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German Pages 514 [516] Year 2000
Schöllgen · Imperialismus und Gleichgewicht
Gregor Schöllgen
Imperialismus und Gleichgewicht Deutschland, England und die orientalische Frage
1871-1914 3. Auflage
R. Oldenbourg Verlag München 2000
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schöllgen, Gregor: Imperialismus und Gleichgewicht: Deutschland, England und die orientalische Frage 1871-1914 / Gregor Schöllgen. - 3. Aufl. München: Oldenbourg 2000 Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Habil.-Schr., 1982 ISBN 3-486-52003-2
© 2000 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: http://www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.
Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Gesamtherstellung: R. Oldenbourg, Graphische Betriebe Druckerei GmbH, München ISBN 3-486-52003-2
Welches ist doch eigentlich die Gewalt, die in unserem Europa die Herrschaft ausübt? Es ist das Einverständniß der großen Mächte, welches die Herrschaft einer einzigen ausschließt und sich aus allen zusammensetzt. Der Krieg beginnt, wenn dies Einverständniß nicht mehr zu erzielen ist. Aber unaufhörlich wird es durch neue Vorfälle gefährdet. In dieser Gefahr liegt eigentlich das Interesse der sogenannten orientalischen Frage: denn eben in dem Schwanken der orientalischen Verhältnisse, die doch zu allen anderen in unmittelbarer Beziehung stehen, liegt die Möglichkeit eines allgemeinen Confliktes. Zuweilen ist derselbe vermieden worden, ein ander Mal aber ist darüber ein Mißverständnis zwischen den Mächten wirklich ausgebrochen, und sie sind mit einander in Kampf gerathen. Schon an und für sich bildet dies einen Gegenstand von hoher Wichtigkeit, doch steigt diese noch durch die in dem Orient emporkommenden selbständigen Tendenzen. Leopold von Ranke (1879)
Vorwort Die erste Auflage dieses Buches erschien 1984, die zweite, in Form einer Studienausgabe, 1992. Die dritte Auflage ist gegenüber den beiden ersten unverändert, weil sich die Untersuchung inzwischen als Standardwerk zur Geschichte der internationalen Beziehungen vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges fest in der Forschungslandschaft etablieren konnte und weil in der Sache keine Revision notwendig war. Uber die Entwicklung der neueren Forschung zum Thema habe ich an anderer Stelle berichtet: Das Zeitalter des Imperialismus, München 42000, S. 142-182; Griff nach der Weltmacht? 25 Jahre Fischer-Kontroverse, in: Historisches Jahrbuch 106 (1986), S. 386-406; Flucht in den Krieg? Die Außenpolitik des kaiserlichen Deutschland, Darmstadt 1991, S. 1-23; Kriegsgefahr und Krisenmanagement vor 1914. Zur Außenpolitik des kaiserlichen Deutschland, in: Historische Zeitschrift 267 (1998), S. 399^13. Erlangen, im August 1999
Gregor Schöllgen
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Einleitung A. Das Deutsche Reich und der Orient in der Bismarckzeit I. Das „orientalische Geschwür" wird offengehalten. Grundzüge der Bismarckschen Orientpolitik II. Die Entsendung deutscher Beamter und Offiziere in die Türkei und die politische Bedeutung der Militärmission III. Die Anfänge deutscher wirtschaftlicher Penetration des Osmanischen Reiches und die englische Haltung B. Mit England oder Rußland? Der „ N e u e Kurs" und die orientalische Frage 1890-1897 I. Die Caprivi-Ära: Neue Orientierung? II. Zwischen Desinteresse und Engagement. Die deutsche Orientpolitik 1895-1897 III. Die Interessen der deutschen Wirtschaft in der Türkei und die politischen Methoden ihrer Realisierung - am Beispiel des Jahres 1893 C. Vom verhaltenen zum erklärten Engagement. Die deutsche Türkenpolitik 1898-1903 und Englands „Großes Nein" I. Ein Bündnis mit England? Zum Hintergrund deutscher „Weltpolitik" um die Jahrhundertwende II. Die „Zeit des Zuwartens" geht „ z u Ende". Deutschlands Eintritt in die Orientpolitik 1898/99 a) D i e zweite Orientreise Kaiser Wilhelms II., die Regelung der Kretafrage und das Problem der mazedonischen Reformen b) Ein deutsch-russisches A b k o m m e n über Kleinasien und die Meerengen? c) „ D a n n müssen wir uns aber Mesopotamien sichern!" D i e Vorkonzession der Bagdadbahn und der deutsche militärische und wirtschaftliche Einfluß in der Türkei am Ende des 19. Jahrhunderts
III. Auf dem Weg in die Isolation. Stationen deutscher Orientpolitik 1900-1903 a) D i e mazedonische Frage von der Jahrhundertwende bis zum Mürzsteger Programm b) Eine britische Beteiligung an der Bagdadbahn? Die Verhandlungen der Jahre 1900-1902 c) Der Faktor Rußland d) Lord Curzon, der Status von Kueit und die Frage der Endstation der Bagdadbahn e) Ohne England: D i e Bagdadbahnkonvention vom 5. März 1903 und die Gründung der Bagdadeisenbahngesellschaft
XIII 1 15 15 32 38 50 51 63 80 86 86 107 107 114
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132 132 140 147 152 163
χ
Inhalt
D. Das Deutsche Reich und die orientalische Frage im Jahre 1903. Eine Zwischenbilanz zur Situation deutscher ,,Weltpolitik" um die Jahrhundertwende
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E. Im Alleingang. Das Deutsche Reich und die orientalische Frage 1904-1908 . . .
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I. Rahmenbedingungen deutscher Orientpolitik II. „Zynisches Vorgehen"? Die Konsolidierung des deutschen Einflusses in der Türkei
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a) Das Problem der mazedonischen Reformen und die Erhöhung der türkischen Einfuhrzölle b) Α quatre? Die Bagdadbahn als Faktor der deutsch-englischen Gespräche c) Die deutsche Persienpolitik, die Frage eines deutsch-russischen Abkommens über die Bagdadbahn und die englisch-russische Konvention vom 31. August 1907 Exkurs: Zur Stellung deutscher Firmen und Banken in der Türkei am Beispiel der Anleiheund Waffengeschäfte der Jahre 1905-1908
III. Die jungtürkische Revolution und die Zukunft der deutsch-englischen Beziehungen an der orientalischen Peripherie F. Politik der Verlegenheit: Deutsche „Weltpolitik" 1908-1911 I. Das Deutsche Reich, der Dreibund und die Zukunft der deutschen Türkenpolitik a) Präludium zur Krise: Die Sandschakbahn b) Geht die „türkische Politik in die Binsen"? Zur deutschen Politik in der bosnischen Annexionskrise 1908/09 c) „Entscheidungskampf" mit England am Goldenen Horn? Deutschland, der italienisch-türkische Krieg und dieMeerengenfrage 1911/12
II. Durch die Mitte oder über die Peripherie? Bethmann Hollwegs Englandpolitik 1909-1911
197 197 205
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a) Von Bülow zu Bethmann Hollweg: Erste Anläufe zu einem Flotten- bzw. politischen Abkommen 1908/09 b) Die Peripherie als Ausweg? Zu den Diskussionen über eine Annäherung in „kolonialen" Fragen und den Verhandlungen über eine Erhöhung der türkischen Einfuhrzölle 1909/10 c) Das Mißtrauen behält die Oberhand: Deutschland, England und die orientalischeFrage 1910/11
307
III. Die Bagdadbahn und die deutschen Interessen in Persien. Zur Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen im Nahen Osten von der bosnischen Krise bis zum Potsdamer Abkommen
317
G. „Periphere" Strategie: Die orientalische Frage als Faktor der deutsch-englischen Verständigung 1912-1914
329
I. Modell einer Krisenstrategie? Der Ausgang der Haldane-Mission, die Diskussionen um eine neue Flottennovelle und die Verhandlungen über die portugiesischen Kolonien in Afrika 1912/13
329
II. Politik der kleinen Schritte: Politische Annäherung durch diplomatische Kooperation
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a) Zwischen Österreich und England. Die deutsche Politik in der Balkankrise 1912/13
348
287
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Inhalt b) „Rettung der Türkei"? Die Frage der armenischen Reformen und der Aufteilungder Türkei 1912-1914 c) Zwischen St. Petersburg und Berlin. Zur englischen Politik in der Liman von Sanders-Krise 1913/14 III. Politische Verständigung durch Einigung in wirtschaftlichen Fragen. Zur Beseitigung der „schwersten außenpolitischen Belastung" des deutschenglischen Verhältnisses vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges a) Die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der Türkei über die Bagdadbahn und den Persischen Golf 1911-1913 b) „Do ut des". Die deutsch-englischen und deutsch-französischen Verhandlungen der Jahre 1913/14 und das Abkommen zwischen der Deutschen und der Ottomanbank vom 15.Februarl914 Exkurs: Der Konkurrenzkampf verschärft sich. Die deutschen Firmen und Banken und das Problem der türkischen Anleihe im Frühjahr 1914 c) „Tragische Ironie"? Zur Installierung des deutsch-englischen Vertragswerkes über die orientalische Peripherie und zur Lage der deutschen Türkenpolitik vor Kriegsausbruch
XI
359 366
374 375 380 392 399
Schlußbetrachtung: Imperialismus und Gleichgewicht. Die deutsche Orientpolitik und das System der internationalen Beziehungen im Zeitalter des Imperialismus
417
Anhang
442
Dokumente
442
Quellen- und Literaturverzeichnis
475
Personenregister
496
Abkürzungsverzeichnis Im folgenden sind nur die häufiger vorkommenden, in den Anmerkungen benutzten Abkürzungen aufgeführt. Die Abkürzungen bzw. Signaturen der einzelnen Archivbestände finden sich im Quellenverzeichnis. AA ADM BA BA/MA BayHStA BD Benckendorff 1-3 BL BMH BT CAB DDF Diss. EHR FO GP GStA H A Krupp Hatzfeldt 1-2 Holstein 1-4 HZ IBZI IO Iswolski 1—4 NL ÖU
Auswärtiges Amt Admiralty Bundesarchiv Koblenz Bundesarchiv/Militärarchiv Freiburg i.B. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München Die Britischen Amtlichen Dokumente über den Ursprung des Weltkrieges Graf Benckendorffs Diplomatischer Schriftwechsel British Library London Berliner Monatshefte Board of Trade Cabinet Documents Diplomatiques Francis Dissertation (maschinenschriftlich bzw. Dissertationsdruck) The English Historical Review Foreign Office Die Große Politik der Europäischen Kabinette Geheimes Staatsarchiv Berlin-Dahlem Historisches Archiv der Friedr. Krupp G m b H Essen Botschafter Paul Graf von Hatzfeldt, Nachgelassene Papiere Die Geheimen Papiere Friedrich von Holsteins Historische Zeitschrift Die Internationalen Beziehungen im Zeitalter des Imperialismus India Office Der Diplomatische Schriftwechsel Iswolskis* Nachlaß Österreich-Ungarns Außenpolitik von der Bosnischen Krise bis zum Kriegsausbruch 1914
* In der Darstellung wird bei Orts- und Personennamen prinzipiell die Schreibweise der ,,Große[n] Politik der Europäischen Kabinette" übernommen ( z . B . „ I s w o l s k y " ) . Zitate folgen grundsätzlich und auch dann der im Original bzw. der Vorlage gewählten Schreibweise, wenn diese von der ,,Große[n] Politik" abweicht ( z . B . „ I s w o l s k i " in der Edition seines Diplomatischen Schriftwechsels). Das gilt auch für den Fall, d a ß - w i e z . B . in den Randbemerkungen Wilhelms II. zu den Akten des Auswärtigen Amtes - die Schreibweise eines Dokuments selbst nicht einheitlich ist.
XIV ΡΑ / Α Α PRO RMA RT Schulthess Staatsarchiv
Abkürzungsverzeichnis Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Bonn Public Record Office London Reichsmarineamt Stenographische Berichte des Deutschen Reichstages Schulthess' Europäischer Geschichtskalender Das Staatsarchiv (Sammlung der officiellen Aktenstücke)
Einleitung In seiner wegweisenden Studie über „Gleichgewicht oder Hegemonie" hat Ludwig Dehio 1948 die Bedeutung der englischen Maxime der „balance of power" für die europäische Entwicklung namentlich im 19. und 20. Jahrhundert untersucht und unter der Perspektive eben dieser Maxime auch die durch die deutsche Reichsgründung 1864-1871 in Europa geschaffene Situation einer scharfsinnigen Analyse unterzogen. Dehio sah in der Beziehung des Deutschen Reiches zu Großbritannien nach 1871 die neue Version einer seit der Zeit Philipps II. für Europa charakteristischen Entwicklung, die sich durch den geradezu zwangsläufigen „Zusammenstoß der jeweiligen Vormacht des alten Kontinentes" mit dem oder den Trägern der „westlichen Seemacht" auszeichnete 1 . Selbst wenn man von der im ganzen wohl zutreffenden Annahme ausgeht, daß es in der auf die Reichsgründung folgenden Zeit, auch in der mit Wilhelm II. beginnenden Ära deutscher Weltmachtpolitik, nicht das Ziel Deutschlands gewesen ist, die „beneidete englische Seesuprematie zu beerben" 2 , so ist doch gleichwohl unverkennbar, daß England im Bau der deutschen Schlachtflotte, in der wirtschaftlichen Prosperität des Reiches und in seinem Ausgreifen nach Ubersee und namentlich in den Vorderen Orient den innersten Kern eben jener aus der Gleichgewichtstheorie folgenden und für die eigene Existenz als Weltmacht für lebenswichtig befundenen Suprematie bedroht sehen mußte, zumal alsbald offensichtlich wurde, daß, wie Fritz Wagner 1947 zutreffend ausgeführt hat, das „neue starke Reich, das die ohnmächtige Mitte Europas urplötzlich ausfüllte,... nicht geeignet zum britischen Festlandsdegen" schien 3 . Mithin wurde Deutschland um die Jahrhundertwende für die Inselmacht zu einem Gegner, dessen Bedeutung derjenigen Spaniens im 16. und Frankreichs seit dem 17. Jahrhundert vergleichbar war. Und es kann kaum ein Zweifel bestehen, daß England nach 1871 und insbesondere seit der Jahrhundertwende für den Fall eines kommenden Krieges und eines möglichen deutschen Sieges über seine beiden kontinentalen Nachbarn Frankreich und Rußland mit der „Konfrontation des dann unter Deutschlands Führung zusammengefaßten Kontinents mit der Inselmacht", also mit einer „Wiederholung der Napoleonischen Situation" rechnen mußte*. Die Deutschen, so notierte dann auch Reginald Viscount Esher, einflußreiches Mitglied des britischen Committee of Imperial Defence, im Dezember 1907,, .proceed unabashed on their way, and have their objectives clearly in view. The German prestige, rising steadily on the continent of Europe, is more formida1
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Ludwig Dehio, Gleichgewicht oder Hegemonie. Betrachtungen über ein Grundproblem der neueren Staatengeschichte, Krefeld o . J . [1948], S . 2 0 1 . E b d . , S.202. Fritz Wagner, England und das Europäische Gleichgewicht 1500-1914, München 1947, S . 4 9 . Andreas Hillgruber, Zwischen Hegemonie und Weltpolitik. Das Problem der Kontinuität von Bismarck bis Bethmann Hollweg, in: Michael Stürmer (Hrsg.), D a s kaiserliche Deutschland. Politik und Gesellschaft 1870-1918 (1970), Kronberg/Ts. 1977, S . 1 8 8 .
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Einleitung
ble to us than Napoleon at his apogee"5. Und eben diese Aussicht war es, die notwendig dahin führte, daß England geradezu „instinktiv" das Netz seiner Ententen um Deutschland spann, ja, daß es selbst mit seinem Erzrivalen Rußland ein Bündnis einging, ein Schritt, der ihm nicht zuletzt durch die deutsche Orientpolitik erleichtert wurde6. Wie aber konnte die orientalische Frage, die für Preußen-Deutschland bis 1878 nur insofern von Interesse war, als es qua Mitgliedschaft im 1815 geschaffenen „Konzert" der europäischen Mächte formell auch an den die orientalischen Angelegenheiten regelnden Kongressen und Konferenzen, wie z.B. dem Londoner Meerengenabkommen vom 13. Juli 1841 oder dem den Krimkrieg beendenden Pariser Friedenskongreß von 1856, beteiligt war, wie also konnte die orientalische Frage zu einem zentralen Problem für die Beziehungen des Deutschen Reiches zu seinen europäischen Nachbarn werden? Die Antwort kann nicht ohne eine Betrachtung der europäischen Situation nach 1871 im allgemeinen, der Außenpolitik Bismarcks im besonderen gefunden werden, zu deren wesentlichsten Bestandteilen seine zuletzt vor allem durch Andreas Hillgruber noch einmal zur Darstellung gebrachte „Strategie" zu zählen ist, die „Interessen der übrigen Großmächte gegeneinander zu lenken und die Spannungen insgesamt von der Mitte an die Peripherie Europas zu dirigieren, später dann auch die sich aus dem imperialistischen Ausgreifen der Großmächte ergebenden Gegensätze zwischen ihnen in Afrika und Asien auszunutzen"7. Daß eine solche Strategie überhaupt Chancen hatte, realisiert zu werden, ist wohl auch auf den Umstand zurückzuführen, daß - wie Theodor Schieder ausgeführt hat - der „Spielraum der Diplomatie" desto größer wurde, je mehr „sich die europäischen Mächte in einen Wettlauf um die Beherrschung der außereuropäischen Welt stürzten" 8 . Und es war zweifellos ein für das Deutsche Reich günstiger Umstand, daß es in Bismarck einen Staatsmann besaß, der diesen Spielraum souverän zu nutzen verstand. Freilich enthielt dieses durch Bismarck bewußt geförderte „allmähliche . . . Hinauswachsen" des Staatensystems „über die Grenzen Europas . . . an die Peripherie der zivilisierten Welt", wie Otto Hintze schon 1915 formulierte, eine vom ersten Kanzler des jungen Deutschen Reiches kaum in ihrem ganzen Ausmaß erfaßte Gefahr, nämlich die Gefahr der „Rückwirkungen überseeischer und weltpolitischer Verwicklungen" auf das Zentrum Europas, die „Gefahr eines konzentrischen Druckes" vornehmlich auf das in der Mitte des Kontinents gelegene Deutsche Reich 9 . Diese insbesondere vom Orient gleichsam bis an die deutschen Grenzen verlängerten Spannungen wurden für die deut-
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Reginald Viscount Esher, Journals and Letters, hrsg. von Maurice V. Brett und Oliver Viscount Esher (4 Bde., London 1934-1938), Bd.2, S.267. Dehio, Gleichgewicht oder Hegemonie, S. 206. Andreas Hillgruber, Bismarcks Außenpolitik, Freiburg 1972, S.237. Theodor Schieder, Staatensystem als Vormacht der Welt 1848-1918, Propyläen Geschichte Europas, Bd. 5, Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1977, S.241. Otto Hintze, Die Hohenzollern und ihr Werk. Fünfhundert Jahre vaterländischer Geschichte, Berlin 1915, S.651 und 682. Ähnlich gab z . B . Helmuth Rogge zu bedenken (Bismarcks Kolonialpolitik als außenpolitisches Problem, in: Historische Vierteljahrschrift 21 [1922-23], S.443), „daß das auf Deutschland drückende Schwergewicht der Großmächte aus seinen Schwingungen über Europa hinaus mit immer stärkerem Druck, gleichsam draußen neu beladen, nach der Mitte Europas zurückkehrte". Und Alexander Novotny definierte das „Zeitalter des Imperialismus" als eine, .Periode der Weltkonflikte, die von Europa ausgehend, den ganzen Planeten erfüllen und doch auch wieder auf Europa zurückwirken sollten" (Der Berliner Kongreß und das Problem einer europäischen Politik, in: H Z 186 [1958], S.287).
Einleitung
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sehe Politik solange nicht zu einem schwerwiegenden Problem, als es der politischen Führung, und das hieß bis 1890 wesentlich Bismarck, gelang, sich trotz der seit 1879 faktisch vollzogenen Bindung an Österreich-Ungarn nicht selbst in den orientalischen Angelegenheiten zu engagieren, jedenfalls nicht politisch. Das änderte sich mit der spätestens seit 1894/97 inaugurierten und - nimmt man das Beispiel Orient - auch praktizierten „Weltpolitik". Mit seinem nach 1890/98 stetig zunehmenden politischen Engagement namentlich in der asiatischen Türkei begab sich das Deutsche Reich gewissermaßen freiwillig in das Zentrum der Spannungen, ja, verschärfte es die vornehmlich durch den englisch-russischen Interessengegensatz im Nahen und Mittleren Osten geprägte Situation noch zusätzlich. Hatte sich Deutschland so einerseits „gleichsam zwischen den russischen und den englischen Einflußbereich vorgeschoben und die traditionellen Spannungen Englands zu Rußland in diesem Raum übernommen" 10 , so gelang es der deutschen Diplomatie andererseits nicht, diese Spannungen vor allem während der Jahre 1898-1901 durch ein Arrangement mit einer oder beiden Seiten zur Stärkung der eigenen Position zu nutzen. Vielmehr setzten solche Versuche erst ein, als sich England und Rußland ihrerseits 1907 grundsätzlich über eine Abgrenzung ihrer Interessen an der orientalischen Peripherie geeinigt hatten. Die nunmehr unter dem Druck der orientalischen Ereignisse (bosnische Annexionskrise, jungtürkische Revolution und Sturz des Sultans Abdul Hamid) seit 1908/09 vor allem von deutscher und englischer Seite vorangetriebenen Bemühungen um eine Verständigung in den orientalischen Angelegenheiten dienten erklärtermaßen dem' doppelten Ziel einer Abgrenzung der europäischen Interessen im Orient auf der Basis des status quo und (damit) der Erhaltung des in Europa selbst gefährdeten Gleichgewichts der Mächte an der Peripherie. Es mag erstaunen, daß solche Bemühungen zur Erhaltung des europäischen Gleichgewichts ausgerechnet auf einem Gebiet unternommen wurden, das angesichts der hier versammelten wirtschaftlichen und politischen Interessen zu den sensibelsten der europäischen Vorkriegspolitik zu zählen ist, der Sphäre der sogenannten imperialistischen Expansion der europäischen Mächte n ä m l i c h D a s Deutsche Reich hatte ja - abgesehen von einem unter Bismarck 1884/85 erfolgten Zwischenspiel - bis 1897/98 im wesentlichen abseits dieser Vorgänge gestanden. Mit seiner am 6. Dezember 1897 im Reichstag vorgetragenen Forderung nach einem deutschen „Platz an der Sonne" meldete der Staatssekretär des Äußeren, Bernhard von Bülow, dann ja bekanntlich auch den deutschen Anspruch auf Teilnehmerschaft an diesem mit der sogenannten Kristallpalastrede des dama10
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Hillgruber, Zwischen Hegemonie und Weltpolitik, S. 199; vgl. bereits Wolfgang Windelband, Die Bedeutung von Bosporus und Dardanellen für die Politik der Großmächte, in: ders., Gestalten und Probleme der Außenpolitik. Reden und Aufsätze zu vier Jahrhunderten, Berlin/Essen/Leipzig 1937, S.83. Unter „Imperialismus" wird im folgenden gemäß der klassischen Definition von Heinrich Friedjung der „Drang der Völker und der Machthaber" verstanden, der Drang „nach einem wachsenden Anteil an der Weltherrschaft, zunächst durch überseeischen Besitz. Diese Begriffsbestimmung ist aber durch das Merkmal zu ergänzen, daß der Trieb zu klarem Bewußtsein gediehen, zur Richtschnur des Handelns erhoben worden ist." (Heinrich Friedjung, Das Zeitalter des Imperialismus 1884-1914 [3 Bde., Berlin 1919-1922], Bd. 1, S. 5) Über die einzelnen Imperialismustheorien, zu denen die vorliegende Untersuchung keine weitere beizusteuern beabsichtigt, informiert zuverlässig Wolfgang J. Mommsen, Imperialismustheorien. Ein Überblick über die neueren Imperialismusinterpretationen, Göttingen 1977.
