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German Pages [385] Year 2020
Formen der Erinnerung
Band 71
Herausgegeben von Jürgen Reulecke und Birgit Neumann
Sebastian De Pretto
Im Kampf um Geschichte(n) Erinnerungsorte des Abessinienkriegs in Südtirol
Mit 8 Abbildungen
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber https://dnb.de abrufbar.
¼ber »Geschichte und Region/Storia e regione« konnte dieses Buchprojekt finanziert werden durch: Autonomie Provinz Bozen – Sþdtirol, Amt fþr deutsche Kultur; Stiftung Sþdtiroler Sparkasse; Stadtgemeinde Bruneck. Doktortitel im Jahr 2019 vergeben von der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen FakultÐt der UniversitÐt Luzern. Erstgutachter : Prof. Dr. Aram Mattioli, Professor f þr die Geschichte der Neuesten Zeit, UniversitÐt Luzern. Zweitgutachter : Prof. Dr. Andrea Di Michele, Professor fþr Didaktik der Geschichte, Freie UniversitÐt Bozen. 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Die Werkstatt wo die Skulptur ›Alpini-Denkmal‹ hergestellt wurde: Die Bildhauer und Gehilfen mit Hammer und Meißel bei der Feinarbeit an der Statue, Bruneck, Online Bildarchiv des Sþdtiroler Landesarchivs, Bestand: Foto Excelsior – Varini (008), EXCELSI0002566NSF135.jpg. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-6169 ISBN 978-3-7370-1108-2
Für Angela
»Die wahre Geschichte, das sind die kleinen Geschichten.« Claus Gatterer
Inhalt
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13 13 21 35 38
II. Das Alpinidenkmal in Bruneck, 1938–2012 . . . . . . . . . . . . . . Zu den Ursprüngen des Alpinidenkmals vom 6. Juni 1938 . . . . . . Einweihung und Errichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitlicher Kontext, ursprüngliche Aussage und Standortfunktion . Faschistische Architektur in Südtirol: Hintergrund, Entstehung und Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entnationalisierung – Italianisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . Faschistische Bau- und Denkmalpolitik in Bozen . . . . . . . . . . Bau- und Denkmalpolitik in den Kleinstädten und in der Region . Die öffentliche Rezeption des Alpinidenkmals nach 1943 . . . . . . . Von der ersten Zerstörung bis zur ersten Wiedererrichtung: 1943–1951 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der ersten Wiedererrichtung bis zur zweiten Zerstörung: 1951–1966 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der zweiten Wiedererrichtung bis zur dritten Zerstörung: 1966–1979 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Intensivierung der Denkmaldebatte zur kritischen Auseinandersetzung: 1985–2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45 45 45 51
105 125
III. Straßennamen in Bozen, 1919–2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . Straßenumbenennungen, 1919–1943 . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tolomeis erste Umbenennungsvorschläge von 1919 . . . . . . . . .
127 127 128
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . Ausgangslage und Fragestellung Forschungsstand . . . . . . . . . Methodik . . . . . . . . . . . . . Aufbau und Quellenlage . . . . .
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Inhalt
Zur Funktion und Anwendung faschistischer Straßennamengesetze in Bozen nach 1923 . . . . . . . . . . . . . . Der Abessinienkrieg in den Bozner Straßennamen, 1936–1939 . . . Entfernt die ›Verräter‹!…Der Imperialismus aber darf bleiben, August–September 1943 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Straßenumbenennungen, 1945–1953 . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Arbeit der ersten Toponomastikkommission, 1945–1946 . . . . Die zweiten Umbenennungsverhandlungen, 1948–1949 . . . . . . . »E’ ancora in atto il ›caos‹ toponomastico«: zum Weiterverlauf der Umbenennungen, 1950–1953 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Straßenumbenennungen nach 1953 . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Namen für neue Straßen: Zu den Benennungen von 1958–1967 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Piazza della Vittoria zur Piazza della Pace und zurück: Straßennamendebatten nach 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Südtiroler Heimatbücher, 1951–2012 . . . . . . . . . . . . . Systematik der Südtiroler Heimatbücher . . . . . . . . . . . Gattungs- und Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . Adressaten und Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . Quantitative Auswertung nach 1951 . . . . . . . . . . . . Autoren- und Herausgeberschaften . . . . . . . . . . . . . Aufbau und Inhalte historischer Narrative . . . . . . . . . . Prämissen der Heimatgeschichtsschreibung . . . . . . . . Inhaltliche Entwicklung des Südtiroler Heimatbuchkanons Bisherige Leerstellen des Südtiroler Heimatbuchkanons . Ursprünge historiographischer Narrative . . . . . . . . . Erzählungen vom Faschismus und vom Abessinienkrieg . . Eine Erzählung vom Faschismus . . . . . . . . . . . . . . Mancherlei Erzählungen vom Abessinienkrieg . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
135 144 150 155 156 163 171 180 182 186 192
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195 195 196 200 204 211 216 216 219 223 226 233 233 242 259
V. Schweigen und Erzählen, 1945–2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom eingestimmten Schweigen kollektiver Nachkriegsgedächtnisse Das Schweigen über den Abessinienkrieg im Italien der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Schweigen über den Abessinienkrieg im Südtirol der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unstimmigkeiten individueller und kommunikativer Nachkriegsgedächtnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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11
Inhalt
Zum individuellen Nachkriegsgedächtnis eines ›Südtirolers‹ im Abessinienkrieg, 1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veteranenstimmen im kommunikativen Nachkriegsgedächtnis, 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Kollektiverzählung zum historiographischen Diskurs . . . . Erzählungen aus der Peripherie: Zur ersten Aufarbeitung von 2006 Jüngste Forschungs- und Erzählansätze nach 2006 . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
287 300 313 313 319 327
VI. Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anhang . . . Dank . . Literatur Quellen .
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I.
Einleitung
Ausgangslage und Fragestellung Wendet sich eine historische Studie dem Untersuchungsraum ›Südtirol‹ zu, so fällt rasch auf, dass dieser bei genauerem Hinsehen immer wie schlechter fassbar wird. Nicht nur hatten diverse Akteure zu verschiedenen Zeiten andere Vorstellungen davon, wo die Grenzen1 jener Region genau verlaufen sollten.2 Auch lag ›Südtirol‹ nicht immer unbedingt am selben Ort. Ganz zu schweigen von der andauernden Streitfrage, ob es denn ›Südtirol‹, ›Süd-Tirol‹ oder ›Alto Adige‹ als solches überhaupt geben dürfe.3 Ferner verfügen die Bergtäler am Fuße des 1 Wobei sich in Südtirol seit jeher verschiedene kulturelle, staatsrechtliche, politische, wirtschaftliche, sprachliche, soziale, kirchliche sowie auch zeitliche Grenzen überlagern und dabei über eine ihnen eigene, immanente Entwicklungsdynamik verfügen. Zur allgemeinen Polyvalenz von Grenzräumen siehe auch: FranÅois, Etienne/Seifarth, Jörg/Struck, Bernhard: Grenzen und Grenzräume: Erfahrungen und Konstruktionen, in: Die Grenze als Raum. Deutschland, Frankreich und Polen vom 17. bis 20. Jahrhundert, Dies. (Hg.), Frankfurt a.M. 2007, S. 7–33, hier S. 21–24; Albertoni, Giuseppe: La mobilit/ di confini del tempo, in: Die Grenzen der Provinz / I limiti della provincia, Arbeitsgruppe Regionalgeschichte, Bozen (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 1 (1992), Heft 1, S. 13–21, hier S. 20; Huber, Florian: Region takes place! Oder : Über welchen Raum schreibt die trentinisch-tirolerische Regionalgeschichte? Ein Rezensionsessay, in: Bewegte Geschichte, Andrea Bonoldi u. a. (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 21(2012), Heft 1& 2, S. 185–211, hier S. 205; Di Michele, Andrea: Salurn und die mobile Grenze, in: An der Grenze. Sieben Orte des Durchund Übergangs in Tirol, Südtirol und im Trentino aus historischer und ethnologischer Perspektive, Andrea Di Michele/Emanuela Renzetti/Ingo Schneider/Siglinde Clementi (Hg.), Bozen 2012, S. 231–291, hier S. 260–266. 2 Gehler, Michael: Der Brenner: Vom Ort negativer Erfahrung zum historischen Gedächtnisort oder zur Entstehung und Überwindung einer Grenze in der Mitte Europas (1918–1998), in: Grenzen in Europa, Michael Gehler/Andreas Pudlat (Hg.), Hildesheim/Zürich/New York 2009, S. 145–185. 3 Während ›Südtirol‹ im Deutschen die gängigste Bezeichnung darstellt, ist im Italienischen je nach dem vom ›Alto Adige‹ oder etwas versöhnlicher von ›Sudtirolo‹ die Rede. Deutschnationalistische Organisationen und Parteien wie beispielsweise die Süd-Tiroler Freiheit schreiben derweil mit Vorliebe von ›Süd-Tirol‹, womit sie die angebliche kulturelle und politische Zugehörigkeit zum nördlich der Landesgrenze gelegenen Tirols behaupten.
14
Einleitung
Brenners seit jeher über unterschiedliche kulturpolitische Gravitationsfelder, sodass dieser Grenzraum4 inmitten Europas von verschiedenen analytischen Perspektiven her kaleidoskopische Wechselbilder von sich gibt.5 Während demnach im späten 19. Jahrhundert italienische Irredentisten den Anspruch erhoben, dass ›Alto Adige‹ aufgrund des angeblich natürlich vorgegebenen Grenzverlaufs des Alpenfußes sowie seines italienischsprachigen Bevölkerungsanteils zu Italien gehöre, waren solche Ansichten im Einzugsgebiet der Etsch, des Eisacks und der Rienz kaum von Gewicht. Hier wurde mit ›Südtirol‹ oder ›Welschtirol‹ gemeinhin das italienischsprachige ›Trentino‹ bezeichnet,6 welches gemäß dem Tiroler-Volksbund dafür zu germanisieren war.7 Derweil identifizierten sich die Meraner in erster Linie als ›Burggräfler‹, die Ortschaften zwischen Bozen und Salurn als ›Unterland‹ oder die Pustertaler allgemeiner als ›Tiroler‹.8 Zu ›Südtirolern‹ wurden sie allesamt erst nach 1919 als Sprachminderheit im italienischen Königreich.9 Die Landesgeschichte10 und der Heimatschutzverein hatten bis dahin ebenfalls einen Kulturraum ›Tirol‹ postuliert und diesem eine traditionsverbundene ›Volksgemeinschaft‹ zugewiesen,11 wofür sie 4 Zum Versuch einer definitorischen Umschreibung des historischen Phänomens Grenzraum vgl. FranÅois/Seifarth/Struck, Grenzen und Grenzräume, S. 19–20. 5 Grote, Georg: »Besessen und Vergessen«. Historische Forschung und Geschichtsvermittlung in Südtirol, in: Südtirolismen. Erinnerungskultur – Gegenwartsreflexion – Zukunftsvisionen, Georg Grote/Barbara Siller (Hg.), Innsbruck 2011, S. 101–113, hier S. 103; Gehler, Der Brenner, S. 145–150; Di Michele, Andrea: Einleitung, in: An der Grenze. Sieben Orte des Durch- und Übergangs in Tirol, Südtirol und im Trentino aus historischer und ethnologischer Perspektive, Andrea Di Michele/Emanuela Renzetti/Ingo Schneider/Siglinde Clementi (Hg.), Bozen 2012, S. 7–11, hier S. 8. 6 Di Michele, Salurn und die mobile Grenze, 234–235. 7 Gehler, Der Brenner, S. 150–151; Meixner, Wolfgang: Mythos Tirol, in: Die Grenzen der Provinz / I limiti della provincia, Arbeitsgruppe Regionalgeschichte, Bozen (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 1 (1992), Heft 1, S. 88–106, hier S. 92. 8 Gatterer, Claus: Schöne Welt, böse Leut. Kindheit in Südtirol, 4. Aufl., Bozen 2015, S. 10; Di Michele, Salurn und die mobile Grenze, S. 241–245. 9 Obermair, Hannes: Geschichtsblindes Südtirol, in: FF, 38 (2018), S. 40–41, hier S. 40. 10 Die Landesgeschichte ist von der Regionalgeschichte Südtirols nach Ernst Langthaler folgendermaßen zu unterscheiden: »Während die eine [Landesgeschichte, SDP] im Kontext der deutschen Verfassungs- und ›Volksgeschichte‹ vor 1945 ihre Ausformung erfahren hat, leitet sich die andere [Regionalgeschichte, SDP] aus theoretisch-methodischen Neuansätzen des Historischen Materialismus der DDR-Historiographie und der französischen AnnalesSchule nach 1945 her. Während die eine das ›Land‹ als von der Forschung unabhängige Gegebenheit sieht, betrachtet die andere die ›Region‹ als im historischen Erkenntnisverlauf gemacht.« Vgl. Langthaler, Ernst: Orte in Beziehung. Mikrogeschichte nach dem Spatial Turn, in: Bewegte Geschichte / Storia in movimento, Andrea Bonoldi u. a. (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 21 (2012), Heft 1& 2, S. 27–42, hier S. 31. 11 Meixner, Mythos Tirol, S. 91 sowie S. 102–105; Heiss, Hans, Identität und Wissenschaft an der Grenze: Landes- und Regionalgeschichte in Tirol und Südtirol, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte, Klaus Neitmann (Hg.), 147. Jahrgang, Potsdam 2011, S. 31–59, hier S. 31; Huber, Region takes place!, S. 187.
Ausgangslage und Fragestellung
15
sich an der dem Kronland Österreich angehörenden Grafschaft orientierten. Aber gerade staatsrechtlich herrschte über die Zugehörigkeit ›Südtirols‹ lange Zeit Uneinigkeit: Ob zwischen 1923 und 1927 als ›Venezia Tridentina‹, bis 1943 als ›Provinz Bozen‹, anschließend für zwei Jahre als ›Operationszone Alpenvorland‹ sowie von 1946 bis 1972 als ›Trentino-Tiroler Etschland‹ oder danach als ›Autonome Provinz Bozen-Südtirol‹, verlief das Grenzgebiet auf den Landkarten des 20. Jahrhunderts nach anderen machtpolitischen Koordinaten.12 Dieser Überblick führt vor Augen, dass ›Südtirol/Alto Adige‹ in erster Linie einen Diskursraum darstellt, der seit jeher durch unterschiedliche, aufeinander bezogene Erzählungen13 konstituiert wird.14 Von politischer und historischer Tragweite waren hierbei diejenigen hegemonialen Narrative15, welche sich gegenüber anderen durchsetzen und diese zugleich marginalisieren konnten.16 Davon ausgehend erscheint es sinnvoll, den Raum ›Südtirol‹ über unterschiedliche Erinnerungsdiskurse in den Blick zu nehmen, welche dessen geschichtliche Dynamik in den Fokus stellen.17 Somit wird ›Südtirol‹ in der vorliegenden Arbeit primär als ein diskursives Handlungsfeld verstanden, das seit dem späten 19. Jahrhundert durch zahlreiche konkurrierende, gedächtniskulturelle Erzählungen geprägt wurde, die teilweise noch bis heute Spuren im öffentlichen Raum hinterlassen haben.18 Die konfliktträchtige Geschichtspolitik19 Südtirols, die nach 12 Di Michele, Salurn und die mobile Grenze, S. 235–237, S. 255–256, sowie S. 270–284. 13 Erzählung wird hier als und nachfolgend als eine »grundlegende Form des Weltzugangs« einer Erzählinstanz begriffen, womit sie eine »spezifische Verknüpfung« von »Geschehnissen« äußert und damit einhergehend bestimmte »Ereignissequenzen« strukturell repräsentiert – so die weitgefasste Definition nach Achim Saupe und Felix Wiedemann. Vgl. Saupe, Achim/Wiedemann, Felix: Narration und Narratologie. Erzähltheorien in den Geschichtswissenschaft, in: Docupedia-Zeitgeschichte, Version 1.0, 28. 01. 2015, S. 3–4. 14 Wodak u. a., Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität, S. 61; Duhamelle, Christophe/Kossert, Alexander/Struck, Bernhard: Einleitung. Perspektiven für eine vergleichende Grenzforschung Europas, in: Grenzregionen. Ein europäischer Vergleich vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Dies. (Hg.), Frankfurt a.M. 2007, S. 9–25, hier S. 10–11 sowie S. 16. 15 Hierzu ebenfalls die Begriffsbestimmung nach Saupe und Wiedemann. Vgl. Saupe/Wiedemann, Narration und Narratologie, S. 3–4. 16 Wodak u. a., Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität, S. 42–44; Meixner, Mythos Tirol, S. 92–93. 17 Obermair, Geschichtsblindes Südtirol, S. 40; Verdorfer, Martha: Individuelles und kollektives Nachkriegsgedächtnis, in: Südtirol – Stunde Null? Kriegsende 1945–1946, Hans Heiss/ Gustav Pfeifer (Hg.), Innsbruck 2000, S. 296–311, hier S. 296; Wodak u. a., Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität, S. 43; Huber, Region takes place!, S. 185–186; Sabrow, Martin: Der Raum der Erinnerung, in: Gedächtnisräume. Geschichtsbilder und Erinnerungskulturen in Norddeutschland, Janina Fuge / Rainer Hering / Harald Schmid (Hg.), Formen der Erinnerung Bd. 56, Göttingen 2014, S. 17–33, hier S. 27 sowie S. 31. 18 Pallaver, Günther : South Tyrol. From an Ethnic to a New Territorial Cleavage, in: Challenges for Alpine Parties. Strategies of Political Parties for Identity and Territory in the Alpine Regions, Ders./Claudius Wagemann (Hg.), Innsbruck 2012, S. 101–127, hier S. 105–106; Langthaler, Orte in Beziehung, S. 34.
16
Einleitung
wie vor die regionalen Medien, Gedenkfeiern, Denkmaldebatten, den Schulunterricht, die staatlichen Institutionen sowie die Landesgeschichte bestimmt, ist schließlich als ein unmittelbarer Ausdruck davon zu verstehen.20 Dieser fortlaufende, erinnerungspolitische Diskurs wird wesentlich von den daran beteiligen Sprachgruppen diktiert, die den Bedeutungsgehalt Südtirols mit ihrer jeweils eigenen Erzählkultur21 beanspruchen.22 Zeitweise entstanden dadurch von Zusammengehörigkeit und Abgrenzung geprägte, historisch begründete Identitätsangebote,23 anhand derer sich die Bewohner der Brennerregion entsprechend ihrer Sprachethnie orientieren sollten.24 Der daraus hervorgehende Konflikt zweier Kulturnationalismen25 ist im Europa des 20. Jahrhunderts einmalig:26 Nirgendwo sonst stritten deutsch- und 19 Hierzu die Definition von Geschichtspolitik nach Edgard Wolfrum, von welcher die vorliegende Arbeit ausgeht: »Geschichtspolitik ist ein Handlungs- und Politikfeld, auf dem verschiedene Akteure Geschichte mit ihren spezifischen Interessen befrachten und politisch zu nutzen suchen. Sie zielt auf die Öffentlichkeit und trachtet nach legitimierenden, mobilisierenden, politisierenden, skandalisierenden, diffamierenden u. a. Wirkungen in der politischen Auseinandersetzung.« Vgl. Wolfrum, Edgar : Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948–1990, Darmstadt 1999, S. 25–26. 20 Verdorfer, Individuelles und kollektives Nachkriegsgedächtnis, S. 297–300. 21 Saupe und Wiedemann beschreiben Erzählkulturen als diejenigen Erzählmuster, die jeweils in Literatur, Wissenschaft und Gesellschaft vorhanden sind, um eine Geschichte zu erzählen, »und welchen Bedeutungsüberschuss sie jeweils mit sich führen.« Vgl. Saupe/Wiedemann, Narration und Narratologie, S. 13. 22 Ostermann, Patrick/Claudia Müller/Rehberg, Karl-Siegbert: Der nordostitalienische Grenzraum als Erinnerungsort, in: Der Grenzraum als Erinnerungsort. Über den Wandel zu einer postnationalen Erinnerungskultur in Europa, Dies. (Hg.), Bielefeld 2012, S. 9–27, hier S. 13. 23 Wodak u. a., Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität, S. 70. 24 Erll, Astrid/Roggensdorf, Simone: Kulturgeschichtliche Narratologie: Die Historisierung und Kontextualisierung kultureller Narrative, in: Neue Ansätze in der Erzähltheorie, Ansgar Nünning/Vera Nünning (Hg.), Trier 2002, S. 73–115, hier S. 77; Grote, »Besessen und Vergessen«, S. 103. 25 Unter dem Begriff Kulturnationalismus ist die von deutsch- und italienischsprachigen Rechtsparteien und Zivilorganisationen postulierte Zugehörigkeit Südtirols zum entweder deutschen oder italienischen ›Kulturraum‹ zu verstehen. Während deutsch-nationalistische Exponenten der Regionalpolitik davon ausgehend die Selbstbestimmung Südtirols einfordern, verlangen deren italienische Gegenspieler dafür eine umso stärkere Präsenz des Italienischen Staates in der nördlichsten Grenzprovinz des Landes. Um deren antagonistische Anliegen zu propagieren, verfügen beide Seiten nicht nur über weitreichende Einflüsse in der regionalen Politik und Verwaltung, sondern ebenso im dortigen Medien- und Kulturbetrieb. 26 Beispielhaft dazu ist sicherlich der faschistische Städtebau in Bozen bzw. der in der Nachkriegszeit stattgefundene Umgang mit diesem umstrittenen, imperialen Architekturerbe. Vgl. Dunajtschik Harald/Mattioli, Aram: Die »Citt/ nuova« von Bozen. Eine Gegenstadt für eine Parallelgesellschaft, in: Für den Faschismus bauen. Architektur und Städtebau im Italien Mussolinis, Aram Mattioli/Gerald Steinacher (Hg.), Zürich 2009, S. 259–287, hier S. 260; Dunajtschik, Harald: Erinnerungskulturen in Bozen. Giorno della Memoria und Friedensplatz – Stolpersteine und Semiruralihaus, Innsbruck 2017, S. 195–199.
Ausgangslage und Fragestellung
17
italienisch-nationalistische Parteien derart verbissen um die angeblich rechtmäßige Zugehörigkeit eines von ihnen beanspruchten ›Kulturraums‹ – sei dies im Gewand von Faschismus gegen Nationalsozialismus oder später in demjenigen rechtsextremer Parteien und Zivilorganisationen beider Sprachgruppen.27 Deren Dominanzanspruch formulierten sie dabei mit Hilfe diskursiver Strategien,28 denen bestimmte Kapitel aus der jüngeren Landesgeschichte besonders zuträglich waren.29 Das Ziel dieser polarisierenden Geschichtsdebatte bestand grundsätzlich darin, jeweils für die eigene Gruppe aus der Vergangenheit politische Ansprüche herzuleiten.30 Die Deutschsüdtiroler bedienten sich hierbei überwiegend einer für ihr Selbstbild konstruktiven Erzählstrategie,31 welche die unter dem Faschismus erlittene Repression überbetonte: Letztendlich um dafür Wiedergutmachung in Form von Autonomie oder Selbstbestimmung einzufordern. Wogegen die nach Rom ausgerichtete italienisch-nationalistische Lesart der Geschichte darum bemüht war, mit einer narrativen Bewahrungsstrategie32 die angebliche Italianit/ Südtirols zu verteidigen.33 Dazu unterstrichen deren Wortführer die unter dem Nationalsozialismus erlebten Schrecken der ›Operationszone Alpenvorland‹ sowie die damit einhergegangene, bereitwillige Kollaboration vieler Südtiroler.34 Vermittelnde Zwischenstimmen individueller Gedächtnisse oder der Regionalgeschichte,35 welche sich abseits ethnonationa-
27 Gatterer, Claus: Südtirol und der Rechtsextremismus, in: Rechtsextremismus in Österreich nach 1945, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (Hg.), S. 336–354, hier S. 336 sowie S. 347–348. 28 Hall, Stuart: Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2, Hamburg/Berlin 1994, S. 202–203; Wodak u. a., Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität, S. 61–63. 29 Grote, »Besessen und Vergessen«, S. 102; Gatterer, Südtirol und der Rechtsextremismus, S. 337; Assmann, Aleida: Memory, Individual and Collective, in: The Oxford Handbook of contextual political analysis, Robert E. Goodin/Charles Tilly (Hg.), New York 2006, S. 210– 227, hier S. 216; Steurer, Leopold: Südtirol und der Rechtsextremismus. Über »Urangst«Politik, Geschichtsrevisionismus und rechte Seilschaften, in: Der identitäre Rausch. Rechtsextremismus in Südtirol, Günther Pallaver/Giorgio Mezzalira (Hg.), Bozen 2019, S. 115–155, hier S. 138–139. 30 Gatterer, Südtirol und der Rechtsextremismus, S. 339–340; Meixner, Mythos Tirol, S. 88; Gehler, Michael: Vergangenheitspolitik und Demokratieentwicklung südlich des Brenners. Überlegungen zur »alten« und »neuen« Zeitgeschichtsschreibung Südtirols, in: Demokratie und Erinnerung Südtirol – Österreich – Italien. Festschrift für Leopold Steurer zum 60. Geburtstag, Christoph von Hartungen/Hans Heiss/Günther Pallaver/Carlo Romeo/ Martha Verdorfer (Hg.), Innsbruck 2006, S. 107–125, hier S. 107–108. 31 Wodak u. a., Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität, S. 76. 32 Ebd., S. 76. 33 Grote, Georg: I bin a Südtiroler. Kollektive Identität zwischen Nation und Region im 20. Jahrhundert, Bozen 2009, S. 268. 34 Verdorfer, Martha: Zweierlei Faschismus. Alltagserfahrungen in Südtirol 1918–1945, Wien 1990, S. -11; Dies., Individuelles und kollektives Nachkriegsgedächtnis, S. 298. 35 Verdorfer, Individuelles und kollektives Nachkriegsgedächtnis, S. 301–304 sowie S. 113–115.
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Einleitung
listischer Grabenkämpfe der Vergangenheit der Brennerregion kritisch zuwendeten, blieben dagegen weitgehend ungehört.36 Die vorliegende Arbeit wendet sich mit dem Abessinienkrieg nun solch einem umstrittenen Kapitel der Südtiroler-Geschichte zu, über welches in der Nachkriegszeit aus geschichtspolitisch unterschiedlichen Gründen gesprochen und geschwiegen wurde.37 Denn auch wenn es sich bei diesem imperial-faschistischen Expansionskrieg um ein von Rom aus initiiertes Unternehmen handelte, so haben daran doch auch nicht wenige der vom selben Regime unterworfenen Südtiroler aus verschiedenen Gründen teilgenommen. Inwiefern dieser anscheinende Widerspruch von nationalistischen Exponenten beider Sprachgruppen in der Nachkriegszeit aufgenommen und verarbeitet wurde, um im Endeffekt als Argument regionalpolitischer Kampagnen herzuhalten, gilt es hiernach beantworten. Allgemein kann vorweggenommen werden, dass der von Rom beeinflusste Nationalismus den Abessinienkrieg oftmals als glänzendes Beispiel des selbstlosen Einsatzes des italienischen Volks für dessen ›Impero‹ zitierte, welchen es nun an der Nordgrenze der Nation entsprechend zu wiederholen galt.38 Auf der anderen Seite schwiegen sich die deutsch-nationalistischen Meinungsmacher lange über den Abessinienkrieg aus. Die Teilnahme von Südtirolern an diesem Feldzug stand grundsätzlich quer zu deren Geschichtsbild einer wehrhaften und eigenständigen Bergregion, deren Einwohner vom Faschismus zwar jahrelang unterdrückt wurden, ihm aber stets widerstanden hätten.39 Erst als die unfassbare Brutalität der faschistischen Kriegsmaschinerie in Äthiopien dank der Pionierarbeit Angelo Del Bocas seit den Sechzigerjahren allmählich publik wurde,40 wendete sich das deutsch-nationalistische Vergangenheitsnarrativ zaghaft dem Abessinienkrieg zu. Zunächst jedoch allein um damit die althergebrachte Erzählung des von den Südtirolern nach 1919 angetretenen Leidenswegs um eine weitere Episode zu ergänzen.41 Von einem kritisch-historischen Interesse am Abessinienkrieg kann in Südtirol erst seit den
36 Gehler, Vergangenheitspolitik und Demokratieentwicklung südlich des Brenners, S. 109– 110; Pallaver, Günther : Schlachtfest und Paradigmenwechsel. Zur Situation der Geschichtsschreibung in Südtirol, in: Zeitgeschichte, 25 (1998), Heft 1& 2, S. 69–77, hier S. 69– 70. 37 Winter, Jay : Thinking about silence, in: Shadows of War. A Social History of Silence in the Twentieth Century, Efrat Be-Zev’ev/Ruth Ginion/Jan Winter (Hg.), Cambridge 2010, S. 3–32, hier S. 4. 38 Grote, »Besessen und Vergessen«, S. 107; Pallaver, South Tyrol, S. 106. 39 Gatterer, Südtirol und der Rechtsextremismus, S. 340. 40 Del Boca, Angelo: La guerra d’Abissinia 1935–1941, Mailand 1965. 41 Pallaver, Günther : Schlamm drüber, in: Südtirol – Stunde Null? Kriegsende 1945–1946, Hans Heiss/Gustav Pfeifer (Hg.), Innsbruck 2000, S. 256–281, hier S. 265–266.
