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German Pages [250] Year 2019
Im Schatten des Krieges
Oswald Überegger
Im Schatten des Krieges Geschichte Tirols 1918-1920
Ferdinand Schöningh
Der Autor: Oswald Überegger ist Zeithistoriker und Direktor des Kompetenzzentrums für Regionalgeschichte der Freien Universität Bozen. Einbandillustration: Das infolge des Krieges zerstörte Dorf Marco bei Rovereto im Trentino (Museo Storico Italiano della Guerra, Rovereto)
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2019 Verlag Ferdinand Schöningh, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland) Internet: www.schoeningh.de Einbandgestaltung: Nora Krull, Bielefeld Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISBN 978-3-506-70256-2 (hardback) ISBN 978-3-657-70256-5 (e-book)
Für Maja
Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Dem Ende entgegen: Das letzte Kriegsjahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Die Grenzen des Durchhaltens. Sozialer Protest und gesellschaftliche Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Doppeladler oder Trikolore? Nation als Argument und ‚Waffe‘ . . . . . . . 24 Kriegsmüde ‚Helden‘. Militärische Verschleißerscheinungen . . . . . . . . . 34 2. (K)eine Revolution? Der November 1918 in der Provinz . . . . . . . . . . . . 46 Auflösung im revolutionären Chaos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Im „Traumland“: Umsturzängste und politische Selbstfindung . . . . . . . 58 Italienische Besatzungsregime und -strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3. Die Quadratur des Kreises: Nachkriegspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Parteipolitische Gehversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Sehnsuchtsräume dies- und jenseits der Grenze: Tirol, die Schweiz oder Deutschland? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Italien wider Willen: Autonomie als ultima ratio? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 4. Am grünen Tisch: ‚Verhandlungen‘ in Saint Germain . . . . . . . . . . . . . . 104 Menschen, Mächte und Memoranden: Tirol im globalen Diskurs . . . . 104 „Was mich betrifft, gehört der Brenner euch.“: Die Entscheidung eines Präsidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Zwischen Paris, Wien und Tirol: Bangen um die Landeseinheit . . . . . . 125 5. Zurück an den Start: Gesellschaft und Wirtschaft zwischen Krieg und Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Vor der ‚Katastrophe‘? Hungern im Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Leben mit dem Krieg im Nacken: Der Frieden als soziale Bürde . . . . . . 147 Wiederaufbau: Die ökonomische ‚Stunde null‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 6. Heimkehren: (Über)leben nach dem Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Verlierer-Soldaten: Orientierung in einer neuen Welt . . . . . . . . . . . . . . . 167 Displaced Persons: Rückkehr aus der Diaspora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Heimkehr auf Raten: Kriegsgefangene zwischen Krieg und Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
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Inhalt
Epilog: Krieg und Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung Nach fast viereinhalb Jahren Krieg war die im Mai 1915 eröffnete österreichischungarische Südwestfront Anfang November 1918 in Auflösung begriffen. Mit Inkrafttreten des Waffenstillstandes von ‚Villa Giusti‘ am 4. November 1918 schwiegen die Waffen endgültig. Damit endete der Erste Weltkrieg in Tirol. Das Kriegsende hinterließ eine Region im Chaos. Hunderttausende Soldaten strömten von der Front zurück in ihre Herkunftsländer. Zehntausende Tiroler befanden sich in diesen denkwürdigen Novembertagen noch als Soldaten an der Front oder als Kriegsgefangene im Gewahrsam der Alliierten. Und weitere Zehntausende Zivilpersonen erlebten das Kriegsende – freiwillig oder, in der Mehrheit, unfreiwillig – als Kriegsflüchtlinge, Evakuierte oder Internierte in der Diaspora fern der Heimat. Die Herausforderungen, die das Kriegsende an die Verantwortungsträger vor Ort stellte, schienen kaum bewältigbar: Das Land war nach jahrelangem Krieg ausgemergelt, Wirtschaft und Gesellschaft lagen darnieder. Rund 33.000 Tiroler Soldaten hatten während des Krieges den Tod gefunden. Und die Anzahl der Kriegsversehrten, die an den Folgewirkungen körperlicher oder seelischer Schäden litten, war wohl noch weitaus höher. Teile der Region, vor allem im italienischsprachigen Süden des ehemaligen Kronlandes, waren von den Kämpfen an der nahen Gebirgsfront stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Auf einer Fläche in etwa so groß wie das heutige österreichische Bundesland Vorarlberg waren im kriegsgeplagten Trentino Tausende Gebäude mehr oder weniger stark zerstört worden; die frontnahen Wälder und Fluren wiesen ebenso große Kriegsschäden auf. Unzählige Familien standen nach dem Krieg vor dem Nichts. Vor allem die sozialen und ökonomischen Folgen des Krieges überdauerten das militärische Ende der Auseinandersetzungen bei weitem. Vielen hatte der Krieg schlichtweg die Lebensgrundlage entzogen: den Arbeiterfamilien, die im Krieg verarmt waren und auch nach dem Krieg von der sprichwörtlichen Hand in den Mund lebten; den bürgerlichen Kreisen, deren Ersparnisse sich während des Krieges rasch erschöpft hatten, und die in besonderer Weise von der hohen Kriegs- und Nachkriegsinflation betroffen waren; und schließlich auch der Landwirtschaft, deren kriegsbedingt sinkende Produktivität eine Fortsetzung der bäuerlichen Tätigkeit sukzessive erschwert hatte und viele Höfe in eine existenzielle Krise schlittern ließ. Die staatliche Konzentration auf den Krieg und das Ziel eines finalen Sieges nahmen nur unzureichend Rücksicht auf jene elementaren Bedürfnisse, die der regionalen Kriegsgesellschaft zunehmend abgingen. Und dieser Wille zum Sieg hatte darüber hinaus 1914/15 ein Militärregime etabliert, dessen
© Verlag Ferdinand Schöningh, 2019 | doi:10.30965/9783657702565_002
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Einleitung
Maßnahmen in der Grenz- und Frontregion Tirol zu einer unverhältnismäßigen Verschlechterung der Lebensbedingungen führten, und vor allem die individuellen Grund- und Bürgerrechte stark einschränkten. Nach dem italienischen Intervento im Mai 1915 und der Entstehung der österreichischitalienischen Südwestfront gab in Tirol das Militär den Ton an. Im letzten Kriegsjahr 1918 drohte der Frust über den Krieg und den zügellosen Kriegsstaat zu eskalieren. Das im Laufe des Krieges gestiegene Unbehagen mutierte am Ende zum offenen Protest. Die Bevölkerung lehnte sich immer mehr und immer entschiedener gegen den Kriegsstaat auf und forderte – salopp gesagt – Brot und einen raschen Frieden. Als sich der Frieden dann im November 1918 einstellte, machten sich nach anfänglicher Erleichterung und Genugtuung bald Ernüchterung und Enttäuschung breit: Mit dem Frieden hatten sich beileibe nicht alle kriegsbedingten Probleme wie durch Zauberhand verabschiedet. Ganz im Gegenteil: Aus sozialer und ökonomischer Perspektive endete der Krieg wohl nicht im November 1918. Er war in Form zahlreicher unangenehmer und missliebiger Kriegsfolgen auch noch nach 1918 ein jahrelanger Begleiter und zeichnete dafür verantwortlich, dass die Stabilisierung der Nachkriegsgesellschaften – auch jener in Tirol – vorerst auf sich warten ließ. Wenn man sich die zu Kriegsende in Tirol herrschende verworrene und chaotische Lage vergegenwärtigt, zeigt sich ganz unumwunden, wie schwierig es offensichtlich war, politisch zur Tagesordnung überzugehen. Die staatlichen und regionalen Ordnungsmächte waren gemeinsam mit der Monarchie zusammengebrochen, und die sich absetzenden Völker der Habsburgermonarchie gingen daran, eigene ‚Nationalstaaten‘ zu konstituieren. In Innsbruck, Bozen und Bregenz gründeten sich indessen improvisierte Nationalräte, die anfangs vielfach vergebens versuchten, Ordnung in die verworrene Lage zu bringen. Über die Bewerkstelligung des Notstandes und über tagespolitische Aufgaben hinaus bestand in der Politik gleichermaßen wie in der Bevölkerung große Unsicherheit über die Zukunft von Staat und Land. Wie sollte ein künftiges ‚Österreich‘ aussehen, und welche Territorien würde es umfassen können? Sollte Tirol überhaupt seine Zukunft in der neu konstituierten österreichischen Republik suchen oder doch lieber den Weg Richtung Eigenstaatlichkeit gehen und eine autonome Republik aus der Taufe heben? Und schließlich: War Südtirol noch zu ‚retten‘, oder würde es Italien gelingen, die gerüchteweise schon da und dort kolportierte Brennergrenze durchzusetzen? Unsicherheit und Ängste prägten das gesellschaftliche und politische Leben im ersten Nachkrieg. Die Verunsicherung mit Blick auf die staatsrechtliche Zukunft des Landes und, vor allem in den Reihen der konservativen politischen Eliten, die Angst vor dem neu erstarkten linken Lager, das in Wien nun seine regierungspolitische Dominanz ausspielte, entwickelte eine destabilisierende,
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polarisierende und radikalisierende Dynamik, die nicht nur den Antagonismus innerhalb der regionalen politischen Kräfte forcierte, sondern auch den Gegensatz zur Hauptstadt im Osten verschärfte. In dieser enorm schwierigen Phase gesellschaftlicher und politischer Zerrüttung fiel auf der Pariser Friedenskonferenz die Entscheidung in der Tiroler Frage. Angesichts der Tatsache, dass die Alliierten Südtirol Italien zusprachen und die neue Grenze am Brenner zogen, versank das Land in eine tiefe Depression. Denkschriften, Memoranden und das Engagement der österreichischen Friedensdelegation in Paris hatten letztlich nichts bewirken können. Die Entscheidung war in ihren Grundzügen und im Wesentlichen schon vor Beginn der Konferenz gefallen. Der amerikanische Präsident überließ Italien den Brenner für das italienische ‚Ja‘ zum Völkerbund und vor allem dafür, dass man den territorialen Forderungen der Italiener an der jugoslawischen Grenze (Stichwort: Fiume) konsequent entgegentreten wollte. Vereinfacht gesagt, war Südtirol das Italien zugedachte Trostpflaster dafür, dass Rom an der neuen Grenze im Nordosten auf viele (überzogene) Gebietsforderungen verzichten musste. Die Tatsache, dass die Alliierten den Italienern die Brennergrenze schon im Londoner Geheimvertrag vom April 1915 als Gegenleistung für einen italienischen Kriegseintritt auf Seiten der Entente versprochen hatten, tat ein Übriges und engte den Handlungsspielraum in dieser Frage beträchtlich ein. Im Vertrag von Saint Germain wurde das alliierte Ansinnen schließlich definitiv und rechtsverbindlich zu Papier gebracht, und mit der im Oktober 1920 erfolgten so genannten ‚Annexion‘ Südtirols war die formalrechtliche Integration des Landes in den italienischen Staat vorerst abgeschlossen. Das vorliegende Buch versucht, diese auf den letzten Seiten gleichsam stichwortartig veranschaulichte Entwicklung Tirols vom letzten Kriegsjahr 1918 bis hin zur ‚Annexion‘ Südtirols zu analysieren, zu hinterfragen und auf verständliche Weise in sechs Schwerpunktthemen zu erzählen. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit den sozialen, nationalen und militärischen Entwicklungen des letzten Kriegsjahres, die in hohem Maße dazu beitrugen, dass Kriegsmüdigkeit und Friedenssehnsucht in den letzten Monaten des Krieges immer größer wurden. Kapitel zwei geht hingegen auf die entscheidenden Ereignisse im November 1918 ein und versucht zu veranschaulichen, welche Auswirkungen die ‚revolutionären‘ Vorgänge in Tirol hatten, und wie sich das politische und militärischen Chaos der Umsturztage aus regionaler Perspektive darstellte. Das dritte Kapitel nähert sich der regionalen Nachkriegspolitik über drei Schwerpunktsetzungen: die Reorganisation des (partei)politischen Lebens unmittelbar nach dem Krieg, die staatsrechtlichen bzw. territorialen Zukunftsfragen in der politischen Debatte sowie die Frage einer Autonomie für Südtirol,
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Einleitung
auf der nach Unterzeichnung des Vertrages von Saint Germain die – sich bald zerschlagenden – Hoffnungen in Bozen beruhten. Schließlich geht es, viertens, um die Tiroler Frage auf der Pariser Friedenskonferenz und die damit verbundenen Debatten, Diskurse und Entscheidungen, die am Ende zur Festlegung der Brennergrenze führten. Das fünfte Kapitel des Buches beschäftigt sich hingegen mit der Rolle von Gesellschaft und Wirtschaft im Übergang vom Krieg in den Frieden und analysiert die regionalen sozioökonomischen Entwicklungen der ersten Nachkriegsjahre. Schließlich beschäftigt sich das sechste und letzte Kapitel mit der Thematik der Heimkehr der Soldaten, Flüchtlinge, Evakuierten und Kriegsgefangenen, die zu einer entscheidenden Herausforderung für die Stabilisierung der Gesellschaft nach dem Krieg wurde. Ein Epilog, der sich mit der erinnerungskulturellen Bedeutung des Ersten Weltkrieges und des Kriegsendes in Tirol auseinandersetzt, steht als eine Art gegenwartsbezogener Ausblick am Ende der Darstellung. In den einschlägigen regionalen zeithistorischen Überblickswerken werden dieser epochenbrechenden Zeitspanne, mit der sich dieses Buch beschäftigt, meist nur wenige Seiten gewidmet, die sich inhaltlich zudem vornehmlich auf die Frage der in Saint Germain dekretierten Brennergrenze reduzieren. Auf diese Weise verkommt die Geschichte des frühen Tiroler Nachkrieges meist zu einer Art chronologisch abgearbeiteten Geschichte der Teilung Tirols, die den Fokus – wie könnte es anders sein – auf Südtirol legt. Dass die Geschichte dieser Zeit mehr ist, als ein bloß politischer oder staatsrechtlich bedingter Epochenbruch und der ‚Verlust‘ eines Territoriums, fällt in den genannten Synthesen meist unter den Rost. Dieser Publikation liegt deshalb der Versuch einer thematischen Akzentverschiebung zugrunde. Neben den politisch-diplomatischen Entscheidungsprozessen rund um die Südtirolfrage stehen die sozialen, gesellschaftlichen, ökonomischen und mentalen Entwicklungsprozesse im Mittelpunkt der Darstellung. Politik- und diplomatiegeschichtliche Perspektiven werden mit den genannten Fragestellungen und Zugängen verbunden und bilden sozusagen den Background für eine breitere, in erster Linie gesellschaftsgeschichtlich ausgerichtete Analyse des regionalen Nachkrieges: Wie gestaltete sich der Lebensalltag in Tirol zwischen Krieg und Frieden? Welche gesellschaftlichen Polarisierungsdiskurse spielten während und nach dem Krieg eine Rolle? Wie lässt sich der November 1918 auf regionaler Ebene im Kontext des wissenschaftlichen Revolutionsbegriffes einordnen, und welcher Charakter wohnte den Ereignissen des Zusammenbruches überhaupt inne? Wie äußerten sich gesellschaftliche und politische Ängste und Unsicherheiten, und in welche Lösungsansätze wurden daraus resultierende Vorstellungen und Hoffnungen übersetzt? In welcher Weise konditionierte der Krieg in sozialer und ökonomischer Hinsicht die ersten Friedensjahre, auch
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in Anbetracht der Tatsache, dass der Krieg eine hohe Zahl von Gefallenen, Erkrankten und Kriegsversehrten ‚verursacht‘ hatte? Wie und auf welche Weise artikulierte sich die erinnerungskulturelle Deutung des Krieges im Nachkrieg? Und schließlich: Wie gestaltete sich die Heimkehr von Soldaten und außer Landes verbrachten Zivilisten? Auf welche Weise vollzog sich die Orientierung in einer neuen Welt, und wie wurde die Reintegration in die regionale Nachkriegsgesellschaft bewerkstelligt? Das alles sind zentrale Fragen, die weit über eine klassische Politik- und Diplomatiegeschichte des regionalen Nachkrieges hinausweisen, der – freilich – in Form von methodisch anspruchsvollen Detailstudien erst zu erforschen wäre. Lässt man die klassischen Arbeiten zur Nachkriegspolitik, zur Tiroler Frage auf der Friedenskonferenz oder zur (italienischen) Besatzungspolitik nämlich einmal außer Acht, fehlen für viele der angesprochenen Themen nach wie vor fundierte, grundlegende Studien. Insbesondere die auf Südtirol fokussierten Forschungen zur Zwischenkriegszeit beschäftigen sich bevorzugter Weise mit der Geschichte von Faschismus und Nationalsozialismus, hinter der die Publikationen zum Nachkriegs-Intermezzo in quantitativer Hinsicht deutlich abfallen. Der zeitliche Interessenshorizont des Buches erstreckt sich in etwa von den Januar-Demonstrationen des Jahres 1918, die auch in Tirol eine Rolle spielten, bis Ende des Jahres 1920, als die formalrechtliche Integration Südtirols in den italienischen Staat nach der im Oktober desselben Jahres erfolgten ‚Annexion‘ abgeschlossen war. Der Rückblick auf die Geschehnisse des letzten Kriegsjahres 1918 ist wohl auch notwendig, um die Ereignisse im November 1918 besser verstehen zu können. Deshalb beschäftigt sich das Buch mit den als engerer Nachkrieg zu bezeichnenden ersten beiden Friedensjahren ebenso wie mit dem letzten Kriegsjahr 1918. Nichtsdestotrotz bildet der skizzierte Zeitradius nur eine eher ungefähre und – sinnvoller Weise – keineswegs strikte Ein- und Abgrenzung. Im Rahmen des themenspezifisch durchaus unterschiedlichen Blicks auf Ursachen, Entwicklungsprozesse und Folgewirkungen ist der Rückgriff auf die Kriegs- und Vorkriegsjahre ebenso vonnöten, wie der Blick nach vorne in die Zwischenkriegszeit – und teilweise auch darüber hinaus. Eine ganze Reihe von Themen, die im Folgenden behandelt werden, lassen sich nicht auf den Nachkrieg allein reduzieren, sondern verlangen nach einer breiteren zeitlichen Einbettung, die abseits bekannter politischer Schlüsselereignisse kaum an konkreten Daten und Jahren festgemacht werden kann. Das gilt insbesondere für die stets vernachlässigten Themen der mentalen und sozioökonomischen Auswirkungen des Krieges, die ohne ihre Verortung in den eigentlichen Kriegsjahren und den fallweise auch über das Stichjahr (1920) dieser Studie hinausreichenden Folgeentwicklungen selbstredend kaum verständlich zu vermitteln sind.
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Einleitung
Neben dem bereits erwähnten Bemühen, die übliche inhaltliche Reduktion auf eine ‚Geschichte der Teilung‘ zugunsten eines in thematischer Hinsicht ausgewogeneren und perspektivenreicheren Blicks zu vermeiden, ist die Frage des Raumes oder des Territoriums, dem sich eine Geschichte des ‚Tiroler Nachkrieges‘ widmet bzw. widmen soll, von zentraler Bedeutung. Die geschichtswissenschaftliche Konzentration auf die Teilungsgeschichte verleitet dazu, das Nachkriegs-Tirol in räumlicher Hinsicht – salopp gesagt – zwischen Bozen und Innsbruck zu verorten. Diese eingeschränkte Perspektive verstellt den Blick auf die Entwicklung der Gesamtregion, unter der ich im Rahmen dieses Buches grosso modo die Gebiete des ehemaligen Kronlandes Tirol-Vorarlberg verstehen möchte. Auch wenn das engere deutschsprachige Territorium Tirols – das Gebiet des heutigen Bundeslandes Tirol sowie der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol – unleugbar im Mittelpunkt steht, versucht sich die Darstellung gleichsam in konzentrischen Kreisen von diesem ‚Zentrum‘ Richtung ‚Peripherie‘ zu bewegen. Ein zwar nicht konsequent durchdeklinierter, aber sehr wohl themen- und fallspezifisch angewandter vergleichs- und verflechtungshistorischer Blick auf die genannten ‚Teile‘ des ‚historischen Tirol‘ samt Vorarlberg, das zumindest über die Innsbrucker Statthalterei aus der Perspektive der Staatsadministration bis zu Kriegsende mit Tirol auch formell verbunden war, lohnt sich vor allem aus folgenden Gründen: Zum einen werden Brüche und Kontinuitäten politischer, administrativer, aber auch sozialer, ökonomischer und mentaler Art besser sichtbar. Es erstaunt die Tatsache, dass etwa trotz des kolossalen staatlichen Systembruchs und der kriegsbedingten Umwälzungen die (partei)politischen Kontinuitäten überwiegen. Letztlich waren es die politischen Vorkriegseliten von 1914, die auch 1919 den Ton angaben, wenn auch – sozusagen – mit ‚gestutzten Flügeln‘. Auch mit Blick auf die sozioökonomische Neuorientierung im Frieden dominierte bis auf Weiteres die schwierige Hinterlassenschaft der Mangelwirtschaft des Krieges, die den Lebensalltag der Menschen ungleich nachhaltiger konditionierte als der vermeintliche Bruch, den das Kriegsende nach sich zog. Die unruhige, wirre und vielfach chaotische Zeit des unmittelbaren Nachkrieges war von einer seltsamen Parallelität von Bruch und Kontinuität, von beschleunigter Veränderung und hartnäckiger Beharrung, von alternativloser Neuorientierung und kategorischer Verharrung in althergebrachten Traditionalismen gekennzeichnet. Die Stärke der Zäsur von 1918/19 variiert deshalb je nach dem, welchem Politik- und Handlungsfeld man sich nähert. Zum anderen ermöglicht erst ein Vergleich der Situation in Tirol, Südtirol, Vorarlberg sowie im Trentino, Ähnlichkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten, die eine Einordnung und Bewertung territorialer Nachkriegs-Entwicklungen erlauben. Die Frage danach, wann in etwa beispielsweise die
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ökonomische Erholung in Südtirol nach dem Krieg zu greifen begann, und wie dieser Erholungsprozess einzuschätzen ist, kann nur aus einer komparativen Perspektive schlüssig beantwortet werden. Der vergleichende Blick nach Bregenz, Innsbruck und Trient kann Aufschluss über Auffälligkeiten und Entwicklungsverzögerungen bzw. -beschleunigungen geben. Die Einbettung all dieser Entwicklungen in ein „dynamisches Mehrebenensystem“ (Michael Gehler) und die Operationalisierung eines in Ansätzen vergleichs- und verflechtungshistorischen Blicks auf der untersten, regionalen Ebene ist das Hauptanliegen dieses Buches. Ungeachtet des wissenschaftlichen Anspruchs soll schließlich der essayistische Duktus der Darstellung und der ganz bewusst überschaubare Umfang der sechs themenzentrierten Kapitel doch auch die gute ‚Lesbarkeit‘ des Buches gewährleisten. Es richtet sich deshalb auch nicht nur an Historiker und ein studentisches Publikum, sondern an alle, die sich für die Geschichte dieser Umbruchszeit interessieren. Wenn man im Jahr 2019 über Tirol und Südtirol spricht, kommt man nicht umhin, zunächst und zuallererst über die Geschehnisse von 1918/19 zu sprechen. In diesen Jahren liegen die Wurzeln jener wechselvollen Geschichte, die der Raum Tirol im 20. und frühen 21. Jahrhundert durchlebt hat. Ohne den Ersten Weltkrieg und den Vertrag von Saint Germain ist das Tirol von 2019 nicht zu verstehen. Abschließend noch ein Wort des Dankes, weil zum Gelingen dieses Buches viele Personen beigetragen haben. Frau Marion Ladurner danke ich für die umfassenden Quellen- und Literaturrecherchen zum Thema, die sie im Rahmen eines Praktikums am Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte durchgeführt hat. Viele Hinweise auf italienischsprachige Quellen und Literatur verdanke ich meinem Kollegen und Freund Nicola Fontana vom italienischen Kriegsmuseum in Rovereto. Matthias Egger vom Stadtarchiv Innsbruck danke ich für viele Literaturhinweise zum Thema Kriegsgefangene. Meinen Kolleginnen und Kollegen am Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte, Siglinde Clementi, Maria Diana, Florian Huber und Karlo Ruzicic-Kessler, danke ich für die angenehme Arbeitsatmosphäre und die tolle Aufbauarbeit in den vergangenen Jahren. Die letzten Kapitel dieses Buches konnte ich im Rahmen eines Aufenthaltes als Gastwissenschaftler am Institut für Geschichte der Universität Wien vollenden. In Wien darf ich mich deshalb ganz besonders bei der Institutsleiterin, Frau Andrea Grießebner, und für die große Gastfreundschaft vor allem bei Christa Hämmerle und Birgitta Bader-Zaar sowie bei meinen langjährigen Freunden Thomas Dostal, Stefan Eminger und Anton Tantner bedanken. Mein größter Dank geht an meinen Kollegen und Freund, Hermann Kuprian, einem ausgewiesenen Spezialisten für die Tiroler Geschichte der Zwischenkriegszeit, der sich die Mühe gemacht hat, das Manuskript zu lesen und seine Inhalte
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Einleitung
mit mir in vielen Gesprächen zu diskutieren. Bedanken darf ich mich schließlich auch beim Schöningh-Verlag in Paderborn und Herrn Diethard Sawicki für die überaus angenehme Zusammenarbeit und das Interesse am Thema des Buches. Auch dem Amt für Sprachminderheiten der Autonomen Region Trentino-Südtirol, das die Herausgabe der Publikation mit einem Druckkostenbeitrag unterstützt hat, bin ich zu Dank verpflichtet. Last but not least: Ich widme dieses Buch in großer Dankbarkeit meiner Freundin, Maja Klose, die nicht nur an zahlreichen Wochenenden auf mich ‚verzichten‘ musste, sondern auch die Indizes erstellt und das Manuskript interessiert mitgelesen und kommentiert hat.
Kapitel 1
Dem Ende entgegen: Das letzte Kriegsjahr „Dieses Jahr, an dessen Schwelle wir nun stehen, wird uns den Frieden bringen.“1 Die Hoffnung, mit der der Redakteur der Brixener Chronik am Neujahrstag 1918 seine optimistische Botschaft an die kriegsgeplagte Tiroler Bevölkerung schloss, war nicht unbegründet. Am Ende des dritten Kriegsjahres befand sich die Habsburgermonarchie in einer recht günstigen militärischen Ausgangsposition, die die Hoffnung auf einen „Verständigungsfrieden“2 oder einen „Frieden des Ausgleichs“3 nährte. 1917 schien im Rückblick ein militärisch erfolgreiches Jahr mit entscheidenden Weichenstellungen gewesen zu sein. Im Osten hatten die vereinigten Truppen der Mittelmächte das revolutionierte Russland in die Schranken gewiesen, und man stand mitten in Friedensverhandlungen, die schließlich am 3. März 1918 in Brest-Litovsk finalisiert wurden. Im Westen hatte sich die Ende November begonnene alliierte Großoffensive verlaufen und nicht den erhofften militärischen Durchbruch gebracht. Und im Süden war den Italienern Ende Oktober 1917 ein als Entlastung der Isonzofront geplanter gegnerischer Überraschungscoup bei Flitsch und Tolmein regelrecht zum Verhängnis geworden. Die Truppen des deutschen Heeres und der k.u.k. Armee stießen rasch ins venezianische Kernland vor, überschritten den Tagliamento und lagen zur Jahreswende bereits seit Wochen im Stellungskrieg am Piave.4 Der Preis für dieses massive Vorgehen einer von den Kriegsereignissen bereits schwer gezeichneten Armee war dennoch hoch: Die Truppen waren am Rande der Erschöpfung, der notwendige Nachschub kaum mehr nach vorne zu bringen. Und die Versorgung der siegreichen Armee erfolgte auf dem Rücken eines in den Städten bereits hungernden Hinterlandes. Dass es sich bei dieser schweren und für die Italiener traumatischen Niederlage von Caporetto letztlich bloß um einen Pyrrhussieg handeln könnte, daran glaubte in den ersten Januartagen 1918 niemand. Man sah Italien, das seit dem Intervento den „übermütigsten Raubkrieg“ geführt hatte, schon am „Krepierhalfter“.5 So aussichtsreich sich das neue Jahr auch aus einer militärischen Perspektive präsentieren mochte, dreieinhalb Jahre Krieg hatten – gelinde gesagt – Spuren hinterlassen. Tausende von Tiroler Soldaten hatten in Galizien, am Balkan oder an der Dolomitenfront den Tod gefunden, und mit jeder ‚Heldengedenkfeier‘ für einen gefallenen Soldaten mehr war der Bevölkerung draußen in den Dörfern vor Ort stärker ins Bewusstsein gerückt, dass der Krieg nicht nur aus den von der Propaganda verkündeten Siegen bestand. Er war eine vieltausendfache menschliche Katastrophe, die von den meisten Soldaten auch so
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1. Das letzte Kriegsjahr
empfunden wurde. Die wehrpflichtigen Tiroler und Vorarlberger waren nicht im patriotischen Überschwang in den Krieg gezogen, wie die eindrucksvollen Bilder der städtischen Menschenmengen in Innsbruck, Bozen, Meran oder Feldkirch zu Kriegsbeginn 1914 suggerieren mögen. Bilder lügen eben doch. Abgesehen von der städtischen Bourgoisie und halbwüchsigen Rekruten, die – ob nun patriotisch begeistert, aus militaristischer Überzeugung, aus Abenteuerlust oder auch aus jugendlichem Leichtsinn – für den Krieg förmlich brannten, überwog sorgenvolle Nachdenklichkeit. Vor allem am Land, in den bildungsschwachen Schichten und unter den Frauen mischte sich unter das in öffentlichen Kriegskundgebungen obligate „Serbien muss sterbien“ die gleichermaßen gedankenschwere wie ernüchternde Frage nach dem eigenen Schicksal und dem familiären Fortkommen im bevorstehenden Krieg. Man entsprach in diesem verhängnisvollen Sommer 1914 einer staatsbürgerlichen Pflicht, mehr oder minder entschlossen und in der Überzeugung, in einen ‚gerechten‘ und – vor allem – kurzen Krieg zu ziehen. Aus dem geplanten ‚Spaziergang‘ nach Belgrad wurde bekanntlich ein viereinhalb Jahre dauernder Konflikt. Erst der November 1918 und nicht das zu Kriegsbeginn stets prognostizierte Weihnachten 1914 sollte einen Schlussstrich unter den Krieg ziehen – zumindest für jene, die ihn überlebt hatten und nicht in Kriegsgefangenschaft geraten waren. Je länger der Krieg dauerte, desto manifester wurde auch unter den Tiroler Soldaten das Aufbegehren gegen Militär und Staat. Im Laufe des Krieges avancierten letztere zu regelrechten soldatischen Feindbildern. Eine nicht enden wollende „Menschenschlächterei“6, wie es der Südtiroler Soldat Josef Klotz genannt hatte, katastrophale Lebensbedingungen und der schikanöse militärische Drill verdichteten sich zu einem omnipräsenten Gefühlsensemble, das auch die Tiroler Soldaten zunehmend gegen den Kriegsstaat aufbrachte – 1918 mehr denn je zuvor. Vermehrte militärische Verweigerungen waren die Folge der steigenden Unzufriedenheit und Frustration, die sich auch der vermeintlichen Tiroler Elitetruppen bemächtigt hatten. Unabhängig davon, wohin man 1918 auch blickte – Desertionen und Insubordinationen nahmen in erschreckender Weise zu. Konkreter, bewusster Widerstand war das in den selteneren Fällen, eher schon Ausdruck eines Gefühls allgegenwärtiger Ohnmacht und Apathie. Nicht nur an der Front hatte die scheinbar ins Unendliche prolongierte Laufzeit des Krieges eine desillusionierende Dynamik entwickelt. Auch um das Hinterland – das es angesichts eines globalen Krieges mit totalen Ansätzen im konventionellen Sinne gar nicht mehr gab – stand es nicht besser. Bei der seit Kriegsbeginn zu beobachtenden, kontinuierlichen Stimmungsverschlechterung handelte es sich um eine wechselseitige Entwicklung, die Front
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und Heimat gemeinsam betraf und die eine eng aufeinander bezogene Kriegsbeziehung konstituierte. Die zunehmend schlechten Lebensbedingungen an der Front beispielsweise verstörten die Heimatfront in gleichem Maße, wie die Soldaten vorne sorgenvoll auf das vielerorts hungernde Hinterland blickten. Front und Heimat blieben im Krieg auf intensive Weise miteinander verbunden; vor allem auch im alltäglichen Management der zwar räumlich separierten, aber mental als Einheit wahrgenommenen Kriegslebenswelt. Diese Bande waren stärker als die durch den Krieg generierte Entfremdung. Zuhause hatten indes der lange Krieg und die bereichsübergreifende Konzentration auf die Armee und den anvisierten militärischen Erfolg der Heimatfront arg zugesetzt. Der zunehmend totale Charakter der Kriegführung im ersten modernen Massenkrieg des neuen Jahrhunderts sorgte nicht nur für ein bisher beispielloses Aufgebot von Soldaten an den Fronten, sondern spannte die gesamte Zivilgesellschaft vor den sprichwörtlichen Kriegskarren. Während soziale und rechtliche Errungenschaften vom Ausnahmestaat zurückgenommen wurden, stieg die Erwartungshaltung des Staates gegenüber seinen Untertanen (mit und ohne Uniform) und damit auch die vielfach mit Zwang einhergehende Integration in die massiven Kriegsanstrengungen. Infolge dieser neuen Unverhältnismäßigkeit in der Lastenteilung und der auf den Krieg abgestimmten staatlichen Prioritäten verschlechterte sich der Lebensstandard der Menschen auch in Tirol nachgerade unaufhaltsam. Aus einem vielerorts bescheidenen Auskommen wurde Not, aus Not wurde allzu oft Elend. Es waren vor allem Mangelwirtschaft und Ernährungsmisere, die den Kriegsalltag der Menschen fortschreitend verdüsterten. Ein über Androhungen und Verbote lange im Zaum gehaltener, aufgestauter Frust schlug im letzten Kriegsjahr in blanken Protest um, der im November 1918 wohlweislich nicht abriss. Aus versorgungsgeschichtlicher und sozialhistorischer Sicht war das Kriegsende zum Leidwesen vieler keine Zäsur. Ganz im Gegenteil. Noch vor allem anderen bestand das unmittelbare Erbe des Konflikts darin, dass sich die altbekannten ‚Unannehmlichkeiten‘ des Krieges eben nicht wie durch Zauberhand verabschiedet hatten, sondern teilweise noch massiver zutage traten. Je trostloser sich die Kriegsverhältnisse aus gesellschaftlicher Sicht darstellten und je tiefer der Frust über eben diese ‚traurigen Verhältnisse‘ drang, desto bestimmter artikulierte sich auch der Unmut über die dafür scheinbar Verantwortlichen. Das Spektrum der vermeintlich Schuldigen veränderte sich jeweils mit der Perspektive der Betrachter: So war es einmal der widerwärtige Staat, der diesen Krieg in unverantwortlicher Weise begonnen hatte, ein andermal das Militär, das auf Kosten des Hinterlandes und ohne konkrete Erfolge den Krieg verlängerte; oder es waren die Juden und andere vermeintliche
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‚Kriegsgewinnler‘, die das große Geschäft ‚witterten‘; oder auch die angeblich ‚zersetzerische‘ Politik der Sozialdemokratie. Und in der Grenzregion Tirol verkomplizierte sich im Laufe des Krieges nicht zuletzt die Situation der Tiroler italienischer Muttersprache im Süden des Kronlandes. Innerhalb eines zunehmend schwierigeren Verhältnisses zwischen Mehrheit und Minderheit hatten sich die immer öfter als Frontstellung wahrgenommenen Positionen in der nationalen Auseinandersetzung deutlich akzentuiert. Während aus Deutschtiroler Perspektive alles Italienische mit dem vermeintlichen ‚Verrat‘ des ehemaligen Dreibundpartners gleichgesetzt wurde, hatten im Trentino Internierungen, Verhaftungen, Verurteilungen und andere Schikanen nicht nur die (verbliebene) Zivilbevölkerung, sondern auch einen beträchtlichen Teil der rund 60.000 Trentiner k.u.k. Soldaten gegen Militär und Staat aufgebracht. Stadt gegen Land, Unternehmer gegen Arbeiter, Soldaten gegen Offiziere, Funktionäre gegen Bürger, Staat gegen Militär: In ähnlicher Weise, wie sich andere soziale Konfliktlinien tendenziell verschärften, veränderte sich auch die Tonlage in der nationalen Konfrontation. Damit schließt sich der kurz skizzierte Kreis jener zentralen Problemlagen, die das gesellschaftliche Leben in Tirol 1918 in prägender Weise konditionierten: Soziale Radikalisierung, nationale Polarisierung und militärische Desintegration nahmen sich als jene vom Krieg forcierten sozialen ‚Beilagen‘ aus, die schließlich jenes Miteinander von Faktoren und Entwicklungen schufen, die im letzten Kriegsjahr ein ‚Weiter-so‘ großteils verunmöglichten. Die Grenzen des Durchhaltens. Sozialer Protest und gesellschaftliche Konflikte Am 21. Januar 1918 zog ein Heer von protestierenden Arbeitern durch die Straßen von Innsbruck.7 Die von den Sozialdemokraten organisierte Massendemonstration war Ausdruck der sich vor allem in proletarischen Kreisen gestauten Frustration und Kriegsmüdigkeit. Auch in kleineren Zentren mit höherem Arbeiteranteil brodelte es, etwa in Wattens, Landeck, Schwaz oder Zams. Der Innsbrucker Arbeiteraufmarsch und die Tiroler Protestbewegung des letzten Kriegsjahres waren zwar kaum vergleichbar mit den imposanten proletarischen Massenkundgebungen, die etwa im Rahmen des legendären Januarstreiks in den großen Industriezentren der Habsburgermonarchie stattfanden. Dennoch waren sie ein bemerkenswertes Signal der Missstimmung im Volk.8 Man forderte lauthals Maßnahmen gegen die Lebensmittelverknappung und wandte sich energisch gegen die erfolgte Halbierung der Mehlzuteilungen, die der unmittelbare Anlass für das gleichermaßen spontane wie
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eruptive Aufbegehren der österreichischen Arbeiterschaft gewesen war. Über diesen tagespolitischen Forderungen, die der konkreten Notlage geschuldet waren, stand allerdings immer auch der Ruf nach einem baldigen Frieden. Letzterer war der kleinste gemeinsame Nenner aller Protestveranstaltungen, die 1918 zuhauf mit wechselnden Promotoren und inhaltlichen Forderungen auch in Tirol stattfanden. 1918 wurde nicht von ungefähr zu einem Jahr des Protests. Die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen hatten sich im Vergleich mit den vorangegangenen Kriegsjahren entscheidend verändert.9 Nach dem Tod Kaiser Franz Josephs im November 1916 wurden unter Karl I. die Karten neu gemischt. Der geradezu veränderungsresistenten finalen Phase der Regentschaft des greisen Kaisers folgte eine betont aktive Politik des jungen Monarchen, die in mehrerer Hinsicht politische Arbeit und gesellschaftliche Artikulationsmöglichkeiten aus der kriegsbedingten Zwangsdefensive führte. Das im Mai 1917 wiedereröffnete Wiener Parlament entwickelte sich zu einer Plattform der zunehmend polarisierten Auseinandersetzung rund um die zentralen Fragen des Krieges. Der österreichische Reichsrat wurde zu einem lagerübergreifenden Forum polemischer Kritik, die sich zum einen auf das mittels Notverordnungen und Ausnahmeverfügungen regierende, so genannte ‚System Stürgkh‘ einschoss; zum anderen brachten seine Abgeordneten 1918 auch das vornehmlich in den frontnahen Grenzterritorien durchschlagende AllmachtsGebärden des Militärs vorwurfsvoll und anklagend aufs Tapet. Diese partielle Renaissance politischer Handlungsfähigkeit wurde von einer Reihe von Maßnahmen flankiert, die in dieselbe Richtung wiesen: Die Lockerung der Pressezensur und der Versammlungsfreiheit schufen die Basis für eine neue Art der bisher im Krieg verunmöglichten öffentlichen Kommunikation des tief verankerten gesellschaftlichen Unbehagens. Die Enthaftung zahlreicher politischer Gefangener durch mehrere Amnestien des Kaisers und der Bruch mit der Notverordnungspraxis der Kriegsregierung, die auf massive Kritik des Parlamentes gestoßen war, führten deutlich vor Augen, dass die zweisame Allmacht von Kriegsregierung und Militär zumindest gründlich erschüttert war.10 Auch das k.u.k. Militär hatte während der Regentschaft Karls bei weitem nicht mehr jene freie Hand, die sich ihm in der militärabsolutistischen Kriegsphase seit dem Intervento geboten hatte. Der junge Kaiser vermaß nicht nur den Machtbereich der Armee neu, sondern griff überall dort regulierend ein, wo insbesondere die Armeeführung ganz offensichtlich über das Ziel hinausgeschossen hatte. Er tat das freilich – auch das muss an dieser Stelle hinzugefügt werden – ohne durchschlagenden Erfolg. Und nicht zuletzt hatten es im Osten ja die Russen vorgemacht – und im Rahmen der Oktoberrevolution eine Art Ausstiegsszenario ‚von unten‘ vorexerziert. Der in ähnlicher Weise
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kriegsmüden Bevölkerung der Mittelmächte schien das teilweise wie ein hoffnungsvoller Fingerzeig in die Richtung einer bisher verschlossenen Tür, hinter der sich plötzlich eine schon verloren geglaubte Welt ohne Krieg eröffnete. ‚Brest-Litovsk‘ stellte demnach im März 1918 das vorläufige Ende dieses langen Prozesses dar; der russische Osten schied aus der Liste der ‚aktiven‘ Player des Ersten Weltkrieges aus, versank allerdings – das sei an dieser Stelle nicht verschwiegen – in einen lange andauernden, äußerst blutigen Bürgerkrieg. Von einer derartigen Revolution oder auch von den Unruhen in den industriellen Zentren der Monarchie war man, wie bereits erwähnt, im äußersten Westen der Monarchie rein geographisch, aber auch ideologisch weit entfernt. Trotzdem hatte sich auch hier die weit verbreitete Unzufriedenheit mit dem Krieg vor allem seit 1916 zugespitzt. Dieses infolge der Kalamitäten des Krieges regelrecht angefachte Unbehagen befeuerte nicht nur die Schuldzuweisungen nach ‚oben‘, Richtung Militär und Staat, sondern heizte auch die innergesellschaftliche Auseinandersetzung an. Letztere äußerte sich vor allem in schärferen sozialen Konfliktlinien und nationalen Gegensätzen. Soziale Bruchlinien und gesellschaftliche Konflikte traten noch deutlicher zutage als im Frieden, bezogene Positionen gewannen an Schärfe und erstarrten vielfach zu Justament-Standpunkten oder regelrechten Glaubenssätzen.11 Hinzu kamen die klar spürbare Entfremdung von Staat und Militär sowie die Diskreditierung der alten Eliten, die immer häufiger in einen konkreten Verantwortungszusammenhang mit dem Krieg gestellt wurden. Das Gefühl, dass von dem Krieg „ohnedies niemand etwas [habe], als die Großkopfeten“ und es nur die „minderen Leute“ wären, die „ihre Schädel dem Feinde hinhalten“ müssten, „während die Besseren sich zu drücken“12 wüssten, war gegen Ende des Krieges in dominanter Weise verbreitet. Für den aus Münster stammenden Johann Sieberer war der Krieg gar „von den Herrschern beider Parteien abgekartet“. Letztere würden „wieder Frieden schließen, sobald genug Menschen hingeschlachtet seien“.13 „Dieser Krieg hat keinen politischen Zweck“, sagte es der Trentiner Josef Dellai frei heraus, „aber er wird geführt, um das Volk umzubringen.“14 Diese Äußerungen brachten Sieberer und Dellai im Übrigen ein Verfahren vor dem Kriegsgericht ein. Die immer länger werdenden Verlustlisten des Krieges, auf denen ganz unvermeidbar auch die Namen von Angehörigen oder Freunden zu finden waren, und die sich ständig verschlechternden Lebensumstände im Krieg taten ein Übriges. Vor allem die prekäre Ernährungslage, die gerade im letzten Kriegsjahr den Lebensalltag der Menschen in Tirol prägte, war vielfach jener entscheidende ‚Trigger‘, der die letzten Hemmschwellen fallen ließ.
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Abb. 1
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Trentiner Frauen werden für den Materialtransport im Rahmen des militärischen Straßenbaus eingesetzt
Unmut und Protest standen also auch in Tirol in einem direkten Zusammenhang mit den kriegsimmanenten Versorgungsschwierigkeiten und – allgemeiner gesehen – dem eklatanten Reallohnverlust – also der Tatsache, dass man sich mit Geld kaum mehr etwas kaufen konnte. Die Situation hatte sich bereits 1916 verschlechtert und dann 1917 noch einmal zugespitzt. Im letzten Kriegsjahr 1918 kam es schließlich auch in Tirol zu landesweiten Hungerkrawallen, Arbeitsniederlegungen und Streiks. Der bereits erwähnten Demonstrationswelle zu Beginn des letzten Kriegsjahres folgten weitere Unruhen, die sich sodann seit Frühjahr verdichteten und verfestigten; in den Sommermonaten erlangten sie vor allem in den kleineren und größeren Bezirkszentren des Landes einen Höhepunkt. Im Außerferner Reutte etwa war es schon im März 1918 zu Protesten gekommen, die vor allem von den Frauen vor Ort getragen waren. Sie wiederholten sich Ende Juli, als rund 200 Frauen vor der Bezirkshauptmannschaft mehr Mehl forderten.15 Ein ähnliches Bild bot sich in Schwaz, wo es im Mai 1918 im Rahmen eines Streiks der Tabakarbeiterinnen zu tumultartigen Szenen kam und am 19. August eine Großdemonstration mit 2000 Teilnehmern stattfand.16 In Kufstein stellten sich die Behörden sogar einmütig hinter die Bevölkerung und beteiligten sich federführend an der Organisation
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des Protests.17 Auch in Südtirol, etwa in Meran, kam es zu ähnlichen Unruhen. Besonders schlimm war die Lage allerdings im Trentino. In Trient gehörte das Aufbegehren gegen die eklatante Unterversorgung schon im April 1918 zum Straßenbild. Wie dramatisch sich die Situation zugespitzt hatte, zeigt die Tatsache, dass dort schon Anfang Mai die ersten Hungertoten zu beklagen waren.18 Bei der Frage nach den Ursachen und Hintergründen des allerorts aufkeimenden Protests muss zuallererst auf bereits erwähnte Gegebenheiten und Entwicklungen verwiesen werden: die weit um sich greifende Kriegsmüdigkeit; die völlig veränderten politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im letzten Kriegsjahr; und eben die viel zitierte dramatische Verschlechterung der Ernährungslage der Tiroler Bevölkerung, die – zumindest vordergründig – für den Großteil des zunehmend öffentlich artikulierten Unmutes verantwortlich zeichnete. Das Kronland Tirol-Vorarlberg war mit Blick auf die wichtigsten Lebensmittel in hohem Maße importabhängig. Schon vor 1914 hatte es sich bei einem großen Teil des in Tirol konsumierten und verarbeiteten Getreides um Einfuhrwaren gehandelt. Das etwa in Südtirol angebaute Getreide deckte kaum ein Drittel des Gesamtbedarfes. Der große Rest musste vor allem aus Ungarn importiert werden.19 Diese ungünstige versorgungspolitische Ausgangsposition erschwerte und verkomplizierte die Ernährung der Bevölkerung. Und nach Kriegsbeginn hatte schließlich eine verhängnisvolle Dynamik ihren Lauf genommen, die einen rasant an Fahrt aufnehmenden Dominoeffekt provozierte: Der im Krieg zu gewärtigende Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitskräften, Zugtieren und Maschinen führte zu geringeren Ernteerträgen, die sich wiederum durch die kriegsbedingt sinkenden Importe von Kunstdünger und Saatgut weiter reduzierten. Eine ähnliche Entwicklung war im Bereich des Viehstandes zu verzeichnen, der durch das notwendige Aufbringen hoher Fleischmengen zur Versorgung von Soldat und Zivilist im Sinken begriffen war – und mit ihm in der Folge auch die Milchmengen. Die Verknappung der Grundnahrungsmittel durch geringere Importe und sinkende Vor-Ort-Produktion führte zu unvermeidlichen Versorgungsengpässen. Die Ernteerträge von Weizen waren beispielsweise in Nordtirol gegenüber der Friedensproduktion auf gerade noch etwas mehr als 60 Prozent gefallen, jene von Roggen und Kartoffeln beliefen sich im Vergleich mit dem Jahr 1913 nur mehr auf ca. 36 bzw. 24 Prozent. Gleichzeitig war der Import von Getreide und Hülsenfrüchten von tirolweit 17.636 Waggons im Jahr 1912 auf lediglich rund ein Viertel (4.244) im Jahr 1917 gesunken und hatte sich 1918 noch einmal verringert. Während in der Vorkriegsära jährlich etwa 30.000 Liter Milch zur Versorgung der Landeshauptstadt Innsbruck aufgebracht wurden, waren es 1918 nur mehr 10.000 Liter. Proportional zur immer geringeren Menge an Verfügbarem reduzierten sich auch die berüchtigten Rationierungsquoten. Als
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letztere 1918 unter ein akzeptabel scheinendes Minimum sanken, war das ‚Volk‘ ganz offensichtlich nicht mehr zu halten.20 Bei dieser sich unaufhaltsam nach unten drehenden Produktionsspirale handelte es sich zwar um ein nicht nur Tirol betreffendes Phänomen, allerdings kamen hier im Vergleich zu anderen österreichischen Binnenregionen in weit stärkerem Ausmaß auch Faktoren zum Tragen, die direkt mit der militärischen Kriegsführung zusammenhingen. Als militärisches Aufmarsch-, Etappenund Frontgebiet in einem war man nicht nur mit dem staatlichen ‚StandardProgramm‘ zur Mobilisierung der Kriegsgesellschaft konfrontiert, das man in ähnlicher Weise auch in Salzburg, Oberösterreich oder Böhmen kannte, sondern hatte sich darüber hinaus auf unmittelbarem Wege der Armee dienstbar zu machen. Von dem kriegsbedingten Recht auf die Beschlagnahme von Immobilien zur Truppeneinquartierung sowie auf Zwangsrequirierungen von Lebensmitteln, Vieh und Gebrauchsgegenständen aller Art machte das Militär in Tirol häufig – und offensichtlich nicht nur bei Bedarf – Gebrauch. Die k.u.k. Truppen bedienten sich ungeniert, wodurch sich das wenige Vorhandene noch ein weiteres Mal reduzierte. Bis kaum mehr etwas da war. Ferner kam es zu zahlreichen willkürlichen Zerstörungen und Mutwilligkeiten. „Es braucht nur darauf verwiesen zu werden“, kritisierte der Trienter Polizeikommissar Rudolf Muck im Juli 1918 als unverdächtiger Zeuge das Vorgehen des österreichischungarischen Militärs im Trentino, „dass die Entschädigungen für die so zahlreichen Requisitionen schon seit Jahren ausstehen, daß Haus und Grund in den evakuierten Gebieten in der barbarischsten Weise ohne jeden Grund verwüstet wurden, dass Mobilien verschleppt und zwecklos vernichtet wurden, dass die Sicherheit des Eigentums, besonders des Feldgutes in erschreckender Weise gefährdet ist, dass, um nur einige Details anzuführen, die Kornfrucht gemäht und als Viehfutter verwendet wird, dass in den Äckern Pferde geweidet werden, dass die Kartoffelfelder systematisch geplündert werden, und dass alle diese Mißstände trotz wiederholter Anzeigen und Beschwerden nicht nur fortdauern, sondern mit jedem Tage ärger werden.“21 Zur dramatischen Reduktion dessen, was für den Lebensunterhalt im Krieg noch zur Verfügung stand, trat schließlich zu allem Überfluss eine galoppierende Kriegsinflation, die vor allem proletarische und lohnabhängige Milieus verarmen ließ. Der Wochenlohn von rund 60 Kronen, den der Tiroler Durchschnittsarbeiter verdiente, reichte 1918 kaum mehr für die familiäre Grundversorgung – für Essen und ein Dach über dem Kopf.22 Löhne und Preise klafften immer weiter auseinander und führten zu einem eklatanten Verlust des Realeinkommens. Die Kaufkraft der Familien sank beständig. Bis zum Frühjahr 1918 waren die Lebensmittelpreise trotz der – großteils wirkungslosen – Höchstpreisverordnungen um das Drei- bis Zehnfache, mancher Waren sogar
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um das 15fache gestiegen.23 Gemessen am Vorkriegs-Reallohn verdiente ein Arbeiter im Sommer 1918 nur mehr zwischen einem Fünftel und einem Drittel.24 In Anbetracht der davonziehenden Preise stellten die bescheidenen Lohnerhöhungen und die gewährten Teuerungszulagen eher ‚kosmetische‘ Verbesserungen dar. Das eigentliche Problem der Verarmung einer Vielzahl von Arbeiter- und Angestelltenfamilien konnte auf diese Weise nicht behoben werden. Ganz im Gegenteil: Gegen Ende des Krieges wurde die Frage nach der täglichen Versorgung der Familie zu einer immer schwierigeren Herausforderung, vor allem für die Lohnabhängigen, die unter dem Kaufkraftverlust in besonderer Weise litten. In der Stadt noch viel mehr als am Land. Weil man in diesen Milieus aus Geldmangel selbstredend auch nicht auf den blühenden Schwarzmarkt ausweichen konnte, behalf man sich vielfach auch illegal und auf eigene Faust. Einbrüche und Diebstähle, ja die Plünderung ganzer Obstgärten und Gemüsefelder waren 1918 an der Tagesordnung, sodass vielerorts in Tirol bewaffnete ‚Flurwächter‘ die Felder schützten.25 Dieser sprichwörtliche ‚Kampf‘ um die noch vorhandenen Lebensmittel wurde zusehends gewalttätiger und eskalierte schließlich auch da und dort. Der Schwazer Bauer Martin Sieberer etwa wurde am 8. September 1918 auf seinem Feld von Kartoffeldieben erschossen.26 Mangel- und in der Folge immer häufiger auch Unterernährung mussten über kurz oder lang zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Gemeinsam
Abb. 2
Metall für den Krieg: Vor der Sammelstelle der Metallzentrale in Innsbruck
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mit der sich im Krieg vielfach verschlechterten Wohnsituation, der mangelnden Hygiene und der arbeitsmäßigen Überforderung der verbliebenen Frauen, auf denen der Kriegsalltag an der Heimatfront schwer lastete, beeinträchtigten sie die physische wie psychische Konstitution der Menschen nachhaltig. Sie waren nicht zuletzt auch dafür verantwortlich, dass die im Herbst 1918 grassierende ‚Spanische Grippe‘ gleichsam ‚leichtes Spiel‘ hatte und in Tirol in kurzer Zeit rund 1.500 Menschen dahinraffte. Im Trentino waren es mehr als das Doppelte: 3.000-4.000 Tote.27 Schon lange vor dieser aggressiven Pandemie, die allein in Österreich rund 135.000 Tote forderte, hatten kriegsbedingte Infektionskrankheiten den gesundheitlichen Zustand der österreichischen Zivilbevölkerung kontinuierlich verschlechtert. Venerische Erkrankungen, Tuberkulose, Typhus und Ruhr grassierten im k.u.k. Heer28 und stellten zusehends auch für das Hinterland ein Problem dar, wo sich insbesondere die Tuberkulose- und Rachitisfälle in bedrohlicher Weise häuften.29 Der hohen Zahl von Gefallenen und an Infektionskrankheiten Verendeten stand schließlich ein drastischer Geburtenrückgang gegenüber. In den Kriegsjahren wurde bisweilen nur mehr rund die Hälfte der im Frieden durchschnittlich zur Welt kommenden Kinder geboren. Neben einer höheren Säuglingssterblichkeit war dafür vor allem die reduzierte Zahl an Eheschließungen verantwortlich, die im Vergleich mit der Zeit vor dem Krieg auf rund ein Viertel einbrach.30 All diese direkt oder indirekt mit dem Krieg zusammenhängenden Unwägbarkeiten, die – nach Kriegsbeginn lange bewusst kaschiert, vernachlässigt oder zumindest im öffentlichen Diskurs kleingeredet – nun mit ungebremster Vehemenz zutage traten, trugen ihr Scherflein zu jener Art von 1918 stattgehabter sozialer Radikalisierung bei, die der Kritik am Krieg und seinen missliebigen Konsequenzen unablässig Stimme, Raum und zunehmende öffentliche Aufmerksamkeit verschaffte. Der sich 1918 verfestigende Protest war mit Blick auf seine Ursachen wie auch auf die damit verbundenen Forderungen wesentlich komplexer, als es die regionale Geschichtsschreibung vielfach dargestellt hat. Es wäre meines Erachtens verfehlt, den ihm zugrundeliegenden gesellschaftlichen Unmut lediglich als ‚Hungerrevolten‘ zu qualifizieren. Zwar war die Ressourcenverknappung protestbefördernder Movens und Funke zugleich, nichtsdestotrotz beinhalteten die Forderungen der Menschen auf der Straße oder vor den Bezirkshauptmannschaften fast immer auch auf den Krieg selbst zielende politische Konsequenzen. Schon anlässlich der ersten größeren Proteste, die bereits im Frühjahr 1915 im Trentino zu verzeichnen waren, forderten mehrere Hundert Frauen nicht nur eine Lösung der bereits herrschenden Ernährungsengpässe, sondern unmissverständlich auch eine „Beendigung des Krieges“.31 Und im Rahmen der Innsbrucker Massendemonstration am 21. Januar 1918 forderte die aufgebrachte Menge – wiederum
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neben der Verbesserung der Versorgung mit Lebensmittel – auch nachdrücklich den Abschluss des Friedens mit Russland – und zwar „ohne Annexionen und Kontributionen“.32 Dieser Protest war stets beides: ein Kampf gegen die andauernde Ernährungsmisere und ein Auflehnen gegen den Krieg als solches. Mit Blick auf die Charakteristiken dieses sich 1918 verfestigenden Protestes und die entsprechenden Ursachen gilt es noch weitere Differenzierungen, vor allem räumlicher Natur, zu treffen. Es macht einen großen Unterschied, ob man den Krieg im näheren Einzugsgebiet der Front, in den militärischen Aufmarschräumen oder im ‚Hinterland‘ erlebte. In Rovereto etwa waren die Lebensverhältnisse im Krieg grundlegend andere als in Bregenz oder an der Tiroler Grenze zu Bayern. Die Präsenz einer hart umkämpften militärischen Front im Land konstituierte zumindest ab Mai 1915 verschiedene Kriegsräume mit unterschiedlichen Charakteristiken, die auf jeweils spezifische Weise das Leben der Menschen vor Ort tangierten. Obwohl auch das frontferne Vorarlberg von den Auswirkungen der Mangelwirtschaft selbstredend nicht verschont blieb, gestaltete sich die Versorgung der Bevölkerung ungleich besser als in manchen Tiroler Gebieten, sodass etwa die Bludenzer Bauern noch im Sommer 1918 zur Stellung von Milch für Gemeinden im benachbarten Nordtirol verpflichtet wurden. Die ganze Verwaltung der Lebensmittelrationierung war im überschaubaren ‚Ländle‘ wesentlich einfacher zu handhaben und ging deshalb ungleich effizienter vonstatten. Zudem war das Land von größeren Militäreinquartierungen und -verschiebungen weitgehend verschont geblieben. Darüber hinaus hatte sich vor allem über die zahlreichen berufsbedingten Grenzgänger ein reges Schmuggelwesen mit der Schweiz entwickelt, das einerseits den Zugang zu in Österreich rar gewordenen Waren und Gebrauchsgütern ermöglichte und andererseits einen in finanzieller Hinsicht äußerst lukrativen Absatzmarkt für eigenproduzierte, vornehmlich landwirtschaftliche Erzeugnisse darstellte. Während also die Behörden noch im August 1918 konstatieren konnten, dass in Vorarlberg „von einem wirklichen Mangel noch nicht die Rede“ sein konnte, gab es im Trentino, wie erwähnt, bereits die ersten Hungertoten.33 Dass die Versorgungslage gerade im südlichen Tiroler Landesteil so desolat war, hängt mit einer Vielzahl von Faktoren zusammen: Am schwersten wog zunächst die räumliche Nähe zur militärischen Front. Sie zeichnete für all jene letztlich fatalen ‚Begleiterscheinungen‘ des Krieges verantwortlich, die für die verbliebene Zivilbevölkerung eine einigermaßen geordnete Lebensführung – wenn auch unter Kriegseinwirkungen – schier unmöglich machte. Willkürliche Zerstörungen, militärische Requirierungen und exzessive Truppeneinquartierungen durch ‚eigenes‘ k.u.k. Militär waren im Trentino an der Tagesordnung. Zur Verschärfung der Lage trugen aber auch rein strukturelle Probleme bei, die sich im Krieg in potenzierter Weise negativ
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auswirkten. Aufgrund der traditionellen Konzentration auf den Obst- und Weinbau und des damit verbundenen Fehlens einer diversifizierten Agrarstruktur konnte man in der Regel nicht auf die selbst produzierte Milch oder das vor Ort angebaute Getreide zurückgreifen und – so wie im restlichen Tirol – etwaige Lebensmittel-Engpässe zumindest kurzfristig kompensieren.34 Aus all diesen Gründen war es um die gesundheitlichen Verhältnisse im Trentino noch schlechter bestellt als im übrigen Tirol, mit einer dementsprechend signifikant höheren Sterblichkeitsrate.35 Dieses – man könnte sagen – Nord-Süd-Gefälle in der regionalen ‚Überlebensqualität‘, die von kriegsbedingt akzeptablen Lebensbedingungen (Vorarlberg) hin zu eher lebensfeindlichen Rahmenbedingungen (Trentino) reichte, wurde von anderen gesellschaftlichen Konfliktlinien flankiert. Letztere waren zwar auch durch räumliche Faktoren bestimmt, hatten allerdings weniger mit einer konkreten territorialen Provenienz oder Zugehörigkeit zu einem Landesteil zu tun, sondern resultierten aus der jeweiligen beruflichen und sozialen Situation bzw. Stellung. Die bekannteste dieser sozioökonomisch bestimmten, im Krieg aufbrechenden Konfliktlinien ist jene zwischen urbanen und ländlichen Räumen. Das bäuerlich dominierte Land stand im Allgemeinen für eine zusehends protektionistisch ausgerichtete Selbstversorger-Ökonomie, die versuchte, etwaige Überschüsse bevorzugt am Schwarzmarkt oder im Schleichhandel gewinnbringend abzusetzen. In diesen bäuerlichen Milieus empfand man die Städter als eine Art Schmarotzer. Und man wehrte sich gegen die als Ausbeutung empfundenen Requirierungen bzw. behördlich verordneten Zwangsstellungen und kritisierte die staatliche Preisregulierungspolitik. „Was glaubt ihr denn eigentlich da drunten am grünen Tisch!“, schrieb sich im Juli 1918 der Villgratener Bauer Johann Schett in einem Brief an die Bezirkshauptmannschaft in Lienz seinen Ärger von der Seele: „Von was sollen wir Bauern in Innervillgraten leben: Korn wächst fast keines, was wächst wird beim Tal hinausgeliefert, und Mehl kommt fast keines herein. Wir sollen dann Tag und Nacht schwer arbeiten mit leerem Magen; woher die Kräfte nehmen!?! Bei uns Bauern geht die Geduld dem Ende zu.“ Seinen Frust-Brief schloss Schett, dem man eigenen Angaben zufolge „die letzten Fasern Patriotismus durch fortwährende Ungerechtigkeiten gewaltsam aus dem Herzen gerissen“ hatte, mit einem bemerkenswerten Satz, der zugleich die hohe Missstimmung untermauert, die gegen Ende des Krieges selbst in abgelegenen Tiroler Tälern herrschte: „Lieber unter jedem anderen Staate als unter Österreichs Judenstaate.“36 Ähnliche Feindbildkonstruktionen und Schuldzuweisungen, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen, grassierten in den Städten. In den Milieus der geringverdienenden, im Krieg verarmten städtischen Arbeiter und Angestellten avancierte neben den Kriegsbehörden der Bauer zum Feindbild
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schlechthin. Das agrarisch geprägte Land figurierte als sich abschottende, gegen die Stadt gerichtete negative Solidargemeinschaft, die sich an den landwirtschaftlichen Überschüssen eine Art ‚goldene Nase‘ verdienen würde. Dieser Stadt-Land-Konflikt war beileibe nicht die einzige soziale Frontstellung, die im Krieg entstand oder eine entsprechende Radikalisierung erfuhr: Die Auseinandersetzung zwischen profitorientierten Unternehmern und den von schwindenden Realeinkommen schwer getroffenen Arbeitern oder allgemein zwischen Proletariat und Bourgeoisie führten beispielsweise zu ähnlichen Konfliktlagen. Die für breite Bevölkerungsschichten zu gewärtigenden materiellen und finanziellen Einschränkungen, die gerade 1918 in gewissen Sozialmilieus bedrohliche Ausmaße angenommen hatten und mit einem kolossalen gesellschaftlichen Abstieg verbunden waren, stellten eine besondere gesellschaftliche Herausforderungslage dar. Der Krieg hatte durch Ressourcenverknappung und wirkliche soziale Bedrohungsszenarien zu einer unverkennbaren Verengung der Perspektive auf die eigenen Bedürfnisse geführt. Wie selbstverständlich zog das eine tendenziell entsolidarisierende und (nach außen) protektionistische Haltung nach sich und verringerte die Kompromissbereitschaft im gesellschaftlichen Ausverhandlungsprozess. Angesichts einer 1918 vorherrschenden Situation, in der die soziale Not und das improvisierte Management des Mangels zum Alltag geworden waren, fühlte sich jeder benachteiligt, hintergangen und diskriminiert. Näher betrachtet handelt es sich um vertikal wie horizontal verlaufende Konfliktlinien: Die von unten ‚nach oben‘ gerichtete Behörden- und Militärkritik spielte genauso eine Rolle wie die auf gesellschaftlicher Ebene ausgetragenen Gruppenauseinandersetzungen im Verteilungskampf. Aus dem Krieg resultierender Unmut, Unzufriedenheit und teilweise auch blanke Wut über die herrschenden Verhältnisse waren jener explosive Mix, der die gesellschaftliche Radikalisierung beförderte. Der vielfach anlassbezogene, spontane, oft weitgehend unkoordinierte Protest in den Tiroler Städten und am Land institutionalisierte sich im letzten Kriegsjahr immer konsequenter. Aufgrund der desolaten Lebensverhältnisse in Arbeiterkreisen und infolge der Protestwelle, die zu Beginn des Jahres 1918 auch die Tiroler Arbeiter – und vor allem Arbeiterinnen – auf die Straße gebracht hatte, wurde im Frühjahr unter sozialdemokratischer Führung ein Aktionskomitee der Arbeiter Deutschtirols ins Leben gerufen. Das Komitee verlieh dem landauf und landab immer entschiedener artikulierten Protest Nachdruck und konfrontierte sowohl die Kriegsbehörden wie auch die Tiroler Wirtschaft unablässig mit den Arbeiterforderungen. An der Spitze standen stets der Ruf nach höheren Löhnen, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Reduzierung der Arbeitszeit.37 Quasi reflexartig formierte man sich auch im bürgerlichen Lager zur so
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genannten Mittelstandsbewegung, die sich als Interessensvertretung schon rein begrifflich nach ‚unten‘ (Arbeiterschaft) abgrenzte und sich nach ‚oben‘ vornehmlich gegen das viel zitierte ‚jüdische Großkapital‘ in Stellung brachte. Aufgrund der absoluten Priorität, die die erwähnten beiden Feindbilder 1918 zu beanspruchen schienen, fand sich unter dem Banner der neuen parteiübergreifenden Protestbewegung eine – vor dem Krieg in dieser Konstellation wohl noch kaum vorstellbare – ungewöhnliche politische Allianz zusammen, die von Konservativen und Christlichsozialen bis hin zu deutschnationalen Gruppierungen reichte. Die vermeintliche Notwendigkeit eines Zusammenstehens gegen Sozialdemokraten und die verhassten Wiener ‚Kriegszentralen‘, in denen man den Prototyp staatssozialistischer Ökonomie zu erblicken glaubte, wog schwerer als die bestehenden (kulturellen, nationalen und religiösen) ideologischen Barrieren. Das bürgerliche antisozialistische, antizentralistische und antisemitische Credo verdichtete sich zu einem vor allem Richtung Osten gerichteten Feindbild-Konglomerat, dessen Stereotypen bei jeder Gelegenheit unters Volk getragen wurden. Die so genannten Deutschen Volkstage von Sterzing, Brixen und Dornbirn oder etwa auch der allgemeine deutsche Tiroler Bauerntag im Juni 1918 wurden so als eindrucksvolle Machtdemonstrationen zu regelrechten Orten einer radikalisierten ideologischen Selbstvergewisserung des bäuerlich-bürgerlichen Lagers.38 Hier konnte und wollte man sagen, was aus eigener Perspektive Sache zu sein schien. Dieser hier nur schlaglichtartig beschriebenen, vielgestaltigen gesellschaftlichen Radikalisierung stand man auf Seite des Staates recht ohnmächtig gegenüber. Zu weit war der kaum mehr zu bremsende Protest im Rahmen der linken oder rechten Formierungsstrategien bereits fortgeschritten. Die staatlichen Behörden und ihre Repräsentanten im Land beobachteten die zunehmende Radikalisierung zwar mit Skepsis, verfügten aber über keine adäquaten Strategien zur Lösung des Problems. War das Problem überhaupt noch zu lösen? Ohne den allseits herbeigesehnten Frieden wohl kaum. Man behalf sich mit Beschwichtigungsmaßnahmen, einer Art Politik von Zuckerbrot und Peitsche, wohl wissend, dass die Entwicklung auf diese Weise nur eingebremst und verzögert werden konnte und sich damit nur partielle Erfolge erzielen ließen. Die partiellen Zugeständnisse an die Arbeiterschaft etwa als Reaktion auf die Forderungen des Aktionskomitees waren in Summe kaum dazu angetan, den Unmut in Arbeiterkreisen zu besänftigen. Den angesichts der Kriegsinflation äußerst moderaten Lohnerhöhungen und beispielsweise der Einrichtung von Beschwerdekommissionen für Arbeiter oder der (halbherzigen) Anbahnung einer Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften war kein durchschlagender Erfolg beschieden.39 Die wechselseitige Radikalisierung der beiden Lager fand folglich im Herbst 1918 einen vorläufigen Höhepunkt in den
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bereits erwähnten Massenkundgebungen, bei denen die Wogen hochgingen. Erst das Ende des Krieges im November 1918 mischte die Karten neu und stellte das Land und seine Bevölkerung vor neue, andere Herausforderungen – auch wenn die genannten Probleme weit über den 4. November 1918 hinaus persistierten. Doppeladler oder Trikolore? Nation als Argument und ‚Waffe‘ Es war die Stunde von Edgar Meyer, Kunstprofessor und deutschnationales Enfant terrible, als er am 9. Mai 1918 im Sterzinger Theatersaal zu seiner Rede anlässlich des ersten Deutschen Volkstages vor Hunderten Teilnehmern aus ganz Tirol ansetzte. Scharf kritisierte er die Regierungspolitik, geißelte die Misswirtschaft der ‚Kriegszentralen‘ und nahm schließlich auch den Kaiser selber in die Verantwortung. Karl habe die „Rückverwelschung der deutschen Ortsnamen“ im Trentino veranlasst und „die Amnestie der cechischen Verräter“ zu verantworten. „An ein Mitschreiben war nicht zu denken“, berichtete der am Volkstag anwesende ‚Regierungsvertreter‘ Nikolaus Ritter Exeli von Adlerhuld tags darauf an seine Vorgesetzten in der Innsbrucker Statthalterei, „da der Redner ständig während der ganzen Rede mit den Füßen das Podium bearbeitete und mit den Fäusten in den Tisch schlug […].“ Das ganze Podium schaukelte, und der Tisch war „mit Wasser aus dem ständig tanzenden Glase benetzt.“ Der Hunger, fuhr Meyer fort, sei der Lohn der deutschen Treue, „während Tschechen und Juden prassen.“ Das Volk, rief der Redner in den Saal, wolle nur ein „deutsches Österreich“. Zu lange schon habe der Staat über den „völkischen Rücksichten“ gestanden, jetzt würde aber endlich „Volkstum vor Staat und Dynastie“ gehen.40 Meyers polternde Rede, in der kaum eine Behauptung den Tatsachen entsprach, traf auf stürmischen Beifall der aufgebrachten Menge im Saal, die kaum mehr ruhig zu halten war. Exeli zufolge bot die Versammlung insgesamt „ein gewaltiges Bild des herrschenden Unwillens der deutschen Bevölkerung Tirols über die vermeintlichen Maßnahmen gegen das Deutschtum.“41 Was sich am 9. Mai 1918 in Sterzing versammelt hatte, war nichts weniger als die bürgerliche Elite Deutschtirols – das Who is Who der Landespolitik, der Tiroler Wissenschaft und Wirtschaft. Die Veranstaltung war ein unmissverständliches Beispiel dafür, wie weit die nationale Auseinandersetzung mittlerweile fortgeschritten war und mit welcher Schärfe sie geführt wurde. Die nicht nur in Tirol, sondern auch in anderen österreichischen Kronländern stattfindenden Volkstage beinhalteten neben einer beißenden Kritik an den Regierungsverantwortlichen, an der Kriegsverwaltung als solche und an
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gewissen militärischen Kreisen vor allem einen aggressiven nationalpolitischen Forderungskatalog. Themen und Kritikpunkte der Mittelstandsbewegung und des Tiroler Volksbundes mündeten in ein radikales populistisches Protestprogramm, das in pointierter Weise die viel zitierten ‚nationalen Verhältnisse‘ in der Monarchie kritisierte und sich – wie könnte es auch anders sein – insbesondere gegen den Trentiner Nationalismus richtete. Das in 14 konkreten Punkten formulierte ‚Sterzinger Programm‘ lehnte u. a. eine Autonomie für den italienischen Landesteil kategorisch ab und forderte sogar eine vorgeschobene österreichische Grenze am Südufer des Gardasees. Es bestand auf eine konsequente Bekämpfung des Irredentismus und beharrte auf die Einführung des Deutschen als Amtssprache und Pflichtfach in allen Trentiner Schulen. Irredentistisch gesinnte Trentiner sollten des Landes verwiesen, das Vermögen der ins Ausland Geflüchteten konfisziert werden.42 Der in Sterzing inszenierte nationale Showdown ging in ähnlicher Weise auch auf anderen Mittelstands- und Volksbundveranstaltungen oder Bauerntagen vonstatten. Er profitierte von den bereits genannten veränderten Rahmenbedingungen, die infolge der Wiedereinberufung des Parlamentes und der Lockerung der Kriegsrepression eine Art vorsichtige Repolitisierung des öffentlichen Lebens zugelassen hatten. Als Vertretung des Staates im Land trat die Statthalterei anfangs dieser Mobilisierung des Bürgertums wohlwollend gegenüber. Sie schien ein willkommener Konterpart der zunehmenden Vergemeinschaftung im linken Lager zu sein. Angesichts der immer stärker direkt gegen den Staat und seine Ordnung gerichteten Agitation verschlechterte sich allerdings das Verhältnis zwischen der Vor-Ort-Präsenz des Staates und den regionalen Eliten zusehends. Das ermöglichte ‚Mehr‘ an Politik führte unter den Drangsalen der zunehmenden Mangelversorgung und angesichts der dominanten Friedenssehnsucht ganz unweigerlich zu einer radikalisierten politischen Debattenkultur, die wie selbstverständlich auch den Ton in der nationalen Auseinandersetzung verschärfte. Nationale Wortgefechte, politisch sich diametral gegenüberstehende Forderungen und kaum misszuverstehende symbolische Gesten führten – verstärkt durch die zunehmende parteipolitische Instrumentalisierung – zu einer wechselseitigen Radikalisierung der Sprache und des Handelns beider Ethnien.43 Deutschund Italienischtiroler fanden 1918 im politischen Diskurs kaum mehr einen kleinsten gemeinsamen Nenner und gingen zunehmend getrennte Wege. Anlässlich einer Beratung im Innsbrucker Landhaus Ende April 1918 hatten sich etwa die anwesenden deutschfreiheitlichen Abgeordneten schon über die bloße Tatsache echauffiert, dass Landeshauptmann Schraffl die Abgeordneten aus dem Trentino in italienischer Sprache begrüßte. Letztere verließen nach diesem Affront die Sitzung. Die Basis für ein gemeinsames politisches Arbeiten
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war schon rein atmosphärisch kaum mehr gegeben. Wenige Wochen später hatte sich der Trentiner Popolari-Politiker und Landeshauptmannstellvertreter Enrico Conci in einer vieldiskutierten Prager Rede hinter die tschechische Unabhängigkeitsbewegung gestellt, weshalb ihm in Tirol, zumindest rhetorisch, der Prozess gemacht wurde.44 Unendlich viele weitere Beispiele dieser immer schneller drehenden Radikalisierungsspirale ließen sich an dieser Stelle noch anfügen. Beide Seiten – Deutsche und Italiener – standen sich am politischen Parkett immer unversöhnlicher gegenüber, und beide Seiten hatten wohl die Habsburgermonarchie als Staat – zumindest mental – schon verabschiedet, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Im Trentino verstörte vor allem die Tatsache, dass im Zuge der Mittelstandsbewegung und der Volkstage selbst die Deutschtiroler Christlichsozialen zunehmend auf einen radikalnationalen Kurs eingeschwenkt waren. Während aus deutscher Perspektive die Verständigung in der nationalen Frage mit den Trentiner Liberalnationalen und Sozialisten schon immer konfliktträchtig gewesen war, schien sich jetzt der Radikalismus auch immer mehr unter den gemäßigten politischen Kräften Bahn zu brechen und auf diese Weise auch die Zusammenarbeit zwischen den katholischen Parteien zu verkomplizieren, wenn nicht überhaupt zu verunmöglichen. Auf der Ebene der politischen Kommunikation und der nationalen ‚Verständigung‘ war 1918 schon zu viel Porzellan zerschlagen worden. Dabei schien das vornehmlich im Militär stets angeprangerte vermeintliche ‚Versagen‘ der nicht-deutschen Nationalitäten im Krieg eher eine Art Verantwortungsstrategie, eines von mehreren Feindbildern zu sein, das mit der Realität kaum etwas zu tun hatte. Ähnliche, im Krieg verstärkte Ressentiments richteten sich in zunehmend unmissverständlicher Weise auch gegen Juden, Sozialdemokraten und – betrachterspezifisch – gegen andere gesellschaftliche Gruppen. Aus staatspolitischer Perspektive entscheidender und in gewisser Weise auch ‚gefährlicher‘ als die hochgehenden nationalen Wogen waren allerdings zwei andere besorgniserregende Entwicklungen: Erstens, die Tatsache, dass sich der Protest immer entschiedener gegen die Habsburgermonarchie als solche und ihre zentralen personellen und institutionellen Repräsentanten richtete. Und zweitens das Faktum, dass sich die regionalen Eliten großteils hinter diesen Protest stellten – und damit gleichzeitig auch zur Delegitimierung des Staates beitrugen.45 Dieser beileibe nicht nur national motivierte Legitimationsverlust des Staates und die immer schwierigere Kommunikation zwischen Zentrum und Peripherie – oder dem Staat und seinen Teilen – wogen in den letzten Monaten des Krieges schwerer als die bestehenden nationalen Konfliktlinien.46 Diese Schlaglichter und Momentaufnahmen der nationalen Radikalisierung aus dem letzten Kriegsjahr haben allerdings eine Vorgeschichte, die für das
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Verständnis der Situation im Jahr 1918 unabdingbar ist. Sie gründet im Wesentlichen auf den vielgestaltigen Maßnahmen, die der österreichische Kriegsstaat infolge des italienischen Kriegseintritts im Mai 1915 ergriffen hatte. Die kriegsspezifische nationale Polarisierung hat genau hier ihren unmittelbaren Ursprung. Dabei sind verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen: Einerseits war der als ‚Verrat‘ interpretierte italienische Intervento für maßgebliche Kreise der bürgerlichen Deutschtiroler Politik, der staatlichen Administration und insbesondere des Militärs eine Art traumatische Erfahrung, deren Verarbeitung zusehends nach radikalen Lösungen zu rufen schien. Parallel dazu wurden das Gefühl der Benachteiligung des Landes, besonders in Versorgungsfragen, sowie die Vorstellung einer übermäßigen Beanspruchung und ‚Aufopferung‘ von Land und Leuten immer wirkmächtiger. Die daraus resultierende schroffe Ablehnung des Wiener Kriegsstaates, die antisemitischen Agitationen und antisozialistischen Ausfälle traten ebenfalls immer unverblümter an die Oberfläche. Auf dieser konfliktträchtigen Grundlage hatte gerade der Intervento eine noch stärkere ‚nationale‘ Lesart der Kriegsanstrengungen und der allgemeinen Entwicklung des Krieges befördert, die Italien und auch die (eigenen, österreichischen) Italiener für alles verantwortlich zu machen schien, was in diesem Krieg militärisch und politisch misslang. Andererseits wurde die Loyalität der italienischsprachigen Minderheit im Trentino vor allem durch das radikale militärische Vorgehen im Land nach dem italienischen Kriegseintritt auf eine harte Probe gestellt. Jede Rücksichtnahme auf den ehemaligen Dreibundpartner war nunmehr selbstredend weggefallen.
Abb. 3
Das Interniertenlager Katzenau bei Linz
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Infolge des italienischen Kriegseintritts wurde ein großer Teil der Bevölkerung der frontnahen Trentiner Gemeinden evakuiert und in Flüchtlingslagern im österreichischen Hinterland untergebracht. Von den Militärs als politisch unzuverlässig eingestufte Italienischtiroler – insgesamt rund 1.700 Personen – wurden in einem eigens dafür geschaffenen Lager in Katzenau bei Linz interniert. Dass die Summe der evakuierten Trentiner dabei weit über jenes Soll hinausging, das als militärisch notwendig zu rechtfertigen war, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass aus militärischer Perspektive „kein Südtiroler italienischer Zunge […] als absolut vertrauenswürdig gelten“ konnte.47 Zählt man zu den rund 75.000 Trentiner ‚Kriegsflüchtlingen‘ und den etwa 60.000 Soldaten, die im Laufe des Krieges aus dem italienischsprachigen Tirol zur k.u.k. Armee einberufen wurden, auch noch jene Zivilpersonen hinzu, die auf der anderen Seite der Front von den italienischen Besatzern evakuiert (29.000) oder – ebenfalls als Unzuverlässige – interniert (ca. 1.500) wurden, ergibt sich das Bild einer durch den Krieg nachgerade entvölkerten Region.48 Ob nun im k.u.k. Flüchtlings- bzw. Internierungslager, an der militärischen Front oder als Internierter in Italien – rund die Hälfte der Bevölkerung befand sich infolge des Krieges, teilweise in elenden Verhältnissen, außer Landes. Es versteht sich von selbst, dass auch das politische Leben zwangsweise pausierte. Die Gemeinderäte der zwei größten Städte des Landes, Trient und Rovereto, wurden, so wie auch zahlreiche Trentiner Vereine, aufgelöst. Neben den in politischer Hinsicht natürlich a priori verdächtigen nationalen Vereinigungen, etwa den zahlreichen Ablegern der Lega Nazionale, erfassten die behördlichen Verbote allerdings auch beispielsweise vielfach harmlose Sport-, Theater- und Musikvereine. Sie wurden samt und sonders als irredentistisches Machwerk betrachtet. Zahlreiche Politiker und Persönlichkeiten des Trentiner öffentlichen Lebens waren von den Internierungen bzw. Konfinierungen betroffen oder ins Visier der Militärgerichtsbarkeit geraten, die im Krieg wegen ‚politischer Delikte‘ auch gegen Zivilpersonen vorgehen konnte. Diese Maßnahmen betrafen nicht nur die pauschal als Irredentisten bezeichneten Nationalliberalen und Sozialisten, sondern zunehmend auch führende Politiker der popolari, etwa den Führer der Trentiner Volkspartei, Guido De Gentili, Landeshauptmannstellvertreter Conci oder auch Alcide De Gasperi. Die Unione politica popolare del Trentino wurde schließlich im April 1916 behördlich aufgelöst.49 Eine besondere Behandlung wurde auch den Trentiner Soldaten in k.u.k. Montur zuteil: ungerechtfertigte Einberufungen, Beschimpfungen und Misshandlungen waren vielfach an der Tagesordnung. Der italienische Kriegseintritt „war für uns der Ruin“, notiert der aus Volano bei Rovereto stammende Maurer Mario Raffaelli damals in sein Tagebuch, „wir wurden misshandelt wie Bestien“.50
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In der Handhabe des Ausnahmezustandes im Trentino war es sehr bald zu grundlegenden Differenzen zwischen den Militärbehörden und der Zivilverwaltung gekommen. Aus der Perspektive der zivilen Behörden hatte das Militär durch die diversen Germanisierungsinitiativen, die schlechte Behandlung der italienischen Soldaten, die Einleitung zahlreicher politischer Prozesse und infolge immer neuer Forderungen nach zusätzlichen Internierungsmaßnahmen ganz eindeutig eine ‚rote Linie‘ überschritten. Die zunehmenden Spannungen eskalierten schließlich im Frühjahr 1916, als das Kommando der Südwestfront sogar die – am Ende allerdings doch nicht realisierte – Absetzung des Tiroler Statthalters Friedrich von Toggenburg forderte. Im Wissen um ihre kontraproduktive Wirkung hatte er sich unablässig gegen die radikalen militärischen Maßnahmen gestemmt.51 Das antiitalienische Ressentiment war traditioneller Weise unter den k.u.k. Militärs mit Tirol-Bezug am stärksten und hatte sich nach dem Intervento noch einmal radikalisiert. Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf, der schon vor 1914 mehrmals einen ‚Präventivkrieg‘ gegen Italien gefordert hatte, setzte den italienischen Kriegseintritt schlichtweg mit „Perfidie“ gleich.52 Und der spätere Tiroler Landesverteidigungskommandant Viktor Dankl hatte schon anlässlich der Neutralität Italiens bei Kriegsbeginn von einem „schmählichen Verhalten“ gesprochen. Von diesem „heimtückischen Pack“, so Dankl, „war übrigens nichts anderes zu erwarten“.53 Auch die eigenen italienischsprachigen k.u.k. Soldaten bezeichnete der höchste Tiroler Militär wenig schmeichelhaft als „ganz unzuverlässig“ und „feige“.54 All diese Anschuldigungen und Verdächtigungen, mit denen im Übrigen auch andere nationale Minderheiten der k.u.k. Armee konfrontiert waren, beruhten kaum auf Tatsachen. Die militärische Mobilisierung war in allen Teilen der Monarchie zumeist anstandslos erfolgt, die Desertionsfrequenz lag nur unwesentlich höher als im allgemeinen Schnitt, und der Anteil national motivierter Verweigerungen war überschaubar. Die vor allem nach eigenen militärischen Niederlagen stets erfolgende Schuldzuweisung an die nationalen Minderheiten erfüllte deshalb in erster Linie ihren Zweck als militärische Rechtfertigungsstrategie – ein Vorspiel, wenn man so will, zur späteren Dolchstoßlegende. Obwohl etwa im Nachhinein eindeutig festgestellt wurde, dass sich das groß aufgebauschte militärische Scheitern zweier tschechischer Infanterieregimenter im Frühjahr 1915 an der Ostfront nicht auf ein spezifisches Versagen der tschechischen Soldaten zurückführen ließ, misstraute man den tschechischen Truppenkörpern weiterhin. Ihr schlechtes Image blieb bestehen. Und das, obwohl rund 1,2 Millionen tschechische Soldaten vielfach bis zum Ende des Krieges anstandslos im Verbunde der k.u.k. Armee gedient und gekämpft hatten. Auch die italienischen Soldaten der Habsburgerarmee wurden das Stigma der Unzuverlässigkeit, mit dem sie von ihren zumeist deutschen
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Offizieren belegt worden waren, im Laufe des Krieges nicht mehr los.55 Als nach Kriegsbeginn mit Italien schrittweise ein großer Teil der Trentiner Soldaten aus der italienischen Front genommen wurde, war die Enttäuschung vielfach groß. „Wohl nicht sosehr deswegen, weil man sie von der Front zurückzog“, notierte der junge Südtiroler Kaiserjäger Matthias Ladurner-Parthanes damals in sein Tagebuch, „sondern vielmehr – wie es im Befehle ausdrücklich hieß –, weil man sie nicht mehr für verläßlich genug ansah; das kränkte sie.“56 Die militärische Lesart der nationalen Verhältnisse im südlichen Tirol tendierte zumindest in den k.u.k. Führungsetagen dazu, die Trentiner Bevölkerung als solche über einen Kamm zu scheren. Das Augenmerk lag auf dem bei jeder Gelegenheit geradezu emphatisch hervorgekehrten Trentiner Irredentismus, also jener – in Wirklichkeit zahlenmäßig kleinen – Gruppe von zumeist städtischen Bildungsbürgern vor allem nationalliberaler Provenienz, die sich eine territoriale Angliederung des Trentino an den italienischen Nationalstaat ersehnten. Im Rahmen der fast schon als manisch anzusehenden Überzeichnung der vermeintlichen irredentistischen Gefahr reduzierte man das in Wirklichkeit vielförmige Spektrum regionaler Identitäten und Loyalitäten auf ein nationales Entweder-oder: entweder für Österreich und gegen Italien oder eben vice versa. In diesem militärischen Schwarz-Weiß-Denken war in der Regel kaum Platz für einen differenzierten Blick auf nationale Haltungen und Stimmungen abseits eindeutiger Etiketten. Diese bipolare Perspektive, die letztlich ein scheuklappenartiges, stark verzerrtes Bild der Trentiner Wirklichkeit zeichnete, provozierte auch das überaus harte Vorgehen der Militärs. Letzteres traf im Laufe des Krieges auf zunehmende Kritik der Tiroler Zivilbehörden, insbesondere des Statthalters und der meisten deutschen Bezirkshauptmänner im Trentino. Zwar waren sie zu Kriegsbeginn auch entschieden hinter den erlassenen Ausnahmeverfügungen gestanden, bald schon hatten sie aber die kontraproduktive Wirkung der in ihrer Härte unverhältnismäßigen militärischen Maßnahmen erkannt. Unter anderem forderten die Militärs im Trentino – und darüber hinaus – die ‚Säuberung‘ und ‚patriotische‘ Selektion der Staatsbeamten, die Einführung der deutschen Sprache als Staatssprache, die Wiedereinführung der das Trentino benachteiligenden alten ‚Kreisverfassung, die Italianisierung der Toponomastik, die Kontrolle der Presse, die Einschränkung der Immunität der Abgeordneten, die Abschaffung der Gemeindeautonomie, die Berufung eines Deutschen zum Bischof von Trient, die ausnahmslose Verstaatlichung der Schule sowie die Selektion der Lehrer, die Zerschlagung des Trentiner Vereinswesens und die Schaffung einer Grenzschutzzone.57 Insgesamt erinnern diese radikalen militärischen Forderungen an das spätere, für Südtirol konzipierte faschistische Entnationalisierungsprogramm – freilich unter umgekehrten nationalen Vorzeichen.