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Einleitung
ligen britischen Oppositionsführers, Benjamin Disraeli, am 24. Juni 1872 eingeläuteten Unternehmen an 1 2 . Doch sah sich die deutsche Regierung nunmehr dem Dilemma konfrontiert, daß die koloniale Inbesitznahme der Erde weitgehend abgeschlossen und die noch nicht von einer europäischen Macht formell besetzten Gebiete - vor allem China, Marokko und die asiatische Türkei - kaum mehr als potentielle Objekte einer imperialistischen Expansion klassischen Stils gelten konnten, da sich jeweils mehrere, wenn nicht alle europäischen Mächte an diesen Gebieten interessiert zeigten: „ D i e G r ü n d e " , so schrieb einer der besten Kenner der orientalischen Verhältnisse, der langjährige deutsche Botschafter in Konstantinopel, Freiherr Marschall von Bieberstein, im Juni 1912 an das Auswärtige A m t 1 3 , „aus denen die Türkei die gegenwärtige Krise bisher relativ gut überstanden hat, sind schliesslich dieselben, welche ihren Bestand im ganzen letzten Jahrhundert garantiert haben, nämlich die Eifersucht der Grossmächte, welche eine Abänderung des status quo in diesen politisch u n d wirtschaftlich gleich wichtigen Gebieten nicht dulden wollen." Tatsächlich blieben seit den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts - wollte man es nicht auf einen Konflikt ankommen lassen - nur zwei Wege f ü r eine koloniale Inbesitznahme bis dahin noch unverteilter Gebiete offen, nämlich entweder die gleichzeitige Festsetzung aller interessierten Mächte (wie 1897/98 in China) oder die formelle Inbesitznahme durch eine Macht unter der Bedingung eines stillschweigenden Einverständnisses der übrigen (wie bei der italienischen Okkupation Libyens 1911/12). Alle anderen Wege führten offenbar, wie das Beispiel der deutschen Marokkopolitik der Jahre 1905 und 1911 zeigt, unweigerlich in den Konflikt. D o c h auch in Gebieten, in denen von formeller Kolonisation keine Rede sein konnte, wie etwa im Osmanischen Reich, schien eine konfliktfreie Betätigung mehrerer Mächte kaum möglich. So sah beispielsweise England seinen Indien· und Mesopotamienhandel sowie seine strategische Position am Persischen Golf durch das seit 1888/89 beständig wachsende deutsche Engagement in der Türkei zunehmend bedroht und das Reich sein wichtigstes Projekt auf dem Gebiet der imperialistischen Betätigung, die Bagdadbahn nämlich, infolge der starren englischen Haltung namentlich in der Frage der Erhöhung des türkischen Zolltarifs und damit der Finanzierung dieses Unternehmens gefährdet. War also die Wahrung der jeweiligen Interessen weder durch eine formelle Inbesitznahme strategisch oder wirtschaftlich wichtiger Territorien noch überhaupt (mehr) aus eigener Kraft zu leisten, und wollte man es nicht auf einen Konflikt ankommen lassen, wie er etwa aus dem Versuch einer Okkupation wirtschaftlich oder strategisch wichtiger Teile der asiatischen Türkei notwendig hätte erwachsen müssen, so blieb in der gegebenen Situation nur eine Alternative: Das in Europa selbst - und nicht zuletzt durch die deutschen Flottenpläne - ja bereits erheblich ins Wanken geratene, an der Peripherie zwar durch die geschilderte Patt-Situation der Mächte faktisch noch bestehende, gleichwohl durch den sich verschärfenden Konkurrenzkampf vor O r t latent gefährdete Gleichgewicht der Mächte mußte wenigstens dort, an der Peripherie, durch einen möglichst alle Seiten befriedigenden Interessenausgleich erhalten werden. Mehr noch, es galt durch eine geglückte, vor allem zwischen dem Deutschen Reich und Großbritannien erzielte Verständigung in „peripheren" Fragen (Bagdadbahn, portugiesische Kolonien in Afrika) 12 13
RT, Bd. 159. PA/AA, I Α Deutschland 128, Nr. 5 secr., Bd.3.
Einleitung
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womöglich auch zu einer Wiederherstellung des Gleichgewichtszustandes in der Mitte Europas selbst, also von der „balancing of power" wieder zur „balance of power" 1 4 zu gelangen. Freilich bedurfte es ganz offensichtlich allererst einer so tiefgreifenden Krise wie derjenigen des Jahres 1911 um Marokko, um auch in Deutschland der Überzeugung von der Notwendigkeit eines solchen Arrangements zum Durchbruch zu verhelfen. Seit der Krise des Jahres 1911 nämlich setzte sich bei einsichtigen Diplomaten, Politikern und Publizisten auf beiden Seiten des Kanals die seit 1909 immer wieder ventilierte, allerdings ebensooft verworfene bzw. an den bestehenden Verhältnissen gescheiterte Ansicht durch, daß es - gleichsam in umgekehrter Richtung - möglich sein müsse, ja, angesichts der verfahrenen Situation in Europa einzig noch möglich sei, durch eine Verständigung in jenen „peripheren" Fragen schließlich auch wieder zu einer Verständigung im Zentrum Europas selbst zu gelangen, das Gleichgewicht der Mächte also zunächst einmal dort wieder zu stabilisieren, wo es als Folge ihres imperialistischen Ausgreifens nachhaltig erschüttert worden war: an der Peripherie 15 . Eine solche Strategie setzte jedoch im Falle des deutsch-englischen Verhältnisses voraus, daß sich bei unterschiedlicher Sichtweise dessen, was unter „Gleichgewicht" zu verstehen sei, trotz grundsätzlicher Kompromißbereitschaft auf beiden Seiten eine Konzeption durchsetzen mußte. Das konnte in der Situation nach 1911, die ja durch den auf Deutschland lastenden Druck der Marokkokrise charakterisiert war, nur die durch die britischen Interessen bestimmte englische Sicht der „balance of power" sein. Diese besagte im Kern, daß England, um „den überseeischen Aufgaben . . . gerecht werden zu können", auf dem Kontinent eine Gleichgewichtspolitik betreiben müsse, die „im Grunde eine indirekte Herrschaft über Europa" implizierte 16 . Diese Politik aber Schloß spätestens seit 1904 die Kontrolle über ein von der Inselmacht wesentlich mitgestaltetes Bündnissystem und damit die Kontrolle über politische Veränderungen nicht nur in Europa, sondern auch an seiner Peripherie ein. Um die Dominanz und damit das Gleichgewicht englischer Vorstellung gemäß restituieren zu können, verblieb aber in der gegebenen, durch die - nicht zuletzt wegen , peripherer" Fragen - verhärteten Fronten im Zentrum Europas ausgezeichneten Situation seit 1911/12 nur die Möglichkeit, über einen im ganzen fairen, gleichwohl aber die „essentials" der „British Interests" 1 7 wahrenden Ausgleich an der Peripherie zu einem allmählichen Ausbalancieren der Kräfte in Europa selbst zu gelangen. Ein solcher Ausgleich hatte mithin aus englischer Sicht den doppelten Vorteil, daß man, den auf Deutschland lastenden allgemeinen Druck ausnutzend, die eigene Position an der Peripherie festigen, ja - wie namentlich in dem die orientalische Peripherie betreffenden Vertragssystem des Jahres 1914 - ausbauen und auf der somit gesi-
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Charles Webster, The Art and Practice of Diplomacy, London 1961, S.24. Vgl. Gregor Schöllgen, Richard von Kühlmann und das deutsch-englische Verhältnis 1912-1914. Zur Bedeutung der Peripherie in der europäischen Vorkriegspolitik, in: H Z 230 (1980), S. 293ff. Klaus Hildebrand, Von der Reichseinigung zur ,,Krieg-in-Sicht"-Krise. Preußen-Deutschland als Faktor der britischen Außenpolitik 1866-1875, in: Stürmer, Das kaiserliche Deutschland, S.212. Vgl. dazu Klaus Hildebrand, „British Interests" und ,,Pax Britannica". Grundfragen englischer Außenpolitik im 19. und 20. Jahrhundert, in: H Z 221 (1975), S. 623 ff., s o w i e - i n Anlehnung an Hildebrand - Klaus Wormer, Großbritannien, Rußland und Deutschland. Studien zur britischen Weltreichpolitik am Vorabend des Ersten Weltkriegs, München 1980, S.27ff.
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Einleitung
cherten Basis in Übersee nunmehr auch wieder die für ihre Erhaltung notwendige Klärung des Verhältnisses zum Deutschen Reich in den europäischen Fragen selbst in Angriff nehmen konnte. Es zeigte sich jetzt also auch, daß eine Annäherung zwischen Deutschland und England nach der Jahrhundertwende nicht mehr über ein allgemeines Bündnis, wie es die deutsche Regierung seit 1909 immer wieder anstrebte, sondern nur schrittweise, also auf dem Wege erreichbar war, durch Absprachen über vor allem auf dem Gebiet der imperialistischen Expansion angesiedelte Einzelfragen (Bagdadbahn, portugiesische Kolonien in Afrika) zu einer allgemeinen Verständigung zu gelangen, die zunächst einmal im Abbau des sehr tiefsitzenden beiderseitigen Mißtrauens bestand. Damit trat der für das Scheitern der deutsch-englischen Bündnisverhandlungen der Jahre 1898/1901 entscheidend verantwortliche „Interessenunterschied zwischen einer Weltmacht, die sich an der Peripherie ihres Reiches Erleichterung schaffen wollte, und einer europäischen Großmacht, die das Zentrum ihres Daseins in Europa sichern mußte" 1 8 , in den Hintergrund. Denn eben diese Erhaltung der Existenz war jetzt, da die Bismarcksche Sicherungspolitik durch die „weltpolitischen" Ambitionen des Deutschen Reiches grundsätzlich gefährdet war, überhaupt nur noch über den „ U m w e g " einer den Interessen der britischen „Weltmacht" entgegenkommenden Verständigung an der Peripherie möglich. Das setzte freilich voraus, daß die Politiker, die diesen Kurswechsel der deutschen Politik zu verantworten hatten, jedenfalls stillschweigend anerkannten, daß sich die deutsche Weltmachtpolitik, wollte sie als solche eine Berechtigung haben und nicht zu einer Bedrohung der Existenz des Deutschen Reiches in Europa selbst werden, mit der Rolle eines „JuniorPartners" der Inselmacht begnügen müsse. Im folgenden soll dieser Vorgang am Beispiel der orientalischen Frage der Jahre 1871-1914 analysiert und dargestellt werden. Die Darstellung wird im wesentlichen chronologisch verfahren. Lediglich bei der Rekonstruktion sich überschneidender Ereignisse an der orientalischen Peripherie, namentlich in den Jahren 1908-1912, wird dieses Prinzip zugunsten einer systematischen Gliederung hintangestellt, zumal dann, wenn die sich im Orient abspielenden Ereignisse mit für den Gang der Verhandlungen wichtigen Vorgängen in Europa selbst zusammenfallen. Das erste Kapitel (A) wird im Rahmen der Rekonstruktion einiger Grundzüge der „Orientpolitik" Bismarcks nach deren leitender Maxime und vor diesem Hintergrund nach der Bedeutung der noch unter dem ersten Reichskanzler erfolgten Grundsteinlegung des deutschen wirtschaftlichen und militärischen Engagements in der Türkei zu fragen haben. Der nächste Schritt (Kapitel B) gilt der Darstellung jener Epoche des Kaiserreichs, in welcher der - freilich nur halbherzig unternommene - Versuch einer Abkehr von den überkommenen Maximen der Bismarckschen Politik deutlich die deutsche Außenpolitik bestimmte, ohne daß ein neues, jedenfalls ein erkennbares Konzept entwickelt worden wäre, es sei denn, „freie H a n d " sowohl bei der Gestaltung der Außenpolitik als auch bei der Einrichtung entsprechender Bündnisse zu haben. Diese letztendlich unberechenbar zwischen der englischen und der russischen Option oszillierende Politik wird namentlich im Spiegel der orientalischen Ereignisse zu untersuchen sein.
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Werner Frauendienst, Das Deutsche Reich von 1890 bis 1914, Konstanz 1964, S. 125, zitiert nach Andreas Hillgruber, Deutschlands Rolle in der Vorgeschichte der beiden Weltkriege, Göttingen 2 1979, S.21.
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Im Zentrum des Kapitels C steht die sich daraus ergebende Frage, wie der jene Phase weitgehender außenpolitischer Orientierungslosigkeit in gewisser Weise beendende Entschluß der deutschen Regierung zu „weltpolitischer" Betätigung in aktive Orientpolitik umgesetzt worden ist. Die Analyse hat hier den Zeitraum von der zweiten Orientreise des Kaisers und der Vorkonzession der Bagdadbahn 1898/99 bis hin zur Unterzeichnung des definitiven Konzessionsvertrages im Jahre 1903 zu umfassen, die ja dann nicht nur zum wichtigsten (Prestige-)Projekt der deutschen „Weltpolitik" - und dies um so mehr, je deutlicher sich deren Erfolglosigkeit in anderen Regionen abzuzeichnen begann - , sondern auch und nicht zuletzt deshalb zu einem wesentlichen Anlaß für die Weigerung zunächst der englischen Öffentlichkeit und schließlich auch der britischen Regierung wurde, sich an diesem Unternehmen zu beteiligen. Die nicht unwesentlich hierdurch bedingte und in der Folgezeit, insbesondere seit 1905/06, auch auf anderen Gebieten offenkundig werdende zunehmende Isolierung des Deutschen Reiches „ i n der Welt" war dann ihrerseits wiederum mitverantwortlich für den Entschluß der deutschen Regierung, ihre Ziele, auch die im Rahmen der Orientpolitik gesteckten, nunmehr und gewissermaßen dieser Tendenz zum Trotz „ i m Alleingang" zu erreichen. Diese vergleichsweise erfolgreiche Phase deutscher Orientpolitik (1904-1908), die im Kapitel Ε zur Darstellung gebracht wird, hatte nun unter anderem unmittelbar zur Folge, daß sich die traditionellen Erzrivalen England und Rußland angesichts einer gemeinsam empfundenen Bedrohung ihrer orientalischen Interessen über eben diese verständigten. War diese Konvention in deutschen Augen und zumal als Ergänzung der englischfranzösischen Entente des Jahres 1904 wegen des darin vermuteten Entschlusses zur „Einkreisung" des Deutschen Reiches, auch an der orientalischen Peripherie, schon bedenklich genug, so mußten die mit der jungtürkischen Revolution „emporkommenden selbständigen Tendenzen" (Ranke) die deutsche Orientpolitik grundsätzlich gefährden und ihren in vieler Hinsicht erfolgreichen „Alleingang" zumindest deutlich verlangsamen. Tatsächlich leiteten sie dann auch jene „Politik der Verlegenheit" ein, die für die deutsche Politik der Jahre 1908-1912 im ganzen charakteristisch ist und der sich das Kapitel F widmen wird. Diese „Verlegenheit" zeigte sich vor allem darin, daß das Reich eo ipso für die Aktionen seiner Bündnispartner Österreich-Ungarn in Bosnien und der Herzegowina (1908/09) und Italien in der Cyrenaika (1911/12) mitverantwortlich gemacht wurde. Immerhin hatte diese - ihrer zunehmenden und in den Ereignissen der zweiten Marokkokrise kulminierenden Isolierung korrespondierende - , , Verlegenheit" der deutschen Politik unter anderem zur Folge, daß man jetzt, und bereits mit dem Amtsantritt Bethmann Hollwegs erkennbar, nach einer neuen Konzeption für die deutsche Außenpolitik zu suchen begann, die erstens über den Willen, „Weltpolitik" zu betreiben, hinausging und zweitens der sich allmählich durchsetzenden Erkenntnis gerecht wurde, daß deutsche Politik, zumal „ i n der Welt", nicht gegen Großbritannien zu treiben war. Die Entwicklung und Realisierung dieses „ K o n z e p t e s " ist Gegenstand des letzten Kapitels (G) der vorliegenden Untersuchung. Ausgehend von der einleitend skizzierten Einsicht, daß die nunmehr dringend erwünschte Wiederherstellung des Gleichgewichts der Mächte in Europa nicht durch eine deutsch-englische Verständigung in den „zentralen" Fragen eines Flotten- bzw. politischen Abkommens zu erreichen war, wurde diese konsequenterweise dort in Angriff genommen, wo die Balance nachhaltig gestört worden war, an der Peripherie nämlich, namentlich der orientalischen. Hatte sich das Deutsche Reich bereits 1911 mit Rußland einigen können, so kam es Anfang des Jahres 1914 auch
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zu einem Interessenausgleich mit Frankreich und wenig später vor allem mit England. Eben dieses Abkommen sollte aber nicht zuletzt und zusammen mit dem bereits 1913 abgeschlossenen über eine Aufteilung der portugiesischen Kolonien in Afrika dazu beitragen, jenes Gleichgewicht der Mächte wiederherzustellen, das durch das imperialistische Ausgreifen des Reiches, insbesondere an die orientalische Peripherie, so nachhaltig erschüttert worden war. Die sich daraus ergebende zentrale Frage nach der Berechtigung bzw. der - gewissermaßen bereits in seiner „Geburt" angelegten - Notwendigkeit des „newcomer" unter den europäischen Großmächten zu imperialistischer Betätigung im allgemeinen, „weltpolitischer" Betätigung an der orientalischen Peripherie im besonderen, diese Frage gilt es nach einer die Erfolge und Rückschläge deutscher Orientpolitik auf ihrem vorläufigen Höhepunkt bilanzierenden Zwischenbetrachtung (Kapitel D) in der Schlußbetrachtung wieder aufzunehmen und einer gleichzeitig die Ergebnisse der Untersuchung noch einmal resümierenden kritischen Prüfung zu unterziehen. Daß die vorliegende Untersuchung die für die europäische Entwicklung - und nicht nur für diese - in vieler Hinsicht schicksalhaften deutsch-englischen Beziehungen insbesondere an der orientalischen Peripherie zum Thema hat, schließt nicht aus, ja, setzt vielmehr gerade voraus, daß sie sich sowohl bei der thematischen Disposition als auch im Verlauf der Darstellung und Analyse von der schon durch die äußeren Daten vorgegebenen Entwicklung einer Seite leiten lassen muß. Diese ist im vorliegenden Falle die deutsche (Orient-)Politik. Die sehr wesentlich an den Etappen der Planung und Konzessionierung sowie des Baues und der teilweisen Inbetriebnahme der Bagdadbahn orientierte Gliederung läßt bereits deutlich werden, daß im Zentrum der Untersuchung eben jenes Unternehmen steht, das „schon im Projektstadium eine Sache der Weltpolitik" war 19 und das die deutsche Orientpolitik von der Konzessionierung seiner ersten Teilstrecke, der Anatolischen Eisenbahn, in den Jahren 1888/89 bis hin zum deutsch-englischen Abkommen im Juni 1914 wie ein roter Faden durchzieht. Daß die Darstellung dabei nicht auf eine Analyse seiner wirtschaftlichen bzw. finanziellen Aspekte beschränkt werden kann, versteht sich ebensosehr von selbst wie der im Verlauf der Untersuchung einzulösende Anspruch, die Analyse des wirtschaftlichen oder militärischen Engagements des Deutschen Reiches in der Türkei nicht auf diese Bahn einzugrenzen. Ebenso wird sich der Versuch, die politische Dimension der deutschen Orientpolitik auszuloten, natürlich nicht mit der Untersuchung der durch das wirtschaftliche Engagement entscheidend mitbedingten Beziehungen Deutschlands zu den anderen Mächten und namentlich zu Großbritannien begnügen können. Vielmehr gilt es etwa das ständig akute Balkanproblem oder die Frage der griechischen Inseln, insbesondere Kretas, ebenso (und zwar als sich der deutschen Türkeipolitik immer wieder stellende An- bzw. Uberforderung) zu berücksichtigen wie ζ. B. die Frage der Reformen in Armenien und insbesondere in Mazedonien, Probleme also, deren Klärung sowohl geeignet ist, die Motive der bis 1914 entschieden ihre ausschließlich wirtschaftlichen Interessen betonenden deutschen Orientpolitik zu erhellen als auch das zusehends durch jene Probleme mitgestaltete Verhältnis der Mächte zueinander - und eben nicht nur an der orientalischen Peripherie - transparent zu machen. 19
Ekkehard Eickhoff, Brücke über den Bosporus. Beobachtungen zum deutsch-türkischen Verhältnis, in: Hartmut von Hentig/August Nitschke (Hrsg.), Was die Wirklichkeit lehrt. Golo Mann zum 70. Geburtstag, Frankfurt a . M . 1979, S.90.
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Damit ist bereits angedeutet, daß zwar das deutsch-englische Verhältnis im Vordergrund der Analyse steht, daß sich die Untersuchung aber nicht auf diesen bilateralen Ansatz beschränken kann. Vielmehr gilt es das Verhältnis des Deutschen Reiches zu den Dreibundpartnern ebenso zu berücksichtigen wie dasjenige zu Frankreich und insbesondere zu Rußland, jedenfalls insoweit es durch die orientalischen Ereignisse tangiert und damit nicht selten zu einem Auslöser von in der Regel spannungsreichen Vorgängen in Europa selbst wurde. Die vorliegende Arbeit, die in weiten Teilen - etwa in den Kapiteln C.I, D oder E.I - nicht zuletzt um eine Darstellung der durch die deutsche Politik selbst mitbestimmten bzw. -bedingten internationalen Rahmenbedingungen deutscher „Weltpolitik" bemüht ist, versteht sich mithin auch als Beitrag zu einer noch ausstehenden Geschichte der Außenpolitik des Kaiserreichs. Die Grundlage dieses Unternehmens bilden in erster Linie die Akten der Politischen Abteilung des deutschen Auswärtigen Amtes und des britischen Foreign Office. Bekanntlich sind diese in der Zwischenkriegszeit in umfangreichen Aktenpublikationen ediert worden. Um dieser - in der jüngeren Forschung häufig ignorierten - Tatsache gerecht zu werden, basiert die folgende Untersuchung maßgeblich auf den in der ,,Große[n] Politik der Europäischen Kabinette" (1871-1914) und den,,Britischen Amtlichen Dokumente[n] über den Ursprung des Weltkrieges" (1898-1914) veröffentlichten Dokumenten. Unveröffentlichtes Material des Auswärtigen Amtes und des Foreign Office wurde in den - natürlich nur durch den Vergleich der gedruckten mit den ungedruckten Akten feststellbaren - Fällen herangezogen, in denen die genannten Editionen entweder kein Material enthalten oder unvollständig sind. Daß sich bei diesem mühsamen, aber der korrekten Arbeitsweise des Historikers entsprechenden Vergleichsverfahren gelegentlich einmal das Mißgeschick einschleichen mag, ein bereits gedrucktes Dokument als noch nicht gedrucktes auszuweisen, wird der mit dem entsprechenden Material vertraute Leser nachsehen: Immerhin ist - in vieler Hinsicht aufschlußreich - ζ. B. der Bestand „Türkei" der Akten des Auswärtigen Amtes der umfangreichste, umfangreicher etwa als der Fundus „England" oder der Bestand „Rußland", die ja ebenso berücksichtigt werden müssen wie zahlreiche andere mehr. Ebenso läßt die kaum mehr überschaubare Literatur zu Themen, die in weiterem oder engerem Zusammenhang mit dem der vorliegenden Arbeit stehen, nur schwerlich eine angemessene Prüfung der Frage zu, ob eines der zahllosen ungedruckten Dokumente bereits einmal an anderer Stelle ganz oder auszugsweise zitiert bzw. erwähnt ist. In den Fällen, in denen eine solche Verwendung eines auch hier zitierten Aktenstücks festgestellt wurde, findet sich ein entsprechender Hinweis. Natürlich kann sich die Darstellung· der deutschen wie der englischen Orientpolitik nicht auf die Materialien der Auswärtigen Ämter beschränken. Neben den Parlamentsprotokollen und zahlreichen Nachlässen insbesondere von Politikern und Diplomaten wurden für die britische Politik die entsprechenden Akten des War Office, der Admiralty , des Board of Trade oder des India Office ebenso durchgesehen wie beispielsweise auch die Cabinet Papers, zu denen ja etwa die wichtigen Berichte des Committee of Imperial Defence und ähnliche Materialien gehören. Anders als die Akten des Foreign Office, die nur im Zusammenhang mit den Materialien der anderen genannten Ministerien, vor allem aber mit den in den Nachlässen der jeweiligen Politiker und Diplomaten aufbewahrten Dokumenten eine adäquate Rekonstruktion der britischen Außenpolitik zulassen, ist die deutsche Außen- und damit natürlich auch Orientpolitik, und zwar sowohl ihre diplomatische als auch ihre wirtschaftliche Dimension, in den Akten der Politischen
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Abteilung des Auswärtigen Amtes umfassend dokumentiert, was zweifellos auch eine Folge des unterschiedlichen Aufbaus des diplomatischen Dienstes auf beiden Seiten des Kanals sein dürfte20. Wohl nicht zuletzt deshalb erwiesen sich die neben den Akten der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes durchgesehenen Materialien, also beispielsweise die Akten der Reichskanzlei, des Reichsmarineamtes oder der Preußischen Seehandlung, als für diese Fragestellung eher zweitrangig. Das gilt auch für die Akten der Handelspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, jedenfalls soweit sie eingesehen werden konnten. Diese sind für die vorliegende Arbeit von eher untergeordnetem Interesse, da ja die entsprechenden Verhandlungen, auch über wirtschaftliche Unternehmungen des Deutschen Reiches in der Türkei, durch die Politische Abteilung des Amtes geführt wurden21. Der Versuch einer Rekonstruktion der Orientpolitik deutscher Firmen und Banken im Rahmen der vorliegenden Untersuchung führte insofern nicht ganz zu dem erhofften Erfolg, als viele der in Frage kommenden Archive zerstört oder verschlossen sind. Erfolgreich war die Suche im Historischen Archiv der Firma Krupp in Essen, die einige interessante Dokumente zutage förderte. Daß das Archiv des neben Krupp zweiten großen Protagonisten im deutschen Türkeigeschäft der Zeit, der Deutschen Bank nämlich, verschlossen blieb, ist zwar bedauerlich, aber schon deswegen einer Darstellung der Politik dieses Instituts nicht grundsätzlich hinderlich, weil die Deutsche Bank namentlich das Bahnunternehmen von Anfang an nur mit Rückendeckung des Auswärtigen Amtes, ja, zeitweilig auf Drängen der Politiker hin durchgeführt hat, so daß ihre Orientpolitik in der Korrespondenz zwischen dem Direktorium der Deutschen Bank und dem Auswärtigen Amt sehr gut dokumentiert ist. Überdies ließ die Deutsche Bank - ebenso wie andere Firmen und Banken - ihre Telegramme an die Konstantinopeler Filiale im Auswärtigen Amt chiffrieren. Mithin lassen sich selbst interne Entscheidungen vergleichsweise umfassend rekonstruieren. Eine weitere wichtige Quelle für die deutsche wie die englische Außenpolitik bildet natürlich die umfangreiche Memoirenliteratur, die vornehmlich für die britische Seite schon wegen der in der Regel recht dichten Dokumentation durch die für die englische Politik charakteristische, als „private and confidential" klassifizierte Korrespondez sehr wichtig ist und die mithin extensiv ausgewertet wird. Ergänzt wird die Memoirenliteratur durch die Editionen von Briefwechseln, die - wie vor allem die Holstein-Papiere, aber auch die Hatzfeldt- und die Eulenburg-Korrespondenz - namentlich für die deutsche Seite eine gelegentlich schon deshalb sehr willkommene und teilweise unverzichtbare Ergänzung 20
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Vgl. dazu Zara S. Steiner, The Foreign Office and Foreign Policy, 1898-1914, Cambridge 1969; Lamar Cecil, The German Diplomatie Service, 1871-1914, Princeton/N. J. 1976. Die Akten der Handelspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes liegen teils im Zentralen Staatsarchiv Potsdam, teils im Bundesarchiv Koblenz. Eine Benutzungserlaubnis für das Zentrale Staatsarchiv konnte „nach allseitiger Prüfung", aber ohne Angabe von Gründen „nicht erteilt werden" (Schreiben der Staatlichen Archiwerwaltung der DDR an den Vf. vom 5. Aug. 1981). Freilich vermitteln die in Koblenz lagernden Bestände, bei denen es sich um die 1914 currenten Akten handelt, einen hinreichenden Einblick in die Materialien dieser Behörde, wie schon die Signaturen etwa der folgenden Bände andeuten: R 85/51 „Eisenbahnen in der Türkei 1912-1914"; 91 „Europäisch-kleinasiatisch-indische Transkontinentaleisenbahnprojekte 1884—1913"; 212 „Eisenbahnunternehmungen auf dem Balkan 1911-1919"; 663 „Postverhältnisse mit der Türkei 1912-1914"; 742 „Die Herstellung einer Telegraphen-bzw. Kabellinie über Bukarest-Constanza und Constantinopel nach dem Persischen Golf und weiter 1907-1918" usw.