Ausgangslage und Fragestellung
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Nullerjahren die Rede sein.42 Der Abessinienkrieg eignet sich demnach insofern als ein idealer Untersuchungsgegenstand der in Südtirol vorhandenen Kollektivgedächtnisse, als dass an diesem die internen Widersprüche der kulturnationalistischen Lager sowie deren gegenseitige Spannungsverhältnisse sichtbar werden. Somit gelingt schließlich ein kritischer Blick auf die im Gedächtnisraum Südtirol wirkenden, geschichtspolitischen Akteure und deren Handlungsfelder. Die Arbeit geht folglich zwei Leitfragen nach. Erstens wird untersucht, wie die antagonistischen Erzählweisen vom Abessinienkrieg am Fuße des Brenners in der Nachkriegszeit inhaltlich genau aus- bzw. umformuliert wurden und an welchen Erinnerungsorten43 sie zeitweise aufeinandertrafen – oder parallel nebeneinher verliefen.44 Hierfür geht die Arbeit den sich gegenüber der imperialen Aggression Mussolinis öffentlich herausgebildeten Erzähl- und Schweigepraktiken nach. Eine Analyse der Funktion des Abessinienkriegs für den Gedächtnisraum Südtirol vermag somit die darin wirkenden geschichtspolitischen Kraftfelder auszumachen sowie deren effektiven Einfluss auf die Erinnerungskultur45 der Region offenzulegen. Zum einen werden die dabei wirkenden 42 Hierfür war hauptsächlich der von Gerald Steinacher herausgegebene Sammelband ausschlaggebend. Dieser wird an späterer Stelle noch eingehend besprochen. Vgl. Steinacher, Gerald (Hg.): Zwischen Duce und Negus. Südtirol und der Abessinienkrieg 1935–1941, Bozen 2006. 43 Ausgehend von dem von Pierre Nora erstmals beschrieben Untersuchungsgegenstands des Erinnerungsorts – oder auch Gedächtnisorts – wird in der vorliegenden Arbeit für ebendiesen die Definition von Etienne FranÅois und Hagen Schulze verwendet, den die beiden Historiker für ihre Studie über Deutsche Erinnerungsorte vorgeschlagen haben. Erinnerungsorte stellen demnach: »[…] langlebige, Generationen überdauernde Kristallisationspunkte kollektiver Erinnerung und Identität«, dar, »die in gesellschaftliche, kulturelle und politische Üblichkeiten eingebunden sind und die sich in dem Maße verändern, in dem sich die Weise ihrer Wahrnehmung, Aneignung, Anwendung und Übertragung verändert.« Dem ist ferner der Einwand von Georg Kreis hinzuzufügen, dass benachbarte Erinnerungsorte in ihrem Zusammenwirken innerhalb eines sie überspannenden Gedächtnisraums zu untersuchen sind, damit das ihnen zugrundeliegende »Erinnerungssystem als Ganzes« greifbar wird. Vgl. Nora, Pierre: Comment 8crire l’histoire de France?, in: Ders. (Hg.): Les lieux de m8moire, Paris 1992, S. 2226; Schulze, Hagen/FranÅois, Etienne: Einleitung, in: Dies. (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte. München 2001, Bd. 1, S. 9–24, hier : S. 18; Kreis, Georg: Schweizer Erinnerungsorte. Aus dem Speicher der Swissness, Zürich 2010, S. 334 sowie S. 342; Siebeck, Cornelia: Erinnerungsorte, Lieux de M8moire, in: Docupedia-Zeitgeschichte, Version 1.0., 02. 03. 2017, S. 3–4 sowie S. 12. 44 Popular Memory Group: Popular memory : theory, politics, method, in: Oral History. Critical Concepts in Historical Studies, Vol. II., Graham Smith (Hg.), New York 2017, S. 221–233, hier S. 222–223. 45 Nach Christoph Cornelißen fungiert Erinnerungskultur als ein »Oberbegriff für alle denkbaren Formen der bewussten Erinnerung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse […], seien sie ästhetischer, politischer oder kognitiver Natur.« Als Träger dieser Kulturform identifiziert Cornelißen: »Individuen, soziale Gruppen oder sogar Nationen […], teilweise in Übereinstimmung miteinander, teilweise […] in einem konfliktreichen Gegeneinander.« Erinnerungskulturen zielen mittels eines »funktionalen Gebrauch der
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Machtstrukturen erkennbar.46 Zum anderen deckt der historische Entwicklungsprozess ebenjener Machtverhältnisse auf, welche Akteure die Deutungshoheit der Geschichte nach 1945 jeweils in den Händen hielten und das politische Gedächtnis47 Südtirols entsprechend prägten.48 Zweitens liegt das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie darin, den erinnerungskulturellen Stellenwert des Abessinienkriegs für das Südtirol der Nachkriegszeit zu eruieren: Zu welchem Zeitpunkt tauchte der Abessinienkrieg an bestimmten Erinnerungsorten auf, welche Gedächtnisgemeinschaften49 bestimmten die einzelnen Debatten und was für kulturpolitische Agenden wurden damit genau verfolgt? Mit dem Kriegsende von 1945 soll freilich keine strikte, historische Grenzlinie gezogen werden. Im »Eldorado für Belastete«50 liefen mancherlei politische sowie kulturelle Prozesse und Strukturen weiter,51 die in den Jahren faschistischer- oder nationalsozialistischer Herrschaft ihren Anfang genommen hatten.52 Allerdings nahm damals ein erinnerungspolitischer Prozess seinen Lauf, bei welchem sich die Südtiroler innerhalb demokratischer Debatten mit den Geschehnissen der zurückliegenden Jahrzehnte zu beschäftigten begannen. Die dazu verwendeten Verarbeitungsmechanismen gestalteten schließlich wesentlich das kollektive Gedächtnis der Brennerregion mit. Die nachfolgende Arbeit legt den Schwerpunkt deshalb zwar auf den während der Nachkriegszeit be-
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Vergangenheit für gegenwärtige Zwecke«, auf die »Formierung einer historisch begründeten Identität ab.« Vgl. Cornelißen, Christoph: Erinnerungskulturen, in: Docupedia-Zeitgeschichte, Version 2.0., 22. 10. 2012, S. 2. Popular Memory Group, Popular memory, S. 223–224. Zu dieser spezifischen Form kollektiver Gedächtnisse im Dienste nationaler – oder im Falle Südtirols auch regionaler – Identitätspolitik vgl. Assmann, Memory, Individual and Collective, S. 215–220. Verdorfer, Individuelles und kollektives Nachkriegsgedächtnis, S. 306. Gedächtnisgemeinschaften orientieren sich gemäß Jan Assmann an der Frage »Was dürfen wir nicht vergessen?«, wobei die Antwort darauf für die Gruppenidentität und das Selbstverständnis einer Gemeinschaft entscheidend ist sowie deren politische und kollektive Handlungsfähigkeit sicherstellt. Vgl. Assmann, Jan: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: Kultur und Gedächtnis, ders./Tonio Hölscher (Hg.), Frankfurt a.M. 1998, S. 9– 19, hier S. 30; Moller, Sabine: Erinnerung und Gedächtnis, in: Docupedia-Zeitgeschichte, Version 1.0., 12. 04. 2010, S. 6. Pallaver, Schlamm drüber, S. 263. Verdorfer, Zweierlei Faschismus, S. 12; Dies., Individuelles und kollektives Nachkriegsgedächtnis, S. 304–305; Gatterer, Südtirol und der Rechtsextremismus, S. 336 sowie S. 339; Gehler, Vergangenheitspolitik und Demokratieentwicklung südlich des Brenners, S. 117. Solche ideologischen Kontinuitäten wurden unter anderem deshalb geschaffen, da viele Nationalsozialisten sowie Faschisten in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Südtirol Zuflucht fanden und sich dort ein zweites Leben aufbauten, während welchem viele von ihnen zu prominenten Wortführern des Kulturnationalismus avancierten. Vgl. Pallaver, Schlamm drüber, S. 258–264 sowie. S 267; Di Michele, Andrea: I segretari comunali in Alto Adige tra Italia liberale, fascismo e Repubblica, in: Regionale Zivilgesellschaft in Bewegung / Cittadini innanzi tutto. Festschrift für Hans Heiss, Hannes Obermair/Stephanie Risse/Carlo Romeo (Hg.), Bozen 2012, S. 402–424, hier S. 417–419.
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gonnenen Vergangenheitsdiskurs Südtirols, nimmt aber gleichzeitig die nach 1945 weiterlaufenden, geschichtspolitischen Kontinuitäten in den Blick.53 Zusammenfassend geht die Suche nach der erinnerungskulturellen Funktion des Abessinienkriegs für die Bergtäler rund um Bozen somit von vier Thesen aus. Erstens wurde der dortige Gedächtnisraum in der Nachkriegszeit von kulturnationalistischen Vergangenheitserzählungen eingenommen, bei denen mancherlei narrative Kontinuitäten aus den Jahren faschistischer- und nationalsozialistischer Herrschaft weiterwirkten. Innerhalb dieser konfliktgeladenen Debatten kamen zweitens lange Zeit nur diejenigen Geschichtskapitel zur Sprache, welche den diskursiven Strategien italienisch- oder deutsch-nationalistischer Meinungsmacher gerade dienlich waren. Drittens wurde die kollektive Erinnerung an den Abessinienkrieg von Beginn an instrumentalisiert, woraus nach 1945 an verschiedenen Erinnerungsorten miteinander konfligierende Erzählweisen hervorgingen. Viertens ist es schließlich dem Engagement aufgeschlossener Journalisten und Regionalhistoriker anzurechnen, dass heute auch komplexere Zugänge zur Verflechtungsgeschichte des Abessinienkriegs mit Südtirol diskutiert werden. Ausgehend von einer seit Mitte der Achtzigerjahren dort zunehmend institutionalisierten, kritischen Geschichtswissenschaft,54 liegen derartige Studien seit nunmehr zwölf Jahren vor und werden stetig durch neue Forschungsbeiträge ergänzt.
Forschungsstand Die vorliegende Studie ist mit der Suche nach den Erinnerungsorten des Abessinienkriegs in Südtirol der historischen Gedächtniswissenschaft zuzuordnen. Schließlich werden dabei gegenwartsbezogen Narrative vom Abessinienkrieg untersucht, die innerhalb geschichtspolitischer Debatten der Nachkriegszeit von einzelnen Erzählinstanzen vorgebracht wurden. Die Suche nach der Funktion des Abessinienkriegs für die von kulturnationalistischen Grabenkämpfen gezeichnete Erinnerungskultur Südtirols reiht sich somit in ein Forschungsfeld ein, das nach den Ursprüngen und Entwicklungsprozessen kollektiver Gedächtnisse fragt. Als die drei ersten Wegbereiter derartiger Analysen sind Friedrich Nietzsche, Aby Warburg sowie Maurice Halbwachs zu nennen. Nietzsche arbeitete hierzu in 53 Heiss, Hans/Obermair, Hannes: Erinnerungskulturen im Widerstreit. Das Beispiel der Stadt Bozen/Bolzano 2000–2010, in: Der Grenzraum als Erinnerungsort. Über den Wandel zu einer postnationalen Erinnerungskultur in Europa, Patrick Ostermann, Claudia Müller und Karl-Siegbert Rehberg (Hg.), Bielefeld 2012, S. 63–81, hier S. 78. 54 Grote, »Besessen und Vergessen«, S. 110–111; Heiss/Obermair, Erinnerungskulturen im Widerstreit, S. 76; Obermair, Geschichtsblindes Südtirol, S. 41; Verdorfer, Zweierlei Faschismus, S. 12; Dies., Individuelles und kollektives Nachkriegsgedächtnis, S. 302.
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seiner berühmten Schrift ›Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben‹ die Theorie aus, dass das Vergessen dem Leben des einzelnen Menschen mindestens genauso dienlich sei, wie das Erinnern derselben Vergangenheit. So sei »das Unhistorische und das Historische […] gleichermaßen für die Gesundheit eines Einzelnen, eines Volkes und einer Cultur nöthig.«55 Von seiner biologistischen Wortwahl abgesehen,56 gab Nietzsche hiermit die ersten Grundgedanken zur gesellschaftlichen Relevanz identitätsstiftender Geschichtskonzeptionen vor. Eine eigentliche Gedächtnisforschung bildete sich danach später zuerst in den Arbeiten des Kulturwissenschaftlers Aby Warburg aus den Zwanzigerjahren heraus, wobei dieser ausgehend von seinem Bilderatlas ›Mnemosyne‹ den Begriff der Erinnerungsgemeinschaft ins Spiel brachte.57 Damit beschrieb Warburg ein soziales Gedächtnis, das einem den Orient und Okzident umspannenden Kulturkreis entstammt. Innerhalb von diesem geben kollektive Bilder und Gebärden dem Einzelmenschen rationale sowie mythologische Erklärungen gegenüber irrationalen Ängsten vor.58 Auf Warburgs fragmentierte Gedanken folgte einige Jahre später die Theorie des französischen Soziologen Maurice Halbwachs. Halbwachs schrieb dabei erstmals von kollektiven Gedächtnissen in Form sozialer Bezugsrahmen, an denen ein Individuum während seines Lebens anknüpfen und teilhaben muss, um dadurch überhaupt erst private Erinnerungen herausbilden zu können. Innerhalb eines kulturellen Milieus bedingen sich das individuelle und soziale Gedächtnis folglich gegenseitig.59 Obwohl die Grundgedanken zum kollektiven Gedächtnis demnach schon relativ früh vorlagen, wurde das Konzept zur Analyse von Erinnerungskulturen erst in den späten Achtziger- und danach vor allem in den Neunzigerjahren
55 Nietzsche, Friedrich: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben (1874), Reclam Verlag, Stuttgart 2009, S. 12. 56 Schließlich gab es später auch Versuche, die angebliche Durchsetzungskraft von Kulturen in Anlehnung an Darwin und seiner Lehre des Evolutionismus mit genauso irreführenden wie folgenschweren Konzepten von genetisch gegebenen ›Rassengedächtnissen‹ zu belegen. Vgl. Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, 2. Auflage, Weimar 2011, S. 23. 57 Warburg, Aby : Der Bilderatlas Mnemosyne, Martin Warnke (Hg.), Berlin 2000; Diers, Michael: Mnemosyne oder das Gedächtnis der Bilder. Über Aby Warburg, in: Memoria als Kultur, Otto Gerhard Oexle (Hg.), Göttingen 1995, S. 79–95, hier S. 93–94. 58 Kany, Roland: Mnemosyne als Programm. Geschichte, Erinnerung und die Andacht zum Unbedeutenden im Werk von Usener, Warburg und Benjamin, Tübingen 1987, S. 176; Gombrich, Ernst H.: Aby Warburg. Eine intellektuelle Biographie, Frankfurt a.M. 1981, S. 382–384; Cornelißen, Erinnerungskulturen, S. 4; Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, S. 21–25. 59 Halbwachs, Maurice: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen (1925), Frankfurt a.M. 1985, S. 22–25; Ders.: Das kollektive Gedächtnis (1950), Stuttgart 1967, S. 35; Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, S. 17–18.
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wissenschaftlich breitenwirksam.60 Neben einem in den Siebzigerjahren begonnenen kulturwissenschaftlichen Ausbau der Geschichtswissenschaft,61 waren dafür vor allem außerakademische Impulse ausschlaggebend: So nahm am Ende des 20. Jahrhunderts das öffentliche Interesse an Geschichte weltweit markant zu, was sich beispielsweise in neu eröffneten Museen und Gedenkstätten, der Produktion zahlreicher Spielfilme sowie veröffentlichter Memoiren und anderen Zeitzeugnissen niederschlug. Die Gründe für die damals erhöhte Nachfrage an neuen Einblicken in die Vergangenheit sind komplex. Erstens verloren mit dem Ende des Kalten Krieges die von den maßgebenden Ideologien vorgegebenen Meistererzählungen62 an Geltungskraft. Die vielerorts »eingefrorenen Erinnerungen«63 tauten langsam wieder auf und gerade in den vormaligen Ländern der Sowjetunion wurde der Zugang zu bis dahin verschlossenen Archiven wieder möglich. Zweitens ließen sich auch die Forderungen der Menschen und Völker aus früheren Kolonialgebieten nicht länger überhören, die ebenso Anspruch auf ihre eigene Geschichte und Erinnerung erhoben. Dazu trug zweifellos drittens die Revolution elektronischer und digitaler Kommunikationstechnologien bei, dank welcher Informationen und Nachrichten global schneller zirkulieren und ausgetauscht werden konnten. Viertens schließlich markierten die Neunzigerjahre einen Generationenwechsel im kollektiven Gedächtnis der Nachkriegsgesellschaft. Die unfassbaren Schrecken des zurückliegenden Jahrhunderts wurden von den Überlebenden in hohem Alter ihren Nachkommen teils doch noch erzählt. Um solche Geschichten von Gewalt und Schuld für kommende Generationen zu erhalten, wurden einige dieser letzten, wertvollen Zeitzeugenerzählungen von massenmedialen Trägermedien aufgenommen und global verbreitet.64 Um die Konjunktur an öffentlicher Vergangenheitsarbeit gesellschaftswissenschaftlich zu beschreiben, bemühten sich schon früh die wegweisenden
60 Obschon auch frühere Autoren wie Arnold Zweig, Siegfrid Kracauer, Frederic Bartlett, Wilhelm Pinder, Karl Mannheim oder Walter Benjamin die Gedanken von Warburg und Halbwachs aufnahmen und weiterentwickelten. Vgl. Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, S. 23–24. 61 Cornelißen, Erinnerungskulturen, S. 5. 62 Middell, Matthias/Gibas, Monika/Hadler, Frank: Sinnstiftung und Systemlegitimation durch historisches Erzählen. Überlegungen zu Funktionsmechanismen von Repräsentationen des Vergangenen, in: Zugänge zu historischen Meistererzählungen, Dies. (Hg.), COMPARATIV. Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung, 10 (2000), Heft 2, S. 7–35, hier S. 24–26; Schaff, Barbara: Erzählen und kollektive Identität, in: Handbuch Erzählliteratur. Theorien, Analysen, Geschichte, Mat&as Mart&nez (Hg.), Stuttgart 2011, S. 89–97, hier S. 90. 63 Assmann, Memory, Individual and Collective, S. 210. 64 Ebd., S. 210–211; Moller, Erinnerung und Gedächtnis, S. 2.
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Arbeiten von Jan und Aleida Assmann.65 Darin erweiterten sie das Konzept des kollektiven Gedächtnisses um weitere Unterkategorien und gesellschaftliche Funktionsweisen. Zunächst unterschied Jan Assmann das kommunikative vom kulturellen Gedächtnis: Während es sich beim Ersteren um von Zeitzeugen mitgeteilte Erfahrungen handelt, die nach deren durchschnittlichen Lebensjahren von acht Jahrzehnten jeweils von einer neuen Erzählgeneration abgelöst werden, ist Letzteres weitaus langlebiger. Bei diesem handelt es sich um kulturell etablierte Erinnerungsformen, welche zeitlich grundsätzlich unbegrenzt sind. Innerhalb bestimmter Gedächtnismedien, -orte und -praktiken werden jene kollektiven Erinnerungen demnach konserviert und den zeitlichen Umständen nach als ein tradiertes Wissen um die Vergangenheit jeweils aktiviert.66 Hierfür unterteilt Aleida Assmann das kulturelle Gedächtnis in die beiden Modi des Funktionsgedächtnisses, auf welchem lebendige Erinnerungskulturen aufbauen, und des stillen Speichergedächtnisses der Archive, Bibliotheken und historischen Wissenschaften.67 Um nun jene Orte ausfindig zu machen, an welchen sich kollektive Gedächtnisse innerhalb einer Gesellschaft manifestieren, begann Pierre Nora in den frühen Achtzigerjahren mit der Edition eines mehrbändigen Kompendiums 65 Hierzu beispielsweise: Assmann, Jan: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: Kultur und Gedächtnis, Ders./Tonio Hölscher (Hg.), Frankfurt a. M. 1988, S. 9–20; Ders.: Memory and Cultural Identity, in: New German Critique, 65 (1995), S. 125–133; Ders.: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1997; Ders.: Kollektives und kulturelles Gedächtnis. Zur Phänomenologie und Funktionalität von Gegen-Erinnerung, in: Orte der Erinnerung. Denkmal, Gedenkstätte, Museum, Ulrich Borsdorf/Heinrich Th. Grüttner (Hg.), Frankfurt a. M. 1999, S. 13–32; Assmann, Aleida/Dietrich Hart (Hg.): Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, Frankfurt a. M. 1991; Dies.: Funktionsgedächtnis und Speichergedächtnis – Zwei Modi der Erinnerung, in: Generation und Gedächtnis. Erinnerungen und kollektive Identitäten, Kristin Platt/Mihran Dabag (Hg.), Opladen 1995, S. 169–185; Dies.: Das Gedächtnis der Orte, in: Stimme, Figur. Deutsche Vierteljahrschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Dies./Anselm Haverkamp (Hg.), Sonderheft 68, 1994, S. 17–35; Dies.: Erinnerungsorte und Gedächtnislandschaften, in: Hanno Loewy/Bernhard Moltmann (Hg.): Erlebnis – Gedächtnis – Sinn. Authentische und konstruierte Erinnerung, Frankfurt a.M./ New York 1995, S. 13–26; Dies.: Gedächtnis, Erinnerung, in: Handbuch der Geschichtsdidaktik, Klaus Bergmann u. a. (Hg.), Seelze-Velber 1997, S. 33–37; Dies.: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, in: Dies./Ute Frevert, Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit. Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945, Stuttgart 1999, S. 21–52; Dies.: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006. 66 Assmann, Jan, Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, S. 15; Assmann, Jan, Das kulturelle Gedächtnis, S. 50–53; Assmann, Aleida/Assmann, Jan: Das Gestern im Heute. Medien und soziales Gedächtnis, in: Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Klaus Merten u. a. (Hg.), Opladen 1994, S. 114–140, hier S. 118–120. 67 Assmann, Aleida, Funktionsgedächtnis und Speichergedächtnis – Zwei Modi der Erinnerung, 169–185; Assmann, Aleida, Gedächtnis, Erinnerung, S. 36–39; Assmann/Assmann, Das Gestern im Heute, S. 122–125.
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über die ›lieux de m8moire‹ Frankreichs.68 Nora gilt hierzu als der Begründer des Konzepts der Erinnerungsorte, unter welche freilich nicht nur geographische Topoi fallen, sondern jedwede öffentliche Brennpunkte von kollektiven Gedächtnisdiskursen, über welche Gruppenzugehörigkeiten und Identitätskonzeptionen miteinander ausgehandelt werden.69 Erinnerungsorte geben sich allerdings nur anhand konkreter, wissenschaftlicher Fragestellungen zu erkennen bzw. werden von diesen erst als solche eingegrenzt.70 Während seiner langjährigen Studien präsentierte Nora deshalb gleich mehrere Definitionen seiner lieux de m8moire, womit er unter anderem auf die ihm entgegengebrachte Kritik seiner Kollegen reagierte. Als problematisch erschien dabei vielen die Frage nach der genauen Auswahl sowie dem Geltungsanspruch der vom liberal-konservativen Nora71 vorgestellten Erinnerungsorte der französischen Nation: Immerhin wurde damit der Anspruch eines übergreifenden Nationalbewusstseins erhoben, womit soziopolitische Randgruppen, einzelne Minderheiten oder ganze Regionen offensichtlich zu kurz kamen.72 Nichtsdestotrotz zeigte sich Noras Forschungsparadigma äußerst langlebig: Besonders sein Konzept der Geschichte zweiten Grades, die sich von der Frage, »was eigentlich geschah«73, abwendet, um den Blick stattdessen auf die Art und Weise zu richten, wie die Vergangenheit in der Gegenwart unter jeweils anderen Umständen neu erscheint und reproduziert wird.74 Ein Forschungsansatz, der auch in der vorliegenden Arbeit mit der Suche nach denjenigen Erinnerungsorten Südtirols, an welchen seit jeher verschiedene Narrative des Abessinienkriegs aufeinandertreffen, verfolgt wird. Der überaus weitreichende Einfluss Noras auf die westeuropäische Geschichts- und Gedächtniswissenschaft zeigte sich am deutlichsten in den zahlreichen Länderstudien, bei denen das Konzept der lieux de m8moire seit den 68 Nora, Pierre: Les lieux de m8moire, 7 Bde., Paris 1984–1994. 69 Wobei sich Aleida Assmann in zahlreichen Publikationen ebenfalls intensiv mit dem Phänomen der Erinnerungsorte beschäftigte. Konkret befasste sie sich mit der Wirkungsmacht der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschland an dessen Erinnerungsorten. Vgl. Tilmann, Robbe: Historische Forschung und Geschichtsvermittlung. Erinnerungsorte in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft, Göttingen 2009, S. 20–21. 70 Nora, Nachwort, in: Schulze/FranÅois (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, S. 685; Siebeck, Erinnerungsorte, S. 3–4. 71 Siebeck, Erinnerungsorte, S. 4. 72 Ebd., S. 6–7; Majerus, Beno%t: The »lieux de m8moire«: a place of remembrance for European historians?, in: Erinnerungsorte: Chancen, Grenzen und Perspektiven eines Erfolgkonzeptes in den Kulturwissenschaften, Essen 2014, S. 117–131, hier S. 119–120. 73 Nora, Pierre: From Lieux de m8moire to Realms of Memory. Preface to the English-Language Edition, in: Realms of Memory. Rethinking the French Past, Ders./Lawrence D. Kritzman (Hg.), New York 1996, S. XV–XXIV, hier S. XXIV. 74 Ebd., S. XXIV; Nora, Pierre: Pour une histoire au second degr8, in: Le D8bat, 5(2002), S. 24– 31; Majerus, The »lieux de m8moire«, S. 118.
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Neunzigerjahren aufgenommen und weiterentwickelt wurde.75 Dem Beispiel Frankreichs folgten hiernach zuerst auf Einzelstaaten bezogene, teils mehrbändige Arbeiten über Deutschland, Holland, Österreich, die Schweiz oder Dänemark.76 Der Anspruch einer in sich abgeschlossenen und allgemein verbindlichen Liste nationaler Erinnerungsorte wurde dabei allerdings rasch fallengelassen, wie auch die Annahme einer nationalen ›Gemeinschaft‹ als eine in sich geschlossene, »positive Totalität«.77 Vielmehr wird von einem poststrukturalistischen Gesellschaftsbegriff ausgegangen, der sich andauernd in einer von Herrschaftsverhältnissen durchzogenen, konflikthaften Dynamik befindet, die sich in erinnerungskulturellen Debatten widerspiegelt.78 Weder »sinnstiftend« noch »staatstragend« sei ihr Projekt, teilten Hagen Schulze und Ptienne FranÅois daher in ihrer Einleitung zu den Erinnerungsorten Deutschlands mit.79 Vielmehr sollte das von ihnen vorgestellte – explizit offene – Inventar zur Analyse weiterer Fallbeispiele anregen.80 Wichtig erscheint aber allen Autoren, dass Erinnerungsorte stets in einer übergeordneten Erinnerungslandschaft81 verortet werden müssen. Erst in solch einem Ensemble wird deren gegenseitige, erinnerungskulturelle Wirkungsmacht sichtbar : Gemäß Tilmann Robbe existieren Erinnerungsorte darum auch nur im Plural.82 Einhergehend mit den Ansätzen einer transnational ausgerichteten Historiographie, orientierte sich die Suche nach Erinnerungsorten zudem an grenzübergreifenden Gedächtnisgemeinschaften.83 Mittlerweile liegen hierzu sowohl allgemeinere Studien über Europa als auch spezifischere über Deutschland-
75 Majerus, The »lieux de m8moire«, S. 117. 76 Schulze, Hagen/FranÅois, Etienne (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte, 3 Bde., München 2001; De Boer, Pim/Frijhoff, Willem (Hg.): Lieux de m8moire et identit8s nationales, Amsterdam 1993; Brix, Emil/Bruckmüller, Ernst/Stekl, Hannes: Memoria Austriae, 3 Bde., Wien/München 2004/5; Kreis, Schweizer Erinnerungsorte, Zürich 2010; Feldback, Ole (Hg.): Dans identitetshistorie, Kopenhagen 1991/1992. 77 Siebeck, Erinnerungsorte, S. 12. 78 Ebd., S. 12; Marchart, Oliver: Das historisch-politische Gedächtnis. Für eine politische Theorie kollektiver Erinnerung, in: Gedächtnis im 21. Jahrhundert. Zur Neuverhandlung eines kulturwissenschaftlichen Leitbegriffs, Radonic´, Ljiljana/Uhl, Heidemarie (Hg.), Bielefeld 2016, S. 43–81, hier S. 45; Hennig, Hahn u. a. (Hg.): Deutsch-polnische Erinnerungsorte. Reader für Autorinnen und Autoren der Aufsätze über deutsch-polnische Erinnerungsorte, 4. Ausg. (Oktober 2009), S. 23–26; Robbe, Historische Forschung und Geschichtsvermittlung, S. 232–233. 79 Schulze, Hagen/FranÅois, Etienne: Einleitung, in: Deutsche Erinnerungsorte, Dies. (Hg.), Bd. 1, München 2001, S. 9–24, hier S. 23. 80 Schulze/FranÅois, Einleitung, in: Deutsche Erinnerungsorte, S. 23–25. 81 Robbe, Historische Forschung und Geschichtsvermittlung, S. 231. 82 Ebd., S. 231. 83 Hennig, Deutsch-polnische Erinnerungsorte, S. 27–28.
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Skandinavien, Deutschland-Polen oder die DDR vor84 – um hier nur einige Bekanntere zu nennen.85 Die Regionalgeschichte wusste das Konzept der ›lieux de m8moire‹ aber genauso auf einer differenzierteren Ebene anzuwenden, wobei derartige Arbeiten vornehmlich in Frankreich und Deutschland entstanden. Bis heute sind Sammelbände über die Lorraine, Schlesien, Schleswig-Holstein, das Saarland sowie über Baden-Württemberg erschienen.86 Seltener sind hingegen Darstellungen, in denen von der europäischen Wissenschaft aus Blicke auf andere Weltregionen geworfen werden. Eine der wenigen Ausnahmen dazu bildet ein Sammelband über Gedächtnisorte in Qu8bec von 2002.87 Ein weiteres Forschungsdesiderat stellen zudem Arbeiten dar, welche sich einzelnen Erinnerungsorten ausschließlich von thematischen Gesichtspunkten aus zuwenden. Über erinnerungskulturelle Topoi, an welchen sich beispielsweise der postkoloniale Umgang mit der Kolonialgeschichte in Deutschland abzeichnet, liegt bisher nur ein von Jürgen Zimmerer herausgebrachtes Sammelwerk vor.88 In Italien wurde Noras Konzept ebenfalls in einem umfangreichen, von Mario Isnenghi lancierten Projekt aufgenommen, wobei mehrere namhafte Historiker wie Angelo Del Boca, Nicola Labanca oder Giorgio Rochat Aufsätze dazu beisteuerten.89 Obschon es sich bei den ›luoghi della memoria‹ um eine der erfolgreichsten und auflagestärksten Länderstudien zum Thema der Erinnerungsorte handelte, war diese zugleich eine der kontroversesten. Erstens wollte Nora ursprünglich selbst über Italien schreiben, wobei ihm sein Kollege Isnenghi allerdings zuvorkam. Zweitens sah Nora seinen Anspruch der histoire au second degr8 in den Einzelbeiträgen nicht erfüllt, da die Aufsätze überwiegend 84 Le Rider, Jacques/Cs/ky, Moritz/Sommer, Monika (Hg.): Transnationale Gedächtnisorte in Zentraleuropa, Innsbruck 2002; Bohn, Robert/Cornelißen, Christoph/Lammers, Christian (Hg.): Vergangenheitspolitik und Erinnerungskulturen im Schatten des Zweiten Weltkrieges. Deutschland und Skandinavien seit 1945, Essen 2008; Den Boer, Pim u. a. (Hg.): Europäische Erinnerungsorte, 3 Bde., München 2012; Loew, Peter Oliver (Hg.): Deutsch-Polnische Erinnerungsorte, 5 Bde., Paderborn 2012–2015; Sabrow, Martin (Hg.): Erinnerungsorte in der DDR, München 2009. 85 Eine umfangreichere Übersicht über die allein bis 2014 erschienen, transnationalen Projekte findet sich in: Majerus, The »lieux de m8moire«, S. 128. 86 Martin, Philippe/Roth, FranÅois (Hg.): M8moire & lieux de m8moire en Lorraine, Sarreguemines 2003; Czaplinski, Marek/ Hahn, Hans-Joachim/ Weger, Tobias (Hg.): Schlesiche Erinnerungsorte: Gedächtnis und Identität einer mitteleuropäischen Region, Görlitz 2005; Fleischhauer, Carsten/Turkowski, Guntram (Hg.): Schleswig-Holsteinische Erinnerungsorte, Heide 2006; Bohr, Kurt/Winterhoff-Spurk, Peter (Hg.): Erinnerungsorte – Ankerpunkte saarländischer Identität, St. Ingbert 2007; Steinbach, Peter/Weber, Reinhold/Wehling, HansGeorg (Hg.): Baden-Württembergische Erinnerungsorte, Stuttgart 2012. 87 Kolboom, Ingo/Grzonka, Sabine A. (Hg.): Gedächtnisorte im anderen Amerika: Tradition und Moderne in Qu8bec, Heidelberg 2002. 88 Zimmerer, Jürgen (Hg.): Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte, Frankfurt a.M. 2013. 89 Isnenghi, Mario (Hg.): I luoghi della Memoria, 3 Bde., Rom 1996/1997.