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Die meisten dieser Maßnahmen wurden allerdings nicht realisiert und blieben deshalb Forderungen auf dem Papier; nichtsdestotrotz nahm sich das Vorgehen der Militärs im südlichen Tirol alles andere als in nationaler Hinsicht konziliant und verständnisvoll aus. Diesbezügliche Warnungen ziviler Stellen blieben im Militär weitgehend ungehört. Bereits im Jahr 1912 hatte Statthalter Markus Freiherr von Spiegelfeld eindringlich davor gewarnt, „in jeder nationalen Äusserung Irredentismus zu sehen“, und gleichzeitig kritisiert, dass man „in der Irredentistenriecherei viel zu weit gegangen“ sei. „Polizeiwirtschaft, Gewaltmassregeln, Germanisierung“, fuhr der Statthalter fort, würden in letzter Konsequenz den Irredentismus nur stärken.58 „Die Versuche ihn […] mit Gewalt oder übereilter Anwendung strafgesetzlicher Bestimmungen auszurotten, oder auch nur wirksam zu bekämpfen, müssen fehlschlagen“, urteilte kurz vor Beginn des Krieges im Mai 1914 in ähnlicher Weise der Trienter Polizeikommissar Max Wildauer. Beide mahnten zu einem ruhigen, überlegten Vorgehen. Radikales Durchgreifen würde „nicht nur ohne die gewünschten Erfolge bleiben, sondern zweifellos auch schlechte Früchte tragen“.59 So war es dann schließlich auch. Anlässlich einer Ende August 1918 stattfindenden Bozener Konferenz mussten sich die militärischen Nachrichtenoffiziere der Südwestfront eingestehen, dass das scharfe militärische Vorgehen im Trentino und auch im adriatischen Küstenland nicht nur ins Leere gelaufen war, sondern letztlich – wie von ziviler Seite prognostiziert – dem Irredentismus sogar Auftrieb verliehen hatte. Zu einer wirklichen militärischen Haltungsänderung führte diese Erkenntnis freilich nicht. Die Schuld suchte man für gewöhnlich anderswo – vor allem bei der Politik des jungen Kaisers.60 Sich dieses Scheitern einzugestehen, hätte im Prinzip bedeutet, die gesamte militärische Kriegsund auch Vorkriegspolitik infrage zu stellen. Dazu war man in militärischen Kreisen nicht im Mindesten bereit. Die gesellschaftliche Wirklichkeit präsentierte sich im Trentino indessen anders, als von den Militärs schreckgespenstisch an die Wand gemalt. Im Oktober 1915 wurde im Auftrag der italienischen Behörden von mehreren nach Italien geflohen Trentiner Irredentisten ein aus heutiger Perspektive hochinteressantes Verzeichnis angelegt. Es umfasst Angaben zur ‚nationalen‘ Haltung von insgesamt 355 Familien aus sechs verschiedenen Dörfern im weiteren Einzugsgebiet von Rovereto.61 Die Listen sollten die italienischen Behörden nach einer eventuellen Besetzung des Gebietes dabei unterstützen, die als notwendig erachteten Maßnahmen möglichst korrekt zu treffen, beispielsweise die Internierung von österreichfreundlich gesinnten Personen. Außer den vielen als proösterreichisch (austriacanti) bezeichneten Familien (42,5 Prozent) und jener deutlich geringeren Anzahl, die als filoitalienisch (nazionali) charakterisiert wurden (16,9 Prozent), findet sich – neben einer
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dritten Gruppe von nicht eindeutig zuzuordnenden Familien (9 Prozent) – in dem Verzeichnis auch noch eine vierte, überraschend große Gruppe, von der in keiner der vielen militärischen Denkschriften über den Trentiner Nationalismus jemals die Rede ist. Insgesamt 31,5 Prozent der Familien waren in dem Verzeichnis wörtlich als indifferenti vermerkt, galten dementsprechend als an politisch-nationalen Sachverhalten desinteressiert. Richtet man den Blick ausschließlich auf die im Trentino dominierenden sozialen Unterschichten (ca. 70 Prozent der Gesamtbevölkerung), steigt der Anteil der indifferenti sogar auf über 36 Prozent. Schließt man ferner jene Familien mit ein, die nicht eindeutig zuordenbar waren (9,5 Prozent), kommt man auf die stolze Summe von 45,6 Prozent. Nimmt man diese Stichprobe zur Grundlage, könnte man mit einiger Berechtigung verallgemeinernd sagen, dass sich ein beträchtlicher Teil der ländlichen Trentiner Unterschichten nicht weiter um die Frage der nationalen Identität scherte, die die politischen und militärischen Eliten in so überaus intensiver Weise beschäftigte. Ganz im Gegenteil: Politische und nationale Indifferenz waren weit verbreitet.62 Ein großer Teil der Trentiner Landbevölkerung frönte weder einem schwarz-gelben Patriotismus, noch hatte er mit dem italienischen Nationalstaat etwas am Hut. Das Verzeichnis wies etwa nur 6,7 Prozent der sozialen Unterschichten als irredentistisch gesinnt aus. Dementsprechend gering war mit rund 700 so genannten volontari auch der Anteil jener Trentiner, die während des Krieges nach Italien geflohen waren und sich in das italienische Heer einreihen hatten lassen. Selbst das Angebot einer Überführung nach Italien traf bei einem beträchtlichen Teil der sich in russischer Kriegsgefangenschaft befindlichen ehemaligen Trentiner k.u.k. Soldaten auf Skepsis. Bei dem Großteil der etwas über 4.000 nach Italien überführten italienischen Kriegsgefangenen in Russland handelte es sich in Wirklichkeit nicht um wirkliche Vorzeige-Irredentisten. Das lässt sich unschwer auch daran ablesen, dass sich nur ein geringer Teil in das italienische Heer einreihen ließ, was wiederum zur Folge hatte, dass man sich in Italien mit dem Vorwurf eines vermeintlich unpatriotischen Verhaltens konfrontiert sah.63 Für viele Trentiner lag die Frage der eigenen nationalen Verortung schlichtweg außerhalb des eigenen alltäglichen Interessenshorizontes. Identität definierte sich weniger in Anlehnung an einen Staat (Österreich-Ungarn) oder ein ‚Land‘ (Tirol, Trentino), sondern war ganz überwiegend lokalistisch verortet und stand in einer engen Beziehung zu Herkunftsdorf und -tal als primäre Identifikationsorte.64 Blättert man sich durch die vielen noch erhaltenen Tagebücher von Trentiner Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg, erfährt man kaum etwas über politische Sachverhalte und nationale Präferenzen.65 Die über diese unmittelbaren kleinräumigen ‚Heimaten‘ hinausgehenden
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Beziehungen zu Region und Staat trugen deshalb eher den Charakter von unterschiedlich intensiv gelebten wechselnden Loyalitäten in sich, die in erster Linie an den praktischen Bedürfnissen der eigenen Lebensführung orientiert waren;66 solcherart ließen sie zumeist jedwede Affinität zu Politik und Ideologie im engeren Sinn vermissen. Die eigene wirtschaftliche, soziale und finanzielle Situation sowie die diesbezüglichen Entwicklungsperspektiven beeinflussten diese Loyalitäten stärker als jedweder abstrakte ideale Nationalismus. Demzufolge waren die Botschaften der politischen Eliten zuallererst das Outcome eines „politischen Nationalismus“, der einen großen Teil der Menschen vor Ort nicht wirklich interessierte und wohl vielfach auch gar nicht erreichte.67 Wahrscheinlich ist die reale gesellschaftliche Bedeutung dieses politischen Nationalismus auch in der Geschichtsschreibung lange überschätzt worden. Selbst als sich die Tiroler Zivilbehörden wenige Wochen vor Ende des Krieges im Oktober 1918 die interessante Frage stellten, wie sich die Trentiner Bevölkerung im Falle einer Volksabstimmung (Österreich oder Italien) wohl entscheiden würde, waren es nicht idealistisch-nationale, sondern ureigen ökonomische und existenzielle Gründe, die von den entsprechenden Beobachtern für ein Pro oder Contra ins Feld geführt wurden. Statthalter Meran zufolge war etwa die Stimmung in den Trentiner Weinbaugegenden – eben aus nachvollziehbaren wirtschaftlichen Gründen – eindeutig österreichisch orientiert, während es in anderen Gegenden der Region, etwa in Judikarien, wo „die wirtschaftlichen Interessen aber mehr nach Italien gerichtet“ waren, durchwegs filoitalienische Loyalitäten zu verzeichnen gebe. Über all diesen pragmatischen Orientierungen stünde aber die Sehnsucht nach dem Frieden, weshalb die Bevölkerung „daher jede Lösung begrüßen würde, welche sie dem so heiß ersehnten Frieden näher bringen würde.“68 Der Trienter Polizeikommissar Rudolf Muck wurde diesbezüglich noch deutlicher: „Die Frage, ‚wollt ihr Frieden haben, aber ihr müßt italienisch werden‘, würde heute ebenso von der übergroßen Mehrheit bejaht werden, wie die Frage „wollt ihr Frieden haben, aber ihr müßt österreichisch bleiben“.69 Der Großteil der Landbevölkerung war wohl weniger in besonderem Maße ‚nationalisiert‘, sondern in erster Linie kriegsmüde, verdrossen und apathisch. So spekulativ all diese behördlich getroffenen Einschätzungen und daraus gewonnenen statistischen Maßzahlen zugegebenermaßen auch sein mögen, zeigen sie in ihrer Gesamtheit doch deutlich, dass insbesondere die Militärs im Trentino von völlig falschen Voraussetzungen ausgingen und deshalb auch das Gegenteil von dem erreichten, was sie bezweckten. Gemessen an ihren eigenen Ansprüchen scheiterten sie im Prinzip kläglich. Zweifellos hatten die radikalen Maßnahmen der Militärs im Trentino – und übrigens nicht minder auch in Deutschtirol, wo gegen Ende des Krieges insbesondere in bäuerlichen
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Kreisen das Militär regelrecht verhasst war – für Frustration gesorgt. Die ‚italienische Karte‘ war für einen Teil der Bevölkerung attraktiver geworden. Sie war das allerdings weniger aus nationalem Idealismus, sondern als Reaktion auf die erfahrene Repression und vor allem aufgrund der mutmaßlich besseren Lebensbedingungen und der entspannteren Versorgungssituation im Königreich. Zu großartigen Verschiebungen wirklicher nationaler Identitäten kam es im Trentino wohl kaum – und zwar vor allem deshalb, weil Identität, im engeren Sinne als (national)staatliches Bekenntnis verstanden, für große Bevölkerungsteile gar keine relevante Kategorie war. Man wird deshalb treffender von mitunter auch wechselnden Loyalitäten sprechen müssen, die zwar bis zu einem bestimmten Grad als Reaktion auf das harsche Vorgehen des Militärs mit ‚nationalen‘ Argumenten unterlegt wurden, sich aber mehrheitlich weiterhin an konkreten Bedürfnissen und materiellen Vorteilen orientierten. Ein idealer Nationalismus gehörte für die breite Masse sicherlich nicht dazu. Und im Übrigen bewirkte all der Frust gegen Militär, Verwaltung und Staat nicht wie selbstverständlich, dass man des Rätsels Lösung allein in einem Wechsel der (national)staatlichen Zugehörigkeit sah.70 Nicht die ‚Nation‘ oder der ‚Nationalstaat‘ an sich konditionierten die Entscheidung für oder gegen einen Staat, sondern es handelte sich in vielen Fällen um eine ungleich profanere, pragmatischere Abwägung. Loyalität dem Staat gegenüber blieb zum Leidwesen der Nationalisten auf beiden Seiten weiterhin eine relativ leidenschaftslose, nüchterne Kosten-Nutzen-Kalkulation. Kriegsmüde ‚Helden‘. Militärische Verschleißerscheinungen Für den einen war sie eine „grausame Enttäuschung“71, für den anderen gar der entscheidende „Todesstoß“, mit dem offensichtlich wurde, dass die Habsburgermonarchie „konkursreif“72 war. Die wenig schmeichelhaften militärhistorischen Einschätzungen der am Ende gescheiterten letzten österreichisch-ungarischen Offensive übertreffen sich geradezu in negativen Superlativen. Die k.u.k. Armee war im Juni 1918 ein weiteres Mal gegen das italienische Heer vorgegangen und hatte in einer Art „Flucht nach vorne“ (Wolfgang Etschmann) das sprichwörtliche ‚letzte Aufgebot‘ in die Waagschale geworfen. Noch einmal wollte man es den Italienern zeigen, ihnen ein ‚zweites Caporetto‘ bereiten und auf diese Weise auch die eigenen demoralisierten Truppen wieder aufrichten. In den dafür mühevoll aufgebotenen vier Armeen hatte man die verbliebenen Reste des Habsburgerheeres zusammengezogen. Dem italienischen Gegner wollte man möglichst schlagkräftig entgegentreten, um den eigenen Truppen zu einem – vielleicht kriegsentscheidenden – Sieg
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zu verhelfen. Daraus wurde freilich nichts. Der im Bereich der Hochfläche der Sieben Gemeinden in den frühen Morgenstunden des 15. Juni 1918 begonnene Angriff der Heeresgruppe Conrad traf auf die entschiedene Gegenwehr der gut organisierten und über die eigene Aufklärung im Detail unterrichteten italienischen Verteidigung. Er endete großteils noch am selben Tag in einem verlustreichen Debakel. Nur unwesentlich besser erging es den Truppen der Heeresgruppe Boroević. Zwar war es ihnen kurzfristig gelungen, sich am Westufer des Piave festzusetzen, aufgrund der zähen italienischen Verteidigung sowie der fehlenden Artillerieunterstützung, der mangelnden Reserven und der stockenden Verpflegung musste die Offensive aber bald abgebrochen werden. Nur wenige Tage nach ihrem Beginn stand am 22. Juni der italienische Sieg fest. Die österreichischen Truppen waren in ihre Ausgangsstellungen zurückgedrängt worden. Die Gesamtverluste der k.u.k. Armee in der JuniOffensive waren mit rund 142.000 Mann außergewöhnlich hoch und im letzten Kriegsjahr nur mehr schwer zu verkraften.73 Glaubt man den Militärhistorikern, waren die Chancen für eine erfolgreiche österreichische Offensive im Juni 1918 von Beginn an kaum vorhanden. Die Armee war schon im Herbst 1917 in der erfolgreichen 12. Isonzoschlacht an ihre Grenzen gelangt. Und spätestens am Piave hatte sich schonungslos offenbart, dass das militärische Potential für eine lange und sich über weite Distanzen ziehende Offensivschlacht nicht mehr reichte. Nachschub und Reserven waren kaum mehr zeitgerecht nach vorne zu bringen; die Versorgung der Armee traf auf unüberwindbare Probleme. Ganz unabhängig davon, wie gut oder schlecht sie auch vorbereitet war: Selbst wenn es im Juni 1918 einen Durchbruch der k.u.k. Truppen auf breiter Front gegeben hätte, die Offensive wäre aufgrund des desolaten Zustandes der Armee und der omnipräsenten Mangelerscheinungen über kurz oder lang zum Erliegen gekommen. Ein finaler militärischer Sieg war für die k.u.k. Armee im Sommer 1918 jedenfalls außer Reichweite. So unwahrscheinlich ein Erfolg des Unterfangens bei realistischer Einschätzung also schon im Vorfeld der Juni-Offensive erscheinen musste, ihr definitives Scheitern führte klar vor Augen, dass es für weitere Großoffensiven auf österreichischer Seite keinen Spielraum mehr gab. Ganz im Gegenteil: Das immer ungleichgewichtigere militärische Kräfteverhältnis (Stichwort: Kriegseintritt der USA im April 1917) sprach langfristig gegen einen militärischen Erfolg der Mittelmächte.74 Dies umso mehr, als auch die deutsche Frühjahrsoffensive an der Westfront letztlich gescheitert war. Die Ursachen für die so rasche und eindeutige Niederlage der k.u.k. Truppen in der Juni-Offensive, die letztlich auch die Wende an der umkämpften österreichisch-italienischen Front brachte, sind vielfältig. Sie offenbaren zugleich auch die Probleme, mit denen die österreichisch-ungarische Armee 1918
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konfrontiert war. Aus einer engeren militärisch-operativen Perspektive gründet das Scheitern der Offensive zunächst in dem krisenhaften Zusammenspiel der militärischen Verantwortungsträger. Während der auf dem Tiroler Kriegsschauplatz operierende Heeresgruppenkommandant Conrad von Hötzendorf – so wie bereits in den Jahren zuvor – einen Vorstoß über das Hochplateau der Sieben Gemeinden in den Rücken der italienischen Armee favorisierte, drängte sein Gegenspieler, Feldmarschall Svetozar Boroević, auf ein Vorgehen am Piave in Richtung Treviso-Vicenza. Das Kalkül der beiden narzisstisch veranlagten und in einem schroffen Konkurrenzverhältnis stehenden hohen Militärs orientierte sich eher an der Befriedigung eigener Eitelkeiten als am Verständnis für eine stimmige Gesamtkonzeption des geplanten Angriffs. Der dafür eigentlich zuständige, führungsschwache Generalstabschef Arthur Arz von Straußenburg agierte im Schatten der beiden bekannteren Kommandanten – ähnlich wie der Kaiser – zögerlich und verhalten. Es gelang ihm nicht, mit einer eigenen Offensivkonzeption durchzudringen. Als die militärischen Operationen am 15. Juni – überhastet und zu einem ungünstigen Zeitpunkt – in Angriff genommen wurden, fehlte deshalb ein Erfolg versprechender verbindlicher Angriffsplan, der letztlich den Meinungsverschiedenheiten zum Opfer gefallen war. Aufgrund der unterschiedlichen Vorstellungen wurden Truppen und Reserven zulasten eines konzentrierten Angriffs auseinandergenommen und gesplittet. Das machte ein einheitliches, effizientes militärisches Vorgehen unmöglich. Ein Scheitern war damit wahrscheinlich geworden. Unabhängig von am Reißbrett entworfenen Angriffsplänen, über deren Erfolg oder Misserfolg man im Nachhinein trefflich streiten konnte, befand sich jene Masse von k.u.k. Soldaten, die im Sommer 1918 diesen militärischen Vorgaben entsprechen hätte sollen, in einem Zustand, der – salopp gesagt – keine großen Sprünge mehr erlaubte. Der sich über vier lange Jahre hinziehende Konflikt war der Armee in jeder Hinsicht an die Substanz gegangen. Die militärische Ausrüstung war miserabel; es fehlte an allem, besonders an adäquaten Monturen, Schuhwerk und Waffen. Selbst der Nachschub an – 1918 nur mehr in dürftiger Qualität gefertigter – Munition erlebte fatale Engpässe. Statt der 1916 noch produzierten vier Millionen Infanteriepatronen belief sich die tägliche Produktionskapazität der k.u.k. Rüstungsindustrie 1918 nur mehr auf 1,8 Millionen Schuss pro Tag.75 Aufgrund der hohen Verluste in den vergangenen 12 Isonzoschlachten, im Gebirgskrieg und in der gescheiterten JuniOffensive am Piave fehlten der Armee jetzt aber schlicht und ergreifend auch die Soldaten. Gemessen an der Soll-Belegung der Stände gingen im August 1918 fast 200.000 Mann ab.76 Reserven waren kaum mehr aufzubringen. Je länger der Krieg dauerte, desto schwieriger wurde es auch, die Mobilität der Truppen aufrechtzuerhalten. Gerade anlässlich der Juni-Offensive hatte sich gezeigt,
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wie schwierig es nicht zuletzt aufgrund des verschlissenen Kriegsgeräts und der mangelnden Tragtiere war, vor allem die Artillerie, aber auch Reserven und Verpflegung, in einem ausgedehnten Frontabschnitt nachzuziehen.77 Neben der schlechten Ausrüstung und den 1918 immer ungünstigeren Rahmenbedingungen des Kriegführens machte den Truppen vor allem die im letzten Kriegsjahr omnipräsente Unterernährung zu schaffen. Liest man sich durch die Tagebücher der Tiroler Soldaten, stehen in den letzten Monaten des Krieges zwei Themen über allen anderen: der Kampf um die tägliche Versorgung und die Hoffnung auf einen baldigen Frieden. Für die Armee im Felde wurden der Juli und August 1918 zu regelrechten ‚Hungermonaten‘. Es gelang nicht mehr, die Soldaten regelmäßig und kontinuierlich mit den notwendigen Lebensmitteln zu versorgen. Zu den zahlreichen Entbehrungen des Kriegsalltages im Stellungskrieg im Gebirge oder am Piave traten nun auch massive Versorgungsprobleme, die seit 1916 sukzessive bedrohlicher geworden waren.78 „Verpflegung, Unterkunft, Heizmaterial auf Presena null“, notierte der Soldat Benno Siglär am 25. Mai 1918 verärgert und resigniert in sein Tagebuch. „Pro 5-6 Mann täglich eine Fleischkonserve.“79 Das alles nährte die Sehnsucht nach einem Ende des Krieges, dem alles Übrige untergeordnet wurde. „Hoffentlich wird der Marterkrieg ein Ende nehmen“, schrieb der Trentiner Ettore Cordin unter dem Eindruck der gescheiterten Juni-Offensive.80 „Gib uns täglich Brot und den heissersehnten Frieden“, packte der Vorarlberger Sanitätssoldat Fridolin Tschugmell sein Hoffen in ein knappes Stoßgebet.81
Abb. 4
Österreichisch-ungarische Feldmesse am Monte Pasubio
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Die Ereignisse an der Front hatten in einem ‚total‘ angelegten Krieg ganz unweigerlich und unmittelbar Rückwirkungen auf jene Gebiete abseits der eigentlichen Kampfhandlungen, über die Aufmarsch und Versorgung der Frontarmee bewerkstelligt wurden. Der bis zu seiner Abberufung im Juli 1918 von dem ehemaligen Generalstabschef Conrad kommandierten Tiroler Heeresgruppe dienten vornehmlich die rückwärts der Front liegenden Trentiner und Südtiroler Bezirke als militärischer Etappenraum. Mit diesem Status als Versorgungsgebiet der Armee verband sich eine Reihe von Unannehmlichkeiten. Sie resultierten aus der besonderen Machtposition, die dem Militär infolge des herrschenden Ausnahmezustandes zukam. In diesen frontnahen Territorien nahm man sich meist einfach die Rechte, die man brauchte. Auf diese Weise kam es häufig zu Beschlagnahmungen von Lebensmitteln, die teilweise in regelrechte Plünderungen ausarteten, zur übermäßigen Requirierung von Vieh und zur vielfach rücksichtslosen Einquartierung von Truppen. Agrarisches Hab und Gut, landwirtschaftliche Produkte sowie Ernteerträge wurden von den Militärs bei Bedarf entwendet und vielfach auch willkürlich und grundlos zerstört. Gerade im Vorfeld geplanter militärischer Offensiven war der Rückgriff auf die noch vorhandenen Lebensmittel und Gebrauchsgüter der Zivilisten hinter der Front am skrupellosesten. Diese diametral entgegengesetzten Interessen von Front und Etappe führten, ähnlich wie in anderen Grenzterritorien, auch in Tirol zu Kontroversen zwischen der Zivilbevölkerung und dem Militär, die sich im Laufe des Krieges merklich verschärften. Entsprechend konfliktreich verliefen auch die Beziehungen des Militärs zu den Tiroler Bauern, die von den militärischen Maßnahmen besonders betroffen waren, und den Christlichsozialen als ihren wichtigsten politischen Fürsprechern. Weil man sich in ihren Reihen für die Anliegen der Landwirtschaft gegen die vermeintlichen Interessen des Militärs engagierte und dessen harsches Vorgehen kritisierte, war man mit vermehrten militärischen Anfeindungen konfrontiert. Gegen mehrere christlichsoziale Politiker wurden militärgerichtliche Verfahren eröffnet, andere wurden des Landes verwiesen.82 Einen kritischen Punkt hatte das gespannte Verhältnis am Deutschen Bauerntag Ende Juni 1918 in Innsbruck erreicht, wo sich der Ärger der Bauern Luft machte und sich das Militär mit dem geballten Unmut der Tiroler Landwirte konfrontiert sah. Die „militärische Misswirtschaft im Hinterlande“ und „die allzu drückenden Requirierungen“ standen auf der Anklagebank.83 Der auf Conrad folgende Kommandant des Tiroler Frontabschnittes, Erzherzog Joseph, beklagte sich Ende August 1918 beim Tiroler Statthalter über die, so wörtlich, „geradezu militärfeindliche[n] Gesinnung“ der Tiroler Bevölkerung, die „oft in sehr ungehörigem Tone und mit scharfen Ausfällen gegen das Militär“ agitieren würde. Diese Tatsache, fuhr der Erzherzog
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fort, werfe „ein schlechtes Licht auf die patriotische und stets kaisertreue Gesinnung der Tiroler Bevölkerung […].“84 Die Loyalität dem Staat gegenüber hatte im Sommer 1918 nicht nur unter den Tiroler Bauern einen kritischen Punkt erreicht. Auch die Soldaten an der Front konnten und wollten nicht mehr. Nach jahrelangem Krieg war der Soldatenalltag an der Südwestfront in erster Linie von den Entbehrungen der kriegsbedingten Mangelwirtschaft geprägt. Hunger war ein ständiger Begleiter, die Sehnsucht nach Frieden allgegenwärtig. Nur ein traditionell stark vorhandenes Pflichtbewusstsein und das dominante Gefühl der Alternativlosigkeit hielten viele Soldaten dies- und jenseits der Schützengräben an der Front.85 Natürlich hatte die desolate Situation, in der sich die k.u.k. Armee im letzten Kriegsjahr befand, auch Auswirkungen auf die Verweigerungsfrequenz in den Truppen. Desertionen nahmen in den letzten Monaten des Krieges auch unter den Tiroler Soldaten zu, so wie auch andere Formen der Verweigerung: Viele Soldaten rückten verspätet aus ihrem Heimaturlaub ein oder brachten sich absichtlich eine Verletzung bei, um dem Kriegsdienst zu entkommen. Weil sich die Selbstbeschädigungen von Soldaten gegen Ende des Krieges auch in Tirol mehrten, drängten die Militärs auf eine strengere Ahndung des Deliktes durch die Militärgerichte. Auch die Fälle von Gehorsams- und Befehlsverweigerungen stiegen 1918 sprunghaft an. Hauptproblem blieben die Fahnenfluchten, die an der Tiroler Front seit Mitte 1917 zugenommen und gerade im Vorfeld der JuniOffensive von 1918 einen ersten Höhepunkt erreicht hatten. „Die Desertionen mehren sich in der 11. Armee seit kurzem derart“, klagte Heeresgruppenkommandant Conrad im März 1918, „wie dies bisher überhaupt noch nie der Fall war.“ Im Unterschied zu früher handle es sich jetzt um Angehörige aller Nationalitäten und selbst um Soldaten, die „mehrere Jahre im Felde standen, sich bei schwierigen Unternehmungen bewährten“ und „wiederholt ausgezeichnet wurden.“86 In den letzten Monaten des Krieges wurde die Desertion zum Massenphänomen. Diese Fluchten vor dem Krieg betrafen einerseits die Front und andererseits – vielfach noch stärker – die Ersatz- und Marschformationen, wo man sich auf diese Weise dem gefürchteten Fronteinsatz entzog. Im Juni 1918 meuterten etwa in Schwaz 280 Soldaten des 16. Schützenregiments. Sie hatten sich geweigert, für die anstehenden Kampfhandlungen an die Front überstellt zu werden. Das war gewissermaßen ein Vorgeschmack auf das, was in den ersten Novembertagen an der Front geschah, als sich immer häufiger Truppenkörper weigerten, weiterzukämpfen. „Entziehung von der Tagesbeschäftigung, Marodieren, Nichtbefolgung von Befehlen, eigenmächtige Entfernungen, Desertionen werden zur Tagesordnung“, bilanzierte das 11. Armeekommando im März 1918, um abschließend fast schon resigniert
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Abb. 5
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Krankentransport im Bereich Fossalta (Piave) zur Zeit der Juni-Offensive 1918
hinzuzufügen, dass die „verhängten Strafen“ weitgehend „erfolglos“ blieben.87 Militärischerseits versuchte man alles, um diese als bedrohlich empfundene Entwicklung einzudämmen: Die Kontrollen an der Front wurden verschärft, der rückwärtige Bereich der kämpfenden Truppen abgeriegelt, die patriotische Propaganda intensiviert und der Schießbefehl für auf frischer Tat ertappte Deserteure wiederholt verlautbart. Auch die Androhung der Beschlagnahme des Vermögens von Deserteuren und der Einstellung eventueller staatlicher Unterstützungszahlungen für die Angehörigen sollten abschreckend wirken. Unter dem Eindruck der immer traumatischer erfahrenen Kriegswirklichkeit und der militärischen Auflösungserscheinungen vermochten all diese Maßnahmen aber nicht mehr zu greifen. So stand den italienischen Truppen im Juni 1918, als die letzte österreichischungarische Offensive begann, eine von den Kriegsereignissen schwer gezeichnete Armee gegenüber, die in personeller, materieller oder auch mentaler Hinsicht nichts mehr mit jenem Heer zu tun hatte, das im August 1914 in den Krieg gegen Serbien gezogen war oder den italienischen Feind im Herbst 1917 vor sich hergetrieben hatte: Fehlendes Kriegsmaterial, mangelnde Reserven, anhaltende Versorgungsprobleme, kriegsmüde, apathische Soldaten, die den Frieden förmlich herbeisehnten, und – zu allem Überfluss – ein Generalstab, der nicht einmal mehr in der Lage war, eine – unter diesen Auspizien wohl von vornherein zum Scheitern verurteilte – Offensive zweckentsprechend zu planen. Ein letzter Faktor, der schließlich wesentlich dazu beitrug, dass die
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Juni-Offensive misslang und sich das militärische Ende der k.u.k. Armee an der Südwestfront abzuzeichnen begann, ist indessen noch unerwähnt geblieben. Die herbe Niederlage von Caporetto hatte den italienischen Gegner förmlich ‚wachgerüttelt‘ und angesichts der ganzen Tragweite des Scheiterns ein bloßes Übergehen zur Tagesordnung ausgeschlossen. Caporetto besiegelte das Ende von Generalstabschef Luigi Cadorna, der dem jüngeren Armando Diaz weichen musste. Dem nüchtern und überlegt agierenden Diaz gelang in der Folge eine grundlegende Reorganisation des italienischen Heeres, die zunächst auf einem verständnisvolleren Verhältnis zu den militärischen und politischen Verantwortungsträgern gründete. Während Cadorna in erster Linie auf Repression gesetzt und den ihm unterstehenden Offizieren und Soldaten vielfach misstraut hatte, etablierte der neue Generalstabschef ein modernes arbeitsteiliges Verfahren, das den Untergebenen ein hohes Maß an Verantwortung übertrug und eine Art Teamspirit herstellte. Die letztlich kontraproduktive repressive Gangart Cadornas wich einer Truppenphilosophie, die den einzelnen Soldaten als Faktor der Kriegsführung Ernst nahm und der individuellen Motivation der Soldaten großes Gewicht beimaß. Dementsprechend war eine ganze Reihe von nach Caporetto getroffenen Maßnahmen vor allem darauf bedacht, die Lebensbedingungen der Soldaten an der Front zu verbessern, etwa durch die Gründung moderner Fürsorgeeinrichtungen für die Soldaten, durch die großzügigere Gewährung von Fronturlauben, durch die Verkürzung der Einsätze in der ersten Linie, durch höhere Essensrationen oder auch durch die Organisation eines attraktiven Freizeitangebotes hinter der Front.88 Parallel dazu wurden die infanteristische Ausbildung und die militärische Aufklärung verbessert. Durch die größere Wertlegung auf kompetitive Reserven und eine konsequentere Tiefenstaffelung der Truppen, die eine flexiblere Verteidigung ermöglichte, wurde das Heer auf die neue Defensivsituation eingestellt.89 Endgültig war man von der verlustreichen Offensivdoktrin Cadornas zugunsten einer schonenderen Defensive abgerückt und widerstand in der Folge auch den Forderungen der Alliierten, die den italienischen Bündnispartner 1918 zu einer Offensive gegen Österreich förmlich drängten. Schließlich fielen letztens auch die beträchtlichen alliierten Truppenzuschübe ins Gewicht, die das italienische Heer nach Caporetto ganz wesentlich verstärkten und auch im Rahmen der Juni-Offensive eine wichtige Rolle spielten. Sechs französische und fünf britische Divisionen mit einer imposanten Gesamtstärke von 240.000 Mann unterstützten das italienische Heer an der Südwestfront und trugen wesentlich dazu bei, die Piavefront zu stabilisieren. Zumindest ein Teil davon verblieb längerfristig am italienischen Kriegsschauplatz.90 Im Vergleich mit der Situation im Herbst 1917 handelte es sich im italienischen Fall um „ein anderes Heer“, das jetzt einen „anderen Krieg“ kämpfte, wie es der Historiker
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Nicola Labanca treffend formuliert hat.91 Ein Heer, mit dem die k.u.k. Armee nicht mehr Schritt halten konnte. Für die Österreicher war Caporetto demnach gleich in zweifacher Hinsicht ein Pyrrhussieg gewesen: Zum einen hatte die erfolgreiche 12. Isonzoschlacht Italien am Ende doch nicht in die Knie zwingen können und war deshalb nicht kriegsentscheidend. Zum anderen nahm sich das Debakel von Caporetto für das italienische Heer als jener entscheidende ‚Weckruf‘ aus, der im Rahmen einer kompletten Neuausrichtung der Kriegsführung am Piave die erhoffte Wende einleitete und Italien – paradoxer Weise – militärisch wieder ins Spiel brachte. Trotzdem hatte das Ende der k.u.k. Truppen an der österreichisch-italieni schen Front genau genommen nicht am Piave oder in den Tiroler Bergen begonnen, sondern im weit entfernten Mazedonien. Am 14. September 1918 konnten die Bulgaren der Offensive der alliierten Orientarmee nicht mehr standhalten. Tags darauf brach letztere bei Dobro Polje durch und marschierte Richtung Skopje, das am 29. September besetzt wurde. Am selben Tag unterzeichnete das geschlagene Bulgarien, inzwischen von einer Revolution erfasst, den Waffenstillstand.92 Die verbündeten türkischen Streitkräfte im Nahen Osten standen ebenfalls vor dem Zusammenbruch. Einmal von der Tatsache abgesehen, dass es sich bei der geglückten Entente-Offensive am Balkan um eine weitere schmerzliche Niederlage der Mittelmächte handelte, lag ihre besondere Bedeutung für die österreichisch-italienische Front in zwei eng miteinander verbundenen Entwicklungen. Einerseits führte der Zusammenbruch Bulgariens zu einer unmittelbaren Bedrohung der ungarischen Südgrenze. Die daraufhin bald laut gewordene ungarische Forderung nach einem Abzug der in Tirol und am Piave stehenden magyarischen Soldaten zur Verteidigung der ungarischen Landesgrenzen destabilisierte das bereits ersatzgeschwächte k.u.k. Truppenkollektiv in nicht zu unterschätzender Weise. Andererseits riefen die Erfolge der verbündeten Truppen am Balkan und die für alle sichtbare fortgesetzte Destabilisierung der österreichischen Verteidigungsfront im Südwesten auch die Italiener auf den Plan. Nun konkretisierte sich die Idee, mit der eigentlich erst für das Frühjahr 1919 ins Auge gefassten, alles entscheidenden Groß-Offensive bereits früher als geplant loszuschlagen. Just am 24. Oktober 1918, dem Jahrestag des Durchbruchs der Mittelmächte bei Flitsch und Tolmein, begann schließlich der italienische Angriff am Piave und im Bereich des Grappa-Massivs – ein Angriff, der im Resultat zu einem „Caporetto al contrario“ führen sollte.93 Obwohl die noch verbliebenen Truppen zähen Widerstand leisteten, waren die Zerfallserscheinungen der k.u.k. Armee unverkennbar. Bereits seit 20. Oktober war es zu häufigeren Meutereien einzelner ungarischer, kroatischer und tschechischer Truppenteile gekommen. Die ungarische Regierung hatte ihren Truppen schon am 24.
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Oktober angewiesen, die Kämpfe einzustellen und sich auf den Weg Richtung Heimat zu machen. Nach der Überschreitung des Piave konnten die Italiener schließlich am 30. Oktober nach Vittorio Veneto vorstoßen und auch im Gebirge bei Quero durchbrechen. In der Folge meuterten dann auch immer häufiger deutschsprachige Truppen. Die österreichische Widerstandskraft war im Wesentlichen gebrochen. Zum endgültigen Zusammenbruch der Italienfront kam es dann am 2. November, als den noch verbliebenen Ungarn die Rückkehr in die Heimat befohlen wurde. Für die österreichischen Truppen gab es an der Italienfront nichts mehr zu gewinnen.94 Die nach 1918 entstandene Lesart des Zusammenbruchs, wonach dem Heer die einzelnen Nationalitäten nach und nach die Gefolgschaft versagt und an der Italienfront am Ende nur mehr ‚deutsche‘ Truppen die Stellung gehalten hätten, greift indessen viel zu kurz und ist obendrein schlichtweg falsch. Die zunehmende Verweigerung einzelner nationaler Truppenverbände ist wohl nur ein Aspekt von vielen, die nur in ihrer Gesamtheit der Komplexität des
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österreichisch-ungarischen Scheiterns im letzten Kriegsjahr gerecht werden können. Die auf den letzten Seiten beschriebene desolate Situation der k.u.k. Armee steuerte in der finalen Phase ganz unweigerlich auf ein Ende des Krieges zu. Ob mit oder ohne Nationalitäten – man hätte diesen Krieg an der Südwestfront nicht mehr lange weiterkämpfen können. Trotz aller Auflösungserscheinungen und obwohl die militärischen Verweigerungen in den letzten Tagen des Krieges sprichwörtlich um sich griffen, standen am 3. November 1918, dem Tag des Waffenstillstands, immer noch Truppen an der Front – und zwar solche, die in der Mehrzahl eben nicht deutsch sprachen. Ein deutliches Indiz dafür, dass eben nicht alle ‚davongelaufen‘ waren und auf diese Weise ‚Verrat geübt‘ hatten, wie es dann in der nationalistischen Diktion der Zwischenkriegszeit stets hieß. „Wo war eigentlich die Demoralisierung, der Verfall des österreichisch-ungarischen Heeres?“, fragte sich der mit den italienischen Truppen im Rahmen der letzten Offensive vorrückende Oberst Ildebrando Flores. „Wenn es im Inneren der Monarchie Revolution gab und im weiten Hinterland Fälle von Insubordination und Aufruhr auftraten – an den Kampflinien und im unmittelbaren Fronthinterland waren die kaiserlichen Truppen unerschütterlich, voller Hass gegen uns. Ungarn, Kroaten, Slovenen kämpften – ohne auf die niederen Kompromisse Rücksicht zu nehmen, die von den Politisierern der verschiedenen Nationalitäten der untergehenden Monarchie geschlossen wurden – mit Entschlossenheit und Mut, in der Hoffnung, die Situation noch einmal meistern zu können.“95 Rund 70 Prozent der etwa 360.000 Soldaten, die zwischen Abschluss und Inkrafttreten des Waffenstillstandes von Villa Giusti am 3. bzw. 4. November 1918 in italienische Kriegsgefangenschaft gerieten, waren nicht-deutscher Nationalität. Es handelte sich dabei um 83.000 Tschechen und Slowaken, 61.000 Südslawen, 40.000 Polen, 32.000 Ruthenen, 25.000 Rumänen, 7.000 Italiener und – immerhin noch – 5.000 Ungarn.96 Lediglich etwas mehr als 8 Prozent der gefangengenommenen Soldaten (ca. 30.000 von den insgesamt ca. 108.000 ‚deutschen‘ Kriegsgefangenen) stammten aus den deutschsprachigen Kernlanden – dem Gebiet der heutigen Republik Österreich. Zahlen, die wohl Bände sprechen.
Kapitel 2
(K)eine Revolution? Der November 1918 in der Provinz In den ersten Novembertagen 1918 war die Italien-Front in Auflösung begriffen. Nach Abschluss des Waffenstillstandes von Villa Giusti machten sich die Truppen einer geschlagenen Armee auf den Heimweg. Hunderttausende Soldaten zogen durch Tirol, plünderten gemeinsam mit der Zivilbevölkerung alles, was nicht niet- und nagelfest war. Die Habsburgermonarchie war Geschichte. In den österreichischen Ländern konstituierten sich Nationalräte, und am 12. November 1918 wurde in Wien die Republik ausgerufen. „Dieser ungeheure Umsturz“, erinnerte sich der bekannte Tiroler Politiker Karl von Grabmayr, der das Kriegsende als Präsident des Reichsgerichts in Wien erlebte, „vollzog sich ganz unblutig, man möchte sagen: in wienerischen gemütigen Formen. In einer großen Volksversammlung rief Präsident Seitz auf dem Platz vor dem Parlament die Republik aus. An Stelle der niedergeholten schwarzgelben wurden weißrote Fahnen hochgezogen, der Pöbel schrie ‚Hurra‘ und ‚Heil‘ und die Metamorphose war vollendet, die die sechshundert-jährige Domäne der Habsburger in ein sozialdemokratisches Eldorado umschuf.“1 War diese – um es mit Grabmayr zu sagen – Metamorphose, die im November 1918 in Österreich – und auch in Tirol – ihren Lauf nahm, eine ‚Revolution‘ im wahrsten Sinne des Wortes? Darüber waren und sind sich die Historiker im Prinzip bis heute nicht einig. Je nach Perspektive und Standpunkt wird das Ereignis eher als Bruch interpretiert oder lieber als Entwicklung gesehen, an deren Ende doch die Elemente der Kontinuität überwogen.2 Während aus juristischer, rechtshistorischer und politikwissenschaftlicher Perspektive vor allem mit Blick auf den staatsrechtlichen Umbau lange eher der Bruch mit der alten Ordnung hervorgekehrt wurde, haben in jüngerer Vergangenheit vor allem Wirtschafts-, Sozial- und Alltagshistoriker die Bedeutung dieser Zäsur relativiert.3 Die gravierenden sozialen und ökonomischen Probleme erfuhren nach dem November 1918 großteils keine unmittelbare Veränderung zum Positiven. Ganz im Gegenteil: Die Situation spitzte sich etwa im Rahmen der Lebensmittelversorgung eher noch zu. In einzelnen sozioökonomischen Bereichen dauerte es vielfach noch Jahre, bis sich die Situation stabilisieren konnte. In Österreich hungerte man auch noch im Spätherbst 1919 – ein Jahr nach dem Krieg. Der kleinste gemeinsame Nenner scheint eher im allgemein geteilten Bewusstsein darüber zu bestehen, dass es sich bei der © Verlag Ferdinand Schöningh, 2019 | doi:10.30965/9783657702565_004
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österreichischen – ähnlich wie der deutschen – gleichsam um eine Revolution ‚mit Abstrichen‘ handelte, der allerhand relativierende Adjektive vorangestellt werden müssen, um ihrem speziellen Charakter gerecht zu werden. So sah man in den Ereignissen wahlweise eine „steckengebliebene“ oder „paradoxe“, eine „unvollständige“ oder auch „halbe“ Revolution.4 Definitionsgemäß und an wissenschaftlichen Parametern gemessen war die österreichische Revolution 1918/19, darin ist man sich grundsätzlich einig, wohl keine Revolution im wahrsten Sinne des Wortes.5 Weder ließ sich die neue politische und soziale Ordnung auf einen plangemäßen, von wesentlichen Bevölkerungskreisen wirklich auch intendierten gewaltsamen Umsturz zurückführen, noch stand der revolutionären Praxis eine Widerstand leistende aktive Staatsmacht gegenüber. Und schließlich gab es auch administrative und bürokratische Beharrungskräfte, die den Übergang von der Monarchie zur Republik vielfach unbeschadet und friktionsfrei überstanden. Hatte man seinen Dienst vorher unter schwarz-gelb verrichtet, stand man nun vielfach bruchlos im rot-weißen Sold.6
Abb. 6
Chaos zu Kriegsende: Heimkehrende Soldaten warten am Bahnhof in Bozen auf ihren Abtransport, 6. November 1918
Viel eher als eine regelrechte Revolution waren die Geschehnisse Ausdruck einer ebenso breiten wie bestimmten ‚Antikriegsbewegung‘, die weniger auf etwas revolutionär Neues aus war, sondern vor allem anderen den Status
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quo ante herbeisehnte und deshalb den Krieg beenden wollte.7 Mehr als um Republik und Demokratie ging es den Menschen um die Beendigung eines herrschenden, als nicht mehr länger tragbar empfundenen Zustands. Das, was in den ersten Novembertagen auch auf den Tiroler Straßen und Plätzen geschah – Renitenz, Aufruhr und Plünderungen –, ist als Momentaufnahme und letzte Eskalationsstufe einer längerfristigen Entwicklung popularen Protestes besser charakterisiert als unter Verwendung der Revolutions-Etikette. Der entscheidende Unterschied zur Protestbewegung während des Krieges war allerdings, dass sich mit dem Zusammenbruch der Front plötzlich und überraschend auch jene militärische und staatliche Ordnungsmacht verabschiedet hatte, die vorher – wenn auch offensichtlich nur mehr mit Mühe – die öffentliche Ordnung zumindest noch teilweise aufrechterhalten hatte. Die neue österreichische Republik, der sich Tirol am 25. November 1918, wenn auch nur mit Vorbehalt, anschloss, war im Prinzip ein „Kind der Not“ (Friedrich Austerlitz), das angesichts der Tatsache, dass der Kaiser abgedankt hatte, die Monarchie insgesamt als diskreditiert erschien und diverse Nationalitäten den Gesamtstaat verlassen hatten, relativ alternativlos schien. Dieses gleichsam improvisierte Österreich war deshalb von Beginn an mit einem Legitimationsdefizit konfrontiert, das aus einer gesellschaftlich breit verankerten Skepsis gegenüber den Zukunftsperspektiven eines eigenen Staates resultierte. Die neue Republik en miniature könne langfristig, glaubten viele, weder politisch noch ökonomisch am Leben erhalten werden. Sie galt in der westlichen Provinz sehr stark als Wiener Konstrukt sozialdemokratischer Prägung. Und als solches war sie mit vielen Vorbehalten und Widerständen konfrontiert.8 Zumal für die in Tirol dominierenden bürgerlichen Schichten vermochte es die Republik nicht, so etwas wie einen zukunftsorientierten Anziehungspunkt zu verkörpern. Die Republik und das Erinnern an ihre Errichtung blieben im Tirol der 1920er Jahre eine enklavenartige Angelegenheit des kleinen sozialdemokratischen Milieus, wo man – allerdings vergeblich – bald versuchte, den Republikstag als politisches Ritual und Erinnerungsort zu etablieren. In bürgerlich-konservativen Kreisen ging von der Republik hingegen kaum eine Strahlkraft aus. Im Zentrum der Kriegserinnerung blieb das Gedenken an die – zunehmend verherrlichten – Gefallenen des Weltkriegs. In diesen Milieus empfand man den Bruch von 1918 als „Umsturzhetze“ und sah im österreichischen Osten eine „entartete[n]“ Generation am Werk.9 In konservativen Kreisen ging es deshalb bald darum, die „Revolution in Tirol (zu) liquidieren“.10 In Tirol stellen sich das Kriegsende und der Übergang von der Monarchie zur Republik noch wesentlich komplizierter dar als in ‚Binnenösterreich‘. Der Status als – teilweise militärisch besetzte – Grenzregion mit deutschen,
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ladinischen und italienischen Bevölkerungsteilen sowie die Tatsache, dass sich durch Tirol eine hart umkämpfte, militärische Front gezogen hatte, schufen nach dem Zusammenbruch unterschiedliche politisch-militärische Realitäten und gesellschaftliche Lebenswelten. Als die Italiener – aus eigener Perspektive als ‚Befreier‘ – in Rovereto und Trient einmarschierten und ihnen dort die – sich allerdings rasch abkühlende – Begeisterung der Stadtbevölkerungen zuflog, war das zwar auch ‚revolutionär‘ – allerdings auf eine andere Art und Weise. Im besetzten Südtirol, wo man in einer Art passiven „Schutzstarre“ (Leopold Steurer) verharrte, verbot sich angesichts der völkerrechtlichen Bestimmungen jedwede Auflehnung gegen das Besatzungsregime, weshalb sich derlei Praktiken nach dem chaotischen Truppendurchzug Anfang November kaum zutrugen. Hier war alles Ansinnen auf die Verhinderung der Landesteilung gerichtet. Und in diesem Kontext schien es geboten, vorsichtig zu agieren.11 Dementsprechend unterscheidet sich die Situation im Trentino und in Südtirol deutlich von jener in Nord- und Osttirol sowie im nunmehr eigenständigen Vorarlberg. Aber auch nördlich des Brenners währten die unterschiedlichen Formen revolutionärer Situationen nicht lange und nahmen sich als lediglich kurzfristiges und vorübergehendes Phänomen aus. Das zur Periodisierung der österreichischen Revolution meist bemühte Drei-Phasen-Modell verortet den Höhepunkt der revolutionären Aktivitäten im Frühjahr/Sommer des Jahres 1919. Dieser zweiten Phase, in der „starke Strömungen zur gewaltsamen Veränderung der Gesellschaft in Erscheinung traten“, ging die eigentliche politische Revolution voraus. Ihr folgte eine dritte Phase, in der sich das revolutionäre Engagement zusehends verdünnisierte.12 Die Tiroler Situation lässt sich nur schwer in das Korsett dieses zeitlichen Ablaufs einordnen. Anders als in Ostösterreich war das eskalationsbefördernde Gemisch von Umbruchschaos und revolutionärem Aufruhr ein im Wesentlichen auf den November 1918 limitiertes Phänomen, das bald unter Kontrolle gebracht werden konnte. Breitere sozialrevolutionäre Strömungen konnten in Tirol nie auch nur annähernd Fuß fassen. Sie waren mehr oder weniger ein bewusst an die Wand gemaltes Schreckgespenst zur Selbstmobilisierung des bürgerlichen Lagers und dienten als eine Art willkommenes Bedrohungsszenario. Auflösung im revolutionären Chaos Fridolin Tschugmell wollte nur mehr nach Hause. Die Kompanie des jungen Sanitätssoldaten war bereits am 1. November 1918 aufgelöst worden. Von dem tschechischen Städtchen Most führte ihn sein Weg über Pilsen, Budweis und
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Salzburg zwischenzeitlich nach Tirol. Dort beobachtete er am 4. November das herrschende Chaos in Innsbruck und rätselte wenig später mit Blick auf das vom Reschen Richtung Landeck strömende Militär: „Wer ist es? Unsrige? Vormarschierende Italiener?“ Am 5. November stand er nach strapaziöser Fahrt um halb zwei Uhr morgens im elterlichen Heimathaus. Dort traf er auf seinen Bruder, den er seit August 1914 nicht mehr gesehen hatte. „Vater und Mutter, Geschwister“, notiert Tschugmell in den letzten Zeilen seines Kriegstagebuches, „alle voller Freude“.13 Am selben 1. November als Tschugmells Truppe in Böhmen auseinanderging und dem Krieg den Rücken kehrte, geriet der Innsbrucker Kaiserschütze Erich Mayr am Monte Longara in französische Kriegsgefangenschaft. Die folgende Niederlage der Mittelmächte an der Südwestfront schien für ihn unfassbar: „Wie weh tut das dem deutschen Herzen. Italien feiert den Sieg, den verbündete Mächte für ihn errungen nach 4 Jahren Krieg – nach unserer Aushungerung.“14 Erst im Januar 1920 konnte Erich Mayr aus der Kriegsgefangenschaft nach Innsbruck heimkehren. „Alles ist aus. Wir sind frei. Gottes Gerechtigkeit ist vollbracht“, notierte hingegen fern der Heimat der Trentiner Kriegsflüchtling Silvino Pilati in jenem Augenblick in sein Tagebuch, als der Waffenstillstand allgemein bekannt wurde. „Es lebe die Freiheit – es lebe Italien“. Es sei eine Ironie der Geschichte, dass jetzt gerade das Trentino die „Ketten der hundertjährigen Sklaverei“ gesprengt habe und endlich Teil des italienischen Nationalstaates werden könne.15 Auch für die Grödner Arztgattin Filomena Prinoth-Moroder überwog die – allerdings anders geartete – Freude über das Ende des Krieges. Weil man nun, wenige Tage nach Kriegsende, wieder Kartoffeln und Kaffee kaufen konnte, war „aus der Misere […] doch schnell etwas Gutes geworden.“ Die Erleichterung über das Kriegsende war kurzzeitig stärker als die Sorgen um die ungewisse Zukunft – schließlich „werden wir“, notierte Filomena Moroder am 9. November 1918 in ihr Tagebuch, „wohl auch noch ein Vaterland finden, sei es im Norden, sei es im Süden – wie Gott will!“16 Für die meisten Menschen in Tirol war in diesen turbulenten Novembertagen die Frage nach der künftigen Rolle und Stellung des Landes oder, um es mit Filomena Prinoth-Moroder zu sagen, die Suche nach einem ‚neuen Vaterland‘, zunächst einmal sekundär. Die alltäglichen Probleme, die das Kriegsende mit sich brachte, schienen gravierender zu sein als derlei Spekulationen über staatsrechtliche Fragen und künftige Grenzen. Die Reorganisation der eigenen Familie und des Haushalts, die raschestmögliche Heimkehr von der Front, die ersten Schritte in Richtung Nachkriegs-Berufsleben und die Sehnsucht nach einer Rückkehr zur gewohnten Friedens-Normalität und dem traditionellen sozialen Leben in Dorf und Stadt beschäftigten die Menschen im November 1918 weit intensiver. Ob nun unter den Soldaten, wo die Friedenssehnsucht insbesondere in den letzten Monaten des Krieges zu einer
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Art Leitorientierung geworden war, oder unter der Tiroler Zivilbevölkerung, wo man sich das Ende des Krieges nicht minder intensiv herbeisehnte – die Tatsache, dass dieser Krieg mittlerweile zu einer inakzeptabel großen Last geworden war, schien an der Front und im Hinterland gleichermaßen unbestritten. Die Hoffnungen, die man – über die eigene Situation hinaus – mit dem Ende der Feindseligkeiten verband, waren freilich ähnlich unterschiedlich, wie die zu Kriegsende gemachten Erfahrungen grundverschieden waren. Sie reichten von einer tiefschwarz-pessimistischen Weltuntergangstimmung bis hin zur hoffnungsfrohen Verortung der eigenen Zukunft in einer Art neuem ‚Schlaraffenland‘. Aber der Reihe nach: Das Ende des Krieges begann an der Front. Und der Zusammenbruch der Front stand am Beginn des Novemberchaos in Tirol. Angesichts der immer aussichtsloseren militärischen Situation infolge der 3. Piaveschlacht kam es am 28. Oktober zu einem ersten österreichischen Versuch, mit den Italienern Gespräche über einen Waffenstillstand aufzunehmen. Einer Weisung des österreichisch-ungarischen Armeeoberkommandos zufolge war man zu jeder Übereinkunft bereit, die nicht gerade demütigend war oder einer Kapitulation gleichkam. Die Anbahnung von Waffenstillstandsgesprächen verzögerte sich allerdings, weil zum einen die Italiener angesichts der erfolgreich fortschreitenden Offensive keine besondere Hektik in dieser Angelegenheit entwickelten, und zum anderen die österreichische Waffenstillstandskommission erst am 30. Oktober abends vollzählig vor Ort und für die Überschreitung der Front bereit war. Ganze drei Tage waren seit der ersten Kontaktaufnahme eines österreichisch-ungarischen Parlamentärs mit den Italienern vergangen, als die siebenköpfige Kommission unter der Führung des Generals Viktor Weber von Webenau schließlich am Abend des 31. Oktober die Villa des Grafen Giusti del Giardino in Mandria südlich von Padova erreichte.17 Tags darauf – es war Allerheiligen – wurden der österreichischen Delegation die vom Alliierten Obersten Kriegsrat in Paris formulierten Waffenstillstandskonditionen zur Kenntnis gebracht, die wesentlich härter als erwartet ausgefallen waren. Sie sahen u. a. die sofortige Einstellung der Feindseligkeiten vor, verlangten die militärische Demobilisierung und Räumung des im Londoner Geheimvertrag Italien zugesprochenen Gebietes südlich des Brenners sowie die Übergabe großer Teile des k.u.k. Kriegsgeräts und Waffenarsenals unter Verwendung der gegnerischen Verkehrsinfrastruktur. Ferner sollte die österreichisch-ungarische Armee nach dem Krieg abgerüstet und auf einen Stand von 20 Divisionen gebracht werden. Zudem sahen die Bestimmungen vor, dass sich die Alliierten in Österreich-Ungarn frei bewegen und – wie immer das auch gemeint war – strategisch wichtige Punkte besetzen konnten.18 Weil diese ‚Allerheiligenbedingungen‘ de facto einer Kapitulation
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gleichkamen, setzte sich General Weber mit dem Armeeoberkommando in Verbindung und informierte Baden gleichzeitig auch darüber, dass im Fall einer Annahme der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Waffenstillstandes nach wie vor unklar war. Die Italiener verwiesen auf die in dieser Frage noch ausstehende Pariser Entscheidung. Die von der österreichischen Delegation weitergegebenen Informationen schockierten die Verantwortungsträger in Wien – die Militärs genauso wie das Umfeld des Kaisers. In der Folge begannen hektische, mitunter auch chaotisch geführte Konsultationen, Gespräche und Verhandlungen, in denen es allen Beteiligten vor allem um die Frage der Verantwortung für die Annahme des Waffenstillstandes zu gehen schien. Das Vorhaben des Kaisers, den deutschösterreichischen Staatsrat für die Annahme der Bedingungen zu gewinnen, misslang. Die Krone hätte den Krieg begonnen, verlautete es aus dem Parlament, sie solle ihn deshalb auch beenden. Als am 2. November schließlich der offizielle Vertragstext in Padua einlangte, eröffnete der italienische Delegationsführer, General Pietro Badoglio, den Österreichern die umstrittene Klausel, wonach der Waffenstillstand erst 24 Stunden nach Unterzeichnung des Vertrages in Kraft treten sollte. Diese Frist sei notwendig, um das Abkommen allen italienischen Truppen, einschließlich jenen in den vordersten Linien, kommunizieren zu können. General Weber informierte noch am selben Abend das Armeeoberkommando in Baden über den italienischen Standpunkt in der Fristen-Angelegenheit. Dort langte das entsprechende Radiogramm allerdings erst am 3. November gegen Mittag ein. Unabhängig davon war in Wien aber bereits in der Nacht auf den 3. November eigenmächtig ein folgenschwerer Entschluss gefasst worden. Obwohl in Padova noch kein Waffenstillstandsabkommen geschlossen worden war und wiewohl der k.u.k. Militärführung bekannt war, dass es sich bei den vorliegenden Bedingungen lediglich um einen Entwurf handelte und der Zeitpunkt des Inkrafttretens einer endgültigen Klärung bedurfte, gab das Armeeoberkommando im Einverständnis mit dem Kaiser am 3. November, um 1.20 Uhr morgens, den Befehl hinaus, die Waffen sofort zu strecken.19 In der Folge wurden die Heeresgruppenkommandos in Venetien und Tirol darüber verständigt, dass die Waffenstillstandsbedingungen der Entente angenommen wurden und alle Feindseligkeiten sofort einzustellen wären. Der unsichere, in seinen Entscheidungen weiterhin schwankende Kaiser wollte in dieser schwierigen Lage noch einmal das Einverständnis mit dem deutschösterreichischen Staatsrat suchen und ließ in einer Kurzschluss-Reaktion wenige Stunden später alle getroffenen Verfügungen widerrufen. Während die für die österreichische Delegation in Padova bestimmte Order, den Waffenstillstand anzunehmen, noch zurückgehalten werden konnte, hatte der Feuereinstellungsbefehl bereits die Truppen erreicht. Die kaiserliche Kehrtwende
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kam zu spät, stiftete Verwirrung und schuf eine geradezu skurrile Situation: Einerseits waren die Truppen über einen Waffenstillstand informiert worden, den es so (noch) gar nicht gab, und andererseits hatte man der Delegation in Padova von Wien aus keine entsprechenden Instruktionen mehr zukommen lassen. Erst am Nachmittag des 3. November 1918 erreichte General Weber von Trient aus der Befehl zum Abschluss des Waffenstillstandes. Um 15 Uhr nahm er die alliierten Bedingungen an, die – trotz Protesten der österreichischen Delegation – vereinbarungsgemäß am 4. November, 15 Uhr, in Kraft treten sollten.20 Auf diese Weise waren im Zeitraum zwischen dem Abschluss des Waffenstillstandes und seinem Inkrafttreten noch rund 300.000 österreichisch-ungarische Soldaten in alliierte Kriegsgefangenschaft geraten. Die Verantwortung für das katastrophale Krisenmanagement rund um die Ausverhandlung des Waffenstillstandes lag primär beim k.u.k. Armeeoberkommando, das unter dem Eindruck des zusammenbrechenden Reiches bei weitem nicht mehr Herr der Lage war. Die auf österreichischer Seite nur äußerst konfus bewerkstelligte Entscheidungsfindung in der Causa des Waffenstillstandes provozierte am 3. November eine ähnlich verworrene und chaotische Situation unter den k.u.k. Fronttruppen. Ein Großteil der Soldaten wähnte sich bereits im Frieden und streckte deshalb vertrauensselig die Waffen. Den jungen Südtiroler Kaiserjäger Matthias Ladurner-Parthanes erreichte die Kunde des Waffenstillstands am 3. November bereits um halb drei Uhr morgens auf einer Rast an der Straße nach Calliano. „Das war eine Freude!“, erinnert sich der Soldat. „Stahlhelme und Gasmasken flogen in den Straßengraben.“ Als er gemeinsam mit seinen Kameraden am 4. November trotzdem von den Italienern gefangen genommen und abgeführt wurde, glaubte der Unteroffizier zunächst an einen „Irrtum“, bis schließlich die Kriegsgefangenschaft, in der er bis Mitte März 1919 verbleiben sollte, zur traurigen Gewissheit wurde.21 Damals mochten sich mit dem jungen Kaiserjäger wohl viele Soldaten gefragt haben: „Gilt der Waffenstillstand, oder gilt er nicht […]?“22 Nein, möchte man aus heutiger Perspektive antworten, er galt nicht, weil er noch gar nicht in Kraft getreten war. Aber das konnte der Großteil der Soldaten damals freilich nicht wissen. Während also noch buchstäblich in den letzten Stunden des Krieges Zigtausende k.u.k. Soldaten unverschuldet in Kriegsgefangenschaft gerieten, war die allgemeine Auflösung der Habsburgerarmee schon in vollem Gang. Der Exodus der ungarischen Truppenkontingente hatte großteils bereits am 2. November nach erfolgter Aufforderung zur Heimkehr begonnen. Auch andere Truppenteile meuterten in der Folge immer häufiger und weigerten sich, weiterzukämpfen. Nach dem Befehl, die Waffen niederzulegen, der viele Truppen schon in den frühen Morgenstunden des 3. November erreichte,
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zogen unzählige Truppenteile, autonome Soldatengruppen oder auch einzelne Kriegsteilnehmer unkoordiniert und vielfach auf eigene Faust gen Norden – in die österreichischen Länder, nach Böhmen, Mähren oder Ungarn. Dieser Exodus einer vom Krieg gezeichneten, geschlagenen Armee stellte die Zivilbehörden im Tiroler Hinterland, das ganz unmittelbar von diesem kolossalen Rückzug betroffen war, vor eine große Herausforderung und überforderte zuallererst die Verkehrsinfrastruktur. Insbesondere die Bahnhöfe entlang der Nord-Süd-Transitrouten füllten sich mit Soldaten, die die Waggons der bereitstehenden Züge regelrecht stürmten und dichtgedrängt bevölkerten. Augenzeugen dieses turbulenten Rückzuges berichten zuhauf von Soldaten, die während der Fahrt den Tod fanden. Sie stürzten aus den Zügen, wurden in Tunnels von den Dächern gerissen oder erlitten andere tödliche Verletzungen. Weil die Kapazitäten der vorhandenen Transportmittel bei weitem nicht ausreichten, machten sich ganze Kolonnen von Soldaten auch zu Fuß auf den Weg in die jeweilige Heimat. Das Groß der Rückzugs-Armee drang dabei über das Eisack- und Wipptal nach Innsbruck und von dort weiter ins Unterinntal. Andere Routen verliefen über den Reschen und das Oberinntal nach Innsbruck oder über das Pustertal weiter nach Lienz in Osttirol. Parallel dazu drangen in diesen ersten Novembertagen schätzungsweise rund 130.000 italienische Kriegsgefangene und Kriegsflüchtlinge unter Nutzung derselben Transitrouten – allerdings in entgegengesetzter Richtung – zurück in ihre Heimat.23
Abb. 7
Österreichisch-ungarische Kriegsgefangene in Trient zu Kriegsende, 4. November 1918
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An den Brennpunkten dieser enormen Wanderungsbewegungen kam es zu umfassenden Plünderungen und Gewaltexzessen. Die Tatsache, dass es in den ersten Novembertagen keine funktionsfähige staatliche und militärische Ordnungsmacht mehr zu geben schien, ließ die letzten Skrupel fallen. „Alles stiehlt und schleppt“, schreibt etwa der Sterzinger Schulleiter Josef Noggler in seiner Kriegschronik. Flüchtende Soldaten, schweres Kriegsgerät, vollbeladene Militärautos und mit Heimkehrern überfüllte Züge: „Es ist“, so Noggler, „als ob man mit einem Stock in einen großen Ameisenhaufen gestoßen hätte.“24 „Die Transporttruppen schießen mit Gewehren von den Zügen heraus auf Vieh, Schafe und auch auf Leute“, notierte Kooperator Otto Penz der Pfarre Stilfes im Wipptal damals besorgt in die Pfarrchronik.25 Von dem ungeordneten Rückzug besonders betroffen waren die Ortschaften an den großen Transitrouten, beispielsweise an der Brennerstraße. In Sterzing plünderten etwa Soldaten und Zivilisten das Mehlmagazin im Bahnhof. Alles Ess- und Verwertbare wurde vom Militär verschleppt und zu Spottpreisen feilgeboten: „Es wird dabei gerauft, gestritten, blutig geschlagen und gestohlen“. Josef Noggler erinnerte die gefährliche Lage an die Unruhen im Jahr 1525, als aufgebrachte Bauern die Stadt plünderten. Besonders in den größeren Städten spitzte sich die Lage immer mehr zu. In Trient kam es am 2. und 3. November zu anhaltenden Plünderungen durch Militär und Zivilbevölkerung, die mehreren Menschen das Leben kosteten.26 Auch in Bozen und Innsbruck wurde die Lage immer bedrohlicher, und es kam zu ähnlich gefährlichen Situationen. In der Landeshauptstadt plünderten Soldaten und Zivilbevölkerung bereits am 3. November Güterzüge und Lebensmittelmagazine, und am 4. November forderte ein Schusswechsel zwischen Ordnungskräften und plündernden Soldaten acht Tote. Auch in Schwaz waren drei Tote und mehrere Schwerverletzte zu beklagen.27 Da sich die Ereignisse in diesen turbulenten ersten Novembertagen regelrecht überstürzten – dem Zusammenbruch folgte ein sich rasch vollziehender chaotischer Rückzug von Hunderttausenden Soldaten – war das Gewaltmonopol des Staates ebenfalls schlagartig zusammengebrochen. Plünderungen und Übergriffe des Militärs konnten vielerorts nicht verhindert werden, sondern mussten aufgrund der aussichtslosen Situation mehr oder minder tatenlos hingenommen werden. Häufig schlug sich die in ähnlichem Maße desillusionierte, wütende Zivilbevölkerung auf die Seite des Militärs und bediente sich ungeniert aus dem Reservoir noch vorhandener Lebensmittel und staatlicher Gebrauchsgüter – und zwar ungeachtet der anwesenden, meist hoffnungslos überforderten Reste der staatlichen Ordnungsmacht. Die Ortschaften entlang der bekannten Transitrouten, die Bahnhöfe und zentralen Plätze der größeren Verkehrsknotenpunkte Tirols wurden zu jenen zentralen Räumen der auch gewaltsamen Auseinandersetzung, in denen
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sich das ‚revolutionäre‘ Geschehen vornehmlich abspielte. Nachdem sich fallweise schon vorher einzelne Truppenkörper aufgelöst hatten und eigenmächtig abgezogen waren, begann am 2. November der Abzug großer Teile der ungarischen Truppen, bevor sich schließlich am Morgen des 3. November die komplette Armee in Auflösung befand.28
Abb. 8
Die k.u.k. Armee im Rückzug aus Trient, 4. November 1918
Bereits angesichts des drohenden Zusammenbruchs suchte sich der Tiroler Nationalrat unter der Führung von Landeshauptmann Josef Schraffl als neuer Ordnungsfaktor zu etablieren und die Militär- und Zivilgewalt im Land nicht nur de jure, sondern auch in der Praxis zu bewerkstelligen.29 Sorgen bereitete vor allem die kaum zu gewährleistende Versorgung einer größeren Anzahl von durchziehenden Truppen. Die „vorderen Horden“ der sich Richtung Brenner bewegenden k.u.k. Truppen, liest man in einer Niederschrift der Sitzung des Tiroler Nationalrates vom 3. November 1918, würden „[alles] vernichten.“30 Schon am 2. November war eine Aufforderung an die Tiroler Kommunen ergangen, jeweils vor Ort bewaffnete Bürger- und Bauernwehren zum Schutz der Bevölkerung und des öffentlichen Gutes zu bilden. Tags darauf erfolgte in Innsbruck auf Weisung des Nationalrates die Aufstellung einer aus dem noch verbliebenen militärischen Personal der Garnisonen gebildeten Volkswehr. Als improvisierte militärische Sicherungstruppe oblagen ihr die allgemeine Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung und der Schutz von Gütern im öffentlichen Eigentum. Bei den Bürger- und Bauernwehren handelte es sich
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hingegen um meist ortsgebunden organisierte Sicherheitsdienste, die auf Geheiß der jeweiligen Gemeinde oder privater Auftraggeber in nicht minder improvisierter Weise ins Leben gerufen wurden.31 Während für die in ganz Tirol gebildeten Bürger- und Bauernwehren politische Beweggründe sekundär waren und es zuallererst konkret um den Schutz einer lokalen Bevölkerung ging, spielten im Rahmen der Gründung der Tiroler Volkswehr, die sich in einen reaktionär-monarchistischen und einen sozialistischen Flügel spaltete, politisch-ideologische Orientierungen bald schon eine gewichtige Rolle.32 Größere Bedeutung erlangte die Volkswehr in Tirol freilich nie. Die rund 1.300 bewaffneten Männer dienten im November/Dezember 1918 in den zwei Innsbrucker Bataillonen, ferner in jenen von Schwaz, Kitzbühel und Landeck sowie im Volkswehrkommando Lienz.33 Dem konservativen Polit-Establishment war sie schon bald ein Dorn im Auge. Als nach den Novemberunruhen die Autorität des Nationalrats immer stärker zu greifen begann, stellte man auf konservativer Seite ihre Existenzberechtigung in Frage.34 Der abrupte Übergang vom Krieg in den Frieden mochte in diesen rastlosen ersten Novembertagen 1918 von vielen als sprichwörtlicher Sprung ins kalte Wasser wahrgenommen worden sein. Staatliche Ordnung und militärisches Gewaltmonopol waren kollabiert, und der in dieses Machtvakuum drängende Tiroler Nationalrat war als neue Autorität einer breiteren Öffentlichkeit noch kaum bekannt und in den Nachkriegswirren auch nur eingeschränkt handlungsfähig. Die immensen Wanderungsbewegungen von heimkehrenden Soldaten und rückströmenden Gefangenen und Flüchtlingen stellten eine enorme Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. In Ermangelung einer funktionierenden staatlichen Exekutive lag die schwierige Aufgabe der Aufrechterhaltung der Ordnung in der Hand einer Vielzahl von in ihrem Tun meist überforderten Akteuren. Volkswehrkompanien, Soldaten- und Gendarmerieräte, Bürger- und Bauernwehren oder auch Arbeiterwehren, die infolge des neuen Bedrohungsszenarios meist ad hoc ins Leben gerufen wurden, fungierten vor Ort als vielfach autonom agierende Ordnungsmächte auf Abruf. Sie waren Teil einer notgedrungen diffus organisierten provisorischen Exekutive, die der überwältigenden Macht der Ereignisse oft auch nur ratlos gegenüberstand und zur Durchsetzung eines effizienten Law and Order nicht in der Lage war. Vielfach handelte es sich bei den Mitgliedern dieser Ortswehren um „junge ungediente Burschen, die hilflos in den Wirrwarr hineinstarren und auch nichts daran ändern können.“35 Dieses mit Gewaltexzessen einhergehende Intermezzo zwischen (nicht mehr) Krieg und (noch nicht) Frieden war im Trentino und in Südtirol von kürzerer Dauer. Bereits am 5. November kamen die ersten italienischen Truppen nach Meran, am 6. erreichten erste Vorhuten Bozen und am 10. November standen sie bereits am Brenner.36 Rasch konnte
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die militärische Besatzung das Gewaltmonopol an sich reißen und die wenige Tage zuvor noch auf eine harte Probe gestellte öffentliche Sicherheit wieder gewährleisten. Schwieriger gestaltete sich die Lage jenseits des Brenners. Für die vormaligen Soldaten der k.u.k. Armee, die Innsbruck und vor allem das Unterinntal bevölkerten, konnten im Rahmen entsprechender Übereinkommen mit den Sukzessionsstaaten der Habsburgermonarchie erst ab 6. November die notwendigen Transportmittel für eine systematische Überführung der Soldaten in ihre entsprechenden Herkunftsterritorien organisiert werden.37 Aufgrund der anhaltenden Plünderungen beschloss der Tiroler Nationalrat noch am 10. November, als man das Problem des Heimkehrer-Abtransportes langsam in den Griff bekam, Lebensmitteldepots und -transporte systematisch von Sicherheitstruppen überwachen zu lassen.38 Erst am 23. November besetzten schließlich italienische Truppen Innsbruck und andere strategische Punkte in Nordtirol. Die allmähliche Etablierung des Tiroler Nationalrates und die Präsenz der neuen Besatzungsmacht stabilisierten die Situation zusehends, sodass sich gegen Ende des Jahres ein Großteil der in den Umsturztagen vor Ort gebildeten Wehren auflöste. Lediglich die Innsbrucker Bürgerwehr und die Volkswehr hatten längerfristigen Bestand.39 Die Zeitlichkeit der ‚Revolution‘ in Nordtirol unterschied sich demnach grundlegend von jener in den südlich des Brenners gelegenen Landesteilen. Sie ist durch eine stürmische erste Phase (vom 2. bis 10. November) charakterisiert, in der sich eine unüberschaubare Zahl von Soldaten teilweise gewalttätig und plündernd den Weg Richtung Heimat bahnte und auch unter der Zivilbevölkerung Aufruhr herrschte. In einer zweiten Phase (vom 10. bis 23. November) gewann der Tiroler Nationalrat als Vollzugsorgan der provisorischen Tiroler Landesversammlung sukzessive an Handlungsfähigkeit, die erleichtert durch das sukzessive Versiegen der großen Wanderungsbewegungen zu einer gewissen Stabilisierung bzw. Normalisierung der Verhältnisse führte. Die am 23. November beginnende Besetzung Innsbrucks durch italienische Truppen verstärkte schließlich das neue ordnungspolitische Moment und ließ die ‚revolutionäre‘ Schubkraft des Zusammenbruchs langsam versiegen. Im „Traumland“: Umsturzängste und politische Selbstfindung Der deutsche Theologe Ernst Troeltsch hatte die Zeit nach dem Zusammenbruch im November 1918 rückblickend einmal treffend als „Traumland“ bezeichnet, „wo jeder sich ohne die Bedingungen und realen Sachfolgen des bevorstehenden Friedens die Zukunft phantastisch, pessimistisch oder
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heroisch ausmalen konnte.“40 Herrschende Unsicherheit und Ungewissheit nährten Gerüchte, Befürchtungen und Ängste, die insbesondere in den ersten Wochen nach Kriegsende zu einer starken Emotionalisierung der an jeder Theke und Straßenecke diskutierten Zukunftsfrage führten. „Wer weiß, wie ein neuer österreichischer Staat aussehen würde“, notierte die Grödnerin Filomena Moroder am 6. November 1918 skeptisch in ihr Tagebuch. „Es ist alles ungewiss und man ist hin- und hergerissen zwischen Hoffen und Bangen.“41 Die in der Endphase des Krieges auch in Tirol immer stärker unter Beschuss geratene Monarchie war zusammengebrochen und der Kaiser hatte abgedankt. Damit war auch die Debatte darüber eröffnet, wie das postimperiale Tirol in Zukunft aussehen sollte. Im gesellschaftlich bestimmenden bürgerlich-bäuerlichen Lager grassierte nach dem Zusammenbruch zunächst die Angst vor einer bolschewistischen Bedrohung. Als regelrechtes Schreckgespenst zog sie ein Klima allgemeiner Verunsicherung nach sich. Rasch verbreitete sich landauf landab das Gerücht, in Wien hätten sich nach russischem Beispiel ‚rote Garden‘ gebildet. Und an den Grenzen verdächtigte man Einreisende, mit vermeintlichen ‚Spartakisten‘ unter einer Decke zu stecken.42 Obwohl sich die Tiroler Sozialdemokraten sofort einer mehr oder weniger moderaten Realpolitik verschrieben hatten, war die seit den Umsturztagen präsente Furcht vor einer ‚roten Revolution‘ ein kontinuierlich hervorgekehrtes Argument. Mehr als auf rein objektiven Anzeichen einer Revolutionierung beruhten diese Wahrnehmungen auf einem Gefühl der Unsicherheit und diffusen Ängsten, die durch den Zusammenbruch sämtlicher selbstverständlicher Gewissheiten befördert wurden. Und nicht zuletzt ließ sich ein derlei beunruhigendes Szenario auch als Faktor der Selbstmobilisierung des bürgerlichen Lagers gegen die in Innsbruck und Wien erstarkte Linke instrumentalisieren. Innsbruck und Wien waren die ideologisch aufgeladenen und zusehends auseinanderdriftenden Orte eines politischen Antagonismus, der längst zu einer atmosphärischen und mentalen Entfremdung geführt hatte. Letztere resultierte aus einer immer selbstbewusster agierenden Tiroler Politik, die dem Wiener Zentrum traditioneller Weise sehr reserviert begegnete. Der Gegensatz zwischen Zentrum und Peripherie hatte sich während des Krieges deutlich verstärkt. Aus Tiroler Perspektive galten die Hauptstadt im Osten und die dort amtierenden politischen und administrativen Verantwortungsträger als Inbegriff der Misswirtschaft und Kriegskorruption. Wien schien der Quell allen Tiroler Übels zu sein. Ihm schrieb man in erster Linie die Verantwortung für die desolate Situation im Land zu. Mit der neuen Koalition unter der verhassten sozialdemokratischen Führung erreichte der politische Antagonismus schließlich einen neuen Höhepunkt, der sich durch grundlegende Meinungsverschiedenheiten einerseits in der Ernährungsfrage und
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andererseits in außenpolitischen Fragen verschärfte.43 In ähnlicher Weise wie in Innsbruck waren die skizzierten Wien-Ressentiments im Übrigen auch in Vorarlberg präsent, wo sich die Kritik der konservativen Landespolitik gegen die vermeintliche österreichische „Zwingherrschaft“ richtete.44 Nach der lange ersehnten administrativen Unabhängigkeit von Tirol wollte man sich auch dort die junge österreichische Republik auf Distanz halten. Breite Bevölkerungskreise liebäugelten mit einem Anschluss an die vielfach als Schlaraffenland imaginierte Schweiz. In Südtirol wiederum, wo das Ordnungsmoment durch die immediate militärische Besatzung rascher zum Tragen kam, verharrte man angesichts der sich überstürzenden Ereignisse in einer Art lethargischen Depression. Noch im Januar 1920 witzelte Generalzivilkommissar Luigi Credaro darüber, die Südtiroler hätten noch immer nicht begriffen, dass sie den Krieg verloren haben.45 Teil der massiven gesellschaftlichen Unsicherheit, die sich zwischen dem Zusammenbruch des alten Staates und der Formierung der neuen österreichischen Republik auf vielfältige Weise manifestierte, war auch eine tiefe politische Verunsicherung, die sich vorderhand in der Zerrissenheit der konservativen Landespolitik offenbarte. Die am 27. Oktober 1918 angesichts der dramatischen Lage vorsorglich erfolgte politische Fusion von Christlichsozialen und Katholisch-Konservativen ließ mit der Tiroler Volkspartei ein neues politisches Flaggschiff entstehen, dessen anfängliche Orientierungslosigkeit allerdings eine zielgerichtete Tirol-Politik des bürgerlich-bäuerlichen Lagers weitgehend verunmöglichte. Zwischen den Gewissheiten mehrerer Parteiflügel hin- und hergerissen, konnte es kaum gelingen, adäquate Antworten auf die enormen Probleme zu geben, die im Novemberchaos auf die politischen Verantwortungsträger wie im Zeitraffer regelrecht hereinprasselten. Die Ausverhandlung einer allgemein akzeptierten Parteilinie blieb schwierig. In den entscheidenden Fragen – etwa der staatsrechtlichen Zukunft oder der Haltung in der Selbstständigkeits- bzw. Südtirolfrage – war sich die Partei uneins und ließ eine konkrete Vision vermissen. Die Politik der Volkspartei changierte zwischen einem zögerlichen Abwarten und sprunghaften Ad-hoc-Entscheidungen: Hatten sich die Christlichsozialen noch am 21. Oktober zur Monarchie bekannt, gab man sich unter dem Eindruck der sich überstürzenden Ereignisse nur wenige Tage später in den so genannten Oktober-Leitsätzen schon ganz republikanisch.46 Dessen ungeachtet standen sich in der Partei aber einflussreiche Flügel gegenüber, die entweder nach wie vor monarchistisch ausgerichtet waren oder aber zur Republik tendierten.47 Auch die von der Volkspartei am 3. Dezember 1918 schlussendlich geforderte Selbstständigkeit Tirols war parteiintern höchst umstritten und traf bei den anderen Tiroler Parteien auf großen Widerstand, sodass man bald zurückrudern musste.48
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Die Kooperation, die in den Tagen des Zusammenbruchs im Tiroler Nationalrat mit Sozialdemokraten und Deutschfreiheitlichen angestrengt wurde, zerbrach rasch am Konfrontationskurs der einzelnen Parteien in den zur Debatte stehenden grundlegenden Fragen. Dieses Klima der aus Befürchtungen und Ängsten erwachsenden gesellschaftlichen Unsicherheit und politischen Orientierungslosigkeit bildete auch den Nährboden für eine ganze Reihe von territorialen Phantasmagorien, die für zusätzliche Verunsicherung sorgten. Sollte Tirol den Weg Richtung Eigenstaatlichkeit beschreiten, seine Zukunft in einem neu zu schaffenden österreichischen Staat suchen oder doch besser Teil eines größeren deutschen (National-)Staates sein? Unabhängig von dieser Richtungsentscheidung, über die sich die Tiroler Parteien allerdings nicht einig waren, beförderte die herrschende Unsicherheit vielfach auch gänzlich unrealistische Vorschläge für staatliche Neukonstruktionen oder territoriale Grenzverschiebungen. Neben der Idee eines neutralen Tiroler Staates zur Erhaltung der Landeseinheit ging gerüchteweise vielfach auch die Rede von einer autonomen Nordtiroler Republik oder eines um Vorarlberg und anderen west- und südösterreichischen Gebieten erweiterten Tiroler Staates. Selbst für die im Rahmen der Schaffung eines neutralen Kantons gedachte Angliederung Tirols an die Schweiz fanden sich Fürsprecher. Im ‚Ländle‘ wiederum war, wie bereits erwähnt, ein Anschluss an die Schweiz vor allem in den vom Krieg arg in Mitleidenschaft gezogenen sozialen Unter- und Mittelschichten sehr populär. Unter den gesellschaftlichen Eliten, insbesondere in den Reihen der Vorarlberger Wirtschaftsbourgeoisie, erschien hingegen die Idee einer Vereinigung mit Südschwaben noch attraktiver.49 In konservativ-klerikalen Tiroler Kreisen gab es indessen Kräfte, die – innerhalb welcher Grenzen auch immer – auf eine Erhaltung des monarchischen Prinzips hinarbeiteten. Demselben politischen Milieu entsprang auch die skurrile Idee, Tirol als neuen Kirchenstaat dem Papst anzutragen.50 Auf weitaus praktischeren und rationaleren Kalkülen basierte hingegen das gelegentliche Ansinnen von Grenzbezirken, angesichts der meist drückenden Not ihr Heil vornehmlich jenseits der bestehenden Staats- oder Landesgrenzen zu suchen. In Osttirol wurde kurzzeitig ein von den Deutschfreiheitlichen lancierter Zusammenschluss mit Kärnten propagiert, wobei auch die Idee eines Zusammengehens mit Oberkärnten und Salzburg angedacht wurde, das letzten Endes zu einem Anschluss an Bayern führen hätte sollen.51 Und im Tiroler Außerfern drängten separatistische Bevölkerungskreise ebenfalls auf einen Anschluss an Bayern.52 Die Gemeinde Taufers im Münstertal liebäugelte mit einem Anschluss an Graubünden und die drei Rheintaler Gemeinden Höchst, Gaissau und Fussach wollten zu St. Gallen.53
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Politische Orientierungslosigkeit und Unsicherheit charakterisierten zugleich die mentalen Rahmenbedingungen der Realpolitik, die in diesen Wochen des staatlichen Zusammenbruchs nichtsdestotrotz auch stattfinden musste. In den Tagen unmittelbar vor und nach dem Zusammenbruch organisierten sich die einstigen politischen Entscheidungsträger in Bregenz, Innsbruck, Bozen und Trient neu. Dabei überschlugen sich teilweise die Ereignisse. In Anbetracht des nahenden Endes konstituierte sich schon am 26. Oktober 1918 in Innsbruck die aus den Deutschtiroler Landtags- und Reichsratsabgeordneten bestehende Tiroler Nationalversammlung; der aus ihr hervorgehende Tiroler Nationalrat nahm als Exekutivorgan am 1. November seine Tätigkeit auf.54 Am 3. November trat in Bregenz die Vorarlberger Nationalversammlung zusammen, die unmittelbar die Selbstständigkeit des Landes proklamierte und aus ihren Reihen ebenfalls einen Vollzugsausschuss bestimmte.55 Tags darauf gründete sich schließlich auch in Bozen ein Nationalrat, dem der deutschnationale Bozner Bürgermeister Julius Perathoner vorstand. Die Handlungsfähigkeit des von der italienischen Besatzungsmacht mehr oder weniger lediglich geduldeten Südtiroler Nationalrates war durch die Okkupationssituation allerdings stark beeinträchtigt. Bereits Ende November 1918 hatte Militärgouverneur PecoriGiraldi die Ausdehnung des Wirkungsbereiches des Tiroler Nationalrates auch auf Südtirol untersagt. Und im Januar 1919 wurde der Südtiroler Nationalrat schließlich behördlich aufgelöst. Militär- und Zivilgewalt verblieben fortan exklusiv in den Händen der Besatzungsmacht.56 Auch in Trient war das Verhältnis zur Besatzung zunächst gespannt, weil die vor Ort rekrutierten Vertrauensleute des Militärgouverneurs vor allem liberaler und irredentistischer Provenienz waren und den politischen Katholizismus außen vor ließen.57 Die Einrichtung einer Art paritätisch besetzter beratender Plattform (der Ende Dezember 1918 geschaffenen, so genannten Consulta) als Bindeglied zwischen Besatzungsbehörden und regionaler Trentiner Politik sollte die Wogen glätten. Das gelang allerdings nur bedingt.58 Bei den erwähnten Nationalräten handelte es sich mehr oder minder um improvisierte und provisorisch amtierende ‚Konzentrationsregierungen‘. Möglichst im Konsens aller politischen Kräfte ging es um die Bewältigung der durch den Zusammenbruch unmittelbar verursachten dramatischen Lage. Zunächst stellte sich insbesondere entlang der Heimkehrrouten in Süd- und Nordtirol die Herausforderung der Abwicklung des Rückzugs der geschlagenen Habsburgerarmee, die sich ohne Rücksicht auf Hab und Gut der ansässigen Bevölkerung Richtung Norden bewegte. Angesichts der dramatischen Lage erteilte Landeshauptmann Schraffl Nationalrats-Mitglied Michael Mayr am 4. November den Auftrag, nach Bern in die Schweiz zu reisen, um eine Besetzung Nordtirols durch Entente-Truppen – bevorzugter Weise britische oder
