken. 389 Nachdem sich die Rinderbestände der Herero wieder erholt hatten, kam es aufgrund des Landverkaufs unweigerlich zu Konflikten mit den europäischen Farmern. Diese führten langfristig im Verbund mit anderen Faktoren zum Ausbruch des Namibischen Krieges 1904. Zum Vorlauf des Krieges siehe u. a.: Bley, S. 165–188; Kaulich, S. 201–246. 390 Siehe dazu Gilfoyle, Veterinary Research, S. 151 und Miescher, S. 17–18. 391 Lindequist an Lhptm., 02.10.1897, Süden von Rinderpest bedroht, BAB R 1001/6063, Bl. 179–180. 392 Lhptm. an Kol.Abt., 04.01.1898, BAB R 1001/6063a, Bl. 24

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2.3.2 Bekämpfung der Rinderpest 1900/1901

Laut den Berichten, die die Landeshauptmannschaft aus Windhoek nach Berlin sandte, ist es durch die konsequente Anwendung der Gallen-Blut-Impfung gelungen, die Rinderpest bis Mitte 1898 in DSWA zu besiegen. Dieser Einschätzung folgen auch die wenigen Forschungsarbeiten über die Rinderpest in Namibia. Die meisten dieser Studien konzentrieren sich auf die infolge der Tierseuche aufgetretenen Hungersnöte und Seuchenzüge unter der indigenen Bevölkerung.393 Fraglos trug die Epizootie von 1897/98 und die damit einhergehende Erosion des sozio-ökonomischen Gefüges der indigenen Bevölkerung massiv zur Festigung der kolonialen Herrschaft in Zentralnamibia bei. Vollkommen frei von Rinderpest war und blieb DSWA aber nicht. Bereits Ende 1898 wurden erneut vereinzelte Seuchenausbrüche aus Grootfontein gemeldet. Demnach war die Rinderpest durch »frisch eingebrachte, nicht geimpfte Ovamboochsen« aus dem Norden wieder eingeschleppt worden. Da der Großteil der Rinderbestände aufgrund der 1897 durchgeführten Impfungen immun war, konnten die Seuchenausbrüche binnen weniger Wochen unter Kontrolle gebracht werden. Der mit der Seuchenbekämpfung befasste Stabsarzt Lübbert empfahl für den Fall, dass es durch nicht geimpfte und daher illegale Rinderimporte aus dem nördlichen Ovambogebiet zu weiteren Ausbrüchen kommen sollte, folgenden Plan: 1) Absperrung des Pestherdes; 2) Entnahme von Galle und Blut von geeigneten pestkranken Thieren. 3) Gallenimpfung aller erreichbaren bisher noch nicht geimpften Thiere 4) Blutimpfung einiger in früheren Jahren…geimpfter Thiere zur weiteren Feststellung der Immunitätsdauer. 5) Blutimpfung der ad 3 mit Galle geimpften Thiere derart, daß sie nur leichte Rinderpest überstehen und activ immunisiert werden. 6) Heilversuche an den zuerst erkrankten Thieren mit dem aus Capstadt bezogenen Serum und mit dem hier im Schutzgebiet bereiteten (Serumrinder in Gammams).394

393 Zur Rinderpest als sozioökonomischer Wendepunkt: Miescher, S. 13–23. 394 Lübbert an Gouv., 11.01.1899, Vorgehen bei erneutem Ausbruch von Rinderpest, BAB R 1001/6063a, Bl. 187–188.

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Im Wesentlichen orientierte sich Lübbert an dem bereits erprobten Vorgehen. Die Doppelimpfung mit Galle und Blut hatte sich als effektives Immunisierungsverfahren herausgestellt, um die Rinderpest möglichst schnell einzudämmen. Wie aus Lübberts Aufstellung hervorgeht, gaben sich die Experten vor Ort damit aber nicht zufrieden. Die Berichte über die kurative Wirkung des Rinderpestserums hatten offenkundig dazu geführt, dass Lübbert und Rickmann Rinderpestserum im Transvaal bestellt und bereits mit der Präparation von Serumrindern begonnen hatten. Offenbar mit dem Ziel, das zur Verfügung stehende Verfahren weiter zu verbessern. Im September 1899 liefen in Windhoek erneut Meldungen über einen Rinderpestausbruch im Distrikt Grootfontein ein.395 Noch unter dem Schock des verheerenden Seuchenzuges stehend, setzte das Gouvernement umgehend die erst kürzlich aufgehobenen Verkehrssperren und Bekämpfungsmaßnahmen für den gesamten Nordbezirk wieder in Kraft.396 Anfang 1900 wurde das Auftreten weiterer kleinerer Seuchenherde aus dem Bezirk Windhoek gemeldet, deren Ursprung nicht eindeutig ermittelt werden konnte. In den Augen der Kolonialverwaltung war, neben dem Ochsenwagenverkehr, vor allem die indigene Bevölkerung an der Verbreitung der Seuche Schuld. Schließlich seien »die Eingeborenen, …einerseits immer zum Verfehlen einer Seuche geneigt…, andererseits infolge schlechter Wasser- und Weideverhältnisse zur Dislocation ihrer Rinderbestände gezwungen«.397 Wie schon 1897 konnte eine vollständige Isolation der Seuchenherde nicht gewährleistet werden. Trotz der veterinärpolizeilichen Absperrungsmaßnahmen breitete sich die Rinderpest zunächst in der Umgebung von Windhoek bis Oktober 1900 weiter aus. Im Verlauf des folgenden Jahres wurden weitere Ausbrüche in den Distrikten Okahandja, Waterberg, Grootfontein und Otjimbingwe sowie den Bezirken Omaruru und Outjo festgestellt.398 Betroffen war vor allem das nach 1897 geborene und daher ungeimpfte Jungvieh. Dessen Impfung stand zunächst im Mittelpunkt der umgehend einge-

395 Kuhn an Bezirkshauptmannschaft Outjo, 26.07.1899, Ausbruch Rinderpest in Grootfontein, BAB R 1001/6064, Bl. 24–25. 396 Leutwein, 10.08.1899, Verordnung Rinderpest Nordbezirk, BAB R 1001/6064, Bl. 26. Leutwein, 09.10.99, Rinderpest wieder erloschen, Impfung und Sperrungen aufgehoben, BAB R 1001/6064, Bl. 34. 397 Rickmann an Gouv., 28.1.1901, BAB R 1001/6073, Bl. 27–30. 398 Rickmann an Gouv., 18.08.1901, Bericht Rinderpest 1900/01, NAN ZBU 1314 O.III.c.4-6, Bl. 2–8.

Anpassung europäischer Strategien und Praktiken

leiteten Bekämpfungsmaßnahmen. Grundsätzlich wurde es dem Ermessen der Viehbesitzer anheimgestellt, ihre Rinder immunisieren zu lassen. Um ihrer dringenden Impf-Empfehlung dennoch Nachdruck zu verleihen, erließ die Kolonialverwaltung erneut ein Handelsverbot für ungeimpfte Rinder.399 Dieser »indirekte Impfzwang« reichte aus, um die Mehrheit der Farmer dazu zu bewegen, ihre Rinder impfen zu lassen. Zunächst lag der Impfkampagne die seit 1897 verfolgte Strategie zu Grunde: Isolierung und Impfung des verseuchten Bestandes sowie die anschließende Impfung der umliegenden Bestände mit Galle und Blut.400 Die im Bezirk Windhoek durchgeführten Impfungen verliefen, wie auch in Omaruru, Otjimbingwe und Outjo, sehr günstig.401 Anders sah das Ergebnis im Distrikt Okahandja sowie in der Gegend östlich von Windhoek aus. Dort gingen 50–90 % der geimpften Tiere zu Grunde, was einem totalen Versagen der Gallen-Blut-Impfung gleichkam. Um diesen hohen Verlusten auf den Grund zu gehen, führte Rickmann unverzüglich mikroskopische Unter­ suchungen von Blutausstrichen der gestorbenen Tiere durch. Dabei stellte er Texasfieberparasiten402 fest. Entsprechend führte Rickmann die hohen Impfverluste auf die Verwendung von mit Texasfieberparasiten kontaminiertem defibriniertem Blut zurück. Dieses hatte bei den Tieren offenbar eine töd­ liche Doppelinfektion mit Rinderpest und Texasfieber verursacht. Rinder, die zuvor nicht an Texasfieber gelitten hatten, aber gegen Rinderpest geimpft worden waren, seien folglich in der Hauptsache am Texasfieber zu Grunde gegangen. Texasfieberimmune Tiere hingegen hätten durch die Injektion von Rinderpestblut meist einen schweren und teilweise tödlich verlaufenden

399 Duft (Bezirkshauptmann), 04.05.1900, Zusatz zur Bezirkspolizei-Verordnung in ­Sachen der Rinderpest vom 1. Mai 1900 & Bekanntmachung (Impfverfahren). NAN ZBU 1314 O.III.c.4-6, Bl. 27. 400 Rickmann an Gouv., 18.08.1901, Bericht Rinderpest 1900/01, NAN ZBU 1314 O.III.c.4-6, Bl. 2–8. 401 Bezirkshauptmann Windhuk an Gouv., 25.10.1900, Meldung über Rinderpest. NAN ZBU 1313 O.III.c.4-2, Bl. 138. 402 Beim Texasfieber, auch Redwater bzw. Roiwater, handelt es sich um eine durch Blutparasiten, ausgelöste und von Zecken übertragene Infektionskrankheit, die in vielen Teilen Südafrikas endemisch war. Während sich Rinder in Endemiegebieten bereits als Kälber infizieren und eine lebenslange Immunität erwerben, beläuft sich die Mortalitätsrate bei Tieren aus unverseuchten Gebieten auf 50–90 %. Mitscherlich u. Wagener, S. 156–160. Zum Texasfieber in Namibia ausführlicher: Schneider, S. 202–207.

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Texasfieberrückfall erlitten, da ihr Organismus durch die Rinderpestimpfung geschwächt war.403 Zwar war seit 1896 bekannt, dass durch Blutimpfungen neben dem Rinderpesterreger auch die Texasfieberparasiten übertragen werden konnten. Dieser Umstand war aber während der Impfkampagne 1897/98 vernachlässigt worden, da die Veterinärbehörde bis 1900 davon ausgegangen war, dass Texasfieber lediglich im Ovamboland und vereinzelt in den nördlichen Bezirken auftrat, während Zentral- und Südnamibia als texasfieberfrei galten.404 Rickmann vermutete daher, dass die Texasfieberparasiten durch die flächendeckende Impfkampagnen 1897/98 eine allgemeinere Verbreitung gefunden hatten. In der Folgezeit bestätigten seine Untersuchungen diese Vermutung. Es zeigte sich, dass es in DSWA deutlich mehr endemische Texasfiebergebiete gab als zuvor angenommen. Die Laborbefunde untermauerte Rickmann durch die Befragung »glaubwürdiger Eingeborener«, aus der hervorging, dass den Herero die Krankheit seit langem unter dem Namen ombindu bekannt war.405 Die Feststellung der Doppelinfektion mit Texasfieber hatte weitreichende Folgen. Zunächst ließ Rickmann alle weiteren Impfungen einstellen, da die Gefahr bestand, »durch weitere empirische Impfungen einer Verschleppung des Texasfiebers Vorschub« zu leisten.406 Des Weiteren ordnete er die obligatorische mikroskopische Untersuchung der zur Verwendung vorgesehen Impfstoffe an.407 Da sich die Differenzialdiagnose zwischen Rinderpest und Texasfieber in Bezug auf die klinischen Krankheitserscheinungen und die pathologisch-anatomischen Befunde sehr schwierig gestaltete, erbat Rickmann eine zügige »Heraussendung von Tierärzten und bakteriologischer Ausrüstung«. Als Leitfaden für die differenzialdiagnostischen Arbeiten verwies Rickmann auf ein von ihm erstelltes Merkblatt. Dieses hatte er auf der Grundlage eines Aufsatzes des CVO der Cape Colony, Duncan Hutcheon, der 403 Rickmann an Gouv., 27.02.1901, Stellungnahme zu Lübbert, BAB R 1001/6063, Bl. 43–47. 404 Rickmann an Gouv., 26.11.1900, Bericht Texasfieberimpfversuche & Problem der Differenzialdiagnose, BAB R 1001/6073, Bl. 10–12. 405 Rickmann an Gouv., 20.11.1900, Bericht über Rinderpest und Texasfieber, BAB R 1001/6073, Bl. 10–12. 406 Rickmann an Gouv., 28.01.1901, BAB R 1001/6073, Bl. 27–30. 407 Eine solche war zwar bereits 1897 vorgesehen gewesen, aber aufgrund des Mangels an Mikroskopen und des hohen Zeitdrucks nur selten durchgeführt worden. Es liegt daher nahe, dass die zum Teil stark schwankenden Impfverluste von 1897/98 ebenfalls mit einer Doppelinfektion mit Texasfieber in Zusammenhang standen.

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im AJCGH veröffentlich worden war, erstellt.408 Dieser bildete auch die Basis für erste Impfversuche gegen das Texasfieber.409 Bevor weitere aktive Bekämpfungsmaßnahmen gegen die Rinderpest ergriffen werden konnten, musste die Frage geklärt werden, in welchem genauen Zusammenhang die Doppelinfektion und die hohen Impfverluste standen. Dabei kamen Stabsarzt Lübbert und Cheftierarzt Rickmann zu unterschiedlichen Ergebnissen. Beide untersuchten die Verluste im Distrikt Okahandja. Dort war ein Drittel der mit Galle und Blut geimpften Jungtiere eingegangen. Die älteren, bereits 1897/98 geimpften Rinder waren hingegen nur mit Immunblut nachgeimpft worden und allesamt binnen weniger Tage nach der Impfung verendet. Rickmann war der Ansicht, dass in Okahandja die Impfungen zu einer Doppelinfektion mit Rinderpest und Texasfieber geführt hatten und die Tiere in erster Linie an der Infektion mit Texasfieber eingegangen seien.410 Dagegen war Lübbert der Auffassung, dass die nachgewiesenen Texasfieberparasiten nur eine untergeordnete Rolle gespielt hätten. Zwar wiesen Lübberts pathologisch-anatomische Befunde ebenfalls auf eine Doppelinfektion mit Texasfieber hin, seiner Meinung nach sei die Anzahl der Texasfieberparasiten aber zu gering gewesen, um eine lethale Wirkung zu entfalten.411 Demzufolge führte Lübbert die Impfverluste in erster Linie auf die Rinderpest zurück. Von der Klärung dieser Frage hing nicht nur das weitere veterinärpolizeiliche Vorgehen ab. Es stand auch das Vertrauen der Viehbesitzer in die Expertise der verantwortlichen Veterinäre und Experten auf dem Spiel. Dieses war 1900 bereits grundsätzlich angeschlagen, da Stabsarzt Kuhn im Distrikt Grootfontein zunächst das Auftreten von Texasfieber geleugnet, Lübbert jedoch wenige Wochen später eindeutig Texasfieberparasiten nachgewiesen

408 Rickmanns Auszug in: BAB R 1001/6073, Bl. 10–12. 409 Diese Impfversuche orientierten sich an dem Prinzip der Serum-Simultanimpfung, die in der Cape Colony auch erfolgreich gegen die Rinderpest angewandt worden war. Dabei wurde zeitgleich infektiöses Blut sowie Serumblut von immunen Tieren geimpft. Ein solches Immunisierungsverfahren ist aber nur bei einigen Viruserkrankungen wie z. B. Rinderpest erfolgreich. Eine aktive oder passive Immunisierung gegen einzellige Blutparasiten wie Texasfieber (Babesien) ist nicht möglich. Diese lassen sich nur mit Hilfe von Chemoprophylaxe erfolgreich behandeln bzw. durch die Bekämpfung der Vektorinsekten wirksam eindämmen. Mitscherlich u. Wagener, S. 156–157. 410 Rickmann an Gouv., 28.01.1901, BAB R 1001/6073, Bl. 27–30 sowie Rickmann an Gouv., 27.02.1901, Stellungnahme zu Lübbert, BAB R 1001/6063, Bl. 43–47. 411 Lübbert an Gouv., 18.02.1901, BAB R 1001/6073, Bl. 47–51.

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hatte.412 Um die divergierenden Befunde richtig einordnen zu können sowie das Vertrauen der Viehbesitzer in die staatlichen Maßnahmen zurückzugewinnen, forderte die Kolonialregierung ein Expertengutachten aus Berlin an. Dazu wurden die abweichenden Berichte von Rickmann und Lübbert samt Blutausstrichen und Organpräparaten an die Tierärztliche Hochschule in Berlin gesandt. Der »Berliner Expertenkommission« gehörten die führenden deutschen Veterinärmediziner Robert von Ostertag, Wilhelm Dieckerhoff und Johann Schütz an. Auf der Grundlage der Berichte der beiden »Experten vor Ort« und der Untersuchung der eingeschickten Präparate stimmten die Experten in der Metropole der Erklärung Rickmanns zu.413 Trotz dieses »Obergutachtens« aus Berlin stand die Kolonialverwaltung in Windhoek vor einem Dilemma. Eine weitere Durchführung der bewährten Impfmethode kam aufgrund der Doppelinfektion nicht mehr in Frage. Es standen weder eine ausreichende Zahl von Veterinären und Mikroskopen zur Verfügung, um die Untersuchung der Impfstoffe auf Texasfieber zu gewährleisten, noch ließen sich die über die einzelnen Seuchenherde verhängten Verkehrssperren effektiv durchsetzen. Der Militärveterinär Ernst Rassau berichtete, dass angesichts der teilweise großen Impfverluste in einigen Bezirken, sich sowohl indigene wie auch europäische Viehbesitzer trotz des verhängten Impfzwangs weigerten, ihre Tiere der Gallen-Blut-Impfung zu unterziehen.414 Um dennoch aktiv gegen die Rinderpest vorgehen zu können, stand der Kolonialverwaltung nur noch die Serumimpfung zur Verfügung. Mit Hilfe dieses Verfahrens waren in Transvaal sehr gute Resultate erzielt worden. Über das zur Durchführung einer Impfkampagne erforderliche Wissen verfügte Rick412 Lübbert an Gouv., 10.06.1901, BAB R 1001/6073 Bl. 62–63. 413 Der Kommission gehörten Robert von Ostertag (Prof. für Veterinärhygiene mit Nahrungsmittel- und Parasitenkunde), Wilhelm Dieckerhoff (Prof. für Pathologie und Therapie), Johann Schütz (Prof. für Veterinärbakteriologie), Reinhold Schmaltz (Prof. für Anatomie und Histologie), Eugen Fröhner (Prof. für Chirurgie und Leiter der Medizinischen Klinik), Otto Regenbogen (Prof. für Pharmakologie und Toxikologie) sowie Karl Eberlein (Ordinarius und Leiter der Poliklinik und chirurgischen Abteilung) an. TiHo Berlin an Kol.Abt., 12.10.1901, Obergutachten, NAN ZBU 1314 O.III.c.4-7, Bl. 145–148. 414 Rickmann an Gouv., 28.01.1901, BAB R 1001/6073, Bl. 27–30. Während im Bezirk Windhoek die »Impfmoral« hervorragend gewesen sei, berichtet Tierarzt Rassau, dass sich die Viehbesitzer im Bezirk Rehoboth grundsätzlich nur zur Gallenimpfung hätten bewegen lassen, wodurch nur eine kurzlebige Immunität der Tiere erzeugt worden sei, die nicht für eine endgültige »Ausmerzung« der Rinderpest reichen würde. Rassau an Gouv., o. D., Bericht über den Verlauf der Rinderpest 1902, BAB R 1001/6074, Bl. 106–108.

Anpassung europäischer Strategien und Praktiken

mann. Ihm lag der gedruckte Bericht über die Rinderpestkonferenz von 1897 vor, darin war sowohl das Verfahren detailliert besprochen wie auch eine Anleitung zu dessen praktischer Durchführung bekannt gegeben worden.415 Zudem war in DSWA bereits 1898 mit der Präparation von Serumrindern begonnen worden. Die Frage, ob die in den Kolonien entwickelte und lokal erprobte Serumimpfung angewandt werden sollte, entschied die Kolonialverwaltung in Windhoek ohne Rücksprache mit Berlin. Bereits bevor das Gutachten der Berliner Expertenkommission bezüglich der Doppelinfektion in Windhoek eintraf, hatte Rickmann im Juni 1900 die Präparation weiterer Serumrinder in die Wege geleitet. Bis August standen den Regierungstierärzten rund 100 Serumrinder zur Verfügung. Um auf zukünftige Ausbrüche vorbereitet zu sein, sollten diese Tiere später auf die aktuellen und noch zu besetzenden Tierarztstellen verteilt werden.416 Die Serumimpfung erzielte in ausschließlich mit Rinderpest infizierten Beständen »vorzügliche Resultate«. Aber auch in Herden, in denen sowohl Rinderpest als auch Texasfieber festgestellt worden war, nahmen die Impfungen einen »günstigen Verlauf«. Trotz dieser positiven Ergebnisse konnte die Bekämpfung der Rinderpest nicht ausschließlich mit Hilfe der Serumimpfung durchgeführt werden. Zum einen war die Serumgewinnung sehr zeitintensiv. Bis die Serumrinder durch die Injektion allmählich gesteigerter Dosen virulenten Rinderpestblutes soweit »hochgetriebenen« waren, dass sie ein brauchbares Serum lieferten, dauerte es rund drei Monate. Im Anschluss mussten sich die Tiere mindestens sechs Wochen erholen, bevor sie erneut zur Ader gelassen werden konnten. Zum anderen hatte die Serumgewinnung durch den Mangel an geeigneten Arbeitsräumen und der geringen Zahl veterinärmedizinisch geschulten Personals mit erheblichen technischen Schwierigkeiten zu kämpfen.417 Dennoch griffen die Behörden während des Ausbruchs der Rinderpest 1900/01 in DSWA neben der Gallen-Blut-Impfung erstmals auch auf die Serumimpfung zurück.418 Dies beeinflusste, zusammen mit den im Vergleich zur Epizootie 1897/98 lokal eng begrenzten Ausbrüchen, die der Seuchenbekämpfung zugrundliegenden Strategie.

415 Bericht Rinderpest-Congress Pretoria, S. 43–50 und S. 66–68. 416 Rickmann an Gouv., 18.08.1901, Bericht Rinderpest 1900/01, NAN ZBU 1314 O.III.c.4-6, Bl. 2–8. 417 Rickmann an Gouv., 28.01.1901, BAB R 1001/6073, Bl. 27–30. 418 Report Bloemfontein 1904, S. 15.

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Der an der Impfkampagne beteiligte Regierungstierarzt Fritz Wunder entwickelte auf der Grundlage seiner praktischen Erfahrungen ein Schema für die zukünftige Organisation der staatlichen Rinderpestbekämpfung.419 Wunders Vorschlag sah eine Kombination der unterschiedlichen Immunisierungsverfahren sowie der Absperrungsmaßregeln vor. War ein Seuchenherd lokalisert, sollte dieser durch die Einrichtung einer 40 Kilometer breiten »neutralen Zone« weiträumig abgesperrt werden. Wunder war bewusst, dass eine vollständige Absperrung durch eine geschlossene Postenkette nicht durchführbar war. Eine solche sollte daher dadurch erreicht werden, dass Soldaten die Wasserstellen und Straßen besetzten bzw. durch regelmäßige Patrouillen kontrollierten. Entsprechend sollte die Impfung der Rinderbestände innerhalb des Absperrungsgürtels an den Wasserstellen erfolgen. Dort sollte zur Impfung der Tiere nur Immunserum verwandt werden. Innerhalb des verseuchten Gebietes hingegen sollten alle Rinder umgehend mit Galle und später mit Rinderpestblut geimpft werden. Dies sei relativ schnell und kostengünstig durchzuführen, da die benötigen Impfstoffe durch die Todesfälle und erkrankten Tiere in ausreichender Menge vorhanden seien. Zur Bekämpfung eventuell nach der Doppelimpfung noch vorhandener Seuchenherde sollten dann »specielle Maßregeln«420 angewandt werden, wie Wunder die Keulung der betreffenden Tiere umschrieb. Die Bekämpfungsstrategie beruhte aber weiterhin auf der fakultativen Impfung betroffener und bedrohter Bestände im Falle eines Seuchenausbruchs – folgte also grundsätzlich einem Reiz-Reaktionsschema. Im Interesse der Hebung der kolonialen Viehzucht forderten hingegen vor allem die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft und andere kolonialfreundliche Kreise in Deutschland wiederholt die Einführung einer prophylaktischen Zwangsimpfung aller Rinder gegen die Rinderpest. Derartige Forderungen lehnte die Kolonialverwaltung aber ab, da die Einführung eines staatlichen Impfzwanges eng mit der Frage staatlicher Entschädigungsleistungen bzw. der Einführung einer Viehversicherung verknüpft war. Durch die Einführung einer Zwangsimpfung, wäre den Viehbesitzern ein Rechtsanspruch auf staatliche Entschädigungsleistungen erwachsen. In Anbetracht der immer wieder stark schwankenden Impfverluste hätte dies eine enorme Zusatzbelastung des Kolonialetats bedeutet, den es in den Augen der Kolonialverwaltung zu ver419 Wunder an Gouv., 15.04.1901, Bekämpfung Rinderpest in Deutsch-Südwestafrika, BAB R 1001/6064 a, Bl. 44–49. 420 Ebd., Bl. 49.

Anpassung europäischer Strategien und Praktiken

meiden galt.421 Ab 1903 untermauerte das Gouvernement seine ablehnende Haltung zusätzlich mit veterinärmedizinischen Argumenten. Zum einen bestand die Gefahr, durch eine prophylaktische Impfung die Verbreitung des Texasfiebers zu fördern. Zum anderen hätten jedes Jahr die Kälber prophylaktisch geimpft sowie regelmäßig Auffrischungsimpfungen durchgeführt werden müssen. Zur Herstellung der dafür erforderlichen Impfstoffe hätte die Veterinärbehörde wiederum ständig infizierte Rinder halten müssen, wodurch die Gefahr wiederholter Ausbrüche der Rinderpest bestanden hätte.422 Insgesamt ist deutlich geworden, dass die internationalen Forschungsbemühungen dazu geführt hatten, dass die Kolonialregierungen seit 1897 über effektive Methoden zur Bekämpfung der Rinderpest verfügten und diese auch im Interesse der eigenen Herrschaftssicherung einsetzten. Ferner induzierte die praktische Anwendung der Impfverfahren deren Weiterentwicklung. Dies stärkte die Bedeutung der kolonialen Veterinärmedizin sowohl im Kontext der Herrschaftssicherung vor Ort als auch in Bezug auf die kolonialpolitischen Steuerungsversuche aus der Metropole. Das auf der Basis lokaler Praktiken von Robert Koch entwickelte Impfverfahren gegen die Rinderpest diente als Grundlage für die in DSWA zwischen 1897 und 1902 durchgeführten Impfkampagnen. Im Rahmen der Anwendung des Impfverfahrens wurde durch die Blutnachimpfung zunächst dessen praktischer Nutzen vermeintlich gesteigert. Bei der weiteren Verwendung wurde dann eine weitere Schwäche des verbesserten Verfahrens identifiziert. Zwar wurde im Zuge der Entdeckung einer durch die Rinderpestimpfung verursachten Doppelinfektion mit Texasfieber 1901 ein Gutachten von europäischen Experten eingeholt. Die Grundlage für den Umgang mit diesem Problem vor Ort bildete aber die Rezeption entsprechender Wissensbestände und Impfpraktiken aus den benachbarten Kolonien bzw. im Falle des Texasfiebers Immunisierungsversuche aus Australien.423 Dies führte zur weiteren Anpassung der Impfverfahren sowie der der Rinderpestbekämpfung zugrunde liegenden Strategie. Aus einer rein empirischen »Durchimpfung« mit einer einzigen Impfmethode wurde eine auf die effektive Bekämpfung lokaler Ausbrüche 421 Auf den Problemkomplex staatlicher Entschädigungsleistungen und Viehversicherungen im Kontext der Tierseuchenbekämpfung und kolonialen Herrschaftssicherung wird in Kapitel 6.1. ausführlich eingegangen. 422 Leutwein an Kol.Abt., 07.10.1903, Rinderpest & sekundäre Infektion mit Texasfieber, BAB R 1001/6074, Bl. 177–178. 423 Rickmann an Gouv., 26.11.1900, Bericht Texasfieberimpfversuche & Problem der Differenzialdiagnose, BAB R 1001/6073, Bl. 10–12.

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zugeschnittene und aus einer Kombination unterschiedlicher Impfmethoden und Absperrungsmaßnahmen bestehende Strategie. Die Koch’sche Gallenimpfung wurde nur noch zur Bekämpfung der Seuche innerhalb der Seuchenherde angewandt. Prophylaktische Impfungen zur Isolierung des Ausbruchsherdes wurden ausschließlich mit Hilfe der im Transvaal entwickelten Serumimpfung durchgeführt. Dieser komplexe Plan stand zwar zu großen Teilen zunächst nur auf dem Papier, bezeugt aber die binnen kurzer Zeit entstehende Dynamik veterinärpolizeilicher Expertise in den Kolonien. Mit Hilfe dieser Maßnahmen gelang es, spätere Ausbrüche der Rinderpest schnell unter Kontrolle zu bringen, und ab den 1920er Jahren stellte die Seuche zumindest im südlichen Afrika keine Bedrohung mehr dar.424 Anhand des vom Regierungstierarzt Wunder entwickelten Planes zur Rinderpestbekämpfung lässt sich exemplarisch zeigen, dass die Experten vor Ort nicht nur europäische veterinärpolizeiliche Maßnahmen an lokale Gegebenheiten anpassten und durch lokale Strategien ergänzten. Vielmehr wurden unterschiedliche koloniale und europäische Vorgehensweisen miteinander kombiniert, um eine möglichst effektive Tierseuchenbekämpfung gewährleisten zu können. Bereits 1901 spielten dabei Expertenmeinungen aus Europa nur noch eine untergeordnete Rolle. Ähnliches galt für die Rezeption der in den Kolonien erzielten veterinärmedizinischen Erfolge in Europa. Zwar war die Entwicklung effektiver Impfmethoden gegen die Rinderpest gelungen, diese wurden in Europa aber bestenfalls passiv zur Kenntnis genommen. 1898 waren selbst einige Kolonialveterinäre der Ansicht, dass no greater mistake could be made than to suppose that the South African experience points a new way of dealing with rinderpest should it again appear in Western Europe. Should it ever again be landed on our shores, the pole-axe and not the hypodermic syringe is the instrument with which it must be opposed.425 Folglich kam es in Europa nicht zu einer Änderung der grundsätzlichen Strategie gegen die Rinderpest und vergleichbare Seuchen. Bis heute gehen die Behörden in den europäischen Staaten ausschließlich mit Absperrungsmaßnahmen und großangelegten Keulungsaktionen gegen Tierseuchenaus424 Schneider, S. 142. 425 Cape of Good Hope Department of Agriculture, Report of the Colonial Veterinary Surgeon and the Assistant Veterinary Surgeons for the year 1897, in: JCPT 11 (1898), S. 353.

Die Bildung eines kolonialen Expertennetzwerkes

brüche vor. Im südlichen Afrika hingegen entwickelten sich Schutz- und Notimpfungen zu einem festen Bestandteil des veterinärpolizeilichen Maßnahmenkataloges. Wie bereits am Beispiel der Pferdesterbeforschung gezeigt wurde, spezialisierten sich etliche Kolonialveterinäre auf die Entwicklung von Impfstoffen. Dadurch bildete sich ein koloniales Expertenwissen, das im südlichen Afrika zirkulierte und an Bedeutung gewann. Um die 1901 entworfene Bekämpfungsstrategie gegen die Rinderpest auf ihre Anwendbarkeit hin diskutieren und bewerten zu lassen, forderte Rickmann kein Gutachten aus Berlin an, sondern nutzte dafür die 1903 in Bloemfontein stattfindende interkoloniale Veterinärkonferenz.

3.

Die Bildung eines kolonialen Expertennetzwerkes und die Abkoppelung der südafrikanischen Veterinärmedizin

An der Erforschung der Afrikanischen Pferdesterbe und der Rinderpest ist deutlich geworden, wie stark die koloniale Wissensproduktion von wissenschaftlichen Methoden und Praktiken aus Europa beeinflusst wurde. Dabei ist bereits angeklungen, dass sich die Produktion kolonialen Wissens nicht in einem bipolaren Transfer zwischen Metropole und kolonialer Peripherie erschöpfte. Vielmehr löste die Bekämpfung von Tierseuchen eine transkoloniale Vernetzung aus und beförderte die Anpassung europäischen Wissens an die kolonialen Gegebenheiten. Dieses Spannungsfeld zwischen kolonialer Wissensproduktion und globaler Wissenschaftslandschaft ist Gegenstand dieses Kapitels. Dazu wird im ersten Unterkapitel die Bildung des kolonialen Expertennetzwerkes rekonstruiert. Zunächst werden die Veterinärkonferenzen in den Blick genommen, die im Anschluss an die Rinderpestkongresse zwischen 1903 und 1926 im südlichen Afrika stattfanden. Da Europa weiterhin eine große Bedeutung als Lieferant von technischer Ausstattung und Expertise spielte, intensivierte sich die bestehende Vernetzung der kolonialen Veterinärmedizin mit der internationalen Tiermedizin. Im zweiten Unterkapitel werden die Wahrnehmung und Positionierung der tropischen / kolonialen Veterinärmedizin im Rahmen der internationalen tierärztlichen Tagungen und Kolonialkongresse analysiert. Das letzte Unterkapitel führt die in den vorangegangenen Kapiteln dargestellten Entwicklungslinien analytisch zusammen. Angestoßen durch die interkoloniale und internationale Verflechtung etablierte sich ein Wissens-

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und Technologietransfer, der auf die südliche Hemisphäre begrenzt blieb. Am Beispiel der Maßnahmen und Techniken zur Bekämpfung der Schafräude wird diese Süd-Süd-Achse des kolonialen veterinärmedizinischen Wissenstransfers aufgezeigt. Nicht zuletzt die gelungene Positionierung der tropischen Veterinärmedizin in der internationalen Fachwelt führte ab 1909 auch zu einer engeren Kooperation der deutschen und britischen Kolonialbehörden bei der tiermedizinischen Ausbildung. Der Kurswechsel der britischen Kolonialpolitik nach dem Ersten Weltkrieg ermöglichte schließlich im Jahr 1920 die Einrichtung der ersten tiermedizinischen Fakultät im südlichen Afrika. Dies legte den Grundstein für eine eigenständige südafrikanische Veterinärmedizin. In der Forschung wurde bislang vor allem die Rolle von südafrikanischen Tierärzten in diesem um 1910 verorteten Abkoppelungsprozess der tropischen Veterinärmedizin untersucht. Dieser Prozess setzte aber deutlich früher ein und wurde auch maßgeblich von deutschen Veterinären beeinflusst und getragen.

3.1 Die interkolonialen Veterinärkonferenzen Den Auftakt für die Etablierung eines kolonialen Expertennetzwerkes bildeten die auf Initiative der Regierung der Cape Colony und des Transvaal 1896/97 einberufenen internationalen Rinderpestkonferenzen. Schließlich hatte die Rinderpestepizootie dazu geführt, dass die Regierungen wie auch die Experten vor Ort erkannt hatten, dass sich hochansteckende Viehseuchen nur durch ein international koordiniertes Vorgehen einigermaßen schnell und effizient eindämmen ließen. Durch den Ausbruch des Südafrikanischen Krieges426 1899 wurde die Vernetzung der Experten und die Zirkulation veterinärmedizinischen Wissens im südlichen Afrika zunächst unterbrochen. Die Forschungsarbeiten in der Cape Colony und dem Transvaal kamen zum Erliegen. Die britischen Tierärzte wurden in das Veterinärkorps der britischen Expeditionsarmee integriert, 426 Durch die von den britischen Streitkräften im Verlauf des Krieges angewandte Strategie der verbrannten Erde wurde neben der weißen, burischen Bevölkerung auch die afrikanische Zivilbevölkerung massiv in Mitleidenschaft gezogen. Daher hat die südafrikanische Geschichtswissenschaft in den letzten Jahren von der herkömmlichen Bezeichnung »Burenkrieg« Abstand genommen, um der lange verkannten Tatsache Rechung zu tragen, dass auch Afrikaner und »Coloureds« von dem Krieg betroffen waren. Marx, Südafrika, S. 161–167.

Die Bildung eines kolonialen Expertennetzwerkes

wohingegen Arnold Theiler und Otto Henning als Militärveterinäre auf Seiten der Streitkräfte des Transvaal bzw. des Oranje-Vrystaat dienten.427 Zudem erschwerte der in der geographischen Mitte des Subkontinents ausgebrochene Krieg eine Zusammenkunft der nicht direkt an dem Konflikt beteiligten deutschen und portugiesischen Veterinäre. Zu den Begleiterscheinungen des Krieges gehörte die durch Truppenbewegungen und Verteilung von Beutevieh begünstigte Verschleppung und unkontrollierte Ausbreitung von Tierseuchen. Neben der Lungenseuche und dem Rotz kam es auch zum Wiederausbruch der kurz zuvor als besiegt angesehenen Rinderpest.428 Kurz nach Beendigung des Krieges wurden, ausgehend von der Initiative der Regierung der Orange River Colony (Bezeichnung für den Oranje-Vrystaat nach der Annektion durch britische Truppen), die interkolonialen Kontakte wieder aufgenommen. Um die Bekämpfung von Tierseuchen im südlichen Afrika international zu koordinieren, wurden ab 1903 folgende Veterinärkonferenzen einberufen: – 1903: Conference on Diseases Amongst Cattle and other Animals in South Africa in Bloemfontein – 1904: Inter-Colonial Veterinary Conference on Animal Diseases in South Africa in Cape Town – 1907: Inter-Colonial Veterinary Conference in Bloemfontein – 1909: Pan-African Veterinary Conference in Pretoria. Wie die Bezeichnungen erahnen lassen, war die Teilnahme an den Konferenzen nicht an die Zugehörigkeit zu einem bestimmten europäischen Kolonialimperium gebunden. An den zwischen 1903 und 1907 einberufenen Konferenzen nahmen neben Delegierten aus den »Colonies and Territories belonging to His Majesty’s Dominions«429 auch Vertreter DSWAs und Portugiesisch-Ostafrikas teil. Der direkte Austausch zwischen deutschen Kolonialtierärzten und ihren Kollegen wurde zwischen 1904 und 1907 durch den Ausbruch des Namibischen Krieges unterbunden.430 Wie schon 1896 nahmen 427 Gutsche, S. 147; Lebenslauf von Otto Henning, BAB R 1002/721, Personalakte Henning, Bl. 77–78. 428 Heyne, S. 170. 429 So die in den Konferenzberichten verwandte Bezeichnung für: Cape Colony, Transvaal, Natal, Orange River Colony, Basutoland sowie Bechuanaland Protectorate und Rhodesien. 430 Im August 1903 hatte das Gouvernement beschlossen, dass Rickmann an der 1904 in Pretoria stattfinden Konferenz »zwecks Ergreifung geeigneter Massnahmen zur allgemeinen Unterdrückung der Rinderpest« teilnehmen sollte. Durch den Ausbruch

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stattdessen Angehörige des deutschen Konsulats für Südafrika an den Konferenzen teil.431 Die Konferenz 1909 firmierte erstmals unter der Bezeichnung »Pan-African Veterinary Conference«, doch abgesehen von Veterinären aus Belgisch-Kongo, Portugiesisch-Ostafrika und Madagaskar waren auf der Konferenz ausschließlich Kolonien aus dem südlichen Afrika vertreten. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der veterinärmedizinische Wissenstransfer in breitere, landwirtschaftliche Debatten eingebettet. Gemäß der Neuausrichtung der britischen Kolonialpolitik standen in den 1920er Jahren die langfristige und nachhaltige »Entwicklung« von Viehzucht und Landwirtschaft entlang europäisch-kolonialer Konzepte im Mittelpunkt folgender Konferenzen: – 1923: Pan-African Veterinary Conference in Nairobi – 1929: Pan-African Agricultural and Veterinary Conferences in Pretoria. Die Delegierten tauschten sich vor allem über allgemeine Präventionsmaßnahmen gegen Tierseuchen, die veterinärmedizinische Relevanz von Wild­tieren, Tierzucht sowie »the African Native and his Agricultural and Veterinary Problems« aus.432 Mit Blick auf eine bessere tiermedizinische Ausbildung sollte die Kooperation der einzelnen Veterinärdienste sowie die Organisation der Forschungsarbeiten, vor allem in den britischen Kolonien, weiter vorangetrieben werden.433 Dazu gehörten auch die Bildung von wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen und die Etablierung entsprechender Dienste in den Kolonien.434 des Namibischen Krieges konnte jedoch kein Veterinär aus DSWA zur Konferenz entsandt werden. Leutwein an Kol.Abt., 07.10.1903, Rinderpest & sekundäre Infektion mit Texasfieber, BAB R 1001/6074, Bl. 177–178. 431 Dies waren Keller und von Jordan. Report Cape Town 1904, List of Delegates. 432 Department of External Affairs an Secretary, 23.01.1929, First Circular Pan African Veterinary Conference, NAN SWAA 0304 A34-22. 433 Dabei wurde deutlich, dass die Veterinärdienste in den einzelnen Kolonien des British Empire auch unterschiedlich organisiert und ausgestattet waren. So verfügte der Sudan erst seit 1921 über ein veterinärbakteriologisches Institut. Obwohl der Export von Rindern nach Ägypten eine der wichtigsten wirtschaftlichen Einnahmequellen des Sudan darstellte, war die Finanzierung der veterinärmedizinischen Forschungen 1923 noch immer nicht gesichert. Darüber hinaus gehörten alle Veterinäre im Sudan dem Royal Army Veterinary Corps an. Bericht des SVO Jarvis auf der Konferenz 1923. Report of the Pan-African Veterinary Conference, Nairobi 1923, S. 102–103. 434 In der Zwischenkriegszeit förderte das Colonial Office im gesamten British Empire die Bildung von wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen und die Etablierung

Die Bildung eines kolonialen Expertennetzwerkes

Die Dominanz von Vertretern und Abgesandten aus britischen Kolonien prägte die Konferenzen in Nairobi und Pretoria. Deren erklärtes Ziel war es, »to encourage the interchange of experience and the closest co-operation in the study of agricultural problems throughout the whole of Africa«.435 Wobei »the whole of Africa« sich in erster Linie auf die britischen Territorien bezogen haben dürfte. Was sowohl die geographische Ausdehnung als auch die Zahl der teilnehmenden Kolonien angeht, kam die Konferenz von 1929 der Bezeichnung »Pan-African« am nächsten. Zwar erweiterte sich das Teilnehmerfeld geographisch nach Ost- und Nordafrika, aber Portugiesisch-Ostafrika, Madagaskar und Französisch-Westafrika waren die einzigen Teilnehmer, die nicht zum British Empire gehörten. 1929 nahmen sogar Gesandte aus Großbritannien an der Konferenz teil.436 Die »Pan-African Agricultural and Veterinary Conference« in Pretoria war die erste, die alle Bereiche der Landwirtschaft erfasste. Während sich die vorangegangenen Konferenzen nur am Rande mit Tierzucht und Viehwirtschaft befasst hatten, sollten nun auch Themen und Probleme des tropischen und subtropischen Ackerbaus mitberücksichtigt werden. Dazu war die Konferenz in die drei Sektionen Landwirtschaft, Veterinärmedizin und gemeinsame Sitzung unterteilt. Als Abgesandte der Mandatsregierung von SWA nahmen der SVO MacNea und der Chief Agricultural Adviser Schreuder an der Konferenz teil.437 entsprechender Dienste. Dazu zählten vor allem Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Medizin und auch die Veterinärmedizin. Bennett, Consolidation and Reconfiguration, S. 30–43. 435 First Circular Pan-African Agricultural and Veterinary Conferences, Pretoria 1929, S. 2, NAN SWAA 0304 A34-22. Die Idee eines ganzheitlichen Ansatzes bei der »Entwicklung« der kolonialen Landwirtschaft dürfte nicht zuletzt durch die erste Agricultural Conference in Nairobi befördert worden sein. Diese befasste sich 1926 zwar vor allem mit der Baumwollwirtschaft, aber es wurden auch Vorträge über Entomologie und Mykologie gehalten, diese Themen spielten auch in Bezug auf die Viehwirtschaft eine bedeutende Rolle. 436 1923 nahmen Delegierte aus Tanganyika, Kenya, Natal, Sudan, Uganda, Nyassaland und der Südafrikanischen Union sowie aus Portugiesisch-Ostafrika und Madagaskar an der Konferenz in Nairobi teil. Report Nairobi 1923, S. 1. 1929 kamen aus dem britischen Einflussgebiet noch Delegierte aus Basutoland, dem Bechuanaland Protectorate, Swasiland, Nord- und Südrhodesien sowie aus Großbritannien hinzu. First Circular PanAfrican Agricultural and Veterinary Conferences, Pretoria 1929, SWAA 0304 A34-22. 437 McNea hielt keinen Vortrag auf der Konferenz. Sein Hauptinteresse galt den Diskussionen über Tierseuchen, die auch in SWA auftraten. ADM an Secretary of External Affairs, 11.10.1928, NAN SWAA 0304 A34-22. 1923 hatte aufgrund der geringen Personalstärke des Veterinärdienstes kein Regierungstierarzt aus SWA abgeordnet werden können. Zur Situation des Veterinärdienstes in SWA siehe Kapitel 4.3 dieser Arbeit.

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Modalitäten und Folgen der Produktion veterinärmedizinischen Wissens

Mit Hinweis auf die Senkung der Kosten unterbreitete die Südafrikanische Regierung 1929 dem Colonial Office den Vorschlag, die Koordination der bota­nischen, landwirtschaftlichen und veterinärmedizinischen Forschungstätigkeiten für den gesamten Kontinent zu übernehmen. Dieses Angebot wurde vom Colonial Office wie auch von verantwortlichen Kolonialbeamten west- und ostafrikanischer Kolonien abgelehnt, da die Kolonien in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht zu heterogen waren.438 In der Folgezeit wurden keine Konferenzen vergleichbaren Umfangs mehr einberufen. Stattdessen dienten die Jahrestreffen der 1922 gegründeten South African Veterinary Medical Association als Plattform für den direkten wissenschaftlichen Austausch. Erst als Anfang der 1930er Jahre durch den Ausbruch der Maul-und Klauenseuche wieder eine akute Bedrohung für die Viehzucht entstand, wurde 1934 wieder eine Viehseuchenkonferenz einberufen. An der Interstate Conference on Foot and Mouth Disease in Mafeking nahmen Delegierte der Südafrikanischen Union, Nord-und Südrhodesiens, SWAs sowie dem Bechuanaland Protectorate teil.439

3.1.1 Setzung veterinärmedizinischer Standards

Aufgrund der akuten Bedrohung konzentrierte sich die Konferenz 1934 – wie schon die 1896/97 einberufenen Rinderpestkongresse – ausschließlich auf die Bekämpfung einer einzigen Tierseuche. Demgegenüber wandten sich die ab 1903 einberufenen Konferenzen dem gesamten Aufgabenspektrum des kolonialen Veterinärwesens zu. Neben der Verhütung und Bekämpfung von Tierseuchen befassten sich die Delegierten mit der Organisation der kolonialen Veterinärdienste, der veterinärpolizeilichen Gesetzgebung, der Organisation der veterinärmedizinischen Ausbildung und Forschung sowie tiermedizinischen Aspekten des internationalen Handels, der Tierzucht und Tierökonomie. Zu all diesen Aspekten erarbeiteten die Delegierten Beschlüsse. Diese 438 Die Kolonialbeamten aus West- und Ostafrika sahen vor allem die Überbewertung und Förderung der europäischen Siedler in Südafrika als problematisch an und wiesen explizit darauf hin, dass in West- und Ostafrika indigene Praktiken viel stärker be­rücksichtigt werden müssten. Daraufhin hielten die ostafrikanischen Kolonien in den 1930er Jahren eigene Landwirtschaftskonferenzen ab. Tilley, Living Laboratory, S. 128–134. 439 Interstate Conference on Foot and Mouth Disease 1934, NAN AGV 207 9-1. Zum Ausbruch der MKS in Namibia und ihren Folgen siehe Miescher, S. 160–171.

Die Bildung eines kolonialen Expertennetzwerkes

waren als Expertenratschläge für die Kolonialregierungen des südlichen Afrika gedacht und wurden zusammen mit den gedruckten Verhandlungsprotokollen an alle Delegierten und ihre Regierungen gesandt.440 Ziel war es, auf der Grundlage der Beratungen in allen Bereichen des kolonialen Veterinärwesens möglichst einheitliche Standards zu etablieren und die Kooperation zwischen den einzelnen kolonialen Veterinärdiensten des südlichen Afrika zu fördern.441 Den breitesten Raum in den Debatten nahmen Tierseuchen und -krankheiten ein. Neben der Diskussion neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse tauschten sich die Delegierten über praktische Erfahrungen mit den zur Bekämpfung einzelner Tierseuchen ergriffenen Maßnahmen aus. Zwar deckten die Beratungen fast das gesamte Spektrum der im südlichen Afrika auftretenden Tierseuchen und Erkrankungen ab, dabei rückten aber immer wieder einzelne Tierseuchen in den Mittelpunkt. So war die Konferenz 1903 in Bloemfontein in erster Linie einberufen worden »to discuss concerted measures for the complete eradication of Rinderpest«.442 Anknüpfend an die seit 1897 geführten Debatten über die unterschiedlichen Impfmethoden wurden endgültig einheitliche Bekämpfungsmaßnahmen gegen die Rinderpest vereinbart. In die Debatte flossen die zwischenzeitlich während der Rinderpestausbrüche in DSWA 1900/1901 gewonnenen Erfahrungen und die von Wunder und Rickmann entwickelte Strategie mit ein. Entsprechend empfahlen die Delegierten, in Zukunft grundsätzlich einen Ausbruch mit Hilfe der Serummethode zu bekämpfen. Die Gallenimpfung sollte nur noch innerhalb infizierter Bestände und nur dann angewandt werden, wenn Immunserum nicht verfügbar war.443 Nach 440 Die Verhandlungen des Rinderpestkongresses von 1897 wurden noch in Niederländisch, Englisch und Deutsch übersetzt. Alle folgenden Reports wurden ausschließlich auf Englisch veröffentlicht. Die Kopien wurden vom Generalkonsulat für BritischSüdafrika auch direkt nach Berlin gesandt. Dort sind sie im Bestand BAB R 1001/6094 abgelegt. In den ZBU-Akten der NAN finden sich die Berichte nicht, da sie allesamt in die Bibliothek des Instituts Gammams überführt wurden. Dessen Bestände sind jedoch aufgrund der Bestandsgeschichte aktuell nicht systematisch einsehbar – siehe Einleitung zu den Quellen. Der Bericht über die 1909 in Pretoria gehaltene Konferenz ist leider gar nicht auffindbar. Dessen Inhalt wurde ausschließlich aus den entsprechenden Berichten rekonstruiert. 441 Report Bloemfontein 1904, S. 7; Report Cape Town 1904, S. 1; Gouv. an Kol.Abt., 13.05.1907, Bericht Jordans über die Konferenz von 1907, BAB R 1001/6064, Bl. 80–108, hier: Bl. 101. 442 Report Bloemfontein 1904, S. 8. 443 Nicht zuletzt aufgrund der von der Konferenz gefassten Beschlüsse gelang es, die Rinderpest im südlichen Afrika unter Kontrolle zu bekommen. Ab 1905 kam es nur noch zu sporadischen Ausbrüchen. Rickmann an Kol.Abt., 12.09.1906, betr. Bericht

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der Rinderpest wurde am ausführlichsten über die ersten Ergebnisse der Forschungsarbeiten von Theiler und Koch zum Ostküstenfieber diskutiert.444 Ferner wurden praktische Maßregeln zur Bekämpfung der Lungenseuche, des Rotzes und der Räude verabschiedet. Anfang 1904 brach das Ostküstenfieber in Natal aus und breitete sich scheinbar unaufhaltsam weiter aus. Hauptanliegen der 1904 in Cape Town einberufenen Inter-Colonial Conference war es daher, »to find some system of co-operation in dealing with this scourge«.445 Arnold Theiler und Charles Lounsbury war es gelungen, sowohl den Erreger wie auch den Hauptvektor der Seuche – eine bestimmte Zeckenart – zu identifizieren. Zudem wurden die bislang ergriffenen Maßnahmen gegen die Verbreitung des Ostküstenfiebers besprochen.446 Das Dippen der Rinder gegen Zecken (die Tiere wurden durch ein Zecken abtötendes Bad getrieben) wurde als effektivste Bekämpfungsmethode anerkannt und ein »Scheme for Eradication of East Coast Fever« erarbeitet.447 In Bezug auf organisatorische und veterinär­polizeiliche Fragen ging es 1903 und 1904 um die Beseitigung der Missstände, die während der Rinderpestepizootie identifiziert worden waren: der Mangel an Tierärzten und die uneinheitliche veterinärpolizeiliche Gesetzgebung. So forderten die Delegierten, die Zahl qualifizierter Veterinäre in den Kolonien möglichst schnell zu vergrößern sowie Form und Inhalt der veterinärpolider deutschen Kolonial-Gesellschaft über Einführung der Zwangs-Impfung gegen Rinderpest und Organisation des Veterinärwesens, BAB R 1001/6077, Bl. 31–43. Da die Rinderpest im östlichen Afrika weiterhin grassierte, rückte die Seuche 1923 wieder auf die Agenda. Report Nairobi 1924, S. 12–19. 444 Diese Seuche war bis zu ihrem Ausbruch 1901/02 in Rhodesien gänzlich unbekannt. Erneut war Robert Koch mit der Erforschung der Krankheit beauftragt worden, diesmal von der Regierung Rhodesiens. Neben Koch führten u. a. auch Alexander Edington, Herbert Watkins-Pitchford, Arnold Theiler, Duncan Hutcheon und Charles Lounsbury Forschungsarbeiten durch. Ausführlich zur Erforschung des Ostküstenfiebers in Rhodesien und im Transvaal siehe: Cranefield. 445 Report Cape Town 1904, S. 1. 446 Darüber hinaus waren Texasfieber, Lungenseuche, Tuberkulose, Rotz, epizootische Lymphangitis, Räude, Rotlauf der Schweine, Tollwut, Maul- und Klauenseuche, Milzbrand und Rauschbrand Gegenstand der Diskussionen. Report Cape Town 1904. 447 Report Cape Town 1904, S. 3–35. Durch das konsequente Dippen der betroffenen Rinderbestände konnte die Verbreitung des Ostküstenfiebers eingedämmt werden. Da kein Impfstoff gegen die Seuche entwickelt werden konnte, konzentrierten sich die Eindämmungsmaßnahmen gegen das Ostküstenfieber weiterhin auf Grenzsperren und die Zeckenbekämpfung durch Dippen der Tiere sowie regelmäßiges Abbrennen der infizierten Weideflächen. Diese Maßnahmen wurden 1929 erneut bestätigt. ­Verney, Sheep Scab, S. 214–218.

Die Bildung eines kolonialen Expertennetzwerkes

zeilichen Gesetze anzugleichen. Während die Resolutionen unspezifisch von einer »ausreichenden Zahl von Veterinären« sprachen, waren Vorschläge in Bezug auf die Schaffung einheitlicher Vorschriften zur Viehseuchenbekämpfung sehr konkret. Im Rahmen der Konferenz 1904 in Cape Town erarbeiteten die Delegierten in Arbeitsgruppen eine Gesetzesvorlage, die »Regulations for Dealing with Diseases of Stock adopted by the Inter-Colonial Veterinary Conference 1904«.448 Im Fokus der folgenden Konferenz von 1907 standen Maßnahmen zur Eindämmung der Verschleppung der Schafräude, die auf anderen Konferenzen in einem deutlich geringeren Umfang erörtert worden waren. Des Weiteren wandten sich die Delegierten erstmals ausführlich Importbestimmungen für Viehtransporte zu. Die Veterinäre empfahlen, grundsätzlich strengere Kontrollen von Tiertransporten einzuführen. Vor allem in Bezug auf Kleinviehtransporte erarbeiteten die Delegierten detaillierte Resolutionen. Die zu ergreifenden Maßnahmen wie die prophylaktische Behandlung der Tiere und die Dauer von Quarantänen wurden sehr kleinteilig geregelt und hingen ebenso vom Herkunftsort der Tiere (Übersee, Nachbarkolonie) ab wie von der Art des Transportes (Bahn, Schiff, Viehtrieb) und dem Zweck der Tiereinfuhr (Zucht, Schlachtung, Ausstellung).449 Nachdem die Gefahr durch akute Seuchenzüge Anfang des 20. Jahrhunderts abebbte, gewannen die nachhaltige Leistungssteigerung der Viehzucht und die Förderung des Viehhandels zunehmend an Bedeutung. Entsprechend befassten sich die Veterinäre verstärkt mit veterinärpolizeilichen und seuchenhygienischen Fragen sowie der Erforschung ernährungsphysiologischer Mangelerscheinungen.450 Anlässlich der Eröffnung des neuen veterinärbakteriologischen Instituts in Onderstepoort bei Pretoria berief die Regierung des Transvaal 1909 die Pan-African Veterinary Conference ein.451 Die bereits im Rahmen der Konferenz von 1907 erkennbare allmähliche Verlagerung der Veterinärpolitik wurde nun endgültig deutlich. Im Mittelpunkt der Konferenz stand nicht mehr die einem Reiz-Reaktionsschema folgende Konzentration auf eine akut ausgebrochene Tierseuche, sondern die Delegierten befassten sich überwiegend mit präventiv zu ergreifenden Maßnahmen gegen Tierseuchen sowie 448 Report 1904 Cape Town, S. 77–85. 449 Gouv. an Kol.Abt., 13.05.1907, Bericht Jordans über die Konferenz von 1907, BAB R 1001/6064, Bl. 80–108. 450 Gilfoyle, Swiss Veterinary Scientist. 451 High Commissioner an Gouv., 10.11.1908, Einladung zur Konferenz nach Pretoria, NAN ZBU 1286 O. I.a.4-1, Bl. 187–188.

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Fragen der Organisation veterinärmedizinischer Forschung.452 Letztere sollte sich vor allem auf tropische Krankheiten konzentrieren.453 Um in Zukunft schnell gegen Ausbrüche vor allem unbekannter Tierseuchen vorgehen zu können, empfahlen die Experten, dass die Kolonialregierungen jährlich einen festen Etat für die Durchführung von Keulungsaktionen einstellen sollten. Mit Blick auf die seit 1903 angestrebte Standardisierung der veterinärpolizeilichen Gesetzgebung schlugen die Delegierten die Bildung eines eigenen SubKomitees vor. Dessen Aufgabe sollte es sein, Gesetzesvorlagen zu entwerfen, »which shall be uniformly applicable to all African States«.454 Vorschläge für eine engere Kooperation in Bezug auf veterinärmedizinische Forschungen und die Einrichtung einer transkolonialen Forschungsstation fanden hingegen keine breite Unterstützung.455 Zur Förderung der Kooperation wurde aber vorgeschlagen, dass die Leiter der kolonialen Forschungseinrichtungen sich in dem neugegründeten Veterinärlabor in Onderstepoort treffen sollten, »to discuss the question of the most economical distribution of routine and research work«. Als geeignetste Maßnahme zur Verbesserung der Ausbildung angehender Kolonialveterinäre erachteten die Experten den Ausbau des ­Angebotes an speziellen Vorbereitungskursen in tropischer Veterinärmedizin in Europa.456 Schlussendlich verliehen die Delegierten einer bereits 1904

452 Es wurde lediglich kurz über die aktuellen Erfahrungen bei der Bekämpfung des Ostküstenfiebers – namentlich das regelmäßige Dippen der Rinder – in Natal diskutiert. Laut den Ausführungen des CVO von Natal, Watkins-Pitchford, war es gelungen, die Seuche weitgehend einzudämmen. Entsprechend empfahlen die Delegierten die gegenseitige Unterstützung bei der Bekämpfung des Ostküstenfiebers. Report Pretoria 1909, S. 50. 453 Als tropische Krankheiten galten vor allem die von Blutparasiten ausgelösten und durch Insekten übertragenen Krankheiten. Dazu zählten vor allem die von unterschiedlichen Trypanosomen und Piroplasmen verursachten Erkrankungen von Rindern, Pferden und Kamelen. Report Pretoria 1909, S. 4. 454 Ebd., S. 51. 455 Die Schaffung einer permanenten, international finanzierten veterinärbakterio­ logischen Forschungsstation wurde erstmals 1897 diskutiert. Bericht über den internationalen Rinderpest Congress, Pretoria 1898, S. 70–73. Im Rahmen der Entwicklung eines möglichst effektiven Räudemittels schlugen die Experten 1907 ein letztes Mal die Möglichkeit einer internationalen Zusammenarbeit vor. Die Versuche sollten in der Cape Colony ausgeführt werden, da diese über die besten Voraussetzungen dafür verfügte. Gouv. an Kol.Abt., 13.05.1907, Bericht Jordans über die Konferenz von 1907, BAB R 1001/6064, Resolution 11, Bl. 83. An der Finanzierung solcher Projekte sollten sich alle südafrikanischen Staaten und Kolonien beteiligen. Alle Vorschläge in dieser Richtung wurden nicht umgesetzt. 456 Report Pretoria 1909, S. 52.

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verabschiedeten Forderung Nachdruck, indem sie die Einführung der obligatorischen Fleischbeschau in allen öffentlichen Schlachthöfen empfahl.457

3.1.2 Rezeption der Konferenzen in DSWA

Nach den Erfahrungen mit der Rinderpestepizootie wurden die Konferenzbeschlüsse vom Gouvernement in Windhoek zur Kenntnis genommen. Die Behörden waren darum bemüht, Inhalte und Ergebnisse der Expertendebatten nachzuvollziehen. Da offenbar nicht alle deutschen Veterinäre und Beamten der englischen Sprache mächtig waren,458 wurden neuralgische Passagen – im Wesentlichen die Beschlüsse – übersetzt bzw. die gedruckten Protokolle der einzelnen Konferenzen von deutschen Experten zusammengefasst.459 Zusätzlich erstellte der Cheftierarzt Rickmann im Auftrag des Gouvernements Gutachten zu den Beschlüssen der Konferenzen 1903 und 1904, die grundsätzlich positiv ausfielen. Darin sah sich Rickmann in seinen Bedenken in Bezug auf die veterinärpolizeiliche Gesetzgebung in der deutschen Kolonie bestätigt und begrüßte generell ein internationales, einheitliches Vorgehen gegen Tierseuchen.460 Dennoch riet er zu einem begrenzten Beitritt zu den Beschlüssen, da einzelne Resolutionen, wie die Einrichtung einer staatlichen Entschädigungskasse für Tierseuchenverluste sowie die verabschiedeten Maßnahmen zur Bekämpfung des Ostküstenfiebers, mit dem begrenzten Etat der Kolonie nicht zu leisten seien.461 Diese Einwände teilte auch das Gouvernement, kam ansonsten aber den Beschlüssen nach. Leutwein entschuldigte sich 1904 sogar dafür, dass das Gouvernement aufgrund des Krieges nicht in der Lage sei, die gefassten Beschlüssen umzusetzen. Man

457 Ebd. 458 Zur Bedeutung der englischen Sprache für den kolonialtierärztlichen Dienst in DSWA siehe Kapitel 4. dieser Arbeit. 459 Die Protokolle der Konferenz von 1904 wurden zum Beispiel von dem Regierungstierarzt Baumgart komplett übersetzt und finden sich den Akten des Distriktamtes Okahandja. Baumgart an Distriktamt Okahandja, 25.06.1904, Protokoll der II. InterColonial Veterinary Conference in Kapstadt, NAN DOK 122 T.3.a-1 (Übersetzung des offiziellen Protokolls). 460 Rickmann, Tierzucht, S. 75–76 und Rickmann an Gouv., 14.05.1904, Bericht über die Konferenz in Bloemfontein, NAN ZBU 1286 O. I.a.3-1, Bl. 1–6. 461 Ebd. sowie Rickmann an Gouv., 31.06.1904, Bericht über Konferenz in Cape Town 1904, NAN ZBU 1286 O. I.a.3-1, Bl. 9–10.

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werde sich aber in »günstigerer Zeit« wieder mit den britischen Behörden zwecks gemeinsamer Seuchenbekämpfung in Verbindung setzen.462 Demgegenüber fielen die Berichte und Gutachten über die Konferenz 1907 deutlich verhaltener aus. Vizekonsul von Jordan bemängelte vor allem die improvisierte Tagesordnung und das Fehlen eines offiziellen Protokolls. Diese Einschätzung teilte auch Robert von Ostertag. Zwar hatte Ostertag nicht teilgenommen, seinem Eindruck nach hätten aber die englischen Kolonien dieser Konferenz eine geringere Bedeutung beigemessen. Dies zeige sich sowohl an der mangelhaften und kurzfristigen Durchführung der Tagung als auch an dem Fernbleiben der beiden wichtigsten Tiermediziner der englischen Kolonien, Arnold Theiler und Duncan Hutcheon. Dennoch empfahl Ostertag, Veterinäre zur geplanten Konferenz 1909 zu entsenden, da es [f]ür die deutschen Tierärzte die Mitberatung der die Konferenz beschäf­ tigenden Gegenstände und die persönliche Aussprache mit den im Kolonialdienst groß gewordenen englischen Tierärzten, außerdem aber auch das Studium der Einrichtungen, die von den englischen Behörden in großartiger Weise zur Erforschung und Bekämpfung der afrikanischen Tierseuchen getroffen worden sind, von sehr großem praktischen Nutzen [sei].463 Insgesamt war die Kolonialverwaltung in Windhoek davon überzeugt, dass die Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten bei der Seuchenbekämpfung und der Erforschung ansteckender Krankheiten für DSWA von größter Bedeutung war.464 Entsprechend wurden die Beschlüsse der Konferenzen, wie von den Delegierten intendiert, als Expertenempfehlungen in DSWA rezipiert und bildeten eine wesentliche Grundlage für die Überarbeitung der Viehseuchenverordnung, die Organisation des Veterinärdienstes sowie für

462 Leutwein nutzte die Gelegenheit, der Regierung der Cape Colony mitzuteilen, dass ein Importverbot für Rinder aus der Cape Colony verhängt worden war, um eine Einschleppung des Ostküstenfiebers zu vermeiden. Leutwein an Deutsches Konsulat Kapstadt, 01.08.1904, Stellungnahme zu den Beschlüssen der Veterinärkonferenz in Kapstadt 1904, NAN ZBU 1286 O. I.a.3-1., Bl. 17. 463 Ostertag an Gouv., 20.08.1907, Bericht zu den drei internationalen Veterinärkonferenzen in Bloemfontein & Erläuterungen zu den Resolutionen, NAN ZBU 1286 O. I.a.3-1, Bl. 173–179. 464 Gouv. an RKA, 11.08.1908, betr. Einladung zur Konferenz nach Pretoria und Entsendung von Cheftierarzt Henning, NAN ZBU 1286 O. I.a.4-1, Bl. 187–188.

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die Ausbildung der Regierungstierärzte. Die interkolonialen Konferenzen dienten dem fachlichen Austausch der Experten und waren zugleich eine Möglichkeit der politischen Einflussnahme auf die koloniale Gesetzgebung. Die Resolutionen bestimmten somit auch die staatliche Instrumentalisierung der veterinärmedizinischen Wissensbestände.465 Neben dem wissenschaftlichen Austausch und dem Einfluss auf staatliche Maßnahmen und Gesetze erfüllten die interkolonialen Konferenzen bis zum Ersten Weltkrieg zweifelsohne eine weitere wichtige Funktion. Die Zusammenkünfte ermöglichten und beförderten das Knüpfen persönlicher Kontakte zwischen den einzelnen Akteuren. Der Austausch beschränkte sich dabei nicht nur auf fachwissenschaftliche Themen. Es entstand ein professionelles und vor allem soziales Netzwerk, das über die Grenzen des deutschen Kolonialreiches und des British Empire hinausreichte. Der Cheftierarzt Wilhelm Rickmann nutzte seine Teilnahme an der Konferenz 1903 in Bloemfontein, um sich mit Koch über die zur Bekämpfung der Rinderpest von der Konferenz beschlossenen Maßnahmen zu beraten. Offenbar wollte sich Rickmann für die in DSWA zu ergreifenden Maßnahmen eine Rückversicherung von Koch geben lassen. Dieser empfahl, die auf der Konferenz verabschiedeten Resolutionen zu beherzigen, da sie die »besonderen südafrikanischen Verhältnisse« berücksichtigen würden und »gründlich und sachgemäß verhandelt« worden seien.466 Im Anschluss an die Konferenz blieb Rickmann noch einige Wochen in Transvaal und der Cape Colony. Er nutzte seinen Aufenthalt für einen Besuch bei Arnold Theiler und besichtigte dessen Forschungslabor in Daspoort.467 Der interessierten Öffentlichkeit im Transvaal gab Rickmann zudem Auskunft über den Stand des Veterinärdienstes sowie der Viehzucht in DSWA .468 Während seiner Rückreise nach Windhoek besuchte Rickmann auch Cape Town. Dort traf er mit dem Entomologen Charles Lounsbury zusammen, um sich über Zeckenarten sowie deren Rolle

465 Auf die konkrete Umsetzung der Konferenzbeschlüsse im Rahmen der Ausgestaltung des kolonialen Veterinärwesens wird in den Kapiteln 4. und 5. dieser Arbeit näher eingegangen. 466 Lindequist an Reichskanzler, 23.02.1904, Anfrage Kochs nach DSWA zur Erforschung der Rinderpest und der Afrikanischen Pferdesterbe zu reisen, BAB R 1001/6075, Bl. 32–33. 467 Laut Gutsche soll Rickmann dort auch an Forschungsarbeiten mitgewirkt haben. Gutsche, S. 207. 468 N. N., Agriculture, S. 204–207.

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als Überträger von Tierseuchen zu informieren. Mit Lounsbury pflegte Rickmann auch nach seinem Besuch weiterhin einen losen Kontakt.469 In ähnlicher Weise nutzte auch der Tierarzt Otto Henning die Konferenzen. Henning – seit 1892 als Regierungstierarzt für die britische Kolonialverwaltung tätig – hatte an mehreren interkolonialen Konferenzen teilgenommen. Auf dem Veterinärkongress in Bloemfontein 1903 äußerte er gegenüber den deutschen Vertretern den Wunsch, »als Deutscher wieder auf deutschen Grund und Boden zurückzukehren«. Dies wurde von der deutschen Kolonialverwaltung begrüßt, die bereits seit 1897 mehrere Versuche unternommen hatte, Henning für den Veterinärdienst in den deutschen Kolonien zu gewinnen.470 Im Januar 1908 wurde Otto Henning zum Sachverständigen für Viehzucht und Veterinärwesen von DSWA ernannt.471 Aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit im südlichen Afrika war Henning persönlich mit Arnold Theiler, dem Leiter des 1908 eingerichteten veterinärbakteriologischen Instituts in Pretoria, bekannt. Die beiden pflegten ein enges berufliches und wohl auch privates Verhältnis.472 1909 führten die beiden im Rahmen des Pan-African Conference in Pretoria erste Sondierungsgespräche über eine Kooperation bei der Ausbildung deutscher Veterinäre an Theilers Institut. Die enge persönliche Bekanntschaft wird auch dazu beigetragen haben, dass es nach 1909 zu einem häufigeren offiziellen Briefwechsel zwischen Henning und Theiler und somit einer engeren Zusammenarbeit zwischen DSWA und der Südafrikanischen Union kam.473 In beiden Fällen kam den jeweiligen Konferenzen durchaus eine katalytische Wirkung für den Ausbau der transkolonialen Kooperation zwischen deutschen und britischen Tierärzten zu. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das 1920 eingerichtete Agricultural and Veterinary Department in Windhoek in das veterinärwissenschaftliche Netzwerk der Südafrikanischen Union integriert, behielt aber eine gewisse institutionelle Autonomie. Die auf der Pan-African Conference von 1929 dis469 Gouv. an Kol.Abt., 05.05.1904, BAB R 1001/6075, Bl. 44. 470 1891 hatte Henning erstmals bei der Kol.Abt. um eine Anstellung in den Kolonien nachgesucht. 1897 war ihm eine Tierarztstelle in DOA und 1902 die Direktorenstelle der Schäfereigesellschaft von Gibeon (DSWA) angeboten worden. Henning an Gouv., 16.05.1905, BAB R 1002/721, o.P. 471 Henning war am 23.12.1907 in Swakopmund eingetroffen und wurde am 14.03.1908 offiziell vereidigt. Schuckmann an RKA, 14.01.1908, BAB R 1002/721, Bl. 75–78. 472 Gutsche, S. 69. 473 1909 entwickelte sich ein reger Kontakt zwischen Henning und Theiler. Anlass war ein Merkblatt über die Schafpockenseuche. Henning an Gouv., 07.01.1911, Vermerk zur Versendung Pockenmerkblatt an Kapkolonie, NAN ZBU 1286 O. I.a.4-1, Bl. 12.

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kutierten Ansätze über eine allgemeinere und engere Zusammenarbeit vor allem der britischen Kolonien in Bezug auf veterinärmedizinische und agrarwissenschaftliche Themen stießen bei den Delegierten aus SWA auf regen Zuspruch. Die Einschätzung Schreuders, der als Chief Agricultural Officer of SWA an der Konferenz teilgenommen hatte, fiel geradezu enthusiastisch aus. In seinem Bericht an den Secretary berichtete Schreuder, dass all delegates felt that with co-operating and co-ordinating schemes our trials and difficulties could be lessened and we could look forward to greater success in the future. …a sprit of mutual goodwill and co-­operation prevailed. The discussions and papers were most educative, while resolutions taken…will no doubt also redound to the welfare of our Territory.474 Insgesamt nahm die Bedeutung interkolonialer Konferenzen im südlichen Afrika jedoch ab. Diese wurden durch die jährlich einmal stattfindenden Zusammenkünfte der South African Veterinary Medical Association ersetzt. An diesen nahmen ab Ende der 1920er Jahre immer einige Regierungstierärzte der Mandatsregierung von SWA teil, um sich mit ihren Amtskollegen aus der Union auszutauschen.475 Parallel bemühte sich der Veterinärdienst SWAs zwar weiterhin um den Austausch und die Informationsbeschaffung aus anderen Kolonien wie Rhodesien und Madagaskar.476 Dennoch wurde das Onderstepoort Institute zur zentralen Forschungs- und Ausbildungsstätte. Der Leiter der Veterinärbehörde in Windhoek, Garraway, begrüßte 1928 eine Anfrage des Leiters des Veterinärlabors in Kabete (brit. Ostafrika). In Bezug auf die Zirkulation neuester veterinärmedizinischer Erkenntnisse wies er aber darauf hin, dass er über keinen Veterinary Research Officer ver474 Schreuder an Secretary, 15.10.1929, Report, SWAA 0304 A34-22. 475 SVO an Secretary, 24.06.1929, Attendance of GVOs at Meeting of the South African Veterinary and Medical Association, SWAA 0304 A34-22. 476 Ende 1920 nahm der Leiter der Veterinärbehörde, Goodall, Kontakt zum rhodesischen Departement of Agriculture auf. Er bat um die Übersendung von Berichten über die dort auftretenden Viehseuchen. Daneben wandten sich auch entsprechende Stellen anderer britischer und französischer Kolonien an Goodall, meist mit der Bitte um einen Informationsaustausch. Der Inspecteur d’agriculture chargé du service des Renseignements de l’inspection generale de Madagascar übersandte Goodall das Bulletin Economique de Madagascar, darin waren Artikel zu Viehzucht und Tierkrankheiten enthalten. In dem Schreiben brachte der Inspecteur die Hoffnung zum Ausdruck, dass ihm auch aus SWA entsprechende Publikationen zugesandt werden, sofern solche verfügbar seien. Inspecteur d’agriculture an SVO, 24.01.1920, NAN AGV 153 V.15/2-1.

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füge und dass »all work in this connection being carried out in conjunction with the Onderstepoort laboratory«.477 Entsprechend wurden die Ergebnisse der wenigen, nach 1920 noch in SWA durchgeführten Forschungsarbeiten sowie die Berichte über die dort aufgetretenen Viehseuchen in den Publikationen der South African Veterinary Medical Association bzw. des Departement of Agriculture veröffentlicht.

3.2 Die tropische Veterinärmedizin im internationalen Kontext Durch die interkolonialen Konferenzen wurden die Kolonialtierärzte in die Lage versetzt, ihre im Rahmen regionaler Forschungen erzielten Ergebnisse mit anderen Kollegen abzugleichen und zu diskutieren. Neben einer zunehmenden Systematisierung und Standardisierung veterinärpolizeilicher Vorgehensweisen bestätigten diese Kontakte auch die Wahrnehmung, dass es sich bei der kolonialen bzw. tropischen Veterinärmedizin um eine eigenständige Subdisziplin handelte. Die im südlichen Afrika tätigen Veterinäre nutzten von Beginn an natio­ nale und internationale Fachzeitschriften, um ihre Forschungsergebnisse publik zu machen. Analog zu dem anfänglich noch begrenzten Umfang der Forschungsarbeiten geschah dies bis etwa 1905 in einem vergleichsweise bescheidenen Ausmaß. Ab 1905 stieg die Zahl der Publikationen, die sich mit Themen der tropischen Veterinärmedizin befassten, deutlich an. Im Zuge der ab 1900 zunehmenden Konsolidierung und Verwissenschaftlichung euro­ päischer Kolonialherrschaft wuchs auch das Interesse kolonialer Kreise in Europa an veterinärmedizinischen Themen beständig. Auf den nationalen Kolonialkongressen in Berlin 1902 und Paris 1903 wurden erste Vorträge gehalten, die sich mit den in den Kolonien auftretenden Tierseuchen befassten.478 In der Folgezeit etablierten sich Panels zur kolonialen Landwirtschaft, in deren Rahmen immer veterinärmedizinische Vorträge gehalten wurden.479 Im deutschen Kaiserreich dienten die Kolonialkongresse aber vor allem dazu, die Interessen der unterschiedlichen nationalen Gruppierungen unter dem Dach einer gemeinsamen Kolonialpolitik zusammenzufassen. Die 477 Leiter Kabete an SVO, 15.10.1928, NAN AGV 068 G.3/3-1. 478 Bericht über den Kolonialkongress in Berlin 1902, BAB R 1001/7003, Bl. 126; Bericht über den Kolonialkongress in Paris 1903, BAB R 1001/7004, Bl. 7. 479 Z. B. Vortrag von Paul Knuth (TiHo Berlin) auf dem Kolonialkongress 1910, BAB R 1001/7006, Bl. 101.

Die Bildung eines kolonialen Expertennetzwerkes

wissenschaftlichen Vorträge hatten daher eher die Funktion, die Kongresse als eine Art »koloniales Parlament« zu legitimieren, als den fachlichen Austausch zu befördern.480 Daneben entsandte das RKA mit Paul Knuth und Robert von Ostertag auch führende europäische Experten, um die kolonialen Veterinärdienste und die in den Tropen und Subtropen vorkommenden Krankheiten direkt vor Ort zu studieren.481 Wie groß das Interesse an veterinärmedizinischen Themen war, illustriert der Vortrag des britischen Bakteriologen David Bruce »The Advance of our knowledge of the Causation and Methods of Prevention of Stock Diseases in South Africa During the Last Ten Years«.482 In dem Vortrag stellte Bruce vor allem den Stand der aktuellen Immunisierungsversuche und Forschungsergebnisse über koloniale Tierseuchen in den Mittelpunkt. Drei Monate später wurde der Vortrag veröffentlicht und auch in der Times abgedruckt. Dem Vortrag in London hatte auch der Kolonialbeirat der deutschen Botschaft, Heinrich Schnee, beigewohnt. Schnee sandte einen Bericht über den Inhalt von Bruces Ausführungen direkt nach Windhoek.483 Diese Wissensrezeption im Rahmen breiterer kolonialer Kreise ebnete in gewisser Weise den Weg für die Etablierung der tropischen bzw. kolonialen Veterinärmedizin. Für deren Formierung bildeten indes die internationalen tierärztlichen Kongresse die entscheidende und bedeutendste Plattform.

3.2.1 Die internationalen tierärztlichen Kongresse

Die internationale Fachwelt nahm von der Viehseuchenproblematik in den afrikanischen Kolonien mit zeitlicher Verzögerung Notiz. Die transkoloniale Wissenszirkulation im südlichen Afrika bestätigte den von den Kolonialtierärzten wahrgenommenen Expertenstatus innerhalb der internationalen 480 Grosse, S. 95–101. 481 Paul Knuth, Bericht über eine Studienreise nach England, Frankreich, Ägypten, Deutsch- und Britisch-Ostafrika, Transvaal, Orange River Kolonie, Natal, Basutoland, Kapkolonie und Deutsch-Südwestafrika im Jahre 1906/07, NAN ZBU 1286 O. I.a.5-1, Bl. 3–117; Ostertag, Veterinärwesen. Zur Rezeption und Bedeutung der Berichte siehe ausführlicher Kapitel 4 dieser Arbeit. 482 Bruce, S. 327–333. 483 Schnee an Gouv., 30.08.1905, Bericht über den Vortrag von Colonel Bruce über den Fortschritt der Kenntnisse der Ursachen und Methoden zur Bekämpfung der Viehkrankheiten in Südafrika während der letzten zehn Jahre, NAN ZBU 1286 O. I.a.2-1, Bl. 26.

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tierärztlichen Gemeinschaft. Neben der zunehmenden Publikationstätigkeit suchten die Kolonialveterinäre den direkten, persönlichen Austausch mit Kollegen aus anderen Erdteilen. Dabei waren sie vor allem an einem Austausch mit Veterinären aus anderen tropischen Staaten und Kolonien interessiert. Um eine derartige Vernetzung voranzutreiben boten sich vor allem die internationalen tierärztlichen Kongresse an, die seit 1863 in unregelmäßigen Abständen stattfanden.484 Die tropische, genauer die südafrikanische Veterinärmedizin, rückte ab 1905 zunehmend auf die Tagesordnung der Kongresse. Treibende Kraft dahinter war Arnold Theiler. Dieser hatte bereits 1899 an dem VII. Internationalen Tierärztlichen Kongress in Baden-Baden als Delegierter von Natal und Transvaal teilgenommen. An den Verhandlungen des Kongresses, die ausschließlich um »europäische Themen« kreisten, nahm Theiler nur passiv teil.485 Er nutzte seine Anwesenheit, um persönliche Kontakte zu knüpfen. Laut Gutsche wirkte die Teilnahme an dem Kongress auf Theiler sehr inspirierend.486 Neben dem gewinnbringenden wissenschaft­lichen Austausch dürfte Theiler vor allem die Profilierungsmöglichkeiten der tropischen Tiermedizin erkannt haben. Die Intercolonial Conferences 1904 und 1909 nutzte Theiler, um die Kolonialtierärzte von der Wichtigkeit einer internationalen Präsenz der tropischen Veterinärmedizin zu überzeugen. Auf seinen Vorschlag hin beschlossen die Delegierten 1904 in Cape Town, im Rahmen des im folgenden Jahr in Budapest stattfindenden internationalen tierärztlichen Kongresses eine Zusammenkunft von Delegierten aus den »South African States and Colonies«, Australien, Neuseeland, Ägypten, den USA und Südamerika sowie »any other States or Colonies in which the same and similar animal diseases exist which affect Stock in South Africa« zu organisieren.487 In der Debatte führte Theiler aus, dass vor allem die Sektion über die Pathologie von größtem Interesse für die südafrikanischen Veterinäre sei, da dort neben der Serumbehandlung von Tierseuchen auch erstmals tropische Tierseuchen diskutiert werden würden. Theiler äußerte die Ansicht, dass der Austausch mit anderen Experten, insbesondere aus Australien und Südamerika, fruchtbare Ergebnisse verspreche. Der Vorschlag wurde von den Delegierten begrüßt. Es wurde ein Komitee

484 Schäffer, S. 6. 485 Bericht des VII. internationalen tierärztlichen Kongresses, Baden Baden 1899, S. VII–XII. 486 Gutsche, There Was a Man, S. 154–155 sowie S. 244–245. 487 Report Cape Town 1904, S. 75–76.

Die Bildung eines kolonialen Expertennetzwerkes

gebildet, dass Themen für die Diskussionen in Budapest vorbereiten und diese im Vorfeld des Kongresses abstimmen sollte.488 Zu einem weiteren vorbereitenden Treffen kam es nicht und Theiler reiste, wie schon 1899, als einziger Vertreter der südafrikanischen Kolonien 1905 nach Budapest. Dort hielt Theiler erstmals einen Vortrag auf einem internationalen Tierärztlichen Kongress, der sich mit tropischen Tierseuchen bzw. den Tierseuchen im südlichen Afrika befasste. Zu Beginn wies Theiler ausdrücklich darauf hin, dass viele ansteckende Krankheiten nicht zu den tropischen Krankheiten gezählt werden dürften, da diese nachweislich durch Zuchtviehimporte ins südliche Afrika gelangt seien. Das Auftreten und die schnelle Verbreitung dieser Seuchen standen nach Theilers Ansicht »in gewissem Verhältnis zum Kulturzustand eines Viehzucht treibenden Volkes«.489 In Südafrika entstünden die Schwierigkeiten bei der Bekämpfung von Tierseuchen daraus, dass es »unmöglich ist den Eingeborenen europäische Ansichten über die Tilgung solcher Krankheiten verständlich zu machen«.490 Eine Einschätzung, die auch im Rahmen der Kolonialkonferenzen seit 1896 immer wieder geäußert worden war. Die tropischen Seuchen und Krankheiten unterteilte Theiler in drei Gruppen. Krankheiten, die durch (1) pflanzliche Organismen, gemeint waren Pilzsporen und Bakterien, sowie (2) durch ultravisible Organismen, also Viren verursacht wurden. Im Mittelpunkt des Vortrages wie auch der gesamten zeitgenössischen medizinischen Forschung stand aber die dritte Gruppe. Die von unterschiedlichen Blutparasiten (Trypanosomen und Piroplasmen) ausgelösten und von Vektoren wie blutsaugende Insekten oder Zecken übertragenen Erkrankungen. Letzteres spielte bei der Entwicklung von Bekämpfungsmaßnahmen eine bedeutende Rolle. Die Behandlung betroffener Nutztiere mit Repellents und anderen zeckenabtötenden Mitteln hatte sich als besonders wirksam erwiesen. Mit Unterstützung von Entomologen wurden dazu die einzelnen Insekten- und Zeckenarten, ihre Verbreitung und Lebenszyklen erforscht sowie deren Kapazität als Krankheitsüberträger getestet. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wurden dann die Zeiträume für die Behandlung der Nutztiere bestimmt, die gezielt in den Lebenszyklus der jeweiligen Vektoren eingriffen. Neben einem Überblick über die im südlichen Afrika auftretenden Viehseuchen und der Präsentation der von ihm und anderen 488 Ebd., S. 76. 489 Theiler, Tropische Krankheiten der Haustiere, S. 595. 490 Ebd., S. 596.

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Kolonialveterinären erzielten Erfolge bei der Erforschung und Bekämpfung von Tierkrankheiten ging es Theiler vor allem darum, auf die Bedeutung der veterinärmedizinischen Forschung in den Kolonien hinzuweisen. Die Erfahrung in Südafrika belege laut Theiler, dass »[d]er bakter. ausgebildete Tierarzt…unter die ersten Pioniere der zu eröffnenden Länder« gehöre.491 Der von Theiler in Budapest gehaltene Vortrag diente offenbar als »Wegbereiter«, sowohl für seine eigene Karriere als auch für die Etablierung der tropischen Veterinärmedizin.492 Auf dem folgenden internationalen Kongress 1909 in Haag wurde eine eigene Sektion für tropische Krankheiten unter der Leitung Theilers eingerichtet.493 Als Mitglied des Internationalen Komitees war er damit beauftragt worden, eine afrikanische Delegation zusammenzustellen. In dieser Funktion schrieb Theiler zunächst alle Regierungen an, die im Januar 1909 Delegierte zur Pan-African Conference nach Pretoria entsandt hatten. In dem Schreiben gab Theiler seiner Hoffnung Ausdruck, dass alle Regierungen des südlichen Afrika Representanten entsenden werden.494 In einem persönlichen Schreiben setzte Theiler den Cheftierarzt von DSWA, Otto Henning, davon in Kenntnis, dass er seinen Namen auf die Liste des afrikanischen Komitees gesetzt habe. Eine persönliche Teilnahme am Kongress sei mit der Aufnahme in das Afrika Komitee nicht verbunden, die Mitglieder würden aber in jedem Fall die für den Veterinärdienst wertvollen Publikationen und Protokolle des Kongresses erhalten.495 Neben Henning wurden die Cheftierärzte des Bechuanaland Protectorate, British East Africa, der Cape Colony, Natal, der Orange River Colony, Rhodesiens, Transvaals sowie Portugiesisch-Ostafrikas und DOA als Mitglieder des »Südafrikanischen Komitees« aufgeführt.496 Von diesen nahmen aber nur Theiler, Georg Lichtenheld (Cheftierarzt DOA) sowie Rickmann als Vertreter für Otto Henning an dem Kongress teil. Als Vertreter des RKA wurde der Sachverständige für Veteri491 Ebd., S. 622. 492 Sicherlich hat seine aktive Teilnahme und Mitgestaltung des Kongresses zum Prestigegewinn Theilers beigetragen. Ob er aber zu einer »Lichtgestalt« wurde, wie es die glorifizierende Biographie von Gutsche darstellt, ist allerdings fraglich. Gutsche, S. 259–260. 493 Bericht Haag 1909, S. 212–244. 494 Theiler an Gouv., 19.04.1909, Internationaler Veterinär Kongress in Haag, NAN ZBU 1286 O. I.a.4-2, Bl. 8. 495 Theiler an Henning, 29.08.1908, Mitteilung über die Bildung des Afrika-Komitees für den internationalen tierärztlichen Kongress in Haag 1909, NAN ZBU 1286 O. I.a.3-2, Bl. 12–13. 496 Bericht Haag 1909, Bd. III, S. 37.

Die Bildung eines kolonialen Expertennetzwerkes

närangelegenheiten, Stabsveterinär Rakette, ebenfalls nach Haag entsandt.497 Ferner nahmen französische Kolonialexperten aus Algerien, Tunesien sowie zwei italienische Veterinäre aus Eritrea und je zwei Regierungsveterinäre aus Neuseeland und Queensland teil. Die Kolonialministerien aus Belgien und den Niederlanden entsandten jeweils Sachverständige.498 Abgesehen von der eigenen Sektion zu tropischen Krankheiten befasste sich auch die vierte allgemeine Sitzung des Kongresses mit dem Problemfeld der Prophylaxe und Pathologie von tropischen Protozoenkrankheiten. Neben Theiler und Paul Knuth von der Berliner Tierärztlichen Hochschule diskutierten auch Delegierte aus Argentinien, Ägypten, Indonesien / Java sowie Transkaukasien über den aktuellen Kenntnisstand.499 Die Beschreibungen der unterschiedlichen Blutparasiten, Protozoen und Zecken nahm in den Vorträgen großen Raum ein. Um diese Ausführungen zu ergänzen und möglichst anschaulich zu gestalten, verwandten einige der Referenten makro- und mikroskopische Präparate, Zeichnungen sowie Mikrofotografien. Diese Methode der Visualisierung des »Feindes« war seit den 1870er Jahren von Robert Koch zur Darstellung von Bakterien entwickelt worden.500 1909 war diese Technik etabliert und die Bilder eingefärbter Bakterien und Protozoen dienten als anerkannte wissenschaftliche Belege. Ein Novum stellte die Erweiterung dieser Visualisierung auf die Überträger der Protozoen dar. In Zusammenarbeit mit Entomologen wurden die unterschiedlichen Insekten und Zeckenarten zusammen mit den von ihnen übertragenen Erregern gezeigt. Da diese relativ leicht und schnell mit bloßem Auge bzw. einer Lupe identifizierbar waren, kamen die Delegierten zu dem Schluss, sich bei der Bekämpfung der Protozoenkrankheiten vor allem auf die Insekten und Zecken zu konzentrieren, die als Vektoren der Krankheiten fungierten. Zudem wurden Beschlüsse verabschiedet, die die enge Verzahnung von Tierseuchenbekämpfung und entsprechender Forschung unterstrichen. Neben dem weiteren Ausbau der kolonialen Veterinärdienste sollten die Regierun497 Rakette war als Militärveterinär in DSWA stationiert. Zuletzt war Rakette mit Beschaffung und Pflege der Schutztruppenkamele befasst, bevor er 1909 als Sachverständiger ins RKA wechselte. Lindequist (Staatsekretär RKA) an Gouv., 05.08.1909, Gesandter Veterinärkongress Haag, NAN ZBU 1286 O. I.a.4-2, Bl. 18. 498 Bericht Haag 1909, Bd. III., S. 51–58. 499 Ebd., S. 241–262. Vortrag in der Sektion für tropische Krankheiten, Bericht Haag 1909, Bd. IV. S. 230–244. 500 Zur Entwicklung der Darstellungsmethoden in der Bakteriologie und den damit verbundenen gesellschaftlichen Folgen siehe ausführlich: Sarasin, Visualisierung, S. 444–453.