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ereignisgeschichtlich angelegt waren, anstatt erinnerungskulturelle Lesarten der Vergangenheit an konkreten Gedächtnisorten in den Blick zu nehmen. Drittens begnügte sich das Sammelwerk mit einer nationalen Gesamtschau – regionalspezifische Unterschiede der soziokulturell höchst heterogenen Apenninhalbinsel blieben darin unberücksichtigt.90 Isnenghi ist jedoch anzurechnen, dass er bereits 1989 – also fünf Jahre nach dem Erscheinen von Noras erstem Band der ›lieux de m8moire‹ – in seiner Monographie ›Le guerre degli italiani‹ die Erinnerungsorte seines Landes zu erfassen versucht hatte.91 Zwar erscheint der Begriff der ›luoghi della memoria‹ darin noch nicht explizit, dennoch nahm Isnenghis trianguläre Analyse erinnerungskultureller Fallbeispiele methodisch bereits einiges vorweg, was andere Länderstudien erst in den Neunzigerjahren von Nora aufnehmen sollten. Isnenghi gelang es somit, anhand von faschistischer Kriegspropaganda, von Kriegsliedern, von Bildmedien wie der Fotografie oder des Spielfilms, von der Presse und Literatur, von zahlreichen Memoiren sowie von der Denkmallandschaft Italiens einen kohärenten Überblick darüber zu gewinnen, wie die zurückliegenden Weltkriege im Bel Paese öffentlich inszeniert und erinnert wurden. Dabei ließ Isnenghi auch die Erinnerung an den Abessinienkrieg nicht aus: Mit Bezug auf eine der wenigen Oral History-Projekte zum italienischen Kolonialismus von Irma Taddia aus dem Jahr 198892 gibt Isnenghi anhand der zitierten Zeitzeugenberichte die symptomatische Ignoranz seiner Landsleute gegenüber den in Ost- und Westafrika verübten Gewaltverbrechen zu erkennen.93 Möchte sich die vorliegende Studie nun auf regionaler Ebene der erinnerungskulturellen Funktion des Abessinienkriegs für Südtirol zuwenden, so reiht sie sich in die Tradition einer bereits bestehenden, kritischen Regionalgeschichte ein. Diese nahm in Südtirol in den Neunzigerjahren an Fahrt auf, wobei sie auf den frühen Pionierarbeiten Claus Gatterers, Karl Stuhlpfarrers oder Leopold Steuerers aus den Siebziger- und Achtzigerjahren94 sowie dem quellengestützten Vorgehen der Innsbrucker Schule aufbauen konnte.95 Da die Ge90 Majerus, The »lieux de m8moire«, S. 122–123. 91 Isnenghi, Mario: Le guerre degli italiani. Parole, immagini, ricordi 1848–1945, Mailand 1989. 92 Taddia, Irma: La memoria dell’Impero. Autobiografie d’Africa Orientale, Manduria/Bari/ Rom 1988. 93 Isnenghi, Mario: Le guerre degli italiani, S. 309–310. 94 Gatterer, Claus: Im Kampf gegen Rom. Bürger, Minderheiten und Autonomien in Italien, Wien/Frankfurt a. M./Zürich 1968; Stuhlpfarrer, Karl: Die Operationszone »Alpenvorland« und Adriatisches Küstenland 1943–1945, Wien 1969; Steurer, Leopold: Südtirol zwischen Rom und Berlin 1919–1939, Wien/München/Zürich 1980. 95 Heiss, Identität und Wissenschaft an der Grenze, S. 31 sowie S. 46; Ders.: Rücken an Rücken. Zum Stand der österreichischen zeitgeschichtlichen Italienforschung und der italienischen Österreichforschung, in: Italien, Österreich und die Bundesrepublik Deutschland in Europa. Ein Dreiecksverhältnis in seinen wechselseitigen Beziehungen und Wahrnehmungen von
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schichte in Südtirol seit jeher ein kontroverses Politikum darstellt,96 verwundert es nicht, dass auch die Emanzipation einer methodisch-innovativ denkenden Historikergeneration mit politischen Geschehnissen einherging: So wurde ihnen der Weg wesentlich durch die 1991 errungene und umgesetzte Autonomie Südtirols geebnet, dank welcher dem alteingesessenen Kulturnationalismus der liberale Wind einer gemäßigteren Regionalpolitik entgegenschlug.97 Konkret zeigte sich dieser in der pragmatischen Versöhnungspolitik des neuen SVPLandeshauptmanns Luis Durnwalder sowie in einem großzügigeren Kulturbudget:98 Eine Ausstellung von 1989 zum bis dahin tabuisierten Thema der sog. ›Option‹, Institutionen wie das Südtiroler Landesarchiv oder später die Freie Universität Bozen – bzw. seit 2012 das Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte – sind unter anderem daraus hervorgegangen.99 Die deutsch-nationalistisch geprägte Landesgeschichte100 verlor dabei allmählich ihr Deutungsmonopol und wurde vom Wissensdurst junger Nachwuchstalente angefochten,101 die sich nach 1991 vor allem in der zweisprachigen Fachzeitschrift Geschichte und Region / Storia e regione zusammenfanden. Deren Ziel bestand fortan in einer aufklärerischen und betont volksgruppenübergreifenden Regionalgeschichte.102 ›Region‹ wurde hierfür als ein grundsätzlich offenes, diskursives Konzept verstanden, das je nach Herangehensweise einzelner Studien neue
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1945/49 bis zur Gegenwart, Michael Gehler/Maddalena Guiotto (Hg.), Wien/Köln/Weimar 2012, S. 101–131, hier S. 118–121; Pallaver, Schlachtfest und Paradigmenwechsel, S. 70–71. Heiss, Identität und Wissenschaft an der Grenze, S. 47–49; Gehler, Vergangenheitspolitik und Demokratieentwicklung südlich des Brenners, S. 107–109; Pallaver, Schlachtfest und Paradigmenwechsel, S. 69. Aus dieser Konfrontation der traditionellen Landesgeschichte mit der jüngeren Regionalgeschichte gingen zahlreiche historische Debatten hervor, bei welchen beide Seiten über ihre jeweils eigenen Medienplattformen verfügten. Die alteingesessenen Landeshistoriker verliehen sich dabei – zusammen mit anderen öffentlichen Personen aus der Politik und Kultur, die sich ebenfalls regelmäßig zur Geschichte äußerten und äußern – über das Verlagshaus Athesia, über Leserbriefe in den Südtiroler Zeitungen sowie auch in den Heimatbüchern eine wirkungsvolle Stimme. Vgl. Gehler, Vergangenheitspolitik und Demokratieentwicklung südlich des Brenners, S. 108 sowie S. 112. Vgl. Zweijährige Rechnungsabschlüsse der Autonomen Provinz Bozen/Südtirol nach funktionellen Gesichtspunkten – 1988 bis 1992, in: Statistische Jahrbücher für Südtirol, Landesinstitut für Statistik der Autonomen Provinz Bozen/Südtirol (Hg.), Bozen 1990– 1993, Tab. 20.2. Heiss, Identität und Wissenschaft an der Grenze, S. 51, S. 53 sowie S. 57; Pallaver, Schlachtfest und Paradigmenwechsel, S. 71. Zur Entstehung sowie einigen namhaften Exponenten dieser Landesgeschichte vgl. Kap. »Ursprünge historiographischer Narrative«, S. 226–233. Ein tieferer Einblick in die Genese der kritischen Regionalgeschichte in Südtirol sowie dem damit einhergehenden Verlust der landesgeschichtlichen Deutungshoheit folgt in dieser Arbeit an späterer Stelle im Kap. »Ursprünge historiographischer Narrative«, S. 226–233. Heiss, Identität und Wissenschaft an der Grenze, S. 53–56; Huber, Region takes place!, S. 186; Pallaver, Schlachtfest und Paradigmenwechsel, S. 71.
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Einblicke in die Geschichte Südtirols sowie aber auch derjenigen anderer ›Regionen‹ liefern sollte.103 Aus diesem Impuls gingen schließlich auch vereinzelte Arbeiten zur Erinnerungskultur Südtirols hervor. Ein frühes Werk dazu erschien 1990 aus der Feder von Martha Verdorfer, die darin mittels Oral History-Interviews Zeitzeugen aus entlegenen Dörfern nach ihrer persönlichen Lebensgeschichte befragte. Gerade noch rechtzeitig fing Verdorfer damit Stimmen des bis dahin marginalisierten, kommunikativen Gedächtnisses zu Themen wie der ›Option‹ oder dem Nationalsozialismus ein.104 Weitere aufschlussreiche Reflexionen betreffend einer ›Südtiroler-Identität‹ unter deutsch-nationalistischen Vorzeichen stellte danach Georg Grote an.105 Zusammen mit einer Reihe weiterer Forschungsbeiträge, die zumeist als Aufsätze im Rahmen einzelner Sammelbände erschienen sind,106 erhielt das lange vernachlässigte Thema der in Südtirol miteinander konkurrierenden Kollektivgedächtnisse somit eine theoretischfundierte Grundlage. Um ebenjene polarisierte Geschichtswahrnehmung weiter zu problematisieren, wurde vor allem der konfliktbeladene Umgang mit dem Erbe des Faschismus Gegenstand vieler Studien – allen voran solcher, die sich mit den Denkmälern und der Machtarchitektur in Bozen beschäftigten.107 Am 103 Arbeitsgruppe Regionalgeschichte, Bozen: Editorial, in: Die Grenzen der Provinz / I limiti della provincia, Dies. (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 1(1992), Heft 1, S. 5– 12, hier S. 7. 104 Verdorfer, Martha: Zweierlei Faschismus. Alltagserfahrungen in Südtirol 1918–1945, Wien 1990, S. 156–201 sowie S. 201–313. 105 Hierzu beispielsweise die Funktion der Südtiroler Bombenjahre, der Landesgeschichtsschreibung, des Pariser Vertrags von 1946, von Sigmundskron sowie des Siegesdenkmals für die Erinnerungskultur des »Regionalstaats Südtirols«. Vgl. Grote, I bin a Südtiroler, S. 251–271. 106 Dazu: Verdorfer, Martha: Individuelles und kollektives Nachkriegsgedächtnis, in: Südtirol – Stunde Null? Kriegsende 1945–1946, Hans Heiss/Gustav Pallaver (Hg.), Innsbruck 2000, S. 296–311; sowie die Einzelbeiträge in: Di Michele, Andrea/Steinacher, Gerald (Hg.): Faschismen im Gedächtnis / La memoria die fascismi, Geschichte und Region / Storia e regione, 13(2004), Heft 2, Innsbruck/Wien/Bozen 2005; Obermair, Hannes/Michielli, Sabrina (Hg.): Erinnerungskulturen des 21. Jahrhunderts im Vergleich / Culture della memoria del Novecento a confronto, Hefte zur Bozner Stadtgeschichte / Quaderni di storia cittadina 7, Bozen 2014. 107 Hierzu beispielsweise: Zoeggeler, Oswald/Ippolito, Lamberto: Die Architektur für ein Italienisches Bozen 1922–1942, Lana 1992; Dunajtschik, /Mattioli, Die »Citt/ nuova« von Bozen, Zürich 2009; Verdorfer, Martha: Die Stadt als öffentlicher Erinnerungsraum am Beispiel der Landeshauptstadt Bozen, in: Tirol zwischen Diktatur und Demokratie (1930– 1950), Klaus Eisterer (Hg.), S. 187–200; Heiss, Hans/Obermair, Hannes: Erinnerungskulturen im Widerstreit. Das Beispiel der Stadt Bozen/Bolzano 2000–2010, in: Der Grenzraum als Erinnerungsort. Über den Wandel zu einer postnationalen Erinnerungskultur in Europa, Patrick Ostermann (Hg.), Bielefeld 2012, S. 63–79; Heiss, Hans: Denkmallandschaft Südtirol. Altlasten und neuen Dynamiken der Zeitgeschichte, in: Umstrittene Denkmäler. Der Umgang mit der Vergangenheit, Günther Pallaver (Hg.), Bozen 2013, S. 109–134; Dunajtschik, Erinnerungskulturen in Bozen, Innsbruck 2017.
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prominentesten sticht hierzu zweifellos der Streit um das Siegesdenkmal hervor, anhand dessen sich die Geschichtspolitik am Fuße des Brenners programmatisch aufzeigen lässt. Ein Standartwerk dazu legte Thomas Pardatscher 2002 vor,108 wobei dieses seitdem durch zahlreiche Forschungsbeiträge ergänzt wurde.109 Dennoch gibt es bis dato kaum Publikationen, die das Forschungskonzept der Erinnerungsorte explizit auf Südtirol anwenden. Drei Ausnahmen, welche dem Ansatz zumindest nahekommen, seien hier genannt. Erstens ein kurzer, populärwissenschaftlich gehaltener Aufsatz von Astrid Kofler und Hans Karl Peterlini mit dem Titel ›Eine Topografie des Erinnerns‹ von 2011, der sich freilich damit begnügt, symbolträchtige Orte und Ereignisse Südtirols ereignisgeschichtlich abzuhandeln, anstatt auf deren erinnerungskulturelle Strahlkraft einzugehen.110 Zweitens eine von Andrea Di Michele herausgegebene, transdisziplinäre Studie ›An der Grenze‹ von 2012. Die darin enthaltenen Forschungsbeiträge sind dahingehend wegweisend, als dass sie verschiedene Orte des ›Durch- und Übergangs‹ in Tirol, Südtirol und dem Trentino jeweils historisch sowie ethnologisch unter die Lupe nehmen. Grundsätzlich entsteht dadurch ein ausgesprochen aussagekräftiges Portrait kleiner Grenzorte wie Salurn, der Gemeinde Brenner oder dem Reschenpass, die aufgrund ihrer geopolitischen Lage zentrale Knotenpunkte mikrohistorischer Verflechtungs- und Transitprozesse bilden.111 Die hierzu vorliegenden Ergebnisse gedächtnistheoretisch noch weiter zu vertiefen, wäre daher durchaus vielversprechend. Drittens liegt auch zum Abessinienkrieg eine ›Spurensuche‹ von Gerald Steinacher vor, welche er 2006 in einer ersten auf Südtirol bezogenen Studie veröffentlichte. In seinem Aufsatz schreibt Steinacher vornehmlich davon, wie das faschistische Regime den Abessinienkrieg in Südtirol nach 1935 propagandistisch inszenierte und an welchen Orten dies heute nach wie vor sichtbar ist.112 Die von Steinacher diskutierten Fallbeispiele von Straßennamen und Denkmälern waren auch für die vorliegende Arbeit eine wertvolle Inspiration, sodass sie mit zusätzlichem Quellenmaterial und einem gedächtnistheoretischen Zugang dankbar an seine Vorarbeit anknüpft. 108 Pardatscher, Thomas: Das Siegesdenkmal in Bozen. Entstehung – Symbolik – Rezeption, Bozen 2002. 109 Spannende theoretische Grundgedanken wurden dazu beispielsweise in den Aufsätzen eines von Günther Pallaver herausgebrachten Sammelbands vorgestellt: Pallaver (Hg.), Umstrittene Denkmäler, Bozen 2013. 110 Kofler, Astrid/Peterlini, Hans Karl: Eine Topografie des Erinnerns – Südtirol im 20. Jahrhundert, in: Der Ötzi pflückt das Edelweiss. Bausteine Tiroler Identität, Thomas Ertl (Hg.), Innsbruck 2011, S. 128–150. 111 Di Michele (Hg.), An der Grenze, Bozen 2012. 112 Steinacher, Gerald: Vom Amba Alagi nach Bozen, Spurensuche in Südtirol, in: Zwischen Duce und Negus. Südtirol und der Abessinienkrieg 1935–1941. Gerald Steinacher (Hg.), Bozen 2006, S. 13–33.
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Die theoriegeleitete Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus sowie dem Abessinienkrieg hat in Italien allerdings erst in den letzten Jahren begonnen. Der Umstand ist aber weder auf ein fehlendes Engagement der dortigen Historikerzunft zurückzuführen, noch auf einen Mangel an möglichen Fragen, welche nach wie vor zu stellen sind. Die unrühmlichen Expansionskriege des liberalen Italiens und des Mussolini-Regimes in Ost- und Nordafrika sowie aber auch auf der Balkanhalbinsel oder dem Dodekanes birgt auf jeden Fall noch einiges an Forschungspotential. Das Problem lag vielmehr darin, dass sich schon die frühen Initiativen einer kritischen Kolonialgeschichtsschreibung in Italien gegen revisionistische Zweifler durchsetzen mussten, was nach wie vor nur stellenweise gelang.113 Bevor sich die Geschichtswissenschaft demnach den italienischen Invasionskriegen mit komplexen methodischen Ansätzen – wie beispielsweise solcher der Gedächtnisforschung – annähern konnte, musste zuerst das ereignisgeschichtliche Fundament dazu vorliegen.114 Eine derartige Arbeitsgrundlage liegt mit Ausnahme der Pionierwerke von Angelo Del Boca oder Giorgio Rochat, die beide bereits in den Sechziger- und Siebzigerjahren publizierten, erst seit dem Ende der Neunzigerjahre vor.115 Bis dahin – und auch später noch – mussten sich die beiden Vorreiter gegen eine Front unbelehrbarer Kolonialnostalgiker sowie einer politischen Rechten in Italien durchsetzen, welche deren Arbeiten in den öffentlichen Medien immer wieder schlechtredeten.116 So verwundert es nicht, dass gerade Forschungsbeiträge von außerhalb des Landes die italienische Geschichtsschreibung hilfreich unterstützt und erweitert haben. Jüngere Verfechter der italienischen Kolonialhistoriographie wie Nicola Labanca oder Matteo Dominioni bekamen dabei internationale Rückendeckung von Gabriele Schneider, Aram Mattioli, Patricia Palumbo, Richard Pankhurst, Ruth Ben-Ghiat, Mia Fuller oder Roberta Pergher, um hier nur einige der bekannteren Namen zu nennen.117 113 Da die italienische Geschichtsschreibung zum Abessinienkrieg ebenfalls einen Bestandteil der nationalen Erinnerungskultur bildet bzw. zu dieser in engem Kontakt steht, werden deren Hauptwerke und Forschungsergebnisse in der vorliegenden Arbeit an späterer Stelle noch eingehend besprochen. Vgl. dazu Kap. »Das Schweigen über den Abessinienkrieg im Italien der Nachkriegszeit«, S. 262–274. 114 Labanca, Nicola: Erinnerungskultur und Historiographie zum Abessinienkrieg, in: Zwischen Duce und Negus. Südtirol und der Abessinienkrieg 1935–1941. Gerald Steinacher (Hg.), Bozen 2006, S. 33–59, hier S. 53. 115 Del Boca, La guerra d’Abissinia 1935–1941, Mailand 1965; Rochat, Giorgio: Il colonialismo italiano, Turin 1974; Del Boca, Angelo: Gli Italiani in Africa orientale, 4 Bde., Bari/Rom 1976–1984; Del Boca, Angelo (Hg.): I gas di Mussolini. Il fascismo e la guerra d’Etiopia, Rom 1996; Del Boca, Angelo: Italiani, brava gente? Un mito duro a morire, Vicenza 2005. 116 Vgl. Kap. »Das Schweigen über den Abessinienkrieg im Italien der Nachkriegszeit«, S. 262– 274. 117 Schneider, Gabriele: Mussolini in Afrika. Die faschistische Rassenpolitik in den italienischen Kolonien 1936–1941, Köln 2000; Palumbo, Patricia (Hg.): A Place in the Sun. Africa in
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Obwohl dank solcher Arbeiten über die italienischen Kriegs- und Besatzungsverbrechen in den besetzten Überseeterritorien schon längst wissenschaftlicher Konsens herrscht, darf nicht vergessen werden, dass dies nicht zugleich mit einem diesbezüglichen Bewusstsein der italienischen Öffentlichkeit einhergeht. Es erstaunt daher nicht, dass ebenjenes Problem Gegenstand vieler der in jüngster Zeit veröffentlichten Studien ist, die sich dem Umstand von einer postkolonialen Perspektive aus zuwenden. Die Monographien von Adolfo Mignemi, Aram Mattioli oder Nicola Labanca ebneten hierfür abermals den Weg, der seither von Alessandro Pes, Mario Bolognari, Christina LombardiDiop, Caterina Romeo oder jüngst von Simone Brioni und Shimelis Bonsa Gulema weiterbeschritten wurde.118 Die daraus hervorgegangenen Einzelstudien und Sammelbände gehen folglich der Frage nach, weshalb es die italienische Nachkriegsgesellschaft bisher nicht zustande brachte, die eigene Kolonialvergangenheit selbstkritisch aufzuarbeiten und die dabei begangenen Verbrechen endgültig einzugestehen. Italian Colonial Culture from Post Unification to the Present, Berkeley/Los Angeles/London 2003; Andall, Jacqueline/Duncan, Derek (Hg.): Italian Colonialism. Legacy and Memory, Oxford/Bern/Berlin u. a. 2005; Ben-Ghiat, Ruth/Fuller, Mia (Hg.): Italian Colonialism, New York 2005; Mattioli, Aram: Experimentierfeld der Gewalt. Der Abessinienkrieg und seine internationale Bedeutung: 1935–1941, Zürich 2005; Brogini-Künzi, Giulia: Italien und der Abessinienkrieg 1935/36. Kolonialkrieg oder Totaler Krieg, Paderborn 2006; Labanca, Nicola: Oltremare. Storia dell’espansione coloniale italiana, Bologna 2007; Dominioni, Matteo: Lo sfascio dell’impero. Gli italiani in Etiopia 1936–1941, Rom/Bari 2008; Pankhurst, Richard: La storia della resistenza all’invasione e occupazione dell’Italia fascista in Etiopia (1935–1941), in: L’impero fascista. Italia ed Etiopia)1935–1941), Riccardo Bottoni (Hg.), Bologna 2008, S. 429–441; Labanca, Nicola: La guerra d’Etiopia. 1935–1941, Bologna 2015; Pergher, Roberta: Mussolini’s Nation-Empire. Sovereignty and Settlement in Italy’s Borderlands, 1922–1943, Cambridge 2018. 118 Labanca, Nicola: Posti al sole. Diari e memorie di vita e di lavoro dall’Africa italiana, Rovereto 2001; Ders.: Una guerra per l’impero. Memorie die combattenti della campagna d’Etiopia, Bologna 2005; Ders.: History and Memory of Italian Colonialism Today, in: Italian Colonialism. Legacy and Memory, Jacqueline Andall/Derek Duncan (Hg.), Bern 2005, S. 29–47; Mattioli, Aram: Experimentierfeld der Gewalt. Der Abessinienkrieg und seine internationale Bedeutung: 1935–1941, Zürich 2005; Ders.: »Viva Mussolini!« Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis, Paderborn 2010; Bolognari, Mario (Hg.): Lo scrigno africano. La memoria fotografica della guerra d’Etiopia custodita dalle famiglie italiane, Soveria Mannelli 2012; Lombardi-Diop, Christina/Romeo, Caterina (Hg.): Postcolonial Italy. Challenging National Homogeneity, New York 2012; Bertella Farnetti, Paolo/Mignemi, Adolfo/Triulzi, Alessandro (Hg.): L’impero nel cassetto. L’Italia coloniale tra album privati e archivi pubblici, Mailand 2013; Pes, Alessandro: Coloni senza colonie. La Democrazia Cristiana e la decolonizzazione mancata (1946–1950), in: Quel che resta dell’Impero. La cultura coloniale degli italiani, Ders./Valeria Deplano (Hg.), Mailand/Udine 2014, S. 417–439; Ders.: The Colonial Question between Ideology and Political Praxis, in: Colonialism and National Identity, Paolo Bertella Farnetti/Cecilia Dau Novelli (Hg.), Newcastle 2015, S. 112–126; Simone Brioni/Shimelis Bonsa Gulema (Hg.): The Horn of Africa and Italy. Colonial, Postcolonial and Transitional Cultural Encounters, Oxford 2018.
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Da es sich bei den oben genannten, ereignisgeschichtlichen Überblickswerken und Synthesen hauptsächlich um nationale oder internationale Gesamtdarstellungen des Abessinienkriegs handelt, besteht bezüglich regionaler Studien ein weiterer Nachholbedarf. Erste Vorarbeit wurde hierfür von Valeria Deplano zu Sardinien oder von Amos Conti und Alfio Moratti zur Emilia-Romagna geleistet.119 Namentlich aus Südtirol kamen zudem Beiträge, welche sich der Verflechtungsgeschichte des Abessinienkriegs mit der nördlichsten Grenzprovinz zuwendeten: Einerseits der zuvor zitierte Sammelband von Gerald Steinacher ›Zwischen Duce und Negus‹ von 2006, der erstmals aufzeigte, wie die Südtiroler in den imperialen Angriffskrieg Mussolinis verwickelt waren und was für öffentliche Spuren jener Kriegseinsatz in Südtirol hinterlassen hat.120 Andererseits ein Themenheft von Geschichte und Region / Storia e regione von 2016: In diesem zeigte Andrea Di Michele auf, dass sowohl der Abessinienkrieg, als auch der spanische Bürgerkrieg vom kollektiven Gedächtnis der Deutschsüdtiroler bisher weitgehend ausgegrenzt wurden. Der nicht immer unfreiwillige Kriegsdienst für den Faschismus deckt deren ambivalentes Verhältnis zum Mussolini-Regime schließlich unverkennbar auf.121 Weitere Aufsätze des Themenhefts untersuchten zudem Selbstzeugnisse von Südtirolern aus dem Abessinienkrieg, die heute in Form von Tagebüchern und Fotoalben vorliegen. Daraus geht unter anderem der Schluss hervor, dass sich die deutschsprachigen Soldaten aus der Brennerregion nicht nur ihrer eigenen Ethnie, sondern situativ diversen Gruppen zugehörig fühlten und den faschistischen Aggressionskrieg stellenweise ganz unterschiedlich wahrnahmen.122 Mit dem Themenheft wurde demnach eine wertvolle Vorarbeit für die vorliegende Studie geleistet, sodass sie dankbar an die dortigen Forschungsergebnisse anknüpft und diese durch neu erschlossenes Quellenmaterial und zusätzliche Fallbeispiele erweitert.123 119 Deplano, Valeria: L’isola oltremare. Il colonialismo italiano nelle immagini, lettere e memorie die sardi, in: Sardegna d’Oltremare. L’emigrazione coloniale tra esperienza e memoria, Dies. (Hg.), Rom 2017, S. 77–106; Conti, Amos/Moratti, Alfio: Adua, Adua! Il sogno di un impero. Soldati e lavoratori regggiani nelle campagne coloniali del Corno d’Africa (1882–1939), Reggio Emilia 2015. 120 Steinacher (Hg.), Zwischen Duce und Negus, Bozen 2006. 121 Di Michele, Andrea: Guerre fasciste e memorie divise in Alto Adige/Südtirol, in: Abessinien und Spanien: Krieg und Erinnerung 1935–1939, Ders. (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 25 (2016), Heft 1, S. 17–41, hier S. 38–39. 122 De Pretto, Sebastian: Der Abessinienkrieg aus der Sicht dreier Südtiroler Soldaten gegenüber der Bildpropaganda des Istituto Nazionale Luce, in: Abessinien und Spanien: Krieg und Erinnerung 1935–1939, Andrea Di Michele (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 25 (2016), Heft 1, S. 41–68, hier S. 64–66; Wurzer, Markus: »Reisebuch nach Afrika«. Koloniale Erzählungen zu Gewalt, Fremdheit und Selbst von Südtiroler Soldaten im Abessinienkrieg, in: ebd., S. 68–95, hier S. 86–93. 123 Wobei sich die vorliegende Studie mit den Gedächtnisorten Südtirols vornehmlich dem öffentlichen Erinnern an den Abessinienkrieg zuwendet. Weiterführende Analysen zu
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Methodik Welche Funktion wurde dem Abessinienkrieg innerhalb des kollektiven Gedächtnisses der Südtiroler Bevölkerung zu welcher Zeit eingeräumt und an welchen regionalen Erinnerungsorten zeichneten sich die entsprechenden Geschichtsbilder jeweils ab? Um den beiden Fragen nachzugehen und somit die anfangs vorgestellten Thesen zu behandeln, werden zwei Modelle der Gedächtnisforschung beigezogen. Zum einen orientiert sich das Vorgehen am Untersuchungsmodell des Gießener Sonderforschungsbereichs 434 (SFB), mit welchem zwischen 1997 und 2008 an der Justus-Liebig Universität Gießen Formen von Erinnerungskulturen124 interdisziplinär und auf alle historischen Epochen angewandt untersucht wurden.125 Die Studien orientierten sich dazu an drei einander überlagernden Aspekten des kollektiven Erinnerns: Erstens sind die kultur- und epochenspezifischen Rahmenbedingungen, innerhalb welcher sich Erinnerung jeweils vollzieht, zu nennen. Dabei sind besonders die zeitgegebenen, soziopolitischen Umstände jeweiliger Gedächtnisprozesse ausschlaggebend. Zweitens werden die Ausformungen einzelner Erinnerungskulturen betrachtet: Im Fokus stehen hierbei Hierarchien verschiedener an der Gedächtnisarbeit beteiligter Gruppen. Die ihnen zu Grunde liegenden Partikularinteressen und Durchsetzungsstrategien werden an dieser Stelle erkennbar. Drittens wird schließlich das konkrete Erinnerungsgeschehen analysiert: Hier stellt sich die Frage, wie kollektiven Gedächtnissen inhaltlich durch einzelne Akteure Ausdruck verschafft wird, und wie daraus kulturelle Gedächtnisse hervorgehen, die durch die Zeit privaten Fotobeständen und Tagebüchern, die von vielen Südtirolern aus Abessinien mitgebracht wurden und später vor allem innerhalb familiärer Gedächtnisse weitergereicht wurden, unternahm dafür Markus Wurzer. Vgl. Wurzer, Markus: »Nacht hörten wir Hyänen und Schakale heulen.« Das Tagebuch eines Südtirolers aus dem Italienisch-Abessinischen Krieg 1935–1936, Innsbruck 2016; Ders.: (Re-)Produktion von Differenzen im kolonialen Gewaltregime. Private Fotopraxis aus dem Italienisch-Abessinischen Krieg 1935–1941, in: zeitgeschichte 45 (2018) 2, S. 177–200; Ders.: Betwixt and Between. The hybrid identity of a South Tyrolean Bersagliere in the 1935–1936 Italo-Abyssinian War, in: Tabula 14 (2016), S. 143–162; Ders.: Gruppenzugehörigkeiten als fotografisches Ereignis. Gruppenbilder aus dem Italienisch-Abessinischen Krieg 1935–1941, in: Community of Images: Zugehörigkeiten schaffen, Hans Heiss/Margareth Lanzinger (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 27 (2018), Heft 1, S. 50–75; Ders.: Photographs by Italy’s German-Speaking Soldiers from the Italo-Abyssinian War, 1935–36, in: Santanu Das / Larissa Schmid / Daniel Steinbach (Hg.), Colonialism and Photography, London 2019, in Vorbereitung. 124 Der SFB verwendete dabei als eines der ersten Forschungsprojekte den Begriff der Erinnerungskultur im Plural. Damit werden die dynamischen und kreativen Entstehungsprozesse kultureller Erinnerungsformen in den Vordergrund gestellt. Vgl. Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, S. 37. 125 Vgl. http://www1.uni-giessen.de/erinnerungskulturen/home/konzept.html, aufgerufen am 06. 05. 2019; Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, S. 36–37.