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französische – zu erwirken und auf diese Weise eine drohende Hungerkrise zu vermeiden.59 Landeshauptmann Schraffl äußerte die Befürchtung, dass „das ganze Gebiet kahlgefressen und Zivil und Militär verhungern werden.“60 Weil das Unterfangen allerdings ohne formelle Genehmigung des Tiroler Nationalrates erfolgt war, wurde die „Mission Mayr“ in der Folge zu einem veritablen Politikum – und stieß auf heftige Kritik von Sozialdemokraten und Deutschnationalen. Schraffl wies den vor allem von den Sozialdemokraten auch noch im Tiroler Landtagswahlkampf im Juni 1919 erhobenen Vorwurf, er habe die Italiener ins Land geholt, wohl aus Angst vor negativen politischen Auswirkungen brüsk von sich.61 Eine zweite, in ähnlicher Weise herausfordernde, dringende Aufgabe betraf die desolate Ernährungssituation der Tiroler Bevölkerung, insbesondere in Nordtirol und Vorarlberg. Im Ländle spitzte sich die katastrophale Ernährungssituation in den Tagen nach dem Zusammenbruch gefährlich zu. Auf entsprechende Bitten um Lebensmittellieferungen reagierte die Schweiz zunächst nur zögerlich und suchte das Gespräch mit den Ententestaaten, die dafür aufkommen sollten. Angesichts einer drohenden Hungerkatastrophe kam es schließlich ab 17. November zu ersten eidgenössischen Lebensmittellieferungen, und in der Folge wurde ein bilateraler Wirtschaftsvertrag geschlossen, der längerfristig regelmäßige Lieferungen garantierte.62 Infolge der eklatanten Unterversorgung wandte sich auch Tirol am 21. November hilfesuchend an die Schweiz, die dem Land bis Ende November als Soforthilfe insgesamt 80 Waggon Getreide und 10 Waggons Reis zur Verfügung stellte.63 Die Gesamtheit von politischen und diplomatischen Initiativen zur Bewahrung Tirols in seinen historischen Grenzen bildete einen dritten Problembereich, mit dem die Tiroler Politik – ob nun in Bozen oder Innsbruck – von der ‚Stunde null‘ in den ersten Novembertagen 1918 an befasst war. Schon im Rahmen ihrer Konstituierung am 26. November 1918 hatte die Tiroler Nationalversammlung Interventionen im neutralen Ausland zur Erhaltung der Landeseinheit angedacht. Vor allem aber nachdem die Wiener Nationalversammlung am 12. November 1918 das nunmehr republikanische Deutschösterreich als Teil der Deutschen Republik konstituiert hatte, schrillten in Tirol die Alarmglocken. Dadurch offenbarten sich fundamentale Gegensätze in Fragen der staatsrechtlichen und außenpolitischen Ausrichtung. Dass Südtirol im Fall eines um Österreich vergrößerten Deutschen Staates verloren war, stand für die Tiroler Konservativen außer Frage. Aus den gegensätzlichen Interessenslagen in Innsbruck und Wien resultierte in der Folge nicht nur ein deutlich angespannteres bilaterales Verhältnis, sondern eine immer stärkere Verselbstständigung der Tiroler Politik, die mithin dazu überging, eigene diplomatische und außenpolitische Thinktanks zu etablieren. Zwei so genannte Informationsbüros,
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die im November 1918 in Innsbruck und Bern eingerichtet wurden, verfolgten das Ziel, die Tiroler Interessen unmittelbar und ohne große Absprachen mit Wien nach außen hin zu vertreten.64 In Innsbruck erfolgte unter der Leitung von Eduard Reut-Nicolussi die Erarbeitung von PR-Materialien, die über die Situation Südtirols informieren und auf die Gefahr einer Teilung des Landes aufmerksam machen sollten. In diesem Zusammenhang entstanden Bücher, Broschüren und vor allem auch für die Presse gedachte Informationsschriften in mehreren Sprachen. Ferner suchte die Innsbrucker Stelle einen kontinuierlichen Kontakt mit den besetzten Gebieten südlich des Brenners aufrechtzuerhalten und fungierte als Anlaufpunkt für Südtiroler Agenden. Die Materialien und Ergebnisse des Innsbrucker Thinktanks bildeten zugleich die Arbeitsgrundlage der Tätigkeit des in Bern amtierenden Informationsbüros, das von den zwei Südtiroler Juristen Walther Lutz und Otto von Guggenberg geleitet wurde. Es suchte die Idee einer neutralen Republik Tirol, die man gleichzeitig als einzige Möglichkeit zur Rettung der Landeseinheit sah, auf diplomatischem Wege zu promoten. Eine aktive Interessensvertretung im Ausland sollte Journalisten, Politiker und Diplomaten für die schwierige Tiroler Lage sensibilisieren. Das Eigenstaatlichkeits-Lobbying des Berner Büros stieß allerdings von Beginn an auf Schwierigkeiten. Zum einen waren es Kommunikationsprobleme, die die zeitnahe Verständigung mit Innsbruck bisweilen unmöglich machten, zum anderen arbeiteten die Südtiroler in Bern lediglich im Auftrag von Landeshauptmann Schraffl und – wie schon Michael Mayr anlässlich seiner Berner Mission – ohne offizielles Mandat des Tiroler Nationalrats. Unabhängig davon hatte sich die Situation noch im Laufe der Monate November/Dezember 1918 grundlegend verändert. Am 25. November sprach sich der Tiroler Nationalrat – wenn auch mit Vorbehalt – für eine Zugehörigkeit des Landes zur Republik Deutschösterreich aus, und die provisorische Tiroler Nationalversammlung bekräftigte diese Haltung am 21. Dezember 1918. Obwohl die Tiroler Volkspartei am 3. Dezember 1918 die Realisierung der Selbstständigkeit gefordert hatte, sah sie sich angesichts der Frontalopposition der anderen Parteien genötigt, in dieser Frage zurückzustecken.65 In der Folge verfestigte sich die Kritik, vor allem der Sozialdemokraten, an der Berner Informationsstelle. Ende Dezember 1918 entzog schließlich der Verfassungsausschuss der provisorischen Tiroler Landesversammlung dem Berner Informationsbüro das Handlungsmandat.66 Es blieb ein einfaches Büro ohne wirkliche Kompetenzen und Handlungsbefugnisse. Der November 1918 war in Tirol als unmittelbares Frontgebiet zunächst einmal durch die notgedrungen improvisierte Bewältigung des Zusammenbruches geprägt. Im Rahmen des als Konkordanzorgan konzipierten Tiroler Nationalrates arbeiteten die Parteien in dringenden sachpolitischen Fragen zusammen. Im Kriseninterventionsmodus zogen auch ideologisch weit
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voneinander entfernte Köpfe an einem Strang. In den Tagen und Wochen nach Kriegsende standen weniger ideologische und staatsrechtliche Erörterungen im Mittelpunkt, sondern ehedem praktische (Subsistenz-)Fragen. Während das schwierige Management des Kriegsendes und der sich akzentuierte Gegensatz zwischen Peripherie und Zentrum tendenziell einigend wirkten, brach dieser Konsens bald entlang traditioneller Konfliktlinien wieder auf. Die aus dem Gebot der Stunde resultierende Zurücksetzung von Partikularinteressen währte nicht lange. Zu unterschiedlich waren Interessen und Gewissheiten von Parteien und parteiinternen Lobbys in Fragen, die nach der unmittelbaren ‚Bewältigung‘ des Friedens ganz unwillkürlich anstanden. Etwa an der Südtirolfrage oder der damit verbundenen Anschlussproblematik schieden sich schon kurze Zeit nach dem Zusammenbruch die Geister. Italienische Besatzungsregime und -strategien Der Zusammenbruch von Front und Staat hatte wie selbstverständlich auch die an militärische und staatliche Institutionen gebundene Ordnung regelrecht hinweggefegt. Die überlieferten Stimmungsbilder des Zusammenbruchs erinnern stets an plündernde Soldaten, revoltierende Zivilpersonen und an den Geruch ‚verbrannter Erde‘. Die sich landauf landab wiederholenden Szenarien des regellosen Treibens und chaotischen Rückzugs figurierten als Metaphern einer zusammengebrochenen alten Ordnung. Neben den staunend durchlebten Wirren des militärischen Rückzugs war die militärische Okkupation für große Teile der Tiroler Bevölkerung das einprägsamste November-Erlebnis 1918. Die Vielfalt von gesellschaftlichen Besatzungserfahrungen und daraus resultierenden Haltungen lässt sich schwerlich auf eine allgemein gültige Formel bringen. Im Rahmen der bedrohlich und revolutionär erscheinenden Vorkommnisse infolge des militärischen Zusammenbruchs sah man die vorstoßenden italienischen Besatzungstruppen vielerorts durchaus als eine Art willkommenen Ordnungsfaktor. In Kuens nahe Meran harrte etwa „alles sehnsüchtig u[nd] hart auf [die] Ankunft der Italiener“67 und auch im Wipptaler Sterzing anerkannte man wertschätzend, dass es letztere waren, „die überhaupt halbwegs Ordnung ein[führen].“68 „Warum sollte es […] unter den Italienern, mit denen es bestimmt Berührungspunkte gibt, schlimmer sein?“, notierte Filomena Moroder noch am 1. Dezember 1918 in ihr Tagebuch, um hinzuzufügen: „Wir wurden in den letzten vier Jahren tatsächlich nicht verwöhnt und werden auch diese neue Herausforderung bestehen.“69 Diese Formen einer aus herrschenden Umsturzängsten resultierenden pragmatischen und moderat-kollaborativen Anfangshaltung waren durchaus nicht nur in
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bürgerlich-städtischen Kreisen vorhanden, wo man ein revolutionäres Aufbegehren von welcher Seite auch immer fürchtete und um sein Hab und Gut bangte. Sie entsprangen zum einen der tiefen Enttäuschung über den eigenen Staat bzw. das eigene k.u.k. Militär und waren zum anderen Ausdruck des Lawand-order-Bedürfnisses einer Zeit, in der sich gewohnte Ordnungsstrukturen und traditionelle Herrschaftsmuster unwiederbringlich aufzulösen schienen und große Verunsicherung herrschte. Positive Bezüge zur fremden Besatzungsmacht schuf auch ein erstes karitatives Engagement der Okkupanten aus dem Süden, die die vielfach bitter Not leidende Zivilbevölkerung in Südtirol mit Lebensmitteln und dem Nötigsten versorgten.70 So entstanden zweifellos vielerorts Kontaktzonen, in denen Bevölkerung und Besatzungssoldaten – in welcher Form auch immer – zueinanderfanden.71 Die Haltung der Bevölkerung gegenüber den italienischen Okkupanten war in Summe durchwegs ambivalent. Trafen vor allem die Fürsorgemaßnahmen des ehemaligen Feindes in vielen Fällen durchaus auf Zuspruch, verwehrte man sich andernorts der italienischen Versorgungspolitik und lehnte sie brüsk als nur allzu durchsichtige Köder-Strategie ab. Generell überwogen mit Blick auf die neue Ordnungsmacht langfristig wohl Distanz, Zurückhaltung und Ablehnung. Es war eine Tatsache, dass mit den Italienern nun ein ehemaliger ‚Feind‘ im Land stand, der – nach zeitgenössischer Überzeugung – die Monarchie im Mai 1915 ‚verraten‘ und sich Hals über Kopf ins gegnerische Lager verschlagen hatte. Davon unabhängig war die Tiroler Sicht auf ‚die‘ Italiener schon a priori und traditioneller Weise durch eine Brille von NegativStereotypen vorgezeichnet, die einen Umgang auf Augenhöhe erschwerte. Gab es auf italienischer Seite die politisch und militärisch ventilierte Order, die (deutschsprachige) Bevölkerung der neuen Besatzungsgebiete nicht zu verstören und möglichst zuvorkommend zu behandeln, fürchtete man hingegen zwischen Brenner und Salurn, dass jede Form der Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht eine Art Präjudiz schaffen und möglicher Weise die Eingliederung Südtirols in den italienischen Staat erleichtern konnte. Deshalb war die mehr oder weniger ausgeprägte Distanz allem Italienischen gegenüber ein weitverbreitetes Haltungsmuster, das – insbesondere auch unter den politischen Eliten – die gesamte Zeit der italienischen Besatzung in Südtirol charakterisierte.72 Als „rispettoso ma riservato“ – respektvoll aber reserviert – bezeichnete der Nachrichtendienst der italienischen Besatzungstruppen das Verhalten der Bevölkerung.73 „Gleichgültigkeit“ als Wesenszug kam auch dem engen Tolomei-Vertrauten Adriano Colocci-Vespucci mit Blick auf die Haltung der Südtiroler den Italienern gegenüber vor allem in den Sinn. „Sie dulden uns nur deshalb, weil sie überzeugt sind, dass wir bald wieder gehen werden.“74
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Über die bloßen gegenseitigen Ressentiments hinaus sorgten auch Unwissenheit und Missverständnisse auf beiden Seiten für häufige Irritationen und Fehlmeinungen. Die bis zum Brenner vorrückenden italienischen Besatzungssoldaten mussten etwa bald einsehen, dass sich die gesellschaftliche Wirklichkeit im Südtiroler Eisack- oder Wipptal von der stets auf dem Topos der „Erlösung“ einer unterdrückten Bevölkerung fokussierten InterventoPropaganda des Jahres 1915 grundlegend unterschied. „Die Italiener waren bei ihrer Ankunft voll Staunen darüber“, liest man etwa in der Pfarrchronik von Stilfes, „daß hier niemand italienisch spricht, also kein zu erlösendes Gebiet sei.“75 Zu enge Kontakte zwischen den Besatzern und der einheimischen Bevölkerung riefen vor allem die politischen und religiösen Eliten auf den Plan. Liebesbeziehungen zwischen Besatzungssoldaten und Tiroler Frauen trafen auf scharfe Kritik der konservativen Presse. Der Sturmlauf auf dieses im katholisch-konservativen Jargon als ‚Verrat‘ bezichtigte Verhalten eskalierte etwa in Innsbruck, als die Namen der entsprechend verdächtigten Frauen auf Plakaten in der ganzen Stadt angeschlagen wurden. Neben Beleidigungen und Diffamierungen kam es schließlich im Rahmen der Zurechtweisung der Frauen durch den so genannten „Bund der Dreißig“ – eine Art Klub militanter konservativer Moralwächter – auch zu einzelnen tätlichen Übergriffen.76 Die Besetzung der Territorien des gewesenen Kronlandes Tirol begann unmittelbar nach Inkrafttreten des Waffenstillstandes von Villa Giusti. Bald rückten italienische Besatzungstruppen nach Trient vor, wo sie von einem Meer an wehenden Tricolore-Fahnen empfangen wurden. Am 4. November 1918 standen die Truppen bereits in Salurn und rückten über den Mendelpass ins Vinschgau und nach Meran vor, wo sie sich tags darauf einrichteten. Über dieselbe Route erreichten erste Voraustruppen am 6. November Bozen, bevor am nächsten Tag die militärische Besetzung der Stadt erfolgte. In den darauf folgenden Tagen stießen die Besatzungstruppen durch das Eisack- und Wipptal gen Norden vor und erreichten am 10. November den Brennerpass.77 Die italienische Besatzung beschränkte sich allerdings nicht nur auf die Territorien diesseits der Waffenstillstandslinie, sondern ging weit darüber hinaus und betraf auch Teile Ost- und Nordtirols. Die Okkupation dieser Territorien war durch Artikel 4 des Waffenstillstandsvertrages von Villa Giusti gedeckt, der es Italien ermöglichte, Orte von strategischer und politischer Bedeutung in der ganzen Habsburgermonarchie zu okkupieren. Bereits am 8. November besetzten italienische Truppen dann Sillian und Teile des westlichen Osttirol, wo sie auch bis Mitte Mai 1920 verblieben.78 Das Gros der italienischen Besatzungstruppen stieß allerdings über den Brenner oder den Reschenpass Richtung Innsbruck vor, das sie am 23. November 1918 abends erreichten. Rund 5.000 italienische Soldaten waren
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Abb. 9
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Einzug der italienischen Besatzungstruppen in Innsbruck
allein in den ersten Tagen in Innsbruck unterzubringen. In der Folge zählte man in ganz Nordtirol zeitweise bis zu 22.000 Besatzungssoldaten. Dabei waren die Truppen vor allem in der Landeshauptstadt und diversen Bezirkszentren wie etwa Landeck und Imst stationiert.79 In Imst befand sich seit Ende November auch ein kleines Kontingent britischer Infanteriesoldaten, das während des Krieges an der Piavefront eingesetzt worden war. In Landeck hingegen war eine kleine französische Besatzungskolonie stationiert. Diese in quantitativer Hinsicht eher ‚symbolische‘ Präsenz nicht-italienischer Besatzungstruppen ist wohl im Kontext der zunehmenden Spannungen zwischen den Ententemächten zu sehen.80 Neben den Besatzungstruppen der Alliierten befanden sich vorübergehend allerdings auch bayrische Truppen in Tirol. In der kritischen Phase zwischen dem Waffenstillstand von Villa Giusti und jenem von Compiègne zwischen dem Deutschen Reich und den Westmächten (11. November) bestand in Tirol die latente Gefahr einer deutsch-italienischen militärischen Konfrontation. Schon im Vorfeld des sich bereits abzeichnenden Waffenstillstandes zwischen der Donaumonarchie und Italien war die Frage eines bayrischen Einrückens nach Tirol virulent und von den deutschen zivilen und militärischen Stellen in Erwägung gezogen worden. Nachdem Österreich-Ungarn kein militärischer Faktor mehr war, ging es um den Schutz der deutschen Grenze gen Süden. Besonders in München glaubte man, „daß die Südgrenze Bayerns und damit
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die Südgrenze Deutschlands am besten weit ab von dieser Grenze selbst gesichert wird.“81 Es war allerdings der Tiroler Nationalrat selbst, der aufgrund der kritischen Lage im Land eindringlich an die deutsche Regierung appelliert hatte, Truppen und Verpflegung nach Tirol zu entsenden. Aufgrund der unterschiedlichen Einschätzung der Lage durch die politischen und militärischen Entscheidungsträger – während militärische Stellen auf eine Intervention drängten, bremste insbesondere die neue deutsche Reichsregierung – erfolgte der Einmarsch nach Tirol allerdings erst am 6. November. Am Abend desselben Tages erreichten die Truppen Innsbruck. Inzwischen hatte sich die Tiroler Haltung gegenüber einer deutschen Intervention aber grundlegend gewandelt. Weil die nach Norden gerichteten Hilferufe aus Tirol unbeantwortet geblieben waren, hatte man sich dort im Rahmen der bereits erwähnten Mission Mayr schon an die Entente gewandt und um eine Besetzung des Landes gebeten. Als sich der deutsche Einmarsch dann schließlich konkretisierte, wollte man davon in Tirol aber nichts mehr wissen. Man befürchtete, dass „Nordtirol Kriegsgebiet und dadurch ganz vernichtet werden [würde].“82 Die Tiroler Bedenken verhallten allerdings ungehört. Um die Innsbrucker Politiker, diese, so der bayrische General Konrad Krafft von Dellmensingen, „wetterwendische Gesellschaft und ihre Sonderinteressen“83 brauche man sich nicht weiter zu kümmern. Im Falle eines Widerstandes gegen den bayrischen Einmarsch in Tirol waren die „Truppen angewiesen, sich mit Waffengewalt den Weg zu bahnen.“84 Dazu kam es allerdings nicht. Von Innsbruck aus stieß ein Teil der Truppen Richtung Brenner vor; von dort aus drangen Einheiten des 9. Infanterieregimentes nach Franzensfeste vor und besetzten die dortige Festung. Gleichzeitig hatten am 8. November italienische Besatzungstruppen Brixen erreicht und bereits angekündigt, nach Franzensfeste vorstoßen zu wollen. Italienische und bayrische Truppen standen sich in unmittelbarer Nähe gegenüber. Weil sich die deutschen Truppen am 9. November nach und nach Richtung Norden zurückzogen, konnte letztlich ein militärischer Zusammenstoß vermieden werden. Am 10. November erreichte die deutschen Truppen die Order, den Grenzschutz auf bayrisches Staatsgebiet zurückzuverlegen. Einerseits war durch den bevorstehenden Waffenstillstand von Compiègne jedes weitere militärische Engagement obsolet geworden, und andererseits war auch Bayern, wo inzwischen der Sozialdemokrat Kurt Eisner als Ministerpräsident der neuen „Republik Bayern“ amtierte, von revolutionären Unruhen erschüttert worden. In der Folge räumten die Bayern am 12. November Innsbruck; am 15. November verließen die letzten Einheiten Tirol. Damit hatte das zehntägige bayrische Intermezzo im Land sein Ende gefunden. Schon Tage zuvor, am 10. November, hatten italienische Truppen den Brenner erreicht und damit das gesamte Gebiet südlich der Waffenstillstandslinie
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besetzt. Mit Blick auf die Ziele der Okkupation und den Charakter ihrer administrativen und machtpolitischen Ausgestaltung konstituierte die italienische Präsenz verschiedene Besatzungsräume mit unterschiedlichen Charakteristiken – gewissermaßen dreierlei Besatzungsregime. Es bestand kein Zweifel darüber, dass das italienischsprachige Trentino als risorgimentale Langzeitforderung und einer der vorgeblichen Hauptgründe, warum die Apenninenhalbinsel in den Krieg eingetreten war, in das italienische Königreich einverleibt werden sollte. In ähnlicher Weise schien mehr oder weniger unstrittig, dass es sich bei der Besetzung jenseits der Waffenstillstandslinie, in Nordtirol, nur um eine temporäre Okkupation – eine Besatzung auf Zeit – handeln konnte. Die zentrale Aufmerksamkeit der italienischen Besatzung galt nicht zuletzt deshalb Südtirol. Im Londoner Geheimvertrag noch Italien zugesprochen, widersprach eine Grenze am Brenner allerdings der Wilsonschen Idee nationaler Selbstbestimmung und der in den 14 Punkten festgehaltenen Vorgabe, dass „the frontiers of Italy should be effected along clearly recognizable lines of nationality“.85 Ob Südtirol Italien zugeschlagen oder einer anderen territorialen Lösung anheimfallen würde, war für beide Seiten noch nicht absehbar und konnte nur von den Siegermächten in Paris definitiv entschieden werden. Insofern ging es für Italien vor allem darum, Fakten zu schaffen, die eine Integration Südtirols in den italienischen Staat möglichst vorwegnahmen. Während die anvisierte Grenze am Brenner ein scheinbar unverrückbares Fixum der italienischen Territorialpolitik nach Kriegsende darstellte, schieden sich auf der Ebene der konkreten (Besatzungs-)Politik die Geister an den Fragen danach, wie dieses Ziel zu erreichen und welcher Zugriff auf die deutschsprachige Bevölkerung opportun war.86 Die Besetzung Südtirols war politisch von der Regierung Vittorio Emanuele Orlando geprägt, die bis zu ihrer Demission Ende Juni 1919 die politischen Rahmenbedingungen der militärischen Okkupation vorgab – oder zumindest vorgeben hätte sollen. Unter Orlandos Nachfolger Francesco Saverio Nitti wurde die militärische Besatzung schließlich im Juli 1919 in die neue Zivilverwaltung überführt. Der neunmonatigen militärischen Okkupation Südtirols – und des Trentino – lag allerdings kein kongruentes politisches Besatzungskonzept zugrunde. Das lag zum einen daran, dass dem italienischen Staat weitgehend die Erfahrung im Umgang mit nationalen Minderheiten fehlte. Die Situation traf die Behörden, die sich mit der neuen Lage erst vertraut machen mussten, unvorbereitet und überforderte sie. Zum anderen resultierte das wenig koordinierte, vielfach uneinheitliche und teilweise sogar widersprüchliche Vorgehen der staatlichen Behörden auch aus den beträchtlichen Auffassungsunterschieden, die mit Blick auf die Art und Weise der staatlichen Penetration in den besetzten Territorien herrschten. Innerhalb der Regierung Orlando
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wurde der in territorialpolitischen Fragen eher gemäßigte Flügel des Ministerpräsidenten von den Anhängern eines aggressiveren Nationalismus flankiert, den insbesondere Außenminister Sidney Sonnino repräsentierte. Dieser politische Antagonismus spiegelte sich im Kleinen auch in der Ausgestaltung der Besatzungspolitik vor Ort in Südtirol wider. Der nationale Hardliner Ettore Tolomei, der dem imperialistischen Nationalismus Sonnino’scher Prägung zuzurechnen ist, zielte auf eine unmittelbare und rasche Entnationalisierung der deutschsprachigen Südtiroler. Mit einem Regierungsmandat ausgestattet ging Tolomei als Leiter eines neu geschaffenen Commissariato per la lingua e cultura dell’Alto Adige daran, sein ehrgeiziges Ziel – aus den deutschsprachigen Südtirolern baldmöglichst ‚vollwertige‘ Italiener zu machen – zu verwirklichen. Seinen realpolitisch mächtigeren Gegenspieler fand Tolomei in Militärgouverneur Guglielmo Pecori Giraldi, der an der Spitze der militärischen Besatzung stand und eine betont konziliante Politik verfolgte, die – umsichtig agierend – auf Verständigung mit der lokalen Bevölkerung aus war. Pecori Giraldi stemmte sich erfolgreich gegen die ersten Maßnahmen Tolomeis, die vor allem auf eine Italianisierung der Ortsnamen zielten. Nach mehreren heftigen Kontroversen verfügte der Militärgouverneur schon im Dezember 1918 die Auflösung des Kommissariats. Diese Maßnahme fand zwar nicht die Zustimmung der Regierung – insbesondere Sonninos –, führte allerdings dazu, dass das Kommissariat dem militärischen Oberkommando unterstellt wurde. Damit wurde Tolomei, der vorerst in entscheidender Weise an Einfluss und Gestaltungsmöglichkeit verlor, in die Schranken gewiesen. Zumindest bis zu Wilsons Zusicherung der Brennergrenze Ende April 1919 war die Politik Orlandos näher an der Haltung der Militärs in Südtirol als jener der imperialistisch orientierten Nationalisten. Der Ministerpräsident hatte mehrmals ein bedachtes, umsichtiges Vorgehen der Besatzung in Südtirol angemahnt, changierte allerdings an seinen Taten gemessen zwischen Zuckerbrot (Aufforderungen zu einer minderheitenfreundlichen Vorgangsweise) und Peitsche (Tolomei). Unabhängig von den sich doch deutlich von extremeren Positionen unterscheidenden Haltungen in Territorial- und Minderheitenfragen war die Vorsicht, die das italienische Besatzungsregime in Südtirol zumindest bis zu Wilsons Zusicherung walten ließ, auch strategisch bedingt. Ein mit Bedacht agierendes Besatzungsregime sollte nach außen hin eine zuvorkommende Behandlung der deutschen Minderheit signalisieren. Auf diese Weise suchte man eventuelle Irritationen und Vorbehalte der Alliierten gegen eine Brennergrenze auf ein unvermeidliches Minimum zu reduzieren und jede Diskussion um die Verankerung eines Minderheitenschutzes im künftigen Friedensvertrag im Keim zu ersticken. So unterschiedlich Mittel und Wege der Südtirol-Politik in den Monaten des Besatzungs-Intermezzos auch
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gewesen sein mögen: Radikale und gemäßigte Vorstellungen fanden in der finalen Nationalisierung der Südtiroler ihren kleinsten gemeinsamen Nenner. Tolomeis Konzept einer raschen Entnationalisierung ohne Umschweife unterschied sich zwar fundamental von gemäßigteren nationalen Positionen, aber selbst in Pecori Giraldis Vision einer penetrazione pacifica stand am Ende ein – wenn auch bevorzugt auf friedliche Weise – italianisiertes Land. Dasselbe Ziel vor Augen unterschied man sich – allerdings grundsätzlich und über weite Strecken konfrontativ – in der Wahl von Mitteln und Wegen. Ob nun unter den regierungsverantwortlichen politischen Eliten oder in den militärischen Führungskadern: Man tat „sich schwer damit, sich einen Nationalstaat vorzustellen, in dem dauerhaft anderssprachige Gemeinschaften leben.“87 Neben den skizzierten Auffassungsunterschieden und strategischen Erwägungen waren dem Vorgehen der Besatzungsmacht auch durch die Bestimmungen des Waffenstillstandes von Villa Giusti und aufgrund der Haager Landkriegsordnung enge Grenzen gesetzt. Weitgehendere Eingriffe in das althergebrachte Verwaltungssystem waren völkerrechtlich verboten, und die Maßnahmen der Militärs hatten das weiterhin gültige österreichisch-ungarische Recht zu respektieren. Das vorsichtig agierende italienische Besatzungsregime vermied generell nationalistisch motivierte Hau-Ruck-Maßnahmen, wie sie etwa Ettore Tolomei forderte. Von der Absetzung einiger dezidiert antiitalienisch ausgerichteter Lokalverwalter einmal abgesehen, kam es deshalb im Bereich der untergeordneten Verwaltung zu keinen größeren personellen Eingriffen. Allein die Spitzen der fünf Südtiroler Zivilkommissariate, die an die Stelle der Bezirkshauptmannschaften rückten, wurden mit Trentinern besetzt, auf die Pecori Giraldi wegen ihrer Sprachkompetenzen und der Vertrautheit mit Land und Leuten bevorzugt zurückgriff. Letztere Maßnahme verstieß allerdings klar gegen die Waffenstillstandsbedingungen.88 Auch die im Schulbereich getroffenen Maßnahmen, die im allgemeinen auf einen Ausbau des Italienischunterrichts in den Gemeinden mit höherem Italieneranteil im Südtiroler Unterland zielten, waren zunächst eher vorsichtig gehalten. Hingegen kam es etwa in der Eisenbahnverwaltung zu zahlreicheren Entlassungen deutschsprachiger Bediensteter. Letztere wurden ohne Wissen des Militärgouverneurs und entgegen anderslautender Direktiven der Regierung auf ministerielle Anweisungen hin getroffen. In Ermangelung einer allgemein verbindlichen offiziellen politischen Linie versinnbildlichen sie gleichsam das schwankende, unkoordinierte Vorgehen verschiedener staatlicher Akteure in besatzungspolitischen Agenden. Das infolge dieser Politik entstandene administrative Durcheinander stieß bei der betroffenen Bevölkerung von Beginn an auf Kritik. Neben den missliebigen Begleiterscheinungen, die die Besatzung naturgemäß mit sich
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brachte, wie etwa die Abriegelung der Grenze am Brenner und die unterbrochene Kommunikation mit dem Nordtiroler Landesteil oder auch die strengen Zensurmaßnahmen, nahm sich die flatterhafte Politik des Staates in den Augen der Bevölkerung bald als eine spezifisch italienische Form der Misswirtschaft aus. Nicht nur in Südtirol, sondern auch im Trentino traf die Besatzung auf alles andere als ungeteilte Zustimmung. Dem Nachrichtendienst der italienischen Besatzungstruppen zufolge war die Bevölkerung „nach der ersten Begeisterung“ bereits Ende 1918 „entmutigt und zutiefst unzufrieden“.89 Die Kritik konzentrierte sich im Wesentlichen auf zwei Bereiche: Zum einen wurde die italienische Besatzung im Rahmen der anlaufenden Wiederaufbau-Maßnahmen, die für das Trentino als ehemaliges Frontgebiet besonders wichtig waren, rasch mit dem Vorwurf der Ineffizienz konfrontiert. Im medialen Diskurs wurde der vermeintlich ineffektiven italienischen Verwaltung häufig ein idealisiertes habsburgisches buongoverno gegenübergestellt. Damit teilweise zusammenhängend entspann sich im politischen Diskurs auch eine langanhaltende Debatte rund um die Erhaltung autonomer Kompetenzen auf regionaler und lokaler Ebene. In diesem sich eröffnenden Spannungsfeld zwischen etatistischer Verwaltungsdoktrin und selbstverwalterischen Traditionen schlugen sich die maßgeblichen Kreise der Trentiner Politik – Katholiken wie Liberalnationale – auf letztere Seite. Im Gegenzug mussten sich die Protagonisten des so genannten Trentinismo den römischen Vorwurf einer unpatriotischen Haltung gefallen lassen. Besonders offensichtlich war die Frustration unter den Trentiner popolari, deren Leader Alcide De Gasperi das italienische Regierungssystem vor Ort gar als „kolonial und fast immer antidemokratisch“ bezeichnet hatte.90 Dabei war nicht nur das Verhältnis zur Zentralregierung ziemlich gespannt, sondern auch die Beziehungen zu Militärgouverneur Pecori Giraldi. Im Rahmen der Besatzungsverwaltung hatte er vornehmlich auf nationalliberale Kräfte zurückgegriffen und so die vor allem am Land dominierenden Katholiken ins öffentliche Abseits gestellt. Der Charakter der italienischen Besatzung im Trentino und in Südtirol unterschied sich in fundamentaler Weise von der Okkupationspraxis in Nordtirol. Südlich des Brenners wurde die Besatzung staatlicherseits als erster Schritt hin zur definitiven italienischen Inbesitznahme der Territorien begriffen. Dementsprechend kapillar hatte sich das Netz der Besatzungsadministration über das Land gelegt. An der Spitze der militärischen Besatzungsverwaltung stand General Guglielmo Pecori Giraldi, der am 3. November 1918 zum Militärgouverneur ernannt wurde und dieses Amt bis zur Auflösung der Besatzung im Juli 1919 ausübte. Der Gouverneur war in Fragen der zivilen Verwaltung dem Generalsekretariat für zivile Angelegenheiten unterstellt, das als eine Art Clearingstelle zwischen zivilen und militärischen Zentralstellen und
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Abb. 10 Militärgouverneur Guglielmo Pecori Giraldi (Bildmitte) in Innsbruck
den untergeordneten Behörden vor Ort funktionierte. Mit der konkreten Besatzungsverwaltung waren so genannte Zivilkommissare betraut, die an die Stelle der habsburgischen Bezirkshauptmänner traten.91 Die Besatzungsmacht übte nicht nur die militärische Kontrolle über die Territorien aus und fungierte als zentrale Instanz zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit, sondern wurde auch mit der provisorischen Exekutive und zivilen Administration betraut, die allerdings an die Bestimmungen des Waffenstillstandes und völkerrechtliche Regeln gebunden waren. In Nordtirol hingegen beschränkte sich die auf gewisse strategische Orte und – zumeist städtische – Brennpunkte konzentrierte Besatzungspräsenz in der Regel auf die Wahrung der öffentlichen Sicherheit; die gesamte Verwaltung des Landes verblieb bei den angestammten Behörden.92 Während aber die militärische Besatzung südlich des Brenners im Sommer 1919, als eine Annexion der entsprechenden Gebiete bereits in trockenen Tüchern schien, in die Zivilverwaltung überführt wurde, blieb die italienische Besatzung in Nordtirol vorerst aufrecht. Nach der Unterzeichnung des Vertrages von Saint Germain wurde das italienische Besatzungskontingent schließlich sukzessive reduziert. Im Februar 1920 nahm in Innsbruck eine neu geschaffene Militärmission ihre Arbeit auf, der nur mehr geringe militärische Kräfte beigestellt wurden. Im Oktober 1920 endete die italienische Besetzung Nordtirols, die italienische Militärmission wurde am 1. Dezember desselben Jahres aufgelöst.93
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Von einer anfänglich militärischen Motivation und offensichtlichen Prestigegründen einmal abgesehen führte sich der relativ lange Verbleib italienischer Besatzungstruppen in Innsbruck wiederum auf ein strategisches Kalkül zurück.94 In der italienischen Lesart war Innsbruck eine Art Agitationszentrum, in dem die Fäden der Nachkriegs-Südtirolpolitik zusammenliefen. Die Tiroler Landeshauptstadt schien, um es mit Militärgouverneur Pecori Giraldi zu sagen, „das Herz und das Hirn aller Deutschen in Tirol“ zu sein.95 Dementsprechend erschien die verlängerte Besatzungspräsenz aus italienischer Sicht durchaus sinnvoll. Ähnlich wie in Südtirol herrschten auch in Nordtirol unterschiedliche Ansichten über Möglichkeiten und Grenzen der Ausübung von Besatzungsherrschaft und der ihr inhärenten langfristigen Ziele. Mit Blick auf die Möglichkeiten der italienischen Präsenz in Nordtirol ging die eine oder andere italienische Vision weit über das Konzept einer rein auf das Moment der öffentlichen Sicherheit bedachten oder primär informativ-observativ verstandenen Okkupation hinaus. Insbesondere der italienische Konsul in Innsbruck, Tito Chiovenda, forderte von der römischen Regierung ein aggressiveres und entschiedeneres Vorgehen. Die schwierigen politischen und von Hunger geprägten Verhältnisse in Tirol wären, so Chiovenda, geradezu ideale Rahmenbedingungen für eine bestimmtere Machtpolitik, die den italienischen politischen, aber auch ökonomischen Einfluss in ganz Österreich verstärken könnte. Italienische Banken sollten sich in Tirol niederlassen, Kapital aus dem Süden vor allem in der Wasserwirtschaft, am Immobilienmarkt sowie im Handel strategisch platziert und gezielt eingesetzt werden. Dementsprechend enttäuscht war Chiovenda aber, als sich schließlich 1920 das Ende der italienischen Besatzungszeit abzeichnete. Der Abzug der italienischen Truppen, so Chiovenda, sei eine vertane Chance und könne nach außen hin nur als Zeichen der Schwäche interpretiert werden.96 Die Beziehungen zwischen Besatzungstruppen und Tiroler Bevölkerung hatten sich seit Wilsons Schiedsspruch im April 1919 und insbesondere seit der Unterzeichnung des Vertrages von Saint Germain merklich verschlechtert.97 Wie ist also die italienische Besatzungspolitik – insbesondere jene in Südtirol – abschließend zu bewerten? Betrachtet man die Maßnahmen des italienischen Besatzungsregimes vergleichend, springt zuallererst – und unabhängig davon, welcher Motivation sie geschuldet waren – das im allgemeinen sehr zurückhaltende und umsichtige Vorgehen ins Auge. Diese Aussage lässt sich etwa im Rahmen eines inneritalienischen Vergleichs mit Blick auf das viel aggressivere italienische Besatzungsgebaren im Triester Raum treffen. Hier kam es zu häufigen militärgerichtlichen Verurteilungen, zu zahlreichen Entlassungen im Öffentlichen Dienst, Landesverweisungen und Internierungen, die ihren Ursprung in der politisch umkämpfteren
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Gesamtlage im Adriatico sowie in tief verankerten antislawischen Ressentiments hatten. Die italienische Besatzungspraxis im Osten nahm sich zweifellos ungleich radikaler aus als in Tirol.98 Aber auch beispielsweise die französische Besatzungspolitik im Rheinland99 oder in Elsass-Lothringen, wo man die Franzosen im November 1918 noch stürmisch begrüßt hatte, ging ungleich rücksichtsloser vor als die italienische in Südtirol. Vor allem die im Elsass praktizierte „assimilation a chaud“ führte zur Umsetzung einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die das Land raschestmöglich französisieren sollte. Infolge einer Klassifizierung in national Verlässliche und Unzuverlässige erfolgte die Ausweisung oder Internierung Zehntausender Menschen. Die höhere und mittlere Verwaltung wurde in personeller Hinsicht beginnend mit November 1918 französisiert und nach zentralistischen Vorgaben reorganisiert.100 Rund 11.000 meist deutsche Beamte wurden ausgewiesen oder waren nach Kriegsende ausgewandert und großteils durch Kräfte aus dem französischen Kernland ersetzt worden. Die Verwaltung wurde noch im November 1918 auf Französisch umgestellt, das seit Februar 1919 auch als Gerichtssprache galt. Schließlich wurde Französisch als ausschließliche Unterrichtssprache eingeführt, und zahlreiche einheimische Lehrer wurden wegen antifranzösischer Äußerungen sogar in Lagern interniert. Die Einführung der französischen Ortsnamen erfolgte umgehend. All diese Maßnahmen wurden innerhalb weniger Monate nach Kriegsende umgesetzt.101 „Wer im Dezember 1918 die elsaß-lothringischen Städte besuchte, fand rein kaum noch Spuren der deutschen Vergangenheit.“102 Insgesamt glich die französische Besatzungspolitik 1918/19 einem „program of intense assimilation aimed at transforming Alsatians into good and proper French citizens.“103 Diese Maßnahmen der Franzosen in Elsass-Lothringen sind in ihrer Schärfe zumindest teilweise durchaus mit dem radikalnationalen Programm Ettore Tolomeis vergleichbar, dem sich hingegen die italienische Besatzungsmacht in Südtirol stets verwehrt hatte.
Kapitel 3
Die Quadratur des Kreises: Nachkriegspolitik Parteipolitische Gehversuche Von der politischen Desorientierung, die nach dem abrupten Ende der Habsburgermonarchie im Land um sich gegriffen hatte, war bereits die Rede. Gerade in den Führungseliten der politischen Parteien herrschte angesichts der Tatsache, dass sich die Ereignisse im November 1918 geradezu überstürzt hatten, große Unsicherheit. Die Notwendigkeit, sich rasch auf die neuen Rahmenbedingungen umzustellen, überforderte die politischen Akteure nicht selten. Das sprichwörtliche politische Neuland stellte dabei vor allem für jene bäuerlich-bürgerlichen politischen Kräfte eine große Herausforderung dar, die das Volk bisher wie selbstverständlich durchherrscht und als Opinionleader den Ton angegeben hatten. Die erwähnten neuen Rahmenbedingungen waren – nördlich des Brenners – zuallererst durch das infolge des Umbruchs entstandene Machtvakuum geprägt. Der gemeinsam mit dem Staat zusammengebrochene Kanon an verinnerlichten Gewissheiten fand in der Republik, die von Beginn an mit großen Akzeptanzproblemen kämpfte, zunächst keinen entsprechenden Ersatz. Der Tiroler Nationalrat hatte sich zwar für die republikanische Staatsform ausgesprochen, die Zugehörigkeit des Landes zur neuen Wiener Kleinrepublik aber lediglich unter Vorbehalt akzeptiert. Erst ein neu gewählter Landtag könne, so die Argumentation, über die definitive Zugehörigkeit des Landes befinden. Der Republik selber haftete im äußersten Westen der ehemaligen k.u.k. Monarchie der Beigeschmack eines nicht wirklich zukunftsträchtigen, labilen Gebildes an, dem man keinen endgültigen Charakter zusprechen mochte. Man sah in ihr alles andere als der Weisheit letzter Schluss. Gemeinsam mit der Tatsache, dass das Land vom Krieg schwer gezeichnet war und sich italienische Besatzungstruppen in Tirol befanden, erschwerte zunächst die schwelende Unsicherheit mit Blick auf die staatsrechtliche Zukunft die Normalisierung des politischen Lebens. Ungleich schwieriger gestaltete sich allerdings das politische Leben in Südtirol, wo das italienische Besatzungsregime im Unterschied zu Nordtirol das gesamte zivile Leben dominierte. Politische Gestaltungsmöglichkeiten und Einflusssphären waren auf ein Minimum reduziert. Galt also in den Tiroler Gebieten bis zur Waffenstillstandslinie das absolute Primat der militärischen Besatzung, übernahmen im nördlichen Tirol und in Vorarlberg
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provisorische Nationalräte das politische Ruder – gebildet nach dem Muster von Konzentrationsregierungen, die mit Vertretern aller Parteien bestückt wurden. Die parteiübergreifende politische Bindekraft dieser – man könnte sagen – Notfall-Einrichtungen war am Höhepunkt der außerordentlichen Herausforderungslage in den chaotischen ersten Novembertagen und -wochen am stärksten und nahm in der Folge in jenem Maße ab, wie sich das politische Leben wieder zu normalisieren begann. Im Zuge dieser Stabilisierung bahnten sich parteispezifische Egoismen wieder stärker ihren Weg, und die Parteien agierten zunehmend nach der Logik ihres Rollenverständnisses als gestaltende oder oppositionelle Kräfte. Die unterschiedlichen Rahmenbedingungen schufen mit Blick auf die Reorganisation der politischen Parteien verschiedene Ausgangslagen und differente politische Räume. Trotz aller Probleme griff der Demokratisierungsprozess etwa in jenem Teil Tirols, der bei Österreich verblieb, früher und entschiedener. Im Dezember 1918 wurde der Tiroler Nationalrat durch die Provisorische Landesversammlung als höchste gesetzgebende Instanz ersetzt, und bereits am 15. Juni 1919 fanden in Tirol die ersten Landtagswahlen nach dem Krieg statt. Wenige Wochen zuvor, am 27. April 1919, hatten auch die Vorarlberger ihre Volksvertretung neu gewählt. Erstmals wurden die Regionalparlamente auf der Basis des freien und gleichen Wahlrechtes bestellt, das bald auch auf lokaler Ebene Anwendung fand.1 Das alte Kurienwahlrecht war damit Geschichte. Und mit der Sozialdemokratin Maria Ducia zog die erste Frau in den Tiroler Landtag ein. In Südtirol hingegen fanden die ersten Wahlen nach dem Krieg – es handelte sich um Parlamentswahlen – erst im Mai 1921 statt. Das italienische Wahlrecht schloss Frauen weiterhin vom aktiven und passiven Wahlrecht aus. Es wurde in Italien erst im Jahr 1946 vollinhaltlich realisiert. Auch die 1914 noch nach dem alten Kuriensystem gewählten Gemeinderäte hatten in Südtirol in der Regel noch bis zur ersten Gemeinderatswahl nach dem Krieg im Januar 1922 Bestand.2 Schließlich wurden in diesen ersten Nachkriegsjahren auch schon die Konturen einer in mehrfacher Hinsicht gespaltenen Erinnerungskultur des Krieges sichtbar. Die Bezugnahme auf den zu Ende gekommenen Krieg geschah in Innsbruck und Bregenz auf eine Art, in Bozen auf eine andere und in Trient auf eine dritte Weise. Im deutschsprachigen Tirol nahm man Zusammenbruch und Niederlage als traumatische Ereignisse wahr, an deren Charakter als einschneidende Negativ-Zäsur es nichts zu deuteln gab. Unmittelbar nach Kriegsende entstanden in Tirol die ersten Kriegerdenkmäler. Bis Ende des Jahres 1920 wurden im österreichischen Teil des Landes insgesamt 51 Gefallenendenkmäler errichtet. Meist handelte es sich um einfache und bescheiden gehaltene, im Kircheninnenraum errichtete Tafel-Denkmäler
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aus Holz oder Marmor. Eine heldisch verklärte Kriegserinnerung setzte dann verstärkt ab Anfang/Mitte der 1920er Jahre ein.3 Damit veränderte sich auch der ikonographische Mainstream hin zu immer pompöseren Denkmälern, die vor allem in den 1930er Jahren das vermeintliche Heldentum der Soldaten im Krieg in den Vordergrund rückten. Anders als in Nord- und Südtirol durfte man sich schließlich im Trentino den Siegern zugehörig fühlen. In Wirklichkeit lagen die Dinge aber auch hier komplizierter. Zwar nicht so offensichtlich wie in Südtirol, klafften dennoch auch im Trentino die staatlich forcierte offizielle Erinnerungskultur des Krieges und das lokale oder private Gedenken beträchtlich auseinander. Während erstere vor allem die Leistungen jener wenigen volontari trentini hervorhob, die sich während des Krieges in das italienische Heer einreihen hatten lassen – mit Cesare Battisti als eine Art Vorzeige-Märtyrer an der Spitze –, entwickelte sich in den Trentiner Landgemeinden ein unspektakuläres Gedenken an den Krieg, das sich vornehmlich an den vielen eigenen Gefallenen in k.u.k. Montur orientierte. Ein trauerndes Gedenken, das mit der Heldenrhetorik des offiziellen italienischen Kriegsgedächtnisses kaum kompatibel war – zumal sie aus italienischer Sicht auf der falschen Seite der Front gekämpft hatten.4 Das waren die allgemeinen Rahmenbedingungen, mit denen sich die politischen Parteien in den Territorien des ehemaligen Kronlandes TirolVorarlberg nach dem Krieg auseinanderzusetzen hatten. Dabei lassen sich einige bezeichnende Auffälligkeiten beobachten. Erstens sticht zunächst die Beharrungskraft des schon vor dem Krieg dominanten politischen Katholizismus ins Auge, dem, vor allem an den Wahlergebnissen gemessen, weiterhin die Funktion eines politischen Hegemons zukam. Bei den Landtagswahlen im Juni 1919 entfielen auf die Tiroler Volkspartei rund 66 Prozent der Stimmen, die auf diese Weise 38 der insgesamt 56 Mandate erringen konnte. In ähnlich dominanter Weise hatten die Christlichsozialen mit rund 64 Prozent der Stimmen die im April 1919 stattgefundenen Vorarlberger Landtagswahlen gewonnen. Mit einem Stimmenanteil von jeweils rund 19 Prozent waren die Sozialdemokraten in Tirol und Vorarlberg zwar als starke zweite Kraft im Aufwind begriffen, konnten die Dominanz der bürgerlichen Politik aber zu keinem Zeitpunkt auch nur annähernd gefährden.5 In Südtirol, wo erst im Jahr 1921 Parlamentswahlen stattfanden, erreichte der Deutsche Verband (DV) als Dachorganisation der bürgerlichen Parteien rund 90 Prozent der Stimmen und stellte damit alle Südtiroler Parlamentarier in Rom. Und auch im Trentino reüssierte die bereits vor dem Krieg dominante Volkspartei, die so genannten popolari unter der Führung von Alcide De Gasperi. So sehr sich auch die Welt rundum gewandelt und das politische Wien und Rom verändert hatten, in den Tiroler Territorien überwog in parteipolitischer Hinsicht die Kontinuität
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der alten Eliten, die gewissermaßen alte Politik durch neue Schläuche laufen ließen.6 Trotz dieser offensichtlichen Dominanz des bürgerlich-bäuerlichen Lagers tat sich die TVP als neue politische Sammelbewegung schwer, unmittelbar eine verbindliche und zielgerichtete Nachkriegspolitik zu entwickeln. Letzterer stand der inhaltliche Dissens im Weg, den mehrere innerparteiliche Bruchlinien verkörperten, etwa zwischen (alten) Monarchisten und (neuen) Republikanern oder zwischen den Anhängern der verschiedenen Parteiflügel. Die weniger klerikal und primär wirtschaftspolitisch orientierte Politik des Bauernbundes als stärkste TVP-Lobby unterschied sich in konkreten Sachfragen vielfach grundlegend von der Ausrichtung der anderen Parteigliederungen, etwa des katholisch-konservativ geprägten Tiroler Volksvereins. Dementsprechend glich die Performance der TVP in den ersten Monaten nach dem Krieg eher einem vielstimmigen Ensemble, das eine kohärente Politik meist vermissen ließ. Allein die zögerlich-zurückhaltende Position mit Blick auf das Südtirolproblem, die realpolitisch auf das engste mit der Anschlussfrage verwoben war, veranschaulicht die offensichtlichen Schwierigkeiten der Partei, mit einer Stimme zu sprechen. Ursprünglich hatte man – vor allem auch im Rahmen des Berner Informationsbüros – die Idee einer unabhängigen Republik Tirol favorisiert und im Dezember 1918 öffentlich auch die Selbstständigkeit Tirols gefordert. In Anbetracht der Gegnerschaft der anderen Parteien, der Wiener Regierung, aber auch der internen Meinungsverschiedenheiten und Machtkämpfe nahm die Partei ihre Haltung aber schrittweise zurück. Während maßgebliche Kreise des Bauernbundes, wo man „von allem, was Österreich heißt und geheißen hat […] bis zum Halse herauf genug“7 hatte, einem Anschluss durchaus nicht abgeneigt waren, formierten sich die Anschlussgegner im katholisch-konservativen Flügel und – aus nachvollziehbaren Gründen – unter den Südtiroler TVP-Vertretern.8 Auch wenn die Wahlerfolge überschaubar blieben und angesichts der Dominanz der Volkspartei die Sozialdemokraten realpolitisch nur eine marginale Rolle spielten, mischte der Epochenbruch von 1918 die politischen Karten neu. Infolge der allgemeinen Demokratisierung im Sog der Republiksgründung und der Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts gewann die Sozialdemokratische Partei auch in Tirol an Bedeutung und konnte vor allem in der unmittelbaren Nachkriegszeit ihre neue Rolle selbstbewusst zur Geltung bringen. Im Vergleich mit den Reichsratswahlen von 1911 erreichte sie im Rahmen der Wahlen zur Konstituierenden Nationalversammlung mit 21.8 Prozent eine Verdoppelung der Wählerstimmen. Und infolge des respektablen Ergebnisses bei den Wahlen zur provisorischen Tiroler Landesversammlung im Mai 1919 (18,9 Prozent) konnte die Partei nun 11 Mandatare in den Tiroler
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Landtag entsenden. Noch bei den letzten Vorkriegswahlen im Jahr 1914 hatten die Sozialdemokraten – auch aufgrund des restriktiven Wahlrechtes – lediglich zwei Mandate (Simon Abram und Cesare Battisti) erringen können. Am erfolgreichsten behauptete sich die Partei in den Städten und Bezirkszentren, vor allem in der Landeshauptstadt Innsbruck, wo sie zur stimmenstärksten Partei avancierte, und im Unterinntal.9 Die unverkennbare Dynamisierung der sozialdemokratischen Politik resultierte neben dem umbruchsspezifischen Rückenwind auch aus der Tatsache, dass die Partei das Kriegsende in organisatorischer Hinsicht unbeschadet und ohne große Orientierungsprobleme, die dem bürgerlichen Lager vielfach über Gebühr zusetzten, überstanden hatte. Sie stand auf dem Boden einer republikanisch-demokratischen Politik, stellte sich gegen den Freistaatsgedanken und befürwortete im Einklang mit der Wiener Parteizentrale den Anschluss Österreichs an Deutschland.10 Die Politik der Tiroler Sozialdemokraten orientiere sich dabei an dem von Karl Renner und Karl Kautsky repräsentierten rechten Flügel der österreichischen Sozialdemokratie. Auch wenn man fallweise auf verbalradikale Ausreißer zur Befriedigung der eigenen Stammklientel nicht verzichten mochte, kennzeichnete grosso modo ein unrevolutionär-pragmatischer Habitus den politischen Stil der Partei.11 Dementsprechend suchte man die Rätebewegung im eigenen Land einzudämmen und stand etwa auch der Münchner Räterepublik ablehnend gegenüber.12 Der Anspruch, über das klassische urbane Arbeitermilieu auch breitere Wählerschichten an die Partei zu binden, blieb allerdings unverwirklicht. Die 1918/19 herrschende Aufbruchsstimmung verebbte rasch und ließ die Partei schließlich in eine Krise schlittern. Bei den Landtagswahlen von 1921 verloren die Sozialdemokraten im Vergleich zu den vorhergehenden Nationalratswahlen massiv an Stimmen.13 Mit einer ungleich widrigeren Ausgangslage waren die Sozialdemokraten allerdings in Südtirol konfrontiert. Nach dem Frieden von Saint Germain hatten sie sich noch im September 1919 als eigenständige Partei konstituiert und anschließend im Februar 1920 als autonome Sektion den italienischen Reformsozialisten Filippo Turatis angeschlossen, die sich in Rom für das Selbstbestimmungsrecht der neuen Minderheiten einsetzten. Infolge der Gründung des Deutschen Verbandes, dem sich die Sozialdemokraten konsequenter Weise fernhielten, war die bürgerliche Dominanz noch drückender als in Nordtirol. Bei den Parlamentswahlen im Mai 1921 erreichte die nunmehr einzige Oppositionspartei mit knapp 4.000 Stimmen nur wenig Zuspruch und stellte keinen Parlamentarier.14 Die Tatsache, dass viele Staatsbedienstete – vor allem Eisenbahner, Arbeiter und Beamte – im Zuge der ersten Italianisierungsmaßnahmen entlassen wurden und in der Folge das Land verließen, reduzierte die sozialdemokratische Wählerbasis beträchtlich. Weil sie nicht in Südtirol
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geboren waren, wurden zudem mehrere Tausend Menschen – darunter viele sozialdemokratische Parteigänger – nach Inkrafttreten des Friedensvertrages de jure von der so genannten „ersten Option“, also der Möglichkeit ausgeschlossen, die italienische Staatsbürgerschaft zu erwerben. Gemeinsam mit der bürgerlichen Marginalisierungspolitik zeichnete dieser Aderlass dafür verantwortlich, dass sich die politischen Gestaltungsmöglichkeiten der Südtiroler Sozialdemokratie sehr in Grenzen hielten.15 Zweitens hatten der Krieg und die spezielle Herausforderungslage nach dem Zusammenbruch einen unverkennbaren politischen Konzentrationsprozess innerhalb des bürgerlichen Lagers in Gang gesetzt. Ende Oktober 1918 war, wie schon erwähnt, aus dem Zusammengehen von Christlichsozialen und Katholisch-Konservativen die Tiroler Volkspartei entstanden. Am offensichtlichsten vollzog sich dieser Konzentrationsprozess innerhalb des deutschnationalen Lagers. Die Deutschfreiheitliche Partei Tirols war in ähnlicher Weise wie die TVP infolge des Umbruchs entstanden und vereinte als neue Sammelbewegung diverse deutschnationale Gruppen (den Deutschen Volksverein, den Alldeutschen Wählerverein für Tirol und die ehemaligen Parteigänger des verfassungstreuen Großgrundbesitzes) unter einem Dach.16 In politischer Hinsicht mobilisierte die Partei zunächst gegen den Freitstaatsgedanken und sprach wie die Sozialdemokraten zu großen Teilen dem Anschluss zu. Das dritte Lager zählte schließlich zu den Verlierern der Abschaffung des Kuriensystems und erreichte bei den Landtagswahlen 1919 und 1921 jeweils nur mehr rund 10 Prozent. Die Deutschfreiheitliche Volkspartei Südtirols war im Dezember 1918 ebenfalls aus dem Zusammenschluss verschiedener liberaler, deutschnationaler und alldeutscher Splittergruppen entstanden. Die Deutschfreiheitlichen konnten vor allem im Wählersegment der Beamten, Freiberufler, der liberalen Bourgoisie und des Wirtschaftsbürgertums punkten. Politisch spielten sie fast ausnahmslos in den großen Städten eine Rolle – in Bozen und Meran stellten sie die Bürgermeister.17 Unter dem Eindruck der Bestimmungen des Vertrages von Saint Germain, der die Tiroler Gebiete südlich des Brenners endgültig Italien überantwortete, bildeten die Südtiroler Ableger der TVP und der Deutschfreiheitlichen im Rahmen des Deutschen Verbandes (DV) eine das gesamte bürgerliche Lager umfassende Dachorganisation. Der DV sollte den gemeinsamen ‚Kampf gegen Rom‘ erleichtern und effizienter voranbringen.18 Der zu beobachtende parteipolitische Konzentrationsprozess war also gerade dort am offensichtlichsten, wo die zu bewältigenden Probleme eine besondere Herausforderungslage schufen, die ein Zusammenstehen über althergebrachte ideologische Barrieren hinweg zu erfordern schien. Die 1921 stattfindende Parlamentswahl nahm schließlich den Charakter eines Plebiszites an. Von etwas über 40.000 abgegebenen Stimmen erreichte der DV weit über 36.000
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und schickte alle vier Südtiroler Vertreter nach Rom. Zum bürgerlichen Feindbild schlechthin avancierten die Abseits stehenden Sozialdemokraten; infolge des verweigerten Schulterschlusses mit dem DV und der gemeinsamen Sache mit den italienischen Sozialisten wurden sie schlichtweg als „Nichttiroler“ gebrandmarkt.19 Mit Blick auf die politischen Positionen im Allgemeinen hatte sich der Charakter der bürgerlichen Politik in den ersten Nachkriegsjahren in zweierlei Hinsicht verändert. Zum einen bewegte sich das neue politische Personal, wie etwa TVP-Obmann Eduard Reut-Nicolussi, Karl Tinzl oder Friedrich Graf Toggenburg, in einer gewissen Distanz zur bisher herrschenden klerikalen Allmacht. Zum anderen verlor – auch unter dem Eindruck der deutschnationalen Präsenz innerhalb des DV – der betont volkstumspolitische, konsequent antiitalienisch ausgerichtete Flügel Anfang der 1920er Jahre tendenziell an Macht und Einfluss. Am Ende dieses Prozesses stand die Ablösung Reut-Nicolussis durch den auf Ausgleich bedachten Pragmatiker Karl Tinzl im Jahr 1923.20 Nachdem insbesondere die TVP bisher jeden Kontakt zur römischen Politik vermieden hatte, begannen nach der unmissverständlichen Entscheidung von Saint Germain die zähen Verhandlungen über eine Autonomielösung. Innerhalb des Deutschen Verbandes hatten die Südtiroler Deutschfreiheitlichen weniger Berührungsängste und traten früher für eine vorsichtige Verständigungspolitik mit Italien ein. Letztere beruhte zum einen auf der pragmatisch-realistischen Einschätzung, dass ein Anschluss kurzfristig außer Reichweite zu sein schien, und war zum anderen auch Ausdruck deutschfreiheitlicher Klientel- und Interessenspolitik, die darauf aus war, vor allem ökonomische und wirtschaftspolitische Zugeständnisse zu erreichen.21 Als drittes Charakteristikum der Nachkriegspolitik in den (neuen) Territorien des alten Tirol können die sich durchwegs krisenhaft gestaltenden Beziehungen zwischen (nationalem) Zentrum und (regionaler) Peripherie angeführt werden. Gerade aufgrund der unsicheren staatsrechtlichen Zukunft und infolge eines gespannten Verhältnisses zwischen Staat und Land brach sich eine Politik Bahn, die auf stark föderative Grundsätze und autonome Gestaltungsmöglichkeiten setzte. Darüber hinaus liebäugelte man, wie bereits erwähnt, mit der auf verschiedene Weise geäußerten Idee einer erweiterten Eigenständigkeit. Dabei machte es kaum einen Unterschied, ob es sich etwa um das gespannte Verhältnis der Innsbrucker Politik zur neuen sozialdemokratisch dominierten Regierung in Wien oder um die nicht minder krisenhaften Beziehungen der Trentiner popolari zum römischen Staatszentralismus handelte. Bei den Tiroler Ressentiments gegen die Wiener Politik spielte eine Gemengelage von Aversionen eine Rolle. Letztere resultierte aus dem sich schon im Krieg verstärkten Feindbild, das die Zentrale im Osten zunehmend
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als Hort der Misswirtschaft, Korruption und des viel zitierten ‚Schmarotzertums‘ imaginiert hatte. Nach dem Krieg assoziierte man mit der Hauptstadt, in der nun die Sozialisten den Ton angaben, vor allem die gegensätzliche politisch-ideologische Verortung der neuen republikanischen Regierung. Hinzu kamen unüberbrückbare Auffassungsunterschiede in politischen Grundsatzfragen der Nachkriegszeit, etwa in der Frage eines Anschlusses an Österreich, der im Tiroler konservativen Lager zunächst aufgrund der Südtirolfrage Tabu war. Die Bemühungen zur Erhaltung der Landeseinheit, an der alle Maßnahmen der Wiener Regierung gemessen wurden, zog eine gewisse Selbstemanzipation des Landes von der Zentrale nach sich. Die unüberbrückbaren politischen Meinungsverschiedenheiten schienen ein stärkeres Eigenengagement gerade auch mit Blick auf die schwelende Zukunftsfrage notwendig zu machen. Das äußerte sich etwa in dem eigenständigen außenpolitischen Aktionismus im Rahmen des Berner Informationsbüros ebenso wie in der bereits erwähnten Idee einer eigenständigen Republik Tirol oder dem Beharren auf föderative Grundsätze im Rahmen der Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Bund und Land im Zuge der Verfassungsdiskussion.22 Auch im Süden des ehemaligen Kronlandes, dem aus italienischer Perspektive ‚befreiten‘ Trentino, war in politischer Hinsicht beileibe nicht alles eitel Wonne. Ganz im Gegenteil, die Situation im italienischen Tirol war nach Kriegsende desaströs. Das Land lag – insbesondere in den ehemaligen frontnahen Gebieten – buchstäblich in Trümmern. Und ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung befand sich – ob nun als ‚Kriegsflüchtlinge‘ oder Kriegsgefangene – zu Kriegsende noch außer Landes. Zudem begegnete man vor allem in den katholisch geprägten Trentiner Landgemeinden, aus denen die im Laufe des Krieges eingezogenen Zehntausenden Welschtiroler k.u.k. Soldaten zumeist stammten, der neuen italienischen Ordnungsmacht mit einer gehörigen Portion Skepsis. Auch die Beziehungen zwischen dem politischen Sprachrohr der Trentiner Landbevölkerung, den popolari, und den Vertretern des italienischen Staates waren von Beginn an zerrüttet. Der sich verzögernde Wiederaufbau der Region und die da und dort zu konstatierende Misswirtschaft der neuen Behörden sowie das in Rom und Trient kaum vorhandene Verständnis für die jeweils andere Seite sorgten für ein von Beginn an gespanntes Verhältnis zwischen der Trentiner Volkspartei und der römischen Politik. Die ideologischen Konflikte, die aus dem Gegensatz zwischen einer liberal-laizistisch ausgerichteten römischen Politik und den katholischen Eliten resultierten, und nicht zuletzt die Spannungen, die sich rund um die propagierten grundverschiedenen Modelle eines zentralistischen oder föderativen Staatsaufbaus auftaten, kamen als trennende Elemente noch hinzu.23 Vor Ort, in Trient, war das Verhältnis der popolari zur militärischen
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Besatzung angespannt, zumal der Militärgouverneur seine Vertrauensleute vornehmlich aus dem Kreis nationalliberaler Parteigänger und vormaliger Irredentisten rekrutierte. Auch die auf Vorschlag Alcide De Gasperis erfolgte Konstituierung einer dem Militärgouverneur beigegebenen Consulta, die Ende Dezember 1918 ihre Tätigkeit aufnahm und sich aus Vertretern der Trentiner Parteien bestückte, sorgte kaum für Entspannung. Die Konflikte setzten sich in dem Gremium, das infolge der politischen Machtverhältnisse von den popolari dominiert wurde, unvermindert fort. Die vermeintliche Ineffizienz der Consulta stand im Mittelpunkt der geharnischten Kritik Pecori-Giraldis, der die Einrichtung eher als institutionellen Gegenspieler empfand und deshalb ihren Einflussbereich möglichst zu beschränken suchte.24 Das konfliktreiche Verhältnis der Trentiner Politik zu den römischen Stellen setzte sich nach dem Ende der militärischen Besatzung im Juli 1919 fort. Mit der Überführung in die Zivilverwaltung und der am 20. Juli 1919 erfolgten Ernennung des Radikalen Luigi Credaro zum Zivilkommissär der Venezia Tridentina trat vor allem der erwähnte ideologische Gegensatz nochmals deutlich zu Tage. Die Berufung des laizistisch ausgerichteten ehemaligen Unterrichtsministers der Vorkriegskabinette Luzzati und Giolitti (IV) traf in den Reihen des Trentiner politischen Katholizismus auf scharfe Ablehnung.25 Die Beziehungen zwischen Trient und Rom blieben deshalb weiterhin angespannt. Wie ihre Schwesterparteien in Bregenz und Innsbruck hatten sich die Trentiner popolari nach dem Krieg bald konsolidiert und waren schließlich am 12. Oktober 1919 in Trient offiziell wiedergegründet worden. In ähnlicher Dominanz wie in Vorarlberg und Tirol prägte auch die Trentiner Volkspartei nach 1918 das gesellschaftliche und politische Leben im Land. Bei den ersten Nachkriegswahlen, den italienischen Parlamentswahlen von 1921, fuhr die Partei mit fast 36.000 Stimmen (rund 50 Prozent) einen – wenn auch nicht mehr ganz an die Vorkriegsergebnisse heranreichenden – Erfolg ein und entsendete fünf der insgesamt sieben Trentiner Parlamentarier nach Rom. Die restlichen zwei Sitze errang die mit 28,4 Prozent erstarkte Sozialistische Partei, die den Stimmenanteil im Vergleich mit den Reichsratswahlen von 1911 um über 11 Prozent steigern konnte.26 Innerhalb der bereits skizzierten Gegensätze zwischen Trient und Rom spielte schließlich die Frage nach der Art des staatlichen Zugriffs auf das Land eine besondere Rolle. Im Trentino herrschte ein breiter Parteienkonsens, der gegenüber dem Staat eine doppelte Autonomie akklamierte und – noch einen Schritt weitergehend – der Föderalisierung des italienischen Nationalstaates ins Wort redete. Hatte man diesen Kampf um Autonomie vor 1914 mit Innsbruck und Wien ausgefochten, richteten sich die entsprechenden Forderungen nun Richtung Rom. Die Erhaltung der traditionellen Gemeinde- und Provinzialautonomie, letztere in Form einer
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Einrichtung, deren machtpolitische und kompetenzmäßige Gestaltungsmöglichkeiten mit jenen des ehemaligen Tiroler Landtages vergleichbar waren, stand auf der Agenda aller politischen Kräfte im Trentino.27 Strittig war lediglich, in welchem territorialen Rahmen diese Autonomie zur Anwendung gelangen sollte. Sollte es zwei Separatautonomien für das Trentino und (Deutsch-)Südtirol geben? Oder sollte sich die Autonomie auf ein gemeinsames Südtirol-Trentiner Verwaltungsterritorium beziehen? Diese Frage stand im Mittelpunkt der Autonomieverhandlungen mit Rom, die infolge des Vertrages von Saint Germain Fahrt aufnahmen. Während die Trentiner Liberalen eher zu einer Einheitsprovinz tendierten und sich die Sozialisten für eine eigene Südtiroler Autonomie stark machten, changierten die dominierenden popolari zwischen den zur Wahl stehenden Alternativen.28 All diese Auseinandersetzungen und Fragen rund um das Verhältnis zwischen staatlichem Zentrum und nördlicher Peripherie waren letztlich Ausdruck eines unmittelbar nach dem Krieg stark präsenten Trentinismo. Letzterer verkörperte eine Art mentalen melting pot, der sich einerseits aus dem rasch entwickelten Unbehagen gegenüber Rom speiste, das wiederum eine Folge der Unzufriedenheit mit den ersten staatlichen Maßnahmen, der ideologischen Gegensätze und divergierenden Ansichten in Autonomiefragen war. Andererseits verkörperte der Trentinismo auch das vorhandene Selbstbewusstsein einer Region, die sich – auf die bestehenden Traditionen autonomer Selbstverwaltung berufend – nicht als bloß ‚befreites‘ territoriales Anhängsel des italienischen Nationalstaates sehen wollte, sondern, wie es De Gasperi ausdrückte, „als funktionierender Organismus, der in der Lage ist, eigenständig zu leben.“29 Aus römischer Sicht nahm sich der Trentinismo freilich eher als Konsequenz provinzieller Engstirnigkeit aus und galt vielfach als befremdender Ausdruck der Undankbarkeit einer neu zu integrierenden italienischen Bevölkerung, die man eben aus dem vielzitierten ‚Joch‘ der Habsburgerherrschaft ‚befreit‘ hatte. Sehnsuchtsräume dies- und jenseits der Grenze: Tirol, die Schweiz oder Deutschland? Dass Tirol und auch Vorarlberg Teil der am 12. November gegründeten Republik Deutschösterreich sein würden, war in der ersten Nachkriegszeit noch längst nicht ausgemacht. Die auf deutschsprachige Kernländer geschrumpfte staatliche Kleinstversion der ehemaligen österreichischen Reichshälfte der Doppelmonarchie hielt man auch in Tirol wirtschaftlich nicht für lebensfähig. Zudem schürte der Antagonismus zur ‚roten‘ Regierung in Wien die Ressentiments,
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die im Land gegen eine Eingliederung in den neuen Staat bestanden. Mit dem am 11. November erfolgten Verzicht Kaiser Karls auf die Regierungsgeschäfte sah man sich insbesondere im bürgerlichen Lager nicht mehr an das Unteilbarkeits-Diktum der Pragmatischen Sanktion von 1713 gebunden und imaginierte Tirol gerne als eigenständigen Souverän.30 Man vertrat den Standpunkt, dass die staatsrechtliche Zukunft des Landes im Prinzip Verhandlungssache und deshalb ergebnisoffen sei. Und man wurde nicht müde, bei jeder Gelegenheit auf den provisorischen Charakter der Innsbrucker Beziehungen zu Wien zu verweisen. Die dort erfolgte Konstituierung der Republik Deutsch-Österreich als Teil des Deutschen Reiches traf in ähnlicher Weise auf Ablehnung, wie man sich gegen das Staatsgesetz vom 14. November 1918 verwahrte, das die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern vorsah. Hinzu kam die dezidierte Weigerung, expressis verbis einen förmlichen Beitritt zur Republik Österreich zu bekunden. Und als die frisch gewählte Konstituierende Nationalversammlung in Wien am 12. März 1919 erneut den Anschluss Österreichs bekräftigte, deponierten die bürgerlichen Tiroler Abgeordneten eine förmliche Rechtsverwahrung.31 Es stünde allein dem zu wählenden Innsbrucker Landtag zu, gab man erneut zu bedenken, über die staatsrechtliche Zugehörigkeit des Landes definitiv zu befinden. Mit Blick auf die Zukunft Tirols kursierten in den Wochen und Monaten nach Kriegsende verschiedene staatsrechtliche Konzepte und Visionen, deren unterschiedliche Ausrichtung meist mit konkreten politischen Positionen oder ideologischen Überzeugungen korrespondierte. Lässt man jene bereits erwähnten Szenarien einmal beiseite, die von vornherein dem Bereich der zwar denkmöglichen, aber kaum zu realisierenden Vorhaben zuzurechnen waren, blieben im Prinzip drei Optionen: die Konstituierung Tirols als selbstständige Republik, der die Rolle einer Art Pufferstaat zwischen dem Deutschen Reich und Italien zugedacht war; die (definitive) Integration Tirols in den österreichischen Staat, der sich zunächst allerdings als „Bestandteil der Deutschen Republik“ begriff, wie es in Art. 2 des „Gesetzes über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich“ unmissverständlich hieß; oder ein unabhängig von Wien auf regionaler Ebene vollzogener Anschluss an Deutschland. Die erstgenannte Option einer eigenständigen Republik Tirol fand ihre Anhänger vor allem unter den Südtiroler TVP-Repräsentanten, die auch das Berner Informationsbüro und seine auf Eigenstaatlichkeit fokussierte Politik dominierten, sowie unter den Christlichsozialen nördlich des Brenners. Wie bereits erwähnt, konnte sich die TVP insgesamt allerdings zu keiner einheitlichen Linie durchringen. Während der Tiroler Landeshauptmann und Bauernbundobmann Josef Schraffl etwa in der ersten Sitzung des Tiroler Nationalrates am 1. November 1918 seine Sympathie für den Anschluss zum
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Ausdruck gebracht und lediglich darauf verwiesen hatte, dass ein allzu großes entsprechendes Engagement in der gegenwärtigen Situation inopportun sei, stellten sich die Christlichsozialen in der TVP gegen die Anschlusseuphorie der Wiener Regierung.32 Die sich quer durch die Partei ziehenden mehrfachen Spaltungen neutralisierten letztlich die kontinuierlichen Vorstöße der Südtiroler Parteikollegen, die seit November 1918 nachdrücklich auf eine Verwirklichung der Republik Tirol gedrängt hatten. Die Politik der TVP blieb in der Eigenstaatlichkeits-Frage schleierhaft und inkonsequent. Die Anhänger eines eigenen Staates sahen in der Republik Tirol vor allem ein Mittel zum Zweck. Südtirol, argumentierte man, würde sich nur bei Tirol halten lassen, wenn durch eine Art Pufferstaat gewährleistet bliebe, dass sich Italien nicht durch eine über den Brenner vorgeschobene deutsche Grenze bedroht fühlen musste. Auch die Franzosen würden sich einem Anschluss – das war bekannt – widersetzen. Man glaubte, dass die Brennergrenze letztlich doch nur durch ein eigenständiges Tirol verhindert werden konnte. Widerstände und Uneinigkeit in den eigenen Reihen sowie die schroffe Gegnerschaft von Teilen der Deutschfreiheitlichen, der Sozialdemokraten und der Wiener Regierung verhinderten schließlich aber, dass die Republik Tirol zu einem konsequent verfolgten und wirklich gangbaren Weg wurde. Erst nachdem der amerikanische Präsident am 24. April 1919 Südtirol öffentlich Italien zugesprochen hatte, erfolgte schließlich am 4. Mai 1919 eine, wenn auch zaghafte, Willensbekundung Richtung Unabhängigkeit. Ein von Volkspartei und Deutschfreiheitlichen getragener Mehrheitsbeschluss der Tiroler Landesversammlung, der als Memorandum an die Pariser Friedenskonferenz gerichtet war, sprach sich für die Schaffung eines neutralen Tiroler Freistaates aus, falls „dadurch die Einheit dieser Gebiete erhalten bleiben kann“.33 Andernfalls – gab man sich trotz des seit Mitte März bekannten alliierten Anschlussverbotes kompromisslos drohend – sei ein Anschluss an Deutschland schon aus wirtschaftlichen Gründen alternativlos. Diese eher verhaltene und mitunter auch verwirrende Wenn-dann-Absichtserklärung kam als politisches Druckmittel nicht nur zu spät, sondern vermochte im Mai 1919 auch niemanden mehr zu beeindrucken – schon gar nicht die Verhandler in Paris.34 Das Mai-Memorandum der Tiroler Landesversammlung markierte also auch eine Zäsur in der offiziellen Tiroler Landes(außen)politik, die nun die Weichen vorsichtig in Richtung Anschluss stellte. Das Papier war Höhe- und zugleich auch Endpunkt der Tiroler Selbstständigkeitsdebatte in der frühen Nachkriegszeit. Zu Kriegsende war die Idee eines – Österreich als Ganzes umfassenden – Anschlusses in Deutschfreiheitlichen Kreisen und vor allem von den Sozialdemokraten vertreten worden. Die Tiroler Linke hatte sich auf diese Weise der Politik Otto Bauers untergeordnet, der die anschlussfreundliche
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österreichische Außenpolitik für die Sozialdemokraten bis Sommer 1919 verantwortete. Erbittert stemmte man sich in dieser Zeit gegen die bürgerlichen Eigenstaatlichkeitspläne, die man in erster Linie als Machwerk habsburgischkonservativer Restaurationsversuche wahrnahm. Das Lager der Anschlussbefürworter wurde im Laufe des Jahres 1919 schließlich in jenem Maße größer, wie die Hoffnung auf Erhaltung der Landeseinheit sukzessive schwand. Wilsons Südtirol-Deklaration vom 24. April, die de facto wirkungslose Selbstständigkeitserklärung vom 4. Mai, die Übergabe der beiden Entwürfe des Friedensvertrages am 2. Juni und 20. Juli, die den Verlust Südtirols festschrieben, sowie die Unterzeichnung des Friedensvertrages von Saint Germain am 10. September 1919 lassen sich mit Blick auf die Tiroler Selbstständigkeit als entscheidende Etappen der Desillusionierung lesen. Im Sommer 1919 passte sich auch die Landespolitik nach und nach den neuen Rahmenbedingungen an. Der einst als provokatives sozialdemokratisches Schreckgespenst empfundene Anschluss wurde auf regionaler Ebene immer evidenter zur offiziösen Politik. In seiner Stellungnahme zum Staatsvertrag vom 23. September 1919 hatte der Tiroler Landtag seine Anschlussskepsis bereits über Bord geworfen und einer möglichen Integration in das Deutsche Reich Beifall gepflichtet.35 Diese Kehrtwende vollzog sich zum selben Zeitpunkt, als sich die Wiener Regierungspolitik nach dem Rücktritt Otto Bauers aus evidenten politischen Gründen von ihren Anschlussforderungen sukzessive verabschiedete. Ein starres Festhalten an der Deutschland-Orientierung hätte die dringend benötigte alliierte wirtschaftliche Wiederaufbau-Hilfe gefährdet.36 Im Sommer 1919 wurde nicht zuletzt deshalb die Idee eines unabhängig von Wien vollzogenen regionalen Anschlusses immer populärer.37 Und die ersten Maßnahmen in diese Richtung ließen nicht lange auf sich warten: Schon am 11. Dezember 1919 beschloss der Tiroler Landtag einstimmig den wirtschaftlichen Anschluss an das Deutsche Reich. Letzterer wurde von den Alliierten aber ebenso abgelehnt wie die im März 1920 erstmals in der Innsbrucker Landesregierung lancierte Idee eines Plebiszits.38 Den finalen Höhepunkt der Tiroler Anschlussinitiativen stellte schließlich die am 24. April 1921 durchgeführte Volksabstimmung dar. Sie wurde trotz der massiven Ablehnung der Alliierten und eines Verbots aus verfassungsrechtlichen Gründen realisiert und brachte ein eindeutiges Ergebnis: 98,8 Prozent hatten sich für den Anschluss entschieden. Dieses überwältigende Votum blieb aufgrund der alliierten Ablehnung freilich ohne realpolitische Konsequenz. Mit den im Oktober 1922 unterzeichneten Genfer Protokollen, die das Anschlussverbot bekräftigten, war dann ein möglicher Anschluss vorerst endgültig vom Tisch.39 Zu glauben, dass man im Nachkriegs-Tirol letztlich unbekümmert und autonom über die eigene staatsrechtliche Zukunft entscheiden hätte können,
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wäre wohl naiv. Die Interessen auf regionaler Ebene – das ist im Rahmen der Chronologie des regionalen Ausverhandlungsprozesses schon angeklungen – kollidierten vielfach mit übergelagerten nationalen bzw. globalen Interessen. Letztere ließen den Rahmen des Möglichen und Machbaren vielfach in recht engen Grenzen verlaufen. Neben der kontroversiellen regionalen Entscheidungsfindung spielte auf nationaler Ebene die – den Tiroler Interessen meist zuwiderlaufende – Wiener Außenpolitik eine wichtige Rolle. Entscheidend war aber letztlich das Votum der ‚Großen Vier‘ in Paris. Im Rahmen dieser Dreierbeziehung zwischen Innsbruck (Bozen), Wien und Paris stellte letztere unbestritten die eigentliche Entscheidungsebene dar. Berlin spielte hingegen als Unterstützer anschlussfreudiger Kräfte vor Ort in Tirol im Hintergrund eine bedacht-agitative Rolle. Die Position der österreichischen Regierung gestaltete sich in diesen entscheidenden Monaten von Kriegsende zum Vertrag von Saint Germain äußerst schwierig. Insbesondere die außenpolitische Aktivität der jungen Republik bewegte sich im Spannungsfeld zwischen den sich entschieden Luft machenden regionalen Partikularinteressen und – in Anbetracht des evidenten österreichischen Abhängigkeitsverhältnisses – einer notgedrungen pragmatischen Politik gegenüber den Siegerstaaten. Zu diesen vielfach gegensätzlichen Interessensebenen kam die ideologisch zu verortende Präferenz für einen Anschluss Österreichs an das – im politischen Sinne – ‚rot‘ imaginierte Deutsche Reich. Der Anschluss war bis zum Sommer 1919 eine Art Diktum der von Otto Bauer geprägten sozialdemokratischen österreichischen Außenpolitik.40 Mit Blick auf Südtirol zielte Bauer – ungeachtet seines Engagements für den Anschluss als außenpolitisches Primärziel – auf einen bilateralen Verhandlungserfolg mit Italien. In Innsbruck und Bozen traf die Strategie des sozialdemokratischen Außenministers auf große Skepsis und auch auf Widerstand, weil man die Verwirklichung dieses doppelten Zieles als miteinander unvereinbar erachtete. Bauer – so die allgemeine Meinung in Tirol – würde sich mit Blick auf eine über italienische Zugeständnisse führende Verständigungslösung um Südtirol einer großen Illusion hingeben. Bis zu seiner Demission im Juli 1919 suchte der Außenminister den Italienern vor allem die Idee einer Neutralisierung Südtirols schmackhaft zu machen. Das Gebiet zwischen Brenner und Salurn sollte zwar Teil der österreichischen Republik werden, allerdings eine Art entmilitarisiertes Territorium bilden, das es Italien erlauben würde, das Land im Kriegsfall sofort zu besetzen.41 In ähnlicher Weise wie die Anschlussverhandlungen mit Berlin erfolglos blieben, gelang Bauer aber auch in Rom kein Durchbruch. Die italienische Diplomatie spielte geschickt auf Zeit und suchte Österreich im Rahmen einer Hoffnung machenden Vertröstungspolitik hinzuhalten. Schließlich war Südtirol aus gesamtösterreichischer
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Perspektive nur ein – wenn auch gewichtiges – Problem unter vielen. Ungeachtet des Störfaktors Südtirol machte die Anbahnung guter Beziehungen zu Italien im Kontext der Wiener Anschlusspolitik – für deren Erfolg das Plazet Italiens Voraussetzung war – durchaus Sinn. Im Übrigen war die österreichische Abhängigkeit von Italien in der zerfahrenen politischen Orientierungsphase der frühen Nachkriegszeit ein unabänderliches Faktum. Die italienischen Lebensmittellieferungen und etwa die politische Unterstützung in der offenen Kärntner Frage waren für das junge Österreich essentiell.42 Höhepunkt der sich – trotz Südtirol – freundschaftlich entwickelnden österreichisch-italienischen Nachkriegs-Beziehungen stellte der Staatsbesuch Renners in Rom zu Ostern 1920 dar. Im geheimen Nitti-Renner-Abkommen vom 12. April 1920 wurde die österreichische Anlehnung an die Apenninenhalbinsel bekräftigt, während im Gegenzug Italien für eine Garantie der Grenzen der Republik Österreich einstand.43 Mit Blick auf Südtirol brachte das Abkommen keine Fortschritte. Ganz in Gegenteil: Es interpretierte die Minderheitenfrage als rein innerstaatliche italienische Angelegenheit.44 Die römische Position war mit Blick auf Österreich von dem eigenen Anspruch und Willen einer kraftvolleren Machtpolitik im Alpen-Adria-Raum geprägt, der allerdings keine einheitliche und kongruente politische Vision zugrunde lag. Die italienischen Machtansprüche kollidierten in diesem Territorium mit den auf die Errichtung einer Donaukonföderation fokussierten französischen Interessen. Letztere waren vor allem darauf aus, langfristig eine mögliche Wiedererstarkung Deutschlands einzudämmen. Die staatsrechtliche Zukunft Österreichs – und damit auch Tirols – war im Nachkrieg also ganz entscheidend durch die gegensätzliche italienische und französische Interessenspolitik in den vormals habsburgischen Territorien bestimmt. Während für die französische Politik eine klare antideutsche Ausrichtung charakteristisch war, stemmte sich Rom in erster Linie gegen die Pariser Mitteleuropapläne. Die jeweilige Position zum österreichischen Problemfall leitete sich demnach aus diesen außenpolitischen Primärinteressen der beiden Siegermächte ab. Im Gegensatz zu Frankreich tat sich Italien mit Blick auf eine zielgerichtete und kohärente Österreich-Politik relativ schwer. Die Haltung gegenüber Wien blieb intransigent. Aus römischer Perspektive vermochte keines der zur Diskussion stehenden staatsrechtlichen Szenarien vollends zu überzeugen: Ein selbstständiges Österreich hielt man in besonderem Maße anfällig für habsburgische Restaurationsversuche, im Fall einer kompletten Zerschlagung Rest-Österreichs befürchtete man eine Zunahme des jugoslawischen Einflusses, und ein Anschluss hätte hingegen wohl oder übel den deutschen Einfluss an Italiens Nordgrenze verstärkt, mit unabsehbaren Folgen für Südtirol.