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zur amtlichen Aktenpublikation bilden, weil diese ja bekanntlich und anders als die britischen Dokumente keine aus Nachlässen stammenden Dokumente enthält22. Schließlich versteht es sich von selbst, daß dann, wenn auf das Verhältnis des Deutschen Reiches zu dritten Mächten näher eingegangen wird, die offiziellen Aktenpublikationen Frankreichs, Österreich-Ungarns und Rußlands zurate gezogen werden. Die Edition der russischen Akten erfährt dabei eine wertvolle Ergänzung durch die zunächst im „Krasny-Archiv" und dann in den „Berliner Monatsheften" erschienenen Dokumente sowie für die Vorkriegsjahre durch die Schriftwechsel Iswolskys und Benckendorffs. Schon ein Blick auf das Literaturverzeichnis der vorliegenden Arbeit mag demonstrieren, daß sich die Untersuchung der deutschen Orientpolitik auch einer umfangreichen Literatur gegenüber sieht. Namentlich die Bagdadbahn hat natürlich schon das Interesse der Zeitgenossen gefunden und bereits vor Ausbruch des Krieges zu zahlreichen, insbesondere die wirtschaftliche und strategische Bedeutung dieses Projektes analysierenden, teils seriösen und mitunter auch heute noch unentbehrlichen, teils - und das gilt insbesondere für die im Krieg erschienenen Publikationen - zu propagandistischen Zwecken abgefaßten Arbeiten geführt23. Eine neue Etappe in der am Bagdadbahnbau orientierten Erforschung der deutschen Türkenpolitik im besonderen, der Orientpolitik der europäischen Mächte im allgemeinen begann dann nach dem Ersten Weltkrieg mit der sukzessiven Öffnung der Archive und dem Erscheinen der amtlichen Aktenpublikationen. Die erste grundlegende Arbeit dieser Art legte im Jahre 1924 Edward Mead Earle vor 24 , gefolgt von den Untersuchungen John Β. Wolfs (1936) und Friedrich Heinz Bodes (1941) 25 . Alle drei haben nach wie vor als Standardwerke für die Geschichte des Bagdadbahnbaues zu gelten. Sie finden Ergänzungen in solchen Untersuchungen der deutschen Orientpolitik, die sich mit anderen für sie charakteristischen Aspekten befassen, sei es mit der entsprechenden Konzeption einzelner Politiker, etwa derjenigen Bismarcks, die beispielhaft bereits 1926 von Hajo Holborn untersucht worden ist, oder mit zeitlich, regional oder thematisch eingegrenzter Fragestellung, wie etwa in den Arbeiten von Carl Mühlmann, Bradford G. Martin, Oswald Hauser, Jens B. Plass oder Jehuda L. Wallach, um einige repräsentative Autoren auswahlweise zu nennen26. 22
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Vgl. Gregor Schöllgen, Die Unbotmäßigen? Des Kaisers Londoner Botschafter, in: Neue Politische Literatur 24 (1979), S. 384 ff.; ders., Wer machte im Kaiserreich Politik? Zwischen „persönlichem Regiment" und „polykratischem Chaos", ebd. 25 (1980), S.79ff. Vgl. Gregor Schöllgen, „Dann müssen wir uns aber Mesopotamien sichern!" Motive deutscher Türkenpolitik zur Zeit Wilhelms II. in zeitgenössischen Darstellungen, in: Saeculum 32 (1981), S. 130 ff. Edward Mead Earle, Turkey, The Great Powers and The Bagdad Railway. Α Study in Imperialism, New York 1924. John B. Wolf, The Diplomatie History of the Bagdad Railroad, The University of Missouri Studies. A Quarterly of Research 9 (1936), Missouri 1936; Friedrich Heinz Bode, Der Kampf um die Bagdadbahn 1903-1914. Ein Beitrag zur Geschichte der deutsch-englischen Beziehungen, Diss. Breslau 1941. Hajo Holborn, Deutschland und die Türkei 1878-1890, Berlin 1926; Carl Mühlmann, Deutschland und die Türkei 1913-1914. Die Berufung der deutschen Militärmission nach der Türkei 1913, das deutsch-türkische Bündnis 1914 und der Eintritt der Türkei in den Weltkrieg, Berlin 1929; Bradford G.Martin, German-Persian Diplomatie Relations 1873-1912, 'S-Gravenhage 1959; Oswald Hauser, Deutschland und der englisch-russische Gegensatz 1900-1914, Göttingen 1958; Jens B. Plass, England zwischen Rußland und Deutschland. Der Persische Golf in der britischen Vorkriegspolitik, 1 8 9 9 - 1 9 0 7 - dargestellt nach englischem Archivmaterial, Hamburg 1966; Je-
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Einleitung Selbstverständlich ist die Darstellung der deutschen Orientpolitik b z w . einzelner ihrer
Etappen nicht auf derartige Spezialstudien beschränkt. Vielmehr gilt es auch jene U n t e r suchungen zur deutschen (Außen-)Politik angemessen zu berücksichtigen, die sich mit der deutschen Balkan- und Nahostpolitik als einem Bestandteil deutscher Außenpolitik unter anderen befassen, wie etwa die Abhandlungen von Erich Brandenburg, H e r m a n n O n c k e n , F r i t z Fischer, Andreas Hillgruber oder Wolfgang J . M o m m s e n 2 7 . In diesem Zusammenhang ist natürlich auch an solche übergreifenden Untersuchungen beispielsweise von Heinrich Friedjung, G . P . G o o c h , A . J . P. Taylor, M . S. Anderson, William L . Langer oder George W . F . Hallgarten zu denken 2 8 , die von ihrer Fragestellung h e r - seien es die internationalen Beziehungen im Zeitalter des Imperialismus, die Entwicklung eben dieser imperialistischen Bewegungen oder andere Themen - neben der deutschen A u ß e n bzw. Orientpolitik auch das Vorgehen anderer europäischer Mächte und damit eben nicht zuletzt die Politik Großbritanniens gleichgewichtig berücksichtigen. Sie sind damit geeignet, im Rahmen dieses kursorischen Uberblicks über die von ihrer Fragestellung her auch für die folgende Untersuchung interessante Literatur jene Arbeiten einzuführen, die sich schwerpunktmäßig mit der englischen Politik befassen. A u c h hier gilt es die Darstellungen der britischen Orientpolitik im besonderen, etwa von H e r m a n n Oncken, M a y belle Kennedy Chapman, Briton C o o p e r Busch, Stuart Α . C o h e n oder Rashid Ismail Khalidi 2 9 , ebenso zu berücksichtigen wie die Darstellungen englischer Außenpolitik im allgemeinen, also ζ. B . die Arbeiten von George Monger, J . A . S. Grenville, C . J . L o w e , F . H . Hinsley oder Zara S. Steiner 3 0 , die eben u. a. auch Analysen der britischen N a h o s t -
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huda L.Wallach (Hrsg.), Germany and the Middle East 1835-1939. International Symposium April 1975, Jahrbuch des Instituts für deutsche Geschichte, Beiheft 1, Tel-Aviv 1975; ders., Anatomie einer Militärhilfe. Die preußisch-deutschen Militärmissionen in der Türkei 1835-1919, Düsseldorf 1976. Erich Brandenburg, Von Bismarck zum Weltkriege. Die deutsche Politik in den Jahrzehnten vor dem Kriege. Dargestellt auf Grund der Akten des Auswärtigen Amtes, Berlin 1924; Hermann Oncken, Das Deutsche Reich und die Vorgeschichte des Weltkrieges, 2 Bde., Leipzig 1933; Fritz Fischer, Krieg der Illusionen. Die deutsche Politik von 1911 bis 1914, Düsseldorf 1969; Hillgruber, Bismarcks Außenpolitik, passim; Wolfgang J . Mommsen, Die latente Krise des Deutschen Reiches 1909-1914, in: Leo Just (Hrsg.), Handbuch der Deutschen Geschichte, Bd. IV/1, Abschnitt Ia, Frankfurt a.M. 1973. Friedjung, Das Zeitalter des Imperialismus; G. P. Gooch, Before the War. Studies in Diplomacy, 2 Bde., London/New York/Toronto 1936/38; A. J . P. Taylor, The Struggle for Mastery in Europe 1848-1918 (1954), Oxford 1971; M . S . Anderson, The Eastern Question 1774-1923. A Study in International Relations, London 6 1978; William L.Langer, European Alliances and Alignments 1871-1890, New York 2 1962; ders., The Diplomacy of Imperialism, 1890-1902, New York 2 1968; George W. F. Hallgarten, Imperialismus vor 1914. Die soziologischen Grundlagen der Außenpolitik europäischer Großmächte vor dem Ersten Weltkrieg, 2 Bde., München 2 1963. Hermann Oncken, Die Sicherheit Indiens. Ein Jahrhundert englischer Weltpolitik, Berlin 1937; Maybelle Kennedy Chapman, Great Britain and the Bagdad Railway 1888-1914, Northampton/Mass. 1948; Briton Cooper Busch, Britain and the Persian Gulf, 1894-1914, Berkeley/Los Angeles 1967; Stuart A. Cohen, British Policy in Mesopotamia 1903-1914, London 1976; Rashid Ismail Khalidi, British Policy towards Syria & Palestine 1906-1914. A study of the antecedents of the Hussein- the McMahon correspondence, the Sykes-Picot Agreement, and the Balfour Declaration, London 1980. Die Untersuchung von Joseph Heller, British Policy towards the Ottoman Empire 1908-1914, London 1983, konnte erst eingesehen werden, als die vorliegende Arbeit bereits im Druck war, und daher nicht mehr berücksichtigt werden. George Monger, The End of Isolation. British Foreign Policy 1900-1907, London u.a. 1963;
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politik oder des deutsch-englischen Verhältnisses enthalten. Eben diesen Beziehungen zwischen Deutschland und England gilt ja traditionell, d. h. insbesondere seit dem Ende des Ersten Weltkrieges, das besondere Interesse der Historiker auf beiden Seiten des Kanals. Es hat seinen Niederschlag in zahlreichen Spezialstudien zum deutsch-englischen Verhältnis im allgemeinen oder zu einigen markanten Aspekten dieser Beziehungen im besonderen, wie etwa den Bündnisgesprächen der Jahrhundertwende, der Wirtschaftsoder auch der Orientpolitik, gefunden, so namentlich in den Arbeiten von Friedrich Meinecke, Gerhard Ritter, Ross J . S. Hoffman, Raymond James Sontag, Paul M. Kennedy oder R. J . Crampton 31 . Hilfreich ist die Tatsache, daß die Darstellung der Politik der europäischen Mächte an der orientalischen Peripherie, mithin eben auch die Analyse der deutschen Orientpolitik, auf solche Untersuchungen ζ. B. zur Innen- wie Außenpolitik des Osmanischen Reiches, der Balkanstaaten oder Persiens zurückgreifen kann, die zwar wegen ihrer gleichsam „peripheren" Perspektive für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit von vergleichsweise sekundärer Bedeutung sind, deren Resultate aber gleichwohl als diese Fragestellung ergänzende Überlegungen wichtig sind und in die Darstellung einfließen. Hier sind etwa Untersuchungen zur Frage der Reformen des Osmanischen Reiches wie die von Roderic H.Davison oder zur jungtürkischen Bewegung, z . B . diejenige von Feroz Ahmad, ebenso anzuführen wie Analysen der mazedonischen Frage, beispielsweise die Arbeit von Fikret Adanir, der bosnischen Annexionskrise, namentlich das Buch von Bernadotte E. Schmitt, oder der Balkankriege, etwa das Standardwerk von Ernst Christian Helmreich, um nur einige charakteristische Beispiele zu benennen 32 . Herangezogen wurde schließlich die einschlägige Literatur zur Orientpolitik der übrigen europäischen Mächte, soweit die Fragestellung dies nahelegte. Hier seien zur Illustration der thematischen Fülle beispielsweise genannt die Untersuchungen von Edward C. Thaden über „Russia and the Balkan Alliance of 1912", von Werner Zürrer über die Nahostpolitik Frankreichs und Rußlands vor der Jahrhundertwende, von Jacques Thobie über die französische Türkeipolitik der Jahre 1895 bis 1914 oder von F. R. Bridge über die österreichische Balkanpolitik 3 3 . Dieser kursorische Uberblick über einige typische Gebiete der bei der Bearbeitung
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J. A.S. Grenville, Lord Salisbury and Foreign Policy - the Close of the Nineteenth Century, London 1964; C. J. Lowe, The Reluctant Imperialists. British Foreign Policy 1878-1902,2 Bde., London 1967; F. H . Hinsley (Hrsg.), British Foreign Policy under Sir Edward Grey, Cambridge 1977; Zara S. Steiner, Britain and the Origins of the First World War, London 1977. Friedrich Meinecke, Geschichte des deutsch-englischen Bündnisproblems 1890-1901, München/Berlin 1927; Gerhard Ritter, Die Legende von der verschmähten englischen Freundschaft 1898/1901. Beleuchtetaus der neuen englischen Aktenveröffentlichung, Freiburg 1929; Ross J. S. Hoffman, Great Britain and the German Trade Rivalry 1875-1914, Diss. Philadelphia 1933; Raymond James Sontag, Germany and England. Background of Conflict 1848-94, New York 1938; Paul M. Kennedy, The Rise of the Anglo-German Antagonism 1860-1914, London 1980; R . J . Crampton, The Hollow Detente. Anglo-German Relations in the Balkans 1911-1914, London o. J. [1980], Roderic H . Davison, Reform in the Ottoman Empire 1856-1876, New York 1973; Feroz Ahmad, The Young Turks. The Committee of Union and Progress in Turkish Politics 1908-1914, Oxford 1969; Fikret Adanir, Die Makedonische Frage. Ihre Entstehung und Entwicklung bis 1908, Wiesbaden 1979; Bernadotte E. Schmitt, The Annexation of Bosnia 1908-1909 (1937), New York 1970; Ernst Christian Helmreich, The Diplomacy of the Balkan Wars 1912-1913, Cambridge/Mass. 1938. Edward C. Thaden, Russia and the Balkan Alliance of 1912, Pennsylvania 1965; Werner Zürrer, Die Nahostpolitik Frankreichs und Rußlands 1891-1898, Wiesbaden 1970; Jacques Thobie, Les
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des gestellten Themas zu sichtenden Literatur wäre unvollständig, würde nicht abschließend auf die - freilich kaum mehr überschaubaren - Arbeiten zum Imperialismusproblem verwiesen. Hier hat sich ja in den letzten Jahren und namentlich bei der Analyse des sogenannten „informellen Imperialismus" das Interesse zusehends auch auf die orientalische Peripherie gerichtet, so daß es auch die Ergebnisse dieser Forschungen angemessen zu berücksichtigen gilt 34 . Es liegt auf der Hand, daß die Bewältigung eines vergleichsweise umfangreichen Quellenmaterials sowie der zu sichtenden und zu verarbeitenden Literatur wohl nur unter der Voraussetzung möglich ist, daß die selbstgewählte und eingangs erläuterte Fragestellung konsequent verfolgt wird. Damit wächst freilich die Gefahr - und das mag unbeschadet der Tatsache konstatiert werden, daß selbstverständlich und namentlich in der deutschen Außen- und Orientpolitik der Jahre 1878-1887 und 1909-1914 längerfristig angelegte Strategien bzw. Konzeptionen zu finden sind - , den Handlungen einzelner Personen, damit aber auch Regierungen und Mächten eine innere Logik, Konsequenz oder Planmäßigkeit zuzuschreiben, die sie zwar in der Rückschau und zumal dann charakterisieren mögen, wenn diese zu einem greifbaren, wie immer zu bewertenden Resultat geführt haben, die ihnen aber womöglich in vielen, vielleicht in den meisten Fällen gar nicht zugrundegelegen haben. Vor allem aber wächst die Gefahr, daß bestimmte, im Zentrum der Analyse stehende Ereignisse als logische Folgen geplanter und auf das Eintreten jener Ereignisse angelegter Handlungen erscheinen. Gerade die Vorgeschichte und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zeigen aber, daß auf diplomatische Aktionen nicht selten Ereignisse folgen, die in geradem Widerspruch zur Intention der ihr voraufgegangenen, sie möglicherweise aber und gegen ihren Willen mitbewirkenden Handlungen stehen. So hat der diese Ereignisse in der Rückschau betrachtende und unter einer leitenden Fragestellung analysierende Historiker wohl auch immer des von Georg Christoph Lichtenberg geäußerten Zweifels an einer Geschichtsschreibung eingedenk zu sein, die „in allen Handlungen Absichten sieht, und alle Vorfälle aus Absichten herleitet": „Die großen Begebenheiten in der Welt werden nicht gemacht, sondern finden sich." 3 5 Die Richtigkeit dieses Satzes vor dem Hintergrund der sehr wesentlich durch die orientalische Frage geprägten europäischen Geschichte zur Zeit des Kaiserreichs auch für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges in der Darstellung sowie in der Analyse und Erörterung der grundlegenden Probleme einsichtig zu machen, ist eines der Anliegen der vorliegenden Untersuchung.
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Interets economiques, financiers et politiques dans la partie asiatique de PEmpire Ottoman de 1895 ä 1914, 3 Bde., Diss. Lille 1973; F. R. Bridge, From Sadowa to Sarajewo. The Foreign Policy of Austria-Hungary 1866-1914, London/Boston 1972; ders., Great Britain and Austria-Hungary 1906-1914: A diplomatic history, London 1972. Vgl z . B . Wolfgang Mommsen (Hrsg.), Imperialismus im Nahen und Mittleren Osten, Geschichte und Gesellschaft 1 (1975), Heft 4, S. 401 ff.; ders., Europäischer Finanzimperialismus vor 1914. Ein Beitrag zu einer pluralistischen Theorie des Imperialismus, in: ders., Der europäische Imperialismus. Aufsätze und Abhandlungen, Göttingen 1979, S. 85ff. Georg Christoph Lichtenberg, Literarische Bemerkungen, in: Vermischte Schriften. Neue vermehrte, von dessen Söhnen veranstaltete Original-Ausgabe, Bd. 1, Göttingen 1844, S.283.
Α. Das Deutsche Reich und der Orient in der Bismarckzeit
I. Das „orientalische Geschwür" wird offengehalten. Grundzüge der Bismarckschen Orientpolitik Uber das primäre Ziel der Außenpolitik Otto von Bismarcks1, des ersten Kanzlers des maßgeblich unter seiner Leitung gegründeten Deutschen Reiches, kann es kaum einen Zweifel geben: Sein Bemühen galt der Sicherung der jungen Nation in der Mitte des europäischen Kontinents. An dieser obersten Idee orientierte sich auch jenes berühmt gewordene „Bild", welches er in seinem sogenannten Kissinger Diktat vom 15. Juni 1877 entwarf2. Ausgehend von dem „cauchemar des coalitions", jenem ,,ΑΙρ", der die Leiter der preußischen bzw. deutschen Politik seit 1756 plagte und bis in die Tage des Juli 1914 hinein nicht mehr loslassen sollte, ausgehend von dieser Angst vor sich „auf westmächtlicher Basis mit Zutritt Österreichs", „gefährlicher vielleicht noch auf russisch-österreichischfranzösischer" Basis bildenden Koalitionen also, entwarf Bismarck das Bild einer „politischen Gesamtsituation, in welcher alle Mächte außer Frankreich unser bedürfen, und von Koalitionen gegen uns durch ihre Beziehungen zueinander nach Möglichkeit abgehalten werden". Eine sehr wesentliche Voraussetzung für die Realisierung solcher Vorstellungen lag nun freilich im weitgehenden Verzicht auf „Ländererwerb", auf imperialistische Expansion also. Das wiederum implizierte eine konsequente Abstinenz insbesondere von aktiver politischer Betätigung im Orient, jener Region, die seit dem - mit der gescheiterten Wiener Belagerung 1683 einsetzenden - Rückzug der Osmanen aus Europa immer wieder, wie zuletzt im Krim-Krieg der Jahre 1854-1856 offenkundig geworden war, zu Konflikten zwischen den europäischen Mächten und damit zu jeweils neuen „Koalitionen" geführt hatte. Bismarcks Orientpolitik war daher von jener Maxime bestimmt, deren Befolgung er dann in seinen „Erinnerungen und Gedanken" auch seinen Nachfolgern dringend anriet: Deutschland werde, so schrieb er in seinen ausgerechnet 1898, dem Jahr der zweiten Orientreise Wilhelms II. also, erschienenen Memoiren, „in zukünftigen orientalischen Händeln, wenn es sich zurückzuhalten weiß, den Vortheil, daß es die in orientalischen Fragen am wenigsten interessirte Macht ist, um so sicherer verwerthen können, je länger es seinen Einsatz zurückhält, auch wenn dieser Vortheil nur in längerem Genüsse des Friedens bestände"3. 1
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Zu Bismarck vgl. jetzt umfassend Lothar Gall, Bismarck. Der weiße Revolutionär, Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1980. GP 2, Nr. 294. Otto von Bismarck, Erinnerungen und Gedanken, Kritische Neuausgabe auf Grund des gesam-
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Α. Das Deutsche Reich und der Orient in der Bismarckzeit Bismarck wußte, wovon er sprach, hatte er doch zur Zeit der „Krieg-in-Sicht"-Krise
des Jahres 1875, in deren Vorfeld, nämlich im Rahmen der Mission Radowitz, er noch eine stärkere deutsche Betätigung in Südosteuropa erwogen hatte 4 , erfahren müssen, daß ein deutsches politisches Engagement in den orientalischen Angelegenheiten der noch nicht gefestigten Position des Deutschen Reiches im Zentrum Europas schon wegen der englischen Bedenken gefährlich und womöglich den Beziehungen zu den verbündeten und gerade wegen ihrer Orientinteressen häufig auf Kollisionskurs befindlichen Dreikaisermächten Österreich-Ungarn und Rußland abträglich sein werde. In diesem Sinne äußerte er dann am 5. Dezember 1876 vor dem Reichstag sein berühmt gewordenes und für die Zeit seiner Kanzlerschaft verbindlich gebliebenes Diktum, daß er zu „irgend welcher aktiven Betheiligung Deutschlands an diesen Dingen nicht rathen" werde, solange er ,,in dem Ganzen für Deutschland kein Interesse sehe, welches auch nur . . . die gesunden Knochen eines einzigen pommerschen Musketiers werth w ä r e " 5 . Anlaß für diese grundsätzliche Erklärung war bekanntlich die durch Aufstände der Bevölkerung Bosniens und der Herzegowina gegen die türkische Herrschaft ausgelöste und in einem erneuten russisch-türkischen Krieg kulminierende orientalische Krise der Jahre 1875 bis 1878. Als sich nun Wilhelm I. „als mächtigster christlicher Souverän zu tätigerem Eingreifen gegen die Türkei verpflichtet" fühlte 6 , führte der Reichskanzler diesem
ten schriftlichen Nachlasses, hrsg. von Gerhard Ritter und Rudolf Stadelmann, Gesammelte Werke, Bd. 15, Berlin 2 1932, S.421. Einige Aspekte der Bismarckschen Orientpolitik vor 1871 finden sich bei Arnold Oskar Meyer, Bismarcks Orientpolitik. Festrede gehalten bei der Reichsgründungsfeier der Georg August-Universität zu Göttingen am 18. Januar 1925, Göttingen 1925. Ausführlicher geht dieser Frage nach: Claus Bormann, Bismarck und Südosteuropa vom Krimkrieg bis zur Pontuskonferenz. (Die politische und wirtschaftliche Bedeutung der „Orientalischen Frage" von 1853/54 bis 1871 für die Politik Bismarcks), Diss. Hamburg 1967. Bormann weist nach, „daß Bismarcks Wirken während der orientalischen Wirren, wenn es auch bisweilen im Verborgenen blieb und bleiben mußte, von entscheidender Bedeutung für die Einigung Deutschlands wurde, indem die orientalische Frage immer wieder die Aufmerksamkeit der Mächte von dem deutschen auf das südosteuropäische Problem lenkte" (S. 25). Vgl. zuletzt: Virginia Paskaleva, Preußen-Deutschland und die Orientfrage in den 50er-70er Jahren des 19. Jh., in: Academie Bulgare des Sciences. Institut d'Histoire, Etudes Historiques 7 (1975), S.237ff. 4
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Vgl. Andreas Hillgruber, Die „Krieg-in-Sicht"-Krise 1875-Wegscheide der Politik der europäischen Großmächte in der späten Bismarck-Zeit, in: ders., Deutsche Großmacht- und Weltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert, Düsseldorf 1977, S.45; Martin Winckler, Bismarcks Bündnispolitik und das europäische Gleichgewicht, Stuttgart 1964, S.15f.; Langer, European Alliances, S. 42. Das diesbezüglich nicht sehr ergiebige Aktenmaterial ist zu finden bei Hajo Holborn, Bismarcks europäische Politik zu Beginn der siebziger Jahre und die Mission Radowitz. Mit ungedruckten Urkunden aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes und dem Nachlaß des Botschafters von Radowitz, Berlin 1925. Aus einer Aufzeichnung von A. G. Jomini, einem engen Mitarbeiter Gortschakows, vom 14. Sept. 1879 geht hervor, daß Radowitz in St. Petersburg tatsächlich das orientalische Terrain sondiert hat. Der Brief ist mitgeteilt bei Charles und Barbara Jelavich, Jomini and the Revival of the Dreikaiserbund·, 1879-1880, in: The Slavonic and East European Review 35 (1956/57), S.531ff. RT, Bd.41. Am 17. Juli 1892 ließ er in der Morgenausgabe der „Hamburger Nachrichten" kundtun, das „Wort vom pommerschen Grenadier und dem Werth seiner gesunden Knochen" habe „für uns und alle friedliebenden Deutschen noch dieselbe Geltung wie früher". Zitiert nach: Fürst Bismarck nach seiner Entlassung. Leben und Politik des Fürsten seit seinem Scheiden aus dem Amte auf Grund aller authentischen Kundgebungen, hrsg. von H. Penzier, Bd. 4, Leipzig 1897 (zitiert als Penzier 4), S.63. Radowitz an Bülow, 10. Okt. 1876, GP 2, Nr. 245.