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hindurch stets neu ausgehandelt und modifiziert werden.126 Zudem fällt unter diesen Punkt auch die Rezeptionsgeschichte erinnerungskultureller Objektivationen, womit die Gegenstände und Medien des kulturellen Gedächtnisses in den Fokus rücken.127 Zum anderen wird die Herangehensweise von Harald Schmid übernommen, um damit die Erinnerungsorte des Abessinienkriegs in Südtirol genau in den Blick zu bekommen. In einer Studie zu Erinnerungskulturen in Norddeutschland plädiert Schmid hierzu für die Fokussierung auf einzelne Regionen,128 womit sich sein Modell von nationalstaatlichen Gesamtbetrachtungen abwendet und sich dafür auf kleinere Raumeinheiten richtet. Solche werden von ihm als regionale – allerdings diskursiv-gegebene und deshalb wandelbare129 – Gedächtnisräume bezeichnet. Gedächtnisräume werden durch einzelne Erinnerungsorte konfiguriert, die als gedächtniskulturelle Schaltstellen sozusagen ›vor Ort‹ fungieren: Dem Konzept Noras folgend können solche entweder materiell in Form von Denkmälern vorliegen, sich aber genauso auch medial innerhalb von Texten oder Bildern manifestieren.130 Richtet sich der Blick nun auf solche Erinnerungsorte, sind zwei unterschiedliche Achsen zu berücksichtigen: Horizontal können sich nationale, regionale sowie lokale Gedächtnisebenen überlagern und gegenseitig beeinflussen, was sich an entsprechend geprägten Narrativen (national, regional oder lokal) aufzeigen lässt.131 Demgegenüber tragen auf und zwischen den drei Ebenen einzelne Akteure durch einen gemeinsamen 126 Vgl. dazu auch die transnationale Studie über den europäischen Gedächtnisraum der Nachkriegszeit aus der Feder Arnd Bauerkämpers, der darin nach einer ähnlichen Methodik wie der SFB vorgeht. Vgl. Bauernkämper, Arnd: Das umstrittene Gedächtnis. Die Erinnerung an Nationalsozialismus, Faschismus und Krieg in Europa seit 1945, Paderborn 2012, S. 18. 127 Vgl. dazu die Zusammenfassung des Erstantrages von Günter Lottes aus dem Jahr 1996, in: Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, S. 37–38. 128 Schmid, Harald: Regionale Gedächtnisräume, in: Gedächtnisräume. Geschichtsbilder und Erinnerungskulturen in Norddeutschland, Formen der Erinnerung Bd. 56, Janina Fuge/ Rainer Hering/Harald Schmid (Hg.), Göttingen 2014, S. 33–43, hier S. 40–41. 129 Genauso wie die sie konfigurierenden Erinnerungsorte, so sind auch Gedächtnisräume nicht nur als geografische Gegebenheiten zu denken. Gedächtnisräume müssen stattdessen als diskursive, kulturpolitische Konstrukte gedacht werden und lassen sich somit nicht als natürlich gegeben voraussetzen. Vgl. Schmid, Harald: Regionale Erinnerungskulturen – ein einführender Problemaufriss, in: Erinnerungskultur und Regionalgeschichte, Ders. (Hg.), München 2009, S. 7–25, hier S. 13; Sabrow, Der Raum der Erinnerung, S. 27; Schmid, Regionale Gedächtnisräume, S. 38–39; Von Reeken, Dietrmar/Thießen, Malte: Regionale oder lokale Geschichtskulturen? Reichweite und Grenzen von Erinnerungsräumen, in: Gedächtnisräume. Geschichtsbilder und Erinnerungskulturen in Norddeutschland, Janina Fuge/Rainer Hering/Harald Schmid (Hg.), Göttingen 2014, S. 71–97, hier S. 83–84. 130 Sabrow, Der Raum der Erinnerung, S. 19. 131 Wobei Schmid hier von den bereits von Halbwachs vorgestellten ›Cadres sociaux‹ – also der sozialen Bezugsrahmen individueller Gedächtnisse – ausgegangen sein dürfte. Vgl. Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, S. 17–18.
Methodik
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Austausch zur konkreten Gedächtnisbildung im Untersuchungsraum bei, worin die zweite, vertikale Achse auszumachen ist.132 In der öffentlichen Diskussion um ein Denkmal zeigen sich die beiden Achsen beispielsweise wie folgt: Welche disparate Positionen und Erzählweisen vertreten nationale Parteien, regionale Vereine oder lokale Anwohner gegenüber einem Denkmal (vertikal) und wie treten sie bei der Aushandlung ihrer jeweiligen Sichtweisen miteinander ins Gespräch und beeinflussen sich dabei gegenseitig (horizontal)? Werden einzelne Erinnerungsorte nun innerhalb einer bestimmten Region in einem Überblick zusammengefasst, ergibt sich daraus eine erinnerungskulturelle Topographie, die sich gemäß Schmid inhaltlich mit den folgenden Fragen bestimmen lässt: »Welche vorherrschenden ›regionalen Narrative‹ prägen den Gedächtnisraum, von welchem historischen Erzählmustern wird er dominiert, welche Erzählungen sind marginalisiert oder der ›Relaisstation‹ des regionalen Gedächtnisraumes gleichsam oktroyiert? Wie lässt sich der Fokus, das Zentrum des lokalen oder regionalen Gedächtnisraums beschreiben – und was liegt erkennbar an der Peripherie der Geschichtskultur?«133
Für die beabsichtigte Untersuchung in Südtirol heißt das entsprechend danach zu fragen, wo die Erinnerung an den Abessinienkrieg von welchen Gruppen aufrechterhalten wird und welche Narrative sie dabei jeweils zur Sprache bringen. Bewegen sich diese Akteure auf einer nationalen, regionalen oder lokalen Ebene, an welchen zentralen Knotenpunkte überlagern sie sich und wie stehen sie folglich den sie umgebenden Randbereichen gegenüber, von denen aus sich einzelne Stimmen gleichermaßen zu Wort melden?134 Ergänzend zu Schmid ist hier zudem auf das Konzept der Scales von Chiara De Cesari und Ann Rigney zu verweisen. Die beiden betrachten Gedächtnisräume von lokalen bis hin zu globalen Bezugsrahmen aus, wobei sie explizit davon absehen, solche als in sich abgeschlossene, strikt hierarchisierte Container-Cultures vorauszusetzen.135 Um räumliche Gedächtnisbildungsprozesse zu erfassen, sind grenzüberschreitende Austauschprozesse demnach genauso ins Auge zu fassen.136 Die Gedächtnisebenen Schmids sind somit einem grundsätzlich dynamischen und grenzoffe132 Schmid, Regionale Gedächtnisräume, S. 34–35. 133 Ebd., S. 41. 134 Dazu auch passend der von Aleida Assmann eingeführte Begriff der Erinnerungskonkurrenzen. Vgl. Assmann, Aleida: Erinnerungskonkurrenzen, in: Habsburg neu denken. Vielfalt und Ambivalenz in Zentraleuropa 30 kulturwissenschaftliche Stichworte. Johannes Feichtinger/Heidemarie Uhl (Hg.), Wien – Köln – Weimar 2016, S. 52–59, hier S. 56–57. 135 De Cesari, Chiara/Rigney, Ann: Introduction, in: Transnational Memory. Circulation, Articulation, Scales, Dies. (Hg.), Boston 2014, S. 1–29, hier S. 3. 136 De Cesari/Rigney, Introduction, in: Transnational Memory, S. 2–9; Schmid, Regionale Erinnerungskulturen, S. 14.
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Einleitung
nen Machtgefüge einzuordnen.137 Schließlich sind gerade in ›Süd-Tirol‹ lokale, regionale oder transnationale Geschichtsbilder deutlich wirkungsmächtiger, als die sie umgebenden, nationalen Erinnerungsangebote.138 Letztendlich gilt es aber auch das Verhältnis zur wissenschaftlichen Perspektive nicht aus den Augen zu verlieren. Schmid stellt hierzu die Frage, ob die in einem Gedächtnisraum vorherrschenden erinnerungskulturellen Narrative einen eher verzerrten oder doch schärferen Blick auf die Vergangenheit ermöglichen.139 Hinsichtlich Südtirols sind daher jüngere Versuche zu besprechen, die eine kritische Auseinandersetzung mit dem Abessinienkrieg anstreben. Wie diese zur erhitzten erinnerungskulturellen Debatte in der Region stehen und was sich dabei für Möglichkeiten zu einem möglichst unvoreingenommenen Zugang zur Vergangenheit eröffnen, wird in der nachfolgenden Arbeit stellenweise ebenfalls untersucht.140
Aufbau und Quellenlage Mit dem theoretischen Rüstzeug des SFB und Schmids Untersuchungsmodell lassen sich die Erinnerungsorte im Gedächtnisraum ›Südtirol‹ ausmachen und entsprechend analysieren. Um nun aber der dortigen Funktion des Abessinienkriegs auf die Spur zu kommen, muss die Auswahl erinnerungskultureller Knotenpunkte auf diejenigen Orte beschränkt werden, an denen die kollektive Erinnerung an den Abessinienkrieg immer wieder von neuem öffentlich ausgehandelt wurde. Einem solchen Anspruch eines Erinnerungsorts genügen freilich nicht alle heute noch auffindbaren Spuren des faschistischen Imperialismus in Südtirol. Einige der Spuren, die das faschistische Regime von seinem erträumten Weltreich beispielsweise in den Städten der Region hinterlassen hat, sind mittlerweile in Vergessenheit geraten und haben kaum je Anlass zu geschichtspolitischen Debatten gegeben.141 Andere Spuren sind hingegen zu zen137 Schmid, Regionale Erinnerungskulturen, S. 12. 138 Vgl. Kap. »Das Schweigen über den Abessinienkrieg im Südtirol der Nachkriegszeit«, S. 274–287. 139 Schmid, Regionale Gedächtnisräume, S. 41. 140 Vgl. Kap. »Von der Kollektiverzählung zum historiographischen Diskurs«, S. 313–327. 141 Beispielsweise die 1938 im Schatten des Siegesdenkmals in Bozen errichtete Siegessäule, welche der vermeintlichen Heldentaten der ›tapferen Etschländer‹ in Abessinien, Libyen und Spanien gedenkt, die für sich alleine freilich nie für derart viel geschichtspolitische Polemik sorgte wie andere in Südtirol errichtete, imperiale Monumente. Für eine aktuelle Bestandesaufnahme der Spuren des faschistischen Imperialismus in Italien im Allgemeinen und Südtirol im Speziellen vgl. Onlinekarte aufgesetzt von Daphn8 Budasz & Markus Wurzer, Einträge zu Südtirol von Sebastian De Pretto, http://postcolonialitaly.com, aufgerufen am 09. 10. 2019.
Aufbau und Quellenlage
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tralen Erinnerungsorten innerhalb des Gedächtnisraums Südtirol avanciert, so dass diese der vorliegenden Studie als Fallbeispiele dienten. Im Verlaufe der Nachkriegszeit wurde der Abessinienkrieg demnach an den folgenden Erinnerungsorten Südtirols zum Streitgegenstand öffentlicher Geschichtsdebatten: Am Alpinidenkmal in Bruneck, innerhalb des Bozner Straßennamenkatalogs, auf den Seiten von Südtiroler Heimatbüchern, in Form publizierter Zeitzeugenberichten sowie in geschichtswissenschaftlichen Arbeiten. Diesen Austragungsorten öffentlicher Geschichtsdebatten gilt sonach die Aufmerksamkeit, wobei jedem ein eigenes Kapitel zukommt, um sich den dortigen Akteuren und deren geschichtspolitischen Positionen quellengestützt zuzuwenden. Die gedächtnisstiftende Funktion des Abessinienkriegs in Südtirol soll schließlich von jenen Erinnerungsorten her eingekreist und erkennbar werden. Die Reihenfolge der einzelnen Kapitel ist dabei so angelegt, dass zuerst die kulturnationalistischen Erzählweisen der italienischen Invasion Äthiopiens erkennbar werden. Hierzu wird als erster Erinnerungsort das Alpinidenkmal in Bruneck behandelt, da sich vor dem Sockel des steinernen Gebirgssoldaten sowohl italienisch- als auch deutsch-nationalistische Gruppierungen darum bemüht haben, dessen Aussagegehalt in ihrem Interesse auszudeuten. Der Abessinienkrieg wurde dabei jeweils aus unterschiedlichen Gründen ins Gedächtnis gerufen. Der Untersuchungszeitraum reicht dazu von der Einweihungsfeier des ersten Ehrenmals von 1938 bis in das Jahr 2012, in welchem erstmals ein gemeinsamer Kompromiss im langjährigen Denkmalstreit gefunden wurde. Das vorläufige Friedenszeichen kam hiernach durch eine Gedenktafel am Fuße des Monuments zustande, die eine von beiden Sprachgruppen anerkannte Version des Abessinienkriegs wiedergibt. Um die in jenen 74 Jahren zuvor gegenüber dem Denkmal vertretenen Standpunkte ihrer nationalen, regionalen oder lokalen Provenienz nach einzufangen, ist die Quellenlage folgendermaßen gegliedert: National durch die Unterlagen des Grenzzonenamts, der Denkmalschutzbehörde sowie von staatlichen Dekreten und den dazugehörigen Propagandablättern.142 Regional vor allem durch die beiden auflagenstärksten, kulturnationalistischen Zeitungen Südtirols – dem italienischsprachigen Alto Adige und der deutschsprachigen Dolomiten143 – sowie durch die 142 Hierzu die Bestände des Grenzzonenamts im Archiv der »Presidenza del Consiglio dei Ministri« (PCM) in Rom, die Unterlagen des Archivs der »Soprintendenza archeologica, belle arti e paesaggio per le province di Verona, Rovigo e Vicenza« (SABAP) in Verona sowie einzelne, jeweils in der Gazzetta Ufficiale veröffentlichte Dekrete und faschistischer Zeitungen wie die Provincia di Bolzano, den Corriere della Sera oder die Alpenzeitung. 143 Hillebrand, Leo: Getrennte Wege. Die Entwicklung des ethnischen Mediensystems in Südtirol, in: Die ethnisch halbierte Wirklichkeit. Medien, Öffentlichkeit und politische Legitimation in ethnisch fragmentierten Gesellschaften. Theoretische Überlegungen und Fallbeispiele aus Südtirol, Günther Pallaver (Hg.), Innsbruck 2006, S. 41–67, hier S. 41–45 sowie S. 53–54.
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Vereinsorgane derjenigen Zivilorganisationen, welche sich bei der Denkmaldebatte am prominentesten in der Vordergrund drängten: allen voran die Associazione Nazionale Alpini (ANA) sowie der Südtiroler Schützenbund (SBB).144 Lokal schließlich mithilfe von Beständen des Stadtarchivs Bruneck (StadtA Bruneck)145, den Tages- und Wochenblättern des Pustertals sowie anderer schriftlicher Stellungnahmen, die seit 1938 in der Stadt an der Rienz kursieren.146 Das nächste Fallbeispiel geht in der Geschichte Südtirols etwas weiter zurück und konzentriert sich ganz auf die Provinzhauptstadt Bozen. Hier werden anhand der verschiedenen Benennungskampagnen diejenigen imperialen Straßennamen untersucht, welche den italienischen Expansionskriegen im Generellen sowie dem Abessinienkrieg im Spezifischen gewidmet wurden. Da derartige Hodonyme147 erstmals auf der Bozner Straßenkarte erschienen, als Südtirol nach 1919 zu Italien fiel, beginnt das Kapitel im Vorfeld des Ersten Weltkriegs. Nachdem die Ursprünge der während des Ventennio nero vergebenen Straßennamen freigelegt wurden, wendet sich die Analyse der zwischen 1945 und 1967 ausgebrochenen Geschichtsdebatten um ebenjene Wegzeichen zu. Das Kapitel endet schließlich mit der gescheiterten Umbenennungskampagne des Siegesplatzes in Friedensplatz von 2000, bei welcher sich die geschichtspolitische Funktion der Bozner Straßennamen nochmals überdeutlich abzeichnete: So wird die Landeshauptstadt seit der faschistischen Regierungszeit von einer italienischsprachigen Mehrheit bewohnt, was sich bis heute in den politischen Kräfteverhältnissen des hiesigen Stadtparlaments widerspiegelt. Unter anderem deshalb spricht aus den seit 1919 verliehenen Straßennamen der neu errichteten Stadtviertel vor allem ein italienisch-nationalistisches Geschichtsbild.148 Im zweiten Kapitel treten folglich solche Erzählweisen des Abessinienkriegs hervor, die sich überwiegend an einer von Rom aus diktierten Geschichtspolitik orientieren. Spätestens die dazu vorliegende Quellenlage macht den Umstand offenkundig: Um die einzelnen Benennungskampagnen 144 National verfügt die ANA über die Zeitschrift l’Alpino, während die Regionalsektion Südtirols ihre Berichte und Annoncen über die Scarpe grosse verbreitet. Die Vereinszeitschrift des SBB trägt hingegen den Titel Tiroler Schützenzeitung. 145 Dazu vor allem die dort vorliegenden Protokolle und Korrespondenzen des Gemeinderats und einzelner Bürgermeister. 146 Für die Nachkriegszeit wurden die Zeitschriften FORUM, Jugend ohne Maske (JOM) sowie die Pustertaler Zeitung, gesichtet. 147 Der Begriff der ›Hodonyme‹ bezeichnet diejenige Unterkategorie von ›Toponymen‹, mit welchen Straßen, Wege, Plätze etc. benannt werden. Vgl. Fuchshuber-Weiß, Elisabeth: Straßennamen: deutsch, in: Namensforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, Ernst Eichler, Gerold Hilty u. a. (Hg.), Bd. 2, Berlin – New York 1996, S. 1468–1475, hier S. 1468. 148 Um einige öffentliche Stimmen dazu einzufangen, wurden die zu den Namensrevisionen erschienen Zeitungsartikel unter anderem der Dolomiten, der Cronaca di Bolzano und des Alto Adige ausgewertet.
Aufbau und Quellenlage
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und die darin vertretenen Positionen zu erfassen, wurden die Bestände des Stadtarchivs Bozen (StadtA Bozen) ausgewertet. Von Interesse waren dabei vor allem staatliche Dekrete, Protokolle und Korrespondenzen des Gemeinderats und des Gemeindeausschusses sowie die Unterlagen der für die Namensrevisionen jeweils einberufenen Toponomastikkommissionen.149 Da jene Stadtbehörden und Gremien mehrheitlich von italienischsprachigen Beamten und Kulturvertretern gebildet wurden, korrespondiert die lokale Ebene demnach hauptsächlich mit dem nationalen Erinnerungshaushalt Italiens. Die Namensfindungsprozesse der Nachkriegszeit wurden überdies vom staatlichen Denkmalamt sowie vom Regionalrat Trentino-Südtirol beaufsichtigt und abgesegnet, während der Südtiroler Landtag bei den Straßennamenrevisionen lange Zeit kaum mitreden durfte. Die regionale Ebene orientiert sich beim Fallbeispiel der Bozner Straßenkarte daher ebenfalls am italienisch-nationalistischen Kollektivgedächtnis der Brennerregion. Das dritte Kapitel wendet sich dafür einem medialen Erinnerungsort Südtirols zu, der seit jeher deutsch-nationalistisch besetzt ist. Im Mittelpunkt stehen die Südtiroler Heimatbücher, die im Zeitraum von 1951 bis 2012 von einzelnen Berg- und Talgemeinden veröffentlicht wurden.150 Da die Dörfer außerhalb der großen Städte wie Bozen oder Meran stets von einer deutschen Bevölkerungsmehrheit bewohnt wurden, entsprangen auch die Geschichten der Heimatbücher der Feder deutschsprachiger Autoren. Insofern bei ihnen vom Abessinienkrieg die Rede ist – das erste Mal taucht dieser 1976 im Heimatbuch von Antholz auf151 –, sind die entsprechenden Erzählweisen demnach fest in eine sie umgebende Erzählkultur eingebettet, nach welcher die faschistische Verwaltungspolitik der Zwischenkriegszeit nach bestimmten, erinnerungskulturellen Parametern erzählt wurde. Oftmals waren die zeitgegebenen Vorgaben eines regional ausgerichteten Kollektivgedächtnisses Deutschsüdtirols hierbei maßgebender, als etwa lokale oder private Erinnerungsformen. Die Gründe dafür liegen einerseits darin, dass sich mit zunehmender Anzahl an Publikationen mit der Zeit ein fester Heimatbuchkanon herausbildete,152 der andererseits von einer stets abnehmenden Anzahl an regional engagierten Heimatbuchautoren verbreitet wurde: Am Ende gab eine Hand voll selbsternannter Heimatbuchspezialisten vor, wie die Geschichten einzelner Südtiroler Ortschaften im Rahmen
149 Hierzu die Sitzungsbücher der Toponomastikkommissionen sowie die Protokolle in den einzelnen Jahresbüchern des Gemeindeausschusses und des Gemeinderats. 150 Die dazu eingesehenen Heimatbücher wurden größtenteils dem digitalisierten Bestand der Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann entnommen. Vgl. https://digital.tessmann.it/tess mannDigital/Kategorie/20021, aufgerufen am 06. 05. 2019. 151 Müller, Hubert: Das Dorfbuch von Antholz, Bd. 1 & 2, Niederrasen 1976, S. 248. 152 Vgl. Kap. »Inhaltliche Entwicklung des Südtiroler Heimatbuchkanons«, S. 219–223.
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der Landeshistorie zu erzählen waren.153 Somit informiert das dritte Fallbeispiel darüber, wie die deutsch-nationalistische Lesart des Abessinienkriegs in den Heimatbüchern Südtirols zu welcher Zeit ausformuliert wurde. Dadurch werden zudem diejenigen Erinnerungsaktivisten sichtbar, die sich in den jeweiligen Gemeinden um ebenjene Erzählungen vom Abessinienkrieg bemüht haben. Im vierten Kapitel geht es abschließend darum, wie sich in der Nachkriegszeit einzelne Zwischenstimmen zum Abessinienkrieg im kulturnationalistisch besetzten Gedächtnisraum Südtirol jeweils zu Wort meldeten. Daraus geht hervor, dass trotz der in den ersten drei Kapiteln erläuterten Erinnerungsorten, an welchen bestimmte Erzählungen vom Abessinienkrieg kursierten, die Veteranen selbst lange Zeit schwiegen. Das sozial konstruierte – regionale, aber auch nationale – Schweigen um den Abessinienkrieg, wird dadurch anfangs zum Gegenstand der Analyse. Exemplarisch für Südtirol wird das kulturnationalistische Narrativ vom Abessinienkrieg dazu mittels einer sechsteiligen Artikelserie der Dolomiten von 1966 offengelegt.154 Danach werden die Hefte vom Vereinsorgan des Südtiroler Kriegsopfer- und Frontkämpferverband (SKFV) ausgewertet. Deren Geschichtsaktivismus in der Provinz führt schließlich vor Augen, dass die Veteranen des Abessinienkriegs gegenüber der dortigen Dominanz eines deutsch-nationalistischen Nachkriegsgedächtnisses kaum einen Platz zugesprochen bekamen, um persönlich über ihren Kriegseinsatz zu berichten.155 Des Weiteren werden die Tagebuchaufzeichnungen des Abessinienkrieg-Veteranen Oskar Eisenkeils untersucht, zu welchen er 1973 mit der Absicht einer Publikation aus seinem persönlichen Gedächtnis heraus ein Vorwort verfasste.156 Innerhalb der regionalen Erzählkultur, welche sich in den Zeitungsartikeln der Dolomiten, dem Vereinsorgan des SKFV sowie in den Tagebuchaufzeichnungen Eisenkeils widerspiegelt, wird sonach die vierte Art von Erinnerungsorten fassbar. Es handelt sich hierbei um ein veröffentlichtes Oral History-Projekt157 des Journalisten Martin Hanni von 2005 sowie denjenigen historiographischen Arbeiten, die seit dem Sammelband Steinachers von 2006 erschienen sind. 153 Vgl. Kap. »Autoren und Herausgeberschaften«, S. 211–216. 154 »Mussolinis Angriffskrieg auf Abessinien«, in: Dolomiten, 15. 01. 1966, Nr. 11, S. 3; »Mussolinis Angriffskrieg gegen Abessinien, 1. Fortsetzung«, in: Dolomiten, 22. 01. 1966, Nr. 17, S. 3–4; »Mussolinis Angriffskrieg gegen Abessinien, 2. Fortsetzung«, in: Dolomiten, 29. 01. 1966, Nr. 23, S. 3 u. 20; »Mussolinis Angriffskrieg gegen Abessinien, 3. Fortsetzung«, in: Dolomiten, 05. 02. 1966, Nr. 29, S. 3–4; »Mussolinis Angriffskrieg gegen Abessinien, 4. Fortsetzung«, in: Dolomiten, 12. 02. 1966, Nr. 35, S. 3–4; »Mussolinis Angriffskrieg gegen Abessinien, 5. Fortsetzung und Schluss«, in: Dolomiten, 19. 02. 1966, Nr. 41, S. 3. 155 Hierfür dienten verschiedene Ausgaben des Südtiroler Kamerads von 1958 bis 2007. 156 Eisenkeil, Oskar R.: Erinnerungen an den Krieg in Abessinien 1935/39, Typoskript des Tagebuchs mit einer Einleitung von 1973, Südtiroler Landesarchiv (SLA), eingegangen am 23. März 2016. 157 Hanni, Martin: Biographische Ehrhebung einiger Abessinienkämpfer aus Südtirol, ausgearbeitet vom 04. August – 05. April 2005.
Aufbau und Quellenlage
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Untersucht werden dazu Publikationen, die entweder von professionellen Historikern oder von Laienwissenschaftlern vorgelegt wurden und sich von unterschiedlichen Zugängen her der Verflechtungsgeschichte Südtirols mit dem Abessinienkrieg zuwenden.158 Über welche Blickwinkel sich sonach ein vielschichtiges, spannungsreiches Bild der Südtiroler und des Abessinienkriegs erschließt und kulturnationalistische Scheuklappen somit langsam abgelegt werden, bildet den Abschluss der vorliegenden Arbeit.
158 Steinacher (Hg.), Zwischen Duce und Negus, Bozen 2006; Degle, Heinz: Erlebte Geschichte. Südtiroler Zeitzeugen erzählen…1918–1945, Bozen 2009; Di Michele (Hg.), Abessinien und Spanien: Kriege und Erinnerung 1935–1939; Wurzer, »Nachts hörten wir Hyänen und Schakale heulen.«, Innsbruck 2016; Luther, Helmut: Mussolinis Kolonialtraum. Eine Reise zu den Schauplätzen des Abessinienkrieges, Bozen 2017; Pergher, Mussolini’s NationEmpire, Cambridge 2018.
II.
Das Alpinidenkmal in Bruneck, 1938–2012
Zu den Ursprüngen des Alpinidenkmals vom 6. Juni 1938 Denkmäler bezeugen gesellschaftspolitische Herrschaftsverhältnisse im öffentlichen Raum. Besonders Diktaturen neigen als beflissene Denkmalstifter dazu, ihr repressives Machtsystem mittels steinerner Herrschaftszeichen dem Volk in aller Deutlichkeit vorzusetzen.159 Der italienische Faschismus stellt hierzu keine Ausnahme dar. Gerade seine imperialen Aspirationen wusste Mussolini durch den landesweiten Bau neuer Monumente in zahllosen Gemeinden und Städten wirkungsvoll zu propagieren. Das folgende Kapitel möchte anhand des Alpinidenkmals in Bruneck untersuchen, inwiefern der Abessinienkrieg für das machtpolitische Inszenieren der Italienischen Staatsmacht in Südtirol in Szene gesetzt wurde. Zunächst richtet sich der Fokus dazu auf das Entstehungsjahr des Denkmals von 1938, um erst in den darauffolgenden Abschnitten auf die Nachkriegszeit einzugehen. Schließlich gelingt eine abschließende Quellenkritik des Standbilds nur, wenn nicht nur dessen zeitabhängige Rezeption aufgearbeitet, sondern gleichwohl dessen Planungs- und Baugeschichte von den Anfängen her aufgerollt wird.160 Das Alpinidenkmal weiß hierzu einiges über die genauso komplexe wie auch turbulente Geschichte Südtirols zu berichten.
Einweihung und Errichtung Am 15. Juni 1938 strahlte das faschistische Film- und Propagandainstitut Luce landesweit einen Kurznachrichtenbeitrag über die im Pustertal gelegene Kleinstadt Bruneck aus. Darin war auf der dortigen Piazza IX Maggio die Ein159 Schmid, Hans-Dieter : Denkmäler als Zeugnisse von Geschichtskultur, in: Geschichte und Öffentlichkeit. Orte – Medien – Institutionen, Sabine Horn/Michael Sauer (Hg.), Göttingen 2009, S. 51–61, hier S. 56. 160 Ebd., S. 60.