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In Anbetracht der skizzierten Alternativen schien aus römischer Perspektive vornehmlich in der frühen Nachkriegszeit eine Integration Rest-Österreichs in den deutschen Staat gar nicht so abwegig. Vor allem in wirtschafts- und rechtsliberalen Kreisen erblickte man im Anschluss ein probates Mittel, um die französischen Konföderationspläne zu sprengen. Probleme bereitete freilich die Tatsache, dass die Wiener Anschlusspläne in territorialer Hinsicht stets auf ein Südtirol inkludierendes Österreich ausgerichtet waren. Letzteres schien wiederum mit der Forderung nach der Brennergrenze, die geradewegs zu einem Justamentstandpunkt der italienischen Außenpolitik auf der Friedenskonferenz geworden war, nicht vereinbar. Die italienischen Versuche, Österreich im Rahmen anschlussfreundlicher Signale bei der Stange zu halten, waren also sowohl Ausdruck einer in Teilen der italienischen Politik vorhandenen realpolitischen Haltung als auch – und das wohl überwiegend – diplomatische Strategie. Abgesehen von jenen politischen und ökonomischen Zirkeln, die unmittelbar nach dem Krieg einen Anschluss durchaus für machbar hielten, war der taktische Hintergrund von Pro-Anschluss-Bekundungen der italienischen Politik eng mit Südtirol verbunden. Rom wusste nur zu gut, dass die österreichischen Bemühungen um den Anschluss gleichzeitig die Richtung alliierte Partner adressierten italienischen Forderungen nach einer strategisch günstigen Grenze untermauerten; auf diese Weise erfuhr die Brennergrenze sozusagen einen Legitimationsschub.45 Wenn sich die italienische – sei es nun ernst gemeinte oder auch nur taktische – Zustimmung zum Anschluss vor allem nach dem Staatsvertrag sukzessive verlief, lag das zum einen vor allem daran, dass der Vertrag von Saint Germain im Prinzip nicht nur das Anschlussverbot formalisierte, sondern auch die französischen Konföderationspläne konterkarierte.46 Zum anderen hatten die forcierten regionalen Anschlussbewegungen, etwa das eindeutige Votum der Tiroler Volksabstimmung, die italienische Politik gehörig verunsichert, – vor allem mit Blick auf die Rückwirkungen in Südtirol. Das unabhängige Österreich in den Grenzen, die in Saint Germain festgeschrieben wurden, war deshalb nicht zuletzt auch das Konstrukt eines französisch-italienischen Kompromisses, der letztlich auf einen machtpolitischen Interessensausgleich hinauslief.47 Das Deutsche Reich hingegen nahm in der Österreich-Frage eine vorsichtig-abwartende Position ein. In der Öffentlichkeit gab man sich betont zurückhaltend, mit einer Lösung in der Anschlussfrage rechnete man erst in der Zeit nach dem Friedensvertrag. Dem bedachten Vorgehen lag eine Art Staatsräson zugrunde, die darauf aus war, die Siegermächte in Paris nicht zu vergraulen und keinen Grund für etwaige territoriale Kompensationsforderungen an den deutschen Grenzen zu liefern. Im Hintergrund agitierte die deutsche Diplomatie über das Innsbrucker Konsulat und einen Sondergesandten
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freilich auch in Tirol gegen die dort gehegten Selbstständigkeitspläne und die französisch orientierte Tiroler Linie im Allgemeinen. Als der Selbstständigkeitsspuk im Sommer 1919 endgültig gescheitert zu sein schien, intensivierte sich die deutsche Agitation im Land, und die Versuche, die Tiroler Politik für den Anschluss zu gewinnen, wurden sukzessive verstärkt.48 Während man aus Innsbrucker Sicht nun das politische Schicksal des Landes gern in die Hände Berlins oder – noch viel lieber – Münchens gelegt hätte, gestaltete sich die Frage nach der staatlichen Zugehörigkeit in Bregenz noch wesentlich komplexer und komplizierter.49 Die Distanz zu Wien war in Vorarlberg ähnlich ausgeprägt wie in Tirol, sodass ein Verbleib des Landes bei Deutsch-Österreich in den Monaten nach Kriegsende „eher unwahrscheinlich“50 schien. Die neu konstituierte Republik Österreich gewann im äußersten Westen erst dann an Attraktivität, als sie die erste Konsolidierungsphase überstanden und die ungeliebten sozialistischen Renner-Regierungen im Sommer 1920 ein Ende gefunden hatten.51 Zuvor richtete man auch im ‚Ländle‘ alle Hoffnungen auf einen Anschluss. Die Anschlussfrage stellte sich für die Vorarlberger, wie es der Historiker Werner Dreier treffend ausdrückt, allerdings gleich „zweifach“.52 Das Ende des Krieges und die darauf folgende Selbstständigkeitserklärung des Landes durch die provisorische Vorarlberger Landesversammlung am 3. November 1918 bildeten zugleich die Initialzündung für eine Bewegung, die das ‚Ländle‘ als eigenständigen Kanton der Schweiz einverleiben wollte. Bei den Anhängern der Schweizer Lösung handelte es sich vor allem um Angehörige der sozialen Mittel- und Unterschichten, die zu den größten Verlierern des Krieges gehörten. Kleine Landwirte und Gewerbetreibende, der so genannte Mittelstand, kleinbürgerliche Schichten, aber auch ein Gutteil des proletarischen Milieus, die allesamt unter dem Krieg besonders gelitten hatten, sahen ihr Heil in einem Anschluss an die Schweiz. In Kreisen der Vorarlberger Industrie, intellektuellen Milieus und unter den Bregenzerwälder Landwirten im Grenzbereich zu Schwaben favorisierte man hingegen einen Anschluss an Deutschland, der vor allem auf ökonomischen Überlegungen basierte. Wie auch in Tirol unterstützte das Deutsche Reich das so genannte „Schwabenkapitel“ in Vorarlberg ideell und finanziell.53 Das Pro oder Contra die eine oder andere Option zog eine gesellschaftliche Spaltung nach sich, die sich auch quer durch die politischen Parteien zog. Die Christlichsozialen standen einem Anschluss an die Schweiz zunächst skeptisch gegenüber, konnten sich mit der Idee aber schließlich umso mehr anfreunden, je stärker 1919 unter der Vorarlberger Bevölkerung der Zuspruch für eine Zukunft in der Eidgenossenschaft wurde. Auch unter den Sozialdemokraten gab es eine starke Tendenz, die eine Schweizer Lösung favorisierte. Zumindest in Teilen neigte die Partei – auf einer
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Linie mit der regierungsverantwortlichen Wiener Sozialdemokratie – aber auch zu einem Anschluss an Deutschland. Die Deutschfreiheitlichen sprachen schließlich aus nationalen und ökonomischen Gründen am konsequentesten dem Anschluss an das Deutsche Reich zu.54 Ähnlich wie in Tirol 1921 wurde auch in Vorarlberg schon am 11. Mai 1919 eine Volksabstimmung durchgeführt, in der sich eine große Mehrheit – rund 80 Prozent – für die Aufnahme von Anschlussverhandlungen mit der Schweiz aussprach. Der Realisierung dieses plebiszitären Votums stand allerdings nicht nur die ablehnende Haltung der sozialdemokratischen Wiener Regierung im Weg, sondern auch die Gegnerschaft der alliierten Siegermächte in Paris, die folglich im Vertrag von Saint Germain mit Blick auf die österreichisch-schweizerische Grenze unmissverständlich die „gegenwärtige Grenze“ festlegten.55 Aber auch in der Schweiz gab es nur eine verhaltene Reaktion auf die Vorarlberger Anschlussbekundungen. Politik und Gesellschaft spalteten sich in Befürworter und Gegner des Anschlusses. Vor allem in den nichtdeutschsprachigen Gebieten der Eidgenossenschaft befürchtete man durch die im Falle eines Anschlusses zu gewärtigende Stärkung des deutschkatholischen Elements eine Störung des subtil-ausbalancierten gesellschaftlichen Gleichgewichts.56 Auch aus diesem Grund tendierten die Schweizer politischen Eliten immer entschiedener in die Richtung der Unterstützung eines unabhängigen Österreichs und traten damit eo ipso auch gegen einen Anschluss der Republik an das Deutsche Reich auf.57 Der Schweiz ging es vor allem darum, sich an der östlichen Landesgrenze Deutschland und Italien auf sicherer Distanz zu halten. Politisch-diplomatisch wurde diese Ausrichtung der Schweizer Politik in der nach dem Außenminister und Anschlussbefürworter benannten, so genannten Calonder-Konklusion vom 14. November 1919 festgeschrieben. Vereinfacht gesagt handelte es sich um eine Politik, die darauf bedacht war, sich grundsätzlich nicht in die Belange des österreichischen Nachbarn einzumischen. Lediglich im Fall einer „Loslösung des Vorarlbergs von Österreich“ wollte man „dessen Bestrebungen zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes“ fördern.58 Italien wider Willen: Autonomie als ultima ratio? Bereits kurz nach Einstellung der militärischen Feindseligkeiten hatte der am 4. November 1918 gegründete Deutsch-Südtiroler Nationalrat ein Manifest erarbeitet, in dem die verschiedenen Optionen staatsrechtlicher Natur in einer Art Prioritätenliste gereiht waren. An erster Stelle des 6-Punkte-Szenarios stand wunschgemäß der Erhalt der Landeseinheit durch die Integration
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Südtirols in die österreichische Republik – als Bestandteil des Deutschen Reiches.59 Am Ende dieser Aufstellung findet sich hingegen unter Punkt 6 ein aus damaliger Perspektive unbedingt zu vermeidendes Worst-Case-Szenario vermerkt, nämlich ein mit Autonomie ausgestattetes Südtirol als Bestandteil des italienischen Staates. Dass schlussendlich noch für Jahrzehnte – genau genommen bis zum Zweiten Autonomiestatut von 1972 – nicht einmal das erreicht werden würde, wäre nach dem Krieg so wohl noch niemanden in den Sinn gekommen. Zunächst projizierte man aber die ganze Hoffnung auf die Erhaltung der Landeseinheit, die den Sehnsuchtspunkt jeder territorialpolitischen und staatsrechtlichen Lösung schlechthin darstellte. Hinter verschlossenen Türen hatte man sich südlich des Brenners allerdings bereits seit Frühjahr 1919 vorsorglich mit inhaltlichen Fragen einer Autonomielösung beschäftigt. In der Öffentlichkeit hielt man sich damit allerdings zurück – vor allem, um eventuelle Rückwirkungen auf die Pariser Entscheidung zu vermeiden.60 Nach der Wilsonschen Erklärung zu Südtirol im April 1919 schwanden schließlich die Hoffnungen auf eine Südtirol-Lösung außerhalb des italienischen Staates. Und der September 1919 brachte dann in Saint Germain endgültig die Gewissheit, dass Südtirol zu Italien kommen würde. Im Sommer/Herbst 1919 wurden die Karten in der Südtirolfrage also noch einmal neu gemischt. Die Rahmenbedingungen des politischen Handelns – in Bozen gleichermaßen wie in Rom – änderten sich in mehrerlei Hinsicht grundlegend. Im Juni hatte Francesco Saverio Nitti das Amt des Ministerpräsidenten von Vittorio Emanuele Orlando geerbt, der über ein Misstrauensvotum des italienischen Parlamentes gestolpert war. Unter dem früheren mehrmaligen Minister und späteren emigrierten Antifaschisten erfolgte nach einem neunmonatigen Intermezzo Ende Juli 1919 die Überführung der Militärbesatzung in die Zivilverwaltung. Für die Südtiroler Bevölkerung endete damit eine ganze Reihe von drakonisch empfundenen Maßnahmen, die unter der militärischen Besatzung eingeführt worden war: Die kategorische Absperrung der Grenze am Brenner wurde gelockert, die Pressezensur aufgehoben und die fallweise erfolgte Italianisierung von Ortsnamen wieder zurückgenommen.61 Mit der Installierung des Kabinetts Nitti ging allerdings kein grundlegender Kurswechsel der italienischen Südtirol-Politik einher. Die Regierungspolitik des Duos Nitti/Tittoni fügte sich vielmehr in die Logik des von PecoriGiraldi unter der Regierung Orlando begonnenen, recht gemäßigten und zurückhaltenden Engagements in den neuen Provinzen ein. Die Politik des Ministerpräsidenten durchzog eine gleichermaßen demokratische wie autonomistische Grundausrichtung, die mit Blick auf die neue deutsche Minderheit im Norden von brachialen Nationalisierungsversuchen absah. Das zeigte sich schon im Rahmen der Besetzung der Führungspositionen innerhalb der
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neu installierten Zivilverwaltung, in der die nationalen Hardliner außen vor geblieben waren. An die Spitze des im Juli 1919 geschaffenen Zentralamtes für die neuen Provinzen (Ufficio Centrale per le nuove Province) wurde der Historiker und liberalnationale Irredentist Francesco Salata aus Istrien berufen. Er war dezidiert deutschfreundlich und demokratisch-autonomistisch ausgerichtet. Trotz zunehmender Widerstände der erstarkenden Nationalisten und Faschisten blieb er seiner minderheitenfreundlichen Ausrichtung bis zu seiner Abberufung im Oktober 1922 im Wesentlichen treu.62 Auch der im August 1919 zum Generalzivilkommissar der – Südtirol und das Trentino umfassenden – Venezia Tridentina bestellte Politiker Luigi Credaro aus Sondrio lehnte radikalnationale Maßnahmen ab und vertrat grundsätzlich deutsch- und minderheitenfreundliche Positionen. Diese Charakterisierung trifft vor allem auf den ‚frühen‘ Credaro der ersten Schaffensperiode zu. Später, vor allem zur Zeit des Kabinetts Giolitti, verinnerlichte er immer offensichtlicher nationalistische Positionen, die auch den Antagonismus des ‚späten‘ Credaro zu Francesco Salata verschärften. Zwischen verschiedenen Standpunkten hin- und hergerissen konnte aufgrund des wankelmütigen und führungsschwachen Charakters ihres Leiters auch die Administration des Generalzivilkommissariates keine kohärente und effiziente Verwaltungstätigkeit entwickeln. Die italienische Verwaltung in den Bezirken hatte sich vielfach von der Politik des Generalzivilkommissärs emanzipiert und immer eigenmächtiger gehandelt.63 Das Verhältnis Credaros zur Bevölkerung war nicht zuletzt deshalb von Beginn an spannungsgeladen und hatte sich in jenem Maße verschlechtert, wie sich der Generalzivilkommissar von autonomistischen und minderheitenfreundlichen Positionen sukzessive entfernte. Credaro zog sich allerdings von Anfang an auch den Zorn der radikalen Nationalisten zu, aus deren Perspektive er – wie schon Pecori-Giraldi – zu milde agierte. Und nicht zuletzt stellte Credaro aufgrund seiner laizistischen Weltanschauung vor allem für die politisch dominierenden katholischen Kreise, etwa die Trentiner popolari, eine Art rotes Tuch dar. Die neue Zivilverwaltung hatte deshalb unter der Bevölkerung mit veritablen Akzeptanzproblemen zu kämpfen. Claus Gatterers wohl zutreffende Charakterisierung Credaros als „Mann ohne Zivilcourage“ zeichnet das Bild eines letztlich für die Zeit nicht untypischen, wendig-opportunistischen Verwalters, der – von den rechtsnationalistisch-faschistischen Pressionen sichtlich eingeschüchtert – seine ursprünglich liberalen Überzeugungen im Laufe der Zeit weitgehend abstreifte. Der im Sommer 1919 stattgehabte Übergang von der militärischen zur zivilen Verwaltung, den die Regierung Nitti politisch verkörperte, vermochte es allerdings kaum, die bestehenden Probleme in der Durchherrschung der neuen Provinzen zu beseitigen. Die als eine Art Übergangsverwaltung
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installierte neue Zivilverwaltung war mit ähnlich gelagerten Problemen und Konfliktfeldern konfrontiert. Administrative Mehrgleisigkeiten und Kompetenzkonflikte, die für das militärische Besatzungsinterregnum charakteristisch waren, persistierten auch noch nach dem Sommer 1919. Insbesondere die Tatsache, dass mit dem Zentralamt für die neuen Provinzen und dem Generalzivilkommissariat zwei Behörden mit ähnlichen, voneinander nur unzureichend abgegrenzten Zuständigkeiten ins Leben gerufen wurden, sorgte für verwaltungspolitische Verwirrung und wirkte vor allem mit Blick auf das notwendige Zusammenspiel der beiden Leiter der Behörden gleichermaßen lähmend wie konfliktverschärfend. Credaro und Salata entwickelten sich immer mehr zu Konkurrenten und Kontrahenten, die sich vielfach gegenseitig bekämpften.64 Neben der suboptimalen Performance der neuen Zivilverwaltung in Südtirol bot auch die Regierungspolitik im Wesentlichen ein Déjà-vu-Erlebnis. Wie schon in der Vorgänger-Regierung mangelte es auch dem Kabinett Nitti an einer zielgerichteten, kohärenten Vorstellung von Integrationspolitik für die neuen Provinzen. Die schwachen liberalen Regierungen, die es im krisengeschüttelten Quadriennium von November 1918 bis Oktober 1922 auf die stolze Summe von insgesamt fünf Ministerpräsidenten brachten, saßen gewissermaßen zwischen den Stühlen und waren allesamt nicht in der Lage, ein tragfähiges einheitliches Integrationskonzept zu entwickeln und es auch in der politischen Praxis linienkonform durchzusetzen. Die italienische Nachkriegspolitik blieb mit Blick auf die sich stellende Herausforderung einer Integration der neuen Provinzen weiterhin Stückwerk. Das Ende der Regierung Nitti im Juni 1920 und die Ernennung Giovanni Giolittis zum Ministerpräsidenten stellten schließlich eine ungleich schärfere Zäsur dar, als der ein Jahr zuvor vollzogene Wechsel von Orlando zu Nitti. Das Kabinett des in die Jahre gekommenen liberalen Mehrfach-Ministerpräsidenten regierte am Ende des Biennio rosso bereits unter dem Damoklesschwert einer immer stärkeren Front radikalnationaler und faschistischer Agitation, die letztlich in einer verhängnisvollen schrittweisen Anpassung der Regierungspolitik mündete. Auch den Südtiroler Autonomiebestrebungen dieser Zeit wehte in der Folge ein kälterer Wind entgegen, und die Bestimmungen der unter Giolitti finalisierten Annexion Südtirols atmeten einen neuen (nationalistischen) Geist, der mit den minderheitenpolitischen Positionen der Vorgängerregierungen kaum mehr etwas gemein hatte.65 Die angesprochene Autonomielösung war für die Südtiroler politischen Eliten über lange Zeit hinweg – zumindest in der Öffentlichkeit – kein Thema gewesen. Zu groß war die Angst, dass auch nur der Anschein einer Bereitschaft, irgendeine Autonomielösung zu akzeptieren, die Pariser Entscheidung in einem ungewünschten Sinne präjudizieren könnte. Die Fixierung der
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Brennergrenze im Vertrag von Saint Germain stellte die politisch Verantwortlichen im Land allerdings vor vollendete Tatsachen, die – wenn auch vielfach nur schweren Herzens – einen Politikwechsel notwendig erscheinen ließen.66 Die bisherige Ignorierung des italienischen Pendants wich einer prinzipiellen Gesprächsbereitschaft, die den im Oktober 1919 als strategisches Zweckbündnis entstandenen Deutschen Verband erstmals auf Tuchfühlung mit der italienischen Regierung brachte. Noch im selben Monat kam es zu Gesprächen zwischen DV-Vertretern, Ministerpräsident Nitti und Francesco Salata. Die Südtiroler forderten selbstbewusst eine weitgehende Autonomie im Rahmen einer eigenen Provinz mit legislativer und exekutiver Selbstverwaltung. Im Gegenzug versicherte man den römischen Verhandlungspartnern eine konstruktive und loyale Zusammenarbeit mit den staatlichen Organen.67 Die im Rahmen der Gespräche vereinbarte Ausarbeitung eines Autonomieentwurfes durch den Deutschen Verband erfolgte im Rahmen eines 18-Punkte-Programms noch innerhalb Jahresende 1919. Danach vergingen allerdings Monate, bis im April 1920 neue Gespräche in Rom stattfanden. Dem DV-Entwurf zufolge sollte Südtirol eine Art All-inclusive-Autonomie erhalten, die darauf ausgerichtet war, den Zugriff des Staates auf ein Minimum zu reduzieren. Man forderte eine eigenständige, selbstverwaltete Provinz mit Landtag und entsprechender Regierung nach dem Modell der österreichischen Kronländer sowie Minderheitenbestimmungen zum Schutz der deutschen Sprache und der Südtiroler Bevölkerung. In territorialer Hinsicht sollte die in Vorschlag gebrachte autonome Provinz das gesamte deutsch- und ladinischsprachige Gebiet mehr oder weniger in den Grenzen des heutigen Südtirols umfassen. Darüber hinaus brachte man eine eigene militärische Miliz ins Gespräch, deren Einführung zugleich eine Befreiung der Südtiroler Wehrpflichtigen vom italienischen Militärdienst nach sich ziehen sollte.68 Parallel zum Deutschen Verband arbeiteten auch die Südtiroler Sozialdemokraten an einem eigenen Autonomieentwurf. Sie hatten sich einem Eintritt in die bürgerliche Einheitsfront aus ideologischen Gründen stets verweigert und auf einem Parteitag im Februar 1920 den Beschluss gefasst, sich dem reformsozialistischen Turati-Flügel in der sozialistischen Partei anzuschließen. Diese Option für einen eigenständigen organisatorischen und autonomiepolitischen Weg traf in bürgerlichen Kreisen, wo man rasch von einem „Verrat“ sprach, auf harsche Kritik.69 In engeren autonomiepolitischen Agenden und mit Blick auf die Minderheitenschutzmaßnahmen finden sich in den beiden Entwürfen vielfach gleich- oder ähnlich lautende Parallelforderungen – etwa jene nach einer eigenen Provinz mit selbstbestimmten Organen, nach Erhaltung der deutschen Sprache und der Befreiung vom Militärdienst. Unterschiedliche Vorstellungen hatten Bürgerliche und Sozialdemokraten vor allem mit Blick auf die Regelung
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der Kompetenzabgrenzung zwischen nationaler und provinzialer Regierung sowie des Schulwesens. Zudem wollten die Sozialdemokraten der ladinischsprachigen Bevölkerung den Entscheid über ihre Zugehörigkeit freistellen. Insgesamt ging das sozialdemokratische Autonomiekonzept – etwa durch die vorgesehenen Arbeiterschutzbestimmungen – stärker in die Richtung eines ganzheitlichen sozial- und gesellschaftspolitischen Programms, während sich der Deutsche Verband in erster Linie auf grundlegende Fragen der Autonomie und den klassischen Minderheitenschutz konzentrierte.70 Vom 15. bis 21. April 1920 fand schließlich in Rom eine zweite Runde von Autonomiegesprächen statt, in denen zunächst die Sozialdemokraten und anschließend der Deutsche Verband ihre Visionen einer Südtirol-Autonomie der römischen Regierung präsentierten. Die Gespräche endeten zur Enttäuschung der Südtiroler ohne konkrete und verpflichtende Zugeständnisse. Es blieb im Wesentlichen bei freundlichen Absichtserklärungen und Lippenbekenntnissen.71 Die römischen Autonomieverhandlungen fielen in die bereits von politischen Turbulenzen geprägte Endphase der Regierung Nitti, die wenige Wochen später, im Mai 1920, demissionierte. Unter seinem Nachfolger Giovanni Giolitti waren hingegen die politischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für einen aus Südtiroler Sicht erfolgreichen Autonomieabschluss kaum mehr gegeben. Warum hatten sich die Verhandlungen im Sand verlaufen und waren schließlich gescheitert? Und wo lag die Verantwortung dafür, dass aus den Autonomieprojekten der Jahre 1919/20 letztlich nichts wurde? Von entscheidender Bedeutung war zweifelsfrei, dass sich die nationalen politischen Rahmenbedingungen Ende 1919 und 1920 in beträchtlicher Weise verändert hatten. Und mit ihnen wandelte sich auch die Art und Weise, mit der sich die rasch wechselnden römischen Regierungen dem Problem der Integration der neu zugesprochenen Territorien näherten. Einerseits schien das Südtirolproblem nach dem Pariser Schiedsspruch auf der politischen Prioritätenliste deutlich nach unten gerutscht. Angesichts der immer heftigeren innenpolitischen Probleme, die das Biennio rosso kennzeichneten, schien die in Paris zugunsten Italiens entschiedene Südtirolfrage aus römischer Perspektive keinen unmittelbaren Handlungsbedarf mehr hervorzurufen. Andererseits traf die als Nachgiebigkeit ausgelegte mögliche Zuerkennung autonomer Kompetenzen zunehmend auf die Kritik nationalistischer, rechtsgerichteter Kreise, die zu einer sukzessiven Destabilisierung der schwachen italienischen Nachkriegs-Regierungen beitrugen.72 Die aus innenpolitischer Sicht fehlende dringliche Aktualität und die zunehmende (rechte) Kritik an einer – so interpretierten – Politik der Zugeständnisse verengten die realpolitischen Handlungsspielräume und führten zu einer zunehmenden Verschleppung der
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Lösung, die in einer Art Verzögerungstaktik kulminierte. Schon unter Nitti – und in verstärktem Maße unter Giolitti – zog sich die italienische Regierung immer stärker auf den Standpunkt zurück, dass die Autonomiefrage erst nach der Annexion und den darauffolgenden Parlamentswahlen einer Lösung zugeführt werden sollte.73 Erst dann war auch eine parlamentarische Vertretung der neu hinzugekommenen Territorien gewährleistet. In gewisser Weise erinnert diese Hinhalte- und Verzögerungstaktik an die erfolglosen Südtirol-Verhandlungen des österreichischen Außenministers Otto Bauer, die auf italienischer Seite eine ähnlich verzögernde Dynamik annahmen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist schließlich mit dem schwierigen DreierVerhältnis zwischen Rom, Trient und Bozen angesprochen. Der Ruf nach Autonomie vollzog sich nach Kriegsende unter umgekehrten Vorzeichen und in vertauschten Rollen: Nun waren es nicht mehr die Trentiner, die ihre Autonomieforderungen mit Nachdruck – und über Jahrzehnte erfolglos – in Innsbruck deponierten, sondern die Südtiroler, die sich in Rom nun genau jene Freiheiten herausnehmen wollten, die man den Italienischtirolern im Rahmen des Kronlandes Tirol-Vorarlberg seit jeher vorenthalten hatte. Das krisenhafte Zusammenspiel dieser verschiedenen Perspektiven und Verhandlungsebenen war damit schon vorgezeichnet. In Trient hatte die Tatsache für Unruhe gesorgt, dass sich Rom im April 1920 mit den Südtirolern gesondert – also unter Ausschluss der Trentiner – zu Autonomiegesprächen getroffen hatte. Diese Unruhe verwandelte sich in offenen Protest, als eine nach den Gesprächen am 22. April veröffentlichte Regierungsverlautbarung eine Teilung der Venezia Tridentina in zwei mit Separat-Autonomie ausgestattete Provinzen (Südtirol und das Trentino) in Aussicht stellte.74 Es ging die Angst um, künftig in Autonomiefragen neben Bozen nur die zweite Geige zu spielen und am Ende bloß den Rang einer ‚normalen‘ italienischen Provinz am römischen Gängelband zu erlangen.75 Im Trentino drängte man deshalb auf gemeinsame Verhandlungen und – immer entschiedener – auf eine gemeinsame Lösung. Rom sah sich daraufhin genötigt, zurückzurudern und zu betonen, dass die Würfel in der Autonomiefrage noch nicht gefallen wären. Als Reaktion auf die Trentiner Haltung kam es indessen in Südtirol, etwa in Meran, erstmals zu Protesten, die lautstark – mehr als 37 Jahre vor der legendären Kundgebung auf Schloss Sigmundskron – ein „Los von Trient“ forderten.76 Mit Blick auf die künftige Autonomie der nunmehr italienischen Gebiete des ehemaligen Kronlandes schieden sich die Geister an der – vor allem machtpolitisch relevanten – Frage nach dem konkreten Raum, auf den sich die angestrebte Selbstverwaltung beziehen sollte. Dem in Bozen geforderten Konzept einer weitgehenden, auf Südtirol allein beschränkten Provinzialautonomie stand die in Trient favorisierte Idee einer Einheitsprovinz mit entsprechender
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italienischer Mehrheit gegenüber, die im Rahmen des politischen Willensbildungsprozesses die deutschsprachige Minderheit majorisiert hätte.77 Die Schaffung einer Einheitsprovinz wurde am konsequentesten von rechtsnationalistischen Kreisen und den Trentiner Nationalliberalen vertreten, die eine derartige Lösung nachdrücklich forderten. Innerhalb der Sozialisten hingegen überwog die Präferenz für zwei autonome Provinzen, während lediglich eine Splittergruppe (Socialisti battistiani) für eine Einheitsprovinz mit einer Art Selbstverwaltung für Südtirol plädierte. Allerdings sahen die Pläne der Trentiner Sozialisten vor, dass die ladinischen Gebiete und das als mehrsprachig interpretierte Südtiroler Unterland dem Trentino einverleibt werden sollten.78 Unter den Trentiner popolari war man zunächst dem Zwei-ProvinzenModell (ebenfalls mit dem Südtiroler Unterland als Teil des Trentino) durchaus nicht abgeneigt, sprach aber schließlich immer nachdrücklicher dem – vor allem auch von Alcide De Gasperi forcierten – Gedanken der Einheitsprovinz zu. Letztere sollte vor allem gewährleisten, dass das Trentino im Rahmen einer weitreichenden Autonomielösung nicht außen vor blieb oder schlechter gestellt wurde.79 Ein letzter Punkt, der eine Übereinkunft in der Autonomiefrage verkomplizierte und erschwerte, war die Tatsache, dass das in Bozen geforderte Modell einer Art All-inclusive-Autonomie selbst der Südtirol-freundlichen Nitti-Administration viel zu weit ging und mitunter als Versuch zur Schaffung eines ‚Staates im Staate‘ interpretiert wurde. Die Konzession einer umfassenden Autonomie hätte die Kritik der erstarkenden Nationalisten hervorgerufen und die im permanenten Überlebenskampf begriffenen, schwächelnden liberalen Regierungen in noch höherem Maße destabilisiert. Die skizzierten Faktoren und Entwicklungen ließen die Autonomieprojekte von 1919/20 letztlich scheitern. Und die Frage nach der Art der Selbstverwaltung, mit der die neuen Provinzen bedacht werden sollten, blieb bis auf weiteres unbeantwortet. Der Verweis auf die Bewerkstelligung der Annexion als Conditio sine qua non bildete mit Blick auf die Umsetzung und konkrete Ausgestaltung der Autonomie eine Art phrasenhafte Rückzugsposition, die von den liberalen Kurzzeit-Regierungen immer entschiedener eingenommen wurde. Die Realisierung der italienischen Annexion Südtirols konnte von der Regierung Nitti, die knapp ein Jahr nach ihrer Einsetzung im Juni 1920 bereits wieder Geschichte war, nicht mehr unter Dach und Fach gebracht werden. Die Rahmenbedingungen für eine in autonomiepolitischer Hinsicht einigermaßen erfolgversprechende Annexion waren allerdings unter dem Nachfolge-Kabinett des Ministerpräsidenten Giovanni Giolitti alles andere als günstig. Im Vergleich mit dem Nitti-Entwurf war das fünf Artikel umfassende Annexionsdekret
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Giolittis ungleich zentralistischer ausgerichtet und im Prinzip bereits antiautonomistisch angehaucht. Während im Entwurf Nittis der Respekt vor den Einrichtungen der vor Ort bestehenden regionalen Selbstverwaltung einen durchgängigen Grundsatz bildete, war durch das Annexionsdekret seines Nachfolgers der staatlichen Ingerenz und legislativ-administrativen Zentralisierung Tür und Tor geöffnet.80 Als am 8. August 1920 im Zuge der parlamentarischen Diskussion der Annexion erstmals Südtirol auf der Tagesordnung der italienischen Abgeordnetenkammer stand, fand sich dort – im aufgeheizten innenpolitischen Klima wenig überraschend – eine breite Phalanx von Autonomiegegnern zusammen, der jedes Verständnis für einen aktiven Minderheitenschutz abging. Lediglich die Sozialisten ergriffen für eine Südtiroler Separat-Autonomie Partei. Sie hatten schon unmittelbar nach Kriegsende die von den Südtiroler Sozialdemokraten erhobene Forderung nach Selbstbestimmung unterstützt. Sozialistenchef Filippo Turati forderte bereits am 21. November 1918, wenige Wochen nach Kriegsende, in der italienischen Abgeordnetenkammer das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol. Eine Annexion Südtirols sei mit den „Idealen des Risorgimento“ nicht vereinbar. Explizit verwies der Sozialist auf den imperialistischen Charakter einer Einverleibung Südtirols. Im Juli 1919 brachte er dem Parlament erneut die Forderung der Südtiroler Politik sowie der 172 deutsch- und ladinischsprachigen Gemeinden nach Selbstbestimmung zur Kenntnis. Auch der Reformsozialist Leonida Bissolati hatte sich in seiner berühmten Rede vom 11. Januar 1919 in der Mailänder Scala gegen eine Annexion ausgesprochen und dafür vom Publikum ohrenbetäubende Pfiffe, Hohn und Spott geerntet.81 Der spätere Exil-Antifaschist und HarvardProfessor Gaetano Salvemini machte sich ebenfalls – im Übrigen auch noch nach 1945 – für die Südtiroler Anliegen stark. Anlässlich der Annexionsdebatte in der italienischen Kammer, die vom 7. bis 9. August 1920 stattfand, brachte Turati schließlich den Antrag auf die Durchführung einer Volksabstimmung in Südtirol ein, der allerdings – wenig verwunderlich – vom Parlament abgelehnt wurde. Für seinen Parteikollegen Ezio Riboldi, der sich auch vehement für eine Volksabstimmung aussprach, hatte man „den Willen der Betroffenen mit Füßen getreten und gegen die Traditionen unseres nationalen Risorgimento verstoßen“.82 Weil die Selbstbestimmungskonzepte nicht mehrheitsfähig waren, konzentrierten sich die darauf folgenden u. a. von Claudio Treves, Francesco Cicotti, Costantino Lazzari und Giacomo Matteotti eingebrachten sozialistischen Anträge schließlich auf die Erreichung einer territorial auf Südtirol beschränkten Autonomie.83 Schon der von den Südtiroler Sozialdemokraten nach dem Frieden von Saint Germain ausgearbeitete Autonomieentwurf war in enger Kooperation mit den italienischen Sozialisten – vor
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allem mit dem später von faschistischen Squadristen ermordeten Giacomo Matteotti – entstanden. Das Annexionsdekret passierte schließlich die beiden Kammern, und die Annexion Südtirols durch Italien trat am 10. Oktober 1920 in Kraft.84 Die Mehrheitsverhältnisse waren dergestalt, dass die Sozialisten allein nicht in der Lage waren, die Regierungsentwürfe in dieser Frage zu verhindern. Aber auch die Sozialisten sprachen nicht mit einem Wort. Gewisse Parteikreise, wie etwa der Flügel rund um Pietro Nenni, tendierten aus einer parteiopportunistischen, staatspragmatischen Haltung heraus eher dazu, die Annexion zu unterstützen. Nicht einmal die Hälfte der italienischen Parlamentarier (218 von 508) waren an jenem 9. August 1920, als die Ratifikation des Annexionsdekretes über die Bühne ging, im Abgeordnetenhaus anwesend. Schließlich stimmten 170 Parlamentarier für die Annexion, während 48 Abgeordnete – allesamt Sozialisten – dagegen votierten. Von den insgesamt 156 sozialistischen Parla mentariern wohnten nur 59 der Debatte bei – elf sozialistische Abgeordnete hatten unmittelbar vor der Abstimmung den Saal verlassen.85 Mit dem Beschluss der Annexion war der engere formalrechtliche Akt der Integration Südtirols in den italienischen Staat abgeschlossen. Die Implementierung der italienischen Verfassung in den annektierten Gebieten erfolgte dann über ein königliches Dekret vom 26. Oktober 1920. Mit einem weiteren, am 30. Dezember 1920 erlassenen Rechtsakt erhielten schließlich jene Südtiroler die italienische Staatsbürgerschaft, deren ‚Heimatzuständigkeit‘ zum Zeitpunkt vor dem Kriegseintritt Italiens – der 24. Mai 1915 galt gleichsam als Stichtag – in einer Gemeinde des Landes gegeben war. Für die Gruppe jener rund 30.000 Bürger, die ihre Heimatzuständigkeit in Südtirol erst nach dem erwähnten Stichtag erworben hatte, sah der Vertrag von Saint Germain ein Optionsrecht vor, das Claus Gatterer in Anlehnung an die Option von 1939 als „erste Option“ bezeichnet hatte. Im Rahmen dieses Optionsrechtes konnte nach entsprechender Willensbekundung die italienische Staatsbürgerschaft erlangt werden. Bei dieser doch recht ansehnlichen Gruppe handelte es sich großteils um bei Bahn und Post beschäftigte Beamte und Verwaltungsbedienstete, die aus anderen Teilen der verflossenen Monarchie stammten. Die Tatsache, dass in etwa 10.000 Anträge – vornehmlich jene ehemaliger österreichisch-ungarischer Staatsbeamter – von den italienischen Behörden abgelehnt wurden, gab einen ersten Vorgeschmack auf spätere, unter dem Faschismus bewerkstelligte ähnliche Maßnahmen. Viele deutschsprachige Beamte verloren ihre Arbeit. Bis 1923 war etwa die Italianisierung des Bahnpersonals weit fortgeschritten. Rund 90 Prozent des deutschsprachigen Personals waren entweder gekündigt worden oder hatten freiwillig den Platz geräumt.86
Kapitel 4
Am grünen Tisch: ‚Verhandlungen‘ in Saint Germain Menschen, Mächte und Memoranden: Tirol im globalen Diskurs Als die George Washington am 4. Dezember 1918 Richtung Europa auslief, war neben Präsident Wilson und seinen Vertrauten nicht nur ein imposanter Stab an amerikanischen Delegationsteilnehmern mit an Bord, sondern auch im eigentlichen Sinne des Wortes ‚gewichtiges‘ intellektuelles Material. Drei Militär-Lkw hatten die Fracht in den ersten Dezembertagen nach Hoboken, New Jersey, gebracht, von wo aus das Schiff seine Reise nach Europa antrat. Sie umfasste mit wissenschaftlichen Studien und Publikationen prall gefüllte Kisten – Massen von Unterlagen, die von der so genannten Inquiry – einer Art Studienkommission, die auf Geheiß des amerikanischen State Departments im Oktober 1917 ins Leben gerufen wurde – für die Friedenskonferenz zusammengetragen und erarbeitet worden waren.1 Darunter befanden sich auch etliche Expertisen zu den Verhältnissen in den österreichisch-italienischen Grenzterritorien und zur Problematik des künftigen Grenzverlaufs in Tirol. Das Präsidentenschiff, so kommentierte ein britischer Delegationsteilnehmer damals ironisch, „knarrte und stöhnte über dem Atlantik unter dem Gewicht seiner Gelehrsamkeit“.2
Abb. 11
Die Mitglieder der amerikanischen Inquiry in Paris
© Verlag Ferdinand Schöningh, 2019 | doi:10.30965/9783657702565_006
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Die amerikanische Inquiry hatte 1918 zeitweise mehr als 150 Wissenschaftler beschäftigt, darunter Politologen, Wirtschaftswissenschaftler, Geographen und – nicht zuletzt – auch Historiker. Bis zu Kriegsende waren auf diese Weise über 2.000 schriftliche Expertisen entstanden. Ein beträchtlicher Teil dieser Elaborate betraf Territorialfragen. Als wissenschaftlich fundierte Einschätzungen sollten sie auch eine Art Entscheidungshilfe für die definitive Festlegung jener zwischenstaatlichen Grenzen sein, die im Rahmen der Pariser Konferenz neu gezogen werden sollten. Ein Expertenstab von rund 20 InquiryMitarbeitern war deshalb im Rahmen der American Commission To Negotiate Peace, die Mitte Januar 1919 die aufgelöste Inquiry substituierte, auch Teil der US-amerikanischen Friedensdelegation in Paris. Wie in Washington hatte man auch in London und Paris noch während des Krieges Expertenstäbe eingerichtet, die mit der Aufgabe betraut waren, Elaborate für die Friedensplanung und zur Unterstützung der eigenen (territorialen) Forderungen zu erarbeiten. Das britische Political Intelligence Department wurde als Teil des Foreign Office im März 1918, das französische Comité d’études bereits im Februar 1917 eingerichtet. Zwölf britische und sechs französische Experten waren Teil der jeweiligen Friedensdelegationen in Paris.3 Mit Blick auf den Verlauf der künftigen österreichisch-italienischen Grenze gelangten die Experten zu durchwegs unterschiedlichen Ergebnissen, deren Grundtendenz gleichwohl in eine ähnliche Richtung wies. Sachverständige wie der Geologe Douglas W. Johnson oder J. Nelson Gay, die aus verschiedenen Gründen für die Brennergrenze plädierten, vertraten innerhalb der amerikanischen Inquiry eine Minderheitenposition. Für Johnson war es „absolutely essential for the security of Italy that she should control the outlets of the Vintschgau and of the routes from the Brenner Pass and the Puster Thal into Italy […].“4 Prominente Kommissionsmitglieder, wie etwa der bekannte Mediävist Austin Patterson Evans von der Columbia University, der Historiker James Thomson Shotwell oder der Leiter der Italian-Division der amerikanischen Friedensdelegation, William Edward Lunt, sprachen sich für eine Grenzziehung nach ethnisch-sprachlichen Kriterien aus, die Italien lediglich das Trentino und – etwa im Falle Lunts – zusätzlich die ladinischsprachigen Gebiete überantwortet hätte. Die in Chicago lehrende Geographin Ellen Churchill-Semple favorisierte beispielsweise eine zwischen dem Brenner und der Sprachengrenze verlaufende Kompromissvariante.5 Die im Falle einer Grenze am Brenner zu gewärtigende Eingliederung einer derart hohen Zahl deutschsprachiger Tiroler in den italienischen Staat sei, so Churchill-Semple, vom ethnischen und historischen Standpunkt unbefriedigend und mit dem Prinzip der Selbstbestimmung unvereinbar.6
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Eine Kompromissvariante stand schließlich auch im Mittelpunkt des am 21. Januar 1919 publizierten Abschlussberichtes der Inquiry (Black Book), der als eine Art finaler Hauptbericht die amerikanischen Expertenmeinungen in zwei umfassenden Bänden resümierte. Die in der Folge als American Line bezeichnete, gleichsam am Reißbrett neu gezogene Tiroler Grenze kam der einstigen ‚napoleonischen‘ Nordgrenze des Königreiches Italien von 1810 sehr nahe: Die Städte Bozen und Meran sowie das Vinschgau sollten Italien zugeschlagen werden, das Eisacktal nördlich von Waidbruck und das Pustertal hingegen bei Österreich verbleiben.7 Auf diese Weise wären nach Berechnungen der amerikanischen Experten zwar 161.000 deutschsprachige Südtiroler dem italienischen Staat überlassen worden, immerhin aber 71.000 Deutschsüdtiroler sowie rund 10.000 Ladiner bzw. Italiener bei Österreich verblieben.8 Die American Line suchte einen Ausgleich zwischen geographisch-strategischen Gesichtspunkten und den Forderungen nach einer ethnisch-sprachlich ausgerichteten Grenzziehung. Einflussreicher als diese teilweise schon im Laufe des letzten Kriegsjahres erarbeiteten Dossiers eher politikferner Wissenschaftler-Experten waren die Einschätzungen jener Sachverständigen, die in einem Naheverhältnis zu Präsident Woodrow Wilson standen.9 Noch vor Kriegsende beauftragte Wilsons engster Vertrauter und Berater Edward House im Oktober 1918 die dem Präsidenten nahestehenden Journalisten Walter Lippmann und Frank Cobb mit der Aufgabe, die vage gehaltenen und vielfach beliebig interpretierbaren Wilsonschen 14 Punkte in einem Kommentar zu konkretisieren. Auf diese Weise sollte eventuellen Missverständnissen vorgebeugt und zahlreich genährte falsche Hoffnungen im Keim erstickt werden.10 Am 29. Oktober 1918 billigte der amerikanische Präsident schließlich das ihm vorgelegte Cobb-LippmannMemorandum als „a satisfactory interpretation of the principles involved“.11 Für Südtirol waren die Präzisierungen der beiden Wilson-Vertrauten vor allem deshalb von Bedeutung, weil ihnen eine romfreundliche Interpretation des Italien betreffenden neunten der 14 Punkte zugrunde lag, der eigentlich recht unmissverständlich von einer Neuausrichtung der italienischen Grenzen „along clearly recognizable lines of nationality“ gesprochen hatte. In scheinbarem Widerspruch dazu zog der Commentary von Cobb und Lippmann aus strategisch-geographischen und sicherheitspolitischen Gründen (möglicher Anschluss Deutsch-Österreichs an Deutschland) nunmehr die Brennergrenze in Betracht.12 Den Südtirolern sollte allerdings in Italien eine umfassende Autonomie gewährt und das Recht auf Befreiung von der Militärdienstpflicht eingeräumt werden.13 Der Charakter dieser Art Minderheitenschutz ähnelte damit dem Autonomiekonzept des Deutschen Verbandes, das nach Inkrafttreten
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des Vertrages von Saint Germain zur Disposition stand und mit Italien – allerdings erfolglos – diskutiert und verhandelt wurde. In ähnlicher Weise wie Cobb und Lippmann ergriff in einer Mitte März an Präsidentenberater House gerichteten Einschätzung auch der Leiter der InquiryNachfolgebehörde Sidney Mezes für die Brennergrenze Partei. Wie schon im Cobb-Lippmann-Memorandum angedacht, sollte den deutschsprachigen Südtirolern dabei ein weitreichender Minderheitenschutz gewährt werden.14 Im Rahmen seines Alleingangs, der ohne Rücksprache mit den Inquiry-Kollegen erfolgte, gab Mezes unzutreffender Weise vor, für die Kommission als solche zu sprechen. In der Folge entwickelte sich ein Schlagabtausch, in dem die InquiryExperten gegen die Brennergrenze Stellung nahmen und in einem für House gedachten Kommuniqué vom 17. März 1919 noch einmal auf die weiterhin gültige Black-Book-Position der Kommission pochten, die eine (Kompromiss-) Grenze südlich des Brenners vorsah. Die Stellungnahme verwies zur Untermauerung des eigenen Standpunktes auch auf zu ähnlichen Schlüssen gelangende britische und französische Expertisen.15 In der Zeit zwischen dem Beginn der Pariser Friedenskonferenz im Januar 1919 und der berühmt-berüchtigten Adria-Botschaft Wilsons vom 24. April, mit der auch die Zusage der Brennergrenze öffentlich bekannt wurde, brachen sich demnach zwei verschiedene Argumentationsstränge des amerikanischen Expertendiskurses Bahn. Die erste, sich innerhalb der Inquiry als genuiner Expertendiskurs durchsetzende Meinung favorisierte eine Kompromisslösung, die zwischen geographisch-strategischen und ethnografischen Perspektiven zu vermitteln suchte. Der zweite, sich im unmittelbaren Berater-Umfeld des Präsidenten entwickelnde Standpunkt präferierte unter der Kondition eines entsprechend garantierten Minderheitenschutzes eine Grenze am Brenner. Es bleibt eine offene Frage, inwieweit es sich dabei um eine ‚von oben‘ unabhängig ventilierte Meinung handelte. Möglicherweise waren die sich in diesen Kreisen häufenden Brennergrenze-Plädoyers auch eine Konsequenz des unter den Präsidentenberatern wachsenden Bewusstseins, dass Wilson – wie es noch aufzuzeigen gilt – sich offensichtlich schon sehr früh mit der Brennergrenze abgefunden hatte. Die Frage der künftigen österreichisch-italienischen Grenze war selbstredend auch in den britischen und französischen Expertenstäben ein Thema, in denen – vergleichbar mit der amerikanischen Inquiry – teilweise ähnlich verschiedene Grenzziehungskonzepte ventiliert wurden. Unter den britischen Experten genoss Südtirol nicht wenige Sympathien: Der Historiker James Headlam-Morley etwa griff die in Tirol bereits geborene Idee eines unabhängigen Tiroler Staates als eine Art „second Switzerland“ auf. Und Charles Oman – Oxforder Geschichte-Professor – wies die italienischen Ansprüche auf
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Südtirol ebenfalls zurück. „Giving Italy up to the Brenner on purely strategical grounds“, so Oman, „is inconsistent with all honest observance of our pledges.“16 Davon unbeschadet war der britische und französische Expertendiskurs im Vergleich mit dem US-amerikanischen möglicher Weise stärker politisch bedingt. Aufgrund der im Londoner Vertrag versprochenen Territorien standen London und Paris – im Gegensatz zu den USA – den Italienern im Wort. Aus einer realpolitischen Perspektive verengte sich dadurch der Spielraum für alternative Grenzziehungen beträchtlich. Sie wurden von Rom samt und sonders kategorisch abgelehnt. Innerhalb des britischen Expertendiskurses waren die eher der Sprachengrenze zuneigenden Meinungen vor allem im Verteidigungsministerium, im War Office, beheimatet, wo man im Februar 1919 die ethnische Grenze oder zumindest die American Line als Kompromisslösung empfahl. „There would probably be little general discontent among Austrian Germans if the Trentino alone were to be ceded to Italy“, stellte man im War Office fest, „but the addition of the whole of the Alto Adige would undoubtly give rise to prolonged and bitter hostility from both Austria and Germany (especially Bavaria), and would create an extremely difficult problem for the Italian Government in dealing with the Germans of the Alto Adige, who are proverbial for their touch patriotism and their traditional and successful hostility to any alien conqueror.“17 Im Foreign Office hingegen sah man sich unter Außenminister Arthur James Balfour primär einer politisch-pragmatischen Position verpflichtet und akzeptierte de facto den Brenner.18 Balfour und auch Lloyd George standen aufgrund des Londoner Vertrages zum 1915 versprochenen Brenner, auch wenn der Premierminister im Rahmen mehrerer Stellungnahmen stets sein Unbehagen mit Blick auf die italienische Annexion eines fast ausschließlich deutschsprachigen Territoriums zum Ausdruck gebracht hatte.19 Ungeachtet der skizzierten rechtlich-moralischen Zwangslage suchte man als Konsequenz des erwähnten Unbehagens auf Italien einzuwirken, um Rom zu einem Überdenken des nicht nur aus britischer Perspektive überzogen erscheinenden territorialen Forderungsprogramms zu bewegen. All diese Bemühungen waren letztlich aber erfolglos. Im Abschlussbericht des Expertenstabes der britischen Friedensdelegation vom 8. Februar 1919 wurde schließlich der Brenner als künftige österreichisch-italienische Grenze akzeptiert.20 Lloyd George stimmte genauso wie Clemenceau am 19. April 1919 endgültig der Brennergrenze zu. In ähnlicher Weise wie der britische stand allerdings auch der französische Ministerpräsident der Brennergrenze reserviert gegenüber. Auch in Paris hätte man eine konziliantere Politik Roms mit Blick auf die künftige österreichisch-italienische Grenze in Tirol begrüßt; vor allem deshalb, weil es der französischen Politik in erster Linie um die Verhinderung des Anschlusses
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Österreichs an Deutschland ging und man durch eine Richtung Norden verschobene italienische Grenze nicht nur Österreich geschwächt, sondern auch die eigenen Donaukonföderationspläne durchkreuzt sah.21 Dass Clemenceau die Brennergrenze schließlich im April definitiv akzeptierte, ist neben der auch in Paris anerkannten prinzipiellen Bindung durch den Londoner Vertrag vor allem einem machtpolitisch-kompensatorischen Umstand zuzuschreiben: Der Brenner war das Italien gewährte ‚Trostpflaster‘ dafür, dass man gemeinsam mit London und Washington im Konfliktpunkt der italienisch-jugoslawischen Grenze hart bleiben und Rom keinesfalls auf Kosten des neuen SHS-Staates stärken wollte. Der skizzierte Antagonismus zwischen Expertenmeinungen einerseits und realpolitischen ‚Zwängen‘ andererseits kennzeichnete demnach auch die französische Haltung gegenüber Südtirol. Dabei hätte den ursprünglichen französischen Experten-Plänen zufolge in Tirol sogar eine Volksabstimmung stattfinden sollen. Am Ende schlossen sich die Sachverständigen des Comité d’études aber dem Inquiry-Kompromissvorschlag der American Line an. Damit hatten sie sich gleichzeitig auch gegen den Brenner positioniert, der allerdings wiederum auf (real)politischer Ebene alternativlos zu sein schien.22 Den viele Aktenordner füllenden Memoranden der amerikanischen, britischen und französischen Sachverständigen war letztlich ein ähnliches Schicksal beschieden. Für den Entscheidungsprozess der hohen Politik spielten sie kaum eine Rolle. Insbesondere der amerikanische Präsident schien in Territorialfragen durchweg beratungsresistent zu sein, nahm auch in Paris kaum die Möglichkeit eines Austausches mit den Inquiry-Experten wahr und entschied insbesondere in der Tiroler Grenzfrage weitgehend autonom.23 Nicht zuletzt deshalb kam dem alliierten Expertendiskurs – wo immer er auch geführt wurde – eher eine akademische denn realpolitische Bedeutung zu.24 Außerhalb eines professoralen Spezialistenzirkels hatte er – zumindest in der Tiroler Frage – kein entscheidungsrelevantes Gewicht. Neben der Politik und den sich in der Regel aus Wissenschaftlern zusammensetzenden Studienkommissionen ist mit den im angelsächsischen Kontext als field missions bezeichneten alliierten Vor-Ort-Behörden ein dritter Akteur zu nennen, der Teil jenes Beziehungsdreiecks war, in dem die Diskussionen um territoriale Fragen und künftige Grenzen stattfanden. Amerikaner, Briten, Franzosen und Italiener waren nach dem Krieg im Rahmen dieser Missionen ziviler und militärischer Natur in Österreich präsent. Sie hatten einerseits vor allem die Aufgabe, aktiv auf die österreichische Politik in der Verfolgung eigenstaatlicher Interessen einzuwirken; andererseits waren sie damit betraut, gleichsam unvermittelt über die politischen Entwicklungen und gesellschaftlichen Stimmungslagen im postimperialen Österreich möglichst objektiv zu berichten. Darüber hinaus ging es auch um die Erarbeitung von
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Vor-Ort-Expertisen, die sich vielfach mit der Problematik der vieldiskutierten österreichischen Grenzfragen befassten. Unabhängig davon, ob es sich nun um den Historiker und Harvard-Professor Archibald Cary Coolidge handelte, der sich von Februar bis April 1919 im Auftrag des amerikanischen Außenministeriums in Wien befand, oder um die von London und Paris 1919 nach Österreich entsandten Thomas Cuninghame (Militärbevollmächtigter) und Henry Allizé (Sonderbotschafter) – hinsichtlich ihres politischen Handelns lassen sich zwei Gemeinsamkeiten ausmachen: Erstens eine österreichfreundliche Grundhaltung,25 aus der mit Blick auf die Südtirolproblematik gleichzeitig auch eine tendenziell ablehnende Haltung zur Brennergrenze resultierte.26 Coolidge hatte in seinem umfassenden Memorandum vom 10. März 1919 über „The New Frontiers in Former AustriaHungaria“ unmissverständlich festgestellt: „The German speaking region of South Tyrol should be given to Austria, not to Italy.“27 Auch Cuninghame und Allizé ergriffen bei verschiedenen Gelegenheiten für Südtirol Partei. Allizé ging es in diesem Zusammenhang vor allem darum, die Anti-Anschluss-Kräfte im Land zu mobilisieren und die österreichisch-italienische Zusammenarbeit zu konterkarieren. Sowohl der britische Militärbevollmächtigte als auch der französische Sonderbotschafter bestärkten noch in den Wochen zwischen April und Mai 1919 die österreichische Seite in der Meinung, dass im Falle eines Anschlussverzichtes Südtirol für Wien noch nicht verloren sei.28 Diese Behauptungen entbehrten vielfach jeder realpolitischen Grundlage und konnten sich nicht auf entsprechend rückversicherte Zusagen der jeweiligen Regierungsverantwortlichen stützen.29 Man hielt diese Beteuerungen selbst noch im Mai 1919, und damit zu einem Zeitpunkt aufrecht, als die Würfel in Paris de facto längst gefallen waren, sich die ‚Großen Vier‘ im Übrigen schon auf das Anschlussverbot geeinigt und Wilson in seiner Adria-Botschaft Südtirol bereits Italien zugesprochen hatte.30 Noch Mitte Mai suchte Allizé den Quai d’Orsay für eine – zu diesem Zeitpunkt bereits unrealistisch gewordene – modifizierte American-Line-Grenze zu gewinnen, derzufolge Bozen zu Italien kommen und Meran bzw. Brixen bei Österreich verbleiben sollten.31 Die zweite augenfällige Gemeinsamkeit dieser Vor-Ort-Missionen der alliierten Westmächte in Österreich bestand in der letztlich geringen realpolitischen Bedeutung der jeweiligen Repräsentanten für den Pariser Entscheidungsprozess. Weder Coolidge noch Cuninghame oder Allizé kam in der Tiroler Frage ein nennenswerter Einfluss auf die jeweiligen diplomatischen Diskussionsprozesse und Entscheidungsakteure zu.32 Vielfach waren sie nicht oder lediglich unzureichend über die Position der eigenen Regierung in Paris und den entsprechenden Fortgang der Beratungen und Verhandlungen unterrichtet. Den Initiativen und Vorschlägen der alliierten Gewährsmänner
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in Wien war kaum einmal irgendein durchschlagender Erfolg beschieden.33 Archibald Coolidge war sich der marginalen Bedeutung seiner Mission und der beschränkten Einflussmöglichkeiten nur allzu gut bewusst. Ein Brief an den Weihnachtsmann, argwöhnte er daher halb ironisch, halb sarkastisch, würde bessere Chancen auf eine Antwort haben als eine Anfrage an die Pariser Delegation.34 Folglich handelten insbesondere Allizé und Cuninghame vielfach auf eigene Faust und stellten gegenüber der österreichischen Seite Versprechungen in den Raum, die in nicht wenigen Fällen frei erfunden waren. Auf diese Weise tat sich eine große Kluft zwischen dem in Wirklichkeit bescheidenen Einfluss der Wiener Missionen auf die Konferenzpolitik einerseits und den meist überzogenen Hoffnungen der österreichischen Politik sowie der Bevölkerung auf. Vor allem letztere überschätzte die reale Bedeutung der Vor-Ort-Repräsentanten jener Staaten, die in Paris das Sagen hatten. Coolidge, Cuninghame und Allizé verkörperten in dieser unsicheren Zeit für viele Österreicher und Tiroler unzutreffender Weise einflussreiche alliierte Autoritäten, von denen man sich in vielen Bitten, die im Rahmen unzähliger Memoranden und Gesuche vorgetragen wurden, eine Unterstützung der jeweiligen Anliegen versprach.35 Diese Hoffnungen wurden speziell in der Causa Südtirol spätestens dann bitter enttäuscht, als der sich ankündigende Verlust des Landes mit der Überreichung des ersten Friedensvertragsentwurfs Anfang Juni 1919 Gewissheit zu werden schien. Eine Sonderrolle kam der italienischen Militärmission in Wien zu, die bereits seit Dezember 1918 amtierte und das diplomatische Geschehen in Österreich bis zur Installierung der amerikanischen, britischen und französischen Missionen beherrschte. Der italienischen Mission, die General Alberto Segrè unterstand, ging es aus taktischen Gründen primär um die Unterstützung der Bauerschen Anschlusspolitik. Auf diese Weise wollte man zum einen die französischen Donaukonföderationspläne desavouieren; zum anderen ging es auch darum, den Anspruch auf die Brennergrenze im Rahmen einer sicherheitspolitischen und verteidigungsstrategischen Argumentation abzusichern.36 Die Entsendung Allizés nahm sich vor allem als Reaktion auf die italienischen diplomatischen Aktivitäten in Österreich aus. Der Sonderbotschafter suchte die österreichisch-italienische Annäherung zu unterminieren sowie in Opposition zur italienischen Unterstützungspolitik die anschlussfreundliche Richtung der österreichischen Nachkriegspolitik zurückzudrängen.37 Der französisch-italienische Gegensatz verschärfte sich auf österreichischem Boden bald nach der Einrichtung der französischen Mission in Wien. Gerade auch mit Blick auf die Südtirol-Problematik geriet man
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zunehmend aneinander, vor allem nachdem eine Südtiroler Delegation im April 1919 bei Allizé vorgesprochen hatte. Die Tatsache, dass Allizé Wien und Innsbruck mit Blick auf Südtirol kontinuierlich Hoffnungen machte und zur Agitation gegen die vermeintlich noch verhandlungsoffene Frage der Tiroler Grenze ermunterte, führte zu diplomatischen Protesten und geharnischten italienischen Pressekommentaren.38 Die italienische Position zu Südtirol war schließlich in dem so genannten Barzilai-Memorandum dargelegt, das am 7. Februar 1919 dem Großen Rat in Paris präsentiert wurde. Die Inhalte des Memorandums drangen dann ab 12. März über die Medien an die Öffentlichkeit.39 Das von Francesco Salata verfasste und von dem Politiker und Salandra-Anhänger Salvatore Barzilai, einem Mitglied der italienischen Friedensdelegation in Paris, redigierte Papier hatte mit Blick auf die Brennergrenze Rechtfertigungscharakter und nimmt sich typisch für eine Vielzahl vergleichbarer Territorialmemoranden mit forderndem Charakter aus. Das Memorandum internalisierte die radikalnational-imperialistische Tolomeische Perspektive und arbeitete mit geschichtsklitterischen Methoden, indem es etwa von einer im 19. Jahrhundert stattgehabten vermeintlichen Germanisierung Südtirols sprach.40 Geschickt stellte man zur Relativierung des ethnischen Prinzips strategische, geographisch-naturräumliche und ökonomische Gesichtspunkte in den Vordergrund, von denen man – zumindest mit Blick auf letztere zwei – wusste, dass Sie in der alliierten, vor allem amerikanischen Diskussion über die territoriale Neuordnung eine gewisse Rolle spielten. „Wenn die Italiener Venedig verteidigen wollen“, zitierte das Memorandum den berühmten Satz des späteren österreichisch-ungarischen Reichskriegsministers Franz Kuhn von Kuhnenfeld aus dem Krieg von 1866, „müssen sie sich in den Besitz Südtirols bis zum Brenner setzen.“41 Mit Blick auf die konkrete Grenzziehung ging das Barzilai-Memorandum noch über die im Londoner Vertrag vorgesehenen Konzessionen hinaus und forderte unabhängig von dem bisher stets hervorgekehrten und im Londoner Vertrag verankerten Wasserscheidenprinzip auch noch Innichen und Sexten.42 Als die italienischen Forderungen bekannt wurden, sprachen sich die Inquiry-Experten entschieden gegen den italienischen Standpunkt aus und brachten erneut zum Ausdruck, dass die American Line auch in strategischer Hinsicht ausreichend Schutz böte. Zu diesem Zeitpunkt war die Brennergrenze allerdings in der Vorstellung jenes Mannes schon zu einer festen Idee geworden, der den Pariser Diskussionsprozess um den Frieden dominierte wie kein anderer: Woodrow Wilson.
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„Was mich betrifft, gehört der Brenner euch.“: Die Entscheidung eines Präsidenten Würde man die teilweise sehr umfangreich ausgefallenen amerikanischen, britischen und französischen Memoranden zur künftigen österreichischitalienischen Grenzziehung stapeln, wäre der Turm der Expertisen, die den Grenzverlauf in Tirol nicht am Brenner, sondern weiter südlich gezogen hätten, wesentlich höher als der Stoß jener Denkschriften, die für den Brenner plädierten. Der Einfluss, den all diese ‚wissenschaftlich‘ erarbeiteten Szenarien zur Grenzziehung in Tirol hatten, war letztlich gering. Und die Gründe, warum sich in Paris trotz erheblicher Vorbehalte am Ende doch die Brennervariante durchsetzen konnte, sind in anderen Motivationen zu suchen. Letztere machen vor allem deutlich, dass die Konstellation eines regionalen Grenzproblems im Kontext der Pariser Friedenskonferenz nicht losgelöst von seinen internationalen und globalen Zusammenhängen und Verflechtungen gesehen werden kann – auch und schon gar nicht die Tiroler Frage 1919. Mit Blick auf diese beherrschenden internationalen Kontexte war, erstens, ausschlaggebend, dass die Tiroler Grenzfrage zu einer Art Spielball innerhalb des Ausverhandlungsprozesses der italienischen Nordgrenze insgesamt verkam. Auf diese Weise wurde sie zum Objekt verschieden definierter Interessenspolitiken, die sich für die Südtirolfrage als eigenständige regionale Grenz-Problematik kaum interessierten. Eigentlich – und vor allem – ging es um die Festlegung der umstrittenen italienisch-jugoslawischen Grenze im Nordosten, und in diesem Kontext vordringlich um die staatliche Zukunft der Stadt Fiume (das heutige Rijeka), die zum Stein des Anstoßes einer heftigen Kontoverse zwischen Italien und den alliierten Partnern wurde. Franzosen und Amerikaner lehnten eine Stärkung Italiens auf Kosten des neu entstandenen SHS-Staates kategorisch ab und widersetzten sich der italienischen Forderung nach Eingliederung des mehrheitlich italienischsprachigen Fiume, das im Rahmen der vereinbarten Gebietsabtretungen des Londoner Vertrages nicht vorgesehen war.43 Insbesondere der amerikanische Präsident sprach sich kategorisch gegen eine italienische Appropriation der Stadt aus und war auch sonst nicht gewillt, allen italienischen Forderungen zu entsprechen. Seine überraschende Adria-Botschaft vom 24. April 1919 sollte der italienischen Bevölkerung das präsidentielle Nein zu Fiume erläutern. Mit diesem ungewöhnlichen Schritt wollte Wilson die Italiener gegen ihre eigene regierungsverantwortliche politische Elite mobilisieren. Das Unterfangen scheiterte allerdings kläglich, provozierte eine veritable Krise und stellte die Konferenz auf eine harte Probe.44 Die italienische Delegation verließ tags darauf erbost Paris und kehrte erst wieder am 6. Mai an den Verhandlungstisch zurück.45
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Der Brennergrenze, die in der diplomatischen Debatte stets an die adriatische Frage gekoppelt blieb, kam deshalb gleich in mehrerlei Hinsicht ein kompensatorischer Zweck zu. Die rasche Erfüllung der italienischen Ansprüche im Norden gegen Österreich sollte Italien so weit als möglich ‚besänftigen‘ und die Apenninenhalbinsel zunächst für das Wilsonsche Völkerbundprojekt gewinnen. Als eine Art „präventive Kompensation“46 sollte der Brenner zugleich ein kompromissloses Vorgehen gegenüber den italienischen territorialen Begehrlichkeiten in der jugoslawischen Grenzfrage ermöglichen. In Anbetracht der Tatsache, dass sich Frankreich an der deutschen Grenze schadlos hielt und Großbritannien seine Stellung als Kolonialmacht ausbaute, schien es angesichts der in Italien hochgehenden nationalistischen Wogen im Falle eines Neins zu Fiume kaum denkbar, dem alliierten Partner auch noch das im Londoner Vertrag zugesicherte Südtirol zu verwehren.47 „Eine Verweigerung der Brennergrenze“, analysiert der Südtiroler Historiker Hans Heiss treffend, „hätte den ‚verstümmelten Sieg‘ zum ‚verweigerten Sieg‘ degradiert, mit noch weit katastrophaleren Auswirkungen als jenen, die Italien seit Mitte 1919 ohnehin durchlebte.“48 Auch der Hinweis auf die hohe Zahl der von Italien einverleibten Tiroler lief mit Blick auf die ungleich größeren deutschsprachigen Minderheiten, beispielsweise in den Grenzen der künftigen Tschechoslowakei oder des neuen polnischen Staates, ins Leere.49 Im Falle der Sprachengrenze hätte Italien insgesamt – trotz umkämpftem Intervento und siegreichem Kriegsausgang – nur wenig mehr als jene Gebiete erhalten, zu deren Abtretung sich die Habsburgermonarchie schon in den Neutralitäts-Verhandlungen mit Italien vor dem italienischen Kriegseintritt im Mai 1915 bereit erklärt hatte. Vor allem aufgrund der zu gewärtigenden innenpolitischen Konsequenzen schien das für die römische Regierungspolitik inakzeptabel. Während sich Washington, Paris und London im Kontext der Fiume-Krise zu Fürsprechern jugoslawischer Interessen machten, mit denen sich insbesondere der amerikanische Präsident stark identifizierte, gestaltete sich die Interessenslage an der Tiroler Grenze gleichsam spiegelverkehrt. Einem italienischen Südtirol standen – von bloßen Tirol-Sympathien einzelner westalliierter Politiker und Intellektueller einmal abgesehen – keine essentiellen machtpolitischen Interessen im Weg. Ganz im Gegenteil: Dem alliierten Bündnispartner Italien stand in Tirol das aus der Konkursmasse der Donaumonarchie hervorgegangene Österreich gegenüber – ein neuer Kleinstaat, der „too small and too poor“ (Margaret MacMillan) war, um im internationalen Zusammenhang größere Aufmerksamkeit zu erheischen.50 Insbesondere aus der Perspektive amerikanischer Interessenspolitik in Europa repräsentierte die Wiener Republik kein wichtigeres politisches Spiel- und Interventionsfeld.51 Global gesehen war das machtpolitisch und ökonomisch darbende
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Nachkriegs-Österreich innerhalb der Territorial-Agenda der Friedenskonferenz eine eher randständische Frage. Die vorrangige Aufmerksamkeit galt Deutschland. Deshalb kam auch der lediglich zwischen Tür und Angel diskutierten und im Gesamtkontext eigentlich unbedeutenden Tiroler Frage aus internationaler Perspektive nur eine marginale Bedeutung zu.52 Selbst aus dem Blickwinkel der österreichischen Politik war das SüdtirolProblem nur eine ungelöste Territorialfrage von vielen – es genügt der Verweis auf Kärnten, das Burgenland oder den österreichisch-tschechoslowakischen Grenzkonflikt. Von den rund 10 Millionen Deutschen der ehemaligen Donaumonarchie fanden letztlich nur etwa 6,5 Millionen ihre Heimat in der neu geschaffenen deutschösterreichischen Republik.53 Als man nach der Wilsonschen Adria-Botschaft Südtirol in Wien eigentlich für verloren hielt, rückten rasch andere Territorialfragen in den Mittelpunkt der österreichischen Agenda, etwa Kärnten und die Untersteiermark. Die dafür notwendige Verständigung
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mit Italien sah der österreichische Außenminister Otto Bauer durch den anhaltenden „Terror der Tiroler“ und die generelle „Überschätzung der Südtiroler Frage“ bedroht. Man laufe Gefahr, schrieb der Außenminister Ende Mai 1919 an Staatskanzler Renner, neben Südtirol „auch Kärnten und Marburg“ zu verlieren. Im Falle weiterer territorialer Verluste würde unter Umständen, so Bauer, ein Zerfall der jungen Republik drohen.54 Auch für den Generalsekretär der deutschösterreichischen Friedensdelegation, Richard Schüller, mussten mit Blick auf die vorrangige österreichisch-italienische Verständigung „Gefühlsmomente“ – und damit meinte Schüller die Südtirolfrage – aus Staatsraison hintangestellt werden. Der als „Nurtiroler“ und engstirnige „Schnecken- und Regenwurmpolitiker“ bezeichneten Innsbrucker Politikerriege würde zum Leidwesen der Bedürfnisse des Staates jede Form eines „staatlichen oder nationalen Gefühls“ abgehen.55 Von dem offensichtlichen Störfaktor Südtirol einmal abgesehen, verkörperte das Einvernehmen mit Italien für das junge Nachkriegs-Österreich eine immens wichtige strategische Partnerschaft – etwa in der Frage der Grenzfestsetzung im Norden und Südosten gegen die slawischen Sukzessionsstaaten der Habsburgermonarchie, oder ganz allgemein als gewogener Fürsprecher österreichischer Interessen im Kreise der Siegermächte in Paris sowie natürlich auch in ökonomischer, versorgungs- und finanzpolitischer Hinsicht.56 Neben diesen für den Grenzziehungsprozess in Tirol entscheidenden Fiume-Verwicklungen spielte, zweitens, der bereits erwähnte Faktor eine gewisse Rolle, dass man in Paris und London – wenn auch teilweise widerwillig – zu den Bestimmungen des Londoner Vertrages stand. Zwar war die prinzipielle französische und britische Vertragstreue nicht wirklich ausschlaggebend dafür, dass die Brennergrenze schließlich das Rennen machte; sie stellte allerdings einen Umstand dar, der das Andenken alternativer Grenzziehungen deutlich erschwerte.57 Diesbezüglich spielen der Zeitfaktor und die sich im Frühjahr in Paris überschlagenden Ereignisse eine nicht unerhebliche Rolle. Unbeschadet der prinzipiell bekundeten Vertragstreue favorisierte Clemenceau in der Südtirolfrage lange eine der American-Line-Konzeption folgende Kompromissvariante. Erst am Höhepunkt der Fiume-Krise schwenkte Paris definitiv auf die Brennergrenze ein, um Italien einerseits Entgegenkommen zu signalisieren und andererseits den nunmehr konzedierten Brenner auch als Druckmittel für die unnachgiebige Haltung in Hinblick auf das nicht im Londoner Vertrag enthaltene Fiume einzusetzen.58 Die britische Haltung durchlebte eine vergleichbare Entwicklung, zumal auch Lloyd George der Brennergrenze durchaus kritisch gegenüberstand. Letztlich setzte sich aber auch im britischen Standpunkt die London Treaty Line unmissverständlich fest. „We stand pledged to our word“, stellte man im britischen Außenministerium fest, „and it is not for
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us to suggest any modifications of our engagements […].“59 „Vertrag ist Vertrag“, drückte sich Außenminister Balfour gegenüber Wilson noch deutlicher aus.60 Der amerikanische Präsident lehnte die konventionelle Geheimdiplomatie im Stile des Londoner Vertrages ab und bediente sich mit Blick auf den Brenner anderer Argumente. Wenn auch aus vorgeblich unterschiedlichen Beweggründen trafen sich Clemenceau, Lloyd George und Wilson auf diese Weise zumindest im Ergebnis, das an der Abwehr der italienischen Ansprüche auf Fiume kategorisch festhielt. Dafür war man im Gegenzug grundsätzlich bereit, den Brenner zu offerieren. Schließlich ist noch als dritter Punkt die insbesondere in den Verliererstaaten zu beobachtende Idealisierung der Wilsonschen 14 Punkte anzuführen. Die vielfach als verbindliches Reglement wortwörtlich interpretierten Grund- und Leitsätze des Präsidenten-Programms schürten Hoffnungen, die angesichts des komplexen Prozesses der territorialen Neuordnung ganz unwillkürlich enttäuscht werden mussten. Insbesondere mit Blick auf die Verwirklichung des nationalen Selbstbestimmungsrechtes existierte eine beträchtliche Diskrepanz zwischen den territorialen Sehnsüchten der Verliererstaaten bzw. grenzregionaler Minderheiten einerseits und andererseits dem Verständnis von nationaler Selbstbestimmung im dominanten amerikanischen Kontext respektive ihrer Verwirklichung in konkreten Grenzziehungsszenarien. In der ethnischen Gemengelage der ehemaligen habsburgischen Territorien gestaltete sich dieses Unterfangen äußerst schwierig. Für den amerikanischen Außenminister und Wilson-Vertrauten Robert Lansing war das Selbstbestimmungsrecht deshalb „simply loaded with dynamite.“ Und er fügte hinzu: „It will raise hopes which can never be realized.“61 Die amerikanische Konzeption des Selbstbestimmungsprinzips blieb im Allgemeinen vage und drückte inhaltlich vielfach auch etwas anderes aus, als es in der europäischen Wahrnehmung suggerierte. Während die angelsächsische Prägung des Terminus eher eine innenpolitisch-demokratische Dimension bezogen auf den Grundsatz der politischen Selbstbestimmung bestrich, stand im europäischen Kontext eindeutig die ethnisch-nationale Komponente im Vordergrund.62 Auf diese Weise wurde der in Paris einem kontinuierlichen Interpretationsprozess unterliegende Selbstbestimmungsbegriff zu einer Art „umbrella term“, in den nicht nur verschiedenste inhaltliche Projektionen einflossen, sondern dem auch eine betrachterspezifisch jeweils unterschiedliche Bedeutung zugemessen wurde.63 In der praktischen Konferenz-Politik stand das Konzept nationaler Selbstbestimmung in Konkurrenz zu anderen Ordnungs- und Gestaltungsprinzipien. Deshalb konnte es in Paris nie auch nur annähernd zu einer exklusiv gültigen Entscheidungsrichtschnur avancieren.64 „The difficulty was“, bemerkte etwa Wilson selbst im Rahmen der Diskussion um die Abtretung
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deutscher Gebiete an den neuen polnischen Staat im März 1919 gegenüber Lloyd George, „to arrive at a balance between conflicting considerations.“65 Und im Rahmen dieser conflicting considerations spielten in besonderer Weise geowissenschaftlich-geographische Faktoren eine Rolle, die etwa in Gebirgszügen und Wasserscheiden eine Art „natural boundary“ erblicken wollten.66 Ferner kamen ökonomische bzw. handelspolitische Überlegungen oder auch sicherheitspolitische Faktoren zum Tragen. Das Prinzip einer ethnografisch argumentierten Selbstbestimmung stand im Entscheidungsprozess also gleichsam im Wettbewerb mit raumbestimmten, wirtschaftlichen und defensionspolitischen Bezügen und Präferenzen, die letztlich aber auch nicht je für sich alleine Entscheidungsrelevanz beanspruchen konnten.67 Die Südtirolfrage zeigt deutlich, dass die genannten Faktoren in einem primär politischdiplomatischen und taktischen Kalkülen unterworfenen Abwägungsprozess fallweise wohl als ernst gemeinte Argumente pro oder contra beabsichtigter Grenzziehungen hervorgekehrt wurden. Gerade mit Blick auf jene Entscheidungen, die am politischen Parkett längst gefallen waren, nahmen sie sich aber nicht selten bloß als Teil einer ex post ins Feld geführten Legitimationsund Rechtfertigungsstrategie aus. Das auf alliierter Seite in der Südtirolfrage stets bemühte strategische oder geographische Argument ist zweifellos auch in diesem Kontext zu sehen. „Das physisch-geographische Element spielte bereits 1919 keine Rolle“, hat zuletzt Oliver Zauzig pointiert herausgearbeitet, sondern es handelte sich – wie im Übrigen auch 1946 – um eine „politische Entscheidung […]. Die Argumente, ob nun geographischer Natur oder aus anderen Wissenschaften, dienten lediglich der Rechtfertigung.“68 Ein zuweilen durchaus unterschiedliches Ensemble von machtpolitischen Interessen, taktischen Beweggründen und sich – mit Blick auf die conflicting considerations – immer wieder neu darstellender Abwägungspolitik gab letztlich den Ausschlag dafür, dass es vielerorts eben nicht zur Grenzziehung nach den stets akklamierten ethnografischen Gesichtspunkten kam. Häufig einigten sich die Pariser Mächte demzufolge auf Grenzverläufe, die sich in den betroffenen regionalen Gesellschaften langfristig als verhasste ‚Unrechtsgrenzen‘ tief in das kollektive Gedächtnis einschrieben. Das war auch in Tirol der Fall. So vage die Verständigung über Theorie und Praxis des nationalen Selbstbestimmungsrechtes auch blieb und so willkürlich die Grenzziehung der Entscheidungsträger in Paris subjektiv auch empfunden werden mochte – bei den in Paris geltend gemachten staatlichen Ansprüchen handelte es sich vielfach um Forderungskataloge, die genauso wenig auf schlüssig nachvollziehbaren Argumenten beruhten. Italien schob in der Fiume-Frage etwa ethnische Argumente vor, die wiederum in der Tiroler Grenzfrage nicht zum Tragen kommen sollten.69 Österreich brachte in Böhmen und Mähren ebenfalls das ethnische
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Prinzip ins Spiel, während man hingegen in Kärnten auf die historische Grenze pochte, die wie selbstverständlich slowenische Bevölkerungsteile miteinschloss.70 Es wurde mit zweierlei Maß gemessen. Vielfach argumentierte man scheuklappenartig, egozentrisch und blieb in der imperialistischen Logik des vergangenen Jahrhunderts verhaftet. Auf diese Weise nahmen die aufs Tapet gebrachten Forderungen teilweise den Charakter eines territorialen Wunschprogramms an, in dem sich die jeweiligen Staaten dem eigenen Hemd stets am nächsten waren. Innerhalb dieses Koordinatensystems von entscheidungsrelevanten Motivationen und Argumentationen ist letztlich auch die ausschlaggebende Haltung des amerikanischen Präsidenten in der Südtirolfrage zu verorten – eine Frage, die Wilson im Übrigen nicht sonderlich zu interessieren schien. Der auf Fiume projizierte Widerstand gegen die italienische ‚Osterweiterung‘ auf Kosten Jugoslawiens und die erhoffte italienische Zustimmung für den Völkerbund als Hauptprojekt der neuen Friedensordnung gaben für Wilson den Ausschlag, Südtirol als eine Art Goodwill-Gegengabe Italien zu überlassen. Dieser alles andere überschattenden Mittel-zum-Zweck-Funktion kam zupass, dass der Präsident für das Prinzip der wasserscheidentheoretisch begründeten „natural frontiers of Italy“71 schon a priori durchaus empfänglich war. Den Alpenhauptkamm hatte er wiederholt als „unüberwindliche Grenze[n]“ bezeichnet.72 Obwohl Wilson den Londoner Geheimvertrag als Verhandlungsgrundlage ablehnte, stimmte seine Position über das Argument der ‚natürlichen Grenzen‘ im konkreten Ergebnis der Brennergrenze mit jener von Lloyd George und Clemenceau überein. Letztere standen, wenn auch nur zögerlich, zu dem 1915 mit Italien geschlossenen Londoner Abkommen. Hinzu kommt schließlich als nicht unwesentlicher Faktor, dass Wilsons Auffassung von nationaler Selbstbestimmung – den Begriff selber sucht man in den 14 Punkten allerdings vergeblich73 – primär einem auf politischer Partizipation und innen- wie außenpolitischer Demokratisierung orientierten self-government nachhing.74 In diesem Kontext spielte ein nicht in erster Linie ethnisch verstandener „staatsbürgerlicher Nationalismus“ eine große Rolle.75 Die Wilsonsche Perspektive auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker drückte deshalb eher eine politisch-emanzipatorische Vision aus, als dass es sich um ein im europäischen Grenzziehungsprozess von 1919/20 strikt und exklusiv anzuwendendes territoriales Prinzip gehandelt hätte. Nationale Selbstbestimmung schien „mehr ein Versprechen“ zu sein, „als ein unmittelbares Ziel“ und bedeutete keineswegs, dass die neue europäische Landkarte am Ende ein Kollektiv von ethnisch fein säuberlich separierten Nationalstaaten abbilden sollte.76 In diesem Zusammenhang verkörperte jener Teil der 14 Punkte, der
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Abb. 12 Die ‚Großen Vier‘ in Paris: Lloyd George, Orlando, Clemenceau und Wilson (von links)
sich mit konkreten Territorialproblemen beschäftigte, auch eher eine Art warnenden Schuss vor dem Bug. Er sollte die noch im imperialistischen Modus operierenden europäischen Mächte vor überzogenen Territorialforderungen abschrecken und sie den Prinzipien der New Diplomacy näherbringen.77 Der öffentlich und medial dominierende, hoffnungsbeladene Slogan der nationalen Selbstbestimmung einerseits und die theoretische wie praktische Bedeutung des Selbstbestimmungsrechtes in der Konferenzpolitik andererseits klafften jedenfalls weit auseinander. Insbesondere die Konzeption des amerikanischen Präsidenten wich nicht nur inhaltlich von der Reduzierung des Selbstbestimmungsrechtes auf den bloßen Vorgang einer territorialen Neuordnung nach nationalen Grenzziehungskriterien ab. Er verortete das ethnografische Moment lediglich als ein Kriterium innerhalb des bereits erwähnten Kollektivs von conflicting considerations. Hinsichtlich der an den neuen Grenzen ganz unweigerlich aufflackernden territorialen Konflikte baute Wilson vor allem auf die künftige Rolle des Völkerbundes. Er sollte Territorialkonflikte schlichten, offensichtliche Mängel der Pariser Ordnung langfristig beheben und als globaler Player verbindliche und praktikable Friedensstandards etablieren.78
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Mit Blick auf die Chronologie des Pariser Entscheidungprozesses in der Südtirolfrage stechen im Übrigen zwei Charakteristiken in besonderer Weise hervor: Erstens dürfte sich Wilson bezüglich der Brennergrenze sehr frühzeitig – allem Anschein nach noch vor Beginn der Friedenskonferenz – festgelegt haben. Und zweitens scheint die von Beginn an bestehende Präferenz für den Brenner die Konsequenz einer in erster Linie autonom getroffenen Entscheidung des Präsidenten gewesen zu sein.79 Im Zeitraum zwischen Kriegsende und der Aufnahme der Brennergrenze in den Vertrag von Saint Germain verfestigte und konkretisierte sich die Haltung Wilsons zu Südtirol in mehreren Etappen. Basierend auf dem bereits erwähnten Cobb-Lippmann-Memorandum, das als Präzisierung der 14 Punkte die Brennergrenze schon ins Spiel gebracht hatte, gewann die Idee einer Grenze am Brenner vor allem in den unmittelbaren Wochen vor Konferenzbeginn im Dezember 1918 und Januar 1919 immer mehr an Bestimmtheit. Wann genau Wilson den Italienern sein inoffizielles Plazet zur Brennergrenze kommunizierte, ist bis heute unklar.80 Beginnend mit einem ersten Treffen zwischen Wilson und dem italienischen Botschafter in Washington, Vincenzo Macchi di Cellere, kam es in den Wochen rund um den Jahreswechsel 1918/19 zu mehrfachen Gesprächen mit der italienischen Regierungsspitze, in denen wohl auch die offenen Grenzprobleme thematisiert wurden. Nach der Unterredung mit Orlando und Sonnino am 20. und 21. Dezember sowie einem Treffen des Präsidenten mit dem italienischen Premier am 9. und 10. Januar kam es jeweils zu Spekulationen in der italienischen Presse, die Wilsons Befürwortung der Brennergrenze kolportierten.81 Noch vor dem Beginn der Pariser Friedenskonferenz brachte der Präsident schließlich am 15. Januar 1919 ein Schreiben an den italienischen Ministerpräsidenten Orlando zu Papier, das offensichtlich aufgrund der versagten französischen und britischen Zustimmung letztlich nicht an den Adressaten versandt wurde. Aus dem Schreiben scheint allerdings die zu diesem Zeitpunkt wohl bereits bestehende Intention des Präsidenten durch, Südtirol Italien zu überlassen und gleichzeitig im italienisch-jugoslawischen Grenzkonflikt standhaft zu bleiben – gegebenenfalls auch einen Konfrontationskurs gegen Rom zu fahren.82 Spätestens Mitte Januar 1919 standen also bereits die grundlegenden Determinanten der Wilsonschen Italienpolitik in Territorialfragen fest. Sie zeichneten einen politischen Kurs vor, den der Präsident bis zum Ende der Friedenskonferenz nicht mehr verlassen sollte. Nach einem weiteren Treffen zwischen Wilson und Orlando am 30. Januar 1919, dem auch House und der spätere italienische Außenminister Vittorio Scialòja beiwohnten, schien für die amerikanische wie für die italienische Seite der Brenner als künftige österreichisch-italienische Nordgrenze festzustehen – auch wenn sich nicht mehr rekonstruieren lässt, ob diese Zusage anlässlich der Sitzung förmlich
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ausgesprochen wurde.83 Nach dem Treffen mehren sich die Indizien dafür, dass es so gewesen sein könnte: In Italien tauchten erneut Gerüchte über die erfolgte Konzession der Brennergrenze auf. Und Anfang Februar hatte der erste Sekretär der amerikanischen Delegation, Arthur Frazier, Botschafter Macchi di Cellere mitgeteilt, dass es in Hinblick auf den Brenner schon eine konkrete amerikanische Zusage an Italien gebe.84 Im Januar 1919 waren demzufolge die Weichen endgültig in Richtung Brennergrenze gestellt worden.85 Die skizzierte Chronologie der Ereignisse führt darüber hinaus sehr deutlich vor Augen, dass man infolge der frühzeitig und selbstständig getroffenen Entscheidung des Präsidenten wohl kaum von einem Einfluss der InquiryExperten sprechen kann. Sie waren im Prinzip vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Als sich letztere im Rahmen der Black-Book-Vorschläge am 21. Januar 1919 für die Kompromissvariante der American Line stark gemacht hatten, war die präsidentielle Entscheidung für die Brennergrenze grosso modo bereits gefallen.86 Die Tatsache, dass den amerikanischen Sachverständigen das CobbLippmann-Memorandum gar nicht bekannt war und sie über die Haltung des Präsidenten in der Südtirolfrage nicht Bescheid wussten, zeigt im Prinzip, wie improvisiert die amerikanische Willensbildung im Rahmen der Grenzziehungsfrage erfolgte, und wie unkoordiniert der Rückgriff auf die Arbeit der Expertenkommission bewerkstelligt wurde.87 In ähnlicher Weise wie die zahlreichen Inquiry-Memoranden letztlich nicht maßgebend waren, konnte auch das italienische Barzilai-Memorandum keinen Einfluss auf den effektiven Entscheidungsprozess haben. Zwar untermauerte es die geschichtsklitterische italienische Legitimationsstrategie für die Brennergrenze nachdrücklich; aber weder das Pamphlet selbst noch Ettore Tolomei, auf dessen Thesen und Theorien das Papier basierte, waren aber schließlich entscheidungsrelevant.88 Als das Papier Anfang Februar in Paris präsentiert wurde, musste Wilson nicht mehr für die Brennergrenze überzeugt werden. In Anbetracht der Tatsache, dass die Brennergrenze schon weitgehend ausverhandelt schien, als die Siegermächte ab Mitte Januar über die neue Friedensordnung beratschlagten, stellte die Tiroler Frage auf der Konferenz nur mehr ein marginales Thema dar, das nicht mehr ernsthaft diskutiert wurde. Im April 1919, als das italienisch-jugoslawische Grenzproblem im Rat der Vier auf der Tagesordnung stand, verließ auch die Tiroler Grenzfrage endgültig die vertrauliche Ebene der Geheimdiplomatie und der unverbindlichen mündlichen Zusicherungen. In einer Erklärung vom 14. April brachte Wilson seine eigentlich schon im Januar feststehende Anschauung auf eine knappe Formel: „Personally I am quite willing that Italy should be accorded the whole length of her northern frontier and wherever she comes into contact with Austrian territory all that was accord to her in the so-called Pact of London
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[…].“89 An Orlando gerichtet vermeinte er unmissverständlich: „Was mich betrifft, gehört der Brenner euch.“90 Am östlichen Grenzabschnitt zu Jugoslawien war er allerdings nach wie vor nicht bereit, den italienischen Forderungen nachzugeben.91 In den am 19. April beginnenden Italien-Verhandlungen stimmten dann auch Clemenceau und Lloyd George der Brennergrenze zu. Und im Rahmen der bereits erwähnten Adria-Botschaft, in der Wilson seine Erklärung vom 14. April aufgriff, wurde die Abtretung Südtirols an Italien schließlich öffentlich. Als vorerst letzten Schritt hin zur formellen Sanktionierung der neuen Tiroler Grenze einigten sich die Siegermächte am 29. Mai endgültig darauf, Italien auch die im Barzilai-Memorandum geforderte Abtretung von Innichen und Sexten zu gewähren. Damit gingen die Italien gemachten territorialen Konzessionen auch über die im Londoner Vertrag vereinbarte Linie hinaus. Der auf diese Weise finalisierte Grenzverlauf floss schließlich in den ersten Teil der Friedensbedingungen ein, die der österreichischen Delegation am 2. Juni 1919 übergeben wurden.92 Die von den Großmächten beschlossene definitive Verankerung des neuen Grenzverlaufs im Entwurf des Friedensvertrages stellte schließlich wohl eine Art Point of no Return dar. Vom verbalen Schreckgespenst der Jahreswende 1918/19 war die Brennergrenze zu einer nur allzu realen Tatsache geworden. Aus Tiroler Sicht war damit eine Art Worst Case eingetreten, der sich spätestens seit April 1919 abgezeichnet hatte, und den man erst einmal zur Kenntnis nehmen musste. Neben Tirol wurde Anfang Mai in Paris erstmals auch die Vorarlbergfrage thematisiert und – vor allem auf Druck Italiens – negativ beschieden. Von Frankreich unterstützt drängte Rom darauf, dass sich Vorarlberg nicht an die Schweiz anschließen und damit Teil Österreichs bleiben sollte.93 Hat Wilson seine Entscheidung für die Brennergrenze jemals bereut? Auch wenn darauf in der Literatur zum Thema immer wieder verwiesen wird, kann diese Frage meines Erachtens nur mit Nein beantwortet werden.94 Einmal abgesehen von einzelnen Hinweisen und Behauptungen, die vor allem aus dem Vertrauten- und Beraterkreis des Präsidenten (Ray Stannard Baker, Charles Seymour) stammen und die eher dem Genre der Rechtfertigungsliteratur zuzurechnen sind, weist während und nach der Konferenz nichts darauf hin, dass der Präsident seine Entscheidung in irgendeiner Weise bedauert hätte. Gerade in der zweiten Januarhälfte des Jahres 1919, als zwischen dem unversendeten Orlando-Brief vom 15. Januar und der Zusammenkunft mit den Italienern zwei Wochen später wohl die Entscheidung für die Brennergrenze fiel, war der Präsident über die gesellschaftliche Situation in Südtirol bestens orientiert. Wilson wusste etwa darüber Bescheid, wie viele deutschsprachige Tiroler im Fall einer Grenze am Brenner Italien einverleibt würden. Und er war gesprächsweise darüber orientiert, dass es infolge der antiitalienischen
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Ausrichtung der Bevölkerung auch gegen ihren Willen geschah.95 Am 14. Januar 1919 hatte sich Harold Nicolson in seiner Funktion als Mitglied der britischen Expertenkommission mit Wilson über das geplante Schreiben an Orlando und in diesem Kontext auch über Tirol unterhalten. Obwohl im Rahmen dieses Gesprächs alle Zahlen auf den Tisch gelegt wurden – Nicolson sprach von 245.000 antiitalienisch gesinnten Tirolern, die Italien einverleibt würden –, formulierte Wilson tags darauf seinen bereits erwähnten Brief an Orlando, in dem er die Brennergrenze vorsah.96 Auch das amerikanische Delegationsmitglied Raymond Fosdick vermerkte mit Blick auf Südtirol in seinem Tagebuch, dass Wilson „showed a broader grasp of ethnological detail than one would expect of an administrator“.97 Weder war Wilson über die Konsequenzen der Brennergrenze und die Situation in Südtirol unzureichend informiert, noch hat er diese Entscheidung im Nachhinein bereut. Es handelte sich letztlich um eine pragmatische und im Kontext der global verflochtenen Konferenzpolitik primär zweckrational getroffene Entscheidung, die aus der Perspektive des Präsidenten durchaus nachvollziehbar und schlüssig erscheint. Südtirol war für Wilson insgesamt wohl nicht mehr und nicht weniger als eine von vielen auf der Konferenz verhandelten marginalen Territorialfragen. Weil das im internationalen Kontext unbedeutende Österreich zu den Verlierern des Krieges zählte und an der Tiroler Grenze keine wirklichen Großmachtinteressen zur Disposition standen, schien dieser Logik zufolge der Grenzwechsel von rund 250.000 Menschen vertretbar. Und zwar auch in Anbetracht der Tatsache, dass die neuen Grenzen andernorts vielfach bedeutend größere Kontingente ethnischer Minderheiten entstehen ließen. Demgegenüber galt es im konfliktträchtigen Brennpunkt der italienisch-jugoslawischen Grenze, an der eine ganze Reihe von Großmachtinteressen aneinanderprallten, dem italienischen Standpunkt konsequent entgegenzutreten. Das fiel mit einer vorgeschobenen Grenze am Brenner als Italien zugedachtes ‚Trostpflaster‘ bedeutend leichter als ohne. Zwischen Paris, Wien und Tirol: Bangen um die Landeseinheit Am 13. Mai 1919 machte sich die österreichische Friedensdelegation auf den Weg nach Paris. Als der Zug am selben Tag in Innsbruck Halt machte, um die Tiroler Delegationsmitglieder aufzulesen, wurde die Abordnung von einer großen Menschenmenge empfangen. „Wir hoffen mit dem Erfolge des geretteten, einheitlichen Tirols von der Konferenz zurückzukehren“, rief Staatskanzler Karl Renner in einer Ansprache den am Bahnhof Versammelten zu.98 Der Delegationsleiter wusste zu diesem Zeitpunkt freilich nur zu gut,