I. Grundzüge der Bismarckschen Orientpolitik
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die Gefahren eines deutschen Eingreifens in die südosteuropäischen Angelegenheiten mit aller Deutlichkeit vor Augen: „ J e schwieriger die Situation sich zuspitzt, um so deutlicher müssen wir meines E r a c h t e n s . . . in unserer diplomatischen Tätigkeit zum Ausdruck bringen, daß unser Hauptinteresse nicht in dieser oder jener Gestaltung der Verhältnisse des türkischen Reiches liegt, sondern in der Stellung, in welche die uns befreundeten Mächte zu uns und untereinander gebracht werden. Die Frage, ob wir über die orientalischen Wirren mit England, mehr noch mit Österreich, am meisten aber mit Rußland in dauernde Verstimmung geraten, ist für Deutschlands Z u k u n f t unendlich viel wichtiger, als alle Verhältnisse der Türkei zu ihren Untertanen und zu den europäischen Mächten." 7 Wie wichtig Bismarck dieses Anliegen war, zeigte sich wenige Tage später erneut, als er in dem für seine Politik in der Krise wegweisenden und die Grundidee des Kissinger Diktats erstmals thematisierenden Diktat vom 20. O k t o b e r 1876 8 einmal mehr vor der Gefahr warnte, daß durch eine Änderung der „jetzigen Zustände" im Orient „Rückwirkungen auf die Sicherheit und das Machtverhältnis der nächstbeteiligten europäischen Mächte selbst" entstehen könnten. Schon deshalb ventilierte er die Möglichkeit, daß sich - bei deutscher Zurückhaltung - die im Orient engagierten Mächte jeweils einen Teil des Osmanischen Imperiums als Interessensphäre endgültig sichern sollten, was zu einer verstärkten Konzentration der Mächte auf diese Gebiete an der Peripherie und damit zu einem Abbau der potentiellen Kriegsgefahr im Zentrum Europas führen werde. Für den Fall eines russisch-türkischen Krieges hielt er die D u r c h f ü h r u n g der österreichischen, in der am 15. Januar 1877 mit Rußland geschlossenen Konvention dann ja auch vertraglich fixierten Pläne 9 einer ,,pfandweise[n] O k k u p a t i o n " türkischer Besitzungen f ü r richtig, sah er darin doch eine Alternative zu dem andernfalls zu gewärtigenden, einer russischen Intervention in der Türkei folgenden und von deutscher Seite so gefürchteten Krieg der Doppelmonarchie mit Rußland. Des weiteren führte er aus, daß e r - wenn er die englische Politik zu beraten hätte - dieser vorschlagen würde, „analog zu verfahren in betreff der wunden Stelle für England, nämlich des Suezkanals respektive Ägyptens", ein Gedanke, den er einige Wochen später auch Salisbury unterbreitete 1 0 . Überdies konnte sich England in seinen Augen ja bei Rußland rückversichern, daß f ü r den Fall eines russisch-türkischen Krieges „Kleinasien mit Konstantinopel und Zubehör den Sultanen" verbleibe. 7
Diktat vom 14. Okt. 1876, GP 2, Nr. 246. (Bismarck drohte für den Fall einer anderslautenden Entscheidung wieder einmal mit Rücktritt; vgl. sein Telegramm an Bülow vom 15. Okt. 1876, ebd., Nr.248.) Vgl. zu dieser Frage auch Bismarcks Diktate vom 20. Okt. und 9. Nov. 1876, ebd., Nr. 250 und 256, sowie seine Schreiben an Bülow vom 10. Nov. 1876, ebd. Nr. 257, und an den Kaiser vom 2. Juni und 5. Juli 1876, Erinnerungen und Gedanken, S.244f. β GP 2, Nr. 250. 9 Text der Konvention in GP 2, Nr. 265; vgl. dazu: William Gauld, The .Dreikaiserbündnis' and the Eastern Question, 1871-6, in: EHR 40 (1925), S. 207ff. 10 Vgl. Bülow an Münster, 27. Nov. 1876, GP 2, Nr. 263. Offensichtlich deutete Bismarck eine solche Kompensationslösung bereits am 3. Jan. 1876 gesprächsweise gegenüber Russell an (vgl. Bülow an Münster, 4. Jan. 1876, ebd., Nr. 227). Hans Plehn spricht in seinem nach wie vor interessanten Werk über „Bismarcks auswärtige Politik nach der Reichsgründung" (München/Berlin 1920, S. 66f.; vgl. auchS. 318 ff.) von einem bereits hier greifbaren „eigenenPlan" Bismarcks, der dann auf dem Berliner Kongreß realisiert worden sei. - Wenn Bismarck am 5. März 1885 vor dem Reichstag erklärte, Granville befände sich „im Irrthum", wenn er annehme, „daß mein Rath in Bezug auf Egypten dahin gelautet habe, ,to take it'", so sagte er insofern die Wahrheit, als er ζ. Β. gegenüber Salisbury nicht - jedenfalls nicht explizit - eine direkte Annexion, sondern lediglich eine pfandweise Okkupation Ägyptens vorgeschlagen hatte (RT, Bd. 81).
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Α. Das Deutsche Reich und der Orient in der Bismarckzeit
Damit nämlich war eine wesentliche Voraussetzung für die Erhaltung einer starken (asiatischen) Türkei erfüllt, die wegen der damit verbundenen Sicherung Indiens traditionell als eine der „essentials" der englischen Außenpolitik galt 11 . Mithin wird bereits in der orientalischen Krise der Jahre 1875 bis 1878 deutlich, daß Bismarck in der Türkei nicht einen Ort für direkte politische Aktivitäten des Deutschen Reiches sah, sondern, wie Hajo Holbom das treffend bezeichnet hat, „ein Objekt der großen Politik" 1 2 . Im Varziner Diktat vom 20. Oktober 1876 verlieh er dieser seiner Kardinal-Maxime insofern deutlich Ausdruck, als er prognostizierte, daß er für den Fall, daß er „eine leitende Stimme in der Sache" hätte, versuchen wolle, „ o b der so wertvolle Friede zwischen den europäischen Mächten nicht dadurch erhalten werden kann, daß die ohnehin unhaltbare Einrichtung der heutigen Türkei die Kosten dafür hergibt" 1 3 . Als er dann auf dem den Krieg zwischen Rußland und der Türkei endgültig beilegenden Berliner Kongreß des Jahres 1878 die „leitende Stimme" war 1 4 , verfuhr er folglich exakt nach dieser Maxime, indem er nämlich auf Kosten der „ohnehin unhaltbaren Einrichtung der heutigen Türkei" zu bilateralen Abmachungen zwischen den beteiligten Großmächten beitrug, ohne das Reich selbst in den orientalischen Angelegenheiten zu engagieren und damit zu binden. Auf diese Weise erreichte er ein doppeltes Ziel: Zum einen gelang es ihm durch den Verzicht auf deutsche Gewinne sowohl in der Krise als auch auf. dem Kongreß sowie durch seine Vermittlungsaktion vom Frühjahr 1878, dank derer ein drohender Krieg zwischen England und Rußland abgewendet werden konnte 1 5 , das aus der Reichsgründungszeit stammende und in der „Krieg-in-Sicht"-Krise wiederaufgelebte englische Mißtrauen in seine Politik weiter abzubauen 16 . Zum anderen versuchte er erfolgreich, die Energien der übrigen Mächte verstärkt an die Peripherie des europäischen Geschehens zu lenken. Das gelang vor allem dank bilateraler Absprachen insbesondere zwischen England und der Türkei über Zypern 1 7 , Rußland und Österreich über Süd-Bessarabien einerseits, Bosnien und die Herzegowina andererseits, dem Zarenreich und Großbritannien über Bulgarien und Zypern oder England und der Doppelmonarchie über Bulgarien sowie Bosnien und die Herzegowina 18 . Wie sehr gerade dieser Gesichtspunkt für Bismarck von Bedeutung war, zeigte seine Äußerung vom 2. November 1878, nach der es ein „Triumph unserer Staatskunst" wäre, „wenn es uns gelänge, das orientalische Geschwür offen zu halten und dadurch die Einigkeit der andern Großmächte zu vereiteln und unsern eigenen Frieden zu sichern" 1 9 . 11
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Zu der schwierigen Situation, in der sich England nicht zuletzt wegen seiner unentschiedenen Haltung hinsichtlich eines Eingreifens in den Konflikt befand, vgl. die Schreiben Münsters an Bismarck vom 28. Juni 1877 und 25.Feb. 1878, GP 2, N r . 2 9 5 und 327; dazu zuletzt Richard Millman, Britain and the Eastern Question, 1875-1878, Oxford 1979. Holborn, Deutschland und die Türkei, S. 7. Diktat vom 20. Okt. 1876, GP 2, Nr. 250. Vgl.: Der Berliner Kongreß 1878. Protokolle und Materialien, hrsg. von Imanuel Geiss, Boppard a.Rh. 1978. Vgl. Bismarck an Münster, 9. April 1878, GP 2, Nr. 381 (ff.). Vgl. Hillgruber, Bismarcks Außenpolitik, S. 152. Vgl. Harold Temperley, Disraeli and Cyprus, in: E H R 46 (1931), S. 274 ff.; Dwight E. Lee, Great Britain and the Cyprus Convention Policy of 1878, Cambridge/Mass. 1934. Vgl. William A.Gauld, The Anglo-Austrian Agreement of 1878, in: E H R 41 (1926), S. 108ff. Bismarck an AA, 2. Nov. 1878, zitiert nach Manfred Müller, Die Bedeutung des Berliner Kongresses für die deutsch-russischen Beziehungen,Diss.Tübingen, Leipzig 1927, S.83.Vgl.Sontag, Germany and England, S.174f.; Gordon A.Craig, Germany 1866-1945, Oxford 1978, S. 110.
I. Grundzüge der Bismarckschen Orientpolitik
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Als dann im Sommer 1880 wegen der hartnäckigen Haltung der Türkei gegenüber der Durchführung der auf dem Berliner Kongreß vorgeschriebenen Regelungen für Griechenland die orientalische Frage wieder akut wurde, schrieb der britische Botschafter in Berlin an seinen Außenminister Granville einen bemerkenswerten Brief, der zeigt, daß auch englischen Diplomaten die Bismarcksche Strategie durchaus bewußt war. Seine Lektüre läßt zugleich erahnen, warum sich Salisbury dann im Jahre 1887 nur zögernd auf einen britischen Beitritt zum sogenannten Orientdreibund einlassen mochte: „Bismarck", so schrieb Russell am 11. Juni, „who always wishes to find occupation for the french [sic] in the East, will probably encourage the idea of a french [sic] expedition to assist the Greeks, as he has done before. He thinks that if France and Russia can be occupied elsewhere they will not think of joining hands against Germany, which is his daily nightmare since 1875. - For this reason, he will encourage both France and Russia to devote their attention and energies to the settlement of Eastern Affairs on the Berlin basis and he welcomes the present revival of the Oriental question as a favourable opportunity to do so, - and perhaps the more so, as he believes that the importance of the Porte to carry out practically the advice of the Powers will furnish them with plenty of occupation, out of Germany's way, for some times to c o m e . " 2 0 So zutreffend diese im Juni 1880 vom britischen Botschafter vorgenommene Analyse der ursprünglichen, auf dem Berliner Kongreß ja auch weitgehend in die Tat umgesetzten Intention Bismarcks gewesen sein mag, so wenig konnte sie natürlich bereits in Rechnung stellen, daß jene Strategie nach der Gründung des deutsch-österreichischen Zweibundes im Jahre 1879 kaum mehr in vollem Maße ihrer Intention gemäß realisierbar war. Ausschlaggebend für die Bildung dieses mit dem primären Ziel eines Ausgleiches mit der Doppelmonarchie gegründeten Bündnisses war offenbar nicht zuletzt die Furcht Bismarcks gewesen, eine sich im Gefolge der Aufstandsbewegung in Bosnien und der Herzegowina entwickelnde panslawistische Revolution könnte womöglich auch österreich-Ungarn bedrohen 21 , sowie die Gewißheit, daß das Zarenreich, das durch Bismarcks Politik, insbesondere im Vorfeld des russisch-türkischen Krieges 22 und auf dem 20
Zitiert nach: Letters from the Berlin Embassy, 1871-1874, 1880-1885. Annual Report of the American Historical Association for the Year 1942, Bd. 2, hrsg. von Paul Knaplund, Washington 1944, S. 147f.; vgl. auch ders. an dens., 19. Juni 1880, ebd., S. 148f.; 10. Juli 1880, ebd., S. 153; 11. Sept. 1880, ebd., S. 158 ( „ H e wishes both Austria and Russia to be well occupied in Turkey, but he does not wish them to fight."); 17.Sept. 1881, ebd., S.224; 24.Sept. 1881, ebd., S.225 („What I fear in regard to Bismarck's policy is, that, having once succeeded in leading France into trouble, he may be tempted to do so again, by showing her the road to glory in Egypt, and thereby get rid, during his own lifetime, of a threatened neighbour..."); 8. Okt. 1881, ebd., S. 226f.; vgl. auch Gladstone an Granville, 15. April 1881: „Yet I fear he may hold everything subordinate to his favourite purpose of troubling the East and setting the powers at loggerheads..." (The Political Correspondence of Mr. Gladstone and Lord Granville, 1876-1886, hrsg. von Agatha Ramm [2 Bde., Oxford 1962], B d . l , N r . 4 6 6 . )
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Imanuel Geiss (Das Deutsche Reich und die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs, München/Wien 1978, S.76ff.) hat überzeugend nachzuweisen versucht, daß Bismarck bereits seit 1875/78 aus Furcht vor Rückwirkungen der von den Aufstandsbewegungen in Bosnien und der Herzegowina ausgehenden Unruhen jene „Option" für Österreich-Ungarn vorbereitete, „die erstmals auf dem Berliner Kongreß 1878 praktische Resultate erbrachte und sich ein Jahr später im deutsch-österreichisch-ungarischen Zweibund offen und öffentlich dokumentierte" (S.78f.). Zu Bismarcks Weigerung, Rußland für den Fall eines Krieges mit der Türkei die entsprechende Rückendeckung zu geben, vgl. GP 2, Nr. 241 ff.
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Α. Das Deutsche Reich und der Orient in der Bismarckzeit
Berliner Kongreß, sowie durch die seit 1878 eingeschlagene Wirtschaftspolitik des Deutschen Reiches brüskiert worden war, die Gründung des Zweibundes nicht als Anlaß für einen endgültigen Bruch mit Deutschland ansehen werde23. Freilich war dann mit dieser engen, von Gordon A. Craig jüngst als „landmark in European history" 24 bezeichneten Bindung des Reiches an die Doppelmonarchie das Konzept eines Offenhaltens des „orientalischen Geschwürs" nur noch unter der Bedingung eines de facto zumindest nicht mehr konsequent zu verfolgenden Desinteresses an den Vorgängen in Südosteuropa realisierbar, auch wenn der Vertrag natürlich, wie Bismarck post festu m in einem Artikel der „Hamburger Nachrichten" vom 15. Januar 1893 versichern ließ, „in keiner Weise" eine Verpflichtung zu einer direkten Unterstützung der österreichischen Orientinteressen enthielt25. „Bismarck hatte", so hat Andreas Hillgruber die Gründung des Zweibundes interpretiert, , , - in seiner Perzeption gegenüber der Realität verschärft - einerseits durchaus erkannt, daß Südosteuropa infolge der,neuen' russischen Politik zu einem äußerst gefährlichen ,Minenfeld' geworden war, andererseits führte er durch das Festhalten an der Kompensationskonzeption älterer Prägung nicht nur Österreich-Ungarn tiefer in dieses .Minenfeld' hinein, sondern zog das Deutsche Reich auf dem Wege über die . . . Option zugunsten Österreich-Ungarns mit in das ,Minenfeld'." 26 Das wurde vollends in dem am 18. Juni 1881 unterzeichneten Dreikaiservertrag - ,,a practical agreement about the Near East" (A. J. P. Taylor) 27 - offenbar, der zwar die einseitige Option zugunsten der Doppelmonarchie zunächst wieder abschwächte28, gleichwohl aber durch seine im Zusatzprotokoll festgehaltene Regelung der russischen und österreichischen Ansprüche hinsichtlich Südosteuropas auch das Deutsche Reich - wenn auch indirekt - so doch als Unterzeichner an diese Regelung band 29 . Insofern hat William L. Langer recht, wenn er von diesem Vertrag sagt, daß er die deutsche Politik definitiv „ostwärts" orientiert habe 30 , 23
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Vgl. z . B . Jelavich, Jomini; Nicholas Der Bagdasarian, The Austro-German Rapprochement, 1870-1879. From the Battle of Sedan to the Dual Alliance, Rutherford u. a. 1976, S.300ff. Zu Bismarcks Rußlandpolitik vom Berliner Kongreß zum Zweibund vgl. die gut dokumentierte Studie von Winckler, Bismarcks Bündnispolitik, S. 26 ff.; vgl. auch Holborn, Deutschland und die Türkei, S. 15. Craig, Germany, S. 114: „While previous treaties had usually been concluded during or on the eve of wars, or for specific purposes and restricted duration, this peacetime engagement turned out to be a permanent one, lapsing only when both of the empires bound by it collapsed in 1918." Vgl. auch Taylor, Struggle for Mastery, S. 262ff. Abendausgabe, zitiert nach Penzier 4, S. 334 f.: „ J e mehr Oesterreich das Recht besessen hätte, sich im Orient auf die deutschen Bajonette zu stützen, desto wahrscheinlicher würde ein Zusammenstoß mit Rußland geworden sein." Andreas Hillgruber, Südosteuropa in Bismarcks Außenpolitik 1875-1879, in: Ralph Melville/Hans-Jürgen Schröder (Hrsg.), Der Berliner Kongreß von 1878. Die Politik der Großmächte und die Probleme der Modernisierung in Südosteuropa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Wiesbaden 1982, S. 187. Vgl. auch Der Bagdasarian, Rapprochement, S. 305 und 316; Taylor, Struggle for Mastery, S. 262 ff. Taylor, Struggle for Mastery, S. 270. Hillgruber, Südosteuropa, S. 187. Vertragstext und Zusatzprotokoll in GP 3, Nr. 532. Langer, Alliances, S. 211. W . N . Medlicott (Bismarck, Gladstone and the Concert of Europe, London 1956, S. 31) sieht als wichtigsten Punkt des Bündnisses an, daß die drei Mächte sich verständigt hätten „in regarding British intervention as inimical to the state of ostensible quiescence". Vgl. auch ders.,The Congress of Berlin and After. A Diplomatic History of the Near Eastern Settlement, 1878-1880, Edinburgh 2 1963, S.402f.
I. Grundzüge der Bismarckschen Orientpolitik
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eine Tendenz, die durch den Beitritt Rumäniens zum Dreibund (1883) noch verstärkt wurde 31 . Diese neue Situation wurde für das Reich solange nicht gefährlich, als Bismarck die deutsche Außenpolitik im ganzen souverän leitete und trotz der faktisch vollzogenen Bindung an die sich zunehmend nach Südosteuropa orientierende Doppelmonarchie gleichwohl nach seiner Kardinal-Maxime zu gestalten verstand, sich wenn irgend möglich nicht direkt, jedenfalls nicht politisch, in den orientalischen Angelegenheiten zu engagieren. Das wurde deutlich in dem Versuch, die aus der battenbergischen Restaurationsfrage resultierende Krisis der Jahre 1885 bis 1887 nicht mit dem von vielen Seiten geforderten Krieg gegen Rußland 32 , sondern durch eine vertragliche Verständigung mit dem Zarenreich zu meistern 33 . Eben das gelang dann ja auch mit dem am 18. Juni 1887 abgeschlossenen sogenannten Rückversicherungsvertrag zwischen Rußland und dem Deutschen Reich, der zusammen mit dem Vertrag von 1879 als vollwertiger Ersatz für das abgelaufene Dreikaiserabkommen gelten konnte 34 . Die zentralen Punkte dieses Abkommens waren einerseits ein russisches Neutralitätsversprechen für den Fall eines französischen Angriffs, durch das man sich „ i m Ernstfall die Russen wohl doch 6-8 Wochen länger vom Halse" zu halten hoffte „als ohne dem" 3 5 , und andererseits eine deutsche Desinteressements-Erklärung bezüglich der orientalischen Frage. Dem Vertrag war ein „Protocole additionnel et tres secret" beigefügt, dem bei der Analyse der Bismarckschen Orientpolitik eine besondere Bedeutung zukommt. Dessen zweiter Artikel lautete: „Dans le cas oü Sa Majeste l'Empereur de Russie Se verrait dans la necessite d'assumer Lui-meme la täche de defendre 1'entree de la Mer Noire pour sauvegarder les interets de la Russie, l'Allemagne s'engage ä accorder Sa neutralite bienveillante et Son appui moral et diplomatique aux mesures que Sa Majeste jugerait necessaire de prendre pour garder la clef de Son Empire." 3 6 Bereits am 10. Juli 1880 hatte die Kronprinzessin an ihre Mutter geschrieben, daß Bismarck die Russen zwar nicht gerade in Konstantinopel wünsche. „Aber natürlich läßt ihn der Gedanke, daß die Russen im Osten beschäftigt sind, sich freier und zu Hause weniger bedroht fühlen .. , " 3 7 So war es - nicht zuletzt dank dieses Vertrages - noch einmal gelungen, ein Zurück31
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Vgl. Akzessionserklärung Deutschlands zum Österreichisch-Rumänischen Vertrage vom 30. O k t . 1883, G P 3, N r . 598. Vgl. etwa Helmut Krausnick, Holsteins großes Spiel im Frühjahr 1887, in: Waldemar Besson/Friedrich Frhr. Hiller von Gaertringen (Hrsg.), Geschichte und Gegenwartsbewußtsein. Historische Betrachtungen und Untersuchungen. Festschrift für Hans Rothfels zum 70. Geburtstag dargebracht von Kollegen, Freunden und Schülern, Göttingen 1963, S . 3 5 7 f f . Vgl. die Aufzeichnung Herbert von Bismarcks und die Randbemerkungen des Kanzlers vom 6. Jan. 1887, G P 5, N r . 1062, und die dort folgenden Dokumente. Vgl. Bismarck an Wilhelm I., 28. Juli 1887, G P 5, N r . 1100. Herbert von Bismarck an seinen Bruder, 19. Juni 1887, in: Staatssekretär Graf Herbert von Bismarck. Aus seiner politischen Privatkorrespondenz, hrsg. von Walter Bußmann unter Mitarbeit von Klaus-Peter H o e p k e , Göttingen 1964, N r . 303. Vertragstext und Zusatzprotokoll in G P 5, N r . 1092. Vgl. dazu den außerordentlich interessanten, auf russischem Aktenmaterial basierenden Artikel des ehemaligen Archivars des russischen Außenministeriums, Serge Goriainov, The End of the Alliance of the Emperors, in: T h e American Historical Review 23 (1917/18), S . 3 2 4 f f . , der die erste Veröffentlichung des Vertragstextes enthält. Briefe der Kaiserin Friedrich, hrsg. von Frederick Ponsonby, eingeleitet von Wilhelm II., Berlin 1929, S . 2 0 3 .