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Das Alpinidenkmal in Bruneck, 1938–2012
weihungsfeier eines steinernen Monuments zu sehen. Die Ehre gebührte hiernach einem auf einem hohen Sockel vor sich her schreitenden Alpino-Soldaten. Gruppierungen aller faschistischen Zivilorganisationen sowie aller Generationen und Geschlechter winkten und jubelten dabei in einer schier unüberschaubaren Menschenmasse frenetisch der Kamera entgegen. Unverkennbar sollte damit ein im Zeichen der faschistischen Nation abgehaltener Massenaufmarsch anlässlich eines neuen Kriegerdenkmals präsentiert werden.161 Zum selbigen Anlass schrieb dazu bereits einige Tage zuvor das faschistische Tagblatt Südtirols La Provincia di Bolzano: »Fra la popolazione pusterese, che ha seguito col piF vivo interesse e con ammirazione non disgiunta da un senso di orgoglio, le gesta della Divisione alpina, che porta il nome della bella vallata, H fiorita in questi giorni un’iniziativa: erigere un ricordo marmoreo per esaltare le glorie degli ›scarponi‹ della ›Val Pusteria‹, che nella battaglia per la conquista dell’Amba Aradam ed in quella decisiva di Passo Mecan, hanno compiuto prodigi di valore.«162
Gemäß dem Zeitungsartikel handelte es sich um ein Denkmal, dass auf Initiative der Pustertaler Bevölkerung hin im Namen der 5. Alpini Division errichtet worden war. Gemeint war dabei die sog. ›Divisione Val Pusteria‹, deren Soldaten bei den beiden Schlachten von Amba Aradam und am Mecan-Pass während des Abessinienkriegs angeblich besonders heldenhafte Taten vollbracht hätten.163 Zu den eigentlichen Festlichkeiten bestätigte das deutschsprachige Pendant zur La Provincia di Bolzano, die Alpenzeitung, zwei Tage später nochmals nachdrücklich, dass sich ganz Bruneck freudig und voller Stolz zur Ehre des neuen Denkmals auf dem Stadtplatz versammelt habe. Des Weiteren beschrieb der Artikel, wie die dortigen Straßen und Lauben mit Trikolore-Flaggen und Blumen ausgeschmückt gewesen seien, die Stadtkapelle die Festlichkeiten musikalisch begleitet und eine Flugstaffel über den Dächern Brunecks die Ankunft der faschistischen ›Moderne‹ verkündet habe.164 Der Festakt wurde aber auch deshalb derart pompös abgehalten, da es die von weit hergereisten, Staats- und Kirchenvertreter angemessen zu empfangen
161 Giornale Luce: Brunico. I principi di Piemonte nella Val Pusteria, Brunico 15. 06. 1938, in: Luce online Archiv, Sig. B1320. 162 »Una stele marmorea esalter/ a Brunico«, in: La Provincia di Bolzano, 5. 6. 1936: S. 1. 163 Neben diesen beiden Einsätzen machte sich die Division vor allem bei der Schlacht von Mai Ceu sowie mit der Beteiligung am Massaker vom Aschiangi-See einen Namen. Vgl. Ronchetti, Sergio: Alpini in Africa: La divisione alpina »Pusteria« nella guerra d’Etiopia, ungedr. phil. Dipl., Bologna 1987/88, S. 60–75. 164 »Brunico feiert in Anwesenheit des Kronprinzenpaares die Enthüllung des Alpini-Denkmals der Division ›Pusteria‹«, in: Alpenzeitung, 7. 6. 1938, S. 3.
Zu den Ursprüngen des Alpinidenkmals vom 6. Juni 1938
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galt:165 Darunter besonders das Kronprinzenpaar Umberto und Maria di Savoia als die beiden Ehrengäste.166 Das blaublütige Ehepaar war nach einer repräsentativen Autofahrt durch das Eisack- und das Pustertal schließlich in Bruneck angelangt, um hier den steinernen Soldaten würdevoll einzuweihen. So galten die im Cinegiornale gezeigten Jubelrufe nicht nur dem neuen Monument und der dadurch verkörperten, italienischen Nation, sondern besonders auch der anwesenden Staatsprominenz. Als Zeichen der Dankbarkeit für ihren Besuch wurde ihnen von der Stadt eine kleine, bronzene Kopie der Statue geschenkt, während Kinder von ranghohen Alpino-Soldaten ihnen reichgeschmückte Blumenkränze überreichten.167 Die Euphorie der Bevölkerung Brunecks habe sich aber nicht nur auf deren jubelvolle Teilnahme an der Einweihungsfeier beschränkt. So war im Artikel der Provincia di Bolzano vom 5. Juni des Weiteren zu lesen: »Umile gente del popolo, professionisti, operai, contadini, forse gli stessi famigliari ed amici di quella cinquantina di ›scarponi‹ atesini incorporati nella magnifica unit/ bellica combattente in Africa Orientale, hanno fatto pervenire spontaneamente le loro offerte al Podest/ di Brunico, esprimendo il desiderio che venga eretta una stele marmorea, testimonianza di affetto, di riconoscenza e di ammirazione, verso coloro che hanno contribuito col loro sangue, con l’olocausto della loro vita, alla conquista dell’Impero.«168
Neben den Angehörigen der für das ›Impero‹ gefallenen Soldaten habe sich demnach schon von Anbeginn an das gesamte ›Arbeiter- und Bauernvolk‹ des Pustertals um den Bau eines Denkmals bemüht. Allein sie hätten die Idee für dieses gehabt sowie selbstständig die dafür nötigen Gelder aufgetrieben. In der Alpenzeitung wurde hierüber von einem Bürgerausschuss berichtet, der sich extra für die Spendenaktion gebildet habe.169 Nicht zuletzt zeigte sich aber auch der Generale Comandante der Divisione Pusteria, Luigi Negri, von der Idee äußerst begeistert. Als Spende zum Denkmalbau ließ dieser sich vom Oberbefehlshaber der Alpini in Abessinien, Domenico Orlandini, einen Stein vom siegreichen Schlachtfeld bei Mai Ceu schicken, der in das Postament am Kapuzinerplatz eingearbeitet werden sollte.170 165 Lechner, Stefan: Extreme Zeiten: Bruneck 1918–1945, in: Der lange Weg in die Moderne. Geschichte der Stadt Bruneck 1800–2006, Stefan Lechner (Hg.) Innsbruck 2006, S. 108–156, hier S. 132–133. 166 »Brunico feiert in Anwesenheit des Kronprinzenpaares die Enthüllung des Alpini-Denkmals der Division ›Pusteria‹«, in: Alpenzeitung, 7. 6. 1938, S. 3. 167 »Brunico inaugura presenti i Principi Sabaudi. Il monumento all’Alpino della divisione ›Val Pusteria‹«, in: La Provincia di Bolzano, 7. 6. 1938, S. 3. 168 »Una stele marmorea esalter/ a Brunico«, in: La Provincia di Bolzano, 5. 6. 1936: S. 1. 169 Denkmal für die Kämpfer der Division »Pusteria«, in: Alpenzeitung, 9. 7. 1938, S. 5. 170 Brief des Tenente degli Alpini V. Residente Domenico Orlandini an die Stadt Bruneck, Mai Ceu 21. 9. 1936, in: Stadtarchiv Bruneck (StadtA Bruneck), Sonderschachtel Kriegerdenk-
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Das Alpinidenkmal in Bruneck, 1938–2012
Zusammen mit dem Geschenk richtete Negri den Regierungsvertretern der Stadt Bruneck den folgenden Dank aus: »A mio mezzo essi [Italiens Alpinisoldaten] esprimono la loro viva gratitudine per il pensiero gentile che onora la popolazione della graziosa cittadina di Brunico ed i suoi rappresentanti ed 8 [sic] conferma degli alti sentimenti d’italianit/ delle genti altoatesine. A suo tempo, quando la costruzione del monumento sar/ iniziata, la Divisione Pusteria offrir/ un sasso, preso sulle colline di Mai Ceu che videro il 31 marzo l’eroico sacrificio degli Alpini a la fuga dell’ultima armata imperiale etiopica condotta dal Negus in persona. Il sasso potr/ essere incluso nel monumento.«171
Demnach verstand der Alpini-General das geplante Monument vor allem als Ausdruck einer ›Vaterlandsliebe‹ der Bürger Brunecks sowie der umliegenden Gemeinden. Entsprechend zeigte er sich für deren großzügige Opfergabe im Namen des ›Imperos‹ ausgesprochen geschmeichelt. Die Aussage Negris muss aber genauso wie die zwei Jahre darauf in faschistischen Film- und Printmedien inszenierte Einweihungsfeier im Lichte der damaligen Regimepropaganda verstanden werden. So wurden auf lokale Initiative hin zwar tatsächlich Gelder für das Denkmal gesammelt, allerdings setzte sich der dazu gegründete Ausschuss nicht aus unabhängigen Bürgern, sondern aus den faschistischen Vorstehern der Pustertaler Gemeinden zusammen und wurde vom Brunecker Podest/ Antonio Di Stefano beaufsichtigt.172 Auch kamen trotz der Spenden einiger ortsansässiger Unternehmen allein im Pustertal die nötigen Gelder nicht zusammen, sodass die Sammelaktion bereits nach wenigen Wochen auf die ganze Provinz ausgedehnt werden musste.173 Bei dem von Di Stefano koordinierten Comitato Comunale pro Monumento Caduti Divisione Alpina – »Val Pusteria« handelte es sich überdies um ein reines Aufsichtsorgan, das die eigentliche Sammelaktion regional an einzelne Dorfkomitees delegierte.174 Di-
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mal: Monumento all’Alpino. Pratiche: 1936–1938. Rapporti colle Autorit/ superiori, ohne Sig. Brief von Luigi Negri, Generale Comandante der »Divisione Alpina ›Pusteria‹ 58«, an den Podest/ sowie an den »Segretario Politico« von Bruneck, Dessi8, 6. Juni 1936, in: StadtA Bruneck, Sonderschachtel Kriegerdenkmal: Monumento all’Alpino. Pratiche: 1936–1938. Rapporti colle Autorit/ superiori, ohne Sig. Lechner, Stefan: Grimmig dreinblickender Alpino, in: Die neue Südtiroler Tageszeitung, 8. 4. 2011, S. 28–29, hier S. 28. »Ein neues Denkmal in Bruneck«, in: Südtiroler Heimat. Mitteilungen für Freunde Südtirols, 1. 9. 1936, S. 6. Es handelte sich bei dieser Sammelaktion allerdings nicht um den ersten Versuch, mittels Spendenaufrufs den Bau eines Denkmals in Bruneck zu finanzieren. Erstmals wurde dies im Juni 1923 für den Bau eines Monuments zu Ehren der ›Italienischen Mutter‹ versucht. Das zweite Mal sodann kurze Zeit darauf im September 1923 für das Projekt eines Denkmals der »Carabinieri reale«. Beide Sammelaktionen verliefen aber im Sand. Um die Finanzierung deshalb schon von Beginn an sicher zu stellen, kann davon ausgegangen werden, dass Di Stefano mit seinem Aufsichtskomitee eine äußerst strenge Kontrolle der Spendenaktion beabsichtigte. Vgl. Gartner, Bettina: Die Schwarzhemden und die Kleinstadt. Die Lebens-
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rekt vor Ort oblag es demnach parteitreuen Geistlichen, Schuldirektoren, Führern der faschistischen Ortsgruppen sowie lokalen Regierungsvertretern, die verlangten Gelder einzutreiben.175 Ihnen wurden dazu Spendenregister zugesandt, auf welchen alle eingereichten Beiträge mit Angaben der jeweiligen Spender einzutragen waren.176 Die Angaben wurden daraufhin dem Aufsichtsorgan in Bruneck zurückgesandt, von diesem ausgewertet und später in den deutsch- sowie italienischsprachigen Regionalzeitungen veröffentlicht.177 Ein Blick in die Spendenkarten gibt allerdings zu erkennen, dass sich die Südtiroler alles andere als großzügig erwiesen.178 Im Durchschnitt gelangten mit einer Lira pro Kopf nur wenig mehr als der geforderte Mindestbeitrag von 50 Centesimi in die kommunalen Kollekten.179 Zusätzlich zu den Bögen wurden ferner auch Ansichtskarten zum projektierten Denkmal in die einzelnen Gemeinden verschickt, um ebenfalls von Nicht-Südtirolern anonyme Spenden empfangen zu können.180 Folglich war es für Di Stefano besonders wichtig, dass möglichst viele ›fremdstämmige‹ Geldgeber verzeichnet wurden, damit sich die Aktion als
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welt Brunecks (Südtirol) zur Zeit des Faschismus, ungedr. phil. Dipl. Arbeit, Salzburg 2001, S. 160. Rundschreiben von Antonio Di Stefano im Namen des »Comitato Centrale pro Monumento Caduti Divisione Alpina ›Val Pusteria‹« an die Podest/ der Pustertaler Gemeinden, betr. »Monumento a ricordo Caduti Divisione Alpina »Val Pusteria« Costituzione Comitati«, Bruneck 12. Juni 1936, in: StadtA Bruneck, Sonderschachtel Kriegerdenkmal: Monumento all’Alpino. Pratiche. 1936–1938. Comitato Comunale pro erigendo Monumento alla Divisione Alpina – »Val Pusteria«, ohne Sig. Rundschreiben von Antonio Di Stefano im Namen des »Comitato Centrale Pro Monumento Caduti Divisione Alpina »Pusteria« an die Podest/ der Pustertaler Gemeinden, betr. »Modalit/ sottoscrizioni«, Bruneck 10. 7. 1936, in: StadtA Bruneck, Sonderschachtel Kriegerdenkmal: Monumento all’Alpino. Pratiche. 1936–1938. Diversi, Prot. Nr. 46, ohne Sig. Beispielsweise für die Spenden aus Badia: »Le offerte per il monumento ai Caduti della Divisione alpina ›Pusteria‹«, in: La Provincia di Bolzano, 27. 2. 1937, S. 1. Entsprechend führte Di Stefano in einem internen Schreiben an die Bozner Präfektur vom 26. Januar 1938 eine lange Liste von insgesamt 41 Gemeinden auf, die bis dahin noch weit unter den Erwartungen der Spendenaktion lagen. Vgl. Schreiben von Antonio Di Stefano an die Bozner Präfektur, betr. »Monumento ai Caduti della Divisione Alpina ›Pusteria‹, Bruneck 26. Januar 1938, Prot. Nr. 267, S. 3, in: Sonderschachtel Kriegerdenkmal: Monumento all’Alpino. Pratiche, 1936–1938, StadtA Bruneck, ohne Sig. Die genauen Zahlen zu einzelnen Gemeinden finden sich unter der Dokumentenüberschrift: »elenco delle sottoscrizioni pro erigendo monumento caduti divisione alpina ›Pusteria‹«, Bruneck 28. April 1937, in: StadtA Bruneck, Sonderschachtel Kriegerdenkmal: Monumento all’Alpino. Pratiche. 1936–1938. Estimativa per la Piazza del Monumento all’alpino in Brunico, ohne Sig.; sowie im Kassationsbuch des Comitato pro erigendo monumento caduti divisione val Pusteria 1936–1940, in: StadtA Bruneck, Altsig. Nr. 485. Rundschreiben von Antonio Di Stefano an die Gemeinden Südtirols, betr. »Invio Cartoline«, Bruneck 24. Juli 1936; sowie Telegramm von Antonio Di Stefano an den Podest/ der Gemeinde Toblach, betr. »Raccolta offerte«, Bruneck undatiert, in: StadtA Bruneck: Sonderschachtel Kriegerdenkmal. Monumento all’Alpino. Pratiche. 1936–1938. Diversi, ohne Sig.
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ebenjene besagte ›Bevölkerungsinitiative‹ der ›Etschländer‹ darstellen ließ.181 Die Spendenaktion dauerte schließlich vom Juli 1936 bis Ende 1938 und trug einen Gesamtbetrag von 10’484’685 Lire ein.182 Die Schlussbilanz zeigt überdies, dass in den rund eineinhalb Jahren in den meisten Ortschaften der Alpenprovinz bescheidene Geldbeträge für das neue Standbild zusammenkamen.183 Aber auch der darauffolgende Denkmalbau und die damit einhergehenden Festvorbereitungen erfreuten sich in Bruneck keiner großen Beliebtheit. So wurden für den Umbau des ehemaligen Kapuzinerplatzes gleich mehrere Altstadtgebäude enteignet und dem Erdboden gleichgemacht.184 Ein Stall, zwei Wohnhäuser und ein Gasthof mussten dem faschistischen Bauprojekt von Denkmal, Sockel und einer dahinter errichteten Gedenkmauer weichen.185 Der Brunecker Schriftsteller Paul Tschurschtentaler brachte seinen Abscheu vor dem neuen Denkmal kurz vor der Eiweihungsfeier unmissverständlich zum Ausdruck: »Am Kapuzinerplatz wird jetzt alles umgewälzt. Das Denkmal wirkt aber fremd, aufdringlich und die Festungsmauer davor ist unglaublich in ihrer Hässlichkeit und Härte.«186 Die von Tschurtschentaler geäußerte ›Fremdheit‹ dürften seine Mitbürger freilich nicht nur im äußeren Erscheinungsbild des vor sich hin schreitenden Alpinos empfunden haben. Ebenso kann eine allgemeine Aversion aus dem Umstand geschlossen werden, dass die dadurch geehrte Divisione Pusteria tatsächlich kaum mehr als ihren bloßen Namen mit dem Tal an der Rienz verband. 181 Di Stefano schrieb diesbezüglich in einem Rundschreiben an die Amtsbürgermeister Südtirols: »Non 8 [sic] fissato un minimo per le offerte: quello che interessa 8 [sic] che la sottoscrizione abbia carattere popolare e che ad essa contribuisca il maggiore numero possibile di persone.« Vgl. Rundschreiben von Antonio Di Stefano an die Podest/ Südtirols, betr. »Monumento a ricordo Caduti Divisione Alpina ›Val Pusteria‹«, in: StadtA Bruneck: Sonderschachtel Kriegerdenkmal. Monumento all’Alpino. Pratiche. 1936–1938. Comitato Comunale pro erigendo Monumento alla Divisione Alpina – »Val Pusteria«, ohne Sig. 182 Jahresabschlussrechnung 31. 12. 1938, Kassationsbuch, StadtA Bruneck, Nr. 485. 183 Nur wenige entlegenere Gemeinden wie beispielsweise Mölten, St. Ulrich in Gröden, Plaus, Schnals oder Schlanders scheinen sich bis Ende 1938 an der Sammelaktion kaum bis gar nicht beteiligt zu haben. Vgl. Schreiben von Antonio Di Stefano an die Bozner Präfektur, betr. »Monumento ai Caduti della Divisione Alpina ›Pusteria‹«, Bruneck 26. Januar 1938, Prot. Nr. 267, S. 2, in: StadtA Bruneck: Sonderschachtel Kriegerdenkmal. Monumento all’Alpino. Pratiche. 1936–1938, ohne Sig.; Spendenbeiträge nach Gemeinden, Kassationsbuch, StadtA Bruneck, Nr. 485. 184 Lechner, Stefan: Der Schwarze Wastl, in: Die neue Südtiroler Tageszeitung, 18./19. 10. 2003, S. 6; Tschurtschenthaler, Paul: Nirgends mehr daheim. Brunecker Chronik 1935–1939, Josef Gasteiger Wiesenegg u. a. (Hg.), Bozen 2000, S. 90–91. 185 Mitteilungsschreiben von Antonio Di Stefano an die Bozner Präfektur, kein Betr., Bruneck 17. Februar 1938, Prot. Nr. 1523, in: StadtA Bruneck: Sonderschachtel Kriegerdenkmal. Monumento all’Alpino. Pratiche. 1936–1938. Comitato Comunale pro erigendo Monumento alla Divisione Alpina – »Val Pusteria«, ohne Sig. 186 Tagebucheintrag von Paul Tschurtschenthaler vom 23. Mai 1938, in: Tschurtschenthaler, Nirgends mehr daheim, S. 123.
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Weder marschierte in deren Reihen eine Überzahl an Südtirolern, noch ließen irgendwelche Soldaten aus der nördlichen Alpenprovinz ihr Leben in einem Gefecht als Angehörige der fünften Division. In Wahrheit verstarb nur ein einziger Südtiroler – Franz Kröss aus Sarnen, der als Alpino der Val Pusteria nach Ostafrika eingezogen worden war – in einem Militärspital in Addis Abeba: jedoch erst im November 1936 – also mehrere Monate nach den eigentlichen Kampfhandlungen und nicht unmittelbar an einer im Feld zugezogenen Gefechtsverletzung.187 Außerdem verliefen bereits schon die Festvorbereitungen alles andere als friedlich. Um den Ablauf der Zeremonie unter der Anwesenheit der geladenen Ehrengäste vor allfälligen Unruhestiftern abzusichern, wurde der Platz um das neue Denkmal schon Tage vor der Ankunft des Kronprinzenpaares abgeriegelt. Zudem wurden rund 280 Carabinieri mit Hausdurchsuchungen und Personenkontrollen beauftragt, um potentielle Unruhestifter möglichst frühzeitig ausfindig zu machen.188
Zeitlicher Kontext, ursprüngliche Aussage und Standortfunktion Auf den ersten Blick war das Alpinidenkmal Teil einer langjährigen Propagandakampagne des Ministero della Cultura popolare, über welches das Regime spätestens seit dem Ausbruch des Abessinienkriegs im Oktober 1935 versuchte,189 alle Provinzen der Apenninhalbinsel auf die Invasion des ostafrikanischen Kaiserreiches einzustimmen.190 Mit dem dadurch anvisierten ›consenso popolare‹191 galt es den imperialen Feldzug im In- sowie im Ausland als den leidenschaftlichen Expansionsversuch eines vereinten Volkes aussehen zu lassen.192 187 Lechner, Extreme Zeiten, S. 132. 188 Ebd., S. 132–133. 189 Frühere Formen einer vom Regime gesteuerten Kolonialpropaganda hatten sich unter Mussolini bereits schon nach 1926 begonnen herauszubilden. Vgl. Deplano, Valeria: L’Africa in Casa. Propaganda e cultura coloniale nell’Italia fascista, Mailand 2015, S. 35–79. 190 Deplano, L’Africa in Casa, S. 105–110. 191 Für eine kritische Analyse dieses – v. a. vom faschistischen Regime propagierten – Volkskonsenses nach verschiedenen Bevölkerungsgruppen und in den Provinzen vgl. Colarizi, Simona: L’opinione degli Italiani sotto il regime 1929–1943, Roma/Bari 1991, S. 193–196; Corner, Paul: Fascist Italy in the 1930s: Popular Opinion in the Provinces, in: Popular Opinion in Totalitarian Regimes: Fascism, Nazism, Communism, Ders. (Hg.), Oxford 2009, S. 122–149, hier S. 128–137; ders.: The fascist party and popular opinion in Mussolini’s Italy, Oxford 2012, S. 192–201. 192 Cannistrano, Philip V.: La fabbrica del consenso. Fascismo e Mass Media, Laterza 1975, S. 119–120; Mignemi, Adolfo (Hg.): Immagine coordinata per un Impero: Etiopia 1935– 1936, Turin 1984; Labanca, Nicola: Oltremare. Storia dell’espansione coloniale italiana, Bologna 2002, S. 249.
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Der international geächtete Waffengang wurde somit als die Initiative eines zur imperialen Größe berufenen Arbeiter- und Bauernvolkes dargestellt.193 Neben einer bis dahin ungesehenen Medienkampagne wurde das von Mussolini verhießene ›Impero‹ indes auch mittels Prestigearchitektur sowie zahlloser neuer Straßennamen ins öffentliche Erscheinungsbild italienischer Städte eingeprägt.194 Angesichts solcher Monumentalbauten und dem sie umgebenden Straßennetz sollte sich jeder einzelne Bürger dem Gesellschaftsprojekt eines neu zu schaffenden Weltreichs unterordnen, bzw. zugehörig fühlen.195 Die dazu umgestalteten Stadtviertel wurden somit Teil der eigentlichen Kriegsmobilmachung, unter deren Motto der ›bonifica umana‹ nichts weniger als ein von Schwäche geläuterter, ›römischer‹196 Italiener hervorgehen sollte.197 Das in Bruneck errichtete Denkmal nur vor dem Entstehungshintergrund der für den Angriff auf Äthiopien in Gang gesetzten Propagandakampagne verstehen zu wollen, würde dessen vom Regime intendierte Aussage freilich nur einseitig offenlegen. Von Rom aus gesehen sprachen bestimmte Gründe dafür, weshalb erst zwei Jahre nach dem von Mussolini proklamierten Sieg über das Kaiserreich Haile Selassies vom 5. Mai 1936 gerade an der nördlichsten Grenze Italiens ein steinerner Alpino errichtet werden sollte. Offensichtlich musste das Projekt nach der landesweiten Siegesfeier zuerst noch ausreifen sowie anschließend die dazu nötigen Gelder gesammelt werden, was natürlich eine gewisse Zeit in Anspruch nahm. Dass sich die faschistischen Machthaber aber bereits um 1936 darum bemühten, symbolische Machtzeichen in den Groß- und Kleinstädten Südtirols zu setzen,198 erschließt sich unmittelbar aus der politi193 Mattioli, Aram: Experimentierfeld der Gewalt. Der Abessinienkrieg und seine internationale Bedeutung 1935–1941, Zürich 2005, S. 118–120. 194 Raffaelli, Sergio: I nomi delle vie, in: I luoghi della memoria. Simboli e miti dell’Italia unita, Mario Isnenghi (Hg.), Rom/Bari 1996, S. 261–289, hier S. 279; Mattioli, Aram: Architektur und Städtebau in einem totalitären Gesellschaftsprojekt, in: Für den Faschismus bauen, Aram Mattioli/Gerald Steinacher (Hg.), Zürich 2009, S. 13–45, hier S. 34–36. 195 Burdett, Charles: Italian Fascism and utopia, in: History of the Human Sciences, Irving Velody/Ruth Levits (Hg.), Bd. 16, Nr. 1, London 2003, S. 93–109, hier S. 100; EstermannJuchler, Margrit: Faschistische Staatsbaukunst. Zur ideologischen Funktion der öffentlichen Architektur im faschistischen Italien, Köln-Wien 1982, S. 244–247. 196 Der Mythos um das faschistische ›Impero‹ ging im Wesentlichen von einem Rom-Kult aus, nach welchem das italienische Volk in der Tradition der Antike dazu auserkoren gewesen wäre, als ›Eroberer‹ und ›Entdecker‹ weit über die Landesgrenzen hinaus neue ›Lebensräume‹ zu unterwerfen. Gerade in der Einnahme Äthiopiens wurde dieses Sendungsbewusstsein als Propagandamotiv besonders fleißig bemüht. Vgl. Gentile, Emilio: Fascismo di pietra, Rom/Bari 2007, S. 197–229. 197 Ben-Ghiat, Ruth: Fascist Modernities. Italy, 1922–1945, California 2001, S. 127; Nicoloso, Paolo: Mussolini architetto. Propaganda e paesaggio urbano nell’Italia fascista, Turin 2008, S. 227–229. 198 Entsprechend berichtete der weiter oben bereits zitierte Artikel aus der Provincia di Bolzano vom 6. Juni 1936 erstmals öffentlich über das Projekt eines Alpinidenkmals in
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schen Lage jener Zeit. Erstens war es generell schwierig, die wehrfähigen Jungmänner aus dem Südtirol für einen Kriegs- oder Arbeitseinsatz in Ostafrika zu gewinnen.199 Zweitens sorgten die im Januar 1935 erfolgte Saarabstimmung in Nazideutschland zusammen mit dem Bau eines neuen Industrieviertels in Bozen dafür, dass sich die ›Etschländer‹ kaum auf einen von Rom aus diktierten ›consenso popolare‹ einlassen wollten.200 Um dieser Unstimmigkeit entgegenzuwirken,201 griff das Regime auf Machtzeichen zurück, die in Form von Denkmälern Standhaftigkeit und Stärke des italienischen Staates in seiner nördlichsten Grenzregion demonstrieren sollten.202 Der Zeitpunkt der zwei Jahre darauf durchgeführten Einweihungsfeier war allerdings nicht weniger von Bedeutung, da im März 1938 nördlich der Landesgrenze der ›Anschluss‹ Österreichs ans ›Dritte Reich‹ erfolgte. Dies schürte unter den italienischen Faschisten erneut die Angst, dass Hitlers Expansionspläne vor der Brennergrenze letzten Endes keinen Halt machen würden.203 Es erstaunt nicht, dass das Regime vor diesem Bedrohungsszenario eine Überhandnahme aggressiver Stimmungsmache seitens irredentistischer Gruppie-
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Bruneck. Derselbe Artikel wurde am nächsten Tag ebenfalls auf der Frontseite des Corriere della Sera abgedruckt, womit die ›Volksinitiative‹ nun auch landesweit bekannt gemacht wurde. Die verwaltungsinternen Projektvorbereitungen dürften freilich schon einige Monate davor begonnen haben. Vgl. »Una stele marmorea esalter/ a Brunico«, in: La Provincia di Bolzano, 5. 6. 1936, S. 1; Ders. Art., in: Corriere della Sera, 6. 6. 1936, S. 1. Steurer, Leopold: Südtirol und der Abessinienkrieg, in: Zwischen Duce und Negus. Südtirol und der Abessinienkrieg 1935–1941, Gerald Steinacher (Hg.), Veröffentlichung des Südtiroler Landesarchivs Bd. 22, Bozen 2006, S. 195–241, hier S. 201–205. Ebd., S. 195–197; Di Michele, Andrea: Guerre fasciste e memorie divise in Alto Adige/ Südtirol, in: Abessinien und Spanien: Krieg und Erinnerung, ders. (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 25 (2016), Heft 1, S. 17–41, hier S. 20–21. Die daraus resultierenden Spannungen entluden sich unter anderem auch in Bruneck, als am 6. Mai 1936 lokale sowie auswärtige Schwarzhemden mehrere Farb- und Brandanschläge verübten. Im Nachhinein war in der Rienzstadt gar von einem regelrechten ›Addis Abeba in den Alpen‹ die Rede. Die Bezeichnung bot sich unter anderem auch daher an, weil die Ausschreitungen zeitgleich mit dem Einmarsch des italienischen Heers in die äthiopische Kaiserstadt erfolgten. Vgl. Gartner, Die Schwarzhemden und die Kleinstadt, S. 157– 160. Damit einhergehend verschärfte der damalige Präfekt der Provinz Bozen, Giuseppe Mastromattei die faschistische Repressionspolitik nochmals deutlich: Alle Namen waren nun ausnahmslos ins Italienische zu übersetzen, der Zuzug von Italienern in die Provinzhauptstadt sollte gesteigert werden, die deutschsprachigen Angestellten im Post- und Bankenwesen mit italienischsprachigen Beamten waren zudem zu ersetzen sowie renitente ›Etschländer‹ konsequent zu konfinieren. Vgl. Steinacher, Gerald/Steurer, Leopold: Zwischen Duce, Negus und Hitler. Südtirol und der Abessinienkrieg, in: Der erste faschistische Vernichtungskrieg. Die italienische Aggression gegen Äthiopien 1935–1941, Asfa-Wossen Asserate/Aram Mattioli (Hg.), Italien in den Moderne Bd. 13, Köln 2006, S. 91–117, hier S. 92. Lechner, Extreme Zeiten, S. 132.