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dass die erhoffte Landeseinheit gleichsam auf tönernen Füßen stand. Nach der Adria-Botschaft des amerikanischen Präsidenten schienen die Pariser Würfel in der Tiroler Frage de facto schon gefallen zu sein. Vermutlich „wird es wohl heißen, Welsche werden […]“99, kommentierte die nur mittelbar politisch interessierte Grödner Arztgattin Filomena Prinoth-Moroder bereits Ende November 1918 den Gang der Dinge und hatte schon damals keine große Hoffnung mehr auf einen Verbleib Südtirols bei Österreich. Ob nun auf Seite der Entscheidungsträger oder der Tiroler Bevölkerung insgesamt: Im Frühjahr 1919 schwankte man zwischen Hoffen und Bangen, zwischen zur Schau gestelltem Zweckoptimismus und Resignation. Die grassierende Unsicherheit über die eigene Zukunft und den Fortbestand des Landes fanden ihren Ausdruck in zahlreichen Memoranden, die in erster Linie den alliierten Vertretern vor Ort, aber auch der Pariser Friedenskonferenz und – bevorzugter Weise – Präsident Wilson höchstpersönlich zugetragen wurden.100 Weil letzterer mit Blick auf Tirol nicht einmal seine eigene Expertenrunde gebührend zu Rate gezogen hatte, beantwortet sich die Frage nach dem Einfluss all dieser gut gemeinten Memoranden und Bittschriften eigentlich von selbst – es gab ihn schlichtweg nicht. Das Gros der Memoranden landete – wenn nicht schon auf direktem Wege im Papierkorb – in den mit Eingaben aller Art prall gefüllten Konferenz-Schubladen. Ob nun beispielsweise die Denkschrift des Welsberger Bezirksrichters Hans Dafner, der – wie unzählige andere auch – in einem persönlichen Schreiben an den amerikanischen Präsidenten das Selbstbestimmungsrecht einforderte, oder etwa die überwiegend zwischen Februar und April verfassten großen Memoranden der Tiroler Landesregierung, der deutsch- und ladinischsprachigen Gemeinden Tirols sowie des Verfassungsausschusses der Tiroler Landesversammlung:101 Das Ansinnen, sich auf diese Weise in Paris Gehör zu verschaffen, ist zwar angesichts der verzweifelten Gefühlswallung, die vor allem unter den politischen Verantwortungsträgern herrschte, mehr als verständlich – den effektiven Entscheidungsprozess konnten all diese Initiativen allerdings nicht beeinflussen. Dem Tenor der im Frühjahr 1919 tirolweit stattfindenden Kundgebungen ähnlich beriefen sich die mehr oder minder umfangreichen Elaborate in primis stets auf das Selbstbestimmungsrecht. Insbesondere nach Bekanntwerden der Inhalte des Barzilai-Memorandums entgegnete man in zahlreichen Eingaben der italienischen These der ‚natürlichen Grenzen‘ und der schematischen Tendenz, Südtirol und das Trentino als zusammengehörige, einheitliche Region darstellen zu wollen. Man suchte das strategische Argument zu entkräften, verwies auf die Sprachengrenze und stellte der geschichtsverdreherischen italienischen Version der Siedlungsgeschichte die eigenen harten Fakten
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entgegen: „Seit über 14 Jahrhunderten ist […] die Gegend vom Brenner bis zur Salurnerklause ununterbrochen von Deutschen bewohnt geblieben.“102 So uniform die nach Paris gerichteten Selbstbestimmungs-Parolen mit Blick auf die Landeseinheit als Sehnsuchtspunkt auch gewesen sein mögen, dem staatlichen wie regionalen Umgang mit dem Tiroler Problem lag in den Monaten der Konferenz und an jenem 13. Mai, als sich der österreichische Delegations-Tross nach Wien begab, kein einvernehmlich konzertiertes Vorgehen zugrunde. Ganz im Gegenteil: Für die Tiroler Politik war ein doppelter politischer Antagonismus prägend.103 Einerseits brachen die bereits skizzierten, konträren parteipolitischen Positionen und innerparteilichen Gegensätze an der Frage des Anschlusses respektive jener einer eigenständigen Tiroler Republik offen auf. Lediglich die Südtiroler bürgerliche Politik insistierte angesichts der drohenden Teilung relativ geschlossen und mit Nachdruck auf eine Selbstständigkeitserklärung, zu der man sich in Innsbruck allerdings erst infolge der alarmierenden Adria-Botschaft durchringen konnte. Die bereits erwähnte bedingte Selbstständigkeitserklärung vom 4. Mai blieb als halbherzige Willensbekundung außerhalb Tirols allerdings weitgehend unbeachtet und verfehlte damit die intendierte Wirkung vollends.104 Zu diesen regionalen politischen Divergenzen gesellte sich, andererseits, der bereits erwähnte inhaltliche und ideologische Gegensatz zur ‚roten‘ Wiener Zentralregierung. Als Dreh- und Angelpunkt der österreichischen Außenpolitik betrieb der Sozialdemokrat Otto Bauer eine konsequente Anschlusspolitik, die in Tirol auf großen Widerstand stieß.105 Im Fall eines Anschlusses Österreichs an Deutschland hielt man in Innsbruck Südtirol für verloren, weil eine bei Salurn verlaufende italienisch-deutsche Grenze für die Siegermächte insgesamt und Italien im Besonderen kaum vorstellbar schien. Bauer suchte dem Südtirol-Problem in bilateralen Gesprächen mit Italien beizukommen und bemühte sich ab Februar 1919, Rom das Konzept einer Neutralisierung Tirols schmackhaft zu machen. Es sollte vor allem die strategische Argumentation für die Brennergrenze entkräften und auf diese Weise gewährleisten, dass Südtirol zumindest formell österreichisches Staatsgebiet blieb. Während in Wien der Anschluss im außenpolitischen Mittelpunkt stand, näherte man sich hingegen in Innsbruck der französischen Position und lancierte schließlich die Idee einer eigenen Tiroler Republik, die allerdings im Widerstreit der unterschiedlich gelagerten parteipolitischen Interessen nicht nachhaltig vertreten wurde.106 Angesichts der drohenden Brennergrenze verhärtete sich im Frühjahr 1919 der politische Gegensatz zwischen Wien und Tirol.107 Nachdem sich die Alliierten schließlich auf das Anschlussverbot geeinigt hatten und auch Italien nach einer monatelangen Hinhaltetaktik durch
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seinen Wiener Gesandten Livio Borghese am 8. Juli öffentlich verkünden hatte lassen, dass das Thema Südtirol abgeschlossen und die Grenze am Brenner unverrückbar sei, war die Politik Bauers gescheitert.108 Der mit leeren Händen dastehende Außenminister trat zurück. In der Folge übernahm Karl Renner die Außenagenden und wandte sich auch mit Blick auf den bevorstehenden Friedensvertrag sukzessive von der Anschlusspolitik ab.109 Im Gegensatz dazu wurde der Anschluss als eine Art Hoffnungsschimmer auf regionaler Ebene in jenem Maße attraktiver, wie sich die Chancen auf Südtirol seit Sommer 1919 kontinuierlich verringert hatten.110 Mit Blick auf das Verwirrspiel von Haltungen, Meinungen und außenpolitischen Positionen, denen in Wien so, in Bozen anders und in Innsbruck wiederum auf verschiedene Weise Ausdruck verliehen wurden, stellen sich hinsichtlich der politischen Verantwortung für die am Ende im Friedensvertrag verordnete Brennergrenze und den weiteren Gang der Dinge zwei bisher unterschiedlich beantwortete Fragen. Zum Ersten: War der skizzierte doppelte politische Antagonismus – also das disparate Vorgehen der Tiroler Politik und die konträren außenpolitischen Positionen in Wien und Innsbruck – ausschlaggebend für die Tatsache, dass Südtirol verlustig ging? Und hätte die im Rahmen eines „mutigen entschlossenen Schritt[s]“111 alsbald erfolgte Selbstständigkeitserklärung die Brennergrenze verhindern können? Die bereits aufgezeigten globalen Entscheidungsdimensionen sowie die internationale Verflechtung des Tiroler Problems lassen das freilich in hohem Maße unrealistisch erscheinen. Mit Blick auf die Position Wilsons, auf die sich infolge der Fiume-Verstrickung ergebenen politischen ‚Zwänge‘ und auf die vertragstreue Grundtendenz der britischen und französischen Politik schien die Brennergrenze nachgerade vorgezeichnet. Selbst im Fall eines geschlossenen Vorgehens in Wien und Innsbruck wäre der Brenner wohl kaum zu verhindern gewesen.112 Der nationale wie regionale Einfluss auf den amerikanisch dominierten globalen Entscheidungsprozess war in der nämlichen Frage schwindend gering, weshalb die in Innsbruck und Wien entwickelten und in zahlreichen Memoranden dargelegten Problemlösungs-Szenarien wohl von Beginn an zum Scheitern verurteilt waren. Die notwendige Beweglichkeit, in der Tiroler Grenzfrage auf eine andere – tirol- bzw. österreichfreundliche – Haltung einzuschwenken, bestand auf Seite der Pariser Siegermächte zu keinem Zeitpunkt – selbst dann nicht, als die italienische Delegation Ende April den Konferenztisch verlassen hatte.113 Und zum Zweiten: Hätte ein frühzeitigeres und konsequenteres Eintreten für entsprechende ethnische Schutzmaßnahmen dem zu Italien geschlagenen südlichen Landesteil zumindest einen umfassenden Minderheitenschutz sichern können?114 Zumal gerade auch das Gros der amerikanischen
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Brennergrenze-Expertisen – etwa das Cobb-Lippman-Memorandum oder das Mezes-Gutachten – für einen Südtiroler Minderheitenschutz plädierten, erscheint die Frage mehr als gerechtfertigt. Die Tatsache, dass die Problematik von Minderheitenschutz und Autonomie aus Tiroler Perspektive öffentlich kaum thematisiert wurde, erklärt sich vor allem aus einer emotionalen Haltung, die sich bis zuletzt an den Strohhalm der Landeseinheit klammerte. Die wie auch immer erfolgte Integration Südtirols in den italienischen Staat war aus Tiroler Sicht eine Art letzte Option, mit der man sich nur widerwillig auseinandersetzte. Aber selbst wenn man gegenüber Paris alles für die vertragliche Verankerung einer Autonomielösung in die Waagschale geworfen hätte, wären die Bemühungen um einen Minderheitenschutz – so meine These – aller Voraussicht nach trotzdem zum Scheitern verurteilt gewesen. Diesbezüglich muss man sich einerseits vor Augen halten, dass es zur Grundkonzeption der italienischen Politik gehörte, sich vertraglich auf keine Art des Minderheitenschutzes einzulassen. Als Sidney Sonnino das Außenministerium nach dem Scheitern der Regierung Orlando an seinen Nachfolger Tittoni übergab, schwor er den neuen Außenminister darauf ein, keine wie auch immer geartete „internationale Garantie für die Berücksichtigung der nationalen Belange der deutschen Bevölkerung“ abzugeben.115 Am Ende blieb es deshalb bei einer vagen Zusicherung Ministerpräsident Nittis von Anfang August 1919, die in den Text der Mantelnote des Vertrages von Saint Germain einfloss. Gegenüber den Südtirolern, liest man dort in Punkt vier der Ausführungen, solle hinsichtlich „Sprache, Kultur und wirtschaftlichen Interessen eine in weitem Maße liberale Politik“ betrieben werden.116 Das war nicht mehr als eine Absichtserklärung und mochte alles und nichts heißen. Andererseits konnte Italien schwerlich zu einem Minderheitenschutz verpflichtet werden, den man in London und Paris für sich selbst ablehnte. Weil sich Briten und Franzosen gegen die Absicht Wilsons gestemmt hatten, für alle Völkerbund-Mitglieder einen verpflichtenden Minderheitenschutz vorzusehen, lief es letztlich darauf hinaus, die Siegermächte – und damit auch Italien – von entsprechenden Auflagen zu entbinden.117 Auf diese Weise wurden in Paris nur insgesamt acht Staaten zu Minderheitenschutzverträgen verpflichtet, die zwischen Juni 1919 und Juli 1923 geschlossen wurden: Polen, Bulgarien, die Tschechoslowakei, Jugoslawien, Österreich, Rumänien, Ungarn und Griechenland.118 Insgesamt hielt sich das Engagement der Sieger mit Blick auf die Lösung von Minderheitenfragen sehr in Grenzen. Es überwog noch deutlich die Tendenz, Minderheitenprobleme als innerstaatliche Angelegenheiten zu interpretieren.119 Die Arbeit der österreichischen Friedensdelegation stand von Beginn an unter keinem guten Stern. Staatskanzler Renner kam sich in Paris schon
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Abb. 13 Staatskanzler Renner und die österreichische Friedensdelegation in Paris
nach wenigen Tagen vor wie ein „Bettler“, der „nichts zu hoffen“ hatte.120 In Saint Germain wurde die österreichische Abordnung isoliert und enklavenartig untergebracht. Die Bewegungsfreiheit der Delegationsmitglieder war auf wenige Straßen im Umfeld des Quartiers und einen Parkbereich beschränkt.121 Auf alliierter Seite hatte man es indessen nicht eilig. Die am 30. April für den 12. Mai 1919 nach Wien ergangene Einladung nach Paris war in erster Linie als Drohgebärde in Richtung Rom gedacht, weil Italien die Konferenz nach Wilsons Adria-Botschaft Ende April verlassen hatte.122 Die Übergabe des ersten Teils des Friedensvertrages erfolgte schließlich nach mehreren Interventionen erst am 2. Juni. In den Tagen und Wochen nachdem die österreichische Delegation am 14. Mai Saint Germain erreicht hatte, feilten die Mitglieder in verschiedenen Arbeitsgruppen an der Erläuterung und Ausformulierung des österreichischen Standpunktes, der in seinen Grundzügen freilich schon lange vorher entwickelt worden war. Die Tiroler Agenden wurden von dem TVP-Juristen Franz Schumacher, dem Deutschfreiheitlichen Paul von Sternbach und dem Sozialdemokraten Franz Gruener vertreten. Auf das erfahrene Politiker-Dreigestirn beruhten die – letztlich illusorischen – Hoffnungen eines Landes, das sich seit der öffentlichen Festlegung des amerikanischen Präsidenten, wie Archibald Coolidge am 28. April nach Paris schrieb, in einer „deep depression“ befand.123 Aus Südtirol hatte man den Tiroler Vertretern bereits den Wunsch mit auf den
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Weg gegeben, sich möglichst nachdrücklich für eine Autonomie einzusetzen. Die Hoffnung auf eine so bezeichnete „Rettung“ des Landes hatte man bereits verloren.124 In Saint Germain mehrten sich schließlich auch die Anzeichen dafür, dass die Brennergrenze bereits beschlossene Sache war. Noch während ihrer Anreise hatte etwa der Pariser Le Matin am 14. Mai die Notiz gebracht, dass Südtirol von den Alliierten Italien zugesprochen worden sei.125 Alsbald begannen intensive Gespräche der Delegationsmitglieder, die zu unterschiedlichen Mutmaßungen über die zu erwartenden Friedensbedingungen führten; zahlreiche hektische Treffen mit meist eigenmächtig handelnden, hierarchisch nachgereihten Entente-Diplomaten fanden statt. Die vielen, an den ‚Katzentischen‘ der Konferenz geschürten Hoffnungen und gegebenen Versprechungen verliefen sich zur Gänze im Sand. Ein Gerücht jagte das andere, und für die österreichische Delegation wurde es zunehmend schwieriger, sich ein einigermaßen realitätsgetreues Bild der Lage und der objektiv bestehenden Möglichkeiten zu machen.126 Als En-miniature-Spiegelung der österreichischen Politik war auch die Friedensdelegation in Saint Germain mit jener maßgeblichen Krux konfrontiert, die schon in den vorangegangenen Monaten das österreichische politische Vorgehen konditioniert hatte. Bald schon gelangten aufgrund der auch in Paris betriebenen Interessenspolitik konträre politische Partikularismen zum Vorschein. Eine zentrale politische Konfliktlinie verlief zwischen den Vertretern der Länder und jenen der Wiener Zentralregierung. Der Bruch zwischen den Tiroler Delegierten und den Wiener Regierungsvertretern ließ deshalb auch nicht lange auf sich warten. Ausgehend von einer Kritik der negativen Haltung der Wiener Regierung zur Tiroler Selbstständigkeitserklärung vom 4. Mai 1919 kritisierten Schumacher und Sternbach die Delegationsleitung.127 Aus Tiroler Perspektive schien der Einsatz der Delegationsspitze für Südtirol zu unengagiert und leidenschaftslos. Auf Kosten Südtirols würde die Regierung, so lautete der Vorwurf, andere vermeintlich erfolgversprechendere Territorialprobleme und auch die Behandlung der – wiederum auf Wien fokussierten – wirtschaftlichen Punkte der Friedensagenda in den Vordergrund stellen.128 Aber selbst die kleine Tiroler Delegation sprach mit verschiedenen Stimmen, weil die bürgerlichen Vertreter (Sternbach, Schumacher) die Südtirolfrage ganz anders beurteilten als etwa der Sozialdemokrat Franz Gruener, der in Hinblick auf ein künftiges deutsch-italienisches Zusammengehen die Südtiroler Situation optimistischer einschätzte.129 Aus Wiener Sicht hingegen verkörperte die Tiroler Haltung eine missfällig beäugte Spielart regiozentrischer Politik, die im Rahmen der Fokussierung der eigenen Interessen das große Ganze leichtfertig aus dem Blickwinkel verloren hatte. Man müsse
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infolgedessen verhindern „dass Ländervertreter eine Politik auf eigene Faust machen.“ Es dürfe „keine steirische oder kärntnerische Politik geben, sondern nur eine deutschösterreichische.“130 Die inhaltlichen Argumentationsgrundsätze der österreichischen Friedensdelegation beruhten auch hinsichtlich des Tiroler Problems auf politischen Richtlinien, die noch im Mai im Staatsamt für Äußeres erarbeitet worden waren.131 Sie rückten das Selbstbestimmungsrecht in den Vordergrund und forderten für Südtirol eine Volksabstimmung unter internationaler Aufsicht. Der schwierigen Realisierung dieses Maximalziels eingedenk wurde parallel dazu eine Art Rückzugsplan auf Raten entwickelt, der auf mehr oder weniger weitreichenden Kompromissvorschlägen basierte: Zunächst wollte man es mit dem altbekannten Bauerschen Vorschlag einer Neutralisierung Südtirols (1) versuchen, die das Land staatsrechtlich gesehen bei Österreich belassen hätte. Im ablehnenden Fall war man schließlich auch willens, eine ganz Tirol umfassende Neutralisierung (2) in Aussicht zu stellen. Würde auch diese zweite Rückzugsvariante auf kein Gehör stoßen, wollte man Italien die Errichtung militärischer Garnisonen in Südtirol (3) zugestehen. Und als finale Konzession stand schließlich im Falle einer Annexion des Landes durch Italien zumindest die Erhaltung Südtirols im Rahmen des österreichischen Zoll- und Währungssystems zur Debatte. Notfalls wollte man „eventuell sogar der Verselbständigung ganz Tirols zustimmen […], wenn das und nur das ein Mittel wäre, Deutsch-Südtirol zu retten.“132 Wie weitgehend und fallweise auch ‚modern‘ die in Saint Germain betriebenen Gedankenspiele waren, zeigt etwa die von dem Staatsrechtler und ehemaligen Ministerpräsidenten Heinrich Lammasch in die Diskussion eingebrachte Idee, den Neuralisierungs-Vorschlag auf ganz Österreich auszuweiten. Mit Blick auf ein möglicher Weise Italien überantwortetes Südtirol sprach sich Lammasch schon 1919 in Saint Germain für einen international abgesicherten Minderheitenschutz in der Form eines Autonomiestatutes aus.133 Zu den skizzierten politischen Rückzugslinien trat ein in ähnlicher Weise gestaffeltes Paket von territorialen Konzessionen: Falls erforderlich wollte man zunächst auf ladinische Gebiete (zuerst Buchenstein, dann Enneberg und Gröden), schließlich auch auf Grenzterritorien im heutigen Südtiroler Unterland verzichten. Sollten die Alliierten auf eine ‚napoleonische‘ Grenzvariante drängen, galt es zunächst, nachdrücklich auf die zwei großen Städte Bozen und Meran zu beharren. Eine Grenze auf der Höhe von Franzensfeste, die zumindest das Puster- und Wipptal Österreich zusprach, konnte man sich als letzten Kompromiss vorstellen.134 Ungeachtet all dieser gewissenhaft und detailliert ausgearbeiteten Kompromisspositionen sollte sich der 2. Juni 1919 für die österreichische
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Friedensdelegation als dies mirabilis erweisen – als „Tag des Schreckens“, wie ihn Schumacher bezeichnete.135 Der überreichte erste Teil der Friedensbedingungen, dessen Tendenz grosso modo schon im Vorfeld bekannt geworden war und nichts Gutes verhieß, hatte, wie Schumacher tags darauf an die Tiroler Landesregierung schrieb, die „schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen.“136 Territoriale Verluste und wirtschaftliche Auflagen der Bedingungen nahmen sich für die junge Republik insgesamt katastrophal aus. Südtirol bis zum Brenner – das konnte man jetzt erstmals auf Vertragspapier schwarz auf weiß lesen – wurde Italien zugesprochen. In Abweichung zur Waffenstillstandslinie sollten auch noch Sexten, Innichen, Vierschach und Winnebach dem Italien zugeschlagenen Teil des Landes überlassen werden. In Tirol protestierte man lauthals gegen die Pariser Entscheidung, die als eklatante Missachtung des Selbstbestimmungsrechtes interpretiert wurde. Dem Land würde ein „Unrecht“ widerfahren, schrieb etwa auch die sozialdemokratische Volkszeitung, das einer „Vergewaltigung“ gleichkomme.137 Während in Südtirol öffentliche Unmutsäußerungen von der militärischen Besatzung unterdrückt wurden, fand in Innsbruck am 13. Juni eine große Protestkundgebung gegen die Brennergrenze am Bergisel statt.138 Die österreichische Friedensdelegation hatte kaum geeignete Mittel zur Hand, gegen dieses in Paris statuierte Exempel zu intervenieren. Nachdem eine mündliche Verhandlung der Vertragspunkte nicht vorgesehen war, beschränkte sich die Beeinspruchung des Textes auf schriftliche Eingaben und Stellungnahmen. Dabei war allen Beteiligten mehr oder weniger bewusst, dass sich wohl keine grundlegenden Änderungen der Bedingungen erreichen ließen. Die Arbeiten der Konferenz waren zu weit gediehen, um das Vertragspaket an sich noch einmal aufschnüren zu können. Das wäre im Übrigen auch alles andere als im Sinne der Sieger gewesen. Der österreichischen Delegation blieb lediglich die Möglichkeit, sich im Rahmen schriftlicher Stellungnahmen zum alliierten Vertragswerk zu äußern. Das erfolgte in mehreren grundsätzlichen Statements, die stets auch eine detaillierte Beeinspruchung einzelner Punkte des Vertrages enthielten. Man protestierte gegen die Behandlung als alleinigen Rechtsnachfolger der Monarchie, warnte vor einem zu befürchtenden wirt schaftlichen Kollaps und stellte angesichts der Tendenz der Friedensbedin gungen generell die ‚Lebensfähigkeit‘ der jungen Republik in Frage. Hinsichtlich der territorialen Punkte beharrte man auf das Selbstbestimmungsrecht und forderte in allen abzutretenden Gebieten eine direktdemokratische Entscheidung – auch in Südtirol. Gleichzeitig brachte man einige der vordefinierten Rückzugspositionen ins Spiel. Das strategische Argument für die Brennergrenze suchte man durch das erneut lancierte NeutralisierungsAngebot zu relativieren, an dem auch Außenminister Bauer – trotz des Schocks
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vom 2. Juni – festhielt. Entschieden und mit Nachdruck wandte man sich gegen die tendenziöse italienische Sicht der Dinge hinsichtlich des ethnischen Charakters des Landes.139 Schlussendlich blieben aber alle österreichischen Bemühungen erfolglos. Die in erster Linie angesprochene italienische Regierung nahm davon Abstand, auf die Eingaben der Delegation zu reagieren. Die Hoffnung, dass man in diesem Stadium noch einmal in eine wirkliche meritorische Diskussion eintreten konnte, erwies sich als Trugschluss. Es verwundert daher nicht, dass die österreichische Friedensdelegation eine Art Déjà-vu erlebte, als der zweite Teil der Bedingungen am 20. Juli übergeben wurde. Die alliierte Position zu Südtirol blieb dabei unverändert. Und die vehemente österreichische Gegenrede war ins Leere geschossen. Mit Memoranden und Eingaben war in Paris ganz offensichtlich nichts mehr zu erreichen. Trotzdem beharrte die Delegation nach dem 20. Juli erneut auf dem österreichischen Standpunkt und wiederholte im Wesentlichen die den Alliierten schon in den Juni-Noten dargelegten Vorschläge und Forderungen, die da lauteten: Selbstbestimmung in Form eines Plebiszits, eventuell ein neutrales Tirol und – falls erforderlich – einzelne territoriale Konzessionen.140 Um mehr als ein diplomatisches Pflichtprogramm handelte es sich bei den Eingaben im Spätsommer 1919 allerdings nicht mehr. Die Chancen darauf, in der Südtirolfrage noch irgendetwas bewirken zu können, tendierten gegen null. Die zwischenzeitlich nach Innsbruck zurückgekehrte Tiroler Vertretung der österreichischen Delegation war am 24. Juli wieder in Paris eingetroffen, um sich an der Ausarbeitung der letzten Stellungnahmen zum Vertragstext zu beteiligen. Paul von Sternbach, der das Unterfangen als aussichtlos ansah, reiste nicht mehr nach Frankreich und war durch den deutschfreiheitlichen Abgeordneten Emil Kraft ersetzt worden. Nachdem der österreichische Südtirol-Standpunkt in einer Note vom 6. August noch einmal klar dargelegt wurde, verließen die Tiroler Vertreter Saint Germain. Unter dem Eindruck der realistischen Einschätzung, dass wohl auch die letzten österreichischen Interventionen kaum etwas bewirken würden, war es für Schumacher eine „tieftraurige Heimreise“ nach Tirol. „Wir fahren nach Hause“, lautet der letzte Satz seines Saint Germain-Tagebuches, „und führen die Trümmer eines zusammengestürzten Reiches mit uns.“141 Endgültige Gewissheit brachte dann der 2. September 1919, als Staatskanzler Renner in Saint Germain der Friedensvertrag übergeben wurde. Von einigen Milderungen der wirtschaftlichen Bestimmungen des Vertragswerkes und kleineren Grenzkorrekturen einmal abgesehen repetierte der Text im Wesentlichen die Version vom 20. Juli. In der Mantelnote des Vertragstextes kehrte die strategisch und geopolitisch („natürliche Grenzen“) motivierte Argumentation
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Abb. 14 Bei der Unterzeichnung des Vertrages von Saint Germain
für die Brennergrenze wieder,142 die – wie bereits dargelegt wurde – de facto nicht allein und in nicht wirklich ausschlaggebender Weise für den Entscheidungsprozess relevant war. Argumentative Begründung und Legitimation erfolgten erst nachdem die (frühe) Entscheidung für die Brennergrenze bereits gefallen war. Der Vertrag sah keinerlei Minderheitenschutzbestimmung vor und kam dementsprechend auch ohne Autonomievorkehrung aus. Er begnügte sich mit der bereits erwähnten italienischen Absichtserklärung, den Südtirolern gegenüber eine „im weiten Maße liberale Politik zu befolgen.“143 In Österreich war der – grosso modo bereits so erwartete – Vertragsinhalt schon tags zuvor bekannt geworden. Aus Innsbrucker Perspektive war der Vertrag das „Grab aller Hoffnungen, Deutschsüdtirol zu behalten.“144 Und das Schlagwort vom „Diktatfrieden“ oder „Gewaltfrieden“ bestimmte fortan den Diskurs.145 In der Sitzung der Wiener Nationalversammlung vom 6. September 1919 wurde mit den Stimmen der zwei Mehrheitsparteien die Unterzeichnung des Vertrages beschlossen. Die Tiroler Abgeordneten enthielten sich der Stimme. Für die Südtiroler Abgeordneten war es zudem die letzte Sitzung im Parlament an der Ringstraße.146 Dem Abgeordneten Reut-Nicolussi war zumute, erinnert er sich melancholisch, wie „wenn Brüder von einem zum Tode verurteilten Abschied nehmen […].“147 Am 10. September setzte Staatskanzler Karl Renner in Saint Germain die Unterschrift unter den Friedensvertrag. Damit stand fest, dass Südtirol bis zum Brenner italienisch werden würde.
Kapitel 5
Zurück an den Start: Gesellschaft und Wirtschaft zwischen Krieg und Frieden Vor der ‚Katastrophe‘? Hungern im Frieden Würde sich die Ernährungslage nicht zeitnah bessern, stünde wohl eine „Katastrophe“ bevor, sagte es der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Martin Rapoldi im schwarzmalerischen Ton frei heraus.1 „Heute haben wir gar nichts mehr“, klagte der deutschfreiheitliche Innsbrucker Bürgermeister Wilhelm Greil coram publico im Tiroler Landtag nicht weniger resigniert, „wir haben heute kein Mehl und keine Kartoffeln und wir sind heute beinahe ohne Lebensmittel.“2 Das präzisierende „heute“ würde man aus gegenwärtiger Perspektive gefühlsmäßig wohl mit einem beliebigen Tag der letzten zwei Kriegsjahre in Verbindung bringen, die von Mangelwirtschaft und Versorgungsengpässen geprägt waren. Seit Sommer 1917 herrschte in Tirol aufgrund der kaum mehr vorhandenen Nahrungsmittel vor allem in den Städten blanke Not. Die Sitzung, in der Greil den Tiroler Landtagsabgeordneten auf emotionale Weise die prekäre Ernährungslage der Landeshauptstadt eindringlich zu Gehör brachte, fand allerdings am 27. September 1919 statt – fast ein Jahr nach Kriegsende. Während die militärischen Kampfhandlungen am 4. November 1918 eingestellt wurden, dauerte das vom Krieg provozierte Sammelsurium an sozioökonomischen Verwerfungen an. Aus sozialgeschichtlicher und alltagshistorischer Sicht stellte das Kriegsende deshalb keine wirkliche Zäsur dar.3 Ganz im Gegenteil: Während man im Sommer 1919 in Paris über die Zukunft Österreichs und die Tiroler Grenzen entschied, fuhr man im Land eine katastrophale Ernte ein. Der ungewöhnlich trockene Sommer minderte die Ernteerträge, die sich schließlich durch großflächige Hagelschäden noch einmal reduzierten. Die Ernährungslage verschlechterte sich von Woche zu Woche. Bald schon gestaltete sich die Situation noch ein Stück weit dramatischer als im versorgungspolitischen Krisenjahr 1918. Das gilt allerdings mit Einschränkungen und betraf nicht alle Gebiete des verflossenen Kronlandes Tirol-Vorarlberg gleichermaßen. Im Allgemeinen war die Ernährungslage im ‚österreichischen Landesteil‘ schlechter als im Trentino und in Südtirol; in Nordtirol – und dort vor allem in Innsbruck – noch „bedeutend beängstigender“ als in Vorarlberg.4 Während im Krieg vor allem Nähe und Distanz zur militärischen © Verlag Ferdinand Schöningh, 2019 | doi:10.30965/9783657702565_007
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Front ausschlaggebend für die bessere oder schlechtere Versorgungslage des jeweiligen Territoriums waren, entwickelten sich in der ersten Nachkriegszeit aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen dies- und jenseits des Brenners verschieden charakterisierte Versorgungsräume. Tirol und Vorarlberg ächzten unter den Auswirkungen der Abschottung der habsburgischen Sukzessionsstaaten, des internationalen Boykotts sowie der einstweilen unterbrochenen Wirtschaftsbeziehungen mit dem besetzten Landesteil im Süden. Die Situation begann sich erst im Jahr 1922 infolge des Maßnahmenpaketes der ‚Seipelschen Sanierung‘ zu bessern, das eine großangelegte Völkerbundanleihe inkludierte.5 Hinzu traten in Tirol die schwache landwirtschaftliche Eigenproduktion und eine an Fahrt aufnehmende Inflation, die eine beängstigende Verteuerungs-Dynamik in Gang setzte. Südtirol hingegen wies durch eine stärkere Landwirtschaft einen höheren Selbstversorgeranteil auf und wurde im Übrigen von der italienischen Besatzungsmacht mit Lebensmitteln versorgt.6 Die als direktes Front- und Etappengebiet erlittenen sozialen und wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, die die Alpenfront über Jahre hinweg mit sich gebracht hatte, fielen mit dem militärischen Zusammenbruch weg. Nichtsdestotrotz hatten die Einwirkungen des Krieges in den erweiterten Frontabschnitten im Trentino und in Südtirol großflächige Zerstörungen hinterlassen. Auf diese Weise führte der Frieden zu beträchtlichen Verschiebungen innerhalb der sozioökonomischen Charakteristika der in dieser Hinsicht sehr verschiedenen Territorien des ehemaligen Kronlandes. Er schuf mehrere, man könnte sagen, transitorische Nachkriegs-Räume, die von der sozialen und wirtschaftlichen Instabilität des Übergangs vom Krieg in den Frieden geprägt waren. Der Krieg und sein unliebsames Erbe waren also auch im Frieden präsent. Nicht nur am diplomatischen Parkett, sondern auch in der Auseinandersetzung mit den enormen sozioökonomischen Herausforderungen der Nachkriegszeit schien es sich um einen „überforderten Frieden“ (Jörn Leonhard) zu handeln. Politische Patentrezepte dafür, welcher Weg aus dieser versorgungspolitischen Misere führen konnte, gab es nicht. Richtet man den Blick auf das Handeln der politischen Akteure, erscheinen die Parallelen zwischen der im letzten Kapitel behandelten ‚Territorialpolitik‘ einerseits und der Versorgungspolitik andererseits frappierend. Strategisches Vorgehen und politisch-diplomatische Praxis ähnelten sich unabhängig von den inhaltlich sehr verschiedenen Politikfeldern. Auch die alliierte ernährungspolitische Intervention in Österreich war etwa mit staatlichen und internationalen Interessen verflochten. Für Italien war das versorgungspolitische Engagement in Österreich auch Ausdruck einer Machtpolitik, die darauf aus war, die ökonomische und politische Position der Apenninenhalbinsel im Alpen-Adria-Raum langfristig zu festigen. Dem
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Diktum einer betont antideutsch ausgerichteten Politik verpflichtet brachte hingegen Frankreich als österreichische Gegenleistung für ein Engagement in versorgungspolitischen Fragen kontinuierlich einen Verzicht auf die Anschlusspolitik ins Spiel. Und die Vereinigten Staaten sahen die Unterstützung Wiens in ernährungspolitischen Agenden im Kontext der global verfolgten antibolschewistischen Politik der Westmächte.7 Die Schweiz erkannte zwar die österreichische Notsituation und wollte sich nicht gerade an der verarmten Rumpf-Republik bereichern; allerdings war man in Bern auch konsequent darauf bedacht, dass aus der eidgenössischen Unterstützung für Österreich – vor allem für Vorarlberg und Tirol – kein finanzielles Verlustgeschäft erwuchs. Deshalb achtete man bei allen Unterstützungszusagen in den Krisenjahren von 1918 bis 1920 tunlichst darauf, dass die Lebensmittellieferungen zumindest zum Selbstkostenpreis vergütet wurden und man sich notfalls an den Alliierten schadlos halten konnte.8 Auch in der Schweiz hatte sich im Übrigen die Versorgungslage während des Krieges sukzessive verschlechtert. Wenn sich die Situation auch nicht mit der desolaten Lage in Vorarlberg und Tirol vergleichen lässt, so kam es in der Eigenossenschaft aufgrund von Missernten und Importeinbrüchen gegen Ende des Krieges ebenfalls zu Lebensmittelengpässen.9 Aber nicht nur die alliierte Österreich-Politik folgte einer gleichsam transsektoral präsenten strategischen Logik, die sich an einer Mittel-zum-ZweckPolitik orientierte, deren Ziel in erster Linie die Befriedigung eigener Interessen war. Auch die regionale (Tiroler oder Vorarlberger) und nationale (österreichische) Politik bediente sich im Rahmen der Nachkriegs-Versorgungspolitik eines eingeübten Sets an politischen Praktiken und Reflexen, das auch in anderen politischen Sektoren beobachtet werden kann. Das heißt konkret: Der politische Antagonismus, von dem schon ausführlich die Rede war, setzte sich auch in den Bemühungen zur politischen Lösung der Ernährungsfrage fort. In Ermangelung eines konzertierten Vorgehens suchten Wien, Bregenz und Innsbruck dem im Nachkrieg immer bedrohlicher werdenden Versorgungsnotstand vielfach voneinander unabhängig und eigeninitiativ entgegenzuwirken. Das hatte zur Folge, dass man über den Versuch, die Ernährungslage der jeweils eigenen Klientel durch Lebensmittelzuschübe aus dem Ausland zu verbessern, fallweise auch in Konkurrenz zueinander trat. Die Tendenz hin zum regionalen Partikularismus kam also durchaus auch in unterschiedlichen Politikbereichen zum Tragen. Die Ernährungsfrage bildete da keine Ausnahme.10 Jede ernährungspolitische Intervention war in Tirol ganz unwillkürlich mit den skizzierten Rahmenbedingungen konfrontiert. Sie wirkten prägend auf den regionalen Nachkriegs-Alltag ein. Entscheidend war dabei, dass sich die Landwirtschaft nach dem Krieg nur langsam erholte. Sie war nicht annähernd
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Abb. 15 Hungerdemonstration in Trient im letzten Kriegsjahr 1918
in der Lage, die Tiroler Bevölkerung ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. Das Problem betraf im Übrigen nicht nur Tirol, sondern ganz Österreich, das in hohem Maße von Importen abhängig war. Unmittelbar nach dem Krieg deckte die österreichische Nahrungsmittelproduktion nur etwa ein Viertel bis ein Drittel des benötigten Gesamtbedarfes.11 Mit Blick auf den Getreideverzehr sank der Anteil der österreichischen Produktion von 67 Prozent (im cisleithanischen Teil der Habsburgermonarchie) auf lediglich 27 Prozent des Gesamtbedarfes. 1919 verzeichnete die Tiroler Landwirtschaft aufgrund der witterungsbedingten schlechten Ernte schließlich einen Produktionstiefststand. Und auch im zweiten Friedensjahr 1920 kam etwa die landesweite Getreideproduktion lediglich auf ein Volumen von nicht mehr als die Hälfte des letzten Friedensjahres.12 In Nordtirol konnte die Produktion wichtiger Lebensmittel, wie Kartoffeln und Getreide, erst Anfang der 1930er Jahre wieder den Stand von 1913 erreichen.13 Das resultierte vor allem aus der Tatsache, dass die kriegsimmanenten Probleme der Tiroler Landwirtschaft in den ersten Nachkriegsjahren fortbestanden und erst nach und nach abgeschüttelt werden konnten. Die Auswirkungen eines multiplen Mangels an Saatgut, Kunstdünger, landwirtschaftlichen Geräten und Arbeitskräften hatten die Tiroler Landwirtschaft schon im Krieg auf eine harte Probe gestellt und bereiteten dem Agrarsektor zunächst auch noch im Frieden große Probleme.14 Dabei konnte die unzureichende Eigenproduktion schwerlich durch Importe wettgemacht werden. Infolge der bereits erwähnten protektionistischen Politik
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der Nachfolgestaaten, ferner der erst im Frühjahr 1919 beendeten alliierten Blockadepolitik sowie der zum Stillstand gekommenen Handelsbeziehungen mit Südtirol hielten sich Einfuhren aller Art aus den angestammten Bezugsmärkten in engen Grenzen.15 Den altbekannten Problemen suchte man auch im Frieden mit den im Krieg entwickelten Instrumentarien beizukommen. Die öffentliche Bewirtschaftung der Lebensmittel durch Zwangsstellungen zu festgesetzten Preisen, Höchstpreisverordnungen und Rationierungsvorgaben in Form der aus dem Krieg bekannten Lebensmittelkarten wurde zunächst beibehalten. Das System der Zwangsbewirtschaftung offenbarte sich allerdings als zweischneidiges Schwert. Einerseits garantierte es zwar ein Minimum an Verteilungsgerechtigkeit und schien nicht zuletzt deshalb im frühen Nachkrieg alternativlos zu sein; andererseits entpuppte es sich aber als regelrechter Hemmschuh für die Ankurbelung der landwirtschaftlichen Produktion. Für den Agrarsektor war die sich in letzter Konsequenz produktionshemmend auswirkende Zwangsstellung landwirtschaftlicher Produkte zu festgesetzten niedrigen Preisen wenig attraktiv.16 Infolgedessen bildete sich parallel zur öffentlichen Ernährungsbewirtschaftung eine florierende Schattenwirtschaft heraus, die es den Bauern erlaubte, die produzierten Waren zu wesentlich höheren Preisen an den begüterten Teil der Konsumenten abzusetzen. Der im Übrigen schon im Krieg entstandene Tiroler Schwarzmarkt mit Agrarprodukten konzentrierte sich vor allem auf den binnenregionalen Schleichhandel, in dem sich Produzenten und Konsumenten gegen teures Geld, Wertgegenstände oder andere Gegenleistungen handelseins wurden – gleichsam am öffentlichen Zwangsbewirtschaftungssystem vorbei. Beispielsweise ließ sich in Tirol für einen Liter Milch im Juli 1919 am Schwarzmarkt ein siebenfach höherer Preis erzielen.17 Der so genannte ‚Rucksackverkehr‘, vor allem mit Milchprodukten, erlebte in der ersten Nachkriegszeit einen exponentiellen Aufschwung. Im überschaubaren Bezirk Schwaz im Tiroler Unterland wurden etwa im Laufe eines einzigen Monats von den Behörden 4.157 illegal gehandelte Kilo Butter sowie 763 Kilo Käse, 659 Kilo Fleisch, acht Schlachtrinder und 26 Kälber sichergestellt. Im selben Bezirk kam es allein im März 1919 zu insgesamt 164 Strafurteilen wegen Schleichhandels-Delikten.18 Nach dem Krieg waren unter Umgehung der bestehenden Exportbeschränkungen auch immer größere Umsätze im Schmuggelverkehr mit dem Ausland zu verzeichnen. Für Vieh konnten die Nordtiroler Bauern in Italien wesentlich höhere Preise erzielen, weshalb sich nach dem November 1918 entlang der Waffenstillstandslinie ein reges Schmuggelwesen etablierte.19 In ähnlicher Weise entwickelte sich etwa im Bezirk Reutte ein intensiver Schmuggelverkehr ins benachbarte Bayern, wohin Lebensmittel und auch
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Lebendvieh zu höheren Preisen verbracht wurden.20 Auch in Vorarlberg suchten die Landwirte ihre Produkte bevorzugt jenseits der Grenze, in der Schweiz, dementsprechend ertragreicher abzusetzen. Vor allem unter den mehreren Tausend Vorarlberger Grenzpendlern entwickelte sich ein ausgeprägter Schmuggelverkehr in beide Richtungen. Die Berner Bundesregierung reagierte darauf mit häufigeren Kontrollen und verstärkte zur Unterbindung der Schattenwirtschaft das militärische Aufgebot an der Grenze.21 Dass immer häufiger findige Bauern das öffentliche Bewirtschaftungssystem im Rahmen dieser illegalen Schattenwirtschaft umgingen und sich Landwirte fallweise auch energisch gegen die Requirierungen und Zwangsmaßnahmen stemmten, brachte die Tiroler bürgerliche Politik, vor allem die Volkspartei, in ein Dilemma. Einerseits erkannte man die Notwendigkeit, auch den städtischen Bereich im regionalen Versorgungsnetz gebührend zu berücksichtigen; andererseits wollte man gegenüber der Landwirtschaft als konservative Stammklientel und Kernwählerschicht nicht in Form brachialer Maßregelungen vorgehen. Auf diese Weise blieben die im Land bestimmende TVP-Politik und die bäuerliche Mehrheit in der Tiroler Volksvertretung dann, wenn es um die Disziplinierung der ländlichen Produktion im Rahmen konkreter Maßnahmen ging, zu kleinlaut und zögerlich.22 Eine weitere direkte Folge der leidlichen Versorgungssituation war die Zunahme von Eigentumsdelikten. In der Stadt werde „alles gestohlen“, gab sich im Januar 1920 der Innsbrucker Bürgermeister seinen Gemeinderäten gegenüber geradezu alarmiert.23 Die aus dem Krieg bekannten Flurwächter waren auch noch nach dem Krieg unverzichtbar, und für Lebensmitteltransporte bedurfte es eines militärischen Begleitschutzes.24 Die seitens der kriegsgeplagten Bevölkerung so sehr ersehnte Stabilisierung der Friedensverhältnisse im Rahmen eines raschen Abbaus der vom Krieg übernommenen Mangelwirtschaft ließ aber vor allem auch aufgrund der hohen Nachkriegs-Inflation weiterhin auf sich warten. Seit Kriegsbeginn 1914 hatten sich die Preise in Österreich nahezu jedes Jahr verdoppelt, und im Herbst 1921 war es im Zuge der grassierenden Hyperinflation zu noch weit größeren Preissprüngen gekommen.25 Weil die Löhne nicht annähernd im selben Ausmaß anzogen, verarmten weite Teile der sozialen Unter- und Mittelschichten, die sich infolge des Realeinkommensverlustes zunehmend schwer taten, mit dem verdienten Lohn den Nachkriegsalltag zu bestreiten. Eine durchschnittliche Innsbrucker Arbeiterfamilie gab in den ersten Nachkriegsjahren etwa drei Viertel ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Vielfach musste man in der Stadt mit einer Pro-KopfZuteilung von 800 Kalorien pro Tag, also einem Drittel der Regel-Ernährung, das Auslangen finden.26 Die Folge der nicht enden wollenden Versorgungsmisere waren gesundheitliche Probleme und Unterernährung, die sich in den ersten
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Nachkriegsjahren nicht verbessert, sondern kontinuierlich verschlechtert hatten. Im Rahmen der periodischen Untersuchung des Ernährungszustandes von Tiroler Schulkindern war der Anteil der schwer unterernährten Kinder von 12,4 Prozent im Jahr 1919 auf 21,3 Prozent im folgenden Jahr 1920 und auf einen Höchstwert von 26,3 Prozent im Jahr 1922 gestiegen. Gleichzeitig sank die Zahl der ausreichend ernährten Schulkinder von 35,7 Prozent im Jahr 1919 auf nur mehr 17,4 Prozent im Jahr 1922.27 Die Situation in Vorarlberg unterschied sich nur unwesentlich von den Tiroler Verhältnissen. Im Frühsommer 1920 galt auch rund ein Viertel der Vorarlberger Schulkinder als schwer unterernährt.28 Angesichts der bereits skizzierten unvorteilhaften Rahmenbedingungen waren die Maßnahmen, die man in Wien und Innsbruck zur Überwindung der Nachkriegs-Ernährungskrise ergreifen konnte, durchwegs beschränkter Natur. Flankierend zur aufrechterhaltenen Zwangsbewirtschaftung suchte der schon am 26. Oktober 1918 von der Tiroler Nationalversammlung eingesetzte provisorische Ernährungsausschuss die Versorgungslage durch einige Ad-hocMaßnahmen zu verbessern. Dazu gehörten die Ausweisung von Fremden, die Förderung der Jagd zur Kompensation des Mangels an Zuchttierfleisch, die Einschränkung der Exporte sowie die Verwendung vorhandener militärischer Vorräte zur Versorgung der Bevölkerung.29 Es handelte sich um ein in den ersten Nachkriegsmonaten sukzessive erweitertes Maßnahmenpaket, dem es allerdings nicht gelang, die Ernährungslage substanziell zu verbessern. Teil dieses Paketes waren auch die vielgestaltigen, aber nahezu aussichtslosen Bemühungen, den grassierenden Schleichhandel einzudämmen. Im Februar 1919 wurden von der Landesregierung sogar Geldprämien für die behördliche Anzeige vermeintlicher Schleichhändler ausgesetzt.30 Zudem leitete die Landespolitik im Herbst 1919 versuchsweise eine Lockerung der bestehenden Zwangswirtschaft in die Wege. Die entsprechenden Maßnahmen sahen eine Erhöhung der Lebensmittelpreise und die Reduzierung des landwirtschaftlichen Stellungskontingents auf 70 Prozent des jeweiligen betrieblichen Produktionsvolumens vor. Die damit verbundene politische Intention, Anreize für die Steigerung der Agrarproduktion und die größere Disziplin im Rahmen der Abgabe der landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu schaffen, brachte allerdings ebenfalls nicht den gewünschten Erfolg. Die Lebensmittelversorgung der Städte blieb weiterhin unzureichend.31 Die politischen Hauptanstrengungen zur Lösung der Ernährungsfrage konzentrierten sich deshalb seit Kriegsende auf die Einwerbung von Hilfslieferungen aus dem Ausland, das letztlich die Elementarversorgung der Tiroler und Vorarlberger Bevölkerung im frühen Nachkrieg gewährleistete. Vor allem die Schweiz und in der Folge auch die alliierten Mächte hielten in den ersten Nachkriegsmonaten durch periodische Lebensmittelzuschübe die
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Grundversorgung in Westösterreich aufrecht. Die Hilfslieferungen sollten sich allerdings bloß auf „das strikte Minimum“ beschränken und einer genauen „Überwachung über die Verwendung“ obliegen.32 Sie erfolgten vorwiegend in der Form von Warenkrediten, gegen Pfandsicherstellung oder nach entsprechender Zusicherung einer Rückvergütung durch die Alliierten. Während die Grundversorgung Vorarlbergs durch ein am 17. November 1918 mit der Schweiz geschlossenes Abkommen vorerst gesichert werden konnte, schreckte die Eidgenossenschaft im Falle Tirols zunächst zurück. Die Zuschübe nach Innsbruck sollten erst nach Zusicherung durch die Alliierten erfolgen, dass der Schweiz die entsprechenden Lieferungen ersetzt würden.33 Aufgrund des dringlichen Bedarfs rang sich der Berner Bundesrat allerdings dazu durch, Tirol eine Soforthilfe im Ausmaß von 80 Waggon Mehl und 10 Waggon Reis zu gewähren, die Anfang Dezember in Tirol eintraf.34 Die ersten Lebensmittellieferungen der Alliierten erreichten Tirol dann einige Wochen später, am 20. Dezember 1918. Bis um Weihnachten 1918 erfolgte also die Versorgung Tirols mit Nahrungsmittel mehr oder weniger auf Geheiß der Schweiz.35 Die Versorgung der Bevölkerung der benachbarten österreichischen Länder wurde auch im Jahr 1919 fortgesetzt. Bis Mai 1919 hatte Vorarlberg insgesamt 442 Wagen Mehl sowie Reis (57), Fett (10) und Kartoffeln (300) erhalten. Nach Tirol ging in sechs autonomen Lieferungen von Dezember 1918 bis Mai 1919 eine vergleichbare Menge von Lebensmitteln: 506 Wagen Mehl, ferner Reis (56), Fett (3) und Kartoffeln (200).36 Bescheidenere Lebensmittel-Kontingente kamen auch aus Deutschland. Ferner konnten Vorarlberg und Tirol ebenfalls von dem alliierten Warenkredit über 30 Millionen Dollar profitieren, der Österreich im Frühjahr 1919 gewährt wurde und zumindest anteilmäßig auch dem Westen des Landes zugutekam.37 Wohlgemerkt: Das alles änderte aber nichts daran, dass die Versorgung der beiden Länder nicht über ein absolutes Mindestmaß hinauskam, die Ernährungslage weiterhin prekär blieb und die Bevölkerung vielerorts Hunger litt. Zudem handelte es sich bei den Auslandslieferungen um befristet wirksame Maßnahmen, die in der Regel nur auf wenige Monate ausgerichtet waren. Der schließlich im Mai 1919 erfolgte alliierte Versuch, der Schweiz die Versorgung Tirols und Vorarlbergs ohne Erstattung des dafür notwendigen finanziellen Aufwandes allein zu überantworten, wurde in Bern als „Zumutung“ empfunden. Es sei „in erster Linie denn doch […] Aufgabe der siegreichen Mächte […], die besiegten Länder mit dem notwendigsten zu versorgen, oder doch wenigstens die hieraus sich ergebenden finanziellen Risiken zu übernehmen.“38 Nach dem Auslaufen des Abkommens vom 17. November im April 1919 und der daraufhin erfolgten Schweizer Versorgungszusage für zwei weitere Monate (Mai und Juni)
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war der Nachschub von Lebensmitteln – auch aufgrund der Unstimmigkeiten zwischen der Schweiz und den Alliierten in der Finanzierungsfrage, die eine Lösung hinauszögerten – nicht mehr gesichert.39 Außerdem lief im Herbst 1919 der im Frühjahr gewährte alliierte Warenkredit aus, weshalb auch die auf diese Weise bisher bewerkstelligten alliierten Lebensmittellieferungen zu entfallen drohten.40 Der durch die Verkettung all dieser Umstände zu gewärtigende erneute Lebensmittel-Engpass spitzte sich im Spätherbst zu und bildete wohl den berühmten Tropfen, der das Fass schließlich zum Überlaufen brachte. Nachdem es bereits im Sommer erstmals seit dem Krieg wieder zu Hungerkrawallen gekommen war, eskalierte die Situation Anfang Dezember in der Landeshauptstadt Innsbruck. Am 4. Dezember 1919 begann eine drei Tage andauernde Serie von Protestaktionen, die ganz unwillkürlich an den Januar 1918 erinnert, als es in der Landeshauptstadt ebenfalls zu Demonstrationen der Arbeiterschaft und der Stadtbevölkerung gegen den Lebensmittelmangel gekommen war. Im Gegensatz zu den Januar-Protesten, die noch unter den Restriktionen des rigiden Kriegsregimes stattgefunden hatten, eskalierte die Situation im Dezem ber 1919. Das populare Aufbegehren folgte dabei einem choreographierten Prozedere, das sich als ersten Adressaten des Protestes die entsprechenden politischen Verantwortlichen auserkoren hatte, bei denen man sich über den Versorgungsnotstand lauthals beschwerte. Die Demonstranten drangen zunächst gewaltsam in das Landhaus, dem Sitz der Tiroler Landesregierung, ein und zogen anschließend weiter zum Innsbrucker Stadtmagistrat. Danach verging sich die aufgebrachte Menge zuerst am städtischen Kartoffellager. Am 5. Dezember setzte sich der Plünderungstross fort und konzentrierte sich in seinem Zug durch die Stadt vor allem auf jene öffentlichen und privaten Räume, in denen man Nahrungsmittel vermutete. Die Kriegsgetreide-Verkehrsanstalt und das Landeslagerhaus waren davon gleichermaßen betroffen wie das Jesuitenkloster oder das Stift Wilten.41 Schließlich richtete sich der Frust der Protestierenden auch gegen die bekannten städtischen Schleichhandels-Zentren – meist Cafés und Gasthäuser –, in denen der illegale Warenumschlag abgewickelt wurde. Die im Nachkrieg ständig wachsende Bedeutung dieser Schattenwirtschaft hatte sie zu einem zentralen Feindbild jener städtischen sozialen Unterschichten werden lassen, die in Ermangelung ausreichender finanzieller Mittel nicht Teil dieser Parallelökonomie sein konnten. Den Demonstrationen und Plünderungen konnte erst am 6. Dezember infolge eines sukzessive verstärkten Aufgebotes an Sicherheitskräften und mit Hilfe von italienischen Besatzungssoldaten Einhalt geboten werden.42 Diverse Nahrungsmittellieferungen entspannten die Situation zusätzlich. Aufgrund der misslichen Ernährungslage
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kam es zu weiteren Hilfslieferungen durch die Schweiz, das Deutsche Reich und aus den Beständen der italienischen Besatzungsmacht.43 Im März 1920 konnte Österreich schließlich einen amerikanischen Warenkredit über 200.000 Tonnen Mehl erlangen, der die Lage vorübergehend entschärfte.44 Parallel zu den staatlichen Nahrungszuschüben linderten – soweit das möglich war – karitative Hilfsinitiativen verschiedener Art und Herkunft die größte Not. Dabei handelte es sich vielfach auch um private Geld- und Lebensmittelsammlungen, die Tirol aus der Schweiz, England, Holland, Schweden, Italien und Deutschland erreichten. Allein die Sach- und Lebensmittelspenden, die in den ersten Nachkriegsjahren aus Kreisen der Schweizer Bevölkerung nach Österreich gelangten, beliefen sich schätzungsweise auf rund 25 Millionen Schweizer Franken.45 Große Breitenwirkung entfaltete auch die amerikanische Kinderhilfsaktion in Österreich, die im Speziellen die Unterversorgung der Kinder und Jugendlichen zumindest mildern sollte. Im Sommer 1919 kamen allein in Innsbruck 6.500 Kinder in den Genuss dieser Fürsorgeleistungen, die sich vor allem auf die Organisation von Ausspeisungen konzentrierten.46 Als Pendant zu dieser Hilfe vor Ort entlastete die zweitweise Unterbringung von Kindern im Ausland vor allem die prekäre Situation der Familien in den Städten. Im Jahr 1920 nahm die Unterbringung von Tiroler Kindern bei ausländischen Gastfamilien in der Schweiz, Holland, Italien, Bayern und auch in Südtirol größere Ausmaße an. Der Südtiroler Landesteil nahm Kinder aus Innsbruck und im Rahmen der Hilfsaktion ‚Wiener Kinder‘ auch solche aus der österreichischen Hauptstadt auf und beteiligte sich zudem an diversen Sammlungen für Nordtirol. Zwar hatte es in den unmittelbaren Wochen und Monaten nach dem Krieg auch in Südtirol kleinere Ernährungsengpässe gegeben, sie konnten aber bald unter Kontrolle gebracht werden. Die wesentlich kompetitivere Landwirtschaft, die günstigeren Rahmenbedingungen im Kontext der italienischen Besatzung und die stabilere wirtschaftliche und finanzpolitische Situation – die Inflation hielt sich sehr in Grenzen – führten zu einer vergleichsweise raschen Entspannung der Lage. Im Südtiroler Eisacktal etwa stabilisierte sich die Ernährungslage bereits im Laufe des Jahres 1919.47 Jenseits des Brenners setzte die Erholung der Versorgungssituation hingegen erst beginnend mit 1921 ein und konsolidierte sich in einem langsam verlaufenden Stabilisierungsprozess bis Ende 1922. Im Sommer 1921 wurde damit begonnen, das Zwangsbewirtschaftungssystem Schritt für Schritt abzubauen und zunächst für einzelne Lebensmittel auszusetzen. Mitte April 1922 konnte das 1915 eingeführte Kartenbewirtschaftungssystem dann endgültig eingestellt werden.48 Damit endete der Erste Weltkrieg in Tirol – überspitzt gesagt – erst fast vier Jahre nachdem an der Südwestfront das Feuer eingestellt worden war.
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Leben mit dem Krieg im Nacken: Der Frieden als soziale Bürde Aus der Entfernung oder im Vorbeifahren betrachtet mochte der Ort noch mit einem blauen Auge davongekommen sein. Näherte man sich in den ersten Novembertagen 1918 allerdings der Innenstadt von Rovereto war die durch den Krieg verursachte brachiale Zerstörung allgegenwärtig.49 Die nahe der österreichisch-italienischen Front gelegene, an Einwohnern gemessen zweitgrößte Stadt des Trentino bot regelrecht ein Bild der Verwüstung, das aus heutiger Sicht ganz unwillkürlich Assoziationen an die devastierten Kriegslandschaften der deutsch-französischen Westfront oder der Kriegsschauplätze im Osten hervorruft. Rovereto war Teil der so genannten „zona nera“ (schwarze Zone) – also jenes Trentiner Landstriches entlang der österreichischungarischen Südwestfront, der durch die militärischen Einwirkungen des Krieges massive Schäden erlitten hatte. Die Stadt war während des Krieges kontinuierlich Ziel der jenseits der Front operierenden italienischen Artillerie gewesen. Mehr oder weniger stark beschädigte Gebäude, abgedeckte Dächer und Plünderungsschäden: Von den insgesamt 864 Häusern der Stadt hatten lediglich 16 die Kriegsjahre unbeschadet überstanden.50 Und Rovereto war beileibe kein Einzelfall. Die Fakten sprechen dabei für sich: Das Gesamtausmaß der Kriegsschäden lässt sich im Trentino auf eine Summe von über 3 Milliarden Lire beziffern.51 Nahezu 28.000 Gebäude waren in der Region zerstört bzw. mehr oder weniger beschädigt worden sowie ein beträchtlicher Teil der vormals frontnahen Verkehrsinfrastruktur, Wälder und Fluren.52 Insgesamt betrafen die sich großflächig zugetragenen, teilweise massiven Zerstörungen weit mehr als ein Drittel des Landes53 und damit eine Fläche, die beispielsweise nur unwesentlich kleiner war als das heutige österreichische Bundesland Vorarlberg. In Anbetracht dieser Tatsachen stand die neue italienische Ordnungsmacht nach dem 4. November 1918 vor einer großen Herausforderung. Auch in der Absicht, den künftigen neuen italienischen Staatsbürgern zu imponieren und sie im politischen Sinne für sich zu gewinnen, startete der italienische Staat ein in finanzieller Hinsicht großzügig bemessenes Wiederaufbauprogramm. Die stolze Summe von 224 Millionen Lire war bis zum Herbst des Jahres 1921 in das staatliche Maßnahmenpaket zur Beseitigung der Kriegsschäden im Trentino geflossen. Im selben Zeitraum waren von den 27.800 zerstörten oder beschädigten Gebäuden fast 18.000 auf öffentliche oder private Initiative hin instandgesetzt oder wiederaufgebaut worden. In rund 6.200 weiteren Fällen hatte man mit den entsprechenden baulichen Maßnahmen bereits begonnen, sodass Ende 1921 noch die Arbeiten an rund 5.000 Gebäuden ausstanden.54 Zu Spitzenzeiten fanden im Rahmen dieser großangelegten Wiederaufbauinitiative rund 23.000 Arbeiter sowie
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Abb. 16 Zerstörungen des Krieges: Kriegsruinen in der Kleinstadt Mori im Trentino
800 Bautechniker und Angestellte Beschäftigung.55 Bezogen auf die Gesamtheit der nach Kriegsende von Italien annektierten Territorien belief sich die Summe der in den Wiederaufbau geflossenen stattlichen finanziellen Mittel auf über acht Prozent der Gesamtausgaben.56 Trotz dieses staatlichen Kraftaktes schritten die Arbeiten aus der Perspektive der Trentiner Bevölkerung vor Ort nicht wunschgemäß voran. Die Erwartungshaltung der Regierten und die Bewerkstelligung des Wiederaufbaus durch die Regierenden klafften weit auseinander. Mit Argwohn beobachtete man die umständlich erscheinende zentralistische Organisation der Arbeiten und deren schleppend-bürokratische Abwicklung sowie die da und dort zutage tretende notorische Korruption.57 Neben anderen Stimuli beförderte eben diese über den Blick ‚von unten‘ als ineffizient wahrgenommene Organisation des staatlichen Wiederaufbaus den im frühen Nachkrieg aufkeimenden Trentinismo. „Unter der österreichischen Regierung“, brachte der Roveretaner Ottone Brentari dieses weit verbreitete Unbehagen zur Sprache, „funktionierte die Verwaltung besser als jetzt.“58 Die sozioökonomischen An- und Herausforderungen des Nachkrieges waren in der Region des historischen Tirol also durchaus unterschiedlich gelagert. Während in Vorarlberg und Tirol die zentrale Ernährungsproblematik alles andere überragte, machte im Trentino der materielle Wiederaufbau
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weit mehr zu schaffen. Diese so unterschiedlichen Ausgangslagen führen ganz unweigerlich zurück zur Diskussion über die Bedeutung der differenten sozioökonomischen Charakteristika regionaler Nachkriegs-Räume, die erst aus vergleichender Perspektive deutlicher zum Vorschein treten. In einer Art Pufferlage zwischen dem hungernden Tiroler Norden und dem im ehemaligen Einzugsbereich der Front großflächig zerstörten Trentiner Süden schien die soziale Lage der Bevölkerung in Südtirol – trotz der Hemmnisse der militärischen Besatzung – vergleichsweise am vorteilhaftesten zu sein. Gewiss gab es in der ersten Nachkriegszeit auch in Südtirol Ernährungsengpässe, und das Land war auch – punktuell im Hochpustertal und im Vinschgau – direkt von den militärischen Einwirkungen des Krieges betroffen.59 Trotzdem nahm sich die Gesamtsituation ungleich günstiger aus als nördlich des Brenners oder südlich der Salurner Klause, wo man auf je eigene Weise mit erheblich größeren Nachkriegsturbulenzen konfrontiert war. Der Ernährungsnotstand und die Auswirkungen der kriegsbedingten Zerstörungen waren allerdings bloß zwei wichtige Punkte einer langen Liste von sozialen Folgen des Krieges, die ein weiteres Mal in Erinnerung rufen, dass vor allem aus sozialgeschichtlicher Perspektive der Krieg im November 1918 noch lange nicht sein Ende gefunden hatte. An der Spitze dieser Liste rangierten die enormen gesundheitlichen Folgewirkungen des Krieges, die den soziodemographischen Charakter der Tiroler und Trentiner Gesellschaft seit 1914 grundlegend verändert hatten. Auch aufgrund der unzureichenden und im Laufe des Krieges nur langsam greifenden Impfmaßnahmen grassierten unter den Soldaten eine ganze Reihe von Infektionskrankheiten, wie Tuberkulose, Darmtyphus, Cholera und Ruhr, an denen in den ersten drei Kriegsjahren schätzungsweise rund 100.000 k.u.k. Soldaten verstorben waren.60 Die hohe Mobilität der Truppen im ersten modernen Massenkrieg des 20. Jahrhunderts führte in der Folge zu einem raschen Übergreifen dieser Krankheiten auf die Zivilbevölkerung abseits der militärischen Fronten. Auch in Tirol mehrten sich in der zweiten Kriegshälfte beispielsweise die Todesfälle an Typhus und Ruhr. Und es dauerte seine Zeit, bis die gestiegene Morbidität dieser Krankheiten in den Griff bekommen werden konnte. Pocken- und Typhuserkrankungen sowie die weitum grassierenden Geschlechtskrankheiten stellten auch noch lange nach Kriegsende eine gesundheitliche Gefahrenquelle für die regionale Bevölkerung dar.61 Das infolge der Mangelernährung und der kriegsbedingten Überbeanspruchung geschwächte Immunsystem der vom Krieg gezeichneten Menschen, die leidlichen Impfvorkehrungen, die prioritäre Konzentration gesundheitspolitischer Maßnahmen auf die Front sowie das gegen Ende des Krieges regelrecht darniederliegende regionale Gesundheitswesen hatten in Tirol zwischen 1914 und 1918 zu einem starken Anstieg der zivilen Sterblichkeit
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geführt. Es fehlte an Medikamenten, pharmazeutischen Diensten, sanitären Einrichtungen und – vor allem – an Ärzten vor Ort. Zu Kriegsende waren etwa allein im Trentino fünfzig Gemeindearztstellen vakant, und mit dem Trienter Spital Santa Chiara sah sich nur mehr ein Krankenhaus in der Lage, einen einigermaßen geregelten Betrieb zu garantieren. Der Rest war vielfach während des Krieges zerstört worden.62 Mit Blick auf die erhöhte zivile Mortalitätsrate nahm sich vor allem die im Laufe des Krieges gestiegene Säuglings- und Kindersterblichkeit besorgniserregend aus. Rund ein Viertel der Säuglinge starb innerhalb des ersten Lebensjahres, und in einzelnen Trentiner Bezirken hatte sich die Mortalitätsrate bei Neugeborenen auf nahezu die Hälfte erhöht.63 Gemeinsam mit der drastisch gesunkenen allgemeinen Fertilität – in der zweiten Hälfte des Krieges sank die Anzahl der Geburten in Tirol auf lediglich rund die Hälfte des letzten Friedensjahres 1913 – sackte die Geburtenrate drastisch ab. Erst im Rahmen des 1919 beginnenden Nachkriegs-Heiratsbooms bewegte sie sich langsam wieder nach oben.64 Die Zahl der zivilen Todesfälle stieg schließlich gegen Kriegsende und zu Beginn des Jahres 1919 durch die zahlreichen Opfer der ‚Spanischen Grippe‘ noch einmal sprunghaft an. Allein in Tirol forderte die Pandemie rund 1.600 Todesopfer; zählt man Vorarlberg hinzu, steigt die Zahl auf über 2.000 Tote an.65 Rund um den militärischen Zusammenbruch in den ersten Novembertagen 1918 wurden auf der Brennerroute im Einzugsbereich der Landeshauptstadt Innsbruck insgesamt 273 tote Soldaten aufgelesen und anschließend auf dem städtischen Militärfriedhof in Pradl beerdigt. Es handelte sich gewissermaßen um die letzten ‚Gefallenen‘ des Krieges, die im Zuge des bereits beschriebenen turbulenten Rückzugs der Habsburgerarmee in Tirol den Tod gefunden hatten – meist infolge von Unfällen oder anderen schweren Verletzungen.66 Die Zahl jener Soldaten, die im Rahmen von militärischen Kampfhandlungen oder infolge von Verwundungen und Krankheiten während des Krieges verstorben waren, beläuft sich in der österreichisch-ungarischen Monarchie auf rund 1,2 Millionen. Schließt man jene Militärangehörigen mit ein, die in Kriegsgefangenschaft verendeten, erhöht sich die Zahl auf rund 1,65 Millionen. Gemeinsam mit den letztlich schwer quantifizierbaren zivilen Toten kann man den Gesamtverlust der Donaumonarchie auf schätzungsweise rund 2,4 Millionen Menschen beziffern.67 Auch in Tirol wurden die Gefallenenlisten während des Krieges immer länger. Das Gros der Verluste entstammte den traditionsreichen Tiroler Kaiserjäger- und Landes- bzw. Kaiserschützenformationen, die vor allem in den ersten Kriegsmonaten an der Ostfront exorbitant hohe Verluste erlitten hatten. Rund die Hälfte der dort eingesetzten Tiroler Soldaten starben.68 Die Gesamtzahl der Tiroler Gefallenen kann unter Berücksichtigung der neuesten Forschungserkenntnisse auf insgesamt ca.
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Abb. 17 Österreichischer Militärfriedhof im Bereich Cimabianche/Gemärkpass
33.000 Mann geschätzt werden.69 Rechnet man die rund 4.800 Gefallenen Vorarlberger Soldaten hinzu, kommt man für das gesamte Kronland TirolVorarlberg auf eine Summe von etwa 38.000 Mann.70 Die angeführten mehr oder weniger zuverlässigen bevölkerungsstatistischen Maßzahlen untermauern allesamt das bemerkenswerte Ausmaß der demografischen Transformation, die der Krieg auch in Tirol nach sich gezogen hatte. Der starke Geburtenrückgang sowie die hohen zivilen und besonders militärischen Mortalitätsraten brachten die natürliche Bevölkerungsbewegung aus dem Lot, verursachten eine negative Differenz in der Geburtenbilanz und veränderten die Sexualproportion zugunsten eines Frauenüberschusses. Diese demografische Transformation wirkte in entscheidender Weise auf die sozioökonomische Entwicklung der ersten Nachkriegsjahre ein. Hunger, Zerstörung, volksgesundheitliche Defizite und – nicht zuletzt – der schon erwähnte vieltausendfache Kriegstod stellten zwar zentrale, allerdings beileibe nicht die einzigen Faktoren eines ganzen Komplexes an Folgewirkungen dar, der im Schlepptau des Krieges die gesellschaftliche Realität auch in der Nachkriegszeit in hohem Maße konditionierte. Mit Blick auf die engeren sozialen Konsequenzen des Krieges und die konkrete Bewältigung des Lebensalltages im frühen Nachkrieg sorgte neben der prekären Lebensmittelversorgung vor allem auch in den Städten der eklatante Mangel an Heiz- und Brennstoffen für Einschränkungen in der Lebensführung zahlreicher Familien. Den Nachkriegs-Haushalten in Tirol fehlte es – wie schon während des Krieges
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und anderswo in Österreich auch – an Holz, Gas und Kohle.71 Zudem spitzte sich nach Kriegsende, wiederum vornehmlich im urbanen Bereich, der herrschende Mangel an Wohnraum besorgniserregend zu. In der Tiroler Landeshauptstadt, wo es aufgrund des konstanten Bevölkerungszuwachses schon vor dem Krieg an Wohnungen mangelte, waren infolge des Krieges der private Wohnungsbau und städtische baupolitische Initiativen mehr oder weniger zum Erliegen gekommen. In urbanistischer wie logistischer Hinsicht hatte die Unterbringung der militärischen Einrichtungen und Truppenkontingente absolute Priorität gehabt. Nach 1918 reduzierte sich der im Krieg auch durch die zahlreichen militärischen Einquartierungen in Mitleidenschaft gezogene Wohnraum zusätzlich. Das war nicht nur auf die Tatsache zurückzuführen, dass die italienischen Besatzungssoldaten zahlreiche städtische Gebäude in Beschlag nahmen, sondern hing auch damit zusammen, dass die Landeshauptstadt nach dem Krieg im Rahmen einer moderaten Landflucht zum Anziehungspunkt vieler Arbeits- und Wohnungssuchender wurde.72 Darüber hinaus ließen sich die im Zuge der ersten Entlassungswelle während der Besatzungszeit und später infolge der ‚ersten Option‘ aus Südtirol emigrierten, zumeist österreichischen Staatsangestellten vornehmlich in Innsbruck nieder.73 In Anbetracht des offensichtlichen Mangels wurden schließlich immer häufiger Notquartiere in Form von Wohnbaracken oder notdürftig für Unterkunftszwecke zur Verfügung gestellten Eisenbahnwaggons geschaffen. Auch in Südtirol war infolge der starken Präsenz von Besatzungstruppen sowie der sukzessive dorthin verlagerten Zweigstellen staatlicher Behörden Wohnraum äußerst knapp, sodass etwa in Bozen teilweise bis zu 15 Personen ihre Schlafstatt in einem Zimmer finden mussten.74 Am schwierigsten stellte sich die Lage aber zweifellos im Trentino dar, wo infolge der erwähnten massiven Zerstörungen eine Vielzahl von Menschen zunächst in Barackenlagern untergebracht wurde. Bis Sommer 1919 entstanden in den betroffenen Territorien insgesamt 1.650 Holzbaracken – vor allem im Suganatal und in Vallarsa, dem Umfeld von Rovereto und Mori, im Valle del Chiese sowie in geringerem Außmaß auch weiter im Westen, in Riva und im Ledrotal. Im Rahmen weiterer erforderlicher Maßnahmen erfolgte durch das italienische Militär die Errichtung von zusätzlichen 370 Baracken, die der obdachlos gewordenen Bevölkerung zur Verfügung gestellt wurden.75 Das im Rahmen der Hinterlassenschaft des Krieges gleichsam ererbte Paket sozialer Kriegsfolgen betraf in erster Linie die sozialen Unter- und Mittelschichten, die schon während des Konfliktes die Hauptleidtragenden der kriegsimmanenten sozioökonomischen Veränderungen gewesen waren. Neben der bereits erläuterten Tatsache, dass defizitäre Eigenproduktion und versiegende Importe auch noch nach Kriegsende kolossale Ernährungsengpässe
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provozierten, verteuerte die hohe Nachkriegsinflation – trotz Höchstpreisreglementierung – ganz generell die Lebenshaltungskosten. Das Missverhältnis zwischen exponentiell gestiegenen Preisen und vergleichsweise moderat erhöhten Gehältern erschwerte die Lebensführung im unteren und mittleren Einkommenssegment. Während im Zeitraum von Kriegsbeginn 1914 bis Ende 1919 der Tiroler Durchschnittslohn um das Sechs- bis Achtfache gestiegen war, hatten sich Lebensmittel und Bedarfsgüter vielfach auch schon um das Zwanzigfache verteuert.76 Zur Zeit der Hyperinflation Anfang der 1920er Jahre stiegen die Preise dann ins Unermessliche. In besonderer Weise davon betroffen waren Arbeiter, Rentner, aber auch das lohnabhängige Klein- und Bildungsbürgertum, etwa Angestellte und Beamte, die es vor 1914 zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht hatten. Die hohe Inflation führte durch die tendenzielle Angleichung der Gehälter zu einer Art Nivellierung der kleinen und mittleren Einkommen und war vor allem für die bürgerlichen Milieus mit einem schmerzhaften gesellschaftlichen Abstieg verbunden.77 Im Gegensatz dazu bewirkte diese Entwicklung im eher kreditlastigen Segment der betrieblichen Unternehmer und Immobilienbesitzer sowie in der Landwirtschaft eine rasch durchgreifende finanzielle Entschuldung. Zusammenfassend gesagt handelte es sich um nichts weniger als eine „brutale Umverteilung“78 zulasten der Sparer und Lohnabhängigen, die in letzter Konsequenz eine Pauperisierung der sozialen Unter- und Mittelschichten nach sich zog.79 Freilich bedarf es auch in diesem Fall einer sparten- und raumspezifischen Differenzierung. In jenen Wirtschaftssektoren, die sich nach dem Krieg rasch erholten, gestaltete sich die soziale Lage der Lohnabhängigen vergleichsweise besser. Die Gesamtsituation der Facharbeiter, die etwa in der bald florierenden Holz- und Bergwirtschaft tätig waren, nahm sich durch höhere Löhne und diverse Lebensmittelzubußen um einiges günstiger aus als beispielsweise die Lebenssituation der Arbeiter am Land, die in nicht-landwirtschaftlichen oder ökonomisch stagnierenden Sektoren Beschäftigung fanden. Einmal abgesehen davon, dass letzteren vielfach nicht einmal die Mindestquoten vergütet wurden, erschwerte sich im Vergleich mit den im städtischen Bereich tätigen Arbeitern zudem die Erreichbarkeit der Konsumgüter.80 Zumindest hielt sich die Arbeitslosigkeit in den ersten Nachkriegsjahren in allen drei Landesteilen stark in Grenzen. Der hohe Aderlass an Gefallenen und die Tatsache, dass im Rahmen der umfangreichen Wiederaufbaumaßnahmen vor allem Facharbeiter gesucht waren, wirkte beschäftigungsfördernd.81 Bezüglich der sozialen Lage der Bevölkerung im Territorium des ehemaligen Kronlandes Tirol-Vorarlberg gilt es darüber hinaus einmal mehr die unterschiedliche Entwicklung nördlich und südlich des Brenners in den Blickfang zu nehmen. Aufgrund der verschiedenen Nachkriegs-Rahmenbedingungen
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und der größeren ökonomischen und versorgungspolitischen Stabilität innerhalb des italienischen Staatsverbandes gestaltete sich in Südtirol nicht nur die Ernährungssituation – natürlich relativ gesehen – vorteilhafter, sondern auch die allgemeine Lage der Arbeitnehmerschaft. Im Kontext der stabileren ökonomischen Gesamtsituation spielten für die Südtiroler und Trentiner Bevölkerung dabei vor allem die nach dem Krieg getroffenen währungspolitischen Weichenstellungen des italienischen Staates eine Rolle. Südlich des Brenners waren in den ersten Monaten nach Kriegsende sowohl die italienische Lira als auch die österreichische Krone als Zahlungsmittel gültig. Die Einfuhr von Kronen in den südlichen Landesteil war allerdings noch im November 1918 verboten und dabei auch ein Wechselkurs festgelegt worden, der als Gegenwert für eine Krone bloß 40 italienische Centesimi vorsah. Einer weiteren, im März erlassenen Verordnung entsprechend, endete die Gültigkeit der Kronen als Zahlungsmittel mit dem Stichtag am 19. April 1919. Im November desselben Jahres nahm der italienische Staat schließlich eine nachträgliche Korrektur des Umwechslungskurses zugunsten der Krone vor. Der Differenzbetrag zwischen dem ursprünglich niedrigeren Kurs (40 Centesimi) und den nunmehr für eine Krone zugestandenen 60 Centesimi wurde rückwirkend erstattet und aus staatlichen Mitteln aufgebracht.82 Die 1914 noch bestehende ungefähre Währungsparität – für eine Krone bekam man 1,05 Lire – war zu Kriegsende durch den rasanten kriegs- und inflationsbedingten Verfall der Krone längst Geschichte. Als man in Südtirol und im Trentino im Frühjahr 1919 eine Krone für 40 Centesimi wechselte, lag der Kurs an den ausländischen Valutenmärkten schon bei lediglich 25 Centesimi – mit sinkender Tendenz.83 Im April 1920 quotierte die Krone schließlich nur mehr bei 11 Centesimi.84 Obwohl der Nominalverlust in Anbetracht der ursprünglichen Währungsparität beträchtlich war, blieb die Südtiroler und Trentiner Bevölkerung auf diese Weise etwa von dem nördlich des Brenners zu gewärtigenden enormen Kaufkraftverlust durch die massive Kroneninflation weitgehend verschont. Bis Ende 1920 wurde in der Region die stolze Summe von rund 656 Millionen Kronen für die Währungsumwechslung (in Lire) eingezogen.85 Die finale Bewertung dieser riesigen Nachkriegs-Finanztransaktion war letztlich eine Frage der Perspektive: In der Wahrnehmung der Bevölkerung stellte sich der Umrechnungsverlust freilich als riesiges Verlustgeschäft dar.86 Gemeinsam mit der Tatsache, dass auch die südlich des Brenners in österreichisch-ungarische Kriegsanleihen investierten insgesamt 536 Millionen Kronen verloren waren, steigerte die staatliche italienische Währungs- und Finanzpolitik den Unmut der Staatsbürger in den ‚neuen Provinzen‘.87 Dazu trugen neben den schmerzlichen finanziellen Einbußen freilich auch die beträchtlichen Schwierigkeiten in der administrativen
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Abwicklung der Währungsumstellung bei. Für die Lire-Auszahlungen der eingetauschten Kronenbeträge musste man teilweise lange Wartezeiten von mehreren Monaten in Kauf nehmen, die wiederum in zahlreichen Fällen gravierende finanzielle Engpässe provozierten.88 Darüber hinaus kam es infolge der Währungskonvertierung auch in Südtirol vor allem deshalb zu einer erheblichen Verteuerung des Lebens, weil die Preise nur in den seltensten Fällen dem neuen Zahlungsmittel angepasst wurden. Das bedeutete letztlich, dass man die bestehenden Kronen-Preise jetzt, vielfach in ihrer Höhe unverändert, in teurer Lire-Währung beglich.89 Hinzu kam die triste Lage jener Lohnabhängigen, die staatliche Unterstützungszahlungen oder Pensionen bezogen. Mit dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie wurden diese Zahlungen eingestellt. Die Übernahme der entsprechenden Zahlungen durch den italienischen Staat zog sich in die Länge und erfolgte nur mit großer Verzögerung.90 Während sich zwischen Bozen und Trient aufgrund der alles andere als problemlos bewältigten Währungsumstellung großes Unbehagen breitmachte, stieß der als eine Art ‚politischer Preis‘ interpretierte, vermeintlich günstige Umrechnungskurs hingegen in Teilen der italienischen Politik und nationalistischen Kreisen auf geharnischte Kritik.91 Die finanzpolitischen Maßnahmen der Regierung stellten deshalb – auch und besonders unter dem Eindruck der herausfordernden ökonomischen Verhältnisse des Biennio rosso92 – eine schwierige Gratwanderung zwischen der grundverschiedenen und de facto in gegenläufige Richtungen hin argumentierenden Kritik aus Nord und Süd dar. Die multiplen sozialen Problemlagen, die am Beginn der Republik in ihren verschiedensten Ausprägungen auch für die Lebenswelt der Tiroler Bevölkerung bestimmend waren, stellten zum Großteil allerdings keine unmittelbaren Folgewirkungen des Kriegsendes dar. Deshalb nehmen sie sich auch nicht als spezifisches Nachkriegs-Novum aus. Sie perpetuierten großteils gesellschaftliche Konflikte sowie soziale Frontstellungen und Problematiken, die im Krieg entstanden waren oder sich kriegsbedingt verschärft hatten. Dazu zählte etwa die Auseinandersetzung um die Versorgungsmisere, der Antagonismus zwischen Zentrale und Peripherie sowie der erstarkende soziale Separatismus. Letzterer kulminierte in einer zunehmenden Distanz zwischen städtischen und ländlichen Akteuren und in dem noch grundlegenderen Gegensatz zwischen den produzierenden Wirtschaftssektoren und der Masse an vielfach auch mittellosen und infolge des Krieges verarmten Konsumenten. Zuvorderst handelte es sich also um eine Fortsetzung der sozialen Kriegskonflikte unter veränderten staatlichen, politischen und mentalen Rahmenbedingungen im Frieden. Diese neuen Kontexte wirkten teilweise ‚enthemmend‘ und beförderten radikalisierende Tendenzen. Während des Krieges verbot sich
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aufgrund der Restriktionen des Staatsnotstandes ein Protestverhalten, das die ‚eingespielten‘ üblichen Formen überschritt. Und selbst nachdem die Politik 1917 infolge der Lockerung des Kriegsregimes an Artikulations- und Gestaltungsmacht gewonnen hatte, verlief der Protest innerhalb eines staatlicherseits eng abgesteckten Aktionsradius. Der Kriegsstaat griff durch, sobald diese Art ‚Ventilfunktion‘ für einen das übliche Maß sprengenden Protest ‚missbraucht‘ zu werden drohte. Der gemeinsam mit der Armee erfolgte Zusammenbruch des Kriegsregimes in den ersten Novembertagen 1918 verlagerte dann die ‚alten‘ Auseinandersetzungen auf ein neues ‚Spielfeld‘ mit veränderten Regeln, deren Proponenten und Hüter im turbulenten Nachkrieg nicht mehr in erster Linie der Staat war. Auf diese Weise radikalisierten sich bestehende Konflikte, die an neuer Relevanz, Pointiertheit und Schärfe gewannen. Um nur einige Beispiele zu nennen: die starke parteipolitische Aufladung der Gegensätze, die immer häufiger als miteinander unvereinbare Entweder-oder-Optionen präsentiert wurden; die im Zuge der Niederlage erfolgte Radikalisierung bestehender Feindbilder, die sich im Tiroler bürgerlich-konservativen Milieu vor allem auf das ‚rote‘ Wien einschossen, immer häufiger – auch im Rahmen einer regionalen Dolchstoßlegende – aggressive antisemitische Positionen in den Vordergrund rückten sowie soziale Ängste konstruierten und beförderten; oder aber die deutliche Zuspitzung der sozialen Auseinandersetzungen: Während die Bauern im Nachkrieg vielfach nur mehr unter Androhung von Waffengewalt dazu gebracht werden konnten, der Stellungspflicht für Lebensmittel regelkonform zu entsprechen, waren etwa anlässlich der Innsbrucker Plünderungsereignisse vom Dezember 1919 die letzten Skrupel gefallen. Der herrschende Unmut hatte sich in anhaltende gewaltsame Handlungen übersetzt. Aufkeimende Gewalt und ideologische Radikalismen wurden zu unverkennbaren Zeitsignaturen eines um sich greifenden Entsolidarisierungs- und Radikalisierungsprozesses.93 Ein wesentlicher Faktor dieser Radikalisierung war die nach dem Krieg beginnende Paramilitarisierung. In Vorarlberg und Tirol begann die von der konservativen Regierungspolitik in Bregenz und Innsbruck initiierte oder unterstützte sukzessive Bewaffnung gewogener bürgerlicher Kreise bereits im Frühjahr 1919. Das geschah unter dem Eindruck der – im Westen des Landes allerdings schwach ausgebildeten – sozialdemokratischen Rätebewegung und der stets als Schreckgespenst zitierten Münchner Räterepublik. Im April 1919 wurde in Bregenz mit den Vorarlberger Volksmilizen eine Art Vorgängerorganisation der Heimatwehr ins Leben gerufen, die dann im Mai 1920 als Selbstschutzverband in Vorarlberg offiziell gegründet wurde.94 Zur selben Zeit erfolgte die Konstituierung der Tiroler Heimatwehr, nachdem auch in Innsbruck unter dem Signum eines gegen links gerichteten ‚Abwehrkampfes‘ die
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Bemühungen zur Bewaffnung von Vertrauensleuten durch die Landesregierung seit April 1919 forciert worden waren.95 Die Heimatwehren wollten mit einem systematischen „großen Reinemachen“ beginnen. Es ging, so liest man, um die „Niederringung der marxistischen Parteien in Tirol“ und die „Reinigung vom fremden jüdischen Gesindel“. Das lief im Jargon der Zeit programmatisch darauf hinaus, die „Revolution in Tirol“ baldmöglichst zu „liquidieren“.96 Weiter südlich, im Trentino, kam es ebenfalls 1919 im Rahmen der Gründung des Partito della Riscossa durch den Roveretaner Intellektuellen Alfredo Degasperi zu einem ersten noch verschüchterten und weitgehend planlosen faschistischen Experiment. Es nahm allerdings schon eine Entwicklung vorweg, die sich dann mit der Gründung einer Trienter Sektion der Fasci di combattimento, die im Januar 1921 durch Achille Starace erfolgte, fortsetzte. Der frühe Trentiner Faschismus vertrat bereits eine gegen das katholische politische Establishment gerichtete, laizistische sowie dezidiert antiautonomistische Haltung und pochte mit Blick auf Südtirol auf eine rasche Italianisierung.97 Die Heimatwehren und den Provinzfaschismus der ersten Stunde verbanden ein verbalradikaler Habitus, der polternde ideologische Radikalismus und letztlich auch die Bereitschaft, für die proklamierten Ziele nicht nur im übertragenen Sinne zu ‚kämpfen‘. Wiederaufbau: Die ökonomische ‚Stunde null‘ Als in den ersten Novembertagen 1918 die österreichisch-ungarische Südwestfront zusammenbrach und infolge des Waffenstillstandes von Villa Giusti die italienischen Truppen bis zum Brenner vorrückten, war die eigentliche politische Dimension der sich innerhalb kurzer Zeit überschlagenden Ereignisse offensichtlich. Auch wenn noch nicht absehbar war, was ihr in staatsrechtlicher Hinsicht folgen würde, schien die Donaumonarchie als staatliches Gebilde unwiederbringlich Geschichte zu sein. Die einzelnen Nationalitäten der gewesenen Monarchie begründeten ihre eigene Staatlichkeit, und Österreich war bekanntlich – einem sattsam zitierten Ausspruch zufolge – der bleibende „Rest“.98 Im Schatten der öffentlich und medial dominierenden politischen Debatte rund um die staatliche Zukunftsfrage drangen die infolge des Zusammenbruchs zutage tretenden ökonomischen Verwerfungen erst auf den zweiten Blick und im Zuge der konkreten Bewältigung des schwierigen Nachkriegsalltages zum Vorschein. Die infolge des Zusammenbruchs und der Okkupation Südtirols bis zum Brenner neu gezogenen Grenzen innerhalb des Territoriums der ehemaligen k.u.k. Monarchie konstituierten gleichzeitig auch neue nationale und regionale Wirtschaftsräume mit spezifischen
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Charakteristiken.99 Letztere spielten nicht nur für die im Zuge der Hungerkrise bereits erörterte schwierige Situation der regionalen Landwirtschaft oder die zuletzt analysierte gesellschaftliche Nachkriegs-Entwicklung eine entscheidende Rolle, sondern definierten sowohl Ausgangslagen als auch Rahmenbedingungen für das Fortkommen mehr oder weniger aller Wirtschaftszweige neu. Mit Blick auf das Territorium des gewesenen Kronlandes Tirol-Vorarlberg brachte das Kriegsende in ökonomischer Hinsicht eine Art doppelten Strukturbruch mit sich. Zum einen markierte die Waffenstillstandslinie am Brenner eine vorweggenommene neue regionale Grenze, die den Wirtschaftsraum vor Ort regelrecht auseinanderdividierte. Zum anderen hatte durch den Niedergang der Monarchie und die entstehenden Sukzessionsstaaten auch die Funktionsfähigkeit des ausbalancierten ökonomischen Systems und der Wirtschaftskreisläufe des ehemaligen Großreiches ein Ende gefunden.100 Aus nationalökonomischer Perspektive reduzierte sich der rund 53 Millionen Menschen verschiedener Nationalitäten umfassende Wirtschaftsraum der Habsburgermonarchie demnach auf einen kleinen Rumpfstaat, der gerade einmal 6 Millionen Einwohner zählte.101 Mit dieser im wörtlichen Sinne zu verstehenden beiläufigen Dezimierung des innerstaatlichen Wirtschaftsraumes ging natürlich auch eine Transformation der Rahmenbedingungen des ökonomischen Handelns einher, die sich in drei zentralen Restriktionen zusammenfassen lässt: Erstens, der Quasi-Zusammenbruch des grenzüberschreitenden Warenexports in die Nachfolgestaaten der Monarchie. Der schon während des Krieges vollzogene Trend hin zu einem ökonomischen Protektionismus war nach dem Krieg von einer betont neomerkantilistischen Ausrichtung der Politik in den neuen Staaten noch verstärkt worden. Sie zielte auf eine autark ausgerichtete Wirtschaftspraxis und setzte auf Schutzzölle, Einfuhrquoten und andere administrative Handelshemmnisse, die vor allem Österreich hart trafen und die Exportwirtschaft insbesondere in der ersten Nachkriegszeit deutlich einbremsten. Diese Ausfuhrhemmnisse in den Raum eines traditionell angestammten Exportmarktes, der sich nun in mehrere unterschiedlich strukturierte und staatlich protegierte nationale Märkte aufgesplittet hatte, ließen das österreichische Exportvolumen nach dem Krieg zunächst ungleich stärker sinken als in den westlichen Industriestaaten.102 Das änderte sich erst, als zur Zeit der Hyperinflation die Exportwirtschaft profitierte und Österreich eine Art Hochkonjunktur erlebte, die allerdings nur kurz währte und im Zuge der Deflationspolitik im Rahmen der Seipelschen Sanierung schon wieder zu Ende war.103 Zweitens, die mehr oder weniger aus denselben Gründen versiegenden Importe, die aufgrund der anhaltenden Mangelwirtschaft nicht nur im Lebensmittelsektor schon seit Kriegszeiten
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zu gravierenden Engpässen geführt hatten, sondern auch das produzierende Gewerbe vor große Herausforderungen stellten. Die teilweise durch mehrere neue Staatsgrenzen markierte Distanz zu traditionellen Bezugsmärkten und (weiter)verarbeitenden Sektoren ließ auch ein ausgeklügeltes, innerstaatlich diversifiziertes und arbeitsteiliges Produktionssystem in sich zusammenbrechen. Auf diese Weise reduzierte sich die Einfuhr von Rohstoffen und anderen Gütern in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf ein Minimum.104 Und drittens machten dem kleinen österreichischen Staat natürlich die allgemeinen ökonomischen Verwerfungen des Nachkrieges zu schaffen: Die hohe Inflation und der Kaufkraftverlust der Krone schoben infolge der massiven Verteuerung der Waren die ökonomische und gesellschaftliche Stabilisierung auf die lange Bank. Zusätzlich bremste die aus dem Krieg übernommene, im frühen Nachkrieg wohl alternativlose Zwangsbewirtschaftung zentraler Produkte den wirtschaftlichen Aufschwung gehörig ein und verunmöglichte den Handel auf dem freien Markt. Produktionsseitig reagierte man reflexartig mit einer Flucht in die Schattenwirtschaft, deren beträchtliche Wertschöpfung sich im frühen Nachkrieg, wie bereits erwähnt, nur erahnen lässt. Trotz der im Allgemeinen schwierigen ökonomischen Bedingungen zog die hohe Inflation insbesondere für gewerbliche, industrielle oder auch landwirtschaftliche Unternehmer durchaus auch positive Effekte nach sich. Sie führte dazu, dass selbst hohe Schulden und Kredite rasch getilgt werden konnten und betriebliches Eigentum sowie Sachvermögen als Realien an Wert gewannen.105 Ergänzend zu diesem übergeordneten ökonomischen Strukturbruch verkomplizierten in Tirol zunächst die festgelegte Waffenstillstandslinie und schließlich die im Vertrag von Saint Germain finalisierte Brennergrenze den wirtschaftlichen Gang der Dinge. Durch die neue Grenze kam der reguläre Handel zwischen Süd- und Nordtirol mehr oder weniger zum Erliegen.106 Als die Grenzsperre im Sommer 1919 sukzessive gelockert wurde, hemmte schließlich das erwähnte Instrumentarium der protektionistischen Wirtschaftspolitik, insbesondere die hohen Zölle, den bilateralen Warenverkehr. Hinzu kamen die Turbulenzen rund um den Währungswechsel, der vor allem den regionalen Bankensektor vor eine große Herausforderung stellte.107 Die Kreditinstitute waren schon aufgrund der Wertpapierverluste und der Tatsache, dass die österreichisch-ungarischen Kriegsanleihen im Prinzip wertlos waren, in große Schwierigkeiten geraten. Der Kollaps des Südtiroler Bankenwesens konnte schließlich nur mehr durch staatliche Hilfe vermieden werden. Im November 1919 wurde gemeinnützigen Bankinstituten eine staatliche Unterstützung in Darlehensform gewährt.108 In der Folge mussten die Nordtiroler Banken ihre Filialen in Südtirol schließen. In besonderer Weise davon betroffen war die Tiroler Landeshypothekenanstalt, deren Südtirol-Geschäft
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sich auf nahezu zwei Drittel ihres Geschäftsvolumens belaufen hatte.109 Die grenzbedingte Entflechtung des Tiroler Bankenwesens bereitete große Schwierigkeiten, zumal die Südtiroler Banken über beträchtliche Kontingente österreichischer Staatspapiere und Kriegsanleihen verfügten und das regionale Kreditwesen nördlich und südlich des Brenners stark aufeinander bezogen war. Der Vertrag von Saint Germain sah keine direkte Regelung der Vermögensfragen und Finanzgeschäfte des nunmehr zweigeteilten Bankenund Kreditwesens vor, sondern verwies diesbezüglich auf zwischenstaatliche Verhandlungen. Erst 1924 kam es im Rahmen des österreichisch-italienischen Debiti-Crediti-Übereinkommens zu einer Regelung des Umgangs mit ausstehenden Kronen-Forderungen bzw. -Verbindlichkeiten.110 Die aus der neuen Grenze erwachsenen ökonomischen Einschränkungen trafen beide Hälften des willkürlich getrennten Landes hart. Der Nordtiroler Großhandel hatte sich im Rahmen des binnenregionalen Tiroler Warenaustausches stets nach Süden orientiert und eine breite Palette von Produkten (vor allem Eisen- und Konfektionswaren, chemische Artikel, handwerkliche Erzeugnisse und überseeische Importprodukte) nach Südtirol und in das Trentino abgesetzt. Der Nordtiroler Markt stellte wiederum vor allem für die Südtiroler und Trentiner Wein- und Obstwirtschaft ein nahe gelegener, unverzichtbarer Großabnehmer dar.111 Der erwähnte doppelte wirtschaftliche Strukturbruch zog – das kam hinzu – eine neue wirtschaftsgeographische Verortung der verschiedenen Tiroler Landesteile innerhalb der entsprechenden neuen Staaten nach sich. Der vornehmlich landwirtschaftlich dominierten Südtiroler Produktion war etwa im ökonomischen Gefüge der Habsburgermonarchie stets eine gewisse branchenspezifische Sonderstellung zugekom men. Die Spezialisierung auf die Weinproduktion verlieh ihr im Kontext des binnenhabsburgischen Warenverkehrs eine – gemessen an Größe und Bevölkerung – relativ gewichtige Stellung. Mit der Fixierung der neuen Grenze änderten sich aber die ökonomischen Rahmenbedingungen in radikaler Weise. Das Land verlor seinen angestammten Absatz- und Bezugsmarkt. Und als Teil der Apenninenhalbinsel befand sich die kleine weinproduzierende Region nun im äußersten Norden eines Staates, der zu den europaweit führenden Weinproduzenten zählte. Derlei zentrale Veränderungen der Ausgangslagen und Rahmenbedingungen des ökonomischen Handelns stellten eine große Herausforderung für die regionale Wirtschaft dar, die sich zwingend auf die gewandelten Verhältnisse einlassen und vielfach auch grundlegend neu positionieren musste.112 Dieser Zwang zur Neuorientierung galt insbesondere auch für Teile des Tiroler Agrarsektors, der während des Krieges – darauf ist bereits mehrfach hingewiesen worden – in besonderer Weise in Mitleidenschaft gezogen wurde.