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schlagen der Spannungen von der orientalischen Peripherie in die Mitte E u r o p a s zu verhindern. Überdies lag mit dem Vertrag das G r u n d m u s t e r einer Konfliktlösung für den Fall vor, daß es - wie Bismarck Hatzfeldt wiederholt vor Augen führte - , ,im letzten A u genblick" nötig werden sollte, „ b e i einem Konflikt zwischen uns und Frankreich" die russische Neutralität zu „ e r k a u f e n " , indem man „ Ö s t e r r e i c h fallen ließ und den Russen damit den Orient überlieferte" 3 8 . G e g e n die Verwertbarkeit dieser Aussage Hatzfeldts sind Bedenken angemeldet w o r d e n 3 9 . D o c h gibt es Anhaltspunkte, die eine solche H a l tung Bismarcks gegenüber Österreich im Falle eines Zweifrontenkrieges nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen. Zu einer am 3. Mai 1888 gegenüber Reuß gemachten Bemerkung Bismarcks, daß es darauf a n k o m m e , Rußland nicht durch „ B e d r o h u n g " daran zu „ h i n d e r n , tiefer in die orientalische Sackgasse hineinzugehen", hatte der K r o n p r i n z notiert: „ E s hat aber leider die Sackgasse gemerkt, und zeigt bisher verzweifelt wenig L u s t hineinzugehen." D a z u bemerkte Bismarck: „ D o c h , es geht hinein, sobald Oest[er]reich aufhört es zu h i n d e r n " 4 0 . Bereits am 11. Januar 1887 hatte Holstein sichtlich verstimmt in seinem Tagebuch notiert, es sei jetzt wohl der „ P l a n " , „ d a ß Rußland als Preis seiner Neutralität freie H a n d im Orient b e k o m m t , gleichviel o b Österreich dabei zugrunde geht oder nicht" 4 1 . U n d auch Waldersee zeigte sich noch am 22. April 1889 „ f e s t überzeugt, daß dem Kanzler der allmähliche Verfall Österreichs ganz genehm ist, weil er immer noch glaubt, mit Rußland sich verständigen zu k ö n n e n " 4 2 . Gleichwohl darf nicht übersehen werden, daß es sich hier u m Überlegungen „ f ü r den letzten A u g e n b l i c k " handelte, und daß Bismarck natürlich - wie seine Äußerungen im U m k r e i s der Verhandlungen über den Rückversicherungsvertrag und den Orientdreibund zeigen - im Jahre 1887 wenn irgend möglich an dem Bündnis mit Österreich festhalten wollte 4 3 . D a s Problem war nur, daß 38
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Hatzfeldt an Holstein, 18. Juni 1895, GP 9, Nr. 2315. Bereits in einem Schreiben vom 14. April 1891 (Holstein 3, Nr. 341) sprach Hatzfeldt von dem,,Bismarckschen Rezept... unseren Frieden mit Rußland und ä tout prix, d. h. mit Aufopferung von Österreich, zu machen". Vgl. auch ders. an dens., 28.Nov. 1892, ebd., Nr. 378. Vgl. etwa Helmut Krausnick, Botschafter Graf Hatzfeldt und die Außenpolitik Bismarcks, in: H Z 167 (1943), S. 581 f.; Peter Rassow, Die Stellung Deutschlands im Kreise der Großen Mächte 1887-1890, in: Hans Hallmann (Hrsg.), Zur Geschichte und Problematik des deutsch-russischen Rückversicherungsvertrages von 1887, Darmstadt 1968, S.518f./Anm.42. GP 6, Nr. 1340. Holstein 2, S.374. Denkwürdigkeiten des General-Feldmarschalls Alfred Grafen von Waldersee, auf Veranlassung des Generalleutnants Georg Grafen Waldersee bearbeitet und hrsg. von Heinrich Otto Meisner (3 Bde., Stuttgart/Berlin 1923), B d . l , S.49. Vgl. die Belege bei Goriainow, End of the Alliance, S.341 ff., und bei Heinz Trützschler von Falkenstein, Bismarck und die Kriegsgefahr des Jahres 1887. Dargestellt auf Grund der Bände III—VI der großen Aktenpublikation des Auswärtigen Amtes und mit Benutzung unveröffentlichter Akten des Auswärtigen Amtes und des Reichsarchivs, Berlin 1924, S. 73ff. und 103f. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Briefe Salisburys an White vom 10. Aug. 1887 und an Austin vom 12. Aug. 1887, in denen dieser argwöhnt, daß Deutschland für den Fall eines Krieges mit Frankreich versuchen werde, Rußlands Neutralität durch das Angebot einer freien Hand in Konstantinopel zu erkaufen (vgl. Lady Gwendolen Cecil, Life of Robert Marquis of Salisbury, Bd. 4, London 1932, S. 50 und 84). Auf die Frage nach der englischen Haltung in diesem Fall gibt Salisbury in dem Schreiben an White eine für die britische Politik in dieser Zeit charakteristische Antwort (ebd., S. 51): „ I t would be a terrible blow to lose Constantinople. But have we not lost it already? With this sickly, sensual, terrified, fickle Sultan on the throne, have we really any arm with which we can meet Nedlidoff's threats of an invasion of Erzeroum? And would it be worth our while to save him, to the purpose of preventing Germany having free elbows to deal with France?"
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unvermeidlich österreichische Interessen tangiert werden mußten, falls Rußland seine im geheimen Zusatzprotokoll des Rückversicherungsvertrages zugestandenen Rechte wahrnahm: In diesem Fall hätte sich Deutschland für eine Seite entscheiden müssen. Schon deshalb kam Bismarck die englische Annäherung an den Dreibund gelegen, wurden doch auf diese Weise solche russischen Bestrebungen neutralisiert und damit die Optionsfrage deutlich entschärft, ohne daß die deutsche Regierung direkt hätte eingreifen müssen. Die Ergebnisse dieser Annäherung waren die durch Notenaustausch besiegelten Bündnisse der sogenannten englisch-italienischen Mittelmeerentente vom 12. Februar 1887, der die Doppelmonarchie am 24. März beitrat 44 , einerseits und der sogenannte, die Entente in entscheidenden Punkten intensivierende Orientdreibund vom 12./16.Dezember des gleichen Jahres andererseits. Sie machen überdies zugleich deutlich, welche Rolle die Peripherie, namentlich die orientalische, in der Politik der europäischen Mächte spielte, und wie sehr die Bedeutung, ja, die Gefahr der dort versammelten Spannungen mittlerweile zum Bestandteil des Bismarckschen Kalküls geworden war. Zwar trat das Reich diesen Bündnissen nicht bei, „damit wir nicht gleich hineingezogen werden, wenn es wegen orientalischer Fragen mit Rußland zum Bruche kommt" 4 5 . Doch stimmte namentlich Bismarck ihnen ausdrücklich zu, da er nach der Phase einer vergleichsweise reservierten, wenn nicht gelegentlich feindlichen Haltung gegenüber England während der Jahre 1884/85 (erste deutsche koloniale Erwerbungen, Berliner Kongo-Konferenz) nunmehr vor allem wegen des auf dem Balkan aufziehenden Gewitters und der durch den Sturz des als kooperationsbereit geltenden französischen Ministerpräsidenten Jules Ferry erwarteten Änderung der französischen Politik eine erneute Annäherung an England für notwendig hielt. Bismarck muß sogar insofern als die treibende Kraft der Verhandlungen gelten 46 , als er Anfang des Jahres 1887 gegenüber dem englischen Botschafter in Berlin, Sir Edward Malet, unmißverständlich klarstellte, „daß wir, wenn England sich von jeder Beteiligung an der europäischen Politik zurückzöge, keinen Grund mehr haben würden, den französischen Wünschen in Ägypten oder den russischen im Orient, wie weit immer dieselben sich erstrecken möchten, unsere Förderung vorzuenthalten". Falls das Reich jedoch „auf Englands Beistand in der Haltung der Verträge und des status quo und auf dieselbe englische Machtentwickelung rechnen könnte . . . , wie sie noch zur Zeit des Krim-Krieges stattgefunden habe, so würden wir zu egoistischen Wünschen Frankreichs oder Rußlands eine andere Stellung nehmen können, als bei völliger Enthaltsamkeit Englands für die Interessen unserer Nation angezeigt sei" 4 7 . Denn so wie Bismarck die Beschäftigung der Flügelmächte an der orientalischen Peripherie willkommen war, da hierin eine wichtige Voraussetzung für eine möglichst spannungsfreie Festigung des jungen Deutschen Reiches in der Mitte Europas lag, so waren sich bei allen übrigen Differenzen die beiden großen Richtungen der britischen Politik doch in der Ansicht einig, daß eine , Beschäftigung 44
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Vgl. dazu die in einem Memorandum T . H . Sandersons vom 1. Juli 1902 mitgeteilten Dokumente, BD 8.1, No. 1. Herbert von Bismarck an Hatzfeldt, 11. März 1887, GP 4, Nr. 900; vgl. Aufzeichnung Holsteins vom 19. Feb. 1887, ebd., Nr. 856. Die Memoiren Francesco Crispis's. Erinnerungen und Dokumente, hrsg. von T. PalamenghiCrispi, Berlin 1912, S.169ff. Bismarck an Hatzfeldt, 3.Feb. 1887, GP 4, Nr. 883.
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Α. Das Deutsche Reich und der Orient in der Bismarckzeit
der Kontinentalmächte unter sich" (Rassow) 4 8 der ungehinderten Entwicklung der englischen Interessen in Ubersee nützlich sei. Die englische Seite erkannte nun Bismarcks Argumentation notgedrungen an, da ihr erstens - wie Malet Bismarck versicherte - nicht an einem (über die gegenseitige Beschäftigung hinausgehenden) deutsch-französischen Konflikt gelegen war, dessen Wahrscheinlichkeit durch einen endgültigen britischen Rückzug aus der kontinentaleuropäischen Politik zumindest nicht vermindert worden wäre, „noch weniger" aber an einer deutschen Niederlage. In diesem Falle nämlich würde sich die Inselmacht unversehens „mit Frankreich und Rußland gewissermaßen allein auf der europäischen Bildfläche" befunden haben 4 9 , eine gerade im Hinblick auf die orientalische Frage (Ägypten/Konstantinopel) möglicherweise gefährliche Situation. Überdies - so unterbreitete Salisbury Hatzfeldt - bringe die deutsche Politik zweitens, „indem sie Frankreich zur Untätigkeit zwinge, den anderen im Orient interessierten Mächten schon einen sehr großen Vorteil" 5 0 . War nun das - als Gegenleistung für die englische Einwilligung in eine Entente mit dem Dreibundpartner Italien - gemachte deutsche Zugeständnis einer Unterstützung der englischen Ägypten-Pläne im Hinblick auf Frankreich noch relativ leicht zu geben, so mußte die Zusicherung einer ,,gewisse[n] unparteiischen Reserve" des deutschen Botschafters in Konstantinopel gegenüber der englischen Meerengenpolitik 51 angesichts der laufenden Verhandlungen mit Rußland zumindest als problematisch gelten. Das gilt in noch stärkerem Maße für die deutsche Zustimmung zu den anläßlich der Gründung des Orientdreibundes am 12. Dezember 1887 zwischen der englischen, italienischen und österreichischen Regierung ausgetauschten Noten, in deren Artikel 5 der englischen Fassung es u. a. hieß: „Neither will Turkey, who has by the Treaties been constituted guardian of the Straits, be able to cede any portion of her sovereign rights, nor delegate her authority to any other Power in Asia Minor" 5 2 . Die Bismarck vermutlich nicht unwillkommene Brisanz der Note wird unmittelbar einsichtig, wenn man sich vor Augen hält, daß dieser Artikel (im übrigen ebenso wie der erste Artikel des den erneuerten Dreibundvertrag ergänzenden Separatvertrages zwischen Deutschland und Italien vom 20. Februar des gleichen Jahres 5 3 ) kaum mit dem Artikel 2 des geheimen deutschrussischen Zusatzprotokolls vereinbar war. Ebensowenig ließen sich die in der englischen Note festgelegten „rights over Bulgaria" mit der „legitimite de son influence preponder a t e et decisive en Bulgarie et en Roumelie Orientale" auf einen Nenner bringen, die Rußland im geheimen Zusatzprotokoll zum Rückversicherungsvertrag konzediert worden war. Für die „Wissenden", so erinnerte sich dann auch der Vortragende Rat im Auswärtigen Amt, Friedrich von Holstein, „war an dem Faktum nicht zu rütteln, daß der
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Rassow, Stellung Deutschlands, S.480. Bismarcks Schreiben an Hatzfeldt vom 3. Feb. 1887. Hans Rothfels, Bismarcks englische Bündnispolitik, Berlin/Leipzig 1924, S. 105, sah die englische Haltung darin begründet, daß England „gewissermaßen jetzt der Gefangene der Lehre vom Gleichgewicht" gewesen sei. Hatzfeldt an Bismarck, 6. Feb. 1887, GP 4, Nr. 886. Vgl. Hatzfeldt an Bismarck, 13.Feb. 1887, GP 4, Nr. 892. Englischer Text der Note in der Anlage eines Schreibens von Hatzfeldt an Bismarck vom 10. Dez. 1887, GP 4, Nr. 940. Französischer Text nebst anderen Dokumenten in dem Memorandum T.H.Sandersons vom 22. Jan. 1903, BD 8.1, No.2e). Vertragstext in GP 4, Nr. 859.
I. Grundzüge der Bismarckschen Orientpolitik
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Rückversicherungsvertrag mit dem Inhalt andrer damals zu Recht bestehender Abmachungen in Widerspruch stand" 5 4 . U n d auch dieser Notenaustausch war mit ausdrücklicher Zustimmung, ja, unter maßgeblicher Vermittlung Bismarcks zustandegekommen 5 5 . In seinem berühmten Brief an Salisbury vom 22. November 1887 56 hatte er diesen endgültig zum englischen Eintritt in den Orientdreibund - ein „agreement, [that] was more nearly an alliance with a group of Great Powers than any Great Britain had ever made in time of peace . . . " (A. J. P. Taylor) 57 - zu bewegen gesucht, indem er d i e - betrachtet man den Rückversicherungsvertrag - keineswegs unbegründeten englischen Befürchtungen auszuräumen vermochte, daß „unter Umständen später eine neue und festere Verständigung mit Rußland zustande komme, aus welcher eine aktive Unterstützung Rußlands im Orient gegen die Mächte hervorgehen könnte, deren Verständigung wir heute hier befürworten" 5 8 . Uberhaupt inuß dieser, die Karte eines - wie schon 1879 59 vermeintlichen - Bündnisangebotes geschickt ausreizende Brief Bismarcks an Salisbury als eine taktische Meisterleistung gelten, auf die bereits 1921 Felix Rachfahl aufmerksam gemacht hat: England wünschte Deutschlands Beitritt zum Orientdreibund, um gegen einen möglichen Umschwung der deutschen Politik zugunsten Rußlands abgesichert zu sein, der als Folge des Regierungsantritts des als russophil eingeschätzten Kronprinzen Wilhelm befürchtet wurde: „Diese Forderung parierte Bismarck, indem er England vor die Frage einer deutsch-britischen Allianz stellte. Ging England darauf nicht ein, so konnte es auch andererseits keinen Druck auf Deutschland zu einem antirussischen Balkan vertrage ausüben. England wollte sich nicht zu einem festen Bündnisse mit Deutschland verpflichten, das gegen Rußland und daneben gegen Frankreich gerichtet war; dann konnte auch Deutschland keinen Vertrag mit abschließen, der es in direkten Gegensatz zu Rußland in der Balkanfrage brachte, die an sich Deutschland nichts anging. Wollte sich England nicht auf dem Kontinent engagieren, so Deutschland nicht auf dem Balkan - das war eine klare Gegenrechnung." 6 0 Tatsächlich dürfte die Beseitigung des britischen Mißtrauens der eigentliche Grund des Schreibens gewesen sein. Seine primären Zwecke waren erstens, England von der Notwendigkeit des Beitritts zum Orientdreibund zu überzeugen, und zweitens, das deutsche Fernbleiben zu erklären 61 . Daß darüber hinaus bereits in diesem Schreiben 54
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Holstein 1, S. 126 f.; vgl. auch die glänzende Analyse von Rassow, Stellung Deutschlands, und die aus völkerrechtlicher Perspektive unternommene und vor allem Dreibund- und Rückversicherungsvertrag vergleichende Untersuchung von Hans-Jürgen Schlochauer, Der deutsch-russische Rückversicherungsvertrag. Eine historisch-völkerrechtliche Untersuchung, Leipzig 1931. Dieser Widerspruch war schließlich für die Nachfolger Bismarcks auch von nicht zu unterschätzender Bedeutung für ihre Entscheidung, den Vertrag nicht zu erneuern; vgl. ζ. B. die Aufzeichnungen Berchems vom 25. und Caprivis vom 28.März 1890, GP 7, N r . 1368 und 1369. Vgl. Ludwig Israel, England und der Orientalische Dreibund. Eine Studie zur europäischen Außenpolitik 1887-1896, Stuttgart 1937. GP 4, N r . 930. Taylor, Struggle for Mastery, S.321. Hatzfeldt an Bismarck, 12. Nov. 1887, G P 4, N r . 926. Vgl. dazu Gerhard Ritter, Bismarcks Verhältnis zu England und die Politik des „ N e u e n Kurses", in: Archiv für Politik und Geschichte 2 (1924), S. 532ff. Felix Rachfahl, Nochmals das angebliche Bündnisangebot Bismarcks an England vom Jahre 1887, in: Weltwirtschaftliches Archiv 17 (1921/22), S.275. Die auf erschöpfender Quellenbasis erarbeiteten Ausführungen von Wolfgang Steglich, Bismarcks englische Bündnissondierungen und Bündnisvorschläge 1887 bis 1889, in: Hans Fens-
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Α. Das Deutsche Reich und der Orient in der Bismarckzeit
Bismarcks eine allmählich deutlicher werdende Orientierung nach England hin greifbar ist, muß allerdings als sicher gelten. Zu fragen bleibt hingegen, warum Bismarck, wenn er tatsächlich den Wunsch eines Bündnisses mit England hegte, diesen in verklausulierter Form vorgetragen haben sollte. Bedenkt man nun, daß lediglich Bismarck und eine sehr kleine Gruppe deutscher Diplomaten und Politiker den Inhalt aller Noten und Verträge des Jahres 1887 kannten, so kann kaum ein Zweifel bestehen, daß wir es bei dem Vertragssystem des Jahres 1887, das von Theodor Schieder als „ein kunstvolles, wenn nicht künstliches System, [als] das Ergebnis eines im höchsten Maße abstrakten Machtdenkens" charakterisiert worden ist 62 , mit einer Strategie gezielten Fixierens von Konflikten an der Peripherie bei möglichst geringem eigenen Einsatz zu tun haben, deren Ziel es freilich war, den für das Reich so wichtigen Frieden in Europa selbst zu erhalten 63 . Das bestätigt das Konzept eines Schreibens des Reichskanzlers an den soeben an die Macht gekommenen Kaiser Wilhelm II. vom 19. August 1888, dessen zweiter Teil im folgenden wegen seines Charakters als Schlüsseldokument für die Bismarcksche Orientpolitik im Zusammenhang wiedergegeben wird: „Ich zweifele nicht an der russischen Absicht, den Vorstoß auf Konstantinopel zu machen und nach Fertigstellung der Schwarzenmeerflotte, also im Anfang der 1890er Jahre, den Zeitpunkt zur Aktion zu wählen, je nachdem die europäische Lage ihn angezeigt erscheinen läßt. Meines alleruntertänigsten Dafürhaltens liegt es nicht in der Aufgabe unserer Politik, Rußland an der Ausführung seiner Pläne auf Konstantinopel zu hindern, sondern dies den anderen Mächten, wenn sie es in ihrem Interesse halten, lediglich zu überlassen!64!; unser Interesse an der Bosporusfrage ist einen so großen Krieg nach zwei Fronten, wie der Bruch mit Rußland nach sich ziehn würde, nicht wert; im Gegenteil, wenn Rußland sich dort einläßt, mindert sich seine Gefährlichkeit für uns durch Abziehung von unsrer Grenze und durch die herausfordernde Spannung, in die es zu den Mittelmeermächten, namentlich zu England und auf die Länge auch zu Frankreich tritt. Daß der russische Vorstoß auf Konstantinopel durch Bulgarien mit Benutzung des letzteren geschehen würde, möchte ich kaum annehmen, glaube vielmehr, daß der Seeweg und
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ke/Wolfgang Reinhard/Ernst Schulin (Hrsg.), Historia Integra. Festschrift für Erich Hassinger zum 70. Geburtstag, Berlin 1977, S.283ff., vermögen für diesen Brief insofern nicht ganz zu überzeugen, als Steglich das primäre Anliegen Bismarcks einerseits, das Gegenstück des Orientdreibundes, den Rückversicherungsvertrag nämlich, andererseits nicht ausreichend berücksichtigt. Überzeugend sind Steglichs Ausführungen zum Problem des Beitritts der Türkei zum Orientdreibund. Schieder, Staatensystem als Vormacht der Welt, S. 244. Dieser Aspekt des Vertragssystems wurde u.a. bereits hervorgehoben von Rogge, Bismarcks Kolonialpolitik, S. 315; Felix Rachfahl, Deutschland und die Weltpolitik 1871-1914, Bd. 1, Stuttgart 1923, S. 706f.; Trützschler von Falkenstein, Bismarck und die Kriegsgefahr, S. 103; Ritter, Bismarcks Verhältnis zu England, S. 543 f.; ders., Die Legende von der verschmähten englischen Freundschaft, S. 16; Hans Roessler, Die deutsche auswärtige Politik seit 1871. Versuch einer zusammenfassenden Darstellung, in: Archiv für Politik und Geschichte 5 (1925), S. 106; Holborn, Deutschland und die Türkei, S.64; Sontag, Germany and England, S.230; Rassow, Stellung Deutschlands, bes. S. 491 f.; Theodor Schieder, Bismarck - gestern und heute. Das BismarckProblem, in: ders., Einsichten in die Geschichte. Essays, Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1980, bes. S. 311 ff.; Hillgruber, Bismarcks Außenpolitik, S. 146ff. Vgl. Bismarcks entsprechende Verlautbarung in den „Hamburger Nachrichten" vom 17. Dez. 1892, Penzier 4, S.296, und in: Erinnerungen und Gedanken, S.419.