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rungen befürchtete.204 Aussagen damaliger Zeitzeugen belegen, dass deutschnationalistische Jugendgruppierungen damals tatsächlich aktiver auftraten.205 Ein in Stein gemeißelter Grenzsoldat zur symbolischen Machtdemonstration sendete seitens des faschistischen Regimes demnach ein dringend benötigtes Zeichen entgegen etwaiger subversiver Abspaltungsversuche dies- sowie jenseits der Brennergrenze.206 Dem Denkmal haftete neben der Ehrung der Alpini für ihren Einsatz in Äthiopien folglich eine zweite Aussage an, die sich ebenso aus dem eigentlichen Gründungszweck der Gebirgstruppe als alpine Grenzsoldaten erschließt: Anfänglich für den Einsatz entlang des Alpenkamms gedacht, kam die Spezialeinheit erstmals während des Italienisch-Abessinischen Konflikts von 1895 offiziell zum Einsatz – verlangte das äthiopische Hochland mit seiner weitläufigen Gebirgslandschaft doch genauso nach alpinistischen Gefechtsmanövern.207 Danach sollte es rund 19 Jahre dauern, bis die Alpini im Verlaufe des Ersten Weltkriegs an der Nordgrenze Italiens gegen die Truppen der österreichischen Kaiserjäger ins Feld zogen und dort wiederum einen ›ehrenvollen‹ Dienst am ›Vaterland‹ leisteten. Definitiv ins Pustertal gelangten die Penne nere schließlich mit der Angliederung Südtirols an Italien nach dem Abschluss der Pariser Friedenverträge, als ihnen am damaligen Kapuzinerplatz in Bruneck eine ehemals österreichische Kaserne zugeteilt wurde.208 Hinsichtlich des imperialen
204 Auf dem Radar der Vertreter der faschistischen Miliz war der ›Pangermanismus‹ schon seit den frühen Zwanzigerjahren eine akute Bedrohung, die es durch eine unnachgiebige Italianisierungs-Politik zu bekämpfen bzw. zu unterdrücken galt. Die rücksichtlose Expansionspolitik des ›Dritten Reichs‹ dürfte die faschistische Verwaltungsmacht und deren zivilen Organe im ›Hochetsch‹ demnach erst recht nervös gemacht haben. Vgl. Lechner, Stefan: »Die Eroberung des Fremdstämmigen«. Provinzfaschismus in Südtirol 1921–1926, Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs Bd. 20, Innsbruck 2005, S. 352–356. 205 Von Tschurtschenthaler werden dazu in einem Tagebucheintrag vom April 1938 zahlreiche blutige Auseinandersetzungen zwischen Faschisten und Deutschsüdtirolern kolportiert, die während dieser politisch aufgeheizten Zeit in der ganzen Provinz vorgefallen seien. Daraus zog er den Schluss: »Es geht eine ungemein starke nationale Welle, besonders der Jugend durch das ganze Land und lässt sich kaum mehr dämmen.« Vgl. Tagebucheintrag von Paul Tschurtschenthaler vom 24. 4. 1938, in: Tschurtschenthaler, Nirgends mehr daheim, S. 95. 206 Die 1938 erfolgte Annektierung Österreichs kam dem Zeitpunkt der Einweihung des Denkmals zwar durchaus gelegen, sie darf allerdings nicht als der alleinige Errichtungsgrund für eben dieses angesehen werden. Wie weiter oben erwähnt, lief die Sammelaktion schon im Sommer 1936 an, als die Expansionspläne des ›Dritten Reichs‹ den Denkmalinitianten noch nicht bekannt sein konnten. 207 Die durch das Alpinidenkmal geehrte Divisione Pusteria wurde freilich erst am 24. Dezember 1935 spezifisch für den Einsatz in Abessinien aus bereits bestehenden Truppeneinheiten zusammengelegt. Vgl. Ronchetti, Alpini in Africa, S. 17–23. 208 Oberhollenzer, Ines: Alpini-Denkmal und »Kapuziner Wastl« in Bruneck – vom Monument zum Fragment. Die konfliktreiche Geschichte eines unbequemen Denkmals, in: Der Um-
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Expansionswahns Roms lag es daher auf der Hand, als Denkmalmotiv einen Alpino zu wählen: Keine andere Truppe hätte sich derart offensichtlich als tapfere Verteidigerin der Grenzen des ›Impero‹ im Süden der Kolonien sowie entlang des nördlichen Alpenkamms inszenieren lassen. Mit der unmittelbaren Aussage der Skulptur sollte demnach bewusst eine Brücke des faschistischen Imperialismus zwischen Ostafrika und Südtirol geschlagen werden.209 Mithin handelte es sich in beiden Fällen um Grenzgebiete, welche von Rom als erfolgreiche Beispiele faschistischer Expansionspolitik propagiert wurden. Nicht von ungefähr hob ein Kommandant der Val Pusteria in seiner Eröffnungsrede anlässlich der Einweihungsfeier ›Tapferkeit‹ und ›Opferbereitschaft‹ der Südtiroler, die sie als ›Kinder‹ der Alpen mit den dort stationierten Gebirgstruppen teilen würden, mit Nachdruck hervor : »[…] questi prodi atesini che indubbiamente hanno una particolare simpatia per gli alpini perch8, anch’essi figli della montagna, hanno degli alpini la volont/, la tenacia, lo spirito di sacrificio.«210
Weshalb wurde der steinerne Alpino nun aber ausgerechnet auf dem Kapuzinerplatz in Bruneck errichtet?211 Das Denkmal steht hier einerseits in einer Tradition faschistischer Machtinszenierung, die mit der Ankunft der Schwarzhemden in Südtirol anfangs der Zwanzigerjahre begonnen hatte und die sich bis weit in die Dreißiger hinzog. In der ganzen Provinz wurden infolgedessen die altösterreichischen Herrschaftssymbole mit denjenigen der neuen Verwaltungsmacht ausgetauscht.212 Die faschistische Kulturpolitik machte letztendlich
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gang mit dem Erbe der Diktaturen. Birgit Franz, Waltraud Kofler Engl u. a. (Hg.), Holzminden 2013, S. 66–79, hier S. 68. Unterstrichen wurde die doppeldeutige Aussage des Denkmals zudem mittels zweier Steine, die in dessen Postament eingelassen wurden: Stammte der erste angeblich vom Schlachtfeld bei Mai Ceu, so handelte es sich beim zweiten um ein Fundstück aus der nahegelegenen, römischen Ausgrabungsstätte Sebatum bei St. Lorenzen. Letzteres sollte als Relikt der antiken Besiedlung des Pustertals durch das Römische Reich ein Zeichen dafür sein, dass es sich beim Südtirol seit jeher um ein römisches – qua italienisches – Siedlungsgebiet handelte, das nach dem Ersten Weltkrieg wieder in die Hände seines eigentlich rechtmäßigen Besitzers gefallen war. Vgl. Oberhollenzer, Alpini-Denkmal und »Kapuziner Wastl« in Bruneck, S. 69. »Brunico inaugura presenti i Principi Sabaudi. Il monumento all’Alpino della divisione ›Val Pusteria‹«, in: La Provincia di Bolzano, 7. 6. 1938, S. 3. Nicht umsonst schreibt der österreichische Historiker Peter Stachel über die Standortfunktion von Denkmälern: »Die Wahl der Aufstellungsorte bestimmter Denkmäler und ihre Zuordnung zu anderen visuellen Fixpunkten des betreffenden Stadtbildes sind […] von größter Bedeutung: häufig geben erst die Kontexte dem Text einen lesbaren Sinn.« Vgl. Stachel, Peter : Stadtpläne als politische Zeichensysteme. Symbolische Einschreibungen in den öffentlichen Raum, in: Die Besetzung des öffentlichen Raumes. Politische Plätze, Denkmäler und Straßennamen im europäischen Vergleich, Rudolf Jaworski/Peter Stachel (Hg.), Berlin 2007, S. 13–61, hier S. 24. Lechner, Extreme Zeiten, S. 118.
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auch vor der Stadt an der Rienz keinen Halt: Hier waren ebenfalls alle ans altösterreichische Kronland erinnernde Aufschriften und Namen zu entfernen, wodurch öffentliche Gebäude umgetauft wurden und zahlreiche Straßen und Plätze neue Bezeichnungen erhielten: der alte Gasthof Habsburg hieß fortan Goldener Stern, die Reichsstraße nun Corso Dante Alighieri, die Stadtgasse Via Principe Umberto und schließlich der Kapuzinerplatz zuerst Piazza dei Cappuccini sowie dann nach 1938 Piazza IX Maggio. Nicht zufällig verwies diese letztere Namensvergabe auf das Gründungsdatum des nach dem Abessinienkrieg ausgerufenen ›Imperos‹ von 1936, sodass der Platz zusammen mit dem darauf errichteten Alpinidenkmal zumindest vom Arrangement her ein stimmiges Ensemble ergab. Aber auch eine Reihe weiterer Namensgebungen wiesen jeweils Bezüge zur der bis dahin stattgefundenen Expansionspolitik Italiens auf: So die Via Teodone, die das Hodonym Via Tunisi erhielt oder die Via Campo Tures, welche als Via Vetta d’Italia nach der nahe bei Bruneck gelegen, seit 1919 höchsten Bergspitze Italiens benannt wurde.213 Andererseits sollte ganz Bruneck städtebaulich umgestaltet werden. Das Ziel bestand dabei darin, die Kleinstadt in eine durchwegs faschistische Repräsentativstadt umzugestalten. Der damit von Rom beauftragte Architekt Guido Pelizzari sollte die Stadt daher so ausbauen, dass diese in Zukunft nicht nur als erweitertes Handelszentrum und logistisch ›optimierter‹ Verkehrsknotenpunkt des Pustertals fungieren konnte,214 sondern ebenfalls als Garnison sowie als Tourismusdestination für den Wintersport.215 Eigens dafür wurde sogar eine lokale Tourismusgesellschaft gegründet, welche unter anderem den Brunecker Hausberg – den Kronplatz – durch eine Seilbahn erschließen wollte.216 Dabei stellte der Ausbau des damaligen Kapuzinerplatzes den eigentlichen Auftakt zu derlei Bauvorhaben dar.217 Einhergehend mit seinem neuen Namen 213 Lechner, Extreme Zeiten, S. 131. 214 Angebliche verkehrstechnische und damit einhergehend oftmals auch hygienische ›Verbesserungen‹ wurden in Italien vielerorts als Grund vorgeschoben, um damit die in Wahrheit rein ideologisch motivierten Städtebaumaßnahmen zu legitimieren. Vgl. Schieder, Wolfgang: Merkmale faschistischer Urbanisierungspolitik in Italien 1922–1943. Eine historische Skizze, in: Die europäische Stadt im 20. Jahrhundert. Wahrnehmung – Entwicklung – Erosion, Friedrich Lenger/Klaus Tenfelde (Hg.), Köln 2006, S. 157–171, hier S. 163–164. 215 Gerade auch neue errichtete Denkmäler sollten derartige Tourismusdestinationen beliebt machen. Faschistische Organisationen wie der Touringclub italiano bewarben solche Kultstätten schon in den Zwanzigern mit regelrechten Pilgerfahrten zu den staatsideologisch genormten Mahnmalen des Ersten Weltkriegs. Vgl. Gibelli, Antonio: La Grande Guerra degli Italiani 1915–1918, Mailand 1998, S. 354. 216 Oberhollenzer, Alpini-Denkmal und »Kapuziner Wastl« in Bruneck, S. 69. 217 Offiziell begründet wurde der Umbau des Kapuzinerplatzes – und dabei vor allem die Enteignung und der anschließende Abriss von Privathäusern – damit, dass es sich um eine Maßnahme von öffentlichem Interesse handelte, da nur so ›Ordnung‹ auf die aus fünf
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von 1938 sollte die Piazza IX Maggio fortan als eine öffentliche Kultstätte den angeblichen Sieg des Faschismus über einen ›fremdstämmigen‹ Kulturraum versinnbildlichen. Das zentral auf dem Platz errichtete Denkmal, das Pelizzari von dem aus Monselice bei Padua stammenden Bildhauer Paolo Boldrin aus rotem Porphyr anfertigen ließ, war daher nicht bloß als eine für sich isoliert dastehende Skulptur gedacht. Für dessen unmittelbare Aussage sind der darunter stehende Sockel, die neugestaltete Platzanlage sowie der umliegende Raum ebenso in den Blick zu nehmen. Wiederum gibt hierzu der Leitartikel aus der Provincia di Bolzano vom 7. Juni 1938 nähere Auskunft zum Denkmalbau, indem die gestalterische Intention des Architekten wie folgt beschrieben wird: »Il monumento H, insomma, tutta la piazza e non la sola figura dell’Alpino.« Weiter steht dazu geschrieben: »[…] si H venuti nella determinazione di fare sorgere qui il monumento all’Alpino, il criterio fondamentale che H prevalso, H stato quello di evitare il consueto monumento isolato, ma di renderlo vivo quanto appartenente ad un tutto organico.«218
Schweift nun der Blick vom Alpinidenkmal ab und richtet sich auf die neu darum gestaltete Piazza, so fällt dem Betrachter auf, dass dieses zusammen mit seinem Grundstein auf einer Art Terrasse vor einer bedrohlich wirkenden Gedenkmauer platziert wurde. Auf erhöhter Position stehend, erschien das Monument somit nochmals einiges machtvoller und bedrohlicher, da es dadurch als räumlicher Fluchtpunkt die Aufmerksamkeit der Platzbesucher auf sich zog.219 Dabei galt es, die altösterreichische Innenstadt freilich nicht völlig aus den Augen zu verlieren: Vielmehr sollte diese vom faschistischen Umbau visuell übertrumpft werden. Die Kunsthistorikerin Ines Oberhollenzer schreibt zur beabsichtigen Aussage des Platzes: »Die Mischung von alten und neuen Fassaden sollte in der Raumwirkung einer italienischen Piazza entsprechen. Der Kontrast zwischen modern und historisch war dabei durchaus gewollt und stellte […] eine Erweiterung des historisch Gebauten im Sinne einer zukunftsweisenden Überwindung im Rahmen der faschistischen Ideologie dar.«220
Richtungen befahrbare Straßenkreuzung gebracht werden konnte. Diese »Sistemazione« wäre demnach dringend nötig gewesen, um die Stadt für den Verkehr sowie für den damit zusammenhängenden Tourismus zugänglicher zu machen. Vgl. Dekret der Prefettura di Bolzano, Prot. Nr. 7495 – IV, Bozen 9. März 1938, S. 1, in: StadtA Bruneck: Sonderschachtel Kriegerdenkmal. Monumento all’Alpino. Pratiche. 1936–1938. Comitato Comunale pro erigendo Monumento alla Divisione Alpina – »Val Pusteria«, ohne Sig. 218 »Brunico inaugura presenti i Principi Sabaudi. Il monumento all’alpino della divisione ›Val Pusteria‹«, in: La Provincia di Bolzano, 7. 6. 1938, S. 3. 219 Oberhollenzer, Alpini-Denkmal und »Kapuziner Wastl« in Bruneck, S. 68. 220 Ebd., S. 69.
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Mit der Denkmalanlage ging mithin ein Zukunftsversprechen einher, das dem alten Bruneck noch zahlreiche weitere Bauprojekte bevorstanden. Entsprechend wurde auch die Ankunft des Kronprinzenpaares bei der Einweihungsfeier von den regimetreuen Medien als der Anbeginn eines neuen, visionären Zeitalters gepriesen: »Passato il ponte sulla Rienza, le macchine sbucano nella nuova piazza, che si presenta in una suggestiva visione. La vecchia Piazza dei Cappuccini – se piazza si poteva chiamare un semplice incrocio di strade dominato dalla nazionale della Pusteria – ha subito una trasformazione radicale ed altre opere H destinate ad accogliere.«221
Außerdem war der Standort für eine derartige Machtdemonstration ideal gelegen, da der Platz die Hauptverkehrsachsen des Pustertals als dicht befahrene Straßenkreuzung vor den Toren der Stadt miteinander verband. Reisende aus allen Richtungen betraten Bruneck demnach über diesen neu gestalteten Denkmalplatz und nahmen diesen bei ihrer Ankunft als ersten Eindruck wahr. Überdies konnte der steinerne Gebirgssoldat somit gut erkennbar mit seinem Gewehr zur Seite gen Norden ausgerichtet werden, sodass er entschlossen ins Ahrntal zu marschieren scheint, an dessen Ende sich die besagte Vetta d’Italia222 befindet.223 Die politische Aussage des Denkmals, als mahnender Grenzstein am Fuße des Alpenkamms das italienische Herrschaftsgebiet zu markieren, zeigt sich gerade in dieser Fluchtlinie besonders deutlich. Was auch Ettore Tolomei – einer der prominentesten Wortführer der ›Italianisierung‹ Südtirols224 – anlässlich des frisch eingeweihten Denkmals mit kurzen aber klaren Worten zu betonen wusste: »L’Alpino, ereto e gagliardo, fronte rivolta alla Vetta d’Italia.«225
221 »Brunico inaugura presenti i Principi Sabaudi. Il monumento all’alpino della divisione ›Val Pusteria‹«, in: La Provincia di Bolzano, 7. 6. 1938, S. 3. 222 Das ältere deutsche Toponym der Vetta d’Italia lautete eigentlich Glockenkarkopf. Der Name des Gipfels wurde nach der vermeintlichen Erstbesteigung Tolomeis von 1904 – in Wahrheit war der Berg bereits 1895 von Fritz Koegel bezwungen worden – nach seinem Wunsche Italianisiert. Vgl. Steininger, Rolf: Südtirol im 20. Jahrhundert. Vom Leben und Überleben einer Minderheit, Innsbruck 1997, S. 23. 223 Lechner, Extreme Zeiten, S. 132. 224 Tolomei beschäftigte sich schon seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert als italienischer Irredentist mit der Italianisierung des Alto Trentino und verbreitete seinen fieberhaften Nationalismus im Sinne einer ›Naturgrenztheorie‹ in dem von ihm 1906 gegründeten Propagandablatt Archivio per l’Alto Adige. Vgl. Framke, Gisela: Im Kampf um Südtirol: Ettore Tolomei (1865–1952) und das »Archivio per l’Alto Adige«, Tübingen 1987, S. 178– 185; Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 22–27; Di Michele, Andrea: Die unvollkommene Italianisierung. Politik und Verwaltung in Südtirol 1918–1943, Innsbruck 2008, S. 47. 225 Tolomei, Ettore: »L’Alto Adige nella vita politica«, in: Archivio per l’Alto Adige, 1938, Heft 1, S. 352.
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Abb. 1: Alpinisoldaten posieren für eine Postkarte vor dem Alpinidenkmal auf dem Kapuzinerplatz in Bruneck, in: Tiroler Archiv für photographische Dokumentation und Kunst, Sammlung von Grebmer – TAP, Alpini-Denkmal Bruneck um 1940.
Faschistische Architektur in Südtirol: Hintergrund, Entstehung und Funktionen Der Standort des Alpinidenkmals sowie dessen zweideutige Errichtungsintention machen deutlich, dass dieses zwar vordergründig dem Einsatz der Pustertaler-Division im Abessinienkrieg gewidmet war ; hintergründig aber der schon seit dem Beginn der Zwanzigerjahre in Südtirol versuchten Italianisierungspolitik entstammte. Bereits zu Beginn der italienischen Verwaltungszeit in Südtirol nach 1918 stritten nationalistische Irredentisten wie Ettore Tolomei226 mit gemäßigteren Stimmen – beispielsweise dem damaligen Gouverneur aus Trient, Pecori Giraldi – darum, wie energisch und radikal das ›Alto Adige‹ zu italianisieren sei.227 Die vergleichsweise sanfte Nationalisierungsstrategie des 226 Zum Leben und Wirken Tolomeis vgl. Kap. »Tolomeis erste Umbenennungsvorschläge von 1919«, S. 128–135. 227 Während Tolomei sofortige Zwangsmaßnahmen vor allem in der Sprachpolitik verlangte, sprach sich Giraldi gegen eine solch aggressive Entnationalisierung aus und vertrat damit den Weg einer ›friedlichen Durchdringung‹ Deutschsüdtirols. Die Möglichkeit eines solchen erkannte er in italienischen Investitionen im Kredit- und Tourismuswesen sowie auch in der vom Krieg angeschlagenen Industrie. Zudem sollte ein neues italienisches Schulwesen die erhoffte Italianisierung ebenfalls mit sich bringen. Vgl. Di Michele, Die unvollkommene Italianisierung, S. 47–67.
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liberalen Italiens wurde nach 1922 aber definitiv fallengelassen: So wurde Tolomei bereits wenige Monate nach dem ›Marsch auf Rom‹ zu einer Audienz beim ›Duce‹ geladen, um von ihm persönlich am 3. März 1923 mit der Entnationalisierung Südtirols beauftragt zu werden.228
Entnationalisierung – Italianisierung Durch den Auftrag des Diktators beflügelt, stellte Tolomei seine kultur- und verwaltungspolitischen Zwangsmaßnahmen für das Südtirol kurz darauf am 15. Juli 1923 im Bozner Stadttheater der Öffentlichkeit vor.229 Unter dem Titel »Provvedimenti per l’Alto Adige« wurden dabei 32 Verordnungen verlesen, mit denen jegliche Bestrebungen einer »zisalpinen deutschen Autonomie«230 mit aller Schärfe zu bekämpfen waren.231 Schrittweise war dazu in der nun um das Südtirol erweiterten Provinz des Trentino die gesamte deutschsprachige Beamtenschaft mit Angestellten aus Altitalien auszutauschen.232 Durch erhöhte Grenzkontrollen und erschwerte Aufenthaltsbewilligungen wurde zudem ein Zuwanderungsstopp aus Deutschland und Österreich versucht, derweil auch die italienische Bevölkerung durch für sie günstige Bodenpreise zunehmen sollte. Damit nicht genug, sorgte eine rigide Sprachpolitik fortan dafür, dass das Italienische als neue Amts- und Gerichtssprache eingeführt sowie alle altösterreichischen Orts- und Familiennamen zusammen mit den deutschen Aufschriften aus der Öffentlichkeit entfernt wurden. Neben der Sprache sollte gleichzeitig die italienische Kultur in Südtirol vehement gefördert werden, wozu das Regime beispielsweise auch die dortigen Kunstakademien systematisch vereinnahm228 Di Michele, Die unvollkommene Italianisierung, S. 145. 229 Die sich daraus ergebenden Repressionen der verordneten Italianisierung fanden nicht nur in Südtirol Anwendung, sondern zeitgleich auch in anderen Randregionen des faschistischen Staates aufgrund des dortigen Widerstandes gegen das Mussolini Regime. Beispielsweise in der Venezia Giulia, wo von der slowenischen und kroatischen Sprachminderheit ebenfalls eine kulturelle Entnationalisierung verlangt wurde. Auch an der italienischen Ostgrenze wurden dazu bildungs-, sprach- sowie sozialpolitische Zwangsmaßnahmen gegen die dortige Bevölkerung ergriffen. Vgl. Hametz, Maura: Borderlands, in: The Politics of Everyday Life in Fascist Italy. Outside the State? Joshua Arthus, Michael Ebner/Kate Ferris (Hg.), New York 2017, S. 151–179. 230 Ettore Tolomei zitiert in: Gatterer, Claus: Im Kampf gegen Rom. Bürger, Minderheiten und Autonomien in Italien, Wien/Frankfurt a. M./Zürich 1968, S. 296. 231 Steiniger, Rolf: Südtirol im 20. Jahrhundert. Dokumente, Innsbruck 1999; Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 25. 232 Wobei italienische Beamte ins Südtirol gebracht wurden, während den dortigen Staatsangestellten dafür eine Stelle in den alten Provinzen zugeteilt werden sollte. Für eine genaue Schilderung dieses ›Personalaustauschs‹ vgl. Di Michele, Die unvollkommene Italianisierung, S. 145–180.
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te.233 Besonders drastisch waren die Maßnahmen ferner in der Erziehungspolitik: In den ›fremdstämmigen‹ Schulen wurden ausnahmslos italienische Lehrer eingesetzt und das Italienische als Unterrichtssprache für verbindlich erklärt.234 Die in den Zwanzigerjahren umzusetzenden ›Provvedimenti‹ gingen überdies mit strengen Überwachungsmaßnahmen des Klerus einher. Die dazu nötige Aufsicht wurde mit aufgestockten Militärtruppen sowie einer erhöhten Polizeipräsenz in der ganzen Region sichergestellt.235 Der Maßnahmenkatalog der 32 ›Provvedimenti‹ wurde in den Jahren nach 1923 zum festen Bestandteil der faschistischen Entnationalisierungspolitik.236 Der Historiker Rolf Steiniger sieht darin einen schrittweisen Prozess, der sich mit der 1927 gegründeten Provinz Bozen nochmals deutlich verschärfen sollte237 und schließlich im Jahr der ›Option‹ von 1939, mit welcher seitens Rom und Berlin eine definitive ›Lösung‹ der Südtirol-Frage versucht wurde, gipfelte.238 Auch jüngere Autoren wie Gerald Steinacher und Harald Dunajtschik stimmen mit dem Innsbrucker Professor darüber überein, dass die Faschisten in Südtirol in diesen Jahren nichts weniger als einen Ethnozid an der dortigen Sprachminderheit versuchten: So galt es doch aus den ›fremdstämmigen Etschländern‹ am Ende ›richtige Italiener‹ zu machen.239
233 So wurden nach 1922 ausschließlich italienische Bildhauer an die Kunsthochschule St. Ulrich in Gröden als Direktoren berufen. Vgl. Dissertori, Verena: Die öffentliche Skulptur unter dem Faschismus in Südtirol, ungedr. Phil. Dipl., Innsbruck 1997, S. 18–19. 234 Di Michele, Die unvollkommene Italianisierung, S. 158–163. 235 Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 77–80. 236 Entsprechend verkündete Mussolini vor der Abgeordnetenkammer in Rom am 6. Februar 1926: »Nell’Alto Trentino noi facciamo con gli alogeni la politica dell’italianit/«, sowie an späterer Stelle: »Renderemo italiana quella regione, perch8 H italiana, italiana geograficamente, italiana storicamente. […] Di questi centottantamila, io affermo che sono italiani diventati tedeschi, e noi cercheremo di riscattarli, di fare loro ritrovare i loro vecchi nomi italiani, come risultano da tutti gli atti dello stato civile, e che abbiano l’orgoglio di essere cittadini della grande patria italiana.« Vgl. Mussolini, Benito: Difesa dell’Alto Adige, Rom 6. 2. 1926, in: Opera Omnia di Benito Mussolini, Bd. 22, Dall’attentato Zaniboni al discorso dell’ascensione, Edoardo Susmel/Duilio Susmel (Hg.), Florenz 1957, S. 68–74, hier S. 71 sowie S. 73. 237 So ging es in den Jahren von 1927 bis 1939 nicht mehr allein darum, die deutschsprachigen Südtiroler mittels einer strengen Zwangsmaßnahmen umzuerziehen, sondern durch eine gezielt geförderten Arbeitsmigration aus Altitalien (Majorisierung) die Deutschsüdtiroler in ihren eigenen Städten und Dörfern zu einer verdrängten Minderheit werden zu lassen. Ebd., S. 98–99. 238 Steininger spricht in diesem Zusammenhang auch von einer regelrechten »Endlösung« der Südtirolfrage. Vgl. Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 80. 239 Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 80; Dunajtschik, Harald/Steinacher, Gerald: Die Architektur für ein italienisches Südtirol 1922–1943, in: Faschismus und Architektur, Gerald Steinacher/Aram Mattioli (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 17 (2008), Heft 1, S. 101–137, hier S. 101.