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gen vor allem die Erforschung noch unbekannter Tierseuchen fördern. Das Resultat solcher Forschungen sollte »im allgemein wissenschaftlichen und veterinärpolizeilichen Interesse allen Kolonien besitzenden Staaten mitgeteilt werden«. Zu diesem Zweck wurde vorgeschlagen ein »internationales Bureau für tropische Tierkrankheiten« zu schaffen, das aus tierärztlichen Vertretern aller interessierten Staaten zusammengesetzt sein sollte. Zur Unterstützung der internationalen Kooperation wurde geplant, dass das Gremium die Ergebnisse aller Arbeiten über die tropischen Tierkrankheiten sammelte und in einem eigenen Bulletin veröffentlichte.501 Die in der allgemeinen Sitzung geführten Debatten und gefassten Beschlüsse bildeten die Grundlage für die Sektion über tropische Krankheiten. Ein Vortrag über Piroplasmosen in Transkaukasien vertiefte die Vorträge über Protozoenkrankheiten. Daneben befasste sich die Sektion über tropische Tierkrankheiten mit hygienischen Maßregeln für überseeische Tiertransporte, Fragen der Veterinärpolizei in den Kolonien sowie Lehre und Laboratorien zur Erforschung tropischer Krankheiten. Diese Themen hatte Theiler in Anknüpfung an die auf den interkolonialen Konferenzen 1907 und 1909 geführten Debatten und in Absprache mit den transvaaler GVOs Gray und Christy (Transvaal-Komitee)  vorgeschlagen. Bei den Mitgliedern des Südafrika-Komitees entschuldigte er sich dafür, dass er nicht die Zeit hatte, weitere Vorschläge einzuholen.502 In Bezug auf die Veterinärpolizei in den Kolonien diskutierten die Delegierten zunächst über die Anwendung der Malleinprobe zur Rotzbekämpfung. Diese wurde als weltweit erprobtes und zuverlässiges Mittel angesehen, während die Agglutinationsmethode allgemein weniger Zustimmung fand. Wie schon im Rahmen der interkolonialen Konferenzen kamen die Delegierten zur der Ansicht, dass die Agglutinationsmethode zwar einen sichereren Nachweis liefere, aber aufgrund der erforderlichen Laboruntersuchungen nur sehr begrenzt für eine praktische Anwendung in den Kolonien geeignet sei.503 Die Regierungstierärzte von Niederländisch-Ostindien, C. A. Penning und D. Does, erörterten ihre Erfahrungen mit der Bekämpfung der Rinderpest. Sie wiesen darauf hin, dass die in der europäischen Literatur geäußerte Auffassung, Schweine seien für die Seuche unempfänglich, falsch sei. Diese Überzeugung sei zwar auch von entsprechenden Versuchen in Südafrika 501 Bericht Haag 1909, Bd. III., S. 243–244. 502 Theiler an Henning, 29.08.1908, NAN ZBU 1286 O. I.a.3-2, Bl. 12–13. 503 Bericht Haag 1909, Bd. IV, S. 217–218.

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unterstützt worden. Versuche mit Hausschweinen in Java hätten aber gezeigt, dass bestimmte Unterarten des Schweins durchaus an Rinderpest erkranken und diese auch weiter übertragen könnten. Die niederländischen Veterinäre stellten die Bekämpfungsmaßnahmen gegen die Rinderpest nicht grundsätzlich in Frage, ihre Ergebnisse hätten aber gezeigt, dass bei der Erforschung von Tierseuchen immer die lokalen Unterschiede der Nutztierrassen in Erwägung gezogen werden müssten. Im Gegensatz zu den von Rickmann dargelegten Erfahrungen in DSWA hätten die niederländischen Behörden bei der Bekämpfung der Rinderpest sehr gute Erfahrungen mit der Keulung gemacht.504 Mit Blick auf die veterinärpolizeiliche Gesetzgebung machte der Cheftierarzt von Madagaskar, Carougeau, auf einen in Pretoria 1909 verabschiedeten Beschluss aufmerksam. Die Delegierten waren sich einig, dass die Schaffung einheitlicher gesetzlicher Grundlagen in den Kolonien von höchster Priorität sei.505 Damit eng verknüpft war die Einrichtung von Forschungs- und Ausbildungsstätten für Kolonialtierärzte. Wie die Veterinäre im südlichen Afrika schon im Rahmen der interkolonialen Konferenzen, artikulierten auch die Vertreter aus Niederländisch-Ostindien die Ansicht, dass die Einrichtung von Forschungslaboren in den Kolonien weiter vorangetrieben werden müsse. Ferner müssten die für den Kolonialdienst vorgesehenen Tierärzte bereits in Europa in speziellen Kursen mit den tropischen Krankheiten vertraut gemacht werden. Im Anschluss sollten die Veterinäre sich für mehrere Monate in einem »Koloniallaboratorium ihres Wirkungskreises« mit den Gegebenheiten vor Ort vertraut machen.506 Vor allem in den Siedlerkolonien bzw. solchen Kolonien, in denen der Hebung und Nutzung der Viehzucht eine zentrale wirtschaftliche Bedeutung zukam, sollte die veterinärmedizinische Forschung vorangetrieben werden.507 Die Belehrung über die zur Bekämpfung von Tierseuchen zu ergreifenden Maßregeln sollte sich lediglich auf die europäischen Siedler konzentrieren.508 Die Veterinäre teilten die von Theiler bereits 1905 geäußerte Ansicht, dass es aufgrund des Kulturunterschiedes zwischen europäischen und indigenen Viehzuchtpraktiken nahezu unmöglich sei, die indigene Bevölkerung gleichberechtigt in die Tierseuchen-

504 Ebd., S. 219–220. 505 Ebd., S. 221. 506 Ebd., S. 225–227. 507 Ebd., S. 227 508 Ebd., S. 219.

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bekämpfung einzubinden. Bei derartigen Überlegungen spielte weniger ein bewusster, intentionaler Rassismus eine Rolle, als vielmehr das Ziel einer möglichst effektiven Ausbeutung der kolonialen Ressourcen. Insbesondere in den Siedlerkolonien ging diese aber mit einer systematischen Benachteiligung der indigenen Bevölkerung einher, die grundsätzlich mit rassistischen Motiven begründet wurde. Dieser latente Rassismus wurde durch die veterinärpolizeiliche Gesetzgebung und auch die Kolonialtierärzte getragen. Die im Anschluss an die Debatten verabschiedeten Empfehlungen wurden überwiegend von Veterinären vorgeschlagen, die an den interkolonialen Konferenzen im südlichen Afrika teilgenommen hatten. Insgesamt waren die in Haag gefassten Beschlüsse nahezu deckungsgleich mit den auf den interkolonialen Konferenzen vereinbarten Resolutionen.509 Die Ernennung einer Kommission zur Erarbeitung international einheitlicher Bestimmungen für Überseetransporte von Haustieren sowie die Einrichtung von Quarantänestationen in Seehäfen erweiterten die bereits 1907 in Bloemfontein in Bezug auf Kleinviehtransporte verabschiedeten Resolutionen. Gleiches galt für die Beschlüsse, die die Veterinärpolizei und Ausbildung der Kolonialtierärzte betrafen. Dadurch wurden die in den Kolonien getroffenen Absprachen der Experten durch ein internationales Gremium erneut bestätigt. Dies mag durchaus zwei Effekte gehabt haben. Zum einen wuchs der Expertenstatus der Kolonialtierärzte innerhalb der internationalen veterinärmedizinischen Fachgemeinde, war es doch möglich, die eigene Expertise und Fähigkeit zur Durchführung »modernster« Forschungsmethoden und effektiven Bekämpfung von Tierseuchen in den Kolonien zu belegen. Zum anderen hatte die Bestätigung der zum Teil bereits seit 1903 von den Kolonialtierärzten empfohlenen Maßnahmen im Rahmen eines internationalen Kongresses sicherlich auch einen direkten Effekt auf die Kolonialregierungen im südlichen Afrika. Durch die internationale Anerkennung der zum Teil noch immer nicht umgesetzten Maßnahmen zur Standardisierung der veterinärpolizeilichen Maßnahmen und dem allgemeinen Ausbau der kolonialen Veterinärdienste wuchs der Druck auf die Behörden in Afrika und Europa, deren Umsetzung voranzutreiben.

509 N. N. an Gouv., Beschlüsse des IX. Internationalen tierärztlichen Kongresses im Haag (13.–19.09.1909), NAN ZBU 1286 O. I.a.3-2, Bl. 16–19.

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3.2.2 Europa als Lieferant von Technik und Expertise

Trotz aller Erfolge, die Theiler in Budapest vermelden konnte, hing die Durchführung der Forschungsarbeiten wie auch der Herstellung von Medikamenten und Impfsera in den Kolonien von Importen aus Europa ab. Neben der Beschaffung von Fachliteratur betraf dies technische Instrumente wie Mikroskope, Brutschränke und vor allem Spritzen sowie nahezu alle Glaswaren wie Petrischalen, Reagenzgläser und Objektträger. Während akuter Seuchenzüge traten wiederholt Engpässe bei der Ausrüstung auf, die dramatische Folgen haben konnten.510 Ferner mussten auch der Großteil der benötigten Chemikalien und Desinfektionsmittel sowie die zur Durchführung bakteriologischer Versuche erforderlichen Versuchstiere aus Europa eingeführt werden.511 Mit dem Ausbau des Veterinärdienstes stieg der Bedarf an tierärztlichen Medikamenten und Instrumenten kontinuierlich an.512 Aufgrund der zum Teil geringen Haltbarkeit und der schlechten Kühlmöglichkeiten während des Transportes konnten nur wenige Impfstoffe importiert werden.513 Daher bestellte das deutsche Gouvernement zwischen 1908 und 1914 wiederholt Impfsera in der Cape Colony oder dem Transvaal.514 Ab 1920 wurde der Veterinärdienst direkt aus der Südafrikanischen Union beliefert. Die Impfstoffe stammten in der Regel vom Onderstepoort Institute,515 während technische Instrumente und Chemikalien aus Großbritannien eingeführt wurden – mit Ausnahme der Mikroskope, die weiterhin von der Firma 510 So wurden die Impfmaßnahmen gegen die Rinderpest im September 1897 massiv durch den allgemeinen Mangel an Thermometern und Spritzen behindert. Lindequist an Gouv., 04.10.1897, Anforderung von Ausrüstung zum Impfen von Rindern. BAB R 1001/6063, Bl. 180–181. 511 1912 wurde eine Sendung Kaninchen, Meerschweinchen, Mäuse und Ratten in Gammams erwartet. Woermann-Linie an Gouv., 05.11.1912, Lieferung von Versuchstieren, R 1001/6093c, Bl. 4. 512 Diese wurden bis 1900 nach Bedarf und ab 1901 turnusmäßig bestellt. Gouv. an Kol. Abt., 15.01.1900, Bestellung von Chinin für Gammams, R 1001/6092, Bl. 28. Leutwein an Distrikt- und Bezirksämter, 14.05.1901, Abfrage des tiermedizinischen Bedarfs, NAN DOK 122 T.3.a-1, o.P. 513 Eine Ausnahme bildete Pockenimpfstoff, der ab 1912 in größeren Mengen direkt aus dem Kaiserlichen bakteriologischen Institut in Berlin importiert wurde. Medizinalamt an Gouv. und RKA, 30.01.1912, Mitteilung über Versand von Pockenlymphe, R 1001/6093b, Bl. 219; Medizinalamt an Gouv., 31.01.1913, Mitteilung über Lieferung von Pockenimpfstoff, R 1001/6093c, Bl. 36. 514 Zu den Impfstofflieferungen siehe Kapitel 1.4. dieser Arbeit. 515 Milzbrandimpfstoff wurde spätestens ab 1922 aus den USA über Pretoria nach SWA eingeführt. SVO an Secretary, 21.02.1922, NAN SWAA 0303 A34-10-1.

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Carl Zeiss geliefert wurden. Neben der Versorgung mit der grundsätzlich benötigten Ausrüstung spielten Europa bzw. die europäischen veterinärmedizinischen Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen eine wichtige Rolle. Die Kolonialveterinäre aus DSWA nutzten ihre Aufenthalte in Europa in erster Linie dazu, eigene Forschungsarbeiten und Weiterbildungen an den einschlägigen Instituten in Berlin und Hamburg zu absolvieren. Die deutschen Kolonialtierärzte agierten dabei vor allem innerhalb eines nationalen Rahmens. 1906 nutzte Wilhelm Rickmann seinen regulären Heimaturlaub vor allem zu Weiterbildungszwecken. Zunächst ließ sich Rickmann am Tropenmedizinischen Institut in Berlin (Prof. Schütz) in der Agglutinationsmethode ausbilden. Dieses neue Diagnoseverfahren sollte zur Rotzbekämpfung in DSWA eingesetzt werden, wo die Seuche die Operationen der Schutztruppe massiv erschwerte. Neben Rickmann nahm auch der Tierarzt Alexius Zbiranski an dieser Ausbildung teil. Zbiranski war als dauernder Assistent im Institut Gammams vorgesehen. In dieser Funktion sollte er dann ab Ende 1906 mit Hilfe der Agglutinationsmethode die Rotzbekämpfung für die gesamte mittlere Kolonie von Gammams aus leiten.516 Im Anschluss belegte Rickmann am Institut für experimentelle Therapie in Frankfurt einen »Serum-Kurs«.517 Aufgrund seiner Erfahrungen bei der Tierseuchenbekämpfung sah Rickmann in der konsequenten Verfolgung eines serotherapeutischen Ansatzes eine vielversprechende Methode zur Entwicklung von Impfsera. Seine eigenen Kenntnisse in diesem Bereich waren begrenzt und beruhten im Wesentlichen auf autodidaktischen Studien. Um den Aufenthalt in Frankfurt möglichst effektiv zu nutzen, forderte Rickmann Ende Oktober die Zusendung von »Sterbeblut« sowie einiger Dosen des Maultierserums in Windhoek / Gammams an.518

516 Rickmann an Kol.Abt., 05.09.1906, Bekämpfung des Rotzes in DSWA durch die Agglutinations-Methode, BAB R 1001/6077, Bl. 21–23, hier Bl. 22a. Aufgrund der hohen Wichtigkeit der Rotzbekämpfung bat Lindequist darum, die Ausbildung wie auch die Ausreise Zbiranskis so schnell wie möglich durchzuführen. Lindequist an Kol.Abt., 12.03.1906, BAB R 1001/6076, Bl. 120. 517 Rickmann war für mindestens zwei Monate an Ehrlichs Institut in Frankfurt. Rickmann an Kol.Abt., 06.12.1906, BAB R 1001/6077, Bl. 68. 518 Ende Dezember 1906 trafen Serum und infektiöses Blut in Hamburg ein. Rickmann an Kol.Abt., 30.12.1906, BAB R 1001/6077, Bl. 72. Von dort ließ Rickmann es vermutlich nach Frankfurt liefern, wo er in den kommenden Jahren in Zusammenarbeit mit der Firma Hoechst weitere Versuche zur Entwicklung eines Immunisierungsverfahrens anstellte. Siehe dazu ausführlich Kapitel 1.4 dieser Arbeit.

Die Bildung eines kolonialen Expertennetzwerkes

Arnold Theiler hingegen nutzte seine Reisen zu den internationalen tierärztlichen Kongressen, um gezielt Kontakte zu allen einschlägigen Instituten in Europa aufzubauen. Ähnlich wie Rickmann machte er sich 1905, wie schon 1899, in Paris, Berlin und London mit den neuesten Labortechniken vertraut. Dort traf er auch mit führenden Bakteriologen zusammen.519 Auf der Reise zum Internationalen Kongress 1909 machte Theiler zunächst Station in Britisch-Ostafrika. In Nairobi inspizierte er das neu eingerichtete veterinärmedizinische Labor und reiste nach Uganda weiter. Während eines zweimonatigen Aufenthalts informierte sich Theiler über den Stand der dort von David Bruce durchgeführten Forschungsarbeiten über Trypanosomen und das Ostküstenfieber.520 Um die neuesten Methoden und Ansätze der veterinärmedizinischen Forschung sowie der verwandten wissenschaftlichen Disziplinen besser kennenzulernen, entschied sich Theiler 1912 erneut für einen längeren Europaaufenthalt. Während des akademischen Jahres 1912/13 hörte er an der Universität Basel mehrere veterinärmedizinische Vorlesungen und besuchte erneut die Institute in Berlin, London und Paris. Neben dem fachlichen Austausch begann Theiler auch gezielt Experten in Europa zu rekrutieren. Während seiner Europaaufenthalte 1912/13 und 1920/21 gelang es ihm, Biochemiker, Veterinäre und Physiologen für das Onderstepoort Institute anzuwerben.521 Zu diesen zählte auch der Schweizer Tierarzt Markus Zschokke, der zwischen 1920 und 1922 am Aufbau der pathologischen Abteilung des Onderstepoort Institute beteiligt war. Ab 1922 war Zschokke zunächst als Farmerverwalter im Transvaal tätig, bevor er 1927 als Regierungstierarzt in die Dienste der Mandatsregierung von SWA trat. Dort war er als Veterinär bis zu seiner Pensionierung 1953 tätig. Ende der 1930er Jahre war Zschokke an der Bekämpfung der Lungenseuche in nördlichen Kaokoveld beteiligt.522 Theilers Engagement bei der Anwerbung von Experten für »sein« Koloniallabor führte dazu, dass sich in Onderstepoort eine internationale Forscher-

519 Theiler, His Life and Times, S. 14–15. 520 Plug, S. 12. 521 1912/13 gelang es Theiler, den schottischen Physiologen und Biochemiker H. Green für das Onderstepoort Institute zu gewinnen. 1920/21 rekrutierte Theiler die Schweizer W. Steck, J. R. Scheuber, M. Zschokke, G. G. Kind und K. F.  Meier. Theiler, His Life and Times, S. 15–20. 522 Romer, S. 163–165. Zu Zschokke und zur Lungenseuche-Impfkampagne – bei der noch immer die in den 1850er Jahren entwickelten Willem’schen Methode zum Einsatz kam – siehe ausführlich: Miescher, S. 180–187.

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gruppe aufhielt, von denen einige – wie das Beispiel Zschokkes belegt – auf Dauer im südlichen Afrika blieben. Die interkolonialen Konferenzen hatten zunächst zur Bildung eines südafrikanischen Netzwerkes geführt und damit zu einer Festigung der kolonialen Expertise beigetragen. Durch die Teilnahme an den internationalen tierärztlichen Kongressen gelang es den Kolonialexperten, die tropische Veterinärmedizin als Subdisziplin der allgemeinen Veterinärmedizin zu etablieren und gezielt Experten in Europa anzuwerben. Dadurch entstand ein Expertennetzwerk, dessen Schwerpunkt im südlichen Afrika verortet war, aber weiterhin in engem Kontakt zur europäischen Wissenschaftslandschaft stand. Den Nukleus dieses grenzüberschreitenden Netzwerkes tropischer Veterinärmedizin bildete Arnold Theiler bzw. das Onderstepoort Veterinary Institute in Pretoria.

3.3 Abkoppelung der südafrikanischen Veterinärmedizin Die internationale Anerkennung und zunehmende Förderung der tropischen Veterinärmedizin in den Kolonien lösten einen Abkoppelungsprozess aus. Bis 1915 handelte es sich bei der Entstehung und Entwicklung von veterinärmedizinischer Expertise um eine grenzüberschreitend vernetzte und sich gegenseitige anstoßende Dynamik. Gleichzeitig wurde die seit etwa 1900 wahrgenommene Notwendigkeit zur institutionellen »Abkoppelung« weiter vorangetrieben. Zwar gelang es der Südafrikanischen Union 1929 nicht, ihren Führungsanspruch für die veterinärmedizinischen und landwirtschaftlichen Forschungen in den britischen Kolonien durchzusetzen. Dennoch entwickelte sich das Onderstepoort Veterinary Institute zu einer weltweit führenden Institution. Dort ausgebildete Veterinäre waren spätestens ab Mitte der 1920er Jahre in Afrika gefragte Experten und unterstützten vor allem in Ostafrika die Tierseuchenbekämpfung.523

523 Zum Einsatz von südafrikanischen Veterinären und deren Forschungen in ­Tanganyika siehe: Brown, From Ubombo to Mkhuzi; Brown, Tropical Medicine. Zum Einfluss der südafrikanischen Veterinärmedizin in Kenia siehe Waller.

Die Bildung eines kolonialen Expertennetzwerkes

3.3.1 Etablierung kolonialer Wissens- und Technologietransfers – Maßnahmen und Praktiken zur Bekämpfung der Räude

Das südliche Afrika bot ideale Voraussetzungen für die Zucht von Schafen und Ziegen. Im Vergleich zu Rindern waren diese relativ einfach und kostengünstig zu halten und dienten der indigenen Bevölkerung wie auch den europäischen Farmern vor allem zur Fleischversorgung. Deutschsprachige Auswanderungsratgeber wiesen sogar explizit daraufhin, dass ein Farmer unbedingt auch Schafe und Ziegen zur Selbstversorgung anschaffen sollte.524 Daneben stieg im 19. Jahrhundert die weltweite Nachfrage nach Rohwolle stark an. Da die natürlichen Voraussetzungen für die Schafzucht in der Cape Colony ideal waren, begannen Farmer, unterstützt von der Regierung, mit dem Aufbau einer exportorientierten Wollschafzucht. Dazu wurden ab den 1840er Jahren Merinoschafe aus Australien eingeführt. In einigen Distrikten der Cape Colony und Natals entwickelte sich die von europäischen Farmern dominierte Wollschafzucht schnell zur wichtigsten Einkommensquelle.525 Da Südnamibia ähnliche Voraussetzungen für die Schafzucht bietet wie die südafrikanische Karoo, begannen ab den 1890er Jahren die ersten Farmer in DSWA mit der Zucht von Wollschafen.526 Zur Förderung der Wollschafzucht gründete die DKG 1901 die »Deutsch-Südwestafrikanische Schäferei-Gesellschaft«. Ab 1907 wurden verstärkt Zuchttiere aus der Cape Colony, Australien und Deutschland eingeführt.527 Mit der Vergrößerung der Kleinviehbestände und dem massiven Import von Zuchttieren stieg auch die Gefahr der Seuchenverschleppung. Etliche der bis heute in Namibia und Südafrika auftretenden Seuchen und Infek-

524 Schwabe, S. 420–422; Kuhn, Gesundheitlicher Ratgeber, S. 59. 525 Bis 1875 stieg die Zahl der Merinoschafe allein in der Cape Colony auf ca. zehn Mio. Tiere an. Indigene Viehbesitzer betrieben nur in sehr begrenztem Umfang und auch nur kurze Zeit Wollschafzucht. Zur südafrikanischen Wollschafzucht siehe: Beinart, Livestock Farming, S. 1–27; zur Wollschafzucht in Natal: Ballard, S. 428. 526 Die erste Initiative in dieser Richtung war die »Landwirthschaftliche Versuchsstation für Ansiedler im Namaqualand«. N. N., Die Entwickelung unserer Kolonien, S. 19–20. 527 Zwischen 1907 und 1909 führte allein die »Schäferei Gesellschaft Nomtsas« 2.000 Merinoschafe aus der Cape Colony sowie 200 aus Australien und 150 aus Deutschland ein. Bei den Merinos aus Deutschland handelte es sich um sogenannte Oschatzer Elektorals. Behnsen, S. 243. 1910 wurden weitere 4.000 Merinoschafe sowie 400 Angoraziegen aus der Cape Colony eingeführt. Ostertag, Veterinärwesen, S. 29–30. Nach 1920 förderte auch die südafrikanische Mandatsregierung die Wollschafzucht in SWA. Siehe dazu Kapitel 6.4 dieser Arbeit.

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tionskrankheiten des Kleinviehs waren schon im 19. Jahrhundert weltweit verbreitet. Einige dieser Krankheiten traten enzootisch auf, so dass mit Hilfe des Ausweichens auf »seuchenfreie« Gebiete ernste wirtschaftliche Schäden vermieden werden konnten. Aufgrund des geringeren wirtschaftlichen Wertes pro Stück Kleinvieh in Verbindung mit der hohen Reproduktionsrate fand eine systematische Erforschung und Bekämpfung der Kleinviehseuchen lange Zeit nur in sehr begrenztem Umfang statt. Eine der wenigen Ausnahmen stellte die Schafräude – englisch: Sheep Scab / afrikaans: Brandziekte  – dar.528 Diese hochansteckende, durch Saugmilben hervorgerufene Hauterkrankung war im südlichen Afrika unter dem Kleinvieh weit verbreitet. Vor allem die Praxis, die Tiere zum Schutz vor Raubtieren über Nacht in enge Kraale zu treiben, förderte die Verbreitung der Räude. Der Milbenbefall führt zwar nicht direkt zum Tod der betroffenen Tiere, geht aber mit einem heftigen Juckreiz einher, auf den die Tiere mit zunehmender Ruhelosigkeit, Scheuern und benagen der betroffenen Hautpartien reagieren. Neben der Gefahr von Sekundärinfektionen mindert der permanente Stress den Fleischertrag und wirkt sich insbesondere negativ auf die Qualität des Wollvlieses aus. Das Vlies befallener Tiere ist weniger dicht bzw. löchrig und entsprechend deutlich weniger Wert.529 Zwar waren die Krankheitserscheinungen der Räude sowohl den euro­ päischen Siedlern als auch den indigenen Viehhaltern bekannt. Das Erkennen eines Räudebefalls war dennoch schwierig, da die Milben nur unter dem Mikroskop bzw. unter einer sehr starken Lupe sichtbar wurden. Daher erfolgte die Diagnose meist indirekt über die äußeren Anzeichen. Im Kontext der wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung der kolonialen Wollschafzucht wurde die Schafräude von Farmern, Veterinären und der Kolonialadministration zunehmend als ernstes wirtschaftliches Problem wahrgenommen. Um die südafrikanische Wollproduktion auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu halten, ergriff die Regierung der Cape Colony ab den 1860er Jahren erste Maßnahmen zur Bekämpfung der Räude. Dabei orientierte sich die Regierung vor allem an in Australien ergriffenen Maßnahmen. Dort war es mit Hilfe strikter Gesetze gelungen, der Räude effektiv gegenüberzutreten. 1874

528 Systematisch bekämpft wurden auch die Blauzungenkrankheit und die 1909 durch importierte Karakulschafe eingeschleppten Schafpocken. Schneider, S. 168–178. 529 Zur Räude und deren wirtschaftlicher Bedeutung siehe: Neumann, S. 25–36 sowie Schneider, S. 247–258.

Die Bildung eines kolonialen Expertennetzwerkes

wurde in der Cape Colony der erste Scab Act erlassen,530 der eine stärkere Kontrolle der Viehbewegungen sowie die sofortige Behandlung befallener Tiere empfahl. Eine Behandlungspflicht führte die Regierung aufgrund der Widerstände von Seiten der burischen Farmer nicht ein.531 Auch aus der Sicht der Veterinäre war eine solche Regelung bis in die 1890er Jahre nicht erforderlich.532 Der Konflikt zwischen britischer Kolonialadministration und burischen Siedlern erschwerte generell die Durchsetzung veterinärpolizeilicher Gesetze und Maßnahmen. Hinzu kam, dass die heterogene europäische Siedlergesellschaft im südlichen Afrika, anders als in Australien, nur einen Bruchteil der Bevölkerung ausmachte. Neben der Gesetzgebung wurden im südlichen Afrika auch die Praktiken zur Räudebekämpfung aus Australien übernommen.533 Die effektivste Methode, eine befallene Herde milbenfrei zu machen, bestand darin, die Tiere mit einem milbenabtötenden Mittel zu behandeln. Bevor eine Herde als räudefrei angesehen wurde, musste die Prozedur mindestens zweimal im Abstand von sieben bis zehn Tagen wiederholt werden. In Australien wurden die Tiere dazu durch spezielle Badeanlagen, sogenannte Dipping Tanks, getrieben. Diese ermöglichten es, in relativ kurzer Zeit und mit geringerem Arbeitsaufwand große Herden in einer milbenabtötenden Lösung zu behandeln.534 Spätestens ab den 1880er Jahren begann man auch in Südafrika mit der Errichtung von Dipping Tanks. Zum Baden der Tiere wurden unterschiedliche Mittel verwandt. Neben Tabaksud war dies vor allem das industriell hergestellte »Cooper’s Dip«. Dieses Mitte des 19. Jahrhunderts von dem britischen Tierarzt William Cooper entwickelte wasserlösliche, arsenhaltige Pulver war seit 1881 in Australien mit großem Erfolg zur flächendeckenden Milben- und Zeckenbekämpfung angewandt worden. In der 530 Bereits 1886 folgte ein weiterer Scab Act. Beide Gesetze waren sehr großzügig, da sie die Einführung verpflichtender Bekämpfungsmaßnahmen in jedem einzelnen Dis­ trikt von der Zustimmung der betroffenen Farmer abhängig machte. Beinart, Transhumance, S. 37–38. 531 Die burischen Farmer lehnten die Umsetzung der Scab Acts ab. Die Bekämpfungsmaßnahmen wurden als Eingriff der als Fremdherrschaft wahrgenommenen britischen Regierung angesehen. Einige der burischen Farmer begründeten die Ablehnung zudem mit religiösen Motiven. Nach ihrem Verständnis handelte es sich bei der Räude um eine Strafe Gottes, gegen die man nichts unternehmen dürfe. Henning, Kolonial­ thierärzte, S. 26; Jacobsen, Vorwort. 532 Wallace, Farming Industries, S. 340. 533 Dazu ganz knapp auch: Feinstein, S. 264–266. 534 In Europa wurden die Tiere meist einzeln oder kleineren Gruppen in eigens dafür konstruierten Wannen von Hand gewaschen.

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Cape Colony war es um 1895 das bekannteste und meisteingesetzte Mittel gegen Räude.535 Mit dem Aufbau der Wollschafzucht wurde auch in DSWA die Räude zu einem Problem. Auf einer Versammlung der Farmer des Bezirks Windhoek im September 1894 teilten diese dem Bezirkshauptmann Lindequist mit, dass die Räude »sehr heftig« aufgetreten sei und »in einzelnen Kleinviehbeständen arge Verheerungen angerichtet« habe.536 Die Farmer äußerten außerdem, dass sie die zur Bekämpfung der Räude erforderlichen Chemikalien nicht auf eigene Kosten beschaffen könnten. Daraufhin sagte Lindequist die finanzielle Unterstützung der Kolonialverwaltung bei der Beschaffung von Räudemitteln zu.537 In der Folge wurden Mittel wie Creolin und Lysol aus Deutschland und vor allem »Cooper’s Dip« aus der Cape Colony importiert. In Anlehnung an die Scab Acts wurden parallel auch entsprechende Verordnungen erlassen. 1901 führte die deutsche Verwaltung die Anzeigepflicht sowie Schutzmaßregeln zur Bekämpfung der Räude ein. Dazu gehörte, dass räudekranke und räudeverdächtige Tiere einem nicht näher beschriebenen »Heilverfahren« zu unterwerfen waren.538 Augenscheinlich waren die Farmer mit den in der Cape Colony angewandten Bekämpfungsmethoden nur ansatzweise vertraut. Ausgehend von seiner eigenen Erfahrung veröffentlichte der Farmer Erich Rust 1903 einen Artikel über die »Brandseuche« in der Landwirtschaftliche Beilage zur DeutschSüdwestafrikanischen Zeitung.539 Darin wurden die Krankheitsursachen, Präventionsmöglichkeiten sowie die effektivsten Bekämpfungsmaßnahmen ausführlich beschrieben. Laut Rust sei das einzige, wirklich erfolgreiche Mittel gegen die Räude das wiederholte Baden (Dippen) der Tiere mit der »Kapländer-Mischung« – einem Kalk-Schwefel-Gemisch.540 Rust lieferte neben 535 N. N., Sheep Dip, S. 2. 536 Lindequist an Gouv., 01.09.1894, Bericht über Landwirtschaftssitzung in Windhoek, BAB R 1001/6060, Bl. 16–17. 537 Ebd. 538 Leutwein an Kol.Abt., 15.06.1901, Entwurf Viehseuchenverordnung und Ausführungsbestimmungen 1901, BAB R 1001/6073, Bl. 73–89. Die Verordnung samt Ausführungsbestimmungen trat am 24.12.1901 in Kraft. 539 Rust, o.P. 540 Dieses besteht aus 11,5 kg Schwefelblüte, 8,25 kg gelöschtem Kalk und 90 Liter Wasser. Das Gemisch muss 20 Minuten gekocht werden und dann mit Wasser auf 400 Liter Gesamtmenge aufgefüllt werden. Schafe und Angoraziegen sollten bei 37 Grad Celsius mindestens eine Minute darin gebadet werden. Zum Dippen von Ziegen war das Gemisch auf mindestens 44 Grad Celsius zu erhitzen und die Tiere mussten für anderthalb Minuten darin verbleiben. Rust, o. P.

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dem Rezept auch eine genaue Anwendungsanleitung. Daneben könne auch das in DSWA erhältliche »Cooper’s Dip« verwandt werden. Dieses wirke ebenfalls sehr gut, sei einfacher zu handhaben, aber gegenüber dem KalkSchwefel-Gemisch deutlich teurer. In der Praxis hatte Rust außerdem gute Erfahrungen mit einer »Dippmischung« aus Wasser und Tabak gemacht. Um auch die Milbenbrut zu zerstören, müsse die Prozedur des Badens binnen einer Frist von zehn Tagen mindestens einmal wiederholt werden. Parallel zum Dippen der Tiere sollten die Kraale, in denen einmal räudige Tiere gestanden hatten, verbrannt werden. Abschließend begegnet Rust Einwänden, dass die Seuchenbekämpfung zu wirtschaftlichen Einbußen führe. In Südafrika seien durch konsequentes Dippen ganze Landstriche völlig räudefrei geworden und die dort produzierte Wolle erziele Spitzenpreise, was Rust als einen Ansporn für alle Farmer betrachtete. In seinem Artikel lässt Rust zwei zentrale Probleme der Räudebekämpfung jedoch weitgehend außer Acht. Zum einen fehlen nähere Angaben über die Anlage und den Bau von Dipping Tanks. Zum anderen geht er nur indirekt auf die Risiken bei der Verwendung des arsenhaltigen »Cooper’s Dip« ein. Das Mittel tötete zwar die lebenden Milben ab, nicht aber die Eier. Gemäß der dem Pulver beiliegenden Anleitung sollten die Tiere erst nach 14 bis 16 Tagen zum zweiten Mal gebadet werden. Um die geschlüpften Milben noch vor der nächsten Eiablage effektiv zu vernichten, war es aber erforderlich, das Kleinvieh binnen sieben bis zehn Tagen ein zweites Mal zu waschen. Diese Zeitspanne war auch in den veterinärpolizeilichen Verordnungen vorgesehen. Bei der Verwendung von »Cooper’s Dip« traten daher nach dem zweiten Bad häufig hohe Verluste aufgrund von Arsenvergiftungen auf.541 Wegen des Arsengehaltes durfte »Cooper’s Dip« im Deutschen Reich nicht als Räudemittel eingesetzt werden. Dazu wurde dem Pulver ein Farbstoff beigemischt, der die Verwendung zur Räudebekämpfung unmöglich machte.542 Aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung der Wollschafzucht befassten sich auch die Intercolonial Veterinary Conferences mit den Problemen bei der Bekämpfung der Räude. Als Vorbild für eine einheitliche und verbindliche gesetzliche Grundlage für die Bekämpfung der Räude sollte, nach Meinung der Experten, das Scab Law der Orange River Colony dienen. Dieses sah strikte Bekämpfungsmaßnahmen sowie staatliche Entschädigungsleistungen

541 Behnsen, S. 254. 542 Ostertag, Veterinärwesen, S. 94.

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für im Rahmen der Räudebekämpfung erlittene Verluste vor.543 Zusätzlich empfahlen die Veterinäre strengere Kontrollen von Tiertransporten sowie eine präventive Badepflicht für Kleinviehbestände. Als Alternative zum giftigen »Cooper’s Dip« empfahlen die Veterinäre 1907 die Verwendung eines Kalk-Schwefel-Gemisches. Dieses sollte sowohl bei der akuten Bekämpfung eines Ausbruchs als auch im Rahmen des präventiven Waschens verwendet werden. Die Herstellung dieses Mittels war zwar aufwendiger, die Erfahrungen in der Cape Colony und Australien hätten aber dessen Wirksamkeit und bessere Verträglichkeit gezeigt. Um die Verwendung eines Kalk-SchwefelGemisches durchzusetzen, sollten die Regierungen die Zahlung von Entschädigungsleistungen von der Verwendung dieses Mittels abhängig machen.544 Eine derartige Regelung wurde von der deutschen Kolonialverwaltung nicht erlassen. Stattdessen vertraten deutsche Veterinäre unterschiedliche Ansichten in Bezug auf die Verwendung von arsenhaltigen Mitteln zur Räudebekämpfung. Cheftierarzt Henning war 1910 der Ansicht, dass »Cooper’s Dip« ein »von Tierärzten hergestelltes und 65 Jahre lang im Gebrauch etabliertes Räudemittel…gerade wegen seines Arsenikgehaltes das beste Mittel, daneben das billigste« auf dem Markt sei.545 Mit Hinweis auf die Kosten und die praktische Anwendung könne er »[e]ine Behinderung der Anwendung des Cooper’schen Arsenik-Schwefel Präparats…nicht verantworten [, da] hierunter die Behandlung der Räude und die Taschen unserer Farmer ganz bedeutend geschädigt werden«.546 Andere Kolonialveterinäre wie der Regierungstierarzt Boden und führende Experten wie Ostertag waren hingegen der Auffassung, dass das Pulver entbehrlich sei, da bewährte Alternativen wie Tabaklauge, Creolin, Lysol, Kalk und Schwefel verfügbar waren. Ostertag untermauerte seine Empfehlung zusätzlich mit einem nationalökonomischen Argument. Seiner Ansicht nach wäre es ein »Gewinn für Deutsch-Südwestafrika, wenn die Summen, die heute schon für den Ankauf von ›Coopers Dip‹ ausgegeben werden, im Schutzgebiete verblieben.«547 Für Regierungstierarzt Boden stand die praktische Anwendung in der Kolonie im Vordergrund. Ihm war an einem möglichst effektiven und gleichzeitig 543 Gouv. an Kol.Abt., 13.05.1907, Bericht Jordans über die Konferenz von 1907, BAB R 1001/6064, Bl. 80–108, hier: Bl. 103. 544 Report Bloemfontein 1904, S. 59–60, Report Pretoria 1909, S. 50. 545 Boden an Gouv., 23.12.1910, Bericht über Erlöschen der Pockenseuche auf Farm ­Otjosondu, Friedrichsfelde, NAN ZBU 1341 O. V.b.2-1, Bl. 125. 546 Henning an Gouv., 03.01.1911, NAN ZBU 1341 O. V.b.2-1, Bl. 130–131. 547 Ostertag, Veterinärwesen, S. 95.

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größere Verluste vermeidenden Räudemittel gelegen. Cheftierarzt Rickmann hingegen sah »Cooper’s Dip« zunächst als eines von vielen Mitteln zur Behandlung der Räude an, wies aber auf die Gefahr einer Arsenvergiftung hin. Die Alternativen (Kalkschwefelbad oder Tabaksud) seien zwar aufwendiger in der Zubereitung, aber deutlich kostengünstiger. Wie schon Rust lieferte auch Rickmann die genauen Rezepte zu deren Herstellung.548 Mit seiner Einschätzung bewegte sich Rickmann offenbar näher an der Lebensrealität der Farmer als Henning oder Ostertag. 1914 empfahl auch der Farmer Hermann »Cooper’s Dip« als das »billigste, einfachste und praktischste Bademittel« gegen die Räude, wies aber explizit darauf hin, dass das zweite Bad nicht vor Ablauf von 14 Tagen erfolgen dürfe.549 Aufgrund der einfachen und praktischen Anwendung wurde »Cooper’s Dip« im südlichen Afrika bis Ende der 1920er Jahre weiterhin zur Räudebekämpfung eingesetzt.550 Eine vergleichbare Diskussion unter Beteilung von Experten und Laien fand auch in Bezug auf die Dipping Tanks statt. Ab 1905 befassten sich die Regierungstierärzte mit der Errichtung von Badeanlagen.551 Diese sollten zunächst in den Häfen Swakopmund und Lüderitzbucht sowie an der Ostgrenze errichtet werden, um die Einschleppung von Tierseuchen durch den Import von Nutztieren zu verhindern. Rickmann fertigte Ende 1905 eine erste Zeichnung eines Zecken-und Räudebades nach dem Vorbild der »in Natal, Texas und Queensland gebräuchlichen Bäder« an.552 Dabei handelte es sich um sogenannte Langbäder. Diese hatten die Form einer möglichst langen, geraden Rinne, in denen die Tiere durch die Diplösung hindurchschwimmen mussten.553 Genauere Angaben zu den Abmessungen nannte Rickmann jedoch nicht. Vielmehr verwies er auf das 1906/07 angelegte Räudebad auf der Regierungsfarm Neudamm als Vorbild.554 548 Rickmann, Tierzucht, S. 220–221. Vergiftungshinweis ebd., S. 303. 549 Hermann, S. 71. 550 Zur Verwendung Ende der 1920er Jahre siehe Kapitel 6.4 dieser Arbeit. 551 Siehe dazu die Aktenbestände NAN ZBU 1329 O.III.r.1-1 und NAN ZBU 1329 O.III.r.2-1. 552 Rickmann an Gouv., 11.10.1905–31.10.1905, NAN ZBU 1329 O.III.r.1-1, Bl. 2–7. Bauverwaltung an Gouv., 04.07.1912, Kostenvoranschlag, NAN ZBU 1329 O.III.r.1-1, Bl. 29–36. 553 Rickmann, Tierzucht, S. 220. 554 Die Anlage wurde errichtet, da die Farm während des Namibischen Krieges als Sammelstelle für Beutevieh genutzt wurde. Zunächst in Besitz des Farmers Gustav Voigts, ist auf dem Gelände heute der Neudamm Campus der University of Namibia untergebracht. http://www.unam.edu.na/neudamm-campus/ (zuletzt eingesehen 17.11.2016).

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Das Distriktamt Gobabis wurde mit der Prospektion einer Anlage an der Ostgrenze beauftragt. Dazu empfahl Regierungstierarzt Leipziger die Anschaffung mehrerer Exemplare des Agricultural Journal of the Cape of Good Hope. Darin waren Skizzen und Maße eines »Zeckenbades« veröffentlicht worden. Auf diesen Grundlagen erstellte das Baureferat des Gouvernements Blaupausen und Kostenvoranschläge.555 Probleme bei der Errichtung der Räude- und Zeckenbäder machten vor allem die hohen Baukosten sowie eine ausreichende Wasserversorgung. Dies führte dazu, dass sich die Umsetzung der Pläne für die Regierungsanlagen zum Teil bis 1912/13 hinzog. Lediglich in Swakopmund wurde eine kleinere Dipanlage bereits 1907 vom Militär errichtet.556 Ebenso legten einige Farmer private Badeanlagen an. Die große Mehrheit der Viehbesitzer verfügte jedoch nicht über die finanziellen Mittel für deren Bau und die erforderlichen Wassererschließungsarbeiten. Zur Lösung der Finanzierungsprobleme hatte die Regierung der Südafrikanischen Union 1911 den Dipping Tanks Advances Act erlassen, um deren Erbauung mit Staatsdarlehen zu fördern. Dem Gouvernement in Windhoek wie auch dem RKA in Berlin lag das Gesetz zwar vor.557 Vergleichbare Fördermaßnahmen wurden in DSWA aber nicht eingerichtet, obwohl dies auch von Seiten der Regierungstierärzte gefordert wurde.558 Hinzu kam, dass die bis 1912 in DSWA angelegten Langbäder zu kurz waren und die Tiere daher nicht lange genug durch die Flüssigkeit schwammen.559 Diese Probleme hatten den Sheep Inspector W. J. van der Merwe in der Cape Colony dazu bewogen, einen neuen, kostengünstigen Dipping Tank zu entwickeln. Neben einem deutlich geringeren Wasserverbrauch560 war es mit diesem Rundbad möglich, 3.000 Tiere mit einem geringeren Personalaufwand in kürzerer Zeit gründlicher zu dippen als in einem Langbad. Zudem 555 Leipziger an Gouv., 14.08.1906, NAN ZBU 1329 O.III.r.1-1, Bl. 13–14. Es handelte sich um die im August 1904 erschienene Ausgabe. 556 Distriktamt Swakopmund an Gouv., 21.08.1907, NAN ZBU 1329 O.III.r.2-1, Bl. 3–4. 557 Landwirtschaftlicher Sachverständiger des deutschen Konsulates für Britisch-Südafrika an Gouv. und RKA, 08.11.1911, NAN ZBU 1329 O.III.r.1-1, Bl. 21–27. 558 Bezirksamt Grootfontein an Gouv., 05.09.1912, Forderungen des Bezirkstierarztes Schmid, NAN ZBU 1329 O.III.r.1-1, Bl. 49. 559 Ostertag, Veterinärwesen, S. 23. 560 Herkömmliche Langbäder fassten zwischen 900 und 1500 Gallonen Wasser (4.090– 6.800 Liter). H. W. Graybill / W. P. Ellenberger, Directions for Constructing a Vat and Dipping Cattle to Destroy Ticks, Washington 1911; in: NAN ZBU 1329 O.III.r.1-1, Bl. 39–46. Das Rundbad van der Merwes hingegen brauchte lediglich 450 Gallonen (rd. 2.050 Liter).

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Abb. 1: Circular Dipping Tank (Rundbad zur Räudebkämpfung). Entwickelt von v. d. Merwe, aus: van der Merwe, S. 419. Erneut abgedruckt in: Ostertag, Veterinärwesen, S. 24.

sei die Prozedur für die Tiere deutlich stressfreier. Den Plan samt Anleitung für sein »the most suitable and economical« Rundbad veröffentlichte van der Merwe 1910 im AJCGH. In der Praxis bewährte sich das Rundbad offenbar so gut, »that all the farmers…who used this tank once…would regret ever using any other again«.561 Nachdem Ostertag während seines Aufenthalts im südlichen Afrika die neu entwickelten Rundbäder in der Cape Colony selbst gesehen hatte, empfahl er, diese auch in DSWA anzulegen. In seinem 1912 erschienenen Bericht findet sich neben seinen eigenen Eindrücken über die unterschiedlichen Badeanlagen eine Übersetzung des Artikels van der Merwes sowie die dazugehörige Zeichnung. Ob und wie viele der neuartigen Rundbäder in DSWA angelegt wurden, lässt sich anhand der erhaltenen Akten leider nicht rekonstruieren. Die Technik des Rundbades wurde aber von den meisten Schaffarmern rezipiert. So führte der Farmer Hermann 1914 das Rundbad als eine von drei verschiedenen Formen von Badeanlagen auf. Eine Bewertung der unterschiedlichen Typen nahm Hermann aber nicht vor. Er wies darauf hin, dass sich die 561 van der Merwe, S. 418–419.

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Abb. 2: Räudebädertypen, die 1914 in Gebrauch waren, aus: Hermann, S. 70.

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Farmer vor der Anlage eines eigenen Dipping Tanks die unterschiedlichen Typen in Gebrauch ansehen sollten.562 Da die gesamte Strategie zur Räude­ bekämpfung um das Baden der Tiere kreiste, sah der Entwurf der Viehseuchenverordnung von 1912/13 die verpflichtende Anlage von Dipping Tanks auf Farmen vor. Anknüpfend an die Bestimmungen der deutschen Viehseuchenverordnung erließ die südafrikanische Militärverwaltung 1916 zwar die Scab Regulations.563 An deren Durchsetzung war aber – ebenso wie eine generelle Tierseuchenbekämpfung – aufgrund des Mangels an veterinärmedizinisch ausgebildetem Personal zunächst nicht zu denken. Erst nachdem SWA 1920 zum Mandatsgebiet der Südafrikanischen Union erklärt worden war, ging die neue Administration energischer gegen die Räude vor. Die Mandatsregierung machte es mit dem Erlass der »Diseases of Stock Proclamation« 1920 den Viehbesitzern zur Auflage, auf jeder Farm, auf der Kleinvieh gehalten wurde, Badeanlagen zu errichten.564 Trotz dieser Verpflichtung blieb die Anzahl der Dipping Tanks bis Ende der 1920er Jahre weiterhin zu gering, um eine effektive präventive Behandlung der Kleinviehbestände zu gewährleisten. Der Hauptgrund lag weiterhin vor allem darin, dass die Baukosten die finanziellen Möglichkeiten der meisten Farmer überstiegen. Dennoch nutzte die Mandatsregierung die Räudebekämpfung im Kontext der weiteren Festigung ihrer territorialen Kontrolle.565 Mit Blick auf das Wissen über die Räude und deren Bekämpfung wird vor allem zweierlei deutlich. Zum einen war die im Rahmen der Veterinärkonferenzen etablierte koloniale Wissenszirkulation räumlich nicht auf die Kolonien des südlichen Afrika beschränkt. Bereits vor den ersten interkolonialen Treffen hatte die Cape Colony aus Australien Strategien und Praktiken zur Räudebekämpfung übernommenen. Dieser im Rahmen des British Empire verortete interkoloniale Transfer erweiterte sich spätestens 1903 auf alle Kolonien des südlichen Afrika. Die auf den interkolonialen Konferenzen geführten Debatten über ein einheitliches Vorgehen gegen die Räude und die Entwicklung effektiver Mittel zu deren Bekämpfung erweiterten den Süd-Süd-Transfer weiter Richtung Amerika. Dazu gehörten Argentinien und auch die USA . Letztere lagen zwar nicht auf der südlichen Halbkugel, aber

562 Hermann, S. 69–72. 563 Scab Regulations, 26.07.1916, NAN ADM 32 277/8. 564 Diseases of Stock Proclamation No. 28 of 1920, Cape Town 1920, S. 48–49. 565 Zur Räudebekämpfung im Kontext kolonialer Herrschaftssicherung ab den 1920er Jahren siehe Kapitel 6.4 dieser Arbeit.

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die Viehhaltungspraxis sowie Bekämpfung von Tierseuchen in Texas und im Mittleren Westen waren denen im südlichen Afrika sehr ähnlich. Zum anderen lässt sich beobachten, dass bei dem Transfer von Techniken und Praktiken über die Grenzen des British Empire hinaus auch die Farmer eine wichtige Rolle spielten. Durch ihre Kontakte im Rahmen des Viehhandels tauschten diese ihre praktischen Erfahrungen aus. Einzelne Farmer wie Rust und Hermann wurden dann zu Multiplikatoren und streuten das in der Cape Colony erworbene Wissen über die Räudebekämpfung in DSWA, bevor die Regierungstierärzte oder die Regierung tätig wurden. Die praktische Erfahrung führte schließlich auch dazu, dass neuartige effizientere Dipping Tanks von veterinärmedizinischen Laien entwickelt wurden. Bei der Entwicklung wurden vor allem die Hauptprobleme der im südlichen Afrika betriebenen Wollschafzucht – Wasser- und Personalmangel – berücksichtigt. Mithin wurden die in Australien entwickelten Techniken adaptiert und an die Gegebenheiten in den südafrikanischen Kolonien angepasst.

3.3.2 Veterinärmedizinische Ausbildung in Europa und die Schaffung kolonialer Ausbildungsstätten

Um bei der Erforschung der in den afrikanischen Kolonien auftretenden Tierseuchen auf die modernsten wissenschaftlichen Methoden zurückgreifen zu können, hatte Ludwig Sander 1894 die Einrichtung eines Laboratoriums zur Erforschung der Tierseuchen in DSWA sowie die personelle Aufstockung des Veterinärpersonals gefordert.566 Im Zuge des Aufbaus kolonialer Veterinärdienste absolvierten die ersten Experten entsprechende bakteriologische Schulungskurse in Berlin, bevor sie zu ihren Forschungsreisen aufbrachen.567 1897/98 gelang es, mit Hilfe modernster bakteriologischer Forschungsansätze und Praktiken effektive Impfmethoden gegen die Rinderpest zu entwickeln. Bei der Erforschung und Bekämpfung anderer Tierseuchen und -krankheiten im südlichen Afrika traten jedoch bald die Grenzen der Bakteriologie sowie einer tiermedizinischen Ausbildung nach europäischen Stan-

566 Sander, Denkschrift, BAB R 1001/6060, Bl. 78. 567 Zu Sanders Vorbereitung siehe Kapitel 1.2. dieser Arbeit. Der 1894/95 nach DOA entsandte Tierarzt Rievel belegte einen entsprechenden Kurs an der TiHo Berlin. Ministerium für Landwirtschaft an Kol.Abt., 14.11.1894, Entsendung des Kreistierarztes Rievel nach Ostafrika, BAB R 1001/6060, Bl. 43.

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dards zu Tage. Auf diesen Umstand hatte Henning bereits 1894 hingewiesen, als er ausführte, dass die zukünftigen Kolonialtierärzte neben bakteriologischen Kenntnissen vor allem über Kenntnisse »der thierärztlichen pathologischen Anatomie, thierischen Parasitenkunde, Toxikologie, in der Seuchenlehre und Veterinärpolizei« verfügen mussten.568 Dieser Eindruck verstärkte sich, nachdem die Kolonialveterinäre Ende der 1890er Jahre in DSWA feststellten, dass eine besondere Ausbildung und fachliche Spezialisierung erforderlich waren, um den Anforderungen in der Kolonie gerecht zu werden. 1903 legte das Gouvernement in Windhoek mit der »Instruction über die Organisation des Referates für Veterinär-Medicin und Viehzucht«569 die Zuständigkeiten der Regierungstierärzte fest. Demnach umfasste der Aufgabenbereich der Veterinäre den Gesundheits- und Krankendienst, die Tierzucht, Ausbildung von Farmern und Polizeikräften in veterinärpolizeilichen Belangen sowie Forschungs- und Entwicklungsarbeit im Bereich der Seuchenerkennung und -abwehr. Auch wenn darauf Wert gelegt wurde, dass Bewerber für den Kolonialdienst neben der tierärztlichen Ausbildung auch über Berufserfahrung an einem bakteriologischen oder tropenhygienischen Institut verfügten, waren die Kolonialtierärzte nicht optimal vorbereitet, um dem sehr breiten fachlichen Spektrum gerecht zu werden. Ihnen fehlten sowohl theoretische Kenntnisse über die in der Kolonie auftretenden Tierseuchen wie auch praktische Erfahrungen mit den zu deren Bekämpfung angewandten Maßnahmen. Hinzu kamen die physischen Belastungen durch die klimatischen und infrastrukturellen Gegebenheiten sowie der geringe Personalstand des Veterinärdienstes in DSWA .570 Um sowohl die Forschungsarbeiten zu unterstützten als auch die Ausbildung zukünftiger Kolonialtierärzte zu verbessern, wurden ab 1901 Organund Blutpräparate verschiedener Tierseuchen aus Windhoek nach Berlin gesandt.571 Zusammen mit Humanmedizinern konnten Veterinäre am Institut für Infektionskrankheiten in Berlin sowie ab 1908 am tropenhygienischen Institut in Hamburg allgemeinere bakteriologische Auffrischungskurse so568 Henning, Kolonialthierärzte, S. 34–36. 569 Leutwein Rundschreiben, 01.10.1903, Instruction über die Organisation des Referates für Veterinär-Medicin und Viehzucht, NAN DOK 122 T.3.a-1. 570 Zum Veterinärdienst im kolonialen Namibia siehe ausführlich Kapitel 4. dieser Arbeit. 571 Siehe z. B. die umfangreichen Sendungen vor allem mit Präparaten zur Pferdesterbe. Auflistung der aus Windhoek abgesandten Lieferung an das Institut für Infektionskrankheiten in Berlin, 12.07.1901, BAB R 1001/6073, Bl. 121–123.

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wie tropenmedizinische Weiterbildungskurse absolvieren.572 Spezielle Vorbereitungskurse in tropischer Veterinärmedizin wurden in Deutschland nur an der Tierärztlichen Hochschule zu Berlin abgehalten. Einen Großteil der für diesen Unterricht erforderlichen Präparate hatte der verantwortliche Dozent und Abteilungsvorsteher Paul Knuth während einer Studienreise 1906/07 in Afrika selbst gesammelt.573 Im Zuge des Ausbaus der kolonialen Veterinärdienste in den britischen Kolonien wurden etwa zeitgleich vergleichbare Kurse in Liverpool eingerichtet.574 Insgesamt war die tropenmedizinische Ausbildung in Europa weiterhin überwiegend theoretischer Natur und vor allem auf humanmedizinische Erfordernisse zugeschnitten. Was insbesondere für Veterinäre fehlte, waren praktische Übungen sowie Kenntnisse der spezifischen Bekämpfungsmaßnahmen. Bei Dienstantritt in den Kolonien waren die Veterinäre meist auf sich gestellt und mussten sich erst längere Zeit in die lokalen Gegebenheiten einarbeiten, worunter die Qualität der veterinärmedizinischen Versorgung litt. Die Regierungen der Cape Colony, Transvaal, Natal, oder der Orange River Colony standen vor den gleichen Herausforderungen. Um die Lücken in der Ausbildung möglichst schnell zu schließen, sollten ab 1905 die aus Europa kommenden Regierungstierärzte vor ihrem Dienstantritt eine ergänzende Ausbildung vor Ort absolvieren. Diese bestand in einem mehrwöchigen Einarbeitungskurs an dem von Arnold Theiler geleiteten Forschungslabor in Daspoort. Der Schwerpunkt lag vor allem darauf, die angehenden Regierungstierärzte möglichst schnell mit den »afrikanischen Besonderheiten« vertraut zu machen.575 Vermutlich im Rahmen des kriegsbedingten Bedarfs an Tierimporten für die Schutztruppe hielten sich 1905 neben den für den

572 DKL, Bd. II., 1920, S. 314, Artikel Paul Knuth. Knuth, Bericht Reise 1906/07, NAN ZBU 1286 O. I.a.5-1, Bl. 4. Zum Hamburger Institut siehe ausführlich: Ruppenthal, S. 86–94 und S. 217–223. 573 Knuth fertigte eigene Präparate an. Zusätzlich erhielt er etliche Präparate während seiner Besichtigungen der südafrikanischen Labore und Forschungsstationen. Eine besonders große Bereicherung von Knuths Sammlung stellten die Präparate dar, die Otto Henning ihm anlässlich seines Besuches in Maseru überließ. Knuth, Bericht Reise 1906/07, NAN ZBU 1286 O. I.a.5-1, Bl. 98. 574 Kraft, S. 330. Kraft geht leider nur indirekt auf die Ausbildung von Kolonialtierärzten in Großbritannien ein. Der überwiegende Teil der Veterinäre, die seit 1870 in der Cape Colony und Natal ihren Dienst versahen, stammten aus Großbritannien, Irland, Deutschland und der Schweiz. Brown, Tropical Medicine, S. 523. 575 Heyne, S. 2. Zu den Forschungsarbeiten in Daspoort siehe ausführlich: Du Toit / Curson, S. 140–146.

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britischen Kolonialdienst vorgesehenen Veterinären auch zwei deutsche Militärtierärzte in Daspoort auf.576 Das Laboratorium hatte bereits zuvor dem wissenschaftlichen Austausch zwischen deutschen und britsch-südafrikanischen Veterinären gedient. 1903 hatte der Cheftierarzt von DSWA, Wilhelm Rickmann, dort gearbeitet. Im November 1906 besuchte auch Paul Knuth im Rahmen seiner Studienreise Daspoort und sammelte wertvolle Kenntnisse über wichtige Tierseuchen des südlichen Afrika.577 Diese positiven Erfahrungen bestätigten die Wahrnehmung der in den Kolonien tätigen Veterinäre, dass für den Kolonialdienst eine besondere Ausbildung erforderlich war. Führende deutsche Experten forderten, die enge Kooperation sowohl in der Forschung als auch in allgemeineren veterinärpolizeilichen Fragen beizubehalten und nach Möglichkeit noch zu vertiefen. Neben den fachlichen Kompetenzen rückten daher auch Sprachkompetenzen auf die Agenda. Robert von Ostertag, Wilhelm Rickmann und Paul Knuth sprachen sich dafür aus, von sämtlichen in die afrikanischen Kolonien zu entsendenden Tierärzten die Beherrschung der englischen Sprache zu fordern, damit sie imstande sind, die sehr wichtigen Veterinärberichte aus den englischen Kolonien im Original zu studieren und mit den englischen Tierärzten in unmittelbaren Meinungsaustausch zu treten.578 Im Zuge der unter Dernburg vom RKA ab 1907 einsetzenden Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung der Kolonien wurden auch Pläne zur Verbesserung der Ausbildung und Vorbereitung der Regierungstierärzte entwickelt. Nach dem britischen Vorbild sollten neu in die Kolonie entsandte Regierungs- und Militärtierärzte im Veterinärinstitut Gammams bei Windhoek in einem mehrwöchigen Zusatzkurs auf ihren Dienst vorbereitet werden. Aufgrund des Mangels an qualifizierten Veterinären und der erforderlichen Räumlichkeiten konnten zunächst nur wenige Veterinäre derartige Kurse

576 Dies waren Stabsveterinär Hancke und Oberveterinär Mrowka. Knuth, Bericht Reise 1906/07, NAN ZBU 1286 O. I.a.5-1, Bl. 29. Genauere Umstände über die Abordnung der Militärveterinäre werden sich in den während des Zweiten Weltkrieges vernichteten »Schutztruppenakten« befunden haben. 577 Knuth, Bericht Reise 1906/07, NAN ZBU 1286 O. I.a.5-1, Bl. 29. 578 Ostertag an Gouv., 20.08.1907, NAN ZBU 1286 O. I.a.3-1, Bl. 173–179. Ähnliche Formulierung bei Knuth, Bericht Reise 1906/07, NAN ZBU 1286 O. I.a.5-1, Bl. 103.

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in Gammams belegen.579 Erst ab 1911 waren die erforderlichen Kapazitäten geschaffen worden, um für alle in die Kolonie entsandten Regierungs- und auch Militärtierärzte eine Einarbeitungsphase gewährleisten zu können.580 Parallel zur Etablierung von Kursen in Gammams wurde die durch die interkolonialen Konferenzen angestoßene Zusammenarbeit mit den britischen Veterinärdiensten weiter vertieft. Anlass dafür bot neben den positiven Berichten deutscher Experten über die Vorbereitungskurse vor allem die Einrichtung eines neuen und mit modernsten Apparaturen eingerichteten veterinärmedizinischen Forschungsinstituts in Onderstepoort bei Pretoria im September 1908. Bereits im Oktober des gleichen Jahres sondierte das RKA Möglichkeiten einer engeren Kooperation mit dem Institut im Interesse der deutschen Kolonien. Vorbehaltlich der Zustimmung der Regierung Transvaals legte Arnold Theiler, der mit der Leitung der Einrichtung betraut worden war, dem RKA im Februar 1909 einen acht Punkte umfassenden Vorschlag für eine Beteiligung der deutschen Regierung an den Arbeiten des Instituts vor. Demnach sollte das RKA dauerhaft die Besoldung einer tierärztlichen Assistentenstelle übernehmen. Im Gegenzug würde das Institut für die Unterbringung sorgen sowie eine Arbeitsstelle für einen Tierarzt oder Zoologen abgeben. Die erforderlichen Apparate und Instrumente würde das Institut stellen, während die Auswahl des Forschungsgegenstandes weitgehend dem RKA überlassen bleiben sollte. Darüber hinaus bot Theiler an »Tierärzten, die in den deutschen Kolonialdienst eintreten Gelegenheit zu geben, sich auf dem Gebiete der trop. Veterinär-Medicin weiter zu bilden«. Die Kosten dafür hätte ebenfalls das RKA zu tragen, während das Institut Onderstepoort bei der Beschaffung einer Unterkunft behilflich sein würde. Vorbehaltlich der Nennung des Instituts, in dem die Forschungen ausgeführt wurden, könnten die deutschen Forscher ihre Forschungsergebnisse frei publizieren.581 Über die Vorschläge hatte sich Theiler laut eigener Aussage mit Cheftierarzt Henning, im Januar 1909 auf der Pan-African Conference in Pretoria 579 Von den vier Regierungstierärzten, die 1909/10 in DSWA tätig waren, hatte nur einer die Gelegenheit, sich zwei Wochen lang in Gammams mit den Besonderheiten des amtstierärztlichen Dienstes vertraut zu machen. Ostertag, Veterinärwesen, S. 102. 580 Günter, S. 2. Der Regierungstierarzt Proppe kam 1913 in Swakopmund an und absolvierte zunächst einen zweiwöchigen Kurs in Gammams. Proppe, S. 12. 581 Theiler an RKA, 01.02.1909, Bericht über Panafrikanischen tierärztlichen Kongress. Transvaal Departement of Agriculture  – Veterinary Bacteriological Division, BAB R 1001/6096, Bl. 2–6.

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verständigt. Wie schon erwähnt verband Henning und Theiler ein langjähriges enges berufliches Verhältnis.582 Die von den beiden erfahrenen Kolonialtierärzten erarbeiteten Vorschläge für eine engere transkoloniale Kooperation konnten jedoch nicht ohne die Zustimmung des RKA erfolgen. Dort wurden die Pläne dankbar aufgenommen. Zwar stellte der Vorschlag, dass das RKA die Finanzierung einer Assistentenstelle übernehmen sollte, ein »reichlich unbescheidenes Novum« dar. Das RKA war grundsätzlich bereit, mit dem Onderstepoort Institute bzw. der englischen Regierung ein Abkommen zu treffen, »wonach ein im Kolonialdienst stehender Thierarzt oder Arzt zu seiner Ausbildung in speziellen wichtigen Fragen der Seuchenbekämpfung für längere Zeit in Pretoria arbeiten könnte«.583 Für die Entsendung eines zusätzlichen Wissenschaftlers konnte das RKA auf Erfahrungen mit einer ähnlichen Kooperation mit dem Zoologischen Institut Neapel zurückgreifen.584 Die an der Bewertung beteiligten Referenten des RKA wiesen darauf hin, dass lediglich die Weiterbildung einiger im Schutzgebietsdienst bereits bewährter Tierärzte in Frage käme. Der Fokus der Weiterbildungen wie auch der Forschungsarbeiten sollte auf der Bekämpfung des Ostküstenfiebers liegen. Da diese Seuche die aktuellste Bedrohung für die Viehzucht in allen afrikanischen Kolonien darstellte, sollten auch ostafrikanische Tierärzte in Onderstepoort ausgebildet werden.585 Über die näheren Details einer entsprechenden Vereinbarung verhandelten das RKA und Arnold Theiler offenbar Ende des Jahres 1909, als Theiler im Rahmen einer längeren Europareise u. a. das hygienische Institut des Gesundheitsamts in Berlin besichtigte. Theiler erklärte sich bereit, deutsche Regierungstierärzte an bakteriologischen Kursen teilnehmen zu lassen. Zudem regte er die dauernde Stationierung eines Tierarztes an dem Institut an,

582 Gutsche, S. 69. 583 Interne Kommunikation über die Entsendung deutscher Kolonialveterinäre an das Institut Theiler und die damit verbundenen Vertragsverhandlungen. Internes Schreiben Kol.Abt. Referat A12 an Referat A4, 14.05.1909, BAB R 1001/6096, Bl. 7–9. 584 Im Kultusministerium wurde der Vertrag mit dem Zoologischen Institut in Neapel vom 07.10.1873 aufgefunden. Demnach standen den »Bundesstaaten« gegen die vom Reich gezahlte Subvention eine Anzahl von Arbeitsplätzen zur Verfügung. Internes Schreiben Kol.Abt. Referat A12 an Referat A4, 14.05.1909, BAB R 1001/6096, Bl. 7–9. 585 Internes Schreiben Kol.Abt. Referat A4 an Referat A12, 17.05.1909, BAB R 1001/​6096, Bl. 9–10.

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um dadurch den deutsch-afrikanischen Kolonien Gelegenheit zu geben, sich mit den daselbst ausgeführten wissenschaftlichen Arbeiten vertraut zu machen und auch sich an der weiteren Ausarbeitung der für die Seuchenbekämpfung Südafrikas wichtigen Immunisierungsmethoden gegen bekannte und unbekannte Tierkrankheiten unmittelbar beteiligen zu können.586 Augenscheinlich erzielte man eine Einigung und von Seiten der Regierung Transvaals schien es keinerlei Bedenken für eine derartige Zusammenarbeit zu geben.587 Ab 1910 hielten sich regelmäßig deutsche Veterinäre und Wissen­ schaftler in Onderstepoort auf und waren eng in die dortigen Forschungsarbeiten eingebunden. Das Gouvernement von DSWA entsandte den Regierungstierarzt Arthur Lux nach Onderstepoort.588 Dieser war seit 1906 mit der Leitung des veterinärbakteriologischen Instituts Gammams betraut und absolvierte ab Mai 1910 am Bakteriologischen Institut in Onderstepoort eine »Specialausbildung«. Entsprechend den Vorschlägen des RKA nahm auch der Regierungstierarzt Georg Lichtenheld589 aus DOA an dem Ausbildungs­ kursus in Pretoria teil. Im Jahr 1912 wurden mit den Regierungstierärzten Kurt Wölfel und Edmund Struwe erneut zwei erfahrene Kolonialtierärzte »zum Zwecke ihrer bakteriologischen Weiterbildung in den afrikanischen Tierseuchen« für drei Monate nach Onderstepoort geschickt.590 Die Kosten für die Entsendung von Regierungstierärzten wurden von der Wohlfahrtslotterie der DKG übernommen.591 Theilers Vorschlag, einem deutschen Wissenschaftler einen längeren Gastaufenthalt am Onderstepoort Institute zu ermöglichen, wurde ebenfalls auf586 RKA an Reichskanzler, 10.12.1909, Entsendung deutscher Veterinäre nach Pretoria, BAB R 1001/6096, Bl. 28–29. 587 Ein solches Treffen hatte Theiler bereits im Februar 1909 angeboten. Theiler an RKA, 01.02.1909, BAB R 1001/6096, Bl. 2–6. In den Akten ist leider kein offizielles Gesuch des RKA an die Regierung Transvaals oder ein Vertrag über die Entsendung deutscher Veterinäre auffindbar. 588 Gouv. an RKA, 19.04.1910, Entsendung eines Tierarztes nach Pretoria zwecks Specialausbildung, BAB R 1001/6096, Bl. 42. 589 Lichtenheld war seit 1905 in DOA als Tierarzt tätig. Nach seinem Aufenthalt in Onderstepoort wurde er ab 1911 zum Leiter des Veterinärwesens in DOA. DKL, Bd. II, 1920, S. 454. 590 Lindequist (Staatsekretär RKA) an Auswärtiges Amt, 30.10.1911, Entsendung von Tierärzten nach Pretoria, BAB R 1001/6096, Bl. 55. 591 Verwaltungsrat Wohlfahrts-Lotterie an RKA, 04.01.1910, Bewilligungsschreiben zu Entsendungsanträgen nach Pretoria, BAB R 1001/6096, Bl. 34. Lux an RKA, 08.03.1911, Abrechnung »Specialausbildung«, BAB R 1001/6096, Bl. 63–64.

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genommen. Zwischen 1910 und 1912 erforschte der Zoologe Richard Gonder vom Hamburger Institut für Tropenkrankheiten die Lebenszyklen unterschiedlicher Blutparasiten, sogenannter Protozoen.592 Während die Regierungstierärzte von ihren Gouvernements und dem RKA ausgewählt wurden, hatte Arnold Theiler auf die Besetzung der Stelle des Gastwissenschaftlers persönlich Einfluss genommen. Im Oktober 1909 hatte Theiler einen persönlichen Antrag bei dem Direktor des Hamburger Instituts, Prof. Ollwig, zur Entsendung Gonders gestellt. Ollwig sah in Theilers Anfrage eine »Ehrung für das Hamburger Institut«. Gleichzeitig stellte sie eine hervorragende Möglichkeit dar, die tropenmedizinische Ausbildung am Hamburger Tropen­institut zu verbessern, da Gonder seine »in Pretoria gewonnenen Erfahrungen und Forschungsergebnisse bei der Ausbildung der vom Reichskolonialamt kommandierten Aerzte und Tierärzte verwerten würde«.593 Ollwig bat das RKA um Übernahme der Reise- und Aufenthaltskosten. Wie schon im Falle der Regierungstierärzte übernahm die Wohlfahrtslotterie die Kosten für die Entsendung Gonders.594 Die vorgesehene Assistentenstelle am Onderstepoort Institute wurde nur von 1910 bis 1911 von einem deutschen Wissenschaftler besetzt. Der zuvor am Hamburger Tropeninstitut tätige Bakteriologe Hans Sieber befasste sich in Pretoria vor allem mit von Zecken übertragenen Krankheiten.595 Nach seinem Aufenthalt in Pretoria übernahm Sieber die Leitung des bakteriologischen Instituts Gammams. Aus einem Schreiben Siebers von 1921 geht hervor, dass es zwischen ihm und Theiler offenbar zu persönlichen Spannungen gekommen war.596

592 Im Mittelpunkt der Forschungen stand vor allem die Erforschung des Ostküstenfiebers, worüber Gonder einige Aufsätze veröffentlichte. Gonder, S. 328–335. Zu Gonders Forschungen siehe auch: Cranefield, S. 260–261. 593 Ollwig an RKA, Entsendung eines Mitarbeiters nach Pretoria, 15.10.1909, BAB R 1001/6096, Bl. 20–21. 594 Verwaltungsrat Wohlfahrts-Lotterie an RKA, 04.01.1910, BAB R 1001/6096, Bl. 34. 595 Zu Siebers Anstellung siehe: N. N., Ausreise, S. 300 sowie Eintrag »Sieber, Hans« auf S2A3. http://www.s2a3.org.za/bio/Biograph_final.php?serial=2580 (zuletzt einge­ sehen 08.12.2016). 596 1921 wollte Theiler im Rahmen eines Europaaufenthalts erneut die Forschungseinrichtungen in Berlin besuchen. Sieber warf Theiler u. a. vor, von ihm und anderen Forschern erbrachte Leistungen als seine eigenen ausgegeben zu haben und forderte daher, Theiler den Besuch der Institute zu untersagen. Die Vorwürfe wurden aber als haltlos angesehen. Sieber an Ministerium für Wiederaufbau Kolonial-Zentral-Verwaltung, 16.02.1921, BAB R 1001/6093c, Bl. 78–79.

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Die Praxis, Kolonialtierärzte in Europa durch eine spezielle tropenmedizinische Ausbildung vorzubereiten und die theoretischen Kenntnisse dann vor Dienstantritt in den Kolonien mit Hilfe mehrwöchiger praktischer Schulungen zu vertiefen, beförderte zweifellos eine Vernetzung der einzelnen Experten wie auch der Veterinärdienste. Trotz des kontinuierlichen Ausbaus der veterinärbakteriologischen Forschungseinrichtungen im südlichen Afrika fand die grundsätzliche Ausbildung weiterhin in Europa statt. Entsprechend handelte es sich bis Mitte der 1920er Jahre bei allen Regierungstierärzten entweder um »men who had come to the country from overseas« oder um weiße Südafrikaner, die in Europa ein Studium der Tiermedizin absolviert hatten.597 Diese kontinuierlichen Beziehungen stellten nach Ansicht Browns einen beständigen Fluss europäischer Wissenschaft in die südliche Hemisphäre dar. Brown unterstreicht die Bedeutung Europas, Nordamerikas und Australiens als Orte, um spezifisches veterinärmedizinisches Wissen zu erwerben.598 Zeitgenössisch stieß dieses Vorgehen bei den Veterinären, die mit der Ausbildung in den Kolonien betraut waren, auf Kritik. Sie waren der Ansicht, dass die tropenmedizinische Ausbildung in Europa trotz beständiger Erweiterung den besonderen Anforderungen des Kolonialdienstes im südlichen Afrika nicht gerecht wurde. So berichtete der Leiter des Veterinärdienstes von DSWA, Gmelin, dass ihm bei Besprechungen mit Regierungstierärzten sowie mit dem für die Einführung der Regierungstierärzte beauftragten Leiter des Instituts Gammams »wiederholt Lücken in der Kenntnis spezifischer afrikanischer Seuchen aufgefallen« seien. Zudem seien die Unkenntnis von auch in Europa häufig auftretenden Seuchen sowie das Fehlen einfachster Grundbegriffe und die mangelnde Fähigkeit der Zeckenerkennung erstaunlich gewesen. Dafür machte Gmelin die Gestaltung der Ausbildungskurse in Berlin verantwortlich und schlug vor, diese nach dem Vorbild der tropenmedizinischen Kurse in Hamburg zu reorganisieren bzw. mit diesen zusammenzulegen. Die Kurse müssten zudem thematisch deutlich erweitert und vor allem der Anteil der praktischen Übungen erheblich erhöht werden.599 597 Robinson, S. 245. Petrus Du Toit studierte zunächst Zoologie in Cape Town, bevor er 1912 an der Universität Zürich in Zoologie promovierte. Während des Ersten Weltkrieges hielt er sich in Deutschland auf und reichte 1916 seine Dissertation an der TiHo Berlin im Fach Veterinärmedizin ein. http://www.s2a3.org.za/bio/Biograph_final. php?serial=819 (zuletzt eingesehen 09.12.2016). 598 Brown, Tropical Medicine, S. 524. 599 Gmelin, Die Organisation des Veterinärwesens in Deutsch-Südwestafrika, 25.02.1915, BAB R 1001/6078, Bl. 10–67, hier: Bl. 16–19.

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Ähnliche Mängel in Bezug auf die Ausbildung und Befähigung für den Kolonialdienst registrierten auch die Veterinäre in Onderstepoort. Der regelmäßige Aufenthalt von Wissenschaftlern und Veterinären aus Europa in Onderstepoort bestätigte diese Einschätzung. So bemerkte Theiler über einen ungenannten Gastwissenschaftler, der sich in den 1910er Jahren in Onderste­ poort aufhielt: I realised once again how much the oversea veterinarian is out of touch with our problems, and although they may have a thorough grip of veterinary science as applicable to their own country, it sometimes seems to me almost hopeless when I realise how little they know about our own conditions. There is no doubt about it that we have our own veterinary science, and in this respect South Africa is undoubtedly unique.600 Anders als Gmelin plädierte Theiler nicht für einen Ausbau der europäischen Ausbildung. In seinen Augen bestand die einzige Lösung darin, die gesamte tierärztliche Ausbildung in die Kolonien zu verlagern. Diese Vorschläge fielen auf fruchtbaren Boden und wurden auch von den Farmervereinen unterstützt. Ab 1918 befasste sich das Bildungsministerium der Südafrikanischen Union mit der Frage und richtete eine staatliche Kommission ein. Diese konstatierte einen allgemeinen Mangel an Veterinären und betonte die zentrale Bedeutung der von Europäern betriebenen Viehzuchtindustrie für die Zukunft Südafrikas. Auf die dringende Empfehlung zur Einrichtung einer tiermedizinischen Ausbildungsstätte richtete die Regierung der Südafrikanischen Union 1920 die erste veterinärmedizinische Fakultät in Afrika ein. Das bestehende Forschungsinstitut in Onderstepoort wurde an die Universität von Pretoria angegliedert. Erster Dekan der neuen Veterinärmedizinischen Fakultät und Direktor für tiermedizinische Forschung wurde Arnold Theiler. In seiner Antrittsrede anlässlich der Eröffnungsfeier wies Theiler nochmals darauf hin, dass die Erfahrung gezeigt habe, dass even within the ranks of the profession [veterinary medicine] itself it is felt that the period of training given in the past in the overseas schools is insufficient, particularly in view of special South African requirements.601

600 Du Toit / Curson, S. 159. Siehe auch: Brown, Tropical Medicine, S. 524. 601 Theiler, Veterinary Education, S. 5.

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Mit der Fakultät sei man nun endlich in der Lage, diese speziellen Bedürfnisse zu erfüllen. Vor allem die enge Verknüpfung von praktischer Ausbildung und Forschung werde dazu beitragen, dass »South African Farmers will in due time reap the full benefit of the extension of the activities of the Research Institute«.602 Neben der fachlichen Qualifikation werde sich auch die Zusammenarbeit zwischen den Regierungstierärzten und den Farmern verbessern, da die Mehrheit der zukünftigen Absolventen aus Südafrika stamme und daher mit den Lebensumständen vertraut sei. Zudem werde die neue südafrikanische Veterinärmedizin dazu beitragen, to fulfill the national and international aspirations and obligations of this country to take an adequate share in the study and investigation of stock diseases peculiar thereto and contribute…to the solution of scientific problems in connection with tropical diseases generally.603 In diesen Äußerungen Theilers klingt an, dass die Gründung des Onderste­ poort Institute durch ein komplexes Zusammenspiel internationaler und nationaler bzw. regionaler Faktoren ermöglicht worden war. Neben der zentralen Bedeutung, die vor allem der von europäischen Siedlern betriebenen Viehwirtschaft beigemessen wurde, spielten sicherlich auch die Erfahrungen der Südafrikanischen Armee mit Tierseuchen während des Feldzuges in DSWA 1914/15 eine wichtige Rolle.604 Die (kolonial-)politischen Entwicklungen der Zwischenkriegszeit hatten den Forderungen zur Schaffung veterinärmedizinischer Ausbildungsstätten zusätzlich Nachdruck verliehen. Zum einen war es der Regierung der Südafrikanischen Union durch die Teilnahme am Ersten Weltkrieg gelungen, sich größere Handlungsspielräume innerhalb des British Empire zu erarbeiten.605 Zum anderen begann das Colonial Office 602 Ebd. 603 Ebd., S. 4. 604 Nachdem der Feldzug im August 1915 beendet war, wurden aufgrund der anhaltenden Dürre ab Oktober mehrere tausend Pferde in der Nähe von Swakopmund gehalten, da man sie aufgrund des nahen Hafens leichter mit Futter versorgen konnte. Im Dezember brach unter den Tieren der Rotz aus. Rund 1.700 Pferde und ca. 1.000 Maultiere wurden daraufhin in der Wüste bei Swakopmund erschossen. Die Knochen sind heute eine morbide Touristenattraktion. http://www.namibweb.com/horsegraves.htm (zuletzt eingesehen 08.11.2016). 605 Die Teilnahme der Südafrikanischen Union am Ersten Weltkrieg sowie die Regierungsbildung 1920 und 1924 vollzogen sich im Spannungsfeld zwischen dem von der Regierung seit 1910 verfolgten Versöhnungsnationalismus, der die britische und burische Bevölkerung vereinen sollte, sowie einem radikaler werdenden burischen

Die Bildung eines kolonialen Expertennetzwerkes

die Bildung kolonialwissenschaftlicher Institutionen im gesamten British Empire zu fördern. Dazu zählten vor allem Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Medizin und auch die Veterinärmedizin.606 Hauptziel der Gründung einer eigenen veterinärmedizinischen Fakultät war die Ausbildung weißer Südafrikaner sowie die Förderung und Verbesserung der ebenfalls von europäischen Farmern betriebenen Viehwirtschaft. Langfristig verfügte die Regierung der Südafrikanischen Union ab 1920 über alle Instrumente, um mit der Viehzucht einen der wichtigsten Wirtschaftszweige und damit einen bedeutenden Pfeiler ihrer Herrschaft abzusichern. Dennoch konnten bis Anfang der 1950er Jahre nie alle planmäßigen Regierungstierarztstellen besetzt werden, aber die Zahl der Veterinäre aus »Übersee« nahm kontinuierlich ab.607 Insgesamt hatte zwar nur eine Handvoll ausgewählter deutscher Veterinäre die Möglichkeit, für einen längeren Zeitraum in Onderstepoort zu arbeiten. Diese trugen mit ihren Forschungen aber dazu bei, den kolonialen Expertenstatus zu untermauern. Ebenso lieferte auch die Kooperation der einzelnen Veterinäre weiter Argumente für die Einrichtung einer universitären Ausbildungsstätte. Insbesondere den europäischen Experten schwebten dabei zum Teil nationale Lösungen vor. Die Erfahrung der Veterinäre vor Ort beförderte jedoch eine stärkere Orientierung entlang praktischer Lösungen, die nur lose innerhalb nationaler Rahmen gedacht wurden. Spätestens um 1910 war den meisten beteiligten Experten klar, dass man eine gemeinsame Veterinärpolitik betreiben musste, um die Viehzucht und damit auch die europäische Kolonialherrschaft im südlichen Afrika möglichst schnell zu »imperialer Blüte« zu treiben.

Nationalismus, der die republikanische Unabhängigkeit forderte. Als 1924 die buri­ sche National Party erstmals stärkste Kraft wurde, verfolgte die Regierung immer offener Souveränitätsbestrebungen. Marx, Südafrika, S. 193–213. 606 Bennett, S. 35. 607 Zwischen 1926 und 1952 wurden durchschnittlich acht Veterinäre pro Jahr in Onderstepoort ausgebildet. Ab 1936 konnten sich die Absolventen zudem als Tierarzt selbstständig machen, was gegenüber dem Staatsdienst deutlich lukrativer war und von den meisten Absolventen auch getan wurde. Robinson, S. 246–249.

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Teil II: Veterinärmedizinisches Wissen im Kontext kolonialer Herrschaft

Im vorangegangenen Teil standen die durch Tierseuchen ausgelösten Wissenskrisen und die daraufhin einsetzende transimperiale Interaktion und Kooperation der veterinärmedizinischen Experten im Mittelpunkt. Dabei ist deutlich geworden, wie die im südlichen Afrika entstandenen veterinärmedizinischen Expertendiskurse das Spannungsfeld zwischen europäischer Metropole und kolonialer Peripherie aufgebrochen und verändert haben. Akute Tierseuchenausbrüche lösten nicht nur die veterinärmedizinische Wissensproduktion aus, sondern führten auch direkt zur praktischen Anwendung dieses Wissens in Form von Impfkampagnen. Die Schilderung der Durchführung und Resultate der Impfungen hat erstes Licht auf die Verknüpfung von veterinärmedizinischem Wissen mit Praktiken zur kolonialen Herrschaftssicherung geworfen. Die Anwendung veterinärmedizinischen Wissens war aber auf deutlich vielfältigere Weise in die Ausgestaltung und Sicherung kolonialer Herrschaft eingebunden. Sich der fragilen Basis ihrer Macht bewusst, strebten die deutsche Kolonialadministration wie auch die südafrikanische Mandatsregierung vor allem eine möglichst lückenlose Herrschaft über die indigene Bevölkerung an. Außerdem galt es das wirtschaftliche Überleben der europäischen Siedler abzusichern und diese im Interesse der Herrschaftssicherung zu disziplinieren. Aufgrund der zentralen Bedeutung der Tierzucht und -haltung für das Wirtschafts- und Gesellschaftsgefüge im kolonialen Namibia befasst sich der folgende Teil mit der »Übersetzung« und institutionellen Verankerung des in den Kolonien produzierten veterinärmedizinischen Wissens, dessen Nutzbarmachung in Sinne einer kolonialen Veterinärpolitik sowie strukturellen und personellen Kontinuitäten beim Übergang von der deutschen Kolonialherrschaft zur südafrikanischen Mandatsregierung. Diese Prozesse wurden maßgeblich von der Rinderpestepizootie in Gang gesetzt und vollzogen sich, analog zur zunehmenden internationalen Kooperation der Experten, ebenfalls in einem transkolonialen Bezugsrahmen. Die Umsetzung veterinärmedizinischen Wissens schlug sich zunächst ganz konkret in der Einrichtung des kolonialen Veterinärdienstes, dem Erlass von Viehseuchengesetzen sowie der Einbindung tiermedizinischer Laien durch

Veterinärmedizinisches Wissen im Kontext kolonialer Herrschaft

staatliche Ausbildungsprogramme im Zuge der Modernisierung der kolonialen Landwirtschaft nieder. Bei der Schaffung der institutionellen Grundlagen kann aber nicht von einem wirkmächtigen Kolonialstaat ausgegangen werden. Insbesondere der Erlass von Verordnungen vollzog sich in der Regel eher auf dem Papier als dass diese umgehend oder umfassend durchgesetzt werden konnten. Dennoch beeinflussten und formten die institutionellen Grundlagen sowie die populäre Streuung veterinärmedizinischen Wissens veterinärpolitische und damit auch kolonialstaatliche Problemstellungen und Zielsetzungen. Trotz aller Bemühungen um die Implementierung transkolonial standardisierter veterinärpolizeilicher Maßnahmen lassen sich durchaus Unterschiede zwischen DSWA und den britischen Kolonien identifizieren. Besonders auffällige Abweichungen ergeben sich in Bezug auf die Anstellungsverhältnisse der Regierungstierärzte, die staatliche Wissensvermittlung für Farmer und die Regelungen für finanzielle Kompensation seuchenevozierter Tierverluste. Den Hauptgrund dafür stellten divergierende kolonialpolitische und verwaltungstechnische Voraussetzungen dar. Nichtsdestoweniger wurde spätestens ab 1912 ein erheblicher Grad an Konformität erreicht. Mit Blick auf Kontinuitätslinien bei der Einbettung veterinärpolizeilicher Maßnahmen im Kontext kolonialer Herrschaftssicherung war es der südafrikanischen Mandatsregierung daher ab 1920 möglich, nahezu nahtlos an die von der deutschen Kolonialverwaltung erlassenen Gesetze und Praktiken anzuknüpfen. Neben dieser institutionellen Kontinuität lässt sich dabei auch eine erstaunliche personelle Kontinuität feststellen. Bis Ende der 1920er Jahre handelte es sich bei mindestens der Hälfte der Regierungstierärzte um deutsche Veterinäre, die bereits vor 1914 in der Kolonie tätig gewesen waren. Die deutschen Tierärzte waren gefragte Experten, denen eine wichtige Rolle bei der Vermittlung zwischen der südafrikanischen Mandatsverwaltung und den noch immer zahlreichen deutschen Farmern im Land zukam. Neben dieser engeren Einbindung der europäischen Siedler wirkten die Regierungstierärzte auch aktiv an der weiteren Ausgestaltung und Durchsetzung der veterinärpolizeilichen Gesetzgebung sowie Modernisierung der kolonialen Landwirtschaft mit. Sie spielten mithin eine wichtige Rolle bei der Implementierung der rassistischen Segregationspolitik, die die Mandatsregierung nach dem Vorbild der Südafrikanischen Union in SWA einführte. Diese knüpfte ebenfalls an entsprechende veterinärpolitische Maßnahmen an  – wie beispielsweise die staatliche Registrierung der Viehbestände –, die schon von der deutschen Kolonialverwaltung erlassen worden waren.