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Die Voraussetzungen für eine entsprechend produktive Landwirtschaft waren in der Mangelwirtschaft des Krieges nicht mehr annähernd vorhanden. Und auch das Kriegsende brachte zunächst nicht die allseits erhoffte Entspannung: Es fehlte an Arbeitskräften und landwirtschaftlichen Geräten, an Saatgut und Kunstdünger.113 Darüber hinaus war der für die Milchwirtschaft zentrale Viehbestand im Krieg regelrecht dezimiert worden. Aufgrund der gehäuften Schlachtungen zur Deckung des Fleischbedarfes sowie infolge des akuten Futtermangels hatte er sich in den ersten beiden Nachkriegsjahren weiter reduziert.114 Im Vergleich zu 1914 war der Viehbestand nach dem Krieg beispielsweise im Trentino auf rund die Hälfte geschrumpft.115 In Nordtirol erreichte man erst 1923, fünf Jahre nach dem Krieg, wieder die Vorkriegsstände.116 Zu allem Überfluss waren die Ernteerträge und die landwirtschaftliche Gesamtproduktion aufgrund der widrigen klimatischen Bedingungen und der in Süd- und Nordtirol vereinzelt aufgetretenen Viehseuchen auch in den ersten beiden Nachkriegsjahren im Sinken begriffen. Die andauernde Zwangsbewirtschaftung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse wirkte zudem produktionshemmend und zeichnete gemeinsam mit den bereits skizzierten Faktoren dafür verantwortlich, dass sich die Landwirtschaft nur zaghaft regenerieren konnte. Für die Bedeutung des Agrarsektors innerhalb der regionalen Wirtschaft waren wiederum vor allem räumliche Charakteristika und Spezifika maßgebend. Anhand der regional differenzierten Erwerbsstatistik lässt sich mit Blick auf die Land- und Forstwirtschaft ein deutliches Süd-Nord-Gefälle beobachten. Der Anteil land- und forstwirtschaftlicher Erwerbstätiger war im Trentino mit rund 66 Prozent am höchsten und betrug auch in Südtirol ca. 61 Prozent. In Nordtirol lag die Agrarquote mit lediglich etwa 49 Prozent hingegen weit unter dem Wert der beiden südlichen Landesteile.117 Der Umstand, dass rund zwei Drittel der Trentiner Bevölkerung einer agrarischen Erwerbstätigkeit nachgingen, untermauert zugleich die herausragende Bedeutung der Landwirtschaft für Italienischtirol. Umso schwerer wog deshalb die Tatsache, dass sich gerade im südlichen Tirol die Wiederaufrichtung des Agrarsektors vergleichsweise am schwierigsten gestaltete. Der Krieg hatte vor allem im weiteren Einzugsgebiet der langgezogenen Gebirgsfront nicht nur Dörfer und Städte zerstört, sondern auch Fluren und Wälder in Mitleidenschaft gezogen. Gewaltsame Requisitionen, Plünderungen und militärische Beschlagnahmen verursachten große Schäden an den landwirtschaftlichen Betriebsstätten und Gebrauchsgütern. Als Flüchtlinge, Zivilinternierte, eingezogene Soldaten oder Kriegsgefangene befand sich zudem ein beträchtlicher Teil der Trentiner Bevölkerung auch noch zu Kriegsende außer Landes. Vor diesem Hintergrund war im Trentino allein die Wiederaufnahme der landwirtschaftlichen Tätigkeit
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mit ungleich größeren Schwierigkeiten verbunden als in Nord- und Südtirol, wo die direkten bzw. ‚materiellen‘ Kriegsschäden letztlich doch vergleichsweise relativ überschaubar blieben.118 Zu diesen kriegsbedingten Problemen traten die Schwierigkeiten, die aus den skizzierten neuen ökonomischen Rahmenbedingungen resultierten. Der traditionell sehr starke Weinexport in den mitteleuropäischen Raum war vollkommen eingebrochen, gleichzeitig bot der mit Blick auf das Weinangebot bereits gesättigte italienische Markt allerdings kaum die Möglichkeit einer auch nur annähernd adäquaten Kompensation.119 Diese Entwicklungen machten eine strategische Neuausrichtung der Produktion und die Akquisition neuer Exportmärkte notwendig. Aufgrund der skizzierten Hemmnisse tat sich die Trentiner Landwirtschaft darin allerdings wesentlich schwerer als etwa der Agrarsektor in Südtirol.120 Auch die umfassenden staatlichen Wiederaufbaumaßnahmen, im Zuge derer nach dem Krieg beträchtliche finanzielle Summen nach Trient flossen, waren mehr auf die Herstellung des Status quo von 1914 fokussiert. Ihnen lag kein nach vorne weisendes ökonomisches Entwicklungskonzept zugrunde, das dazu beitragen hätte können, die gewaltigen (land)wirtschaftlichen Herausforderungen der Zeitenwende von 1918/19 besser in den Griff zu bekommen.121 In Südtirol nahm die ebenfalls darniederliegende landwirtschaftliche Pro duktion hingegen rascher an Fahrt auf als in den beiden anderen Landesteilen. Wie grundlegend sich die wirtschaftliche Gesamtlage aber, wie bereits erwähnt, vor allem im bedeutenden Weinbau verändert hatte, zeigt gerade die Südtiroler Entwicklung. Der Anteil des Landes an der italienischen Gesamtanbaufläche war in den 1920er Jahren mit lediglich 0,2 Prozent schwindend gering. Innerhalb des ehemaligen habsburgischen Wirtschaftsraumes kam den Südtiroler Vitikulturen mit immerhin 3,8 Prozent doch ein anderer Stellenwert zu. Mit Blick auf die effektive Weinproduktion belief sich der Südtiroler Ernteanteil auf nur 0,8 Prozent der italienischen Gesamtproduktion. Im Vergleich dazu hatte der Ernteanteil des Landes innerhalb der ehemaligen Habsburgermonarchie mit rund 7,3 Prozent einen wesentlich höheren Wert erzielt. Weit über zwei Drittel der exportierten Südtiroler Weine wurden vor 1918 in die verschiedenen regionalen Märkte der Habsburgermonarchie abgesetzt. Ende der 1920er Jahre beliefen sich die Ausfuhren nach Österreich hingegen nur mehr auf etwa 20 Prozent.122 Die nach dem Krieg in Südtirol konsequenter Weise zurückgefahrene Weinproduktion korrespondierte mit einem Aufschwung im Bereich des Obstbaus, für den sich der Absatz auf dem italienischen Markt günstiger darstellte. Der Neuausbau von Obstplantagen und die damit verbundene Revitalisierung und Verjüngung des Baumbestandes führten in ähnlicher Weise zu einer Qualitätsverbesserung wie die stärkere Konzentration auf
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die Rebflächen der qualitätsversprechenderen traditionellen Hanglagen.123 Bis Ende der 1920er Jahre stiegen die Obstanbauflächen in Südtirol deutlich um rund 10 Prozent. Die Ernteerträge hatten sich bis 1924 verdreifacht (30.000 Tonnen) und bis 1929 sogar verfünffacht (50.000 Tonnen).124 Gleichzeitig war es gelungen, neue Märkte zu erschließen: Südtiroler Äpfel gingen nun in nicht geringen Mengen auch in die Niederlande, nach England und Skandinavien, in die Tschechoslowakei sowie nach Polen.125 Die Bewerkstelligung der notwendigen Strukturreformen in Form einer stärkeren Diversifizierung des Angebots sowie die Tatsache, dass Südtirol in weniger starker Weise von den bereits erwähnten beträchtlichen Problemen betroffen war, die das Fortkommen des Agrarsektors nördlich des Brenners und im Trentino beeinträchtigten, trugen mit dazu bei, dass das Land in wirtschaftlicher Hinsicht den Nachkrieg verhältnismäßig gut meistern konnte.126 Daran hatte nicht zuletzt auch die prosperierende Forstwirtschaft einen wesentlichen Anteil. Im Gegensatz zum Weinbau befand sie sich nach dem Krieg in einer gleichsam spiegelverkehrten Ausgangsposition, die sich vor allem auf den Holzhandel positiv auswirkte. Während die Südtiroler Forstwirtschaft innerhalb der Monarchie in Konkurrenz zu den waldreichen Ebenen in Cis- und Transleithanien getreten war, profitierte die heimische Holzindustrie nach 1918 von dem bescheidenen Waldbestand der Apenninenhalbinsel. Auf diese Weise kam der Holzexport nach Italien rasch in Gang. Von dem Wegfall der zuvor bestehenden Zollhemmnisse begünstigt kam es in den 1920er Jahren zu einem regelrechten Verkaufsboom, der die Absätze sukzessive in die Höhe trieb.127 In geringerem Maße profitierte auch die Nordtiroler Forstwirtschaft von dem italienischen Holzbedarf, weshalb die Tiroler Exporte von Schnittholz, die freilich nicht ausschließlich nach Italien gingen, vor allem in den Jahren 1920 und 1921 stark anstiegen.128 Die ländliche Bevölkerung in den Südtiroler Tälern würde sich in erster Linie für den konkreten wirtschaftlichen und materiellen Ist-Zustand interessieren, berichtete der Nachrichtendienst der 1. italienischen Armee im Juni 1919 routinemäßig. Nicht wenige Landwirte würden deshalb auch die ökonomischen Vorteile der gegenwärtigen Situation – wenn auch unter vorgehaltener Hand – goutieren. Infolge der günstigen wirtschaftlichen Lage konnte man vor allem Holz, Obst und Milchprodukte um gutes Geld nach Italien absetzen.129 Zudem belebten die militärische Besatzung sowie der Zuzug aus Italien die lokale Wirtschaft und den Handel. Neue Geschäfte entstanden und zahlreiche – man könnte sagen – Start-up-Unternehmungen wurden gegründet.130 Industrie und Gewerbe waren im Tiroler Raum traditioneller Weise lediglich schwach entwickelt – das galt für Südtirol und das Trentino noch viel mehr als für Nordtirol.131 Aufgrund des Gewichts der Land- und Forstwirtschaft, die alle
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anderen Wirtschaftssektoren deutlich übertraf, hielt sich ihre Bedeutung stark in Grenzen. Im Vergleich mit den anderen österreichischen Bundesländern rangierte Tirol in der Industriestatistik von 1922 gerade einmal vor Salzburg an vorletzter Stelle. Von den verschiedenen Regionen des historischen Kronlandes wies wohl Vorarlberg – vor allem aufgrund der bedeutenden Textilindustrie – den vergleichsweise höchsten Industrialisierungsgrad auf. Lediglich 5 Prozent der industriellen und gewerblichen Betriebe Österreichs lagen hingegen im Bundesland Tirol. Gemeinsam beschäftigten sie nur 3,7 Prozent der gewerblichen Arbeitskräfte des neuen österreichischen Staates. Dieser bescheidene Anteil war vornehmlich auf die kleinbetriebliche Struktur des Tiroler Gewerbes zurückzuführen, die sich aus einer Vielzahl von handwerklichen Ein-Mann- oder Kleinunternehmen zusammensetzte. Lediglich 124 Betriebe beschäftigten 1922 mehr als 50 Bedienstete.132 Speziell der industrielle Sektor war durch den Krieg schwer in Mitleidenschaft gezogen worden und hatte sich beinahe um die Hälfte verkleinert. Die Beschäftigtenzahlen waren vor allem in den zentralen Bereichen der industriellen Produktion drastisch zurückgegangen: im Bergbau, in der metallverarbeitenden und chemischen Industrie sowie in der Textilindustrie.133 Dem Nordtiroler Gewerbe, das vor allem auf den Südtiroler Markt ausgerichtet war, entzog wiederum die neue Brennergrenze zumindest temporär den bisher wie selbstverständlich attraktivsten Absatzmarkt.134 Neben der Landwirtschaft war vor allem der Tourismus seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem immer einträglicheren Wirtschaftsfaktor geworden.135 Gerade um die Jahrhundertwende hatte der regionale Fremdenverkehr einen beträchtlichen Aufschwung erlebt. Tirol war neben Böhmen zu einer der touristischen Spitzendestinationen der Habsburgermonarchie avanciert.136 In den Jahren von 1900 bis zu Kriegsbeginn 1914 hatten sich die gastwirtschaftlichen Betriebe in Tirol um rund ein Fünftel vermehrt.137 Der Krieg stellte naturgemäß eine herbe Negativ-Zäsur für die touristische Entwicklung dar. Vor allem nach der Eröffnung der österreichisch-ungarischen Südwestfront infolge des italienischen Kriegseintritts im Mai 1915 war der Fremdenverkehr so gut wie zum Erliegen gekommen. Tirol fungierte als militärisches Aufmarschgebiet, im Front- und Etappenbereich teilweise auch als militärisches Sperrgebiet. Die Reorganisation des touristischen Wirtschaftssektors gestaltete sich nach dem Krieg schwierig und bereitete wiederum im Trentino die vergleichsweise größten Probleme. Wohl waren auch in Süd- und Nordtirol zahlreiche Beherbergungsbetriebe durch militärische Willkür und die Folgen der militärischen Einquartierungen stark in Mitleidenschaft gezogen worden, die kriegsbedingte Zerstörung touristischer Strukturen wies in Italienischtirol allerdings eine ganz andere quantitative Dimension und
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destruktive Intensität auf. Ungefähr 130 der besten Trentiner Beherbergungsbetriebe waren im Krieg infolge artilleristischen Beschusses oder fortgesetzter Plünderungen teilweise völlig zerstört worden und konnten deshalb zu Kriegsende nicht mehr für den Fremdenverkehr genutzt werden. Gerade in den touristisch attraktiven Territorien im Einzugsgebiet der ehemaligen Front war nicht nur die massive Zerstörung touristischer Beherbergungskapazität zu beklagen, sondern auch eines Gutteiles jener Logistik – etwa Bahnverbindungen, Straßen und Wanderwege –, die auch für einen funktionierenden Fremdenverkehr unerlässlich war.138 An ein rasches ‚Zurück‘ zu den Vorkriegsverhältnissen war deshalb im Trentino, wo selbst die eigene Bevölkerung nach dem Krieg vielfach in notdürftigen Baracken lebte, vorerst nicht zu denken. Rascher erholte sich der Tourismus in Süd- und Nordtirol, wenngleich sich der Revitalisierung des Geschäftes mit den ‚Fremden‘ in der ersten Nachkriegszeit auch hier zahlreiche Widrigkeiten in den Weg stellten. Vor allem die südlich des Brenners herrschenden Einreisebeschränkungen erschwerten in der unmittelbaren Nachkriegszeit den Zuzug von Touristen.139 Das Ausmaß, in dem der traditionelle Gast aus der Monarchie und dem Deutschen Reich nach 1918 zunächst ausblieb, konnte vorerst nicht durch eine stärkere Präsenz italienischer Touristen wettgemacht werden.140 Der Zuzug italienischer Gäste kam nur langsam in Fahrt und fand schließlich ab Mitte der 1920er Jahre in größerem Ausmaß statt. Er stieg von einem bescheidenen Anteil von bloßen 2,2 Prozent in der Vorkriegs-Tourismussaison 1912/13 auf stattliche rund 30 Prozent im Jahr 1929.141 Die sich grundlegend veränderte Zusammensetzung der Gäste nach Herkunftsländern zog schließlich auch eine nicht unwesentliche Veränderung der Sozialstruktur des Touristenkollektivs nach sich. Der mondän geprägte Südtirol-Tourismus zahlungskräftiger aristokratischer Kunden aus der Monarchie oder dem Deutschen Reich machte in einer prozesshaften Entwicklung letztlich einem bürgerlichen Allgemeintourismus Platz, aus dem sich der für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts charakteristische Massentourismus entwickelte.142 Auch der im Vergleich mit Südtirol etwas unterentwickelte Nordtiroler Tourismus hatte in der Nachkriegszeit mit nicht geringen Einschränkungen zu kämpfen. Einreisebeschränkungen, Visagebühren und die so genannte Fremdenwohnabgabe – eine Art Tourismussteuer – hemmten die rasche Wiederaufnahme der Fremdenverkehrswirtschaft.143 Aufgrund der schlechten Ernährungssituation konnte eine wirkliche Stabilisierung des Touristenaufkommens in Nordtirol erst ab dem Jahr 1921 erfolgen. Ob sie nun aus dem Ausland oder den anderen österreichischen Bundesländern stammten – die so genannten ‚Fremden‘ waren nolens volens mit dem weit verbreiteten Unmut der einheimischen Bevölkerung gegenüber dem Zuzug ‚von außen‘ konfrontiert.
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Auf ihn projizierte sich der angestaute Frust über die Verteuerung der Lebensmittel und die desolate Ernährungssituation, deren Erholung man infolge der Präsenz von Nicht-Tirolern im Land in Gefahr sah.144 Nach diesen Anlaufschwierigkeiten im unmittelbaren Nachkrieg erholte sich der Tiroler Fremdenverkehr – auch im Zuge der Besserung der Versorgungssituation – aber doch überraschend schnell. Zwischen 1922 und 1928 hatte sich im Bundesland Tirol die Zahl der Beherbergungsbetriebe und der Beschäftigten in der Tourismusbranche verdoppelt, und Mitte der 1920er Jahre stand das Land bereits an der Spitze der österreichischen Tourismusregionen.145 Südlich des Brenners verlief die – wenn auch etwas verzögerte – Entwicklung im Übrigen ganz ähnlich: Einer Statistik des Nationalen italienischen Tourismusamtes (ENIT) aus dem Jahr 1926 zufolge hatte sich Südtirol (gemeinsam mit dem Trentino) ebenfalls schon zur erfolgreichsten italienischen Fremdenverkehrsregion emporgearbeitet.146
Kapitel 6
Heimkehren: (Über)leben nach dem Krieg Verlierer-Soldaten: Orientierung in einer neuen Welt Für den Offizier Julius Lustig-Prean schien im November 1918 eine Welt zusammenzubrechen. „Tag für Tag, Schlag für Schlag“, schreibt er – emotional immer noch aufgewühlt – in seinen während des Zweiten Weltkrieges verfassten Lebenserinnerungen, „kam es mir deutlicher zu Bewusstsein: du hast alle deine Ideale verloren, du hast keinen Kaiser mehr, deine Armee, der du dich ganz gewidmet hast, verschwindet, die alt-ehrwürdige Monarchie wird zerschlagen, du musst den Rock ausziehen, den du durch Jahrzehnte in Ehren getragen hast, du bist unnütz geworden und mit 47 Lebensjahren zum Nichtstun verurteilt.“1 Dieser im Stakkato verfasste kurze Erinnerungseintrag steht metapherhaft für die recht schonungslose Selbstbeschreibung einer infolge der Niederlage gescheiterten Existenz. Die autobiographisch hervorgekehrten Zukunftsängste und der tief sitzende Pessimismus nehmen sich für die Gruppe der Tiroler Berufsmilitärs, und insbesondere für jene der Offiziers-Heimkehrer, durchwegs zeittypisch aus.2 Der Zusammenbruch zog in diesen Kreisen eine Art ‚doppelten Schock‘ nach sich: Auf der einen Seite hatte sich mit der Monarchie auch ein sinnstiftendes Identitätsprojekt verabschiedet, das in diesem militärischen Milieu alternativlos zu sein schien und vielfach den Status eines zivilen Credos beanspruchte. Auf der anderen Seite waren die Offiziere, die sich nolens volens in der vielfach verschmähten Republik wiederfanden, mit einer ganzen Reihe von im wahrsten Sinne des Wortes existenziellen Problemen konfrontiert. Neben dem evidenten Status- und Prestigeverlust hatte man mit Blick auf die relativ hohe Zahl von arbeitslosen ehemaligen Berufsmilitärs eklatante Einkommensverluste zu verzeichnen. Die Bewältigung des Lebensalltages und die berufliche wie private Neuorientierung in einer scheinbar aus den Fugen geratenen Welt stellten deshalb in zahlreichen Fällen eine kaum zu schaffende Herausforderung dar. Die überwiegend negativ gedeutete Nachkriegsordnung verunsicherte die ehemalige Elite des habsburgischen Militärs gehörig und sorgte auch unter den Tiroler Offizieren in erster Linie für ungläubiges Staunen und weit verbreitete Desorientierung. Die Ereignisse in den ersten Novembertagen des Jahres 1918 und deren Folgen verkörperten innerhalb der k.u.k. Offiziere die unliebsamen Auswüchse einer
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im buchstäblichen Sinne „schrecklichen Zeit“, wie sich der Innsbrucker Offizier Lothar Semper unmissverständlich ausdrückte. „Jeder Respekt, jede Achtung vor dem Offizier war also dahin“, schreibt er weiter, „wer sich opponierte wurde verhöhnt, beschimpft, – ja bedroht.“3 Die in Tirol operierenden k.u.k. Truppen hatten sich schon während des letzten Kriegsjahres unentwegt über die immer militärfeindlichere Haltung der Tiroler Bevölkerung beklagt. Zu Kriegsende brach dieser sich während des Konfliktes verschärfende Frust über das wenig zimperliche Vorgehen des Militärs gegenüber der Zivilbevölkerung offen auf und richtete sich in erster Linie gegen das k.u.k. Offizierskorps als Hauptrepräsentanten des kaiserlichen Militärs. „Unreife Lausbuben, Tachinierer, die niemals einen Schützengraben gesehen hatten“, empörte sich Lothar Semper in seinem Tagebuch über die Situation in Innsbruck, „rissen ihnen die Kuppenrosen herunter, Auszeichnungen von der Brust, Distinktionen vom Kragen.“4 Prestigeverlust, gesellschaftliche Anfeindungen und blanke Not bildeten ein Sammelsurium von Negativ-Erfahrungen, die in den Zirkeln der ehemaligen Offiziere Vorwürfe an die vermeintlich ‚undankbare Heimat‘ laut werden ließen. Der Frust über die unbefriedigende gegenwärtige Lage nährte die Entstehung einer ganzen Reihe von Mythen und Legenden, die Ausdruck einer spezifisch offiziersgemäßen Rechtfertigungsstrategie waren: etwa die ‚Dolchstoßlegende‘ und die damit verbundene Behauptung, dass eigentlich die ‚Heimat‘ die ‚Front‘ mit in den Abgrund gerissen hätte – und nicht umgekehrt; oder die in Offizierskreisen gebetsmühlenartig repetierte unzutreffende Feststellung, die österreichisch-ungarische Armee sei militärisch gar nicht geschlagen worden – also eigentlich, um es mit zeitgenössischen Begrifflichkeiten zu sagen, ‚im Felde unbesiegt‘ geblieben.5 Die Abneigung gegenüber der neuen Ordnung und die mentalen Vorbehalte, die man der sozialdemokratisch dominierten Wiener Republik entgegenbrachte, provozierten in Offizierskreisen einen unverkennbaren Politisierungsschub. Der jeweiligen ideologischen Präferenz entsprechend schloss man sich entweder den entstehenden monarchistischen Organisatio nen an oder gliederte sich in die quasi als ‚Ersatz-Armee‘ begriffene Tiroler Heimatwehr ein. Mit dem Ende der sozialdemokratischen Renner-Regierungen und der sich in politischer Hinsicht vollziehenden ‚konservativen Wende‘ in den 1920er Jahren gewannen schließlich auch die zu Kriegsende vermeintlich gedemütigten Weltkriegsoffiziere wieder festeren Boden unter den Füßen und stellten ein neues Selbstbewusstsein zur Schau. In den Traditionsverbänden der Tiroler Kaiserjäger und Kaiserschützen betrieb man ein entschiedenes Lobbying in eigener Sache und entwarf in zahlreichen Veröffentlichungen, medialen Statements und Gedenkreden ein Geschichtsbild des Krieges, das
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die Niederlage zunehmend in den Hintergrund rücken ließ und den vermeintlichen militärischen Heroismus der Tiroler Truppen in das Rampenlicht stellte. Im Rahmen dieser militärischen ‚Imagepflege‘ hatten die ehemaligen Offiziere der Habsburgermonarchie wesentlichen Anteil am Entstehen eines hegemonialen öffentlichen Kriegsgedächtnisses, das in der Zwischenkriegszeit immer stärker einer heldischen Lesart der Rolle des habsburgischen Militärs – und vorrangig der alpenländisch-deutschsprachigen Truppenkörper – zum Durchbruch verhalf. „Endlich ist der Tag gekommen“, konnte der ehemalige Tiroler Landesverteidigungskommandant Viktor Dankl von Krasnik anlässlich der Einweihung des Wiener Heldendenkmales 1934 mit Genugtuung feststellen, „an dem die alte kaiserliche Armee, die im Weltkrieg durch viereinhalb Jahre ununterbrochen gekämpft und Wunder der Tapferkeit verrichtet hat, bei der Rückkehr in die Heimat aber beschimpft, besudelt und in den Kot gezerrt wurde, wieder stolz erhobenen Hauptes vor die Welt treten kann.“6 Aus der Perspektive der veränderten politischen Rahmenbedingungen Mitte der 1920er Jahre erschienen die ‚revolutionären‘ Geschehnisse im November 1918 als ‚Machenschaften‘ einer, so wörtlich, „entarteten“ Generation.7 Im unmittelbaren Nachkrieg stellten sich die Verhältnisse freilich noch ganz anders dar: Neben dem Verlust der ideellen Heimat, die grosso modo der nicht mehr existenten Trias von „Gott, Kaiser und Vaterland“ entsprochen hatte, bedeutete das Ausscheiden aus der Armee auch einen prestigemäßigen und vor allem finanziell-materiellen Niedergang, der die Offiziere mit bisher ungewohnten existenziellen Sorgen konfrontierte. Arbeitslosigkeit und die geringen Offizierspensionen ließen viele ehemalige Offiziere ein ärmliches Dasein am Rande des Existenzminimums fristen. Diese Situation machte eine berufliche Neuorientierung, die wiederum einen großen Teil der ehemaligen höheren Militärs zu überfordern schien, zwingend notwendig. „Der Krieg hat mir wie so vielen andern aktiven Kameraden alles genommen: Beruf, Stellung, Zukunft“, schrieb der aus Innsbruck stammende Hauptmann Josef Arch im April 1922 in einem verzweifelten Bittgesuch um finanzielle Unterstützung an die Innsbrucker Sektion des Wirtschaftsverbandes der Berufs-Militärgagisten. Arch stand nach seiner Heimkehr, wie er in seiner Bitte lakonisch hinzufügte, „ohne Geld, ohne Kleidung, ohne Wäsche, ohne Beruf“ da.8 Die wenigen Habseligkeiten, die er besaß, waren während des Krieges gestohlen worden oder verlustig gegangen. Der Innsbrucker Offizier war beileibe kein Einzelfall. Kein Geringerer als Franz Conrad von Hötzendorf, ehemaliger Generalstabschef der österreichisch-ungarischen Armee, lebte beispielsweise von 1919 bis 1922 in bescheidenen Verhältnissen in Innsbruck. Und auch der ehemalige Kommandant der Kaiserjägerdivision bzw. des Edelweißkorps, General Ignaz
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von Verdroß, fristete nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft zunächst ein ärmliches Dasein in der Tiroler Landeshauptstadt.9 Vor allem aus der Sicht jener, die im harten Nachkriegs-Verteilungskampf als Arbeitslose, Niedriglohn-Arbeiter oder Kriegsbeschädigte mit einem noch weit tristeren Nachkriegsalltag konfrontiert waren, stellten die Offiziere allerdings ein zentrales Feindbild dar.10 Gerade unter den Kriegsinvaliden hegte man angesichts der erlittenen Versehrung nicht geringe Ressentiments gegenüber den ehemaligen Offizieren. Letztere wurden als ehemalige militärische Verantwortungsträger mit dem Frust über das eigene Kriegsschicksal und der Kritik an dem oft missbräuchlich ausgeübten Machtverhältnis konfrontiert. Das Offiziers-Kollektiv rief unter den Kriegsbeschädigten ganz unwillkürlich die traumatisch erlebte Erfahrung von militärischer Willkür und systematischer Ungleichbehandlung in Erinnerung. Sogar der spätere Heimwehrführer Richard Steidle – ein in dieser Hinsicht gleichsam unverdächtiger Zeuge – hatte während einer Landtagsdebatte im März 1921 von einem regelrechten „Haß“ gegenüber den ehemaligen Offizieren gesprochen, der in allen Kreisen der Tiroler Bevölkerung weit verbreitet sei. Im Krieg sei den höheren Militärs ein „gewisser Cäsarenwahnsinn in die Westentasche gefahren […].“ Sie hätten sich vielfach, formulierte er drastisch, wie „die Stellvertreter Gottes auf Erden“ benommen.11 Nicht zuletzt aufgrund dieser weit verbreiteten Ressentiments waren die ehemaligen Offiziere auch in den Reihen der Interessensvertretungen, zu denen sich die Invaliden nach dem Krieg zusammengefunden hatten, als Personae non gratae nicht gern gesehen.12 Die Zahl der Tiroler Kriegsbeschädigten lässt sich im Detail kaum noch zuverlässig rekonstruieren. In einer Ende März 1918 durchgeführten Kriegsbeschädigtenzählung kam man für ganz Tirol auf 7.763 Fälle. Mit Blick auf die Art der Beschwerden überwogen interessanter Weise Lähmungen, Versteifungen und innere Krankheiten, die rund zwei Drittel der erhobenen Leiden umfassten. Behinderungen infolge notwendig gewordener Amputationen von Extremitäten, etwa Bein- oder Armabnahmen, rangierten hingegen im unteren einstelligen Prozentbereich (6,4 bzw. 3,4 Prozent). Im April 1922 zählte man in ganz Österreich rund 143.000 Kriegsbeschädigte, die eine Rente bezogen.13 Der Tiroler Anteil belief sich auf 6.562 Anspruchsberechtigte. Die Zahl der Antragsteller lag mit über Zehntausend allerdings wesentlich höher. Da für die Renten-Zuerkennung eine Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 15 Prozent gegeben sein musste, wurden zahlreiche Ansuchen negativ beschieden. Bei nahezu der Hälfte der Rentenbezieher handelte es sich dabei um Invaliden, die eine geringe Minderung der Erwerbstätigkeit von höchstens 25 Prozent aufwiesen.14 Während sich in Vorarlberg die Zahl der Rentenbezieher auf rund 2.000 Invaliden beziffern lässt, liegen für Südtirol keine verlässlichen
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Zahlen vor. Mit Blick auf das Trentino kann die Mitgliederzahl der regionalen Sektion der italienischen Kriegsbeschädigten-Vereinigung (Associazione nazionale fra mutilati ed invalidi di guerra, ANMIG) als Annäherungswert eine Art Orientierungsgröße bilden. Sie zählte in den Jahren 1921/22 rund 3.200 Mitglieder.15 Zu den Invaliden kommt eine Vielzahl von hinterbliebenen Witwen und Waisen, die sich 1922 österreichweit auf schätzungsweise rund 100.000 Hinterbliebene beliefen. Von den in Tirol rund 5.500 eingereichten Anträgen wurden – ebenfalls bis zum April 1922 – insgesamt 3.783 Personen eine Witwen- oder Waisenrente zuerkannt.16 Im Gegensatz zu den Invalidenrenten stiegen die Anträge auf Hinterbliebenenrenten im Laufe der 1920er Jahre aber weiter. In Tirol südlich des Brenners (Südtirol und Trentino) kamen einer Schätzung zufolge insgesamt rund 17.000 Personen in den Genuss einer Kriegswitwen- oder -waisenrente.17 All diese Zahlenangaben und die daraus abgeleiteten Statistiken sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, da sie allesamt lediglich auf den behördlichen Angaben hinsichtlich der Rentenbezieher beruhen. Gerade in Tirol war aber etwa der Organisationsgrad der Invalidenvereinigungen wesentlich niederer als in den östlichen Bundesländern. Demzufolge muss man davon ausgehen, dass die Dunkelziffer jener Kriegsbeschädigten, die weder vereinsmäßig organisiert waren noch überhaupt einen Antrag auf Zuerkennung einer Rente gestellt hatten, hoch ist.18 Unabhängig von den physischen oder psychischen Wunden, die eine unablässige Bürde für die Bewältigung des Nachkriegsalltags darstellten, gestaltete sich die Reintegration der Kriegsbeschädigten durchwegs schwierig. Die gruppenspezifisch höhere Arbeitslosigkeit und der schleppende Fortgang des Rentenmanagements nährten unter den Invaliden das Unbehagen gegenüber Land und Staat. Bis zum Januar 1920 waren in Tirol von 5.168 gestellten Anträgen auf Invalidenrenten lediglich 1.120 beschieden worden – das war gerade einmal ein Fünftel.19 Die höhere Quote von Beschäftigungslosen und die Tatsache, dass die Rentenbeträge aufgrund der hohen Inflation gleichsam chronisch zu niedrig bemessen waren, erschwerten die Lebensführung im Nachkrieg beträchtlich.20 Im April 1921 entlud sich der aufgestaute Frust beispielsweise in einer großen Demonstration der Kriegsinvaliden und Hinterbliebenen, die in Innsbruck stattfand. Die aufgebrachte Menge forderte nicht nur eine schnellere Abwicklung der Rentenanträge, sondern auch ein ganzes Fürsorge-Maßnahmenpaket zur Besserung der Lebenssituation der Kriegsbeschädigten.21 In Südtirol und im Trentino lagen die Dinge schließlich noch komplizierter, da die finanzielle Versorgung der Invaliden seit Inkrafttreten des Vertrages von Saint Germain zur Gänze dem italienischen Staat oblag. Eine endgültige Regelung der Invaliden- und Hinterbliebenenrenten
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für die ehemaligen österreichisch-ungarischen Militärangehörigen in den neuen Provinzen wurde erst nach erfolgter Annexion, im Jahr 1921, in Angriff genommen. Seit 1919 wurden den Invaliden provisorische Unterstützungszahlungen zuerkannt, die auf der Basis eines schwerfälligen bürokratischen Prozedere teilweise nur mit großer Verzögerung ausbezahlt wurden. Der behördliche Spießrutenlauf im Rahmen der Beantragung, die verspäteten finanziellen Anweisungen sowie die Tatsache, dass den Südtiroler und Trentiner Kriegsbeschädigten geringere Beträge zuerkannt wurden als den italienischen Invaliden in den ‚alten‘ Provinzen, sorgten für Unmut unter den Betroffenen in Bozen wie in Trient.22 Die nach dem Krieg zweifellos vorhandene gesellschaftliche Solidarisierung mit dem traurigen Los der Kriegsbeschädigten nahm im Laufe der Jahre merklich ab. Als der Verteilungskampf vor allem infolge der Wirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre schärfer wurde, kollidierte die Interessenspolitik der Invaliden mit den gesamtgesellschaftlichen Bedürfnissen. Verständnis und Interesse für die Belange der Kriegsinvaliden gingen spürbar zurück. Es wurden zunehmend Stimmen laut, die die finanziell aufwändigen Kriegsopfer-Fürsorgemaßnahmen des Staates für die Schieflage der Staatsfinanzen verantwortlich machten. Die Spendenerträge des in Tirol seit dem Jahr 1921 zugunsten der Invaliden durchgeführten ‚Kriegsopfertages‘ nahmen von Jahr zu Jahr ab, und teilweise kam es zu regelrechten Anfeindungen der Invaliden durch die Bevölkerung.23 Der Krieg, schrieben die Bürgermeister der Bezirkshauptmannschaft Kufstein im Tiroler Unterland in einem Antrag um Auflassung des Kriegsopfertages Ende 1926, liege „schon viel zu weit zurück, als dass bei der Bevölkerung noch das richtige Verständnis vorhanden“ sei.24 Letztere blickte argwöhnisch vor allem auf jene Invaliden, die neben dem Lohn für ihre Beschäftigung noch eine Invalidenpension bezogen. Die Kritik, mit der die so genannten ‚Doppelverdiener‘ konfrontiert waren, traf in der Ersten Republik Offiziere und Invalide gleichermaßen, vor allem aber auch Familien, in denen beide Eheleute einem Beruf nachgingen. In diesem Zusammenhang richtete sich die Kritik vor allem an die verheirateten Frauen, deren kriegsbedingtes Vordringen in die Erwerbsarbeit man nach 1918 durch verschiedene, auch gesetzliche Regelungen und Maßnahmen (Stichwort: Doppelverdienergesetz) wieder zurückzudrängen suchte.25 Im Unterschied zu den Berufsmilitärs und Offizieren, für die das Kriegsende ob der Niederlage eine sprichwörtliche Katastrophe darstellte und die Rückkehr als Geschlagene eine schwer verdauliche Demütigung bedeutete, repräsentierte die Heimkehr für das Gros der einfachen Soldaten schlicht und ergreifend den lange ersehnten und meist freudig erfahrenen Endpunkt des viereinhalb Jahre dauernden Krieges. Während die republikanische Gegenwart
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im noch ‚jungen Frieden‘ für die Angehörigen des ehemaligen Offizierskorps den Rang einer kaum mehr zu übertreffenden Negativ-Erfahrung einnahm, projizierte sich letztere unter den Soldaten vornehmlich auf den Krieg selber. Unabhängig von seinem unangenehmen Ausgang überwog im November 1918 die Freude darüber, dass der Konflikt ein Ende gefunden hatte. Je länger der Krieg dauerte, desto entschiedener war die ‚Heimat‘ unter den Soldaten als Sehnsuchts- und Zufluchtsort wahrgenommen worden. Militärische Front und ‚Heimatfront‘ blieben während des Krieges auf vielfältige Weise miteinander verflochten. Und die Heimkehr eröffnete für die – wenn auch geschlagenen und sicherlich enttäuschten – Soldaten eine Perspektive darauf, dort wieder beginnen zu können, wo man im Sommer 1914 aufgehört hatte. Sie stand am Beginn der ersehnten Rückkehr zu einer Vorkriegs-Normalität, die man – freiwillig oder unfreiwillig – zu Kriegsbeginn quittiert hatte. Aus diesem Grund finden sich in den Soldaten-Deutungen der Heimkehr kaum die vor Pessimismus triefenden Weltuntergangs-Szenarien beschrieben, die in den Kriegserinnerungen der kleinen und großen militärischen Eliten überwiegen. Das Narrativ der ‚undankbaren Heimat‘ stellt eher die Ausnahme dar – und nicht die Regel. Die vollzogene Transformation vom Soldaten zum Zivilisten wurde eher als erlösendes und befreiendes Ereignis gedeutet und stand im Zentrum der soldatischen Sicht der Dinge ‚von unten‘. „Jeder wollte nur in seine Heimat und war bestrebt, dieses Ziel möglichst bald zu erreichen“, schreibt der junge Südtiroler Standschütze Karl Mayr im November 1918 entschlossen.26 Für den Soldaten August Fischer war das Kriegsende mit einer überaus „glückliche[n] Heimkehr“ in den Schoß der Familie verbunden.27 Und der Südtiroler Kaiserjäger Johann Mittermaier schildert die Heimkehr in seinen Erinnerungen als emotional-überwältigendes Ereignis: „Wie einen Traum erlebte ich diesen Augenblick. Ich war frei. Frei vom Soldatenleben. Frei von der Gefangenschaft. Niemand sollte mir befehlen dürfen. Niemand mir meine Schritte vorschreiben.“28 Allerdings: Der jahrelange Krieg war wohl an niemandem spurlos vorübergegangen. Die gesellschaftliche Wiedereingliederung, die der Heimkehr zwangsläufig folgte, entpuppte sich für viele ehemalige Kriegsteilnehmer als beschwerlicher und langwieriger Prozess. Nicht wenige scheiterten an dem Versuch, wieder Fuß zu fassen und sich in der neuen Welt zurechtzufinden. Der Landessanitätsrat für Tirol und Vorarlberg berichtete etwa nach Kriegsende, dass die Zahl der nervenkranken heimgekehrten Soldaten „zur Zeit nicht überblickbar“ war. Täglich mussten Patienten, die an der Innsbrucker psychiatrisch-neurologischen Klinik um Aufnahme baten, abgewiesen werden.29 Viele traumatisierte Südtiroler Soldaten wurden nach dem Krieg als psychisch Kranke in der Heilanstalt Pergine im Trentino behandelt;
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Alkoholismus und Selbstmorde waren im Zunehmen begriffen.30 Der Krieg hatte seine Spuren hinterlassen – sei es in Form der klassischen physischen Versehrungen als auch in Gestalt zahlreicher, öffentlich nicht sichtbarer psychischer Beschwerden, die meist alle Anzeichen eines heute als Posttraumatische Belastungsstörung bezeichneten Krankheitsbildes aufwiesen und den Lebensalltag vieler Heimkehrer verdüsterten. Und das betraf nicht allein das Kollektiv der Soldaten, wie die Wiener Historikerin Christa Hämmerle unlängst am Beispiel ehemaliger Vorarlberger Kriegskrankenschwestern aufgezeigt hat. Vielfach wuchsen sich die gemachten Kriegserfahrungen nach 1918 zu einer schwer bewältigbaren regelrechten Lebenskrise aus und verhinderten – verstärkt durch die fehlende gesellschaftliche Anerkennung der entsprechenden Rolle im Krieg – die soziale Reintegration.31 Rund 600 Trentiner Frauen, darunter viele Kriegsflüchtlinge, wurden in den ersten fünf Jahren nach dem Krieg vor allem infolge kriegsbedingter Traumatisierungen als psychisch Kranke in der Heilanstalt Pergine behandelt.32 Die jahrelange Konfrontation mit den sprichwörtlichen Gräueln des Krieges, körperliche und psychische Versehrungen sowie die rein materiellen Probleme, mit denen die Bewältigung des Lebensalltages im Nachkrieg verbunden war, zogen insgesamt einen durchwegs traumatisierten Blick zurück auf den Krieg nach sich. Im unmittelbaren Nachkrieg waren breite Gesellschaftsschichten von einer recht entschiedenen Anti-Kriegs-Stimmung erfasst und die Erinnerung an den Weltkrieg in hohem Maße durch negative Assoziationen geprägt. Dementsprechend schwierig gestaltete sich in Tirol nach 1918 beispielsweise auch die Reorganisation des Schützen- und Veteranenwesens. „Durch den Krieg und dessen jahrelanger Dauer“, schrieb etwa der Vorsteher des Militärveteranenvereines Nesselwängle anlässlich der Selbstauflösung des Vereines im Mai 1920 an die Innsbrucker Landesregierung, könne sich „nicht einer mehr“ für die Mitgliedschaft im Verein begeistern. Und er fügte unmissverständlich hinzu: „Es war die allgemeine Äußerung, ich habe genug.“33 Mit ähnlichen Rekrutierungsproblemen waren im Übrigen zunächst auch die sich formierenden paramilitärischen Verbände konfrontiert. So klagte man etwa in Heimwehrkreisen unaufhörlich, dass es insbesondere unter den Bauern am Land viele gebe, die unter keinen Umständen an den Krieg erinnert werden wollten und deshalb vor jeder ‚militärischen‘ Betätigung zurückschrecken würden. Diese Negativ-Erinnerung an den Krieg war keineswegs nur vereinzelt, sondern in derart dominanter Weise präsent, dass sich beispielsweise die Landesorganisation der Tiroler Schützen aus Angst vor negativen Reaktionen über Jahre hinweg nicht dazu durchringen konnte, ein Denkmal für die gefallenen Standschützen zu errichten.34 Selbst die Integration der jüngeren Generation in die diversen Vereine und Organisationen des ‚militärischen
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Milieus‘ verlief abseits der stark ideologisierten und politisierten studentischen Elite alles andere als reibungslos. Der Nachwuchs wüsste zwar über „fremdländische Tänze“, Motorrad- und Automarken genau Bescheid, interessiere sich hingegen aber kaum für Politik, ‚Vaterland‘ und den weitgehend in Vergessenheit geratenen vergangenen Krieg. So lautete, auf eine knappe Formel gebracht, das missbilligende und quasi resignative Fazit in Tiroler HeimwehrKreisen Anfang der 1930er Jahre.35 Das überwiegend negativ in Erinnerung gerufene Kriegserlebnis, die Erfahrung von Leid und Tod sowie die allgegenwärtige Angst vor einer erneuten Rekrutierung zur Kriegsdienstleistung im Rahmen eines künftigen Konflikts waren der Nährboden für eine weit verbreitete distanzierte Haltung gegenüber dem eben beendeten Krieg und jede Form der militärischen Vergesellschaftung. Von daher bestand wohl eine Art Missverhältnis zwischen dem im Laufe der 1920er Jahre immer verklärteren, heldisch verbrämten öffentlichen Kriegsgedenken und den durch die Soldaten individuell in Erinnerung gerufenen Kriegserfahrungen. Das Zuviel an Heldentümelei, das sich vielfach in den diversen Kommemorationsveranstaltungen und hauptsächlich im Rahmen der kleineren und größeren jährlichen Gedenkveranstaltungen vor den Kriegerdenkmälern in ganz Tirol über die Teilnehmer ergoss, traf nicht zuletzt auch unter den Heimkehrern auf Kritik. Die vielfach inszenierte Heldenepopöe war mit den anders gelagerten, meist weitgehend unheroischen Erfahrungen der Kriegsteilnehmer kaum vereinbar. Der Priesterdichter Bruder Willram, der schon während des Krieges Protagonist einer abstoßendbluttriefenden Heldenlyrik gewesen war, wurde etwa im November 1919 während seiner Ansprache im Rahmen einer Heimkehrerfeier am Berg Isel ausgepfiffen und mit Schneebällen beworfen.36 Gerade die Kritik an der Kirche und ihre Würdenträger, die vielfach – und nicht zu Unrecht – als Teil des verhassten Kriegssystems begriffen wurden, war im unmittelbaren Nachkrieg gang und gebe. Sie konfrontierte die Kirche vorwurfsvoll mit der eigenen Rolle im Konflikt als Teil des staatlichen Kriegs- und Propagandaregimes. Im Zuge der Vorhaltungen kam es mitunter auch in Tirol zu verbalen Übergriffen und Insultationen, die sich gegen die Geistlichen insgesamt richteten. Mit großem Missfallen beobachtete man in kirchlichen Kreisen, dass die Präsenz geistlicher Würdenträger in der Öffentlichkeit kaum einmal „ohne Schmähung oder Beschimpfung“ abging.37 „Der Glaube vieler“, fasste man die Lage im Nachkrieg aus kirchlicher Perspektive zusammen, habe kriegsbedingt „stark gelitten“.38 Ungeachtet der beschriebenen, nicht geringen Widrigkeiten, die eine ‚Resozialisierung‘ der Heimkehrer nach dem Krieg erschwerten und verkomplizierten, verlief die gesellschaftliche Wiedereingliederung der gewesenen
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Soldaten mehrheitlich allerdings durchaus erfolgreich. Die durch den Krieg bewirkte ‚Entfremdung‘ nahm sich nicht wirklich als nachhaltige Zäsur aus; der Bruch zwischen Militär- und Zivilgesellschaft war nicht in einem Ausmaß erfolgt, der nach 1918 nicht mehr zu kitten war. Und wenn es auch alles andere als einfach war: Der Versuch, nach dem Krieg und unter veränderten Rahmenbedingungen wieder an die Zeit vor 1914 anzuknüpfen, schien in vielen Fällen mehr oder weniger gut zu gelingen. Insofern ist das nach 1918 medial und literarisch weit verbreitete Bild des sozial nicht mehr zu integrierenden Heimkehrers, wie es sich etwa in den entstehenden Kriegsromanen der 1920er Jahre zuhauf findet, letztlich wohl ein Stück weit als Trugbild zu sehen. Auch wenn es für gewisse Heimkehrerkreise durchaus zutreffen mochte, war es doch weit davon entfernt, Allgemeingültigkeit beanspruchen zu können. Mehrere, speziell für Tirol geltende Faktoren haben die Reintegration der Heimkehrer in der Nachkriegszeit erleichtert: die geringe Arbeitslosigkeit nach dem Krieg, die – mit Ausnahme der bereits erwähnten Gruppen ehemaliger Offiziere und der Invaliden – die berufliche Reintegration wesentlich vereinfachte; die positiven Wiedereingliederungsimpulse, die von dem familiären Umfeld und dem am Land kapillar organisierten sozialen Netz ausgingen, das von einer engmaschigen Vergesellschaftung in Form zahlreicher Vereine sowie traditioneller Bräuche und Riten geprägt war; schließlich auch die große Prägekraft des dörflichen Erfahrungshorizontes und die Macht der Gewohnheit, die es nach einer Phase der Desorientierung im frühen Nachkrieg zustande brachten, die Heimkehrer aufzufangen, zu beruhigen und dazu beizutragen, den Krieg im vertrauten lokalen Rahmen zu bewältigen; und nicht zuletzt auch die Tatsache, dass es der Kirche im Laufe der 1920er Jahre gelang, das Gefallenengedenken fast zur Gänze an sich zu reißen und in den traditionellen Jahreszyklus des religiösen Gedenkens zu integrieren. Je umfassender die Einpassung des Kriegs- und Gefallenengedenkens in die traditionellen Kommemorationspraktiken des politischen Katholizismus erfolgte, desto schwächer wurden im Laufe der Zeit alternative Formen des Kriegsgedenkens, und die damit verbundene Kritik an den alten Honoratioren und der Kirche mit Blick auf ihre spezifische Rolle im Krieg verebbte immer mehr.39 Diese Art ‚Ruhigstellung‘ der Heimkehrer in einer angestammten katholisch-konservativen ländlichen Lebenswelt orientierte sich an der Wiederherstellung der politischen und religiösen Vorkriegs-Loyalitäten, die durch den Krieg und besonders das Kriegsende erschüttert worden waren. Vor allem im linken politischen Spektrum begegnete man dieser Entwicklung mit staunendem Unverständnis. Angesichts der Tatsache, welches Leid der von anderen verschuldete Krieg ihnen beigebracht hatte, seien die Heimkehrer – gab man sich vorwurfsvoll – so etwas wie große „Vergeßmaschinen“.40 Und das
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Vergessen interpretierte man als ersten Schritt zurück in eine Richtung, die ganz unwillkürlich „wieder ins alte Fahrwasser des Patriotismus und Klerikalismus“ zu führen drohte.41 Displaced Persons: Rückkehr aus der Diaspora Als der Waffenstillstand von Villa Giusti am 4. November 1918 in Kraft trat, bedeutete das zwar, dass die eigentliche militärische Konfrontation nach viereinhalb Jahren ein Ende gefunden hatte. Der Nicht-mehr-Krieg-Zustand war allerdings noch weit davon entfernt, ein richtiger Frieden zu sein. Die Auswirkungen des jahrelangen Krieges verhinderten zunächst ein bloßes Übergehen zur Tagesordnung. Zehntausende Tiroler Soldaten befanden sich Anfang November noch an den Fronten oder – ebenfalls vieltausendfach – in Kriegsgefangenschaft. Und weitere Zehntausende Tiroler Zivilisten – die Rede ist von den Trentiner ‚Kriegsflüchtlingen‘ – erlebten das Kriegsende in der Diaspora, wohin sie infolge des Krieges verbracht worden waren. Durch großflächige Evakuierungsmaßnahmen in den frontnahen Territorien wurden nach dem italienischen Kriegseintritt sowohl durch das österreichisch-ungarische als auch durch das italienische Militär insgesamt rund 105.000 Zivilisten aus dem Trentino in das habsburgische Hinterland respektive nach Italien deportiert. Auf diese Weise fügt sich das regionale Fallbeispiel der italienischsprachigen ‚Flüchtlinge‘ der Habsburgermonarchie in den globalen Kontext von Flucht, Evakuierung und Vertreibung ein, von dem während des Ersten Weltkrieges europaweit rund 16 Millionen Menschen betroffen waren.42 Für die Habsburgermonarchie war die kriegsbedingte Migration der Zivil bevölkerung in die frontfernen, zentral gelegenen Kronländer der Monarchie unmittelbar nach Kriegsbeginn virulent geworden. Der verlustreiche mili tärische Auftakt der k.u.k. Armee an der Ostfront und am Balkan verursachte Bevölkerungsbewegungen in einem Umfang, den man unterschätzt hatte und auf den man folglich auch nicht adäquat vorbereitet war. Durch die russische Besetzung weitläufiger Grenzregionen in Galizien und der Bukowina sowie die rasche Inbesitznahme von Lemberg und Czernowitz wenige Wochen nach Kriegsbeginn war innerhalb kürzester Zeit eine große Zahl von Evakuierten in Innerösterreich zu versorgen.43 Anfang 1915 belief sich die Summe dieser vor allem in den frontfernen größeren Städten der Monarchie gestrandeten Evakuierten-Massen schon auf in etwa eine halbe Million Menschen.44 So etwas wie einen Masterplan zur Versorgung dieser Migranten, den man aus der Schublade hätte ziehen können, existierte 1914 nicht. Der sich rasch
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als Schimäre offenbarende Glaube an einen kurzen Waffengang war zu Kriegsbeginn omnipräsent gewesen, und auf diese Weise hatten die Kriegsplanungen auch nicht über einen relativ überschaubaren Zeitrahmen hinausgereicht. Die angesichts der immer bedrohlicher erscheinenden Lage schließlich rasch ausgearbeiteten ministeriellen Richtlinien zur Handhabe des Flüchtlingsproblems wurden in einer Art Learning-by-Doing-Prozedere kontinuierlich adaptiert sowie den praktischen Gegebenheiten und politischen Bedürfnissen angepasst. Die solchermaßen entwickelten staatlichen Grundzüge einer ‚Flüchtlingspolitik‘ brachten ein zentral gelenktes Unterbringungs- und Versorgungssystem zur Anwendung, das sowohl die Direktversorgung als Unterbringung in den zu schaffenden Lagern als auch die finanzielle Unterstützung der Flüchtlinge im Rahmen der dezentralen Beherbergung in einzelnen, meist weit verstreuten cisleithanischen Gastgemeinden vorsah.45 Die Spontanität und Massivität, mit der das Migrationsproblem über Österreich-Ungarn hereingebrochen war, führte allerdings zu multiplen Überforderungen und schien den habsburgischen Verwaltungsstaat an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit zu bringen. Ungeachtet der Tatsache, dass sich die öffentliche Verwaltung auf staatlicher und regionaler Ebene der zusehends akuteren Problematik annahm und nach akzeptablen Lösungen suchte, führte die Präsenz Hunderttausender ‚Heimatloser‘ unter erschwerten Kriegsbedingungen zu während des ganzen Konfliktes persistierenden Problemen: Die Unterbringung sukzessive steigender Flüchtlingskontingente stellte eine kontinuierliche administrative Herausforderung nahe der Überforderung dar, auch weil sich die Versorgungslage der Monarchie fortwährend verschlechterte. Hinzu kamen die wohl unvermeidlichen gesellschaftlichen Spannungen zwischen der angestammten Bevölkerung und den Evakuierten, die aufgrund der langen Dauer des Krieges und der sich zuspitzenden Mangelwirtschaft tendenziell zunahmen.46 In sicherer Distanz zu den Kriegsschauplätzen in den östlichen und südöstlichen Grenzregionen der Habsburgermonarchie hatte sich das Migrationsproblem zunächst für Tirol recht unspektakulär dargestellt. Es kam zu keinem nennenswerten Zustrom von Flüchtlingen, deren Unterbringung Probleme verursacht hätte. Das änderte sich allerdings schlagartig, als sich im Frühjahr 1915 immer deutlicher abzeichnete, dass Italien wohl auf Seiten der Entente in den Krieg eintreten würde.47 In Vorbereitung auf den militärischen Worst Case begannen die Behörden bereits im Februar 1915 auch mit den konkreten Planungen für ein Evakuierungsszenario, das im Falle einer italienischen Kriegserklärung umgehend realisiert werden sollte. Diese Planungen konzentrierten sich zum einen auf die Entfernung und anschließende Internierung jenes Personenkollektivs, das man aus politischen Gründen für unzuverlässig hielt.