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Faschistische Bau- und Denkmalpolitik in Bozen Symbolisch wurde diese repressive Kulturpolitik durch das öffentliche Inszenieren einer ›überlegenen‹, faschistischen Staatsmacht begleitet, was sich zuerst in neu errichteten Denkmälern, danach in weiterführenden, städtebaulichen Maßnahmen unmissverständlich äußerte.240 Die Einnahme des öffentlichen Raums durch architektonische Machtsymbole sollte letztendlich dazu dienen, die Zugehörigkeit Südtirols zu Italien ›historisch‹ zu legitimieren: So hätten doch schon das antike Rom über das Gebiet am Fuße des Brenners geherrscht und dort Städte und Siedlungen gegründet, weshalb diese Alpenregion eigentlich schon immer dem italienischen ›Kulturraum‹241 angehört habe.242 Ein wesentlicher Schritt für die Einnahme der Provinz durch regimekonforme Bausymbolik stellte dabei das Zerstören und Beseitigen altösterreichischer Denkmäler dar.243 Am markantesten wütete der faschistische Bildersturm in Bozen: Zwischen 1933 und 1935 wurde hier unter anderem das Waltherdenkmal244 entfernt, der Laurinbrunnen geschliffen245 sowie der neugotische Turm 240 Wobei die ideologische Einnahme des Stadtbilds in diversen Städten und Ortschaften Italiens erfolgte. Beim italienischen Faschismus handelt es sich dabei um die erste Diktatur der Zwischenkriegszeit, welche das einem Stadtbild zugrunde liegende Machtpotential entdeckte und auch gezielt für sich zu nutzen wusste. Gewiss stellt das Südtirol dahingehend einen Sonderfall dar : Nirgendwo anders wurde derart vehement versucht mittels symbolischen Bauwerken die ›Überlegenheit‹ der italienischen Sprache und Kultur über das ›barbarische Germanentum‹ explizit im öffentlichen Raum festzuschreiben. Vgl. Mattioli, Aram: »Edificare per il fascismo«. Macht und Architektur in Mussolinis Italiens, in: Faschismus und Architektur, Gerald Steinacher/Aram Mattioli (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 17 (2008), Heft 1, S. 17–49, hier S. 17. 241 Die Bauideologie des Faschismus ließ dazu eine Vielzahl verschiedener Architekturstile zu, solange sich diese dem Dienste der sog. ›Italianit/‹ bzw. ›Romanit/‹ unterordneten. Dabei ging es im Wesentlichen darum mittels Architektur eine kollektive – genuin italienische – Identität zu postulieren, die besonders mit Bezug auf die römische Antike angeblich über eine gemeinsam, verbindende Geschichte verfügte. Sich selber in die Tradition des antiken römischen Reiches stellend, legitimierte das faschistische Regime somit besonders auch die Herrschaft über dessen Kolonien und Randregionen. Lazzaro, Claudia: Forging a Visible Fascist Nation: Strategies for Fusing Past and Present, in: Donatello among the Blackshirts. History and Modernity in the Visual Culture of Fascist Italy, Claudia Lazzaro/Roger J. Crum (Hg.), New York 2005, S. 13–33, hier S. 14–17. 242 Dunajtschik/Steinacher, Die Architektur für ein italienisches Südtirol, S. 103; Mattioli, »Edificare per il fascismo«, S. 40. 243 Wobei das rücksichtslose Beseitigen alter, aus ideologischen Gründen ›wertloser‹ Bausubstanz ebenfalls ein allgemeines Merkmal faschistischer Urbanistik darstellte. So wurden die Altstädte zahlreicher italienischer Großstädte umgestaltet sowie möglichst alles ›Fremdstämmige‹ in den Grenzregionen durch italienisches ›Kulturgut‹ ersetzt. Vgl. Mattioli, »Edificare per il fascismo«, S. 30. 244 Das Denkmal in Andenken den deutschen Dichter Walther von der Vogelweide auf dem Hauptplatz in Bozen war 1889 errichtet worden und erhitzte von dort aus schon seit jeher die Gemüter italienischer Nationalisten wie etwa Tolomei, der das Abtragen des Denkmals
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des ehemaligen, deutschen Stadtmuseums abgetragen.246 Steininger zieht hierzu die Bilanz: »Will man einer Minderheit ihre Identität nehmen, so muss man auch ihre Symbole nehmen.«247 Bevor die altösterreichischen Denkmäler in den Dreißigerjahren abgetragen bzw. umgestellt wurden, bemühten sich die faschistischen Stadtplaner aber zuerst noch darum, die Herrschaft Roms über die entlegene Alpenregion mittels eigener Denkmäler festzuschreiben.248 Am prominentesten sticht hierzu noch heute das zwischen 1926 und 1928 erbaute Siegesdenkmal auf dem gleichnamigen Siegesplatz hervor.249 Als symbolischer Gegenpol zum Waltherdenkmal250
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deshalb auch in seinen ›Provvedimenti‹ als einen Sonderpunkt aufgeführt hatte. Das Walther-Denkmal war auch deshalb ein besonders prominenter Streitpunkt, da es in seiner ursprünglichen Aussage und seinem Blick nach Süden doch ein Zeichen für das Deutschtum in Südtirol setzten sollte. Als Gegenreaktion darauf wurde 1896 im damals zum Tirol gehörenden Trient eine Dante-Statue platziert, welche gegen Norden gerichtet, dem Walther von der Vogelweide-Monument die Stirn bieten sollte. Das Denkmal wurde später zwar nicht völlig abgerissen, dafür aber 1935 außer Sichtweite in einen abgelegenen Stadtpark gestellt. Vgl. Lehmann, Karin Ruth: Städtebau und Architektur als Mittel der Kolonisation am Beispiel der Provinz Bozen. Städtebau und Siedlungsbau in Südtirol und insbesondere in Bozen unter dem Faschismus, Aachen 2000, S. 183; Dunajtschik, Harald: Erinnerungskulturen in Bozen. Giorno della Memoria am Friedensplatz – Stolpersteine und Semiruralihaus, Innsbruck 2017, S. 8–11. Der 1907 auf der Wassermauerpromenade in Bozen erbaute Brunnen erzählt die Geschichte des Dietrichs von Bern, der den Zwergenkönig Laurin besiegt. Besonders für die italienischen Nationalisten stand der Kampf Laurins dabei für die im Gefecht gegen das Deutschtum unterlegenen Italiener, weshalb Tolomei den Brunnen ebenfalls beseitigen lassen wollte. Als dieser 1933 von Unbekannten stark beschädigt wurde, ließ man ihn deshalb abtragen und stellte die verbliebenen Überreste schließlich 1936 in ein Museum in Rovereto. Vgl. Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 106; Dunajtschik, Erinnerungskulturen in Bozen, S. 71–72. Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 105–107, Dunajtschik/Steinacher, Die Architektur für ein italienisches Südtirol, S.123; Lehmann, Städtebau und Architektur als Mittel der Kolonisation am Beispiel der Provinz Bozen, 183–185. Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 105. In den Worten Aleida Assmanns wurde Bozen durch die faschistische Baupolitik zu einer »sakralen Landschaft« umgestaltet: Mittels »Stiftung« und »Überschreibungen« sind die darin errichteten Bauwerke und Denkmäler demnach »nicht unbedingt auf eine mythische Vergangenheit bezogen«, sondern »monumentalisieren« stattdessen »die Macht der Gegenwart für die Zukunft.« Vgl. Assmann, Aleida: Das Gedächtnis der Orte, in: Orte der Erinnerung. Denkmal, Gedenkstätte, Museum, Ulrich Borsdorf/Heinrich Theodor Grütter (Hg.), Frankfurt a.M. 1999, S. 59–79, hier S. 63. Zum Siegesdenkmal in Bozen liegt mittlerweile eine relativ umfangreiche Forschungsliteratur vor. Das Standardwerk zu seinem Entstehungshintergrund, seinem Aussagegehalt sowie der nach 1928 erfolgten Rezeption bildet dabei die Monographie des Südtiroler Politologen Thomas Pardatscher. Vgl. Pardatscher, Thomas: Das Siegesdenkmal in Bozen. Entstehung, Symbolik, Rezeption, Bozen 2002. Dunajtschik/Steinacher, Die Architektur für ein italienisches Südtirol, S.107; Cavallar, Claudia: Von fremdländischem Anstrich befreit. Die patriotischen Umgestaltungen von Bozen in der Mussolini-Zeit, in: Kunst und Diktatur. Architektur, Bildhauerei und Malerei
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sollte der in liktorischer Symbolik dastehende Triumphbogen251 vom 1918 erfolgten »Siegeszug« der italienischen »Sprache«, »Gesetze« und »Künste« bis hin zum Alpenkamm künden, was an der Frontseite des Architravs in lateinischen Worten überdeutlich in Stein gemeißelt wurde.252 Der Aussagegehalt des Siegesdenkmals bezog sich indes nicht nur auf die zurückliegende Niederlage Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg.253 Ebenso eindringlich verwies das Bauwerk auf die damaligen Entnationalisierungsmaßnahmen, dank welcher angeblich ein erneuter »Sieg« über die deutsche Sprache und Kultur bevorstand.254 Den Worten Winfried Speitkamp folgend: »Auf den Trümmern des zu Vergessenden wird das zu Erinnernde errichtet.«255, wird die Siegesbotschaft des Triumphbogens besonders beim Blick auf dessen Standort deutlich: Nicht nur fiel dort 1926 ein noch unvollendetes Kaiserjägerdenkmal als das erste altösterreichische Monument dem faschistischen Umgestaltungswahn zum Opfer.256 Die Vogelperspektive auf den Siegesplatz zeigt ferner, dass das darauf stehenden Denkmal zusammen mit den von ihm diagonal abgehenden Straßen
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in Österreich, Deutschland, Italien und der Sowjetunion 1922–1956, Jan Tabor (Hg.), Wien 1994, S. 652–660, hier S. S. 657. Dabei handelte es sich um eine Denkmalform, welche vom faschistischen Regime auf der Apenninhalbinsel ansonsten nur in Genua verwendet wurde, dort aber in Gedenken an die gefallenen Soldaten des Ersten Weltkriegs. Das Südtirol steht hier denkmalpolitisch zu den afrikanischen Kolonien in direkterem Bezug als zum metropolitanen Italien, da Triumphbögen als Zeichen der Territorialexpansion besonders dort erbaut wurden. Vgl. Dunajtschik, Harald/Mattioli, Aram: Die »Citt/ nuova« von Bozen. Eine Gegenstadt für eine Parallelgesellschaft, in: Für den Faschismus bauen. Architektur und Städtebau im Italien Mussolinis, Aram Mattioli/Gerald Steinacher (Hg.), Zürich 2009, S. 259–287, hier S. 266; Pergher, Roberta: Zwischen Monumentalbauten und Kleinsiedlungen. Faschistische Siedlungspolitik in Libyen und Südtirol, in: ebd., S. 287–309, hier S. 287–292. Pardatscher, Das Siegesdenkmal in Bozen, S. 84; Dunajtschik/Mattioli, Die »Citt/ nuova« von Bozen, S. 267. Wobei das Siegesdenkmal im nationalen Kontext auch eines der ersten öffentlichen Zeichen der vom Faschismus vereinnahmten Erinnerung an den Ersten Weltkrieg setzte. Bevor Mussolini in der ersten Zwischenkriegszeit die Macht an sich riss, bildete sich in ganz Italien für kurze Zeit noch ein relativ kontroverser – durchaus staatskritischer – Gefallenenkult mit einer Vielzahl lokaler Denkmäler heraus. Nach dem ›Marsch auf Rom‹ wurden in den Zwanzigern in allen Regionen Italiens diese teils kommunalen Gedenk- und Trauerstätten allerdings rasch entfernt und dafür durch den nationalen Denkmalkult von Ehre, Krieg und Tod für das ›Vaterland‹ ersetzt. Vgl. Janz, Oliver : Zwischen Trauer und Triumph. Politischer Totenkult in Italien nach dem Ersten Weltkrieg, in: Der verlorene Frieden. Politik und Kriegskultur nach 1918, Jost Dülffer und Gerd Krumreich (Hg.), Essen 2002, S. 61–77, hier S. 68–69; Isnenghi, Mario: Le Guerre degli Italiani. Parole, immagini, ricordi 1848–1945, Mailand 1989, S. 346; Nicoloso, Paolo: Architetture per un’identit/ italiana. Progetti e opere per fare gli italiani fascisti, Udine 2012, S. 51. Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 102. Speitkamp, Winfried: Denkmalsturz und Symbolkonflikt in der modernen Geschichte. Eine Einleitung, in: Denkmalsturz. Zur Konfliktgeschichte politischer Symbolik, Ders. (Hg.), Göttingen 1997, S. 5–22, hier S. 14. Ebd. S. 102.
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optisch einer Speerspitze gleicht, die der am anderen Ufer der Talfer stehenden Altstadt Bozens bedrohlich gegenübersteht.257 Das Siegesdenkmal stellte allerdings erst den Auftakt zum faschistischen Umbau Bozens dar. Schon bei den ersten Projektplänen des damit beauftragten Architekten Marcello Piacentinis vom Frühjahr 1926 stand fest,258 dass sich die Provinzhauptstadt vom Siegesplatz ausgehend zu einer faschistischen Modellstadt weiterentwickeln sollte.259 Dem Architektur-Professor aus Rom war demnach daran gelegen, neben der altösterreichischen Altstadt ein modernes sowie gleichsam an die römische Antike erinnerndes Stadtzentrum zu errichten. Als erstes wurde dazu 1928 ein neuer Bahnhof nach dem Entwurf von Angelo Mazzoni eröffnet.260 Dessen funktionaler Rationalismus sollte den Zugreisenden bereits bei der Ankunft in Bozen bzw. bei der dortigen Durchfahrt den Eindruck vor Augen führen,261 dass sie südlich des Brenners im verkehrstechnisch«fortschrittlichen« Italien des Faschismus angekommen waren.262 Aber auch eine neue Brücke zu Ehren des römischen Feldherren Drusus wurde 1931 erbaut,263 um damit auf die angeblich antike Gründungszeit Bozens zu verweisen.264 Die beiden letzten Denkmäler erhielt Bozen schließlich zwischen 1938 und 1943: Das eine wurde am 6. Juni 1938 im Schatten des Siegesdenkmals 257 Cavallar, Claudia: Monumentale Jämmerlichkeit. Heldendenkmäler in Italien, in: Kunst und Diktatur. Architektur, Bildhauerei und Malerei in Österreich, Deutschland, Italien und der Sowjetunion 1922–1956, Jan Tabor (Hg.), Wien 1994, S. 668–674, hier S. 671. 258 Wobei Piacentini nicht als erstes an ein solches Siegestor dachte: In seinen Skizzen fanden neuste Recherchen ebenfalls Entwürfe eines Rundtempels oder eines Monuments mit quadratischem Fundament. Die Architekturhistorikerin Christine Beese folgert daraus, dass die eigentliche Idee für das Siegesdenkmal ursprünglich von Mussolini selber forciert wurde. Vgl. Beese, Christine: Marcello Piacentini. Moderner Städtebau in Italien, Berlin 2016, S. 407. 259 Beese, Marcello Piacentini, S. 401–407; Zoeggeler, Oswald/Ippolito, Lamberto: Die Architektur für ein Italienisches Bozen 1922–1942, Lana 1992, S. 110–128. 260 Der Repräsentativbau benötigte insgesamt 22’000qm Baufläche. Dabei handelte es sich überwiegend um zuvor enteignete, landwirtschaftliche Nutzfläche, für welches die Bauern eine damals viel zu geringe, finanzielle Entschädigung von 8–12 Lire pro Quadratmeter erhielten. Dem nicht genug wurden die Beträge auch noch zwei Jahre verspätet entrichtet. Vgl. Lehmann, Städtebau und Architektur, S. 170. 261 Kofler Engl, Waltraud: Bozens Stadt des faschistischen Ventennio, in: Umstrittene Denkmale: Der Umgang mit dem Erbe der Diktaturen. Birgit Franz, Waltraud Kofler Engl u. a. (Hg.), Holzminden 2013, S. 50–64, hier S. 57. 262 Lehmann, Städtebau und Architektur, S. 170; Dunajtschik, Erinnerungskulturen in Bozen, S. 39–40. 263 Nach 1939 sollte dem faschistischen ›Impero‹ noch eine zweite, über den Eisack führende Brücke gewidmet werden. Es handelt sich dabei um die Ponte Littorio, welche den Zugang zur Industriezone von der Citt/ nuova her eröffnete. Später erhielt sie den Namen Ponte Roma, den sie noch bis heute trägt. Vgl. Zoeggeler, Oswald/Ippolito, Lamberto: Die Architektur für ein Italienisches Bozen 1922–1942, Lana 1992, S. 136–143 sowie S. 233. 264 Ebd., S. 172–173; Dunajtschik, Erinnerungskulturen in Bozen, S. 44–46; Zoeggeler/Ippolito, Die Architektur für ein Italienisches Bozen 1922–1942, S. 136–143.
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errichtet. Es handelt sich dabei um eine vergleichsweise unscheinbare Siegessäule,265 die im Zeichen der »Dankbarkeit des neuen Roms« den Kriegseinsatz der »Atesini« für die in Libyen, Abessinien sowie in Spanien errungenen »Siege« ehrte.266 Das andere Monument wurde 1943 an der Fassade der neuen Parteizentrale am Gerichtsplatz angebracht: Ein vom Südtiroler Bildhauer Hans Piffrader angefertigtes Travertin-Relief267 erzählt dabei vom Aufstieg des Faschismus sowie dem daraus hervorgegangenen ›Imperos‹ um den hoch zu Ross sitzenden ›Duce‹.268 Wie beim Kapuziner- und beim Siegesplatz ist auch hier die gesamte Gebäudeanlage von Bedeutung: So blickt die an der gegenüberliegenden Fassade des Gerichtsgebäudes abgebildete Justitia direkt und mit unverschleierten Augen dem faschistischen Leitspruch »credere, obbedire, combattere« entgegen.269 Die von Rom aus koordinierte ›Umgestaltung‹ Bozens beschränkte sich freilich nicht nur auf die dortige Denkmallandschaft. Die Stadt an der Etsch erfuhr durch faschistische Bauprojekte zwischen 1922 und 1939 ihren bisher markantesten Wandel von einer ländlichen Kleinstadt hin zu einer italienischen Mittelstadt.270 Entsprechend dazu wuchs die dortige Einwohnerzahl in diesen Jahren um mehr als das Doppelte an.271 Der von Rom aus forcierte Bevölkerungstransfer äußerte sich hier vor allem im Bau neuer Stadtviertel.272 Am prominentesten sticht dabei die gemäß den Plänen Piacentinis nach 1934 aus dem Boden gestampfte ›Citt/ nuova‹ hervor : Ein von der Altstadt durch den Talferbach getrenntes, ›modernes‹ Verwaltungs- und Wohnviertel nach neo265 »L’inaugurazione della colonna romana eretta a gloria dei caduti atesini. Superba rassegna di forze guerriere nella zona monumentale«, in: La Provincia di Bolzano, 7. 6. 1938, S. 1–2. 266 Steinacher/Steurer, Zwischen Duce, Negus und Hitler, S. 103–104. 267 Da es sich 1943 um das letzte Jahr der faschistischen Herrschaftszeit Südtirols handelte, konnte Piffrader das Relief nicht mehr fertigstellen. Erst 1957 wurden die letzten verbliebenen drei Steinplatten montiert. Gewiss ein in der Nachkriegszeit genauso ungewöhnlicher wie auch fragwürdiger Umgang mit den Baurelikten eines gestürzten, autoritären Gewaltregimes. Vgl. Dissertori, Die öffentliche Skulptur unter dem Faschismus in Südtirol, S. 61–62; Stampfer, Georg: Kunst und Denkmalpflege in Südtirol 1900–1950, in: Südtirolismen. Erinnerungskultur – Gegenwartsreflexion – Zukunftsvisionen, Georg Grote/Barbara Siller (Hg.), Innsbruck 2011, S. 205–219, S. 214–216. 268 Für eine detaillierte Analyse der auf dem Relief sichtbaren Inhalte bzw. dessen Aussage vgl. Dissertori, Die öffentliche Skulptur unter dem Faschismus in Südtirol, S. 57–61. 269 Dunajtschik/Steinacher, Die Architektur für ein italienisches Südtirol, S. 126. 270 Dunajtschik/Mattioli, Die »Citt/ nuova« von Bozen, S. 260. 271 Zusammen mit einem Wachstum Bozens von 30’000 auf 50’000 Einwohner von 1921 bis 1936, nahm auch die Anzahl der italienischen Einwohnerschaft stetig zu: waren es 1921 noch 27 Prozent, so stieg deren Anteil bis 1939 auf 62 Prozent. Die deutschsprachige Bevölkerung Bozens wurde dadurch zu einer Sprachminderheit in ihrer eigenen Provinzhauptstadt. Vgl. Cavallar, Von fremdländischem Anstrich befreit, S. 653. 272 Zoeggeler/Ippolito, Die Architektur für ein italienisches Bozen 1922–1942, S. 147–152 sowie S. 180–228.
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klassizistischem Baustil, dessen Zentrum der Siegesplatz bildete und von wo aus entlang einzelner Axialstraßen und Plätzen italienische Staatsbeamte und Militärs untergebracht wurden.273 Direkt am Siegesplatz liegend erhielten auch die beiden Amtsstellen der Istituto Nazionale delle Assicurazioni (INA) sowie der Istituto Nazionale Fascista della Previdenza Sociale (INFPS) neue Verwaltungsgebäude. An deren Fassaden verkündeten lateinische Verse von Vergil und Horaz die ›Größe‹ Roms im Zeichen einer ›Pax Romana‹, wobei inständig vor der Niederwerfung der ›Hochmütigen‹ gewarnt wurde. Als ein dritter Bestandteil der ›Zona monumentale‹ wurde der Gebäudekomplex zusammen mit der Siegessäule ebenfalls am 6. Juni 1938 eingeweiht.274 Für das massive Bevölkerungswachstum in den Dreißigerjahren war indes vor allem die 1936 eröffnete Bozner Industriezone ausschlaggebend. Die dazu in den Folgejahren erbauten Wohnsiedlungen Rione Littorio und Rione Dux sollten den aus Altitalien eingewanderten Arbeiterfamilien ein Dach über dem Kopf bieten. Während es sich bei den Gebäuden der Rione Littorio um mehrgeschossige sog. ›case popoluari‹ handelte, waren die Zwei- bis Vierfamilienhäuser der Rione Dux äußerlich dem Geburtshaus Mussolinis in Predappio nachempfundenen worden.275 Das Leben in diesen beiden Arbeitersiedlungen war dabei alles andere als angenehm: Zum einen war die verwendete Bausubstanz äußerst billig, zum anderen fehlte es besonders im Rione Dux-Viertel an einer funktionierenden Infrastruktur; waren die dortigen Semirurali-Häuser mit ihren kleinen Gärten doch eigentlich als selbstversorgende Wohneinheiten konzipiert worden.276 Außerdem waren die Einwohner existenziell auf die Schwerstarbeit in den nahegelegen Werken angewiesen. Tödliche Unfälle und gesundheitliche Folgeschäden waren aufgrund einer unzulänglichen Ausbildung, strengen Schichtplänen sowie unzumutbaren Arbeitsbedingungen an der Tagesordnung.277 Abschließend muss allerdings gesagt werden, dass Piacentini seine Umgestaltungspläne für Bozen nie ganz zum Abschluss bringen konnte. Nicht zuletzt
273 Dunajtschik/Mattioli, Die »Citt/ nuova« von Bozen, S. 269–276. 274 Strobl, Wolfgang: »tu regere imperio populos, Romane, memento…«: Zur Rezeption von Vergil und Horaz im italienischen Faschismus am Beispiel des Siegesplatzes in Bozen, in: Antike und Abendland. Beiträge zum Verständnis der Griechen und Römer und ihrer Nachlebens, Werner von Koppenfels u. a. (Hg.), Band LVIII, Bozen 2012, S. 143–167, hier S. 147–153. 275 Dunajtschik/Mattioli, Die »Citt/ nuova« von Bozen, S. 276–279. 276 Dunajtschik, Erinnerungskulturen in Bozen, S. 136–140. 277 Kofler Engel, Bozens Stadt des faschistischen Ventennio, S. 59; Marcelli, Ennio: Die »Semirurali« in Bozen, in: Nicht nur Semirurali, Arbeitsgruppe »für ein Museum in den ›Semirurali‹«(Hg.), Bozen 2013, S. 214–244, hier S. 220–221.
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wegen amtlichen Hürden wurde bis 1943 nur ein Bruchteil der eigentlich vorgesehen Neubauten realisiert.278
Bau- und Denkmalpolitik in den Kleinstädten und in der Region Aber auch im übrigen Südtirol wurde während dem Ventennio nero fleißig umgestaltet und gebaut. Besonders markant schnitten sich hierbei Kasernen und Parteigebäude ins Ortsbild zentraler Verkehrs- und Handelsknotenpunkte ein: beispielsweise in Meran, Eppan, St. Urlich, Laas, Mals oder in Brixen.279 Mit Vorliebe wurde zur Taufe solcher Bauten und umliegender Straßen auf die faschistischen Expansionskriege rekurriert: namentlich auf einzelne, in Afrika gefallene Südtiroler Soldaten, um deren ›selbstlosen‹ Einsatz im Sinne eines patriotischen Märtyrerkult auszudeuten.280 Neben derlei ›heroischen‹ Toponymen fehlte es in den kleinen- bis mittelgroßen Ortschaften aber auch nicht an neuen Monumenten: So wurde 1938 in Meran ein zweites Alpinidenkmal errichtet:281 Es zeigt den Gebirgssoldaten Antonio Valsecchi di Civate, dem im Kampf gegen Angehörige der libyschen Streitkräfte angeblich die Munition ausgegangen sei, sodass er die heranstürmenden Feinde mit einem Stein niederschlug.282 Das wenn nötig brutale und kraftvolle Niederringen von Feinden 278 Dunajtschik / Steinacher, Die Architektur für ein italienisches Südtirol, S. 122–123; Kossel, Elmar : Die Piazza della Vittoria in Brescia und Bozen: Beispiele für Strategien räumlicher Inbesitznahme und historischer Legitimation während des Faschismus in Italien, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, 39. Bd. (2012), S. 227–256, hier S. 250–251. 279 Wobei die meisten der geplanten Parteigebäude am Ende gar nie realisiert wurden: beispielsweise in Tramin, Neumarkt, Margreid, Branzoll, Kurtatsch oder Montan. Vgl. Dunajtschik/Steinacher, Die Architektur für ein italienisches Südtirol, S. 133. 280 Hierzu beispielsweise die Figur von Otto Huber : Angeblich hatte der Militärpilot aus Meran bei einem Luftwaffeneinsatz in Libyen 1929 sein Leben für das ›Impero‹ gelassen, weshalb 1934 eine Straße in seine Geburtsstadt nach ihm benannt wurde sowie ein Ehrengrab auf dem dortigen Stadtfriedhof errichtet wurde. In Bozen erhielt zudem eine Kaserne seinen Namen. Ebenfalls nach einem ›fremdstämmigen‹ Afrikakämpfer wurde eine Truppenunterkunft in Mals benannt. Der damit gewürdigte Siegfried Wackernell fand überdies ebenfalls auf dem Meraner Gottesacker seine letzte staatlich gewürdigte Ruhestätte. Vgl. Steinacher, Gerald: Vom Amba Alagi nach Bozen, Spurensuche in Südtirol, in: Zwischen Duce und Negus. Südtirol und der Abessinienkrieg 1935–1941. Gerald Steinacher (Hg.), Bozen 2006, S. 13–33, hier S. 30–31. 281 Es handelte sich dabei um das Geschenk eines Mailänder Alpiniregiments – genauer, um eine Kopie ihres eigenen Monuments, welches 1915 anlässlich des ersten Libyenkriegs in der Großmetropole aufgestellt worden war. Vgl. Peduzzi, Vitaliano u. a. (Hg.): Storia dell’Associazione Nazionale Alpini 1919–1992, Veröffentlichung im Auftrag der Associazione Nazionale Alpini (ANA), Mailand 1993, S. 128–129; Dissertori, Die öffentliche Skulptur unter dem Faschismus in Südtirol, S. 65–66. 282 Ebd., S. 65–66.
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der italienischen Nation sandte an etwaige Widerstandbewegungen eine überdeutliche Botschaft aus. Die faschistische Architekturpolitik machte aber auch vor dem Hinterland Südtirols keinen Halt. Grundsätzlich gilt es hierzu nach Harald Dunajtschik und Gerald Steinacher zwischen Bauwerken im Dienste einer rein »symbolischen Landnahme« und solchen einer tatsächlichen »Gründung von Kleinstädten und Siedlungen« zu unterscheiden.283 Rein sinnbildliche Funktion hatten die entlang der Landesgrenze errichteten Ossarien, in welchen die Gebeine gefallener Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs den Kampf um die nördliche Landesgrenze bezeugen sollten.284 Ein weiteres Bauwerk zur »symbolischen Landnahme« stand ab 1938 auf dem Wasserkraftwerk der Montecatini in Waidbruck. Es handelte sich dabei um ein Reiterstandbild, dessen Gesichtszüge stark an Mussolini erinnerten. Der im Volksmund sog. ›Aluminium-Duce‹ sollte an seinem Standort die überlegene Technologie und Industrie preisen, welche angeblich dank dem Faschismus selbst ins abgelegene Eisacktal vorgedrungen sei.285 Aber wie in Bozen, so blieb die »symbolische Landnahme« letztendlich auch in den ländlichen Gebieten Südtirols unvollendet: Für den Bau einer repräsentativen Casa del Fascio direkt am Schlagbaum auf der Passhöhe des Brenners sowie einer von Tolomei entworfenen Festungsmauer entlang der Brennergrenze – dem sog. ›Vallo alpino del Littorio‹286 – reichte bis zum Einmarsch der Nationalsozialisten von 1943 weder die Zeit noch das Geld.287 Die »Gründung von Kleinstädten und Siedlungen« erwies sich am Ende genauso erfolglos: Die beiden Städtegründungen von Borgo-Vittoria und Villagio Montecatini bei Sinich, die nach dem Vorbild der faschistischen Agrarstädte in den Pontinischen Sümpfen die Landwirtschaft Südtirols ankurbeln sollten, 283 Dunajtschik/Steinacher, Die Architektur für ein italienisches Südtirol, S. 104. 284 So handelte es sich bei diesen Beinhäusern mehr um einzelne Grenzsteine, welche beispielsweise am Reschenpass, am Brennerpass oder im Pustertal die Expansion des italienischen Staatsgebietes bis hin zu Österreich – bzw. der angebliche Kampf dafür – demonstrieren sollten. In Wahrheit hatten an diesen Standorten im Ersten Weltkrieg freilich nie Gefechte stattgefunden. Die Frontlinie verlief stellenweise 70 bis 80 Kilometer weiter südlich entlang des Gardasees. Um die Massengräber anzulegen wurden die Überreste gefallener Soldaten daher erst in den Dreißigern von weit abgelegenen Schlachtfeldern zu den Ossarien gebracht. Vgl. De Ashbahs, Alexander/Steinacher, Gerald: Die Totenburgen des italienischen Faschismus. Beinhäuser und politischer Gefallenenkult, in: Für den Faschismus bauen. Architektur und Städtebau im Italien Mussolinis, Zürich 2009, S. 233–259, hier S. 248–249; Mattioli, »Edificare per il fascismo«, S. 44. 285 Peterlini, Hans Karl: Die Geschichte vom sprechenden Pferdekopf. Wechselspiele von Macht und Ohnmacht am Beispiel des Reiterstandbildes von Waidbruck, in: Das TirolPanorama. Ein Land – Ansichten und Durchblicke, Huter, Michael/ Meighörner, Wolfgang (Hg.), Innsbruck 2012, S. 49–57, hier S. 51. 286 De Ashbahs/Steinacher, Die Totenburgen des italienischen Faschismus, S. 250–251. 287 Lehmann, Städtebau und Architektur, S. 218–228.