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Veterinärmedizinisches Wissen im Kontext kolonialer Herrschaft 

Da die einzelnen Entwicklungslinien parallel abliefen und sich wechselseitig beeinflussten werden sie im Folgenden getrennt voneinander betrachtet. Zunächst liegt der Schwerpunkt auf der Umsetzung der von den Veterinären angestrebten Vereinheitlichung in Form des Aufbaus und der Organisation des Veterinärdienstes im kolonialen Namibia. Anschließend werden die im Zuge der Modernisierung der kolonialen Landwirtschaft initiierten staat­ lichen Ausbildungsprogramme für europäische Farmer und Kolonialbeamte mit Blick auf deren integrative Wirkung auf die Siedlergesellschaft untersucht. Abschließend werden die sich daraus ergebenden und weiterführenden veterinärpolitischen Maßnahmen zur Sicherung der kolonialstaatlichen Kontrolle anhand der staatlichen Kompensationsleistungen, der Viehversicherung, der Einführung staatlicher Brandzeichen sowie der 1928 lancierten Kampagne zur Bekämpfung der Schafräude dargelegt.

4.

Entstehung und Ausgestaltung des staatlichen Veterinärwesens im kolonialen Namibia

Wie bereits bei der Schilderung der Bekämpfungsmaßnahmen gegen die Rinderpest deutlich geworden ist, reichte die Errichtung von Grenzsperren und der Erlass entsprechender Gesetze nicht aus, um eine effektive Tierseuchenbekämpfung zu gewährleisten. Ende des 19. Jahrhunderts verfügten die Kolonialverwaltungen im südlichen Afrika weder über die uneingeschränkte Kontrolle über die Territorien, noch über deren Außengrenzen. Zur Sicherung territorialer Kontrolle spielte nach der Auffassung von Experten, wie Ludwig Sander, die Erforschung der in den Kolonien auftretenden Viehseuchen sowie der Aufbau staatlicher Veterinärdienste eine zentrale Rolle.1 Sie bildeten notwendige Voraussetzungen, um die auf Viehzucht basierende und von europäischen Siedlern dominierte Kolonialwirtschaft wettbewerbsfähig zu machen sowie die militärische Handlungsfähigkeit der Exekutivkräfte aufrecht zu erhalten. Obwohl im Lauf des 19. Jahrhunderts immer wieder sozio-ökonomische Krisen durch Tierseuchen ausgelöst wurden,2 hatte lediglich die Regierung der britischen Cape Colony ab 1876 mit dem Aufbau einer kolonialen Veteri-

1 Sander, Denkschrift, BAB R 1001/6060. 2 Zu den Krisen siehe u. a.: Andreas; Ballard; Phoofolo, Epidemics and Revolutions.

Entstehung und Ausgestaltung des staatlichen Veterinärwesens

närbehörde begonnen.3 In den übrigen Kolonien des südlichen Afrika wurden vergleichbare Institutionen erst im Zuge der Rinderpestepizootie ab 1896 geschaffen. Neben der Anstellung einer ausreichenden Zahl von Veterinären sowie der Einrichtung veterinärbakteriologischer Laboratorien gehörte dazu auch der Erlass entsprechender gesetzlicher Rahmenbedingungen. Der institutionelle Aufbau und die organisatorische Ausgestaltung des kolonialen Veterinärdienstes in Namibia wurden bislang immer sehr verkürzt dargestellt. Demnach gelang es der deutschen Kolonialverwaltung, bis 1915 langsam aber stetig einen funktionierenden Veterinärdienst aufzubauen, der durch die südafrikanische Besetzung zwischen 1915 und 1920 zunächst zusammenbrach. Erst ab 1920 habe dann die südafrikanische Mandatsregierung wieder mit dem Aufbau einer funktionierenden Veterinärbehörde begonnen.4 Dieses Narrativ von Aufbau, Zusammenbruch und Wiederaufbau trifft zwar grundsätzlich zu. Es wird aber außer Acht gelassen, dass diese sich über rund 30 Jahre hinziehende Entwicklung keineswegs gradlinig verlief. Insgesamt wurde der Aufbau des kolonialen Veterinärwesens durch Kriege, sich ändernde kolonialpolitische Zielsetzungen, die koloniale Verwaltungspraxis sowie die einer Siedlungskolonie eigentümliche Herrschaftslogik beeinflusst. Gegenstand dieses Kapitels ist es, zum einen diese Lücke in der Institutionengeschichte des kolonialen Veterinärdienstes zu schließen sowie dessen Verflechtung mit den transnationalen tiermedizinischen Wissenstransfers aufzuzeigen. Zum anderen geht es darum, die grundsätzliche Bedeutung veterinärpolizeilicher Gesetzgebung und tiermedizinischer Laboratorien für die koloniale Herrschaftssicherung sowie den Einfluss des transkolonialen Wissenstransfers herauszuarbeiten. Dazu widmet sich das erste Unterkapitel dem legislativen und organisatorischen Aufbau des Veterinärwesens der deutschen Verwaltung. Dabei wird besonders auf den Einfluss der unterschiedlichen Experten eingegangen. Zudem vollzog sich die Einrichtung des Veterinärdienstes analog zu der seit 1896 einsetzenden Vernetzung der tiermedizinischen Experten in einem zunehmend von transnationalem Austausch geprägten Rahmen. Dies führte zu einer weitgehenden Homogenisierung der veterinärpolizeilichen Gesetze und Organisationsstrukturen sowie deren Einbindung in die Herrschaftssicherung. Komplementär zu den sonstigen von den Kolonialregierungen 3 Beinart, Vets Viruses, and Environmentalism, S. 88–93. 4 Schneider, S. 14–26. Deutlich kritischer, aber in Bezug auf die institutionelle Ausgestaltung ebenfalls verkürzt: Miescher, S. 70–74 und S. 118–125.

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Veterinärmedizinisches Wissen im Kontext kolonialer Herrschaft 

erlassenen »Eingeborenenverordnungen« und der Schaffung von Besiedlungszonen dienten die veterinärpolizeilichen Gesetze zur Festigung der kolonialstaatlichen Kontrolle über das Territorium sowie über die indigene Bevölkerung. Allerdings hatte die deutsche Verwaltung bis 1912 Probleme, die veterinärpolizeilichen Bestimmungen umzusetzen, da sich kaum qualifizierte Bewerber für den kolonialen Veterinärdienst finden ließen. Die Probleme bei der Anwerbung von Regierungstierärzten entsprangen zunächst im Wesentlichen der kolonialen Verwaltungspraxis. Diese konnten nur zu einem Teil gelöst werden, wie anhand der Rekonstruktion der von der Kolonialverwaltung ab 1906 verfolgten Lösungsstrategien dargelegt wird. Neben den Veterinären dienten auch die Veterinärlabore zur Sicherung kolonialer Herrschaft. Im zweiten Unterkapitel werden daher die Einrichtung, Funktion und Einbindung veterinärmedizinischer Labore im Kontext kolonialer Herrschaftssicherung rekonstruiert. Am Beispiel der Planungen für den Neubau eines veterinärmedizinischen Forschungszentrums wird deutlich, wie verschiedene Experten, aber auch Farmervertreter immer wieder die Bewertungsmaßstäbe veränderten und so aktiv den Aufbau des staatlichen Veterinärdienstes beeinflussten. Das letzte Unterkapitel befasst sich schließlich mit dem vermeintlichen Zusammenbruch der tiermedizinischen Versorgung während der südafrikanischen Militärbesatzung sowie mit der Einrichtung der Veterinary Service Branch durch die südafrikanische Mandatsverwaltung. Dabei wird deutlich, dass es zwar zu einem kriegsbedingten Einbruch der veterinärmedizinischen Versorgung kam, aber insgesamt eine personelle wie auch institutionelle Kontinuität in Bezug auf die veterinärmedizinische Praxis zu konstatieren ist. Die von der Südafrikanischen Mandatsregierung ab 1919 erlassenen Viehseuchengesetze stellten keine grundlegenden Änderungen dar und die Veterinärbehörde übernahm fast geräuschlos etliche deutsche Regierungstierärzte. Im Hinblick auf diese Beobachtung wird den Gründen nachgegangen, die dazu führten, dass bis 1923 über die Hälfte der Regierungstierärzte ehemalige deutsche Veterinäre waren, und rekonstruiert, wie diese in das seit 1918 von britischen Experten dominierte koloniale veterinärmedizinische Netzwerk integriert wurden.

Entstehung und Ausgestaltung des staatlichen Veterinärwesens

4.1 Das koloniale Veterinärwesen bis 1915 Für den Zeitraum zwischen 1894 und 1915 lassen sich insgesamt 53 Regierungstierärzte oder Tierarztgehilfen5 sowie mindestens 79 Militärveterinäre6 nachweisen, die in DSWA stationiert waren. Dieser quantitative Befund besitzt aber nur eine sehr begrenzte Aussagekraft über die tatsächliche Qualität der veterinärmedizinischen Versorgung,7 da die Zahl der in der Kolonie anwesenden Tierärzte sehr stark schwankte und zu keinem Zeitpunkt konstant war.8 In den 1890er Jahren verfügte die deutsche Kolonialverwaltung über zu geringe militärische Mittel, um eine effektive Kontrolle über das Territorium durchsetzen zu können. Entsprechend zielte die von Leutwein ab 1894 betriebene Politik des »divide et impera« darauf ab, durch die Kombination von militärischer Macht und »Schutzverträgen« mit lokalen indigenen Führern zumindest die Kontrolle über Zentral- und Südnamibia sowie über die wichtigsten ökonomischen Ressourcen – Land und Vieh – zu erlangen. Folglich wurden mit den indigenen Führern Verträge ausgehandelt, in denen auch immer Gebietsgrenzen vereinbart wurden. Damit sollten zum einen die Territorien der afrikanischen Verbündeten voneinander getrennt werden. Andererseits verfolgte Leutwein damit das Ziel, Land für die europäischen 5 Vgl. Findbuch der Personalakten des RKA BAB R 1002. 6 Diese Zahl basiert auf den in den Akten gefundenen Namenslisten der Militärtierärzte. Kol.Abt. an Prof. Schmaltz (TiHo Berlin), 19.06.1906, Verzeichnis der in den Schutzgebieten tätigen Tierärzte, BAB R 1001/6064d, Bl. 160–162. Die genaue Zahl der nach DSWA entsandten Militärtierärzte lässt sich nicht mehr feststellen, da die Akten der Schutztruppe im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurden. Für mindestens zwei der in DSWA eingesetzten Militärveterinäre lassen sich koloniale Karrierewege rekapitulieren. Unterrossarzt Ernst Rassau war 1898–1900 der erste Veterinär in Kiautschou, bevor er von 1901 bis 1909 als Militärveterinär in DSWA tätig war. Oberveterinär Paul Dieckmann wurde während des Namibischen Krieges in DSWA eingesetzt und im Anschluss Stabsveterinär in Kiautschou ernannt. Töpfer, S. 20–22. 7 Dies geschieht im Falle der Humanmedizin durchaus. So findet sich bei Eckart der Nachweis, dass sich zwischen 1893 und 1914 insgesamt 23 Zivilärzte und 171 Sanitätsoffiziere der Schutztruppe in DSWA aufhielten. Laut Eckart wies keine andere deutsche Kolonie eine höhere Ärztedichte auf und die medizinische Versorgung wie auch der allgemeine Gesundheitszustand der europäischen Bevölkerung seien in DSWA vergleichsweise gut gewesen. Eckart, S. 257. 8 So hielten sich von den insgesamt 132 Personen lediglich der Militärveterinär Wilhelm Rickmann und der Tierarzt Karl Borchmann vor 1900 in der Kolonie auf. Findbuch der Personalakten des RKA BAB R 1002. Auch später waren selten alle Regierungstierarztstellen besetzt, da die Stelleninhaber entweder auf Heimaturlaub gingen, erkrankten oder Studienreisen unternahmen.

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Siedler und Konzessionsgesellschaften zu sichern. Insbesondere die Siedler übten immer wieder massiven politischen Druck auf die Kolonialregierung aus. Seit den 1890er Jahren forderten sie unverhohlen, der indigenen Bevölkerung möglichst schnell Land und Vieh zu entziehen, um so auch deren Arbeitskraft für die geplante Kolonialwirtschaft nutzbar zu machen.9 Das übergeordnete Ziel der kolonialpolitischen Anstrengungen war die »Inwertsetzung« der Kolonien. Entsprechend sollte die kostspielige Einrichtung eines kolonialen Veterinärdienstes ausschließlich der kommerziellen Viehzucht europäischer Siedler zu Gute kommen. Bis Ende der 1890er Jahre befand sich aber der größte Teil des Rinderbestandes noch in den Händen indigener Viehbesitzer.10 Demzufolge sahen die veterinärtechnischen Berater der Kol.Abt. in Berlin offenbar keinen dringenden Handlungsbedarf und bis 1897 wurden vergleichsweise zaghafte Versuche unternommen, weitere veterinärmedizinische Kenntnisse über koloniale Tierseuchen zu sammeln. Seit 1894 war lediglich ein Militärveterinär, Wilhelm Rickmann, in der Kolonie stationiert; 1896 folgte mit Karl Borchmann ein zweiter Tierarzt. Anknüpfend an das Konzept von Sanders Forschungsreise sollte Borchmann zunächst für ein Jahr in der Kolonie weitere Informationen über die auftretenden Tierseuchen sammeln und Untersuchungspräparate anfertigen. Diese Daten sollten in Deutschland ausgewertet und dann über das weitere Vorgehen entschieden werden.11 Dies änderte sich durch den Ausbruch der Rinderpest 1897/98. Die Seuche markierte einen sozioökonomischen Wendepunkt. Während die indigenen Viehbesitzer einen Großteil ihrer Rinder verloren hatten, waren die Verluste der europäischen Siedler durch die Impfkampagne deutlich geringer. Aufgrund der massiven Verluste stiegen die Preise für Rinder innerhalb kürzester Zeit um das Drei- bis Vierfache.12 Gleichzeitig waren viele der indigenen Führer zur Sicherung ihres Patronagesystems zu Landverkäufen gezwungen. Diese plötzliche Verfügbarkeit von 9 Während es Leutwein gelang, sich mit Hendrik Witbooi und Samuel Maharero die Unterstützung der wichtigsten indigenen Führer zu sichern, leisteten etliche andere bewaffneten Widerstand. Zu Leutweins Politik, den Einfluss der Konzessionsgesellschaften sowie den 1895/96 ausbrechenden Konflikten siehe ausführlicher: Wallace, History, S. 136–143. Zum Einfluss der deutschen Siedler und ihren Konflikten mit der Mandatsregierung zwischen 1915 und 1922 siehe Eberhardt, S. 55–99. 10 Schlettwein, S. 40. 11 Köhler (Direktor Reichsgesundheitsamt) an Böttcher (Staatsekretär Reichsamt des Inneren), 19.07.1895, Bekämpfung der Viehseuchen in Deutsch-Südwest-Afrika, BAB R 1001/6060, Bl. 151–154. 12 Schlettwein, S. 45.

Entstehung und Ausgestaltung des staatlichen Veterinärwesens

Land sowie das Fehlen der indigenen Konkurrenz machten die Viehzucht für europäische Siedler rentabel. Um das wirtschaftliche Überleben der Farmer und damit auch die Festigung der kolonialen Herrschaft zu sichern, ergriff die Kolonialregierung nach der Rinderpest einen umfangreichen Maßnahmenkatalog: Bau der Eisenbahnstrecke zwischen Swakopmund und Windhoek; staatlich subventionierter Import von Zuchtvieh;13 Aufbau eines kolonialen Veterinärdienstes. Die Rinderpestepizootie wirkte nicht nur auf die internationale Vernetzung der Veterinäre als Katalysator, sondern auch in Bezug auf den Aufbau kolonialer Veterinärdienste, deren legislative Ausgestaltung sowie die Errichtung entsprechender Forschungsinstitute und Laboratorien. Die Umsetzung dieser Vorhaben warfen jedoch Probleme auf. Neben den Veterinärbehörden und den entsprechenden Gesetzen des Deutschen Reiches orientierten sich die Lösungsansätze der Kolonialverwaltung ab 1903 an den Expertenempfehlungen der interkolonialen Konferenzen. In beiden Fällen war eine einfache Übernahme aber nur begrenzt möglich, da entweder die finanziellen Ressourcen nicht ausreichten oder im Rahmen der Herrschaftserrichtung ausbrechende Konflikte deren Verwirklichung behinderten. Diese Faktoren führten zu mehreren Einbrüchen, aber auch Professionalisierungsschüben des kolonialen Veterinärwesens. So führte der Ausbruch des Namibischen Krieges 1904 zeitweilig zu einem völligen Stillstand des Ausbaus des Veterinärwesens. Hinzu kamen Hindernisse, die sich aus der kolonialen Verwaltungspraxis ergaben. All diese Faktoren wirkten sich auf die veterinärpolizeiliche Gesetzgebung und den organisatorischen Aufbau des Veterinärwesens ebenso aus wie auf die Rekrutierung und Anstellungsverhältnisse der Regierungstierärzte. Die Problemfelder Gesetzgebung, Institutionalisierung und Rekrutierung waren eng miteinander verflochten. Da aber die Experten, Veterinäre und die Kolonialverwaltung zur Lösung der spezifischen Probleme durchaus unterschiedliche Ansätze verfolgten, werden sie im Folgenden getrennt betrachtet.

13 Vögeli, S. 52.

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4.1.1 Veterinärgesetzgebung

Seit 1887 hatte die deutsche Kolonialverwaltung auf den Ausbruch von Tierseuchen mit dem Erlass veterinärpolizeilicher Verordnungen reagiert. Diese betrafen immer nur die zur Bekämpfung der jeweiligen Seuche zu ergreifenden Maßnahmen.14 Die durch die Rinderpest ausgelöste Versorgungs- und Wissenskrise sowie die anschließende Verschiebung der Macht- und Besitzverhältnisse hatten der Kolonialregierung vor Augen geführt, dass ein staatlicher Veterinärdienst zur Sicherung kolonialer Herrschaft und Kontrolle unerlässlich war. Für den Aufbau eines solches Dienstes wurden 1899 erstmals größere finanzielle Mittel bereitgestellt. Neben der Einrichtung des veterinärbakteriologischen Instituts in Gammams wurden Regierungstierarztstellen geschaffen und eine eigene Veterinärbehörde – das Referat VIII. für Veterinärwesen und Viehzucht – gebildet.15 Unter der Leitung von Wilhelm Rickmann16 bestanden die Hauptaufgaben dieser neugeschaffenen Behörde in der »Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen« sowie in der Koordination und Ausübung der erforderlichen wissenschaftlichen und praktischen Tätigkeiten. Damit die Veterinärbehörde diesen Aufgaben gerecht werden konnte, wurden erstmals die Rechte, Pflichten und Zuständigkeiten der Regierungstierärzte definiert. Der für die Viehseuchenprävention und -bekämpfung erforderliche allgemeine rechtliche Rahmen wurde durch die 1901/02 erlassene »Verordnung betreffend die Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen« geschaffen.17 Darin wurden die bislang geltenden Viehseuchenverordnungen sowie das durch Forschungsarbeiten und praktische Erfahrung in der Kolonie gesammelte Wissen aggregiert sowie durch weitere Bestimmungen ergänzt. Zunächst wurden alle übertragbaren Viehseuchen aufgelistet, die in Zukunft einem generellen Einfuhrverbot unterworfen waren und für die innerhalb der Kolonie eine Anzeigepflicht galt. Ferner wurden die zu ergreifenden Bekämpfungs- und Präventionsmaßnahmen genauestens definiert. Eines 14 Lungenseuche-Verordnung von 1887 sowie die Rinderpest-Verordnung von 1897. 15 Dies geschah im Rahmen der allgemeinen Ausdifferenzierung der Kolonialverwaltung, die sich ab 1899 in insgesamt zehn spezielle Referate gliederte, um die anfallenden Verwaltungstätigkeiten effizienter zu bewältigen. Kaulich, S. 89–91. 16 Rickmann war kurz zuvor aus dem aktiven Militärdienst ausgeschieden. RKA an Rickmann, 07.09.1906, BAB R 1002/1385/86. 17 Leutwein an Kol.Abt., 15.06.1901, Entwurf Viehseuchenverordnung, BAB R 1001/6073, Bl. 73–80.

Entstehung und Ausgestaltung des staatlichen Veterinärwesens

der wichtigsten Instrumentarien war die Reglementierung der Vieheinfuhr. Demnach durfte der Import von Nutztieren nur nach Vorlage entsprechender Gesundheitszeugnisse oder nach einer mehrwöchigen Quarantäne an der Grenze erfolgen. Durchsetzung und Überwachung dieser Importbestimmungen wurde in die Hände der Regierungstierärzte und Polizeiorgane gelegt. Als Vertreter der Kolonialregierung verfügten diese auch im Falle des Verdachtes eines Seuchenausbruchs über weitreichende Rechte. Diese reichten von der Verhängung von Transportbeschränkungen für Tiere und Tierprodukte über die Einrichtung und Durchsetzung von Quarantänezonen bis hin zur Anordnung und Durchführung der Impfung oder Tötung erkrankter oder seuchenverdächtiger Tiere. Die Viehseuchenverordnung bündelte das bislang verfügbare veterinärmedizinische Wissen und machte dies – zumindest auf dem Papier – für die weitere Ausdehnung der kolonialstaatlichen Kontrolle nutzbar. Die Viehseuchenverordnung wurde aber sehr bald als überholt und unzureichend kritisiert. Rickmann hatte bereits nach seiner Teilnahme an der interkolonialen Veterinärkonferenz in Bloemfontein seit 1903 darauf aufmerksam gemacht, dass die 1901 erlassene Viehseuchenverordnung vor allem in Hinblick auf die von der Konferenz beschlossene Vereinheitlichung der Tierseuchenprävention und -bekämpfung mangelhaft war und einer Überarbeitung unterzogen werden musste.18 Diesen Forderungen wollte das Gouvernement möglichst zeitnah nachkommen. Auf Empfehlung Rickmanns sollten neben den Beschlüssen der Veterinärkonferenzen die entsprechenden gesetzlichen Regelungen des Transvaal und der Orange River Colony für die Überarbeitung der Viehseuchenverordnung DSWAs zu Rate gezogen werden. Um den für die Durchsetzung der veterinärpolizeilichen Maßnahmen zuständigen Verwaltungsbeamten und Regierungstierärzten bis zum Erlass einer neuen Viehseuchenverordnung eine Handlungsgrundlage und Orientierungshilfe zur Verfügung zu stellen, schaffte das Gouvernement 1903 insgesamt 40 Exemplare der in Transvaal erlassenen »Diseases of Stock Regulations« an und verteilte diese an alle Bezirks- und Distriktämter. Ergänzend dazu beschaffte Rickmann die in der Orange River Colony geltenden Verordnungen zur Bekämpfung von Tierseuchen.19 Um Missverständnissen vorzubeugen, beauftragte das Gouvernement Cheftierarzt Rickmann mit 18 Rickmann, Über Lungenseuche. Diese Einschätzungen bekräftigte Rickmann erneut 1908. Rickmann, Tierzucht, S. 77. 19 Konsulat Kapstadt an Gouv., 05.06.1903, NAN ZBU 1286 O. I.a.2-1, Bl. 16–21.

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der Übersetzung der Gesetzestexte.20 Die parallel federführend von Rickmann begonnene Überarbeitung der Viehseuchenverordnung wurde durch den Kriegsausbruch 1904 verzögert. Erst Anfang 1908 beriet das Kaiserliche Gouvernement und dessen Beirat über eine Umarbeitung der Viehseuchenverordnung21 und betraute Rickmanns Nachfolger, Otto Henning, mit der Aufgabe. Zu diesem Zweck hatte Henning bereits ab 1907 erneut die Beschaffung der Viehseuchengesetze aus den britischen und portugiesischen Kolonien veranlasst.22 Durch den Ausbruch der Schafpocken 1909/10 in Verbindung mit dem anhaltenden geringen Personalstand des Veterinärdienstes verzögerte sich die Überarbeitung jedoch abermals. Der anlässlich der Bekämpfung der Schafpockenseuche vom RKA in die Kolonie entsandte Robert von Ostertag bestätigte erneut, dass die »gültige Viehseuchenverordnung…für die Abwehr von Seuchen aus dem Ausland, so auch für die Unterdrückung von Tierseuchen im Schutzgebiet unzureichend« sei.23 Bei der Überarbeitung der Viehseuchen­ verordnung empfahl Ostertag vor allem das im Juni 1909 erlassene Reichsviehseuchengesetz sowie das Viehseuchengesetz der Südafrikanischen Union als wichtigste Vorbilder zu berücksichtigen. Diese Empfehlung eines renommierten Professors der Tierärztlichen Hochschule Berlin, der über sehr begrenzte Erfahrungen der veterinärmedizinischen Praxis in den Kolonien verfügte, stieß prompt auf Widerspruch. Das im Deutschen Reich geltende Viehseuchengesetz als Vorlage zu nutzen, hielt Cheftierarzt Henning nicht für sinnvoll. Auf der interkolonialen Konferenz wie auch dem internationalen tierärztlichen Kongress hätten die Experten schließlich die Wichtigkeit einer einheitlichen Gesetzgebung betont. Entsprechend war Henning der Ansicht, dass in erster Linie das Viehseuchengesetz der Südafrikanischen Union »nach genauer Übersetzung und sorgfältiger weiterer Bearbeitung die Grundlage für das neue Seuchengesetz des Schutzgebietes« bilden

20 Die Gesetzestexte finden sich in: NAN ZBU 1286 O. I.a.2-1, Bl. 6–10. 21 Rickmann, Tierzucht, S. 77. 22 Henning an Gouv., 04.03.1907, Bitte Viehseuchengesetze der britischen Kolonien zu beschaffen, NAN ZBU 1286 O. I.a.2-1, Bl. 24. In den Akten finden sich entsprechend ab 1908 die veröffentlichten Jahresberichte des Onderstepoort Institute (NAN ZBU 1286 O. I.a.2-1, Bl. 56–60), das 1910 verabschiedete Viehseuchengesetz der Südafrikanischen Union (NAN ZBU 1286 O. I.a.2-1, Bl. 63–77) sowie das 1908 in PortugiesischOstafrika erlassene Regulamento de Sandidade Pecuária (NAN ZBU 1286 O. I.a.2-1, Bl. 177). 23 Ostertag, Veterinärwesen, S. 91.

Entstehung und Ausgestaltung des staatlichen Veterinärwesens

sollte24 – ein weiterer Beleg dafür, dass sich in den Kolonien des süd­lichen Afrika eine spezifische tiermedizinische Expertise herausgebildet hatte. Unter Gouverneur Seitz wurde der Ausbau des Veterinärdienstes ab 1911 weiter vorangetrieben und dessen Organisation professionalisiert. Trotz der Aufforderung von Seitz, möglichst bald einen Entwurf für die Viehseuchengesetzgebung vorzulegen, schloss Henning die Überarbeitung nicht mehr ab.25 Diese Aufgabe übernahm Anfang 1912 Hennings Nachfolger Walter Gmelin, der zuvor als Professor an der Tierärztlichen Hochschule in Stuttgart tätig gewesen war. Gmelin begann bereits vor seiner Ausreise in die Kolonie mit der Überarbeitung der Viehseuchenverordnung. Dazu ließ er sich, ergänzend zu den bereits rezipierten Gesetzestexten, noch weitere veterinär­ polizeiliche Verordnungen aus der Südafrikanischen Union nach Deutschland schicken.26 Auf dieser Grundlage wurde unter Gmelins Federführung bis Anfang 1913 eine umfassende Viehseuchengesetzgebung samt dazugehöriger Ausführungsbestimmungen ausgearbeitet.27 Die rund 300 Seiten umfassende Gesetzesvorlage wurde im April 1913 dem Landesrat von DSWA zur Beratung vorgelegt und von diesem befürwortet. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges trat die Viehseuchenverordnung jedoch nie in Kraft. Der Kolonialverwaltung und vor allem den beteiligten Veterinären war die »Wichtigkeit einer möglichst gleichmässigen, einheitlichen Regelung der Seuchengesetzgebung benachbarter Länder und Kolonien«, wie sie seit 1903 auf den interkolonialen Konferenzen und auch internationalen tierärztlichen Kongressen immer wieder gefordert wurde, bewusst.28 Zudem hatten die Kolonialverwaltung und auch die Farmer ein vitales Interesse an einer möglichst effektiven Tierseuchenbekämpfung. Schließlich bedeutete diese die Sicherung der kommerziellen Viehwirtschaft und diente gleichzeitig der weiteren Zementierung des staatlichen Kontrollzugriffs. Daher ist es auf den ersten Blick erstaunlich, dass sich die Überarbeitung des Viehseuchengesetzes in DSWA über zehn Jahre hinzog. Neben der kriegsbedingten Unter24 Henning an Gouv., 15.06.1911, Seuchengesetzgebung, NAN ZBU 1286 O. I.a.1-1, Bl. 77. Die Übersetzung sandte Henning am 09.05.1911 an das Gouv., NAN ZBU 1286 O. I.a. 2-1, Bl. 63–76. 25 Seitz forderte Henning im Juni 1911 auf, den Entwurf vor Beginn seines Heimaturlaubes einzureichen. Seitz an Henning, 03.06.1911, BAB R 1002/721, Bl. 147. 26 Gmelin, Die Organisation des Veterinärwesens in DSWA, Januar 1915, BAB R 1001/6078, Bl. 10–66, hier: 32. 27 Entwurf Viehseuchenverordnung 1913. 28 Henning an Gouv., 15.06.1911, Seuchengesetzgebung, NAN ZBU 1286 O. I.a.1-1, Bl. 77. Zu den Beschlüssen der Konferenzen und Kongresse siehe auch Kapitel 3.1.

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brechung 1904–1907 ist die lange Bearbeitungszeit auf den bis 1911 anhaltenden Personalmangel des Veterinärdienstes und die damit einhergehende Arbeitsbelastung zurückzuführen.

4.1.2 Organisation des kolonialen Veterinärdienstes

Mit der Schaffung der Veterinärbehörde und dem Erlass der Viehseuchenverordnung ging ein zusätzlicher administrativer Regelungsbedarf einher. Die Zuständigkeiten der Veterinäre sowie der organisatorische Aufbau des zivilen Veterinärdienstes wurden 1903 in der »Instruction über die Organisation des Referates für Veterinär-Medicin und Viehzucht« festgelegt.29 Demnach oblag die Leitung des Referates dem »Sachverständigen für Viehzucht und Veterinärmedizin«. Neben der Durchführung von wissenschaftlichen Arbeiten und der Beratung des Gouvernements war dieser als Cheftierarzt auch für die Organisation und Überwachung des praktischen Veterinärdienstes verantwortlich. Aufgrund der bis 1907 nicht vollzogenen Trennung zwischen Zivil- und Militärverwaltung war der Leiter der Veterinärbehörde auch gegenüber den Militärveterinären weisungsbefugt.30 Zwar waren sowohl Militär- als auch Regierungstierärzte grundsätzlich angehalten, den Behörden und der Bevölkerung »in allen veterinären Fragen beratend zur Seite zu stehen«, die gegenseitige Dienstverpflichtung erstreckte sich aber im Wesentlichen auf die Bekämpfung von Seuchenausbrüchen.31 Gemäß der Instruction von 1903 wurde die Kolonie entlang des begrenzten Herrschaftsbereiches in die sechs Veterinärbezirke Keetmanshoop, Gibeon, Windhoek, Outjo, Grootfontein und Omaruru unterteilt. Jeder dieser Bezirke sollte mit einem Regierungstierarzt besetzt werden. Unterstützt von einem Laboratoriumsdiener, war der Bezirksveterinär für den Gesundheitsdienst, den Krankendienst und die Tierzucht in seinem Bezirk verantwortlich. Dies bedeutete konkret, dass jeder Regierungstierarzt neben der Behandlung erkrankter Tiere verpflichtet war, die Viehbestände regelmäßig zu überwachen und den Grenzverkehr seines Bezirkes zu kontrollieren. Ferner sollte er Polizisten und Viehbesitzer in veterinärpolizeilichen Belangen aus29 Rundschreiben Leutwein, 01.10.1903, Instruction über die Organisation des Referates für Veterinär-Medicin und Viehzucht. NAN DOK 122 T.3.a-1, Bl. 49–56. 30 Lediglich das staatliche Gestüt in Nauchas war von dem Verantwortungsbereich des Sachverständigen ausgenommen. Ebd., Bl. 49. 31 Ebd., Bl. 50–51.

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bilden, Vorbereitungen für die Bekämpfung von Seuchenausbrüchen treffen, unbekannte Seuchen erforschen und die Fleischbeschau überwachen. Darüber hinaus sollte der Bezirksveterinär als Sachverständiger die Tierzucht »durch Gründung von Zuchtverbänden und Genossenschaften im Verein mit den Verwaltungsbehörden«32 unterstützen. Zwar wurden bis 1904 fünf der sechs etatmäßigen Regierungstierarztstellen besetzt.33 Allerdings konnten die Regierungstierärzte dem breiten Aufgabenspektrum nicht einmal ansatzweise gerecht werden. Daran änderte auch die potenzielle Unterstützung durch die in der Kolonie stationierten Militärveterinäre nichts.34 Allein die Größe der einzelnen Bezirke in Verbindung mit den weiten Entfernungen zwischen den einzelnen Farmen verhinderte, dass die Regierungstierärzte wenig mehr als eine einigermaßen regelmäßige Überwachung der Viehbestände gewährleisten konnten. Zudem wurde die Arbeit der Veterinäre dadurch erschwert, dass diese den Distrikt- und Bezirksämtern als technische Berater zugeordnet worden waren. In der Praxis bedeutete dies, dass die Veterinäre ihre jeweilige Verwaltungsbehörde über jede im Rahmen der Dienstverpflichtung ergriffene Maßnahme oder unternommene Reise informieren und ggf. deren Zustimmung einholen mussten. Dieser bürokratische Aufwand führte zu einer massiven Behinderung der praktischen tiermedizinischen Tätigkeiten sowie zu regelmäßigen Differenzen zwischen den Verwaltungsbeamten und Veterinären.35 32 Ebd., Bl. 54. 33 Dies waren neben Wilhelm Rickmann (seit 1894 in DSWA) Hermann Sklero (seit 1902), Erwin Leipziger (seit 1904), Martin Baumgart (seit 1903), Oskar Albrecht (seit 1904) und Karl Schröter (seit 1904), Kol.Abt., 01.07.1904, Namentliches Verzeichnis der Tierärzte in den deutschen Kolonien mit Ausnahme von Kiautschou, BAB R 1001/6064c, Bl. 213. 34 Im Zuge der Aufstockung der Schutztruppe nahm auch die Zahl der in der Kolonie anwesenden Militärtierärzte zu. 1898/99 kamen die Oberveterinäre Münsterberg, Schaub und Brühlmeyer nach DSWA. Kol.Abt. an Prof. Schmaltz, 19.06.1906, Verzeichnis der in den Schutzgebieten tätigen Tierärzte, BAB R 1001/6064d, Bl. 161–162. 35 So beschwerte sich der Distriktchef von Karibib 1901 über das Gebaren des Tierarztes Wunder, dass »allem bisher Dagewesenen Hohn« spreche. Es ging konkret darum, dass Wunder offenbar dem Distriktchef nur beiläufig mitteilte, dass er den Distrikt auf Anweisung der Veterinärbehörde verließ. Distriktchef Karibib an Gouv., 17.01.1901, Beschwerde über Tierarzt Wunder, NAN ZBU 1314 O.III.c.5-1, Bl. 89–93. Der Distriktchef von Grootfontein beschwerte sich 1903 beim Gouvernement darüber, dass der Veterinär Hoerauf die Räumung eines Raumes des Veterinärlaboratoriums beantragt habe. Der betreffende Raum wurde zur Lagerung der Waffen des Distrikts genutzt. Hoerauf hingegen verlangte die Räumung, um darin den Laboratoriumsgehilfen unterzubringen. Von Seiten des Gouvernements wurde dazu lediglich angemerkt, dass es

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Um die veterinärmedizinische Versorgung zu verbessern, wurden zum Etatjahr 1904 vier weitere Regierungstierarztstellen eingerichtet. Diese konnten aufgrund des im Januar 1904 ausgebrochenen Krieges aber erst ab 1906 besetzt werden. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Kämpfe bereits weitgehend in den Süden der Kolonie verlagert und in Zentralnamibia begann die Kolonialverwaltung schon mit den Planungen zur Neuordnung des Landund Viehbesitzes sowie mit der Erfassung und Kontrolle der indigenen Arbeitskraft. Dazu erließ das Gouvernement 1907 die sogenannten »Eingeborenenverordnungen«. Diese bildeten das Kernstück einer neuen und deutlich repressiveren »Eingeborenenpolitik«.36 Hinzu kam, dass die von Gouverneur Lindequist ab 1907 verfolgte Siedlungspolitik zu einem massiven Anstieg der europäischen Siedler und damit einhergehend zu einer schnellen Ausdehnung der von diesen beanspruchten Landflächen führte.37 In der Folgezeit differenzierte sich die zivile Kolonialverwaltung immer weiter aus und nach Ende des Krieges wurde die Trennung in eine zivile und eine militärische Verwaltung in die Wege geleitet.38 Mit Friedrich von Lindequist wurde der erste zivile Gouverneur ernannt, dem der Oberbefehlshaber der Schutztruppe untergeordnet war.39 Bis dahin war der Gouverneur in Personalunion Oberbefehlshaber der Schutztruppe und Oberhaupt der zivilen Verwaltung. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges konzentrierte sich die kolonialstaatliche und damit auch die veterinärpolizeiliche Kontrolle auf die 1907 endgültig eingerichtete sogenannte »Polizeizone«. Diese beschränkte sich im Wesentlichen auf Zentral- und Südnamibia, wo die Kolonialregierung ihren Herrschaftsanspruch nahezu uneingeschränkt durchsetzen konnte (s. Karte 4). Dort hatte sich auch die Mehrheit der europäischen Siedler niedergelassen wünschenswert sei, wenn sich die beteiligten Parteien wegen solcher Querelen nicht an übergeordnete Dienststellen wenden würden. Volkmann (Distriktchef) an Gouv., 30.06.1903, Beschwerde über die Raumnutzung des Veterinärlabors in Grootfontein, NAN ZBU 1302 O.II.c.2–1, Bl. 57. 36 Dabei handelte es sich um die Kontrollverordnung, die Paßverordnung und die sogenannte Gesindeverordnung, die alle am 18.08.1907 erlassen wurden. Zu Entstehung, Inhalt und Funktion der Verordnungen siehe ausführlich: Zimmerer, Deutsche Herrschaft, S. 68–83. 37 Wallace, History, S. 183–189. 38 Kaulich, S. 91–94. 39 Es war aber vorgesehen, dass der Gouverneur das Amt des Oberbefehlshabers im Kriegsfall übernehmen sollte. Dieses Modell sorgte bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges in DOA zu Auseinandersetzungen zwischen Gouverneur Schnee und dem Kommandeur der Schutztruppe Lettow-Vorbeck. Letzterer setzte sich gegen die Kapitulationspläne Schnees durch. Schulte-Varendorff, S. 41–58.

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Karte 4: Karte der 1907 in DSWA eingerichteten Polizeizone (Kartenvorlage: Miescher, Rote Linie, S. 371)

und in der Folge bildeten diese Territorien das Kernland der kommerziellen Farmwirtschaft.40 Den »Beginn der Neubesiedlung« nahm Rickmann zum Anlass, der Kolonialverwaltung eine grundlegende Erweiterung und Reorganisation des zivilen Veterinärdienstes vorzuschlagen. Grundsätzliches Vorbild – vor allem in Bezug auf die Förderung der wissenschaftlichen Forschungstätigkeiten – war für Rickmann erneut der Aufbau des Veterinärwesens in Transvaal. Um den wissenschaftlichen und praktischen Aufgaben gerecht werden zu kön40 Zur Einrichtung der Polizeizone ausführlich Miescher, S. 74–90.

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nen, sollte die Zahl der Bezirkstierärzte auf zwölf erhöht und die einzelnen Bezirke des Nordens, Zentrums und Südens der Kolonie unter die Leitung eines Obertierarztes gestellt werden. Diese ausdifferenziertere Organisationsstruktur sollte die Kontrolle und den Austausch zwischen den Regierungstierärzten erleichtern sowie gewährleisten, dass sich der Cheftierarzt wie die Obertierärzte verstärkt mit den bis dahin wenig berücksichtigten wissenschaftlichen Forschungsarbeiten befassen konnten.41 Sowohl aus veterinärmedizinischer als auch kolonialpolitischer Perspektive schien der Zeitpunkt für Rickmanns Vorschlag ideal. Durch den Ausbruch und die Verschleppung mehrerer Tierseuchen waren die Viehbestände während des Krieges stark zurückgegangen.42 Nach Ansicht Rickmanns sei die Seuchenbekämpfung angesichts des noch geringen Viehbestandes relativ leicht durchzuführen und die »neuen, unerfahrenen Ansiedler« könnten von Beginn an effizient angeleitet werden. Zudem mache »die bestehende Einfuhr von Tieren aller Art die tierärztliche Überwachung…an den Grenz-­ Quarantänestationen durchaus erforderlich«. Die Empfehlungen Rickmanns wurden aber nicht berücksichtigt. Andere Vorschläge zur Umstrukturierung des Veterinärwesens wurden seinerzeit nicht in Erwägung gezogen. Rickmann war seit Mitte 1906 nicht mehr in der Kolonie anwesend und die Stelle des Cheftierarztes blieb bis März 1908 de facto unbesetzt. Ohne einen Fürsprecher vor Ort ließ die Kolonialverwaltung die Gelegenheit zur grundsätzlichen Reorganisation des Veterinärdienstes aus. Zudem hätte eine weitere Hierarchisierung des Veterinärdienstes, wie von Rickmann vorgeschlagen, die Überarbeitung der Dienstinstruktion zwingend erforderlich gemacht und sich auch in der Besoldung der Tierärzte niederschlagen müssen. Der damit verbundene bürokratische Aufwand wurde vermieden und stattdessen lediglich die Trennung in ein Referat für Veterinärwesen und Tierzucht und ein Veterinärkorps der Schutztruppe vollzogen. 41 Rickmanns an Kol.Abt., 12.09.1906, Bericht DKG über Einführung der Zwangs-Impfung gegen Rinderpest und anderweitige Organisation des Veterinärwesens, BAB R 1001/6077, Bl. 31–43, hier: Bl. 39. 42 Zur Einschleppung und Bekämpfung von Rotz: Lindequist an RKA, 30.01.1906, Stand der Rotzimpfungen in DSWA, BAB R 1001/6076, Bl. 110–111; Gouv. an Distrikt- und Bezirksämter, 22.08.1906, Rundschreiben betr. Erkennung und Bekämpfung von Rotz, NAN DOK 122 T.3.a-1; Rickmann an RKA, 05.09.1906, Rotzbekämpfung in DSWA, BAB R 1001/6077, Bl. 21–23. Zum Ausbruch anderer Tierseuchen: Dame (Offizier Schutztruppe) an Gouv., 26.11.1905, Meldung über den Ausbruch von Rinderpest in Keetmanshoop, BAB R 1001/6076, Bl. 33–35.

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Der sprunghafte Anstieg der Farmen und Viehbestände nach 1907 erforderte aber den weiteren Ausbau des Veterinärdienstes, damit das wirtschaftliche Überleben der europäischen Farmer abgesichert werden konnte. Gleichzeitig führten die zunehmende Paranoia der Siedlergesellschaft und der Ausbau der kolonialstaatlichen Kontrolle in der Polizeizone dazu, dass die Einsatzbereitschaft des Militärs und der Polizei gewährleistet werden musste.43 Anstatt durch eine Reorganisation des Veterinärdienstes sollte das steigende Arbeitsaufkommen wie schon 1904 durch eine personelle Aufstockung des Veterinärwesens aufgefangen werden. Zwar war die Zahl der Veterinärbezirke und damit auch der etatmäßigen Bezirkstierarztstellen bis 1911 auf dreizehn erhöht worden, aber lediglich sechs davon waren mit Regierungstierärzten besetzt (Grootfontein, Karibib, Windhoek, Gibeon, Keetman­ shoop, Gammams). Die Besetzung der restlichen Bezirkstierarztstellen stellte ein Provisorium dar. In Warmbad, Lüderitzbucht und B ­ ethanien hatten Oberveterinäre der Schutztruppe die Bezirkstierarztstellen übernommen.44 Gemäß den geltenden Bestimmungen waren diese aber in erster Linie für die Tiere des Militärs zuständig. Für die Bezirke Rehoboth und Maltahöhe war der ehemalige Regierungstierarzt Baumgart kommissarisch beim Gouvernement angestellt worden. Nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst hatte sich Baumgart als Farmer niedergelassen und konnte daher die veterinärmedizinische Versorgung in gleich zwei Bezirken nur im begrenzten Umfang gewährleisten. Schließlich füllten in Swakopmund und Omaruru Tierarztgehilfen die Regierungstierarztstellen aus. Dabei handelte es sich um ehemalige Laboratoriumsdiener, die keine vollwertige tiermedizinische Ausbildung vorweisen konnten.45 Der entscheidende Impuls zur Reorganisation der Veterinärbehörde ging aber nicht vom amtierenden Cheftierarzt DSWAs, sondern von dem Berliner Professor Ostertag aus. In einem 1912 vorgelegten Bericht über den Zustand des Veterinärdienstes empfahl Ostertag eine weitere Aufstockung der Regierungstierarztstellen auf insgesamt 17 sowie die organisatorische Trennung des praktischen und wissenschaftlichen Dienstes. Letzteres orientierte sich grob an der Organisationsstruktur des Veterinärdienstes in der Südafrikanischen Union. Diese kannte Ostertag aus eigener Anschauung, da er nach 43 Dies geschah z. B. durch die Sterbeimpfung von Maultieren. Siehe Kapitel 1.2.2 und 1.4. 44 Kremp, S. 27. 45 Zur Verteilung und Besetzung der Bezirkstierarztstellen: Ostertag, Veterinärwesen, S. 96,

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seinem Aufenthalt in DSWA noch eine »Informationsreise« durch die Süd­ afrikanische Union unternommen hatte. Anders als Rickmann hielt Ostertag eine weitere Hierarchisierung der organisatorischen Struktur nicht für erforderlich, empfahl aber, sich grundsätzlich an dem Veterinärdienst von Transvaal zu orientieren – vor allem in Hinblick auf die finanzielle Ausstattung.46 Bemerkenswert ist, dass Ostertag in Bezug auf die Viehseuchenverordnung europäische Gesetze als Richtschnur empfohlen hatte. Bei der praktischen Organisation der kolonialen Veterinärbehörde hingegen war der Veterinärdienst Transvaals für Ostertag das Vorbild schlechthin  – Letzteres teilten auch die Regierungstierärzte in DSWA . Damit bestätigte Ostertag die von den Veterinären auf den interkolonialen Konferenzen artikulierten Wahrnehmungen und Erfahrungen, wonach europäische Strukturen und Strategien in den Kolonien kaum effektiv angewandt werden konnten. Im Zuge des seit 1911 vorangetriebenen Ausbaus des Veterinärdienstes in DSWA wurden Ostertags Empfehlungen ab 1912 teilweise umgesetzt. Das zivile Veterinärwesen wurde in die drei Referate praktischer Veterinärdienst, wissenschaftliche Abteilung sowie Viehzucht aufgeteilt. Leiter des praktischen Veterinärdienstes wurde Walter Gmelin, während der Bakteriologe Hans Sieber die Leitung der wissenschaftlichen Abteilung übernahm. Mit der Leitung des neuen Referates für Landwirtschaft und Tierzucht wurde der bisherige Cheftierarzt Otto Henning betraut.47 Anders als im Fall der Viehseuchenverordnung wurde eine Überarbeitung der »Instruction über die Organisation des Referates für Veterinär-Medicin und Viehzucht« nicht in Angriff genommen. Diese Dienstvorschrift war zwar seit der Einrichtung weiterer Regierungstierarztstellen ab 1904 nicht mehr aktuell und durch die 1912 vollzogene Aufteilung in einen wissenschaftlichen und praktischen Zweig endgültig veraltet. Gmelin hielt eine Überarbeitung aber nicht mehr für erforderlich. Sobald die neue Viehseuchenverordnung eingeführt sei, könnte jeder Regierungstierarzt aus dieser »alles Wichtige für sein dienstliches und ausserdienstliches Verhalten entnehmen«.48 Zwar unterschieden sich die Verwaltungsstrukturen der einzelnen Kolo­ nien mitunter grundsätzlich voneinander. So verfügte beispielsweise die Cape Colony seit 1887 über ein Landwirtschaftsministerium, dem der Vete­ 46 Ebd., S. 111–119. 47 RKA an Henning, 06.09.1911, BAB R 1001/721, Bl. 165. Die Anstellung wurde zum 01.04.1912 wirksam. 48 Gmelin, Organisation Veterinärwesen, BAB R 1001/6078, Bl. 10–67, hier: Bl. 20.

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rinärdienst zugeordnet war.49 In DSWA war das Referat für Tierzucht und Veterinärwesen hingegen direkt dem Gouverneur unterstellt. Dennoch orientierte sich die deutsche Kolonialverwaltung, wie schon im Fall der Viehseuchengesetzgebung, bei der Organisation der Veterinärbehörde an den Veterinärdiensten anderer Kolonien. Während der transnationale Austausch in Bezug auf die Vereinheitlichung von Gesetzen wie auch die Organisation der Veterinärdienste sehr gut funktionierte, wurde eine zügige und einheitliche Umsetzung der auf den interkolonialen Konferenzen verabschiedeten Resolutionen in DSWA durch die Verwaltungsstruktur, den Ausbruch von Kriegen, aber vor allem durch die von hoher Fluktuation und chronischer Unterbesetzung geprägte Personalsituation behindert. Wie im Folgenden gezeigt wird, stellten bei der Besetzung der Regierungstierarztstellen in DSWA vor allem die Anstellungsverhältnisse ein Problemfeld dar, das durch das spezifische kolonialbürokratische System verursacht wurde.

4.1.3 Rekrutierung und Anstellungsverhältnisse der Regierungstierärzte

Während die legislativen und administrativen Probleme des Veterinärdienstes die Umsetzung veterinärpolizeilicher Maßnahmen nur mittelbar beeinflussten, hatte der permanente Mangel an qualifizierten Veterinären zum Teil schwerwiegende Folgen. Der Anstieg europäischer Siedler ab 1907 führte zu einer Ausdifferenzierung der Tierzucht. Mit Unterstützung der Kolonialregierung führten die Farmer neben Rindern auch im großen Umfang Karakul- und Wollschafe sowie Angora-Ziegen aus der Cape Colony, Australien und Deutschland ein. Aufgrund des Personalmangels war die Regierungstierarztstelle in Swakopmund, dem wichtigsten Einfuhrhafen für Nutztiere, bis 1910 nicht besetzt. Entsprechend wurden die für Viehimporte aus Übersee erlassenen Quarantänebestimmungen bestenfalls marginal umgesetzt und der Import erkrankter Tiere über den Seeweg konnte nicht verhindert werden. Dies führte dazu, dass 1909 die bis dahin in der Kolonie unbekannte Schafpockenseuche eingeschleppt wurde und mit verheerenden Folgen in den Bezirken Rehoboth, Maltahöhe und Gibeon ausbrach. Auch bei der Bekämpfung der Seuche versagte die unterbesetzte Veterinärbehörde zunächst vollkommen und innerhalb kurzer Zeit verendeten mehrere zehn49 Zur Geschichte des Agricultural Department der Cape Colony bis 1896 ausführlich: Wallace, Farming Industries, S. 510–518.

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tausend Tiere an der Krankheit.50 Nachdem die ersten Meldungen über den Seuchenausbruch 1909 beim Gouvernement eingegangen waren, dauerte es zudem über ein Jahr, bis die Regierungstierärzte diese richtig diagnostiziert hatten.51 Erst danach konnte die Seuche erfolgreich durch eine Impfkampagne52 und die konsequente Absperrung infizierter Bestände unter Kontrolle gebracht werden.53 Insgesamt hätten die katastrophalen Folgen des Seuchenausbruches verhindert werden können, wenn eine ausreichende Zahl von Regierungstierärzten vorhanden gewesen wäre. Bei der Besetzung der Regierungstierarztstellen waren von Beginn an Schwierigkeiten aufgetreten. Dabei mangelte es nicht grundsätzlich an Bewerbern für den Kolonialdienst.54 Die Rekrutierung der Kolonialtierärzte führte die Kolonialverwaltung in Berlin in Kooperation mit dem Reichsgesundheitsamt durch. Dieses nahm Kontakt zu den tierärztlichen Hochschulen auf und teilte diesen die Auflagen für den Kolonialdienst mit. Die jeweiligen Vorsteher der veterinärmedizinischen Institute schlugen daraufhin Bewerber vor.55 Bei deren Auswahl ging die Kolonialverwaltung nach Meinung Rickmanns aber nicht sorgfältig genug vor. Dieser hatte in einer Eingabe an die Berliner Kolonialbehörde bereits 1906 darauf aufmerksam gemacht, dass die »Tätigkeit und Befähigung zum Kolonialdienst der hinausgesandten Regierungstierärzte« in vielen Fällen »sehr viel zu wünschen übrig« gelassen habe. Hinzu kam, laut Rickmann, dass »mit dem häufigen Wechsel stets neue nicht eingearbeitete, geradezu im ersten Jahre nutzlose Herrn vorhanden waren, die durch ihre Ausbildung im Kolonialdienst die

50 Ostertag, Veterinärwesen, S. 1–4; Schneider, S. 174–179. 51 Zunächst hatte der Veterinär Hollandt die Seuche als Blauzungenkrankheit bzw. bösartiges Katarrhalfieber identifiziert. Mitte 1910 stellte Cheftierarzt Henning die richtige Diagnose, Henning an Gouv., 10.06.1910, NAN ZBU 1341 O. V.b.1-1, Bl. 20–23. siehe auch: N. N., Pocken, S. 618. 52 Zur ausführlichen Beschreibung der Impfmethode: Ostertag, Veterinärwesen, S. 1. 53 Distriktamt Maltahöhe an Gouv., 02.12.1910, NAN ZBU 1341 O. V.b.2-1, Bl. 81–82a. Das Distriktamt meldete, dass die betroffenen Herden gesund seien und man nach der Tötung der letzten 30 pockenkranken Tiere die Sperrung aufheben wolle. Bis 1912 gingen immer wieder Meldungen über den Ausbruch der Seuche beim Gouvernement ein: Bauer (Regierungstierarzt) an Gouv., 26.04.1912, Bericht: die im Bezirk Rehoboth neu aufgetretenen Pockenfälle, NAN ZBU 1341 O. V.b.2-1, Bl. 42–45. 54 Schnee (Kol.Abt.), 01.10.1906, Anmerkungen zum Bericht Rickmanns vom September 1906, BAB R 1001/6077, Bl. 46–47. 55 An diesem Vorgehen wurde bis 1915 festgehalten, Gmelin, Organisation Veterinärwesen, BAB R 1001/6078, Bl. 10–67, hier: Bl. 12–13.

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Arbeitsbelastung vermehrten«.56 Während die Zahl der etatmäßigen Stellen sukzessive erhöht wurde, litt die Qualität des Veterinärdienstes also vor allem unter der hohen Fluktuation der Tierärzte. In der Regel blieben nur die wenigsten Veterinäre länger als die dreijährige Pflichtdienstzeit in der Kolonie.57 Die Gründe dafür waren vielfältig. Für einige war die Kombination von extremen physischen Belastungen und dem breiten Aufgabenspektrum der Anlass, den Dienst in der Kolonie wieder aufzugeben.58 Vor allem die regelmäßig durchzuführenden, beschwerlichen Inspektionsreisen konnten an die Grenzen der physischen Belastbarkeit gehen, denn bei »den gigantischen Ausmaßen des Landes hatte allein ein Bezirkstierarzt ein Gebiet von der Größe Bayerns zu kontrollieren«.59 Der Mangel an Regierungstierärzten lässt sich indes nicht allein auf die harten physischen und fachlichen Anforderungen, des »Kolonialdienstes« zurückführen. Im Rahmen seiner 1906/07 durchgeführten Inspektionsreise durch die afrikanischen Kolonien hatte Paul Knuth von etlichen Kolonialveterinären erfahren, dass die meisten aufgrund der im Vergleich zu Deutschland geringeren Gehaltsbezüge sowie der fehlenden Pensionsberechtigung dem Kolonialdienst nach einer Dienstperiode den Rücken kehrten. Ferner seien viele vor allem mit der Stellung innerhalb der Kolonialverwaltung unzufrieden.60 In Deutschland erhielt ein approbierter Tierarzt, der zudem über die für den Kolonialdienst erforderlichen bakteriologischen Zusatzqualifikationen verfügte, relativ leicht einen Posten als beamteter Tierarzt. Neben der Möglichkeit eines beruflichen Aufstiegs, vom Kreis- zum Bezirkstierarzt etc., waren damit ein gemäß der Dienstzeit steigendes Jahresgehalt sowie ein entsprechender Pensionsanspruch verbunden. Im Kolonialdienst hingegen waren Lohnsteigerungen nicht vorgesehen, das Anfangs- war auch gleichzeitig das Höchstgehalt. Zudem waren die Veterinäre nicht als Beamte, sondern als Techniker im Rang eines kommissarischen Beamten beim Gouvernement angestellt und erwarben daher keine Pensionsansprüche. Die Anstellung als 56 Rickmanns an Kol.Abt., 12.09.1906, betr. Bericht DKG vom 18.08.1906 – Einführung der Zwangs-Impfung gegen Rinderpest und anderweitige Organisation des Veterinärwesens, BAB R 1001/6077, Bl. 31–43. 57 Ebd., Bl. 32; Knuth, Reisebericht, NAN ZBU 1286 O. I.a.5-1, Bl. 116–117. 58 Ostertag, Veterinärwesen, S. 107. 59 Zschokke, S. 175–178. 60 Knuth, Reisebericht, NAN ZBU 1286 O. I.a.5-1, Bl. 116. Die Gehaltsbezüge sowie die Stellung in der Verwaltung wurden auch von Rickmann bereits 1906 als dringend zu lösende Probleme angeführt. Rickmann an Kol.Abt., 12.09.1906, BAB R 1001/6077, Bl. 33.

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Techniker führte zudem dazu, dass die Tierärzte innerhalb der Verwaltungshierarchie – in Gegensatz zu Deutschland – den meisten anderen Kolonialbeamten nachgeordnet waren. Auf diese Missstände hatte Rickmann bereits 1906 aufmerksam gemacht. Auch Knuth forderte, vor allem die Gehaltsbezüge und die Pensionsfrage zu lösen, um die Regierungstierärzte längerfristig in der Kolonie zu halten und damit auch die Qualität des praktischen Veterinärdienstes zu sichern. Von Seiten der Kol.Abt. in Berlin wurden die Probleme zunächst nur halbherzig gelöst. So wurde eine Gehaltssteigerung zwar grundsätzlich ermöglicht, diese sollte aber nur in Ausnahmefällen und nach mindestens sieben Dienstjahren erfolgen.61 Ebenso wurde rückwirkend zum Etatjahr 1906 eine beschränkte Pensionsberechtigung für die Regierungstierärzte eingeführt. Diese hatten demnach einen Anspruch auf eine Pension, wenn sie aufgrund des Kolonialdienstes erwerbsunfähig wurden.62 Obwohl seit 1906 die Gründe für die Probleme bei der Besetzung der Regierungstierarztstellen mehrfach vorgetragen worden waren und der Ausbruch der Schafpockenseuche 1909/10 die Folgen einer Unterbesetzung des Veterinärdienstes deutlich gemacht hatte, agierte die Kolonialverwaltung bei der Lösung dieses Problems zunächst nicht sehr weitsichtig. Die am 28. Januar 1909 erlassene Selbstverwaltungsverordnung legte die Einführung einer kommunalen Selbstverwaltung in der Kolonie fest. An dieser wurden die Siedler in Form von Bezirksräten beteiligt. Insbesondere in finanziellen Fragen waren die Bezirksamtmänner künftig an die Beschlüsse des Bezirksrates gebunden.63 Im Zuge dieser Dezentralisierung der Verwaltung ersann die Kolonialverwaltung Ende 1909 einen eigenwilligen Plan, um dem anhaltenden personellen Engpass des Veterinärdienstes Abhilfe zu schaffen. Mit Ausnahme des Cheftierarztes sollten die Regierungstierärzte in Zukunft nicht mehr beim Gouvernement, sondern von den Bezirksverbänden angestellt werden.64 Nach Bekanntwerden erregte der Plan massiven öffentlichen Widerspruch von Seiten der Farmer. Diese lehnten den Plan rundweg ab. 61 Kol.Abt., interne Erläuterungen zum Bericht vom 14.07.1906, BAB R 1001/6077, Bl. 44–45. 62 Schnee (Kol.Abt.), Anmerkungen zum Bericht Rickmanns vom September 1906, 01.10.1906, BAB R 1001/6077, Bl. 46–47. 63 Zur Struktur der Lokalverwaltung ausführlich: Kaulich, S. 97–106. 64 Der Entwurf der Verordnung vom 22.10.1909 findet sich als Anlage bei: Gouv. an RKA, 16.07.1910, betr. Veterinärwesen, BAB R 1001/6077, Bl. 120–122. Erste Beratungen über die Verordnung wurden von den Bezirksräten Anfang 1910 geführt. Sitzungsprotokoll des Bezirksrates von Rehoboth, 07.02.1910, NAN BRE 132 T.3.e-1.

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Neben der zusätzlichen finanziellen Belastung für die eng begrenzten Etats der Bezirksverbände wurden vor allem organisatorische Bedenken geäußert. Die Verordnung sah vor, dass die Tierärzte – wie schon zuvor – dem Bezirksrat gegenüber verantwortlich sein sollten. Aufgrund der direkten Anstellung der Veterinäre, so die Befürchtung, könnten aber potenziell Abhängigkeitsverhältnisse entstehen. Die Farmer sahen daher die Gefahr aufziehen, dass die Tierseuchenbekämpfung nicht mehr im allgemeinen, staatlich gelenkten Interesse erfolgen würde, da die Bezirke leicht im Eigeninteresse die Anzeige und Bekämpfung von Tierseuchen solange wie irgend möglich verzögern könnten.65 Als die Pläne durch einen Artikel in der BTW auch in Deutschland bekannt wurden, zeigte sich eine gewisse Ratlosigkeit. Eine solche Regelung sei nur dann sinnvoll, wenn dadurch eine Möglichkeit geschaffen werden würde, zur Unterstützung der Regierungsveterinäre weitere Tierärzte von den Bezirksverbänden anstellen zu lassen. Sollte die Kolonialverwaltung aber tatsächlich die Absicht haben, die bisherigen Regierungstierarztstellen einzuziehen, sei »diese Art zu sparen allerdings schwer begreiflich und die ganze Maßregel verdiente den entschiedensten Widerspruch«. Die Regierungstierärzte sollten eher ihre Tätigkeit in der Kolonie aufgeben als derartige Verträge abzuschließen.66 Von den Einwänden ließ sich die Kolonialverwaltung aber zunächst nicht beirren. Im April 1910 wurde die »Verordnung betreffend die Dienstverhältnisse der Bezirkstierärzte« dem Landesrat zur Beratung vorgelegt. Dieser war ebenfalls im Rahmen der Dezentralisierung der Verwaltung 1909 eingerichtet worden und stellte auf der Ebene des Gouvernements das Pendant zu den Bezirksräten dar. Die Mitglieder des Landesrates begrüßten zwar grundsätzlich die Absicht der Regierung, den Bezirksverbänden und damit der Bevölkerung mehr Vertrauen und Einflussnahme einzuräumen. Mit Blick auf die begrenzten finanziellen Ressourcen vertrat der Landesrat aber die Ansicht, dass »im Interesse einer gedeihlichen Entwicklung des Veterinärwesens und der Seuchenbekämpfung« die Tierärzte weiterhin als (kommissarische) Beamte des Gouvernements angestellt werden sollten. Anders als die Bezirks-

65 Zunächst wurde die Verordnung 1910 in der Märzausgabe der DSWAZ veröffentlicht. Die erste Reaktion darauf erfolgte im April. N. N., »Unser Veterinärwesen«, in: Windhuker Anzeiger 31 (April 1910), S. 5. 66 N. N., Gefährdung, S. 471–472.

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amtsmänner war das Gouvernement nicht an die Beschlüsse des Landesrates gebunden, dennoch wurde die geplante Verordnung fallen gelassen.67 Diese kurze Episode belegt einerseits das große Interesse und den Einfluss der Farmer an der weiteren Ausgestaltung des staatlichen Veterinärwesens. Es wird andererseits auch deutlich, dass innerhalb der Kolonialverwaltung offenbar nicht das nötige fachliche Verständnis vorhanden war, um konstruktive Lösungen zur Behebung des Personalmangels zu erarbeiten. Schließlich hätte die Anstellung der Veterinäre bei den Bezirksverbänden keine praktikable Lösung der eigentlichen Hauptbeschwerden der Regierungstierärzte geboten. Weder die als unzulänglich angesehene Besoldung noch die als ungerecht empfundene Rangstellung innerhalb der »Schutzgebietsbeamten« wären gelöst worden. Der Erlass einer neuen Kolonialbeamtengesetzgebung 1911 führte für die Veterinäre eine Gehaltssteigerung sowie eine Pensionsberechtigung ein. Auf letztere hatten diejenigen einen Anspruch, die eine mindestens zwölfjährige Tätigkeit im Kolonialdienst nachweisen konnten.68 Während zumindest die Gehalts- und auch Pensionsfrage ansatzweise gelöst wurde, änderte sich die Stellung der Veterinäre innerhalb der Kolonialverwaltung bis 1915 nicht. Dabei war es im »Schutzgebiet mit seinem hochentwickelten Beamten­ klassensystem keineswegs nebensächlich, welcher Klasse ein Beamter« angehörte.69 Zudem waren die Veterinäre aufgrund ihrer »Beamtenklasse« der erforderlichen Selbstständigkeit zur Ausführung ihrer Tätigkeiten beraubt, was nach Einschätzung des Leiters der Veterinärbehörde, Gmelin, dazu beigetragen hatte, dass sich die »besseren Beamten« nicht in den Kolonialdienst begeben hatten.70 Ein weiterer Vorstoß der Kolonialverwaltung, der darauf abzielte, die Arbeitsbelastung der Kolonialtierärzte zu reduzieren, kam indes zu spät. Viele der Leistungen, die die Regierungstierärzte im Rahmen ihrer Farmbesuche vornahmen, fielen nicht in den Bereich der staatlichen Tierseuchen­prävention und -bekämpfung, sondern gehörten zur sogenannten tierärzt­lichen Privatpraxis. Diese Tätigkeiten wie z. B. Kastrationen oder Klauenpflege erforder67 Zudem erachteten es die Mitglieder des Landesrates als dringend notwendig, dass in jedem Bezirk oder Distrikt ein Regierungstierarzt angestellt wird. Protokoll der Landesratssitzung vom 26. April 1910, o.P. als Anlage zu: Gouv. an RKA, 16.07.1910, betr. Veterinärwesen, BAB R 100/6077, Bl. 120–122. 68 Ostertag, Veterinärwesen, S. 108. 69 Gmelin, Organisation Veterinärwesen, BAB R 1001/6078, Bl. 10–67, hier: Bl. 31. 70 Ebd., Bl. 29–30.

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ten zwar gewisse tiermedizinische Kenntnisse, waren aber prinzipiell auch von versierten Laien ohne weiteres durchführbar. Im Deutschen Reich war gesetzlich festgelegt, dass die Regierungstierärzte für derartige Tätigkeiten den Viehbesitzern eine private Rechnung ausstellen konnten. So sollte verhindert werden, dass die Viehbesitzer die Dienste der Regierungstierärzte über Gebühr für diese zeitaufwändigen und veterinärpolizeilich weitgehend irrelevanten Arbeiten in Anspruch nahmen. Den Regierungsveterinären in DSWA war hingegen die Inrechnungstellung der Privatpraxis untersagt. Dies führte dazu, dass die im privaten Interesse der Farmer ausgeführten Leistungen der Regierungstierärzte offenbar als selbstverständlich und gegenüber den seuchenpolizeilichen Aufgaben als vorrangig angesehen wurden. Um dieser Arbeitsbelastung entgegenzuwirken, wurde ab 1907 über die Einführung einer Gebührenverordnung zur Privatpraxis diskutiert.71 Cheftierarzt Henning sprach sich 1908 gegen die Einführung einer Taxe für ausgeübte Privatpraxis aus. Seiner Ansicht nach sei das Gehalt der Regierungstierärzte »auskömmlich«. Ferner berge die Einführung der Taxe die Gefahr des Missbrauchs, würde sie es den Veterinären doch ermöglichen »die Behandlung irgend welcher kranken Tiere oder die Ausübung von Operationen zu ihrem eigenen Vorteil auszunützen«.72 Der Regierungstierarzt sei aber »wie sein englisch-kolonialer College…vor allen Dingen dazu da, dem Publicum jederzeit mit Rat und Tat beizustehen, ganz abgesehen davon ob die Patienten an Seuchen oder an nicht ansteckenden Krankheiten leiden«. Dennoch lag Ende 1912 ein Entwurf der Kolonialverwaltung für eine Verordnung zur tierärztlichen Privattaxe vor. Gestaffelt nach Kopfzahl der behandelten Tiere, wurden darin alle Tätigkeiten samt dem dafür fälligen Geldbetrag aufgelistet. Mit der Einführung der Taxe wollte die Kolonialverwaltung »dem Publikum zu Bewusstsein bringen, dass es sich hier um eine Fürsorgetätigkeit der Regierung handelte, für welche eine Gegenleistung gefordert werden kann«.73 Die daraus erzielten Einnahmen sollten aber nicht den Tierärzten, sondern der Gouvernementskasse zu Gute kommen. Bis auf 71 Dernburg an Gouv., 10.01.1908, Frage der Ausübung von Privatpraxis durch Regierungstierärzte, NAN ZBU 1307 O.II.g.1-1, Bl. 130. Dem Schreiben gingen lange Schriftwechsel über die Gebührenerhebung und deren Höhe sowie zur Frage nach der Rechtmäßigkeit von Privatpraxis durch Regierungstierärzte (zusätzliche private Einnahmen) voraus. 72 Henning an Gouv., 12.02.1908, Gebühren für Impfungen + Privatpraxis, NAN ZBU 1307 O.II.g.1-1, Bl. 13. 73 Gouv. an RKA, 11.12.1912, Vergütung für private Tätigkeit der Regierungstierärzte, BAB R 1001/6077, Bl. 203–204.

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Natal, wo eine ähnliche Tax-Verordnung galt, wurden in den restlichen Kolonien des südlichen Afrika Tätigkeiten der tierärztlichen Privatpraxis unentgeltlich von den Regierungstierärzten geleistet.74 Auch in DSWA hatten die Regierungstierärzte kein Interesse an dem Erlass der Verordnung. Vielmehr äußerten sie Bedenken, eine solche einzuführen. Die Veterinäre befürchteten, dass der rege und enge Austausch mit den Farmern unter der Einführung der Taxe leiden könnte. Durch die unentgeltlich durchgeführte Privatpraxis gewährten die Farmer den Regierungstierärzten sehr freimütig Zugang zu ihren Viehbeständen. Dies erleichterte seuchenpolizeiliche Beobachtungen, wodurch unter anderem jedes Jahr eine große Zahl von Räudefällen ermittelt werden konnte. Im Rahmen der Besuche fanden zudem »nicht bloss tierärztliche Beratungen, sondern auch Beratungen auf dem Gebiet der Tierzucht, Fütterung und privaten Hygiene statt«. Die begründeten und im Interesse der Seuchenprävention angeführten Einwände der Veterinäre wurden offenbar ignoriert. 1913 wurde die Tax-Verordnung zunächst probeweise eingeführt und gleichzeitig dem Landesrat vorgelegt, der der Einführung für 1914 zustimmte.75 Die Probleme, für die Besetzung der Regierungstierarztstellen entsprechend qualifizierte und auch engagierte Personen zu finden, resultierten in erster Linie aus der grundsätzlichen Schlechterstellung der im Kolonialdienst tätigen Tierärzte sowohl gegenüber ihren Kollegen im Deutschen Reich als auch innerhalb der kolonialen Verwaltung vor Ort. Die im Vergleich zum Deutschen Reich nachteiligeren Anstellungsverhältnisse der Veterinäre in der Kolonie – vor allem in Hinblick auf die Verdienstmöglichkeiten und Pensionsansprüche – sowie der strukturelle Aufbau der deutschen Kolonialverwaltung hatten dazu geführt, dass das Veterinärwesen die selbstgesteckten Anforderungen mindestens bis 1911 nicht vollständig erfüllen konnte. Zwar wurden die zentralen Probleme relativ schnell identifiziert. Deren Beseitigung zog sich jedoch hin. Zum einen brachten die Beamten der Kolonialverwaltung in Windhoek der Problematik nur wenig Verständnis entgegen. Dabei wird die Hierarchie innerhalb der Verwaltung, gepaart mit tiermedizinischer Unkenntnis, durchaus eine Rolle gespielt haben. Zum anderen wurde eine schnelle und befriedigende Lösung der Gehalts- und Pensionsbezüge durch die umständliche Regelung in Budgetfragen erschwert. Die Verwaltung 74 Henning an Gouv., 12.02.1908, Gebühren für Impfungen + Privatpraxis. NAN ZBU 1307 O.II.g.1-1, Bl. 13. 75 Cheftierarzt an Gouv., 12.04.1912, NAN ZBU 1307 O.II.g.1-1, Bl. 14–18. Verordnung betreffend Gebühren der Regierungstierärzte, in: Amtbl. 5/3 (1914), 41.

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Karte 5: Standorte von Regierungstierärzten in DSWA 1914 (Kartenvorlage: eigene Forschungsdaten)

in Windhoek musste alle finanziellen Belange mit der Kolonialbehörde in Berlin absprechen. Diese wiederum konnte Etataufstockungen nur mit Zustimmung des Reichstages genehmigen.76 Die Gehalts- und Pensionsbezüge betrafen zudem beamtenrechtliche Regelungen, die nur zentral in Berlin und dann auch für alle »Schutzgebiete« einheitlich geregelt werden konnten. Nachdem dies 1911 weitgehend geschehen war, konnte Gouverneur 76 Das Budgetrecht war für den Reichstag die einzige Möglichkeit, auf die Kolonialpolitik Einfluss zunehmen. Von diesem Instrument machten der Reichstag und insbesondere die kolonialkritischen Abgeordneten auch Gebrauch. Am bekanntesten ist die Weigerung, 1907 eine Aufstockung der Gelder für die Kriegsführung zu bewilligen, was zur Auflösung des Reichstages und anschließenden Neuwahlen, den sogenannten »Hottentottenwahlen«, führte. Sobich, S. 73–79.

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Seitz die weitere professionelle Ausdifferenzierung des Veterinärdienstes lancieren und es gelang, bis 1914 alle 18 Regierungstierarztstellen zu besetzen (s. Karte 5). In den Augen des Leiters des Referats für Veterinärwesen in Windhoek, Gmelin, blieb die fachliche Eignung der neuangekommenen Regierungstierärzte indes immer noch ausbaufähig.77 Bei der Einrichtung der veterinärbakteriologischen Laboratorien traten ähnliche Hemmnisse auf. Die dafür erforderlichen Mittel stammten überwiegend von der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft und der DKG.

4.2 Schaffung von Wissensorten: Das veterinärbakteriologische Institut Gammams und andere tiermedizinische Einrichtungen Im Zuge seiner Forschungsarbeiten zur Pferdesterbe hatte Ludwig Sander bereits 1894 der Kol.Abt. den Vorschlag unterbreitet, eine wissenschaftliche Forschungsstation in DSWA einzurichten.78 Aufgrund der hohen Kosten für den Bau einer solchen Station traten die entsprechenden Planungen zunächst in den Hintergrund. Erst der Ausbruch der Rinderpest 1897 bot einen dringenden Anlass, auf der sechs Kilometer westlich von Windhoek gelegenen Farm Gammams79 umgehend eine Station zu weiteren praktisch-wissenschaftlichen Untersuchungen und zur Impfstoffproduktion für die Bekämpfung der Rinderpest einzurichten. Angesichts der zentralen ökonomischen Bedeutung der Viehzucht für die Kolonie sollten darüber hinaus sobald als möglich auf der Station Gammams zuerst wissenschaftliche Untersuchungen und Versuche zur Erreichung einer verbesserten Impfmethode gegen die Lungenseuche des Rindviehs, sodann zur Bekämpfung der Pferdesterbe vorgenommen werden.80 77 Gmelin, Organisation Veterinärwesen, BAB R 1001/6078, Bl. 10–67, hier: Bl. 16–18. 78 Die Einrichtung eines Laboratoriums hatte Sander bereits während seines Aufenthalts in der Kolonie gefordert und in seiner 1895 erschienenen Denkschrift erneut deren Wichtigkeit betont. Zu den Forderungen und der Denkschrift Sanders siehe Kapitel 1.2. dieser Arbeit. 79 Das historische Gelände der Forschungsstation und späteren Kaiserlichen Bakteriologischen Instituts Gammams ist nicht mehr ohne weiteres lokalisierbar. Es lag im Südwesten des heutigen Stadtgebietes von Windhoek am Gammams-Rivier (Bezeichnung für Trockenfluss). 80 Lindequist an Kol.Abt., 15.10.1897, Bau der Station Gammams, BAB R 1001/6092, Bl. 1–5, hier: Bl. 2.

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Die wissenschaftlichen Arbeiten in Gammams wurden 1899 aufgenommen. Gleichzeitig diente die veterinärbakteriologische Forschungsstation als Wohnsitz des Cheftierarztes und ab 1901 als Schulungszentrum für alle neu ankommenden Tierärzte. Ab 1911 wurden neben den Regierungstierärzten auch Fleischbeschauer in Gammams ausgebildet.81 Seit den während der verheerenden Rinderpest gesammelten Erfahrungen galt der veterinärmedizinischen Forschung die besondere Aufmerksamkeit der Kolonialverwaltung. Analog zur personellen Aufstockung des Veterinärdienstes wurde die Kolonie bis zum Ausbruch des Krieges 1904 »mit einem Netz von Veterinär-Instituten überspannt«.82 Ab 1899 wurden neben dem Forschungslabor in Gammams weitere Veterinärlabore in Grootfontein, Friedrichsfelde (Karibib), Auros-Gariganis (Keetmanshoop) und Kranzplatz (Gibeon) eingerichtet und weitere Stationen in Outjo und Omaruru waren geplant (s. Karte 6).83 Der Ausbau der tiermedizinsichen Forschungslaboratorien zielte darauf ab, die veterinärmedizinische Versorgung weiter zu verbessern, um den von der Rinderpest ausgelösten sozio-ökonomischen Umwälzungsprozess zu Gunsten der europäischen Viehwirtschaft zu sichern und weiter voranzutreiben. Nicht durch Zufall befanden sich die Labore wie auch die Standorte der Regierungstierärzte ausschließlich innerhalb der nach 1907 geschaffenen Polizeizone, jenem Gebiet Namibias, das von der Kolonialmacht als wirtschaftlich bedeutend eingeschätzt wurde und auf dessen Sicherung sich die Kolonialverwaltung bis 1914 konzentrierte. Die veterinärbakteriologischen Labore sollten den Regierungstierärzten zur wissenschaftlichen Einzelforschung sowie zur Unterstützung der in Gammams betriebenen Forschungsarbeiten dienen. Aufgrund der personellen Unterbesetzung des Veterinärdienstes waren die Stationsleiter aber überwiegend mit praktischen Tätigkeiten befasst. Die Laborräume wurden daher nicht für wissenschaftliche Forschungszwecke, sondern in erster Linie als Medikamentendepots, zur Aufstellung von Zuchttieren sowie als Wohnung für den Tierarzt und dessen Gehilfen genutzt.84 81 Seitz an Sieber, 13.03.1912, Geschäftsanweisung des bakteriologischen Instituts, NAN Bez Wdh T 3 e-1; Sieber an Gouv. und Hochbauamt, 05.05.1914, Erläuterungen betr. Auslastung / Erweiterung von Wohngebäuden Gammams, NAN BAU 095 G.WI.3-2. 82 Rickmann an Kol.Abt., 05.09.1906, BAB R 1001/6077, Bl. 21–23. 83 Auflistungen über die in DSWA eingerichteten Veterinärlabore (ohne das Institut in Kranzplatz) finden sich bei Kremp, S. 26 und Schneider, S. 26–28. Eine vollständige Auflistung der bis 1904 in Betrieb befindlichen Veterinärinstitute: Rickmann an Kol Abt., 05.09.1906, BAB R 1001/6077, Bl. 21–23. 84 Rickmann, Tierzucht, S. 75.

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Karte 6: Standorte Veterinärinstitute (Kartenvorlage: eigene Foschungsdaten)

In seiner Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte DSWAs, bemerkt K ­ aulich, dass die Forschungsstation Gammams »bis zum Ende der deutschen Kolonialherrschaft wertvolle Forschungsarbeiten« geleistet habe.85 In den Akten 85 Kaulich, S. 365. Ein ähnliches Bild von den Forschungsarbeiten bei: Schneider, S. 24–26. Damit sitzen beide den kolonialhistoriographischen Darstellungen der 1920er Jahre auf, die bemüht waren, ein positives Bild der deutschen Kolonialherrschaft zu zeichnen. So stellte etwa der ehemalige Cheftierarzt DOAs, Georg Lichtenheld, das koloniale Veterinärwesen in DSWA 1926 wie folgt dar: »Außer einer auf alle Distrikte sich erstreckenden Veterinärorganisation besaß Südwestafrika ein ausgezeichnet eingerichtetes Veterinärinstitut, in dem die für das Schutzgebiet zur Bekämpfung der Seuchen erforderlichen Impfstoffe hergestellt und die weitere Erforschung der Tierseuchen eifrig betrieben wurde.« Lichtenheld, Über Tierseuchen, S. 147.

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finden sich hingegen lediglich Hinweise darauf, dass umfangreichere veteri­ närmedizinische Forschungsarbeiten nur von Rickmann und Leipziger zwischen 1899 und 1907 durchgeführt worden waren. Wie bereits ausgeführt, konzentrierten sich diese vor allem auf die Entwicklung eines Immunisierungsverfahrens gegen die Pferdesterbe. Nachdem Rickmann 1906 und im darauffolgenden Jahr Leipziger die Kolonie verlassen hatten, kamen die tiermedizinischen Forschungsarbeiten weitgehend zum Erliegen. Otto Henning, Rickmanns Nachfolger als Cheftierarzt, trat erst 1908 seine Stelle an und war aufgrund personeller Engpässe und wegen des Ausbruchs der Schafpocken nicht in der Lage, Forschungsarbeiten zu betreiben. Erst 1912 im Zuge der Trennung des wissenschaftlichen und praktischen Veterinärdienstes wurde das veterinärbakteriologische Institut Gammams wieder in Stand gesetzt, modernisiert und erweitert. Die Leitung des Instituts – und damit der wissenschaftlichen Abteilung – übernahm Hans Sieber. Dieser war zuvor in Pretoria am Onderstepoort Institute von Arnold Theiler als Assistent tätig gewesen und hatte sich mit der Erforschung der von Zecken übertragenen Gallenseuche sowie der Pferdesterbe befasst.86 Sieber veranlasste die Überholung und Ergänzung der vorhandenen Ausrüstung und begann ab Mitte 1912 wieder mit der Produktion von Impfsera sowie der Vorbereitung größerer Forschungsarbeiten.87 Um deren Durchführung zukünftig gewährleisten zu können, wurde ab 1912 das Institut als selbstständige Dienststelle direkt dem Gouvernement unterstellt. Aufgrund der vollkommenen organisatorischen Trennung funktionierte die Kooperation zwischen den Regierungstierärzten und dem Institut in der Praxis alles andere als reibungslos. Zwar sandten die einzelnen Regierungstierärzte Blutausstriche und andere Präparate zu Diagnosezwecken ein und erhielten auch zeitnah Rückmeldungen. Der Cheftierarzt des praktischen Veterinärdienstes, Gmelin, hingegen monierte, dass er nur begrenzte Kenntnisse über die am Institut durchgeführten Forschungs- und Diagnosearbeiten hatte. Er plädierte daher für eine organisatorische Anpassung. Zwar sollten der praktische und wissenschaftliche Dienst weiterhin getrennt bleiben, der Leiter des praktischen Veterinärdienstes sollte aber de facto zum

86 Zu Siebers Tätigkeiten und Werdegang siehe auch den entsprechenden Eintrag der S2A3 Database. http://www.s2a3.org.za/bio/Biograph_final.php?serial=2580 (zuletzt eingesehen 10.12.2016). 87 Gouv. an RKA, 11.03.1912, Auslastung des Instituts Gammams, NAN ZBU 1302 O.II.c.5-1, Bl. 19.

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Cheftierarzt DSWAs ernannt werden. Diesem sollte der wissenschaftliche Dienst formal untergeordnet und dessen Leiter zum stellvertretenden Cheftierarzt der Kolonie ernannt werden. Ferner sollten dem Cheftierarzt alle seuchenpolizeilich relevanten Meldungen vorgelegt sowie die Koordination der Forschungsarbeiten überantwortet werden. Dabei orientierte sich Gmelin an dem »Geschäftsgang« des Reichsgesundheitsamtes, dessen tierärzt­ licher Abteilung auch der koloniale Veterinärdienst schlussendlich unterstellt war.88 Diese Vorschläge verfasste Gmelin im Januar 1915. Sechs Monate später, am 9. Juli 1915, kapitulierten die letzten Verbände der deutschen Schutztruppe und DSWA wurde von der Südafrikanischen Armee besetzt. Die Militäradministration schloss kurz darauf alle veterinärmedizinischen Einrichtungen. Zusammenfassend erscheint es wenig verwunderlich, dass die Ergebnisse der in Gammams betriebenen veterinärmedizinischen Forschungsarbeiten gemessen an den eigenen Vorgaben, aber auch im Vergleich zu den in Onderstepoort erzielten Erfolgen eher bescheiden ausfielen. So fehlte in der deutschen Kolonie zumindest zwischen 1907 und 1912 das für die Durchführung wissenschaftlicher Arbeiten erforderliche Personal. Hinzu kam, dass es schlicht an Zeit mangelte. Zwischen 1904 und 1906 war das Institut Gammams – wie auch alle anderen Veterinärlabore – durch den Krieg zerstört worden. Angesichts der organisatorischen Querelen ist es zudem unwahrscheinlich, dass die wissenschaftliche Forschung, wie Schneider 1977 behauptete, unter der Leitung von Sieber »aufblühte«. Schließlich stand Sieber nach seinem Dienstantritt im März 1912 dafür »nur« ein relativ kleines Zeitfenster von knapp zweieinhalb Jahren zur Verfügung. Daneben wirkte sich auch die geographische Lage und Ausstattung des Instituts in Gammams nachteilig auf die Durchführung groß angelegter Forschungsprojekte aus.

4.2.1 Neubau oder Erweiterung? Die »Osona-Debatte«

Rickmann hatte als einer der ersten Kritik an der Organisation des kolonialen Veterinärwesens geäußert. Neben einer dringenden Vermehrung des Personals forderte er 1908 die Trennung des praktischen und wissenschaftlichen Dienstes. In Bezug auf die wissenschaftlichen Institute verlangte Rickmann

88 Gmelin, Organisation Veterinärwesen, BAB R 1001/6078, Bl. 10–67, hier: Bl. 49.

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eine Aufstockung des Forschungsetats. Dazu verwies er auf den Etat, den die Regierung Transvaals für veterinärbakteriologische Forschungen aufwandte. Dieser war rund fünfmal höher als der Jahresetat, der dem gesamten Veterinärwesen in DSWA zur Verfügung stand.89 Im Januar 1910 wurden die mit Blick auf die tiermedizinischen Forschungsarbeiten relativ unkonkreten Vorschläge Rickmanns von der DKG aufgenommen und weiter präzisiert. Nach deren Ansicht spielte die gezielte Förderung der Forschungen zur Entwicklung bzw. Verbesserung von Immunisierungsmethoden gegen Tierseuchen eine zentrale Rolle bei der Hebung der kolonialen Viehzucht. Der Plan, ein entsprechendes Seuchenlabor in Deutschland zu gründen, wurde von der DKG verworfen, da eine »Unterrichtung der betroffenen Viehhalter und der Tierärzte…nur sehr eingeschränkt« möglich gewesen wäre. Zudem waren in Deutschland Versuche zu einzelnen Viehseuchen wie der Rinderpest und der Lungenseuche verboten. Die DKG forderte daher, entweder das Institut in Gammams zu erweitern oder besser gleich einen Neubau an geeigneter Stelle zu errichten.90 Diese Initiative der DKG entsprach zwar der von Kolonialstaatssekretär Dernburg seit 1907 lancierten Neuausrichtung der Kolonialpolitik, deren oberste Priorität die wirtschaftliche Ausbeutung der Kolonien war. Dennoch reagierte das RKA angesichts der erheblichen Kosten zunächst verhalten auf den Vorschlag, ein neues Viehseucheninstitut in DSWA einzurichten. Schließlich sei für Forschungszwecke das »Institut Gammams, für welches bereits erhebliche Mittel aufgewendet« worden seien, vorhanden. Grundsätzlich bezweifelten aber weder Dernburg noch Gouverneur Schuckmann, dass die Einrichtung eines mit den modernsten Apparaten ausgerüsteten Seuchenlaboratoriums im Interesse der Viehzucht unbedingt erfolgen musste.91 Daher begann die Kolonialregierung ab 1910 entsprechende Informationen von Experten einzuholen und Pläne zu entwickeln. Zentral ging es dabei um die Frage, ob ein Ausbau des bestehenden veterinärbakteriologischen

89 Laut Rickmann betrug allein der jährliche Forschungsetat in Transvaal 200.000 RM, der des Veterinärdienstes in der deutschen Kolonie insgesamt 36.000 RM. Rickmann, Tierzucht, S. 74–75. 90 Strauch (stellv. Präsident DKG) an Dernburg, 19.01.1910, (Neu)Errichtung einer bakteriologischen Station und personelle Aufstockung des Veterinärwesens in DSWA, BAB R 1001/6093a, Bl. 185–190. 91 Dernburg an DKG, 28.02.1910, BAB R 1001/6093a, Bl. 194.

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Forschungslabors in Gammams oder ein Neubau an einem anderen Ort erfolgen sollte. Mit dieser Frage befassten sich der Cheftierarzt Henning sowie der vom RKA in die Kolonie entsandte Robert von Ostertag. Neben der Bekämpfung der Schafpockenseuche war Ostertag damit beauftragt worden, »die Einrichtung des Veterinärwesens…zu studieren und Vorschläge zu seiner etwaigen Ausgestaltung zu machen«.92 Daher besichtigte Ostertag gemeinsam mit Henning das Institut in Gammams. Dieses war, laut Ostertags Bericht, für die bislang dort durchgeführten Untersuchungen zur Pferdesterbe und Rinderpest sowie die bakteriologische Prüfung eingesandten Materials gut eingerichtet. Für die anstehenden Arbeiten zur Erforschung der von unbekannten Erregern verursachten Infektionskrankheiten sowie der von Zecken und Insekten übertragenen Protozoenerkrankungen samt den damit verbundenen Arbeiten zur Herstellung von Impfstoffen sei das Institut hingegen unzureichend ausgestattet.93 Zu einer ähnlichen Einschätzung kam auch Henning. Wie Ostertag hatte sich dieser für eine Erweiterung des Laboratoriums in Gammams »niemals recht begeistern können«.94 Laut Henning reichten zudem die Wasser- und Weideverhältnisse in Gammams schon für den derzeitigen Betrieb kaum aus. So mussten die zu Versuchszwecken gehaltenen Meerschweinchen und Kaninchen »in Windhuk untergebracht werden, weil Gammams das…notwendige Grünzeug nicht aufbringen konnte«.95 Abgesehen davon sei die Lage der Station wegen ihrer Nähe zu anderen Farmen, der fehlenden Einzäunung sowie der über das Weidegelände verlaufenden öffentlichen Wege für umfangreichere Tierseuchenforschungen ungeeignet. Sowohl Ostertag als auch Henning sprachen sich daher für den Neubau eines Instituts zur Tierseuchenforschung und Produktion von Impfstoffen an einem geeigneteren Ort aus. Als Vorbild für die Anlage eines Seucheninstituts diente das Theilersche Institut Onderstepoort bei Pretoria, das sowohl Henning als auch Ostertag aus eigener Anschauung kannten.96

92 Ostertag, Veterinärwesen, S. IV. 93 Ebd., S. 111–113. 94 Henning an Gouv., 10.10.1910, Stellungnahme bezüglich Ausbau Gammams resp. Vorschlag zur Neuerrichtung eines Instituts am anderen Ort, NAN ZBU 1302 O.II.c.1-1, Bl. 3. 95 Ebd. 96 Henning hatte sich dort mehrfach während seiner Dienstzeit als Regierungstierarzt der britischen Kolonialverwaltung aufgehalten, während Ostertag das Institut im Anschluss an seinen Aufenthalt in DSWA besuchte. Ostertag, Veterinärwesen, S. 150–155.