I. Grundzüge der Bismarckschen Orientpolitik
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der durch Kleinasien vorgezogen werden' 6 5 ), und daß man vorher und gleichzeitig versuchen wird, die Pforte zur Annahme eines russischen Vertrages zu bewegen, welcher dem Sultan seine Besitzungen, den Russen aber die Verfügung über Schluß und Öffnung des Bosporus durch Besetzung einer festen Position sichert. Ist letzteres geschehen, so wird Rußland im Schwarzen Meer gesichert und seine Expansivkraft gegen Persien und Indien verwendbar sein' 66 '· Damit ist dann für England die Unmöglichkeit gegeben, in seiner bisherigen Fiktion einer kühlen Zuschauerrolle zu verharren, und wir können abwarten, wie die Konstellation unter den übrigen Mächten sich gestaltet, da ein russischer Angriff auf Konstantinopel an sich noch keinen casus foederis zwischen Österreich und uns herstellt' 67 !. - Euer pp. würde ich zu ehrfurchtsvollem Danke verpflichtet sein, wenn Allerhöchstdieselben die Gnade haben wollten, dieses Schreiben nach genommener Einsicht zu verbrennen; dasselbe berührt Dinge und Fragen, die ich in der Regel nicht für nützlich halte, dem Papiere anzuvertrauen und anders als mündlich zu verhandeln, solange ihre tatsächliche
Entwicklung nicht v o r l i e g t . " 6 8 Angesichts dieser unmißverständlichen Aus-
führungen wird man der in seinem berühmten M e m o r a n d u m aus dem Jahre 1907 vorgelegten Analyse E y r e C r o w e s zumindest in der Einsicht beipflichten müssen, daß „ d i e E r haltung eines Zustandes der Spannungen und des Antagonismus zwischen dritten Mächten . . . eingestandenermaßen eines der Hauptelemente in Bismarcks politischen Kombinationen" gewesen sei, „ d u r c h die er die vorherrschende Stellung Deutschlands auf dem Kontinent zuerst erlangte und dann zu erhalten s u c h t e " 6 9 . Im Rückblick wird man sagen dürfen, daß es Bismarck nicht zuletzt deshalb gelungen war, das für die Existenz des vergleichsweise jungen deutschen Staates lebenswichtige 65
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Das vermutete im übrigen auch Salisbury. Vgl. Schreiben Hatzfeldts an Caprivi, 2. Mai 1890, GP 9, Nr. 2082. Tatsächlich konnte Holstein bereits anläßlich der Diskussion um die Erneuerung des Rückversicherungsvertrages an Hatzfeldt schreiben: „Die Russen drängen auf Verlängerung des Geheimvertrages, wenn auch nur mit der Meerengen-Klausel und unter Weglassung alles dessen, was sich auf Bulgarien bezieht." (Holstein an Hatzfeldt, 21.Mai 1890, Hatzfeldt 2, Nr.462) Bereits während des Besuchs des persischen Schahs Nassr ed-din in Berlin hatte Russell am 7. Juni 1873 an Granville geschrieben (Letters from the Berlin Embassy, S. 108): „ I know for certain that Bismarck said to the Emperor: ,We have no direct interests in Persia, but however much we admire England in the East, we should remember that the Russian Army is more likely to be of use to us in Europe than the English Fleet.' - From this I conclude that Bismarck will favour the Czar's policy in preference to ours in Persia." Charakteristischerweise ging Caprivi im Mai 1890 - also zu einer Zeit, als die Nichterneuerung des Rückversicherungsvertrages bereits feststand - davon aus, daß Rußland einen Vorstoß auf Konstantinopel mit einem Angriff auf Österreich beginnen werde (Aufzeichnung vom 11. Mai 1890, G P 9 , Nr. 2087). Auch der Unterstaatssekretär Berchem nahm an, daß ein durch den Rückversicherungsvertrag gedeckter Vorstoß der Russen „den wahrscheinlichen Eintritt des casus foederis Österreich gegenüber für uns zur Folge haben wird" (Aufzeichnung vom 25. März 1890, GP 7, Nr. 1368).
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GP 6, Nr. 1350; vgl. Promemoria für Wilhelm II. vom Juli 1888, ebd., Nr. 1343; Wilhelm II., Ereignisse und Gestalten aus den Jahren 1878-1918, S. 12f.; Bemerkung des Kanzlers zu einem Schreiben von Radowitz vom 9. Mai 1889 (zitiert nach Holborn, Deutschland und die Türkei, S.67): „ J e schwieriger Konstantinopel direkt zu nehmen ist, desto stärker ist die Versuchung für die Russen zuerst Österreich anzugreifen; dann sitzt England still und wartet; wird Konstantinopel genommen, tritt es in erste Linie." Wie richtig er die englische Reaktion einschätzte, zeigen Salisburys Ausführungen gegenüber Marschall vom Juli 1891 (Aufzeichnung Marschalls vom 6. Juli 1891, GP 9, Nr.2111; vgl. auch Hatzfeldt an Caprivi, 23.Mai 1890, GP 9, Nr.2091).
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Eyre Crowe, Memorandum über den gegenwärtigen Stand der britischen Beziehungen zu Frankreich und Deutschland, 1. Jan. 1907, B D 3, Anhang A.
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Α. Das Deutsche Reich und der Orient in der Bismarckzeit
Gleichgewicht der Mächte und damit den Frieden in Europa zu erhalten, weil er das Reich von riskanten imperialistischen Experimenten zurückhielt. Selbst die während der Jahre 1884/85 getätigten kolonialen Erwerbungen in Afrika und im Pazifik, die offenbar vor allem aus wirtschafts- und sozialpolitischen Erwägungen heraus unternommen wurden 7 0 und dem erklärten Ziel dienten, „den berechtigten Unternehmungen deutscher Reichsangehöriger" 7 1 die entsprechende Förderung und Sicherung durch Einrichtung sogenannter „Schutzgebiete" zuteil werden zu lassen, wurden dem Reich-jedenfalls für den Augenblick- nicht gefährlich. Der Grund für diese relativ reibungslose Entwicklung ist vor allem in der von Bismarck im ganzen erfolgreich angewandten Taktik zu sehen, namentlich die britische Regierung durch seine wiederholt vorgetragene Drohung von Gegenmaßnahmen abzuhalten, der ohnehin durch den Mahdi-Aufstand im Sudan sowie durch einen russischen Vorstoß in Afghanistan unter erheblichem Druck stehenden Inselmacht im soeben (1882) besetzten Ägypten die bis dahin gewährte diplomatische U n terstützung zu versagen, ja, mehr noch, womöglich mit Frankreich einen entsprechenden „ H a n d e l " zu machen, „wenn England uns nicht befriedige" 7 2 - ein Weg, den Bismarck
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Dazu erschöpfend: Hans-Ulrich Wehler, Bismarck und der Imperialismus, Köln 3 1972. Lothar Gall hat als entscheidendes Motiv für die „Wendung der Bismarckschen Politik gegen England" dessen Einsicht benannt, „daß der deutschen Politik die bisherigen Einwirkungsmöglichkeiten auf das internationale System zu entgleiten begannen" (Bismarck und England, in: Paul Kluke/Peter Alter [Hrsg.], Aspekte der deutsch-britischen Beziehungen im Laufe der Jahrhunderte. Ansprachen und Vorträge zur Eröffnung des Deutschen Historischen Instituts London, Stuttgart 1978, S. 58). Die letzte Darstellung dieses Problems stammt aus der Feder von Paul M. Kennedy, Anglo-German Antagonism, S. 167ff. Uber die erstaunliche Zurückhaltung deutscher Firmen und Banken unterrichtet Fritz Stern, Gold und Eisen. Bismarck und sein Bankier Bleichröder, Frankfurt a.M./Berlin 1978, S. 500ff. Bismarck an Münster, 1. Juni 1884, GP 4, Nr. 743. Bismarck an Münster, 24. Jan. 1885, GP 4, Nr. 757; vgl. ders. an dens., 25. Jan. 1885, ebd. Nr. 758:, ,Die öffentliche Meinung legt gegenwärtig in Deutschland ein so starkes Gewicht auf die Kolonialpolitik, daß die Stellung der Regierung im Innern von dem Gelingen derselben wesentlich abhängt. Ich bitte Ew. deshalb nicht zu vergessen, daß Ägypten als solches für uns ganz gleichgültig und für uns nur ein Mittel ist, den Widerstand Englands gegen unsere kolonialen Bestrebungen zu überwinden." Vgl. auch die bei Hermann Frhr. von Eckardstein (Lebenserinnerungen und Politische Denkwürdigkeiten [3 Bde., Leipzig 1911-1921], Bd. 1, S.85) mitgeteilte Bemerkung Bismarcks und dessen Rede vor dem Reichstag vom 2. März 1885 (RT, Bd. 81). Über die verschiedenen Phasen von Bismarcks Ägyptenpolitik informiert in Kürze nach wie vor gut Wolfgang Windelband, Bismarcks Ägyptenpolitik, in: BMH 18 (1940), S. 201 ff.; vgl. auch ders., Bismarck und die europäischen Großmächte 1879-1885. Auf Grund unveröffentlichter Akten, Essen 2 1942, S. 552ff.; Maximilian von Hagen, England und Ägypten. Materialien zur Geschichte der britischen Okkupation mit besonderer Rücksicht auf Bismarcks Ägyptenpolitik, Bonn 1915; Rogge, Bismarcks Kolonialpolitik, passim; Rothfels, Bismarcks englische Bündnispolitik, S. 79 ff.; Mathilde Kleine, Deutschland und die Ägyptische Frage 1875-1890, Diss. Münster, Greifswald 1927, die im übrigen auch in Bismarcks Ägyptenpolitik des Jahres 1879 das Motiv sieht, „die Aufmerksamkeit der Westmächte auf das den deutschen Grenzen fernliegende Nilland zu lenken und die Ägyptens wegen bestehende englisch-französische Spannung aufrecht zu erhalten" (S. 179; vgl. auch S. 187f.); Langer, European Alliances, S.281 ff.; Taylor, Struggle for Mastery, S. 293ff.; Henry Ashby Turner, Bismarck's Imperialist Venture: Anti-British in Origin?, in: Prosser Gifford/WM. Roger Louis (Hrsg.), Britain and Germany in Africa. Imperial Rivalry and Colonial Rule, New Haven/London 1967, S.47ff. Die englische Position ist gut dokumentiert in: Letters from the Berlin Embassy, S. 307ff.; Political Correspondence of Gladstone and Granville, Bd. 2, Nr. 1360 ff.; William Osgood Aydelotte, Bismarck and British Colonial Policy. The Problem of South-West Africa 1883-1885 (1937), New York 2 1970.
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offensichtlich im April 1886 (also zur Zeit des Zwischenspiels der liberalen Regierung Gladstone) erneut einzuschlagen gedachte, falls sich England in der Sansibar-Frage nicht nachgiebig zeigen sollte 7 3 . Kam es daher auch mit England vorerst nicht zum Bruch, ja, vielmehr seit 1887 zu einer erneuten Annäherung mit ihrem Höhepunkt in dem neuerlichen Bismarckschen Bündnisangebot an Salisbury im Januar 1889 7 4 , so ist doch gleichwohl nicht zu übersehen, daß diese „Bismarcksche Pressionspolitik zugunsten der deutschen Ausbreitung nach Übersee im Bewußtsein mancher englischer Politiker haften geblieben" ist (Wehler) 75 und erneut ein grundsätzliches Mißtrauen in die deutsche Politik hervorgerufen hat. Dieses wurde dann allerdings nicht unwesentlich dadurch verstärkt, daß die Nachfolger Bismarcks im Jahre 1893 erneut den Versuch unternahmen, der britischen Regierung „eine Art Ultimatum" zu stellen, nach der sie von der Mitbewerbung um Eisenbahnkonzessionen in der Türkei zurücktreten sollte, andernfalls der deutsche Konsul in Kairo seine Unterstützung der britischen Verwaltung in Ägypten zurückziehen würde 76 . Damit ergibt sich im Ausgang der Bismarck-Ära der folgende Befund: Zunächst und vor allem war es Bismarck gelungen, das Reich gemäß seiner Kardinal-Maxime vor jedem direkten politischen Engagement in den orientalischen Angelegenheiten zu bewahren. Noch am 22. November 1887 hatte er an Salisbury geschrieben, „que le Gouvernement de l'Empire ne pourrait pas assumer devant la nation la responsabilite d'une guerre, dans laquelle d'autres interets que ceux de l'Allemagne se trouveraient en litige, comme par example ceux de l'Orient. - Le Sultan est notre ami et il a toutes nos sympathies; mais de la jusqu'ä nous battre pour lui, il y a une distance que nous ne pourrons proposer au peuple allemand de franchir." 7 7 Nicht zuletzt deshalb war es geglückt, trotz der - paradoxerweise gerade aus dem Willen zur Nichteinmischung in die orientalische Frage entstandenen - prekären Situation einander widersprechender, von Deutschland unterzeichneter bzw. geförderter Verträge und Noten ein Zurückschlagen der seit 1875 immer wieder an der orientalischen Peripherie auftauchenden Spannungen in die Mitte Europas selbst und damit eine womöglich existenzgefährdende Bedrohung des Deutschen Reiches zu vermeiden. Hinzukommen mußte freilich der ständige Versuch eines ,,bewußte[n] Offenhaltenfs] regionaler Konflikte zwischen den verschiedenen Partnern" 7 8 - und das hieß
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Vgl. Herbert von Bismarck an Hatzfeldt, 22. April 1886, Hatzfeldt 1, Nr. 236. Vgl. Schreiben Bismarcks an Hatzfeldt, 11. Jan. 1889, G P 4 , Nr. 943; vgl. auch seine Reichstagsrede vom 26. Jan. 1889, RT, Bd. 105. Vgl. dazu die erschöpfende Darstellung von Steglich, Bismarcks englische Bündnissondierungen, der als ,,wichtigste[n] Anlaß für den deutschen Bündnisvorschlag vom Januar 1889" die „boulangistische Gefahr" sieht (S.347; vgl. auch S.340). Wehler, Bismarck und der Imperialismus, S.415; vgl. z . B . auch Kleine, Deutschland und die Ägyptische Frage, S. 182ff. Eines der bekanntesten Beispiele ist das o.g. Memorandum Crowes vom 1. Jan. 1907 (BD 3), das eine deutliche Linie von Bismarcks Kolonialpolitik bis hin zur deutschen Marokkopolitik zieht. Kritisch analysiert dieses Memorandum gerade in dieser Hinsicht Friedrich Thimme, Das Memorandum E. A. Crowes vom 1. Januar 1907. Seine Bedeutung für die Kriegsschuldfrage, in: B M H 7(1929), bes. S. 762ff.; ders., Das „berühmteSchwindeldokument" E. A. Crowes, ebd., S. 874 ff. Vgl. auch Münster an Holstein, 11. Juni 1890, Holstein 3, Nr. 319. Vgl. Viscount Grey of Fallodon, Twenty-Five Years 1892-1916 (2 Bde., New York 1925), Bd. 1, S.9f. GP 4, Nr. 930. Hillgruber, ,,Krieg-in-Sicht"-Krise, S.50.
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Α. Das Deutsche Reich und der Orient in der Bismarckzeit
nach der Erfahrung von 1875 vor allem der „Lösung oder Verhinderung der Kooperation von Rußland und England" 7 9 . Mit dem im Grunde durch die Nichterneuerung des Rückversicherungsvertrages 1890 vorbereiteten, spätestens 1898 gefaßten und der Kardinal-Maxime der Bismarckschen Orientpolitik zuwiderlaufenden Entschluß der deutschen Politik, sich nunmehr verstärkt wirtschaftlich und politisch im Orient, namentlich in der asiatischen Türkei, zu betätigen, sich damit gewissermaßen freiwillig in das vor allem durch den russisch-englischen Interessengegensatz markierte Zentrum der Spannungen selbst zu begeben und gleichzeitig der Bindung an die Doppelmonarchie den Charakter der Endgültigkeit zu verleihen, war aber ein Zurückschlagen dieser Spannungen bis an die deutschen Grenzen gleichsam endgültig programmiert, was um so gefährlicher werden mußte, als nunmehr kein Bismarck vergleichbarer Diplomat zur Lösung neuer „Doktorfragen" verfügbar war. Dieser Entschluß zu einer verstärkten weltpolitischen Betätigung des Deutschen Reiches erwuchs nicht zuletzt aus dem Gefühl eines „Zukurzgekommenseins". In dem Bestreben, diesem Mißstand abzuhelfen, wird seit 1890/94 eine qualitative Änderung der deutschen Politik sichtbar, weg von der auf Sicherung des status quo bedachten Realpolitik Bismarcks hin zu jener zunehmend vom Prestigegedanken 80 getragenen Politik einer verstärkten Betätigung an der Peripherie mit dem Ziel einer „angemessenen" Berücksichtigung deutscher Interessen in der Welt. Damit geriet die deutsche Politik zusehends in einen circulus vitiosus insofern, als - wie etwa die Marokkofrage zeigt - jeder Rückschlag auf „weltpolitischem" Gebiet zu einem neuerlichen und durch den Druck der seit 1890 mehr und mehr maßgeblichen, seit 1911 dann kaum mehr übergehbaren öffentlichen Meinung 8 1 bestimmten Versuch führte, das angeschlagene Prestige des Deutschen Reiches durch noch verstärkte Anstrengungen wieder zu rehabilitieren. Deutlich wird das vor allem im Fall der deutschen Orientpolitik, deren zentrales Objekt, die Bagdadbahn, als wohl größtes Prestigeprojekt des Kaiserreichs auf weltpolitischem Gebiet galt. Freilich gilt es in Rechnung zu stellen, daß Bismarck zwar einerseits, wie etwa Ernst Jäckh bereits 1916 ausführte, auf eine aktive Kolonialpolitik „verzichtet" hat, daß er aber andererseits - „durch den geograpischen Druck der Verhältnisse veranlaßt" - der erste gewesen ist, „der die spätere deutsche Orientpolitik südostwärts leitete, damals, als er sich für Österreich-Ungarn gegen Rußland entschied . . . Das ist die Wegweisung schon unter Bismarck mit der Wirkung für die T ü r k e i . . . " 8 2 U n d tatsächlich ist kaum zu übersehen, daß Bismarck durch seine Option zugunsten Österreich-Ungarns, durch seine Kolonial- und Ägyptenpolitik in den Jahren 1884/85 und durch sein Placet zu einer neuerlichen deutschen Militärmission wie zu einem ersten großen wirtschaftlichen Engagement deutscher Banken in der Türkei, wenn auch sicherlich keine politische Verwicklung
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Entwurf einer allgemeinen Instruktion für die Haltung der deutschen Politik in den orientalischen Angelegenheiten, speziell in Beziehung auf Griechenland, 7. Nov. 1880, GP 4, Nr. 719. Vgl. Emil Wächter, Der Prestigegedanke in der deutschen Politik von 1890 bis 1914, Diss. Bern, Aarau 1941. Zu Beginn seiner Amtszeit notierte Caprivi zu einer Aufzeichnung Raschdaus vom 18. Juli 1890: „Wir müssen auf die öffentliche Meinung viel mehr Rücksicht nehmen als zu Fürst Bismarcks Zeit" (GP 7, Nr. 1609). Ernst Jäckh, Die Beziehung der deutschen Industie zum türkischen Reiche, in: Technik und Wirtschaft. Monatsschrift des Vereines deutscher Ingenieure 9 (1916), S. 193.
I. Grundzüge der Bismarckschen Orientpolitik
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in die orientalische Frage gewollt, so doch aber immerhin selbst den ersten Schritt zu einer stärkeren deutschen Betätigung an der Peripherie, nicht zuletzt der orientalischen, getan hat, daß also - in den Worten Helmuth Rogges - bereits gegen Ende der Bismarck-Ära „Kräfte mehr und mehr zu wirken begannen, die Bismarck, wenn nicht selbst gerufen so doch gefördert hatte, nämlich diejenigen des Imperialismus" 83 .
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Rogge, Bismarcks Kolonialpolitik, S.441.
II. Die Entsendung deutscher Beamter und Offiziere in die Türkei und die politische Bedeutung der Militärmission Nach der Niederlage im Krieg gegen Rußland (1878) betrachtete der seit 1876 regierende türkische Sultan Abdul Hamid II. die Lösung zweier Aufgaben als vordringlich, nämlich erstens die Reform der türkischen Armee und zweitens die Ordnung der türkischen Finanzen. In beiden Fragen hoffte er auf deutsche Hilfe - aus zwei Gründen: Zum einen wollte er das Terrain eines möglichen deutschen Engagements in den bis dahin von England, Rußland und Frankreich mehr oder weniger kontrollierten Angelegenheiten des Osmanischen Reiches sondieren, zum anderen besann er sich der preußischen Militärmission der dreißiger Jahre. Am 8. Juni 1836 war der bereits auf „Urlaub" in Konstantinopel befindliche spätere Generalfeldmarschall Helmuth Graf von Moltke auf Bitten des Sultans Mahmud II. vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. zur Organisation und Instruktion der türkischen Truppen abkommandiert worden. Ihm waren auf königliche Kabinettsorder im Jahre 1837 die Hauptleute Vincke und Fischer sowie der Hauptmann von Mühlbach gefolgt. Nach der Niederlage der türkischen Armee (gegen Mehmed Ali bei Nisib am 24. Juni 1839), der Moltke und Mühlbach als Ratgeber zugeteilt waren, hatte man die deutschen Offiziere dann zurückbeordert. Trotz ihrer „offensichtlich erfolglosen Tätigkeit" 1 rankte sich alsbald um die Person Moltkes eine Legende, die nicht unwesentlich dazu beitrug, daß die Türken im Jahre 1880 erneut mit der Bitte um eine Militärmission in Berlin vorstellig wurden. Zu dieser Zeit versuchte der Sultan über den deutschen Botschafter in Konstantinopel, Paul Graf von Hatzfeldt, Bismarck für eine erneute Militärmission, verbunden mit einer Entsendung ziviler Berater nach der Türkei, zu bewegen. Seit 1839 gab es nämlich lediglich eine Art „nicht-institutionalisierter preußischer Offiziere in türkischen Diensten" 2 . Bismarck ging unerwartet rasch auf die durch Hatzfeldt, der sich zu einem Wegbereiter engerer deutsch-türkischer Beziehungen entwickelte 3 , am 14. Mai 1880 übermittelte 1
Wallach, Militärhilfe, S.29. Zur Geschichte der Moltke-Mission vgl. ebd., S. 17ff., sowie Helmuth von Moltke, Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839, Gesammelte Schriften und Denkwürdigkeiten, Bd. 8, Berlin 6 1893; Reinhold Wagner, Moltke und Mühlbach zusammen unter dem Halbmonde 1837-1839. Geschichte der Sendung preussischer Offiziere nach der Türkei 1837, des Kurdenfeldzuges 1838 und des Syrischen Krieges 1839, Berlin 1893; W.Bigge, Feldmarschall Graf Moltke. Ein militärisches Lebensbild, Bd. 1, München o. J. [1900], S.49ff.; Eberhard Kessel, Moltke, Stuttgart 1957, S. l l l f f .
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Wallach, Militärhilfe, S.31. Vgl. z . B . bereits Georges Gaulis, La Ruine d'un Empire. Abd-ul-Hamid, ses Amis etsesPeuples, Paris 1913, S. lOOff. Auf Hatzfeldts Bemühen geht z . B . auch die Erteilung von Fermanen an deutsche Archäologen, etwa für Grabungen in Pergamon, zurück; vgl. ζ. B. die Schreiben Alexander Conzes an Hatzfeldt vom 20. Sept. 1879, Hatzfeldt 1, Nr. 143, und Heinrich Schliemanns an Th. Schreiber, 24. Juli 1888, in: Heinrich Schliemann, Briefwechsel, aus dem Nachlaß in Auswahl hrsg. von Ernst Meyer, Bd.2, Berlin 1958, N r . 2 7 0 .
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II. Die Entsendung deutscher Beamter und Offiziere in die Türkei
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Bitte des Sultans ein, nicht ohne sich zuvor bei der österreichischen Regierung wegen etwaiger Bedenken gegen eine mögliche Stärkung der türkischen Armee rückversichert zu haben 4 . Am 1. Juni empfahl er dem Kaiser die Annahme des türkischen Wunsches 5 . Es waren drei Gründe, die den vor jeder Verwicklung in die orientalischen Angelegenheiten zurückweichenden Kanzler zu einer Entsendung preußischer Offiziere und Beamter in die Türkei bestimmten: Einmal sei, wie er dem damaligen Botschafter in Paris, Hohenlohe, unterbreitete, „die dort entwickelte Tätigkeit für die Beteiligten lehrreich und gebe ihnen Gelegenheit, das Maß ihrer Brauchbarkeit zu zeigen, und dann erwachse uns in ihnen eine Anzahl von zuverlässigen Berichterstattern' 6 ', die wir auf keine andre Weise würden schaffen können. Auch sei der Einfluß, den wir damit in den türkischen Ländern erhielten, nicht zu unterschätzen." 7 Damit war allerdings keine direkte Einmischung in die orientalische Frage geplant. Wohl aber sah Bismarck, daß eine dem Reich günstig gesonnene Türkei bei einem möglichen Konflikt mit Rußland eine nützliche Hilfe sein könnte: „Wenn in Rußland der Chauvinismus, Panslawismus und die antideutschen Elemente uns angreifen sollten, so wäre die Haltung und die Wehrhaftigkeit der Türkei für uns nicht gleichgültig. Gefährlich könnte sie uns niemals werden, wohl aber könnten unter Umständen ihre Feinde auch unsere Feinde werden." 8 Dieser Gedanke, „ob wir unsere freundschaftlichen Beziehungen zu anderen Mächten, die Pforte nicht ausgeschlossen, fester und enger gestalten wollen", wenn „unsere Beziehungen zu Rußland ins Freie fallen" 9 , tauchte auch später, allerdings immer nur ansatzweise und vorübergehend wieder auf: Einerseits hätte ein festes, wohl allenfalls als letzte Notlösung ventiliertes Bündnis mit der Türkei bei russisch-französischem Widerstand entweder eiii Einverständnis Englands vorausgesetzt oder aber den Bruch mit der Inselmacht und damit eine Konstellation für das Reich bedeutet, die Bismarck nicht zuletzt mit seiner Strategie in der orientalischen Frage gerade zu verhindern suchte. Andererseits konnte, wie bereits Helmut Krausnick in seiner Untersuchung von „Holsteins Geheimpolitik" bemerkt hat, Bismarck nicht an einer Stärkung der Türkei „in solchem Maße" gelegen sein, „daß ein russischer Handstreich auf Konstantinopel völlig aussichtslos wurde" 1 0 . Das durch die Entsendung der Militärberater natürlich geweckte Mißtrauen Rußlands, des noch 1876 in Bismarcks Augen lediglich ,,relativ zuverlässigsten unserer Bundesgenossen" 11 , wog allerdings in der gegebenen, durch starke Spannungen mit dem Zaren-
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Holborn, Deutschland und die Türkei, S. 11; Wallach, Militärhilfe, S.35. Holborn, Deutschland und die Türkei, S. 11 f. Vgl. dazu auch Russell an Granville, 17. Juli 1880, Letters from the Berlin Embassy, S. 156. Hohenlohe an den Kronprinzen, 15. Juli 1880, in: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, im Auftrage des Prinzen Alexander zu Hohenlohe-Schillingsfürst hrsg. von Friedrich Curtius (2 Bde., Stuttgart/Leipzig 1906), Bd.2, S.302. Ebd. Bismarck an Schweinitz, 13. Juni 1887, GP 5, Nr. 1088; vgl. z . B . auch ders. an Reuß, 19. Aug. 1883, GP 3, N r . 5 8 3 ; Bleichröder an Hatzfeldt, 2 0 . N o v . 1887, Hatzfeldt 1, N r . 3 5 0 : „Wegen Türkei äußerte sich Chef sehr offen dahin, daß er, von Rußland angefeindet, allerdings Fühlung mit dieser genommen." Helmut Krausnick, Holsteins Geheimpolitik in der Ära Bismarck 1886-1890. Dargestellt vornehmlich auf Grund unveröffentlichter Akten des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs, Hamburg 1942, S.235. Diktat vom 9. Nov. 1876, GP 2, Nr. 256.