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Hinzu kamen die a priori als suspekt erscheinenden, in Tirol ansässigen italienischen Staatsbürger (Reichsitaliener) als ‚Feindstaatenausländer‘. Mit der dafür notwendigen Erfassung in entsprechenden Verzeichnissen waren die hierarchisch nachgereihten zivilen Behörden vor Ort befasst. Zum anderen lag den Planungen die Idee einer vor allem von den Militärs forcierten – großflächigen und mit Zwang einhergehenden – Evakuierung der Trentiner Bevölkerung aus den frontnahen Grenzterritorien zugrunde.48 Über die Frage nach dem konkreten Ausmaß der Evakuierungsmaßnahmen entbrannte schließlich ein heftiger grundsätzlicher Konflikt zwischen Militär- und Zivilbehörden. Während erstere die Maßnahme als weit über bloße militärische Zweckmäßigkeiten hinausgehende politische Notwendigkeit zur ‚Bekämpfung‘ des italienischen Irredentismus empfanden, zogen letztere aus ähnlichen politisch-nationalen Überlegungen heraus andere Schlüsse. Entschieden pochte man auf Mäßigung und erkannte früh die kontraproduktive Wirkung des radikalen militärischen Aktionismus. Weil die Militärs in der Hochphase des Kriegsabsolutismus 1915 aber zweifellos am längeren Ast saßen, kam es anstelle der von den Zivilbehörden ursprünglich veranschlagten Zahl von rund 23.000 Abschüblingen zu einer zwangsweisen Evakuierung von über 70.000 Menschen. Die letztlich dreimal so hohe Zahl von Evakuierten umfasste nicht nur, wie von den Zivilbehörden ursprünglich vorgesehen, die Bevölkerung der bestehenden Festungen und befestigten Plätze, sondern auch der Ortschaften eines ganz bewusst großzügig definierten Front-Grenzraumes.49 Mit dem sich abzeichnenden Kriegseintritt Italiens wurden die Pläne schließlich in die Tat umgesetzt: Die in Tirol lebenden wehrpflichtigen Reichsitaliener und rund 2.500 politisch unzuverlässige Trentiner (die so genannten PU’s) wurden in das Lager Katzenau bei Linz zur Internierung verbracht. Das für eine Kapazität von rund 3.700 Personen ausgelegte Lager platzte schon bald aus allen Nähten und beherbergte bereits Ende Mai etwa 5.200 Internierte.50 In den rund zweieinhalb Wochen vom italienischen Kriegseintritt bis zum 10. Juni 1915 waren über das administrative Verteilerdrehkreuz Salzburg insgesamt schon mehr als 52.000 Evakuierte aus Italienischtirol abgefertigt und den verschiedenen Zieldestinationen zugewiesen worden. Diese überhastet durchgeführte und entsprechend chaotisch verlaufende Evakuierungsaktion brachte für die Betroffenen, wie der Tiroler Statthalter Friedrich von Toggenburg beobachtete, „ein ganz unbeschreibliches […] Elend“ mit sich.51 Vielfach war die Bevölkerung ohne jede Rücksichtnahme dazu genötigt worden, binnen Stunden Haus und Hof zu verlassen. Eine Unterbringung der Flüchtlinge in Nordtirol hatte der Statthalter indessen kategorisch abgelehnt. Militärische Rücksichten, die prekäre Ernährungssituation und schließlich auch die
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Abb. 18 Das Flüchtlingslager in Braunau am Inn, in dem viele Trentiner Evakuierte untergebracht waren
befürchteten Ausbrüche „fanatischen Hasses gegen alles, was italienisch ist“ unter der Deutschtiroler Bevölkerung ließen diese Option nicht als opportun erscheinen.52 Insgesamt belief sich die Zahl der Trentiner ‚Kriegsflüchtlinge‘, die in den verschiedenen Ländern der Monarchie untergebracht wurden, auf über 77.000. Dabei handelte es sich zum Großteil um wirkliche Zwangsevakuierte, lediglich in rund 6.000 Fällen von eher begüterten, sich selbstversorgenden Trentinern, die nach erfolgter behördlicher Genehmigung in Nordtirol unterkommen konnten, waren es freiwillige Migranten. Von den genannten 77.000 wurden über 20.000 in den bekannten großen Flüchtlingslagern der Monarchie untergebracht; rund 40.000 Personen – und damit die große Mehrheit – verteilten sich auf eine unüberschaubare Zahl von Dörfern und Städten in Böhmen und Mähren.53 In etwa 12.000 ‚Flüchtlinge‘ kamen schließlich auch innerhalb des Kronlandes Tirol unter – neben den bereits erwähnten 6.000 in Nordtirol konnten weitere 6.000 in den frontferneren Trentiner Gebieten bleiben.54 Die Trentiner Diaspora in Katzenau, Böhmen oder Mähren verkörpert allerdings nur eine Seite der Medaille. Die Verbringung Tausender Trentiner nach Italien durch die italienische Besatzungsmacht stand bis vor Kurzem noch weniger im Rampenlicht der historischen Aufarbeitung und spielte auch in der regionalen Erinnerungskultur eine eher randständische Rolle. Immerhin rund 29.000 Italienischtiroler wurden während des Krieges aber
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auch von den italienischen Truppen in mehreren Etappen evakuiert und in Lagern und Gastgemeinden in ganz Italien untergebracht; etwa 1.500 Personen teilten das Schicksal ihrer Landsleute in Katzenau und wurden als politisch Unzuverlässige interniert. Im Rahmen der Eröffnung der Alpenfront hatte die italienische Armee sukzessive jene Trentiner Landstriche militärisch besetzt, die das österreichisch-ungarische Militär aus verteidigungsstrategischen Gründen in den Tagen des Intervento geräumt hatte. Von der Internierungspraxis einmal abgesehen sah die italienische Besatzungsmacht in der ersten Phase des Krieges von Evakuierungsmaßnahmen weitgehend ab. Diese Praxis resultierte aus dem vorrangigen politischen Kalkül, die neue Bevölkerung durch ein möglichst zuvorkommendes Vorgehen ohne unnötige Härten für sich gewinnen zu wollen; sie war aber auch eine Folge der politischen Vorgabe, von nicht unbedingt notwendigen Bevölkerungsabschüben aus evidenten Kostengründen abzusehen. Nicht zuletzt aus diesen Gründen hielt sich die Zahl der nach Italien Evakuierten an der österreichisch-italienischen Front bis zum Sommer 1916 stark in Grenzen. Das änderte sich mit dem anfänglich erfolgreichen Vorrücken der österreichisch-ungarischen Truppen im Rahmen der so genannten ‚Strafexpedition‘ im Mai/Juni 1916. Innerhalb von zwei Wochen wurden in einer der improvisierten österreichischen Evakuierungspraxis von 1915 ähnlich chaotischen Weise rund 26.000 Italienischtiroler nach Italien verbracht.55 Damit begann auch für die Trentiner Bevölkerung in den italienischen Besatzungsgebieten die Migrationserfahrung in der Fremde – allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Bei allen evidenten Unterschieden, die das Leben in der nördlichen und südlichen Diaspora für die Trentiner auch bereithielt, sind die strukturellen Gemeinsamkeiten der Rahmenbedingungen dieser ‚doppelten Evakuierung‘ sowie die sich ähnelnden Grundzüge der Kriegserfahrungen doch verblüffend: In beiden Fällen handelte es sich, erstens, zum allergrößten Teil um Zwangsevakuierungen einer Bevölkerung, die von sich aus und freiwillig die Heimat wohl kaum verlassen hätte. Die zeitgenössischen behördlichen Wortschöpfungen – ‚Kriegsflüchtlinge‘ oder ‚profughi di guerra‘ – stellen deshalb aus heutiger Sicht eine Art Verschleierung der Realität dar, bei der es sich im Prinzip um nichts anderes als eine mit Zwang einhergehende, organisierte Deportation im großen Stil handelte. Anstelle der begrifflichen Differenzierung zwischen den verschiedenen Arten der Kriegsmigration trat im Laufe des Krieges nicht nur im behördlichen Diskurs, sondern vor allem auch in der Wahrnehmung der Bevölkerung eine immer stärkere Nivellierung der unterschiedlichen Migrationsformen. Vielfach firmierten wirkliche Flüchtlinge, Evakuierte, Internierte und Feindstaatenausländer oder eben profughi, internati, rimpatriati und fuorusciti unter demselben interpretativen und
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etikettierenden Label einer – aus welchen Gründen und in welcher Form auch immer – kriegsbedingt verbrachten Bevölkerung.56 In beiden Kontexten – sei es in der österreichisch-ungarischen als auch in der italienischen Diaspora – galten die Trentiner, zweitens, aus zivil- und militärbehördlicher Perspektive in ähnlich pauschalierender Weise als grundsätzlich unzuverlässig und suspekt.57 Während sie in Österreich aufgrund ihrer italienischen Nationalität mit dem inflationär hervorgekehrten Irredentismusverdacht konfrontiert waren, erwuchsen vice versa die italienischen Vorbehalte gegenüber den vielfach als austriacanti bezeichneten Konnationalen aus einer vorgeblich zu österreichfreundlichen Haltung. Dieses unabhängig voneinander in beiden Staaten um sich greifende obrigkeitliche Misstrauen gegenüber einer in Loyalitätsfragen offensichtlich schwer einschätzbaren Grenzbevölkerung kulminierte in einer während des Krieges etablierten Kontroll- und Überwachungspraxis, von der die Trentiner – ob nun als Internierte, Evakuierte, fuorusciti oder was auch immer – in besonderer Weise betroffen waren. Die staatliche Einschätzung des Problems der ‚italienischen Österreicher‘ und die daraus resultierende politische Praxis im Umgang mit der Sache ähnelten sich demnach auf frappierende Weise. Zu dem staatlichen Misstrauen trat, drittens, wiederum in beiden Staaten ein in durchaus vergleichbarer Intensität gespanntes Verhältnis zur ansässigen Bevölkerung in den Unterbringungsgebieten, wo sich in der Regel keine ‚Willkommenskultur‘ entwickelte. Ganz im Gegenteil: In einem Mix aus nationalen Ressentiments und Animositäten, die aus der sich kriegsbedingt verschlechternden Versorgungssituation resultierten, waren die Trentiner in der Fremde mit beständigen, im Laufe des Krieges zunehmenden Anfeindungen konfrontiert. Der sich zuspitzende Verteilungskampf im Rahmen der Mangelwirtschaft des Krieges sowie nationale und soziale Vorurteile nahmen im Zuge der langen Diaspora überhand und hatten gegen Ende des Krieges einen Kulminationspunkt erreicht. Behördliches Misstrauen und populare Vorurteile verhinderten zu einem Gutteil auch, dass mit Blick auf das besondere Schicksal der am Ende eher isolierten, stigmatisierten und schließlich als bloße Last empfundenen ‚Kriegsflüchtlinge‘ ein durchgreifend positiver gesellschaftlicher Diskurs Fuß fassen konnte. Weder in Österreich-Ungarn noch in Italien war das der Fall. In beiden staatlichen Kontexten gestalteten sich die Beziehungen zwischen Bevölkerung und Migranten konfliktträchtig.58 Und schließlich bildeten, viertens, auch die konkreten Diasporaerfahrungen in der Bewältigung des täglichen Kriegsalltages und in der Wahrnehmung der Fremde ein weitgehend konkordierendes Element. Betrachtet man die Probleme, mit denen die Evakuierten in Cisleithanien und Italien konfrontiert waren, aus vergleichender Perspektive, offenbart sich ein Set von
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beinahe identischen Sorgen, Nöten und kriegsbedingten Erschwernissen. Die Unterbringungs- bzw. Versorgungsprobleme und der damit in Zusammenhang stehende Argwohn der ansässigen Bevölkerung stellte für die Trentiner in Österreich und Italien gleichermaßen ein zentrales Element der Kriegserfahrungen dar. Nur allzu oft standen die ‚Fremden‘ am Ende der Versorgungskette und hatten gegenüber den priviligierten Einheimischen das Nachsehen. Die staatlich gewährten Unterstützungsbeiträge reichten aufgrund der hohen Kriegsinflation kaum zum Nötigsten.59 Auch im Rahmen der Lagererfahrung bestreichen die ins Feld geführten Monita der Insassen ähnliche Probleme: die weit verbreitete Desorganisation, den behördlichen Drill, die mangelnde allgemeine Versorgung, die schlechten hygienischen Bedingungen, die negativen Auswirkungen der Gettoisierung und die Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit sowie die leidliche ärztliche Versorgung, um nur die wichtigsten zu nennen.60 Diese ernüchternden Negativ-Erfahrungen des Kriegsalltages in der Diaspora übertrugen sich in eine mentale Entfremdung von dem jeweils beherbergenden Kriegsstaat, den man unmittelbar für die eigene missliche Lage verantwortlich machte. Auf diese Weise erschütterte die Erfahrung der Trentiner Diaspora in Österreich-Ungarn das seit 1915 eher nur mehr einem seidenen Faden gleichende Band zwischen der italienischsprachigen Minderheit der Monarchie und dem Habsburgerstaat. Umgekehrt trug die durchwegs negative Erfahrung der Trentiner in Italien dazu bei, dass sich unter den SüdEvakuierten kaum breitere filoitalienische Stimmungen entwickeln konnten, die so etwas wie ein Nation Building in Gang gesetzt hätten. Ganz im Gegenteil: Die italienische Exilerfahrung verstärkte auf der Basis einer rigoroseren Abgrenzung eher die proösterreichische Grundstimmung und förderte – entgegen der staatlich beabsichtigten italienischen Nationalisierungsbemühungen – das Trentiner Regionalbewusstsein abseits nationaler Zuschreibungen.61 Die Rückkehr der Trentiner Evakuierten in die Heimat war schließlich ein jahrelanger Prozess, der noch während des Krieges begann und im Wesentlichen erst Mitte des Jahres 1919 abgeschlossen war.62 Der Großteil – Zehntausende von Zivilpersonen – befand sich zu Kriegsende im November 1918 noch außer Landes. Die Anfang 1916 erstmals in Gang gekommene und in quantitativer Hinsicht zunächst bescheidene Rückführung von ‚Flüchtlingen‘ nach Tirol resultierte im Wesentlichen aus ökonomischen Rücksichten und Zwangslagen, die mit dem besonderen Status des Landes als engeres Kriegsgebiet zusammenhingen. Seit Februar 1916 wurden vermehrt arbeitsfähige Flüchtlinge als landwirtschaftliche und Militärarbeiter nach Tirol überstellt und vornehmlich für Erntezwecke oder militärische Hilfsdienste verwendet. Die Zahl der auf diese Weise bis Sommer 1917 zu fallweisen Arbeitseinsätzen
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verwendeten ‚Flüchtlinge‘ hielt sich zunächst allerdings stark in Grenzen und belief sich auf insgesamt rund 5.500 Personen.63 Eine gewisse Haltungsänderung gegenüber dem Los der nach Innerösterreich Verbrachten stellte schließlich der Kaiserwechsel und die damit verbundene Reparlamentarisierung des politischen Lebens dar, die gleichzeitig auch eine Zurückdrängung des absoluten Herrschaftsanspruchs des Militärs bewirkte. Im Zuge einer Generalamnestie Kaiser Karls wurden nicht nur viele militärgerichtlich Verurteilte enthaftet, sondern auch zahlreiche internierte PUs auf freien Fuß gesetzt.64 Die Anordnung des Kaisers, künftig im Umgang mit den ‚Flüchtlingen‘ einen möglichst liberalen Kurs zu fahren, stand auch am Beginn einer Entwicklung, die es den Evakuierten seit September 1917 prinzipiell und unter gewissen Voraussetzungen (politische Verlässlichkeit) erlaubte, zumindest in jene Territorien der Heimat zurückzukehren, die militärisch nicht zu stark in Mitleidenschaft gezogen worden waren.65 Wenn sich die Heimkehr der Trentiner Evakuierten selbst nach den entsprechenden behördlich erlassenen Reglements dennoch stark in Grenzen hielt, lag das vornehmlich an dem in dieser Frage entbrannten Grunddissens zwischen Militär- und Zivilbehörden.66 Während die Militärs alles daran setzten, den Rückführungsprozess zu konterkarieren, unterstützten und forcierten vor allem die österreichischen Zivilbehörden in den bisherigen Unterbringungsgemeinden den beginnenden Migrationsstrom Richtung Westen. Diese Haltung resultierte wohl weniger aus altruistischen, sondern primär aus nachvollziehbaren pragmatischen Gründen: In Zeiten der Mangelwirtschaft bedeutete der Abgang der ‚Flüchtlinge‘ eine mehr als willkommene, zumindest partielle Entspannung des Versorgungsnotstandes. Unabhängig von dieser eigennützigen Unterstützung der Migrationsströme nach Westen kam es in Böhmen und Mähren, wo ein Großteil der Trentiner untergebracht war, im letzten Kriegsjahr fallweise auch zu regelrechten Übergriffen und gruppenweisen kollektiven Vertreibungen aus den Unterbringungsgemeinden. Besonders gegen Ende des Krieges tendierte der Solidarisierungsfaktor unter der einheimischen böhmischen und mährischen Bevölkerung und den Behörden vor Ort gegen null.67 Die Folge all dieser Entwicklungen war ein speziell während des letzten Kriegsjahres kontinuierlich zunehmender Wanderungsstrom aus den cisleithanischen Unterbringungsgebieten Richtung Tirol. In zahlreichen Fällen machten sich die Trentiner Betroffenen auch ohne entsprechende behördliche Genehmigungen auf den Weg und strandeten schließlich in Nordtirol, wo ihnen die Weiterreise über den Brenner meist verwehrt wurde. Die Übervölkerung Tirols mit heimkehrenden Trentiner Zivilisten belastete die dort an und für sich schon prekäre Versorgungssituation, die sich auf diese Weise
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noch verschlechterte. Die Heimkehr einer größeren Anzahl von ‚Kriegsflüchtlingen‘ in das Trentino war vielfach auch deshalb kaum möglich und sinnvoll, weil ein großer Teil des Evakuierungsgebietes durch den Krieg großen Schaden in Form massiver Zerstörungen gelitten hatte.68 Im Zeitraum zwischen Sep tember 1917 und dem Inkrafttreten des Waffenstillstandes von Villa Giusti am 4. November 1918 waren insgesamt rund 27.500 Trentiner Evakuierte nach Tirol zurückgekehrt. Mit Stichtag 1. September 1918 zählte man im Trentino insgesamt 18.589 Rückkehrer, die nur zum Teil in ihre Herkunftsortschaften heimkehren konnten und deshalb in nicht geringer Zahl ein der erlebten Diaspora ähnlich trostloses Dasein als Flüchtlinge im eigenen Land fristeten. Als Region, die unter den Kriegseinwirkungen in ganz besonderer Weise gelitten hatte, war die Versorgungssituation im Trentino gegen Ende des Krieges desaströs. Und letztlich war es wohl eine Art Ironie des Schicksals, dass die Neuankömmlinge selbst unter ihren Landsleuten im Trentino primär nicht als Heimkehrer, sondern als Konkurrenten im täglichen Ernährungskampf wahrgenommen wurden.69 „Auch hier litten wir sehr“, erinnert sich die aus dem Nonstal stammende Dominica Daldoss an ihre Rückkehr in die Heimat, „die Leute sahen uns nicht gerne und wir litten Hunger.“70 Die italienische Seite legte hingegen eine etwas liberalere Handhabe der Repatriierungspraxis an den Tag, die sich allerdings schon aufgrund der sich kaum bietenden konkreten Möglichkeiten in engen Grenzen hielt. Rund 3.500 Evakuierte konnten während des Krieges aus Italien heimkehren. Dabei handelte es sich im Prinzip um das Gros jener Trentiner, die in den italienischen Besatzungsgebieten abseits der Front in eigenen Behausungen unterkommen konnten.71 Mit dem Kriegsende am 4. November 1918 kam der skizzierte Flüchtlingsstrom im allgemeinen Chaos des Umsturzes zunächst abrupt zum Erliegen. Erst Ende November gewann die nunmehr unter italienischer Koordination im großen Stil durchgeführte Repatriierung der Trentiner an Fahrt. Dabei erachteten die italienischen Militärs die Rückführung der ‚Flüchtlinge‘ in Österreich, deren Lage sich mit Ende des Krieges weiter verschlechtert hatte, als vordringlich. Nach dem Waffenstillstand war es vermehrt zu Übergriffen und Plünderungen gekommen, von denen die Trentiner ‚Flüchtlinge‘ in besonderer Weise betroffen waren. Darüber hinaus verloren die Trentiner aufgrund eines von der Österreichischen Nationalversammlung am 5. Dezember 1918 erlassenen Gesetzes die österreichische Staatsbürgerschaft und waren damit forthin von den österreichischen Kriegsunterstützungsmaßnahmen ausgeschlossen. Genau genommen war es demnach der neue österreichische Staat, der sich von seinen italienischsprachigen Staatsbürgern verabschiedet hatte – und nicht umgekehrt.72 In der Folge ging es dann Schlag auf Schlag:
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Zwischen Ende November 1918 und dem 10. Januar 1919 konnten die sich noch in Österreich befindlichen ‚Flüchtlinge‘ heimgeholt werden. Ende Januar begann schließlich die Rückführung der rund 16.000 Trentiner, die sich zu diesem Zeitpunkt noch im Bereich der nunmehrigen Tschechoslowakei aufhielten. Ende Februar war auch diese Repatriierungsaktion abgeschlossen. Bis Ende Mai 1919 waren insgesamt über 65.000 Evakuierte aus allen Teilen der ehemaligen Monarchie in das Trentino zurückgekehrt.73 Aufgrund der skizzierten verschiedenen Prioritäten war die Rückkehr jener Trentiner, die sich in Italien befanden, mit Kriegsende zunächst eingestellt worden. Diese Maßnahme sollte ein unkoordiniertes Rückströmen von Flüchtlingsmassen verhindern und der auch in Italien üblichen behördlichen Praxis, die zunehmend zur Last fallenden Evakuierten so rasch wie möglich loswerden zu wollen, einen Riegel vorschieben. Trotz bestehender Verbote machten sich auch im italienischen Fall viele ‚Flüchtlinge‘ auf den Weg Richtung Norden – vielfach durch die Zivilbehörden der Gastgemeinden ermutigt und unterstützt. Die Rückkehr der Trentiner aus Italien erfolgte schließlich etwas verzögert in mehreren Etappen. Ab Mitte Januar wurde von den Militärbehörden die Rückkehr jener Flüchtlinge toleriert, deren Unterkunft gesichert war oder die sich selbst versorgen konnten. Gleichzeitig begann die Heimkehr in die weniger kriegsbeschädigten Gemeinden in etwas weiterer Distanz zur ehemaligen Front.74 Der eigentliche Repatriierungsprozess der rund 20.000 Trentiner Evakuierten, die sich noch in Italien befanden, begann allerdings erst im März 1919 und war schließlich grosso modo im Juli 1919 abgeschlossen.75 Die Rückführung unterlag nicht zuletzt auch einem politischen Selektionsreflex. Zunächst wurde vor allem die Heimkehr der Trentiner Irredentisten und der für den Wiederaufbau hilfreichen Arbeitskräfte vorangetrieben, erst später folgten Frauen und Kinder und schließlich zuletzt jene Trentiner, die als austriacanti interniert worden waren.76 Heimkehr auf Raten: Kriegsgefangene zwischen Krieg und Frieden Parallel zur zivilen Diaspora, von der hauptsächlich nicht militärdienstpflichtige oder untaugliche Männer, Frauen und Kinder betroffen waren, verkörperten die unzähligen kriegsgefangenen Soldaten eine militärische Diaspora, die im Europa des Ersten Weltkrieges zu einem millionenfachen Phänomen wurde. Rund 2,8 Millionen österreichisch-ungarische Soldaten gerieten während des Krieges in Gefangenschaft. Nicht weniger als ungefähr 2,1 Millionen Mann, darunter auch etwa 17.000 Tiroler, erlebten diese Gefangenschaft in Russland.77 Aus staatlicher Perspektive verkörperte das Phänomen
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der Kriegsgefangenschaft stets zwei Seiten derselben Medaille: Zum einen beherbergten die kriegführenden Staaten als Gewahrsamsmächte eine Vielzahl von gefangenen gegnerischen Soldaten, deren Unterbringung und Versorgung zunehmend Probleme bereiteten; und zum anderen gerieten auch eigene Kriegsteilnehmer zuhauf in Gefangenschaft. Letztere konnte etwa auch für die Tiroler Kriegsgefangenen ganz verschiedene Gesichter haben. Mit Blick auf die Lebensbedingungen und die Perspektiven auf eine Rückkehr aus der Gefangenschaft machte es vielfach einen entscheidenden Unterschied, ob man sich als Gefangener in einem sibirischen Lager, auf dem Balkan oder – seit Eröffnung der Südwestfront im Mai 1915 – in italienischer Kriegsgefangenschaft befand. Dass das Gros der österreichischen und Tiroler Soldaten an der Ostfront in Kriegsgefangenschaft geriet, lag vornehmlich an den strukturellen Eigenheiten der dort praktizierten Kriegsführung und weniger an der militärischerseits stets hervorgekehrten hohen Desertionsrate.78 Der strapaziöse und verlustreiche Bewegungskrieg im Osten produzierte vergleichsweise mehr Gefangene als die bald im Stellungskrieg festgefahrenen militärischen Fronten im Westen oder Südwesten. Erschwerend kam der in die Praxis umgesetzte Gedanke einer uneingeschränkten Offensive ohne Rücksicht auf menschliche Verluste hinzu. „Conrads Hurrahtaktik“79 forderte unter den k.u.k. Truppen vor allem in den ersten Monaten des Krieges exorbitant hohe ‚Abgänge‘ an Toten, Verwundeten, Vermissten und Kriegsgefangenen. „Wenn wir weiterhin derart altösterreichisch tapfer und dumm angreifen“, bilanzierte Hauptmann Moritz Schönn vom 3. Tiroler Kaiserjägerregiment schon Ende August 1914 in seinem Tagebuch, „sind wir nach einigen Gefechten aufgerieben.“80 Und in der Tat: Schönns Regiment hatte bis Ende Dezember 1914 bei insgesamt 5.342 Soldaten einen Abgang von 4.014 Mann erlitten, darunter 397 Tote und 1.399 Vermisste bzw. Kriegsgefangene. In etwa drei Viertel des Standes waren nicht mehr kampffähig.81 Insgesamt geriet bis Jahresende rund ein Drittel der etwa 28.000 Tiroler Kaiserjäger, die 1914 eingerückt waren, in Kriegsgefangenschaft oder galt als vermisst.82 Zivile und militärische Diaspora wiesen im Übrigen zahlreiche Gemeinsamkeiten auf. Einmal abgesehen davon, dass in beiden Fällen auch Zehntausende Tiroler betroffen waren, ähnelten sich etwa die in zahlreichen Tagebüchern verschriftlichten Erfahrungen in den Flüchtlings- und Kriegsgefangenenlagern. Schlechte Unterbringung, grassierende Unterernährung und die leidlichen hygienischen Verhältnisse waren mehr oder weniger prägende Erfahrungskonstanten. Natürlich stellte die Unterbringung von laufend wachsenden Kontingenten an Gefangenen alle beteiligten Staaten vor enorme Probleme und Herausforderungen. Insbesondere die Habsburgermonarchie
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hatte neben Hunderttausenden Flüchtlingen und Evakuierten auch noch wohl weit über zwei Millionen Kriegsgefangene zu versorgen, bei denen es sich mehrheitlich um eben an der Ostfront eingebrachte russische Gefangene handelte.83 In ähnlicher Weise wie im Rahmen der Bewältigung des ‚Flüchtlingsproblems‘ fehlten zu Kriegsbeginn allerdings entsprechend konkrete Vorplanungen und Reglements, auf die man im Zuge der Konfrontation mit einer unerwartet hohen Zahl von Gefangenen zurückgreifen hätte können. Keiner der europäischen Staaten war auf eine derartige Masse von zu versorgenden Kriegsgefangenen eingerichtet oder vorbereitet. Das galt nicht zuletzt auch für die Donaumonarchie und in besonderer Weise für Russland. Die Improvisation im Rahmen eines Learning by Doing war deshalb nicht nur im Rahmen der Bewerkstelligung des Flüchtlingsproblems zum Alltag geworden, sondern prägte auch das Prozedere bei der Inangriffnahme des Kriegsgefangenenproblems.84
Abb. 19 Kriegsgefangene Russen im Arbeitseinsatz in Stern/La Villa
Als besonders prekär stellte sich die Situation der Kriegsgefangenen schon unmittelbar nach Kriegsbeginn in Russland heraus. Während die ursprünglichen russischen Planungen mit einer Versorgung von lediglich Zehntausend Gefangenen gerechnet hatten, übertraf das durch die anfangs erfolgreich vorstoßende russische Armee eingebrachte Kollektiv an Gefangenen
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das veranschlagte Planungskontingent schon im Frühherbst 1914 um ein Vielfaches.85 Zur kolossalen Überlastung der vorhandenen Kapazitäten, die aus der hohen Gefangenenzahl resultierte, gesellten sich evidente verwaltungsund versorgungsorganisatorische Probleme und Unzulänglichkeiten. Gemeinsam führten sie zu einer multiplen Überforderung, die den russischen Staat während der gesamten Kriegsjahre charakterisieren sollte. Katastrophale Zustände herrschten anfänglich vor allem in den Kriegsgefangenenlagern: Menschenunwürdige Unterkünfte, Ernährungsengpässe sowie die unzureichenden hygienischen Vorkehrungen führten gemeinsam mit den für Mitteleuropäer ungewohnten Wetter- und Klimaextremen zu einer raschen Verschlechterung des Gesundheitszustandes der in Russland internierten Mittelmächte-Kriegsgefangenen.86 Zahlreiche Gefangene fielen den sich epidemisch ausbreitenden Infektionskrankheiten wie Typhus und Cholera zum Opfer. Deshalb war die Mortalitätsrate unter den Kriegsgefangenen in Russland mit ca. 18 bis 20 Prozent weitaus höher als in Österreich-Ungarn oder Italien, wo sie lediglich rund 10 Prozent betrug. Auf diese Weise verstarben während des Krieges hunderttausende Soldaten in russischer Kriegsgefangenschaft.87 „Wir bekamen zwar fast alle Tage einmal etwas zu essen“, schreibt der kriegsgefangene Landesschütze Johann Heiß, „aber das war bloß so viel, daß man nicht ganz verhungerte.“88 Und aus der Sicht des österreichisch-ungarischen Ministers des Äußeren, Stephan Graf Burián, war die russische Kriegsgefangenschaft gar „gleichbedeutend mit Tod durch Seuchen, Hunger, Frost und Misshandlungen.“89 Die Lebensbedingungen der Kriegsgefangenen in Russland hingen in nicht unerheblichem Maß von zwei Faktoren ab. Zum einen: Ungeachtet der während des ganzen Krieges andauernden prekären allgemeinen Situation verbesserte sich die Lage im Laufe der Zeit aufgrund der bald anlaufenden Hilfsmaßnahmen in den Herkunftsländern. Die so bezeichnete Kriegsgefangenenfürsorge der Mittelmächte suchte angesichts der zunehmend kritischen Situation, den eigenen Gefangenen eine Unterstützung in Form von finanziellen Zuwendungen sowie Sach- und Lebensmittelspenden zukommen zu lassen. Die Distribution der Zuwendungen erfolgte seit Ende 1914 vornehmlich durch neutrale Einrichtungen, etwa das Schwedische und Amerikanische Rote Kreuz.90 Flankierend dazu entspannte sich die Situation in den Internierungslagern vornehmlich dadurch, dass ab Frühjahr 1916 vermehrt und immer systematischer Gefangene zur Arbeitsleistung herangezogen wurden. Die damit verbundene Senkung der chronischen Überbelegung der Kriegsgefangenenlager verbesserte tendenziell auch die Lebensbedingungen der verbliebenen Internierten. Zum anderen war die individuelle Lage in der Kriegsgefangenschaft auf Gedeih und Verderb auch mit der Art
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der Unterbringung bzw. Beschäftigung verbunden. Die Lebensumstände der Kriegsgefangenen, die in der klein strukturierten russischen Landwirtschaft Verwendung fanden, gestalteten sich tendenziell besser als jene der Lagerinternierten oder der Gefangenen, die im Rahmen von großen Infrastrukturprojekten beschäftigt oder völkerrechtswidrig zu militärischen Arbeiten im Front- oder Etappenraum herangezogen wurden.91 Obwohl die Unterbringung der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen etwa in Italien ungleich besser und die Mortalitätsrate, wie erwähnt, deutlich niedriger war, nahm die Entwicklung der Kriegsgefangenschaft in Italien einen ähnlichen Verlauf: Auch der italienische Staat war unzureichend auf die Masse von Kriegsgefangenen vorbereitet und sah sich großteils erst nach dem Intervento veranlasst, die dafür notwendigen Infrastrukturen herzustellen. Und auch in Italien wurden die Kriegsgefangenen – darunter auch zahlreiche österreichisch-ungarische bzw. Tiroler – ab Frühjahr 1916 vermehrt zur Arbeitsleistung herangezogen.92 Die sich in Russland 1917 grundlegend verändernden politischen Verhältnisse schufen schließlich eine für die Kriegsgefangenen schwer zu durchschauende Situation und erhöhten die Unübersichtlichkeit der Lage. Die infolge der revolutionären Wirren genährte Hoffnung auf eine baldige Heimkehr erfüllte sich für das Gros der Gefangenen nicht. Die Lagerinternierung fand für viele Kriegsgefangene infolge der Oktoberrevolution zwar ein Ende; der daraus resultierenden neuen Bewegungsfreiheit stand allerdings eine deutliche Verschlechterung der allgemeinen Lebenssituation der Gefangenen gegenüber, die im revolutionären Russland zunehmend auf sich selbst gestellt waren. Einen Staat, der sich intensiver um die Gefangenen gekümmert hätte, gab es nicht mehr. Die aufgrund der Revolution in Mitleidenschaft gezogenen Verkehrsinfrastrukturen und das allgemeine Chaos führten auch zu einer Unterbrechung des Zahlungsverkehrs aus dem Ausland und der österreichisch-ungarischen Unterstützungssendungen; ferner stiegen die Preise infolge der hohen Inflation ins Unermessliche, und angesichts des russischen Ausscheidens aus dem Krieg drängte in der Folge eine Vielzahl heimkehrender russischer Soldaten zurück auf den heimischen Arbeitsmarkt. Das alles führte zu einer erneuten Verschlechterung der materiellen Situation der Gefangenen. Ernährungsengpässe und Hunger wurden in der Folge abermals zu einer Konstante der Kriegsgefangenen-Erfahrungen.93 Die Geschichte der Repatriierung der Kriegsgefangenen beginnt eigentlich noch während des Krieges. Im Vergleich mit der Heimkehr der Flüchtlinge und Evakuierten aus den innerösterreichischen Gebieten beanspruchte der Rückführungsprozess im Fall der Kriegsgefangenen zumeist ungleich mehr Zeit. Aus der Perspektive des einzelnen Kriegsgefangenen hing dabei die Möglichkeit zur raschen Repatriierung in entscheidender Weise von dem Umstand ab, in
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welchem staatlichen Gewahrsam man sich befand. Während die italienischen Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn noch innerhalb der ersten Wochen des Jahres 1919 heimkehren konnten und auch die Rückführung der österreichischen Gefangenen in Italien noch vor der Unterzeichnung des Vertrages von Saint Germain begann und zu Jahresende 1919 abgeschlossen war, gestaltete sich die Heimkehr der Kriegsgefangenen aus Russland bedeutend schwieriger.94 Sie begann im Wesentlichen mit den bereits im Sommer 1915 zwischen St. Petersburg und Wien abgeschlossenen Abkommen zum Kriegsgefangenenaustausch und endete erst mehrere Jahre nach Kriegsende. Bis Ende 1922 konnte das Groß der letzten russischen Kriegsgefangenen auch nach Tirol zurückkehren. Im Rahmen des phasenhaft verlaufenden Repatriierungsprozesses waren infolge des erwähnten Gefangenenaustausches bis Anfang 1918 lediglich rund 22.000 meist invalide oder kranke österreichisch-ungarische Kriegsgefangene aus Russland heimgekehrt. Ein mit Rom abgeschlossenes ähnliches Übereinkommen ermöglichte es in gleicher Weise mehr als 13.000 österreichischen Gefangenen in Italien, noch während des Krieges heimzukehren.95 Eine größere Anzahl von sich in russischem Gewahrsam befindenden Gefangenen konnte schließlich in der Zeit zwischen dem Abschluss des Waffenstillstandes im Dezember 1917 und dem Kriegsende im November 1918 repatriieren. Aufgrund der zerfahrenen Situation infolge der Revolutionen und der bürgerkriegsartigen Zustände handelte es sich mehr oder weniger um eine unsystematischimprovisierte Rückkehr aus der Gefangenschaft. Die zum Großteil sich selbst überlassenen Betroffenen drängten zu Hunderttausenden und vielfach in abenteuerlicher Weise und auf Umwegen nach Westen. Die Arbeit der seit Abschluss des Vertrages von Brest-Litowsk in Russland agierenden Repatriierungsmissionen der Mittelmächte war aufgrund der politischen Wirren mit nicht geringen Problemen verbunden, die auch noch in der Zeit nach Ende des Ersten Weltkrieges in Europa andauerten.96 Deshalb befanden sich zu Kriegsende, das den Beginn der letzten Phase der Repatriierungsgeschichte markiert, noch Hunderttausende Kriegsgefangene aus aller Herren Länder in Russland – darunter wohl auch noch mehrere Tausend Tiroler.97 In der Zeit zwischen Kriegsende und dem Abschluss des Vertrages von Saint Germain stagnierten aufgrund der eingeschränkten staatlichen Handlungsfähigkeit die österreichischen Initiativen im Rahmen der Repatriierungsbemühungen. Erst nach Inkrafttreten des Vertrages, dem Ende des russischen Bürgerkriegs und der Unterzeichnung eines entsprechenden österreichisch-russischen Abkommens am 5. Juli 1920 in Kopenhagen, das die Rückkehr der noch verbliebenen Österreicher in Russland regelte, nahm die Kriegsgefangenenheimführung an Fahrt auf. Bis Ende 1922 konnte schließlich der Großteil der Kriegsgefangenen nach Österreich zurückkehren.98
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So wie die im Mai 1915 erfolgte Evakuierung eines großen Teils der Trentiner Bevölkerung in das österreichische Hinterland einen ethnischbevölkerungspolitisch motivierten regionalen Sonderfall darstellt, verkörpert auch das Schicksal der italienischsprachigen Gefangenen der k.u.k. Armee in Russland eine eigene Geschichte mit vielen Unwägbarkeiten und Besonderheiten. Ungefähr 30.000 italienischsprachige Soldaten der Habsburgermonarchie gerieten während des Krieges in russische Kriegsgefangenschaft. Vermutlich rund die Hälfte dieser Kriegsgefangenen – etwa 15.000 – stammte aus dem Trentino.99 Die Sonderbehandlung der Italienischtiroler im Kontext der russischen Kriegsgefangenschaft war vor allem eine Folge des Intervento, mit dem sich Italien ab Mai 1915 an die Seite der Entente-Staaten – und damit auch Russlands – gestellt hatte. Im Sog des italienischen Kriegseintritts wurden die italienischsprachigen Gefangenen zunächst in Omsk und ab September 1915 im Lager Kirsanow in der Oblast Tambow konzentriert. In den Lagern konfrontierte eine italienische Militärmission die aus dem Trentino und dem adriatischen Küstenland stammenden Kriegsgefangenen mit einem Angebot: Die Gefangenen sollten unter der Bedingung nach Italien überführt werden, dass sie einer Einreihung in das italienische Heer zustimmten. Zunächst richtete sich das Angebot allerdings nur an Offiziere, die den Transfer nach Italien zudem auch noch aus eigenen finanziellen Mitteln bestreiten sollten. Dieses unvorteilhafte Angebot traf unter den Gefangenen kaum auf positive Resonanz. Das Gros stand einer erneuten militärischen Verwendung, der man erst vor Kurzem entkommen war, ablehnend gegenüber. Selbst als aufgrund des geringen Interesses die Bedingungen für eine Überführung nach Italien sukzessive gelockert wurden und schließlich nicht mehr von einer zwangsweisen Dienstleistung im italienischen Heer die Rede war, reagierten viele Trentiner Gefangene zurückhaltend: Die latent noch immer vorhandene Angst vor einer militärischen Einberufung sowie die zu befürchtenden Auswirkungen, die diese Entscheidung womöglich auf die Familie und eigenen Vermögenswerte im nach wie vor österreichischen Trentino haben konnte, erhöhten die Hemmschwellen und ließen vor einer solchen Entscheidung zurückschrecken.100 Während aus staatlicher (italienischer) Perspektive die Entscheidung für oder gegen den Transfer nach Italien stets als nationales Bekenntnis interpretiert wurde, scheinen für das Gros der Trentiner Gefangenen mit Blick auf ein Pro oder Contra eher lebensnah-pragmatische Gründe eine Rolle gespielt zu haben. Die imaginierten individuellen, familiären und materiellen Konsequenzen einer Annahme des italienischen Angebotes wurden zur alles andere überragenden Entscheidungsgrundlage. Selbst unter den Gefangenen, die sich für die Annahme des italienischen Angebots entschieden hatten,
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spielten nationale Motivationen eine eher untergeordnete Rolle, und es überwog eine pragmatische Haltung, die mit der Überführung nach Italien primär die willkommene Möglichkeit verband, der Kriegsgefangenschaft zu entkommen und so bald als möglich in die Heimat zurückzukehren.101 Der Anteil jener, die sich infolge eines ausgeprägteren italienischen Nationalgefühls ganz bewusst für den Transfer entschieden, blieb hingegen eine kleine Minderheit.102 Schlussendlich willigten zwar einige Tausend italienische Soldaten ein, das Gros der Gefangenen aus den italienischen Gebieten der Monarchie hatte durch die italienische Militärmission aber entweder gar nicht erreicht werden können oder sich dazu entschlossen, das Angebot auszuschlagen.103 Die Politik des italienischen Staates war mit Blick auf die Rückführungsfrage der österreichischen Kriegsgefangenen italienischer Muttersprache – gelinde gesagt – inkohärent und zwiespältig: In der Person Sidney Sonninos verharrte die italienische Außenpolitik über lange Zeit hinweg in einer zögerlichen Haltung, die Ausdruck des Misstrauens der italienischen Politik gegenüber den ‚österreichischen Italienern‘ in Russland war. Auf regierungspolitischer Ebene optierte man deshalb für eine vorsichtig-bedächtige, darüber hinaus auch auflagenbestimmte Repatriierungspolitik, die vor allem jene Gefangenen im Blickfeld hatte, deren politische und nationale Verlässlichkeit unzweifelhaft erschien. Diese restriktive politische Haltung gab vor allem in militärischen Kreisen Anlass zu Skepsis und Kritik. Im italienischen Generalstab sprach man sich vor allem aus politstrategischen und propagandistischen Gründen für eine rasche und möglichst umfassende Überführung der italienischen Gefangenen aus. Um dem politischen Herrschaftsanspruch auf die Herkunftsterritorien der Kriegsgefangenen – das Trentino und das adriatische Küstenland – auch nach außen hin Nachdruck zu verleihen, sei aus politischen Gründen die an keinerlei Konditionen gebundene, ausnahmslose Überführung aller ‚Italiener‘ höchst opportun. Eine präventive nationale Kategorisierung würde sich hingegen nicht nur als unzweckmäßig und kontraproduktiv erweisen, meinte der Stellvertretende Generalstabschef Carlo Porro unmissverständlich, sondern laufe letztlich auch Gefahr, den italienischen Herrschaftsanspruch auf Land und Leute zu untergraben.104 Die skizzierte Politik der italienischen Regierung in der Kriegsgefangenenfrage änderte sich erst aufgrund des stärker werdenden öffentlichen Drucks im Frühjahr 1916. Die sich zusehends verkomplizierende politische Situation in Russland und die zögerliche Haltung der italienischen Regierungspolitik waren primär dafür verantwortlich, dass sich die Überführung der zum Italien-Transfer bereiten italienischen Gefangenen noch beträchtlich in die Länge zog. Erst im Herbst des Jahres 1916 wurden rund 4.000 Ausreisewillige im nordrussischen Hafen Archangelsk nach und nach eingeschifft und über Skandinavien und
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Großbritannien schließlich nach Italien gebracht.105 Aufgrund der Februarrevolution kamen die Überführungsbemühungen im russischen Krisenjahr 1917 allerdings ins Stocken. Durch den Zusammenbruch der alten politischen Ordnung sowie infolge der chaotischen Situation, die die Oktoberrevolution nach sich zog, gestaltete sich die Arbeit der italienischen Militärmission in Russland immer schwieriger, und die Lebensumstände der Kriegsgefangenen verschlechterten sich immer mehr. Der mutmaßlich negativen Auswirkungen eingedenk, die das revolutionierte russische Umfeld auf die italienischen Kriegsgefangenen in politischer und materieller Hinsicht haben konnte, konkretisierte sich schließlich Ende 1917 der Plan, die in Kirsanow internierten Gefangenen in den fernen Osten zu überführen und über Wladiwostok und das seit 1902 bestehende italienische Konzessionsgebiet im chinesischen Tianjin nach Italien zu repatriieren. Rund 2.600 ‚Kirsanower‘ machten sich in der Folge nach und nach in kleinen Gruppen auf den Weg über West- und Zentralrussland in den fernen Osten, wo bis Februar 1918 rund 2.350 ehemalige Gefangene eingelangt waren. Ein Teil dieses Kontingents von österreichischen Italienern konnte nach einer vielfach abenteuerlichen Reise über Tianjin und Peking nach Italien überführt werden. Andere wiederum wurden gemeinsam mit italienischen Soldaten in die so genannten Battaglioni neri (Schwarzen Bataillone) eingereiht, die sich als italienischer Beitrag im Rahmen des internationalen militärischen Engagements gegen den Bolschewismus verstanden. Im Gesamtkontext des russischen Bürgerkrieges spielten sie allerdings auch aufgrund ihrer personellen Schwäche nur eine marginale militärische Rolle, die sich mehr oder weniger in diversen Sicherheitsdiensten erschöpfte.106 Auf diese Weise blieben die Schwarzen Bataillone ein kurzes Intermezzo im Rahmen des italienischen militärischen Engagements im fernen Osten. Im Frühjahr 1920 konnte mit ihnen auch der letzte Rest nach Italien überführt werden.107 Unabhängig davon, wann und in welcher Form – ob nun über die italienische Militärmission oder auf eigene Faust – die Kriegsgefangenen in ihre Heimat gelangt waren, verhinderte die Politik des staatlichen Umgangs mit den ehemaligen Gefangenen zunächst eine unmittelbare Rückkehr in die heimatlichen Herkunftsorte. In ähnlicher Weise wie die nach Italien evakuierten Trentiner galten auch die Trentiner Kriegsgefangenen als ehemalige k.u.k. Soldaten in politisch-nationaler Hinsicht als unzuverlässig. Die ‚politische Quarantäne‘, mit der alle heimkehrenden Kriegsgefangenen nach ihrer Rückkehr konfrontiert wurden, dauerte für die ehemaligen österreichischen Soldaten deshalb länger als für die etwa aus österreichischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrenden italienischen Soldaten. Die Internierung der Heimkehrer diente vor allem dazu, sich Informationen über die jeweilige politische
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Einstellung zu verschaffen und in Erfahrung zu bringen, ob der Kontakt mit der bolschewistischen Revolution seine mentalen oder ideologischen Spuren hinterlassen hatte. Die skizzierte Behandlung der Heimkehrer nach ihrer Rückkehr sorgte für multiple Enttäuschungen und Frustrationen. Aufgrund der quarantänemäßigen Internierung und des behördlichen Misstrauens war an eine rasche Heimkehr vorerst nicht zu denken. In ähnlicher Weise wie die österreichischen Militärs eine Rückkehr der Trentiner Evakuierten während des Krieges stets zu verhindern gesucht hatten, sprachen sich aufgrund des weit verbreiteten Misstrauens die italienischen Kommanden in analoger Weise vielfach gegen eine rasche Heimkehr der repatriierten Gefangenen aus und interpretierten die damit verbundenen Kriterien meist sehr restriktiv.108 Gleich nach dem Krieg sorgte im Trentino etwa der Fall jener rund 500 ehemaligen k.u.k. Soldaten aus dem Bezirk Primiero für große Aufregung, die, nachdem sie in ihre Heimatdörfer zurückgekehrt waren, am 17. November 1918 auf behördliche Weisung zwangsweise als politisch Unzuverlässige in das süditalienische Isernia verbracht und dort interniert wurden. Erst nach heftigen Protesten der Bevölkerung und politischer bzw. kirchlicher Würdenträger gegen diese als Bestrafung interpretierte und als völlig überzogen erachtete Maßnahme konnten die Betroffenen Ende Januar 1919 wieder nach Hause zurückkehren.109 Das behördliche Misstrauen richtete sich allerdings nicht nur gegen jene Trentiner Soldaten, die bis zum bitteren Ende als k.u.k. Soldaten gedient hatten und deshalb a priori als suspekt erschienen, sondern sparte teilweise auch jene ehemaligen Gefangenen nicht aus, die sich aus nationaler Überzeugung für Italien entschieden und für eine Einreihung in das italienische Heer bemüht hatten. Das Misstrauen, auf das auch die so genannten Irredenti stießen, und die Tatsache, dass nach der Hinrichtung Cesare Battistis (12.7.2016) eine Integration in die italienische Armee als Frontsoldat kaum mehr möglich schien, rief unter den Betroffenen große Enttäuschung hervor. Während sich für die einen der Wunsch nach einer Einreihung in das italienische Heer nicht erfüllte und für die anderen die ersehnte Heimkehr nach Hause vielfach in weite Ferne rückte, stellte sich für die leidgeprüfte Trentiner Bevölkerung insgesamt die Frage nach der Fortentwicklung der Region, die von dem Krieg in ganz besonderer Weise in Mitleidenschaft gezogen worden war: Massive Zerstörungen, Evakuierungen und massenhafte Deportationen charakterisierten die Kriegserfahrung einer nationalen Minderheit, die zwischen die Mühlen zweier Staaten geraten war und deshalb die Fratze des Krieges in ganz besonderer Weise zu spüren bekommen hatte.
Epilog: Krieg und Erinnerung Der Erste Weltkrieg ist auch noch über hundert Jahre nach seinem Ende Teil des kommunikativen Gedächtnisses der Tiroler Gesellschaft. Er verkörpert auch auf regionaler Ebene so etwas wie eine ‚Urkatastrophe‘, die eine Reihe von Entwicklungen mit Folgewirkungen lostrat, die für die Geschichte des Tiroler Raumes prägend waren. Die hohen Verluste an Soldaten, die bereits in den ersten Monaten zu Tausenden auf den Schlachtfeldern an der Ostfront und am Balkan fielen, die bittere Not im Hinterland, die den Kriegsalltag der Menschen an der ‚Heimatfront‘ über Jahre hinweg kennzeichnete, und schließlich auch die in diesem Buch veranschaulichten politischen und gesellschaftlichen Folgen des Krieges, weisen den Ersten Weltkrieg als zentrale Zäsur der neueren Regionalgeschichte aus. Die angesprochene Präsenz des Ersten Weltkrieges im kollektiven Gedächtnis der Tiroler Gesellschaft resultiert dabei aus mehreren Gegebenheiten und Spezifika. Zum einen stellt der Krieg aufgrund der hohen Zahl einberufener Soldaten und – respektive – Gefallener vielfach auch eine familiengeschichtliche Zäsur dar, deren Thematisierung teilweise generationsübergreifend erfolgte, und die im Rahmen familiärer Erzählungen weiter tradiert wurde. Das Interesse an dem im Ersten Weltkrieg etwa gefallenen, verwundeten oder in Kriegsgefangenschaft geratenen Groß- oder Urgroßvater bildet vielfach den Startpunkt für eine intensivere Beschäftigung mit der Geschichte des Krieges im familialen Kontext bzw. vor Ort. Zum anderen spielt die räumliche Nähe der ehemaligen (Gebirgs-)Front – im Trentino und in Süd- bzw. Osttirol spürbar stärker als nördlich des Brenners – eine Rolle; vor allem ihre brachial in die Landschaft ‚eingeschriebene‘ materielle Hinterlassenschaft, die heute im Rahmen gut ausgebauter Freilichtmuseen entlang der ehemaligen Front auch erwandert werden kann.1 Hinzu kommen die auch heute noch auffindbaren Kriegsrelikte, die das schmelzende Eis der alpinen Gebirgsregionen sukzessive als Überreste freigibt. Bis heute steht der Gebirgskrieg deshalb im Mittelpunkt erinnerungskultureller Bezugnahmen. Die anhaltende Faszination für einen Krieg, zu dessen unkonventionellen ‚Schlachtfeldern‘ die hochalpinen Regionen des Alpenraums vom Ortlergebiet über die Dolomiten bis in den Karst erwuchsen, hat demnach nicht nur eine ganze Reihe von Militärs und Historikern beschäftigt, sondern stets auch eine breitere Öffentlichkeit mehr oder weniger intensiv interessiert. Schließlich sind vor allem auch die einschneidenden politischen Folgen des verlorenen Krieges – der Zusammenbruch der Habsburgermonarchie und die Eingliederung Südtirols in den italienischen Staat infolge des Vertrages
© Verlag Ferdinand Schöningh, 2019 | doi:10.30965/9783657702565_009
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von Saint Germain – politische Eck- und Orientierungspunkte, die den Ersten Weltkrieg selbst aus der Perspektive des frühen 21. Jahrhunderts stets als Referenzereignis der politischen Entwicklung Tirols in Erinnerung rufen. Die Festlegung der Brenner-Grenze im Vertrag von Saint-Germain stellte eine Art ‚Schockerlebnis‘ dar, das als ungerecht empfundenes Verdikt der Sieger seither den emotionalen Bezugspunkt für sezessionistische gleichermaßen wie autonomistische Aspirationen bildete. Der bis heute mehr oder minder ins Feld geführte Topos der ‚Unrechtsgrenze‘ stand im Zentrum jener shared emotions, die in hohem Maße kohäsiv wirkten und ein spezifisch Südtiroler Regionalbewusstsein schufen. Die Infragestellung dieser „ruhelose[n] Demarkationslinie“2 gehört heute insbesondere zum Tagesgeschäft sezessionistischer Bewegungen. Sie bespielen das Thema über vielfach für Aufregung sorgende emotionale Inszenierungen und Aktionen, etwa die Anbringung einer Tafel mit der Feststellung „Südtirol ist nicht Italien“ auf dem Brennerpass.
Abb. 20 ‚Aktionismus‘ der Partei ‚Süd-Tiroler Freiheit‘ am Brenner: „Süd-Tirol ist nicht Italien!“ (2007)
Blicken wir zurück: In den ersten Nachkriegsjahren kam es in Tirol zunächst zu keiner intensiveren historischen Auseinandersetzung mit dem verlorenen Krieg. Dafür zeichnete nicht zuletzt auch der mit dem Kriegsende naturgemäß verbundene Wegfall der Mobilisierungs- bzw. Sinnstiftungsfunktion verantwortlich, die während des Krieges das Entstehen kriegsgeschichtlicher
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Arbeiten für ein breiteres Lesepublikum verstärkt hatte. Der allgegenwärtige Frust über den verlorenen Krieg, die enormen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen sowie die Tatsache, dass der Krieg von der breiten Masse der einfachen Soldaten primär als negative Zäsur gedeutet wurde, taten ein Übriges. Berücksichtigt man zudem, dass später vor allem die Offiziersbünde der Krieger-, Regiments- und Veteranenverbände zu wichtigen Trägern der Kriegsgeschichtsschreibung der späten 1920er und 1930er Jahre wurden, spielte auch die im frühen Nachkrieg noch nicht erfolgte Organisation bzw. Vergesellschaftung der Veteranen eine gewisse Rolle. Zunächst stand das Vergessen, nicht das Erinnern im Vordergrund. Von vereinzelten Memoirenwerken einmal abgesehen erfolgte die ‚wissenschaftliche‘ Bearbeitung der Kriegsgeschichte nicht zuletzt deshalb zunächst in Form von militär- und operationsgeschichtlichen Beiträgen fast ausschließlich im Rahmen militärwissenschaftlicher Fachdiskurse unter Offizieren. Die (spärliche) nicht-militärgeschichtliche, vornehmlich politische Thematisierung des Krieges außerhalb des Militärs hingegen verband sich in Tirol vor allem mit dem aufgrund des Vertrages von Saint-Germain neu entstandenen Südtirolproblem und konzentrierte sich deshalb vor allem auf die Erörterung der als ungerecht empfundenen politischen Folgen des Ersten Weltkriegs – auf die Teilung Tirols.3 „Somit wurde der Gebietsverlust und nicht das Kriegsende der Verdichtungspunkt in der offiziellen Erinnerung an den Krieg“, analysiert Laurence Cole treffend.4 Die politische Dimension des Krieges und seiner Folgewirkungen war auch ein Zankapfel der Auseinandersetzung im politischen Diskurs der frühen Republik. Mitte der 1920er Jahre machte sich in Tirol nördlich des Brenners schließlich eine erste Erinnerungswelle rund um die Gedenkinitiativen des Jahres 1924 bemerkbar. Die ‚Zähmung‘ und ‚Erlahmung‘ des zu Kriegsende noch stark vorhandenen, gegen den Krieg und seine Verantwortlichen gerichteten gesellschaftlichen Protestpotentials durch die relativ erfolgreiche Integration der Kriegsheimkehrer und den zu alter Stärke aufgeschlossenen politischen Katholizismus veränderten die Rahmenbedingungen des Erinnerns nachhaltig. Langsam entwickelte sich eine intensivere Erinnerung an die Geschichte des Ersten Weltkrieges, die in erster Linie von ehemaligen Offizieren getragen war.5 In den großteils auf die Tiroler Front konzentrierten Arbeiten der Tiroler Kriegsgeschichtsschreibung nahmen vor allem Offiziere aus den Tiroler Kaiserjäger- bzw. Kaiserschützen-Regimentern eine dominante Rolle ein. Sie entwickelten ab Ende der 1920er Jahre eine in quantitativer Hinsicht beeindruckende Publikationstätigkeit.6 Gerade in den 1930er Jahren wurde der Krieg – in Tirol vor allem der Gebirgskrieg in den Dolomiten – im Rahmen der zahlreich veröffentlichten Kriegs- und Militärromane auch zu einem
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literarischen Thema. Vor allem die später teilweise verfilmten Kriegsromane von Luis Trenker und Fritz Weber prägten die Tiroler Kriegserinnerungskultur. Wie die Beispiele Trenker und Weber untermauern, erstreckte sich das publizistische Engagement ehemaliger Offiziere nicht nur auf die militärhistorische Bearbeitung der Kriegsgeschichte; auch innerhalb der Thematisierung des Krieges im Rahmen lyrischer, literarischer und belletristischer Arbeiten war eine hohe Präsenz von Offizieren zu verzeichnen. Die Verbindung zwischen Militär und Politik war überaus eng. Die Tiroler Landespolitik förderte diesen militärischen Blick auf die Geschichte des Krieges ideell und finanziell. Auf diese Weise setzten sich bald nach Kriegsende jene selektiven Deutungsmuster des Krieges fest, welche die Zwischenkriegszeit und teilweise auch noch die Zeit nach 1945 prägten: Die so genannte ‚Dolchstoß-Legende‘, also die Überzeugung der Militärs, der Zusammenbruch sei primär von Sozialdemokraten, Juden, den nicht-deutschen Nationalitäten und anderen vermeintlich staatsfeindlichen Kräften im Hinterland verursacht worden; die kategorische Zurückweisung jedweder Schuld am Ausbruch des Krieges, der in erster Linie als notwendiger ‚Verteidigungskrieg‘ interpretiert wurde; der Mythos von ‚ImFelde-unbesiegt‘, in dessen Rahmen die militärischen Ursachen der Niederlage kategorisch verneint wurden; und schließlich auch die allgegenwärtige Hervorkehrung von ‚Opferbereitschaft‘ und ‚Heldentum‘, aus der sich nicht zuletzt auch der entstehende Mythos des heroischen Gebirgskriegers speiste, dessen militärische Leistung wie selbstverständlich mit jener der Tiroler von ‚anno neun‘ verlinkt wurde. Dieser verklärte, zunehmend pathetische, vielfach beschönigende und verharmlosende Blick auf den Krieg war auch in Tirol vornehmlich das Werk einer tendenziösen ‚Offiziersgeschichtsschreibung‘, die sich in der Zwischenkriegszeit als öffentlich maßgebliche Meistererzählung über den Krieg etabliert hatte.7 Später fanden auch die Nationalsozialisten, insbesondere in den männlichsoldatischen Tugenden und Werten, auf denen der Gebirgskrieger-Mythos (vor allem mit Blick auf die Standschützen) beruhte, viele Anknüpfungspunkte: in der Idee einer abrufbaren, lebenslangen Verteidigungspflicht, in der Vorstellung einer urwüchsigen Wehrhaftigkeit als männliche Tugend und im Beispiel einer vermeintlich egalitären Verteidigungsgemeinschaft.8 Gerade jene Autoren, die in der Zwischenkriegszeit das Bild des Krieges im Kriegsroman der 1930er Jahre geprägt hatten, näherten sich der nationalsozialistischen Sicht der Kriegsereignisse immer mehr an, wurden in diesem Sinne instrumentalisiert, kooperierten bereitwillig oder gliederten sich teilweise mit großer Überzeugung in die NS-Propagandamaschinerie ein. Innerhalb der Deutungen des Gebirgskrieges in diesen Kriegsromanen erfolgte die Transformation vom Bauern zum ‚deutschen‘ Soldaten mehr oder weniger bruchlos. Aus dem ursprünglichen
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Opfer für die Heimat wurde ein Opfer für Großdeutschland.9 Es war das Bild eines Weltkriegssoldaten geschaffen worden, auf dessen abrufbare Kampfbereitschaft das Regime gegebenenfalls zurückgreifen wollte – in einem neuen Krieg, angeblich für dasselbe Ziel. Die öffentliche Kritik am Krieg und seiner im Laufe der Zeit zunehmend heroischen Interpretation blieb demnach im Tirol der Zwischenkriegszeit eine schier enklavenartige Angelegenheit der politisch isolierten Sozialdemokraten, deren Einfluss allerdings kaum über die Zentren der städtischen Arbeiterbewegung hinausstrahlte.10 Lediglich in der frühen Nachkriegszeit korrespondierte das sozialdemokratische Kriegsgedächtnis zumindest in seiner Grundausrichtung partiell mit jenem der Heimkehrer insgesamt und breiteren Schichten der Tiroler Kriegsgesellschaft, die den Krieg unter dem Eindruck der leidvollen Kriegserfahrungen vornehmlich als Negativerlebnis in Erinnerung riefen. In Anbetracht des noch allzu wachen traumatischen Kriegserlebnisses rief ein allzu heldisch-heroisches öffentliches Gedenken des Krieges durchaus auch breiteren gesellschaftlichen Protest hervor, wie in dieser Arbeit schon aufgezeigt wurde. Militär und Krieg schienen in den ersten Jahren nach 1918 Assoziationen an eine traumatisch erlebte Zeit wachzurufen. Dieser vielfach auch nur latent vorhandene Protest wurde allerdings in jenem Maße schwächer, wie die Reintegration der Heimkehrer erfolgreich voranschritt und sich im Rahmen der Gedenkkultur des Krieges immer stärker ein heroischheldischer Blick auf den Krieg durchsetzen konnte, der das individuelle Kriegstrauma sukzessive überlagerte und schließlich ins Abseits drängte. Unter dem Austrofaschismus erreichte die Verklärung und Idealisierung des Krieges und der Weltkriegssoldaten als seine Protagonisten schließlich einen Höhepunkt.11 Ungleich stärker als in Tirol nördlich des Brenners klafften öffentliche Erinnerungspolitik und gesellschaftliches Kriegsgedächtnis in der Zwischenkriegszeit jedoch in Südtirol auseinander.12 Als ehemalige k.u.k. Soldaten war die Erinnerung an den Krieg in der Südtiroler Nachkriegsgesellschaft nicht mit der Gedächtnispolitik der italienischen Behörden kompatibel, die sich mehr oder weniger auf die Zelebration des Sieges konzentrierte. Auf diese Weise verlagerte sich die Erinnerung an den Krieg nach 1918 auf mikrosoziale Erinnerungs- und Kommemorationsformen, etwa die unspektakuläre Ehrung der lokalen Gefallenen im Rahmen kleinerer Gefallenendenkmäler, die – zum Leidwesen der italienischen bzw. faschistischen Behörden – auch in Südtirol bereits in den ersten Jahren nach dem Krieg errichtet worden waren. Diese Nischen der öffentlichen Kommemoration auf lokaler Ebene in den Übergangsjahren von 1918 bis 1922 schlossen sich infolge der ausgreifenden faschistischen Italianisierungspolitik zusehends. An ihre Stelle trat die
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immer konsequentere und aggressivere symbolische Penetration durch den faschistischen Staat, die gleichwohl – gemessen an ihren Zielen – Stückwerk blieb. Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung war die Errichtung des Siegesdenkmals am Standort des unvollendet gebliebenen ehemaligen Kaiserjägerdenkmals, mit dessen Bau noch im Krieg (1916) begonnen worden war. Das Siegesdenkmal wurde im Rahmen einer pompösen Inszenierung im Juli 1928 eingeweiht und markierte nunmehr auch eine Art Triumph in der symbolischen Kommunikation der Erinnerung des Krieges. Nicht zuletzt bildete es auch den Auftakt für die weitläufige symbolische Inbesitznahme des Landes. In den 1930er Jahren folgte schließlich die Errichtung der Beinhäuser in Gossensaß (1937), Burgeis/Reschen (erbaut von 1939-1941) und Innichen (1939), die im Prinzip bis heute für politischen und gesellschaftlichen Zündstoff sorgen. Erst im Jahr 2011 wurden diese Beinhäuser mit Informationstafeln versehen, die auf die Geschichte und den Kontext ihrer Errichtung bzw. die Instrumentalisierung der Gefallenen eingehen.13 Die Situation im Trentino unterschied sich dagegen grundlegend von jener in Südtirol, auch wenn mit Blick auf das Spannungsverhältnis der gesellschaftlichen Erinnerung an den Krieg durchaus gewisse Ähnlichkeiten bestanden.14 Aus der Perspektive des italienischen Staates handelte es sich bei der italienischsprachigen Trentiner Bevölkerung nicht um eine besetzte, sondern um eine ‚befreite‘ Bevölkerung. Entsprechend triumphal und pompös wurde vor allem in faschistischer Zeit die vermeintliche ‚Heimholung‘ der Trentiner und Triestiner – von ‚Trento e Trieste‘ – als Vollendung des Risorgimento gefeiert. Der Erste Weltkrieg wurde als ‚letzter Risorgimento-Krieg‘ interpretiert. Nichtsdestotrotz sorgte die italienische und insbesondere faschistische Erinnerungspolitik für Spannungen in der regionalen Gesellschaft. Sie resultierten vor allem aus der Tatsache, dass die Positivbezüge des faschistischen Kriegsgedächtnisses fast ausschließlich jene kleine Minderheit betrafen, die sich als volontari oder fuorusciti in das italienische Heer einreihen hatten lassen. So waren es vor allem jene rund 800 Trentiner Freiwilligen im Dienste des italienischen Heeres und die in ihren Reihen Gefallenen, auf die sich die Erinnerungsinitiativen bezogen. Innerhalb dieses ausgreifenden Kults rund um die Trentiner Freiwilligen, zu dessen Verbreitung die Veteranenorganisation Legione Trentina in entscheidender Weise beitrug, kam dem Gedenken an den im Juli 1916 von den Österreichern im Schlossgraben des Trienter Castello del Buonconsiglio gehenkten Cesare Battisti und der ebenfalls hingerichteten Fabio Filzi und Damiano Chiesa eine Schlüsselrolle zu. 1935 wurde auf dem hoch über der Stadt gelegenen Doss Trento ein Mausoleum für Cesare Battisti fertiggestellt; und in ganz Italien wurden Platz- und Straßennamen
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nach den so bezeichneten ‚Märtyrern‘ benannt. Ebenfalls in den 1930er Jahren entstanden die Beinhäuser in Pocol und Castel Dante (Rovereto). Bereits 1926 war das große Beinhaus am Pasubio eingeweiht worden. Die Erinnerung an jene Zehntausenden Trentiner Soldaten, die teilweise bis zum bitteren Ende in den Reihen der k.u.k. Armee gekämpft hatten, und an jene über 12.000 Trentiner Kriegsteilnehmer, die in österreichisch-ungarischer Uniform gefallen waren, wurde in der Öffentlichkeit hingegen mit einem Tabu belegt. Ähnlich wie in Südtirol war sie lediglich auf der Ebene der kleinräumigen, privaten Erinnerung präsent. Abseits der Vittoria-Zelebration und des aggressiven Pomps der nationalen bzw. faschistischen Kriegserinnerung in den Zentren brachte sie speziell im ländlichen Trentino eine ganze Reihe von bescheideneren Denkmalsbauten für einen lokalen Kreis von Kommemoranten hervor.15 Die Ausrichtung der offiziellen Erinnerungspolitik – das ist in dieser Studie veranschaulicht worden – war Teil eines in den ersten Nachkriegsjahren breiter gelagerten Unbehagens, das die Protagonisten des politischen Katholizismus als Speerspitze der ländlichen Trentiner Gesellschaft gegenüber dem neuen Staat hegten. Der offensichtlichen Vereinnahmung der Gefallenen durch den Faschismus begegneten sie durchweg mit gewissen Vorbehalten. Für die Tiroler Geschichtsschreibung zum Ersten Weltkrieg und – etwas allgemeiner gesehen – für die Deutung des Krieges in der Tiroler Bevölkerung stellte das Jahr 1945 zunächst keinen Bruch mit den bereits skizzierten ideologischen und inhaltlichen Deutungskonventionen dar. Die Gründe dafür sind vielfältig: Zum einen verlor die Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg zugunsten des Zweiten Weltkriegs an Attraktivität, zum anderen stießen kriegsgeschichtliche Inhalte in der ersten Nachkriegszeit kaum auf eine interessierte Öffentlichkeit. Dass sich zunächst auch noch nach 1945 keine wissenschaftlich-kritische Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg anbahnte, war schließlich auch die Folge davon, dass in Österreich die in Deutschland heftigst geführten Debatten über die ‚Kriegsschuldfrage‘ kaum wahrgenommen wurden. Vor allem aber verhinderten in Tirol die auch nach 1945 weiterhin ungelöste Südtirolfrage und Italiens undurchsichtige Autonomiepolitik lange eine leidenschaftslose, ressentimentfreie Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg. Der Rückgriff auf wohlbekannte Stereotypen und Klischees stand auch jetzt, wie schon 1918/19, in einem engen Zusammenhang mit dem kontroversiellen politischen Diskurs. Angesichts der Tatsache, dass der Erste Weltkrieg (und vor allem sein Ausgang) vorerst jener omnipräsente ‚historische Ort‘ blieb, auf den die Konzepte der politischen Zukunftsgestaltung des Landes und der gesellschaftlichen Weichenstellungen im Rahmen der Selbstbestimmungs- bzw. Autonomiedebatte respektive des ‚Volkstumskampfes‘ stets rekurrierten, fand eine Historisierung der
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Geschichte dieses Krieges in Tirol erst mit großer Verspätung statt. Die Beschäftigung mit der Weltkriegsgeschichte verlagerte sich zunächst auf die Ebene der Amateur-Geschichtsschreibung und jener der militärischen Verbandspublizistik, deren Interpretationen die altbekannten Deutungen weiterschrieben und mit der Grundausrichtung des konservativ geprägten politischen Geschichtsdiskurses konformgingen. Mit Blick auf die militärische Verbandspublizistik sorgten vor allem die Veteranenvereinigungen, die sich auch zum Anwalt der Gefallenen und ehemaligen Kriegsteilnehmer des Ersten Weltkrieges gemacht hatten, dafür, dass ein kritischer Blick auf beide Weltkriege unterblieb und recht bald die gleichsam zeitlosen soldatischen Tugenden der ‚Pflichterfüllung‘ und eines ‚heldenhaften Kampfes‘ wieder in den Vordergrund gestellt wurden. Insbesondere mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg stand die vermeintliche ‚Opferbereitschaft‘ des Soldaten sowie – im Rahmen einer geschichtsrevisionistischen Grundhaltung – die kategorische Zurückweisung einer Mitverantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen im Zentrum.16 Der Erste Weltkrieg blieb aus der Sicht der Veteranen und in rechtskonservativen Milieus weiterhin in erster Linie ein Verteidigungskrieg gegen den italienischen Nationalismus und Imperialismus. Der heldisch verbrämte Gebirgskrieg stand zusehends auch im Mittelpunkt einer auflagenstarken Amateurgeschichtsschreibung, die sich vor allem seit den 1970er-Jahren entwickelte. Die Begeisterung dieser Autoren für soldatische Werte und Tugenden sowie die Bewunderung für den vermeintlich heldischen Kampf im Gebirge verbanden sich im Rahmen dieser oberflächlichen Interpretation der Kriegsgeschichte mit einer Präferenz für die Geschichte der militärischen Schlachten und einer demonstrativen Verweigerung gegenüber neueren Forschungserkenntnissen. In dem für diese Gattung typischen Mix aus dilettantischem Umgang mit historischen Quellen, inhaltlicher Überforderung, sprachlicher Defizite und der Suche nach seichten, ereignisgeschichtlichen Highlights trugen diese Arbeiten zu einer primär am Verkauf orientierten ‚Verkitschung‘ des Themas bei. Die universitäre Aufarbeitung der Geschichte des Ersten Weltkrieges erfolgte u. a. aus den bereits erwähnten Gründen nur zögerlich.17 Erst Anfang der 1990er Jahre vollzog sich in der universitären Bearbeitung der regionalen Weltkriegsgeschichte ein – durchaus paradigmatischer – Wandel, der sich erstmals noch kaum erforschten Themen zuwandte: dem Verhältnis von Politik, Verwaltung und Militär; der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Krieges; der Geschichte der soldatischen Kriegserfahrungen und der militärischen Verweigerung; der Situation der Trentiner Kriegsflüchtlinge, Internierten und der Tiroler Kriegsgefangenen; der propagandistischen Kriegsführung sowie der Rolle von Kirche
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und Religiosität im Krieg. Auch der Mikrogeschichte des Krieges wurde im Rahmen von wissenschaftlichen Lokalstudien und biographischen Arbeiten Rechnung getragen. Damit war auch auf regionaler Ebene der Schritt hin zu ‚Heimatfront‘-Themen im Rahmen der neuen alltags- und mentalitätsgeschichtlichen und – in einem zweiten Schritt – erfahrungsgeschichtlichen Weltkriegsforschung vollzogen. Auch wenn die theoretisch-methodische und inhaltliche Einbettung der in den letzten drei Jahrzehnten erschienenen Arbeiten zur Tiroler Geschichte des Ersten Weltkriegs in internationale Forschungstrends und -desiderata sehr unterschiedlich erfolgt ist, erscheinen Vielzahl und Dichte der bearbeiteten Themen bemerkenswert. Auch im interregionalen Vergleich kann die Aufarbeitung der Geschichte des Ersten Weltkriegs im Tiroler Raum deshalb als weit fortgeschritten gelten. Früher als im deutschsprachigen Tirol vollzog sich der Wechsel hin zu moderneren Forschungsperspektiven allerdings im Trentino, wo sich schon seit Ende der 1970er Jahre eine Forschungsrichtung etablierte, die sich der Alltags- und Mentalitätsgeschichte des Krieges verpflichtet sah. Das Kriegserlebnis und die Kriegserfahrungen der Trentiner Soldaten sowie der Zivilbevölkerung, die traumatische Geschichte der zwangsweisen Evakuierung und Internierung großer Bevölkerungsteile während des Krieges, das Thema der Erinnerungskulturen des Krieges und auch etwa identitätsgeschichtliche Fragestellungen, die insbesondere die nationalen Konfliktlinien in der regionalen Gesellschaft in den Blick nahmen, markierten Forschungsfelder, die in der deutschsprachigen regionalgeschichtlichen Weltkriegsforschung erst rund zwanzig Jahre später thematisiert wurden. Im Rahmen der sehr früh erfolgten Rezeption von alltagsgeschichtlichen Quellen und Selbstzeugnissen (wie Tagebücher oder Feldpostbriefe) gerieten erstmals auch die Kriegserfahrungen jener Tausender Trentiner Soldaten in den Blickfang der Historiker, die ihren Kriegsdienst in österreichisch-ungarischer Uniform geleistet hatten. Nach der Tabuisierung des Themas in der Zwischenkriegszeit und aufgrund des betont nationalen Blicks im Rahmen der risorgimentalen Tradition der Deutung des Krieges als ‚Befreiung‘ erlangte dieser vergessene Teil der Trentiner Kriegsgeschichte erstmals auch eine interessierte Öffentlichkeit. Aufgrund dieser historiographischen Neuorientierung begann sich die Trentiner Geschichtsschreibung gleichzeitig auch langsam von ihrer dominanten Fokussierung auf die Irredentismusgeschichte zu lösen.18 Nachdem sich die deutschsprachige Tiroler und die italienischsprachige Trentiner Weltkriegsgeschichtsschreibung über lange Zeit hinweg als Parallel-Historiographien entwickelt und deshalb voneinander nur sporadisch Notiz genommen hatten, sind in den letzten zwanzig Jahren, insbesondere auch seit den Initiativen im Rahmen der 100. Wiederkehr des Kriegsausbruches, zumindest verschiedene grenzüberschreitende Kontaktzonen und Foren der
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Zusammenarbeit entstanden. Die Veranstaltung gemeinsamer Tagungen oder Veranstaltungen und die Arbeit an gemeinsamen österreichisch-italienischen Forschungs- bzw. Publikationsprojekten haben spürbar zugenommen und weisen jetzt, ein Jahrhundert nach Kriegsende, den Weg in die Richtung einer zusehends gemeinsamen Aufarbeitung der regionalen Geschichte des Ersten Weltkrieges. Dieses Buch steht in der Tradition dieser Geschichtsschreibung.
Abb. 21 Das unter dem italienischen Faschismus errichtete Siegesdenkmal in Bozen
Welche Bedeutung kommt dem Ersten Weltkrieg und seinem Ende im regionalen kollektiven Gedächtnis heute noch zu? Abseits der familiären Spurensuche und eines lokalgeschichtlichen Interesses variiert die Bedeutung, die der Krieg in der gesellschaftlichen Erinnerung einnimmt, raum- und regionsspezifisch. Während die ‚Urkatastrophe‘ in Nordtirol – von einer mit dem Südtirolproblem aufgewachsenen älteren Generation einmal abgesehen – kaum mehr Teil des kommunikativen Gedächtnisses ist, gestaltet sich die Situation in Südtirol und im Trentino etwas anders. Im Trentino stellt der Erste Weltkrieg aus naheliegenden politischen Gründen und aufgrund der Tatsache,
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dass das Land Frontgebiet war, weiterhin ein zentrales zeithistorisches Ereignis dar, das auf ein zwar mittlerweile etwas verblasstes, aber doch noch ungebrochenes historiographisches und öffentliches Interesse stößt. Generationen von Heranwachsenden sind im Trentino mit den Erzählungen über die katastrophalen Auswirkungen des Ersten Weltkrieges auf das Land, die politischen Folgen des Krieges und – wie könnte es anders sein – das Schicksal der martiri trentini, allen voran Cesare Battistis, groß geworden. Auch in Südtirol ist der Erste Weltkrieg im politischen und gesellschaftlichen Diskurs überaus präsent. Die von Zeit zu Zeit aufflackernde Thematisierung der Geschichte des Krieges orientiert sich dabei vor allem an den politischen Auseinandersetzungen rund um die faschistischen Denkmäler und Ossarien, die im Diskurs der italienischen politischen Rechten quasi als Referenzpunkte der eigenen (italienischen) Identität gedeutet werden, während sie im deutschen rechten Lager als anhaltende inakzeptable Provokation gelten. In dieser politischen Polarisierung zwischen einem schier zivilreligiösen Blick auf die vermeintlichen steinernen Zeugen der Italianità und der wiederholten Forderung nach Denkmalsturz hat sich der Großteil der Südtiroler Bevölkerung an die politische Dauermobilisierung in Denkmalsfragen gewöhnt und einen passiven, recht pragmatischen Umgang damit gefunden. Nichtsdestotrotz ist die Historisierung der auf den Ersten Weltkrieg Bezug nehmenden faschistischen Denkmäler noch lange nicht abgeschlossen. Das hat vor allem auch die Debatte rund um die Umbenennung des Bozener Siegesplatzes in Friedensplatz im Jahr 2002 gezeigt, als sich eine Mehrheit – nach einer polarisierenden politischen Dauer-Mobilisierung – für die Beibehaltung der Siegesplatz-Bezeichnung aussprach. Als Folge des so genannten BondiBriefes vom 25. Januar 2011, mit dem der italienische Kulturminister Sandro Bondi ankündigte, die Entscheidung über die Entschärfung der faschistischen Denkmalslandschaft in die Kompetenz der Provinz Bozen zu überweisen, wurden an den drei Südtiroler Beinhäusern Informationstafeln angebracht und der Beschluss gefasst, am Siegesdenkmal ein Dokumentationszentrum einzurichten, das schließlich 2014 eröffnet werden konnte. Gemeinsam mit einer Fülle von in den letzten Jahren erschienenen wissenschaftlichen und divulgativen Publikationen haben diese erinnerungskulturellen Initiativen zweifellos dazu beigetragen, ein differenzierteres und ‚objektiveres‘ Bild der regionalen Geschichte des Ersten Weltkrieges und der entscheidenden ersten Nachkriegsjahre zu zeichnen. Nichtsdestotrotz ist die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg und seine Folgen in Tirol nach wie vor eine Art politisches und gesellschaftliches Reizthema, das ganz unterschiedliche Sichtweisen, Interpretationen und Einschätzungen zutage fördert, die wohl auch in Zukunft verschiedene Erinnerungskulturen des Krieges prägen werden.
Anmerkungen 1. Dem Ende entgegen: Das letzte Kriegsjahr 1 Zur Jahreswende, in: Brixener Chronik, 1.1.1918, S. 1. 2 Ebd. 3 Ebd. 4 Vgl. zur Geschichte der 12. Isonzoschlacht für viele andere Darstellungen: Manfried Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers, Graz u. a. 1997, S. 499-510. 5 So der Reichsratsabgeordnete Emil Kraft, Morgendämmerung, in: Meraner Zeitung, 2.1.1918, S. 1. 6 Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Kriegsarchiv (KA), Militärgerichtsarchiv (MGA), Gericht des Militärkommandos Innsbruck, K 2418/15 (Kt. 9639), Strafakt Josef Klotz. 7 Vgl. zum Januarstreik: David Schnaiter, Zwischen Russischer Revolution und Erster Republik. Die Tiroler Arbeiterbewegung gegen Ende des „Großen Krieges“, Dipl. Innsbruck 1999. 8 Vgl. Angelika Mayr, Arbeit im Krieg. Die sozioökonomische Lage der Arbeiterschaft in Tirol im Ersten Weltkrieg, Innsbruck 2010, S. 310-319; Matthias Rettenwander, Stilles Heldentum? Wirtschafts- und Sozialgeschichte Tirols im Ersten Weltkrieg, Innsbruck 1997, S. 225-262. 9 Vgl. Rauchensteiner, Tod, S. 391-404. 10 Vgl. Oswald Überegger, Der andere Krieg. Die Tiroler Militärgerichtsbarkeit im Ersten Weltkrieg, Innsbruck 1997, S. 109-118. 11 Vgl. Oswald Überegger, Der „Intervento“ als regionales Bedrohungsszenario. Der italienische Kriegseintritt von 1915 und seine Folgen in der Erfahrung, Wahrnehmung und Deutung der Tiroler Kriegsgesellschaft, in: Gian Enrico Rusconi/Johannes Hürter (Hg.), Der Kriegseintritt Italiens im Mai 1915, München 2007, S. 117-131. 12 ÖStA, KA, MGA, K 2514/16 (Kt. 8064), Strafakt Josef Armstorfer. 13 Ebd., K 4979/16 (Kt. 9645), Strafakt Johann Sieberer. 14 Archivio di Stato, Trento (AST), Processi di guerra, 1914-1918, K 718/15 (8), Strafakt Josef Dellai (Italienischer Originaltext: „Questa guerra non ha uno scopo politico, ma viene fatta per ammazzare il popolo“). 15 Richard Lipp, Reutte von 1918 bis 1938. Schicksalsjahre zwischen den Weltkriegen, Reutte 2013, S. 25. 16 Helmut Alexander/Horst Schreiber, 100 Jahre Stadt Schwaz 1899-1999, in: Stadtgemeinde Schwaz (Hg.), Schwaz. Der Weg einer Stadt, Innsbruck 1999, S. 11-295, hier 37, bzw. Rettenwander, Stilles Heldentum, S. 220. 17 Ebd. 18 Vgl. ebd., S. 215. 19 Vgl. Dorothea Egarter, Nord- und Südtirol nach dem Ersten Weltkrieg 1918 bis 1922. Die regionale sozioökonomische Entwicklung im Strukturvergleich, Dipl. Innsbruck 2004, S. 128. 20 Vgl. zu diesen Entwicklungen ausführlich und im Detail: Rettenwander, Stilles Heldentum. 21 Polizeikommissär Rudolf Muck, Trient, an Statthalterei-Präsidium Innsbruck, 28.7.1918 (Nr. 7408/1), in: Oswald Überegger (Hg.), Heimatfronten. Dokumente zur Erfahrungsgeschichte der Tiroler Kriegsgesellschaft im Ersten Weltkrieg, Bd. 2, Innsbruck 2006, S. 10161022, hier 1019.
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Anmerkungen Kapitel 1
22 Rettenwander, Stilles Heldentum, S. 246. 23 Alexander/Schreiber, Schwaz, S. 35. 24 Ebd., S. 386; Mayr, Arbeit, S. 156. 25 Vgl. beispielsweise in Reutte: Lipp, Reutte, S. 25. 26 Vgl. Alexander/Schreiber, Schwaz, S. 32. 27 Franco de Battaglia, Da una cultura di popolo a una cultura popolare, in: Andrea Leonardi/ Paolo Pombeni (Hg.), Storia del Trentino, Bd. VI: L’età contemporanea. Il Novecento, Bologna 2005, S. 693-724, hier 696. 28 Vgl. Helmut Rumpler/Anatol Schmied-Kowarzik (Bearb.), Die Habsburgermonarchie 1848-1918, Bd. XI: Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg, 2. Teilband, Weltkriegsstatistik Österreich-Ungarn 1914-1918. Bevölkerungsbewegung, Kriegstote, Kriegswirtschaft, Wien 2014, S. 190. 29 Vgl. Rettenwander, Stilles Heldentum, S. 260. 30 Rudolf Palme, Wirtschafts- und Sozialgeschichte Tirols nördlich und südlich des Brenners von 1918 bis 1920, in: Casimira Grandi (Hg.), Tirolo–Alto Adige–Trentino 1918-1920, Trento 1996, S. 381-419, hier 404. 31 Vgl. dazu ausführlicher: Überegger, Intervento, S. 124f. 32 Zit. bei: Mayr, Arbeit, S. 315. 33 Vgl. zur Situation in Vorarlberg vor allem: Ingrid Böhler/Norbert Schnetzer, Hunger im Ländle. Das lange Ende des Ersten Weltkriegs in Vorarlberg 1918-1920/21, in: zeitgeschichte 26 (1999), S. 71-89. 34 Vgl. detaillierter: Rettenwander, Stilles Heldentum, S. 386. 35 Vgl. Regina Knitel, Krieg und Gesundheit. Tirol im Ersten Weltkrieg, Dipl. Innsbruck 1997, S. 106. 36 Johann Schett, Lahnberg, an k.k. Bezirkshauptmannschafts-Wirtschaftsamt, Lienz, 12.7.1918, zit. bei: Überegger, Heimatfronten, Bd. 2, S. 645f. 37 Vgl. Mayr, Arbeit, S. 319f. 38 Vgl. Rettenwander, Stilles Heldentum, S. 296-306. 39 Vgl. Mayr, Arbeit, S. 329-331. 40 Bericht Exelis, 10.5.1918, abgedruckt bei: Überegger, Heimatfronten, Bd. 1, S. 144-148. 41 Ebd., S. 148. 42 Vgl. Othmar Kiem, Ethnozentrismus und Demokratie in Südtirol 1918-1922, Dipl. Wien 1987, S. 25f. 43 Vgl. als sehr konventionell angelegten Überblick über die Entwicklung der nationalen Identität im Trentino auch die Anmerkungen von Elena Tonezzer, I trentini in Austria. La costruzione di un’identità nazionale, in: Contemporanea XII (2009) 3, S. 471-493. 44 Vgl. Gerd Pircher, Militär, Verwaltung und Politik in Tirol im Ersten Weltkrieg, Innsbruck 1995, S. 128f. 45 Vgl. Rettenwander, Stilles Heldentum, S. 352. 46 Vgl. dazu jetzt auch pointiert: Pieter M. Judson, „Where our commonality is necessary …“: Rethinking the End of the Habsburg Monarchy, in: Austrian History Yearbook 48 (2017), S. 1-21. 47 So Oberst v. Lerch in einem Memorandum des 17. Korpskommandos, zit. bei: Überegger, Krieg, S. 266. 48 Vgl. dazu: Elena Tonezzer/Stefan Wedrac, Die Italiener des Österreichischen Küstenlandes, Dalmatiens und des Trentino, in: Helmut Rumpler (Hg.), Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg, Bd. XI, Teilband 1/2: Vom Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn zum neuen Europa der Nationalstaaten, S. 919-964, hier 934-941; Quinto Antonelli, I
Anmerkungen Kapitel 1
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dimenticati della Grande Guerra. La memoria dei combattenti trentini (1914-1920), Trento 2008, S. 21-26. 49 Vgl. Pircher, Militär, S. 124f. 50 Gianluigi Fait, Scritture di guerra, Heft 1, Rovereto 1994, S. 194. (Italienischer Originaltext: „L’Italia fu la rovina per noi, eravamo maltratati come bestie […].“) 51 Pircher, Militär, S. 81. 52 Zit. nach: Rauchensteiner, Tod, S. 237. 53 ÖStA, KA, Nachlass Dankl, B/3-5/1, Tagebucheintrag, 4.8.1914. 54 Ebd., Eintrag, 9.6.1915. 55 Vgl. dazu die Beiträge von Richard Lein und Andrea Di Michele, in: Oswald Überegger (Hg.), Minderheiten-Soldaten. Ethnizität und Identität in den Armeen des Ersten Weltkriegs, Paderborn u. a. 2018, S. 25-44 bzw. 45-68. 56 Matthias Ladurner Parthanes, Kriegstagebuch eines Kaiserjägers, Bozen 1996, S. 183. 57 Vgl dazu die umfassende Denkschrift des Kommandos der Südwestfront über „Abwehrmaßnahmen gegen den Irredentismus in Südtirol“ vom Februar 1916, in: Überegger, Heimatfronten, Bd. 2, S. 855-879. 58 Tiroler Landesarchiv (TLA), Statth.-Präs. 1912, 2575–XII 76c2, Promemoria über die politische Lage im italienischen Landesteile Tirols, 29.9.1912. 59 TLA, Statth.-Präs. 1914, 1706–XII 76e, Wildauer an Statth.-Präs., 29.5.1914. 60 Vgl. Pircher, Militär, S. 146. 61 Es handelt sich um Villalagarina, Pomarolo, Chiusole, Savignano, Piazzo und Cesoino. Vgl. Diego Leoni/Camillo Zadra, Classi popolari e questione nazionale al tempo della prima guerra mondiale: spunti di ricerca nell’area trentina, in: Materiali di lavoro, 1 (1983), S. 5-26. 62 Vgl. dazu in einem übergeordneten Kontext: Tara Zahra, Imagined Noncommunities: National Indifference as a Category of Analysis, in: Slavic Review 69 (2010) 1, S. 93-119. 63 Vgl. Alessio Quercioli, I volontari trentini nell’Esercito italiano 1915-1918, in: Museo Storico Italiano della Guerra, Rovereto (Hg.), La scelta della Patria. Giovani volontari nella Grande Guerra, Rovereto 2006, S. 21-46. 64 Vgl. dazu eindringlich: Paolo Bari, La patria e il nemico per i soldati trentini nella I Guerra Mondiale, in: Archivio Trentino di storia contemporanea (1991), S. 67-90. 65 Vgl. Fabrizio Rasera/Camillo Zadra, Patrie lontane. La coscienza nazionale negli scritti dei soldati trentini (1914-18), in: Gianluigi Fait (Hg.), Sui campi di Galizia (1914-1917). Gli Italiani d’Austria e il fronte orientale: uomini, popoli, culture nella guerra europea, Rovereto 1997, S. 317-358. 66 Vgl. dazu: Quinto Antonelli, Kriegserfahrungen: Trentiner Soldaten, in: Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger, Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, Innsbruck 2014, S. 401-419; bzw. auch: Federico Mazzini, „Cose de l’altro mondo“. Una cultura di guerra attraverso la scrittura popolare trentina 1914-1918, Pisa 2013, S. 139-153. 67 Vgl. dazu auch: Judson, Rethinking, S. 5. 68 Zit. bei: Überegger, Heimatfronten, Bd. 2, S. 1056-1059, hier 1057. 69 Zit. bei: Ebd., S. 1016-1022, hier 1019. 70 Vgl. dazu allgemein: Judson, Rethinking, S. 5. 71 Rudolf Jeřábek, Militärisches Potential und Kriegsverlauf 1914-1918, in: Helmut Rumpler (Hg.), Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg, Bd. XI, 1. Teilband: Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg, Wien 2016, S. 209-283, hier 275. 72 Rauchensteiner, Tod, S. 579 bzw. 580.
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Anmerkungen Kapitel 1
73 Vgl. zur Juni-Offensive insgesamt und speziell zu den Verlusten: Peter Fiala, Die letzte Offensive Altösterreichs. Führungsprobleme und Führerverantwortlichkeit bei der öst.ung. Offensive in Venetien, Juni 1918, Boppard 1967, hier S. 121. 74 Vgl. Fiala, Offensive, S. 129; Günther Kronenbitter, Die k.u.k. Armee an der Südwestfront, in: Nicola Labanca/Oswald Überegger (Hg.), Krieg in den Alpen. Österreich-Ungarn und Italien im Ersten Weltkrieg (1914-1918), Wien u. a. 2015, S. 105-127, hier 125-127. 75 Vgl. Lutz Musner, Soldatenalltag im Krieg, in: Helmut Rumpler (Hg.), Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg, Bd. XI, 1. Teilband: Vom Balkankonflikt zum Weltkrieg, Wien 2016, S. 299-329, hier 307. 76 Vgl. Jeřábek, Potential, S. 279. 77 Vgl. ebd., S. 269. 78 Vgl. auch Christa Hämmerle, Opferhelden? Zur Geschichte der k.u.k. Soldaten an der Südwestfront, in: Labanca/Überegger, Krieg, S. 155-180, hier 173-180. 79 Benno Siglär, Tagebuch, Fucine di Ossanna 2010, S. 79. 80 Carla Cordin (Hg.), Ettore Cordin: Das Tagebuch eines k.u.k. Soldaten im Ersten Weltkrieg. Edition und Analyse, Frankfurt a. M. 2012, S. 235. 81 Fridolin Tschugmell, „Während der Messe sangen die Granaten“. Kriegstagebuch 1915-1918 Dolomiten/Südtirol, Schaan 2004, S. 187. 82 Vgl. ausführlich: Überegger, Krieg, S. 363-366. 83 Bericht des Statthalters an den Minister des Innern, 28.6.1918, abgedruckt bei: Überegger, Heimatfronten, Bd. 1, S. 225-228, hier 228. 84 Zit. bei: Überegger, Krieg, S. 403. 85 Vgl. zu den italienischen Soldaten etwa die Anmerkungen von Federico Mazzini, Kriegserfahrungen. Italienische Soldaten an der italienisch-österreichischen Front, in: Labanca/ Überegger, Krieg, S. 129-153. 86 Zit. bei: Überegger, Krieg, S. 244. 87 Ebd. 88 Vgl. Giorgio Rochat, Il Comando supremo di Diaz, in: Giampietro Berti/Piero Del Negro (Hg.), Al di qua e al di là del Piave. L’ultimo anno della Grande Guerra, Milano 2001, S. 261-273. 89 Nicola Labanca, Caporetto. Storia di una disfatta, 1997, S. 68f. 90 Vgl. Fortunato Minniti, Generalstabschef Luigi Cadorna und die italienische Kriegführung, in: Labanca/Überegger, Krieg, S. 69-104, hier 92 bzw. 95. 91 Labanca, Caporetto, S. 70. 92 Jeřábek, Potential, S. 277f. 93 Marco Mondini, La guerra italiana. Partire, raccontare, tornare 1914-18, Bologna 2014, S. 276. 94 Vgl. Jeřábek, Potential, S. 280-283; Rauchensteiner, Tod, S. 613-616; Alexander Jordan, Krieg um die Alpen. Der Erste Weltkrieg im Alpenraum und der bayerische Grenzschutz in Tirol, Berlin 2008, S. 406-415. 95 Zit. bei: Paolo Pozzato, Il fronte del Tirolo meridionale nella guerra europea 1914-1918, Rovereto 2014, S. 233. 96 Vgl. Wolfgang Etschmann, Die Südfront 1915-1918, in: Klaus Eisterer/Rolf Steininger (Hg.), Tirol und der Erste Weltkrieg, Innsbruck 1995, S. 27-60, hier 53; Rauchensteiner, Tod, S. 622.
Anmerkungen Kapitel 2
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2. (K)eine Revolution? Der November 1918 in der Provinz 1 Karl von Grabmayr, Erinnerungen eines Tiroler Politikers: 1892-1920, Innsbruck 1955, S. 191. 2 Vgl. dazu ausführlicher: Birgit Kirchmayr/Marcus Gräser, Editorial, in: zeitgeschichte 41 (2014) 6, S. 357f.; Gerhard Botz, Die „Österreichische Revolution“ 1918/19. Zu Kontexten und Problematik einer alten Meistererzählung der Zeitgeschichte in Österreich, in: ebd., S. 359-370. 3 Karin Maria Schmidlechner, Die neue Frau? Zur sozioökonomischen Situation und kulturellen Lage, in: Helmut Konrad/Wolfgang Maderthaner (Hg.), … der Rest ist Österreich. Das Werden der Ersten Republik, Bd. 1, Wien 2008, S. 87-102. 4 Vgl. dazu für Deutschland die Ausführungen von Alexander Gallus, Die vergessene Revolution von 1918/19 – Erinnerung und Deutung im Wandel, in: ders. (Hg.), Die vergessene Revolution von 1918/19, Göttingen 2010, S. 14-38. 5 Vgl. zum Revolutionsbegriff die zusammenfassenden Bemerkungen von Klaus Weinhauer/ Anthony McElligott/Kirsten Heinsohn, Introduction. In Search of the German Revolution, in: dies. (Hg.), Germany 1916-23. A Revolution in Context, Bielefeld 2015, S. 7-35. 6 Vgl. Ernst Bruckmüller, Sozialgeschichte Österreichs, Wien 2001, S. 370. 7 Vgl. dazu die m. E. auch für Österreich geltenden Ausführungen von Michael Geyer, Zwischen Krieg und Nachkrieg – die deutsche Revolution 1918/19 im Zeichen blockierter Transnationalität, in: Gallus, Revolution, S. 187-222, hier 207f. 8 Vgl. Norbert Leser, Gab es 1918 eine österreichische Revolution?, in: Wilhelm Brauneder (Hg.), Staatsgründungen 1918, Frankfurt a. M. u. a. 1999, S. 9-25, hier 19. 9 Zit. bei: Oswald Überegger, Erinnerungskriege. Der Erste Weltkrieg, Österreich und die Tiroler Kriegserinnerung in der Zwischenkriegszeit, Innsbruck 2011, S. 51. 10 So etwa der Wortlaut der Heimatwehrführung, zit. bei: Elisabeth Dietrich, Feindbilder und Ausgrenzung als Fermente der politischen Radikalisierung in Tirol zwischen 1918 und 1923, in: Helmut Konrad (Hg.), Revolutionäres Potential in Europa am Ende des Ersten Weltkrieges. Die Rolle von Strukturen, Konjunkturen und Massenbewegungen, Wien u. a. 1991, S. 155-171, hier 155. 11 Vgl. Hildegard Haas, Das Südtirolproblem in Nordtirol von 1918-1938, Diss. Innsbruck 1984, S. 7f. 12 Karl Pribram folgend. Gerhard Botz, Gewalt in der Politik. Attentate, Zusammenstöße, Putschversuche, Unruhen in Österreich 1918 bis 1938, München 19832, S. 23f.; vgl. auch Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 2005, S. 275. 13 Tschugmell, Messe, S. 206-210. 14 Isabelle Brandauer, „Der Krieg kennt kein Erbarmen.“ Die Tagebücher des Kaiserschützen Erich Mayr (1913-1920), Innsbruck 2013, S. 400f. 15 Silvino Pilati, Pagine sparse. Dolori e persecuzioni (Dal diario di un profugo), Riva del Garda 1919, S. 39. (Eigene Übersetzung aus dem Italienischen.) 16 Margreth Runggaldier-Mahlknecht (Hg.), Wenn doch endlich Frieden wäre! Aus dem Tagebuch der Filomena Prinoth-Moroder. Gröden 1914-1920, Bozen u. a. 2015, S. 164. 17 Vgl. dazu schon ausführlich: Ludwig Jedlicka, Der Waffenstillstand von Villa Giusti in der österreichischen Geschichtsschreibung, in: Adam Wandruszka/Ludwig Jedlicka (Hg.), Innsbruck–Venedig. Österreichisch-italienische Historikertreffen 1971 und 1972, Wien 1975, S. 83-99; auch: Johann Rainer, Der Waffenstillstand von Villa Giusti am 3. November 1918, in: Heinz von Lichem, Karl I. Ein Kaiser sucht den Frieden, Innsbruck u. a. 1996, S. 2-12.
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Anmerkungen Kapitel 2
18 Vgl. zu den Bedingungen: Rauchensteiner, Tod, S. 617f.; Rainer, Waffenstillstand, S. 4. 19 Vgl. zum genauen Ablauf vor allem: Bruno Wagner, Der Waffenstillstand von Villa Giusti, 3. November 1918, Diss. Wien 1970. 20 Vgl. Jordan, Krieg, S. 418. 21 Ladurner-Parthanes, Kriegstagebuch, S. 204-208. 22 Ebd., S. 209. 23 Günther Messner, Landeshauptmann Dr. Franz Stumpf und seine Sicherheitsdoktrin, Diss. Innsbruck 2014, S. 30. 24 Assessorat für Schule und Kultur der Stadtgemeinde Sterzing (Hg.), Sterzing im 1. Weltkrieg. Eine zeitgenössische Chronik von Schulleiter Josef Noggler, Sterzing 1992, S. 33. 25 Pfarr- und Dekanatsarchiv Stilfes, Pfarrchronik von Stilfes, Eintrag, S. 71. 26 Vgl. den Bericht des Amtsverwalters der Stadt Trient, 31.1.1919, abgedruckt in: Überegger, Heimatfronten, Bd. 2, S. 1060-1069, hier 1066. 27 Messner, Landeshauptmann, S. 32. 28 Vgl. Etschmann, Südfront, S. 57. 29 Haas, Südtirolproblem, S. 10. 30 Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum, Sitzungsberichte, Protokolle und Beschlüsse des Tiroler Nationalrates vom 31. Oktober bis 12. Dezember 1918, S. 36. 31 Verena Lösch, Die Geschichte der Tiroler Heimatwehr, Diss. Innsbruck 1987, S. 6f. 32 Rainer Hofmann/Horst Schreiber, Sozialdemokratie in Tirol. Die Anfänge, Krailling 2003, S. 34. 33 Vgl. Wolfgang Rebitsch, Tirol – Land in Waffen, S. 27. 34 Lösch, Geschichte, S. 7. 35 So der bayrische Soldat Michel Leonhard, zit. bei: Jordan, Krieg, S. 506. 36 Vgl. Rolf Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert. Vom Leben und Überleben einer Minderheit, Innsbruck 1997, S. 15f. 37 Rebitsch, Tirol, S. 24. 38 Messner, Landeshauptmann, S. 33. 39 Josef Riedmann, Geschichte des Landes Tirol, Wien 1988, S. 794. 40 Zit. bei: Geyer, Krieg, S. 195. 41 Runggaldier-Mahlknecht, Frieden, S. 160. 42 Vgl. Lipp, Reutte, S. 12f. 43 Vgl. allgemein: Hermann J. W. Kuprian, Der Tiroler Separatismus in der Ersten Republik, in: Gerhard Michael Dienes (Hg.), 1918/1919 – die Bundesländer und die Republik, Graz 1994, S. 49-66. 44 Dietmar Hagen, Die Vorarlberger Anschlussbewegung an die Schweiz nach dem Ersten Weltkrieg – eine politische und ökonomische Analyse, Dipl. Wien 2003, S. 31. 45 Vgl. Stefan Lechner, Die Eroberung der Fremdstämmigen. Provinzfaschismus in Südtirol 1921-1926, Innsbruck 2005, S. 21. 46 Vgl. Richard Schober, Vom Kronland zum Bundesland Tirol. Politische und administrative Probleme der ersten Nachkriegszeit, in: Casimira Grandi (Hg.), Tirolo – Alto Adige – Trentino 1918-1920, Trento 1996, S. 279-297, hier 279f. 47 Hermann J. W. Kuprian, Zwischen Wissenschaft und Politik. Die politische Entwicklung Michael Mayrs von 1907 bis 1922, Diss. Innsbruck 1985, S. 323f. 48 Richard Schober, Die Tiroler Frage auf der Friedenskonferenz von Saint Germain, Innsbruck 1982, S. 213f. 49 Werner Dreier, Vorarlberg im Herbst 1918. Zwischen Monarchie und Revolution, der Schweiz und dem Deutschen Reich, in: Gerhard Michael Dienes (Hg.), 1918/19 – die Bundesländer und die Republik, Graz 1994, S. 35-48, hier 45.
Anmerkungen Kapitel 2
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50 Vgl. Schober, Tiroler Frage, S. 207f. 51 Martin Kofler, Osttirol. Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, Innsbruck u. a. 2005, S. 33. 52 Lipp, Reutte, S. 20f. 53 Vgl. BArch Bern, E 2200.53 1000/1763, BD:1, 1922, Vorarlberg und Tirol, Legation de Suisse en Italie, Diverses Rectifications de Frontière. Rapport politique des Affaires Etrangères du 25 mars. 54 Vgl. Haas, Südtirolproblem, S. 10f. 55 Dreier, Vorarlberg, S. 35f. 56 Vgl. Karl Stuhlpfarrer, Südtirol 1919, in: Saint-Germain 1919. Protokoll des Symposiums am 29. und 30. Mai 1979 in Wien, Wien 1989, S. 54-77, hier 55. 57 Mariapia Bigaran/Maurizio Cau (Hg.), Alcide De Gasperi. Scritti e discorsi politici. Edizione critica. Bd. II: Alcide De Gasperi dal partito popolare italiano all’esilio interno 19191942, Tomo 1, Bologna 2007, S. 22. 58 Vgl. Fabrizio Rasera, Dal regime provvisorio al regime fascista (1919-1937), in: Andrea Leonardi/Paolo Pombeni (Hg.), Storia del Trentino, Bd. VI: L’età contemporanea. Il Novecento, Bologna 2005, S. 75-130, hier 80. 59 Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum, Sitzungsberichte, Protokolle und Beschlüsse des Tiroler Nationalrates vom 31. Oktober bis 12. Dezember 1918, S. 17f. 60 Zit. bei: Jordan, Krieg, S. 491. 61 Vgl. dazu grundlegend: Hermann J. W. Kuprian, „Wer hat die Italiener nach Nordtirol geholt?“ Kontroversen um die „Tiroler Außenpolitik“ zu Beginn der Ersten Republik, in: Sabine Weiss (Hg.), Historische Blickpunkte. Festschrift für Johann Rainer, Innsbruck 1988, S. 355-372. 62 Vgl. Hagen, Anschlussbewegung, S. 17f. 63 Vgl. Schober, Tiroler Frage, S. 161-164. 64 Vgl. Kuprian, Italiener, S. 365-367. 65 Vgl. ebd. 66 Vgl. ebd. 67 „Chronologische Bemerkungen für Kuens“ (Pfarrchronik von Kuens), S. 113. 68 Assessorat für Schule und Kultur der Stadtgemeinde Sterzing (Hg.), Sterzing, S. 35. 69 Runggaldier-Mahlknecht, Frieden, S. 165. 70 Museo Storico Italiano della Guerra, Rovereto (MSIG), Fondo Tullio Marchetti, b. 10, 2.5.1, I° Armata Ufficio I.T.O. Notiziario Ufficiale Sezione A. Dal 18 novembre 1918 al 30 giugno 1919, Bericht des Comando 1° Armata, 29.11.1918. 71 Vgl. dazu die zahlreichen Belege bei: Martha Verdorfer, Zweierlei Faschismus. Alltagserfahrungen in Südtirol 1918-1945, Wien 1990, S. 30-38. 72 Vgl. Lechner, Eroberung, S. 28f. 73 M SIG, Fondo Tullio Marchetti, b. 10, 2.5.1, Ia Armata Ufficio I.T.O. Notiziario Ufficiale Sezione A. Dal 18 novembre 1918 al 30 giugno 1919, Bericht des Comando 1° Armata, 18.11.1918. 74 Zit. bei: Hartwig Falkensteiner, Die italienische Südtirolpolitik von 1918 bis 1922, Dipl. Innsbruck 1995, S. 14. 75 Pfarr- und Dekanatsarchiv Stilfes, Pfarrchronik, S. 74. 76 Martin Lahner, Der Feind in der Heimat: Erfahrungen der Nordtiroler Zivilbevölkerung mit der italienischen Besetzung (1918-1920), Dipl. Innsbruck 2012, S. 60-64. 77 Vgl. zur Chronologie: Steininger, Südtirol, S. 15f. 78 Vgl. Kofler, Osttirol, S. 33.