Entstehung und Ausgestaltung des staatlichen Veterinärwesens

Auf der Grundlage dieser Empfehlungen wurde 1911 das Hochbaureferat des Gouvernements beauftragt, die entsprechenden Projektierungsarbeiten für den Bau eines veterinärbakteriologischen Instituts auszuführen. Im Oktober 1911 lag ein erster Entwurf für einen Institutsneubau beim RKA vor. Dieser wurde von einem Expertengremium, bestehend aus Ostertag, Generaloberarzt Steudel, Stabsveterinär Rakette und Gmelin, begutachtet und als adäquat befunden. Mit Blick auf die Kosten wiesen die Experten darauf hin, dass einige der Bauten auch zu einem späteren Zeitpunkt errichtet werden könnten, ohne dass die anliegenden Aufgaben und der Betrieb des Instituts darunter leiden würden.97 Bei der Berechnung der durch die aus der Impfstoffproduktion zu erwartenden Einnahmen des Instituts machten die Experten zwar keine konkreten Angaben, gaben aber als Richtlinie die vom Onderstepoort Institute im Jahr 1909 abgegebenen Impfstoffmengen an. Dies stellte angesichts des insgesamt deutlich geringeren Viehbestandes in DSWA eine durchaus optimistische Schätzung dar. Ungeklärt war indes weiterhin die Frage, wo ein neues veterinärbakteriologisches Institut errichtet werden sollte. Henning und Ostertag hatten die in der Nähe von Okahandja gelegene Kleinsiedlung Osona sowie die dichter an Windhoek liegende Regierungsfarm Brakwater vorgeschlagen. Beide Orte verfügten über die erforderlichen Weide- und Wasserverhältnisse. Ostertag plädierte für Brakwater, da aufgrund der Nähe zu Windhoek der Geschäftsverkehr zwischen dem Gouvernement und dem Institut leichter aufrecht zu erhalten sei.98 Henning hingegen trat für Osona ein, nicht zuletzt deshalb, weil die deutsche Farmgesellschaft plante, eine Fleischkonservenfabrik in Okahandja zu errichten.99 Anfang 1912 unterstützen auch die Mitglieder des Bezirksrates von Okahandja einen Institutsneubau in Osona. In einem Schreiben an das Gouvernement legten die Mitglieder dar, dass die Errichtung eines »Landesinstituts« nicht nur der geplanten Fleischkonservenfabrik, sondern der Farmwirtschaft des gesamten Bezirks zu Gute kommen würde. Da in Okahandja kein Regierungstierarzt stationiert war, würde durch das

97 Ostertag an RKA, 29.03.1912, betr. Entwurf eines Bakteriologischen Instituts für DSWA (aggregierter Bericht der Sachverständigenkommission), NAN ZBU BAU 094 G.WI.3-1, Bl. 50–54. 98 Auf diese Umstände machte Ostertag wiederholt aufmerksam. Ostertag an RKA, 29.03.1912, Gutachten zum geplanten Institutsneubau, NAN BAU 094 G.WI.3-1; ­Ostertag, Veterinärwesen, S. 113. 99 Henning an Gouv., 10.10.1910, NAN ZBU 1302 O.II.c.1-1, Bl. 3.

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Institut – so die Hoffnung der Farmer – die veterinärmedizinische Versorgung des Bezirks verbessert werden.100 Ab 1912 finden sich in den Akten der Kolonialverwaltung keine Gutachten mehr, in denen auf Brakwater als Institutsstandort eingegangen wird. Während weiterhin über die Finanzierung verhandelt wurde, hatte sich Gouverneur Seitz offenbar für Osona als Platz für ein neues Institut entschieden. Den Empfehlungen Ostertags vertraute das Gouvernement offenbar weniger als der Eingabe des Bezirksrates und der Einschätzung Hennings. Dies erscheint insofern nachvollziehbar, als sich Ostertag nur relativ kurze Zeit in der Kolonie aufgehalten hatte, während sowohl die Farmer als auch der Cheftierarzt seit längerem mit den lokalen Gegebenheiten vertraut waren. Dann reichte der neue Leiter von Gammams, Hans Sieber, im September 1913 einen Bericht beim Gouvernement ein, in dem er sich gegen die Wahl von Osona als Institutsstandort aussprach. Demnach sei bei der Wahl des Platzes für ein neues Veterinärinstitut bislang die Möglichkeit der Weiterverbreitung einer Seuche durch infizierte Versuchstiere auf die umliegenden Bestände nur mangelhaft berücksichtigt worden. Im Falle von Osona sei diese Gefahr, laut Sieber, als sehr hoch einzustufen. Durch eigene Nachforschungen sowie durch Gespräche mit Ansiedlern hatte Sieber erfahren, dass in der Gegend die Malaria endemisch auftrete und die sie übertragenden Anophelesmücken insbesondere auf dem für das Institut in Aussicht genommenen Gelände sehr häufig vorkämen. Ferner gab Sieber zu bedenken, dass das Vorkommen der Anophelesmücke und der Malaria erfahrungsgemäß mit dem Auftreten der Pferdesterbe koinzidiere. Zudem habe er auch mindestens zwei Zeckenarten identifiziert, von denen zumindest eine nachweislich das Texasfieber übertrage. Darüber hinaus habe Sieber vor Ort eine Stechfliege gefunden, die ebenfalls als potenzieller Krankheitsüberträger in Betracht gezogen werden müsse. Das Vorkommen dieser Vektorinsekten sowie die Tatsache, dass an dem Institut intensive Tierseuchenforschungen vorgenommen werden sollten, stellten laut Sieber eine potenzielle Gefahr für die Anwohner und deren Viehbestände dar. Erschwerend kam hinzu, dass der projektierte Standort lediglich 500 Meter von der Bahnstation und nur zweieinhalb Kilometer vom Weidegebiet Okahandjas entfernt lag. Entsprechend könne selbst unter höchsten Vorsichtsmaßnahmen eine Seuchenverschleppung durch blutsau100 Distriktamt Okahandja an Gouv., 13.01.1912, Stellungnahme Bezirksrat zur Errichtung eines bakteriologischen Instituts, NAN ZBU 1302 O.II.c.1-1, Bl. 14–15.

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gende Parasiten nicht ausgeschlossen werden. Sieber empfahl daher die Erweiterung des Instituts in Gammams, da dort keine Vektorinsekten nachgewiesen werden konnten. Zudem sei es nach dem Kenntnisstand Siebers in Gammams trotz der schlechten Unterbringungsmöglichkeiten, fehlenden Einzäunung und der öffentlichen Wege noch zu keiner Ansteckung von Nachbarvieh gekommen.101 Zu diesen Empfehlungen kam Sieber aufgrund seiner seit 1910 in Onderstepoort erworbenen Kenntnisse. Dort hatte er sich intensiv mit vektorübertragenen Tierkrankheiten befasst. Keiner der Experten, die zuvor an der Debatte um einen Institutsneubau beteiligt waren, verfügte über eine vergleichbare Erfahrung. Siebers Expertise gab offenbar den Ausschlag dafür, dass er als einziger tiermedizinischer Sachverständiger die weiteren Planungen begleitete. In einem weiteren Gutachten zum Entwurf des Baureferats wies Sieber 1913 darauf hin, dass die für Osona geplanten Räumlichkeiten nicht über die bereits in Gammams verfügbaren hinausgingen. Eine dem Entwurf des Gutachtens beiliegende Kostenaufstellung, aus der hervorging, dass der Ausbau von Gammams lediglich zwei Prozent günstiger sein werde als ein Neubau, strich Sieber aus seinem offiziellen Bericht.102 Im November 1913 reichte das Hochbauamt einen überarbeiteten Entwurf beim Gouvernement ein. Darin waren neben einem Neubau auch die Kosten für eine Erweiterung von Gammams berücksichtigt worden. Letztere werde, so die Berechnungen des Hochbaureferates, rund 15 % günstiger ausfallen.103 Es sah zunächst so aus, als habe sich die Erfahrungsexpertise von Sieber durchgesetzt und das Institut Gammams würde erweitert werden. Doch Anfang 1914 wurden aus finanziellen Gründen sämtliche Pläne für einen Institutsneubau bzw. die Erweiterung von Gammams zurückgestellt. Nach seiner Ernennung zum Referenten für das Veterinärwesen blockierte dann Gmelin vehement einen Ausbau von Gammams. Ungeachtet der seit September 1914 begonnenen Invasion DSWAs durch südafrikanische Truppen plädierte Gmelin noch im Januar 1915 dafür, zukünftig die Aufgaben des Veterinärinstituts über die Erforschung von Infektions- und Protozoenkrankheiten hinaus auszuweiten. Aufgrund der Erfahrungen der

101 Sieber an Gouv., 06.09.1913, Bericht zur Wahl des Platzes für das neue Veterinärinstitut (Osona), NAN ZBU 1302 O.II.c.1-1, Bl. 100–101. 102 Sieber an Hochbaureferat, 03.10.1913, betr. Entwurf eines bakteriologischen Instituts, NAN BAU 095 G.WI.3-2. 103 Hochbaureferat an Gouv., 21.11.1913, NAN ZBU BAU 095 G.WI.3-2, Bl. 3–5.

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letzten Jahre sowie der mittlerweile in der Südafrikanischen Union aufgenommen Forschungsarbeiten hielt Gmelin es für dringend erforderlich, die Forschungsbemühungen auch auf Fragen der Fütterungshygiene, Giftpflanzen sowie Versuche mit Viehbädern auszudehnen. Vor allem letztere seien ein »sehr wichtiger Faktor in der Entwicklung der afrikan. Viehzucht«.104 Gmelin empfahl, für diese Forschungsvorhaben ein neues Institut »im Norden oder Süden von Windhuk auf der östlichen Bahnseite« zu errichten. Dort seien die Weide- und Wasserverhältnisse vor allem für die Optimierung von Vieh­ bädern ausreichend. Zudem sei das dortige Gelände geeignet, das Veterinärinstitut über die bislang entwickelten Pläne hinaus »erweiterungsfähig« anzulegen. In seinem Bericht skizzierte Gmelin ausführlich, wie das zu errichtende Veterinärinstitut sukzessive zu einem veterinär- und tropenhygie­nischen Laborkomplex ausgebaut werden sollte. Neben tiermedizinischen Forschungseinrichtungen sollten weitere Labore und Arbeitsräume für die »MedizinalAbteilung« entstehen, in denen neben Forschungsarbeiten zur Bekämpfung von Typhus, Syphilis, Diphterie und Pocken »unter den Eingeborenen und Weißen« auch alle »notwendigen Untersuchungen der klimatischen Einflüsse…auf Körper und Geist des Weissen« ausgeführt werden sollten.105 Im Interesse der kolonialen Herrschaftssicherung verfolgte Gmelin mit diesem Plan das Ziel, die veterinär- und humanmedizinische Wissensproduktion in der Kolonie zu bündeln. Diese gewonnenen Erkenntnisse seien schließlich von eminent praktischem Wert und »bestimmend für das Verhalten und die Anpassung des Ansiedlers überhaupt«. Zudem könne die Einsatzbereitschaft der Exekutivkräfte und ihrer Reittiere in den Tropen effizienter gewährleistet und gleichzeitig die Arbeitsleistung der indigenen Bevölkerung durch eine »erhöhte hygienische Fürsorge« gesteigert werden.106 Damit ging Gmelin weit über das Vorbild des Instituts in Onderstepoort und die Vorschläge der anderen Experten hinaus. Vielmehr entwarf Gmelin die Einrichtung eines umfassenden medizinisch-naturwissenschaftlichen und praxisorientierten Forschungskomplexes, dessen Aufgabe allein in der weiteren Ausdehnung und Zementierung der kolonialen Herrschaft bestand. Nach Gmelins Auffassung war die Regierung sogar verpflichtet, ein derartiges Vorhaben mit allen Mitteln zu fördern, »[w]enn das Land, selbst in bescheidenem Umfang, Siedlungskolonie werden soll«.107 Die Kapitulation der deutschen 104 Gmelin, Organisation Veterinärwesen, BAB R 1001/6078, Bl. 10–67, hier: Bl. 62. 105 Zu den Plänen siehe ausführlich: Ebd., Bl. 64–67. 106 Ebd., Bl. 65. 107 Ebd., Bl. 64.

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Streitkräfte im Juli 1915 und die kurz darauf erfolgte Schließung des Instituts in Gammams führten jedoch dazu, dass sämtliche Pläne hinfällig wurden.

4.2.2 Veterinärlabore im Kontext kolonialer Herrschaftssicherung

Mit Ausnahme der Entwicklung eines Immunisierungsverfahrens gegen die Pferdesterbe waren die veterinärmedizinischen Forschungen in DSWA insgesamt hinter den mehrfach formulierten eigenen Ansprüchen zurückgeblieben. Dennoch spielten die Veterinärinstitute im Hinblick auf die Modernisierung der Viehwirtschaft und damit des kolonialen Herrschaftsanspruches eine nicht zu unterschätzende Rolle. So ermöglichten die Herstellung von Impfstoffen gegen Tierseuchen sowie die Untersuchung von eingesandten Präparaten zur Seuchenkontrolle überhaupt erst die Anordnung und Durchsetzung veterinärpolizeilicher Maßnahmen. Zudem dienten die bakteriologischen Überprüfungen dazu, die Einschleppung von Tierseuchen zu verhindern bzw. den Ausbruch einer Seuche möglichst früh zu erkennen und effektiv unter Kontrolle zu bekommen. Somit konnte die kommerzielle Viehzucht, die die wesentliche Grundlage des Wohlstandes der Siedlergesellschaft bildete, vor größeren Verlusten bewahrt werden. Auch die kolonialen Exekutivkräfte profitierten von den in Gammams betriebenen Forschungen. Wie bereits ausgeführt, trug die Produktion von Pferdesterbeimpfstoff direkt zur Sicherung des kolonialen Herrschaftsanspruches bei. Die ab 1906 durchgeführten Impfungen von Maultieren sicherten die Einsatzbereitschaft der Exekutivkräfte und unterstützten so die Bemühungen der Kolonialverwaltung, die Kontrolle über das Territorium aufrechtzuerhalten. Neben den diagnostischen Arbeiten und der Immunisierung von Tieren diente das Institut Gammams zudem als staatliche Kontrollinstanz für von veterinärmedizinischen Laien entwickelte Heilverfahren. In der Hoffnung, den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen zu können, griffen Farmer und andere Laien zur Behandlung der kranken Tiere meist auf Mittel zurück, die auf den Farmen verfügbar waren. So wurden beispielsweise pferdesterbekranke Tiere mit Tabaksud, Brechweinstein, Salizylsäure, Carbolsäure und Chinin behandelt. Bei einigen Krankheiten konnten diese »Medikamente« aufgrund ihrer antibakteriellen Wirkung durchaus den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen, im Fall von Viruserkrankungen wie der Pferdesterbe ist dies jedoch ausgeschlossen. Dennoch behaupteten Tierbesitzer immer wieder, dass sich nach der Verabreichung sogenannter »Boerenmittel« eine

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deutliche Besserung des Zustandes pferdesterbekranker Tiere eingestellt habe oder diese sogar wieder vollkommen gesund geworden seien.108 Einige versuchten, aus diesen scheinbaren Erfolgsmeldungen wirtschaftlichen Profit zu schlagen und boten ihre vermeintlichen Heilmittel gegen Pferdesterbe sowohl den Farmern als auch der Kolonialverwaltung an. Gleichzeitig kursierten in der Kolonie Gerüchte, wonach die Kolonialverwaltung  – wie in Transvaal – eine Prämie für die Entwicklung einer Heilmethode gegen die Sterbe ausgesetzt habe. Entsprechend gingen regelmäßig Mitteilungen von Ansiedlern beim Gouvernement ein, in denen behauptet wurde, ein solches Heilmittel gefunden zu haben. In den meisten Fällen machten die Erfinder der Heilverfahren keinerlei Angaben über die Art und Zusammensetzung des Mittels. Stattdessen erkundigten sich die meisten nach der Höhe der ausgesetzten Prämie. Eine solche hatte die Kolonialverwaltung zwar zu keinem Zeitpunkt ausgesetzt, dennoch wurden die »Erfinder« aufgefordert, ihre Mittel für eine wissenschaftliche Überprüfung in Gammams zur Verfügung zu stellen.109 Auch wenn die Regierungstierärzte grundsätzlich der Ansicht waren, dass eine Behandlung oder gar Heilung der Pferdesterbe durch »Boerenmittel« unmöglich sei, nahmen sie Meldungen über vermeintlich erfolgreiche Heilmittel durchaus ernst. Mit Blick auf die während der Rinderpestepizootie gemachten Erfahrungen vertrat Cheftierarzt Rickmann die Ansicht, dass jedes empirisch angepriesene Heilmittel geprüft werden sollte. Schließlich bestand die Möglichkeit – ähnlich wie im Fall der Koch’schen Gallenimpfung –, durch Zufall auf ein tatsächlich wirksames Mittel zu stoßen. Mit Blick auf die Vermeidung größerer Kosten sei bei den entsprechenden Prüfungen aber Vorsicht geboten.110 Eine der ersten Überprüfungen in Gammams wurde 1906 an dem von Dirks van Schalkryk entwickelten Pferdesterbe-Heilverfahren durchgeführt. Laut eigener Aussage hatte Schalkryk bereits im Lauf des Jahres 1905 in den Bezirken Windhoek und Okahandja mehrere Pferde von Farmern behandelt und behauptete, ein therapeutisches sowie prophylaktisches Medi108 Am Rande ihrer Forschungsarbeiten zur Pferdesterbe berichteten sowohl Sander als auch Kuhn, dass Pferde nach der Behandlung mit sogenannten »Boerenmitteln« wieder genesen seien. Beide schenkten diesen Meldungen aber keine weitere Aufmerksamkeit. Sander, S. 264–265 u. S. 287–288; Kuhn, Impfung gegen Malaria, S. 289–290. 109 Gouv. an Farmer Doepping, 24.06.1908, NAN ZBU 1331 O.IV.b.2-2, Bl. 138; Konsulat Pretoria an Gouv., 10.01.1911, Ablehnung der Farmer Retief und Hintze, ihr Pferdesterbeheilmittel überprüfen zu lassen, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-3, Bl. 63. 110 Rickmann und Lindequist, 13.02.1907, handschriftliche Vermerke auf dem Bericht Vorbecks über Vissers Heilmittel, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-2, Bl. 63.

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kament zur Behandlung der Pferdesterbe gefunden zu haben. Obwohl die »Beobachtungen über die Tätigkeit des Buren« den Schluss nahelegten, dass das Mittel wirkungslos war, wurde die Behandlungsmethode in Gammams an zehn Tieren der Schutztruppe getestet. Daran waren neben Schalkryk Regierungstierarzt Leipziger und der Laboratoriumsgehilfe Pohl beteiligt. Laut Leipzigers Bericht bestand das Verfahren darin, den Tieren durch die Nase eine »Bierflasche voll einer hellen, aromatisch riechenden Flüssigkeit« zu verabreichen. Die Zusammensetzung der Flüssigkeit wurde nicht näher untersucht. Zur Prüfung des Verfahrens wurden die Tiere nach Abschluss der Behandlung von Leipziger mit Pferdesterbe infiziert. Die Versuche ergaben, dass das Mittel nicht nur vollkommen wirkungslos war, sondern die Behandlung den Tieren eine Lungenerkrankung beibrachte, die in vielen Fällen tödlich endete.111 Um die weitere Verwendung des Mittels zu verhindern, empfahl Leipziger, eine offizielle Warnung in der Presse zu veröffentlichen und lieferte in seinem Gutachten auch gleich den passenden Text. Rechtliche Schritte gegen den Verkauf dieses unwirksamen Mittels wurden nicht ergriffen. Aufgrund der zahlenmäßig überschaubaren Größe der europäischen Bevölkerung verbreiteten sich Nachrichten durch Mundpropaganda relativ schnell. Daher reichte die amtliche Warnung offenbar aus, um größere wirtschaftliche Schäden für die Farmer zu vermeiden. Dieses Vorgehen wirkte auch abschreckend auf weitere »Erfinder«. Da hinter den meisten Meldungen wohl weniger ein effektives Heilmittel als vielmehr persönliche wirtschaftliche Interessen standen, kam die Mehrheit der amtlichen Aufforderung, die betreffenden Heilmittel überprüfen zu lassen, nicht nach. In der Folge verschwanden die meisten dieser Mittel so schnell, wie sie aufgetaucht waren. Auch von den wenigen »Pferdesterbemedikamenten«, die noch in Gammams getestet wurden, war kein einziges wirksam. Neben den Laienmitteln wurden in Gammams ab 1912 auch Tierfutterzusätze und veterinärhygienische Artikel der staatlichen Überprüfung unterworfen. Da von dieser amtlichen Prüfung indirekt auch die Vermarktung der entsprechenden Produkte in der Kolonie abhing, wandten sich die Firmen direkt an das Gouvernement bzw. das Institut in Gammams und stellten die Substanzen kostenlos zur Verfügung. Im April 1914 bat das Deutsche Überseesyndikat die von ihm vertriebene Viehwaschseife »Was lacht der Ochs« überprüfen zu lassen. Da man bereits »sehr gute Erfahrungen bei der Anwendung des Präparates bei Schafräude« gemacht habe, sollte die Seife 111 Leipziger an Gouv., 10.01.1906, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-1, o.P. (Brandschaden).

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zunächst auf der Landesausstellung in Windhoek präsentiert werden. Durch die anschließende Überprüfung in Gammams erhofften sich die Firmenvertreter »ein Zeugnis über den effektiven Gebrauchswert der Substanz«. Darüber hinaus sei es wünschenswert, wenn das Gouvernement die Farmer anschließend auf das Mittel aufmerksam machen würden, da zur Räudebekämpfung vor allem englische Produkte wie »Cooper’s Dip« verwendet wurden.112 Die Regierung sollte also Werbung für eine »deutsche Alternative« machen. In seinem Gutachten für das Gouvernement bzw. das RKA führte Institutsleiter Sieber aus, dass die Seife »als Waschmittel zum Desinfizieren« durchaus brauchbar sei. Bei dem Präparat handele es sich aber lediglich um ein »weiteres verseiftes Cresolpräparat«. Diese Präparate seien aufgrund ihrer starken Giftigkeit nicht als Dippmittel geeignet.113 Ein solches negatives Gutachten führte zwar nicht zu einem Verkaufsverbot, aber ohne eine staatliche Empfehlung werden nur die wenigsten Farmer das Mittel gekauft haben, zumal Siebers Gutachten darauf schließen lässt, dass bei dessen Einsatz zur Räudebehandlung offenbar größere Verluste durch Vergiftungen zu erwarten waren. Ausgehend von den wissenschaftlichen Überprüfungen der Laienmittel gegen die Pferdesterbe hatte sich Gammams bzw. die dort vorhandene Expertise bis 1914 als staatliche Kontrollinstanz fest etabliert. Im Sinne der seit 1907 betriebenen Kolonialpolitik unterstützte die so implementierte staatliche Medikamentenkontrolle die Förderung der kommerziellen Viehwirtschaft. Zudem dürften die amtlichen Warnungen vor vermeintlichen Heilmitteln das Vertrauen der Farmer in die Veterinärbehörde gesteigert haben. Mit Blick auf die Kooperationsbereitschaft bei der Durchsetzung veterinärpolizeilicher Maßnahmen war dies ein nicht zu unterschätzender Effekt.

112 Deutsches Übersee-Syndikat an Gouv., 15.04.1913, Anfrage zur Erstellung eines staatlichen Zeugnisses für Viehwaschseife, NAN ZBU 1303 O.II.d.2-2, Bl. 119. Die Firma hatte dem bakteriologischen Institut Gammams kostenlos 25 kg der Viehwaschseife zu Versuchszwecken zur Verfügung gestellt. 113 Sieber an Gouv., 15.07.1914, Versuche mit dem Lübecker Viehwaschmittel »Was lacht der Ochs«, NAN ZBU 1303 O.II.d.2-2, Bl. 59.

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4.3 Zusammenbruch und Kontinuitäten: Der Veterinärdienst unter südafrikanischer Herrschaft Nach der Kapitulation der deutschen Truppen Anfang Juli 1915 übernahm das südafrikanische Militär die Verwaltung des Territoriums und verhängte das Kriegsrecht. Mit rund 6.000 Soldaten und Zivilbeamten verfügte die Militär­verwaltung durchaus über eine beachtliche Anzahl an Personal. Dieses reichte jedoch kaum aus, um die effektive Kontrolle in der Polizeizone, geschweige denn über das gesamte Territorium auszuüben. Die südafrikanische Regierung hatte vor allem Angst vor einem bewaffneten Aufstand der deutschen Bevölkerung und hielt es daher für umsichtig, die indigene Bevölkerung nicht gegen sich aufzubringen. Dementsprechend nahm die Militäradministration ab 1915 zumindest die repressivsten Bestimmungen der von der deutschen Kolonialverwaltung erlassenen »Eingeborenenverordnungen« zurück. Unter anderem wurden das »väterliche Züchtigungsrecht« gegenüber indigenen Farmarbeitern und das 1907 im Rahmen der »Eingeborenenverordnungen« erlassene Verbot der Großviehhaltung für die indigene Bevölkerung aufgehoben. Auch der Landerwerb für Indigene war wieder grundsätzlich möglich, bedurfte aber der Zustimmung der Regierung. Zudem konnten sich Indigene von dem weiterhin geltenden Arbeitszwang befreien lassen, wenn sie den Besitz von zehn Stück Großvieh oder 50 Stück Kleinvieh nachweisen konnten.114 Ausgelöst durch die Locke­ rungen der »Eingeborenenpolitik«, setzte 1915 ein Repastoralisierungsprozess der indigenen Bevölkerung ein.115 Viele Farmarbeiter nutzten das durch den Zusammenbruch der deutschen Kolonialverwaltung entstandene Machtvakuum und verließen ihre Arbeitgeber, ließen sich in ihren ehemaligen Wohngebieten, meist unbewohntes Regierungsland oder verlassene Farmen, im kommerziellen Farmgebiet nieder und begannen, ihre eigenen Viehbestände wieder zu vergrößern. Die von der Militärverwaltung zwischen 1915 und 1919 verfügten Lockerungen der »Eingeborenenbehandlung« erregten

114 Ferner wurde das Alter, ab dem Indigene einen Pass bei sich tragen mussten, von sieben auf vierzehn Jahre angehoben. Wallace, History, S. 205–223; insbesondere S. 211–215. Zu den Handlungsspielräumen der indigenen Bevölkerung nach 1915 ausführlich: Miescher, S. 103–108; Emmett, S. 70–77. 115 Für Zentralnamibia: Krüger u. Henrichsen, »We have been Captives Long Enough, S. 150; Werner, S. 141–143. Für Südnamibia: Silvester, Beasts, S. 98–101; für Nord­ namibia: Miescher, S. 105–108.

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massiven Widerstand von Seiten der deutschen Siedler.116 Für die indigene Bevölkerung war die Zeit der Militärverwaltung hingegen eine kurze Phase der Hoffnung. Insgesamt war die Rücknahme der repressivsten Bestimmungen aber nur von kurzer Dauer und stellte ein Mittel zum Zweck dar, um die koloniale Ausbeutung langfristig zu erhalten. Nachdem der Südafrikanischen Union als Repräsentantin Großbritanniens 1919 vom Völkerbund die ehemalige deutsche Kolonie als Mandatsgebiet zugesprochen worden war, begann die Mandatsadministration in der Manier einer neuen Kolonialmacht damit, in SWA – wie das Gebiet nun offiziell hieß – systematisch eine strikte Rassentrennungspolitik nach dem Vorbild Südafrikas zu implementieren. Wie schon unter deutscher Herrschaft, zielte diese Politik darauf ab, die Ressourcen des Landes – nun zugunsten der Südafrikanischen Union – möglichst effektiv auszubeuten.

4.3.1 Veterinärmedizinische Versorgung zwischen Weltkrieg und Mandat

Bei Kriegsausbruch war der koloniale Veterinärdienst und damit jegliche Kontrolle über die Viehbewegungen zusammen mit der deutschen Kolonialverwaltung kollabiert. Die massive Einfuhr von Militärtieren und die Truppenbewegungen während der Kampfhandlungen hatten dem Ausbruch und der Verschleppung von Tierseuchen massiv Vorschub geleistet.117 Diese aus veterinärpolizeilicher Perspektive desaströsen Entwicklungen wurden durch den Repastoralisierungsprozess der indigenen Bevölkerung massiv verstärkt. So breitete sich die Schafräude bis 1916 in allen Distrikten sehr stark aus. In den nördlichen Distrikten der Polizeizone kam es zwischen 1915 und 1919 zu mehreren schweren Ausbrüchen der Lungenseuche, die seit 1912 zumindest innerhalb der Polizeizone als ausgerottet angesehen worden war.118 Zur Bekämpfung der Seuchenausbrüche hatte die südafrikanische Militärverwaltung zwar entsprechende Verordnungen erlassen. Faktisch war das le116 Zu den von den Siedlern vorgetragenen Kritikpunkten sowie deren Widersetzlichkeit ausführlich: Eberhardt, S. 56–60. 117 Nach der Kapitulation der deutschen Truppen brach Ende 1915 unter den in Swakopmund stationierten Pferden und Maultieren der südafrikanischen Armee der Rotz aus. Um eine weitere Verschleppung der Seuche zu verhindern, ließ das Militär mehrere Tausend Tiere in der Wüste bei Swakopmund erschießen. Die durch den Wind und Wanderdünen gelegentlich freigelegten Knochen der Tiere dienen heute als eine morbide Touristenattraktion. 118 SVO an Secretary, Annual Reports 1916 und 1919, NAN AGV 206 1A-1; Günter, S. 40–42.

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diglich aus vier Tierärzten bestehenden Veterinärkorps aber nicht in der Lage, diese Verordnungen durchzusetzen geschweige denn, die veterinärmedizinische Versorgung zu gewährleisten. Die ineffiziente und lückenhafte Seuchenbekämpfung führte nicht nur zu wachsenden Spannungen zwischen den deutschen Siedlern und der Militäradministration, sondern schränkte auch die operativen Möglichkeiten der Armee ein. Auf Initiative des CVO, G. W. Lee, sandte die Militärverwaltung ab April 1916 mehrfach Telegramme an die Kommandostelle in Cape Town, um personelle Unterstützung anzufordern. Aufgrund des noch andauernden Feldzuges der südafrikanischen Armee in DOA standen aber keine weiteren Veterinäre zur Verfügung. Vielmehr wurde aus Cape Town mitgeteilt, dass einer der Militärveterinäre aus SWA abgezogen und nach Ostafrika versetzt werden sollte.119 Bis 1919 änderte sich die Personalstärke des Veterinärdienstes nicht. Dieser bestand neben Lee aus den Tierärzten Edmund Mullinger Jarvis, Thomas Revington und William McKie, die alle den Rang eines Captains der südafrikanischen Armee bekleideten.120 Zwar hielten sich noch alle ehemaligen deutschen Regierungstierärzte sowie die Militärveterinäre der Schutztruppe in SWA auf. Zur Seuchenbekämpfung konnten und sollten diese aber zunächst nicht hinzugezogen werden. Die Militärveterinäre befanden sich bis zu ihrer Zwangsrepatriierung 1919 in Kriegsgefangenschaft. Aus dieser waren die ehemaligen Regierungstierärzte – sofern sie zum Militärdienst mobilisiert worden waren – zwar entlassen worden, aber die Militärverwaltung hatte ihnen die Berufsausübung untersagt. Gleichzeitig waren 1915 alle veterinärbakteriologischen Laboratorien geschlossen worden. Da die Militärverwaltung einer flächendeckenden Seuchenbekämpfung offenbar nur eine untergeordnete Rolle einräumte, baten betroffene deutsche Farmer einige der ehemaligen Regierungstierärzte – trotz des offiziellen Berufsverbots – um Unterstützung. Dies wurde von den Militärbehörden zunächst nur widerstrebend akzeptiert, wie das Beispiel Johann Himrich zeigt. Himrich hielt sich seit Mitte der 1890er Jahre in DSWA auf.121 Seit 1910 war er als Tierarztgehilfe bei der deutschen Kolonialverwaltung angestellt und als 119 Agricultural Department South African Union an ADM, 15.04.1916, NAN ADM 144 C 218. 120 PVO Gray an Sec. for Agriculture, 09.01.1920, NAN ADM 081 1900-6. 121 In einem Bericht von 1919 erwähnt Himrich, dass er gegenüber dem englischen Magistrat im Jahr 1915 angegeben habe, seit 25 Jahren in DSWA zu sein. Himrich an RKA, 10.11.1919, Lungenseuche und veterinäre Stetigkeiten unter südafrikanischer Besatzung 1915/16, BAB R 1001/6065, Bl. 130–136.

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solcher dem Regierungstierarzt von Omaruru zugeteilt worden. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war Himrich bis 1919 in Otjiwarongo ansässig. Als dort im Dezember 1915 mehrere Rinder eingingen, wandten sich einige deutsche Ansiedler an Himrich, um die Todesursache festzustellen; er diagnostizierte Lungenseuche. Obwohl Himrich laut eigener Aussage die Farmer darauf hingewiesen hatte, den Seuchenausbruch beim englischen Magistrat zu melden und unentgeltlich die Impfung zur Eindämmung des Seuchenausbruchs unterstützte, zog er sich mit seinem Vorgehen den Unmut des Magistrats zu. Dieser tolerierte zwar Himrichs Einsatz zur Seuchenbekämpfung, wies ihn aber auf das allgemeine Berufsverbot für deutsche Veterinäre hin und ließ Teile seiner Ausrüstung konfiszieren, wovon sich Himrich aber nicht abhalten ließ, weiterhin tiermedizinsche Tätigkeiten auszuüben. Das Verhältnis zwischen Himrich und dem Magistrat blieb fortan gespannt. Ende des Jahres 1916 stellte Himrich wiederholt Arsenvergiftungen als Todesursache bei Rindern fest. Bei seinen Nachforschungen stellte sich heraus, dass die Tiere das Gift auf den nicht eingezäunten Müllhalden aufgenommen hatten. Diese ließ der Magistrat aus hygienischen Erwägungen regelmäßig mit Arsen bestreuen, bestritt aber die von Himrich gestellte Diagnose. Ein »Boeren­ soldat« wurde damit beauftragt festzustellen an was die Tiere eingegangen seien. Ganz im Sinne des Magistrats erklärte dieser, die Tiere seien an Lungenseuche gestorben.122 Auf der Grundlage dieser Diagnose wurde die Sperrung des Bezirks Otjiwarongo wegen Lungenseuche verfügt. Himrich berichtet, dass kurze Zeit darauf CVO Lee nach Otjiwarongo gekommen sei, um der Seuchenmeldung nachzugehen. Nach einer Unterredung mit Himrich und der Besichtigung der Müllhalden sowie einiger Viehbestände habe Lee die Seuchensperre aufgehoben.123 Vor dem Hintergrund der Etablierung der südafrikanischen Kolonialherrschaft ging es dem Magistrat bei dieser Auseinandersetzung offenbar vor al122 Ebd., Bl. 134–135. 123 1919 wurde Himrich als ehemaliger Angestellter der deutschen Kolonialverwaltung zwangsrepatriiert. Obwohl er nach eigener Aussage »ständig mit Schwierigkeiten der Engländer zu rechnen« hatte, richtete er im Dezember 1920 ein Wiedereinreisegesuch an die Mandatsregierung. Aufgrund des allgemeinen Mangels an erfahrenen Experten befürwortete SVO Goodall Himrichs Gesuch und stellte eine mögliche Anstellung in Aussicht. Secretary an SVO, 15.12.1920, und Antwort SVO an Secretary, 20.12.1920, NAN AGV 152 V.15-1. Ohne genauere Kenntnis über Himrichs Qualifiaktion schlug Goodall vor, ihn als Laboratoriumsgehilfen und zur Ausbildung von Laienimpfern einzusetzen. Da Himrich nicht in den Personalakten der AGV auftaucht, läßt sich nicht sicher sagen, ob er nach SWA zurückkehrte.

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lem um die Demonstration von Autorität gegenüber einem Angestellten der ehemaligen Kolonialmacht. Die Abwehr von Tierseuchen spielte in diesem Fall eine untergeordnete Rolle  – zumal scheinbar nur Bestände deutscher Farmer von dem Seuchenausbruch betroffen waren. Der Militärverwaltung wurde offenbar bald klar, dass derartige Konflikte die Errichtung und Ausübung der Herrschaftsgewalt behindern konnten. Der ehemalige Regierungstierarzt von Omaruru, Eugen Günter, berichtet, dass die tierärztliche Tätigkeit der deutschen Veterinäre spätestens ab 1917 von der südafrikanischen Verwaltung weitgehend toleriert worden sei.124 Zuvor wie danach werden die ehemaligen Regierungstierärzte sicherlich die Farmer bei der tierärztlichen Behandlung ihrer Bestände unterstützt haben. Solange die Veterinäre nicht, wie Himrich, die offene Konfrontation mit der südafrikanischen Verwaltung suchten, hatte diese kaum Möglichkeiten, das Berufsverbot durchzusetzen. Um ähnliche Konflikte mit der Militäradministration zu umgehen, fanden deutsche Farmer auch elegantere Wege, sich die Expertise ehemaliger deutscher Regierungstierärzte zu sichern. Anlässlich des Farmertages am 18. Juli 1917 hatten sich die deutschen Farmer neu organisiert. Neben der »Farmwirtschaftsgesellschaft« (FWG), die sich mit allen »die Farmwirtschaft betreffenden und streifenden Fragen« befassen sollte, wurde der »Verband der Verwertungs-Vereinigungen zu Windhuk« (VVW) gegründet. Dieser Genossenschaftsverband sah seine Kernaufgabe darin, sich »ausschließlich den Verwertungs- und Absatzfragen für sämtliche Erzeugnisse der Farmwirtschaft zu widmen, um den Farmern zu dem materiellen Gewinn zu verhelfen, den die jeweiligen volkswirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse… zulassen«.125 Entsprechend setzte sich der VVW für eine Verbesserung der veterinärmedizinischen Versorgung seiner Mitglieder ein. Gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrages wurde zwischen April und November 1919 rund die Hälfte der deutschen Staatsangehörigen von der südafrikanischen Regierung zwangsrepatriiert bzw. kehrte freiwillig nach Deutschland zurück.126 Aufgrund des fortbestehenden Personalmangels der Veterinärbehörde sowie der anhaltenden Seuchengefahr setzten sich die Vorsitzenden des VVW 1919 dafür ein, »wenigstens einen Teil der früher 124 Günter, S. 52. Auch der ehemalige deutsche Regierungstierarzt Schmid berichtete, dass er und sein Kollege Sigwart von der Militäradministration zur Unterstützung herangezogen wurden. Schmid, Veterinary Surgeon, S. 24. 125 MFWG, 1/1 (22.01.1918), Verfassung und Arbeitsplan, S. 1–6, hier: S. 1. 126 Zu den genauen Umständen und Rechtsgrundlagen der Repatriierung: Eberhardt, S. 61.

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praktizierenden deutschen Tierärzte dem Lande zu erhalten«.127 Nach Verhandlungen mit dem Administrator der Militärverwaltung, Edmond Gorges, wurden entgegen der ansonsten gängigen Praxis die ehemaligen Regierungsveterinäre Alfons Maag, Hans Sigwart und Karl Gerhard Schmid nicht repatriiert.128 Eine Übernahme in die neu einzurichtende Veterinärbehörde der Mandatsverwaltung lehnte die Unionsregierung aber vorerst ab. Ab Oktober 1919 wurden Maag, Sigwart und Schmid vom VVW angestellt. Die dadurch anfallenden erheblichen Kosten von rund 50.000 Mark pro Jahr bestritt der Verband aus den Mitgliedsbeiträgen. Die drei »Verbands-Tierärzte« wurden in Windhoek, Grootfontein und Okahandja stationiert.129 Zwar geschah dies in Absprache mit dem Leiter der Veterinärbehörde und die Veterinäre wurden auch im Interesse der Regierung zur Seuchenbekämpfung eingesetzt. Dennoch hatten sich die Interessenvertreter der deutschen Farmerschaft mit den »Verbands-Tierärzten« eine Art privaten Veterinärdienst geschaffen auf dessen unentgeltliche tierärztliche Hilfe jedes Verbandsmitglied zurückgreifen konnte, während für Nicht-Mitglieder lediglich die akute Seuchenbekämpfung kostenlos war. Ein solches Zweiklassensystem bei der veterinärmedizinischen Versorgung konnte bei der Anordnung und Durchsetzung veterinärpolizeilicher Maßnahmen, die ausschließlich in die Zuständigkeit des Staates fielen, zu Problemen führen. Daher spielten die »VerbandsTierärzte« bei der Einrichtung der neuen Veterinärbehörde noch eine wichtige Rolle.

4.3.2 Deutsche Veterinäre und die Errichtung der südafrikanischen Mandatsregierung

Der Versailler Vertrag und die Vergabe des Mandats über SWA an die Südafrikanische Union beendeten die Übergangsphase der Militärverwaltung. Obwohl der Völkerbund erst im Dezember 1920 das Mandat bestätigte und die Bedingungen definierte, begann die Regierung der Südafrikanischen Union bereits Ende 1919 damit, ihre Herrschaft in der ehemaligen deutschen Kolonie abzusichern. Schon im September 1919 hatte die Unionsregierung den »Treaty of Peace and South West Africa Mandate Act« erlassen. Dieser ermächtigte den britischen Governor-General, Lord Buxton, in SWA per Pro127 MVV, 1 (06.01.1920), Veterinärdienst des Verbandes, S. 1–5, hier S. 2. 128 CVO Lee, 28.02.1920, Aktennotiz, NAN ADM 081 1900-6. 129 MVV, 1 (06.01.1920), Veterinärdienst des Verbandes, S. 3–4. Auch Schmid, Veterinary Surgeon, S. 23–24.

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klamation zu regieren. Buxton übertrug diese Vollmachten sofort dem von der südafrikanischen Regierung ernannten Administrator of South West Africa. Dies war seit Oktober 1915 Edmond Gorges, dem im Oktober 1920 Gysbert Hofmeyr folgte. Parallel dazu wurde die südafrikanische Zivil- und Strafgerichtsbarkeit eingeführt und ab 1920 mit dem Aufbau einer Zivilverwaltung und damit auch dem Aufbau einer neuen Veterinary Service Branch begonnen.130 Die Kernaufgaben der Veterinärbehörde bestanden  – wie schon unter deutscher Herrschaft  – in der Kontrolle der Viehbewegungen, Seuchenbekämpfung und -prävention sowie Kennzeichnung von Vieh. Um diesen Aufgaben gerecht zu werden, war die Schaffung des entsprechenden gesetzlichen Rahmens erforderlich. Dazu erließ die Regierung zwischen 1919 und 1921 drei Proklamationen. Neben der 1919 bzw. 1921 erlassenen »Removal of Stock Proclamation« und der »Cattle Brands Proclamation« bildete die umfangreiche »Diseases of Stock Proclamation« von 1920 das Kernstück der veterinärpolizeilichen Gesetzgebung.131 Letztere umfasste zusammen mit den dazugehörigen »Schedules and Regulations« insgesamt 70 Seiten. Darin wurden alle anzeigepflichtigen Tierseuchen, die zu ergreifenden Bekämpfungsmaßnahmen sowie die Rechte und Pflichten der Veterinäre sowie anderer staatlicher Beamter in veterinärpolizeilichen Belangen festgelegt. Die Proklamation orientierte sich an der in der Südafrikanischen Union geltenden Gesetzgebung. Im Wesentlichen waren die Bestimmungen aber deckungsgleich mit dem von der deutschen Veterinärbehörde bis 1913 erstellten Entwurf für eine Viehseuchenverordnung, da beide Gesetze entlang der internationalen Expertenempfehlungen verfasst worden waren.132 Abweichungen, wie beispielsweise die Unterstützung der Regierungstierärzte durch Stock-Inspectors, ergaben sich aus dem unterschiedlichen Aufbau der kolonialen Verwaltungsstrukturen. Die Befugnisse und Aufgaben der Veterinäre, Polizisten und des Administrators blieben sehr umfangreich. Diese waren weiterhin ermächtigt, Quarantänen zu verhängen, Transportbeschränkungen zu erlassen sowie gegebenenfalls die Tötung erkrankter bzw. verdächtiger Tiere anzuordnen. In der veterinärmedizinischen Praxis bedeutete der Regimewechsel damit keine grundlegende Änderung. 130 Wallace, History, S. 217–218. 131 Gouvernment Proclamation 8 of 1919 Removal of Stock, 30.09.1919; Gouvernment Proclamation 28 of 1920 Diseases of Stock, 01.06.1920; Gouvernment Proclamation 36 of 1921 Cattle Brands, 06.09.1921. 132 Siehe dazu Kapitel 3.1.2 dieser Arbeit.

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Die Frage, ob der Tierbesitzer »Europäer« war oder nicht, spielte sowohl in der deutschen wie auch der südafrikanischen Viehseuchengesetzgebung zumindest auf dem Papier keine Rolle. Eine solche Differenzierung war zwar für die effektive Bekämpfung von Tierseuchen weitgehend irrelevant, im Falle der anderen beiden Proklamationen sowie der 1912 von der deutschen Verwaltung erlassenen Viehbrandverordnung hingegen trat die rassistische Zielsetzung der Gesetzgebung deutlich zu Tage. Wie in Kapitel sechs genauer ausgeführt, dienten diese Bestimmungen, die die Kontrolle über die Bewegung und Kennzeichnung von Vieh zum Gegenstand hatten, schließlich einzig und allein dem Ausbau und der Festigung der staatlichen Kontrolle, welche wiederum die rassistische Segregation und gezielte Begünstigung der europäischen Siedler bezweckte. Neben dem Erlass veterinärpolizeilicher Bestimmungen war zu deren Durchsetzung eine ausreichende Zahl von Regierungstierärzten erforderlich. In seinem Jahresbericht von 1919 hatte CVO Lee erneut auf die personellen Missstände des Veterinärdienstes aufmerksam gemacht: In order to combat, control and effectively administer the stock disease regulations an increased staff of Veterinary officers and trained stock inspectors is essential…yet three officers have been attempting to do the work which formerly [under German regime] was carried out by fifteen Veterinary Surgeons and a fully equipped Veterinary Laboratory.133 Anders als die deutsche Kolonialverwaltung ging die südafrikanische Mandatsregierung bei der Behebung dieser Mängel deutlich effizienter und zielorientierter vor. Ende 1919 hatte der PVO der Südafrikanischen Union, Charles Gray, SWA bereist, um den veterinärmedizinischen Bedarf zu ermitteln. In seinem im Dezember 1919 sowohl an Administrator Gorges als auch an das Landwirtschaftsministerium in Pretoria gesandten Memorandum unterstützte Gray die bestehenden Forderungen nach einer personellen Aufstockung der Veterinärbehörde. Während sich Lee an der Personalstärke des deutschen Veterinärdienstes orientiert hatte, empfahl Gray eine deutlich 133 SVO an Secretary, Annual Report 1919, NAN AGV 206 1A-1. Aus dieser und ähnlichen Meldungen schloss Schneider 1977 etwas verkürzt, dass die südafrikanische Regierung die Vorzüge des deutschen Veterinärdienstes erkannt und dieser ab 1920 als Vorbild der Veterinary Service Branch gedient habe. Schneider, S. 16–18. Zwar erwähnte Lee das deutsche System, dies tat er aber wahrscheinlich nur, um die personelle Unterbesetzung deutlich hervorzuheben.

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geringere Zahl von Regierungstierärzten. Er war der Ansicht, dass ein Stab von fünf District Veterinary Officers, stationiert in Windhoek, Keetmansoop, Gobabis, Omaruru und Grootfontein unter der Leitung eines SVO ausreichend sei, um den veterinärmedizinischen Anforderungen gerecht zu werden. Deren Gehälter sollten sich grundsätzlich an den Gehaltsstufen der Regierungstierärzte der Union orientieren, die von der Dienstzeit sowie Erfahrung des jeweiligen Kandidaten abhängig waren.134 Die Vorschläge Grays bildeten die Blaupause für den ab Anfang 1920 in Angriff genommenen Aufbau der Veterinary Service Branch. Auf Drängen des SVO, A. Goodall, wurde Ende 1920 noch eine weitere Distriktstierarztstelle geschaffen.135 Die Besetzung dieser insgesamt sieben Posten gestaltete sich jedoch nicht ganz einfach. Da der Veterinärdienst der Südafrikanischen Union ebenfalls mit Personalmangel zu kämpfen hatte, konnten von dort keine Tierärzte entsandt werden.136 Die Anwerbung von Veterinären aus Großbritannien bzw. Europa kam ebenfalls nicht in Frage, da die Bewerber vor Ort erst noch langwierig in den praktischen Veterinärdienst hätten eingewiesen werden müssen. Daher suchte die Mandatsregierung Mittel und Wege, um sich die in der Kolonie vorhandene Expertise nutzbar machen zu können. Zunächst sollten die vier Veterinäre der Militärverwaltung den Kern der neu einzurichtenden Veterinary Service Branch bilden. Cheftierarzt Lee hatte aber bereits Ende 1919 den Wunsch geäußert, aus familiären Gründen wieder auf seinen alten Posten in der Union versetzt zu werden137 und verließ im April 1920 SWA . Den Posten des SVO übernahm A. Goodall.138 Um die restlichen Veterinäre, Jarvis, McKie und Revington, für den Dienst im Mandatsgebiet zu gewinnen, wurden zunächst deren Gehälter – wie von Gray vorgeschlagen – an das 134 Der SVO sollte in Windhoek stationiert werden. Die Distrikttierärzte sollten folgende Zuständigkeitsbereiche abdecken: Distriktveterinär Windhoek – zuständig für Windhoek und die Überprüfung von Präparaten zur Seuchenüberwachung; Distriktveterinär Keetmanshoop – zuständig für Gibeon, Maltahöhe, Bethanien, Keetmanshoop, Aorab und Warmbad; Distriktveterinär Gobabis  – zuständig für Distrikt und den östlichen Grenzverkehr; Distriktveterinär Grootfontein – zuständig für Grootfontein und Tsumeb; Distriktveterinär Omaruru – zuständig für Outjo, Omaruru und Karibib. Gray an ADM, 29.12.1919, NAN ADM 081 1900-6. 135 SVO an Secretary, 01.11.1920, NAN ADM 081 1900-6. 136 Gray an Secretary, 27.05.1920, NAN ADM 081 1900-6. 137 Der Hauptgrund für Lee war, dass seine Kinder das schulpflichtige Alter erreicht hatten, Gray an Sec. for Agriculture, 09.01.1920, NAN ADM 081 1900-6. 138 Goodall trat seinen Dienst zum 01.04.1920 an, während Lee zum 16.04.1920 aus dem Dienst ausschied: JDA, 1/3 (Juni 1920), Staff Appointments and Changes, S. 303; JDA, 1/4 (Juli 1920), Staff Appointments and Changes, S. 411.

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Niveau der Regierungstierärzte in der Union angeglichen. Zwei von ihnen, Jarvis und McKie, waren bereits über 45 Jahre alt und entsprachen damit nicht den von der Regierung gestellten Anforderungen. Diese suchte idealerweise unverheiratete »young men who can grow up with the country«.139 Jarvis kehrte im November 1920 in die Union zurück, da ihm in Johannesburg ein Lehrstuhl für Veterinärmedizin angeboten worden war.140 Um den Personal­notstand zu beheben, wurde zunächst der ehemalige Cheftierarzt und Sachverständige für Viehzucht der deutschen Verwaltung, Otto Henning, als Regierungstierarzt angestellt. Henning war bereits seit März 1916 für die Militärverwaltung tätig gewesen und war neben der Abwicklung des Laboratoriums in Gammams vor allem mit dem Aufbau einer Milchfarm für die Hospitäler in Windhoek beauftragt worden.141 Ab 1921 wurde Henning als GVO nach Keetmanshoop versetzt, bevor er 1923 in den Ruhestand trat.142 Neben seiner fachlichen Eignung und großem Erfahrungswissen war die Anstellung Hennings und dessen Übernahme in die Veterinärbehörde aufgrund seiner Biographie und persönlichen Netzwerke kein Problem. Infolge seiner langjährigen Tätigkeit als Regierungstierarzt in Basutoland und der Orange River Colony war Henning mit dem Administrator Gorges, sowie dem Oberkommandierenden der südafrikanischen Streitkräfte in SWA, ­Major Herbert, sowie dem PVO der Südafrikanischen Union, Gray, persönlich bekannt. Darüber hinaus hatte sich Henning nach seiner Heirat mit der Tochter eines britischen Farmers bereits 1899 in der Orange River Colony naturalisieren lassen.143 Es gab für die Behörden also keinerlei Anlass, an der Loyalität Hennings zu zweifeln. Damit verfügte die Veterinärbehörde über insgesamt fünf bzw. ab November 1920 über vier Tierärzte, eine Zahl, die für eine effektive Tierseuchenbekämpfung wie auch die regelmäßige veterinärmedizinsiche Kontrolle der Farmen zu gering war. Aufgrund dessen hatte die Mandatsregierung eine Anweisung erlassen, um sich notfalls auch die Unterstützung der drei deutschen »Verbands-Tierärzte« zu sichern. Laut eines Runderlasses vom März 139 Gray an Sec. for Agriculture, 09.01.19020, Veterinary Establishment S. W. Protectorate, NAN ADM 081 1900-6. 140 SVO an Secretary, 01.11.1920, Veterinary Staff, NAN ADM 081 1900-6. 141 SVO an Secretary, 10.10.1923, Staff-Henning-Keetmanshoop, NAN AGV 078 G.12/​ 17-2. 142 Zum 31.12.1923 schied Henning aus dem aktiven Dienst aus. SVO an Secretary, Annual Report 1924, NAN AGV 136 V.10/1-1. 143 SVO an Secretary, 10.10.1923, Staff-Henning-Keetmanshoop, NAN AGV 078 G.12/​ 17-2.

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1920 war es den Magistraten mit Zustimmung des Cheftierarztes erlaubt, die deutschen Veterinäre im Notfall temporär einzustellen.144 Einer formalen Übernahme der deutschen Tierärzte in den Dienst der Veterinärbehörde stand der Secretary zunächst ablehnend gegenüber. Anders als im Falle Hennings bezweifelte man deren Loyalität gegenüber der neuen Regierung. Schließlich seien sie ja immer noch deutsche Beamte und könnten jederzeit nach Deutschland zurückgerufen werden. Außerdem war Secretary Herbst der Ansicht, die Verwaltung should do nothing which would have the effect of assisting them [German Veterinary Surgeons] to establish themselves in positions in this country [S. W. A.] for which young South Africans now in training at Veterinary Colleges will, in the near future be available.145 Entsprechend lehnte Herbst auch eine Anfrage des »Bundes für weltwirtschaftliches Veterinärwesen« ab. In diesem waren seit Ende des Ersten Weltkrieges alle ehemaligen deutschen Kolonialveterinäre organisiert. Der Vorsitzendes des Bundes, Rolewe, hatte sich Anfang 1920 direkt beim Premier­minister der Südafrikanischen Union, Jan Smuts, dafür eingesetzt, ehemaligen »Schutzgebietsveterinären« die Remigration nach SWA zu erlauben sowie diese im Interesse der Regierung und vor allem der Farmer wieder als Regierungstierärzte einzustellen. Herbst wies das Angebot jedoch zurück, schließlich seien noch genügend deutsche Veterinäre im Land, »who could be appointed when necessity arises«.146 Daneben werden vor allem die grundsätzlichen Zweifel an deren Loyalität gepaart mit nationalistischen Ressentiments ausschlaggebend gewesen sein. Die distanzierte Haltung gegenüber den »VerbandsTierärzten« wurde vom Leiter der Veterinärbehörde, Goodall, nicht geteilt. In Begleitung des Verbandstierarztes Maag hatte Goodall im Juli 1920 eine Inspektionsreise durch den Distrikt Gobabis unternommen. Im Rahmen dieser Reise besuchten Goodall und Maag mehrere Farmen und nahmen an einer vom Magistrat einberufenen Versammlung teil, um sowohl die Farmer als auch die lokalen Behörden über Maßnahmen der Tierseuchenprävention sowie im Allgemeinen über tiermedizinische Belange aufzuklären. In seinem Bericht äußerte sich Goodall über seinen Begleiter und dessen Wirkung insbesondere auf die mehrheitlich deutschen Farmer wie folgt: 144 Circulars Secretary, Monthly Circular March 1920, NAN AGV 192 VS13/1-3. 145 Secretary an Sec. for Agriculture Pretoria, 01.03.1920, NAN ADM 081 1900-6. 146 Secretary an Rolewe, 10.07.1920, NAN ADM 292 539/406.

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I was very pleased to observe the evident respect with which V. S. Maag was treated by all the farmers with whom we came in contact, and I trust that this is a good augury for my profession in this country.147 Derartige positive Erfahrungen mit den deutschen Veterinären führten dazu, dass bis 1921 alle drei »Verbands-Tierärzte« in die neue Veterinärbehörde integriert wurden.148 Für die Veterinäre war diese Anstellung allein schon aus finanzieller Sicht attraktiv, da die südafrikanischen Gehaltssätze deutlich über ihren alten von der deutschen Kolonialverwaltung festgelegten Bezügen lagen und zudem einen mehrstufigen Anstieg vorsahen.149 Bis 1923 waren vier, danach drei der insgesamt sieben Regierungstierarztposten mit ehemaligen deutschen Regierungsveterinären besetzt.150 Unterstützt wurden die Regierungstierärzte noch von je zwei Sheep Inspectors bzw. Stock Inspectors, die in Windhoek und Keetmanshoop stationiert waren.151 Mit insgesamt elf Beamten war der südafrikanische Veterinärdienst deutlich kleiner als der der deutschen Kolonialregierung, der 1914 aus insgesamt 18 Tierärzten sowie einem vollausgestatteten veterinärbakteriologischen Institut bestanden hatte. SVO Goodall sprach sich zwar gegen eine vollständige Auflösung von ­Gammams 147 SVO an Secretary, 14.07.1920, NAN ADM 081 1900-6. Siehe auch: Grimm, Südwesterbuch, S. 273. 148 Zum 01.11.1920 traten Schmid und Sigwart ihren Dienst als GVOs der Mandatsregierung an. Nach Absprache mit dem ADM hatte Goodall den beiden eine Anstellung bei einem Jahresgehalt von 600 Pfund plus Tages- uns Reisepauschalen angeboten. SVO an Secretary, 13.10.1921, NAN ADM 81 1900-6. Anfang 1921 wurden auch Henning und Maag als GVOs angestellt. Über die Gründe für diese Verzögerung finden sich in den Personalakten keine Informationen. NAN AGV 75 G.12/9-1&2, Personalakte Maag sowie NAN AGV 78 G.12/17-2, Personalakte Henning. 149 Die deutsche Verwaltung hatte lediglich ein Jahreseinkommen von 7.500 Mark (in Ausnahmefällen 9.000 Mark) vorgesehen. Die Gehälter der südafrikanischen Regierungstierärzte waren in zwei Klassen eingeteilt, die eine Gehaltssteigerung entsprechend der Gesamtdienstzeit und Qualifikation vorsah. In der zweiten Klasse betrug das Jahresgehalt £ 400–£ 550, in der ersten Klasse £ 650–£ 750. Ein Einkommen von £ 600 entsprach in etwa 16.000 Mark. Zu den Zahlen siehe: Henning an Hintrager (stellv. Gouverneur), 26.08.1907, BAB R 1002/721; PVO Gray an Sec. for Agriculture, 09.01.1920, NAN ADM 081 1900-6. 150 SVO an Secretary, Annual Report 1924, NAN AGV 136 V.10/1-1; Adressbuch für SWA 1928, S. 45. 151 SVO an Secretary, Annual Report 1925, NAN AGV 136 V.10/1-1; McNea an Secretary, 31.12.1927, NAN AGV 136 V.10/1-3. Zu deren Aufgaben gehörten die regelmäßige Kontrolle der Schaf- bzw. Rinderbestände sowie die Anordnung und Überwachung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Schafräude. Diseases of Stock Proclamation 1920, S. 54–55.

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aus, riet aber von einer Wiederöffnung des Instituts zu Forschungszwecken und Impfstoffproduktion ab. Dies hätte die Anstellung weiterer Experten und damit die Aufwendung erheblicher Kosten bedeutet.152 Während laborgestützte veterinärmedizinische Forschungsarbeiten in SWA vollständig eingestellt wurden, nutzte der Distrikttierarzt von Windhoek das stark verschlankte Laboratorium in Gammams ab 1920 weiterhin zur bakteriologischen Untersuchung eingesandter Präparate zur Seuchenerkennung.153 Neben den vier in die Veterinary Service Branch übernommenen deutschen Regierungstierärzten hielt sich noch mindestens ein weiterer ehemaliger deutscher Veterinär nach 1919 in SWA auf. Dabei handelte es sich um Leonard Scheben. Dieser war 1914 aus dem aktiven Dienst als Regierungstierarzt ausgeschieden und hatte sich als Farmer im Distrikt Rehoboth niedergelassen. Im Januar 1921 informierte Goodall den Secretary darüber, dass Scheben im Distrikt Rehoboth ohne die offizielle Erlaubnis der Mandatsregierung offenbar veterinärmedizinische Tätigkeiten ausführte. Angesichts des allgemeinen Mangels an qualifiziertem Personal sah Goodall in dieser bürokratischen Hürde aber kein Problem, sondern bat lediglich darum, Scheben anzuhalten, alle Tierseuchenausbrüche umgehend nach Windhoek zu melden.154 Die Mandatsregierung beauftragte dennoch den Magistrat von Rehoboth festzustellen, ob Scheben aus seinen tierärztlichen Tätigkeiten Einkommen erzielte. Der Magistrat teilte dem Secretary mit, dass Scheben gegenüber der Polizei angegeben habe, seinen Lebensunterhalt ausschließlich durch selbst betriebene Farmwirtschaft zu bestreiten und hatte auch eingeräumt, den benachbarten Farmern gelegentlich und unentgeltlich zu helfen, wenn deren Tiere erkrankten. Der Aufforderung, alle Ausbrüche anzeigepflichtiger Krankheiten umgehend zu melden, werde er nachkommen.155

152 SVO an Secretary, 08.06.1920, NAN AGV 132 V.7-1. 153 ADM an Sec. for Agriculture, 09.05.1920, NAN AGV 132 V.7-1. Polizisten, Game Wardens, Regierungstierärzte und Farmer sandten Berichte über beobachtete bzw. vermutete Seuchenausbrüche und Erkrankungen i. d. R. mit Blutausstrichpräparaten zur Überprüfung nach Windhoek. Auf der Grundlage der Berichte sowie der bakteriologischen Prüfung entschied dann der SVO bzw. der Secretary über die zu ergreifenden veterinärpolizeilichen Maßnahmen. NAN AGV 93 V.2/3-1. 154 SVO an Secretary, 04.01.1921, NAN ADM 81 1900-6. 155 Magistrate Rehoboth an Secretary, 17.02.1921, NAN ADM 81 1900-6. Da ein solcher Bericht bis 1930 beim SVO in Windhoek nicht einging, scheint es in den Beständen von Schebens Nachbarn zu keinen solchen Ausbrüchen gekommen zu sein. Wie lange sich Scheben noch in SWA aufhielt ist unklar.

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Karte 7: Standorte von Regierungstierärzten in SWA 1928 (Kartenvolage: eigene Forschungsdaten)

Die geringe Personalstärke des Veterinärdienstes machte es dringend erforderlich, dass die Regierungstierärzte »should be afforded every facility for covering distances in as short a time as possible«.156 Auf Betreiben des SVO Goodall erhielten die Regierungstierärzte ab November 1920 ein »rail warrant book«. Dieses ermöglichte es den Beamten, zur Erfüllung ihrer Pflichten kostenlos Güterzüge zu nutzen.157 Kurze Zeit später forderte Goodall,

156 SVO an Director of Railways, 13.08.1920, NAN AGV 152 V.15-1. 157 Die anfallenden Dienstreisekosten wurden von der Mandatsregierung getragen. SVO an Secretary, 24.11.1920, NAN AGV 152 V.15-1. Ein solches warrant book wurde an die GVO in Otjiwarongo, Omaruru, Okahandja, Keetmanshoop, Windhoek und den SVO ausgegeben.

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den Regierungstierärzten auch Automobile zur Verfügung zu stellen, um deren Mobilität weiter zu steigern.158 Entsprechend einem Rundschreiben der Verwaltung standen ab November 1920 für die Veterinäre Gouvernment Motorcars auf Anfrage bereit.159 Spätestens ab 1926 verfügten die Regierungstierärzte über eigene Dienstwagen.160 Durch die Motorisierung war es möglich, die geringe Personalstärke auszugleichen. Die Veterinäre waren in der Lage, ihre regelmäßigen Inspektionsreisen effektiver durchzuführen, da sie in deutlich kürzerer Zeit eine größere Zahl von Farmen aufsuchen konnten als mit einer Maultierkarre. Parallel wurden bis Anfang der 1930er Jahre alle Beamten und Exekutivkräfte motorisiert. Dadurch veränderten sich nicht nur die Wahrnehmung der räumlichen Distanzen und der Kontakt der Beamten mit der Bevölkerung.161 Die zunehmende Motorisierung wirkte sich auch auf die praktischen Tätigkeiten der Veterinäre aus. Die Bedeutung von Pferden und Maultieren für die koloniale Herrschaftssicherung wie auch für den privaten Farmbetrieb ging zurück und damit auch deren veterinärmedizinische Betreuung. Stattdessen rückte die kommerzielle Rinder-, Schaf- und Karakulzucht noch stärker in den Fokus des praktischen Veterinärdienstes. Für die Herrschaftserrichtung und -sicherung der Mandatsregierung war die Anwesenheit der deutschen Tierärzte, ob nun als Regierungsbeamte oder Privatiers, grundsätzlich von Vorteil. Schließlich lässt die von der Südafrikanischen Union ab 1920 verfolgte Mandatspolitik keine grundsätzliche Umorientierung erkennen. Wie bereits am Beispiel der Veterinärgesetzgebung ausgeführt, schloss diese im Grunde nahtlos an die von der deutschen Administration betriebene Kolonialpolitik an. Ziel beider Regime war es, die natürlichen Ressourcen Namibias möglichst effektiv auszubeuten. Oberste Priorität hatte dabei die Sicherung der »weißen Vorherrschaft«. Dazu schufen sowohl die deutsche wie auch die südafrikanische Verwaltung einen Privilegienfreiraum für die europäische Siedlergesellschaft und setzten die räumliche Segregation von Afrikanern und Europäern durch.162 In der Südafrikanischen Union wurde diese Prä-Apartheidpolitik vor allem von burisch-nationalistischen Kreisen vorangetrieben. Trotz aller nationalistischkolonialen Abgrenzungsbestrebungen zwischen Deutschen und »Buren« bzw. 158 SVO an Secretary, 08.10.1920, NAN ADM 81 1900-6. 159 Secretary, Monthly Circular November 1920, NAN AGV 192 VS13/1-3. 160 Die Regierungstierärzte waren gehalten, entsprechende Fahrtenbücher zu führen. SVO an GVO Sigwart, 05.07.1926, NAN AGV 75 G.12-10-1. 161 Gewald, Missionaries, Hereros, and Motorcars, S. 279–284. 162 Wallace, History, S. 205–223.

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weißen Südafrikanern nach 1915 existierte seit dem Südafrikanischen Krieg auch eine deutsch-burische Solidarität.163 Zur Sicherung der Herrschaft über das Territorium war 1919 bewusst nur rund die Hälfte der deutschen Siedler ausgewiesen worden. Da die Regierung der Südafrikanischen Union die Ansiedlung armer Weißer aus der Union förderte, sollten die deutschen Siedler zum einen als wirtschaftliches Fundament dienen. Zum anderen betrachtete die Mandatsmacht die verbliebenen Deutschen als wertvolle Stütze, da man der Ansicht war diese würden sich, wie 1904–1907, jeder Erhebung der indigenen Bevölkerung entschlossen und rücksichtslos entgegenstellen.164 Die deutschen Veterinäre dürften daher kaum Probleme gehabt haben, sich mit der Mandatsmacht und der von ihr betriebenen Politik zu identifizieren, arbeiteten sie doch weiterhin an der stetigen Modernisierung der Viehzucht und Durchsetzung der veterinärpolizeilichen Gesetzgebung, was zur Herrschaftssicherung der Mandatsmacht beitrug. Neben ihrer fachlichen Expertise waren die deutschen Veterinäre für die Mandatsregierung aber vor allem aufgrund ihres hohen Ansehens innerhalb der Farmerschaft von großer Bedeutung, konnten die Tierärzte doch als ideale Vermittler zwischen der »neuen Regierung« und den »alten Kolonialherren« dienen, um sich deren grundsätzliche Loyalität zu sichern. Abgesehen von dem allgemeinen Mangel an qualifizierten und erfahrenen Experten waren auch herrschaftspolitische Überlegungen der Grund für die personelle Kontinuität in der veterinärmedizinischen Praxis. Die Integration der deutschen Tierärzte hatte jedoch auch klare Grenzen. Im September 1920 sollten alle Angehörigen des staatlichen Veterinärdienstes zu »Commissioners of Oaths« ernannt werden. Dies betraf aber nur britische Staatsbürger. Da die Veterinäre Sigwart, Maag und Schmid sich nicht hatten naturalisieren lassen und dies offenbar auch nicht anstrebten, wurden sie auch nicht in den Status eines »Commissioners of Oaths« erhoben.165 Ebenso wurden die deutschen Veterinäre nicht Mitglieder des »Royal College of Veterinary Surgeons«. Diesem gehörten nur ihren britischen Kollegen 163 Eberhardt, S. 77–98. 164 Dadurch sollte der zunehmende innenpolitische Druck, der durch die Anwesenheit einer wachsenden Zahl armer Weißer in der Union entstanden war, verlagert und gelöst werden. In diesem Zusammenhang erklärt sich, warum neben Beamten, Militärs und straffällig gewordenen Deutschen vor allem Mittellose ausgewiesen worden waren. Eberhardt, S. 61–65. 165 SVO an Secretary, 21.09.1920, NAN AGV 152 V.15-1. In den Lebenserinnerungen von Maag gibt Grimm die Gründe dafür mit der »Vaterlandsliebe« der Veterinäre an. Grimm, Südwesterbuch, S. 273.

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an.166 Dennoch wurden die deutschen Veterinäre in das lokale wissenschaftliche Netzwerk integriert und in die 1923 gegründete »South African Veterinary Medical Association« eingegliedert.167 Diese hatte sich die Förderung einer engen Zusammenarbeit zwischen den praktisch tätigen Tierärzten und den im neuen Institut in Onderstepoort klinisch forschenden Veterinären zur Aufgabe gemacht.168 Nichtsdestoweniger bildeten die deutschen Veterinäre wie auch die weiterhin in SWA lebenden und ab 1920 wieder vermehrt (re)migrierenden deutschen Siedler eine wichtige Stütze für die Errichtung der südafrikanischen Herrschaft.

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Um veterinärpolizeiliche Kontrolle generell durchführbar zu machen, erließ der koloniale Staat die erforderlichen Rahmengesetze und schuf mit dem Aufbau eines staatlichen Veterinärdienstes die grundsätzlichen institutionellen und organisatorischen Voraussetzungen für deren praktische Anwendung. Von Beginn an sah sich die Kolonialverwaltung mit dem allgemeinen Personalmangel der Behörden und Exekutivkräfte konfrontiert.169 Um die veterinärpolizeiliche Kontrolle zumindest ansatzweise garantieren zu können, griffen sowohl die deutsche Kolonialverwaltung wie auch die südafrikanische Mandatsregierung auf die Unterstützung durch europäische Siedler sowie Angehörige der Exekutivkräfte zurück. Farmer wie Soldaten verfügten aber bestenfalls über rudimentäre veterinärmedizinische Kenntnisse, so dass eine entsprechende tiermedizinische Ausbildung organisiert und durchgeführt werden musste. Neben der Vergrößerung des tiermedizinisch ausgebildeten Personals zur Bekämpfung von Tierseuchen erfolgte die Ausbildung von Laien für spezielle veterinärpolizeiliche Aufgaben auch aus Gründen der 166 Goodall, McKie, Revington, Flynn und Hay hingegen waren Mitglieder des RCVS. SVO an RCVS, 15.08.1924, NAN AGV 152 V.15-1. 167 So präsentierte Sigwart seine Forschungsergebnisse zur Lamziekte bei der Jahresversammlung der SAVMA am 05.08.1929 in Onderstepoort. An dem Treffen nahmen ferner Zschokke und Maybin teil. SVO an Secretary, 11.07.1929, NAN SWAA 0304 A34-22. 168 SAVMA an SVO, 14.03.1923, NAN AGV 152 V.15-1. 169 Der generelle Personalmangel stellte eines der zentralen Probleme bei der Errichtung und Durchsetzung kolonialer Herrschaftsansprüche in Namibia dar. Zu diesem Problemkomplex am Beispiel der deutschen Polizeikräfte siehe: Zollmann, S. 42–48, S. 54–57, S. 73–75 und S. 355–336.

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Kostenersparnis. Die Anstellung entsprechend ausgebildeter Fachkräfte  – wenn diese verfügbar gewesen wären  – hätte schlicht den Etat der Regierungen überschritten. Ferner war die Vermittlung veterinärmedizinischen Wissens im Kontext der vom kolonialen Staat betriebenen Modernisierung der Landwirtschaft zu Gunsten der europäischen Siedler von zentraler Bedeutung. Ohne grundlegendes veterinärhygienisches und diagnostisches Wissen sowie basale veterinärmedizinische Fertigkeiten war eine Effizienzsteigerung in der Tierzucht kaum zu erreichen. Anhand der Einbindung von Siedlern und Exekutivkräften lässt sich zeigen, wie sehr die veterinärpolizeiliche Kontrolle im Lauf der Zeit immer enger mit der Sicherung der kolonialen Kontrolle über das Territorium verknüpft wurde. Ging es anfangs um die Bekämpfung akut auftretender Viehseuchen, wurden die »Laien« mit der weiteren Festigung der kolonialen Herrschaft immer stärker in Präventions- und Überwachungsmaßnahmen eingebunden. Dabei lässt sich auch eine zunehmende »Verstaatlichung« beobachten. Waren zunächst die Siedler mit staatlichen Vollmachten ausgestattet, übernahmen mit dem Ausbau der kolonialstaatlichen Strukturen diese Aufgaben zunehmend Soldaten und Polizisten. Parallel dazu wurde das staatliche veterinärmedizinische Bildungsangebot für die Farmer weiter ausgebaut. Sowohl die deutsche Kolonial- als auch die südafrikanische Mandatsverwaltung setzte die tiermedizinische Ausbildung von Laien zur weiteren Festigung der kolonialstaatlichen Kontrolle über das Territorium ein. Trotz der im Grunde gleichbleibenden Zielvorgabe verfolgten die Administrationen dabei unterschiedliche Strategien. Diese werden im Folgenden nachvollzogen sowie deren Wirkung in Bezug auf die Herrschaftssicherung analysiert.

5.1 Die Zivilbevölkerung Zu Beginn der deutschen Herrschaft verfügte das Kaiserliche Kommissariat für das Schutzgebiet lediglich über einen Polizeioffizier. Nach der Gründung der Schutztruppe 1895 und der Landespolizei 1905 wurden die Exekutivorgane personell kontinuierlich vergrößert.170 Jedoch reichten diese Kräfte zu 170 Gründung der Schutztruppe: Haupt, S. 26. Bei diesem Werk handelt es sich um eine rein militärhistorische Arbeit, die einem vollkommen unreflektierten kolonialhistorischen bisweilen revisionistischen Blickwinkel verhaftet ist. So wird zwar der militärische Aufbau der »Schutztruppen« in den einzelnen Kolonien erschöpfend erklärt,

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keinem Zeitpunkt aus, um eine effektive veterinärpolizeiliche Kontrolle der Tierbestände durchführen zu können. Daher griff die Kolonialverwaltung von Beginn an auf die Unterstützung durch europäische Siedler zurück. Diesen wurden die Überwachung und Durchsetzung der staatlichen Hoheitsaufgaben, zu denen auch veterinärpolizeiliche Maßnahmen zählten, übertragen. Während die deutsche Kolonialverwaltung dazu ausschließlich sich freiwillig meldende Siedler heranzog, setzte die südafrikanische Mandatsregierung auf speziell veterinärpolizeilich geschulte Inspectors. Mit der zunehmenden personellen Aufstockung der Veterinärbehörde und Polizeibeamten ging diese direkte Einbindung der Zivilbevölkerung in veterinärpolizeiliche Angelegenheiten sukzessive zurück. Parallel dazu lancierte die deutsche Kolonialverwaltung ab 1893 die Modernisierung der kolonialen Landwirtschaft. Im Zuge dessen wurde schnell klar, dass die Durchsetzung repressiver Gesetze und eine möglichst umfassende staatliche Kontrolle allein nicht ausreichten, geschweige denn realisiert werden konnten. Um die Produktivität der Viehwirtschaft zu erhöhen und gleichzeitig die veterinärpolizeiliche Kontrolle zu verbessern, war zusätzlich eine möglichst breite tiermedizinische Wissensvermittlung erforderlich. Entsprechend begannen zunächst die deutsche Kolonialverwaltung und später die südafrikanische Mandatsregierung in enger Zusammenarbeit mit den Veterinärbehörden, Bildungsangebote für die europäischen Farmer aufzulegen. Dadurch sollten auch Synergieeffekte erzeugt werden. So erhoffte man sich grundsätzlich eine höhere Kooperationsbereitschaft der Farmer gegenüber den staatlichen Maßnahmen sowie – ab 1920 – eine integrative Wirkung in Bezug auf die heterogene Siedlergesellschaft.

5.1.1 Tiermedizinische Laien im staatlichen Auftrag: Sachverständigenkommissionen und Stock Inspectors

Bis zum Ausbruch der Rinderpestepizootie 1896 galt die Lungenseuche der Rinder als die »furchtbare Geißel aller südafrikanischen Kolonien«.171 Da nach europäischem Verständnis die Viehseuchenbekämpfung in die Zuständigkeit des Staates fiel, erließ der Kaiserliche Kommissar für DSWA, Ernst aber deren Rolle bei der Unterwerfung der indigenen Bevölkerung glorifizierend dargestellt. Zur Landespolizei: Zollmann, S. 42–48. 171 Dove, Ueber die gesundheitlichen Verhältnisse, S. 455. Zum Einfluss der Lungen­ seuche in Namibia siehe: Schneider, S. 68–92.

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Heinrich Göring, 1888 die »Verordnung betreffend die unter dem Namen ›Longzikte‹ bekannte Krankheit des Rindviehs«.172 Diese Verordnung war die erste, die die Bekämpfung einer Viehseuche staatlicher Kontrolle unterwarf, indem eine Anzeigepflicht sowie mehrmonatige Isolierung erkrankter und verdächtiger Rinderbestände eingeführt wurde. Als Vorlage für die Verordnung hatte das seit 1870 in Transvaal geltende »Wet to keering der Longziekte« (Gesetz zur Verhütung der Lungenseuche) gedient.173 Die deutsche Kolonialverwaltung verfügte 1888 aber weder über einen Veterinär, noch über die nötigen Exekutivkräfte, um die Maßnahmen zur Bekämpfung der Lungenseuche praktisch umsetzen zu können. Ein wesent­ licher Unterschied zum Gesetz Transvaals bestand daher in der Einbindung der indigenen und europäischen Viehbesitzer in die Viehseuchenbekämpfung in Form von Sachverständigenkommissionen. Demnach sah die auch ins Herero übersetzte Verordnung vor, dass dem »zunächst wohnenden Häuptling« sofort Anzeige über den Ausbruch der Lungenseuche erstattet werden sollte. Die betreffenden Tiere waren umgehend auf einen vom »Häuptling«174 zugewiesenen Isolierplatz zu verbringen. Eine vergleichbare Einbindung der indigenen Bevölkerung durch die Übertragung veterinärpolizeilicher Hoheitsrechte findet sich in keiner anderen Viehseuchenverordnung der Kolonialregierung. Derartige Hoheitsrechte beanspruchten später ausschließlich der koloniale Staat und die europäischen Siedler für sich. Auch eine Übersetzung der veterinärpolizeilichen Verordnungen in eine afrikanische Sprache wurde nie wieder vorgenommen. Auch 1888 wurde die Bekämpfung der Lungenseuche nicht allein den »Häuptlingen« überlassen. Die Verordnung sah die Bildung sogenannter Sachverständigenkommissionen vor. Unter der Leitung eines »Weißen« sollten diese aus drei Ortsansässigen gebildet werden. Das Recht zur Ernennung der Kommissionsmitglieder oblag dem Kaiserlichen Kommissar. Aufgabe der Sachverständigen war es, die Isolierplätze aufzusuchen, um festzustellen, 172 Die Vorlage für diese Verordnung war bereits über ein Jahr zuvor entwickelt worden. Reichskommissar Göring an Kol.Abt., 01.08.1887, Verordnung betreffend die unter dem Namen »Longzikte« bekannte Krankheit des Rindviehs, BAB R 1001/6059 Bl. 18–19. 173 Im Juli 1887 hatte das Generalkonsulat für Südafrika einen Ausschnitt des Staats Courant des Transvaal an die Kolonialverwaltung in Otjimbingwe übersandt. Darin war in der Ausgabe vom 28.06.1887 das Lungenseuche-Gesetz von 1870 erneut abgedruckt worden. Konsulat an Lhptm., 12.07.1887, NAN ZBU 1315 O.III.d.1-1, Bl. 12–14. 174 Zum Häuptlingsbegriff siehe: Bollig, Chieftaincies and Chiefs in Northern Namibia, S. 157–176.

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»ob das Rindvieh von der Krankheit befallen ist oder derselben verdächtig erscheint.«175 Damit oblag allein den Kommissionen das Recht, einen Seuchen­ ausbruch festzustellen und die entsprechende mehrmonatige Isolation über die betreffenden Rinderbestände zu verhängen. Auf diese Weise sollte die staatliche Kontrolle über die Viehseuchenbekämpfung gewährleistet und zugleich der Mangel an Exekutivkräften abgefedert werden. Die Verordnung enthielt keine genaueren Bestimmungen zur Seuchenerkennung und -bekämpfung. Dies war offenbar nicht erforderlich, da die indigenen Viehbesitzer mit den Symptomen der Lungenseuche sowie mit der seit den 1860er Jahren in der Cape Colony praktizierten Bekämpfungsstrategie – Isolierung und Notimpfung – vertraut waren.176 Zur Einbindung der »Häuptlinge« sah sich die Kolonialverwaltung veranlasst, da sich die deutsche Herrschaft zum Zeitpunkt des Erlasses noch in einem »illusorischen Zustand«177 befand und maßgeblich von der Kooperationsbereitschaft indigener Machthaber abhängig war. Entsprechend spielten die Lungenseuche-Verordnung wie auch die Kommissionen in der Rechtswirklichkeit des kolonialen Alltags bis in die 1890er Jahre keine Rolle. Ins­ gesamt diente die Verordnung daher wohl in erster Linie dazu, den deutschen Herrschaftsanspruch zunächst auf dem Papier zu reklamieren. Erst durch die zunehmende und aggressive Durchsetzung des deutschen Herrschaftsanspruches ab 1893178 in Verbindung mit der zunehmenden Ausbreitung der Lungenseuche179 sowie der Ankunft der ersten Veterinäre, Rickmann und Borchert, 1894 rückte die Viehseuchenbekämpfung stärker in den Fokus der Kolonialverwaltung. 175 Göring an Kol.Abt., 01.08.1887, Lungenseuche Verordnung § 2, BAB R 1001/6059, Bl. 18–19. 176 Die Seuche trat in Namibia seit Ende der 1850er Jahre auf. Bereits Anfang der 1860er Jahre ergriffen Afrikaner-Oorlam und einzelne Ovambo-Herrscher Abwehrmaßnahmen in Form von Handelsverboten. Siiskonen, S. 117. 177 1887 bestand die in Otjimbingwe ansässige Kolonialverwaltung lediglich aus dem Kaiserlichen Kommissar, einem Sekretär und einem Polizeisergeanten. Siehe dazu: Oermann, S. 66. Zu dem Herrschaftsgefüge, in das die Deutschen 1884 »einbrachen«, siehe: Henrichsen, Hegemonie der Herero, S. 44–50. 178 1893 begann von François einen Krieg mit Hendrik Witbooi, dem wichtigsten indi­ genen Machthaber im südlichen Namibia. Siehe dazu: Kapitel 1.2 dieser Arbeit. 179 Im Herbst 1893 war es zu einem schweren Ausbruch der Lungenseuche in Windhoek und Otjimbingwe gekommen. Die Verantwortung für den Ausbruch trug die Schutztruppe, die die Bestimmungen der Verordnung missachtet hatte. Leutwein an Kol.Abt., 08.10.1894, Bericht betreffend die Lungenseuche des Rindviehs, BAB R 1001/6060, Bl. 29–33.

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Zu diesem Zeitpunkt erstreckte sich die Kontrolle der Kolonialregierung im Wesentlichen auf Gebiete in Zentralnamibia, wo sich bereits eine nennens­ werte Zahl deutscher Siedler niedergelassen hatte. Um zumindest in diesem Kerngebiet deutscher Herrschaft die Bekämpfung der Lungenseuche gewähr­ leisten zu können, wurde die Lungenseuche-Verordnung von 1888 im August 1894 durch eine Landespolizei-Verordnung ergänzt.180 Die Bezirkshauptmänner sollten für jedes Jahr aus den Reihen der ansässigen Viehbesitzer ihres Bezirks eine dreiköpfige Sachverständigenkommission sowie drei Stellvertreter ernennen. Dabei konnten »[i]n Gebieten, wo die Ein­geborenen als Viehbesitzer« überwogen, zwar »zuverlässige Farbige« als Mitglieder ernannt werden. Es sei aber darauf zu achten, dass »der Vorsitz stets von Weißen geführt, denselben auch möglichst die Majorität eingeräumt« werde.181 Die Kommissionen sollten vor allem die weitere Verschleppung der Lungenseuche durch Frachtfahrer und Viehhändler eindämmen. Diese mussten sich im Falle eines Lungenseucheausbruchs in einem Bezirk von der zuständigen Kommission eine Bescheinigung über die erfolgte Impfung bzw. den Gesundheitszustand ihres Bestandes ausstellen lassen. Diese Bescheinigungen dienten als Instrument zur Kontrolle der Viehbewegungen und mussten »bei Berührung von Ortschaften« den zuständigen Behörden zur Gegenzeichnung vorgelegt werden.182 Entsprechend beruhte die veterinärpolizeiliche Überwachung weiterhin allein auf von ortsansässigen Siedlern gebildeten Sachverständigenkommissionen. Diese waren zudem weitgehend auf die Kooperationsbereitschaft der Viehbesitzer und Frachtfahrer angewiesen, eine aktive und regelmäßige staatliche Kontrolle war schlicht nicht zu gewährleisten. Im Oktober 1894 wurden die Sachverständigenkommissionen für die Orte Windhoek, Rehoboth, Schafsfluss und Otjimbingwe gebildet.183 In den Bezirken Okahandja und Omaruru war indes von der Einrichtung von Kommissionen Abstand genommen worden, »bis durch Zuzug von Weißen die Ernennung einer Kommission ermöglicht wird«.184 Als Ersatz bediente sich die Kolonialverwaltung einer losen Einbindung indigener Bündnispartner 180 Lindequist an Kol.Abt., 02.08.1894, Landespolizeiverordnung betreffend die Ernennung von Sachverständigen Kommissionen für Lungenseuche, BAB R 1001/6060, Bl. 41. 181 Ebd., Bl. 42. 182 Ebd., Bl. 41. 183 Lindequist an Lhptm., 01.10.1894, Bericht über die Lungenseuche Kommissionen in den Bezirken Windhoek und Otjimbingwe, BAB R 1001/6060, Bl. 35–38. 184 Ebd., Bl. 36.

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zur Eindämmung der Seuche. In Okahandja fand »eine strenge Überwachung durch den Häuptling Samuel Maharero im Zusammenwirken mit dem dortigen Stationschef statt«, während in Omaruru »[d]er Häuptling Manasse…eine strenge Überwachung für sein Gebiet zugesagt« hatte.185 Inwiefern die von Maharero und Manasse getroffenen Maßnahmen erfolgreich waren, lassen die entsprechenden Berichte der Kolonialverwaltung offen. Es ist aber davon auszugehen, dass es beiden gelang, eventuelle Seuchenausbrüche effektiv einzudämmen. Schließlich waren die indigenen Viehbesitzer mit den grundlegenden Bekämpfungsstrategien vertraut und hatten selbst reges Interesse am Erhalt ihrer Rinderbestände. Die Berichte der Kolonialverwaltung sprechen lediglich davon, dass die Lungenseuche in den Bezirken Windhoek und Otjimbingwe binnen zwei Monaten »dank der strikten Durchführung der diesbezüglichen Verordnungen und der anerkennenswerthen Mitwirkung der Sachverständigen Kommissionen, in erfreulicher Abnahme begriffen« war.186 Dies war, laut dem Bericht des Bezirkshauptmanns von Otjimbingwe und Windhoek, ­Lindequist, vor allem durch einen indirekten Impfzwang erreicht worden. Die Kommissionen waren »übereingekommen…im Allgemeinen nur geimpftes Vieh für gesund respektive unverdächtig zu erklären«. Dies habe dazu geführt, dass für den neuralgischen Frachtverkehr mit der Küste fast ausschließlich geimpfte Ochsen zur Verwendung kamen. Ferner erhoffte sich Lindequist von der strikten Durchsetzung dieser Maßregeln, auch diejenigen Viehbesitzer, welche sich »anfänglich sträubten«, dazu zu bewegen, ihre Tiere impfen zu lassen.187 Das Konzept, mit Hilfe der Sachverständigenkommissionen die Lungenseuche aktiv zu bekämpfen und eine weitere Verschleppung einzudämmen, schien zumindest im Fall der für die deutsche Kolonialregierung wichtigsten Bezirke und Verkehrswege  – Windhoek, Otjimbingwe und der Frachtverkehr nach Swakopmund – aufgegangen zu sein. Dabei hatte sich neben den Kontroll- und Absperrmaßregeln vor allem die Schutzimpfung als wirksames Mittel erwiesen. Die Sachverständigenkommissionen waren aber bewusst angehalten worden, auf einen indirekten Impfzwang hinzuarbeiten und nicht die Impfungen direkt anzuordnen oder gar selbst durchzuführen. Den Erlass einer obligatorischen Impfpflicht scheute die Kolonialverwaltung aus zwei 185 Ebd. 186 Leutwein an Kol.Abt., 08.10.1894, Bericht betreffend die Lungenseuche des Rindviehs, BAB R 1001/6060, Bl. 29–33. 187 Lindequist an Lhptm., 01.10.1894, BAB R 1001/6060, Bl. 35–38.