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Α.Das Deutsche Reich und der Orient in der Bismarckzeit
reich ausgezeichneten Situation des Jahres 1880 und in Anbetracht einer möglichen türkischen Unterstützung bei einem sich daraus entwickelnden Konflikt vergleichsweise gering. Gleichwohl ging Bismarck, wie Waldersee noch am 18. November 1883 notierte, in der Frage der Militärberater mit Rücksicht namentlich auf Rußland und Frankreich „außerordentlich behutsam zu Werke" 1 2 . Weniger problematisch war die Entsendung der zivilen, für ihre Tätigkeit in der Türkei beurlaubten Berater, deren erster, Regierungsrat Wettendorf, bereits im Juli 1880 seine neue Stellung als Unterstaatssekretär im türkischen Finanzministerium antrat. Ihm folgten Bertram auf den relativ wichtigen Posten eines Vizedirektors der türkischen Zollverwaltung, Gescher als Rechtskonsulent des Außenministeriums und schließlich im Jahre 1882 Baurat Sebald als Unterstaatssekretär für öffentliche Bauten in der Türkei 13 . England begrüßte dieses Unternehmen ausdrücklich. Am 17. Juli 1880 setzte Russell Hohenlohe davon in Kenntnis, „that Her Majesty's Government would gladly see Germans employed for that purpose, that from no country could come more trustworthy and competent men, and that Her Majesty's Government rejoiced in any step which would show the interest Germany took in reforms which are essential in Turkey" 1 4 . Die Entsendung der Militärberater verzögerte sich zunächst aufgrund der - hier nicht weiter zu verfolgenden 15 - Verwicklungen, die sich aus der im Sommer 1880 akuten Frage der endgültigen Festsetzung der montenegrinischen und griechischen Grenze und der Befürchtung vor allem Englands ergaben, die Türkei möchte, wie Russell Hohenlohe unterbreitete 16 , in den deutschen Beratern eine willkommene Unterstützung für ihre hartnäckige Haltung in dieser Angelegenheit erblicken. Überdies hatte sich durch die Erneuerung des Dreikaiserbündnisses hinsichtlich Rußlands eine neue Situation ergeben. Die Rücksichtnahme auf das Zarenreich bestimmte daher Bismarck für den Augenblick, sowohl den Wunsch der griechischen Regierung, die im Oktober 1881 gleichfalls um eine Entsendung deutscher Offiziere nachgesucht hatte, abschlägig zu bescheiden als auch die Bitte des Sultans, den er auf keinen Fall verstimmen wollte - im übrigen ein weiterer Grund für die Ablehnung der griechischen Bitte - , vorerst dilatorisch zu behandeln 17 . Als jedoch wegen dieser deutschen Hinhaltemaneuver eine nachhaltige Verstimmung der Pforte nicht mehr ausgeschlossen werden konnte 18 , zumal Wien und Berlin - auf die Einhaltung des Berliner Vertrages bedacht - das Angebot des Sultans ausschlugen, der Doppelmonarchie als Gegenleistung für eine deutsch-österreichisch-türkische Allianz bei der Niederwerfung des 1882 in der Herzegowina ausgebrochenen Aufstandes behilflich zu sein 19 , und als Bismarcks Mißtrauen in die russische Politik durch die deutschfeindlichen Reden des Generals Skobelew im Februar 1882 in Paris erneut Nahrung be12 13
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Waldersee, Denkwürdigkeiten, Bd. 1, S.232. Vgl. z.B.: Aufzeichnungen und Erinnerungen aus dem Leben des Botschafters Joseph Maria von Radowitz, hrsg. von Hajo Holborn (2 Bde., Stuttgart/Berlin/Leipzig 1925), Bd.2, S.212; Holborn, Deutschland und die Türkei, S. 17; Gaulis, Ruine d'un Empire, S. 102. Russell an Granville, 17. Juli 1880, Letters from the Berlin Embassy, S. 155. Vgl. GP 4, Nr. 718 ff.; Holborn, Deutschland und die Türkei, S. 17 ff.; Medlicott, Concert of Europe, S. 190ff.; Wallach, Militärhilfe, S . 3 7 f f . Russell an Granville, 17. Juni 1880, Letters from the Berlin Embassy, S. 155; vgl. Winifred Taffs, Ambassador to Bismarck. Lord Odo Russell, First Baron Ampthill, London 1938, S. 326ff. Vgl. Holborn, Deutschland und die Türkei, S.20f. Vgl. Hirschfeld an Hatzfeldt, 7. März 1882, Hatzfeldt 1, Nr. 172. Vgl. Holborn, Deutschland und die Türkei, S . 2 4 f f .
II. Die Entsendung deutscher Beamter und Offiziere in die Türkei
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kommen hatte 20 , gab er dem türkischen Drängen nach, nicht ohne zuvor das endgültige Einverständnis der englischen Regierung eingeholt zu haben 21 . Am 11. April 1882 gab der Chef des Militärkabinetts, General von Albedyll, die Namen von vier für den Dienst in der Türkei bestimmten Offizieren bekannt. Es waren dies Oberst Kaehler, nach dem diese Mission im allgemeinen benannt wird, Hauptmann Kamphoevener, Rittmeister von Hobe und Hauptmann Ristow. Sie wurden alle befördert und zunächst unter Weiterbeziehung ihrer deutschen Gehälter für drei Monate beurlaubt, nach denen sie sich für oder gegen eine Einstellung in türkische Dienste - bei Zusicherung der Wiedereinstellung in die preußische Armee innerhalb von drei Jahren - zu entscheiden hatten 22 . Am 29. Juni wurde den Offizieren der Eintritt in die türkische Armee durch den Kaiser gestattet. 1883 stieß der zum General beförderte Freiherr von der Goltz als Ausbilder an der Generalstabsschule und 1884 Korvettenkapitän Starcke als Berater im türkischen Marineministerium zu der Mission 23 . Nach Kaehlers Tod im Jahre 1885 rückte von der Goltz 1886 auf dessen Stelle im türkischen Generalstab. Damit begann die „Ära von der Goltz" 2 4 , die eine wichtige Etappe auf dem Weg zur deutschen „Penetration Pacifique" des Osmanischen Reiches markiert. Vor allem wurde im Gefolge der durch die deutschen Offiziere vorangetriebenen Armeereform verstärkt Kriegsmaterial deutscher Firmen an die Türkei geliefert 25 . Auf Drängen von der Goltzens wurden 1885 in großem Umfang Waffen bei Krupp und Schichau bestellt 26 . Später folgten größere Aufträge für die Gewehrfabriken Mauser und Löwe 27 . Die sich hier notwendigerweise stellende Frage nach der Vereinbarkeit der geschilderten politischen Gesamtstrategie Bismarcks auch in bezug auf die orientalische Frage mit seiner Haltung gegenüber solchen türkischen Wünschen wird man wohl mit Holborn dahingehend beantworten müssen 28 , daß die Türkenpolitik des Kanzlers so konzipiert war, zwar „jedes Engagement Deutschlands in der Türkei zu meiden, aber unter dieser 20
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Vgl. dazu die gut dokumentierte Untersuchung von Hans Herzfeld, Bismarck und die Skobelewepisode, in: HZ 142 (1930), S . 2 7 9 f f . Vgl. Russell an Granville, 12. Nov. 1881, und die dort folgende Korrespondenz, Letters from the Berlin Embassy, S. 232 ff. Wallach, Militärhilfe, S. 42 ff.; vgl. auch Ulrich Trumpener, German Officers in the Ottoman Empire - 1880-1918. Some Comments on their Backgrounds, Functions and Accomplishments, in: Wallach, Germany and the Middle East, S . 3 0 f f . ; Radowitz, Aufzeichnungen, Bd.2, S.212. Wallach, Militärhilfe, S. 54ff. Ebd., S. 64 ff.; vgl. Colmar Freiherr von der Goltz, Denkwürdigkeiten, bearbeitet und hrsg. von Friedrich Frhr. von der Goltz und Wolfgang Foerster, Berlin 2 1932; Bernhard von Schmiterlöw, Aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Freiherr von der Goltz-Pascha. Nach Briefen an seinen Freund, Berlin 1926, S. 105 ff.; Gaulis, Ruine d'un Empire, S. 106ff.; Baron Wladimir Giesl, Zwei Jahrzehnte im Nahen Orient. Aufzeichnungen, hrsg. von Ritter von Steinitz, Berlin 1927, S . 4 6 f f . ; Admiral Hopman, Das Logbuch eines deutschen Seeoffiziers, Berlin 1924, S. 206f.; General Pertev Demirhan, Generalfeldmarschall Colmar Freiherr von der Goltz. Das Lebensbild eines großen Soldaten. Aus meinen persönlichen Erinnerungen, Göttingen 1960. Vgl. z.B. Hallgarten, Imperialismus, Bd. 1, S.478. Von der Goltz, Denkwürdigkeiten, S. 124 f. Ebd., S. 140. Nach Angaben von Lothar Rathmann (Berlin-Bagdad. Die imperialistische Nahostpolitik des kaiserlichen Deutschlands, Berlin [Ost] 1962, S. 18) und Sigrid Kumpf-Korfes (Bismarcks „Draht nach Rußland". Zum Problem der sozial-ökonomischen Hintergründe der russisch-deutschen Entfremdung im Zeitraum von 1878 bis 1891, Berlin [Ost] 1968, S. 182) handelte es sich um 500.000 Gewehre und 50.000 Karabiner. Holborn, Deutschland und die Türkei, S . 2 7 f .
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Α. Das Deutsche Reich und der Orient in der Bismarckzeit
Voraussetzung dennoch die deutsch-türkischen Beziehungen freundlich zu gestalten, indem man dem Sultan durch gelegentliche Freundschaftsbeweise und kleine Hilfeleistungen eine günstige Meinung beizubringen suchte . . . " Bismarck wollte sich auf diese Weise einen „Notausgang" offenhalten, falls es ihm nicht gelingen sollte, „das gute Verhältnis zwischen dem deutschen und russischen Reiche zu erhalten". Das bestätigt auch die Analyse Russells, der am 17. Dezember 1881 an Granville schrieb: „Bismarck has certainly never sought influence in Turkey, - but since the Sultan persistently forces it upon him he is yielding to His Majesty's importunities and no longer rejects the offer which he is beginning to think may after all have its advantages to Germany in the future." 2 9 Das grundsätzliche Bemühen, sich trotz dieses Entgegenkommens nicht politisch in der Türkei zu engagieren, zeigen Bismarcks Verbot an die Offiziere, sich in politische Angelegenheiten der Türkei einzumischen, die Tatsache, daß er die Offiziere niemals benutzte, um deutsche Wünsche bei der Pforte vorzubringen, und seine Weigerung, die Offiziere bei ihrer Arbeit zu unterstützen 30 . Es trifft daher auch keineswegs zu, daß Bismarck mit der Überlassung deutscher Offiziere an die Türkei „offensichtlich sein früheres Konzept gegenüber den östlichen Problemen, die nicht den Einsatz ,der Knochen eines pommerschen Grenadiers' wert waren, fallen gelassen" habe 31 . Diese von Bismarck und Radowitz verfolgte Linie stieß bei den Militärs auf wenig Verständnis. Sie sahen dank Bismarcks Politik den deutschen Einfluß in der Türkei zusehends schwinden. Das wird deutlich in einer am 21. Dezember 1891 in Konstantinopel verfaßten Denkschrift, von der eine Abschrift an die Firma Krupp in Essen ging. Sie ist nicht signiert, stammt aber zweifelsfrei von deutschen, in osmanischen Diensten stehenden Offizieren 3 2 : „Als wir hierher kamen [vor neun Jahren] suchte der Sultan - und dieser macht die Politik hier ganz allein, von der Pforte ist kaum die Rede - entschieden seinen ganzen Halt in Deutschland. Er bewies dies auch dadurch, dass er uns erbat und damals für alle Zweige der Verwaltung deutsche Beamte anstellte. Der Kanzler war damals der Ansicht, dass auf die Türken noch nicht zu rechnen wäre, dass sie unzuverlässig seien und dass man sich ihretwegen besonders den Russen gegenüber nicht kompromittieren dürfe, um diese nicht zu verletzen. Unsere Instruction lautete deshalb dahin, dass wir uns jeder politischen Einmischung zu enthalten hätten und von Seiten der hiesigen Botschaft wurde diese Instruction sogar soweit durchgeführt, dass wir geradezu desavouirt wurden bei verschiedenen Gelegenheiten. Die Botschaft bemühte sich stets zu dokumentiren, dass wir hier nur türkische Instructoren seien und wir wurden in unsern militairischen Bemühungen nie unterstützt; deshalb war unsere Stellung in organisatorischer, militairischer Hinsicht sehr erschwert; wir fanden nie einen Halt oder Nachdruck bei unserer Botschaft.. .I33). Radowitz, der zugleich eifersüchtig für seine Stellung und sein Ansehen war, gab dem Sultan immer zu verstehen, selbst wenn dieser die Absicht hatte, einen von uns zu benutzen zu Vertrauten seiner Politik Deutschland gegenüber, dass Er dazu da
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Letters from the Berlin Embassy, S.239; ders. an dens., 24. Dez. 1881, ebd., S.240: „German influence will now become very great at Constantinople." Holborn, Deutschland und die Türkei, S.29. Wallach, Militärhilfe, S.34. H A Krupp, F A H , III c 217. In der Denkschrift ist u. a. von „uns Offizieren" die Rede, die seit nunmehr neun Jahren in der Türkei seien. Die Denkschrift ist im Anhang (Dokument I) veröffentlicht. Vgl. dazu Radowity. Aufzeichnungen, Bd. 2, S.212.
II.Die Entsendung deutscher Beamter und Offiziere in die Türkei
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wäre und der Kaiser nicht wünschte, dass irgend etwas durch uns ginge' 34 !. Mehrere von uns, die in ihrer Stellung am Hofe speciell das Vertrauen des Sultans gewonnen hatten.. wurden absichtlich durch die Botschaft dem Sultan entfremdet, damit diese nur ja nicht etwa Politisches mit diesem verhandeln. So hat denn der Botschafter seinen Zweck auch erreicht und unser Einfluss ist gleich N u l l . . . - Wir sehen also den deutschen Einfluss, der früher bestand, immer mehr schwinden und den französischen I35J steigen. Erst in jüngster Zeit sind verschiedene Fälle eingetreten, die dieses eclatant beweisen. Während früher Krupp, Vulkan, Germania, Mauser, Rottweil die Geschütze, Schiffe, Gewehre und Munition an die Türkei lieferten, sind jetzt diese Bestellungen in Frankreich gemacht worden." Sicher wurden die nicht zuletzt aus augenblicklichen Launen des Sultans erwachsenen Vorgänge von den über die Einstellung der politischen Führung verärgerten Offizieren dramatisiert. Immerhin hielt aber von der Goltz, der im übrigen 1891 mit Blick auf die französische Konkurrenz auf eine rasche Neubesetzung des nach dem Tode Ristows vakanten Postens eines Artillerieoffiziers drängte 36 , diese Entwicklung für so bedenklich, daß er Friedrich Alfred Krupp in einem Schreiben vom 10. Juli 1891 37 zu raschen Gegenmaßnahmen riet. Tatsächlich hatte Krupp nämlich seit 1886 (in diesem Jahr wurden für die Türkei 440 Kanonen gefertigt) keine Geschütze mehr an den Bosporus geliefert. Offensichtlich aus diesem Grunde schickte Krupp umgehend einen Sonderbeauftragten, Carl von Menshausen 38 , der schon wiederholt in die Türkei gereist war und dort Kruppsche Interessen vertreten hatte, nach Konstantinopel und wurde in dieser Angelegenheit auch im Auswärtigen Amt vorstellig 39 . Im Jahre 1893 setzte dann die Geschützproduktion für die Türkei wieder ein (78 Kanonen) 40 . Auch Krupp profitierte damit von dem allgemeinen Aufwind, in dem sich die deutsche Wirtschaft seit dem gleichfalls von Bismarck vorsichtig geförderten Erwerb der Konzession für den Bau der Anatolischen Eisenbahn durch die Deutsche Bank befand.
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Tatsächlich war dann auch die Unzufriedenheit des Sultans einerseits, das zurückhaltende, d. h. in den Augen der Männer des „Neuen Kurses", namentlich Hatzfeldts und Holsteins, die deutschen Interessen nicht mehr ausreichend vertretende Auftreten Radowitzens andererseits von ausschlaggebender Bedeutung für die Umbesetzung des Konstantinopeler Postens. Vgl. Hatzfeldt an Holstein, 28. Juni 1891, Hatzfeldt 2, Nr. 517. Auch in seinem Schreiben vom 1. Juli 1892 an dens. spricht Hatzfeldt von dem „leider verlorenen Einfluß" auf den Sultan (Holstein 3, Nr.370; ders. an dens., 10. Juli 1892, ebd., Nr.371). Vgl. dazu die Reminiszenzen im Schreiben Radowitzens an Caprivi vom 11. Okt. 1891, GP 14/11, Nr. 3961. Wallach, Militärhilfe, S.74f. HA Krupp, FAH, III Β 207. Von Menshausen stammen möglicherweise auch die nicht datierten und signierten „Notizen über Türkei", in denen die Angaben der Denkschrift und des Briefes von der Goltzens im wesentlichen bestätigt werden (HA Krupp, FAH, III c 217). Vgl. Holstein an Hatzfeldt, 18. Juli 1891 (Nachschrift), Hatzfeldt 2, Nr. 521. Vgl.: Verzeichnis der von der Gußstahlfabrik und vom Grusonwerk von 1847 bis 1912 gefertigten Kanonen, HA Krupp.
III. Die Anfänge deutscher wirtschaftlicher Penetration des Osmanischen Reiches und die englische Haltung Die Türkei, so stellte einer der intimsten Kenner der Materie, Karl Helfferich, nach dem Kriege fest, spielte „ f ü r die wirtschaftliche Betätigung Deutschlands . . . in den ersten zwei Jahrzehnten des neuen Deutschen Reiches nur eine untergeordnete und nebensächliche R o l l e " 1 . Als auf Veranlassung des Berliner Kongresses am 2 0 . Dezember 1881 durch das sogenannte M o u h a r r e m - D e k r e t 2 die türkischen Staatsschulden durch eine E x pertengruppe von Repräsentanten der sieben wichtigsten europäischen Gläubiger der Türkei (außer Rußland) zusammengelegt und ihre Verwaltung der „Administration de la Dette Publique O t t o m a n e " übertragen wurde 3 , „die zwar formell eine türkische Verwaltungseinrichtung, faktisch eine multinationale Finanzkorporation mit halbstaatlichen Rechten w a r " ( W . J . M o m m s e n ) 4 , ergab der U m t a u s c h der alten gegen die neuen Titres, daß der deutsche Anteil an den türkischen Staatsanleihen lediglich 4 , 7 % betrug, der Frankreichs 4 0 % , Englands 2 9 % , der Niederlande 7 , 6 % und Belgiens 7 , 2 % 5 . Als deutscher Vertreter in diesem Verwaltungsgremium fungierte Justizrat Primker, Repräsentant des Bankhauses Bleichröder 6 . Bleichröder bekam d a d u r c h - so F r i t z Stern ,,Appetit auf türkische Möglichkeiten" 7 . Sein Versuch allerdings, sich an der im Besitz des Baron H i r s c h 8 befindlichen „Betriebsgesellschaft der Orientalischen Eisenbahnen" 1
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Karl Helfferich, Georg von Siemens. Ein Lebensbild aus Deutschlands großer Zeit (3 Bde., Berlin 1921-1923), Bd. 3, S. 16. Vgl. auch ders., Die deutsche Türkenpolitik, Berlin 1921, S. 3, sowiedie zeitgenössische Untersuchung von Ε. A. von Engelbrechten, Kaiser Wilhelms Orientreise und deren Bedeutung für den deutschen Handel. Neue Bahnen und Wege für den deutschen Ausfuhrhandel, Berlin 1890. Zur Entwicklung der deutschen wirtschaftlichen Interessen in der Türkei während der achtziger Jahre vgl. Harold S . W . Corrigan, British, French and German Interests in Asiatic Turkey, 1881-1914, Diss. London 1954, S . l f f . Text des Dekrets bei Arthur von Gwinner, Lebenserinnerungen, hrsg. von Manfred Pohl, Frankfurt a. M. 1975, S. 158 ff. Vgl. dazu Jean Ducruet, Les capitaux europeens au Proche-Orient, Paris 1964, S. 98ff.; Donald C. Blaisdell, European Financial Control in the Ottoman Empire. A Study of the Establishment, Activities, and Significance of the Administration of the Ottoman Public Debt (1929), New York 1966, S. 90 ff. Blaisdell, Financial Control, S.90ff.; Alexander Schölch, Wirtschaftliche Durchdringung und politische Kontrolle durch die europäischen Mächte im Osmanischen Reich (Konstantinopel, Kairo, Tunis), in: Geschichte und Gesellschaft 1 (1975), S. 404ff. Mommsen, Europäischer Finanzimperialismus vor 1914, S. 127. Helfferich, Siemens, Bd. 3, S. 19; Ducruet, Capitaux europeens, S. 102; Schölch, Wirtschaftliche Durchdringung, S. 440/Anm. 119; Kurt Grunwald, Penetration Pacifique - the Financial Vehicles of Germany's „Drang nach Osten", in: Wallach, Germany and the Middle East, S. 86 und 98. Interessant sind die Vergleichszahlen des Jahres 1913 (nach Schölch): Deutschland 20,1 % ; Frankreich 49,5 % ; England 6,9 % ! Vgl. Blaisdell, Financial Control, S. 90; Grunwald, Penetration Pacifique, S. 86; Stern, Gold und Eisen, S.511f. Stern, Gold und Eisen, S.512. Vgl. Kurt Grunwald, Türkenhirsch, Α Study of Baron Maurice de Hirsch. Entrepreneur and Philanthropist, Jerusalem 1966, S . 4 6 f . ; Hallgarten, Imperialismus, B d . l , S.227ff.