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Anmerkungen Kapitel 2
79 Vgl. Lahner, Feind, S. 32. 80 Vgl. ebd., S. 77f. 81 So das bayerische Kriegsministerium in einem Telegramm an den Reichskanzler, zit. bei: Jordan, Krieg, S. 488. 82 So Landeshauptmann Schraffl, zit. bei: Jordan, Krieg, S. 492. 83 Ebd., S. 493. 84 So das Generalkommando des II. Bayerischen Armeekommandos, zit. bei: ebd., S. 499. 85 Der Originaltext ist als Online-Quelle abrufbar: https://wwi.lib.byu.edu/index.php/ President_Wilson%27s_Fourteen_Points (eingesehen am 21.05.2019). 86 Vgl. dazu und zum Folgenden zusammenfassend: Andrea Di Michele, Besatzungszeit, in: Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger (Hg.), Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, Innsbruck 2014, S. 529-546. 87 Andrea Di Michele, Diesseits und jenseits der Alpen. Italienische Expansionspläne in Tirol (1918-1920), in: Geschichte und Region/Storia e regione 19 (2010) 1, S. 145-171, hier 150. 88 Falkensteiner, Südtirolpolitik, S. 24. 89 M SIG, Fondo Tullio Marchetti, b. 10, 2.5.1., 1° Armata. Ufficio I.T.O Notiziario Ufficiale Sezione A. Dal 18 novembre 1918 al 30 giugno 1919, Notiziario Nr. 18, 29.12.1918. („[…] passato il primo entusiasmo, e la viva fede nella nostra venuta liberatrice, dopo oltre un mese e mezzo di benevola aspettativa dallo stato di quanto sinora si è fatto, è scoraggiata e sordamente malcontenta.“) 90 Zit. bei: Andrea Di Michele, L’Italia in Austria: Da Vienna a Trento, in: Raoul Pupo (Hg.), La vittoria senza pace. Le occupazioni militari italiane alla fine della Grande Guerra, Bari 2014, S. 3-72, hier 35. 91 Vgl. Di Michele, Alpen, S. 147f. 92 Vgl. Di Michele, L’Italia in Austria, S. 7f. 93 Vgl. Lahner, Feind, S. 81f. 94 Vgl. zur italienischen Besetzung Nordtirols auch Johann Rainer, Die italienische Besatzung in Österreich 1918-1920, in: Innsbrucker Historische Studien 2 (1979), S. 77-90. 95 Zit bei: Di Michele, Alpen, S. 157. 96 Ebd., S. 161-165. 97 Vgl. Lahner, Feind, S. 72f. 98 Dazu umfassend: Raoul Pupo (Hg.), La vittoria senza pace. Le occupazioni militari italiane alla fine della Grande Guerra, Bari 2014. 99 Vgl. Martin Süß, Rheinhessen unter französischer Besatzung. Vom Waffenstillstand im November 1918 bis zum Ende der Separatistenunruhen im Februar 1924, Wiesbaden 1988. Vgl. zusammenfassend: Joachim Schröder/Alexander Watson, Occupation during and after the War (Germany), in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2016-06-23. 100 Vgl. Christiane Kohser-Spohn, Staatliche Gewalt und der Zwang zur Eindeutigkeit. Die Politik Frankreichs in Elsass-Lothringen nach dem Ersten Weltkrieg, in: Philipp Ther/ Holm Sundhaussen (Hg.), Nationalitätenkonflikte im 20. Jahrhundert. Ursachen von interethnischer Gewalt im Vergleich, Wiesbaden 2001, S. 183-202. 101 Vgl. zu den Maßnahmen ausführlich: Karl-Heinz Rothenberger, Die elsaß-lothringische Heimat- und Autonomiebewegung zwischen den beiden Weltkriegen, Bern 1976, S. 37-51. 102 Ebd., S. 37. 103 Christopher J. Fischer, Alsace to the Alsatians? Visions and Divisions of Alsatian Regionalism, 1870-1939, New York 2014.
Anmerkungen Kapitel 3
215
3. Die Quadratur des Kreises: Nachkriegspolitik 1 Vgl. Anton Pelinka/Helmut Reischenböck, Das politische System des Bundeslandes Tirol 1918-1938, in: Anton Pelinka/Andreas Maislinger (Hg.), Handbuch zur neueren Geschichte Tirols, Bd. 2: Zeitgeschichte, 2. Teil: Politische Geschichte, Innsbruck 1993, S. 131-178, hier 137f. 2 Vgl. Kiem, Ethnozentrismus, S. 92 bzw. 102. 3 Vgl. Überegger, Erinnerungskriege, S. 127-144. 4 Vgl. Nils Arne Sørensen, Zwischen regionaler und nationaler Erinnerung. Erster Weltkrieg und Erinnerungskultur im Trentino der Zwischenkriegszeit, in: Hermann J. W. Kuprian/ Oswald Überegger (Hg.), Der Erste Weltkrieg im Alpenraum. Erfahrung, Deutung, Erinnerung, Innsbruck 2006, S. 394-411. 5 Vgl. Hofmann/Schreiber, Sozialdemokratie, S. 24f.; Christian Koller, „… der Wiener Judenstaat, von dem wir uns unter allen Umständen trennen wollen.“ Die Vorarlberger Anschlussbewegung an die Schweiz, in: Helmut Konrad/Wolfgang Maderthaner (Hg.), … der Rest ist Österreich. Das Werden der Ersten Republik, Bd. I, Wien 2008, S. 83-102, hier 86. 6 Vgl. zu den überwiegenden Kontinuitäten am Vorarlberger Beispiel eindrücklich die Anmerkungen von Ingrid Böhler, Dornbirn in Kriegen und Krisen. 1914-1945, Innsbruck u. a. 2005. 7 So Richard Steidle Mitte Jänner 1919 am Tiroler Bauerntag. Zit. bei: Kuprian, Separatismus, S. 61. 8 Vgl. Schober, Tiroler Frage, S. 208-216. 9 Vgl. Hofmann/Schreiber, Sozialdemokratie, S. 24-26. 10 Vgl. Riedmann, Geschichte, S. 792. 11 Vgl. Richard Schober, Das linke Lager in Tirol. Sozialdemokratie und Kommunisten vom Zusammenbruch 1918 bis zu den Juliereignissen 1927, in: Tiroler Heimat 54 (1990), S. 101-124. 12 Vgl. Gerhard Oberkofler, Die Tiroler Arbeiterbewegung. Von den Anfängen bis zum Ende des 2. Weltkrieges, Wien 1986, S. 180. 13 Vgl. Schober, Das linke Lager, S. 105. 14 Vgl. Brigitte Öttl, Die Entwicklung der politischen Parteien in Südtirol seit 1918, Diss. Innsbruck 1981, S. 37. 15 Vgl. Leopold Steurer, Südtirol 1918-1945, in: Anton Pelinka/Andreas Maislinger (Hg.), Handbuch zur neueren Geschichte Tirols, Bd. 2: Zeitgeschichte, 2. Teil: Politische Geschichte, Innsbruck 1993, S. 194f. 16 Vgl. Schober, Kronland, S. 281. 17 Vgl. Kiem, Ethnozentrismus, S. 37-39. 18 Vgl. Öttl, Entwicklung, S. 27f. 19 Zit. bei: Kiem, Ethnozentrismus, S. 85. 20 Vgl. Annuska Trompedeller, Karl Tinzl (1888-1964). Eine politische Biografie, Innsbruck u. a. 2007, S. 35-42. 21 Vgl. Öttl, Entwicklung, S. 26. 22 Riedmann, Geschichte, S. 799f. 23 Vgl. Mariapia Bigaran/Maurizio Cau (Hg.), Alcide De Gasperi. Scritti e discorsi politici. Edizione critica, Volume II: Alcide De Gasperi dal partito popolare italiano all’esilio interno 1919-1942, Tomo 1, Bologna 2007, S. 18. 24 Vgl. Rasera, regime, S. 80. 25 Vgl. Steurer, Südtirol 1918-1945, S. 189f.
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Anmerkungen Kapitel 3
26 Vgl. Rasera, regime, S. 89. 27 Vgl. umfassend: Maria Garbari, Konservativismus und Neuorientierungen in der politischen Landschaft des Trentino in den Jahren 1918-1922, in: Casimira Grandi (Hg.), Tirolo – Alto Adige – Trentino 1918-1920, Trento 1996, S. 131-166. 28 Vgl. ebd., S. 160f. 29 Zit. bei: Bigaran/Cau, Alcide De Gasperi, S. 19. 30 Vgl. Kuprian, Separatismus, S. 61f. 31 Vgl. Riedmann, Geschichte, S. 784. 32 Vgl. Anton Eisl, Die Tiroler Frage 1918/1919 unter besonderer Berücksichtigung der französischen Mission in Wien 1919, Innsbruck 2002, S. 38f. 33 Gemeint ist das deutsch- und ladinischsprachige Tirol. Zit. bei: Hermann Kuprian, Tirol und die Anschlußfrage 1918-1921, in: Thomas Albrich/Klaus Eisterer/Rolf Steininger (Hg.), Tirol und der Anschluss. Voraussetzungen, Entwicklungen, Rahmenbedingungen 19181938, Innsbruck 1988, S. 43-74. 34 Vgl. Klaus Weiß, Das Südtirol-Problem in der Ersten Republik. Dargestellt an Österreichs Innen- und Außenpolitik im Jahre 1928, Wien 1989, S. 19; Schober, Tiroler Frage, S. 270f. 35 Vgl. Richard Schober, Die österreichische Anschlussbewegung an Deutschland im Spiegel der italienischen Diplomatie (1918-1921), in: Sabine Weiss (Hg.), Historische Blickpunkte. Festschrift für Johann Rainer zum 65. Geburtstag dargebracht von Freunden, Kollegen und Schülern, Innsbruck 1988, S. 613-627, hier 614. 36 Vgl. Hans W. Schmölzer, Österreich in der italienischen Außenpolitik der Zwischenkriegszeit (1918-1938), Dipl. Innsbruck 1992, S. 51f. 37 Weiß, Südtirol-Problem, S. 21. 38 Vgl. Schober, Anschlussbewegung, S. 614. 39 Vgl. ebd., S. 618-627. 40 Vgl. zu Bauer: Ernst Hanisch, Der große Illusionist. Otto Bauer (1881-1938), Wien u. a. 2011. 41 Vgl. Schober, Tiroler Frage, S. 287f. 42 Vgl. Riedmann, Geschichte, S. 788. 43 Vgl. Schmölzer, Österreich, S. 51f. 44 Vgl. Adelheid Kusstatscher-Oberkofler, Die außenpolitischen Beziehungen Österreichs zu Italien und ihre Rückwirkungen auf die offizielle Position in der Südtirol-Frage 1919-1930, Diss. Innsbruck 1991, S. 182f. 45 Vgl. Schmölzer, Österreich, S. 50-56. 46 Vgl. Schober, Anschlussbewegung, S. 615f. 47 Vgl. umfassend: Josef Muhr, Die deutsch-italienischen Beziehungen in der Ära des Ersten Weltkriegs (1914-1922), Göttingen u. a. 1977, S. 155. 48 Vgl. Eisl, Tiroler Frage, S. 44-47. 49 Vgl. allgemein zur Revolution in Vorarlberg: Wolfgang Weber, Die Revolution 1918/19 in Vorarlberg, in: Reinhard Baumann/Paul Hoser (Hg.), Die Revolution von 1918/19 in der Provinz, Konstanz 1996, S. 131-145. 50 Hagen, Anschlussbewegung, S. 31. 51 Vgl. Koller, Vorarlberger Anschlussbewegung, S. 90 bzw. 94. 52 Werner Dreier, Vorarlberg und die Anschlußfrage, in: Thomas Albrich/Klaus Eisterer/Rolf Steininger (Hg.), Tirol und der Anschluss. Voraussetzungen, Entwicklungen, Rahmenbedingungen 1918-1938, Insbruck 1988, S. 183-220, hier 183. 53 Dreier, Vorarlberg, S. 204. 54 Vgl. Koller, Vorarlberger Anschlussbewegung, S. 88.
Anmerkungen Kapitel 3
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55 Vgl. dazu Art. 27 des Vertrages von Saint Germain. Online abrufbar unter: https://www.ris. bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000044 (eingesehen am 21.9.2018). 56 Vgl. Dreier, Vorarlberg, S. 195. 57 Vgl. Rolf Zaugg-Prato, Die Schweiz, die Vorarlberg-Frage und der österreichische Anschlussgedanke an Deutschland 1918 bis 1922, in: Arbeitskreis für regionale Geschichte (Hg.), „Eidgenossen helft euern Brüdern in der Not!“ Vorarlbergs Beziehungen zu seinen Nachbarstaaten 1918-1922, Feldkirch 1990, S. 55-64, hier 55. 58 Zit. bei: Ulrich Nachbaur, „Wäre Vorarlberg als selbstständiges Land lebensfähig?“ Das Modell Liechtenstein 1946, in: Verba Volant. Onlinebeiträge des Vorarlberger Landesarchivs, Nr. 34, 10.9.2008, https://www.vorarlberg.at/pdf/vv34unvorarlbergterritori.pdf, S. 6 (eingesehen am 23.9.2018). 59 Vgl. dazu: Kiem, Ethnozentrismus, S. 32. 60 Vgl. Heinz-Rudolf Othmerding, Sozialistische Minderheitenpolitik am Beispiel Südtirol von den Anfängen des Konflikts bis heute, Diss. Hamburg 1985, S. 40. 61 Vgl. Falkensteiner, Südtirolpolitik, S. 47. 62 Vgl. Steurer, Südtirol, S. 59-61. 63 Vgl. Falkensteiner, Südtirolpolitik, S. 58. 64 Vgl. Ester Capuzzo, Dal nesso asburgico alla sovranità italiana. Legislazione e amministrazione a Trento e a Trieste (1918-1928), Milano 1992, S. 80; Andrea Di Michele, Die unvollkommene Italianisierung. Politik und Verwaltung in Südtirol 1918-1943, Innsbruck 2008, S. 80-90. 65 Vgl. Di Michele, Italianisierung, S. 73. 66 Vgl. Stuhlpfarrer, Südtirol 1919, S. 70. 67 Ebd., S. 76. 68 Vgl. ausführlicher: Trompedeller, Tinzl, S. 28f. 69 Öttl, Entwicklung, S. 37-39. 70 Vgl. Johann Prenner, Die Autonomiebestrebungen der Trentiner (1848-1914) und der Südtiroler (1918-1922) im historischen Vergleich, Dipl. Innsbruck 1985. 71 Vgl. Steininger, Südtirol, S. 43-46. 72 Vgl. Othmerding, Minderheitenpolitik, S. 332. 73 Vgl. ebd., S. 69. 74 Vgl. Bigaran/Cau, Alcide De Gasperi, S. 30. 75 Vgl. Garbari, Konservativismus, S. 146f., 163. 76 Vgl. Prenner, Autonomiebestrebungen, S. 82f. 77 Vgl. auch: Falkensteiner, Südtirolpolitik, S. 71-73. 78 Vgl. Othmerding, Minderheitenpolitik, S. 323. 79 Vgl. Di Michele, Italianisierung, S. 71. 80 Vgl. Falkensteiner, Südtirolpolitik, S. 77f. 81 Vgl. Marina Cattaruzza, L’Italia e la questione adriatica. Dibattiti parlamentari e panorama internazionale (1918-1926), Bologna 2014, S. 280. 82 Zit. bei: Othmerding, Minderheitenpolitik, S. 233f. 83 Vgl. ebd., S. 77. 84 Vgl. Haas, Südtirolproblem, S. 27-29. 85 Vgl. Othmerding, Minderheitenpolitik, S. 77f. 86 Vgl. Falkensteiner, Südtirolpolitik, S. 88f.
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Anmerkungen Kapitel 4
4. Am grünen Tisch: ‚Verhandlungen‘ in Saint Germain 1 Vgl. Neil Smith, American Empire. Roosevelt’s Geographer and the Prelude to Globalization, Berkeley u. a. 2003, S. 139. 2 Zit. bei: Daniela Rossini, Woodrow Wilson and the American Myth in Italy. Culture, Diplomacy and War Propaganda, Cambridge (MA) 2008, S. 180. („creaked and groaned across the Atlantic under the weight of their erudition“) 3 Vgl. Volker Prott, The Politics of Self-Determination. Remaking Territories and National Identities in Europe, 1917-1923, Oxford 2016. 4 National Archives and Records Administration, Washington (NARA), M1107, Inquiry Documents (Special Reports and Studies), 1917-1919, Tentative Suggestions on Possible Austro-Italian Boundary Lines, D. W. Johnson, S. 5. 5 Vgl. dazu Christiane Wagemann, Das Scheitern des großen Friedens. Eine Fallstudie zum praktischen Scheitern der Weltfriedenskonzeption Wilsons: die Südtirol-Frage, München 1985, S. 209-211. 6 N ARA, M1107, Inquiry Documents (Special Reports and Studies), 1917-1919, The strategic character of the austro-italian frontier, by Ellen Churchill Semple, 9.3.1918. 7 Hanns Haas, Südtirol 1919, in: Anton Pelinka/Andreas Maislinger (Hg.), Handbuch zur neueren Geschichte Tirols, Bd. 2: Zeitgeschichte, 2. Teil: Politische Geschichte, Innsbruck 1993, S. 95-130, hier 114. 8 Wesley J. Reisser, The Black Book. Woodrow Wilson’s Secret Plan for Peace, Lanham u. a. 2012, S. 66. 9 Vgl. dazu am Beispiel des Cobb-Lippmann-Abkommens auch die Anmerkungen von Daniela Rossini, L’America riscopre l’Italia. L’Inquiry di Wilson e le origini della Questione Adriatica 1917-1919, Roma 1992, S. 91-93. 10 Vgl. dazu die Anmerkungen von Charles Seymour, Woodrow Wilson und das Selbstbestimmungsrecht in Tirol, in: Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik 3 (1963), S. 267280, hier 270. 11 Zit. bei: Schober, Tiroler Frage, S. 35. 12 Vgl. ebd., S. 66. 13 Vgl. Haas, Südtirol, S. 114f. 14 Mezes an House, 16.3.1919, Dokument 26, abgedruckt bei: René Albrecht-Carrié, Italy at the Paris Peace Conference, Hamden 1966, S. 421. 15 Vgl. Wagemann, Scheitern, S. 319. 16 Erik Goldstein, Winning the Peace. British Diplomatic Strategy, Peace Planning, and the Paris Peace Conference, 1916-1920, Oxford 1991, S. 140. 17 N ARA, M1107, Inquiry Documents (Special Reports and Studies), 1917-1919, Inquiry Document 275, The Trentino and Alto Adige. Political conditions: possible frontiers. Copy of a memorandum prepared for the British War Office by its Department of Military Intelligence, S. 7. 18 Vgl. Stuhlpfarrer, Südtirol 1919, S. 68. 19 Ebd., S. 69. 20 Haas, Südtirol 1919, S. 113f. 21 Vgl. allgemein: Olivier Lowczyk, La fabrique de la paix. Du comité d’études à la conférence de la paix, l’élaboration par la France des traités de la première guerre mondiale, Paris 2010. 22 Vgl. Eisl, Tiroler Frage, S. 104f. 23 Vgl. Seymour, Wilson, S. 267f.; Wagemann, Scheitern, S. 324.
Anmerkungen Kapitel 4
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24 Vgl. Haas, Südtirol, S. 114. 25 Vgl. Siegfried Beer, Selectively Perceived Legacies of World War I. The Little-Known Halstead Mission in Austria, 1919, in: Peter Berger/Günter Bischof/Fritz Plasser (Hg.), From Empire to Republic. Post-World War I Austria, Innsbruck 2010, S. 110-122, hier 117. 26 Vgl. Christine M. Gigler, Die Berichte der Coolidge-Mission im Jahr 1919. Die mitteleuropäischen Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika nach dem Ersten Weltkrieg, Klagenfurt 2001, S. 45. 27 Zit. bei: Reisser, Black Book, S. 67. 28 Vgl. Eisl, Tiroler Frage, S. 69. 29 Vgl. Schober, Tiroler Frage, S. 270f, 304. 30 Vgl. Eisl, Tiroler Frage, S. 134f. 31 Vgl. ebd., S. 125. 32 Beer, Legacies, S. 117f. 33 Vgl. Eisl, Tiroler Frage, S. 106-108. 34 Ebd., S. 112. 35 Vgl. Wolfgang Pucher, Die Beziehungen Österreichs zu den Vereinigten Staaten 1918-1932. Vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zur Roosevelt-Administration, Diss. Wien 1981, S. 60. 36 Vgl. Eisl, Tiroler Frage, S. 70f. 37 Vgl. Hanns Haas, Österreichisch-italienische Beziehungen von Villa Giusti bis Saint Germain, in: Adam Wandruszka/Ludwig Jedlicka (Hg.), Innsbruck-Venedig. Österreichischitalienische Historikertreffen 1971 und 1972, Wien 1975, S. 101-118, S. 113f. 38 Vgl. Eisl, Tiroler Frage, S. 123. 39 Vgl. Othmerding, Minderheitenpolitik, S. 38. 40 Vgl. Schober, Tiroler Frage, S. 341. 41 Zit. bei: Ebd. 42 Vgl. Steurer, Südtirol, S. 54f. 43 Vgl. ebd., S. 56. 44 Vgl. Jörn Leonhard, Der überforderte Frieden. Versailles und die Welt 1918-1923, München 2018, S. 819-836. 45 Vgl. Schober, Tiroler Frage, S. 107. 46 Marina Cattaruzza/Sacha Zala, Wider das Selbstbestimmungsrecht? Wilsons Vierzehn Punkte und Italien in der europäischen Ordnung am Ende des Ersten Weltkriegs, in: Jörg Fisch (Hg.), Die Verteilung der Welt. Selbstbestimmung und das Selbstbestimmungsrecht der Völker. The World Divided. Self-Determination and the Right of Peoples to SelfDetermination, München 2011, S. 141-155, hier 149. 47 Vgl. ebd., S. 124. 48 Hans Heiss, Die Brennergrenze 1918/19, in: Österreich in Geschichte und Literatur 52 (2008), S. 318-335, hier 329. 49 Vgl. das Statement von Orlando in der Sitzung vom 19.4.1919: Papers Relating to the Foreign Relations of the United States, 1919, The Paris Peace Conference, Vol. II, Washington 1942, Protokoll, 19.4.1919, S. 81. 50 Zit. bei: Beer, Legacies, S. 118. 51 Vgl. ebd. 52 Vgl. Othmerding, Minderheitenpolitik, S. 46f. 53 Vgl. Hanisch, Schatten, S. 271. 54 Zit. bei: Heiss, Brennergrenze, S. 333. 55 Zit. bei: Kusstatscher-Oberkofler, Beziehungen, S. 47. 56 Vgl. ebd., S. 34-40.
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Anmerkungen Kapitel 4
57 Vgl. Haas, Südtirol, S. 108; Stuhlpfarrer, Südtirol, S. 69. 58 Vgl. Eisl, Tiroler Frage, S. 106. 59 Lord Charles Hardinge vom britischen Außenministerium, zit. bei: Goldstein, Peace, S. 139. 60 Zit. bei: Haas, Südtirol, S. 113. 61 Zit bei: Holm Sundhaussen, Von der Multiethnizität zum Nationalstaat. Der Zerfall „Kakaniens“ und die staatliche Neuordnung im Donauraum am Ende des Ersten Weltkrieges, in: ders./Hans Joachim Torke (Hg.), 1917-1918 als Epochengrenze?, Wiesbaden 2000, S. 79100, hier 97. 62 Vgl. Haas, Südtirol, S. 109. 63 Vgl. Prott, Politics, S. 114. 64 Vgl. Derek Heater, National Self-Determination. Woodrow Wilson and his Legacy, Basingstoke 1994, S. 78; Prott, Politics, S. 145. 65 N ARA, M820, General Records of the American Commission To Negotiate Peace 19181931, Roll 55, Sitzungsprotokoll, 19.3.1919, S. 19. 66 Vgl. zur Haltung der USA ausführlich und erhellend: Heiss, Brennergrenze, S. 327-329; Haas, Südtirol, S. 110. 67 Vgl. etwa auch: William R. Keylor, The Principle of National Self-Determination as a Factor in the Creation of Postwar Frontiers in Europe, 1919 and 1945, in: Christian Baechler/ Carole Fink (Hg.), The Establishment of European Frontiers after the Two World Wars, Bern u. a. 1996, S. 37-54. 68 Oliver Zauzig, Die Brennergrenze im Spiegel geographischer Arbeiten. Analyse des Entstehungsprozesses und der Legitimation einer politischen Grenze, Magisterarbeit Berlin 2007, S. 109. 69 Vgl. Schober, Tiroler Frage, S. 56. 70 Vgl. Hanisch, Schatten, S. 272f. 71 So Orlando im Rahmen der Verhandlungen vom 19. April 1919. Papers Relating to the Foreign Relations of the United States, 1919, The Paris Peace Conference, Vol. II, Washington 1942, Protokoll, 19.4.1919, S. 80. 72 Zit. bei: Haas, Südtirol, S. 110. 73 Vgl. Jost Dülffer, Selbstbestimmung, Wirtschaftsinteressen und Großmachtpolitik. Grundprinzipien für die Friedensregelung nach dem Ersten Weltkrieg, in: Mathias Beer (Hg.), Auf dem Weg zum ethnisch reinen Nationalstaat? Europa in Geschichte und Gegenwart, Tübingen 2007, S. 41-67, hier 42. 74 Vgl. auch: Cattaruzza/Zala, Selbstbestimmungsrecht, S. 145. 75 Lloyd E. Ambrosius, Nationale Selbstbestimmung im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Eine Vergleichsstudie von Wilson bis Roosevelt, in: Manfred Berg (Hg.), Deutschland und die USA in der Internationalen Geschichte des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2004, S. 237-262, hier 249. 76 Marc Frey, Selbstbestimmung und Zivilsationsdiskurs in der amerikanischen Außenpolitik 1917-1950, in: Jörg Fisch (Hg.), Die Verteilung der Welt. Selbstbestimmung und das Selbstbestimmungsrecht der Völker. The World Divided. Self-Determination and the Right of Peoples to Self-Determination, München 2011, S. 157-172, hier 159-163. 77 Trygve Throntveit, The Fable of the Fourteen Points: Woodrow Wilson and National Self-Determination, in: Diplomatic History 35 (2011), S. 445-481, hier 463. 78 Andrea Despot, Amerikas Weg auf den Balkan. Zur Genese der Beziehungen zwischen den USA und Südosteuropa 1820-1920, Wiesbaden 2010, S. 317f. 79 Wagemann, Scheitern, S. 324.
Anmerkungen Kapitel 4
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80 Vgl. die noch immer gültige Feststellung von: Schober, Tiroler Frage, S. 71-78. 81 Vgl. Sterling J. Kernek, Woodrow Wilson and National Self-Determination along Italy’s Frontier. A Study of the Manipulation of Principles in the Pursuit of Political Interests, in: Proceedings of the American Philosophical Society 126 (1982), S. 243-300, hier 257f. 82 Vgl. Haas, Südtirol, S. 118f. 83 Vgl. Seymour, Wilson, S. 276f. 84 Vgl. Schober, Tiroler Frage, S. 79f. 85 Vgl. Cattaruzza/Zala, Selbstbestimmungsrecht, S. 149f. 86 Vgl. Wagemann, Scheitern, S. 290. 87 Vgl. Albrecht-Carrié, Italy, S. 65f.; Seymour, Wilson, S. 272f. 88 Vgl. Robert Weissensteiner, Die Geschichte Südtirols im Spiegel des christlichsozialen Blattes „Der Tiroler“ 1914-1925, Diss. Innsbruck 1979, S. 192; Steurer, Südtirol, S. 58. 89 Zit. bei: Eisl, Tiroler Frage, S. 75. 90 Zit. bei: Haas, Südtirol, S. 123. 91 Wilson sagte an Orlando gerichtet: „I cannot consent for Fiume to go to Italy, but you may count upon me for the Brenner line.“ Zit. bei: Arthur Walworth, Wilson and His Peacemakers. American Diplomacy at the Paris Peace Conference, 1919, London 1986, S. 54. 92 Ebd., S. 125. 93 Vgl. Koller, Vorarlberger Anschlussbewegung, S. 98f. 94 Vgl. dazu auch kritisch: Michael Gehler, Tirol im 20. Jahrhundert. Vom Kronland zur Europaregion, Innsbruck/Wien 2008, S. 34; Othmerding, Minderheitenpolitik, S. 250f.; Schober, Tiroler Frage, S. 123. 95 Vgl. Heater, National Self-Determination, S. 76. 96 Vgl. Kernek, Wilson, S. 262f. 97 Zit. bei: Schober, Tiroler Frage, S. 122. 98 Innsbrucker Nachrichten, 14.5.1919, S. 1f., zit. bei: Thomas Michael Lintner, Die Tiroler Frage 1918/19 zwischen Waffenstillstand 1918 und Friedensvertrag von Saint Germain 1919 unter spezieller Berücksichtigung der Erinnerungskultur von 1920 bis 2010, Diss. Innsbruck 2016, S. 174. 99 Zit. bei: Marion Ladurner/Oswald Überegger (Hg.), Mein Gröden. Die Tagebücher der Filomena Prinoth-Moroder (1885-1920), Innsbruck 2018, S. 548. 100 Vgl. dazu: Lintner, Tiroler Frage, S. 65-71. 101 Vgl. ebd. Viele dieser Memoranden sind in edierter Form greifbar bei: Schober, Tiroler Frage. 102 Memorandum „Zur Tiroler Frage“, Januar 1919, zit. als Beilage X bei: Schober, Tiroler Frage, S. 514-520, hier 515. 103 Vgl. auch: Weiß, Südtirol-Problem, S. 18. 104 Vgl. dazu schon die Ausführungen auf S. 89. 105 Vgl. zu Bauer auch: Leonhard, Frieden, S. 467-469. 106 Vgl. Steurer, Südtirol, S. 55. 107 Vgl. Heiss, Brennergrenze, S. 331. 108 Vgl. Kusstatscher-Oberkofler, Beziehungen, S. 57. 109 Vgl. Stefan Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg. Österreichisch-italienische Beziehungen 1919-1923, Wien u. a. 1978, S. 24f. 110 Vgl. dazu auch schon die Ausführungen auf S. 88f. 111 So Steininger, Südtirol, S. 35. 112 Richard Schober ist hier zuzustimmen, wenn er schreibt: „Die Sorge um vielfältige andere wirtschaftliche und territoriale Probleme, nicht zuletzt allerdings auch ideologische
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Anmerkungen Kapitel 4
Differenzen, haben eine gemeinsame deutschösterreichische Südtirolpolitik verhindert. Ob eine solche angesichts des alliierten Willens zum Diktat des Friedens zum Erfolg geführt hätte, muß allerdings stark bezweifelt werden.“ Schober, Friedenskonferenz, S. 48. 113 Vgl. dazu auch Schober, Tiroler Frage, S. 103. 114 Diese Frage wirft der Südtiroler Historiker Hans Heiss auf. Vgl. Heiss, Brennergrenze, S. 334f. 115 Sidney Sonnino, zit. bei: Stuhlpfarrer, Südtirol 1919, S. 74. 116 Francesco Nitti, zit. bei: Weiß, Südtirol-Problem, S. 23. 117 Adler, Minderheitenpolitik, S. 18. 118 Vgl. Heater, National Self-Determination, S. 84. 119 Vgl. Erwin Viefhaus, Die Minderheitenfrage und die Entstehung der Minderheitenschutzverträge auf der Pariser Friedenskonferenz 1919. Eine Studie zur Geschichte des Nationalitätenproblems im 19. und 20. Jahrhundert, Würzburg 1960, S. 121-123. 120 Zit. nach dem Tagebuch von Senatspräsident Franz Schumacher, abgedruckt in: Schober, Tiroler Frage, S. 450. 121 Vgl. ebd., S. 447. 122 Vgl. ebd., S. 321. 123 Archibald Coolidge an die amerikanische Friedensdelegation in Paris, 28.4.1919, in: Gigler, Berichte, 217. 124 Schober, Tiroler Frage, S. 445. 125 Vgl. Tagebuch Schumacher, in: Schober, Tiroler Frage, S. 446. 126 Vgl. dazu auch: Ebd., S. 387f. 127 Vgl. Lintner, Tiroler Frage, S. 177. 128 Vgl. Schober, Tiroler Frage, S. 412. 129 Vgl. ebd., S. 368. 130 Instruktion Staatsamt für Äußeres für die Delegation zum Pariser Friedenskongreß, abgedruckt in: Klaus Koch/Walter Rauscher/Arnold Suppan (Hg.), Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918-1938 (ADÖ), Bd. 2: Im Schatten von Saint Germain. 15. März 1919 bis 10. September 1919, Wien u. a. 1994, S. 158-168, hier 158. 131 Vgl. ebd. 132 Ebd., S. 163. Vgl. auch: Stuhlpfarrer, Südtirol 1919, S. 73f.; Schober, Tiroler Frage, S. 333. 133 Vgl. ebd., S. 334f. 134 Vgl. Lintner, Tiroler Frage, S. 175f. 135 Tagebuch Schumacher, abgedruckt in: Schober, Tiroler Frage, S. 456. 136 Ebd. 137 Zit bei: Tanja Kraler, Saint Germain im Spiegel der Presse 1919, Dipl. Innsbruck 2003, S. 145. 138 Vgl. Schober, Tiroler Frage, S. 369f. 139 Vgl. ausführlich: Schober, Tiroler Frage, S. 362-364. 140 Vgl. Stuhlpfarrer, Südtirol 1919, S. 73f. 141 Tagebuch Schumacher, in: Schober, Tiroler Frage, S. 480. 142 Vgl. Lintner, Tiroler Frage, S. 195f. 143 Zit. bei: Stuhlpfarrer, Südtirol 1919, S. 73. 144 So die Innsbrucker Nachrichten, 3.9.1919, S. 1, zit. bei: Lintner, Tiroler Frage, S. 196. 145 Zit. bei: Ebd., S. 197. 146 Vgl. Haas, Südtirolproblem, S. 26. 147 Eduard Reut-Nicolussi, Tirol unterm Beil, München 1928, S. 28.
Anmerkungen Kapitel 5
223
5. Zurück an den Start: Gesellschaft und Wirtschaft zwischen Krieg und Frieden 1 Zit. bei: Sabine Pitscheider, „… aber Not bricht Eisen“. Die Plünderungen in Innsbruck im Dezember 1919, in: Zeit-Raum-Innsbruck. Schriftenreihe des Innsbrucker Stadtarchivs (2014) 13, S. 53-80, hier 59. 2 Zit. bei: Ebd., S. 60. 3 Vgl. Karin Maria Schmidlechner, Die neue Frau? Zur sozioökonomischen Situation und kulturellen Lage, in: Helmut Konrad/Wolfgang Maderthaner (Hg.), … der Rest ist Österreich. Das Werden der Ersten Republik, Bd. 2, Wien 2008, S. 87-102, hier 87. 4 So in einem Protokoll der Sitzung des Schweizerischen Bundesrates, 18.11.1918. BArch Bern, E 2001 B, 1000/1501 708, B.15.7.1.1.1., Lage im Vorarlberg und Tirol, 1918. 5 Vgl. Renate Bolda-Hudovernik, Erleben und Überleben. Der Erste Weltkrieg und die ersten Nachkriegsjahre, in: Zeit-Raum-Innsbruck 11 (2010), S. 317-351, hier 322, 333. 6 Vgl. Egarter, Nord- und Südtirol, S. 225. 7 Dazu ausführlicher: Hanns Haas, Die Vereinigten Staaten von Amerika und die alliierte Lebensmittelversorgung Österreichs im Winter 1918/19, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (1979), S. 233-255, hier 251f. 8 Ingrid Böhler spricht darüber hinaus von einem „kalkulierten Eigeninteresse“. Ingrid Böhler, Die schweizerische Wirtschaftshilfe an Vorarlberg 1918-1921, in: Arbeitskreis für regionale Geschichte (Hg.), „Eidgenossen helft euern Brüdern in der Not!“. Vorarlbergs Beziehungen zu seinen Nachbarstaaten 1918-1922, Feldkirch 1990, S. 41-54, hier 50. 9 Vgl. dazu die Beiträge in: Daniel Krämer/Christian Pfister/Daniel Marc Segesser (Hg.), „Woche für Woche neue Preisaufschläge“. Nahrungsmittel-, Energie- und Ressourcenkonflikte in der Schweiz des Ersten Weltkrieges, Basel 2016. 10 Vgl. allgemein: Gottfried Köfner, Hunger, Not und Korruption. Der Übergang Österreichs von der Monarchie zur Republik am Beispiel Salzburgs. Eine sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Studie, Salzburg 1980, S. 255-258. 11 Vgl. Roman Sandgruber, Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Wien 2005, S. 345. 12 Vgl. Gerhard Prassnigger, Hunger in Tirol 1918-1920, Dipl. Innsbruck 1989, S. 33. 13 Vgl. Richard Schober, Tirol zwischen den beiden Weltkriegen. Teil 1: Die Wirtschaft, Innsbruck 2005, S. 133. 14 Vgl. Rettenwander, Stilles Heldentum, S. 307. 15 Vgl. Prassnigger, Hunger, S. 33. 16 Vgl. Rettenwander, Stilles Heldentum, S. 320. 17 Vgl. Pitscheider, Plünderungen, S. 56. 18 Vgl. Alexander/Schreiber, Schwaz, S. 43. 19 Vgl. Egarter, Nord- und Südtirol, S. 104. 20 Vgl. Lipp, Reutte, S. 42-44. 21 Vgl. Böhler/Schnetzer, Hunger, S. 75. 22 Vgl. Rettenwander, Stilles Heldentum, S. 322. 23 Zit. bei: Egarter, Nord- und Südtirol, S. 103. 24 Vgl. Schober, Tirol, Teil 1, S. 148-150. 25 Vgl. Sandgruber, Ökonomie, S. 354f. 26 Vgl. Philipp Strobl, Innsbrucker Wirtschaftsgeschichte, Innsbruck u. a. 2013, S. 93. 27 Vgl. Knitel, Krieg, S. 120. 28 Vgl. Böhler/Schnetzer, Hunger, S. 80.
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Anmerkungen Kapitel 5
29 Vgl. Prassnigger, Hunger, S. 43. 30 Vgl. Palme, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 395. 31 Vgl. Rettenwander, Stilles Heldentum, S. 322. 32 BArch Bern, E2001B 1000/1501 708, Lage im Vorarlberg und Tirol, B.15.7.1.1.1, Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des schweizerischen Bundesrates, 18.11.1918. 33 Vgl. ebd. 34 BArch Bern, E2001B 1000/1502, Bd. 43, Verproviantierung Deutsch-Österreich, Eidgenössisches Ernährungsamt an Bundespräsident und Bundesräte, 27.11.1918. 35 Vgl. Schober, Tirol, Teil 1, S. 135. 36 BArch Bern, E2001B 1000/1502, Bd. 43, Verproviantierung Deutsch-Österreich, Eidgenössisches Ernährungsamt an Schweizerisches politisches Departement, Abteilung für Auswärtiges, Bern, 20.5.1919. 37 Böhler/Schnetzer, Hunger, S. 77. 38 BArch Bern, E2001B 1000/1502, Bd. 43, Verproviantierung Deutsch-Österreich, Auszug aus dem Protokoll des schweizerischen Bundesrates, 1.7.1919, S. 2. 39 Vgl. Böhler, Wirtschaftshilfe, S. 48. 40 Vgl. Prassnigger, Hunger, S. 35f. 41 Vgl. Pitscheider, Plünderungen, S. 61-68. 42 Vgl. ebd., S. 68. 43 Vgl. Messner, Landeshauptmann, S. 43. 44 Vgl. Prassnigger, Hunger, S. 36. 45 Nach Berechnungen von Zaugg-Prato, Schweiz, S. 63. 46 Vgl. Knitel, Krieg, S. 120. 47 Vgl. Egarter, Nord- und Südtirol, S. 186f. 48 Vgl. ebd., S. 95. 49 Vgl. zu Rovereto im Ersten Weltkrieg: Laboratorio di storia di Rovereto (Hg)., La città mondo. Rovereto 1914-1918, Rovereto 1998. 50 Vgl. Mauro Grazioli, Un’eredità controversa. Immagini del Trentino tra rovine e ricostruzione, in: Fabrizio Rasera u. a. (Hg.), Paesaggi di guerra. Il Trentino alla fine della Prima Guerra Mondiale, Rovereto 2010, S. 11-29. 51 Andrea Leonardi, Economia e società nei primi decenni del Novecento, in: Alfredo Canavero/Andrea Leonardi/Giuseppe Zorzi (Hg.), Per il popolo trentino. Protagonisti del movimento cattolico a inizio Novecento, Trento 2014, S. 53-89, hier 71. 52 Vgl. Grazioli, Un’eredità, S. 23-27. 53 Vgl. Andrea Leonardi, Il Trentino nel primo dopoguerra. Problemi economici e sociali, Trento 1987, S. 181. 54 Vgl. Grazioli, Un’eredità, S. 23-27. 55 Vgl. Leonardi, Trentino, S. 56. 56 Bezogen auf die Jahreshaushalte der letzten fünf Nachkriegsjahre. Vgl. Andrea Leonardi, Finanza pubblica e costi della „Ricostruzione“ nel primo dopoguerra, in: Camera dei deputati (Hg.), Commissione parlamentare d’inchiesta sulle terre liberate e redente (luglio 1920-giugno 1922), Vol. 1: Saggi e strumenti d’analisi, Roma 1991, S. 152-241. 57 Vgl. Armando Vadagnini, Il Trentino dal primo dopoguerra al fascismo, in: Lia De Finis (Hg.), Storia del Trentino, S. 559-588, hier 562f. 58 Zit. bei: Grazioli, Un’eredità, S. 21. 59 Vgl. Kiem, Ethnozentrismus, S. 11. 60 Vgl. Elisabeth Dietrich-Daum, Medizin und Gesundheit, in: Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger (Hg.), Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, Innsbruck 2014, S. 195-216, hier 199.
Anmerkungen Kapitel 5
225
61 Vgl. Giuseppe Olmi, Soziale Zustände und Gesundheitswesen im Trentino am Ende des Ersten Weltkrieges, in: Casimira Grandi (Hg.), Tirolo-Alto Adige-Trentino 1918-1920, Trento 1996, S. 253-278, hier 269. 62 Vgl. Dietrich-Daum, Medizin, S. 210-213. 63 Vgl. ebd., S. 212; Knitel, Krieg, S. 114. 64 Vgl. Palme, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 504. 65 Vgl. dazu die Tabelle, in: Knitel, Krieg, S. 141. 66 Vgl. Strobl, Wirtschaftsgeschichte, S. 91. 67 Vgl. zu den neuesten Zahlen: Anatol Schmied-Kowarzik, War Losses (Austria-Hungary), in 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin, [https://encyclopedia.1914-1918-online.net/ article/war_losses_austria-hungary], (eingesehen am 21.05.2019). 68 Vgl. dazu: Wilfried Beimrohr, Die Gefallenen Tirols im Ersten Weltkrieg, in: Wolfgang Meighörner (Hg.), Front.Heimat. Tirol im Ersten Weltkrieg, Innsbruck 2015, S. 45-55, hier S. 53f. 69 Die in der Literatur kolportierte Summe von 40.000 Gefallenen scheint zu hoch gegriffen. Die zuletzt von Wilfried Beimrohr ins Spiel gebrachte Summe von 27.000 Gefallenen ist hingegen deutlich zu niedrig veranschlagt. Das liegt vor allem daran, dass der Autor von insgesamt lediglich 8.000 gefallenen Trentiner Soldaten ausgeht. Mittlerweile zeigen aber neuere Trentiner Erhebungen, dass die Gesamtzahl der Trentiner Gefallenen rund 12.000 betrug. Vgl. Tommaso Dossi, I caduti trentini, in: Laboratorio di storia di Rovereto (Hg.), Cosa videro quegli occhi! Uomini e donne in guerra. 1913-1920, Bd. 2: Saggi, Rovereto 2019, S. 201-217, hier 205. (Den Hinweis auf diesen Aufsatz verdanke ich meinem Kollegen Nicola Fontana, Rovereto.) Auch die auf den Angaben im „Tiroler Heldenbuch“ basierenden Angaben der Südtiroler Gefallenen scheinen mit 8.011 Soldaten zu niedrig bemessen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle die Gesamtzahl der Gefallenen auf insgesamt 33.000 veranschlagen. 70 Vgl. zu Vorarlberg: Wolfgang Weber, Vorarlberg, in: Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger (Hg.), Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, Innsbruck 2014, S. 509-527, hier 515. 71 Vgl. Sandgruber, Ökonomie, S. 346f. 72 Vgl. Barbara Künz, Aspekte der Arbeitslosigkeit in der Zwischenkriegszeit am Beispiel Tirols, Dipl. Innsbruck 1998, S. 73. 73 Vgl. Palme, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 411f. 74 Egarter, Nord- und Südtirol, S. 195. 75 Vgl. Grazioli, Un’eredità, S. 20. 76 Vgl. Rettenwander, Stilles Heldentum, S. 311; Mayr, Arbeit, S. 375f., 157. 77 Vgl. Sandgruber, Ökonomie, S. 357f. 78 So Sandgruber, ebd., S. 358. 79 Am Beispiel Vorarlbergs: Böhler/Schnetzer, Hunger, S. 81. 80 Vgl. Schober, Tirol, Teil 1, S. 338. 81 Vgl. ebd., S. 349. 82 Vgl. Egarter, Nord- und Südtirol, S. 203f. 83 Vgl. Leonardi, Finanza, S. 164. 84 Vgl. Helmut Alexander, Die industrielle Entwicklung in Südtirol im 19. und 20. Jahrhundert. Ein Text- und Fotodokument der Durst-Phototechnik AG, Wien u. a. 2006, S. 40. 85 Vgl. Leonardi, Finanza, S. 173.
226
Anmerkungen Kapitel 5
86 Vgl. zu den Problemen, die die Währungsumstellung mit sich brachte, auch den Bericht über die Sitzung der Handels- und Gewerbekammer Bozen, 28.6.1919. ÖStA, Archiv der Republik (AdR), BKA-AA Friedensdelegation Saint Germain, Kt. 6, Fasz. 2, I/1/b. 87 Die 536 Millionen Lire beziehen sich auf Südtirol und das Trentino. Vgl. ebd., S. 167; Steininger, Südtirol, S. 23. 88 Vgl. Messner, Landeshauptmann, S. 390. 89 Vgl. Kiem, Ethnozentrismus, S. 53; Sabina Kasslatter, Die Stadt Brixen von 1918 bis 1925. Wirtschaftliche und soziale Anpassungsprobleme, Dipl. Innsbruck 1988, S. 78. 90 Darauf weisen die verschiedenen Berichte der italienischen Besatzungsmacht stets hin: MSIG, Fondo Tullio Marchetti, b. 10, 2.5.1., I° Armata. Ufficio I.T.O. Notiziario Ufficiale Sezione A. Dal 18 novembre 1918 al 30 giugno 1919, Comando della 1° Armata, Ufficio I.T.O., Notiziario Nr. 10, Nr. 13, 13.12.1918, Notiziario Nr. 27, 17.2.1919, Notiziario Nr. 35, 28.3.1919. 91 Vgl. Gianni Faustini, L’economia dell’Alto Adige tra le due guerre, Trento 1985, S. 42. 92 Vgl. allgemein: Andrea Baravelli, La società italiana del dopoguerra, in: Nicola Labanca (Hg.), Dizionario storico della Grande Guerra, Bari 2014, S. 391-397. 93 Vgl. allgemein: Rettenwander, Stilles Heldentum, S. 329-332; Schober, Tirol, Teil 1, S. 146-148. 94 Vgl. Böhler, Dornbirn, S. 44. 95 Vgl. Riedmann, Geschichte, S. 796, 816; Schober, Das linke Lager, S. 103. 96 Zit. bei: Dietrich, Feindbilder, S. 155. 97 Rasera, regime, S. 84f.; Vadagnini, Trentino, S. 573f. 98 Der vermeintliche Ausspruch des französischen Ministerpräsidenten Clemenceau „Der Rest ist Österreich“ ist in verschiedenen Varianten lediglich mündlich überliefert – und es ist nicht klar, ob er ihn so jemals wirklich getätigt hat. Vgl. zur Deutungsgeschichte kritisch: Manfred Zollinger, „L’Autriche, c’est moi“? Georges Clemenceau, das neue Österreich und das Werden eines Mythos, in: Stefan Karner (Hg.), Österreich – 90 Jahre Republik. Beitragsband der Ausstellung im Parlament, Innsbruck u. a. 2008, S. 621-632. 99 Vgl. zum ökonomischen Strukturbruch: Hanisch, Schatten, S. 277. 100 Vgl. Egarter, Nord- und Südtirol, S. 230. 101 Vgl. Sandgruber, Ökonomie, S. 340. 102 Vgl. ebd., S. 343. 103 Vgl. ebd., S. 356f. 104 Vgl. Fritz Weber, Zusammenbruch, Inflation und Hyperinflation. Zur politischen Ökonomie der Geldentwertung in Österreich 1918 bis 1922, in: Helmut Konrad/Wolfgang Mader thaner (Hg.), … der Rest ist Österreich. Das Werden der Ersten Republik, Bd. 2, Wien 2008, S. 7-32. 105 Vgl. Sandgruber, Ökonomie, S. 358. 106 Vgl. Falkensteiner, Südtirolpolitik, S. 22. 107 Vgl. Egarter, Nord- und Südtirol, S. 209. 108 Vgl. Albert Galvan, Der Währungsumtausch Kronen-Lire nach dem Ersten Weltkrieg, in: Der Schlern, Monatszeitschrift für Südtiroler Landeskunde 63 (1989) 3, S. 115-154, hier 148; Kiem, Ethnozentrismus, S. 54. 109 Vgl. Messner Landeshauptmann, S. 122. 110 Vgl. Schober, Tirol, Teil 1, S. 297f. 111 Vgl. Franz Werner Königshofer, Die Wirtschaft des Bundeslandes Tirol von 1918 bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929, Diss. Innsbruck 1978, S. 264; Egarter, Nord- und Südtirol, S. 79.
Anmerkungen Kapitel 5
227
112 Vgl. Alexander, Entwicklung, S. 39. 113 Vgl. Egarter, Nord- und Südtirol, S. 210. 114 Vgl. ebd., S. 211. 115 Vgl. Andrea Leonardi (Hg.), Die Region Trentino-Südtirol im 20. Jahrhundert. Bd. 2: Wirtschaft. Die Wege der Entwicklung, Trento 2009, S. 17. 116 Vgl. Egarter, Nord- und Südtirol, S. 211. 117 Die Zahlen basieren auf den Ergebnissen der Volkszählung von 1910. Vgl. Faustini, L’economia, S. 37. In der Literatur finden sich teilweise unterschiedliche Zahlen. Otmar Kiem beziffert den Anteil der in der Land- und Forstwirtschaft Tätigen für Nordtirol mit noch etwas geringeren 46,6 Prozent. Vgl. Kiem, Ethnozentrismus, S. 48. 118 Vgl. zur Trentiner Landwirtschaft ausführlich: Leonardi, Trentino, S. 32f. 119 Vgl. Andrea Leonardi, Una stagione „nera“ per il credito cooperativo. Casse rurali e Raiffei senkassen tra 1919 e 1945, Bologna 2005, S. 32f. 120 Vgl. Leonardi, Region, S. 16. 121 Darauf weist richtiger Weise der Trienter Wirtschaftshistoriker Andrea Leonardi hin. Vgl. Leonardi, Finanza, S. 192f. 122 Vgl. Daniel Stöckl, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik in Südtirol (1918-1929). Zeitgenössische mediale Rezeption und ihre didaktische Umsetzung im Unterricht, Dipl. Innsbruck 2005, S. 63f. 123 Vgl. Kiem, Ethnozentrismus, S. 50. 124 Vgl. Stöckl, Wirtschaft, S. 67f. 125 Kasslatter, Stadt Brixen, S. 88. 126 Stöckl, Wirtschaft, S. 86f. 127 Vgl. ebd., S. 76-78. 128 Vgl. Schober, Tirol, Teil 1, S. 128f. 129 M SIG, Fondo Tullio Marchetti, b. 10, 2.5.1, Ia Armata Ufficio I.T.O. Notiziario Ufficiale Sezione A. Dal 18 novembre 1918 al 30 giugno 1919, Bericht des Comando 1° Armata, 25.6.1919. 130 Vgl. Stöckl, Wirtschaft, S. 89. 131 Vgl. Kiem, Ethnozentrismus, S. 48; Egarter, Nord- und Südtirol, S. 214; Stöckl, Wirtschaft, S. 88. 132 Vgl. Schober, Tirol, Teil 1, S. 172f. 133 Vgl. ebd., S. 171f. 134 Vgl. ebd., S. 169. 135 Vgl. zur Entwicklung des Tourismus umfassend die Beiträge in: Hans Heiss/Andrea Leonardi (Hg.), Tourismus und Entwicklung im Alpenraum/Turismo e sviluppo in area alpina, Innsbruck u. a. 2003. 136 Vgl. Hans Heiss, Aufbruch in ein neues Jahrhundert, in: Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger (Hg.), Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, Innsbruck 2014, S. 2140, hier 30f. 137 Vgl. Schober, Tirol, Teil 1, S. 271. 138 Vgl. Andrea Leonardi, La prima guerra mondiale e la vulnerabilità del fenomeno turistico, in: Patrick Gasser/Andrea Leonardi/Gunda Barth-Scalmani (Hg.), Krieg und Tourismus im Spannungsfeld des Ersten Weltkrieges/Guerra e turismo nell’area di tensione della prima guerra mondiale, Innsbruck 2014, S. 57-97. 139 Vgl. Stöckl, Wirtschaft, S. 80f. 140 Vgl. zum Tourismus der ersten Nachkriegszeit auch: Florian Pardeller, Der Fremdenverkehr in Tirol und Südtirol. Ein Vergleich der touristischen Entwicklung der Alpenregion
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Anmerkungen Kapitel 6
in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Römische Historische Mitteilungen 59 (2017), S. 151-175. 141 Vgl. Stöckl, Wirtschaft, S. 84. 142 Leonardi, Region, S. 29; Egarter, Nord- und Südtirol, S. 224. 143 Vgl. Schober, Tirol, Teil 1, S. 272-274. 144 Vgl. ebd., S. 272. 145 Vgl. Schober, Tirol, Teil 1, S. 279; Egarter, Nord- und Südtirol, S. 223. 146 Vgl. ebd., S. 223f.
6. Heimkehren: (Über)leben nach dem Krieg 1 ÖStA, KA, Nachlass Julius Lustig-Prean, B5, sign. 1, Aus den Lebenserinnerungen eines alten k.u.k. Offiziers, maschinenschr. Manuskript, Wien 1940/41, fol. 121. 2 Vgl. allgemein: Wolfgang Doppelbauer, Zum Elend noch die Schande. Das altösterreichische Offizierskorps am Beginn der Republik, Wien 1988. 3 ÖStA, KA, Nachlass Lothar Semper, B 1223, sign. 4, Tagebuch vom 27.9.1918 bis 5.4.1919, S. 1343. 4 Ebd., S. 1400, Tagebucheintrag, 6.11.1918. 5 Vgl. dazu: Überegger, Erinnerungskriege, S. 15-48. 6 Zit. bei: Ebd., S. 55. 7 So der Offizier Gabriel Gudenus, Zugna Torta, in: Bundesleitung des Kaiserschützenbundes (Hg.), Jahrbuch 1924 der Kaiserschützen, Tiroler Standschützen und Tiroler Landstürmer, Innsbruck 1924, S. 55-61, hier 61. 8 T LA, Landesregierung für Tirol, Abt. XI 1922, ad 307–XXXVI 334a, Hptm. Josef Arch, Innsbruck, an den Wirtschaftsverband der Berufs-Militärgagisten Österreichs, Innsbruck, 8.4.1922. 9 Vgl. Lawrence Sondhaus, Franz Conrad von Hötzendorf. Architekt der Apokalypse, Wien u. a. 2003, S. 230; Josef Seelos, General Verdroß 1851-1931, Innsbruck 1957, S. 46. 10 Vgl. Überegger, Erinnerungskriege, S. 52. 11 Stenographische Berichte des verfassungsgebenden Tiroler Landtages vom 1. Juli 1919 bis 9. Mai 1921, 86. Sitzung, 10.3.1921, S. 2257. 12 Vgl. Harald Wendelin/Verena Pawlowsky, Die Wunden des Staates. Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914-1939, Wien 2015, S. 282f. 13 In der Literatur variieren die quantitativen Zahlenangaben zu den Invaliden teilweise beträchtlich. Ich beschränke mich hier und im Folgenden auf die neuesten und verlässlichsten Zahlen von Harald Wendelin und Verena Pawlowsky. Vgl. ebd., S. 477 bzw. 479. 14 Vgl. Tabelle 17, in: ebd., S. 481. 15 Vgl. Nicola Fontana, Il costo umano della Prima Guerra Mondiale, unveröffentlichtes maschinenschr. Manuskript, S. 5. (Ich danke dem Autor für die Zurverfügungstellung des Manuskripts.) 16 Vgl. Wendelin/Pawlowsky, Wunden, S. 484f. 17 Vgl. Elisabeth Dietrich, Die Tiroler Bevölkerung nach dem verlorenen Krieg. Die Familien der Gefallenen, Verwundeten und arbeitslos gewordenen Soldaten (1918-1921), in: Casimira Grandi (Hg.), Tirolo-Alto Adige-Trentino. 1918-1920, Trento 1996, S. 493-504, hier 502. 18 Vgl. Wendelin/Pawlowsky, Wunden, S. 512. 19 Vgl. ebd., S. 334.
Anmerkungen Kapitel 6
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20 Vgl. Egarter, Nord- und Südtirol, S. 111. 21 Vgl. Dietrich, Bevölkerung, S. 500. 22 Vgl. Martina Salvante, Mutilati e Invalidi in Trentino Alto Adige: il caso dei cechi della Grande Guerra, in: Annali del Museo Storico Italiano della Guerra 23 (2015), S. 7-26, hier 15-18. 23 Vgl. Überegger, Erinnerungskriege, S. 199f. 24 T LA, Landesregierung für Tirol, Abt. III 1927, 279–XXXV 181, Bezirkshauptmannschaft Kufstein an Präsidium der Tiroler Landesregierung, Innsbruck, 10.12.1926. 25 Vgl. Christa Hämmerle, 1918 – Vom Ersten Weltkrieg zur Ersten Republik, in: Martin Scheutz/Arno Strohmeyer (Hg.), Von Lier nach Brüssel. Schlüsseljahre österreichischer Geschichte (1496-1995), Innsbruck u. a. 2010, S. 251-272, hier 267; Schmidlechner, Frau, S. 88. 26 Michael Wachtler, Wir schließen Frieden. Der achtzehnjährige Standschütze Karl Mayr und sein Tagebuch des guten Herzens, Bozen 2004, S. 96. 27 August Fischer, Als junger Tiroler Kaiserjäger 1916-1918 den Kriegsgefahren und der ital[ienischen] Kriegsgefangenschaft glücklich entronnen, Wolfurt 1956, S. 9f. 28 Karl Mittermaier/Robert Recla (Hg.), Johann Mittermaier, Der Schrecken des Krieges. Die Erinnerungen eines Südtiroler Kaiserjägers aus dem 1. Weltkrieg, Vahrn 2005, S. 119f. 29 Vgl. Alexander/Schreiber, Schwaz, S. 40. 30 Anna Grillini, Il ritorno: donne e soldati alla prova della memoria. Il caso del Trentino e Sudtirolo tra il 1919 e il 1924, in: Marco Bellabarba/Gustavo Corni (Hg.), Il Trentino e i trentini nella Grande guerra, Bologna 2017, S. 69-91, hier 77-83. 31 Vgl. Christa Hämmerle, „Ach das ist bitter einem Landsmann die Augen zuschliessen zu müssen.“ Kriegskrankenpflegerinnen im Ersten Weltkrieg als Brücke zur Region, in: Reinhard Baumann/Paul Hoser (Hg.), Krieg in der Region, Konstanz u. a. 2018, S. 289-313, bes. S. 311-313. 32 Vgl. Grillini, ritorno, S. 83. 33 Marian Singer, Militärveteranenverein Nesselwängle, an Landesregierung in Innsbruck, 8.5.1920. TLA, Landesregierung für Tirol, Abt. I 1920, 942–XIX 162 a4. 34 Vgl. Überegger, Erinnerungskriege, S. 117f. 35 Julius Reisp, Jugend von heute – eine Schicksalsfrage, in: Die Alpenländische Heimatwehr, Folge 4, August 1931, S. 1f. 36 Vgl. Überegger, Erinnerungskriege, S. 154. 37 Den Barrabbas gib uns los!, in: Tiroler Volksbote, Nr. 16, 16.4.1919, S. 1f., hier 1. 38 Heinrich Schöpf, Gefahr der Entfremdung zwischen Klerus und Volk, in: PriesterKonferenzblatt. Zeitschrift für den Seelsorgs-Klerus der Diözese Brixen 35 (1923) 1, S. 10-12, hier 11. 39 Vgl. dazu ausführlicher: Überegger, Erinnerungskriege, S. 181-201. 40 Vor 15 Jahren – und heute, in: Volkszeitung, Nr. 173, 29.7.1929, S. 1. 41 Bauernbataillone, in: Volkszeitung, Nr. 269, 23.11.1919, S. 5. 42 Francesco Frizzera, Cittadini dimezzati. I profughi trentini in Austria-Ungheria e in Italia (1914-1919), Bologna 2018, S. 10. Vgl. als Zusammenfassung des globalen Kontextes allgemein: Peter Gatrell, Refugees, in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2014-10-08 (eingesehen am 21.05.2019). 43 Vgl. Hermann J. W. Kuprian, „Entheimatungen“. Flucht und Vertreibung in der Habsburgermonarchie während des Ersten Weltkrieges und ihre Konsequenzen, in: Hermann J. W.
230
Anmerkungen Kapitel 6
Kuprian/Oswald Überegger (Hg.), Der Erste Weltkrieg im Alpenraum. Erfahrung, Deutung, Erinnerung, Innsbruck 2006, S. 289-306, hier 294. 44 Vgl. Hermann J. W. Kuprian, Zwangsmigration, in: ders./Oswald Überegger (Hg.), Katas trophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, Innsbruck 2014, S. 217-240. 45 Vgl. Kuprian, „Entheimatungen“, S. 298f. 46 Vgl. Kuprian, Zwangsmigration, S. 224f. 47 Vgl. zu Tirol ausführlich: Hermann J. W. Kuprian, Flüchtlinge, Evakuierte und die staatliche Fürsorge, in: Klaus Eisterer/Rolf Steininger (Hg.), Tirol und der Erste Weltkrieg, Innsbruck 1995, S. 277-305, hier 290-295. 48 Vgl. Kuprian, Zwangsmigration, S. 226f. 49 Vgl. Frizzera, Cittadini dimezzati, S. 52. 50 Vgl. ausführlich: Alessandro Livio, L’amministrazione dell’internamento della popolazione di lingua italiana in Austria-Ungheria. Prime ricerche, in: Marco Bellabarba/Gustavo Corni (Hg.), Il Trentino e i trentini nella Grande guerra, Bologna 2017, S. 43-67, hier 56-60. 51 Zit. bei: Kuprian, Zwangsmigration, S. 229. 52 Zit. bei: Ebd., S. 227. 53 Zu den Zahlen: Francesco Frizzera, Spostamenti forzati, controllo poliziesco e politiche di assistenza. I profughi trentini nel contesto europeo, in: Marco Bellabarba/Gustavo Corni (Hg.), Il Trentino e i trentini nella Grande guerra, Bologna 2017, S. 11-42, hier 15; Frizzera, Cittadini dimezzati, S. 113. 54 Ebd., S. 222. 55 Vgl. ausführlich: Ebd., S. 64-73. 56 Vgl. dazu: Frizzera, Spostamenti, S. 32-34; Manuela Broz, Profughi trentini in Italia durante la prima guerra mondiale 1915-1918, in: Archivio trentino di storia contemporanea 2 (1993), S. 21-45, hier 37. Broz spricht von einer zunehmenden „confusione nei termini“ (Begriffsverwirrung). 57 Vgl. Kuprian, „Entheimatungen“, S. 293 bzw. 297; Frizzera, Cittadini dimezzati, S. 35 bzw. 55. 58 Vgl. Frizzera, Spostamenti, S. 29f.; Kuprian, Zwangsmigration, S. 235. 59 Vgl. ebd. 60 Vgl. ebd., S. 234; Kuprian, „Entheimatungen“, S. 303, bzw. für die italienische Seite die zahlreichen Belege bei: Broz, Profughi. 61 Vgl. Frizzera, Cittadini dimezzati, S. 196. 62 Vgl. umfassend: Francesco Frizzera, Il rimpatrio dei profughi trentini dalle regioni interne dell’Austria-Ungheria. Un processo pluriennale, specchio delle difficoltà di un Impero, in: Studi Trentini, Storia 94 (2015) 2, S. 413-449, hier 415. 63 Vgl. ebd., S. 424. 64 Vgl. Livio, L’amministrazione, S. 63-67. 65 Vgl. Laboratorio di Storia di Rovereto (Hg.), Gli Spostati. Profughi, Flüchtlinge, uprchlíci 1914-1919. Bd. 2: Paolo Malni, La storia, Rovereto 2015, S. 320. 66 Vgl. Kuprian, Zwangsmigration, S. 236f. 67 Vgl. Frizzera, Cittadini dimezzati, S. 204. 68 Vgl. Laboratorio di Storia di Rovereto, Gli Spostati, Bd. 2, S. 319. 69 Vgl. Frizzera, Cittadini dimezzati, S. 205. 70 Zit. bei: Frizzera, rimpatrio, S. 437 (eigene Übersetzung, A.d.V.). 71 Vgl. Frizzera, Cittadini dimezzati, S. 215. 72 Vgl. ebd., S. 210. 73 Vgl. ebd., S. 208f.
Anmerkungen Kapitel 6
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74 Vgl. ebd., S. 219. 75 Vgl. zur Rückkehr aus Italien umfassend auch: Laboratorio di Storia di Rovereto, Gli Spostati, Bd. 2, S. 313-335. 76 Vgl. Frizzera, Cittadini dimezzati, S. 221. 77 Vgl. Matthias Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen? Die k.u.k. Regierung und die österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen in Russland 1914-1918, Diss. Salzburg 2018, S. 49. 78 Vgl. dazu die aufsschlussreichen Anmerkungen von Matthias Egger, Gekämpft, S. 64. 79 So der österreichisch-ungarische Offizier Hans Mailáth-Pokorny. ÖStA, KA, Nachlass B 700 Hans Mailáth-Pokorny, sign. 2, Memoiren von Hans Mailáth-Pokorny, S. 72. 80 ÖStA, KA, Nachlass B 115 Moritz Schönn, Tagebuch, Eintrag, 29.8.1914. 81 ÖStA, KA, NFA, 8. ID., 1914, Op. Akten, Kt. Nr. 472, Nachweisung der Gesamtverluste während des bisherigen Feldzuges bis zum 27. Dezember 1914. 82 Vgl. Matthias Egger, Gekämpft, S. 52. 83 Vgl. zu den russischen Kriegsgefangenen in Österreich: Verena Moritz/Hannes Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung. Die russischen Kriegsgefangenen in Österreich (19141921), Bonn 2005. 84 Vgl. Matthias Egger, „… und sehne mich sehr nach der Heimkehr.“ Tiroler Kriegsgefangene in Russland 1914-1918/22, in: Nearchos – Archäologisch militärhistorische Forschungen 4 (2015), S. 13-21, hier 14. 85 Vgl. Matthias Egger, Alttiroler Offiziere und Soldaten in russischer Kriegsgefangenschaft 1914-1922, maschinenschr. Manuskript, S. 5. 86 Vgl. Antonelli, dimenticati, S. 163. 87 Vgl. Matthias Egger, Kriegsgefangene, in: Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger (Hg.), Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, Innsbruck 2014, S. 439-459, hier 452f. 88 Zit. bei: Egger, Gekämpft, S. 87. 89 Zit. bei: Ebd., S. 585. 90 Vgl. ebd., S. 589. 91 Vgl. Egger, Heimkehr, S. 15. 92 Vgl. Egger, Kriegsgefangene, S. 452. 93 Vgl. Egger, Gekämpft, S. 99-103. 94 Vgl. Egger, Kriegsgefangene, S. 455-457. 95 Vgl. ebd., S. 454. 96 Vgl. ausführlich: Hannes Leidinger/Verena Moritz, Österreich-Ungarn und die Heimkehrer aus russischer Kriegsgefangenschaft im Jahr 1918, in: Österreich in Geschichte und Literatur 41 (1997) 6, S. 385-403. 97 Vgl. Reinhard Nachtigal, Die Repatriierung der Mittelmächte-Kriegsgefangenen aus dem revolutionären Rußland. Heimkehr zwischen Agitation, Bürgerkrieg und Intervention 1918-1922, in: Jochen Oltmer (Hg.), Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkrieges, Paderborn u. a. 2006, S. 239-266; Egger, Offiziere, S. 12. 98 Vgl. Egger, Gekämpft, S. 595f. 99 Vgl. ebd., S. 110; Andrea Di Michele, „Italiani d’Austria“. Italienischsprachige Soldaten der Habsburgermonarchie im Ersten Weltkrieg, in: Oswald Überegger (Hg.), Minderheiten-Soldaten. Ethnizität und Identität in den Armeen des Ersten Weltkriegs, Paderborn u. a. 2018, S. 45-68. 100 Vgl. Antonelli, dimenticati, S. 185-190; Antonelli, Kriegserfahrungen, S. 407-417; Simone Attilio Bellezza, Tornare in Italia. Come i prigionieri trentini in Russia divennero italiani (1914-1920), Bologna 2016, S. 177.
232
Anmerkungen Epilog
101 Vgl. Di Michele, Italiani, S. 67. 102 Bellezza, Italia, S. 172-176. 103 Ebd., S. 166. 104 Vgl. dazu ausführlich: Di Michele, Italiani, S. 61-65. 105 Antonelli, dimenticati, S. 201-204. 106 Vgl. ausführlich: Andrea Di Michele, Tra due divise. La Grande Guerra degli italiani d’Austria, Bari u. a. 2018, S. 179-198. 107 Vgl. ebd., S. 210. 108 Vgl. ebd., S. 176f. 109 Vgl. Antonelli, Kriegserfahrungen, S. 416f.; ders., dimenticati, S. 240.
Epilog: Krieg und Erinnerung 1 Vgl. dazu auch Gunda Barth-Scalmani, Der Erste Weltkrieg in den Erinnerungslandschaften der Südwestfront, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 143 (2007), S. 1-32. 2 Hans Heiss, Reale und symbolische Grenzen. Der Brenner 1918-2010, in: Andrea Di Michele/Emanuela Renzetti/Ingo Schneider/Siglinde Clementi (Hg.), An der Grenze. Sieben Orte des Übergangs in Tirol, Südtirol und im Trentino, Bozen 2012, S. 93-134, hier 93. 3 Vgl. auch Hermann J. W. Kuprian, Die Pariser Friedensverträge und die österreichische Geschichtswissenschaft während der Zwischenkriegszeit, in: MIÖG 114 (2006) 1-2, S. 123142, hier 140f. 4 Laurence Cole, Geteiltes Land und getrennte Erzählungen. Erinnerungskulturen des Ersten Weltkrieges in den Nachfolgeregionen des Kronlandes Tirol, in: Hannes Obermair/ Stefanie Risse/Carlo Romeo (Hg.), Regionale Zivilgesellschaft in Bewegung. Cittadini innanzi tutto. Festschrift für/Scritti in onore di Hans Heiss, Bozen 2012, S. 502-531, hier 505. 5 Vgl. zur Tiroler Geschichtsschreibung der Zwischenkriegszeit auch: Oswald Überegger, Tabuisierung – Instrumentalisierung – verspätete Historisierung. Die Tiroler Historiographie und der Erste Weltkrieg, in: Geschichte und Region/Storia e regione 11 (2002) 1, S. 127-147. 6 Vgl. zu dieser Literatur die detaillierten Angaben bei: Überegger, Erinnerungskriege, S. 83-85. 7 Vgl. Überegger, Tabuisierung, S. 127-132. 8 Vgl. Christoph von Hartungen, Die Tiroler und Vorarlberger Standschützen – Mythos und Realität, in: Klaus Eisterer/Rolf Steininger (Hg.), Tirol und der Erste Weltkrieg, Innsbruck 1995, S. 61-104, hier 92-97. 9 Vgl. dazu auch: Hansjörg Waldner, „Deutschland blickt auf uns Tiroler.“ Südtirol-Romane zwischen 1918 und 1945, Wien 1990; am Beispiel Luis Trenkers und Anton Bossi Fedrigottis auch die Anmerkungen von Leopold Steurer und Gerald Steinacher, „Gottgläubig und führertreu“. Anton Graf Bossi Fedrigotti, in: Günther Pallaver/Leopold Steurer (Hg.), Deutsche! Hitler verkauft euch! Das Erbe von Option und Weltkrieg in Südtirol, Bozen 2011, S. 199-249. 10 Vgl. Überegger, Erinnerungskriege, S. 87f. bzw. 109-114. 11 Vgl. zur austrofaschistischen Erinnerungspolitik die Anmerkungen von Oswald Überegger, Vom militärischen Paradigma zur ‚Kulturgeschichte des Krieges‘? Entwicklungslinien der österreichischen Weltkriegsgeschichtsschreibung zwischen politisch-militärischer Instrumentalisierung und universitärer Verwissenschaftlichung, in: ders. (Hg.), Zwischen
Anmerkungen Epilog
233
Nation und Region. Weltkriegsforschung im interregionalen Vergleich. Ergebnisse und Perspektiven, Innsbruck 2004, S. 63-122, hier 80-82. 12 Vgl. dazu allgemein Cole, Geteiltes Land, S. 510-516. 13 Vgl. zu den Beinhäusern: Alexander de Ahsbahs/Gerald Steinacher, Die Totenburgen des italienischen Faschismus. Beinhäuser und politischer Gefallenenkult, in: Aram Mattioli/ Gerald Steinacher (Hg.), Für den Faschismus bauen. Architektur und Städtebau im Italien Mussolinis, Zürich 2009, S. 233-258. 14 Vgl. zur Situation im Trentino: Cole, Geteiltes Land, S. 516-522. 15 Vgl. dazu: Sørensen, Erinnerung. 16 Vgl. ausführlich: Elmar Heinz, Die versteinerten Helden. Kriegerdenkmäler in Südtirol, Bozen 1995. 17 Vgl. zur Tiroler Geschichtsschreibung über den Ersten Weltkrieg die Anmerkungen von Überegger, Tabuisierung, S. 713. 18 Vgl. zur neueren Trentiner Weltkriegsgeschichtsschreibung allgemein: Ebd., S. 134f.
Verzeichnis der Karten (alle Karten: © Peter Palm, Berlin) Karte 1: Karte 2: Karte 3: Karte 4: Karte 5:
Die Alpenfront (1915-1918) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Militärische Ereignisse an der Alpenfront (1917-1918) . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Die „American Line“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Italienische Grenzverläufe und -diskussionen (1914-1919) . . . . . . . . . . . . 116 Die Nachfolgestaaten der Donaumonarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Bildnachweis Museo Storico Italiano della Guerra, Rovereto: Abb. 1 (15), Abb. 2 (18), Abb. 3 (27), Abb. 4 (38), Abb. 5 (41), Abb. 6 (47), Abb. 7 (54), Abb. 8 (56), Abb. 9 (68), Abb. 10 (74), Abb. 15 (140), Abb. 16 (148), Abb. 17 (151), Abb. 18 (180), Abb. 19 (188) Wikimedia Commons: Abb. 11 (104), Abb. 12 (121), Abb. 13 (130), Abb. 14 (136), Abb. 20 (197), Abb. 21 (205)
Abkürzungsverzeichnis Abb. Abbildung Abt. Abteilung A.d.V. Anmerkung des Verfassers ADÖ Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich a. M. am Main ANMIG Associazione Nazionale fra Mutilati ed Invalidi di Guerra AdR Archiv der Republik AST Archivio di Stato di Trento (Staatsarchiv Trient) b busta BArch Bundesarchiv Bd. Band bes. besonders bzw. beziehungsweise ders. derselbe Dipl. Diplomarbeit Diss. Dissertation DV Deutscher Verband ebd. ebenda ENIT Ente Nazionale Italiano per il Turismo f. folgend(e) Hptm. Hauptmann Hg. Herausgeber ID Infanteriedivision k.k. kaiserlich-königlich k.u.k. kaiserlich und königlich KA Kriegsarchiv Kt. Karton MGA Militärgerichtsarchiv maschinenschr. maschinenschriftlich m. E. meines Erachtens MSIG Museo Storico Italiano della Guerra (Rovereto) NARA National Archives and Records Administration (Washington) NFA Neue Feldakten Nr. Nummer Op. Operation öst. österreichisch ÖStA Österreichisches Staatsarchiv
Abkürzungsverzeichnis PR Public Relations Präs. Präsidiale PU Politisch Unzuverlässige/r S. Seite Statth. Statthalterei TLA Tiroler Landesarchiv TVP Tiroler Volkspartei u. a. und andere/unter anderem ung. ungarisch v. von vgl. vergleiche vol. volume zit. zitiert
237
Personenregister Abram, Simon 81 Allizé, Henry 111-113 Arch, Josef 169 Arz von Straußenburg, Arthur 37 Austerlitz, Friedrich 48 Badoglio, Pietro 52 Baker, Ray Stannard 124 Balfour, Arthur James 109, 118 Barzilai, Salvatore 113, 123f., 126 Battisti, Cesare 79, 81, 101, 195, 201, 206 Bauer, Otto 88-90, 100, 112, 117, 127f., 132f. Bissolati, Leonida 102 Bondi, Sandro 206 Borghese, Livio 128 Boroević, Svetozar 35, 37 Brentari, Ottone 148 Burián, Stephan Graf 189 Cadorna Luigi 42 Calonder, Felix-Louis 94 Chiesa, Damiano 201 Chiovenda, Tito 75 Churchill-Semple, Ellen 105 Cicotti, Francesco 102 Clemenceau, Georges 109f., 117f., 120f., 124 Cobb, Frank 107f., 122f., 129 Cole, Laurence 198 Colocci-Vespucci, Adriano 66 Conci, Enrico 26, 28 Conrad von Hötzendorf, Franz 29, 35, 37, 39f., 169, 187 Coolidge, Archibald Cary 111f., 130 Cordin, Ettore 38 Credaro, Luigi 60, 85, 96f. Cuninghame, Thomas 111f. Dafner, Hans 126 Daldoss, Domenica 185 Dankl von Krasnik, Viktor 29, 169 De Gasperi, Alcide 28, 73, 79, 85f., 101 De Gentili, Guido 28 Degasperi, Alfredo 157 Dellai, Josef 14 Diaz, Armando 42
Dreier, Werner 93 Ducia, Maria 78 Eisner, Kurt 69 Etschmann, Wolfgang 34 Evans, Austin Patterson 105 Exeli Ritter von Adlerhuld, Nikolaus 24 Filzi, Fabio 201 Fischer, August 173 Flores, Ildebrando 45 Fosdick, Raymond 125 Franz Joseph I., Kaiser 13 Frazier, Arthur 123 Gatterer, Claus 96, 103 Gay, J. Nelson 105 Gehler, Michael 7 Giolitti, Giovanni 85, 96f., 99-101 Grabmayr, Karl von 46 Greil, Wilhelm 137 Gruener, Franz 130f. Guggenberg, Otto von 64 Hämmerle, Christa 7, 174 Headlam-Morley, James 108 Heiss, Hans 115 Heiß, Johann 189 House, Edward 107f., 122 Johnson, Douglas W. 105 Joseph von Österreich, Erzherzog 39 Karl I., Kaiser 13, 24, 87, 184 Kautsky, Karl 81 Klotz, Josef 10 Krafft von Dellmensingen, Konrad 69 Kraft, Emil 135 Kuhn von Kuhnenfeld, Franz 113 Labanca, Nicola 43 Ladurner-Parthanes, Matthias 30, 53 Lammasch, Heinrich 132 Lansing, Robert 118 Lazzari, Constantino 102
239
Personenregister Leonhard, Jörn 138 Lippmann, Walter 107f., 122f., 129 Lloyd George, David 109, 117-121, 124 Lunt, William Edward 105 Lustig-Prean, Julius 167 Lutz, Walther 64 Luzzati, Luigi 85 Macchi di Cellere, Vincenzo 122f. MacMillan, Margaret 115 Matteotti, Giacomo 102f. Mayr, Erich 50 Mayr, Karl 173 Mayr, Michael 62-64, 69 Meran, Rudolf Graf von 33 Meyer, Edgar 24 Mezes, Sidney Edward 108, 129 Mittermaier, Johann 173 Muck, Rudolf 17, 33 Nenni, Pietro 103 Nicolson, Harold 125 Nitti, Francesco Saverio 70, 91, 95-102, 129 Noggler, Josef 55 Oman, Charles 108f. Orlando, Vittorio Emanuele 70f., 95, 97, 121f., 124f., 129 Penz, Otto 55 Perathoner, Julius 62 Pecori-Giraldi, Guglielmo 62, 85, 95f. Pilati, Silvino 50 Porro, Carlo 193 Prinoth-Moroder, Filomena 50, 126 Raffaelli, Mario 28 Rapoldi, Martin 137 Renner, Karl 81, 91, 93, 117, 125f., 129f., 135f. Reut-Nicolussi, Eduard 64, 83, 136 Riboldi, Ezio 102 Salandra, Antonio 113 Salata, Francesco 96-98, 113
Salvemini, Gaetano 102 Schett, Johann 21 Schönn, Moritz 187 Schraffl, Josef 25, 56, 62-64, 87 Schumacher, Franz 130f., 133, 135 Schüller, Richard 117 Scialòja, Vittorio 122 Segrè, Alberto 112 Seipel, Ignaz 138, 158 Seitz, Karl 46 Semper, Lothar 168 Seymour, Charles 124 Shotwell, James Thomson 105 Sieberer, Johann 14 Sieberer, Martin 18 Siglär, Benno 38 Sonnino, Sidney 71, 122, 129, 193 Spiegelfeld, Markus Freiherr von 31 Starace, Achille 157 Steidle, Richard 170 Sternbach, Paul von 130f., 135 Steurer, Leopold 49 Stürgkh, Karl Graf 13 Tinzl, Karl 83 Tittoni, Tommaso 95, 129 Toggenburg, Friedrich Graf von 29, 83, 179 Tolomei, Ettore 66, 71f., 76, 113, 123 Trenker, Luis 199 Treves, Claudio 102 Troeltsch, Ernst 58 Tschugmell, Fridolin 38, 49f. Turati, Filippo 81, 98, 102 Verdroß, Ignaz von 170 Weber von Webenau, Viktor 51-53 Weber, Fritz 199 Wildauer, Max 31 Willram, Bruder (Pseudonym für Anton Müller) 175 Wilson, Woodrow 70f., 75, 89, 95, 104, 107f., 111, 113-116, 118, 120-126, 128-130
Ortsregister Adriatisches Küstenland 31, 115, 192f. Alpen-Adria-Raum 91, 138 Amerika (siehe USA) Apenninenhalbinsel (siehe Italien) Archangelsk 193 Außerfern 15, 61 Baden 52 Balkan 9, 43, 177, 187, 196 Bayern 20, 61, 68f., 141, 146 Belgrad 10 Berlin 90, 93 Bern 62, 64, 80, 84, 87, 139, 142, 144 Bludenz 20 Böhmen 17, 50, 54, 119, 164, 180, 184 Bozen 2, 4, 6, 10, 31, 47, 55, 57, 62f., 67, 78, 82, 90, 95, 100f., 107, 111, 128, 132, 152, 155, 172, 205f. Bregenz 2, 7, 20, 62, 78, 85, 93, 139, 156 Brenner 2-4, 49, 51, 55-58, 64, 66f., 69-71, 73f., 77, 82, 87f., 90, 92, 95, 98, 105, 107-115, 117f., 120, 122-125, 127-129, 131, 133, 136, 138, 146, 149f., 153f., 157-160, 163-166, 171, 184, 196-198, 200 Brest-Litovsk 9, 14, 191 Brixen 9, 23, 69, 111 Buchenstein 132 Budweis 49 Bukowina 177 Bulgarien 43, 129 Burgeis 201 Burgenland 116 Calliano 53 Caporetto 9, 34, 42f. Chicago 105 Cisleithanien 140, 163, 178, 182, 184, 163 Compiègne 68f. Czernowitz 177 Deutschland (Deutsche Republik, Deutsches Reich) 63, 68f., 81, 86-95, 107, 110, 116, 127, 144, 146, 165, 200, 202 Deutschösterreich (Deutsch-Österreich, siehe auch Österreich) 52, 63f., 86f., 93, 107, 116f., 132
Deutschtirol 12, 22, 24, 26f., 33, 62, 180 Dobro Polje 43 Dornbirn 23 Eisacktal 107, 146 Elsass-Lothringen 76 England (siehe Großbritannien) Enneberg 132 Europa 91, 104, 115, 118, 120f., 160, 162, 177, 186, 188f., 191 Feldkirch 10 Fiume 3, 114f., 117-120, 128 Flitsch 9, 43 Frankreich 91, 115, 124, 135, 139 Franzensfeste 69, 132 Fussach 61 Gaissau 61 Galizien 9, 177 Genf 89 Gossensaß 201 Graubünden 61 Griechenland 129 Gröden 50, 59, 126, 132 Großbritannien 62, 68, 104f., 108-112, 114f., 117, 122, 125, 128, 146, 163, 194 Haag 72 Hoboken 104 Höchst 61 Holland 146 Imst 68 Innerösterreich 177, 184, 190 Innervillgraten 21 Innichen 113, 124, 133, 201 Innsbruck 2, 6f., 10, 12, 16, 18f., 24f., 39, 50, 54-64, 67-69, 74f., 78, 81, 83, 85, 87, 89f., 92f., 100, 113, 117, 125, 127f., 133, 135-137, 139, 142-146, 150, 152, 156, 168f., 171, 173f. Isernia 195 Isonzo 9, 35, 37, 43 Istrien 96 Italien 2f., 9, 26-34, 43f., 46, 49-53, 63, 65-68, 70-72, 78, 82f., 87f., 90f., 94f., 99, 103,
241
Ortsregister 105, 107-112, 114f., 117, 119f., 122-125, 127-133, 138, 141, 146, 148, 160, 163, 177-183, 185f., 189-195, 197, 201f. Italienischtirol (siehe Trentino) Judikarien 33 Jugoslawien 3, 91, 110, 114f., 120, 122-125, 129 Kärnten 61, 116f., 120 Karst 196 Katzenau 27f., 179-181 Kirsanow 192, 194 Kitzbühel 57 Kopenhagen 191 Kroatien 43 Kuens 65 Kufstein 15, 172 Landeck 12, 50, 57, 68 Ledrotal 152 Lemberg 177 Lienz 21, 54, 57 Linz 27f., 179 London 3, 51, 70, 105, 109-111, 113-115, 117f., 120, 123f., 129 Mähren 54, 119, 180, 184 Mailand 102 Mandria 51 Marburg 117 Mazedonien 43 Meran 10, 16, 57, 65, 67, 82, 100, 107, 111, 132 Mori 148, 152 Most 49 München 68, 93 Münstertal 61 Nesselwängle 174 New Jersey 104 Niederlande 163 Nonstal 185 Nordtirol 16, 20, 58, 61-63, 67-70, 73-75, 77, 81, 137, 140f., 146, 159-161, 163-165, 179f., 184, 205 Oberinntal 54 Oberösterreich 17 Omsk 192
Österreich (siehe auch Deutschösterreich) 2, 19-21, 24, 30, 33, 42f., 45f., 48, 52, 61, 63, 75, 78, 80f., 84, 87f., 90-94, 107, 110-112, 115-117, 119, 124-126, 129, 132, 136-140, 142, 144, 146, 152, 157f., 162, 164, 170, 182f., 185f., 191, 201f. Österreich-Ungarn 32, 51, 68, 178, 182f., 189, 191 Osttirol 49, 54, 61, 67, 196 Padova (Padua) 51-53 Paris 3f., 51f., 70, 88, 90-92, 94f., 97, 99, 104f., 108-115, 117-119, 121-131, 133, 135, 137 Peking 194 Pergine 173f. Pilsen 49 Pocol 202 Polen 45, 129, 163 Pradl 150 Pustertal 54, 105, 107, 132, 149 Quero 44 Reschen 50, 54, 67, 201 Reutte 15, 141 Rheinland 76 Rheintal 61 Rijeka (siehe Fiume) Riva 152 Rom 3, 73, 75, 79, 81-86, 90-92, 95, 98-100, 107, 109f., 115, 122, 124, 127, 130, 191 Rovereto 7, 20, 28, 31, 49, 147, 152, 202 Rumänien 129 Russland 9, 20, 32, 186, 188-194 Saint Germain 3f., 7, 74f., 81-83, 86, 89f., 92, 94f., 98, 102-104, 108, 122, 129-132, 135f., 159f., 171, 191, 197f. Salurn 66f., 90, 127, 149 Salzburg 17, 50, 61, 164, 179 Schwaz 12, 15, 18, 40, 55, 57, 141 Schweden 146 Schweiz 20, 60-63, 86, 93f., 124, 139, 142-146 Serbien 10, 41 Sexten 113, 124, 133 Sieben Gemeinden 35, 37 Sillian 67
242 Skandinavien 163, 193 Slowenien 120 Sondrio 96 St. Gallen 61 St. Petersburg 191 Sterzing 23-25, 55, 65 Stilfes 55, 67 Südschwaben 61 Südtirol 2-8, 10, 16, 28, 30, 39, 49, 53, 57, 60, 62-67, 70-73, 75-84, 86-92, 94-103, 107-117, 119f., 122-133, 135-138, 141, 146, 149, 152, 154f., 157, 159-166, 170-173, 196-198, 200-202, 205f. Suganatal 152 Tambow 192 Taufers 61 Tianjin 194 Tirol-Vorarlberg (Kronland) 6, 16, 79, 100, 137, 151, 153, 158 Tolmein 9, 43 Trentino 1, 6, 8, 12, 16f., 19-21, 24-34, 49f., 57, 70, 73, 79, 84-86, 96, 100f., 105, 109, 126, 137f., 147f., 150, 152, 154, 157, 160f., 163-166, 171, 173, 177, 179-181, 185f., 192f., 195f., 201f., 204f. Treviso 37 Trient 7, 16f., 28, 30f., 33, 49, 53-56, 62, 67, 78, 84f., 100, 140, 150, 155, 157, 162, 172, 201 Tschechoslowakei 115, 129, 163, 186
Ortsregister Ungarn 16, 44f., 54, 129 Unterinntal 54, 58, 81 USA 35, 109f., 114, 139, 110 Vallarsa 152 Valle del Chiese 152 Venedig 113 Venetien 52 Venezia Tridentina 85, 96, 100 Vereinigte Staaten (siehe USA) Vicenza 37 Vierschach 133 Villgraten 21 Vinschgau 67, 105, 107, 149 Vittorio Veneto 44 Volano 28 Vorarlberg 1, 6, 10, 20f., 38, 49, 60-63, 77-79, 85f., 93f., 124, 137-139, 142-144, 147f., 150f., 156, 164, 170, 173f. Waidbruck 107 Washington 105, 110, 115, 122 Wattens 12 Welschtirol (siehe Trentino) Wien 2, 7, 13, 23, 27, 46, 48, 52f., 59f., 63f., 77, 80f., 83-94, 111-113, 115f., 125, 127f., 130f., 136, 139, 143, 146, 156, 168f., 174, 191 Winnebach 133 Wipptal 54f., 65, 67, 132 Wladiwostock 194 Zams 12