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Gründen. Zum einen wäre den Viehbesitzern daraus ein Rechtsanspruch auf staatliche Kompensationszahlungen für Impfverluste entstanden.188 Zum anderen waren die mit der vergleichsweise einfachen wie rustikalen Impfmethode erzielten Ergebnisse schlicht zu unsicher. Laut eines Berichtes des Landeshauptmanns Leutwein waren zwar verhältnismäßig gute Erfolge erzielt worden, der Anteil der infolge der Impfung eingegangen Tiere wurde aber immer noch als »bedeutend« angesehen. Zudem erzeugte die Impfung keine sichere Immunität.189 In den Augen des Gouvernements hatte sich das Konzept der Sachverständigenkommissionen bei der Bekämpfung der Lungenseuche bewährt. Deshalb wurden diese ab 1897 auch in die Bekämpfung der Rinderpest eingebunden und ihre Kompetenzen massiv erweitert. Neben der Fest­stellung und Eindämmung von Rinderpestausbrüchen wurden die Kommissionsmitglieder ermächtigt, die Keulung infizierter Tiere anzuordnen.190 Nachdem die flächendeckende Impfkampagne angelaufen war, übertrug die Kolonialverwaltung den Sachverständigenkommissionen die Überwachung und Kontrolle der Hauptverkehrswege.191 Alle Frachtfahrer, Viehhändler und Farmer, die mit Rindern auf Transportwegen unterwegs waren, mussten eine Bescheinigung über die Seuchenfreiheit ihrer Tiere mit sich führen. Eine solche wurde von den jeweiligen Kommissionen ihres Heimatbezirkes nach erfolgter Untersuchung sowohl auf Lungenseuche als auch Rinderpest ausgestellt.192 Die Einrichtung der Kommissionen konzentrierte sich weiterhin auf die Territorien unter direkter deutscher Herrschaft. Aufgrund der zum Teil zu geringen Zahl europäischer Siedler wurden weiterhin auch in188 Dafür standen der Kolonialverwaltung keine Mittel zur Verfügung. Rickmann an Gouv., 23.06.1899, Entwurf einer Lungenseucheverordnung, NAN ZBU 1315 O.III.d.​ 1-1, Bl. 40–45, hier Bl. 44. Zu den Problemkomplexen staatlicher Kompensationszahlungen und Viehversicherung siehe ausführlicher Kapitel 6.1. und 6.2. dieser Arbeit. 189 Leutwein an Kol.Abt., 08.10.1894, Bericht Lungenseuche, BAB R 1001/6060, Bl. 29–33. 190 Leutwein, 15.05.1897, Landeshauptmannschaftliche Verordnung in Sachen der Rinderpest, NAN ZBU 1314 O.III.c.1-1, Bl. 11–15. 191 Besonderes Augenmerk lag auf der Kontrolle des Baiweges, der wichtigsten Versorgungsader zwischen der Küste und dem Landesinneren. Im Mai 1900 erließ das Bezirksamt Otjimbingwe eine Bekanntmachung, laut der alle Frachtfahrer und Viehhändler verpflichtet wurden, ihre Tiere in Otjimbingwe von einer Kommission auf Rinderpest und Lungenseuche untersuchen zu lassen, bevor sie sich auf den Baiweg begaben. Bekanntmachung Bezirksamt Otjimbingwe, 12.05.1900, NAN ZBU 1315 O.III.d.2-1, Bl. 88. 192 Leutwein, 24.07.1897, Verordnung betreffend Freigabe geimpften Rindviehs auf dem Bay-Wege und im Nordbezirk, BAB R 1001/6063, Bl. 148–149 u. Bl. 167. Die Kommissionen wurden auch zur Kennzeichnung nachweislich »gesalzener« Tiere ermächtigt.

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digene Viehbesitzer zu Kommissionsmitgliedern ernannt.193 Eine vergleichbare enge Einbindung der Laien in die staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen wie in DSWA gab es in Transvaal und der Cape Colony hingegen nicht. Die Ernennung von Sachverständigenkommissionen zur Wahrnehmung und Unterstützung veterinärpolizeilicher Aufgaben wurde ausschließlich von der deutschen Kolonialverwaltung praktiziert. Nach dem Abebben der Rinderpest wurde 1899 erstmals die Effektivität der Sachverständigenkommissionen unter veterinärmedizinischen Gesichtspunkten evaluiert. In einem Gutachten konstatierte der Cheftierarzt Rickmann, dass – entgegen den bisherigen Einschätzungen des Gouvernements – die bislang ergriffenen Maßnahmen zur »Ausrottung der Lungenseuche« ihr Ziel verfehlt hätten. Neben der mangelhaften Kontrolle des Frachtverkehrs und Viehhandels sowie der unzuverlässigen Impfmethode hätten vor allem die »Unzulänglichkeiten der Lungenseuche-Kommissionen…nicht im Geringsten zur Ausrottung der Lungenseuche« beigetragen. Von einem veterinärmedizinischen Standpunkt aus stellten die Kommissionen bestenfalls eine schlechte Notlösung dar. Zwar habe bei der Auswahl der Mitglieder das Bestreben vorgelegen, »viehverständige« Leute zu ernennen. Dies sei aber in vielen Fällen undurchführbar gewesen und oft seien Leute ernannt worden, »die wohl Elle und Gewicht handhaben konnten, aber nicht die geringste Kenntnis von Rindvieh, geschweige deren Krankheiten besaßen«.194 Darüber hinaus fehlten den Laien die erforderlichen epidemiologischen Kenntnisse, um die Verschleppung der Lungenseuche effektiv einzudämmen. Laut ­R ickmann war es »unter den hiesigen Verhältnissen« selbst für Fachleute nahezu »unmöglich die Seuche in ihrem Anfangsstadium zu erkennen und die erforderlichen Schritte zu thun«.195 Aufgrund dieser Mängel war Rickmann der Ansicht, dass die Seuche langfristig nur durch flächendeckende Impfung unter Kontrolle gebracht werden könne. Daher müssten alle Viehbesitzer dazu bewogen werden, ihre Tiere freiwillig gegen Lungenseuche zu impfen. Die Kolonialregierung sollte 193 1899 waren von zwölf ernannten »Sachverständigen für die Plätze Omaruru und Okombahe 3 Herero, 1 Bastard und 3 Bergdamara«. Distriktkommando an Gouv., 24.11.1899, NAN ZBU 1315 O.III.d.2-2, Bl. 11. Dagegen waren 1898 in Otjimbingwe ausschließlich deutsche Ansiedler zu Sachverständigen ernannt worden. Bezirksamt an Lhptm., 31.08.1898, NAN ZBU 1315 O.III.d.2-1, Bl. 39. 194 Hinzu kam, dass viele der Kommissionsmitglieder ihr »unbezahltes Ehrenamt« dazu genutzt hatten eigene Interessen zu verfolgen. Rickmann an Gouv., 23.06.1899, Entwurf Lungenseucheverordnung, NAN ZBU 1315 O.III.d.1-1, Bl. 40–45, hier: Bl. 40. 195 Ebd., Bl. 41.

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»durch Heranziehung tüchtiger Tierärzte, Lieferung einer guten Lymphe und Ausbildung von Laienimpfern« die entsprechende Unterstützung leisten. Rickmann schlug damit eine Strategie gegen die Lungenseuche vor, wie sie in der Cape Colony bereits seit Anfang der 1890er Jahre erfolgreich verfolgt wurde. Dort konnten Farmer seit 1892 beim bakteriologischen Institut Grahamstown gegen eine erschwingliche Gebühr einen standardisierten Impfstoff sowie die zur Impfung erforderlichen Instrumente bestellen. Zudem wurden Broschüren verteilt, in denen eine sichere Impfmethode sowie die Nachbehandlung der geimpften Tiere genau beschrieben wurde.196 An dieses erfolgreiche Vorgehen wollte die deutsche Kolonialverwaltung anknüpfen. Langfristiges Ziel war es, in DSWA die allgemeine Schutzimpfung nach dem Vorbild der Cape Colony einzuführen.197 Bereits im März 1894 hatte sich die deutsche Kolonialverwaltung die entsprechenden Gesetze und Impfinstruktionen des staatlichen Veterinärdienstes der Cape Colony beschafft sowie einige Dosen Lungenseuche-Lymphe in Grahamstown bestellt.198 Nachdem 1898 in Gammams das veterinärbakteriologische Institut eingerichtet worden war, verfügte die deutsche Kolonialverwaltung über eine eigene Produktionsstätte und adaptierte die Produktion eines standardisierten Lungenseuche-Impfstoffes.199 Um das Vorgehen gegen die Lungenseuche effektiver zu gestalten, wurden nach dem Vorbild der Cape Colony auch erste Informationsbroschüren vorbereitet. Mit der zunehmenden Professionalisierung des kolonialen Veterinärdienstes nach 1899 und der damit einhergehenden Orientierung an Vete­ rinärdiensten der Nachbarkolonien trat die Beteiligung von »Laien« an der 196 Die Regierung der Cape Colony legte die Verantwortung für die Durchführung der Schutzimpfung vollkommen in die Hände der Farmer. Die Aufgaben des Veterinärdienstes beschränkten sich indes vor allem auf die Überwachung der zur Eindämmung der Seuchen erlassenen Sanktionsmaßnahmen. Broschüre: Soga, After ­Treatment, 30.06.1893. 197 Die zwei Monate später übersandten Unterlagen bestanden aus je fünf englischen und afrikaans-sprachigen Kopien einer Gouvernment Notice (22.06.1893), einem Circular der Bacteriological Branch vom 28.10.1892 sowie der Broschüre: Festiri Soga, After Treatment of Inoculated Cases vom 30.06.1893. Generalkonsulat an Gouv., 12.03.1894, NAN ZBU 1315 O.III.d.1-1, Bl. 1–10. 198 Aufgrund des Mangels an Kühlmöglichkeiten auf dem Transport kamen die Sendungen jedoch gänzlich verdorben in Windhoek an. Entsprechend schlugen die damit vorgenommenen Impfungen fehl. Leutwein an Kol.Abt., 08.10.1894, Bericht Lungenseuche, BAB R 1001/6060, Bl. 29–33. 199 Broschüre: Soga, After Treatment 30.06.1893. Diese Broschüre wurde 1899 vom Roßarzt Kaesewurm übersetzt und zusammengefasst. Kaesewurm an Gouv., 28.09.1899, NAN ZBU 1315 O.III.d.2-2, Bl. 8–10.

Ausbildung und Einbindung tiermedizinischer Laien

Viehseuchenbekämpfung zwar zunehmend in den Hintergrund. Da der Veterinärdienst in DSWA bis 1904 weiterhin mit Personalmangel zu k­ ämpfen hatte, spielten die Sachverständigenkommissionen aber weiterhin eine wichtige Rolle bei der veterinärpolizeilichen Überwachung sowie der Durchführung von Notimpfungen. Ihre Befugnisse wurden aber, nicht zuletzt aufgrund der von Rickmann geäußerten Bedenken, durch die 1901 erlassene Viehseuchenverordnung deutlich beschnitten. Unter anderem wurde die Anordnung veterinärpolizeilicher Maßnahmen ausschließlich beamteten Tierärzten und Polizeibehörden übertragen. Die Kommissionen durften nur noch als technische Beratungsgremien der Bezirksverwaltungen tätig werden und dies auch nur dann, wenn kein Regierungstierarzt zur Verfügung stand.200 Um eine effektivere Durchführung von Notimpfungen und zukünftiger Impfkampagnen zu gewährleisten, wurde die Herstellung von Impfstoffen ausschließlich Veterinären bzw. dem Institut Gammams übertragen. Zudem waren ab 1903 alle Regierungs- und Militärveterinäre »zur Ausbildung von vertrauenswürdigen Weißen verpflichtet«. Diese sollten vor allem in den Impftechniken gegen Rinderpest und Lungenseuche unterwiesen werden. Ferner war vorgesehen, »dieselben besonders hinsichtlich der Haltbarkeit u. Behandlung der Impfstoffe, der Isolierung der Tiere und Ergreifen der ersten Verhaltensmaßregeln bei Ausbruch von Viehseuchen« zu belehren.201 Über die erfolgte Ausbildung sollten die Tierärzte dann eine Bescheinigung ausstellen, aus der neben der technischen Befähigung auch die Zuverlässigkeit des Betreffenden zur Sprache gebracht werden sollte. Die Ausbildung als Laienimpfer kam damit einer Auszeichnung gleich, die auch als Disziplinierung der europäischen Farmer aufzufassen ist. Schließlich sollten nur vertrauenswürdige und zuverlässige Siedler ausgebildet werden. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die von der deutschen Kolonialregierung gebildeten Sachverständigenkommissionen dazu dienen sollten, den kolonialen Herrschaftsanspruch mit Hilfe von veterinärmedizinischem Wissen zu verstärken. Zumindest anfangs waren dabei die Kommissionen durch die Einbindung indigener Viehbesitzer durchaus ein geeignetes Mittel. Einige Herero omuhona, wie Maharero und Manasse, waren im Interesse der Sicherung ihrer eigenen Machtbasis durchaus bereit, mit der deutschen Kolonial200 Leutwein an Kol.Abt., 15.06.1901, Ausführungsbestimmungen zur Verordnung über die Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen, BAB R 1001/6073, Bl. 80–89. 201 Leutwein an Bezirks- und Distriktsämter sowie alle Regierungstierärzte, 22.05.1903, Ausbildung der Farmer in Rinderpest- und Lungeseucheimpfung, NAN ZBU 1286 O. I.a.1-1, Bl. 9–10.

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regierung zu kooperieren. Statt weiterhin eine möglichst enge Kooperation mit den omuhona zu verfolgen, ging die Kolonialregierung ab den 1890er Jahren aber dazu über, die Sachverständigenkommissionen ausschließlich aus europäischen Farmern zu bilden. Aus veterinärmedizinischer Sicht war die Arbeit der Sachverständigenkommissionen aber uneffektiv. Es konnte also nicht von einer stärkeren kolonialen Durchdringung mit Hilfe von veterinärmedizinischem Wissen gesprochen werden. Diese Widersprüchlichkeit unterstreicht die von der Forschung herausgearbeitete Fragilität kolonialer Herrschaft, die auf der rassistischen Annahme basierte, dass die zivilisatorisch überlegene Rasse allein »durchregieren« könne. Auf dieser Vorstellung einer starren Trennung zwischen Kolonisierern und Kolonisierten beruhte auch der Herrschaftsanspruch der südafrikanischen Mandatsregierung. Diese griff zur Unterstützung der Veterinärbehörde ebenfalls auf tiermedizinische Laien zurück, allerdings in geringerem Umfang. Ab 1924 waren je zwei Sheep Inspectors bzw. Stock Inspectors in Windhoek und Keetmanshoop stationiert.202 Diese speziellen Beamten wurden in der Cape Colony bereits seit den 1890er Jahren vor allem zur Überwachung der Kleinviehbestände und Bekämpfung der Räude und Lungenseuche eingesetzt.203 Anders als die Mitglieder der Sachverständigenkommissionen wurden die Stock Inspectors als Beamte der Administration angestellt und von den Regierungstierärzten in den für ihren Zuständigkeitsbereich wichtigen veterinärpolizeilichen Aspekten geschult. Zu den Aufgaben der Inspektoren gehörten die regelmäßige Kontrolle der Schaf- bzw. Rinderbestände sowie die Anordnung und Überwachung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Schafräude.204 Ferner waren sie ermächtigt, Gesundheitszeugnisse für Viehtransporte auszustellen. Letzteres sollte die Viehbewegungen einer stärkeren staatlichen Kontrolle unterwerfen und so die Verbreitung der Schafräude eindämmen. Der Zuständigkeitsbereich der Stock Inspectors war auf die Unterstützung der Farmwirtschaft innerhalb der Polizeizone begrenzt. Im Rahmen der Förderung der europäischen, rationellen Viehzucht stellte die Unterweisung europäischer Laien in den wichtigsten Impftechniken sowie deren Einbindung in die Viehseuchenbekämpfung nur einen Bestandteil der staatlich organisierten tiermedizinischen Wissens­vermittlung dar. 202 SVO an Secretary, Annual Report 1925, NAN AGV 136 V.10/1-1; GVO McNea an Secretary, 31.12.1927, NAN AGV 136 V.10/1-3. 203 Wallace, Farming Industries, S. 367–369. 204 Diseases of Stock Proclamation 1920, S. 54–55.

Ausbildung und Einbindung tiermedizinischer Laien

An die zur kommerziellen Viehzucht genutzten Gebiete schlossen sich nördlich die Regionen Kaokoveld und Ovamboland an. Diese lagen bis Ende der 1930er Jahre außerhalb des direkten Herrschaftszugriffes der Kolonialverwaltung und galten seit den 1890er Jahren als Risikogebiete, aus denen immer wieder Viehseuchen eingeschleppt werden konnten. Entsprechend baute die südafrikanische Administration ab 1928 die aus der ehemaligen Rinderpestsperrlinie hervorgegangene nördliche Grenze der Polizeizone sukzessive zu einer Veterinär- und Siedlungsgrenze aus.205 Dennoch hatten die europäischen Farmer sowie die Veterinärbehörde ein reges Interesse daran, Kenntnisse über den Stand der Tiergesundheit in diesen Gebieten zu erhalten. Zur Beschaffung dieser Informationen sowie zur Durchsetzung erster veterinärpolizeilicher Maßnahmen griff die südafrikanische Administration zunächst auf Beamte anderer Behörden zurück. So wurden 1922 der an der Grenze zu Ovamboland in Namutoni stationierte Game Ranger sowie der auf Dienstreise ins Kaokoveld und an den Kunene entsandte Sub-Native Commissioner zu Beamten im Sinne der »Diseases of Stock Proclamation« ernannt und ihnen die entsprechenden Gesetze und Ausführungsbestimmungen übersandt.206 Auf diese Weise hoffte die Mandatsregierung, den illegalen Viehhandel sowie vor allem die Einschleppung von Tierseuchen aus dem Norden einschränken oder gar unterbinden zu können. Ob die besagten Beamten überhaupt in der Lage waren, die veterinärpolizeilichen Bestimmungen vor Ort umzusetzen, darf indes bezweifelt werden. Im Lauf der 1920er Jahre wurde die Polizeizonengrenze weiter befestigt und ausgebaut. Veterinärpolizeiliche Maßnahmen nördlich dieser inneren Grenze wurden erst ab den 1930er Jahren – und dann regional eng begrenzt – durchgeführt.207

5.1.2 Schaffung eines tiermedizinischen Problembewusstseins. Staatliche Wissensvermittlung bis 1915

Im Zuge der zunehmenden Durchsetzung des kolonialen Herrschafts­ anspruches ab den 1890er Jahren begann die Kolonialverwaltung, den Aufbau der europäischen Farmwirtschaft gezielt zu unterstützten. Die Maßnahmen 205 Siehe dazu ausführlich Miescher, S. 148–218. 206 ADM an Game Ranger Edward Irving, 20.04.1922, NAN AGV 102 V.2/9-1 und SVO an Native Commissioner Hahn, 12.07.1922, NAN AGV 102 V.2/9-1. 207 Ab 1930/31 führte Regierungstierarzt Schmid im Kaokoveld Impfungen gegen Lungenseuche durch. Miescher, S. 153–154.

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zur Förderung der Siedlerökonomie folgten maßgeblich den in Europa entwickelten Modernisierungskonzepten zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion. Entsprechend sollte der Aufbau einer rationellen, europäischen Viehzucht gegenüber den als unökonomisch charakterisierten afrikanischen Viehhaltungspraktiken gefördert werden. Folglich zielten die Bestrebungen darauf ab, eine intensive, profit- und marktorientierte Viehwirtschaft zu implementieren. Dabei standen die Rationalisierung und Ertragssteigerung der Viehzucht im Mittelpunkt. Im Zuge der Modernisierungsbestrebungen konzentrierte sich die Kolonialverwaltung zunächst auf die Unterstützung von Zuchtviehimporten. Anfang der 1890er Jahre hatten erste Versuche mit der Einfuhr von Rindern aus Europa gezeigt, dass eine kostspielige massenhafte Einfuhr von Zuchttieren aus Europa nicht möglich war. Ohne eine besondere Pflege und Versorgung verendeten die meisten Tiere aufgrund der klimatischen Bedingungen und der spärlicheren Weideverhältnisse binnen weniger Wochen. An diese Gegebenheiten waren die in der Kolonie heimischen Rinderrassen zwar sehr gut angepasst, gemessen an europäischen Marktanforderungen wurde ihre Fleisch- und Milchleistung aber als nicht wettbewerbsfähig angesehen.208 Daher sollten die »afrikanischen Viehrassen« mit Hilfe ausgesuchter europäischer Zuchttiere »aufgekreuzt« werden. Kolonialverwaltung und Siedler hatten zunächst das Ziel verfolgt, durch Handel und Enteignung möglichst schnell die Kontrolle über die Viehbestände in Namibia zu erlangen. Bis Ende der 1890er Jahre befand sich der Großteil der Rinderbestände aber noch in der Hand indigener Viehbesitzer. Die Rinderpestepizootie änderte diese Besitzverhältnisse dramatisch und nachhaltig. Während die Verluste der europäischen Siedler durch die Impfkampagne mit Verlusten von 30–60 % relativ moderat waren, hatten die indigenen Viehbesitzer im Mittel 70–90 % ihrer Rinder verloren – teilweise waren ganze Herden an der Seuche zu Grunde gegangen. Diese extremen Verluste hatten der europäischen Farmwirtschaft erstmals die Möglichkeit zur Expansion eröffnet. Um diese Situation möglichst effektiv für die Etablierung der europäischen Farmwirtschaft und damit auch zur weiteren Festigung der kolonialen Herrschaft zu nutzen, intensivierte die Kolonialverwaltung ab 1898 Zuchtviehimporte.209 Diese Bestrebungen wurden von weiteren Moder208 Gad, S. 76–78; Kremp, S. 39 u. S. 55. 209 Zu Vieheinfuhren sowie zur Institutionalisierung der Viehzucht und -importe im Kontext der Herrschaftssicherung zwischen 1893 und 1914 siehe ausführlich: Vögeli, S. 33–76.

Ausbildung und Einbindung tiermedizinischer Laien

nisierungsmaßnahmen der Viehwirtschaft flankiert. Im Januar 1898 wurde der »Landwirtschaftliche Verein für Deutsch-Südwestafrika« gegründet. Zu den wichtigsten Anliegen dieser ersten Farmerorganisation zählte die Entwicklung der Viehzucht.210 Nahezu zeitgleich erfolgte die Einrichtung des Referates für Veterinärmedizin und Tierzucht. Die staatliche Subventionierung von Zuchtviehimporten sowie die institutionelle Unterstützung durch die Gründung von Farmervereinen und die Einrichtung eines Veterinärdienstes bildeten lediglich die notwendigen Voraussetzungen für die Etablierung einer rationellen europäischen Viehwirtschaft. Ebenso wichtig war die Vermittlung des entsprechenden Wissens innerhalb der Siedlergesellschaft. Die meisten Siedler, die sich in DSWA als Farmer niederließen, hatten keine landwirtschaftliche Ausbildung absolviert und verfügten bestenfalls über rudimentäre tiermedizinische Kenntnisse.211 Während der Rinderpestbekämpfung hatte sich zudem gezeigt, dass viele der bereits seit längerem in der Kolonie ansässigen Farmer nicht nur staatlichen Interventionen grundsätzlich ablehnend gegenüberstanden, sondern zudem auch miasmatischen und zum Teil religiös aufgeladenen Erregerkonzepten anhingen. Ähnlich wie in der Cape Colony zählten zu dieser Gruppe vor allem aus Südafrika eingewanderte Buren sowie Deutsche, die sich schon früh in der Kolonie niedergelassen hatten. Entsprechend nahm die Vermittlung basaler veterinärmedizinscher Kenntnisse und Praktiken einen zentralen Stellenwert ein. Die Grundzüge eines staatlichen Bildungsprogrammes zur Modernisierung der europäischen Farmwirtschaft wurde 1903 in der »Instruction über die Organisation des Referates für Veterinär-Medicin und Viehzucht« grob umrissen. Demzufolge sollten die Veterinäre die Viehbesitzer nicht nur in Fragen der Tierzucht unterstützen, sondern auch in der Erkennung der unterschiedlichen Tierseuchen, den wichtigsten Impftechniken, veterinärhygienischen Fragen sowie im Anbau geeigneter Futterpflanzen ausbilden.212 Neben dem Erlernen praktischer Fertigkeiten zielte die Vermittlung tiermedizinischer Kenntnisse auch darauf ab, den Farmern moderne Erregerkonzepte nahe zu bringen sowie bei ihnen ein Bewusstsein für veterinärpolizeiliche Belange und die entsprechenden Verordnungen zu entwickeln. Außer der expliziten Anweisung, 210 Schwabe, S. 427. 211 Laut Erkrath verfügte nur ein Zehntel der Farmer über die erforderliche landwirtschaftliche Qualifikation. Erkrath, S. 59. 212 Leutwein, Rundschreiben, 01.10.1903, Instruction über die Organisation des Referates für Veterinär-Medicin und Viehzucht, NAN, DOK 122 T.3.a-1.

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dass sich dieses Bildungsprogramm ausschließlich an europäische Siedler richten sollte, blieb es den Regierungstierärzten überlassen, wie, wann und in welchem Umfang sie Schulungen durchführten. Als Grundlage für die tiermedizinische Belehrung der Farmer griffen die Veterinäre auf die in der Kolonie verfügbaren wissenschaftlichen Publikationen zurück. Diese wurden von der Kol.Abt. bzw. dem RKA weltweit beschafft und nach Windhoek gesandt.213 Daneben unterstützte das RKA auch die Publikation veterinärmedizinischer Forschungsarbeiten aus den Kolonien. Dabei handelte es sich ausschließlich um wissenschaftliche Veröffentlichungen, die nicht für ein breites Laienpublikum gedacht waren.214 Sofern mehrere Exemplare geliefert worden waren, wurde je ein Exemplar in die Bibliothek des Gouvernements und des veterinärbakteriologischen Instituts Gammams aufgenommen. Weitere Exemplare wurden vom Referat für Tierzucht und Veterinärwesen an die untergeordneten Veterinärlabore der Bezirkstierärzte verteilt.215 Ergänzend bestellten die Tierärzte gezielt bestimmte Titel.216 So 213 Mit der Gründung des kolonialen Veterinärdienstes setzte ab 1898 die Beschaffung veterinärmedizinischer Fachliteratur durch die Kol.Abt. ein. Seitdem wurden beispielsweise Fachpublikationen über das Texasfieber regelmäßig vom deutschen Konsulat in Washington nach Berlin gesandt und von dort nach Windhoek weitergeleitet. Kol.Abt. an Botschaft in Washington, Bitte um Übersendung des Bulletin Nr. 51 der Versuchsstation Baton Rouge von 1898. Titel: »Cattle Tick and Texas Fever«. BAB R 1001/6063a, Bl. 118. Das Heft traf im Januar 1899 in Deutschland ein. (Bl. 136). Aus den USA bezog die RKA noch: »Some Unusual Host Relations of the Texas Fever Tick, Washington 1906«, BAB R 1001/6065, Bl. 14–18. 214 Das RKA sandte Exemplare der Veröffentlichungen an die Gouvernements in den Kolonien. Nach Daressalam und Windhoek wurden in der Regel zwischen zwei und 15 Exemplaren versendet, während z. B. nach Kamerun und Togo maximal drei Exemplare geschickt wurden. Vgl. die entsprechenden Listen in: BAB R 1001/6099, Bl. 148–156. Ein konkretes Beispiel ist die Versendung einer Broschüre Rickmanns über die »Impfung von Maultieren gegen Sterbe«. Insgesamt 30 Exemplare sandte die Kol.Abt. nach Windhoek, sechs nach Daressalam und zwei nach Buea. Liste Kol.Abt., 02.07.1907, BAB R 1001/6077, Bl. 74. 215 Den Bezirkstierärzten war es darüber hinaus möglich, eigene Anschaffungswünsche zu äußern. Vgl. exemplarisch die Bestellliste des Veterinärinstitutes Kranzplatz (Gibeon) für das Jahr 1904. Neben Medikamenten, Chemikalien und Instrumenten werden auch etliche Zeitschriften und tiermedizinische Monographien aufgeführt. Veterinärinstitut Kranzplatz an Gouv., 17.09.1903, Jahresbestellung, BAB R 1001/6074, Bl. 166–168. 216 Zum Beispiel: Georg Lichtenheld, Die Zecken als Überträger von Tierkrankheiten und ihre Bekämpfung, in: Der Pflanzer, Sonderdruck 1906, in: NAN ZBU 1310 O.III.a.1-1, Bl. 6–14 sowie Georg Lichtenheld, Ergebnisse der von R. Koch ausgeführten und vorgezeichneten Forschungen über das Küstenfieber der Rinder in DOA, Berlin 1908. Weitere Funde in den Akten des RKA: Robert Koch, Ein Versuch zur Immunisierung

Ausbildung und Einbindung tiermedizinischer Laien

gelangten regelmäßig neueste wissenschaftliche Erkenntnisse in die Kolonie, wovon die Farmer bzw. die Modernisierungsbestrebungen der kolonialen Viehwirtschaft profitierten. Aufgrund der bis 1911 geringen Personalstärke konnte der Veterinärdienst kein strukturiertes und kontinuierliches Ausbildungsprogramm gewährleisten. Die Regierungstierärzte haben daher die Farmer meist individuell im Rahmen der regelmäßigen Farmvisitationen sowie durch Vorträge bei Farmerversammlungen in veterinärmedizinischen Belangen unterrichtet.217 Unterschiedliche kommerzielle und staatliche Publikationsformate, etwa praxisorientierte Artikel und Informationsbroschüren, bildeten einen weiteren wichtigen Kommunikationskanal zwischen Veterinären und Farmern. Ab 1903 erschien monatlich die »Landwirtschaftliche Beilage zur DeutschSüdwestafrikanischen Zeitung«, die allen Abonnenten der Zeitung kostenlos zugesandt wurde. Diese Beilage nutzten Regierungs- und Militärveterinäre, um den Siedlern grundlegende tiermedizinische Kenntnisse zugänglich zu machen. Dazu gehörte die Beschreibung der Symptome und Bekämpfungsmaßnahmen der wichtigsten Tierseuchen sowie Artikel, die über den aktuellen Stand der Forschungsarbeiten informierten.218 Daneben wurden auch Artikel publiziert, in denen erfahrene Farmer über ihre praktischen Erfahrungen bei der Bekämpfung und Prävention von Krankheiten berichteten.219 Ergänzend zu der Beschaffung und Verteilung veterinärmedizinischer Fachliteratur und der LaWi Beilage veröffentlichte das Gouvernement die Viehseuchenverordnungen, die aktuellen Ausführungsbestimmungen sowie verhängte Quarantänen und Handelsbeschränkungen in den amtlichen Mitteilungen. Farmer wie Regierungstierärzte mussten also alle wichtigen Informationen selbst zusammentragen. Farmerverbände und einige Regie­ rungstierärzte äußerten daher den Wunsch, ein praxisorientiertes veterinär­ medizinisches Handbuch zusammenzustellen. Dieses sollte dann als Handreichung für Farmer, aber auch für die Einarbeitung neu in die Kolonie

von Rindern gegen Surra, DKbl. 24 (1901); Hans Ziemann, Beitrag zur Trypanosomenfrage, Jena 1905; Ders, Beitrag zur Verbreitung der blutsaugenden Tiere in WestAfrika, 1908. BAB R 1001/6064 b, Bl. 29–42. 217 Rickmann an Kol.Abt., 06.05.1903, Vortrag gehalten vor dem Bezirksverein Windhoek, BAB R 1001/6074, Bl. 139 (mehrere Seiten o.P.). 218 Rickmann, Über Lungenseuche; Kaesewurm (Rossarzt) (1903): Der derzeitige Stand der Forschungen betreffend die afrikanische Pferdesterbe und deren Bekämpfung. In: LaWi-DSWAZ 1/5 (1903), o.P. 219 Rust, o.P.

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entsandter Veterinäre genutzt werden. Es war zunächst der Initiative einzelner Veterinäre überlassen, diese Lücke zu schließen. Den Anfang machte der Oberveterinär Hans Jacobsen. Auf der Grundlage seiner während des Namibischen Krieges gesammelten Erfahrungen in der Seuchenbekämpfung veröffentlichte Jacobsen 1907 »aus der Praxis für die Praxis« einen ersten »Leitfaden für Tierärzte, Offiziere und Farmer«, um erstens den frisch ins Land kommenden Kollegen die Lösung der an sie herantretenden praktischen Fragen [zu] erleichtern…zweitens die Tierbesitzer und Halter über die Entstehung der Viehseuchen und die Möglichkeit zur Verhütung und Bekämpfung [zu] unterrichten.220 Ein ähnliches Anliegen verfolgte auch Cheftierarzt Rickmann, dessen »Tierzucht und Tierkrankheiten in Deutsch-Südwestafrika« ein Jahr später erschien. Während Jacobsen sich ausschließlich auf die unterschiedlichen Tierkrankheiten konzentrierte, hatte Rickmann sein Buch deutlich umfangreicher angelegt. Im Sinne einer ganzheitlichen Modernisierung der Viehzucht und Farmwirtschaft ging es Rickmann darum, »dem Anfänger die hauptsächlichsten Lehren auf dem Gebiet der Zucht, Aufzucht, Nutzung und Krankheiten der Haustiere…zugänglich zu machen«.221 Ferner schilderte Rickmann ausführlich die wichtigsten tiermedizinischen Operationen und ging auf die Instrumente und Medikamente ein, die auf einer Farm grundsätzlich vorhanden sein sollten.222 Die mit der Ausbildung künftiger Farmer befasste Kolonialschule in Witzenhausen integrierte Rickmanns Buch als Standardwerk in ihren Lehrplan.223 Während der Ausbruch des Namibischen Krieges die Anstrengungen zur Förderung der europäischen Farmwirtschaft nur kurzzeitig ins Stocken brachte,224 herrschte noch immer ein Mangel an staatlichen Schulungsange220 Jacobsen, Vorwort. 221 Rickmann, Tierzucht, S. III. 222 Ebd., S. 306–342. Darüber hinaus ging Rickmann, wie in Kapitel 4. bereits erwähnt, auch ausführlich auf die künftige Organisation des Veterinärdienstes ein. 223 Die Bestände der ehemaligen Kolonialschule Witzenhausen sind heute im Archiv des Deutschen Instituts für Tropische und Subtropische Landwirtschaft (DITSL) untergebracht. Dort finden sich insgesamt zwölf Exemplare von Rickmanns Veröffentlichung. 224 Bereits Ende 1904 reisten die beiden Siedler Schmerenbeck und Nitzsche im Auftrag des Gouvernements über Cape Town nach Argentinien und Mexiko, um dort die Möglichkeiten für umfangreiche Zuchtviehimporte zu erkunden. Als Ergebnis dieser Reise wurden 1906 insgesamt 100 Kühe aus Argentinien importiert.

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boten. Bis 1910 hatte sich die Kolonialregierung vor allem auf die finanzielle Unterstützung von Zuchtviehimporten sowie die regelmäßigen Veröffentlichungen konzentriert. Im Zuge der ab 1907 forcierten Ansiedlungspolitik forderten Veterinäre ein größeres Engagement der Kolonialverwaltung im Sinne eines staatlichen und kostenlosen Bildungsangebotes für die Farmer. Oberveterinär Jacobsen sah es als »Pflicht des Staates, die Tierbesitzer über die Schädlichkeiten zu unterrichten«. Um dieser Pflicht nachzukommen, sei es laut Jacobsen am zweckmäßigsten, die gelegentlichen belehrenden Vorträge im Rahmen von Farmerversammlungen »durch Verbreitung illustrierter Merkblätter über die einzelnen Seuchen und ihre Überträger« zu ergänzen.225 Ohne dass Jacobsen dies explizit erwähnte, bezog er sich mit diesem Vorschlag auf das Vorbild Transvaals. Dies geht aus dem Abschlussbericht des Abteilungsvorstehers der Berliner Tierärztlichen Hochschule, Paul Knuth, über dessen 1906/07 durchgeführte Studienreise durch die ostund südafrikanischen Kolonien hervor. Knuth hielt es für nachahmenswert, dass die Leiter der tiermedizinischen und landwirtschaftlichen Referate, wie in den britischen Kolonien, Journale und Jahresberichte veröffentlichten und allen Interessierten kostenlos zur Verfügung stellten. So werde in den britischen Kolonien gewährleistet, dass die Viehzüchter und Pflanzer rasch über alle Fortschritte auf ihren Spezialgebieten Informationen erhalten.226 Diese Forderungen beherzigte die Kolonialverwaltung aber erst im Rahmen der Bekämpfung des Schafpockenausbruchs 1909/10. Da die Seuche zuvor im südlichen Afrika noch nie aufgetreten war, beauftragte die Kolonialregierung Cheftierarzt Henning, zusammen mit Prof. Ostertag ein amtliches Merkblatt über die Krankheit zu erstellen. Versehen mit Abbildungen, wurden in dem Merkblatt die Symptome, Diagnose und zu ergreifenden Bekämpfungsmaßnahmen allgemein verständlich dargestellt und erläutert. Das Merkblatt wurde kostenlos an alle Farmer in den betroffenen Bezirken verteilt und hat Ostertag zufolge maßgeblich zur schnellen Eindämmung der Seuche beigetragen.227 Entsprechend empfahl Ostertag, wie zuvor Knuth,

Schmerenbeck an Gouv., 12.01.1905, Ergebnis der Ermittlungen in Bezug auf die mit der Einfuhr von argentinischem Zuchtvieh in Südafrika gemachten Erfahrungen, NAN ZBU 1204 N. I.g.3-1. Um die kriegsbedingten Viehverluste der Siedler möglichst schnell wieder auszugleichen, intensivierte die Kolonialverwaltung bereits ab Mitte 1905 den Import von Rindern aus den benachbarten britischen Kolonien sowie aus Deutschland. Vögeli, S. 52–56. 225 Jacobsen, S. 3. 226 Knuth, Reisebericht, NAN ZBU 1286 O. I.a.5-1, Bl. 116–117, hier: Bl. 106. 227 Ostertag, Veterinärwesen, S. 2.

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»die amtliche Herausgabe und Verteilung von belehrenden Druckschriften über alle wichtigeren Gegenstände der Landwirtschaft, insbesondere über Tierzucht sowie über Seuchen und Herdenkrankheiten und deren Verhütung und Bekämpfung« nach dem Vorbild Nordamerikas, Australiens und Südafrikas.228 In Bezug auf veterinärmedizinische Aufklärungs- und Ausbildungspolitik in den Kolonien rekurrierten auch europäische Experten auf Erfahrungen aus anderen kolonialen Kontexten. Dieses Vorgehen beförderte die Etablierung eines Wissenstransfers, der sich im Wesentlichen in den Kolonien verortete. Der vermeintliche Erfolg des Schafpockenmerkblatts veranlasste das Gouvernement und auch das RKA, weitere Merkblätter zu erstellen und zu verteilen. Im Auftrag des Gouvernements ließ das RKA bereits ab 1910 in Kooperation mit dem RGA in Deutschland Broschüren über das »Verkalben« (frühzeitiger Abort) der Kühe, Dasselfliegen sowie Schmarotzer der landwirtschaftlich genutzten Säugetiere drucken.229 Zusätzlich wurden in der Kolonie bis 1914 weitere Merkblätter angefertigt. Diese konzentrierten sich vor allem auf hygienische Maßnahmen der Tierhaltung sowie die bedrohlichsten im südlichen Afrika auftretenden Tierseuchen und deren Übertragungswege.230 Die in Deutschland und Windhoek gedruckten Broschüren leitete das Gouvernement an die Vorsitzenden der kommunalen Farmervereine weiter, die diese dann an ihre Mitglieder verteilten. 1911 wurde in den Distrikten mit einer direkten Grenze zur Cape Colony und zum Bechuanaland Protectorate (Gobabis, Grootfontein und Keetmanshoop) die Broschüre »Verhütung und Abwehr des Ostküstenfiebers« an die Farmer verteilt. Die Nachfrage war derart groß, dass die Broschüre binnen weniger Wochen vergriffen war.231 Wie in den britischen Kolonien zielte das Bildungsprogramm mit Hilfe von Merkblättern und offiziellen Broschüren auf die Modernisierung der Tierzucht und Seuchenprävention. Gleichzeitig wurde auf diese Weise die Arbeitsbelastung der Regierungstierärzte reduziert. Da als Multiplikatoren bei der Verteilung in erster Linie die Farmer228 Ebd., S. 82. 229 Die Merkblätter des Kaiserlichen Gesundheitsamtes von 1910 »Die Dasselfliege des Rindviehs und ihre Bekämpfung« und »Schmarotzer der landwirtschaftlichen Haussäugetiere« wurden per Rundschreiben verteilt. Seitz Rundschreiben, 12.03.1914, betr. Merkblätter, NAN DOK 122 T.3.a-1. 230 Merkblätter ab 1909 in: NAN ZBU 1286 O. I.a.4-1, Bl. 1–36. 231 Die nach Gobabis gelieferten 100 Exemplare waren binnen drei Wochen verteilt worden und es bestand von Seiten der Farmer noch immer eine Nachfrage. Distriktsamt Gobabis an Gouv., 03.08.1911, NAN ZBU 1310 O.III.b.2-1, Bl. 197–198.

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vereine dienten und zudem die Publikationen ausschließlich auf Deutsch erschienen, hatten deutsche Farmer exklusiven Zugang zu diesem Wissen. Solche, die keinem Farmerverein angehörten und nicht über ausreichende Sprachkenntnisse verfügten, wurden von diesen Modernisierungsanstrengungen der Kolonialregierung ausgeschlossen. Dies betraf neben der Mehrzahl der indigenen Viehbesitzer potenziell auch einen Teil der burischen Farmer, die sich seit 1900 in der Kolonie niedergelassen hatten. Bei der Anfertigung der Merkblätter wird neben der positiven Bewertung Ostertags vor allem die Erfahrung Hennings ausschlaggebend gewesen sein. Er war schließlich durch seine langjährige Dienstzeit in den britischen Kolonien mit der Praxis amtlicher Merkblätter und Mitteilungen zur Information der Farmer bestens vertraut. Zudem erleichterte Hennings persönliche Bekanntschaft mit den meisten Kollegen in den britischen Kolonien den Austausch entsprechender Informationen. Da es sich bei den Schafpocken um eine neu ins südliche Afrika eingeschleppte Seuche handelte, hatten auch die Regierungen der britischen Kolonien großes Interesse an dem Merkblatt. Im Interesse der auf den interkolonialen Konferenzen beschlossenen engeren Kooperation in Bezug auf die Bekämpfung von Tierseuchen zur Sicherung der kolonialen Viehwirtschaft hatte Henning bereits Mitte 1910 je ein Exemplar des Merkblattes an den Cheftierarzt der Cape Colony, Roland Dixon, und an den Leiter des Onderstepoort Veterinary Institute, Arnold Theiler, gesandt. Während Dixon 1910 umgehend die Übersetzung und Veröffentlichung in der September Ausgabe des AJCGH veranlasste232, bestellte Theiler weitere 80 Exemplare der Broschüre bei Henning.233 Der Austausch von Informationen war durchaus wechselseitig. 1911 schickte das Gouvernement eine Kopie der vom Landwirtschaftsministerium der Südafrikanischen Union veröffentlichten Druckschrift »Fencing« an das RKA . Auch bei der Konstruktion von Zäunen und Toren wollte man sich offenbar an dem Vorbild Südafrika orientieren. Zumindest in der Cape Colony war der Großteil der europäischen Farmen seit etwa 1900 eingezäunt.234 Im Rahmen des weiteren Ausbaus und der Reorganisation des Veterinär­ wesens ab 1911 wurde auch die Idee eines eigenen staatlichen landwirtschaft­ 232 Henning an Gouv., 07.01.1911, Vermerk zur Versendung Pockenmerkblatt an Kap­ kolonie, NAN ZBU 1286 O. I.a.4-1, Bl. 12; Dixon, Sheep pox. 233 Henning an Theiler, 07.02.1911, Merkblatt Pockenseuche an Theiler, NAN ZBU 1286 O. I.a.4-1, Bl. 13. 234 Broschüre »Fencing« in BAB R 1001/8391, Bl. 286–299. Einige der dort abgebildeten Farmtore werden bis heute im südlichen Afrika benutzt.

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lichen Journals umgesetzt. Ab 1911 erschien die »Landwirtschaftliche Beilage des Amtsblatts für das Schutzgebiet Deutsch-Südwestafrika«, die ebenfalls in Windhoek gedruckt wurde. Redaktionell betreut wurde die in loser Abfolge erscheinende Beilage von Hans Sieber, der seit 1911 Leiter des bakterio­ logischen Instituts Gammams war. Anders als in der LaWi-DSWAZ wurden darin ausschließlich praxisorientierte Artikel von Veterinären und landwirtschaftlichen Sachverständigen veröffentlicht. Diese wurden von Experten und Regierungstierärzten zusammengestellt, oder es handelte sich um Vorträge, die diese vor Farmervereinen in der Kolonie gehalten hatten.235 Daneben wurden auch Berichte über die Landwirtschaft der Südafrikanischen Union veröffentlicht, die überwiegend von dem landwirtschaftlichen Sachverständigen des deutschen Konsulats für Südafrika, Guradze verfasst bzw. übersetzt wurden.236 Mit einiger Verzögerung hatte die deutsche Kolonialverwaltung also ein staatliches Bildungsprogramm für Farmer aufgelegt, das im Wesentlichen dem Vorbild der britischen Kolonien, insbesondere Transvaals folgte. In Bezug auf die Modernisierung der von Siedlern dominierten Land- und vor allem Viehwirtschaft rückten die Regierungen der südafrikanischen Kolonien durchaus eng zusammen und tauschten entsprechende Merkblätter und Broschüren untereinander aus. Neben dem breiten Spektrum viehzuchtrelevanter Themen wurden auch andere Bereiche der kolonialen Landwirtschaft wie z. B. Ackerbau in wasserarmen Regionen (sog. Dryfarming) berücksichtigt.

235 So wurde zum Beispiel ein praxisorientierter Artikel des Regierungstierarztes Schmid über die in der Kolonie vorkommenden Zeckenarten, deren Rolle als Krankheitsüberträger sowie die zur Zeckenbekämpfung zur Verfügung stehenden Mittel ebenso veröffentlicht wie Vorträge von Henning über Wollschafzucht und die Aufbereitung der Wollvliese unter seuchenpolizeilichen Aspekten. Schmid, Zecken, S. 24–25. Henning, Wollschafzucht, S. 34–37 u. S. 72–75. 236 Guradze berichtete über Farmertage, Dry-Farming-Kongresse sowie die Gesetze zur Förderung der Landwirtschaft in der Südafrikanischen Union. Guradze, Bericht über Jahresausstellung der Witwatersrand Agricultural Society 1911, in: LaWi-DSWAZ 1&2 (1912), S. 7–8 und S. 13–16.

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5.1.3 Zwischen Selbsthilfe und Professionalisierung. Das veterinärmedizinische Bildungsprogramm unter südafrikanischer Herrschaft

Während der südafrikanischen Militäradministration zwischen 1915 und 1920 kam das staatliche Bildungsprogramm in Namibia zum vollständigen Erliegen. Nachdem sich die deutschen Farmer 1917 in der »Farmwirtschaftsgesellschaft« (FWG) sowie dem »Verband der Farmwirtschaftlichen Vereinigungen« (VFV) reorganisiert hatten, gab die FWG ab 1918 »Mitteilungen der Farmwirtschafts-Gesellschaft für Südwest-Afrika« heraus. Diese schlossen zumindest für die deutschen Siedler die durch den Wegfall der staatlichen Informationsmaterialien entstandene Lücke. Neben Erfahrungsberichten von Farmern über Tierzucht und Landbau veröffentlichten darin die deutschen »Verbands-Tierärzte« sowie der ehemalige Regierungstierarzt Scheben regelmäßig kurze und verständlich formulierte Artikel über einzelne Viehseuchen und -krankheiten und informierten über Symptome sowie Behandlungs- und Präventionsmaßnahmen.237 Ferner wurden auch Übersetzungen von Merkblättern aus der Südafrikanischen Union in den »Mitteilungen« veröffentlicht.238 Von Beginn an verfolgte die Mandatsregierung eine effektive Förderung der Viehzucht und Landwirtschaft. Ab 1920 legte die Mandatsregierung mit der Einrichtung der Veterinary Service Branch auch ein umfangreiches Bildungsprogramm für die Siedler auf. Dabei konnte die Regierung auf bereits erfahrenes Personal zurückgreifen. Alle Veterinäre und landwirtschaft­ lichen Sachverständigen verfügten über mehrjährige Berufserfahrungen im süd­lichen Afrika. Neben Vorträgen und praktischen Anleitungen der Regierungstierärzte verteilte die Veterinärbehörde Broschüren über Haltung, Zucht und Krankheiten von Haustieren sowie Informationsmaterial zur Anfertigung von Untersuchungspräparaten und Blutausstrichen. Dabei konnte die Mandatsregierung direkt auf die Ressourcen der Südafrikanischen Union zurückgreifen. Dies ermöglichte eine deutlich umfangreichere Wissensver­ mittlung und damit auch Einbindung der Farmer als sie die Deutsche Kolonialregierung mit ihren vergleichsweise bescheideneren Mitteln hatte gewährleisten können.

237 Sigwart, S. 108–110. Schmid, S. 480–484; Henning, Ohrenzecke, S. 224–225; Scheben, S. 325–329. 238 Z. B.: Kall, S. 25–30.

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Bereits im Mai 1920 bestellte SVO Goodall in Pretoria jeweils 400 Exemplare der vom Landwirtschaftsministerium der Südafrikanischen Union herausgegebenen Broschüren über Rauschbrand, Milzbrand und Blauzungenkrankheit. Darüber hinaus bat Goodall die Bibliothek des Ministeriums um die Übersendung aller Merkblätter und Broschüren »on all subjects relative to Agriculture and Veterinary Services…that may be of interest«.239 Gleichzeitig bemühte sich Goodall die Mandatsregierung zur Genehmigung eines festen Etats zur Anschaffung veterinärmedizinischer Lehrbücher und Fachzeitschriften zu bewegen. Diese seien besonders wichtig »in a country like this where one is cut off from contact with the outside world to a large extent, and diseases of an unusual character have occasionally to be dealt with«.240 Statt einer festen Budgetzusage wurde Goodall aufgefordert, eine möglichst knappe Liste der gewünschten Titel einzureichen.241 Der Großteil der zentral beschafften Fachliteratur lagerte in der Bibliothek der Veterinärbehörde in Windhoek und wurde den Regierungstierärzten auf Anfrage zur Verfügung gestellt. Zur Ermittlung des Bedarfs an aktueller Fachliteratur sandten die Regierungstierärzte 1924 Listen ihrer Bestände an den SVO. Aus diesen geht hervor, dass die meisten zwar über die neuesten US -amerikanischen und südafrikanischen Fachzeitschriften verfügten. Der wesentliche Teil der Fachliteratur auf den Stationen der Regierungstierärzte bestand aber noch aus deutschsprachigen Publikationen. Diese zum Teil veralteten Publikationen stammten von den deutschen Regierungstierärzten und lagerten im alten Institut Gammams sowie in den ehemaligen Veterinärstationen in Gobabis, Keetmanshoop, Okahandja, Omaruru, Otjiwarongo und Grootfontein.242 Mit Blick auf die verfügbare Fachliteratur, die importierten Informationsmaterialien sowie auf die nach 1920 heterogenere Siedlergesellschaft stellte die Sprachkompetenz bei der Bereitstellung von Informationen für veterinärmedizinische Laien ein Problem dar. Während die Verwaltung überwiegend Englisch nutzte und die veterinärpolizeiliche Rahmengesetzgebung in Englisch und Afrikaans veröffentlicht wurde, sprach ein großer Teil der Farmer Deutsch. Aufgrund ihrer relativen Größe und wirtschaftlichen Bedeutung 239 SVO an Librarian of the Department of Agriculture, 04.05.1920, NAN AGV 153 V.15/2-1. 240 SVO an Secretary, 15.09.1920, NAN AGV 153 V.15/2-1. 241 Diese Praxis wurde auch bis mindestens 1929 beibehalten. Jährlich reichte der SVO eine entsprechende Liste mit Publikationen und Zeitschriften beim Secretary ein. 242 Siehe entsprechende Bestandslisten: SVO an Secretary, 27.08.1924, NAN AGV 153 V.15/3-1.

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war die Einbindung dieser Gruppe in die Viehseuchenbekämpfung für die Mandatsregierung von Interesse. Daher wandte sich die Regierung an die FWG, um die wichtigsten Instruktionen übersetzen zu lassen. So wurde u. a. 1921 die vom Landwirtschaftsministerium der Union herausgegebene Instruktion zur Erstellung von Blutausstrichpräparten übersetzt, damit jeder Farmer diese in der für ihn am besten verständlichen Sprache erhalten könne.243 Bereits vor 1915 hatten die Regierungstierärzte die Farmer sporadisch aufgefordert, Blutausstriche anzufertigen, da anhand dieser eine ganze Reihe von Tierseuchen identifiziert werden konnte. Die deutsche Kolonialregierung hatte aber kaum entsprechende Anleitungen im Umlauf gebracht. Den Farmern war die Relevanz von Blutausstrichen bewusst und entsprechend bestand eine große Nachfrage nach derartigen Broschüren. Als der Distrikttierarzt von Omaruru 1921 fünfzig deutsche Exemplare der »Instructions for taking Bloodsmears« anforderte, wurde ihm mitgeteilt, dass diese zurzeit vergriffen seien und erst in einigen Monaten wieder geliefert werden könnten.244 Neben der FWG griff SVO Goodall vor allem auf die in die Veterinärbehörde übernommenen deutschen »Verbands-Tierärzte« zurück, um den Mangel an deutschsprachigen Broschüren und Informationsmaterialen auszugleichen. Dabei ging es weniger um reine Übersetzungstätigkeiten als vielmehr darum, neues Informationsmaterial u.  a über die Pockenseuche der Ziegen und die neuesten Erfahrungen mit der Immunisierung gegen Pferdesterbe zu erstellen. Dazu forderten die Veterinäre in Windhoek auch die entsprechende aktuelle Literatur aus der Südafrikanischen Union an.245 Diese in der Regel für die Mitteilungen der FWG auf Deutsch verfassten Artikel mussten vor der Veröffentlichung dem Leiter der Veterinärbehörde vorgelegt werden. Wurde ein Artikel als besonders relevant erachtetet, erbat der SVO eine englische Übersetzung. Zum Beispiel wurde GVO Schmid 1924 von SVO Garraway aufgefordert, seinen Artikel »Gedanken über die Zukunft unserer Rinderzucht« ins Englische zu übertragen, da dieser von großem 243 Schriftwechsel zwischen SVO und FWG 14.03.1921 & 16.03.1921, NAN AGV 102 V.2/10-1. Trotz dieser Bemühungen bemängelten einige Regierungstierärzte die Qualität der eingesandten Blutausstriche. Diese waren entweder aufgrund mangelnder Verpackung oder falscher Anfertigung unbrauchbar. GVO Sigwart schlug daher vor, landesweit in Zeitungen auf diese Probleme aufmerksam zu machen. Henning an SVO, 01.09.1921 und Sigwart an SVO, 08.09.1921, NAN AGV 102 V.2/10-1. 244 GVO Revington an SVO, 10.05.1921 und Antwort SVO an Revington, 14.05.1921, AGV 102 V2/7A-1. 245 GVO Sigwart an SVO, 12.02.1921 sowie GVO Schmid an SVO, 08.03.1921, NAN AGV 153 V.15/2-1.

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Interesse für die gesamte Farmergemeinschaft auch der Südafrikanischen Union sei.246 Neben der intensiven Einbindung, vor allem der deutschen Regierungstierärzte waren auch andere landwirtschaftliche Experten eng in das Bildungsprogramm der Mandatsregierung eingebunden. Von diesen gingen sogar innovative Impulse für die qualitative und quantitative Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion aus. Im Juni 1927 forderte der Senior Sheep Inspector, W. E.  Robinson, die Mandatsregierung auf, das staatliche Bildungsangebot zur Förderung der Schafzucht deutlich auszuweiten. Dies sollte vor allem durch praktische Vorführungen und Präsentationen von Musterprodukten und Zuchttieren erfolgen. Um vor allem die entlegeneren Farmgebiete zu erreichen, schlug Robinson vor, einen Agricultural Demonstration Train auszurüsten.247 Der Chief Agricultural Adviser, P. J. von der Schreuder, hatte mit ähnlichen Zügen in der Südafrikanischen Union bereits gute Erfahrungen gemacht und war daher überzeugt, dass »it is a most potent factor in the education of farming communities«.248 Er riet aber dringend dazu, dass ein solcher Zug möglichst alle Bereiche der im Land betriebenen Landund Viehwirtschaft abdecken sollte. Schreuder wurde schließlich mit der Organisation und Ausrüstung eines entsprechenden Demonstrations­zuges beauftragt. Ausgestattet vom Agricultural Departement, fuhr der Zug im März 1928 drei Wochen lang durch Zentral- und Südnamibia.249 Er bestand aus insgesamt vier Waggons. In einem waren hochwertige Nutztiere untergebracht, um die unter wirtschaftlichen Gesichtpunkten vorgegebenen Zuchtziele auch als lebendes Anschauungsmaterial vorführen zu können. Zwei weitere Waggons dienten als Ausstellungsräume. In diesen wurden unterschiedliche Nutzpflanzen der staatlichen Versuchsfarm Neudamm sowie tierische Erzeugnisse wie Wolle und Felle gezeigt. Außerdem präsentierten mehrere private Firmen unterschiedliche landwirtschaftliche Bedarfsgüter. Die Ausstellung wurde durch Vorträge der mitreisenden Experten Schreuder 246 SVO an GVO Schmid, 05.03.1924, NAN AGV 153 V.15/2-1. Schmid reichte daraufhin die Übersetzung ein. Dabei hatte er über dem maschinenschriftlichen deutschen Text Zeile für Zeile die englische Übersetzung eingefügt. 247 Secretary an S. A. R.&H., 04.06.1927, NAN SWAA 0304 A34-21. Zum Agricultural Demonstration Train siehe auch: Miescher, S. 124–125. 248 Schreuder an Secretary, 29.08.1927, NAN SWAA 0304 A34-21. 249 Laut dem fünfseitigen Abschlussbericht Schreuders machte der Zug Station in Windhoek, Okahandja, Karibib, Rehoboth, Kalkrand, Mariental, Keetmanshoop, Gibeon, Kalkfontein, Konkiep, Aus und Kapps. Schreuder an Secretary, 11.08.1928, Abschlussbericht, NAN SWAA 0304 A34-21, S. 2

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und von drei weiteren Sachverständigen für Viehzucht und Landbau ergänzt. Zusätzlich hielten in Okahandja der Regierungstierarzt Zschokke sowie in Keetmanshoop sein Kollege Sigwart Vorträge über Tierkrankheiten und veterinärmedizinische Themen. Die landwirtschaftliche Wanderausstellung richtete sich ausschließlich an die europäischen Farmer. Diese wurden durch die lokalen Farmervereinigungen über den Aufenthaltsort des Zuges informiert. Nicht zuletzt die enge Zusammenarbeit mit den lokalen Farmervereinigungen trug dazu bei, dass der Demonstration Train auf reges Interesse der Bevölkerung stieß. Insgesamt besuchten 1.175 interessierte Farmer samt ihren Familien die mobile Landwirtschaftsschau. Entsprechend bezeichnete Schreuder in seinem Abschlussbericht das gesamte Unternehmen als erfolgreichen Beitrag »for the progress and prosperity of the farming industry of South West Africa«.250 Die Ausstellung, Vorträge und Versammlungen hätten den Farmern gezeigt, dass das »Department, small as it is, is watching their efforts and they are always assured of help and advice«.251 Neben der Steigerung des Vertrauens der Farmer in die Regierung habe es die Präsentation unterschiedlicher Zuchtziele in Form der mitgeführten lebenden Tiere ermöglicht »to drive home the points of a considered lecture exhorting better farming, better stock, better methods, better citizens«.252 Demnach konnte ein Farmer nur dann ein guter Bürger sein, wenn er nach modernsten Methoden wirtschaftete. Damit verknüpfte Schreuder die Vermittlung agrarökonomischen Wissens in Bezug auf Tierzuchtpraktiken und veterinärmedizinische Kenntnisse explizit mit herrschaftspolitischen Zielen. Durch die Landwirtschaftspolitik sollte für die heterogene Farmergesellschaft eine gemeinsame Basis geschaffen sowie deren grundsätzliche Loyalität und Kooperationsbereitschaft mit der Mandatsregierung gesichert werden. Obwohl der Abschlussbericht den Zug als einen Erfolg feierte, finden sich keine Belege, dass vergleichbare Veranstaltungen folgten.253 250 Ebd., S. 5. 251 Ebd. 252 Ebd., S. 3. 253 Schreuder an Secretary, 29.08.1927, NAN SWAA 0304 A34-21. Zwar liegen keinerlei Dokumente vor, aus denen die Kosten für die Ausrüstung des Zuges hervorgehen, aber Schreuder hatte bereits 1927 darauf hingewiesen, dass insbesondere der Umbau der Waggons sehr kostspielig sei. Hinzu kamen noch die Betriebs- und Personalkosten. Diese wurden in Relation zu den effektiv erreichten Personen möglicherweise als zu hoch angesehen. Ein weiterer Grund könnte auch in der zunehmenden Motorisierung der Farmer liegen, die es ihnen ermöglichte, regelmäßiger an Farmertagen und Landwirtschaftsmessen teilzunehmen.

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Die grundsätzlichen Synergieeffekte, die sich in Bezug auf die Herrschaftssicherung durch die Schulung der Farmer ergaben, veranlassten die Mandatsregierung, das Bildungsprogramm weiter auszudehnen. Seit 1919 hatten sich etliche, meist mittellose Buren in der Hoffnung auf einen Neuanfang vor allem im Süden SWAs niedergelassen. Ein Jahr später hatte die Mandats­macht mit der systematischen Landvergabe an südafrikanische Siedler, ebenfalls in der Mehrzahl arme burische Familien, begonnen.254 Aufgrund ihres geringen Kapitals stellten diese Siedler für das wirtschaftliche Überleben der Siedlergesellschaft eine strukturelle Gefahr dar, die durch staatliche Interventionen gemildert werden musste. Dies wiederum schürte die Ressentiments deutscher Farmer gegenüber den burischen Einwanderern.255 Vor dem Hintergrund dieser Spannungen hielt der Chief Sheep Inspector 1928 landesweit Vorträge zu allen Fragen der Schafzucht. Aufgrund der großen Resonanz führte das Landbauministerium zwischen Februar und März 1929 eine weitere »Uitbreidings-toer« durch. Zielgruppe waren vor allem die meist armen burischen Farmer. In den Vorträgen ging es um grundlegende Kenntnisse der Rinder-, Hühner- und Schweinezucht. Diese wurden durch Vorträge und Demonstrationen der Regierungstierärzte über entsprechende Tierkrankheiten ergänzt.256 Der Mandatsregierung war das Integrationspotenzial eines staatlichen landwirtschaftlichen Bildungsangebotes bewusst und sie lancierte weitere Aktionen. Dabei kam ein wichtiger Impuls aus der Südafrikanischen Union. Zur Förderung der kommerziellen Farmwirtschaft in den anglophonen Kolonien des südlichen Afrika organisierte das Landwirtschaftsministerium der Südafrikanischen Union 1929 eine Farmertour nach Australien. Die Teilnehmer sollten während der fast viermonatigen Reise vor allem die weltweit führende australische Schaf- und Wollindustrie kennen lernen. An der Reise konnten Farmer aus der Südafrikanischen Union, Rhodesien und SWA teilnehmen. Interessierte Farmer sollten sich bis zum 31. Dezember 1928 beim Chief Agricultural Officer in Windhoek anmelden.257 Von dem Angebot machte aber kein Farmer aus SWA Gebrauch.258 Neben der langen Reisedauer 254 Silvester, Wallace, Hayes, S. 11. 255 Eberhardt, S. 191–203. 256 Die Tour machte jeweils zwei Tage Station in Okahandja, Wilhelmstal, Karibib, Omaruru, Kalkfeld, Outjo und Grootfontein, Landbou Beamter an ADM, 06.12.1929, NAN SWAA 0304 A34-16. 257 Secretary an Chief Agricultural Officer, 05.12.1928, NAN AGV 018 A.3A-1. 258 Chief Agricultural Officer an Secretary, 05.02.1929, NAN AGV 018 A.3A-1.

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dürften angesichts der durch Krieg und Dürreperioden stark angeschlagenen Farmwirtschaft vor allem die hohen Kosten von £ 320,- für die Reise ein Grund für das Desinteresse gewesen sein.259 Die Idee, durch staatlich organisierte Reisen Farmern die Möglichkeit zu geben, Methoden und Techniken der Tierzucht in Musterbetrieben kennenzulernen, wurde von der Mandatsregierung aufgenommen. Ein solches Vorhaben passte gut in das von der Regierung verfolgte breite Bildungskonzept. 1929 organisierte der Chief Agricultural Adviser, Schreuder, exklusiv für Farmer aus SWA eine Reise zu den landwirtschaftlichen Union Shows in Bloemfontein und Johannesburg.260 Die knapp dreiwöchige Reise war für die Farmer finanziell erschwinglich, da die Regierung die Reisekosten übernahm.261 Entsprechend stieß das Angebot auf reges Interesse und es nahmen insgesamt 20 Farmer teil.262 Unter Leitung Schreuders besuchten die Teilnehmer neben den Landwirtschaftsmessen mehrere Rinder- und Versuchsfarmen, den 1923 fertiggestellten Hartebeespoort Damm, den Johannesburger Schlachthof und das Onderstepoort Veterinary Institute. Außer der praktischen Bildung der Farmer diente die Reise auch dazu, die Kontakte der Farmer in der Südafrikanischen Union und SWA zu fördern sowie Anreize zum Ankauf von Zuchtvieh zu setzen. Das offizielle Reiseprogramm sah die Rückreise am 4. April vor. Die zur Verfügung gestellten Bahnfahrkarten waren aber bis zum 16. April gültig, um den Teilnehmern die Möglichkeit zu geben, noch weitere Farmen zu besuchen und Viehkäufe zu tätigen. Vor allem die Tatsache, dass elf der Teilnehmer deutsche Farmer waren, wurde vom Deutschen Klub Johannesburg sehr begrüßt, der umgehend anbot, die Reisegruppe in Johannesburg zu betreuen.263 Die Presse berichtete über den Besuch, für sie zählten die deutschen Farmer zu den »most interesting visitors to the show«.264 Während des dreitägigen Aufenthalts in Pretoria wurden alle Besichtigungen zusammen mit einer großen Gruppe Cape-Farmer durchge259 Wallace, History, S. 228–232. 260 Schreuder an Secretary, 15.03.1929, List of Participants and Schedule SWA Farmers Tour to South Africa 1929, NAN AGV 024 A 6-25. 261 Die Teilnehmer mussten lediglich für Kost und Unterkunft aufkommen. Schreuder an Secretary, 18.02.1929, NAN AGV 024 A.6/25-2. 262 Am gesamten offiziellen Programm nahmen 17 Farmer teil. Erst in Bloemfontein und Johannesburg kamen die restlichen drei hinzu. Teilnehmerliste, 15.03.1929, NAN AGV 024 A.6/25-2. 263 Deutscher Klub Johannesburg an Chief Agricultural Officer, 14.02.1929, NAN AGV 024 A.6/25-2. 264 Ausschnitt Farmers Weekly, 03.04.1929, NAN AGV 024 A.6/25-2.

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führt. Insgesamt war die Reise, so kommentierte ein Teilnehmer, »a pleasant and educative eyeopener«, und vor allem der freundliche Empfang durch die Agricultural Society Bloemfontein »assisted in breaking the ice and making us [SWA Farmers] feel welcome and quite at home«.265 Das Konzept, die Farmer durch Bildung implizit zu guten und verlässlichen Bürgern zu machen, ging offenbar erneut auf. Im Sinne der Sicherung der kolonialen Machtbasis war es für die Regierung von großem Interesse, die deutschen Farmer möglichst eng in die südafrikanische Farmwirtschaft zu integrieren. Gleichzeitig wird abermals deutlich, dass indigene Viehbesitzer systematisch von der staatlichen Unterstützung zur Modernisierung der Viehwirtschaft ausgeschlossen wurden und ihnen der Zugang zu veterinärmedizinischem Wissen verwehrt wurde. Für die Teilnahme an der Reise konnten sich nur Personen anmelden, die Mitglied eines Landwirtschaftsverbandes waren, und diese nahmen grundsätzlich keine Afrikaner auf. Im Gegensatz zur deutschen Administration setzte die südafrikanische Mandatsregierung die Regierungstierärzte von Beginn an verstärkt im Rahmen des Bildungsprogrammes ein. Die mehrsprachige Einbindung der Bevölkerung in die Seuchenprävention durch ein breit angelegtes Bildungsprogramm sicherte die Herrschaft der Mandatsregierung auf unterschiedlichen Ebenen. Zum einen gelang es, durch die Veröffentlichung und Unterrichtung der Farmer in den unterschiedlichen Sprachen die Modernisierung der Viehwirtschaft breit zu fördern. Die Förderung und Vereinheitlichung der Tierzucht sowie vor allem die Viehseuchenprävention vermittelten den europäischen Farmern zumindest eine gewisse wirtschaftliche Sicherheit und auch ansatzweise ein Gemeinschaftsgefühl. Zum anderen profitierte das Bildungsprogramm von der Einbindung der deutschen Regierungstierärzte. Diese erschlossen durch die Übersetzungstätigkeit nicht nur die deutschen Wissensbestände und machten diese für die Mandatsregierung nutzbar, sondern genossen unter den deutschen Farmern Ansehen und Autorität. Dadurch konnte sich die Mandatsmacht relativ schnell eine gewisse Loyalität der deutschen Siedler sichern und diese, zumindest bei einem Teil, durch die organsierten landwirtschaftlichen Informationsreisen weiter festigen.

265 Ausschnitt einer südafrikanischen Zeitung, 09.04.1929. NAN AGV 024 A.6/25-2.

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5.2 Die Exekutivkräfte Mit der zunehmenden Etablierung des Kolonialstaates verringerte sich die Einbindung der Siedler in die Tierseuchenbekämpfung. Bis 1904 waren die Farmer zur Unterstützung der relativ kleinen Veterinärbehörde – in Form der mit staatlichen Vollmachten ausgestatteten Sachverständigenkommissionen – direkt an der Durchsetzung veterinärpolizeilicher Maßnahmen beteiligt. Befördert durch die Zementierung der kolonialen Herrschaft nach dem Namibischen Krieg ab 1907 und der damit einhergehenden Ausdifferenzierung der kolonialstaatlichen Organe, wurden diese Aufgaben endgültig den kolonialen Exekutivkräften übertragen. Die Angehörigen der Schutztruppe waren seit der Rinderpestepizootie von 1897 mehrfach zur Tierseuchenbekämpfung sowie zur veterinärpolizeilichen Überwachung herangezogen worden. Nach 1907 wurden diese Aufgaben weitgehend der neugegründeten Kolonialpolizei übertragen. Für die Wahrnehmung veterinärpolizeilicher Aufgaben, insbesondere die regelmäßige Überwachung und Kontrolle der Tiergesundheit sowie der im Falle eines Seuchenausbruchs möglichst schnell zu erlassenen Absperrungsmaßnahmen, mussten Soldaten und Polizisten entsprechend ausgebildet werden. So naheliegend die Einbindung der Exekutivkräfte in die veterinärpolizeiliche Kontrolle war, so unterschiedlich wurde sie in der Praxis umgesetzt. Während die deutsche Kolonialverwaltung bei der tiermedizinischen Ausbildung der Soldaten und Polizisten weitgehend einem Reiz-Reaktionsschema folgte, bemühte sich die südafrikanische Mandatsregierung von Anfang an, die Polizeikräfte durch eine systematischere und professionellere tiermedizinische Ausbildung eng in die veterinärpolizeiliche Kontrolle zu integrieren. Diese Prozesse werden in den folgenden Kapiteln nachgezeichnet und im Hinblick auf ihren Beitrag zur Herrschaftssicherung analysiert.

5.2.1 Die Schutztruppe wird zur Impftruppe

Die Abwehr und Unterdrückung von Tierseuchen gehörte im Deutschen Reich zu den Kernaufgaben der Polizei. In Absprache mit den Regierungstierärzten war die Polizei für die Anordnung und Durchsetzung der entsprechenden Maßnahmen zuständig.266 In den Kolonien des Deutschen Reiches 266 Reichsgesetz betreffend die Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen vom 01. Mai 1894.

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existierte eine solch klare Trennung der Zuständigkeiten der staatlichen Organe aufgrund des Fehlens entsprechender rechtlicher Grundlagen sowie des allgemeinen Personalmangels lange nicht. Im Falle DSWAs nahm die Einrichtung einer Kolonialpolizei erst mit dem Erlass der »Organisationsbestimmungen der Landespolizei« im Mai 1905 konkretere Züge an. Die vom stellvertretenden Gouverneur Tecklenburg veröffentlichte Bestimmung machte aber keinerlei Angaben zur Finanzierung oder den rechtlichen Grundlagen der geplanten Kolonialpolizeibehörde. Tatsächlich wurde die Landespolizei erst Ende 1907 im Zuge der Trennung zwischen Militär- und Zivilbehörden sowie der Einrichtung der Polizeizone als Teil der Zivilverwaltung geschaffen.267 Bis dahin wurde – neben den Sachverständigenkommissionen – die Schutztruppe zur Umsetzung veterinärpolizeilicher Aufgaben eingesetzt. Aufgrund des Fehlens einer eigenständigen Polizeibehörde hegte Gouverneur Leutwein keinerlei Bedenken, das Militär zur Tierseuchenbekämpfung  – also im Kern für polizeiliche Aufgaben  – einzusetzen.268 Betrachtete Leutwein Viehseuchen doch als den »gefährlichsten Feind des Schutzgebietes«, und »einen solchen zu bekämpfen« sei schließlich Aufgabe der Schutztruppe.269 Entsprechend wurde die Schutztruppe ab 1897 in die Impfkampagnen gegen die Rinderpest eingebunden. Angesichts des Mangels an Veterinären und der noch relativ geringen Zahl europäischer Siedler ist es wenig verwunderlich, dass das Militär zur Unterstützung herangezogen wurde. Keine andere Institution in der Kolonie war in der Lage, binnen kurzer Zeit die dringend benötigten Hilfskräfte zur Verfügung zu stellen. Kurz nachdem Kochs Assistent, Paul Kohlstock, im Mai 1897 in Swakopmund eingetroffen war, begann die flächendeckende Ausbildung von Laienimpfern in der »Koch’schen Impfmethode«. Die von Kohlstock verfassten 267 Zur Etablierung der Landespolizei sowie den damit einhergehenden Abstimmungsund Kompetenzproblemen mit dem Kommando der Schutztruppe siehe: Zollmann, S. 42–48. 268 Darüber hinaus war ein Großteil der Schutztruppe in der Regel mit nicht-militärischen Aufgaben betraut. Neben der Tierseuchenbekämpfung wurden die Soldaten zunächst zum Straßenbau, der Errichtung von Hafenanlagen sowie beim Eisenbahnbau eingesetzt. Ab Ende der 1890er Jahre verlagerte sich der Einsatz der Schutztruppe bei derartigen Arbeiten überwiegend auf die Bewachung der zur Zwangsarbeit herangezogenen Afrikaner. Dies konnte mitunter fatale Folgen haben. So verübten Soldaten in Wilhelmstal ein Massaker an den indigenen Zwangsarbeitern, die sie beim Eisenbahnbau überwachen sollten. Zimmerer, Deutsche Herrschaft, S. 230–236. 269 Leutwein an Oberkommando Schutztruppe, 04.06.1903, NAN ZBU 1286 O. I.a.1-1, Bl. 2.

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Impf- und Desinfektionsrichtlinien sollten es den Impfmannschaften ermöglichen, auch ohne vollständige medizinische Ausrüstung und Kenntnis ihre Aufgabe zu erfüllen.270 Da beispielsweise eine mikroskopische Untersuchung der für die Impfung bestimmten Galle nur in den seltensten Fällen durchgeführt werden konnte, riet Kohlstock, »sich auf sorgfältigste Beobachtung der durch Sehen und Geruch festzustellenden Eigenschaften« zu beschränken.271 Die Feststellung der Keimfreiheit durch optische und sensorische Merkmale war zwar nur begrenzt geeignet, die Impfungen sicherer zu machen, ermöglichte es aber, die »Ausbildung eines Impfers in Gallenentnahme, Diagnose auf Rinderpest durch Obduktion und Impftechnik einschließlich Temperaturmessung« innerhalb von zwei Tagen abzuwickeln.272 Dabei wurde Kohlstock von anderen medizinisch qualifizierten Personen wie den Stabsärzten Lübbert und Kuhn sowie Veterinär Rickmann unterstützt. Diese richteten entlang des Baiweges sowie an strategischen Plätzen innerhalb des »weißen Farmlandes« Impfposten ein und unterwiesen dort neben freiwilligen Siedlern vor allem Angehörige der Schutztruppe in der Impftechnik. Dadurch stand binnen kurzer Zeit eine für die Durchführung der Impfkampagne ausreichende Zahl von »Impfern« zur Verfügung. Neben den rein handwerklichen Impftätigkeiten leistete das Militär auch Unterstützung bei der Ausbildung in der mikroskopischen Gallenuntersuchung, die von Stabsarzt Sobotta im Bezirk Windhoek durchgeführt wurde.273 Entsprechend der Vorgabe Kohlstocks wurde die Ausbildung indigener Viehbesitzer vermieden. Diese wurden ausschließlich zu Hilfsarbeiten herangezogen.274 Nach erfolgter Ausbildung wurden die Laienimpfer mit der Leitung sogenannter Impfkommandos beauftragt. Ähnlich wie die Sachverständigenkommissionen wurden diese Kommandos zur Durchführung der Impfkampagnen mit weitreichenden polizeilichen Vollmachten ausgestattet. Jeder Viehbesitzer musste einen Teil seiner gesunden Tiere zur künstlichen Gewinnung von Impfgalle bereitstellen. Die Zahl der dafür benötigten Rinder war nicht gesetzlich limitiert, daher wurde die Festlegung der erforderlichen Anzahl den Leitern der Impfkommandos überlassen. Vor allem während der Impfungen im »Herero­ 270 Siehe dazu Kapitel 2. dieser Arbeit. 271 Kohlstock an Lhptm., 28.05.1897, Impfanweisung, BAB R 1001/6089, Bl. 20–21. 272 Kohlstock an Lhptm., 11.09.1897, BAB R 1001/6090, Bl. 31. 273 Ebd. Die Ausbildung an den Mikroskopen war aber wenig effektiv, da es nur wenige dieser teuren Geräte in der Kolonie gab. 274 Dies geschah in erster Linie aufgrund der rassistischen Ressentiments der Europäer gegenüber der als faul und minderwertig eingestuften indigenen Bevölkerung.

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land« zeigte sich, dass dieses System offen für Missbrauch war. Die Sonderrechte der Impfkommandos betrafen ein Fundament der Hererogesellschaft – die Rinderherden. Es kam bei den Hereroherden immer wieder vor, dass die Impfkommandos weit mehr Rinder für die Gallengewinnung konfiszierten, als für die betroffene Herde vor Ort nötig waren. Die überschüssige Galle wurde dann zur Impfung anderer Herden verwendet. In e­ inigen Fällen wurden sogar Tiere aus seuchenfreien Herden beschlagnahmt. Und obwohl kein offizieller Impfzwang bestand, sind Fälle belegt, in denen Impfkomman­ dos indigene Viehbesitzer mit Waffengewalt zwangen, ihre Tiere abzutreten.275 Solche Konflikte traten im Verlauf der Impfkampagnen immer wieder auf. Die Tatsache, dass Soldaten, die von der indigenen Bevölkerung grundsätzlich eher als Bedrohung wahrgenommen wurden, nun Impfungen durchführten und dabei mitunter Gewalt anwendeten, nährte die aufgrund der schwankenden Impferfolge kursierenden Gerüche. Demnach nutzten die Deutschen die Impfungen, um unter dem Deckmantel der medizinischen Hilfe die Rinderpest absichtlich unter den Beständen der indigenen Viehbesitzer zu verbreiten, um diese in die Armut zu treiben.276 Die Regierungstierärzte wie auch die Befehlshaber der Impfkommandos machten die Herero für die hohen Verluste beim Impfen verantwortlich. Die Herero seien schlicht zu sorglos und unachtsam vorgegangen.277 Diese Behauptung spiegelt nicht nur die rassistischen Motive der Kolonialherren, die den Herero grundsätzlich zivilisatorische Rückständigkeit sowie Faulheit und Gleichgültigkeit unterstellten, sondern unterschlägt auch den Machtmiss­brauch durch Impfkommandos. Dieser war es schließlich, der dazu führte, dass die Kampagne von 1897 und alle späteren Impfaktionen von den Herero sowie anderen indigenen Bevölkerungsgruppen als unverständliche und gewaltsam erzwungene Verwaltungsakte empfunden wurden.278

275 Zum Missbrauch der Machtbefugnisse siehe Gewald, Towards Redemption, S. 145–147. 276 Ebd., S. 165. Diese Gerüchte waren auch in anderen Teilen Südafrikas aufgekommen. Phoofolo, Epidemics and Revolutions, S. 134. 277 Während 1897 weiße Farmer durchschnittlich etwa 20 % der geimpften Tiere verloren, lag die Mortalitätsrate bei den Herden der Herero ungleich höher. So starben z. B. am Waterberg rund 50 % der geimpften Bestände. Rickmann an Lhptm., 25.12.1897, Impfbericht Bezirk Gibeon, NAN ZBU 1313 O.III.c.4-2, Bl. 6–7. Zur Behauptung, dies hänge mit der »Faulheit der Eingeborenen« zusammen, siehe u. a. Sander, Vorschläge zur Beseitigung der zu erwartenden Notlage, BAB R 1001/8023, Bl. 2. 278 Im Südosten der Kolonie kam es wegen des Befehls, in den Quarantänestreifen entlang der Grenze alle Rinder zu erschießen, zum Aufstand der Orlam. Kaulich, S. 238.

Ausbildung und Einbindung tiermedizinischer Laien

Beim erneuten Auftreten der Rinderpest in den Jahren 1900/01 konnte auf die 1897/98 ausgebildeten Laienimpfer zurückgegriffen werden. Im Oktober 1900 meldete ein im Bahnbau eingesetztes Kommando der Schutztruppe, dass bei Okahandja unter den Rindern der Firma Voigts und des Missionars Diehl die Rinderpest ausgebrochen sei. Umgehend wurde der verantwortliche Postenhalter, Drewitz, nach Windhoek geschickt. Dort sollte er sich bei einem der »Herren Roßärzte« mit den Symptomen der Rinderpest vertraut machen und sich in der Impftechnik unterweisen lassen, um »im Bedarfsfalle selbstständig die Ochsen der Bahn impfen zu können«. Bis zu Drewitz’ Rückkehr oblag die Notimpfung einem mit der Rinderpestimpfung vertrauten ehemaligen Angehörigen der Schutztruppe.279 Nachdem sich die Seuche Anfang des Jahres 1901 auch in den Bezirken Otjimbingwe, Omaruru und Windhoek ausgebreitet hatte, wurden weitere Soldaten ausgebildet.280 Anders als 1897/98 handelte es sich dabei in der Mehrheit um Offiziere und Unteroffiziere, die dann mit der Führung der Impfkommandos betraut wurden. Obwohl an dieser zweiten Impfkampagne deutlich mehr Veterinäre beteiligt waren und man bereits über erfahrene Kräfte verfügte, traten bei den Impfungen – wie schon 1897 – starke Schwankungen auf. Neben dem zeitgleichen Auftreten weiterer Tierkrankheiten waren diese auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Einer der Hauptgründe für die zum Teil hohen Impfverluste bildet die Tatsache, dass in den zweitägigen Schnellkursen lediglich rudimentäre veterinärmedizinische Kenntnisse vermittelt werden konnten. Vor allem durch Nachlässigkeiten bei der Desinfektion und Hygiene konnte es schnell zu tödlich verlaufenden Sekundärinfektionen kommen. Daneben spielten aber auch die individuellen diplomatischen Fähigkeiten der kommandierenden Offiziere eine Rolle. Diesen gelang es nicht immer, 279 Das Gouvernement wies den Militärveterinär Kaesewurm an, den Postenhalter Drewitz in Okahandja in der Impfmethode auszubilden und diesen mit den erforderlichen Impfstoffen zu versorgen. Pophal (Major) an Gouv., 17.10.1900, Anfrage Eisenbahnkommando, NAN ZBU 1313 O.III.c.4-3, Bl. 130–131. 280 Insgesamt wurden bis Ende Januar mindestens 19 weitere Schutztruppenangehörige ausgebildet. In Okahandja von Kaesewurm ein Leutnant und drei Unteroffiziere; in Windhoek unterwies Rickmann insgesamt zwölf Soldaten (drei Offiziere, sechs Unteroffiziere und drei Mannschaften). In Rehoboth wurden zwei Offiziere und ein Gefreiter als Impfer registriert. Distrikthauptmann Omaruru an Gouv., 08.01.1901, Bericht über den Stand der Lungenseuche und anderer Viehkrankheiten im IV. Vierteljahr 1900, NAN ZBU 1314 O.III.c.5-1, Bl. 97–98; Bezirkshauptmannschaft Windhoek an Gouv., 22.01.1901, Aufstellung in der Impfung ausgebildete Offiziere und Mannschaften, NAN ZBU 1314 O.III.c.5-1, Bl. 85; Tecklenburg (Bezirkshauptmann Windhoek) an Gouv., 30.01.1901, Ausbildung von Impfern, NAN ZBU 1313 O.III.c.4-4, Bl. 122.

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die Zivilbevölkerung und vor allem die indigenen Viehbesitzer zur Impfung ihrer Tiere zu bewegen. Vor allem letztere weigerten sich, ihre Rinder nach den Erfahrungen der Impfkampagne von 1897 erneut impfen zu lassen.281 Weitere Hindernisse bei der Durchführung der Impfungen stellten die personelle Zusammensetzung der Impfkommandos und die Größe der ihnen zugewiesenen »Impfbezirke« dar. Im Oktober und November 1900 war das Impfkommando von Leutnant Fromm für die Impfungen zwischen den rund 100 km auseinanderliegenden Impfposten Okorusu und Otavi  – samt den umliegenden Farmen und Viehposten – zuständig. Der Aktionsradius erweiterte sich ab Mitte November um weitere rund 100 km bis nach Grootfontein. Neben dem in der Impftechnik ausgebildeten Leutnant Fromm bestand das Kommando aus vier Soldaten sowie neun »eingeborenen Arbeitern«. Zusätzlich musste sporadisch auf lokal verfügbare indigene Arbeitskräfte zurückgegriffen werden, um die »reichliche Arbeit« bewältigen zu können. Neben einigen Pferden verfügte das Kommando über 35 Ochsen, die zur Fleisch­ versorgung und der Gewinnung von Impfstoffen dienten. Letzteres musste zeitgleich zur Errichtung des Impfpostens erfolgen. Die Arbeitsteilung erfolgte entlang kolonialrassistischer Prämissen. Veterinärmedizinische Tätigkeiten wie Temperaturmessungen, Herstellung von Impfstoff und Durchführung der Impfung wurden von den Soldaten vorgenommen. Indigene wurden in erster Linie für die Beaufsichtigung und Versorgung der Tiere eingesetzt. Dazu gehörte die Anlage von Kraalen, Bewachung während des Weideganges, Einfangen der Ochsen zu Untersuchungszwecken sowie das Nachsuchen entlaufener Tiere. Viele der zusätzlich rekrutierten indigenen Hilfsarbeiter blieben jedoch nur für kurze Zeit, bevor sie »wieder verschwanden«. Dies wird vor allem daran gelegen haben, dass die indigenen Arbeiter lediglich mit Essensrationen entlohnt und offenbar schlecht behandelt wurden. Laut Fromm hätten sich vor allem die Herero »als arbeitsscheu und faul, dabei aber gefräßig und unverschämt erwiesen, weswegen ein Teil weggejagt und durch Kaffern ersetzt wurde, welche sehr fleißig und zuverlässig sind«.282 Der Beitrag indigener Arbeiter, ohne die die Durchführung der Kampagnen nicht möglich gewesen wäre, wurde auch in anderen zeitgenössischen Berichten nur am Rande und meist negativ erwähnt. In späteren kolonial­ revisionistischen Erinnerungen wurden indigene Helfer und ihre unverzicht281 Fromm an Gouv., 18.11.1900, Übersicht über die Thätigkeit des Impfkommandos auf Okorusu vom 27.10.–13.11. auf Otavi vom 14.11.–18.11., NAN ZBU 1314 O.III.c.5-1, Bl. 8–16. 282 Ebd., Bl. 9.

Ausbildung und Einbindung tiermedizinischer Laien

bare Arbeitskraft gänzlich ausgespart. Stattdessen wurde das Narrativ eines am Ende erfolgreichen Kampfes der tapferen Schutztruppe und der Siedler gegen die Natur und die Rinderpest bemüht.283 Die Realität hatte indes wenig Heroisches. Das Impfkommando Fromms verfolgte die Strategie, zunächst alle Tiere einer Gallenimpfung zu unterziehen und anschließend mit Rinderpestblut nachzuimpfen.284 Dabei war das Kommando auf möglichst viele Arbeitskräfte angewiesen. Entsprechend machten sich die Folgen der ständigen Fluktuation der indigenen Hilfskräfte bemerkbar. Bereits die Gewinnung von Impfstoff gestaltete sich chaotisch, da die erforderliche strikte Trennung der Tiere nicht umgesetzt werden konnte. Aufgrund der mangelhaften Bewachung konnten sogar drei zur Impfstoffgewinnung mit Rinderpest infizierte Ochsen entlaufen.285 Auch die Impfung des »Ansiedlerviehs« war eher von Pragmatismus als von veterinärmedizinischer Sorgfalt geprägt und erfolgte nicht immer entlang der veterinärpolizeilichen Vorgaben. Insbesondere bei der erneuten Impfung von Rindern, die bereits 1897/98 gegen Rinderpest immunisiert worden waren, verließ sich Fromm im Wesentlichen auf die Angaben der Besitzer. Wenn diese versicherten, dass ihre Tiere die Krankheit einmal überstanden hatten und sie mit einem entsprechenden Brandzeichen markiert waren, wurden diese pauschal nach geimpft. Dazu verwandte Fromm eine viel zu geringe Dosis an Impfstoff.286 283 Mehr, S. 315–317. 284 Dazu mussten zunächst einige Tiere künstlich mit Rinderpest infiziert werden und parallel mit dem »Hochtreiben« einiger Serumrinder begonnen werden. 285 Fromms Kommando hatte lediglich je einen Kraal für die Isolierung verdächtiger Tiere, einen für zu impfende Tiere und einen für Schlachtvieh angelegt. Fromm an Gouv., 18.11.1900, NAN ZBU 1314 O.III.c.5-1, Bl. 8–16, hier: Bl. 12. Zur Gewinnung von Impfstoffen sollten die Gallenrinder und die Serumrinder nach Möglichkeit getrennt voneinander gehalten werden. Zudem war ein Kraal für die immunen Tiere bzw. das Schlachtvieh vorgesehen. Die zu impfenden Tiere sollten nach einer Voruntersuchung in vier strikt voneinander getrennte Abteilungen unterteilt werden, die dann nach einem genau festgelegten Schema zu impfen waren. Kohlstock an Lhptm., 28.05.1897, Impfanweisung, BAB R 1001/6089, Bl. 20–21. 286 Fromm injizierte 1ccm »Pestblut«. War das Blut entsprechend den offiziellen Anweisungen mit einer Kochsalzlösung hergestellt worden, war diese Dosis zu gering, da mindestens die fünffache Menge verwendet werden musste, um einen immunisierenden Effekt zu erzielen. Handelte es sich ausschließlich um defibriniertes Blut, hätte mindestens die doppelte Menge (2ccm) verwandt werden sollen. Dies war auch bereits seit 1897 bekannt. Lazarettgehilfe Lehnberg an Lhptm., 22.11.1897, Bericht über die im Impfbezirk Otjimbingwe ausgeführten Nachimpfungen mit Rinderpestblut, NAN ZBU 1313 O.III.c.3-1, Bl. 90–92 sowie Kohlstock an Lhptm., 21.07.1897, Instruktion betr. Entnahme, Mischung und Verimpfung von Rinderpestblut, BAB R 86/3783, o.P.