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zu beteiligen, die vor. allem auf dem Balkan tätig war, scheiterte an Bismarck 9 , der Versuch, deutsche Käufer für das im Besitz von Hirsch befindliche türkische Eisenbahnnetz zu finden, an dem er selbst mit 1,5 Millionen Mark beteiligt war, vorerst am Desinteresse potentieller Käufer 1 0 . Hingegen beteiligte er sich gewinnbringend an der „Societe de Regie Cointeressee des Tabacs de l'Empire Ottomane" 1 1 , zumal Bismarck in diesem Fall, in dem es ja nicht zuletzt darum ging, die Türkei zur Einhaltung der ihr auf dem Berliner Kongreß auferlegten Regelung ihrer Staatsschuld zu bewegen, Bleichröder offensichtlich diplomatische Unterstützung bei dessen Bemühen gewährte, die unwilligen Türken zur Einhaltung ihrer Lieferverpflichtungen zu bewegen 12 . Ein weiterer Pionier im Türkeigeschäft war - wie bereits angedeutet - die Firma Krupp: „ D i e Beziehungen der Firma zur Türkei", so ist einer Aktennotiz aus dem Jahre 1916 zu entnehmen, „wurden im Jahre 1860 eingeleitet durch Verhandlungen des türkischen Gesandten Excellenz Aristarchi Bey, der (unter der erhofften Zustimmung des Prinzregenten von Preußen) die Einführung des preußischen Geschützsystems in der Türkei zu beantragen beabsichtigte. 1861 wurde ein Probegeschütz geliefert. 1863 wurden die ersten 48 Feldgeschütze..., 1864 schon 60 Stück bestellt. Seit 1869 hat eine Vertretung der Firma in Konstantinopel bestanden. Die freundlichen Beziehungen und ebenso die Geschützbestellungen sind dann ohne Unterbrechung bis in die Neuzeit fortgesetzt w o r d e n . . . Seit 1873 sind auch Küsten- und Schiffsgeschütze geliefert worden." 1868, 1879 und 1883 waren türkische Gäste bei der Firma Krupp in Essen 1 3 . Von einer wirtschaftlichen Betätigung deutscher Firmen und Banken in großem Stil läßt sich jedoch erst mit dem Erwerb türkischer Eisenbahnkonzessionen durch ein unter Führung der Deutschen Bank stehendes Konsortium sprechen. Diese Aktion geht auf ein Ersuchen des Sultans Abdul Hamid II. zurück 1 4 , der sich von einer Bahnverbindung zwischen Konstantinopel und Bagdad eine wirtschaftliche und strategische Erschließung der - verglichen mit den europäischen - relativ wenig entwickelten asiatischen Provinzen seines Reiches versprach 15 . Im Auftrage des Sultans trat der in türkischen Diensten stehende Eisenbahningenieur Wilhelm Pressel 1888 mit einem entsprechenden Vorschlag an den Direktor der Deutschen Bank, Georg von Siemens, heran. Dieser aber lehnte wiederholt mit dem Hinweis ab, daß „einerseits die Finanzierung derartiger Unternehmungen außerhalb des Bereichs der regelmäßigen Tätigkeit der Deutschen Bank liege, andererseits auch die augenblicklich obwaltenden politischen Verhältnisse es nicht rätlich erscheinen ließen, sich auf weitaussehende Unternehmungen einzulassen, selbst wenn mit Gewißheit auf eine Rentabilität gerechnet werden dürfe" 1 6 . Überdies waren die wirtschaftlichen 9 10 11 12 13 14
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Stern, Gold und Eisen, S. 512. Ebd., S. 512f. Blaisdell, Financial Control, S. 113f.; Stern, Gold und Eisen, S.512. Vgl. Bleichröder an Hatzfeldt, 16. Jan. und l . F e b . 1886, Hatzfeldt 1, N r . 2 2 0 und 223. Aktennotiz vom 25. Mai 1916: „Beziehungen zur Türkei", H A Krupp, W A , VII f 886. Bereits die Ernennung eines neuen türkischen Botschafters in Berlin hatte Russell in einem Brief an Granville vom 7. April 1883 (Letters from the Berlin Embassy, S. 297) als einen erneuten Versuch des Sultans interpretiert,, ,to establish the most intimate relations possible with G e r m a n y . . . He attaches great importance to the completion of the Railways of European T u r k e y . . . " Vgl. Earle, Turkey, S.20ff. Siemens bereits „Anfang 1887 an einen Bekannten", zitiert nach Helfferich, Siemens, Bd. 3, S. 29; vgl. auch sein Schreiben an Dr. C. Th. Coch vom 23. März und an Dr. Steiner vom 22. Juni 1888, ebd., S. 31 f.
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Α. Das Deutsche Reich und der Orient in der Bismarckzeit
Verhältnisse der Türkei wenig dazu angetan, ausländisches Kapital für Investitionen zu interessieren17. Vor allem englisches Kapital hatte sich im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte zusehends aus der Türkei zurückgezogen. Erst Alfred Kaulla, Direktor der Württembergischen Vereinsbank, die soeben maßgeblich am Abschluß eines großen, mit Zustimmung des Auswärtigen Amtes zustandegekommenen18 „Lieferungsgeschäftes für Infantriegewehre und Munition" zwischen der türkischen Regierung und der Mauserschen Waffenfabrik mitgewirkt hatte 19 , vermochte Siemens von den „großen Perspektiven des Projektes" zu überzeugen20. Am 15. August 1888 wandte sich Siemens dann mit der Anfrage an das Auswärtige Amt, ob dieses Bedenken gegen einen Erwerb türkischer Eisenbahnkonzessionen durch die Deutsche Bank habe und ob man möglicherweise auf die Unterstützung des deutschen Botschafters in Konstantinopel zählen dürfe21. Am 2. September traf die bekannte Antwort Bismarcks ein, in der es u. a. hieß, „daß politische Bedenken gegen die Bewerbung um eine Konzession für kleinasiatische Eisenbahnbauten nicht" bestünden, die deutsche Botschaft in Konstantinopel bereits entsprechend instruiert sei 22 , daß sich aber eine „amtliche Förderung" nicht „über den Zeitpunkt der etwaigen Konzessionierung hinaus beziehungsweise nicht auf die Ausführung und den Betrieb des Unternehmens erstrecken würde. In der That gehen deutsche Unternehmer durch die Kapitalsanlagen in anatolischen Eisenbahnbauten ein Risiko ein, welches zunächst in der Schwierigkeit der Rechtsverfolgung im Orient liegt, aber durch kriegerische und andere Verwicklungen noch gesteigert werden kann." 23 Zunächst wurde der Türkei von der Deutschen Bank eine u. a. für die fälligen Raten der Kriegsentschädigung an Rußland dringend benötigte Anleihe in Höhe von 30 Millionen Mark zugesagt24. Damit war eine wesentliche Voraussetzung geschaffen, um den Konkurrenzkampf um die Konzessionen namentlich gegen die Banque Imperiale Ottomane Zugewinnen, „which, although de jure a Turkish institution, de facto represented French interests" 25 . Das deutsche Vorhaben wurde sowohl vom italienischen Botschafter in
Vgl. C. Mühlmann, Die deutschen Bahnunternehmungen in der asiatischen Türkei 1888-1914, in: Weltwirtschaftliches Archiv 24 (1926), S. 127ff. 18 Vgl. Holborn, Deutschland und die Türkei, S.88. w Helfferich, Siemens, Bd. 3, S.31. 2 0 Ebd., S.33. 2 1 Ebd., S.33 f. 2 2 Vgl. Radowitz, Aufzeichnungen, Bd. 2, S.289. 2 3 Zitiert nach Fritz Seidenzahl, 100 Jahre Deutsche Bank 1870-1970, Frankfurt a. M. 1970, S. 67. Schon die vorsichtigen Formulierungen Bismarcks deuten an, daß hier keineswegs „endgültig" eine „Kursänderung seiner Orientpolitik" vorliegt, wie Rathmann (Berlin-Bagdad, S. 25) vermutet. Über den Gang der politischen Entscheidungen in dieser Sache unterrichtet nach den Akten des AA erschöpfend Holborn, Deutschland und die Türkei, S. 83 ff. Zweifellos erschien das Vorhaben der Anatolischen Eisenbahn Bismarck und dem Auswärtigen Amt solider geplant und finanziell kalkuliert zu sein als andere Projekte, wie z . B . das 1884 vom Eisenhüttendirektor Andre entwickelte Projekt einer Eisenbahn von Konstantinopel über Bagdad nach Indien, das im Auswärtigen Amt schon wegen der mangelnden wirtschaftlichen Solidität auf Ablehnung stieß. Vgl. das Schreiben des Ministeriums für Handel und Gewerbe an Bismarck vom 2. Sept. 1884 nebst Anlage sowie den entsprechenden Aktenvermerk der Handelspolitischen Abteilung des AA vom 2. Okt. 1884, BA, R 85. 17
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Helfferich, Siemens, Bd. 3, S.37; Seidenzahl, 100 Jahre Deutsche Bank, S.71. Grunwald, Penetration Pacifique, S.87; vgl. Holborn, Deutschland und die Türkei, S. 72ff.
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Konstantinopel, Baron Blanc, der offenbar auch der eigentliche Anreger einer deutschenglisch-italienischen Kooperation auf diesem Gebiet war 26 , als auch vom englischen Botschafter ebendort, William White, unterstützt. Die in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts ausgebildete, in den orientalischen Krisen der Jahre 1839-40, 1853-56 und schließlich, wenn auch nach einigem Zögern, 1877-78 demonstrierte Haltung Englands in der orientalischen Frage zielte auf die Erhaltung einer starken Türkei, da diese - zumal im Besitz der Meerengen - als Bollwerk gegen russische Vorstöße nach Süden galt27. Überdies liefen die wichtigsten Handelswege nach Indien, dem Hauptpfeiler des British Empire, seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts, als die Bedeutung der bis dahin vornehmlich benutzten Kap-Route 28 allmählich nachließ, zunehmend über das Territorium des Osmanischen Reiches, nämlich durch Mesopotamien bzw. den Isthmus von Suez 29 . Mit der Fertigstellung des Suezkanals im Jahre 1869, dem Erwerb der Mehrheit der Suezkanalaktien sechs Jahre darauf und der 1882 erfolgten Okkupation Ägyptens bahnte sich eine - z . B . auch in der Fachliteratur der Zeit greifbare 30 - Option zugunsten des Weges durch den Kanal und das Rote Meer an, zumal diese Route nach der Inbesitznahme z.B. Adens (1839), der Kuria-Muria-Inseln (1854), Perims (1857), Bahreins (1861), Zyperns (1878) oder Socrotas (1886) als ausreichend gesichert gelten konnte. Darüber hinaus vollzog die liberale, auf Durchführung der 1878 in Berlin beschlossenen Reformen des Osmanischen Reiches drängende Regierung Gladstone seit 1880 eine deutliche Wendung ihrer Politik gegenüber der Pforte, ein Verhalten, das sich in den Jahren bis zum Ausbruch des Krieges wiederholte (z.B. anläßlich der Armeniermassaker 1895/96) und das Heinrich Friedjung zu dem Urteil kommen ließ, daß „sich das moralische Urteil der Engländer über die Berechtigung der türkischen Herrschaft immer nach den Zielen ihrer Politik, nach den Interessen ihres Reiches richtete. Solange die Eindämmung der russischen Macht und der Verschluß der Meerengen ihnen von entscheidender Wichtigkeit schienen, waren die Türken ehrenwerte Leute, ihr Regiment zwar besserungsbedürftig, aber auch besserungsfähig. Das änderte sich, als Albion Ägypten eroberte... Seitdem sank die Türkei zu einem Hindernisse der Zivilisation und der Freiheit der Völker herab." 3 1 Es darf jedoch als sicher gelten, daß Gladstone zwar eine Verständigung mit Ruß26 27
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Holborn, Deutschland und die Türkei, S. 78 ff. Vgl. den sehr guten Überblick bei Elie Kedourie, England and the Middle East. The Destruction of the Ottoman Empire 1914-1921 (1956), Sussex 1978, S.9ff. Vgl. Gerald S. Graham, Tides of Empire. Discursions on the Expansion of Britain Overseas, Montreal/London 1972, S.45ff. Vgl. z.B. Friedrich Lists Artikel „Asien", in: Carl von Rotteck/Carl Welcker (Hrsg.), Das Staats-Lexikon. Encyklopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, Bd. 1, Altona 21845, S.696ff.; Thierry Preyer, Ägypten und Indien. Zwei Säulen britischer Weltmacht, Berlin 1916. Vgl. z.B. die Bedenken, die Charles Wentworth Dilke gegen eine „türkische Allianz" anmeldete: Problems of Greater Britain, London 1890, S.353 f. und 383f. Friedjung, Imperialismus, Bd. 1, S. 158. Bismarck sah das Problem der Reformen erheblich „realistischer". Am 20. Dez. 1881 berichtete Russell über ein Gespräch mit Bismarck an Granville (zitiert nach Taffs, Russell, S. 331):, ,He agreed in all points with the policy of England except in one, and that was in the philanthropic side of her policy. He believed that pressure for reforms could be overdone and actually did more harm than good, because the irritation produced on the Turkish mind by high foreign pressure manifested itself by increased procrastination and led to the very result it was so desirable to obviate." Vgl. auch Hatzfeldt an Münster, 26. Dez. 1881, GP 4, Nr. 723, und die Erlasse an Münster vom 28. April 1882 und 17. Mai 1883, GP 9, S. 200 (Anm. d. Hrsg.).
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land im Orient gewollt, kaum aber ernsthaft den Plan erwogen hat, Konstantinopel endgültig den Zaren zu überlassen 32 . Erst nach 1885 wurde die Gladstonesche Politik durch Salisbury - der zur orientalischen Frage im ganzen eine, ,very dubious and inconsistent attitude" 33 hatte und noch im Januar 1877 in offenbar momentaner Verärgerung über die türkische „Mißregierung" in Konstantinopel nicht mehr den,, Weg nach Indien" erkennen mochte 34 - in wesentlichen Punkten revidiert und auf ihre alte Linie zurückgeführt. Die Entsendung des fähigen William White als Botschafter nach Konstantinopel (Oktober 1886) diente dem erklärten Ziel, die Russen wieder aus ihrer inzwischen einflußreichen und nicht zuletzt durch die Politik der Regierung Gladstone gegenüber der Türkei befestigten Stellung zu verdrängen 35 . In diesem Sinne schrieb er im Oktober 1886 an Randolph Churchill: ,,I consider the loss of Constantinople would be the ruin of our party and a heavy blow to the country: and therefore I am anxious to delay by all means Russia's advance to that goal. A pacific and economical policy is up to a certain point very wise: but it is evident that there is a point beyond which it is not wise either in a patriotic or party sense - and the question is where we shall draw the line. I draw it at Constantinople." 36 Salisbury mochte sich freilich zunächst ebensowenig wie seine Vorgänger zum Bau von Eisenbahnen in der Türkei entscheiden. Überlegungen, die im Anschluß an die in den dreißiger Jahren durchgeführten Mesopotamien-Expeditionen des Obersten Chesney 37 angestellt worden waren und darauf hinausliefen, verstärkt den Landweg durch Mesopotamien zum Persischen Golf zu benutzen und durch eine „Euphrates Valley Railway" die Verbindung vom Mittelmeer zum Persischen Golf herzustellen, waren - obgleich Chesney 1857 die Konzession für den Bau einer Bahn von Suedia nach Basra erworben hatteendgültig Ende der 70er Jahre aufgegeben worden, da zum einen kein englisches Kapital für das Projekt mobilisiert werden konnte und sich zum anderen die britische Regierung nicht auf eine „counter-guarantee for a period of twenty-five years" einlassen mochte 38 . 32
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Vgl. ζ. Β. Granville an Russell, 13. Okt. 1880, Letters from the Berlin Embassy, S. 163: „There is a strong suspicion that Gladstone and I are devoted to Russia and the dupes of her policy. - You know whether this true [sic] as regards myself. It is perfectly untrue about Gladstone. He is sometimes tempted to use her as an instrument to carry out what appear to him great ends, but I doubt whether there is any statesman at home or abroad, who is more opposed to her having any permanent power at Constple. - The late Govt, used as a means popularity abuse and ,nagging' of Russia. This is inconvenient for the two countries in Asia, and as we think not the best way of meeting her ambitious views in Turkey." A m 17. Nov. 1876 hatte Gladstone an Granville geschrieben: ,,Ι ought perhaps to have told you that I did not dream of touching the question of the Bosporos." (Correspondence of Gladstone and Granville, Bd. 1, S.20) Webster, Art and Practice of Diplomacy, S.20. Werther an Bülow, 14. Jan. 1877, GP 2, Nr. 271. Vgl. Colin L.Smith, The Embassy of Sir William White at Constantinople 1886-1891, Oxford 1957; Allan Cunningham, The Wrong Horse? A Study of Anglo-Turkish Relations before the First World War, in: St. Anthony's Papers 17 (1965), S . 5 6 f f . Zitiert nach Barbara Jelavich, The Ottoman Empire, the Great Powers, and the Straits Question 1870-1887, Bloomington/London 1973, S. 147; zur Neuorientierung der britischen Orientpolitik unter Salisbury vgl. ebd., S. 145ff.; vgl. auch sein Memorandum vom 4. Juni 1892, veröffentlicht bei Lowe, Reluctant Imperialists, Bd. 2, No. 96. Vgl. General Francis Rawdon Chesney, Narrative of the Euphrates Expedition carried on by order of the British Government during the years 1835, 1836, and 1837, London 1868. Vgl. [Alwyn Parker], The Bagdad Railway Negotiations, in: Quarterly Review 228 (1917), S . 4 8 9 f . ; Lee, Cyprus Convention Policy, S. 125ff. Zu den technischen, gegen eine entlang des
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Gleichwohl war bereits in den siebziger Jahren und namentlich im Umkreis der Zypern-Konvention vor allem aus militärisch-strategischer Sicht verstärkt Interesse an einer Bahnverbindung zwischen Mittelmeer und Persischem Golf bekundet worden. In einem vom 17. Juli 1878 datierenden Memorandum hieß es dazu: „The lines w o u l d . . . infuse new life into Turkey by European emigration, capital and enterprise, drawing India at the same time nearer to the centre of our P o w e r . " 3 9 Tatsächlich war es seit den fünfziger Jahren nur zum Bau kurzer, hinsichtlich ihres strategischen Nutzens unbedeutender Bahnen in Anatolien gekommen. 1888 waren englischen Konsortien außer der von der Türkei gepachteten Haidar Pascha-Ismid-Linie, an die sich die zu konzessionierende Linie nach Angora anschließen sollte, die folgenden Strecken konzessioniert: Smyrna-Aidin-Bahn (130 km/1856 konzessioniert) und Smyrna-Cassaba-Bahn (93 km/1863 konzessioniert) 4 0 . Vor allem die britischen Botschafter in Konstantinopel hatten - die russische Bedrohung gewissermaßen vor der Türe - immer wieder auf die Bedeutung eines großen, unter englischer Kontrolle stehenden Eisenbahnnetzes in der asiatischen Türkei hingewiesen. Es war dann auch das „Remarks applying to different British schemes for the construction of Turkish Railways in Asia" betitelte, im Juli 1887 für Salisbury angefertigte Memorandum des Botschafters White 4 1 , das erneut zu grundsätzlichen Überlegungen englischer Politiker und Militärs anregte: „The Turkish railways in Asia are", so führte White aus, „a subject of primary importance to us not only commercially, but also politically and strategically, and on that account we should be bound to give any scheme which embraced all these different interests a very considerable amount of support. - . . . More than 30 years have now elapsed since the Treaty of Paris, and 8 British Ambassadors have been here since. The importance of this question has been felt all along without obtaining any practical result. Future historians will no doubt wonder how so few important results were accomplished after the conclusion of the Crimean War when British Interest in the East was still fresh and our influence paramount and shared only with France. - But without any digression, I think no argument is needed to prove the truth of the following 4 propositions: 1. It is an essentially British interest that there should be railway communications established throughout Asiatic Turkey. 2. It is desirable that this should be a British Enterprise and should not fall into French or Franco-Russian hands. 3. It is essential that it should be a sound financial undertaking, and should not require or expect any material support whatever from H . M. G . 4. The great difficulties for obtaining a concession must not be overlooked... - Our main interest lies in a railway line joining the port of Alexandretta with some place on the Persian Gulf and taking in the points of most importance in Asia . . . - Our present system of supporting concessions without any regard of
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Euphrat führende Bahn sprechenden Gründen vgl. zusammenfassend: A. von Schweiger-Lerchenfeld, Die ,,Euphratthal-Bahn" und kein Ende, in: Oesterreichische Monatsschrift für den Orient 9 (1883), S.45. ff. Das Memorandum ist abgedruckt bei und hier zitiert nach Lee, Cyprus Convention Policy, S. 197 (ff·)· Helfferich, Siemens, Bd. 3, S. 22; Hermann Schmidt, Das Eisenbahnwesen in der asiatischen Türkei, Berlin 1914, S.89ff. und 96ff. Memorandum vom 25. Juli 1887, veröffentlicht von und hier zitiert nach Smith, White, Appendix IV, S. 164ff. Vgl. Lord Hardinge of Penshurst, Old Diplomacy. Reminiscences, London 1947, S. 47. Hardinge war zu dieser Zeit in Konstantinopel tatig.
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our general interests appears to me objectionable and would be called by a German planlos'." Daraufhin kam man schließlich auch in London zu der Ansicht, daß der Bau von Eisenbahnen in der asiatischen Türkei von großer wirtschaftlicher, strategischer und politischer Bedeutung sei 4 2 . Wo aber die Schwierigkeiten der Realisierung solcher Pläne lagen, zeigt die Marginalie Salisburys zu einem für den Eisenbahnbau in der asiatischen Türkei plädierenden Schreiben des War Office vom 9. April 1888: „What is the use of all this", so fragte der Premierminister, „unless we know where the money is coming from?" 4 3 In dieser Situation kam der im August 1888 geäußerte Wunsch des Sultans, die Bahn von Ismid nach Angora nicht - wie zunächst von seinem Finanzminister geplant - mit französischer 44 , sondern mit deutscher Hilfe zu bauen, der englischen Seite durchaus ge1 egen, sah sie doch - im Rahmen der allgemeinen Annäherung an den Dreibund - in einem deutschen Engagement einen willkommenen Ausgleich zur wirtschaftlichen Vorherrschaft der Franzosen in der Türkei und den russischen Expansionsbestrebungen im Nahen Osten 4 5 . Überdies wurde der Plan in einem Augenblick unterbreitet, als die englische Orientpolitik soeben - wie von Bismarck bereits 1885 prophezeit 4 6 - mit dem durch den französisch-russischen Widerstand bedingten Scheitern der zu einer Regelung der ägyptischen Frage angesetzten Wolff-Mission in Konstantinopel einen weiteren Rückschlag hatte hinnehmen müssen 47 . Namentlich der „weitsichtige Diplomat" White sah - wie Richard von Kühlmann, der entscheidend an der endgültigen Regelung der Bagdadbahnfrage im Jahre 1914 beteiligt war, sich erinnerte - „richtig voraus, daß England sich von der lästigen und kostspieligen Pflicht, die Türkei gegen die russischen Ambitionen zu schützen, durch das Eintreten Deutschlands in weitgehendem Maße befreit habe" 4 8 . White unterstützte hinter den Kulissen die deutschen Pläne, hinter den Kulissen deshalb, weil ein direktes englisches Eintreten für das Projekt den Sultan mißtrauisch gemacht und möglicherweise die Beziehungen zu den anderen Mächten, vor allem zu Rußland, (noch weiter) verschärft hätte. Daher war das Angebot des englischen Finanzmannes und Vorsitzenden der Schuldenverwaltung, Sir Vincent Caillard, englisches Kapital zu mobilisieren und an dem Unternehmen zu beteiligen, sowohl der deutschen 49 als auch der englischen Seite durchaus willkommen, auch wenn White persönlich lieber eine briti42 43 44 45 46
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Smith, White, S. 118. Zitiert nach Smith, White, S. 118. Vgl. Corrigan, British, French and German Interests, bes. S. 63 und 67. Chapman, Great Britain and the Bagdad Railway, S. 21 ff. Vgl. Rantzau an Herbert von Bismarck, 13. Sept. 1885, Herbert von Bismarck, Dienstliche Privatkorrespondenz, Nr. 187. Vgl. Earl of Cromer, Modern Egypt (2 Bde., New York 1909), B d . 2 , S.372ff.; P . M . Hornik, The Special Mission of Sir Henry Drummond Wolff to Constantinople, 1885-1887, in: E H R 55 (1940), S. 598 ff. Noch im Dez. 1886 hatte sich Randolph Churchill bei Hatzfeldt beschwert, daß Deutschland in Konstantinopel nicht England, sondern vielmehr Rußland unterstütze (vgl. Hatzfeldt an Holstein, 11.Dez. 1886, Holstein 2, S.366). Hingegen erinnerte sich Radowitz (Aufzeichnungen, Bd. 2, S. 266), daß Bismarck ihn angewiesen habe, Wolff „volle Unterstützung zu leihen; es sei ihm erwünscht, ließ der Fürst mir vertraulich sagen, ein neutrales Feld zu finden, auf dem wir die bei der zweifelhafter gewordenen Haltung von Rußland notwendige Fühlung mit England herstellen könnten" (vgl. auch S.260). Richard von Kühlmann, Erinnerungen, Heidelberg 1948, S.364. Vgl. Aufzeichnung von Siemens, Anlage zu einem Schreiben Eckardsteins an Bülow vom 9. Jan. 1901, GP 17, Nr. 5227.
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sehe Beteiligung durch den zweiten englischen Bewerber, Colone) Alt, gesehen hätte 50 . Zum einen war mit einer Beteiligung britischen Kapitals der englische Einfluß gesichert, ohne daß dieser nach außen hin in einem der Pforte und den anderen Mächten suspekten Ausmaß zutage trat, zum anderen erleichterte ein solches Angebot die Entscheidung der deutschen Kreise für dieses Wagnis, und schließlich kam diese Lösung den Absichten Bismarcks und Radowitzens entgegen, England wieder stärker in der kleinasiatischen Frage zu engagieren und damit - im weiteren Sinne und gemäß der Bismarckschen Strategie - die Konflikte zwischen den Mächten an der Peripherie zu fixieren: „In den Sachen wird unsere Aufgabe sein", so notierte Bismarck zu einem Schreiben Radowitzens vom 30. Juli 1888, „die Rivalität zwischen England und Frankreich ihren Weg gehen zu lassen, gerade wie in Ägypten. Englands