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Ohne das Ergebnis einer Kontrollimpfung abzuwarten, wurden die Tiere im Anschluss mit Brandzeichen als »dauernd geschützt« markiert. Wie erfolgreich die Impfmaßnahmen von Fromms Kommando tatsächlich waren, lässt sich nicht mehr feststellen. Zwar wird aus dem Bericht ersichtlich, dass es offenbar gelang, etliche Tiere gegen die Rinderpest zu immunisieren. Insgesamt stellte das von Pragmatismus geprägte Vorgehen des »Impfkommandos Fromm« keine Ausnahme war. Da aber infizierte Tiere entliefen und die Impfungen nicht immer mit der von den Veterinären angemahnten Sorgfalt durchgeführt wurden, trug das Kommando bzw. die gesamte Kampagne sicher­lich auch zur unkontrollierten Ausbreitung der Seuche bei. 1897 hatte Kohlstock der Schutztruppe noch attestiert, »vorzügliches Impf­ personal« geliefert zu haben.287 Nach Abschluss der Impfkampagne von 1901 wurde die Effektivität der mehrheitlich aus abkommandierten Soldaten bestehenden Impfkommandos deutlich geringer eingeschätzt. Laut dem Bericht des Regierungstierarztes Wunder über die Bekämpfung der Rinderpest in der Kolonie waren die Ansiedler mit der Durchführung der Impfungen nicht zufrieden. Viele hätten demnach Bedenken geäußert, Soldaten mit dem Impfen zu beauftragen, da diese kein Interesse daran hätten, ob die geimpften Tiere eingingen oder überlebten.288 Trotz der Missstände bei der Durchführung wäre es der Kolonialverwaltung ohne die Beteiligung der Schutztruppe an den Impfkampagnen nahezu unmöglich gewesen, die Rinderpest unter Kontrolle zu bekommen. In Bezug auf die Sicherung der kolonialen Herrschaft ist der Einsatz der »Impftruppen« durchaus als erfolgreich zu bezeichnen. Gelang es doch, allen Beschwerden zum Trotz, die Viehbestände der europäischen Siedler weitgehend intakt zu halten und gleichzeitig durch die Impfkommandos den Herrschaftsanspruch gegenüber der indigenen Bevölkerung erneut deutlich zu machen. Letztere wurden nicht in der Impfmethode ausgebildet und waren daher von den Impfkommandos abhängig. Im Rahmen der Rinderpestbekämpfung setzte die Kolonialregierung erstmals veterinärmedizinisches Wissen ein, um der indigenen Bevölkerung jeglichen eigen-

287 Kohlstock an Lhptm., 11.09.1897, BAB R 1001/6090, Bl. 31. 288 Diese Beschwerden nahm Wunder zum Anlass, die Kolonialverwaltung darauf aufmerksam zu machen, in Zukunft möglichst alle Ansiedler in der Impfmethode auszubilden. Schließlich erfordere das Erlernen der Impftechnik keinerlei besondere Fähigkeiten, zudem würde dies »die größte Garantie für sorgfältige Ausführung bieten; neben dem Vorteil der Billigkeit«. Regierungstierarzt Wunder an Gouv., 15.04.1901, Bekämpfung Rinderpest in Deutsch-Südwestafrika, BAB R 1001/6064 a, Bl. 44–49.

Ausbildung und Einbindung tiermedizinischer Laien

ständigen Handlungsspielraum zu entziehen und sie in ein engeres Abhängigkeitsverhältnis zu bringen.289 Aufgrund der Tatsache, dass bis 1904 keine größeren Ausbrüche epi­ zootischer Seuchen auftraten, wurden Angehörige der Schutztruppe nur noch in geringerem Umfang in den Impfmethoden ausgebildet. Während des Namibischen Krieges kam es durch die Truppenaufstockungen und die damit verbundenen massiven Tierbewegungen erneut zu mehreren Seuchenausbrüchen. Im Interesse der Kriegsführung wurden diese aber überwiegend durch die Absperrung und Keulung der betroffenen Tierbestände eingedämmt.290 Nach Ende des Krieges wurden zwar die kolonialen Verwaltungsstrukturen ab 1907 reorganisiert, die Schutztruppe war aber weiterhin an der veterinärpolizeilichen Überwachung beteiligt.

5.2.2 Polizeiliche Überwachung der Tiergesundheit bis 1915

Bis 1907 war die Schutztruppe zur Unterstützung des im Aufbau befind­ lichen Veterinärdienstes in die allgemeine veterinärpolizeiliche Überwachung eingebunden. Im Rahmen der regelmäßigen Patrouillenritte waren die Soldaten gehalten, auch den Gesundheitszustand der Nutztierbestände zu kontrollieren. Daran änderten auch die Gründung der Kolonialpolizei 1905 und die formale Trennung zwischen ziviler und militärischer Verwaltung im Jahr 1907 nur wenig. Dennoch plädierte der ehemalige Cheftierarzt Rickmann dafür, die Schutztruppe in Bezug auf die veterinärpolizeilichen Aufgaben zu entlasten. Innerhalb der zur Zementierung kolonialstaatlicher Kontrolle eingerichteten Polizeizone sollte, wie in den alten Kulturländern…das Achten auf Seuchen und sofortiges Ergreifen der erforderlichen Maßnahmen zur Unterdrückung und der Verhü-

289 Dies gelang den deutschen Kolonialherren, da Rinder die wichtigste Lebensgrundlage der Herero darstellten, die ihnen durch die Rinderpest entzogen wurde. Viele der verarmten Herero mussten sich daher in Lohnarbeitsverhältnisse bei Siedlern begeben. Oerman, S. 85; Gewald, Towards Redemption, S. 162. 290 Unter anderem betraf dies die Ausbrüche des Rotzes der Einhufer sowie der Rinderpest. Siehe dazu: Rickmann an Gouv., 14.12.1904, Rotzbekämpfung während des Krieges, BAB R 1001/6076, Bl. 127–128 sowie Dame (Offizier Schutztruppe) an Gouv., 26.11.1905, Meldung über Ausbruch von Rinderpest und die Ersatzlösung Maultiere, BAB R 1001/6076, Bl. 33–35.

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tung der Verschleppung von Seuchen…eine Hauptaufgabe der Polizei sein. Dieselbe müßte mehr als bisher Veterinärpolizei werden.291 Abgesehen von der Tatsache, dass die institutionelle Trennung zwischen militärischer und polizeilicher Gewalt bis 1915 zu keinem Zeitpunkt umgesetzt werden konnte,292 sprach Rickmann zwei zentrale Probleme der vete­ rinärpolizeilichen Überwachung an. Zur Erfüllung der Aufgaben mussten die rechtlichen Befugnisse der Exekutivkräfte definiert und vor allem deren veterinärmedizinische Ausbildung systematisiert werden. Laut der Viehseuchenverordnung von 1901 oblag die Entscheidung über die Verhängung von »Schutzmaßregeln« allein den Bezirksämtern und Regierungstierärzten.293 In dem Entwurf der Viehseuchenverordnung von 1913 wurden zusätzlich die Polizeistationen ermächtigt »die zur Bekämpfung der Seuche erforderlichen Maßnahmen zu treffen und für ihre wirksame Durchführung zu sorgen«.294 Damit wurde nachträglich eine rechtliche Grundlage für ein Vorgehen geschaffen, das spätestens seit der Rinderpestepizootie praktiziert wurde. Da ein Regierungstierarzt meist erst mit einiger Zeitverzögerung verfügbar war, erfolgten die Feststellung eines Seuchenausbruchs sowie die Anordnung der entsprechenden Maßnahmen in der Praxis durch die vor Ort befindlichen Exekutivkräfte. Dies machte es erforderlich, dass Soldaten und Polizisten über das entsprechende Wissen in tiermedizinischer Diagnostik und in der Anfertigung von Untersuchungspräparaten verfügten sowie in der Erstellung von Obduktionsberichten praktisch geschult waren. Nur so war es für die Regierungstierärzte möglich, auch aus der Ferne die getroffenen Diagnosen und das weitere Vorgehen verifizieren zu können. Bereits 1898 hatte der Militärveterinär Kaesewurm eine erste Anweisung zur Erstellung von Krankheitsberichten verfasst. Diese wurde 1903 durch ein Rundschreiben zur Anfertigung von Blutausstrichen sowie der Sammlung von Zecken ergänzt.295 Diese schriftlichen Anweisungen waren aber nur bedingt 291 Rickmann, Tierzucht, S. 72. 292 Die Personalstärke der Landespolizei blieb bis zum Ende der deutschen Kolonialherrschaft unter der selbst festgelegten Zahl von 500 Beamten. Hinzu kam, dass die Unterscheidung von militärischen und polizeilichen Aufgaben den betreffenden Dienststellen schwerfiel. Die Sicherung von »Ruhe und Ordnung« oblag daher bis 1915 der Schutztruppe gemeinsam mit der Landespolizei. Zollmann, S. 54–56. 293 Zur Viehseuchenverordnung siehe Kaptiel 4.1.1 dieser Arbeit. 294 Entwurf Viehseuchenverordnung 1913, S. 7. 295 Rundschreiben Gouv. an Bezirks- und Distriktämter, Regierungs- und Militärtierärzte, Sanitätsoffiziere, Truppenkommando, 17.09.1903, NAN ZBU 1330 O.IV.b.2-1, Bl. 79–81.

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geeignet, um die zur Erfüllung der veterinärpolizeilichen Kontrolle erforderlichen tiermedizinischen Fertigkeiten der Exekutivkräfte einheitlich auf den notwendigen Stand zu bringen. Die meisten Polizisten und Soldaten verfügten bestenfalls über rudimentäre veterinärmedizinische Kenntnisse, die sich meist in einer Impfausbildung erschöpften. Entsprechend bemängelte Rickmann die Fähigkeiten der »Polizeikräfte« bei der Erkennung und Bekämpfung von Tierseuchen und forderte eine umfassende veterinärpolizeiliche Ausbildung der Polizeiorgane. Diese müssten deutlich besser »als bisher in der Auslegung des Seuchengesetzes und im Kennenlernen der verschiedensten Krankheiten durch die Tierärzte« ausgebildet werden.296 Zusätzlich sollten die Exekutivkräfte in der Entnahme, Anfertigung und Einsendung von Untersuchungspräparaten geschult und entsprechend ausgerüstet werden. In der Folgezeit erhielten die Polizei- und Militärpatrouillen zwar entsprechende Konservierungs- und Blutausstrichgläser.297 Die Polizisten leisteten auch im Rahmen der Bekämpfung der Schafpocken 1909/10 wertvolle Dienste bei der Revision der gefährdeten Kleinviehbestände.298 Eine systematische und vor allem praxisorientierte Anleitung erfolgte bis zum Ende der deutschen Herrschaft jedoch nicht.299 Gleichwohl hatten neben Rickmann seit 1906 auch weitere Experten wiederholt darauf hingewiesen, die Ausbildung und Einbindung der Polizeikräfte in die Tierseuchenprävention nach dem Vorbild des Transvaal bzw. der Südafrikanischen Union zu organisieren. Dort war die Polizei zur Unterstützung der Regierungstierärzte deutlich enger in die Seuchenbekämpfung eingebunden. Die Polizisten besuchten im veterinärbakteriologischen Laboratorium in Pretoria einen Instruktionskursus, in dem sie in Veterinärgesetzgebung und -diagnostik theoretisch sowie praktisch in der Durchführung von Sektionen und der Herstellung von Ausstrichpräparaten ausgebildet wurden.300 Zur Unterstützung bei der 296 Siehe dazu: Zollmann, S. 42–56, insbesondere S. 54–56. 297 Nachdem sich die veterinärmedizinische Forschung ab 1900 zunehmend auf die tropischen Blutkrankheiten konzentrierte, wurden die Patrouillen zusätzlich mit Gläsern zur Sammlung von Zecken ausgestattet. Die Sammlung der Zecken sollte u. a. dazu dienen, eine »Zeckenkarte für Deutsch-Südwestafrika« zu erstellen. Heydebreck (Kommandeur Schutztruppe) und Oberveterinär Kitzel an Gouv., 14.11.1913, Erstellung Zeckenkarte, NAN ZBU 1306 O.II.e.1-1, Bl. 10–11. 298 Ostertag, Veterinärwesen, S. 167. 299 Aufgrund der geplanten Instruktionskurse für die Landespolizei forderte der Leiter von Gammams, Sieber, 1914 eine dringende Erweiterung der Unterbringungsmöglichkeiten des Instituts. Sieber an Gouv., 05.05.1914, NAN BAU 095 G.WI.3-2. 300 Knuth, Reisebericht, NAN ZBU 1286 O. I.a.5-1, Bl. 116–117, hier: Bl. 105.

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Bekämpfung des Ostküstenfiebers und der Schafräude wurden in Transvaal sogar Polizisten ausgebildet und ihnen veterinärpolizeiliche Kernaufgaben wie die Überwachung des Viehverkehrs, die Revision bedrohter Farmen sowie die Erstellung von Untersuchungspräparaten von seuchenverdächtigen Tieren vollkommen übertragen.301 Damit waren in der Südafrikanischen Union die Polizeikräfte gegenüber dem Veterinärdienst deutlich autonomer als in DSWA . Obwohl dies eine Reduzierung der Arbeitsbelastung für die Regierungstierärzte und gleichzeitig eine effektivere veterinärpolizeiliche Überwachung bedeutet hätte, kam es für die deutsche Kolonialverwaltung und die Veterinäre offenbar nicht in Frage, den Exekutivkräften vergleichbare Handlungsspielräume bei der Viehseuchenbekämpfung einzuräumen. Erst Anfang 1915 legte der Leiter des Veterinärwesens, Gmelin, einen Plan für eine systematische Ausbildung der Polizeikräfte durch die Regierungstierärzte vor. Nach Gmelins Ansicht sollte die Überwachung und Durchsetzung veterinärpolizeilicher Maßnahmen ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Polizei fallen und entsprechend sollten alle Polizeimannschaften einen gründlichen veterinärpolizeilichen Einführungskurs in Gammams belegen. Um die Polizei möglichst eng in die Viehseuchenbekämpfung einzubinden, war vorgesehen, in Absprache mit dem Chef der Landespolizei regelmäßig veterinärpolizeiliche Auffrischungskurse auf den einzelnen Polizeistationen stattfinden zu lassen. Neben theoretischen Grundlagen waren die Regierungstierärzte angehalten, vor allem praktische Inhalte zu vermitteln. Dazu gehörten die Abfassung von Anzeigen und Sektionsberichten, die Anfertigung von Blutausstrichen und Untersuchungsmaterialien sowie die Demonstration der wichtigsten Leichenbefunde anhand eines Kadavers. Die Ausbildung sollte entlang eines noch zu erstellenden gedruckten Leifadens erfolgen, der zudem jedem Kursteilnehmer ausgehändigt werden sollte.302 Gmelins Vorschlag orientiere sich grundsätzlich an der in Transvaal seit 1906 betriebenen Ausbildungspraxis der Veterinärpolizei. Warum die Ausbildung der kolonialen Exekutivkräfte in Interesse der Tierseuchenabwehr erst so spät in Angriff genommen wurde, bleibt fraglich. Die allgemeine Arbeits­belastung der Regierungstierärzte und die bis 1915 andauernde Überarbeitung der gesetzlichen Bestimmungen werden ebenso eine Rolle gespielt haben wie die unklare Kompetenzverteilung zwischen Schutztruppe und Landespolizei. Möglicherweise wurde auch kein zwingender 301 Ostertag, Veterinärwesen, S. 166–167. 302 Gmelin, Organisation Veterinärwesen, BAB R 1001/6078, Bl. 10–67, hier: Bl. 25.

Ausbildung und Einbindung tiermedizinischer Laien

Anlass gesehen, die Ausbildung der Polizisten und Soldaten zu forcieren. Ab 1910 intensivierte die Kolonialverwaltung die tiermedizinische Ausbildung der Siedler. Zudem kam es bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu keinen größeren Ausbrüchen von Tierseuchen, die flächendeckende Impfkampagnen erfordert hätten.

5.2.3 Professionalisierung der polizeilichen Kontrolle ab 1920

Zwischen 1915 und 1918 stand die südafrikanische Militärverwaltung den tiermedizinischen Verhältnissen weitgehend macht- und ratlos gegenüber. Nicht zuletzt aufgrund des geringen Personalstandes war das Veterinärkorps unter Lee mit der veterinärpolizeilichen Kontrolle vollkommen überfordert. Tierseuchenausbrüche konnten nur mit Mühe und unter Hinzuziehung der deutschen Veterinäre unter Kontrolle gebracht werden. Während Lee sich bei den Planungen für den Aufbau einer Veterinärbehörde an dem Veterinärdienst der deutschen Kolonialverwaltung orientierte, verfolgte die Mandatsregierung ab 1920 eine Veterinärpolitik, die – ähnlich wie in der Südafrikanischen Union – deutlich stärker auf die Einbindung veterinärmedizinischer Laien, in erster Linie der Polizei ausgerichtet war. Wie oben bereits ausgeführt wurde dies in Bezug auf die Organisation des Veterinärdienstes sowie des staatlichen Bildungsprogrammes deutlich, betraf aber vor allem auch die tiermedizinische Ausbildung und Übertragung seuchenpolizeilicher Aufgaben auf die Polizeikräfte. Mit der Einrichtung der Mandatsverwaltung wurde 1920 die South West African Police gegründet. Wie schon die deutsche Kolonialregierung griff auch die südafrikanische Mandatsmacht zur Unterstützung der Veterinärbehörde auf die Polizeikräfte zurück. Diese sollten aber deutlich enger als zuvor in die Überwachung und Durchsetzung veterinärpolizeilicher Gesetze eingebunden werden. Entsprechend erfolgte die veterinärmedizinische Ausbildung der Polizisten systematischer und in intensiverer Kooperation mit dem staatlichen Veterinärdienst als vor 1915. Ziel war es, die Zahl veterinärmedizinisch geschulten Personals der Administration möglichst schnell zu vergrößern. Da die Polizisten in ihrem Dienstalltag auf die Nutzung von Pferden angewiesen waren, zielte die fest in die Ausbildung integrierte Horsemastership Examination darauf ab, die Polizisten in der Pflege von Pferden zu schulen sowie grundsätzliches veterinärmedizinisches Wissen über spezifische Pfer-

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dekrankheiten und die Behandlung von Verletzungen zu vermitteln.303 Zur Wahrnehmung der allgemeinen veterinärpolizeilichen Überwachung wurden zudem höhere Beamte in der Diagnose weiterer Tierseuchen ausgebildet. Parallel dazu erfolgte eine zusätzliche Unterweisung der im aktiven Dienst befindlichen Polizeikräfte in der Erkennung, Eindämmung und Bekämpfung der Schafräude. Dies war erforderlich, da ab den 1920er Jahren die Räudebekämpfung vollständig in die Zuständigkeit der Polizei fiel. Von Beginn an mussten alle Polizeianwärter im Rahmen ihrer Ausbildung im Police Training Depot in Windhoek eine Horsemastership Examination ablegen. Dabei handelte es sich um eine aus zehn Fragen bestehende schriftliche Prüfung, die der Leiter der Veterinärbehörde, Goodall, im Auftrag der South West African Police erstellt hatte.304 Die ausgefüllten Fragebögen sandte der Leiter des Police Training Depots zur Überprüfung an die Veterinärbehörde. Die Ergebnisse fielen durchwachsen aus. Während Regierungstierarzt McKie seinen ernüchterten Eindruck mit den Worten »the general standard is not good« zusammenfasste, attestierte der SVO Goodall den angehenden Polizisten hingegen einen allgemein guten Kenntnisstand.305 Ab 1921 führte die Polizei vergleichbare Tests im Rahmen der Beförderung ein. Mit aufsteigendem Rang mussten die Offiziersanwärter entsprechend den damit verbundenen Zuständigkeiten nicht nur über umfassendere Kenntnisse in der Pferdehaltung verfügen, sondern auch veterinärmedizinisches Wissen zur Erkennung und Behandlung allgemeinerer Tierseuchen wie Milzbrand, Ostküstenfieber, Rauschbrand und Rotz sowie über die Technik zur Anfertigung von Blutausstrichpräparaten nachweisen.306 Dabei befürchtete der Leiter der Polizei offenbar, dass sich die nur durchschnittlichen tiermedizinischen Kenntnisse der Bewerber negativ auswirken könnten. Der mit der Erstellung der Fragebögen beauftragte GVO McKie wurde explizit darauf hingewiesen, dass »a high standard of efficency is desirable [but] it is not at this juncture proposed that the questions should be prohibitive«.307 Die Beurteilungen der Testergebnisse verbesserten sich aber nur geringfügig. 1926 befand der Regierungstierarzt Bone: 303 Deputy Commissioner SWA-Police an SVO, 20.09.1920, NAN AGV 006 WV 91/1-1. 304 Deputy Commissioner SWA Police an SVO, 18.09.1920, NAN AGV 006 WV 91/1-1. 305 GVO McKie an Deputy Commissioner SWA Police, 13.10.1920, NAN AGV 006 WV 91/1-1; SVO Goodall an Deputy Commissioner SWA Police, 08.12.1920, NAN AGV 006 WV 91/1-1. 306 Divisional Inspector SWA-Police an VSB, 24.07.1924, NAN AGV 085 G.15/1-1. 307 Deputy Commissioner SWA Police an GVO McKie, 28.02.1921, NAN AGV 006 WV 91/1-1.

Ausbildung und Einbindung tiermedizinischer Laien

On the whole the answers given to the questions set are very poor. As the efficiency of the police in the country depends to a great extent on their mobility, I suggest that the teaching of horsemastership should be more thorough.308 Folglich begab sich Bone auf Fehlersuche und identifizierte kapitale Fehler in dem an die Beamten ausgegebenen Police Handbook. Neben der falschen Angabe der Körpertemperatur gesunder Pferde309 kritisierte er die im Handbuch beschriebene Vorgehensweise bei der Anfertigung eines Blutausstriches: um das Blut auf den Objektträger zu streichen, könne demnach »a small piece of clean dry grass« benutzt werden. Durch ein solches Vorgehen wurden die Präparate verunreinigt und für eine bakteriologische Untersuchung unbrauchbar. Folglich wies die Veterinärbehörde den Leiter der Polizei an, umgehend alle Polizeistationen davon in Kenntnis zu setzen, dass Grashalme auf keinen Fall für die Herstellung der zur Bestimmung eines Seuchenausbruches wichtigen Blutausstriche verwandt werden dürften.310 Anfang 1927 sandte Bone einen Bericht an Goodall, in dem er weitere detaillierte Verbesserungsvorschläge für die Ausbildung der Polizeikräfte ausführte. In Anbetracht der sehr kurzen Ausbildungszeit in Windhoek sollten die Tierhaltung und -pflege auf praktische Übungen beschränkt und später durch weitere Schulungen der Post Commander auf den Stationen ergänzt werden. Zusätzlich müsse das Polizeihandbuch, das an alle Beamten ausgegeben wurde, überarbeitet werden. Einige der darin enthaltenen Passagen seien, laut Bone, fehlerhaft und müssten umgehend korrigiert werden. Andere Abschnitte, wie zum Beispiel die über die richtige Fütterung, Verwaltung und das Zureiten von Pferden, sollten komplett gestrichen werden, da diese Aufgaben für den Dienstalltag eines einfachen Constables irrelevant waren. Bone schlug ferner vor, alle Abschnitte zu streichen, die sich mit der Erkennung und Behandlung von Infektionskrankheiten und Parasiten bei Pferden befassten. Diese überstiegen generell die Kompetenzen eines Polizeibeamten. Stattdessen sollte in solchen Fällen immer ein Veterinär hinzugezogen werden. Für die Ausbildung der höheren Dienstgrade in Bezug auf die erforderlichen Kenntnisse über Tierhaltung und -pflege sollte die Polizei in Zukunft das Buch »Animal 308 VSB an Divisional Superintendent SWA-Police, 17.12.1926, NAN AGV 085 G.15/1-1. 309 Darin wurde angegeben, dass Pferde, die eine Temperatur von 38 Grad Celsius aufwiesen, gesund seien. Bone wies daraufhin, dass Pferde die morgens oder abends eine solch hohe Temperatur aufweisen, Fieber haben und als krank zu betrachten seien. 310 VSB an Divisional Superintendent SWA-Police, 17.12.1926, NAN AGV 085 G.15/1-1.

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Management« benutzen. Dies wurde vom Veterinary Department 1927 für die Drucklegung vorbereitet. Um den Polizisten eine Orientierungshilfe zu geben, listete Bone nach Dienstgraden abgestuft die jeweils relevanten Seitenzahlen der Kapitel auf.311 Mit diesen Veränderungen sollten die veterinärmedizinischen Kenntnisse der Polizisten an die praktischen Erfordernisse des Dienstes angepasst werden. Zudem sollte das Problembewusstsein der Beamten geschärft werden: »it should be explained that the handbooks do not contain regulations, as it is the sense and not the exact words of the books which should be learned«.312 Zusätzlich wurde durch die genauen Vorgaben der Seitenzahlen und Kapitel die Formulierung und Korrektur der weiterhin durchgeführten Horsemastership Examinations deutlich vereinfacht. Insgesamt erfolgte die grundlegende tiermedizinische Ausbildung der Polizeikräfte in sehr enger Kooperation mit der Veterinärbehörde. Eine Verbesserung der Kenntnisse über Pflege und Behandlung der Pferde garantierte die Mobilität der Patrouillen. Die zusätzliche allgemeinere Unterweisung der Polizeioffiziere in der Erkennung von Tierseuchen wie z. B. Milzbrand sowie deren praktische Anleitung zur Erstellung von Blutausstrichen trugen zudem zu einer lückenloseren veterinärpolizeilichen Überwachung des gesamten Viehbestandes und damit zu einer effektiveren Kontrolle des Territoriums bei. Die veterinärmedizinische Ausbildung der Polizei erschöpfte sich jedoch nicht in den während der Grundausbildung vermittelten Kenntnissen. Ab 1922 wurden die Polizeikräfte in speziellen Schulungen auf die Bekämpfung der Schafräude vorbereitet. Diese Aufgabe war der Polizei überantwortet worden, da die Revision der Kleinviehherden sowie die Durchführung der entsprechenden Bekämpfungsmaßnahmen sehr zeit- und personalintensiv waren. Der Leiter der Veterinärbehörde begrüßte diese Maßnahme. I do not, for the present, wish the Veterinary Officers to be saddled with the actual administration of the regulations, as it would take up too much of their valuable time if they had to supervise dipping etc.313 Da die Zahl der Regierungstierärzte nicht ausreichte, um die Schafräude unter Kontrolle zu bekommen, wurden zunächst alle Post Commander und schließlich alle Polizisten offiziell zu Sheep Inspectors ernannt und damit 311 GVO Bone an SVO, 31.01.1927, NAN AGV 085 G.15/1-1. 312 Ebd. 313 SVO an GVO Maag, 14.02.1922, NAN AGV 174 VS1/2-1.

Ausbildung und Einbindung tiermedizinischer Laien

dem SVO unterstellt.314 Die Schulung der Polizisten wurde an die jeweiligen Post Commander übertragen. Zu diesem Zweck sandte die Veterinärbehörde an alle Post Commander Merkblätter über die Schafräude.315 Da diese Aufgabe eine zusätzliche und vor allem neue Arbeitsbelastung bedeutete, wurden die Post Commander bei der Ausbildung der Polizeikräfte vom Senior Sheep Inspector Meyer unterstützt. Anfang 1922 leitete Meyer die Polizeiposten in Maltahöhe, Bethanien und Aus in der praktischen Durchführung der Revision der Kleinviehbestände an.316 Um ihre diagnostischen Fähigkeiten sowie die Kenntnisse zur Eindämmung und Bekämpfung der Schafräude nachzuweisen, mussten alle Polizisten im Anschluss an die Unterweisung durch die Post Commander eine schriftliche Prüfung ablegen, deren Ergebnisse der Veterinärbehörde übermittelt wurden.317 Während es die meisten Post Commander bei der knappen schriftlichen Mitteilung beließen, sandten einige die Prüfungsbögen zur Kontrolle an die Veterinärbehörde. Der Post Commander von Karibib war offenbar sehr engagiert und schloss den schriftlichen Bericht mit den Worten: »I may add that I am holding Lectures on Scab as often as circumstances allow, as I am very anxious to bring my Men on the required standard.«318 Wie gut die veterinärmedizinischen Kenntnisse der einzelnen Beamten waren, hing also grundsätzlich von den jeweiligen Post Commander ab. Außer der Grundausbildung, den begleitenden Kursen durch die Post Commander bzw. den Senior Sheep Inspector sowie den entsprechenden Überprüfungen war eine intensivere veterinärmedizinische Ausbildung der Polizeibeamten durch Regierungstierärzte nicht vorgesehen. An einer solchen bestand aber durchaus Interesse und Bedarf. Dazu mussten indes die leitenden Polizeioffiziere die Initiative ergreifen. Im Februar 1926 wandte sich der Polizeikommandant des Distrikts Okahandja an den zuständigen 314 SVO an Post Commander Bethanien 20.04.1922, NAN AGV 174 VS1/2-1; Principal Sheep Inspector an Secretary, 19.07.1922, NAN ADM 32 277/8. 315 SVO an Post Commander Bethanien 20.04.1922, NAN AGV 174 VS1/2-1. Die GVO waren angewiesen, die Polizei als technical advisers zu unterstützten, wenn unter Polizeitieren Fälle von Milzbrand oder Rauschbrand auftraten. SVO an GVO Maag, 14.02.1922, NAN AGV 174 VS1/2-1. 316 SVO an Post Commander Aus, 23.02.1922, NAN AGV 174 VS1/2-1. 317 So waren z. B. alle Constables in Kalkfontein »quite suitable to do Sheep Inspectors work while out on patrol«. Post Commander Kalkfontein an Principal Sheep Inspector, 17.08.1922, NAN AGV 174 VS1/2-1. 318 Post Commander Karibib an Principal Sheep Inspector, 21.08.1922, NAN AGV 174 VS1/2-1.

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Regierungstierarzt, Maybin, mit der Bitte, veterinärmedizinische Vorträge über Haltung und Pflege von Haustieren, insbesondere Pferden sowie über die anzeigepflichtigen Tierkrankheiten, vor allem Räude, Milzbrand und Rauschbrand zu halten. Maybin erklärte sich dazu bereit und auch der Administrator begrüßte den Vorschlag als »excellent idea«.319 Aus den Akten ist leider nicht ersichtlich, ob weiterer Bedarf an Auffrischungskursen artikuliert wurde; eine regelmäßige Wiederholung und Aktualisierung der praxisbezogenen veterinärmedizinischen Kenntnisse und Fertigkeiten steigerte in jedem Fall die Effektivität der veterinärpolizeilichen Kontrolle. Während die Polizei im Fall aller anderen anzeigepflichtigen Tierseuchen weiterhin nur auf Anweisung der Veterinäre Überwachungs- und Durchsetzungskompetenzen besaß, war sie in Bezug auf die Schafräude direkt für veterinärmedizinische Diagnose und Bekämpfung verantwortlich. Die Polizeiposten waren verpflichtet, durch regelmäßige Patrouillen die Kleinviehherden ihres Zuständigkeitsbereiches zu inspizieren.320 Über die erfolgten Patrouillen erstellten die Post Commander detaillierte Berichte und sandten diese an die Veterinärbehörde in Windhoek. Bei der Revision der Kleinviehbestände wurde zwar nicht zwischen afrikanischem und europäischem Besitz unterschieden. Dennoch diente die innerhalb der Polizeizone lancierte Räudebekämpfung der Förderung der europäischen Viehbesitzer sowie der Zementierung kolonialstaatlicher Kontrolle. Da unter dem Räudebefall vor allem die Qualität des Wollvlieses litt, zielte die Eindämmung der Schafräude in erster Linie auf eine Ertragssteigerung der von europäischen Farmern dominierten Woll- und Karakulfellproduktion. Somit war die Polizei unmittelbar an der Sicherung eines wichtigen Zweiges der kolonialen Viehwirtschaft beteiligt. Der Viehbesitz der indigenen Bevölkerung innerhalb der Polizeizone bestand hingegen überwiegend aus Fleischschafen und Ziegen, die zur Selbstversorgung gehalten wurden.321 Die regelmäßige Revision der Kleinviehbestände zur Eindämmung der Schafräude führte aber zu einer engmaschigeren Kontrolle über die indigene Bevölkerung. Dies geht aus den detaillierten 319 SVO an ADM, 08.02.1926, sowie Antwortschreiben, 11.02.1926, NAN SWAA 0304 A34-16. 320 Principal Sheep Inspector an Post Commander Bethanien, 20.04.1922, NAN AGV 174 VS1/2-1. 321 1929 betrug der Viehbestand der »Natives« innerhalb der Polizeizone 455.843 Stück Kleinvieh und 90.728 Stück Großvieh. In den »Native Reserves« wurden zum gleichen Zeitpunkt 211.891 Stück Kleinvieh und 60.888 Stück Großvieh gezählt. Die Zahlen finden sich in: Jahresbericht SVO 1929, NAN AGV 136 V10-1-3.

Veterinärpolitik und koloniales Regieren

Patrouillenberichten hervor, die die Post Commander an die Veterinärbehörde nach Windhoek schickten. In diesen wurden nicht nur alle Farmen innerhalb des Zuständigkeitsbereiches sowie die Routen der Patrouillen vermerkt, sondern auch angegeben, welche Farmen bewohnt waren und ob deren Bewohner Europäer oder Afrikaner waren.322 Trotz der regelmäßigen und intensiven veterinärpolizeilichen Revision der Kleinviehbestände konnte von einer effektiven und umfassenden staatlichen Kontrolle über die indigene Bevölkerung noch keine Rede sein. Dies gelang der Mandatsregierung erst im Laufe der 1930er Jahre.323

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Veterinärpolitik und koloniales Regieren

In den vorangegangenen Kapiteln wurde ausführlich auf die Schaffung der institutionellen wie legislativen Voraussetzungen für die Einrichtung eines kolonialen Veterinärdienstes eingegangen. Diese stellten eine wichtige Voraussetzung für eine effektive und vor allem vorbeugende Tierseuchenbekämpfung dar. Die Anstellung von Regierungstierärzten und der Erlass teils repressiver veterinärpolizeilicher Verordnungen reichten aber bei weitem nicht aus. Damit die veterinärpolizeilichen Maßnahmen auch tatsächlich zur Herrschaftssicherung beitrugen, mussten diese im kolonialen Alltag durchgesetzt werden können. Dies geschah zunächst durch die Einbindung veterinärmedizinischer Laien in die veterinärpolizeiliche Kontrolle. Die Sachverständigenkommissionen waren, wie oben ausgeführt, aus veterinärmedizinischer Perspektive zwar weitgehend nutzlos, aber ihre Existenz untermauerte den Anspruch, eine möglichst umfassende kolonialstaatliche Kontrolle durchzusetzen. Gleichzeitig wurde die Abgrenzung zwischen europäischen Farmern und indigenen Viehhaltern weiter konsolidiert. Ein weiteres wichtiges Element waren die staatlichen Bildungsangebote im Kontext der Modernisierung der kolonialen Landwirtschaft. Sie schufen bei den europäischen Siedlern ein grundsätzliches veterinärmedizinisches Verständnis und eine steigende Akzeptanz gegenüber Maßnahmen der Tierseuchenbekämpfung. In der Herrschaftslogik einer Siedlerkolonie dienten die Bildung von Sachverständigenkommissionen und vor allem die veterinärmedizinischen Ausbildungsprogramme auch zur Disziplinierung der Siedler. 322 Die Berichte für 1922/23 in: NAN AGV 174 VS 1/3. Siehe auch Miescher, S. 128–130. 323 Wallace, History, S. 232–238.

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Ein guter Siedler war, wer nach europäischen Maßstäben – modern, rational und gewinnorientiert – seine Farm bewirtschaftete und sich mithin an die Vorgaben der veterinärpolizeilichen Maßnahmen sowie die vorgegebenen Zuchtziele hielt. Inwieweit die staatlichen Bildungsprogramme tatsächlich zu einer steigenden »Gesetzestreue« der europäischen Farmer beigetragen haben, lässt sich kaum messen. Ziel der staatlichen Bemühungen musste es daher sein, die Siedler dazu zu bringen, im Eigeninteresse auf die Einhaltung und Durchsetzung staatlicher Maßnahmen zu achten und diese gegebenenfalls auch einzufordern. Die Vermittlung anwendungsbezogener veterinärmedizinischer Kenntnisse stellte in diesem Zusammenhang eine wichtige Grundvoraussetzung dar. Derartige Bildungsangebote allein reichten aber bei weitem nicht aus, um veterinärpolizeiliche Maßnahmen in ein positives Licht zu rücken. Diese wurden von den Viehbesitzern meist als existenzbedrohende staatliche Interventionen empfunden. Vor allem aufgrund der stets auftretenden Impfverluste musste der Staat zusätzliche Anreize schaffen, um die Viehbesitzer dazu zu bringen, den veterinärpolizeilichen Verordnungen wie z. B. der Anzeigepflicht und vor allem der Durchführung präventiver Impfmaßnahmen nachzukommen. Idealerweise sollten die Bekämpfungs- und vor allem Präventionsmaßregeln als gemeinsames Vorgehen von Farmern und Regierungstierärzten gegen Tierseuchen im Interesse einer qualitativen wie quantitativen landwirtschaftlichen Produktionssteigerung angesehen werden. Um dieses Ziel zu erreichen, nutzten die deutsche Kolonialregierung wie auch die südafrikanische Mandatsregierung unterschiedliche Instrumente, auf die im Folgenden detaillierter eingegangen wird. Dazu zählten staatliche Kompensationszahlungen, die Einführung einer Viehversicherung, die Erfassung der Viehbestände mit Hilfe von Brandzeichen sowie die Durchführung flächendeckender Bekämpfungs- und Präventionsmaßnahmen gegen die Schafräude. Alle diese Maßnahmen erfolgten im Rahmen der Modernisierung der kolonialen Landwirtschaft. Dabei kamen, wie schon bei der Schaffung der gesetzlichen Grundlagen, die Expertenbeschlüsse der interkolonialen Konferenzen ebenso zum Tragen wie neue internationale Standards, die von tiermedizinisch bzw. landwirtschaftlich ausgebildeten Beamten entwickelt wurden. Eine zweite Zielrichtung der Veterinärpolitik war es, die Kontrolle über die indigene Bevölkerung weiter auszudehnen und zu festigen. Dies betraf in erster Linie die veterinärpolizeilichen Maßnahmen zur Erfassung der Viehbestände sowie die Durchführung präventiver Bekämpfungsmaßnahmen. In Verbindung mit der Einrichtung der »Native Reserves« trugen letztere dazu

Veterinärpolitik und koloniales Regieren

bei, dass die indigene Viehzucht als potenzielle Konkurrenz ausgeschaltet und höchstens auf das für die Subsistenz erforderliche Mindestmaß reduziert wurde. Die Erfassung vor allem der Großviehbestände erlaubte nicht nur eine striktere Kontrolle der Viehbewegungen und damit auch der Freizügigkeit ihrer Besitzer, sondern ermöglichte auch eine Erhebung und Kontrolle des Vermögens der indigenen Bevölkerung. Neben der Rekonstruktion der einzelnen Maßnahmen sowie deren komplexes Zusammenwirken werden auch die Grenzen ihrer Durchsetzbarkeit aufgezeigt.

6.1 Anreiz zur Gesetzestreue: Staatliche Kompensationsleistungen Zur Umsetzung staatlich gesteuerter Bekämpfungs- und Präventionsmaßnahmen gegen Viehseuchen bildet – bis heute – der Erlass zweier rechtlicher Normen die unverzichtbare Grundlage. Damit die staatlichen Organe Kenntnis über einen Seuchenausbruch erlangen und die entsprechenden Maßnahmen einleiten und koordinieren können, muss zunächst für bestimmte Krankheiten eine allgemeine Anzeigepflicht eingeführt werden. In einem zweiten Schritt muss durch staatlich garantierte Kompensationsleistungen ein Anreiz für die Viehbesitzer geschaffen werden, der Anzeigepflicht auch nachzukommen. Dazu ist die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für seuchenbedingte Viehverluste erforderlich. Im Laufe des 19. Jahrhunderts waren nach europäischem Vorbild im Transvaal sowie in Britisch-Südafrika entsprechende Viehseuchengesetze erlassen und staatliche Entschädigungsfonds eingerichtet worden. Ausgleichszahlungen aus diesen Fonds waren aber ausschließlich europäischen Farmern vorbehalten.324 Gleichzeitig zielte die Viehseuchengesetzgebung darauf ab, die staatliche Kontrolle über die Bevölkerung zu festigen und die betroffenen Viehbesitzer zu disziplinieren. Durch die potenzielle Schlechterstellung der indigenen Bevölkerung unterstützte die Viehseuchengesetzgebung in den Kolonien die Schaffung eines Privilegienfreiraumes für die europäischen Siedler. Die verheerenden Verluste durch die Rinderpest im südlichen Afrika

324 Mit dem Erlass von Viehseuchengesetzen verfolgten die europäischen Staaten und Kolonialverwaltungen im 19. Jahrhundert nicht nur den Erhalt der Tiergesundheit in ihrem Territorium, sondern auch protektionistische Zwecke. An den Grenzen durchgeführte veterinärmedizinische Kontrollen sollten die heimische Landwirtschaft vor wirtschaftlichen Schäden schützen. Blackbourn, S. 315–317.

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zeigten jedoch schnell die Belastungsgrenze des staatlichen Kompensationssystems auf.325 Bei dem Erlass der ersten Viehseuchengesetze in DSWA orientierte sich die deutsche Kolonialverwaltung grundsätzlich an den im Deutschen Reich geltenden Bestimmungen sowie bei der konkreteren Ausgestaltung maßgeblich an den in den Nachbarkolonien erlassenen Verordnungen.326 Daher war den Kolonialbeamten und vor allem den in DSWA befindlichen Tierärzten klar, dass der Erlass einer Anzeigepflicht nur in Verbindung mit der Implementierung staatlicher Entschädigungsleistungen sinnvoll war. Aufgrund des durch den Reichstag sehr knapp bemessenen Kolonialetats war eine direkte und umfassende finanzielle Entschädigung der Farmer schlicht nicht möglich. Dennoch arbeitete die Kolonialregierung an der Einführung eines staatlichen Kompensationssystems in DSWA, um die existenzbedrohenden Verluste zumindest abzufedern. Die Einführung einer Anzeigepflicht war das billigste rechtliche Instrument, das der Kolonialverwaltung zur Verfügung stand, um ihren Kontroll­ anspruch zu reklamieren. In DSWA wurde die Anzeigepflicht vor allem für besonders ansteckende und hohe Mortalitätsraten evozierende Tierseuchen erlassen. Dies geschah bis zum Erlass der ersten umfassenderen Vieh­seuchenverordnung im Jahr 1901 in den jeweils zu den einzelnen Viehseuchen erlassenen Verordnungen.327 Um die Viehbesitzer zur Anzeige zu bewegen, wurden harte Sanktionen in Form hoher Geld- bzw. mehrmonatiger

325 Zu den Versuchen und den politischen Folgen, die Rinderpest mithilfe von Entschädigungszahlungen und der Keulung infizierter Bestände zu bekämpfen, siehe Kapitel 2.1 dieser Arbeit. Während die Cape Colony über eine ausreichend große Wirtschaftskraft verfügte, um solche Belastungen abzufedern, konnte die Regierung Transvaals 1897 die Entschädigungszahlungen zur Eindämmung der Rinderpest nicht aufbringen und musste diese 1903 vollständig einstellen. Durch den Südafrikanischen Krieg war es zu so vielen Viehseuchenausbrüchen gekommen, dass eine Entschädigung den Haushalt zu stark beansprucht hätte. G. Geyer (Private Secretary) an Generalkonsulat Kapstadt, 13.02.1904, BAB R 1001/6075, Bl. 25–26. 326 Kenntnisse über die staatlichen Entschädigungsleistungen und deren Höhe brachte spätestens Kohlstock aus der Cape Colony mit. Kohlstock an Kol.Abt., 18.01.1897, Verlauf und Ausbreitung der Rinderpest in der Cape Colony und den Burenrepubliken / Gegenmaßnahmen der Kapregierung / Reise in den Orange-Freistaat, BAB R 1001/6089, Bl. 78–81. 327 Obligatorische Anzeigepflichten wurden 1887 für die Lungenseuche und 1897 für die Rinderpest erlassen. Die Viehseuchenverordnung von 1901 führte folgende anzeigepflichtige Tierseuchen auf: Milzbrand; Tollwut; Rotz der Einhufer; Pferdesterbe; Beschälseuche der Pferde; Bläschenausschlag der Pferde und des Rindviehs; Lungen­

Veterinärpolitik und koloniales Regieren

Gefängnisstrafen angedroht.328 Für die betroffenen Farmer und Frachtfahrer hatte die Anzeige eines Seuchenausbruchs weitreichende Folgen. In der Regel wurde über den gesamten Tierbestand eine mehrmonatige Quarantäne verhängt, mit der ein Handelsverbot für tierische Produkte einherging.329 Die erkrankten sowie der Ansteckung verdächtigen Tiere wurden entweder direkt getötet oder abgesondert und verendeten. Lediglich die vermeintlich gesunden Bestände wurden geimpft. Zwar erfolgten die Impfungen gegen Lungenseuche und Rinderpest kostenlos,330 aber zur Gewinnung von Impfstoff musste immer eine bestimmte Anzahl der Tiere geopfert werden. Darüber hinaus war der Erfolg der Impfungen nicht gewährleistet, wodurch zum Teil massive Impfverluste auftraten.331 Der veterinärpolizeiliche Maßnahmenkatalog, den die Anzeige eines Seuchenausbruches in Gang setzte, führte also mittel- bis langfristig zu massiven, existenzbedrohenden wirtschaftlichen Einbußen der betroffenen Viehbesitzer. Entschädigungszahlungen für die bei der Seuchenbekämpfung auftretenden Verluste sahen die Verordnungen grundsätzlich nicht vor. Es ist daher nachvollziehbar, dass die meisten Farmer, Händler und Transportfahrer nur ein geringes Maß an Eigeninitiative bei der Anzeige von Seuchenausbrüchen an den Tag legten.332

seuche; Maul- und Klauenseuche; Räude; Rinderpest; Texasfieber; Rotlauf der Schweine; Pockenseuche der Schafe. Leutwein an Kol.Abt., 15.06.1901, Entwurf Viehseuchenverordnung 1901, BAB R 1001/6073, Bl. 73–80. 328 Es drohten Strafen von 500–600 Mark oder Gefängnisstrafen bis zu drei Monaten. Leutwein an Kol.Abt., 15.06.1901, Entwurf Viehseuchenverordnung 1901. 329 Während der großen Rinderpestepizootie 1897/98 wurden die betroffenen Farmen für sechs bis zwölf Wochen gesperrt und mit einem Handelsverbot für Rinder und Rinderprodukte (Felle, Hörner, Knochen, Hufe, Milch) belegt. Leutwein, 15.05.1897, Landeshauptmannschaftliche Verordnung in Sachen der Rinderpest, NAN ZBU 1313 O.III.c.1-1, Bl. 11–15. 330 Artikel 5 der Rinderpest-Verordnung sah eine Gebühr von drei Mark pro Tier vor. Aus den Erlösen sollten die Bezirksverwaltungen die freiwilligen Helfer (fünf Mark / Tag) bezahlen. Nachweise, dass eine solche Gebühr erhoben wurde, finden sich in den Akten der Kolonialverwaltung jedoch nicht. Vielmehr äußerte Leutwein in einer Stellungnahme in Bezug auf Entschädigungsforderungen eines Farmers, dass die Impfungen vom Gouvernement unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden seien. Leutwein an Farmer Gessert, 18.07.1899, Antwort auf Entschädigungsforderung, BAB R 1001/6064, Bl. 13. 331 Siehe dazu Kapitel 2.3 dieser Arbeit. 332 Rickmann an Lhptm., 25.12.1897, Impfbericht Bezirk Gibeon, NAN ZBU 1313 O.III.c.4-2, Bl. 6–7; Rickmann an Gouv., 29.01.1898, Blutimpfung und Probleme bei der Gallenimpfung, NAN ZBU 1313 O.III.c.4-2, Bl. 115–120.

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Zur Durchsetzung veterinärpolizeilicher Kontrolle und Bekämpfung von Tierseuchen war die Kolonialverwaltung aber maßgeblich auf die Kooperationsbereitschaft der europäischen und indigenen Viehbesitzer angewiesen. Aufgrund der schieren Größe des zu kontrollierenden Gebietes in Verbindung mit der geringen Personalstärke der Polizeikräfte war weder eine regelmäßige Visitation der Farmen noch eine effektive Viehseuchenbekämpfung durchführbar. Die geringe Präsenz des kolonialen Staates führte auch dazu, dass die Farmer eine strafrechtliche Verfolgung wegen einer unterbliebenen Anzeige eines Seuchenausbruchs kaum zu fürchten brauchten. Selbst wenn Quarantänezonen eingerichtet wurden, war es den Viehbesitzern und Frachtfahrern relativ leicht möglich, die Kontrollposten zu umgehen.333 Vor allem die Bekämpfung endemischer Krankheiten wie der Lungenseuche oder der Schafräude, die trotz verhältnismäßig geringer Mortalitätsraten mitunter schwere wirtschaftliche Folgen hatte, konnte von staatlicher Seite daher bestenfalls lückenhaft umgesetzt werden. In Bezug auf die Etablierung eines staatlichen Kompensationssystems setzten die massiven Verluste durch die Rinderpest in den Jahren 1897/98 Landeshauptmann Leutwein unter Handlungszwang. Neben einer möglichst schnellen Eindämmung der Seuche sollten die staatlichen Entschädigungsleistungen den Siedlern einen zügigen Wiederaufbau ihrer Viehbestände ermöglichen. Die Zusatzbestimmungen zur »Landeshauptmannschaftlichen Verordnung in Sachen der Rinderpest« vom 15. Mai 1897 sagten zwar prinzipiell eine Entschädigung für die Tierverluste zu. Eine Garantie über die Höhe der Entschädigungen konnte und wollte Leutwein nicht geben, er schränkte aber bereits den Kreis der potenziellen Antragsteller ein: »Sesshafte weiße Ansiedler d. h. solche, welche auf eigenem Grund und Boden wohnen, werden vor den herumziehenden den Vorzug erhalten, Eingeborene kommen in letzter Linie«.334 Aufgrund der engen finanziellen Spielräume der Kolonialverwaltung hatten die Entschädigungsleistungen vor allem symbolischen Charakter. Es ging langfristig darum, den Siedlern zu signalisieren, dass sie sich grundsätzlich der Unterstützung der Kolonialregierung sicher sein konnten. Zum Zeitpunkt des Erlasses – im Mai 1897 – stand die Kolonialregierung unter massivem Zeitdruck. Da durch die hohen Tierverluste das gesamte 333 Vgl. Miescher, S. 7–12. Ähnlich war die Lage im Bechuanaland Protectorate. Marquardt, S. 88–94. 334 Leutwein, 15.05.1897, Rinderpest-Verordnung, NAN ZBU 1313 O.III.c.1-1, Bl. 11–25, hier: Bl. 14.

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Herrschafts- und Wirtschaftsgefüge der Kolonie zu kollabieren drohte, war das vorrangige Ziel der Kolonialregierung, die Rinderpest in DSWA so schnell und kostengünstig wie möglich unter Kontrolle zu bekommen. Daher war die Entschädigung der betroffenen Viehbesitzer zunächst erst in zweiter Linie von Interesse. Um eine weitere Verbreitung der Seuche zu verhindern, wurde entlang der Hauptverkehrswege die radikale Tötung aller erkrankten und verdächtigen Gespanne verfügt. Für die betroffenen Frachtfahrer und Händler bedeutete dies de facto das Ende ihrer wirtschaftlichen Existenz. Wohl wissend, dass diese Verluste bestenfalls ansatzweise durch den Staat aufgefangen werden konnten, verfügte Leutwein, dass Für Weiterbeförderung von Frachtwagen, deren Gespanne auf Grund dieser Verordnung abgeschossen worden sind,…sind die Polizeibehörden gehalten, den betreffenden Frachtfahrern alle Hülfestellung zu gewähren, die in ihrer Macht steht.335 Dagegen sollten infizierte bzw. verdächtige Viehposten auf Farmen polizeilich abgesperrt und möglichst schnell geimpft werden. Um eine flächendeckende Impfkampagne in der Kolonie durchzusetzen, wurde vom Gouvernement die Einführung eines allgemeinen Impfzwanges zwar als »durchaus empfehlenswert« angesehen. Inwieweit ein solcher durchgesetzt werden sollte, blieb hingegen der Entscheidung der Bezirkshauptleute auf Grund der lokalen Verhältnisse überlassen.336 Derartige Überlegungen waren in den meisten Bezirken in Zentral- und Nordostnamibia obsolet. Die dortigen Rinderbestände galten als vollkommen »durchseucht«. Der Impfung bereits infizierter Bestände widersetzten sich die europäischen Farmer kaum. Um ein Wiederaufflackern der Seuche zu verhindern, sollten ab September 1897 zunächst in Zentral- und anschließend in Südnamibia die gesunden Bestände »seuchenfest« gemacht werden.337 Vor allem durch die prophylaktischen Impfkampagnen rückte auch bei den Farmern die Frage nach der Kompensation von Viehverlusten stärker in den Fokus. Dies lag vor allem an der angewandten Impfmethode. Zur 335 Ebd., Bl. 11. 336 Ebd., Bl. 12. 337 Nach dem weitgehenden Abschluss der Impfungen im Bezirk Gibeon ritt Rickmann am 25.12.1897 nach Keetmanshoop, um dort mit der prophylaktischen Impfung der Rinderbstände zu beginnen. Rickmann an Lhptm., 25.12.1897, Impfbericht Bezirk Gibeon, NAN ZBU 1313 O.III.c.4-2, Bl. 6–7

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Durchführung der Gallenimpfung mussten fünf bis acht Prozent des Bestandes künstlich infiziert und zur Entnahme der Galle getötet werden. Hinzu kamen noch die nach der Impfung auftretenden, zum Teil stark schwankenden Verluste.338 Angesichts dieser nicht absehbaren Impfverluste und ohne die Sicherheit, eine entsprechende staatliche Entschädigung zu erhalten, versuchten viele Viehbesitzer, sich der prophylaktischen Impfung ihrer gesunden Tiere zu widersetzen. Laut der geltenden Viehseuchenverordnungen waren die Veterinäre nicht ermächtigt, eine Impfung anzuordnen. Aus Berichten von Rickmann und anderen Angehörigen von Impfkommandos geht hervor, wie schwierig sich unter solchen Umständen eine prophylaktische Impfung umsetzen ließ. Nach einer offenbar längeren Auseinandersetzung mit Farmern aus Groß- und Klein Ukapuka berichtete Rickmann im September 1897: auf deren [Farmer] Frage wer die etwa verendeten Thiere ihnen ersetzen würde, konnte ich wenig erwidern. Nach vielem Hin- und Herreden entschlossen sie sich 1/3 ihres Bestandes mit Blut impfen zu lassen.339 Mit einem solchen Ergebnis konnte der Regierungstierarzt aber kaum zufrieden sein. Derartige Kompromisse waren zum einen sehr zeitaufwändig, was eine schnelle Durchführung der Impfungen behinderte. Zum anderen wurde das Ziel einer effektiven Seuchenprävention nicht erreicht, da nur ein kleiner Teil der Tiere über die erforderliche Immunität verfügte. Nachdem die prophylaktischen Impfungen im Süden der Kolonie Ende 1898 abgeschlossen waren, gingen beim Gouvernement erstmals Kompensationsgesuche für erlittene Impfverluste ein.340 Einige Farmer, wie Ferdinand Gessert aus dem Distrikt Keetmanshoop, beriefen sich bei ihren Forderun-

338 Im Bezirk Keetmanshoop verendeten durchschnittlich zehn Prozent der Tiere nach der Impfung, was bedeutete, dass die Viehbesitzer zwischen 15 und 20 Prozent ihrer Tiere durch die prophylaktische Impfung verloren. Schmidt (Ober-Grenzkontrolleur) an Rickmann, 19.01.1898, Impfungen im Bezirk Keetmanshoop, NAN ZBU 1313 O.III.c.4-2, Bl. 112–114. 339 Rickmann an Lhptm., 05.09.1897, Bericht Rinderpest, NAN ZBU 1313 O.III.c.3-1, Bl. 43–69. 340 Farmer Niemeyer an Kol.Abt., 20.12.1899, Anfrage Entschädigungsleistungen, BAB R 1001/6064, Bl. 40–41 und vor allem: Farmer Gessert an Gouv., 07.09.1899 und Antwort auf Ablehnungsschreiben des Gouv. bzgl. Entschädigungsforderung, NAN ZBU 1313 O.III.c.4-2, Bl. 253–255.

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gen auf das im Deutschen Reich seit 1869 geltende Rinderpestgesetz. Dieses untersagte, abgesehen von der Absperrung und Notschlachtung erkrankter Tiere, jegliche Bekämpfungsmaßnahmen. Wohlwissend, dass das »Reichsgesetz« in der Kolonie keine Gültigkeit hatte, leitete Gessert daraus dennoch einen »nicht so ganz unbegründeten« Entschädigungsanspruch ab, da die Regierung seiner Meinung nach die Farmer über den tatsächlichen Stand der Seuche getäuscht und unter »Druckmassregeln« zur Impfung gedrängt habe. Letztere sei zudem fehlerhaft durchgeführt worden, da »die dazu bestellten Regierungsbeamten keinen klaren Einblick in bakteriologische Verhältnisse und die Möglichkeiten der Verschleppung durch bestimmte Erreger bedingter Krankheiten« gehabt hätten.341 Gegen derartige Forderungen führte die Kolonialverwaltung das Argument ins Feld, dass sie »den kostspieligen Apparat, welcher mit dem Impfgeschäft verbunden war, den Ansiedlern unentgeltlich zur Verfügung gestellt, und diesen überlassen [hatte], ob sie denselben benutzen wollen, oder nicht«. Sofern die Antragsteller nachweisen könnten, dass die »Impfverluste einem vermeidbaren Versehen eines der diesseitigen Beamten zuzuschreiben seien«, stellte die Regierung es den Geschädigten frei, gegen den betreffenden Beamten behufs Schadenersatz den Rechtsweg zu beschreiten.342 Da im Falle eines zivilrechtlichen Prozesses die Beweispflicht bei den Farmern gelegen hätte, nahmen diese in den allermeisten Fällen von der Anstrengung eines Gerichtsverfahrens Abstand.343 Insgesamt hatten die massiven Verluste durch die Rinderpestepizootie zu einer ökonomisch angespannten Lage geführt, da für einen Wiederaufbau der Rinderbestände die nötigen Zuchttiere und auf Seiten der Farmer die finanziellen Mittel für deren Anschaffung fehlten.344 Anstatt einer direkten staatlichen Entschädigung für die erlittenen Verluste versuchte das Gouvernement, der anhaltenden ökonomischen Krise der Siedler sowie der daraus resultierenden Bedrohung des kolonialen Herrschaftsgefüges durch die ge341 Gessert an Gouv., 07.09.1899, NAN ZBU 1313 O.III.c.4-2, Bl. 254. 342 Leutwein an Gessert, 18.07.1899, NAN ZBU 1313 O.III.c.4-2, Bl. 13. 343 Der Farmer Gessert gab sich mit der Ablehnung seiner Entschädigungsforderung nicht zufrieden. Unter Ausnutzung seiner guten Kontakte zu kolonialen Kreisen in Deutschland veröffentlichte er in einschlägigen Zeitschriften wie der »Deutschen Kolonialzeitung« und dem »Tropenlandwirt« bis 1903 mehrere Artikel, in denen er die Kolonialregierung und vor allem Rickmann persönlich kritisierte. Die sich daraus ergebenden persönlichen Differenzen führten schließlich 1903 dazu, dass Rickmann Gessert wegen Beleidigung anzeigte. Leutwein an Kol.Abt., 22.08.1903, Anzeige Rickmann gegen Gessert, BAB R 1001/6074, Bl. 154. 344 Zum Viehimport vgl. allgemein: Vögeli, S. 36–40.

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zielte Förderung von Zuchtviehimporten entgegenzuwirken. Bis 1897 hatten die europäischen Farmer ihren Bedarf an Zuchtvieh vor allem durch den Handel mit den Herero decken können. Diese hatten durch die Rinderpest aber bis zu 95 % ihrer Herden verloren.345 Der Mangel an Zuchtvieh wurde zusätzlich durch die steigende Zahl europäischer Farmer verschärft. Da die Mehrheit der Farmer in DSWA nur über begrenzte finanzielle Mittel verfügte, beschränkte sich die relativ teure Vieheinfuhr aus dem Deutschen Reich auf wenige »Hochleistungszuchttiere« zur »Veredelung der afrikanischen Landschläge«.346 Rickmann entwickelte daher den Plan, günstigere Zuchttiere aus Argentinien einzuführen.347 Die für den Ankauf nötigen Gelder sollten von der DKG und der Wohlfahrtslotterie übernommen werden (jeweils 40.000 Mark). Aufgrund des Ausbruchs des Südafrikanischen Krieges 1899 standen die für den geplanten Massenimport benötigten Transportkapazitäten aber nicht zur Verfügung.348 Zwischen 1900 und 1903 kam es zu einem Wiederaufflackern der Rinder­ pest in DSWA . Von diesen Ausbrüchen waren vor allem Farmen östlich und nördlich von Windhoek betroffen. Trotz der mittlerweile verbesserten Impfmethode und der professionelleren Durchführung der veterinärpolizeilichen Maßnahmen weigerten sich viele Viehbesitzer, ihre Tiere impfen zu lassen, da erneut hohe Impfverluste auftraten.349 Insgesamt waren die Verluste durch die Rinderpest zwischen 1900 und 1903 zwar deutlich geringer als 1897/98, erreichten aber dennoch eine bedenkliche Höhe. Für das Jahr 1900/01 beliefen sich die Verluste allein im Bezirk Windhoek auf 5.476 Rinder, deren 345 Irle, S. 301–303. 346 Zuchtbullen aus Deutschland wurden seit 1893 eingeführt. Das Gouvernement unterstützte die Zuchtversuche von Beginn an. Neben den hohen Preisen blieben auch die »Zuchtergebnisse« weit hinter den Erwartungen zurück. Hinzu kam noch die geringe Lebenserwartung der deutschen Zuchttiere aufgrund des rauen Klimas und der Haltungsbedingungen. Vögeli, S. 33–34. 347 Der Gedanke, aus Argentinien Rinder einzuführen fußte auf zweierlei Überlegungen. Zum einen war Argentinien schon damals für eine extensive und globale Märkte bedienende Rinderzucht bekannt. Der zweite Grund für die Wahl Argentiniens lag in dessen geographischer Lage begründet. Die nördliche Landeshälfte Argentiniens liegt auf der gleichen geographischen Höhe wie Namibia. 348 Der Massenimport von Rindern aus Übersee wurde erst wieder in Erwägung gezogen, als es durch den Namibischen Krieg erneut zu einem massiven Rückgang der Rinderbestände kam. Vögeli, S. 40. 349 Eine Besonderheit dieser Rinderpestausbrüche bestand in der mit den Impfungen einhergehenden Verbreitung des Texasfiebers. Zum Verlauf der Rinderpest 1900–1903 sowie der Impfkampagne siehe Kapitel 2.3.2 dieser Arbeit.

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Wert mit 425.460 Mark angegeben wurde.350 Um die durch die Seuche verursachten Viehverluste zumindest ansatzweise abzufedern, wurde von Seiten des Gouvernements die Schaffung eines Entschädigungsfonds in die Wege geleitet. Über die Kol.Abt. wurde in Absprache mit dem Reichsschatzamt ein entsprechender Antrag in den Reichstag eingebracht. Der Reichstag bewilligte daraufhin als einmalige Aufwendung für das Rechnungsjahr 1902/03351 und dann erneut für das Rechnungsjahr 1903/04352 jeweils einen Betrag von 40.000 Mark für die durch die Rinderpest entstandenen Viehverluste. Da diese Summen für eine vollständige Kompensation der Verluste nicht ausreichten, stellte das Gouvernement im Februar 1902 in Absprache mit der Kol.Abt. sowie dem Reichsschatzamt Grundsätze zur Verteilung der Entschädigungszahlungen auf. Gemäß dem Konzept zur Modernisierung der landwirtschaftlichen Produktion dienten diese Grundsätze auch dazu, den kolonialen Kontrollzugriff auf das Territorium durch die Förderung der europäischen Siedler zu vergrößern. Indigenen Viehbesitzern wurde ein Anspruch auf Entschädigung mit Verweis auf deren Unfähigkeit, eine rationelle und wirtschaftliche Tierzucht zu betreiben, von Beginn an verwehrt. Von Seiten der Kol.Abt. wurde diese Regelung kritisch gesehen und das Gouvernement aufgefordert, zu prüfen, ob nicht auch einzelne der durch die Rinderpest geschädigten Eingeborenen, sofern dieselben für rationelle Verwendung der Mittel einige Garantie bieten, mit Beihülfen, wenn auch in kleinem Umfange, bedacht werden sollten.353 In dem Rundschreiben an die Kaiserliche Finanzverwaltung in Windhoek und die Bezirks- und Distriktämter vom 5. Juni 1902 begründete Leutwein den Ausschluss der indigenen Viehbesitzer. Demnach habe er es für seine Pflicht gehalten, bei der Verteilung der vergleichsweise viel zu geringen Mittel »zunächst die weißen Ansiedler des Schutzgebietes zu unterstützen; denn für 350 Verzeichnis der in der Rinderpestperiode 1900/01 schwer geschädigten Viehbesitzer, 16.05.1902, NAN ZBU 1296 O. I.k.3-1, Bl. 49–50. 351 Rundschreiben Leutwein, 26.01.1902, NAN ZBU 1296 O. I.k.3-1, Bl. 2. 352 Aus einem Rundschreiben Rickmanns vom März 1904 geht hervor, dass die Gelder bewilligt worden waren. Rickmann, an Bezirksämter Windhoek, Omaruru und Distriktsämter Karibib, Grootfontein und Gobabis, 04.03.1904, Rundschreiben, NAN ZBU 1296 O. I.k.2-1, Bl. 42. 353 Kol.Abt. an Gouv., 06.08.1902, NAN ZBU 1296 O. I.k.3-1, Bl. 101–103; hier Bl. 102.

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die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung der Colonie dürften wohl allein diese Elemente in Frage kommen«. Weiterhin begründete Leutwein den Ausschluss damit, dass die von Viehverlusten betroffenen europäischen Farmer davor bewahrt werden müssten, das ohnehin schon vorhandene europäische »Arbeiterproletariat« zu vermehren. Seiner Ansicht nach hätte »der Eingeborene durch Verluste seines Viehs in seinen allgemeinen Lebensverhältnissen wenig Abbruch« erlitten. Zudem seien die Indigenen »als Arbeiter bei Weißen meist in bessere Verhältnisse gelangt als vordem« und außerdem würden die »unkontrollierbaren Afrikaner« ohnehin keine rationelle Viehzucht betreiben, weshalb auch »die von diesen angemeldeten Verluste nicht allzu ernst genommen werden können«.354 Wohingegen die zur Entschädigung angemeldeten Verluste der europäischen Farmer vertrauenswürdig seien. Während der Ausschluss indigener Viehbesitzer darauf abzielte, die »unkontrollierbaren Afrikaner« weiter in kontrollierbare Lohnabhängigkeits­ verhältnisse zu drängen, nutzte Leutwein die Kompensationsleistungen auch zur Disziplinierung der europäischen Bevölkerung. Neben indigenen Viehbesitzern wurden auch »nicht sesshafte Weiße« von Entschädigungsansprüchen ausgeschlossen. Aufgrund ihrer Nicht-Sesshaftigkeit entzogen sich diese, ebenso wie die indigene Bevölkerung, weitgehend der Kontrolle durch den Kolonialstaat. In den Augen der Kolonialverwaltung wie auch der meisten Siedler trugen die halbnomadischen »Trekburen« nicht zur Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Kolonie bei. In dieser Hinsicht spiegeln die Verteilungsgrundsätze auch die zeitgenössisch geführten Debatten über die »Burenfrage«, die neben der »Verkafferungsgefahr« eine wichtige Rolle in den Debatten um den Erhalt des »Deutschtums« in der Kolonie spielten.355

354 Gouv. an Kaiserliche Finanzverwaltung, 05.06.1902, NAN ZBU 1296 O. I.k.3-1, Bl. ­55–60, hier: Bl. 59. 355 Die Diskurse um die »Burenfrage« führten zu einer Binnenstratifikation der weißen Gesellschaft im kolonialen Namibia. Mit den Attributen wie umherziehend, nicht sesshaft und schwer kontrollierbar wurden neben den Indigenen auch die »Trekburen« beschrieben. Deren Lebensweise galt in den Augen der deutschen Verwaltung und Siedler als Adaption des »afrikanischen Lebenswandels«. Auch andere Europäer, die einen ähnlichen unsteten Lebenswandel pflegten, wurden als »Buren« identifiziert – die per se als »weiße Afrikaner« unter den zivilisatorisch, moralisch und kulturell höhergebildeten Deutschen und Engländern standen. Das »Verburen« eines deutschen Ansiedlers beschrieb quasi die halbe Strecke auf dem zivilisatorischen Abstieg, an dessen Ende die »Verkafferung« stand. Dazu ausführlicher: Kundrus, Moderne Imperialisten, S. 96–103 sowie Aitken, S. 352–354.

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Folglich wurde nur sesshaften europäischen Siedlern ein Anspruch auf die Beantragung und Gewährung einer – wenn auch geringen – finanziellen Kompensation für die durch Impfungen entstandenen Verluste eingeräumt. Voraussetzung war, dass diese einer Impfung ihrer Bestände zugestimmt hatten. Mit Blick auf die begrenzten finanziellen Mittel galten für die Restitution der Impfverluste folgende zusätzliche Einschränkungen: Verluste bis 15 % des Gesamtbestandes musste der Viehbesitzer selbst tragen. Gingen nach erfolgter Impfung mehr als 15 % der Rinder ein, konnte der Eigentümer bestenfalls auf eine Vergütung von zwei Drittel des vollen Schätzwertes hoffen. Die Erstattung war aber »von den etatsmäßig vorhandenen Mitteln abhängig«, zudem sei bei der Gewährung einer Entschädigung auch »die Qualität des Ansiedlers u. Farmer in Erwägung zu ziehen«.356 Demnach war die staatliche Unterstützung schlussendlich davon abhängig, ob der einzelne Farmer zur Förderung von Fortschritt und Wohlstand im Sinne des Modernisierungskonzeptes der kolonialen Landwirtschaft beitrug, also eine extensive und gewinnorientierte Viehwirtschaft nach europäischen Vorbild betrieb. Bei der praktischen Anwendung dieser Verteilungsgrundsätze stellte sich heraus, dass die Zahl der Entschädigungsberechtigten noch immer zu hoch war. Die beim Gouvernement angemeldeten Rinderpestverluste für das Jahr 1902 beliefen sich erneut auf ca. 6.000 Rinder im Wert von rund 487.000 Mark,357 also eine Entschädigungssumme von rund 322.000 Mark. Daraufhin änderte das Gouvernement die Verteilungsgrundsätze, um die Zahl entschädigungsberechtigter, sesshafter europäischer Farmer weiter zu reduzieren. Überschritten die Verluste 30 % des Gesamtbestandes, sollten grundsätzlich die Impfgebühren in Höhe von drei Mark pro Tier erlassen und eine Entschädigung gezahlt werden. Bei Verlusten zwischen zehn bis 30 % wurden lediglich die Impfgebühren erlassen. Verluste unter zehn Prozent mussten die Viehbesitzer samt der Impfgebühren selbst tragen. Damit konnten die wirtschaftlichen Verluste zwar nur ansatzweise abgefedert werden, aber die Kolonialregierung zeigte gegenüber ihren wirtschaftlich »wertvollsten Elementen« die Bereitschaft, selbst unter suboptimalen Bedingungen stets zu helfen. Indigene Viehbesitzer und nicht sesshafte Europäer waren

356 Leutwein an Bezirks- u. Distriktämter, 25.02.1902, Rundschreiben, NAN ZBU 1296 O. I.k.3-1, Bl. 3–5. 357 Insgesamt wurde ein Verlust von 5.953 Rindern gemeldet, deren Wert sich laut amtlichen Schätzungen auf 486.955 Mark belief. Aufstellung der angemeldeten Rinderpestentschädigungen aus dem Etat 1902, 06.06.1902, NAN ZBU 1296 O. I.k.3-1, Bl. 61–69.

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weiterhin ausdrücklich von Entschädigungszahlungen bzw. dem Erlass der Impfgebühren ausgeschlossen.358 Dieser, dem kolonialen Zeitgeist entsprechende, mit rassistischen Argumenten begründete Ausschluss wurde nach dem Ausbruch des Namibischen Krieges 1904 endgültig zementiert. Zu diesem Zeitpunkt war die erneute Bewilligung von 40.000 Mark für die Kompensation von Rinderpestverlusten durch den Reichstag nachträglich zum Haushaltsetat 1903/04 abzusehen. Im März 1904 forderte Rickmann in einem Rundschreiben die Bezirks- und Distriktämter auf, die entsprechenden Listen zu erstellen und schloss mit der Bemerkung, da an Eingeborene nach den kriegerischen Vorgängen jetzt grundsätzlich Entschädigungen in Wegfall kommen, wird eine wesentliche Änderung der bisher maßgebend gewesenen Verteilungs-Grundsätze nicht vorgenommen werden.359 Die Disziplinierung und Kontrolle der Zivilbevölkerung durch den Erlass des Verteilungsschlüssels erstreckte sich nicht nur auf die Gewährung von Entschädigungsleistungen, sondern auch auf deren Verwendung. Für die bewilligte Summe durften die Betreffenden ausschließlich Muttervieh ankaufen. Allerdings war nicht nur der Ankauf von Kühen und Färsen, sondern auch von Mutterschafen und Mutterziegen möglich. Dies war vermutlich der Tatsache geschuldet, dass der Ankauf des preiswerteren Kleinviehs ein wirtschaftliches Überleben der Farmer erleichtern sollte. Um die Kontrolle über die Verausgabung der Entschädigungszahlungen zu haben, erhielten die betroffenen Farmer kein Bargeld. Der Ankäufer musste dem Verkäufer eine Anweisung an die für die Auszahlung der Entschädigungssumme zuständige Bezirkskasse ausstellen und dieser zusätzlich den Ankauf anzeigen. Erst wenn beides erfolgt war, zahlte die Bezirkskasse den Verkäufer aus. Das auf diesem Wege erworbene Muttervieh durften die Käufer fünf Jahre lang nicht verkaufen, da es ausschließlich zur Mehrung der Viehbestände dienen sollte. Im Fall, dass eine Veräußerung vor Ablauf der Fünfjahresfrist notwendig werden sollte, musste die Genehmigung der zuständigen Behörde

358 Gouv. an Kaiserliche Finanzverwaltung, 05.06.1902, NAN ZBU 1296 O. I.k.3-1, Bl. ­55–60, hier: Bl. 58. 359 Rickmann an Bezirksämter, 04.03.1904, NAN ZBU 1296 O. I.k.2-1, Bl. 42.

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eingeholt werden.360 Insgesamt dürfte die Einrichtung der »Rinderpestfonds« zu einem gewissen Grad das Vertrauen der Farmer in die Kolonialverwaltung gestärkt haben. In jedem Fall trugen sie dazu bei, die grundsätzliche Bereitschaft der Farmer, ihre Tiere impfen zu lassen, zu erhöhen. Dies geschah aber nicht ganz freiwillig. Aus veterinärmedizinischer Perspektive bestand das effektivste Mittel zur Bekämpfung hochansteckender Tierseuchen wie der Rinderpest in der Einführung einer obligatorischen Impfung. Rickmann hatte bereits 1901 darauf aufmerksam gemacht, dass eine solche Impfpflicht zwar »in kurzer Zeit alle ungeimpften Rinder und damit die Quelle dauernder Seuchenausbrüche« beseitigen würde, aber »der Geldfrage wegen nicht eingeführt werden« könne. Stattdessen sollte untersagt werden, ungeimpfte Rinder in den Handel und Verkehr zu bringen, da so ein indirekter Impfzwang auf die Viehbesitzer ausgeübt würde.361 Dem Rat Rickmanns folgend führte das Gouvernement mit dem Erlass eines Verteilungsschlüssels de facto einen solchen »sanften Impfzwang« für die Rinderpest ein. Von einer Antragsstellung auf Entschädigung wurden alle europäischen Viehbesitzer ausgeschlossen, welche die Rinderpestverordnung missachteten und die regierungsseitig angebotene Impfung ablehnten. Ferner durfte ungeimpftes Vieh weder verkauft noch für Verkehrszwecke genutzt werden.362 Dadurch sollten alle Frachtfahrer – deren Gespanne als einer der Hauptfaktoren für die Verbreitung der Rinderpest galten  – dazu gebracht werden, ihre Tiere einer prophylaktischen Rinderpestimpfung zu unterziehen. Ebenso sah sich die überwiegende Mehrheit der Farmer zur Impfung genötigt, da für sie der Lebendviehhandel die Haupteinnahmequelle darstellte. Im Umkehrschluss wurden alle Farmer, die sich einer Impfung verweigerten, von der Partizipation am Viehhandel ausgeschlossen. Gegen diesen »indirekten Impfzwang« gab es nur vereinzelten Protest von Seiten der europäischen Farmer.363 Parallel zu den Vorgängen in DSWA berieten das Landwirtschaftsministerium und die Kol.Abt. in Berlin seit Ende 1902 ebenfalls über die Frage der 360 Gouverneur an Bezirks- u. Distriktämter, 25.02.1902, Rundschreiben, NAN ZBU 1296 O. I.k.3-1, Bl. 3–5. 361 Rickmann an Gouv., 18.08.1901, Bericht über Rinderpest, NAN ZBU 1314 O.III.c.4-6, Bl. 2–8. 362 Gouv. an Bezirks- u. Distriktämter, 25.02.1902, NAN ZBU 1296 O. I.k.3-1, Bl. 3–5. 363 So bezeichnete der Farmer Gessert aus Inachab (in der Nähe von Keetmanshoop) das Handels- und Verkehrsverbot für ungeimpfte Rinder als eine »erneute Knebelung« durch die »Impfpropagandisten«, die nicht gerade das Vertrauen in die Impfmaßnahmen steigere. Gessert, S. 176–178.

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Einführung einer Zwangsimpfung gegen die Rinderpest. Diese Maßnahme sollte zukünftigen finanziellen Belastungen, wie sie 1897/98 und ab 1900/01 aufgetreten waren, vorbeugen sowie zur allgemeinen Qualitätsverbesserung der Rinderzucht in der Kolonie beitragen. Auf Anfrage der Kol.Abt. sandte Leutwein Anfang September 1903 einen von Robert Koch und Wilhelm Rickmann unterschriebenen Bericht über den Erfolg der prophylaktischen Rinderpestimpfungen nach Berlin. Mit Blick auf die begrenzten finanziellen Mittel sowie die 1901 festgestellte Doppelinfektion mit Texasfieber als Begleiterscheinung der Impfungen rieten beide Experten nachdrücklich von der Einführung einer Zwangsimpfung ab.364 1904 sprachen sich auch die Experten der »Intercolonial Veterinary Conference« in Cape Town für die Einführung einer regierungsseitigen Kompensationspflicht zur Tierseuchenbekämpfung aus.365 In seinem Gutachten zu den Beschlüssen der Konferenz bezeichnete Rickmann die Einrichtung eines staatlichen Kompensationsfonds zwar als »wertvolles Seuchenvertilgungsmittel«, aufgrund der zu geringen bereitgestellten finanziellen Mittel verbiete sich aber der Beitritt zu einer solchen Verpflichtung für DSWA . Laut Rickmann könne sich die Regierung allerdings einer »gewissen Entschädigungspflicht« kaum entziehen, wenn es um die Aufrechterhaltung des öffentlichen Verkehrs gehe. Zudem würde durch die Aussicht auf staatliche Entschädigungsleistungen die Bereitschaft der Farmer, den Ausbruch von Seuchen zu melden, massiv erhöht werden. Rickmann empfahl daher, für Kompensationen zusätzlich 50.000 Mark zu Verfügung zu stellen.366 Durch den Ausbruch des Namibischen Krieges 1904 trat die Ratifizierung eines erneuten Aufstockungsantrages des Rinderpestfonds zunächst in den Hintergrund. Nach Beendigung des Krieges wurde ein ständiger Seuchenfonds in den Haushalt des Schutzgebietes eingestellt. Dieser umfasste pro Jahr 20.000 Mark, mit denen ausschließlich die im Rahmen der Tierseuchen­ bekämpfung auftretenden Impfverluste privater Farmer kompensiert werden sollten.367 Abgesehen von den im Rahmen der Rinderpestimpfungen erlassenen Regelungen wurde ein einheitliches Entschädigungsgesetz, das 364 Leutwein an Kol.Abt, 01.09.1903, Bedenken gegen Zwangsimpfung, BAB R 1001/6074, Bl. 155. 365 Zu der Debatte über die Gewährung und Höhe staatlicher Entschädigungen siehe: Report Cape Town 1904, S. 14–15. 366 Rickmann an Gouv., 31.07.1904, Stellungnahme zu den Beschlüssen der Kapstädter Konferenz, NAN DOK 122 T 3a-1., Bl. 22–23a. 367 Vgl. Bemerkungen der Finanzabteilung zu: Henning an Gouv., 25.11.1910, Pockenseuche bei 6. Kompanie, NAN ZBU 1341 O. V.b.2-1, Bl. 58.

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alle Viehseuchen und einen festen Verteilungsschlüssel für Kompensationsansprüche festlegte, bis zum Ende der Deutschen Herrschaft nicht erlassen. Entschädigungsansprüche wurden – nach dem Vorbild des 1902 entwickelten Verteilungsschlüssels für den Rinderpestfonds – erst im Falle von Seuchenausbrüchen durch spezielle Verfügungen des Gouvernements geregelt.368 Die aus diesem Vorgehen resultierende Rechtsunsicherheit für die betroffenen Farmer war einer der Gründe für eine Reform der in der Kolonie geltenden Viehseuchengesetzgebung. Im Zuge der Überarbeitung der Viehseuchenverordnung wurde bis 1913 ein staatliches Kompensationssystem für Viehseuchenverluste ausgearbeitet.369 Als Vorlage dienten dabei sowohl die im Deutschen Reich als auch in der Südafrikanischen Union geltenden Entschädigungsregelungen. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhinderte jedoch die Ratifizierung der neuen Viehseuchenverordnung. Nach der Kapitulation der deutschen Truppen im Juli 1915 war die Hauptaufgabe der südafrikanischen Militärverwaltung die militärische Sicherung des besetzten Territoriums. Folglich lag die Entschädigung deutscher Farmer – also des Feindes – nicht im Interesse der Militärverwaltung. Seuchenbedingte Tierverluste mussten die Farmer selbst tragen, wodurch deren wirtschaftlich prekäre Lage weiter verschärft wurde. Die Situation änderte sich in dem Augenblick, als 1919/20 klar wurde, dass die Südafrikanische Union als Mandatsmacht längerfristig die Regierungsgewalt über SWA ausüben würde. Als eine der ersten Maßnahmen erließ die neue Mandatsregierung 1920 die »Diseases of Stock Proclamation«. Mit dieser wurde ein rechtlicher Anspruch auf staatliche Entschädigungen für seuchenevozierte Viehverluste eingeführt. Die Proklamation enthielt zu diesem Zweck ein nach einzelnen Tierkrankheiten differenziertes Kompensationssystem, das sich an der in der Südafrikanischen Union geltenden Gesetzgebung orientierte.370 Die in der Forschungsliteratur häufig geäußerte Ansicht, dass sich die Mandatsregierung in Bezug auf die Organisation des Veterinärwesens an dem »deutschen Vorbild« orientiert habe, trifft im Falle der staatlichen Entschädigungsleistungen nicht zu. Bei der Absicherung gegen existenzbedrohende Verluste durch Tierseuchen verließen sich die Farmer aber nicht allein auf die Kolonialregierung bzw. staatliche Kompensationsleistungen. Seit 1901 wurde von 368 Für die Entschädigung der während der Schafpockenseuche 1909/10 aufgetretenen Impfverluste wurde eine entsprechende Verfügung am 26.09.1910 erlassen. Gouv. an Cheftierarzt Henning, 15.03.1911, Pockenseuche, NAN ZBU 1341 O. V.b.2-1, Bl. 163. 369 Entwurf Viehseuchenverordnung 1913, S. 20–22. 370 Dieases of Stock Proclamation 1920, S. 16–17.

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vielen Farmerverbänden, unterstützt durch Regierungstierärzte, die Einführung unterschiedlicher Finanzierungsmodelle zur Kompensation von Tierseuchenverlusten diskutiert.

6.2 Veterinärpolitische Selbststeuerung: Die Viehversicherung Einige europäische Farmer lehnten die Durchführung staatlicher veterinärpolizeilicher Maßnahmen rundweg ab oder standen diesen sehr skeptisch gegenüber. Insgesamt war das Vertrauen in die staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen seit dem relativen Erfolg der Rinderpestimpfungen 1897/98 zwar gestiegen. Mit Blick auf die Sicherung ihres wirtschaftlichen Überlebens hatten die Farmer aber vor allem an der Einrichtung eines möglichst umfassenden und finanziell abgesicherten Entschädigungssystems für Viehseuchenverluste sehr großes Interesse. Sowohl im Rahmen der Versammlungen des 1898 gegründeten »Landwirtschaftlichen Vereins für Deutsch-Südwestafrika« als auch bei den Treffen der sukzessiv gegründeten lokalen Bezirksvereine tauschten sich die Farmer über Fragen der Versicherung und Entschädigung aus. Aus diesen Debatten entwickelten sich konkrete Vorschläge für die Einführung einer allgemeinen Viehversicherung. Auf diese Weise lösten Viehseuchen bei den Farmern Selbststeuerungseffekte aus. In der Folge griffen die Farmervertreter aktiv in die Entwicklung und Implementierung von Viehversicherungen und Viehsteuern ein. Die von der Kolonialverwaltung verfolgte Modernisierung der Viehwirtschaft und die damit einhergehende Festigung der kolonialen Kontrolle waren zwar notwendige Voraussetzungen bzw. Begleiterscheinungen, dürften für den alltäglichen Farmbetrieb aber eher zweitrangig gewesen sein. Dennoch war sowohl den Farmern als auch der Kolonialregierung klar, dass sie auf gegenseitige Hilfe angewiesen waren. Für den kolonialen Staat stellte die Einführung einer Viehversicherung oder gar einer Viehsteuer ein weiteres Kontrollinstrument zur Durchsetzung der Veterinärpolitik dar. Cheftierarzt Rickmann hatte daher dem Windhoeker Bezirksverein bereits 1901 zur Unterstützung der veterinärpolizeilichen Arbeit die Schaffung einer Entschädigungsversicherung auf gegenseitiger Basis als mögliche Lösung vorgeschlagen.371 371 N. N., Bericht über die Versammlung des Bezirksvereins Windhoek am 3. Juni 1901, in: Windhoeker Anzeiger, 12 (1901), o.P.

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Diese Anregung wurde von Seiten des Farmerverbandes Gibeon zu einem konkreten Vorschlag weiterentwickelt, der von dem Farmer Otto Doepping im Mai 1903 in der LAWi-DSWAZ veröffentlicht wurde.372 Die Mehrheit der europäischen Farmer sah das Modell einer Viehversicherung mit staatlicher Beteiligung als gerecht, zeitgemäß und notwendig an. Anders als die bislang gewährten staatlichen Entschädigungsleistungen, die höchstens zwei Drittel der Verluste auffingen, sollte eine solche Versicherung die Tierverluste zu 100 % nach geltendem Marktwert ersetzen. Dieser Garantie- und Hilfsfonds sollte je zur Hälfte aus staatlichen Zuschüssen sowie aus Prämienbeiträgen der Viehbesitzer finanziert werden. Nach den Vorstellungen des Gibeoner Farmerverbandes sollte das Deutsche Reich zur Schaffung des notwendigen Grundkapitals eines solchen Versicherungsfonds zwei Millionen Reichsmark bereitstellen. Mit Blick auf die geringe durchschnittliche Kapitalkraft der Farmer sollte deren Beteiligungssumme zunächst auf eine Mark pro Stück Großvieh begrenzt werden. Dies bedeutete, dass der Staat sämtliche Entschädigungszahlungen übernehmen sollte, bis sich ein selbsttragendes Betriebskapital angesammelt hatte. Zur Verwaltung sowie Einführung eines solchen Versicherungsfonds forderte Doepping die Kolonialregierung konkret zum Handeln auf. Zur Kontrolle der Ausgaben sollte, unter Vorsitz eines Regierungsvertreters, ein je zur Hälfte aus Regierungs- und Farmervertretern bestehender Verwaltungsrat für den Versicherungsfonds gebildet werden. Die Geschäftsführung in den Bezirken sollten die Bezirksamtmänner mit Unterstützung eines Beamten für die Kassenführung übernehmen. Der Vorschlag der Farmer sah weiterhin vor, die Gewährung von Entschädigungsanträgen von dem Urteil des Bezirkstierarztes abhängig zu machen. Langfristig sollten die Farmervertreter dann die Verwaltung des Betriebsfonds übernehmen. Ferner müsste eine derartige Viehversicherung aufgrund der staatlichen Beteiligung für alle Viehbesitzer obligatorisch eingeführt werden. Damit diese Maßnahme sinnvoll und nachhaltig greifen könnte, müsste zudem eine Möglichkeit gefunden werden, wie die indigenen Viehbesitzer mit eingeschlossen werden könnten.373 Der Gibeoner Farmerverband hatte damit einen Vorschlag unterbreitet, der im Kern darauf hinauslief, zum einen die staatliche Beteiligung und Kontrolle an den Kompensationsleistungen zu festigen. Zum anderen sollten die Farmervertreter institutionell stärker eingebunden werden, um schließ372 Doepping, o.P. 373 Ebd.

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lich das gesamte Kompensationssystem in die Selbstverwaltung der Farmer zu überführen. Gleichzeitig wird hier deutlich, wie stark veterinärpolitische Überlegungen die Implementierung einer rassistisch segregierten Siedlergesellschaft beförderten. Während indigene Viehbesitzer von den veterinärmedizinischen Schulungsprogrammen und der Einbindung in die veterinärpolizeiliche Kontrolle ausgeschlossen wurden, sollten sie an einer Viehsteuer unbedingt beteiligt werden. Ein gleichberechtigter Entschädigungsanspruch von Siedlern und Indigenen wurde von den Initiatoren einer solchen Steuer sicherlich nicht angestrebt. Für die Farmerverbände hatte die umfassende Entschädigung ihrer Mitglieder, die ausschließlich europäische Farmer waren, oberste Priorität. Eine allgemeine Viehsteuer hätte daher eine zusätzliche finanzielle Belastung für die indigenen Viehbesitzer und damit eine weitere Beschneidung ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit bedeutet. Die von den Farmern unterbreiteten Überlegungen zur Einrichtung einer Viehversicherung wurden von der Kolonialverwaltung und insbesondere Cheftierarzt Rickmann mit Interesse aufgenommen und weiterentwickelt. Aufbauend auf den Vorschlägen stellte Rickmann im Mai 1903 dem Bezirksverein Windhoek mehrere Modelle für die Finanzierung einer Viehversicherung vor.374 Ziel von Rickmanns Vorschlägen war es, das bis dahin praktizierte und für die Farmer unbefriedigende staatliche Entschädigungsverfahren in Form der nachträglichen Beantragungen von Kompensationsgeldern beim Reichstag und deren anschließende Verteilung an die Betroffenen zunächst zu ergänzen und langfristig zu ersetzen. Vorgabe war es, so viel Kapital zu beschaffen, dass »eine Sicherstellung der Viehbesitzer vor Verlusten, welche durch Seuchen u. Impfungen entstehen können u. die ganze Existenz in Frage stellen«, möglich sei. Zur Schaffung dieses Kapitals standen, laut Rickmann, vier verschiedene Möglichkeiten zur Disposition: 1. eine Viehversicherung auf Gegenseitigkeit, 2. eine private Versicherungsgesellschaft m.b.H., 3. eine Viehversicherung auf Gegenseitigkeit unter staatlicher Kontrolle und mit staatlicher Unterstützung sowie 4. die Einführung einer allgemeinen Viehsteuer. Im Gegensatz zu dem von Doepping vorgeschlagenen Versicherungssystem nannte Rickmann weder in Bezug auf die Höhe einer staatlichen Beteiligung, noch auf die von den Farmern eventuell zu entrichtenden Pro-Kopf-Prämien konkrete Zahlen. Fest stand lediglich, dass jede einzelne Variante dazu dienen sollte, die im Zuge der Tierseuchen374 Rickmann an Gouv., 06.05.1903, Vortrag gehalten vor dem Bezirksverein Windhoek, BAB R 1001/6074, Bl. 139.

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bekämpfung anfallenden Kosten  – neben Impfgebühren insbesondere die durch die Bekämpfungsmaßnahmen auftretenden Tierverluste – vollständig zu ersetzen. Mit Verweis auf die geringen finanziellen Mittel, über die die Farmer im Allgemeinen verfügten, sprach sich der Windhoeker Bezirksverein dafür aus, entweder eine Versicherung unter staatlicher Beteiligung oder eine allgemeine Viehsteuer einzuführen. Aus den von Rickmann zusammengefassten Debatten der Farmervertreter geht hervor, dass diese in Bezug auf die Einbeziehung der indigenen Bevölkerung durchaus im Interesse des kolonialen Staates argumentierten. Ähnlich wie im Fall des Verteilungsschlüssels für den Rinderpestfonds, sollten von einer Viehversicherung ausschließlich die europäischen Siedler profitieren. Entgegen den Vorschlägen zur Einführung einer Viehsteuer wurden die indigenen Viehbesitzer in den Überlegungen über die Einführung einer Viehversicherung, ob nun aus privaten und / oder staatlichen Mitteln getragen, grundsätzlich ausgeschlossen. Begründet wurde dies damit, dass man diese ohnehin nicht zu einem Beitritt bewegen könne. Sollte es jedoch zur Einführung einer allgemeinen Viehsteuer kommen, forderten die Farmervertreter mit Nachdruck, die indigenen Viehbesitzer einzubeziehen und notfalls zur Abgabe zu zwingen. Ob Rickmann die Debatten der Farmer absichtlich lenkte, lässt sich nicht belegen. Dies war in Bezug auf die Frage der Einbeziehung bzw. des Ausschlusses der indigenen Bevölkerung sicherlich auch nicht nötig, schließlich musste sich die Kolonialverwaltung regelmäßig gegenüber den Siedlern wegen ihrer angeblich zu nachlässigen »Eingeborenenpolitik« rechtfertigen.375 Aber die Reihenfolge, in der Rickmann die verschiedenen Modelle vorstellte, legt die Vermutung nahe, dass es ihm darum ging, die Bildung einer privaten Viehversicherung zu vermeiden. Eine solche hätte schließlich die staatlichen Einflussmöglichkeiten von Beginn an massiv beschränkt. Warum Rickmann diese dennoch ausführlich erläuterte, ist daher fraglich. Ihm kann es nicht allein darum gegangen sein, den Farmern ihre Abhängigkeit von der Kolonialverwaltung vor Augen zu führen, diese war ihnen ohnehin bewusst. Außerdem musste Rickmann bekannt gewesen sein, dass die Einrichtung einer komplett privat finanzierten Viehversicherung für die überwiegende Mehrheit der Farmer nahezu unerschwinglich war. Es liegt 375 Zu den Beschwerden der Siedler über die »Eingeborenenpolitik« siehe u. a.: Zimmerer, Deutsche Herrschaft, S. 161–167. Zum Selbstverständnis der deutschen Siedler: Schmid-Lauber, S. 227–229.

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daher nahe, die Beratung der Farmer durch den Cheftierarzt als eine Art vertrauensbildende Maßnahme aufzufassen. In seinem ausführlichen Vortrag nahm Rickmann die Vorschläge der Farmer auf und ergänzte diese um weitere Varianten. Dadurch begegnete er den Farmern auf Augenhöhe und machte gleichzeitig deutlich, dass diese sich prinzipiell der staatlichen Unterstützung sicher sein konnten. Einige Farmer im Bezirk Windhoek zogen daraus indes einen anderen Schluss und begannen die Einführung einer auf Gegenseitigkeit beruhenden privaten Versicherung zu planen.376 Für eine rein private Trägerschaft fehlten den meisten Farmern jedoch schlicht die erforderlichen finanziellen Mittel.377 In jedem Fall nahm auch Gouverneur Leutwein die von Rickmann gemeinsam mit den Farmern erörterten Möglichkeiten zur Einführung und Finanzierung einer Viehversicherung ernst. Im Rahmen der parallel in Berlin stattfindenden Debatten über die Förderung der kolonialen Landwirtschaft und speziell die Einführung von Zwangsimpfungen in DSWA wies Leutwein die Kol.Abt. explizit darauf hin, dass es von Seiten der Farmerschaft bereits erste Überlegungen in Richtung der Schaffung einer Viehversicherung gebe – ohne auf konkrete Vorschläge wie den des Gibeoner Farmerverbandes einzugehen. Die geplante Einführung einer rein privaten Viehversicherung lehnte Leutwein ab. Eine solche Versicherung sei nicht geeignet, die allgemeine Seuchenbekämpfung zu unterstützen, da nur wenige Farmer von ihr profitieren könnten und zudem »der Ausschluss der viehbesitzenden Eingeborenen, vor allem der Hereros, in Frage stände«.378 Von einer vermeintlich schnellen Lösung durch eine Aufstockung der Entschädigungsfonds riet Leutwein ebenfalls ab, da dies eine dauerhafte zusätzliche Aufstockung des Schutzgebietsetats um mindestens 500.000 Mark erfordert hätte. Mit Blick auf die eng begrenzten finanziellen Spielräume der Farmer wie auch des Gouvernements empfahl Leutwein die Einführung einer allgemeinen Viehsteuer. Diese seit längerem vom Gouvernement in Aussicht genommene Maßnahme stoße mittlerweile »auf allgemeine Sympathie bei der weissen Bevölkerung«. Zwar müsste die Regierung zur Einführung einer allgemeinen Viehsteuer ebenfalls zunächst erhebliche Mittel aufwenden, um den erforderlichen Verwaltungsapparat aufzubauen sowie ein gewisses 376 Leutwein an Kol.Abt, 23.06.1903, Stellungnahme zur Zwangsimpfung gegen Rinderpest und Vorschläge zur Regelung der Entschädigungsfrage, BAB R 1001/6074, Bl. 135–138. 377 Schwabe, S. 433. 378 Leutwein an Kol.Abt, 23.06.1903, BAB R 1001/6074, Bl. 137.

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Grundkapital zu schaffen. Die zu erwartenden Steuereinnahmen würden aber langfristig kostendeckend sein. Zudem böten sich weitere Vorteile, da der Staat jederzeit die Höhe der ausgezahlten Maximalbeträge und damit auch die Eigenbeteiligung der Viehbesitzer an den Verlusten steuern könnte. Dadurch werde, so Leutweins Hoffnung, das »Interesse der Bevölkerung an der Seuchenbekämpfung wach gehalten« und ein potenzieller Missbrauch von vornherein weitgehend ausgeschlossen.379 Mit dem Interesse, die Viehbesitzer durch eine Viehsteuer einer effektiveren Kontrolle durch den Staat zu unterwerfen, veranlasste Leutwein die Bezirks- und Distriktämter, die Bereitschaft der Viehbesitzer in Bezug auf die Einführung einer allgemeinen Viehsteuer zu sondieren. Das Ergebnis war einigermaßen ernüchternd. Laut einem Bericht Leutweins an die Kol.Abt. von Oktober 1903 sei »[n]ach Eingang der Berichte von hiesigen Verwaltungsbehörden und von den privaten Vereinen, sowie nach Beratung mit den Eingeborenen…von der geplanten allgemeinen Viehsteuer vorläufig« abzusehen.380 Zur Ergänzung der staatlichen Rinderpestfonds beabsichtigte Leutwein, die geplanten Gründungen lokaler privater Viehversicherungsvereine abzuwarten. Vorausgesetzt, diese seien zahlreich genug, um sich zu größeren Allgemeinverbänden zusammenzuschließen, solle entschieden werden, ob und in welchem Umfang sich die Regierung an dieser »Viehversicherungsbewegung« beteiligen würde. Der Ausbruch des Namibischen Krieges (1904–1907) brachte die Pläne zur Einführung von Viehversicherungen zunächst zum Erliegen. Im Hinblick auf die Bekämpfung von Tierseuchen wie der Lungenseuche sah Rickmann den Kriegsausbruch durchaus positiv, da »durch den Krieg…das hinderndste Moment, der Widerstand und Unverstand der viehbesitzenden Eingeborenen beseitigt« werde.381 Nach der siegreichen Beendigung des Krieges müsse die Kolonialverwaltung lediglich noch das »alt eingewurzelte Uebel der dauernden Erhaltung durchseuchter Rinder, die besonders die Boeren besitzen«, lösen. Zudem würden nach dem Krieg die europäischen Farmer bald wieder ihre Bestände aufgestockt haben und damit über die erforderlichen wirtschaftlichen Mittel verfügen, um eine funktionierende Viehversicherungsgenossenschaft gründen und dann die radikale Bekämpfung der Lungenseuche und anderer Tierseuchen in Angriff nehmen zu können. Die 379 Ebd., Bl. 138. 380 Leutwein an Kol.Abt., 07.10.1903, Bericht über Rinderpest und sekundäre Infektion mit Texasfieber, BAB R 1001/6074, Bl. 177–178. 381 Rickmann an Bezirks- und Distriktämter, 08.07.1905, Beobachtungen zu Lungen­ seuche und -impfung, NAN DOK T3 a-1., Bl. 4–9, hier: Bl. 7.

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während der Kamphandlungen durch Diebstahl und Seuchen aufgetretenen Viehverluste der Siedler und der Regierung wurden bereits zu Kriegszeiten durch die Verteilung des »Beuteviehs« ansatzweise ausgeglichen. Ab 1907 profitierten schließlich allein die europäischen Farmer von der grundlegenden Reform der deutschen Kolonialpolitik. Neben der von Gouverneur Lindequist initiierten »Siedlungs- und Eingeborenenpolitik« gehörte dazu vor allem die grundsätzliche Neuausrichtung der gesamten kolonialen Finanzpolitik unter Reichskanzler Dernburg. Letztere führte neben dem Auf- und Ausbau der Zivilverwaltung vor allem zu einer umfänglichen infrastrukturellen Erschließung der Kolonie. Neben dem systematischen Ausbau der Verkehrs- und Kommunikationswege profitierten die Farmer vor allem von der Erschließung der natürlichen Wasservorkommen sowie der zunehmenden Förderung von Zuchtviehimporten.382 Die Frage nach einer verlässlichen und effektiven Viehversicherung war aber weiterhin ein ungelöstes und drängendes Problem. Erst 1911 legte das Gouvernement dem »Landwirtschaftlichen Verein für Deutsch-Südwestafrika« sowie dem Landesrat einen Entwurf für eine allgemeine Zwangsprämienversicherung in Verbindung mit einer staatlichen Beitragspflicht vor. Geplant war, nach einigen Jahren die staatlichen Beiträge zurückzufahren und die Versicherung in eine solche auf Gegenseitigkeit umzuwandeln.383 Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde in DSWA aber weder eine allgemeine Viehversicherung, noch eine generelle Viehsteuer eingeführt. Nachdem 1909 im Zuge der Selbstverwaltungsverordnung der Einfluss der aus den ansässigen Siedlern bestehenden Bezirksräte erheblich aufgewertet worden war, nahmen diese die Idee einer Viehsteuer wieder auf. Ab 1911 führten die Bezirks- bzw. Distriktverbände von Omaruru, Maltahöhe, Gobabis und Rehoboth neben Personenkopfsteuern auch Viehkopfsteuern ein.384 Die Erhebung dieser lokalen Steuern erfolgte uneinheitlich. Im Distrikt Gobabis wurde 1913 für alle »einheimischen oder aus dem Auslande eingewan382 Zu den Maßnahmen zur Wassererschließung durch staatliche Bohrkolonnen, den privaten und staatlichen Eisenbahnbau sowie Kommunikationsmittel, siehe Kaulich, S. 432–462 und S. 474–492. Durch persönliche Kontakte arrangierte Gouverneur Lindequist ab 1907 auch den Import von Karakulschafen und begründete einen neuen Zweig der Viehzucht in Namibia, der aber erst ab Ende der 1920er Jahre seine wirtschaftliche Wirkung entfaltete. Für eine unkritische Erfolgsgeschichte der Karakulzucht in Namibia siehe: Visser, S. 15–18. 383 Luerssen, S. 11–13. 384 Zur Viehkopfsteuer in Omaruru siehe: Amtbl. 2/12 (1911), S. 166 sowie Amtbl. 4/9 (1913), S. 102; für Rehoboth Amtbl. 4/11 (1913), S. 148.

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derten Eingeborenen eine Großviehkopfsteuer« in Höhe von 0,50 Mark pro Stück erhoben.385 Demgegenüber waren im Distrikt Maltahöhe die Tiere von »Eingeborenen…ebenso die des Fiskus« von der 1912 eingeführten Viehkopfsteuer ausgenommen. Ferner hatte der Distriktverband Maltahöhe den Steuersatz differenziert. Für ein Stück Großvieh waren demnach 0,30 Mark, für ein Stück Kleinvieh 0,03 Mark an die Distriktkasse zu zahlen.386 Grundsätzlich diente die Erhebung von Viehsteuern der Förderung und wirtschaftlichen Absicherung der von europäischen Farmern betriebenen kommerziellen Viehwirtschaft. Dabei verfolgten die Distrikts- und Bezirksverbände augenscheinlich unterschiedliche Strategien, die offenbar mit der ethnischen Zusammensetzung der in den jeweiligen Distrikten und Bezirken ansässigen Viehbesitzer zusammenhing. Während im grenznahen Distrikt Gobabis indigenen Viehbesitzern die Niederlassung durch eine zusätzliche Steuerlast erschwert werden sollte, stellten diese im Distrikt Maltahöhe offenbar keine Konkurrenz für die europäischen Farmer mehr dar. Ob die durch die Viehsteuern eingenommenen Gelder, wie bereits 1903 vorgeschlagen, tatsächlich zur Deckung der durch Bekämpfungs- und Präventionsmaßnahmen gegen Tierseuchen verursachten Kosten verwandt wurden, lässt sich aus den Aktenbeständen nicht mehr rekonstruieren. In jedem Fall wurde die Erhebung von Viehsteuern erst durch die ab 1910 planvoller durchgeführten amtlichen Viehzählungen und vor allem durch die 1912 erlassene Viehbrandverordnung ermöglicht. Mit dieser Verordnung wurde erstmals ein System zur staatlichen Erfassung der Großviehbestände in der Kolonie eingeführt. Die Viehbrandverordnung war darüber hinaus eng mit weiteren kolonialstaatlichen Kontrollmechanismen verzahnt und in ein transkoloniales System zur Erfassung der Viehbestände und Kontrolle der Viehbewegungen eingebettet.

6.3 Instrumente kolonialstaatlicher Kontrolle: Brandzeichen Anfangs waren die Herden der europäischen Ansiedler noch so klein, dass die Besitzer bzw. deren Hirten die einzelnen Tiere anhand ihrer Fellzeichnung identifizieren konnten. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erreichten in der Cape Colony die Schafherden der europäischen Farmer Stückzahlen, die eine Besitzmarkierung erforderlich machten. Diese dienten zunächst zur 385 Amtbl. 4/13 (1913), S. 181–182. 386 Amtbl. 3/13 (1912), S. 225–226. Für das Jahr 1913 wurden die Steuersätze auf 0,20 Mark bzw. 0,02 Mark reduziert. Amtbl. 4/14 (1913), S. 198.

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Identifizierung entlaufener bzw. gestohlener Tiere. Darüber hinaus wurden die Markierungen auch für die nach europäischem Vorbild betriebene kommerzielle Viehzucht immer wichtiger. Eine Kennzeichnung der Tiere ermöglichte das Anlegen von Zuchtbüchern und die gezielte Verfolgung von »Zuchtzielen«.387 Vermutlich seit der Oorlam-Migration in den 1860er Jahren, spätestens aber mit der Errichtung der deutschen Kolonialherrschaft und der zunehmenden Integration DSWAs in den überregionalen Handel mit der Cape Colony und dem Transvaal übernahmen sowohl indigene als auch europäische Viehbesitzer die Praktik der individuellen Besitzkennzeichnung von Rindern, Schafen und Ziegen. Wie in der Cape Colony nutzten die Farmer dazu neben Ohrmarken und Farbmarkierungen vor allem Brandzeichen.388 Da zunächst keine staatlichen Vorgaben existierten, erfolgte das »Brennen« der Tiere eigenverantwortlich und war keinesfalls einheitlich. Zur Kennzeichnung der Tiere wurden einfache Symbole (z. B. Herzen oder Kreuze), Zahlen und Buchstaben (meist die Initialen des Besitzers) oder eine Mischung dieser Elemente, z. B. aus Symbolen und Buchstaben, verwendet. Mitunter benutzte ein Farmer auch mehrere Brandzeichen, um die in seinem Besitz befindlichen Herden zu kennzeichnen. Aus dieser Praxis ergaben sich schnell Probleme. Insbesondere wenn zur Kennzeichnung der Tiere einfache Symbole oder die Initialen des Besitzers verwandt wurden, bestand die Gefahr, dass nahezu identische Brandzeichen von unterschiedlichen Besitzern genutzt wurden. Im Zweifelsfall war es dann unmöglich, entlaufene Tiere eindeutig zuzuordnen. Da die Brandzeichen zudem nicht amtlich registriert waren, konnten sie auch sehr leicht gefälscht werden. Einfaches Hinzufügen eines Zeichens, Buchstabens oder einer Zahl reichte für einen illegalen Besitzerwechsel aus. Das erschwerte die Verfolgung vermeintlicher Viehdiebe erheblich. Mit der wachsenden Zahl europäischer Siedler stieg Anfang des 20. Jahrhunderts auch der Druck auf die Kolonialregierung, eine Lösung für diese Probleme zu finden. Bis dahin waren in den Siedlerkolonien des südlichen Afrika staatliche Brandzeichen ausschließlich im Kontext veterinärpolizeilicher Maßnahmen 387 Luerssen, S. 13. 388 Zum Viehhandel deutscher Siedler mit der Cape Colony und dem Transvaal siehe: Grimm, Voigts, S. 27–29. Dabei handelt es sich um eine kolonialrevisionistische Nacherzählung des Lebens von Gustav Voigts, entsprechend wird die deutsche Kolonialherrschaft durchweg positiv dargestellt. Zu den in der Cape Colony von europäischen wie indigenen Farmer seit spätestens den 1860er Jahren genutzten Methoden zur Kennzeichnung von Tieren siehe: van Sittert, S. 85.

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verwendet worden. Nach Ausbruch der Rinderpest 1897 in DSWA musste die Kolonialverwaltung die Durchführung der Impfkampagne und entsprechenden Absperrungsmaßnahmen überwachen. Da die Immunisierung eine zweimalige Impfung – zunächst mit Galle und anschließend mit Blut – erforderte, mussten die Impfkommandos in der Lage sein, möglichst schnell den Impfstatus eines Tieres feststellen zu können. Zu diesem Zweck wurden geimpfte Rinder mit einem Brandzeichen in Form eines »r« auf der linken Halsseite markiert (s. Abb. 3). Nachdem die zweite Impfung erfolgt war, wurde neben dem ersten Brandzeichen ein weiteres »r« angebracht. Die Brandeisen sollten von den Bezirkshauptmannschaften zusätzlich mit einem kleinen Zeichen versehen werden, um so Nachahmungen und Betrug vorzubeugen.389 Die »rr« Markierung erleichterte sowohl die Durchführung und Kontrolle der flächendeckenden Impfkampagne als auch die Durchsetzung von Absperrungsmaßnahmen und Handelsbeschränkungen. Trotz der unsicheren Impfergebnisse und der relativ leicht zu fälschenden Brandzeichen war dieses Vorgehen offenbar sehr effizient.390 Ein vergleichbares Verfahren wandte die südafrikanische Mandatsregierung ab 1929 im Rahmen der Milzbrandimpfungen an.391 Neben der Überwachung von Impfkampagnen wurden in den britischen Kolonien Brandzeichen auch für andere veterinärpolizeiliche Maßnahmen eingesetzt. Die Delegierten der »Inter-Colonial Veterinary Conference« 1904 in Cape Town empfahlen, bestimmte Brandzeichen zur Kennzeichnung von Schlachtvieh sowie zur Bekämpfung der Lungenseuche und Tuberkulose zu verwenden.392 Während die Kennzeichnung des Schlachtviehs den illegalen 389 Leutwein, 15.05.1897, Rinderpest-Verordnung, NAN ZBU 1313 O.III.c.1-1, Bl. 14. Da der Kolonialverwaltung nur begrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung standen, sollten die Brandzeichen auch zur Erhebung von Impfgebühren dienen. 390 So berichtet der Regierungstierarzt Wunder, dass es unter Schlachtochsen trotz der erfolgten Doppelimpfung zu einem Ausbruch von Rinderpest kam. Wunder an Kol.Abt., 15.04.1901, Bekämpfung der Rinderpest in Deutsch-Südwestafrika, BAB R 1001/6064a, Bl. 44–49. 391 Die geimpften Tiere wurden mit einem nicht näher beschriebenen Brandzeichen an der Wange versehen. SVO an Secretary, Jahresbericht 1929, NAN AGV 136 V.10/1-1. Die Mandatsregierung war seit 1920 mit Impfungen gegen die Seuche vorgegangen. Siehe dazu: NAN AGV 102 V.2/29-1. 392 Schlachtvieh sollte mit einem »S« und einem Pfeil; lungenseucheverdächtige oder infizierte Rinder mit einem »L« und einer Krone, in Fall von Tuberkulose mit einem »T« und einer Krone markiert werden. Report Cape Town 1904, S. 77–85. Vgl. auch Baumgart (Tierarzt) an Distrikts- und Bezirksämter, 25.06.1904, Protokoll der II. Inter-Colonial Veterinary Conference in Kapstadt, NAN DOK 122 T.3.a-1.

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Abb. 3: Rinderpest-Impfstempel 1897. Quelle: NAN ZBU 1313 O.III.c.1-1, Bl. 13, Anhang zur Rinderpest-Verordnung, 15.05.1897.

Verkauf der Tiere unterbinden sollte, diente die Markierung von Rindern, die an Lungenseuche oder Tuberkulose erkrankt bzw. einer Infektion verdächtig waren, zur Unterstützung der Quarantäne- und Keulungsmaßnahmen. Cheftierarzt Rickmann lehnte vor allem die Einführung einer Lungenseuchekennzeichnung in DSWA ab. Er hielt eine solche Maßnahme für wenig erfolgversprechend, da abgesehen von dem zusätzlichen Arbeitsaufwand für die Besitzer nach wie vor »leicht erkrankte Tiere dennoch unbemerkt durchschlüpfen können«. Zudem war in DSWA die Forderung der Tötung aller lungenseuchekranken Rinder gegen Zahlung einer Entschädigung nicht durchführbar.393 Stattdessen empfahl Rickmann, die Lungenseuche mit Hilfe strikter Absperrungsmaßnahmen, der Genehmigung des Verkaufs lungenseuchenkranker Rinder zu Schlachtzwecken sowie der Impfung aller zu Transportzwecken genutzten Rinder zu bekämpfen. Die Verwendung von Brandzeichen zur Kennzeichnung von Schlachtvieh sowie zur Überwachung

393 Rickmann, Tierzucht, S. 176.

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von Keulungsmaßnahmen wurde in SWA erst von der Mandatsregierung 1920 angeordnet.394 Hinsichtlich einer effektiveren veterinärpolizeilichen Überwachung hatte die Kolonialverwaltung grundsätzlich ein großes Interesse an der möglichst lückenlosen und nach europäischen und indigenen Besitzern differenzierten Erfassung der Viehbestände. In den Gebieten in Zentral- und Südnamibia, die unter direkter Kontrolle der deutschen Administration standen, führte die Kolonialregierung 1903 die erste systematische Viehzählung durch. Gegenüber den ca. 80.000–100.000 Indigenen besaßen die wenigen Hundert euro­ päischen Siedler demnach etwa die Hälfte des gesamten Rinderbestandes und ca. 60 % des gesamten Kleinviehs.395 Schon die Zeitgenossen gingen davon aus, dass die erhobenen Bestandszahlen nicht vollständig waren und bestenfalls einen groben Richtwert darstellten.396 Dennoch belegen diese Zahlen, wie stark die Rinderpest zur Umverteilung des Viehbesitzes beigetragen hatte.397 394 Laut den 1920 erlassenen Ausführungsbestimmungen der Diseases of Stock Proclamation mussten Rinder, die an Tuberkulose und Ostküstenfieber litten bzw. der Infektion verdächtig waren, mit einem »T« bzw. »R« und einer Krone markiert und binnen einer festzulegenden Zeit geschlachtet werden. Diseases of Stock Proclamation 1920, S. 28–29. 395 Laut der von Rickmann erstellen Viehzählungsliste befanden sich ca. 210.000 Schafe und Ziegen sowie rund 45.000 Rinder im Besitz europäischer Farmer und 136.000 Stück Kleinvieh sowie ebenfalls rd. 45.000 Rinder im Besitz indigener Viehhalter. Rickmann an Gouv., 01.06.1903, Viehzählungsliste, BAB R 1001/6074, Bl. 139. Diese Zahlen gab auch Leutwein in seinen 1906 erschienenen Memoiren an und ergänzte, dass die indigene Bevölkerung mindestens 4.000 Stück Vieh unterschlagen habe. Leutwein, S. 367–368. Zu den Bevölkerungszahlen siehe: Drechsler, S. 117–118. 396 Über die Viehbestände im kolonialen Namibia finden sich verstreut in den Quellen zahlreiche Statistiken. Beim Vergleich einiger dieser Tabellen wird schnell deutlich, dass diese lediglich eine grobe Orientierungshilfe darstellen. In manchen werden einzelne Tierarten nach Geschlecht und Alter aufgeschlüsselt, während andere summarisch aufgelistet werden oder völlig fehlen. Hinzu kommt, dass einige Statistiken den Viehbesitz zwischen »Weißen« und »Eingeborenen« trennen, wobei einige sogar die Tierbestände der indigenen Bevölkerung nach »Stämmen« ausdifferenzieren. Diese sind jedoch aufgrund der sich verändernden kolonialen Herrschaftsräume, der unterschiedlichen Auffassungen, welche Zahlen erfasst werden und dem generellen Problem des Zählens der Tiere im Veld problematisch. Zum Problem der kolonialen Viehstatistiken in Südafrika siehe auch: Beinart, Livestock Farming, S. 9–17. Die Probleme bei der Vermessung und Zählung der halbwild gehaltenen Nutztiere war auch den Zeitgenossen klar. Neumann, S. 10. 397 Eine ähnlich einschneidende Umverteilung des Rinderbesitzes durch die Rinderpest wurde auch in den anderen Siedlerkolonien des südlichen Afrika nachgewiesen. Ballard hat für Natal herausgearbeitet, dass nach der Rinderpest erstmals europäische Farmer mehr Rinder (155.000 Stück) besaßen als die indigene Bevölkerung (75.000 Rinder). Ballard, S. 429.

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Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass indigene Viehbesitzer nach wie vor eine maßgebliche Rolle in der kolonialen Viehwirtschaft spielten. Vor allem omuhona, die mit der deutschen Kolonialmacht kollaborierten, verfügten noch über intakte Rinderbestände und konnten sich bis zum Ausbruch des Namibischen Krieges als Machtfaktor gegenüber der deutschen Herrschaft in Zentralnamibia halten. Nach dem Ende des Krieges 1907 ging es der deutschen Kolonialverwaltung darum, innerhalb der Polizeizone die Gefahr eines erneuten »Aufstandes« gegen die Kolonialmacht auszuschalten. Dazu sollte jeder einzelne im deutschen Herrschaftsbereich lebende Afrikaner registriert und der Kon­trolle durch die Kolonialverwaltung unterworfen werden. Die Kernelemente der neuen »Eingeborenenpolitik« bildeten die 1907 erlassenen »Eingeborenenverordnungen«.398 Anknüpfend an bereits vor 1904 unternommene Versuche sollten die jeweiligen Distrikts- und Bezirksämter jeden Afrikaner in Namensregistern erfassen, ihnen eine individuelle Passnummer zuordnen sowie eine Passmarke aushändigen. Diese musste auf Verlangen jedem Weißen vorgezeigt werden.399 Die »Eingeborenenverordnungen« schrieben damit »die Umgestaltung der indigenen Gesellschaften fest, trieben ihre soziale Disziplinierung voran und legten die Grundlage für eine Arbeitsmarktordnung, welche die Afrikaner zu einem frei verfügbaren Arbeiterreservoir degradierte«.400 Die Regierung der Cape Colony war seit den 1860er Jahren ebenfalls darum bemüht, ein System zur Erfassung und Kontrolle der indigenen Arbeitskraft durchzusetzen. Dazu war auch hier eine Passpflicht eingeführt worden. In dem Pass wurden neben dem Namen des Inhabers auch »besondere körperliche Merkmale« eingetragen. Dabei hatte die Verwaltung vor allem damit zu kämpfen, dass Afrikaner – sofern sie sich überhaupt registrieren ließen – sich insbesondere außerhalb der größeren Ortschaften relativ leicht der Kontrolle durch den kolonialen Staat oder die europäischen Siedler ent398 Dazu gehörten die vom Kaiserlichen Gouvernement am 18.08.1907 erlassene Kontrollverordnung, Passverordnung und Gesindeverordnung. Zimmerer, Deutsche Herrschaft, S. 68. 399 In den Listen wurde der Vor- und Nachname des Vaters jedes Afrikaners erfasst und daneben eine individuelle Passnummer eingetragen. Ohne eine gültige Passmarke konnten Afrikaner nicht bei Europäern arbeiten. Zudem durften registrierte Afrikaner den Distrikt, in dem die Passmarke ausgegeben worden war, nur verlassen, wenn sie zuvor einen Reisepass bei der zuständigen Polizeistation beantragt hatten. Zu Entstehung, Erlass und Durchsetzung der »Eingeborenenverordnungen« siehe ausführlich: Zimmerer, Deutsche Herrschaft, S. 68–83 sowie Wallace, History, S. 183–189. 400 Zimmerer, Deutsche Herrschaft, S. 77.

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ziehen konnten.401 Mit ähnlichen Problemen bei der praktischen Umsetzung der Passpflicht sah sich auch die deutsche Administration konfrontiert.402 Um die pastoralen Gesellschaften endgültig in ein koloniales Proletariat zu transformieren, musste den Indigenen der Zugriff auf Land und Vieh entzogen werden. Dazu hatte die Regierung der Cape Colony unter anderem 1878 eine Kennzeichnungspflicht für sämtliche Nutztiere in den Native Locations erlassen. Diese war eng an die kurz zuvor erlassenen Passgesetze gekoppelt.403 Die deutsche Kolonialverwaltung ergriff 1907 deutlich radikalere Maßnahmen. Mit Ausnahme der Rehobother Baster wurde Indigenen der Erwerb von Grundbesitz sowie das Halten von Reittieren und Großvieh (Pferde, Maultiere und Rinder) nur noch in »Ausnahmefällen und unter Vorbehalt« mit Genehmigung des Gouverneurs gestattet.404 Damit sollte gewährleistet werden, dass die Erlaubnis zur Rinderhaltung einer Auszeichnung des Kolonialstaates für besonders treue Dienste gleichkam. In der Praxis erfolgte die Anerkennung »treuer Eingeborener« jedoch überwiegend in Form von Ziegen. Dies schürte die Unzufriedenheit innerhalb der indigenen Bevölkerung, so dass das Gouvernement 1913 eine erneute »Aufstandsgefahr« heraufziehen sah. Die Anträge von Afrikanern auf die Haltung von Großvieh wurden daher deutlich großzügiger behandelt. 1913 und 1914 wurden alle derartigen Anträge genehmigt. Der Durchsetzung der restriktiven Maßnahmen waren offenkundig enge Grenzen gesetzt. Die deutsche »Eingeborenenpolitik« zielte zwar durchaus auf die Schaffung eines »afrikanischen Proletariats«. Dennoch war der koloniale Staat auch nach 1907 nicht in der Lage, seine politischen Ziele ohne Rücksicht auf die indigene Bevölkerung durchzusetzen. Die Probleme bei der individuellen Erfassung der Afrikaner und vor allem deren Unzufriedenheit mit der »Viehpolitik« zwangen die Kolonialregierung, einen Mittelweg zu finden. Wollte man die Arbeitskraft der indigenen Bevölkerung nutzen, musste den Afrikanern eine wirtschaftliche Grundlage in Form von Viehbesitz zugestanden werden. Gleichzeitig durfte der Viehbesitz nicht derartige 401 van Sittert, S. 76–77. 402 Um die Passpflicht durchzusetzen, sollten ab 1912 alle Afrikaner ohne Passmarke bestraft und bei der Erfassung auch der rechte Daumenabdruck genommen werden. Letzteres wurde aus dem englischen Südafrika und Portugiesisch-Ostafrika übernommen und sollte eine sichere Identifizierung gewährleisten. Zimmerer, Deutsche Herrschaft, S. 142–148. 403 Diese Maßnahmen zeigten aber zunächst kaum Wirkung und stießen auf den Widerstand der betroffenen Afrikaner. van Sittert, S. 80. 404 Zimmerer, Deutsche Herrschaft, S. 68.

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Ausmaße annehmen, dass die Afrikaner wirtschaftlich unabhängig agieren konnten, sondern weiterhin auf die Lohnarbeit bei den Siedlern und der Kolonialverwaltung angewiesen blieben. Ansonsten hätte sich die Arbeiterfrage weiter verschärft und den europäischen Farmern wäre eine wirtschaftliche Konkurrenz erwachsen.405 Entsprechend gelang es der indigenen Bevölkerung trotz des seit 1907 geltenden Verbotes von Großviehbesitz einen durchaus beachtlichen Viehbesitz zu akkumulieren.406 Dabei waren offizielle Genehmigungen und Auszeichnungen eher eine unliebsame Ausnahme. Da die meisten europäischen Farmer nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügten, um ihre indigenen Farmarbeiter bezahlen zu können, war es – insbesondere auf den abgelegenen Farmen – gängige Praxis, die Angestellten in Naturalien zu entlohnen. Die Farmarbeiter erhielten zumindest einen Teil ihres Lohnes in Form von Lebendvieh (Schafe, Ziegen und Rinder) samt einem Weidenutzungsrecht auf dem Farmgelände. Neben den Auszeichnungen und der Entlohnung in Form von Vieh stellten vermutlich auch die ab 1908 zunehmenden Viehdiebstähle eine Quelle für den Wiederaufbau der indigenen Rinderherden dar.407 Diese wurden in der Mehrheit »Buschleuten« und versprengt im Veld lebenden Gruppen von Indigenen zur Last gelegt. Wegen des herrschenden Arbeitermangels sollten diese, wie alle Afrikaner, gemäß der »Eingeborenenverordnungen« der staatlichen Kontrolle unterworfen und zur Sesshaftigkeit gezwungen werden. Die Exekutivkräfte waren indes nicht in der Lage, das Gebiet systematisch und dauerhaft zu kontrollieren und Versuche der Verwaltung, mit Waffengewalt die Viehdiebstähle einzudämmen, misslangen. Die betroffenen Farmer waren sich der Machtlosigkeit der staatlichen Organe bewusst und versuchten, sich u. a. durch Tauschhandel mit den »Viehräuberbanden« zu arrangieren. Um dem Viehdiebstahl Einhalt zu gebieten und gleichzeitig alle indigenen Arbeitskräfte effektiv erfassen und kontrollieren 405 In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Zollmann, wenn er konstatiert, dass sich die deutsche »Eingeborenenpolitik« nicht in der Schaffung einer verarmten Klasse afrikanischer Dienstboten und Arbeiter erschöpfen konnte, begründet dies aber mit der zeitgenössischen Einschätzung des »Eingeborenen-Kommissars«, dass sich die wirtschaftliche Lage der Afrikaner durch die Übersiedlung in Reservate weiter verbessern werde. Zollmann, S. 264. 406 Laut den amtlichen Erhebungen befanden sich bereits 1910/11 rund 18.000 Rinder im Besitz von Afrikanern. 1913 war deren Zahl auf ca. 20.000 gestiegen. Zahlen siehe: Farmwirtschaft Südwestafrika’s, in: Die deutschen Schutzgebiete in Afrika und der Südsee 1909/10: Amtliche Jahresberichte, Berlin 1911, S. 41–42; Wallace, History, S. 184. 407 Krüger, Kriegsbewältigung, S. 188; Zimmerer, Deutsche Herrschaft, S. 266–269.

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zu können, forderten Farmervereine, alle Afrikaner zu tätowieren. Eine derartige Praxis, den Körper als Repräsentationsfläche staatlicher Disziplinierung zu nutzen, wurde von Seiten der Kolonialregierung aber abgelehnt, da sich keine »moderne Kolonialmacht« derartiger Methoden bediene.408 Die Probleme bei der Eindämmung der Viehdiebstähle boten für die Kolonialregierung den Anlass, ein staatlich reglementiertes System zur Markierung und Erfassung der Großviehbestände einzuführen. Dazu wurde im Juni 1912 die sogenannte Viehbrandverordnung erlassen.409 Die Bestimmungen dieser Verordnung zielten – wie nahezu alle von der Kolonialregierung erlassenen Verordnungen – auf eine effektivere (veterinärpolizeiliche) Überwachung sowie eine engmaschigere Kontrolle über die indigene Bevölkerung ab. Gemäß der Verordnung konnte ab dem 1. Januar 1913 jeder Viehbesitzer – gegen Zahlung einer einmaligen Gebühr – zur Markierung seines Großviehs ein amtlich registriertes Brandzeichen beantragen.410 Die Antragstellung musste schriftlich erfolgen und neben dem vollen Namen eine genaue Bezeichnung des Grundstückes enthalten.411 Zur Kennzeichnung und Erfassung der Tiere wurde ein sogenannter »Dreiecksbrand« angewandt, der aus zwei römischen Buchstaben und einer Ziffer bestand. Der erste Buchstabe kennzeichnete den Bezirk, in dem das 408 Neben der Weite des Landes machten sich »entlaufene« Afrikaner und Viehdiebe die Verwaltungsaufteilung des Schutzgebietes wie auch die Aufteilung in unterschied­liche Kolonien zunutze. Sie hielten sich meist an den Distrikt- und Landesgrenzen auf, um sich Verfolgern schnell entziehen zu können. Darüber hinaus befürchtete man, ein derartiges Vorgehen würde bei den Afrikanern Widerstand hervorrufen und von den »kolonialfeindlichen Kreisen« in Deutschland propagandistisch genutzt werden. Zimmerer, Herrschaft, S. 142–148. Körperstrafen nach frühneuzeitlichem Muster gehörten dennoch zum Alltag in den Siedlerkolonien. Die koloniale Strafpraxis und das »väterliche Züchtigungsrecht« schrieben den Herrschaftsanspruch durchaus auf die Körper der vermeintlichen Delinquenten ein. Die Narben dienten in der Cape Colony als individuelles Identifizierungsmerkmal und wurden in den »Eingeborenenpässen« vermerkt. van Sittert, S. 81–85. 409 Verordnung des Kaiserlichen Gouverneurs von Deutsch-Südwestafrika, betreffend die Einführung von Großviehbränden (Viehbrandverordnung) vom 12.06.1912, in: Amtbl. 3/13 (1912), S. 216–221. Den Entwurf der Verordnung hatte Seitz am 07.03.1912 an das RKA gesandt. Seitz an RKA, 07.03.1912, Entwurf Viehbrand­verordnung, BAB R 1001/8391, Bl. 220–225. Im Folgenden wird auf die im Amtbl. veröffentlichte Verordnung Bezug genommen. 410 Unter Großvieh subsumierte die Verordnung Esel, Maultiere, Maulesel, Rinder  – ausgenommen Kälber sowie Strauße. Letztere wurden 1913 wieder gestrichen. Verordnung betreffend die Abänderung der Viehbrandverordnung vom 12.06.1912, 12.08.1913, BAB R 1001/8392, Bl. 70. 411 Viehbrandverordnung 1912, S. 216.

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Brandzeichen registriert worden war. Wie aus Abbildung 4 ersichtlich, war jedem Bezirk ein bestimmter Buchstabe zugeteilt worden. Der zweite Buchstabe und die Zahl dienten zur Identifizierung des Besitzers. Die Ziffer musste »oberhalb oder unterhalb der Buchstaben stehen, sodass der Brand ein regelmässiges Dreieck darstellt«.412 Außer dem »Bezirksbuchstaben« konnten die Antragsteller den zweiten Buchstaben sowie die Zahl frei wählen – sofern diese noch nicht vergeben waren. Die entsprechenden Brandeisen durften nicht selbst hergestellt werden, sondern wurden von den zuständigen Behörden ausgehändigt. Bereits verwendete Brandzeichen konnten anstelle eines Dreiecksbrandes registriert werden, sofern diese »deutlich und eindeutig« waren.413 Ähnliches galt für Brandzeichen, die zu Zuchtzwecken dienten, wie beispielsweise die Markierung von Rindern mit zusätzlichen Hornbränden. Ab August 1913 konnten die Viehbesitzer solche »Zuchtbrände« ebenfalls amtlich registrieren lassen.414 Lediglich Polizei und Schutztruppe verwandten weiterhin ihr eigenes System. Dieses bestand aus einem Brandzeichen in Form einer Krone, das mit dem den einzelnen Truppenteilen zugeordneten Brandzeichen ergänzt wurde (s. Abb. 5). Zwar war es den Besitzern freigestellt ein staatliches Brandzeichen zu beantragen, die Verordnung schuf aber trotzdem einen Anreiz für die Viehbesitzer, ihre Tiere registrieren zu lassen. Es war gängige Praxis, herrenlos aufgefundene Tiere in einen sogenannten Fundkraal des Bezirksamtes zu bringen. Wurde ein markiertes Tier eingeliefert, waren die Behörden und privaten Finder verpflichtet, »dem Eigentümer des letzten Brandes…unverzüglich Mitteilung zu machen« und zu dessen Lasten die Rückführung des Tieres zu veranlassen. Herrenloses Vieh ohne Brandzeichen war laut der Verordnung mit einem amtlichen Brandzeichen des Bezirksamtes zu versehen und konnte nach einer bestimmten Zeit versteigert werden.415 Zum 412 Ebd. 413 In der Praxis wurden solche »alten« Brandzeichen aber nicht erfasst, da diese vermutlich den Anforderungen der Eindeutigkeit und v. a. Fälschungssicherheit nicht gerecht wurden. 414 Abänderung der Viehbrandverordnung, 12.08.1913, BAB R 1001/8392, Bl. 70. Die Erfassung der Zuchtbrände für Einhufer und Strauße war ab dem 28.08.1913 möglich. Amtbl. 4/21 (01.10.1913), S. 346. 415 Ursprünglich war vorgesehen, dass die Fundkraale alle eingelieferten Tiere mit einem besonderen Brandzeichen versahen. Neben dem Bezirksbuchstaben und einem Fundkraalbuchstaben sollte anstelle einer Ziffer eine Raute (Diamantzeichen) verwandt werden. Die Umsetzung hätte aber einen erheblichen personellen Aufwand ohne direkten Nutzen bedeutet und wurde daher wieder gestrichen. Abänderung der Viehbrandverordnung, 12.08.1913, BAB R 1001/8392, Bl. 70.

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Abb. 4: Viehbrandverzeichnis für Deutsch-Südwestafrika, erschienen in: Amtbl. 3/13 (1912), S. 220–221.

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Abb. 5: Brandvorschrift der Schutztruppe von DSWA. Erschienen in: Amtbl., 3/13 (1912), S. 337.

Kauf waren nur amtlich registrierte, also über ein Brandzeichen verfügende Viehbesitzer zugelassen. Damit sollte erreicht werden, dass mittelfristig alle Rinder und auch Pferde in der Kolonie mit amtlichen Brandzeichen versehen wurden.416 So erhoffte sich das Gouvernement eine deutliche Erleichterung der Auffindung von gestohlenem oder verlorenem Vieh und eine effektivere veterinärpolizeiliche Kontrolle.417 Durch die Einführung des staatlichen Dreiecksbrandes gelang es, die bereits bestehenden Funktionen von Brandzeichen zusammenzuführen. Erstmals verfügte die Kolonialregierung über ein verlässliches System zum Nachweis von Viehbesitz, das sich auch problemlos für veterinärpolizeiliche Zwecke nutzen ließ. Zuvor war es immer wieder zu Verstößen gegen die Absperrungsmaßnahmen gekommen, was zur Verschleppung von Seuchen geführt

416 Viehbrandverordnung 1912, S. 217. 417 Seitz an RKA, 07.03.1912, BAB R 1001/8391, Bl. 219.

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hatte.418 Durch den Dreiecksbrand konnten Besitzer und Herkunftsort der Tiere zuverlässig ermittelt und Quarantänemaßnahmen effektiver überwacht sowie Seuchenherde schneller lokalisiert werden. Die Kolonialregierung plante, die Viehbrandverordnung noch enger mit der Viehseuchengesetzgebung zu verzahnen. In dem Entwurf für eine neue, umfassende Viehseuchenverordnung, war festgelegt, dass die zuständigen Behörden (Distrikt- und Bezirksämter sowie die Regierungstierärzte) zur Ermittlung des Ursprungs eines Seuchenausbruches die Aufenthaltsorte und Besitzerwechsel der betreffenden Tiere in den vergangenen sechs Monaten nachvollzogen. Um bei derartigen Nachforschungen zuverlässige Angaben zu erhalten, wurden Kontrollbücher verpflichtend eingeführt, die von den Aufsehern der staatlichen Fundkraale, den Viehhändlern und Schlachtern zu führen waren. Darin musste dem Datum nach unter Angabe von Zahl, Geschlecht, Farbe und Merkmalen der Tiere jede Einlieferung, Versteigerung, Verkauf oder Tod von Großvieh erfasst werden. Zusätzlich wurde die Einführung von Zuchtbüchern vorgesehen. Neben der verpflichtenden Buchhaltung wurde der Viehhandel auch durch die Einführung standardisierter Kaufbescheinigungen einer strikteren Kontrolle unterworfen. Der Verkäufer von amtlich registrierten Rindern musste Anzahl, Gattung und Brandzeichen der Tiere vermerken und dem Käufer aushändigen. Die Kaufbescheinigung reichte als Besitznachweis aus, der Käufer war aber angehalten, die erworbenen Tiere mit seinem amtlichen Brandzeichen zu versehen. Zur »Anbringung der Brände« unterteilte die Verordnung den Körper der Tiere in sechs »Brandstellen« und schrieb eine bestimmte Reihenfolge vor.419 Somit war die lückenlose Erfassung der Tierbestände mit der Kontrolle der Viehbesitzer und des Viehhandels verknüpft worden. Da in Namibia bis in die 1930er Jahre die meisten Farmen nicht eingezäunt waren, bewirkte die staatliche Registrierung und die damit verbundene eindeutige räumliche Zuordnung der Viehbestände auch eine weitere Konsolidierung der territorialen Kontrolle. Gleichzeitig ermöglichte die Einführung des Dreiecksbrandes in Verbindung mit den »Eingeborenenverordnungen« 418 Wunder an Kol.Abt., 15.04.1901, BAB R 1001/6064a, Bl. 44–49. Regierungstierarzt Wunder ging in diesem Bericht darauf ein, dass immer wieder Händler Rinder aus verseuchten Beständen als Schlachtvieh aufgekauft und versucht hätten, diese vor Bekanntwerden des Ausbruchs zum Schlachthof zu treiben. 419 Als Erste Brandstelle sollte der linke Hinterschenkel verwandt werden. Der zweite Brand musste am rechten Oberschenkel, der dritte an der linken Schulter, der vierte an der rechten Schulter, der fünfte an der linken Rippenpartie und der sechste an der rechten Rippenpartie angebracht werden. Viehbrandverordnung 1912, S. 216.

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eine Ausdehnung und Festigung der staatlichen Kontrolle über die indigene Bevölkerung. Die Kennzeichnung und Erfassung von »Eingeborenenvieh« erfolgte ebenfalls nach dem Prinzip des Dreiecksbrandes. Allerdings wurde den in einem Bezirk »eingesessenen Eingeborenen« ein »besonderer Brand« zugeteilt. Dieser bestand aus dem Bezirksbuchstaben und einem weiteren Buchstaben, die beide in Kursivschrift ausgeführt waren. Zusätzlich wurde anstelle einer Ziffer oberhalb oder unterhalb der Buchstaben ein Kreuz eingefügt. Afrikaner, »die sich in einem festen Dienstverhältnis auf einem landwirtschaftlichen Grundstück« befanden, durften mit Zustimmung ihres »Dienstherrn« dessen Brandzeichen in Kursivschrift zur Kennzeichnung ihrer Tiere benutzen. An den Brandzeichen war somit auf einen Blick ersichtlich, ob der Besitzer des Tieres Europäer war. Dies ermöglichte den Behörden eine genauere Überwachung der für Afrikaner gesetzlich sanktionierten Großviehhaltung. Außerdem ließen sich so auf einen Blick die Besitzverhältnisse zwischen »Schwarzen und Weißen« leichter erfassen. Die Viehbrandverordnung trug also dazu bei, dass das mit den »Eingeborenenverordnungen« eingeführte System zur Erfassung der indigenen Bevölkerung engmaschiger wurde. Somit übertrug der eingeführte Dreiecksbrand die rassistische Diskriminierung sowie den territorialen Kontrollanspruch des Staates auf jeden einzelnen Tierkörper. Die Verantwortung zur Durchsetzung der Viehbrandverordnung lag in den Händen der jeweiligen Bezirksverwaltungen. Diese erstellten Register, in denen »sämtliche dem Bezirk zugewiesene Gruppen von Brandmerkmalen« systematisch aufgelistet wurden. In einem zweiten Register wurden alle verteilten Brandzeichen sowie jede Umschreibung oder Löschung von Brandzeichen vermerkt. Parallel wurde ein Hauptregister beim Gouvernement geführt. Die zeitaufwendige Kontrolle der Brände und die Führung des zentralen Viehbrandregisters beim Gouvernement oblagen dem Referat für Tierzucht.420 Zur Eindämmung des Viehdiebstahls wie für die Überwachung veterinärpolizeilicher Maßnahmen war es erforderlich, dass sich Veterinäre, Polizisten, Soldaten sowie Zivilisten einen schnellen Überblick über die vergebenen Brandzeichen und deren Besitzer verschaffen konnten. Zu diesem Zweck wurden die von den Bezirksämtern registrierten Viehbrände ab 1913 vierteljährlich im »Amtsblatt für Deutsch-Südwestafrika« veröffentlicht. Neben einer alphabetischen Namensliste der Besitzer und ihrer Brandzeichen führte eine zweite die neuregistrierten Brandzeichen pro Distrikt / Bezirk 420 Gouv. an Henning, 22.09.14, BAB R 1001/721, Bl. 197.

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systematisch auf. An Indigene vergebene Brandzeichen wurden jeweils extra ausgewiesen. Zwischen Januar 1913 und August 1914 wurden insgesamt 845 Brandzeichen für »Weiße« und lediglich 27 für »Eingeborene« registriert.421 Über den tatsächlichen Umfang des indigenen Viehbesitzes sagen diese Zahlen aber nur wenig aus, da aus den veröffentlichten Listen nicht hervorgeht, ob afrikanische Farmarbeiter die kursive Variante der Brandzeichen ihrer »Dienstherren« zur Kennzeichnung ihres Viehs benutzten. Es ist aber davon auszugehen, dass von dieser Regelung Gebrauch gemacht wurde, allein aufgrund der Praxis, die afrikanischen Farmarbeiter mit Naturalien, vor allem Lebendvieh zu entlohnen. Damit zielte die Veröffentlichung vordergründig auf die veterinärpolizeiliche Nutzung und die Rückführung von registriertem Vieh ab. Gleichzeitig dehnte die Viehbrandverordnung den Privilegienfreiraum der europäischen Farmer weiter aus. Da die Mehrheit der indigenen Viehbesitzer ihre Tiere offensichtlich nicht registrieren ließ, konnten Farmer, die über ein staatliches Brandzeichen verfügten, illegal »erworbenes« Vieh relativ leicht zu ihrem Eigentum erklären. Im Falle einer Anzeige durch den indigenen Viehbesitzer brauchten die Farmer kaum strafrechtliche Konsequenzen zu befürchten, da die kolonialstaatliche Justiz grundsätzlich zu Gunsten der Siedler entschied. Während die Viehbrandverordnung dazu führte, den von Afrikanern begangenen Viehdiebstahl weiter einzudämmen, ermöglichte sie potenziell eine Legalisierung des von europäischen Farmern begangenen Viehdiebstahls. Aussehen und Anordnung des in DSWA eingeführten Dreiecksbrandes waren indes kein zufällig von der deutschen Kolonialverwaltung erdachtes System. Wie schon in anderen Bereichen des kolonialen Veterinärwesens hatte die deutsche Kolonialverwaltung auch im Fall der Viehbrandverordnung auf bereits in anderen Kolonien gesammelte Erfahrungen und erprobte Praktiken zurückgegriffen. Nach Vorbildern aus Australien hatte die Regierung der Cape Colony bereits 1890 ein System staatlich registrierter Brandzeichen eingeführt. Zur Markierung des Großviehs sah der »Brands Registration Act« die Verwendung einer Kombination aus bis zu drei Zeichen, Buchstaben und / oder Zahlen vor.422 Dadurch war das System anfällig für Fälschungen, da bereits durch einfaches Hinzufügen von Elementen ein Brandzeichen ver421 Die Listen wurden in folgenden Ausgaben des Amtbl. veröffentlicht: 4/10 (15.04.1913), S. 124–131; 4/17 (01.18.1913), S. 251–256; 4/24 (15.11.1913), S. 404–410; 5/1 (01.01.1914), S. 3–7; 5/8 (15.04.1914), S.147–151; 5/15 (01.08.1914), S. 299–302; 5/24 (15.10.1914), S. 881–883. 422 van Sittert, S. 89–92.

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ändert werden konnte. Zudem ließen sich die Brandzeichen nur schwer bürokratisch erfassen, da Zeichen und Symbole wie Dreiecke oder Herzen nicht systematisch in Listen aufgenommen werden konnten. Dadurch konnte es leicht passieren, dass ein Brandzeichen doppelt bzw. sehr ähnliche vergeben wurden. Um diese Probleme zu beheben, war in Queensland bereits 1872 das »three-piece system« eingeführt worden. Dieses schrieb die Verwendung einer aus drei Elementen bestehenden Zahlen-Buchstaben-Kombination vor. Dadurch war es möglich, jedem Viehbesitzer ein eindeutiges und weitgehend fälschungssicheres Brandzeichen zuzuordnen. Da Symbole ausgeschlossen wurden, konnten die vergebenen Brandzeichen zudem systematisch erfasst und anhand von Listen sehr leicht kontrolliert werden. Diese Vorteile des »three-piece-systems« hatte der Kolonialbeamte D. N. Johns während seines Dienstes in New South Wales kennengelernt. Johns kam 1900 als District Commissioner of Lands nach Transvaal. Seine Kenntnisse über die in Australien verwandten Systeme zur staatlichen Erfassung von Viehbränden bildeten die Grundlage für die 1904 in Transvaal erlassene »Great Stock Brands Ordinance«.423 Auf der Basis des »Queensland Brands Act« von 1872 wurde im Transvaal das »three-piece-system« weiter systematisiert. Jedem einzelnen Distrikt wurde ein bestimmter Buchstabe zugeordnet, während der zweite Buchstabe und die Zahl den Besitzer bezeichneten.424 Die einzelnen Buchstaben und Zahlen wurden in einer horizontalen Reihe angeordnet.425 Durch die Festlegung eines bestimmten Distriktbuchstabens ließen sich nicht mehr nur Viehdiebstähle effektiver bekämpfen, sondern auch der allgemeine Viehhandel sowie illegale Tierbewegungen über Distriktgrenzen hinweg leichter überwachen. Den Viehbesitzern im Transvaal war es freigestellt, ein staatlich registriertes Brandzeichen zu beantragen und es dauerte einige Jahre bis die Farmer die Vorteile eines solchen Systems erkannten.426 Um die Gefahr von gefälschten Brandzeichen auszuschließen sowie den Besitznachweis für Viehkäufer zu erleichtern, verteilte die Regierung des Transvaal ab 1909 zusätzlich standardisierte Vordrucke für Verkaufsbescheinigungen.427

423 Johns, S. 543–548. 424 Pienaar, Notes on Brands, S. 363–364. 425 Zum Beispiel AP1 wobei das A für den Distrikt Pretoria stand. Pienaar, Branding and Fencing, S. 219–221. 426 Zwischen 1905 und 1910 veröffentlichte Pienaar, mehrere Artikel im TAJ, in denen er immer wieder auf die Vorteile staatlich registrierter Brandzeichen hinwies. 427 Pienaar, Some Notes, S. 704–705.

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Der mit der Organisation und Überwachung der »Great Stock Brands Ordinance« im Transvaal beauftragte Registrar of Brands, J. J. Pienaar, regte 1910 die Einführung eines einheitlichen Brandzeichensystems in der Süd­ afrikanischen Union an. Als Vorbild sollte das seit sechs Jahren im Transvaal praktizierte »three-piece-system« dienen, das sich in der Praxis als »the best in existence« herausgestellt hatte.428 Um eine doppelte Vergabe von Brandzeichen innerhalb der Union auszuschließen, erstellte Pienaar für jede Provinz eine eigene, eindeutige Variante des Brandzeichens (s. Karte 8). Parallel dazu hatte Pienaar die Regierungen in Rhodesien und Mozambik bei der Einführung dreiteiliger Brandzeichensysteme beraten. 1910 nutzte die portugiesische Regierung eine Kombination aus einem Buchstaben und zwei Zahlen, während in Rhodesien der »Distriktbuchstabe« mittig über dem zweiten Buchstaben und der Zahl angebracht war. Zeitgleich nahmen die Behörden DSWAs zum Landwirtschaftsministerium Transvaals Kontakt auf, da sie großes Interesse an dem Erfassungssystem hatte.429 Die zwei Jahre später in der deutschen Kolonie mit der Viehbrandverordnung eingeführten Brandzeichen in Dreiecksform unterschieden sich also nicht zufällig von den anderen im südlichen Afrika verwandten staatlichen Viehbrandzeichen. Dies ermöglichte nicht nur die systematische Erfassung der Viehbestände und -besitzer in DSWA, sondern auch eine engmaschigere Kontrolle der transkolonialen Viehbewegungen. Das in Australien entwickelte und ab 1904 in Transvaal erweiterte System zur staatlichen Erfassung von Viehbrandzeichen wurde ab 1910 in allen Kolonien des südlichen Afrika eingeführt. Die staatlichen Brandzeichen in den einzelnen Kolonien folgten zwar alle dem gleichen Prinzip, waren aber so unterschiedlich, dass koloniale Exekutivkräfte (Polizisten, Grenzposten, Veterinäre) wie auch Farmer und Händler auf einen Blick feststellen konnten, aus welcher Kolonie ein Tier stammte. Waren die entsprechenden Listen verfügbar, ließen sich sogar dessen »Heimatdistrikt« und Besitzer genau bestimmen. Die Initiative einzelner Kolonialbeamter hatte dazu geführt, dass ein über koloniale Grenzen hinweg standardisiertes Registrierungsverfahren im gesamten Subkontinent implementiert wurde, mit dessen Hilfe der interkoloniale Viehhandel effizienter überwacht und im Fall von Seuchenausbrüchen Importverbote leichter durchgesetzt werden konnten. Zudem ließ 428 Pienaar, Advantage of Branding, S. 401. 429 Pienaar spricht von »Damaraland«, dabei handelt es sich um eine Bezeichnung für Zentralnamibia, die u. a. auf Landkarten aus den 1880er Jahren verwandt wurde. ­Pienaar, Uniform System, S. 705.

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Karte 8: Viehbrandzeichen im südlichen Afrika (Kartenvorlage: J. J. Pienaar, A uniform System of Brands for South Africa, in: TAJ 8/32 (1910), S. 701–705)

sich die Bekämpfung des Viehdiebstahls problemlos über kolonialstaatliche Grenzen hinweg ausweiten  – vorausgesetzt, die zuständigen Polizeiorgane kooperierten. Aufgrund der Vorteile des »three-piece-systems« für die weitere Etablierung kolonialstaatlicher Kontrolle führte die Südafrikanische Mandatsregierung die Markierung der Tierbestände weiter fort. Entsprechend erließ

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die Regierung 1921 die »Cattle Brands Proclamation«.430 Zwar wurde die Viehbrandverordnung von 1912 aufgehoben, wesentliche Teile der Regelungen, wie die Anordnung des Dreiecksbrandes und die Zuordnung der Distriktbuchstaben wurden aber beibehalten.431 Entsprechend wurde festgelegt, dass »Brands which have been allotted and Branding irons which have been issued in terms of the Ordinance…dated the 12th June 1912…shall be regarded as having been allotted or issued hereunder«.432 Ebenso waren die Aufseher staatlicher Fundkraale sowie Schlachter und Viehhändler weiterhin zur Buchhaltung über die Viehbestände verpflichtet. Den Nachweis von Viehkäufen durch standardisierte Bescheinigungen zu belegen, wurde ebenfalls fortgeführt. Deutlich verschärft wurden dagegen die Bestimmungen zur Kennzeichnung von Großvieh. Hatte es die Viehbrandverordnung 1912 noch den Besitzern überlassen, ob sie ihre Tiere markieren und registrieren ließen, wurde 1921 eine Kennzeichnungspflicht eingeführt. Demnach mussten alle Rinder, die älter als sechs Monate waren, mit einem amtlich registrierten Brandzeichen versehen werden, das bei dem zuständigen Magistrat gegen eine einmalige Gebühr zu beantragen war. Lediglich die Markierung von Pferden, Eseln und Maultieren mit amtlichen Zeichen blieb den Besitzern freigestellt. Die bereits unter deutscher Herrschaft eingeführte rassistische Diskriminierung wurde von der »Cattle Brands Proclamation« beibehalten und noch weitergeführt. Während europäische Viehbesitzer ein Brandzeichen schriftlich beantragen konnten, mussten indigene Viehbesitzer einen mündlichen Antrag an den Magistrat richten, der dann das Antragsformular ausfüllte.433 430 Government Proclamation 36 of 1921 »Cattle Brands Proclamation«, in: Official Gazette No. 68 (06.09.1921). 431 In der deutschen Viehbrandverordnung waren insgesamt 20 Distriktbuchstaben vorgesehen. Von diesen wurden aber drei (Namutoni, Okaukuejo und Berseba) nie vergeben und dann von der Proklamation der Mandatsregierung gestrichen. Ein weiterer Grund für die Löschung des Distriktbuchstabens für Okaukuejo lag in der Vermeidung von Fälschungen. Okaukuejo war der Buchstabe »Q« zugeordnet worden, für den Bezirk Omaruru wurde das »O« verwandt. Aufgrund der minimalen Unterschiede der Buchstaben wäre eine Fälschung relativ einfach gewesen. 432 Cattle Brands Proclamation 1921, S. 6. 433 Erfasst wurden: 1. voller christlicher Name (oder Namen) und Vorname des Bewerbers; 2. der volle Name und Vorname des bisherigen Inhabers im Falle einer Übergabe des Brandeisens; 3. Angabe, ob der Bewerber »European« oder »Native« ist; 4. Name der Farm, des Grundbesitzes oder Platzes, an dem das Vieh steht; 5. welches Brandzeichen benötigt wird; 6. Datum, Nummer und Nachweis der Zahlung der vorgeschriebenen Gebühren. ADM, Circular No. 259, 14.09.1921, NAN AGV 192 VS13/1-3.

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Den indigenen Farmarbeitern war es nicht mehr erlaubt, zur Kennzeich­nung ihrer Viehbestände die kursive Version des Brandzeichens ihrer Dienstherren zu verwenden. Sie mussten – im Gegensatz zu den europäischen Farmern – die von der deutschen Kolonialregierung an sie ausgegebenen Brandeisen zurückgeben und neue beantragen. Die neuen Brandzeichen wurden ihnen nicht mehr ausgehändigt, sondern ihr Vieh durfte nur unter amtlicher Aufsicht gekennzeichnet werden.434 Die »native brands« bestanden zwar weiterhin aus kursiven Lettern, das unter deutscher Herrschaft verwandte Kreuz wurde durch eine Zahl ersetzt. Dies ermöglichte eine deutlich lückenlosere und eindeutigere Erfassung indigener Viehbesitzer. Gleichzeitig war anhand des Brandzeichens weiterhin sofort ersichtlich, aus welchem Distrikt ein Tier stammte und ob sein Besitzer Europäer war oder nicht. Ähnlich wie es die deutsche Kolonialadministration geplant hatte, bettete die Mandatsregierung die »Cattle Brands Proclamation« in die veterinärpolizeiliche Gesetzgebung ein. Ziel war es, für die Verhinderung und Bekämpfung von Viehseuchen sowie die Kontrolle von Viehbewegungen ein möglichst effizientes Repertoire an Herrschaftsinstrumenten in der Hand zu haben. Flankiert wurde die »Cattle Brands Proclamation« durch die »Diseases of Stock Proclamation« von 1920 sowie die 1919 erlassene »Removal of Livestock Proclamation«. Letztere unterwarf den gesamten Viehverkehr der veterinärpolizeilichen Kontrolle. Während Tiertransporte über die Grenze hinweg generell genehmigungspflichtig waren, wurde bei Transporten innerhalb der Kolonie zwischen »Europeans« und »Non-Europeans« unterschieden. Indigene Viehbesitzer mussten für jede Bewegung ihrer Tiere eine Genehmigung vorweisen. Demgegenüber brauchten »Europeans« eine solche nur dann, wenn sie eine Distriktgrenze überschritten. Die »Cattle Brands Proclamation« diente dazu, die Einhaltung und Kontrolle dieser Bestimmungen zu erleichtern bzw. überhaupt erst zu ermöglichen. Sie räumte den Veteri­ nären unter anderem das Recht ein, zu Zwecken der Seuchenabwehr über einzelne Farmen und sogar ganze Regionen Quarantänen zu verhängen.435 Bei der praktischen Umsetzung der »Cattle Brands Proclamation« traten aber Probleme auf. Zunächst kamen vor allem europäische Siedler der Kennzeichnungspflicht nach. 1921 meldete der Stock Inspector MacPherson, der das zentrale Register für den SVO führte, dass insgesamt 408 »European« und 134 »Native« Brandzeichen registriert worden waren. Mit einer derartig 434 Cattle Brands Proclamation 1921, S. 3. 435 Dazu auch Miescher, S. 121–122.

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großen Nachfrage hatten die Behörden offenbar nicht gerechnet, so dass es zu Lieferengpässen bei den Brandeisen kam.436 Da die seit 1913 ausgegebenen Brandzeichen weiter benutzt wurden, ist anzunehmen, dass der Zuzug von Farmerfamilien aus der Südafrikanischen Union für diesen Engpass verantwortlich war. Ferner deuten die Zahlen daraufhin, dass es der indigenen Bevölkerung nach der Aufhebung des Verbotes der Großviehhaltung für Afrikaner relativ erfolgreich gelungen war, wieder eigene Rinderherden aufzubauen.437 Das Ausmaß dieses Repastoralisierungsprozesses war aber deutlich größer. Die indigenen Viehbesitzer ließen offenbar nur widerstrebend ihre Viehbestände registrieren, was angesichts der Erfahrungen mit der deutschen »Eingeborenenpolitik« und den rassistischen Erfassungs- und Kontrollpraktiken sowohl der deutschen Kolonialregierung als auch der südafrikanischen Mandatsregierung wenig verwunderlich ist. Um die indigenen Viehbesitzer zu einer möglichst lückenlosen Erfassung ihrer Tierbestände zu bewegen, erließ die Mandatsregierung 1923 die »Native Brands Proclamation«. Diese unterwarf alle Rinder und Pferde, die sich im Besitz von »Natives« befanden und älter als sechs Monate waren, einer Kennzeichnungspflicht. Stichtag für die staatliche Registrierung war der 1. Januar 1924. Jeder indigene Viehbesitzer, der entweder auf einer Farm innerhalb der Polizeizone oder in einem der »Native Reserves« lebte, musste persönlich bei dem zuständigen Magistrat bzw. Native Affairs Officer vorstellig werden to report his full name and the numbers and descriptions of his stock… at the earliest possible date after the law comes into force…and each such native shall, at the time of making the report apply to have his stock branded with the proper Native Brand which the Government has assigned for Native Stock in that District or Reserve.438

436 MacPherson an SVO, 29.12.1921, NAN AGV 136 V.10/1-1. 437 Neben dem Zugang zu Vieh und vor allem Rindern erleichterte die südafrikanische Militäradministration Indigenen zunächst auch den Zugang zu Land. Innerhalb der Polizeizone waren 1916 noch immer große Farmen unbesetzt. Viele Afrikaner nutzten die Gelegenheit und ließen sich in ihren alten Siedlungsgebieten nieder, aus denen sie 1904 vertrieben worden waren. Es bildeten sich auch relativ schnell wieder die alten politischen Gemeinwesen. Die Zeit der Militäradministration beschreibt Wallace daher treffend als eine Zeit der Hoffnung für die Afrikaner. Diese Hoffnungen zerschlugen sich jedoch in dem Augenblick, in dem die Mandatsverwaltung eingerichtet wurde. Siehe dazu: Wallace, History, S. 211–223. 438 ADM an Public Officers SWA-Police, 09.10.1923, NAN AGV 068 G.3-3.

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Um eine individuelle Zuordnung der Tiere vornehmen zu können, wurde jedem indigenen Antragsteller eine Zahl zugeordnet, die dann unter dem aus zwei Buchstaben bestehenden »different native stock brands…for each district and Native Reserve« angebracht wurde. Die vergebenen Brandzeichen wurden in gesonderten Listen erfasst. Nach erfolgter Kennzeichnung der Tiere unter Aufsicht eines Polizeioffiziers bzw. Native Affairs Officers wurde den Viehbesitzern ein Zertifikat ausgehändigt. In Anlehnung an den »Cattle Removal Act« von 1919 sah die »Native Brands Proclamation« ferner eine schärfere Kontrolle des von Indigenen betriebenen Viehhandels vor. Diese mussten jeden Ankauf von Rindern oder Pferden binnen eines Monats den zuständigen Behörden melden, um die Markierung der Tiere zu veranlassen. Sollten die Tiere anschließend über die Grenzen eines Distriktes bzw. Reservates getrieben werden, musste der indigene Käufer die schriftliche Genehmigung der zuständigen Verwaltung einholen sowie binnen eines Monats die Überquerung der Grenzen bei den Behörden melden und die Tiere in dem neuen Distrikt registrieren lassen.439 Die »Native Brands Proclamation« führte so die bereits zur Erfassung und Kontrolle des indigenen Viehbesitzes bestehenden gesetzlichen Regelungen zusammen.440 Der Mandatsregierung war bewusst, dass die indigene Bevölkerung der staatlichen Erfassung ablehnend gegenüberstand und dass eine strikte Durchsetzung einer solchen Maßnahme potenziell Widerstand auslösen konnte. Daher ging die Mandatsregierung bei der Einführung der »­Native Brands Proclamation« äußerst behutsam vor. Bereits mehrere Monate, bevor das Gesetz in Kraft trat, wurden die Polizeipatrouillen angewiesen, die afrikanischen Farmarbeiter möglichst besonnen über dessen Einführung zu informieren. Policemen should be very careful in communicating the above [Content of the Proclamation] to natives, to patiently explain it to them in such a manner as not to excite their alarm in any way and to impress upon them that this is only to warn them that such a law is soon coming into effect, so that they will not say it has been sprung upon them and that they have not had time to obey it.441 439 Ebd. 440 Die einzigen Neuerungen stellten die Änderung der Brandzeichen sowie die kostenlose Bereitstellung der Brandeisen dar. 441 ADM an Public Officers SWA- Police, 09.10.1923, NAN AGV 068 G.3/3-1.

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Um mögliche Bedenken zu zerstreuen, sollten die Beamten vor allem die Vorteile einer staatlichen Registrierung hervorheben. Die Erfahrung habe gezeigt, dass die Registrierung und Markierung der Tiere »will be of very great assistance to natives in enabling them to trace and recover strayed or stolen stock, and so the law will operate as a protection to all honest native stock owners«.442 Um einen weiteren Anreiz zu schaffen, sollten die Polizisten darauf aufmerksam machen, dass die Registrierung und das Brennen der Tiere für die afrikanischen Viehbesitzer kostenlos erfolgten, während es für europäische Farmer gebührenpflichtig war.443 Ferner wies die Regierung die Magistrate an, das Brennen der Tiere an möglichst zentral gelegenen Orten wie »Magisterial headquarters, town locations and such convenient centres« durchzuführen. Durch diese Maßnahme sollten die indigenen Viehbesitzer mit dem System vertraut gemacht und von dessen Harmlosigkeit überzeugt werden. Da sich die Regierung der engen Grenzen ihrer administrativen Kontrolle bewusst war, erhoffte sie sich von diesem Vorgehen, dass Indigene, deren Vieh markiert worden war, helfen würden »in disseminating information to those further away from official control«.444 Insgesamt schienen die Pläne zur Erfassung und Kontrolle über den Großviehbesitz der indigenen Bevölkerung aufzugehen. Nachdem die »Native Brands Proclamation« 1924 in Kraft getreten war, stieg die Zahl der registrierten »Native Brands« sprunghaft an. Während 1921 lediglich 134 Afrikaner ihre Tiere hatten registrieren lassen, vermerkte der Jahresbericht der Veterinärbehörde für das Jahr 1924  – neben 440 »Europeans«  – 3.821 »­Native Brands« innerhalb der Polizeizone sowie weitere 639 »Native ­Reserve Brands«.445 Diese Zahlen belegen, dass die afrikanische Bevölkerung ungeachtet aller Restriktionen Zugang zu Großviehbesitz hatte. Angesichts der erstaunlichen Anzahl von Viehbesitzern ist davon auszugehen, dass ein nicht unerheblicher Teil trotz des offiziellen Verbots bereits während der deutschen Kolonialherrschaft über nennenswerte Rinderbestände verfügt haben dürfte. Die Forschung hat bereits mehrfach nachgewiesen, wie sich für die indigene Bevölkerung durch das bewusste Unterlaufen kolonialstaatlicher Gesetze zum Teil erhebliche Handlungsspielräume eröffnet haben. Die Bereitschaft 442 Ebd. 443 Die Registrierungsgebühr sowie die Kosten für das erste staatliche Brandeisen betrugen 30 Schilling, jedes weitere Brandzeichen kostete 25 Schilling. ADM, 14.09.1921, Circular No. 259, NAN AGV 192 VS13/1-3. 444 ADM an Magistrates, 09.10.1923, NAN AGV 068 G.3/3-1. 445 SVO an Secretary, Annual Report 1924, NAN AGV 136 V.10/1-1.

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der afrikanischen Viehbesitzer ihre Tiere staatlich registrieren zu lassen, zeigt zudem die Hoffnung bzw. Erwartung einer dauerhaften Lockerung der »Eingeborenenpolitik« durch die südafrikanische Mandatsregierung. Ein Trugschluss, wie sich zeigen sollte.446 In Ergänzung zu den 1922 wieder eingeführten Passgesetzen447 nutzte die Mandatsregierung die Erfassung der Viehbestände, um die Kontrolle über die Freizügigkeit der afrikanischen Bevölkerung auszudehnen und die räumliche Trennung entlang rassistischer Maßstäbe weiter voranzutreiben. Dabei sah sich die Administration mit Problemen konfrontiert, die sich aus dem rassistischen Klassifizierungssystem ergaben. Dies belegt ein Rundschreiben des Administrators, das im Kontext der Einführung der »Native Brands Proclamation« an alle Magistrate versandt wurde. Offenbar bestanden bei den ausführenden Organen Unklarheiten über die Bestimmungen für Viehbesitzer, die zu den »Coloureds« gezählt wurden. Die Regierung legte daher in Bezug auf die »Brand Proclamations« folgende Definition von »Native« fest: only pure aboriginals or persons one of whose parents belongs to some aboriginal race or tribe of Africa are included within the definition of »Native« under this law. Therefore, from a legal point of view, Coloured persons whose parents are both Bastards or of the Cape Boy class may claim the same rights as Europeans in regard to branding of their cattle.448 Die rassistische Klassifizierung und die damit einhergehende legislative Besserstellung als »Coloureds« sollte aber nur für Landbesitzer oder -­pächter sowie »those living in the manner of Europeans« gelten. Die endgültige Entscheidung, wer als »Coloured« oder »Native« galt, lag hingegen bei den Magistraten. Diese wurden explizit darauf hingewiesen, bei der Bewertung der Einzelfälle zu bedenken, dass the great majority of Coloured persons would neither understand nor wish to come under any other branding law, and would prefer to leave the 446 Kößler, S. 448–451; Wallace, History, S. 232–238. 447 1922 führte die Mandatsregierung neue Passgesetze zur Kontrolle der indigenen Arbeitskraft ein. Alle männlichen Afrikaner ab dem 18. Lebensjahr waren verpflichtet, einen Pass bei sich zu führen. Wallace, History, S. 221 und 225 sowie Gordon, S. 57–59. 448 ADM an Magistrates, 03.10.1923, NAN AGV 068 G.3/3-1.

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control of such matters entirely in the hands of their district officials, as in fact many have already done and thus saved themselves various difficulties besides extra expense.449 Entsprechend dieser Einschränkungen konnte nur ein sehr kleiner Teil der betreffenden Bevölkerung den Status »Coloured« für sich reklamieren. Zumal in der Praxis die Mehrheit der Rehobother Baster als »Native« registriert werden sollten. Diese lehnten aber eine Gleichstellung mit den »Natives« ab, da sie sich selbst als christianisiert, zivilisiert, europäischen Werten folgend und damit als den »Eingeborenen« überlegen begriffen.450 1922 handelten die Rehobother Baster ein »Agreement on Self-Governance« mit der Mandatsregierung aus. Die darin gewährten Souveränitätsrechte sollten kurze Zeit später durch ein neues »Baster Agreement«, neue Landgesetze und die für 1925 geplante Erfassung der Rinderbestände entlang der »Native Brands Proclamation« beschnitten werden. Als Reaktion darauf brach 1925 offener Widerstand, die »Rehoboth Rebellion«, aus.451 Dennoch wurde durch die Einführung der »Native Brands Proclamation« eine noch engmaschigere territoriale Kontrolle ermöglicht. Für die Umsiedlung der indigenen Bevölkerung in die ab 1923 eingerichteten »Native Reserves« hatte die Registrierung der afrikanischen Tierbestände zunächst keine große Bedeutung, erleichterte aber die Überwachung der Reservatsgrenzen, die weder eingezäunt waren noch lückenlos von der Polizei überwacht werden konnten.452 Die Reservatspolitik diente der Unterstützung der europäischen Farmwirtschaft, da vor allem Farmland, das nach 1915 von Indigenen besetzt worden war, frei gemacht werden sollte.453 449 Ebd. 450 Zur Geschichte der Rehobother Baster siehe: Limpricht, S. 146–197 und S. 276–353 sowie Britz, Lang u. Limpricht, S. 28–33. 451 Die Rehoboth Rebellion Anfang April 1925 bildete den Höhepunkt und das Ende des afrikanischen Widerstandes gegen die südafrikanische Administration und wurde schnell durch einen massiven Militäreinsatz beendet. Zum Überblick über den Widerstand der 1920er Jahre siehe Wallace, History, S. 223–228. Ausführlicher zur Rehoboth Rebellion: Emmett, S. 155–168. 452 Miescher, S. 144–145. 453 Die Pläne für die Einrichtung der Reservate existierten bereits seit 1921. Aufgrund der strukturellen Schwächen des Kolonialstaates verzögerte sich die konsequente Umsetzung der Umsiedlungspläne aber bis 1928 und auch danach war es der indigenen Bevölkerung möglich, sich der Kontrolle des Staates bis zu einem gewissen Grad zu entziehen. Silvester, Wallace u. Hayes, S. 21–22. Zur Reservatspolitik der Mandats­ regierung siehe auch: Kößler, S. 451–454.

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Insgesamt wird deutlich, dass die Einführung der Viehbrandzeichen die anderen in DSWA seit 1907 eingeführten Erfassungssysteme zur Kontrolle und Disziplinierung der afrikanischen Bevölkerung unterstützten. Letztere wurden von Zimmerer ausführlich im Hinblick auf die Ausbeutung der afrikanischen Arbeitskraft untersucht.454 Da in den Siedlerkolonien des südlichen Afrika Vieh- und Landbesitz zentrale Faktoren der Herrschaftssicherung darstellten, spielte die komplementäre Markierung und Registrierung der Großviehbestände eine zentrale und bislang von der Forschung weitgehend ignorierte Rolle. Durch die staatlichen Viehbrandgesetze schrieb der koloniale Staat seinen Macht- und Kontrollanspruch direkt in die Haut jedes einzelnen Tieres ein und erzeugte so kollektive, räumlich eindeutig verortbare Tierkörper. Dies ermöglichte die Verknüpfung der Veterinärpolitik mit der »Eingeborenenpolitik« sowie der allgemeinen Disziplinierung der Bevölkerung. Während die deutsche Kolonialverwaltung mit den »Eingeborenenverordnungen« und der Viehbrandverordnung die Eckpfeiler einschlug, vertiefte und perfektionierte die südafrikanische Mandatsregierung die Viehbrandbestimmungen. Ziel war es, die rassistisch begründete, räumliche Segregation und damit auch die bis heute umstrittene Umverteilung von Landbesitz festzuschreiben. Obwohl die Durchsetzungsfähigkeit des Kolonialstaates weiterhin begrenzt blieb, deckten die unterschiedlichen Erfassungssysteme ab Mitte der 1920er Jahre nahezu jeden Bereich der Farmwirtschaft ab – von Landbesitz und Arbeitskraft über die Körper von Nutztieren bis hin zur Veterinärpolizei und Tierzucht. Dies ist nicht nur ein weiteres Indiz für die institutionelle Kontinuität kolonialer Herrschaft in Namibia. Die transimperiale Einführung des »three-piece-systems« ist auch ein weiterer Beleg für ein gemeinsames europäisch-imperiales Projekt, welches maßgeblich durch den interkolonialen Austausch von Wissen und Praktiken getragen wurde.

6.4 Bekämpfung von Tierseuchen im Zuge der südafrikanischen Herrschaftserrichtung Von Tierseuchenausbrüchen waren sowohl europäische wie auch indigene Viehhalter gleichermaßen betroffen und standen bei deren Bekämpfung vor den gleichen Problemen. In den meisten veterinärpolizeilichen Gesetzen 454 Zimmerer, Deutsche Herrschaft, S. 68–83 sowie S. 178–200.

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wurde die ethnische Zugehörigkeit der Viehbesitzer nicht thematisiert  – schließlich hätte eine rassistisch motivierte Unterscheidung der Vieheigentümer eine effektive Tierseuchenbekämpfung potenziell erschwert. Aus der rassistischen Herrschaftslogik einer Siedlerkolonie geschah aber genau dies bei der praktischen Umsetzung der veterinärpolizeilichen Maßnahmen. Ohne dass es eines entsprechenden Gesetzes bedurfte, differenzierten die mit der Tierseuchenbekämpfung befassten staatlichen Organe ganz selbstverständlich zwischen europäischen Siedlern und indigenen Viehbesitzern. Unter dem halbherzigen Deckmantel der Modernisierung der kolonialen Landwirtschaft nutzte der koloniale Staat veterinärmedizinische Gesetze spätestens seit 1897 dazu, um seinen Kontrollzugriff sowohl auf die Viehbesitzer und damit einen Großteil der Bevölkerung, als auch auf das Territorium bzw. die Grenzen seines Herrschaftsbereiches auszubauen und zu zementieren.455 Neben der bevorzugten Behandlung der Viehbestände europäischer Farmer im Zuge flächendeckender Impfkampagnen richteten sich auch die staatlichen veterinärmedizinischen Bildungsprogramme ausschließlich an die europäischen Farmer und Beamten der Verwaltung. Indigenen Viehhaltern hingegen wurde der Zugang zu grundlegendem veterinärmedizinischem Wissen und Praktiken von Beginn an verwehrt. Wie dieses Vorgehen zur weiteren Zementierung der kolonialstaatlichen Kontrolle beitrug, wird vor allem am Beispiel der von der Mandatsregierung ab 1920 forcierten Bekämpfung der Schafräude deutlich. Die deutsche Kolonialverwaltung hatte sich in erster Linie auf das nach europäischen Maßstäben wirtschaftlich und militärisch wichtige Großvieh, also Rinder, Pferde und Maultiere konzentriert. Das Kleinvieh (Schafe und Ziegen) rückte nur gelegentlich in den Fokus der Kolonialregierung. Abgesehen von der Kampagne gegen die Schafpockenseuche 1909/10 befasste sich die deutsche Verwaltung nur sporadisch mit der Bekämpfung von Kleinviehseuchen. So fand eine systematische Bekämpfung der Räude bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht statt.456 Der Gesundheitszustand des Kleinviehs war aber nicht zuletzt aufgrund seiner großen Anzahl von herrschaftspolitischem Interesse. Durch die Vernachlässigung des Kleinviehs verfehlte die deutsche Kolonialregierung das Ziel, die indigene Bevölkerung bzw. deren Viehbesitz einer umfassenden staatlichen Kontrolle zu unterwer455 Dies wurde erstmals im Rahmen der Impfkampagnen gegen die Rinderpest deutlich. Siehe Kapitel 2.3. 456 Zum Problem der Räude siehe auch Kapitel 3.3.2.

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fen. Durch die Haltung der anspruchslosen Ziegen und Fettschwanzschafe war es den indigenen Viehbesitzern möglich, sich ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit ein Stück weit zu bewahren. Parallel dazu entwickelten sich die Wollschaf- und vor allem die Karakulschafzucht – neben der Rinderzucht – ab 1909 zu einem wichtigen Zweig der von europäischen Farmern betriebenen Viehwirtschaft. Zwar hatte die deutsche Kolonialregierung den Import von Zuchtschafen gefördert, doch erst die südafrikanische Mandatsregierung lancierte auch umfassende Maßnahmen zur Bekämpfung von Kleinviehseuchen – vor allem der Räude. Dies war möglich, da die seit Ende der 1890er Jahre implementierten und immer weiter ausdifferenzierten veterinärpolizeilichen Maßnahmen Mitte der 1920er Jahre ihre Wirkung entfalteten. Den kolonialen Veterinärbehörden war es gelungen, die meisten der hochansteckenden Rinder- und Pferdeseuchen unter Kontrolle zu bekommen. Daher konnte die südafrikanische Mandatsregierung Kapazitäten mobilisieren, um sich verstärkt auf die Förderung und Kontrolle der Kleinviehzucht zu konzentrieren. Nach 1920 begann die Mandatsregierung die Woll- und Karakulschafzucht der Siedler in SWA massiv zu fördern. Entsprechend stieg die Zahl der Wollschafe von 46.901 im Jahr 1912 auf 246.479 im Jahr 1928. Im gleichen Zeitraum stieg auch die Menge der in SWA jährlich produzierten Wolle von 159 auf 815 Tonnen.457 Anknüpfend an die Bestimmungen der deutschen Viehseuchenverordnung von 1901 erließ die südafrikanische Militärverwaltung 1916 die »Scab Regulations«.458 An deren Durchsetzung war aber  – ebenso wie an eine generelle Tierseuchenbekämpfung  – aufgrund des Mangels an veterinärmedizinisch ausgebildetem Personal zunächst nicht zu denken. Erst nachdem SWA 1920 zum Mandatsgebiet der Südafrikanischen Union erklärt worden war, ging die Kolonialverwaltung energischer gegen die Räude vor. Ergänzend zu den »Scab Regulations« wurde 1920 die »Diseases of Stock Proclamation« erlassen, die auch die Bekämpfung der Schafräude im Interesse der europäischen Farmer sowie der kolonialstaatlichen Kontrolle weiter ausdifferenzierte.459 Wie schon die Viehseuchenverordnung von 1901 wurde die Räude zu den anzeigepflichtigen Tierkrankheiten gezählt. Ferner ermächtigte die »Diseases of Stock Proclamation« die Regierung, jederzeit eine allgemeine, präventive Dip-Pflicht  – also das präventive mindestens zweimalige Baden der Tiere im Abstand von acht bis zehn Tagen unter Aufsicht 457 Erkrath, S. 129. 458 Scab Regulations, 26.07.1916, NAN ADM 32 277/8. 459 Diseases of Stock Proclamation 1920, S. 50.

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eines Regierungsbeamten – anzuordnen. Wie oft die präventive Behandlung binnen eines Jahres durchgeführt werden musste, war hingegen davon abhängig, wo die Tiere gehalten wurden. Innerhalb von Native Areas mussten alle Ziegen und Schafe zweimal jährlich »gedippt« werden, während im »weißen« kommerziellen Farmland der Polizeizone die Tiere nur einmal pro Jahr gebadet werden mussten.460 Die nicht unerheblichen Kosten für das obligatorisch vorgeschriebene dipping – neben der Beschaffung der Räudemittel war vor allem der Bau der erforderlichen Badeanlagen kostenintensiv – mussten von den Besitzern der Tiere getragen werden. Aufgrund der rassistisch motivierten Auffassung, dass die Tiere indigener Viehbesitzer per se stärker von Räude betroffen seien, wurde diesen per Gesetz eine zusätzliche finanzielle Belastung auferlegt. Allein daraus entstand den europäischen Farmern aber kein ökonomischer Vorteil. Die Südafrikanische Union, die den wichtigsten Absatzmarkt für Kleinvieh aus SWA darstellte, importierte nur räudefreie Tiere. Um weiterhin Zugang zu diesem wichtigen Markt zu haben, mussten die Farmer ihre Bestände räudefrei halten. Da die wenigsten Farmen eingezäunt waren, konnte dies langfristig aber nur erreicht werden, wenn auch die Kleinviehbestände indigener Viehbesitzer in die Bekämpfungsmaßnahmen einbezogen wurden. Daher forcierte die Mandatsregierung ab Beginn der 1920er Jahre die flächendeckende Bekämpfung der Räude und übertrug die Durchsetzung der Bekämpfungsmaßnahmen der Polizei. War aufgrund der fehlenden Infrastruktur – nach wie vor verfügten nur die wenigsten Farmer über die erforderlichen Dipping Tanks – ein Dippen der Tiere nicht möglich, wurde der Viehbestand einer strikten Quarantäne unterworfen. Eine solche traf die Viehbesitzer sehr hart, da sie ihrer wichtigsten Einnahmequelle beraubt wurden. Gegen diese Maßnahme, wie auch gegen die für einen Verstoß gegen die Anzeigepflicht verhängten empfindlichen Geldstrafen, wehrten sich europäische wie indigene Viehbesitzer. Dabei traten die Folgen des Ausschlusses der indigenen Bevölkerung von den veterinärmedizinischen Bildungsprogrammen deutlich zu Tage. Die europäischen Farmer konnten den Grund für die staatlichen Maßnahmen nachvollziehen und beklagten sich darüber, dass sie keine weitere finanzielle Unterstützung für den Bau der erforderlichen Dipping Tanks erhielten. Demgegenüber waren die Beschwerden der indigenen Viehbesitzer viel grundsätzlicher. Einige »Headmen and other natives« beschwerten sich 1921 darüber, dass ihnen der Zugang zu den er460 Ebd., S. 55.

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forderlichen diagnostischen Kenntnissen und Instrumenten zur Erkennung der Räude verweigert worden war.461 Entsprechend konnten die indigenen Viehbesitzer weder der gesetzlichen Anzeigepflicht nachkommen noch den Grund für die strengen Maßnahmen der Kolonialbehörden nachvollziehen. Die strenge Räudebekämpfung nahmen die indigenen Viehbesitzer daher als willkürliches Vorgehen des Staates wahr, das darauf abzielte, sie ihrer wirtschaftlichen Lebensgrundlage zu berauben. Die wesentlichen Gründe für das staatliche Engagement in der Räudebekämpfung waren auch nicht nur wirtschaftlicher Natur. Schließlich war die veterinärpolizeiliche Gesetzgebung eng mit den kolonialen Herrschaftspraktiken verzahnt. Mit der Unterscheidung zwischen »Native« und »Non-Native Areas« nahm die Tierseuchenproklamation die Empfehlungen der fast zeitgleich eingerichteten Native Labour Commission vorweg. Diese war 1920 eingesetzt worden, um die während der Zeit der Militärverwaltung seit 1915 eingebüßte staatliche Kontrolle über die Mobilität der Afrikaner wiederzuerlangen. Zudem war der nach 1915 einsetzende Repastoraliserungsprozess der indigenen Bevölkerung von der Regierung wie auch den europäischen Farmern als wirtschaftliche Konkurrenz und Bedrohung empfunden worden, die unbedingt ausgeschaltet werden sollte. Um vor allem in der Polizeizone die indigene Bevölkerung wieder als Arbeitskräftereservoir nutzen zu können, hatte die Militärverwaltung 1916 zunächst »Grazing Reserves« in der Nähe der Siedlerfarmen eingerichtet. Diese Politik war aber auf massiven Widerspruch der europäischen und vor allem der deutschen Siedler gestoßen, die darin eine ungerechtfertigte Aufwertung der indigenen Bevölkerung sahen. Die südafrikanische Militärverwaltung stand vor einem Dilemma. Auf der einen Seite wollte man die Forderungen der Siedler befriedigen, um die weiße Vorherrschaft nicht zu gefährden. Auf der anderen Seite gab es Tendenzen, den Forderungen der indigenen Bevölkerung, vor allem der Herero, nachzukommen, um der Kolonie die Arbeitskräfte zu erhalten. In diesem Konflikt setzte die Administration bereits 1917 die Forderungen der europäischen Siedler mit Gewalt durch.462 Ab 1920 war es das Ziel der südafrikanischen Mandatsregierung, eine neue koloniale Ordnung zu errichten, um das neue Territorium möglichst zum wirtschaftlichen Vorteil der Union zu nutzen. Aus Sicht der Native 461 Magistrate Gobabis an Secretary, 06.01.1922, Native Complaints, NAN ADM 32 277/8. Zu den Konflikten während der Räudebekämpfung Anfang der 1920er Jahre siehe auch: Miescher, S. 125–130. 462 Gewald, Colonization, S. 214–215.

Veterinärpolitik und koloniales Regieren

Labour Commission und der Regierung war damit die Kontrolle über die Arbeitskraft der indigenen Bevölkerung sowie die »Landfrage« verknüpft.463 Neben der Native Labour Commission wurde 1921 eine »Native Reserves« Commission eingerichtet. Diese befürwortete die Beibehaltung der von der deutschen Kolonialregierung sowie der südafrikanischen Militärverwaltung eingerichteten Reservate und die Schaffung weiterer »Native Reserves«. Die Mandatsregierung begann umgehend, die Empfehlung umzusetzen. Nach dem Vorbild der in der Südafrikanischen Union betriebenen Segregationspolitik wurden 1923 sieben weitere Reservate innerhalb der Polizeizone eingerichtet, darunter das Reservat Aminuis, das sich südöstlich von Gobabis entlang der Grenze zum heutigen Botswana befand.464 Die »Native Reserves« lagen mehrheitlich in Gegenden, in denen die indigene Bevölkerung zuvor nie gelebt hatte.465 Die daraufhin begonnenen Umsiedlungsaktionen lösten den offenen Widerstand der indigenen Bevölkerung aus, den die Mandatsregierung mehrfach brutal niederschlug.466 Neben dem in den Reservaten herrschenden Mangel an Trinkwasser reichten auch die Weideflächen nicht aus, um die Viehbestände der dort angesiedelten Bevölkerung zu ernähren. In Folge des schlechten Ernährungszustandes grassierten in den »Native Reserves« Tierseuchen.467 Ein Ausweichen auf 463 Wallace, History, S. 218. 464 Die Militärverwaltung hatte die Reservate Otjiohorongo und Aukeigas östl. von Windhoek eingerichtet. Neben Aminuis wurden 1923 im östlichen Namibia noch die Reservate Waterberg East, Otjituo und Epukiro, im Süden Neuhof und Tses sowie Otjimbingwe in Zentralnamibia eingerichtet. Wenig später kamen noch die Reservate Gibeon, Warmbad Eastern und Ovitoto hinzu. Wallace, History, S. 223. 465 Gewald, Colonialism, S. 223. 466 Für einen Überblick dieser Auseinandersetzungen während der 1920er Jahre siehe: Wallace, History, S. 223–228. 467 Im Hereroreservat Epukiro (Sandveld / Omaheke)  litten die Tiere unter Botulismus und Milzbrand. In der Folge gingen die Viehbestände der Herero in Epukiro so weit zurück, dass die »Bewohner« des Reservats gezwungen waren, Lohnarbeit in Haushalten, auf Farmen oder in den Minen zu suchen. Botulismus war in der Gegend schon seit langem unter den Namen Sandveld-Krankheit bzw. Lamsiekte bekannt. Durch die schlechten Weideverhältnisse litten die Tiere unter Phosphatmangel und begannen daher Knochen von verendeten Tieren zu kauen. Dabei vergifteten sie sich mit dem bei Verwesung entstehenden Botulinumtoxin. Das Auftreten von Mangelerscheinungen war einer der Gründe für die transhumante Lebensweise der pastoralen Gesellschaften. Um den Verlusten durch Botulismus vorzubeugen, standen seit den Forschungen von Theiler Präventionsmittel zur Verfügung, um den Phosphatmangel auszugelichen. Dazu zählte das Zufüttern von steril aufgebereitetem Knochenmehl. Die Herero im Epukiro-Reservat verfügten aber nicht über die finanziellen Mittel, um Knochenmehl zu kaufen. Gewald, Colonization, S. 224.

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andere Weideflächen war legal nicht mehr möglich. Vieh indigener Besitzer, das sich außerhalb der Reservatsgrenzen aufhielt, wurde von der Regierung konfisziert. Die Einrichtung der »Native Reserves« zielte nicht nur auf die konsequente Rassentrennung ab, sondern sollte gleichzeitig im Zusammenspiel mit den flankierend erlassenen Gesetzen die Mobilität der afrikanischen Bevölkerung und damit deren Arbeitskraft einer strikten Kontrolle unterwerfen.468 Daher dienten die Reservate als Instrument »of containing, counting and controlling the black pastoral economy«.469 Ab 1924 wurden die Kleinviehbestände in den »Native Reserves« regelmäßig auf das Auftreten von Schafräude kontrolliert. In den Reservaten innerhalb der Polizeizone oblag die Überwachung und Bekämpfung der Räude nicht der Polizei, sondern der Verantwortlichkeit der Superintendents des Native Departments vor Ort.470 Die Berichte wurden zum Native Commissioner nach Windhoek geschickt und an die Veterinärbehörde weitergeleitet. In den Berichten wurde immer die Gesamtzahl der untersuchten Schafe und Ziegen angegeben, während die Anzahl der Besitzer nur gelegentlich summarisch erfolgte, ohne die Tiere einem namentlichen genannten Besitzer zuzuordnen. Laut den Berichten waren die Kleinviehbestände der Reservate bis 1926 frei von Räude.471 1926 wurde ein schwerer Ausbruch der Räude unter dem Kleinvieh des Native Reserve Aminuis bei Gobabis festgestellt. Die Veterinärbehörde und der zuständige Superintendent verfügten, die Kleinviehbestände des Reservates so lange unter Quarantäne zu stellen, bis alle Schafe und Ziegen gedippt worden seien. Nur so sei es möglich, das Risiko eines Übergreifens der Räude auf die Viehbestände des gesamten Distrikts Gobabis und damit auch der europäischen Farmer auf ein Minimum zu reduzieren.472 Zur Behandlung der Tiere gegen Räude standen unterschiedliche Mittel zur Verfügung – entweder gebrauchsfertig abgepackte arsenhaltige P ­ ulver wie »Cooper’s Dip« oder Schwefel-Kalk-Gemische.473 Gegenüber der Veterinär­ behörde vertrat der Superintendent die Ansicht, dass das von der Regierung empfohlene Kalk-Schwefel-Gemisch nicht effektiv genung sei.474 Cheftierarzt 468 Wallace, History, S. 219. 469 Silvester, Beast Boundaries, S. 99. 470 VSB an Post Commander, 19.11.1924, NAN AGV 174 VS1/7-1, sowie Miescher, S. 130. 471 Berichte der Superintendents der Reservate von Otjituo und Epukiro an die VSB vom 29.01.1925–31.10.1925, NAN AGV 192 VS 11/41-1. 472 VSB an Native Commissioner Windhoek, 25.10.1926, NAN AGV 194 VS19/1-1. 473 Zu den Räudemitteln siehe auch Kapitel 3.3.1. 474 SVO an Native Commissioner, 16.11.1926, Dipping Small Stock: Aminuis Native Reserve, NAN AGV 194 VS19/1-1.

Veterinärpolitik und koloniales Regieren

Goodall wies darauf hin, dass das Kalk-Schwefel-Gemisch das einzige von der Veterinärbehörde empfohlene Mittel zur Räudebekämpfung sei. Es dürften zwar auch günstigere und leichter handhabbare arsenhaltige Mittel wie »Cooper’s Dip« verwandt werden. Aufgrund der Vergiftungsgefahr hatten diese aber keine offizielle Verwendungsempfehlung der Veterinärbehörde erhalten. Goodall teilte dem Superintendenten mit, dass daher eine staatliche Entschädigung für Dip-Verluste nur dann beantragt werden könne, wenn die Tiere mit dem Kalk-Schwefel-Gemisch behandelt worden waren. Trotz oder gerade aufgrund dieser Einschränkung empfahl der Cheftierarzt, im Aminuis Native Reserve zur Räudebekämpfung »Cooper’s Dip« zu verwenden.475 Weder von diesen Bestimmungen noch von der bereits seit 1903 unter europäischen Farmern und Veterinären geführten Debatte über die unterschiedlichen Räudemittel waren die indigenen Viehbesitzer in Kenntnis gesetzt worden. Bis Anfang November war fast das gesamte Kleinvieh im Aminuis Reserve unter der Aufsicht des Superintendenten gedippt worden. Ein Gesamtüberblick über die im Zusammenhang mit den Bekämpfungsmaßnahmen aufgetretenen Verluste enthielt der Bericht des Superintendenten nicht. Es wurde lediglich erwähnt, dass von den sehr stark verräudeten Ziegen des Willem Homonie in der Nacht nach der Behandlung 20 von 40 Tieren eingegangen seien. Aufgrund des schweren Milbenbefalls waren diese Tiere vor dem Baden gründlich mit einer »Cooper’s Dip«-Lösung eingerieben worden. Der Superintendent machte aber nicht die Verwendung des arsenhaltigen Mittels, sondern den allgemein schwächlichen Zustand der Tiere in Verbindung mit der kalten Nacht für die hohen Verluste verantwortlich.476 Aufgrund der Tatsache, dass sich eine Vielzahl von Berichten und Farmerratgebern finden, in denen immer wieder auf die Gefahren bei der Verwendung arsenhaltiger Räudemittel aufmerksam gemacht wurde, ist jedoch davon auszugehen, dass auch bei der Räudebekämpfung in Aminuis etliche Tiere den Vergiftungen erlagen. Aus Sicht der Kolonialbehörden waren diese aber irrelevant, da aufgrund der Verwendung von »Cooper’s Dip« keine Entschädigungsforderungen der indigenen Viehbesitzer zu erwarten waren. Dieses Vorgehen der Veterinärbehörde und der Native Commissioners belegt, wie der gezielte Ausschluss der indigenen Viehbesitzer von der veterinärmedizinischen Wissensvermittlung zur Förderung der europäischen Viehzucht und Herrschaftssicherung eingesetzt wurde. 475 Ebd. 476 Magistrate Gobabis an Native Commissioner, 12.11.1926, NAN AGV 192 VS11/41-1.

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Die europäischen Farmer unterstützten die staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen. Bereits 1921 forderten die Mitglieder der FWG des »Gaus Maltahöhe« von der Regierung die Einführung eines alljährlichen Zwangsdippens für das gesamte Land. In einem Schreiben an den Magistrat schlugen die Farmer aus Maltahöhe dafür Ende April vor, da die Tiere zu diesem Zeitpunkt allgemein in guter Verfassung seien und die Schur beendet sei.477 Die Mandatsregierung bzw. der Principal Sheep Inspector in Windhoek waren sich der Notwendigkeit des regelmäßigen und periodischen Badens der Schafe bewusst und der Vorschlag der FWG Maltahöhe wurde begrüßt. Personalmangel und fehlende Infrastruktur erschwerten aber die Einführung eines »compulsory dipping«. Zum einen waren 1922 die erforderlichen Chemikalien und Mittel knapp. Zum anderen sah sich der Principal Sheep Inspector nicht im Stande, einen landesweiten Dip-Termin anzusetzen, da sich die gesamte Veterinärbehörde noch im Aufbau befand.478 Sobald diese Hindernisse behoben seien, werde aber umgehend eine Badepflicht eingeführt. Bis dahin konnten die Polizeioffiziere die Farmer im Bedarfsfall lediglich darauf hinweisen »to dip their flocks as a precautionary measure«.479 Es dauerte noch einige Jahre, bis sich die Behörden im Stande sahen, flächendeckende Maßnahmen gegen die Räude in die Wege zu leiten. 1928 ordnete die Mandatsregierung die obligatorische Räudebekämpfung im Territorium südlich des 23. Grades südlicher Breite an. Dies betraf de facto die südliche Hälfte SWAs. Auf Anordnung der Veterinärbehörde mussten zwischen dem 15. Oktober und 30. November ausnahmslos alle Schafe und Ziegen gedippt werden. In einem ersten Plan wurden insgesamt 34 Farmen in den Distrikten Windhoek, Rehoboth und Gobabis sowie das »Bastardland« und das »Native Reserve« Aminuis genannt.480 Den Superintendent von Aminuis wies die Veterinärbehörde gesondert an, das gesamte Kleinvieh des Reservates zu dippen. Wie schon zuvor wurde dazu »Cooper’s Dip« ver477 FWG Maltahöhe an Magistrate, 28.10.1921, NAN AGV 194 VS19/1-1. 478 Principal Sheep Inspector an Magistrate Maltahöhe, 28.11.1921, NAN AGV 194 VS19/1-1. 479 Principal Sheep Inspector an Police Post Commander Otjikondo, 26.07.1922, NAN AGV 194 VS19/1-1. 480 Von dieser Maßnahme ließ die Veterinärbehörde keine Ausnahmen zu. Der Farmer Baddad aus dem Distrikt Keetmanshoop bat vergeblich darum, das Baden seiner Tiere aufzuschieben, da er hohe Verluste unter seinen Jungtieren befürchtete. Um Verluste unter den Lämmern zu vermeiden, sollten diese nur wenige Sekunden gebadet werden. Farmer Baddad an SVO, 21.09.1928 und Antwort SVO an Baddad, 24.09.1928, NAN AGV 194 VS19/1-1.

Veterinärpolitik und koloniales Regieren

wandt. Neben insgesamt 40 Paketen des arsenhaltigen Pulvers wurden auch je vier »dipping forks« und Sanduhren nach Aminuis geliefert.481 Die Räudekampagne von 1928 war der erste Versuch der Mandatsregierung, die Räude in SWA flächendeckend zu bekämpfen. Außerhalb des »Native Reserves« lag die Verantwortung für die Durchführung der Räudekampagne in den Händen der Post-Commander der Polizeistationen von Gibeon, Mariental, Hofmeyr, Gochas, Maltahöhe, Kub, Rehoboth, Hatsamas, Windhoek und Pretorius. Deren Durchführung stellte für die Polizeikräfte einen organisatorischen Kraftakt dar. In Absprache mit den SVO war dem Polizeikommandanten von Keetmanshoop die Leitung der gesamten Kampagne übertragen worden. Dieser überwachte persönlich die Durchführung der Bekämpfungsmaßnahmen. Dazu bereiste er mit dem Auto den gesamten südlichen Teil SWAs.482 Die Inspektionsreise sollte aber nicht nur die effektive Durchführung der Kampagne durch die Polizeikräfte gewährleisten, sondern auch dazu dienen, den Farmern – auch denjenigen die das »simultaneous dipping« ablehnten – den ökonomischen Nutzen von räudefreiem Kleinvieh klarzumachen. Laut dem Abschlussbericht des Polizeikommandanten wurde die Dipping-Kampagne außerhalb des »Native Reserves« sorgfältig und gewissenhaft durchgeführt. Dabei wurden die Polizeikräfte von den Sheep Inspectors sowie im Bezirk Mariental von Regierungstierarzt Sigwart unterstützt. Die aufgetretenen Verluste seien insgesamt gering gewesen und im Wesentlichen auf den schlechten Ernährungszustand der Tiere sowie auf das feuchtkalte Wetter zurückzuführen. Entsprechend hätten auch nur vereinzelte Viehbesitzer angekündigt, Entschädigungsleistungen von der Regierung einzufordern. Lediglich im »Native Reserve Aminuis« sei es dem zuständigen Beamten des Native Departments nicht gelungen, alle Kleinviehbestände in der vorgeschriebenen Zeit zu behandeln. Die Durchführung sei dadurch behindert worden, dass die aus dem Distrikt Rehoboth nach Aminuis umgesiedelten Herero »were a little out of hand«. Zudem sei die Zahl der Dippanlagen viel zu gering und diese darüber hinaus in einem sehr schlechten Zustand. Angaben zu aufgetretenen Verlusten wurden in dem Bericht nicht gemacht. Diese waren auch nicht von großem Interesse, da die Kleinviehbestände in Aminuis nur gedippt worden waren, um die angrenzenden Bestände der 481 SVO an Native Commissioner, 12.09.1928, NAN AGV 194 VS19/1-1. 482 Officer in Command District Keetmanshoop an SVO und Commander SWA Police, 14.12.1928, Report on field work in connection with the Simultaneous Dipping 1928, NAN AGV 194 VS 19/1-1.

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Siedler vor einem erneuten Milbenbefall zu schützen. In den Augen der verantwortlichen Kolonialbeamten reichte dazu die halbherzige Durchführung der Räudebekämpfung nicht aus. Aufgrund der fehlenden Einzäunung forderte der verantwortliche Polizeioffizier, die Errichtung von Dipping Tanks im Aminuis Reserve voranzutreiben, um die Kleinviehbestände der europäischen Farmer in den Distrikten Gobabis und Windhoek effektiv räudefrei halten zu können. Seinen Bericht schloss der Polizeikommandant mit Anmerkungen zu den verwendeten Räudemitteln, der allgemeinen Organisation sowie zu der geltenden Räudegesetzgebung. Diese sollten der Regierung für zukünftige Dipping-Kampagnen als Orientierungshilfe dienen. Grundsätzlich sollten die europäischen Farmer in Zukunft auf die Verwendung arsenhaltiger Mittel verzichten und zukünftige Kampagnen von einem Supervisor in Absprache mit dem SVO und dem Polizeikommandanten geplant werden. Um den Personalaufwand bei der Durchführung zu reduzieren, sollten die Kampagnen nicht im Rahmen der Zuständigkeitsgrenzen der einzelnen Polizeistationen, sondern grundsätzlich für die gesamte Region durchgeführt werden.483 Außerdem sollten mindestens zehn statt sechs Wochen für die Durchführung veranschlagt werden. Dies erlaube ein gründlicheres und adäquateres Dippen der Tiere. Um den gesetzlich vorgeschriebenen Bau von Dipping Tanks zu fördern, schlug der Polizeikommandant vor, die Kreditvergabe für den Ankauf von Kleinvieh zukünftig von dem Vorhandensein einer Dipp-Anlage auf der Farm abhängig zu machen. Schlussendlich stellten die geltenden Räudegesetze eine massive Behinderung dar. Viele Farmer hätten geäußert, dass sie angesichts der bestehenden »Scab Regulations« das Gefühl haben, dass die Regierung ihnen nicht vertraue bzw. die praktische Erfahrung und Kenntnisse von Polizisten höher einschätze als von Farmern, die zum Teil seit mehreren Generationen auf Schaffarmen lebten. Konkret beklagten sich die Farmer darüber, dass sie ihre Tiere am liebsten direkt nach der Schur dippen würden, dies sei aber nur selten möglich, da sie ihre Tiere ohne die Zustimmung eines Sheep Inspectors nicht dippen durften. Um diese Erlaubnis zu erhalten, müssten oft bis zu 100 Meilen zurückgelegt werden, um den zuständigen Inspector zu erreichen. Nach Auffassung des Polizeikommandanten zählten die betreffenden Farmer aber überwiegend zu den »good men« bzw. progressiven Farmern, denen die Verantwortung für 483 Einige Farmer hatten die Mittel direkt in der Union bestellt und bis zu zehn Prozent im Vergleich zum Kauf bei der Polizei gespart. Report on Simultaneous Dipping 14.12.1928, NAN AGV 194 VS 19/1-1.

Veterinärpolitik und koloniales Regieren

die Bekämpfung der Räude übertragen werden könne.484 Auch im Interesse der Sicherung der weißen Herrschaftsbasis sollte daher die veterinärpolizeiliche Gesetzgebung in Bezug auf die Schafräude punktuell gelockert werden. Insgesamt wird deutlich, dass auch die Bekämpfung der Schafräude wie die Vermittlung tiermedizinischen Wissens eng mit anderen kolonialen Herrschaftspraktiken verknüpft war. Damit stellte die Durchsetzung der entsprechenden veterinärpolizeilichen Maßnahmen ein nicht zu unterschätzendes Instrument zur Herrschaftssicherung dar. Die Art und Weise der Durchführung der fast landesweiten Kampagne 1928 sowie die daraus gezogenen Schlüsse belegen erneut, dass die Mandatsmacht bestrebt war, die europäi­ sche Farmwirtschaft gezielt zu fördern. Die Überwachung der Kleinvieh­ bestände in den »Native Reserves« wie auch der geplante Ausbau der dortigen Dipping Tanks erfolgten nur deshalb, weil die Gefahr einer Verschleppung der Krankheit in die »weißen Farmdistrikte« zu befürchten war. Entsprechend wurde auf die Bekämpfung der Schafräude in den Reserves nicht die gleiche Sorgfalt wie in den europäischen Farmgebieten verwandt. So wurde die Schafzucht der europäischen Farmer direkt gefördert, da langfristig eine Konkurrenz durch afrikanische Schafzüchter ausgeschaltet wurde. In Bezug auf die europäischen Farmer wurde die Durchführung der Maßnahmen zudem mit dem Diskurs über die progressiven Farmer verknüpft. Letztere hätten ein wirtschaftliches Interesse an der Räudebekämpfung und würden daher von sich aus dafür Sorge tragen, ihre Bestände gesund zu erhalten. Entsprechend wurden die staatlichen Zwangsmaßnahmen für die europäischen Farmer zurückgenommen. Indem der Staat den europäischen und vor allem deutschstämmigen Farmern mehr Handlungsspielräume einräumte und ihnen die Verantwortung zur Räudebekämpfung übertrug, wurde deren Vertrauen in die Mandatsregierung gesteigert und damit die Herrschaft weiter zementiert.

484 Ebd.

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Fazit

Das alltägliche Leben in den Siedlerkolonien des südlichen Afrika drehte sich um Nutztiere. Die Rinder- und Schafzucht bildete das Rückgrat der indi­genen und europäischen kolonialen Wirtschaft. Zudem waren Mobilität und Transport ohne Reit-, Last- und Zugtiere nicht denkbar. Tierseuchen stellten eine permanente Bedrohung dieses auf Nutztieren beruhenden Gefüges dar. Die Tiergesundheit war daher von zentraler Bedeutung für die gesellschaftliche Stabilität und ein entscheidender Faktor für die Sicherung kolonialer Herrschaft. Die Verbreitung von Krankheitserregern wurde vor allem durch den transkolonialen Handel in Verbindung mit der eng begrenzten kolonialstaatlichen Kontrolle massiv begünstigt. Da die nach europäischen Mustern lancierten Seuchenbekämpfungsmaßnahmen in den Kolonien nur sehr begrenzt erfolgreich waren, führten Tierseuchen wie Rinderpest oder Pferdesterbe nicht nur zu schwerwiegenden herrschaftspolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungsprozessen, sondern lösten auch tiermedizinische Wissenskrisen über geeignete Bekämpfungs- und Präventions­strategien aus. Die Kolonialadministrationen reagierten darauf mit der Intensivierung veterinärmedizinischer Forschungen, dem Aufbau kolonialer Veterinärdienste sowie dem Erlass entsprechender Gesetze und Verordnungen. In dieser Untersuchung konnte gezeigt werden, dass ab den 1890er Jahren veterinärmedizinisches Wissen zu einem wichtigen Mittel der kolonialen Herrschaftssicherung in den Kolonien des südlichen Afrika avancierte. Die kolonialstaatlichen Versuche zur Bewältigung der durch Tierseuchen evozierten Krisen stießen komplexe, transimperial verflochtene Prozesse der Produktion, Zirkulation und Anwendung veterinärmedizinischen Wissens an. Diese Prozesse wurden in der vorliegenden Studie im Kontext der kolonialen Herrschaftssicherung in Namibia zwischen 1887 und 1929 detailliert rekonstruiert und werfen ein besonderes Licht auf die historischen Akteure und ihre transimperialen Interaktionen. Durch die Verknüpfung postkolonialer, global- und transferhistorischer Fragestellungen mit Ansätzen der Umwelt-, Wissenschafts- und Wissensgeschichte sowie den unkonventionellen Untersuchungszeitraum eröffnet diese Studie zudem neue Perspektiven auf die Kolonialgeschichte Namibias und des südlichen Afrika im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Generell konnten verschiedene etablierte Beobach-

Fazit

tungen der transnational orientierten historischen Forschung bestätigt sowie stellenweise ergänzt und erweitert werden. Am Beispiel der Erforschung der Pferdesterbe und der Rinderpest konnte gezeigt werden, wie sich durch die Entwicklung der Immunisierungsverfahren eine ganze Reihe von Kontakten intensivierte. Zum einen konnten die bereits für andere koloniale Zusammenhänge herausgearbeiteten Nord-SüdTransfers festgestellt werden. So war die veterinärmedizinische Forschung im kolonialen Namibia – wie im gesamten südlichen Afrika – bis in die 1940er Jahre auf den Import wissenschaftlicher Instrumente, Chemikalien und Medikamente sowie die Entsendung von Tierärzten aus Europa angewiesen. Neben den wenigen verfügbaren Veterinären waren an der Wissensproduktion über die im südlichen Afrika auftretenden Viehseuchen von Beginn an auch europäische Humanmediziner und Bakteriologen beteiligt. Aufgrund seiner Popularität sticht dabei Robert Koch bis heute heraus. Die Forschungsarbeiten der europäischen Experten waren zunächst von einem scharfen  – zum Teil nationalistisch aufgeladenen  – Konkurrenzkampf geprägt. Durch die Rezeption lokaler Bekämpfungsmethoden gelang Koch in der Cape Colony die Entwicklung einer Impfmethode gegen die Rinderpest. Aber erst nachdem mit den kolonialen Gegebenheiten vertraute Veterinäre erhebliche Veränderungen an Kochs Impfverfahren vorgenommen hatten, konnte dieses Verfahren effektiv zur Immunisierung der Rinder europäischer Siedler eingesetzt werden. Auch am Beispiel der Pferdesterbeforschung konnte gezeigt werden, dass die Kolonialveterinäre durch ihre Forschungstätigkeiten ihren Expertenstatus gegenüber den Humanmedizinern und »Lichtgestalten« wie Koch behaupten konnten. Im Fall der Pferdesterbe profitierten die Veterinäre in DSWA bei der Entwicklung eines Impfverfahrens von der Rezeption der seit Ende der 1880er Jahre in der britischen Cape Colony produzierten tiermedizinischen Wissensbestände und Praktiken. Aufgrund der divergierenden klimatischen und geographischen Bedingungen hatte das in den Kolonien produzierte Wissen zur Tierseuchenbekämpfung in Europa kaum praktische Relevanz und wurde bestenfalls passiv zur Kenntnis genommen. Angestoßen durch die intensivierten Forschungstätigkeiten in den Kolonien spielte daher der transkoloniale Wissenstransfer zwischen den deutschen Veterinären und ihren Kollegen aus der Cape Colony und dem Transvaal eine immer größere Rolle. Aus zunächst losen Kontakten deutscher, britischer und transvaaler Kolonialtierärzte entwickelte sich ab den 1890er Jahren relativ schnell ein Expertennetzwerk, dass sich überwiegend im transkolonialen Raum verortete.

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Fazit 

Den Grundstein für die weitere Institutionalisierung des transkolonialen Wissensaustausches legten die zwischen 1896/97 einberufenen Rinderpestkongresse. Es konnte festgestellt werden, dass im Rahmen der ab 1903 im südlichen Afrika abgehaltenen interkolonialen Veterinärkonferenzen der wissenschaftliche Wettstreit der europäischen Experten in den Hintergrund trat. Stattdessen dienten die Konferenzen der gemeinsamen Erarbeitung einheitlicher veterinärpolizeilicher Standards zur Tierseuchenprävention und -bekämpfung. Darüber hinaus beförderten die Konferenzen eine enge Kooperation bei der Ausbildung der Kolonialveterinäre. Am Beispiel dieses transimperialen Verflechtungsprozesses konnte gezeigt werden, dass die Süd-Süd-Vernetzung zu einer Festigung und Ausdifferenzierung kolonialer tiermedizinischer Expertise beitrug. Dies bestätigt und ergänzt die in der Forschung zu kolonialen Wissenstransfers sowie zur transimperialen Interaktion einzelner Akteure etablierten Beobachtungen. So kommt Ulrike Lindner in Bezug auf die deutsch-britische Kooperation bis 1914 zu dem Schluss, dass sich das deutliche Interesse der britischen Seite an den deutschen Erkenntnissen über das koloniale Afrika dadurch erklären lasse, dass sich die britische koloniale Wissenschaft, im Gegensatz zur deutschen, zunächst nur wenig auf das Afrika südlich der Sahara konzentrierte. Entsprechend sei auf britischer Seite ein gesteigertes Bedürfnis nach engerer Kooperation mit den führenden deutschen Experten entstanden.1 Auch im Fall der kolonialen (tropischen) Veterinärmedizin tritt die gegenseitige Kooperation zwischen britischen und deutschen Experten deutlich in den Vordergrund. An der Wissensproduktion über die im südlichen Afrika auftretenden Viehseuchen waren zwar von Beginn an auch deutsche Experten beteiligt. Allerdings diente die deutsche Expertise nicht als Richtschnur für die britischen Kolonien. Vielmehr dominierten Experten und Interessen der britischen Cape Colony und vor allem des Transvaal die interkolonialen Fachkonferenzen. Dabei sticht vor allem der Cheftierarzt des Transvaal, Arnold Theiler, heraus. Theiler hatte sich ab 1897 bewusst zur zentralen Person des kolonialen Expertennetzwerkes gemacht. Dies wurde vor allem durch die deutlich umfangreichere staatliche Förderung veterinärmedizinischer Forschung in Transvaal ermöglicht. Entsprechend konnte Theiler wegweisende Forschungsarbeiten durchführen und dominierte so die Diskussionen der transkolonialen Konferenzen.

1 Lindner, Koloniale Begegnungen, S. 94.

Fazit

Theiler war auch eine treibende Kraft hinter einer weiteren Intensivierung wissenschaftlicher und persönlicher Kontakte. Ab 1899 nahm Theiler und etwas später auch einige weitere Kolonialveterinäre an internationalen tierärztlichen Kongressen teil, um dort ihre Forschungsergebnisse zu präsentieren. Diese Rückkoppelung des im Rahmen der Süd-Süd-Vernetzung generierten Wissens mit den in Europa etablierten Wissensbeständen führte dazu, dass sich Anfang des 20. Jahrhunderts die koloniale bzw. tropische Veterinärmedizin als Subdisziplin im europäischen Wissenschaftssystem etablierte. Darüber hinaus unterhielt Theiler regelmäßige Kontakte zu den führenden bakteriologischen und (veterinär-)medizinischen Institutionen in London, Paris und Berlin und warb dort auch Experten an. Durch den unkonventionellen Betrachtungszeitraum der Untersuchung war es ferner möglich, mit der Etablierung der tropischen Tiermedizin einhergehende Abkoppelungsprozesse der südafrikanischen Veterinärmedizin als direkte Folge der transimperialen Interaktion der europäischen Experten zu identifizieren. So konnte festgestellt werden, dass die engere transkoloniale Kooperation der Veterinäre in Verbindung mit der internationalen Anerkennung vor allem in Bezug auf die Ausbildung von Kolonialtierärzten und die Durchführung weiterführender Forschungsarbeiten eine schleichende institutionelle Abnabelung der kolonialen Veterinärmedizin auslöste. Ab 1909 wurden deutsche Regierungstierärzte an Theilers Institut in Pretoria ausgebildet und 1920 schließlich die erste veterinärmedizinische Fakultät Afrikas gegründet – das »Onderstepoort Institute for Veterniary Research and Education«. Maßgeblich initiiert und getragen wurde dieser Prozess durch die persönliche Bekanntschaft von Theiler und seinem Amtskollegen aus DSWA, Otto Henning. Wie andere koloniale Wissensbestände2 wurde auch das in den Kolo­ nien produzierte veterinärmedizinische Wissen im Kontext kolonialer Herrschaftssicherung nutzbar gemacht. So wurden die Maultiere von Militär und Polizei gegen Pferdesterbe geimpft, um deren Mobilität zu erhalten und damit die koloniale Kontrolle zu festigen. Entsprechend wurden vorrangig die Tierbestände europäischer Siedler gegen Rinderpest geimpft. Um weitere Forschungen durchführen und vor allem deren Ergebnisse anwenden zu können, wurden in DSWA ab 1894 die erforderlichen institutionellen Grundlagen geschaffen. 2 Dies gilt u. a. auch für das öffentliche Gesundheitswesen im kolonialen Namibia. Wallace, Health, Power and Politics, S. 247.

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Fazit 

Bei der Einrichtung des kolonialen Veterinärdienstes konnten, im Sinne einer kritischen Institutionengeschichte, die Auswirkungen der Süd-SüdVerflechtung der tiermedizinischen Experten nachgewiesen werden. Als Vorbild und Folie für den Aufbau des kolonialen Veterinärwesens in DSWA diente der Veterinärdienst Transvaals. Die identifizierten Unterschiede sind auf die spezifischen kolonialen Verwaltungsstrukturen und die Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen zurückzuführen. Um die veterinärpolizeiliche Überwachung und Versorgung zu gewährleisten, sollte das Kerngebiet deutscher Herrschaft mit einem Netz von Veterinärlaboren überzogen werden. Es konnte gezeigt werden, dass die Wahl der Institutsstandorte eng mit Fragen der kolonialen Herrschaftssicherung verwoben war. Parallel dazu erließ die deutsche Kolonialregierung, wie später auch die südafrikanische Mandatsregierung eine Vielzahl veterinärpolizeilicher Verordnungen und Gesetze. Diese basierten, wie die Kolonialpolitik im Allgemeinen, auf der Überzeugung der rassistisch begründeten Überlegenheit der Europäer über die afrikanische Bevölkerung. Die veterinärpolizeiliche Gesetzgebung zielte zunächst darauf ab, die von europäischen Siedlern betriebene Viehzucht zu fördern. Nachdem ein einigermaßen funktionierender Veterinärdienst installiert worden war, forcierte der koloniale Staat seine Anstrengungen zur Modernisierung der Landwirtschaft nach europäischem Vorbild. Durch die staatliche Vermittlung tiermedizinischer Wissensbestände sowie die enge Einbindung tiermedizinischer Laien  – nahezu ausschließlich europäische Siedler – in die veterinärpolizeiliche Überwachung wurde der Privilegienfreiraum für die europäischen Siedler erweitert und abgesichert. Auf Seiten der europäischen Siedler schärften die staatlichen Ausbildungsprogramme nicht nur das grundsätzliche Problembewusstsein, sondern lösten ebenso Selbststeuerungseffekte aus. Die Vertreter der Farmerverbände unterbreiteten der Kolonialregierung Vorschläge zur Einführung einer allgemeinen Viehsteuer und forderten von dieser auch wiederholt die Durchführung veterinärpolizeilicher Maßnahmen – vor allem zur Bekämpfung der Schafräude  – zu Gunsten der von ihnen betriebenen Viehzucht. Demgegenüber profitierten indigene Viehbesitzer nur sehr eingeschränkt von den Modernisierungsanstrengungen. Eine weitere Zielrichtung der Veterinärpolitik stellte die Durchsetzung des Herrschaftsanspruches über die indigene Bevölkerung dar. Zunächst wurden indigene Viehbesitzer »nur« bei der Durchführung von Impfkampagnen systematisch übergangen und von der staatlichen Wissensvermittlung ausgeschlossen. Erst nach dem Ende des Namibischen Krieges ging der

Fazit

koloniale Staat ab 1907 verstärkt dazu über, die Veterinärpolitik gezielt zur Unterwerfung und Kontrolle der indigenen Bevölkerung einzusetzen. Ausgehend von der Hoffnung, nun die Durchsetzung der zuvor nur auf dem Papier erlassenen veterinärpolizeilichen Gesetze forcieren zu können, wurden diese eng mit den ab 1907 erlassenen »Eingeborenenverordnungen« verzahnt. Ziel war es, zumindest innerhalb des Kerngebietes kolonialer Herrschaft – der sogenannten Polizeizone – die Freizügigkeit der indigenen Bevölkerung massiv einzuschränken sowie eine engmaschige staatliche Kontrolle zu implementieren. Freilich blieb die tatsächliche Kontrolle der indigenen Bevölkerung und ihrer Viehbestände bis in die 1930er Jahre sehr lückenhaft. Aufgrund der im Allgemeinen geringen Präsenz des kolonialen Staates, die in diesem Fall am permanenten Mangel tierärztlich ausgebildeten Personals augenfällig wird, konnten viele der erlassenen Verordnungen – insbesondere solche, die die Kontrolle von Viehimporten oder die Erfassung der Viehbestände betrafen – gar nicht oder nur sehr begrenzt durchgesetzt werden. Der deutschen und auch der südafrikanischen Administration waren diese Defizite durchaus bewusst. Darauf reagierten sie mit dem Erlass weiterer, immer ausdifferenzierterer veterinärpolizeilicher Verordnungen sowie dem steten Ausbau des veterinärmedizinisch geschulten Personals. Doch auch diese Maßnahmen trugen nur bedingt zur Festigung des kolonialen Herrschaftsanspruches bei. Lediglich innerhalb der Polizeizone führte die zunehmende Durchsetzung veterinärpolizeilicher Gesetze und Maßnahmen, wie z. B. die Viehbrandverordnung von 1912 und die Durchführung großangelegter Räudekampagnen während der 1920er Jahre, zu einer spürbaren Festigung der kolonialstaatlichen Kontrolle über die indigene Bevölkerung. In Bezug auf Organisation und Ausführung veterinärpolizeilicher Maßnahmen – wie z. B. das präventive »Dippen« der Tiere gegen Räudemilben und Zecken – blieb der koloniale Staat trotz aller Bemühungen auf die Kooperationsbereitschaft der europäischen wie auch der indigenen Viehbesitzer angewiesen. Da zudem die europäische Farmwirtschaft von der Arbeitskraft der indigenen Bevölkerung abhängig war, eröffneten sich für diese erhebliche Handlungsspielräume, die auch zweifellos genutzt wurden. So wurde etwa das Verbot der Großviehhaltung durch die Entlohnung der Farmarbeiter in Naturalien – in der Regel Lebendvieh – unterlaufen. Ebenso fungierten die afrikanischen Farmarbeiter im Fall eines Seuchenausbruchs als erste Ansprechpartner für den Farmer und die Regierungstierärzte. Daher ist davon auszugehen, dass Indigene durchaus über erhebliche veterinärmedizinische Kenntnisse verfügten. Damit unterstreicht die Untersuchung das von der Forschung gezeichnete

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Fazit 

Bild eines hoch komplexen, eng begrenzten und permanent in Aushandlung befindlichen fragilen kolonialen Herrschaftsgefüges. Dieses bestand in der Regel eher auf den in den Amtsstuben erstellten Papieren als dass es tatsächlich durchgesetzt werden konnte. Zudem konnte nachgewiesen werden, dass das Veterinärwesen und die Veterinärpolitik im kolonialen Namibia sowohl von personellen als auch institutionellen Kontinuitäten geprägt waren. Aufgrund der auf den interkolonialen Veterinärkonferenzen vereinbarten und von der deutschen Kolonialregierung sukzessiv umgesetzten Vereinheitlichung veterinärpolizeilicher Gesetze implementierte die südafrikanische Mandatsregierung ab 1920 kein völlig neues, südafrikanisches System. Vielmehr knüpfte die südafrikanische Administration nahezu nahtlos an die von der deutschen Kolonialregierung geschaffenen Strukturen und Gesetze an und differenzierte diese nach dem Vorbild der Südafrikanischen Union vor allem in Hinblick auf die Etablierung einer rassistisch segregierten Siedlergesellschaft weiter aus. Die südafrikanische Mandatsregierung weitete die im Zuge der Modernisierung der Landwirtschaft aufgelegten landwirtschaftlichen Bildungsangebote aus und nutzte diese als Vehikel, um für die nach 1915 deutlich heterogenere europäische Siedlergesellschaft ein einigendes Moment im Sinne einer rassistisch begründeten Segregationspolitik zu implementieren. Vor allem ging es darum, das Vertrauen und die Akzeptanz der noch zahlreichen deutschen Siedler für die »neue Kolonialmacht« zu gewinnen. Dabei spielten die 1920 auf Initiative deutscher Farmer in die Veterinary Service Branch der Mandatsregierung übernommenen vier deutschen Regierungsveterinäre eine Schlüsselrolle. Da die deutschen Siedler den Regierungstierärzten großes Vertrauen entgegenbrachten, stellten diese ein nicht zu unterschätzendes Bindeglied zwischen der deutschen Farmerschaft und der neuen Mandatsregierung dar. Die ehemaligen Feinde machten einen wesentlichen Teil des Personalstandes der Veterinärbehörde aus und wurden mit nur wenigen Einschränkungen in das britische bzw. südafrikanische veterinärmedizinische Netzwerk integriert. Insgesamt hat die Analyse deutlich gezeigt, dass man Veterinärpolitik in Namibia sowie koloniale Herrschaft im südlichen Afrika als einen sowohl die deutsche wie auch die südafrikanische Herrschaftsperiode umfassenden Prozess begreifen sollte. Die festgestellten Kontinuitäten belegen zudem, dass der Erste Weltkrieg nur auf den ersten Blick eine tiefgreifende historische Zäsur in der namibischen (Kolonial-) Geschichte darstellt. Die Geschichte Namibias  – wie auch anderer ehemaliger Kolonien  – sollte grundsätzlich

Fazit

nicht der in der kolonialhistorischen Forschung etablierten und an einer eurozentrischen Chronologie orientierten Periodisierung folgen, sondern stärker transimperial betrachtet und analysiert werden. Nur so treten personelle und institutionelle Kontinuitäten in den Vordergrund, deren Folgen zum Teil bis heute die postkolonialen Gesellschaften in Namibia und anderen ehemaligen Kolonien prägen. Die vorliegende Arbeit hat die Bedeutung und enge Verzahnung veterinärmedizinischen Wissens mit anderen kolonialstaatlichen Kontroll- und Disziplinierungstechniken durchaus umfassend rekonstruiert. Dennoch hat sich aufgrund der Quellenlage eine insgesamt eher einseitige Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand ergeben. Insbesondere in Bezug auf die Zusammenarbeit der Veterinäre mit lokalen Viehhaltern bleiben einige Fragen offen. Zwar gelang es mir, im Rahmen meines Rechercheaufenthalts in Windhoek Kontakt zu einem Nachfahren eines ehemaligen deutschen Tierarztassistenten aufzunehmen, der Einblick in die Tagebücher des Urgroßvaters wurde mir aber leider ohne Angabe von Gründen verwehrt. Ähnliche Anfragen bei einigen »alteingesessenen« deutschen Farmerfamilien liefen ebenfalls ins Leere. Angesichts der zum Teil fragmentarischen Überlieferung sowie des Fehlens aufschlussreicher Quellen privater Provenienz ist es durchaus denkbar, dass durch die Auswertung privater Farmarchive und persönlicher Tagebücher vertiefende Erkenntnisse zu Tage gefördert werden können. Dies gilt vor allem in Bezug auf die Rezeption und Verbreitung lokaler Wissensbestände, die auf praktischer Erfahrung und indigenen Praktiken beruhen. Eine weitaus größere Lücke stellen die Reaktionen und Einflussmöglichkeiten der indigenen Bevölkerung auf die Produktion veterinärmedizinischen Wissens sowie auf dessen Anwendung im Kontext kolonialstaatlicher Maßnahmen dar. In den Archiven werden lediglich die Aktenbestände der deutschen und südafrikanischen Administration verwahrt und diese spiegeln eben nur deren Sicht auf den Themenkomplex wieder. Um diesen kolonialen Blick der Quellen aufzubrechen, hätte die afrikanische Perspektive ebenfalls in die Analyse einbezogen werden müssen. Wie in der Einleitung bereits erwähnt, taucht eine »afrikanische Perspektive« auf den Untersuchungsgegenstand in den kolonialen Archiven bestenfalls indirekt auf. Aufgrund der mündlichen Tradition fehlen zudem schriftliche Primärquellen von Afrikanern und Afrikanerinnen. Daher kommt die Handlungsmacht der indigenen Bevölkerung zugegebenermaßen zu kurz. Im Wissen um diese erheblichen blinden Flecken und um zu verhindern, dass die agency der indigenen

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Bevölkerung vollkommen aus dem Blick gerät, wurde – sofern es die kolonialen Quellen zuließen – zumindest ansatzweise versucht, diese zu skizzieren. Darüber hinaus sind während der Bearbeitung des Themas weitere Forschungsdesiderate zu Tage getreten. Eines der offensichtlichsten betrifft den grundsätzlichen Mangel an kolonialhistorischen Arbeiten, die eine transimperiale Perspektive einnehmen. Anhand anderer »Kolonialwissenschaften« könnten sicherlich ähnliche Transfer- und Kooperationsprozesse wie in dieser Arbeit nachgewiesen werden. Gleiches gilt auch für die Erforschung institutioneller und personeller Kontinuitäten. Auch die Gründe für eine nicht stattgefundene Kooperation wären von großem Interesse. Derartige Studien würden unter allen Umständen zu einem ganzheitlicheren Verständnis des europäischen Imperialismus beitragen. Solche und ähnliche Projekte könnten darüber hinaus weitere Untersuchungen zur kolonialen Migration anstoßen. So liegt z. B. bis heute weder eine Studie über die verarmten burischen Siedler, die nach 1915 nach Namibia einwanderten, noch über die portugiesische Bevölkerungsgruppe in Namibia vor. Eine transnationale Perspektive bzw. ein verflechtungshistorischer Ansatz würde auch in Bezug auf die historische Aufarbeitung des gewaltsamen und über drei Jahrzehnte dauernden Dekolonisationsprozesses im südlichen Afrika durchaus neue Einblicke eröffnen.3 Schlussendlich bleibt zu hoffen, dass Tiere und Tierseuchen stärker in den Fokus der Geschichtswissenschaft rücken. Ausgehend von einer näheren Beschäftigung der Kolonialgeschichte mit der Rolle von Tieren und den Folgen von Tierseuchen dürften neben den human-animal studies auch andere wissenschaftliche Disziplinen von derartigen Forschungen profitieren. Schließlich war die menschliche Gesellschaft noch bis vor rund 100 Jahren auf ein Mobilitätsregime angewiesen, das vollständig von tierischen Körpern bzw. tierischer Zug- und Tragkraft abhängig war. Auch wenn im 21. Jahrhundert die Folgen für die industrielle Tierproduktion im Fokus stehen, üben Tiere und Tierseuchen weiterhin erheblichen Einfluss auf soziale und kulturelle Lebenswelten aus.

3 Zur kubanisch-angolanischen Kooperation und der Rolle der USA im Dekolonisationsprozess des südlichen Afrika existieren bislang nur die Untersuchungen von Piero Gleijeses. Allerdings fehlen noch Studien zum namibischen Unabhängigkeitskampf, die eine dezidierte verflechtungshistorische Perspektive einnehmen. Erste Anfänge dafür haben Colin Leys und John Saul bereits gemacht, da sich die politische Führung der SWAPO ab den 1960er Jahren im Exil aufhielt.

Abkürzungsverzeichnis

ADM Administrator of the Protectorate South West Africa AfS Archiv für Sozialgeschichte AGV Agriculture and Veterinary Services Branch AHR African Historical Review AJCGH Agricultural Journal of the Cape of Good Hope Amtbl. Amtsblatt für das Schutzgebiet Deutsch-Südwestafrika AST Archiv für Schiffs- und Tropenhygiene AwpT Archiv für wissenschaftliche und praktische Thierheilkunde BAB Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde BAU Bauverwaltung Kaiserliches Gouvernement Windhoek BDAUSA Bulletin of the Department of Agriculture of the Union of South Africa BMJ British Medical Journal BRE Bezirksamt Rehoboth BTW Berliner Tierärztliche Wochenschrift CVO Chief Veterinary Officer DKbl. Deutsches Kolonialblatt DKG Deutsche Kolonialgesellschaft DKL Deutsches Kolonialexikon DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift DOA Deutsch-Ostafrika DOK Distriktsamt Okahandja DSWA Deutsch-Südwestafrika DSWAZ Deutsch-Südwestafrikanische Zeitung DTW Deutsche Tierärztliche Wochenschrift GdNÄ Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte Gouv. Kaiserliches Gouvernement Deutsch-Südwestafrika (ab 1898) GVO Gouvernment Veterinary Officer HE History of Education IASdL Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur IJAHS International Journal of African Historical Studies IRSH International Review of Social History JAH Journal of African History JCPT Journal of Comparative Pathology and Therapeutics JDA Journal of the Department of Agriculture JHM Journal of the History of Medicine JHMAS Journal of the History of Medicine and Allied Sciences JNS Journal of Namibian Studies JSAS Journal of South African Studies JSAVA Journal of the South African Veterinary Association JSAVMA Journal of the South African Veterinary and Medical Association Kol.Abt. Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes (1890–1907) LaWi-Amtbl. Landwirtschaftliche Beilage des Amtsblatts für Deutsch-Südwestafrika LaWi-DSWAZ Landwirtschaftliche Beilage zur Deutsch-Südwestafrikanischen Zeitung

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Abkürzungsverzeichnis 

Lhptm. MFWG MH MVV NAN PVO RKA RTV S2A3 SAASGS SAHJ SAJS SAMJ SAT Secretary SHM SVO SWA SAVMA SWAA TAHP TAJ TSAAB VR VSB ZBU ZFM ZIeT ZIpKH

Kaiserliche Landeshauptmannschaft Deutsch-Südwestafrika (bis 1898) Mitteilungen der Farmwirtschafts-Gesellschaft für Südwest-Afrika Medical History Mitteilungen des Verbandes der Verwertungs-Vereinigungen Windhuk National Archives of Namibia Principal Veterinary Officer Reichskolonialamt (1907–1919) Referat für Tierzucht und Veterinärwesen Biographical Database of Southern African Science South African Archaeological Society Goodwin Series South African Historical Journal South African Journal of Science South African Medical Journal Schweizer Archiv für Tierheilkunde Secretary of the Protectorate South West Africa Social History of Medicine Senior Veterinary Officer South West Africa South African Veterinary Medical Association South West Africa Administration Tropical Animal Health and Production Transvaal Agricultural Journal The South African Archaeological Bulletin Veterinary Records Agricultural and Veterinary Service Branch SWA Protectorate Zentralbureau des Kaiserlichen Gouvernements Windhoek Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene Zeitschrift für Immunitätsforschung und experimentelle Therapie Zeitschrift für Infektionskrankheiten, parasitäre Krankheiten und Hy­ giene der Haustiere

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South West Africa Administration Agricultural and Veterinary Services (AGV) AGV 006 WV 91/1-1 Police Examination. Police Recruits Promotion AGV 018 A.3A-1 Tours. Sheep Farmers (to Australia etc.) AGV 024 A.6/25-2 S. W. A. Farmers Tour to S. A. AGV 068 G.3/3-1 Circulars. Gazette and Publications Non / Government AGV 075 G.12/9-1&2 Dr. Maag AGV 075 G.12/10-1 Dr. H. Sigwart AGV 076 G.12/10-2&3 Dr. H. Sigwart AGV 076 G.12/11-1&2 Dr. G. Schmid AGV 078 G.12/17-2 Dr. O. Henning AGV 085 G.15-1 Police Promotion Examination AGV 093 V.2/3-1 Diseases amongst Large Stock. General AGV 102 V.2/7A-1 Diseases Bloodsmears General Instructions AGV 102 V.2/9-1 Administration of Stock Diseases Act by Officers of other Departments AGV 102 V.2/29-1 Diseases, Anthrax. General AGV 102 V.2/10-1 Diseases Quarantining of Farms. Instructions re AGV 107 V.2/68-1 Diseases. Horse Sickness. General AGV 107 V.2/68-2 Diseases. Horse Sickness. General AGV 132 V.7-1 Laboratory (Gammams) General AGV 136 V.10/1-1 Annual Reports Senior Veterinary Officer, Windhoek AGV 136 V.10/1-3 Reports, Annual. Agricultural and Veterinary Services AGV 151 V.13/10-1 Vaccines. Horse Sickness AGV 152 V.15-1 Veterinary Officers in SWA AGV 153 V.15/2-1 Veterinary Literature, Text Books, Periodicals AGV 153 V.15/3-1 Text Books, Periodicals and Literature AGV 174 VS1/2-1 Staff: Administration Regulations and Instructions to Staff AGV 174 VS1/3-1 Patrol Areas AGV 174 VS1/7-1 Staff: Native Reserve Superintendents AGV 192 VS11/41-1 Scab: Native Reserves AGV 192 VS13/1-3 Scab: Circulars Sec. Protectorate AGV 194 VS19/1-1 Dipping General

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Bauverwaltung Kaiserliches Gouvernement Windhoek (BAU) BAU 094 G.WI.3-1 Bakteriologisches Institut Gammams 1911–1913 BAU 095 G.WI.3-2 Bakteriologisches Institut Gammams 1913–1914

Bezirksamt Rehoboth (BRE) BRE 132 T.3.e-1 Bakteriologisches Institut 1911–1912

Distriktsamt Okahandja (DOK) DOK 122 T.3.a-1 Tierheilwesen. Bakteriologisches Institut

South West Africa Administration: Secretariat (SWAA) SWAA 0303 A34-10-1 Agricultural Adviser Reports 1927–1929 SWAA 0304 A34-16 Lectures and Attendance of Officers at Farmer Meetings SWAA 0304 A34-21 Agricultural Demonstration Train 1929 SWAA 0304 A34-22 Pan-African Agricultural &Veterinary Conference, 1929

Zentralbureau des Kaiserlichen Gouvernements Windhoek (ZBU) ZBU 1286 O. I.a.1-1 Tierheilwesen Allgemeines und Gesetzgebung 1903–1908 ZBU 1286 O. I.a.2-1 Tierheilwesen Allgemeines und Gesetzgebung 1908–1915 ZBU 1286 O. I.a.3-1 Tierseuchenkonferenzen 1903–1909 ZBU 1286 O. I.a.3-2 Tierseuchenkonferenzen 1909 ZBU 1286 O. I.a.4-1 Veterinärwesen Verteilung von Merkblättern ZBU 1286 O. I.a.4-2 Veterinärwesen Merkblätter ZBU 1286 O. I.a.5-1 Tierheilwesen. Reisebericht des Dr. Knuth über seine Studienreise ZBU 1296 O. I.k.3-1 Entschädigungen ZBU 1302 O.II.c.1-1 Bakteriologisches Institut Allgemeines 1897–1914 ZBU 1302 O.II.c.2-1 Bakteriologisches Institut spec. ZBU 1302 O.II.c.3-1 Bakteriologisches Institut spec. ZBU 1302 O.II.c.5-1 Bakteriologisches Institut spec. ZBU 1303 O.II.d.2-2 Bakteriologische Institute ZBU 1306 O.II.e.1-1 Zecken ZBU 1307 O.II.g.1-1 Taxe und Private Tätigkeit Tierärzte ZBU 1310 O.III.a.1-1 Rinderkrankheiten Allgemeines ZBU 1310 O.III.b.2-1 Ostküstenfieber ZBU 1313 O.III.c.1-1 Rinderpest generalia ZBU 1313 O.III.c.3-1 Rinderpest spec. ZBU 1313 O.III.c.4-1 Rinderpest spec. ZBU 1313 O.III.c.4-2 Rinderpest spec. ZBU 1313 O.III.c.4-3 Rinderpest spec.

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Behörden des Schutzgebietes Deutsch-Südwestafrika (R 1002) R 1002/721 Personalakte Otto Henning R 1002/1385/86 Personalakte Rickmann

Reichsgesundheitsamt (R 86) R 86/1360 Maßregeln gegen Tierkrankheiten / Tierseuchen in Afrika 1893–1904 R 86/3000 Rinderpest in Afrika 1896–1904 R 86/3356 Erforschung der Tierseuchen in Deutsch-Südwestafrika und Togo 1895–1911 R 86/3783 Rinderpest

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Karten- und Abbildungsverzeichnis

Karten Karte 1: Landwirtschaftliche Nutzungsmöglichkeiten Namibias . . . . . . . . . . . 18 Karte 2: Ausbreitung der Rinderpest in Afrika 1887–1898 . . . . . . . . . . . . . . . 104 Karte 3: Rinderpestabsperrlinien in DSWA 1896/97 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Karte 4: Karte der 1907 in DSWA eingerichteten Polizeizone . . . . . . . . . . . . . 219 Karte 5: Standorte von Regierungstierärzten in DSWA 1914 . . . . . . . . . . . . . . 231 Karte 6: Standorte Veterinärinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Karte 7: Standorte von Regierungstierärzten in SWA 1928 . . . . . . . . . . . . . . . 260 Karte 8: Viehbrandzeichen im südlichen Afrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352

Abbildungen Abb. 1: Circular Dipping Tank (Rundbad zur Räudebkämpfung) . . . . . . . . . . 189 Abb. 2: Räudebädertypen, die in Namibia in Gebrauch waren . . . . . . . . . . . . 190 Abb. 3: Rinderpest-Impfstempel 1897 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Abb. 4: Viehbrandverzeichnis für Deutsch-Südwestafrika . . . . . . . . . . . . . . 345 Abb. 5: Brandvorschrift der Schutztruppe von DSWA . . . . . . . . . . . . . . . . . 346

Register

Kursiv gesetzte Zahlen beziehen sich auf Anmerkungen.

Sachregister Afrikanische Pferdesterbe ​17, 35 f., 46–55, 57, 59–63, 66–95, 97, 99, 110, 129, 153, 193, 232, 235, 238, 240, 243–246, 287, 314, 372  f., 375; ​(-plätze/-posten) ​53  f., 77, 94; ​(-serum) ​69, 72 f., 80 f., 83, 86, 88, 91 f.; ​(-impfstoff) ​85, 87, 90, 243; ​ (-impfung) ​69, 221 Agglutinationsmethode (Rotzerkennung) ​ 174, 178 Agricultural Demonstration Train  ​288 f. Blauzungenkrankheit (blue tongue) ​91 f., 182, 224, 286 Blutausstrich(e) ​145, 148, 235, 259, 285, 287, 302–304, 306 f. Brandzeichen ​206, 299 f., 312, 336–338, 343 f., 346–357, 360; ​(three-piece-system) ​350–352, 360 Cattle Brands Proclamation (SWA 1921) ​ 253, 353 f. Conference on Diseases Amongst Cattle and other Animals in South Africa (Bloemfontein 1903) ​155, 159, 163, 165 f., 213 Cooper’s Dip ​183–187, 246, 366–368 Creolin ​77, 133, 184, 186 Desinfektion ​67, 102, 122, 132–135, 177, 295, 297 Deutsch-Südwestafrikanische SchäfereiGesellschaft ​181 Dipping Tank ​183, 185, 187–189, 191 f., 363, 370 f. Diseases of Stock Proclamation (SWA 1920) ​ 191, 253, 275, 327, 339, 354, 362 Eingeborenenverordnung (DSWA 1907) ​ 208, 216, 218, 247, 340, 342, 347 f., 360, 377

Epizootische Lymphangitis ​160 Farmwirtschaftsgesellschaft ​251, 285, 287, 368 Herzwasser-Krankheit (hartwater) ​50 Höchster Farbwerke ​86–87, 90 Impfung 57, 63, 67–85, 88–90, 94 f., 110, 111, 114–116, 118–127, 129–152, 159, 204, 213, 243, 250, 267–272, 275, 295–300, 315, 317–320, 323, 325, 330, 337 f.; ​(Blut-) ​114 f., 127, 137–140, 143, 146, 148 f., 151; ​(Doppel-) ​138, 144, 150; ​(Gallen-) ​114, 120–126, 129, 131 f., 135–140, 143, 145, 148 f., 152, 159, 244, 299, 315, 318; ​(Inkubations-) ​80, 81, 83, 85; ​(Kontroll-) ​74, 135–137, 139; ​(Not-) ​131, 153, 267, 273, 297; ​ (Progressions-) ​79  f.; ​(Schutz-) ​57, 63, 73, 114, 269, 272; ​(Serum-) ​114–116, 125, 127, 148 f., 152; ​(Simultan-) ​76 f., 79 f., 82–85, 89, 114, 123, 147 (Zwangs-) ​ 150, 326, 332 Importverbote ​48, 351 (Rinder) 100 f., 164 Inter-Colonial Veterinary Conference (Bloemfontein 1907) ​155, 161, 164, 174, 176 Inter-Colonial Veterinary Conference on Animal Diseases in South Africa (Cape Town 1904) ​155, 160 f., 163, 337 Interstate Conference on Foot and Mouth Disease (Mafeking 1934) ​158 Kalk-Schwefel-Gemisch / Kalkschwefelbad (Räudebekämpfung) ​184 f., 186 f., 366 f. Kamele ​ 78, 91, 162, 173 Kleinvieh ​30, 60, 182, 184 f., 191, 247, 308, 310, 324, 335, 339, 361–363, 367–370; ​

Sachregister

(-bestände) ​181, 186, 191, 274, 303, 309–311, 366, 369–371 (-transporte) ​ 161, 176 Landwirtschaftlicher Verein für DeutschSüdwestafrika ​277, 334 Lungenseuche (longziekte) ​50, 57, 78, 107, 119, 155, 160, 179, 232, 237, 248, 250, 265–274, 297, 314, 315 f., 333, 337 f. (-impfung) 119, 273, 333 Lysol ​184, 186 Malaria ​ 56, 70–73, 244 Malleinprobe (Rotzerkennung) ​174 Maul- und Klauenseuche ​158, 160, 315 Maultiere / Maulesel ​19, 45, 47, 67, 73, 77–85, 89–92, 94–96, 178, 202, 243, 248, 261, 341, 343, 353, 361, 375 Mikroskop ​ 57, 148, 173, 177, 182; ​(mikroskopische Untersuchung) ​118, 145 f., 295 Milben (siehe auch Räude) ​182 f., 185, 367, 369, 377 Milzbrand / Rauschbrand ​60–63, 75, 92, (-imp160, 286, 306, 308–310, 314; ​ fung) ​116, 118, 177, 337 Native Brands Proclamation (SWA 1923) ​ 355–359 Ochsen ​19, 91, 99, 103, 119, 134, 138, 143, 269, 297–299, 337 (-wagen) ​16, 51, 53, 97, 100, 109, 136, 144 Ostküstenfieber ​22, 160, 162, 163, 164, 179, 197, 199, 282, 304, 306, 339 Pan-African Agricultural and Veterinary Conferences (Pretoria 1929) ​156 f., 166 Pan-African Veterinary Conference ­(Nairobi 1923) ​156  f. Pan-African Veterinary Conference ­(Pretoria 1909) ​155, 161, 164, 166, 172, 174, 196, 214 Pferde ​19, 45, 47, 49–54, 59, 61, 63, 67–69, 71 f., 76 f., 79, 81 f., 84–86, 88, 91–98, 111, 162, 202, 244, 248, 261, 298, 305– 308, 310, 314, 341, 346, 353, 355 f., 361 f. Piroplasmen ​ 117, 162, 171, 174 Pockenimpfung 110, 115, 119, 177, 242

Privatpraxis (veterinärmedizinische) ​ 228–230 Quarantäne ​48, 105, 107, 130, 133, 161, 176, 213, 220, 223, 253, 279, 296, 315 f., 338, 347, 354, 363, 366 Räude /Schafräude ​39, 50, 154, 160 f., 182–192, 206, 230, 245 f., 248, 274, 304, 306, 308–311, 312, 315 f., 361–364, 366–371, 376 f. Removal of Stock Proclamation (SWA 1919)  253, 354 Rinder ​17, 30, 36, 38, 45, 51, 57, 60, 96–104, 110, 113, 115–123, 126 f., 131, 134–138, 140–145, 147, 150 f., 156, 160, 162, 164, 181, 210, 223, 250, 261, 265–267, 269 f., 274, 276, 281, 290 f., 295 f., 297, 299, 301, 315, 317, 319 f., 323, 325, 333, 336–339, 340–344, 346 f., 353, 355–357, 359, 361 f., 372 f.; ​(-bestände) ​38, 97, 99, 101, 116, 123, 126, 131, 137 f.,141–144, 150, 210, 258, 266 f., 274, 276, 317, 319, 320, 339 f., 357, 359,; ​ (-zucht) ​ 17, 45, 96, 98, 128, 287, 320, 326, 362, 372 Rinderpest ​11 f., 17, 19, 21–25, 44, 51, 56 f., 66, 71, 75–79, 99–156, 159 f., 165, 174 f., 192, 206, 210–212, 232 f., 237 f., 270– 271, 273, 275, 277, 294–297, 299–301, 313–321, 323–328, 331–333, 337–338, 361, 372–375; ​(-epizootie) ​19, 21, 25, 36, 46, 95, 99, 154, 163, 204, 207, 211, 244, 265, 276, 293, 302, 319; ​(-impfung) ​121, 129, 146, 151, 177, 273, 297, 325 f., 328; ​(-kongress / -konferenz) ​ 36, 112, 117, 124 f., 128, 130, 133, 149, 153  f., 158–160; ​(Rinderpestkonferenz Mafeking 1896) ​100, 105, 125; ​ (Rinderpestkonferenz Pretoria 1897) ​ ­123–129; ​(Rinderpestkonferenz Vryburg 1896) ​101 f., 105 f., 110, 112, 125 Rotlauf der Schweine ​160, 315 Rotz der Einhufer ​78, 155, 160, 174, 178, 202, 220, 248, 301, 306, 314 Sachverständigenkommission (DSWA) ​ 266, 268–271, 273 f., 293–295, 311

401

402

Register

Scab Act ​184; ​(Cape Colony) ​183 (Orange River Colony) ​185 Scab Regulation (SWA) ​191, 362, 370 Schafe ​ 96 f., 99, 181, 184, 315, 324, 339, 342, 361, 363, 366, 368; ​(-zucht) ​181, 288, 290, 371 f.; ​(Karakulschafe) ​182, 223, 310, 334,; ​(-zucht) 261, 334, 362 (Wollschafe) ​223, 362 (-zucht) 181 f., 184 f., 192, 284, 362 Schafpocken ​166, 182, 214, 223, 224, 226, 235, 238, 281–283, 287, 303, 315, 327, 361 Schweine ​174  f., 290 Sheep Inspector (SWA) ​188, 258, 274, 288, 290, 308 f., 368–370 Spritze / Injektionsnadel ​133, 137, 139, 177 Stock Inspector (SWA) ​253 f., 258, 274, 354 Sublimat ​77, 133 Texasfieber ​71, 117, 145–149, 151, 160, 240, 278, 315, 320, 326 Tollwut ​160, 314 Trypanosomen ​ 162, 171, 179 Tuberkulose ​ 160, 337–339

Verband der Farmwirtschaftlichen Vereinigungen ​285 Verband der Verwertungs-Vereinigungen zu Windhuk ​251  f. Viehbrandverordnung (DSWA 1912) ​254, 335, 343 f., 347–349, 351, 353, 360, 362, 377 Viehseuchenverordnung; ​(DSWA 1901/1913) ​39, 164, 191, 212–216, 222, 253, 266, 273, 279, 302, 314, 318, 327, 347 (Lungenseuche 1887/88) ​105, 266–269; ​(Rinderpest 1897) ​105, 131, 315, 316, 325, 338; ​(Räude) ​184 Viehversicherung ​38, 150 f., 206, 312, 328–334 Viehwirtschaft ​16, 103, 157, 202 f., 215, 233, 243, 246, 265, 276 f., 279, 283 f., 288, 292, 310, 323, 328, 335, 340, 362 Zecken ​117, 145, 160, 165, 171, 173, 183, 187 f., 199 f., 235, 238, 240, 284, 302 f., 377 Ziegen ​ 96 f., 99, 118, 181, 287, 310, 324, 336, 339, 341 f., 361–363, 366–368 (Angora-Ziegen) ​ 181, 184, 223

Personenregister Albrecht, Oskar (Regierungstierarzt DSWA) ​ 217

Buxton, Lord Charles (Governor-General SWA) ​252  f.

Bauer, Hans (Regierungstierarzt DSWA) ​ 224 Baumgart, Martin (Regierungstierarzt DSWA) ​ 163, 217, 221, 337 Boden, G. (Regierungstierarzt DSWA) ​186 Bone, H. (GVO SWA) ​306–308 Borchmann, Karl (Regierungstierarzt DSWA) ​65, 74, 107, 130, 209 f. Bordet, Jules (Bakteriologe) ​112, 114 f., 118, 124–127 Borthwick, John Downie (GVO Cape Colony) ​61 Bruce, David (Bakteriologe) ​169, 179 Brühlmeyer, Georg (Veterinär Schutz217 truppe DSWA) ​

Caprivi, Leo von (Reichskanzler) ​54 Carougeau, Joseph (Veterinär Mada­ gaskar) ​175 Danysz, Jean (Bakteriologe) ​112, 114 f., 118, 124–128 Dernburg, Bernhard (Direktor RKA) ​195, 229, 237, 334 Dieckerhoff, Wilhelm (Prof. Tierarzneischule Berlin) ​20, 55, 58, 60 f., 148 Dieckmann, Paul (Veterinär Schutztruppe DSWA) ​ 209 Diehl, Philipp (Missionar DSWA) ​297 Dixon, Roland (GVO Cape Colony) ​283 Doepping, Otto (Farmer DSWA) ​ 244, 329 f.

Personenregister

Does, D. (Regierungstierarzt Nieder­ ländisch-Ostindien) ​174 Dove, Karl (Geograph) ​54, 140, 265 Drewitz (Reiter Schutztruppe DSWA) ​ 297 Du Toit, Petrus Johann (GVO Transvaal) ​ 92, 100, 194, 200, 201 Dürling (Landvermesser DSWA) ​136 Edington, Alexander (Bakteriologe) ​49, 52, 61, 66 f., 73, 111, 116–118, 122, 124, 126, 128, 137, 140, 160 Ehrlich, Paul (Mediziner) ​85, 178 Estorff, Ludwig von (Offizier Schutz­ truppe DSWA) ​ 67, 81–83 François, Curt von (Landeshauptmann DSWA) ​ 53–55, 58 f., 98, 119, 267 Franke, Victor (Offizier Schutztruppe DSWA) ​ 106, 109, 136 Fromm (Leutnant Schutztruppe DSWA) ​ 298–300 Garraway, Roger Sutton (GVO SWA) ​167, 287 315, Gessert, Ferdinand (Farmer DSWA) ​ 318 f., 325 Gmelin, Walter (Regierungstierarzt DSWA) ​200 f., 215, 222, 224, 228, 232, 235 f., 239, 241 f., 304 Gonder, Richard (Zoologe) ​199 Goodall, Alexander (GVO SWA) ​93, 167, 250, 255, 257–260, 263, 286 f., 306 f., 367 Gorges, Edmond Howard (Administrator SWA) ​252–254, 256 Göring, Ernst Heinrich (Kaiserlicher 105, 266 f. Kommissar DSWA) ​ Gray, Charles (GVO Südafrikanische Union) ​100, 174, 249, 254–256, 258 Günter, Eugen (Regierungstierarzt DSWA) ​ 196, 248, 251 Guradze, Franz (Kaiserliches Konsulat Cape Town) ​284 Hancke, Edgar (Veterinär Schutztruppe DSWA) ​ 195 Henning, Otto (Regierungstierarzt DSWA / GVO SWA) ​11–14, 64 f., 87–90, 101, 117, 119, 121, 126, 137, 155, 164,

166, 172, 174, 183, 186 f., 193, 194, 196 f., 214 f., 222, 224, 229 f., 235, 238–240, 256–258, 281, 283–285, 287, 326 f., 348, 375 Herff (Kaiserlicher Konsul Cape Town) ​ 124–128 Hermann, Erwin (Farmer DSWA) ​187, 189, 192 Himrich, Johann (Tierarztgehilfe DSWA) ​ 249–251 Hoerauf, Wilhelm (Regierungstierarzt DSWA) ​ 217 Hofmeyr, Gysbert (Administrator SWA) ​ 253, 369 Hohenlohe-Schillingsfürst, Chlodwig zu (Reichskanzler) ​127 Hollandt, Richard (Regierungstierarzt DSWA) ​ 224 Hutcheon, Duncan (GVO Cape Colony) ​ 61, 101, 117, 122, 128, 146, 160, 164 Jacobsen, Hans (Veterinär Schutztruppe DSWA) ​80, 84, 183, 280, 281 Jarvis, Edmund Mullinger (GVO SWA) ​ 156, 249, 255 f. Johns, D. N. (District Commissioner of Lands Transvaal) ​350 Kaesewurm (Veterinär Schutztruppe DSWA) ​ 272, 279, 297, 302 Kind, Gerhard Gottfried (GVO Onderstepoort) ​179 Kitzel, Karl (Veterinär Schutztruppe DSWA) ​83, 303 Kleinschmidt (Missionar) ​54 Knuth, Paul (Tierärztliche Hochschule Berlin) ​168 f., 173, 194 f., 225 f., 281, 303 Koch, Robert (Bakteriologe) ​5, 11, 22, 24, 26, 36, 75, 79 f., 84, 86, 111–114, 1­ 16– 122, 124–130, 132, 135–138, 140, 151 f., 160, 165, 173, 244, 278, 294, 326, 373 Kohlstock, Paul (Tropenmediziner) ​101 f., 117, 121 f., 124, 129–140, 294 f., 299 f., 314 Kolle, Wilhelm (Bakteriologe) ​121–123, 128 Kuhn, Philalethes (Stabsarzt Schutztruppe DSWA) ​ 5, 66–75, 81, 95, 129 f., 144, 147, 181, 244, 295

403

404

Register

Lee, George William (GVO SWA) ​249  f., 252, 254 f., 305 Leipziger, Erwin (Regierungstierarzt DSWA) ​78–80, 82–85, 88 f., 188, 217, 235, 245 Leutwein, Theodor (Gouverneur DSWA) ​ 59 f., 62 f., 67 f., 75, 98, 105, 107, 129– 131, 138, 141, 144, 151, 156, 163 f., 177, 184, 193, 209 f., 212, 216, 267, 269 f., 272 f., 277, 294, 315–317, 319, 321–323, 326, 332 f., 337, 339 Lichtenheld, Georg (Regierungstierarzt DOA) ​172, 198, 234, 278 Lindequist, Friedrich von (Kolonial­ beamter / Gouverneur DSWA) ​ 54, 86 f., 90 f., 136 f., 142, 165, 173, 177 f., 184, 198, 218, 220, 232, 244, 268 f., 334 Lounsbury, Charles (Entomologe) ​160, 165 f. Lübbert, Anton (Stabsarzt Schutztruppe DSWA) ​68–71, 130 f., 136, 143 f., 146–148, 259 Lux, Arthur (Regierungstierarzt DSWA) ​ 198 Maag, Alfons (Regierungstierarzt DSWA / ​ GVO SWA) ​252, 257 f., 262, 308 f. MacPherson, F. J. (Stock Inspector) ​354 f. Maharero, Samuel (Anführer der Herero) ​ 269, 210, 273 Manasse, Tyiseseta (Anführer der Ovaherero) ​269, 273 Maybin, John Alexander (GVO SWA) ​ 263, 310 McKie, William (GVO SWA) ​249, 255  f., 263, 306 157, 258, McNea, Alexander (GVO SWA) ​ 274 Meier, Karl Friedrich (GVO Onder­ stepoort) ​179 Merwe, W. J. van der (Sheep Inspector SWA) ​188  f. Meyer (Sheep Inspector SWA) ​309 Mrowka (Veterinär Schutztruppe DSWA) ​ 195 Münsterberg (Veterinär Schutztruppe DSWA) ​ 217 Nunn, Joshua (Militärveterinär Natal) ​ 52 f., 61

Ollwig, Heinrich (Hamburger Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten) ​199 Penning, C. A. (Regierungstierarzt Niederländisch-Ostindien) ​174 Perbandt, Konradin von (Offizier Schutztruppe DSWA) ​130  f., 136 Pienaar, J. J. (Registrar of Brands Transvaal) ​350–352 Pohl (Laboratoriumsgehilfe Gammams) ​ 245 Proppe, Gregor Joseph (Regierungstier196 arzt DSWA) ​ Rakette, Paul (Veterinär Schutztruppe DSWA) ​173, 239 Rassau, Ernst (Veterinär Schutztruppe DSWA) ​148, 209 Reinecke, Georg (Veterinär Schutztruppe DSWA) ​81–83 Revington, Thomas Le Blanc (GVO SWA) ​ 93 f., 249, 255, 263, 287 Rhodes, Cecil (Premierminister Cape Colony) ​111 Richthofen, Oswald von (Direktor RKA) ​ 129 Rickmann, Wilhelm (Regierungstierarzt DSWA) ​12, 19, 62 f., 66–68, 70–73, 75–88, 90, 130 f., 138–142, 144–149, 151, 153, 155, 159, 163, 165 f., 172, 175, 178 f., 187, 195, 209 f., 212–214, 217, 219 f., 222, 224–226, 233, 235–237, 244, 267, 270–273, 278–280, 295–297, 301–303, 315, 317–321, 324–326, 328, 330–333, 338 f. Robinson, W. E. (Sheep Inspector) ​288 Rolewe (Vorsitzender Bund für weltwirtschaftliches Veterinärwesen) ​257 Rubner, Max (Mediziner) ​58 Rust, Erich (Farmer DSWA) ​184  f., 187, 192, 279 Sander, Karl Ludwig (Mediziner) ​56–68, 71, 75, 81, 95, 129, 192, 206, 210, 232, 244 Schalkryk, Dirks van (Farmer DSWA) ​244 f. Schaub (Veterinär Schutztruppe DSWA) ​ 217 Scheben, Leonard (Regierungstierarzt DSWA) ​259, 285

Ortsregister

Scheuber, Josef Remegius (GVO Onder­ stepoort) ​179 Schmid, Karl Gerhard (Regierungstierarzt DSWA / GVO SWA) ​19, 188, 251 f., 258, 262, 275, 284 f., 287 f. Schmidt (Grenzkontrolleur DSWA) ​ 140, 142, 318 Schnee, Heinrich (Gouverneur DOA) ​169, 218, 224, 226 Schöpwinkel, Albert (Stabsarzt Schutztruppe DSWA) ​142 Schreuder, P. J. von der (Chief Agricultural Advisor SWA) ​157, 167, 288 f., 291 Schröter, Karl (Regierungstierarzt DSWA) ​ 217 Schuckmann, Bruno von (Gouverneur DSWA) ​ 12, 87, 89, 101, 106 f., 111, 130, 166, 237 Schutte, C. E. (Landdrost Pretoria) ​125 Schütz, Johann (Tierärztliche Hochschule Berlin) ​ 57 f., 64, 148, 178 13, Seitz, Theodor (Gouverneur DSWA) ​ 91, 215, 232 f., 240, 282, 343, 346 Sieber, Hans (Regierungstierarzt DSWA) ​ 70, 75, 80 f., 91, 115, 199, 222, 233, 235 f., 240 f., 246, 284, 303 Sigwart, Hans (Regierungstierarzt DSWA / GVO SWA) ​ 92, 251 f., 258, 261–263, 285, 287, 289, 369 Sklero, Hermann (Regierungstierarzt DSWA) ​ 217 Smuts, Jan (Premierminister Südafrikanische Union) ​257 Sobotta (Stabsarzt DSWA) ​295

Steck, Werner (GVO Onderstepoort) ​179 Struwe, Edmund (Regierungstierarzt DSWA) ​198 Tecklenburg (stellv. Gouverneur DSWA) ​ 12, 294, 297 Theiler, Arnold (GVO Transvaal) ​11  f., 66, 71, 80, 87, 93, 100, 110–112, 114, 125, 155, 160, 164–166, 170, 179 f., 194, 196 f., 199, 201, 235, 283, 374 Theiler, Max (Bakteriologe) ​93 Turner, George (Bakteriologe) ​117, ­121–123, 126, 128 f. Verney, Frank (GVO Natal) ​111–116, 160 244, 334 Visser (Siedler DSWA) ​ Voigts, Gustav (Farmer DSWA) ​98, 187, 297, 336 Watkins-Pitchford, Herbert (GVO Natal) ​ 70, 93, 110–116, 118, 124, 160, 162 Willems, Louis (Arzt) ​119 Witbooi, Hendrik (Nama Kaptein) ​56, 58 f., 63, 210, 267 Wölfel, Kurt (Regierungstierarzt DSWA) ​ 198 Wunder, Fritz (Regierungstierarzt DSWA) ​ 217, 300, 337, 347, 150, 152, 159 Zbiranski, Alexius (Regierungstierarzt DSWA) ​178 Zschokke, Markus (GVO SWA) ​179  f., 225, 263, 289

Ortsregister Aminuis (Native Reserve) 365–370 Areb ​ 53 Aredareigas ​ 53 Baden-Baden ​170 Basutoland ​12, 155, 157, 169, 256 Berlin (Institut für Infektionskrankheiten) ​121, 177, 193 (Tierärztliche Hochschule) 55, 57, 62, 64, 112, 148 f., 173, 192, 194, 200, 214, 281

Berseba ​353 Bethanien ​221, 255, 309 Bloemfontein ​12, 149, 153, 155, 159, 165 f., 176, 213, 291 Brakwater ​239  f. Budapest ​170–172, 177 Bulawayo ​99 Cape Town ​90, 101, 117, 125, 155, 160 f., 165, 170, 200, 249, 280, 326, 337

405

406

Register

Daspoort (Veterinary Laboratory) ​90, 115, 165, 194 f. Epukiro (Native Reserve) 365 f. Gammams (bakteriologisches Institut) ​ 41, 62, 66, 74 f., 78–85, 89–92, 143, 159, 178, 195 f., 198–200, 212, 221, 232–238, 240 f., 243–246, 256, 258 f., 272 f., 278, 284, 286, 303, 304 Gauss ​ 53 Gibeon ​131, 140, 216, 221, 223, 233 (Kranzplatz), 255, 278 (Kranzplatz), 288, 317, 329, 332, 369 Gochas ​369 Grahamstown ​67, 111, 124, 272 Grootfontein ​13, 67, 69, 140, 143 f., 147, 216, 217, 221, 233, 252, 255, 282, 286, 290, 298 Grünau ​ 53 Haag (Den Haag) ​87, 172 f., 176 Hamburg (tropenhygienisches Institut) ​ 193, 199 Hasuur ​ 53 Hatsamas ​369 Hornkranz ​58  f. Johannesburg ​256, 291 Kabete (Veterinärlabor Britisch Ostafrika) ​ 167 Kalkfontein ​ 288, 309 Kalkrand ​ 288 Kaokoveld ​179, 275 Karibib ​53, 217, 221, 233, 255, 288, 290, 309, 321 Keetmanshoop ​13, 140, 142, 216, 221, 233, 255, 256, 258, 260, 274, 282, 286, 288, 289, 317, 318, 325, 368, 369 Kub ​369 Kubub / Aus ​53 Kunene (Fluss) ​275 Lüderitzbucht ​187, 221 Mafeking ​100, 102, 105, 109, 125, 158 Maltahöhe ​221, 223, 255, 309, 334 f., 368 f. Mariental ​ 288, 369

Namutoni ​275, 353 Nauchas ​ 53, 77, 216 Naukluft Berge ​59 Neudamm (landwirtschaftliche Versuchsfarm) ​187, 288 Ngami See ​96 Okahandja ​131, 138, 145, 147, 163, 239 f., 244, 252, 260, 268 f., 286, 288, 289, 290, 297, 309 Okaukuejo ​ 353 Okorusu ​298 Omaheke (Wüste) ​78 Omaruru ​106, 109, 144 f., 216, 221, 233, 250 f., 255, 260, 268 f., 271, 286 f., 290, 297, 334, 353 Onderstepoort (Veterinary Institute/ Laboratory) ​25, 47, 75, 88, 90–93, 100, 161 f., 167 f., 177, 179 f., 196–199, 201–203, 214, 235 f., 238 f., 241 f., 263, 283, 291, 375 Orange River Colony ​12, 155, 169, 172, 185, 194, 213, 256 Osona ​239–241 Otavi ​ 94, 298 Otavifontein ​ 94 Otjimbingwe ​109, 126, 136, 138, 140, 141, 144 f., 266 f., 268 f., 270, 297, 365 Otjituo (Native Reserve) ​365 Otjiwarongo ​250, 260, 286 Outjo ​ 94, 140, 144 f., 216, 233, 255, 290 Paris (Institute Pasteur) ​111 f. Pretoria ​12 f., 25, 36, 44, 47, 75, 90, 92, 100 f., 113–115, 117, 124 f., 130, 155–157, 159, 161, 166, 172, 175, 177, 180, 196–199, 201, 235, 238, 254, 286, 291, 303, 350, 375 Rehoboth ​131, 148, 221, 223, 259, 268, 288, 297, 334, 341, 359, 368 f. Salisbury ​93 Sambesi ​99  f. Sorris-Sorris ​53 Spitzkopje ​53 Stuttgart (Tierärztliche Hochschule) ​215 Swakopmund ​ 12, 109, 130–132, 136, 138, 166, 187 f., 196, 202, 211, 221, 223, 248, 269, 294

Länderregister

Tsumeb ​ 94, 255 Vryburg ​ 24, 101 f., 105 f., 109 f., 112, 125 Warmbad ​221, 255, 365 Waterberg East (Native Reserve) ​365 Waterberg ​78, 141, 144, 296 Windhoek ​10, 23, 40–42, 44, 53, 54, 59, 61, 62, 66, 87 f., 93, 106 f., 109, 126,

129–131, 136–139, 141, 143–145, 148 f., 163–167, 169, 178, 184, 188, 193, 195, 211, 216, 221, 230–232, 239, 244, 246, 252, 255 f., 258 f., 267, 268 f., 272, 274, 278, 282, 284, 286–288, 290, 295, 297, 306 f., 310 f., 320 f., 328, 330–332, 365, 366, 368–370, 379 Witwatersrand ​98, 128, 284

Länderregister Ägypten ​ 49, 169, 170, 173, Algerien ​173 Argentinien ​81, 173, 191, 280, 320 Äthiopien ​ 22, 99 Australien ​13, 117, 151, 170, 181–183, 186, 191 f., 200, 223, 282, 290, 349–351

Oranje-Vrystaat ​11, 15, 16, 51, 100 f., 103, 117, 119, 125, 126, 137, 155 Orange River Colony ​12, 155, 172, 185, 194, 213, 256

Basutoland ​12, 155, 157, 256 Bechuanaland Protectorate (Botswana) ​ 11, 15, 100 f., 110, 113, 116, 141, 155, 157, 158, 172, 282, 316 Belgien ​119, 173

Queensland ​173, 187, 350

Cape Colony ​11, 15, 16, 19, 24, 25, 39, 46, 49, 51–54, 61, 64, 66 f., 74, 80–82, 97, 100 f., 103, 105, 110–125, 127–132; 135, 137, 142, 146, 154 f., 162, 164, 165, 172, 177, 181–184, 186, 188 f., 191 f., 194, 206, 222 f., 267, 271 f., 274, 277, 282 f., 314, 335 f., 340 f., 343, 349, 373 f.

Südafrikanische Union ​15 f., 35, 37, 92, 157 f.m 166 f., 177, 180, 188, 191, 201– 203, 205, 214 f., 218, 221 f., 242, 248, 252–257, 261 f., 283–291, 303–305, 327, 351, 355, 362–365, 378

Eritrea ​99, 173 Madagaskar ​156 f., 167, 175 Natal ​ 16, 53, 93, 100, 103, 110–112, ­114–116, 125, 155, 157, 160, 162, 169, 170, 172, 181, 187, 194, 230, 339 Neuseeland ​170, 173

Portugiesisch Ostafrika (Mosambik) ​103, 125, 155–157, 172, 214, 341

Rhodesien (Sambia/Simbabwe) ​16, 22, 79, 100, 123, 155, 157, 158, 160, 167, 172, 290, 351

Transvaal ​11, 15 f., 19, 24, 36 f., 39, 48, 66 f., 71, 73 f., 76, 80–82, 87–91, 97 f., 100 f., 103, 110–115, 118 f., 123–129, 144, 148, 152, 154 f., 160, 161, 165, 169, 170, 172, 174, 177, 179, 194, 196, 198, 213, 219, 222, 237, 244, 266, 271, 281, 284, 303 f., 313 f., 336, 350 f., 373 f., 376 Tunesien ​173 USA ​170, 177, 191, 278

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