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zeigten sich nie wirklich ertragreich. Zudem kamen nicht annähernd so viele italienische Siedler nach Südtirol, wie dies vom Regime eigentlich beabsichtigt worden war. Die beiden Arbeitersiedlungen entwickelten sich daher rasch zu italienischsprachigen Enklaven in einer nach wie vor deutsch-dominierten Grenzregion. Ein wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Austausch mit den umliegenden Tälern und Ortschaften fand deshalb kaum statt.288 Etwas gewinnbringender zeigte sich dahingegen der Versuch, Südtirol dem Tourismus zu öffnen. Wohlwollend wurden hierfür namentlich private Bauprojekte von Rom aus unterstützt, wie beispielsweise der Hotelbau Gran Paradiso im Martelltal. Die Ferienanlage bot nach 1937 Feriengästen aus aller Welt ein reichhaltiges, luxuriöses Erholungsangebot. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mangelte es allerdings an lokaler Initiative, um die Erfolgsgeschichte des Gasthofs weiterzuschreiben.289 Die Baupolitik des Mussolini-Regimes verfügte folglich nie über einen übergeordneten Gesamtplan, anhand von welchem die Brennerregion strategisch erschlossen und nutzbar gemacht werden sollte.290 Bis ans Ende des Ventennio nero überwogen vereinzelte Protzbauten sowie für sich stehende Bauund Siedlungsprojekte, die nur selten planmäßig umgesetzt wurden und noch seltener den erwünschten Ertrag lieferten. Mit den Worten Andrea Di Micheles ist hinsichtlich der faschistischen Bau- und Denkmalpolitik demnach ebenso von einer »unvollkommenen Italianisierung« Südtirols zu sprechen.291
Die öffentliche Rezeption des Alpinidenkmals nach 1943 In den Jahren nach dem Sturz des faschistischen Regimes sah sich das Alpinidenkmal mit den in Südtirol vollzogenen Herrschaftswechsel verschiedensten Lesarten ausgesetzt, wobei auch die Rede vom Abessinienkrieg verschieden deutlich vernehmbar war. Das Spezielle am Alpinidenkmal stellt allerdings nicht unbedingt dessen wechselhafte Rezeption im öffentlichen Raum sowie die sich damit verlaufende Debatte um ebenjenes dar. Der Streit um das Erbe des Standbilds war dabei zeitweise derart hitzig, dass dieses insgesamt dreimal zerstört und danach zweimal wiedererrichtet wurde. Somit trug es unverkennbare Spuren seines streitbaren Aussagegehalts mit sich, wobei es bis heute mit seiner notdürftig aufgestellten Büste von seiner turbulenten Geschichte zu erzählen vermag. Auf welchem Weg das Alpinidenkmal demnach nach 1943 von 288 289 290 291
Dunajtschik/Steinacher, Die Architektur für ein italienisches Südtirol, S. 129–133. Ebd., S. 134. Ebd., S. 103–104. Di Michele, Die unvollkommene Italianisierung, S. 385–360.
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einem »gewollten« zu einem »gewordenen« Denkmal wurde,292 berichten die folgenden Abschnitte.
Von der ersten Zerstörung bis zur ersten Wiedererrichtung: 1943–1951 Nicht alle faschistischen Prestigebauten wie das Hotel Gran Paradiso fielen nach dem Machtwechsel in Italien vom September 1943 der Vergessenheit anheim. Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten boten sich besonders die in den größeren Städten und Ortschaften Südtirols prominent platzierten Denkmäler den Einwohnern für Vergeltungsschläge an.293 Als Bruneck in der Nacht vom 8. September 1943 Teil der ›Operationszone Alpenvorland‹ wurde, dauerte es gerade mal zwei Tage, bis der steinerne Alpino am 10. September vor seinem Sockel in Trümmern lag.294 Ob dafür allein ein Panzer der NS-Besatzungsmacht verantwortlich war oder frustrierte Bürger damit ihre Wut über das nun überwundene Ventennio nero zum Ausdruck brachten,295 ist letzten Endes weniger
292 Oberhollenzer, Alpini-Denkmal und »Kapuziner Wastl« in Bruneck, S. 67. 293 So wurden beispielsweise noch am selben Tag des Einmarschs der Nationalsozialisten in Bozen die im Innern des Siegesdenkmals platzierten Büsten der drei Trentiner Irredentisten Cesare Battisti, Fabio Filzi und Damiano Chiesa mit einem Auto vom Sockel gerissen und durch die Straßen der Provinzhauptstadt gezogen. Der dadurch entstandene Schaden wurde erst 1945 wieder repariert. Vgl. Pardatscher, Das Siegesdenkmal in Bozen, S. 116. 294 »Distrutto da una carica di tritolo il monumento all’alpino a Brunico«, in: Alto Adige, 3. 12. 1966, S. 1. 295 Während nur wenige ehemalige Faschisten für ihr hartes Vorgehen gegen die Deutschsüdtiroler bestraft wurden, unterblieb aufgrund der grundsätzlichen Rücksichtnahme NSDeutschlands gegenüber Mussolinis Scheinrepublik der »Repubblica Sociale Italiana« ein öffentlicher Prozess gegen den italienischen Faschismus. Auch vertrat der von den Nationalsozialisten eingesetzte Kommissarische Bürgermeister – und ehemalige Gebietsleiter des Völkischen Kampfringes Südtirols (VKS) – Ernst Lüfter einen eher gemäßigteren Kurs gegenüber den italienischen Bürgern seiner Stadt. Stefan Lechner vermutet diesbezüglich, dass der Sturz des Alpinidenkmals dazu diente, dem angestauten Frust der deutschen Stadtbewohner freien Lauf zu lassen. Einige Autoren bezweifeln diese Version allerdings und gehen davon aus, dass das Denkmal von einem Deutschen Wehrmachtspanzer von Sockel gerissen wurde. Die Quellenrecherchen und Zeitzeugenbefragungen Lechners scheinen seine Version bisher aber grundsätzlich zu bestätigen. Vgl. Lechner, Stefan: NSHerrschaft und Krieg in der Südtiroler Kleinstadt. Bruneck 1943–1945, in: Die Operationszone Alpenvorland im Zweiten Weltkrieg, Andrea Di Michele/Rodolfo Taiani (Hg.), Bozen 2009, S. 271–281, hier S. 273 u. 276; Wedekind, Michael: Nationalsozialistische Besatzungs- und Annexionspolitik in Norditalien 1943 bis 1945. Die Operationszonen »Alpenvorland« und »Adriatisches Küstenland«, München 2003, S. 147; Oberhauser, Alexandra: Das Alpini-Denkmal »Kapuziner-Wastl« in Bruneck und dessen Rezeption in der deutsch- und italienischsprachigen Tagespresse Südtirols mit Ausarbeitung eines Schulprojektes, ungedr. phil. Dipl., Innsbruck 2012, S. 52.
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von Belang, als dass der Denkmalsturz296 den Beginn zweier folgenschwerer Jahre nationalsozialistischer Herrschaft und Kollaboration in Südtirol markierte. Den 20 Monaten der ›Operationszone Alpenvorland‹ fielen schließlich weitaus mehr unschuldige Menschen zum Opfer, als den zwei Jahrzehnten faschistischer Herrschaft.297 Danach war es bis 1945 offensichtlich undenkbar, die während dem Regimewechsel geschliffenen Wahrzeichen des Faschismus wieder neu aufzustellen. Davon abgesehen sah sich Bruneck in den letzten beiden Kriegsjahren mit dem ›Verpflegen‹ der Wehrmacht, andauernden Versorgungsengpässen, dem alles bestimmenden Kriegsalltag sowie schließlich mit einem Bombenregen, der 1945 auf die Stadt niederging, ungemein schwerwiegenderen Problemen ausgesetzt,298 als sich mit faschistischem Bauerbe bzw. dessen Relikten auseinanderzusetzen. Erst in der Nachkriegszeit, als es nach dem Abschluss des Pariser Abkommens vom September 1946 darum gehen sollte, die Südtirol formal zugesprochene Autonomie politisch umzusetzen, wurden Denkmäler als lokale Aushandlungsorte kulturpolitischer Vormachtkämpfe wieder interessant. Die damit einhergehenden Spannungen äußerten sich bereits am Weihnachtsabend 1945, als italienische Soldaten in Bruneck das Denkmal des ehemaligen Landeshauptmanns Eduard Von Grebmer beschädigten.299 Ähnliches trug sich kurze Zeit später in Meran zu, als im Februar 1946 das Andreas-Hofer Monument gesprengt wurde.300 Der dadurch zum Ausdruck gebrachte Herrschaftsanspruch Italiens über Südtirol beschränkte sich mit dem ersten Autonomie296 Der Begriff Denkmalsturz beschreibt der deutsche Historiker Winfried Speitkamp folgendermaßen: »Denkmalsturz in diesem Sinn bedeutet folglich zweierlei: Einerseits geht es um die Vernichtung, Verdammung, Verdrängung, ›Entsorgung‹ oder Uminterpretation der Geschichte, damit also um den Traditionsbruch, die Befreiung von Vergangenheit und Tradition oder zumindest von einer jeweils spezifischen Tradition. Andererseits geht es um die Neubelegung und Neuschöpfung der Geschichte, um die Stiftung oder gar Erfindung von Tradition durch eine Veränderung von Zeichen und Zeichensystemen.« Vgl. Speitkamp, Denkmalsturz und Symbolkonflikt, S. 9. 297 Lun, Margareth: NS-Herrschaft in Südtirol. Die Operationszone Alpenvorland 1943–1945, Innsbruck 2004, S. 347–359; Gatterer, Claus: Südtirol und der Rechtsextremismus, in: Rechtsextremismus in Österreich nach 1945, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (Hg.), S. 336–354, hier S. 337–338. 298 Lechner, NS-Herrschaft und Krieg in der Südtiroler Kleinstadt, S. 276–279. 299 Zudem kam es gerade in Bruneck ab 1946 zu diversen blutigen Auseinandersetzungen zwischen italienischen Exfaschisten und der deutschsprachigen Bevölkerung. Beispielsweise während einer Demonstration für die Autonomie vom 5. April 1946, bei der ein faschistischer Schlägertrupp einen Reischacher Bauern dermaßen stark verprügelte, dass dieser kurz darauf seinen Verletzungen erlag. Vgl. Goller, Joachim: Neuorientierung: Politik und Verwaltung 1945–2006, in: Der lange Weg in die Moderne. Geschichte der Stadt Bruneck 1800–2006, Stefan Lechner (Hg.), Innsbruck 2006, S. 156–190, hier S. 160 und 162. 300 Peterlini, Hans Karl: Südtiroler Bombenjahre. Von Blut und Tränen zum Happy End?, Bozen 2005, S. 24.
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statut nach 1948 allerdings keinesfalls nur auf spontane Aktionen gegen ›deutsche‹ Denkmäler : Gestärkt durch zentralistische und (neo-)faschistische Parteien wie dem Movimento Sociale Italiano (MSI) oder der Unione Alto Atesia in Bozen,301 setzten die Regierungsvertreter in Rom zusammen mit dem Regionalrat in Trient fortan alles daran, der effektiven Autonomie mittels administrativer Hürden und rechtlicher Schikanen möglichst viele Steine in den Weg zu legen.302
Abb. 2: Das neue Alpinidenkmal von 1951 vor dem damaligen Gebäude des Post- und Telegraphenamts, in: Museumsverein Bruneck, Nachlass Ernst Mariner, Sig. MENS60900293/Bruneck/Altes Post- und Telegraphenamt/Alpinidenkmal.
Dazu gehörte auch eine staatlich geförderte Propagandakampagne im Dienste der sog. ›Italianit/‹, die zwischen 1945 und 1954 von Bozen aus über eine
301 Die bereitwillige Zusammenarbeit zwischen De Gasperi und diesen beiden rechtsradikalen Parteien zeigte sich beispielsweise bei einem offiziellen Empfang, bei welchem der Premierminister die von den antiautonomistisch gesinnten Abgeordneten vorgestellten Förderungsmaßnahmen der ›Italianit/‹ in Südtirol grundsätzlich guthieß. Vgl. Steininger, Rolf: Südtirol zwischen Diplomatie und Terror 1947–1969, Bd. 1: 1947–1959, Bozen 1999, S. 131. 302 Beispielsweise setze der von den italienischen Christdemokraten dominierte Regionalrat unterstützt vom Ministerratspräsidium in Rom nach 1948 alles daran, die Durchsetzung eines Gemeindewahlgesetzes, eines Genossenschaftsgesetzes sowie eines Gesetzes für Volksbefragungen unter fadenscheinigen Vorwänden für möglichst viele Jahre auf die lange Bank zu schieben. Des Weiteren akzeptierten die römischen Ministerien die Entscheide der ihnen unterstellten Verwaltungsstellen in Südtirol kaum, sodass das Autonomiestatut auch administrativ nicht ernstgenommen wurde. Ganz grundsätzlich sollten die autonomen Stellen in den Regionen und Provinzen geschwächt werden, während die dortigen Staatsvertreter möglichst umfängliche Vollmachten erhielten. Vgl. Steininger, Südtirol zwischen Diplomatie und Terror, Bd. 1, S. 122–126.
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Zweigstelle des Ufficio per le zone di confine (UZC) koordiniert wurde.303 Bei dieser Untersektion des Grenzzonenamtes handelte es sich um das ehemalige Ufficio per l’Alto Adige (UAA), das 1939 von den faschistischen Behörden für die Aufsicht über die ›Option‹ eingerichtet worden war.304 Nach dem Krieg blieb das Amt formell erhalten, wurde nun aber direkt dem Ministerpräsidium in Rom unterstellt. Durch gezielte, kulturpolitische Maßnahmen sollte es dafür sorgen, dass Südtirol trotz Autonomiestatut kulturell weiterhin ›italienisch‹ blieb.305 So verwundert es nicht, dass die Restauration des Siegesdenkmals in Bozen und der dortigen Drususbrücke zusammen mit dem Wiederaufbau des Alpinidenkmals in Bruneck in den Jahren nach 1946 mit höchster Priorität behandelt wurde. Reichlich ausgestattet mit Regierungsgeldern aus Rom scheute das UZC keinen Aufwand, um die faschistischen Bauwerke wieder auf Vordermann zu bringen. Als Wahrzeichen der ›Italianität‹ sollten sie wieder in neuem Glanz die nördliche Landesgrenze der ersten Republik abstecken.306 Dafür war gerade beim Alpinidenkmal keine Zeit zu verlieren, da die Brunecker Stadtverwaltung den Kapuzinerplatz kurz nach Kriegsende für den kommerziellen Nutzen ausgeschrieben hatte.307 Um den propagandistischen Ausdruck der faschistischen ›Zona monumentale‹ weiterhin zu bewahren, galt es entsprechend schnell zu handeln. In enger Zusammenarbeit mit dem UZC trat nun der Veteranenverband der Associazione Nazionale Alpini (ANA) in Aktion: Während einer sog. ›Adunata‹308 von 1949 anlässlich seines 30-jährigen Beste-
303 Das UZC unterhielt seine Zentrale in Rom, von wo aus noch eine weitere Zweigstelle in der Grenzprovinz Friaul-Julisch Venetien koordiniert wurde. Vgl. Di Michele, Andrea: l’Italia e il governo delle frontiere (1918–1955). Per una storia dell’Ufficio per le zone di confine, in: La Difesa dell’Italianit/. L’Ufficio per le zone di confine a Bolzano, Trento e Trieste (1945– 1954), Diego D’Amelio, Andrea Di Michele und Giorgio Mezzalira (Hg.), Bologna 2015, S. 25–75, hier S. 35–36. 304 Ebd. S. 30. 305 Staatliche Kultursubventionen finanzierten italienischsprachige Tageszeitungen, das italienische Vereinswesen, den Volkswohnbau sowie den Erhalt von Denkmälern und anderem Kulturgut, das sich zu Gunsten der ›Italianit/‹ aufpolieren ließ. Vgl. Mezzalira, Giorgio: Geteilte Erinnerungen. Faschistische Denkmäler und Symbole in Südtirol zwischen Konflikt und Historisierung, in: Umstrittene Denkmäler. Der Umgang mit der Vergangenheit, Günther Pallaver (Hg.), Bozen 2013, S. 135–165, hier S. 152. 306 Mezzalira, Geteilte Erinnerungen, S. 152. 307 Ebd., S. 149. 308 Bei solchen Versammlungen handelt es sich um alljährliche, militaristische Aufmärsche ehemaliger Alpini-Soldaten in den verschiedenen Provinzen Italiens. Uniformiert und in strenger Formation versammeln sich die penne nere dabei in einzelnen Ortschaften oder vor einem ihrer zahlreichen Denkmäler, um ihrem Einsatz zu Friedens- und Kriegszeiten sowie den gefallenen Kameraden im Kollektiv zu gedenken. Dem Eigenbild, das an solchen Appellen zelebriert wird, liegt ein nationalistisch-folkloristisches Pathos zu Grunde, gemäß welchem sich die ANA als eine noble und selbstlose Hilfstruppe der italienischen Bergregionen wahrnimmt. Vgl. Peduzzi, Storia dell’Associazione Nazionale Alpini, S. 427–430.
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hens weihte dieser einen Sockel für das vorgesehene, neue Standbild ein.309 Um den Symbolgehalt des später darauf platzierten Denkmals schon mit dieser ersten Einweihungsfeier vorwegzunehmen, wurde in dessen Fundament eine Schriftrolle eingemauert, welche von den Einsätzen sowie vom »immerwährende[n] Ruhm der heldenhaften Alpini-Division ›Pusteria‹«310 berichtete:311 Was bemerkenswert erscheint, da dadurch das zukünftige Monument sozusagen als Grenzstein des italienischen Staates auf einer Ehrenurkunde eines faschistischen Expansionskriegs erbaut werden sollte.312 Ein vorwärtsschreitender, nun aber unbewaffneter Alpino konnte danach am 1. Juli 1951 auf dem neu eingeweihten Sockel präsentiert werden. Dessen Entwurf war ein Jahr zuvor per Wettbewerbsverfahren in Bozen ausgewählt worden, an welchem ausschließlich italienischsprachige Bildhauer – die freilich gebürtige Südtiroler sein mussten – teilnehmen durften.313 Das Rennen machte der 309 Die Dolomiten berichtete dabei von rund 40’000 ehemaligen Alpini aus ganz Italien, die am 1. Oktober 1949 während eines von der Bozener Sektion organisierten Aufmarsches zuerst in Bozen am Siegesdenkmal Blumenkränze niederlegten, um anschließend am Nachmittag in Bruneck auf dem Kapuzinerplatz den Grundstein für ihr neues Monument einzuweihen. Vgl. »Die Alpinitagung in Bozen«, in: Dolomiten, 3. 10. 1949, S. 5. 310 Zum ehrvollen Leitspruch »Alla gloria imperitura degli alpini« – der nach 1968 ebenfalls auf einer Plakette an der Vorderseite des Sockels angebracht werden sollte und heute noch dort steht – wurde vorderhand verschwiegen, dass dessen Wortlaut einem Mussolini Zitat verdächtig nahesteht, welches von Tolomei in einem Archivio-Artikel von 1937 »La gloriosa Divisione ›Pusteria‹« bemüht wurde. Als die Division Pusteria demnach von ihrem Einsatz aus Abessinien heimkehrte, habe der ›Duce‹ deren Einsatz mit folgenden salbungsvollen Worten gewürdigt: »La Patria al vostro ritorno vi saluta con gioia e con gratitudine. Per la conquista dell’impero voi avete scritto una pagina imperitura di gloria.« Vgl. Tolomei, Ettore: »La gloriosa Divisione ›Pusteria‹«, in: Archivio per l’Alto Adige, 1937, Heft 1, S. 328– 329, hier S. 328. 311 Lechner, Grimmig dreinblickender Alpino, S. 29. 312 Obschon der bloße Sockel ohne Denkmal bei der lokalen Stadtbevölkerung Brunecks noch keinen großen Eindruck zu erwecken schien. So beklagte sich der Präsident der Sektion Bozen der Nationalen Alpinivereinigung (ANA) N. Barello beim Bürgermeister von Bruneck einige Monate bevor das Denkmals von 1951 fertigstand, dass der Sockel als ein immerhin von hohen kirchlichen- und staatlichen Würdenträgern eingeweihtes Staatseigentum äußerst respektlos behandelt werde. Stattdessen würde es als Umschlagplatz für den lokalen Viehtransport dienen und sei entsprechend verunreinigt: »Si H percik verificato, ripetutamente, lo sconcio di veder usato il basamento del futuro Monumento Alpino per piattaforma di carico, sugli autotreni, di bestiame bovino. Questo bestiame viene fatto salire dalla comoda gradinata di accesso al basamento ed ivi lasciato ammassato per lungo periodo di tempo in attesa del carico, col risultato che il basamento diventa il ricetto degli escrementi bovini peggio della piF sporca stalla.« Vgl. Beschwerde des ANA Präsidenten der Sektion Bozen N. Barello an den Bürgermeister von Bruneck, betr. »Basamento del Monumento Alpino e spazio prospicente [sic]«, Bozen, 26. 1. 1951, StadtA Bruneck, Gemeindeakten, Ausgang und Eingang, Kat. 6, »Nationalfeiertage, Gedenkfeiern, Feierlichkeiten, Empfangsveranstaltungen«, Prot. Nr. 555. 313 Informationsschreiben des Präsidenten der ANA-Sektion Bozen Barello an die Sovraintendenza all’Arte Trento, betrf. »Brunico – Monumento all’Alpino«, »Bando di concorso per
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27-jährige, ehemalige Alpino-Soldat Rudolf Moroder, der von der staatsnahen, italienischsprachigen Presse sogleich als junges Genie angepriesen wurde, das seinen bisherigen Werdegang in den bedeutendsten Kulturstädten Italiens zurückgelegt hatte. Entsprechend war im italienischsprachigen Tagblatt Cronaca di Bolzano zu lesen: »Rodolfo Moroder, […], ha studiato nella scuola d’arte di Ortisei, ma ha perfezionato la propria conoscenza con vari viaggi d’istruzione a Firenze, a Bologna e Roma dove egli H entrato a contatto con l’arte dei grandi maestri della scultura italiana.«314 Gleichsam überschwänglich wurde auch das von Moroder entworfene Standbild als ein ideales Sinnbild der martialisch-›virilen‹ Gebirgstruppen der Alpini gelobt. Im selben Artikel war darüber zu lesen: »[…] un alpino in marcia, atticciato, virile e slanciato nell’aspetto, col cappello piumato e la mantellina, senza armi. […], una figura che idealizza mirabilmente, nella forma e nello spirito, la forte gente della montagna, gli alpini, ai quali il movimento e dedicato.«315
Die Kosten für das Denkmal beliefen sich insgesamt auf fünf Millionen Lire, für welche das Ministerratspräsidium in Rom die Hälfte aus einem dem Grenzzonenamt eigens zustehenden Propagandafonds zusprach.316 Im Finanzierungsantrag für den Neubau von 1949 an den damaligen Leiter des UZC Silvio Innocenti317 schildert die Amtsstelle in Bozen die von ihr beabsichtigte Propagandafunktion des Monuments folgendermaßen: »In considerazione della particolare situazione politica della Zona Alto Atesina, questo non e certo il momento piF opportuno per rallentare l’attivit/ di questa Soprintendenza che, nel corso dell’esperimento regionale, non dovrebbe mancare alla sua funzione di tutela del patrimonio artistico locale venendo meno nel contempo anche alla costante opera di propaganda e di affermazione del prestigio nazionale particolarmente nei confronti dell’elemento allogeno, per il quale ogni ragione di critica e di risentimento viene prontamente ed abilmente sfruttata.«318
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la ricostruzione del Monumento Alpino in Brunico«, Bozen 15. 3. 1950, in: Archiv Soprintendenza archeologica, belle arti e paesaggio per le province di Verona, Rovigo e Vicenza (SABAP), Dossier Brunico (BZ) 2/1 Monumento all’Alpino, Dok. Nr. 450.f.15. 3. 1950. »Concorso dell’ANA vinto dal gardenese Rodolfo Moroder«, in: Cronaca di Bolzano, Bozen 26. Juli 1950, S. 1. Ebd., S. 1. Mezzalira, Geteilte Erinnerungen, S. 150. Mezzalira, Giorgio: l’Ufficio per le zone di confine e la questione dell’Alto Adige, in: Qualestoria, Nr. 2, Dez. 2010, S. 46–55, hier S. 47. Schreiben des Soprintendente M. Guiotto an das Sekretariat des Ministerratspräsidiums – Ufficio per le Zone di Confine, zuhanden Silvio lnnocentis, betr. »fase. Tutela dei monumenti di importante interesse storico artistico. Richiesta di contributo«, Trento 25. November 1949, in: Archiv der Presidenza del Consiglio dei Ministri (PCM), Bestand L’Ufficio per le Zone di Confine (UZC), sez. III, B. 96.
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Im Wesentlichen sollte mit dem neuen Denkmal demnach erneut ein staatliches Prestigesymbol nahe der umstrittenen Grenze zu Österreich platziert werden.319 Überdies eignete sich gerade auch die ANA aufgrund ihres unbedingten Patriotismus als ideale Promotorin der ›Italianit/‹ in den nördlichen Grenzregionen: Konnte so doch eine Zivilorganisation von Rom aus finanziell unterstützt werden,320 die zumindest vordergründig keine politische Agenda verfolgte,321 dennoch aber betont nationalistisch auftrat.322 Der Wiederaufbau des Alpino-Standbildes von 1951 verweist auf zwei Grundfunktionen von Denkmälern, die sich für den öffentlichen Umgang mit 319 Das primär diese propagandistische Aussagekraft des Alpinidenkmals für dessen Wiederaufbau ausschlaggebend war und nicht etwa dessen bauhistorischer Wert, ist auch daran erkennbar, dass das UZC im Jahr des Finanzierungsantrags von 1949 eine weitere Anfrage des Superintendenten der Denkmalschutzbehörde der Venezia Tridentina zur Restauration alter Kirchen und Schlösser Südtirols abgelehnt hatte. Dies mit der Begründung, das Grenzzonenamt habe im Moment zu wenig Geld für derlei Renovierungsarbeiten. Vgl. Mezzalira, Geteilte Erinnerungen, S. 151. 320 So wurden der ANA-Sektion Bozen vom Ministerratspräsidium in den Jahren nach dem ersten Autonomiestatut bis in die frühen Sechziger – als es zu diversen Sprengstoffanschlägen in Südtirol kam und die Autonomiefrage nicht zuletzt deshalb vor der UNO Vollversammlung internationales Gehör fand – die folgenden Lira-Beträge ausbezahlt: 1949/50: 4.900.000, 1951/52: 2.000.000, 1952/53: 1.800.000, 1953/54: 200.000, 1954/55: 300.000, 1955/56: 400.000, 1956/57: 350.000, 1957/58: 350.000, 1958/59: 400.000, 1959/60: 1.000.000, 1960/61: 500.000, 1961/62: 500.000. Interessant erscheint hier auch, dass die staatliche Propagandasubvention vor allem zwischen 1960 und 1962 nochmals markant zunahm. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Rom damit versuchte, entgegen der Aktivitäten deutsch-nationalistischer Gruppierungen die öffentliche Präsenz der ›Italianit/‹ nochmals deutlich zu verstärken. Vgl. »Associazione nazionale degli Alpini Sezione di Bolzano – Sovvenzioni – Contributi Concessi alla Associazione Nazionale Alpini – Bolzano«, ohne Ort und Datum, in: PCM, Bestand UZC, Sez. II, B. 86, vol. II, Dossier 673/1. 321 Zumindest steht in den Gründungsstatuten der ANA von 1919 unter Punkt 2 »scopi« geschrieben, dass es sich im Kern weder um einen politischen- noch um einen religiöse Verein handle. Vgl. Peduzzi, Storia dell’Associazione Nazionale Alpini 1919–1992, S. 17 sowie S. 412–416. 322 Hierzu bat beispielsweise das Büro des Grenzzonenamtes in Triest unter dem folgenden Vorwand um eine Subvention der dortigen Alpini-Division »Lulia«: »Da un esame della situazione risultante dalle ispezioni compiute nei vari Centri, sia delle Provincie di Udine e di Gorizia, sia a Trieste, appare che l’unica forza vitale che, ricordano le glorie del passato acquistate su tutti i campi di battaglia e con duro tenace ostinato lavoro nel tempo di pace, H pur oggi legata da disciplina ed entusiastico amor di Patria, sono ancora gli alpini, collegati fra loro nella Associazione Nazionale. […]. ð un’Associazione prettamente apolitica, ma decisamente orientata nella difesa della Patria con disciplina, rispetto della Leggi [sic] Divine ed umane, amore al lavoro ed alla famiglia. […]. Ritengo con questa proposta di aver prospettato un problema urgente e di grande importanza per la nostra Regione, per il T.N.T. e per la nostra Patria minacciata su questa frontiera che H una trincea da difendere con tutti i mezzi: […].« Vgl. Bittschreiben des Ufficio Venezia Giulia an das Ministerpräsidium in Rom, betr. »Potenziamento dell’Associazione Nazionale Alpini nelle zone di Frontiera e nel T.L.T«, Udine, 3. 12. 1966, S. 6, in: PCM, Bestand UZC, sez. II, B. 6, vol. II, Dossier 305, Sig. UDI.PAT.5623.9.
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diesem in den Folgejahren als wesentlich herausstellen sollten. Als erste Eigenart fungieren Monumente im öffentlichen Raum als bewusst gesetzte Zeichen jeweiliger – zumeist staatlicher – Machtinhaber.323 Aus diesem Grund wurde das Alpinidenkmal in Bruneck 1938 neben einer Vielzahl anderer Bauwerke von den Faschisten einerseits als Sinnbild des italienischen Staatsgebietes platziert. Andererseits ging zusammen mit den diversen Machtwechseln in Südtirol deswegen aber auch immer ein radikaler Wechsel architektonischer Machtsymbolik einher.324 Der Grundsatz, dass durch Denkmäler bestimmte soziale sowie machtpolitische Hierarchisierungen in der Öffentlichkeit festgeschrieben werden sollen,325 blieb daher auch mit dem Anbruch der Ersten Republik weiterhin geltend: Selbst wenn es sich bei dem neuen Alpinidenkmal von 1951 rein äußerlich um ein weit weniger aggressiv daherkommendes Bauwerk handelte, so war dessen intendierte Kernaussage – dass gerade das entlegene Pustertal fester und unverrückbarer Bestandteil des Italienischen Staatsgebietes ist – doch nach wie vor dieselbe geblieben.326 Anders als unter dem Faschismus gelang es dem demokratischen Italien freilich nicht mehr, allein die unangefochtene Deutungshoheit des steinernen Gebirgssoldaten auf dem Kapuzinerplatz für sich zu beanspruchen. Dieser stand nun in einem öffentlichen Diskursraum, in welchem sich nach 1951 verschiedenen Stimmen äußern konnten – und seit 1945 auch wieder durften.327 Hier wird die zweite Eigenart von Denkmälern erkennbar, nämlich das ihnen inhärente – von Koselleck so genannte – »Überschusspotential«.328 Selbst wenn der Staat als der Erbauer und Pfleger von Monumenten versucht, die Oberhand über deren Aussage zu behalten,329 so verweisen sie gleichzeitig doch immer auch über deren intendierten Stiftungszweck hinaus.330 Es gibt daher keine zeitunabhängige Rezeption von Denkmälern, die immerwährend dem ursprünglichen Gedenkanlass anhaftet – genauso wie auch das zu erinnernde Ereignis dem 323 Koselleck, Reinhart: Zur politischen Ikonologie des gewaltsamen Todes. Ein deutschfranzösischer Vergleich, Basel 1998, S. 8. 324 Stachel, Stadtpläne als politische Zeichensysteme, S. 19. 325 Mattenklott, Gert: Denkmal, in: Daidalos. Architektur, Kunst, Kultur, Nr. 49, 1993, S. 27–35, hier S. 29. 326 Stachel, Stadtpläne als politische Zeichensysteme, S. 20. 327 Ebd., S. 27; Mattenklott, Denkmal, S. 29–30. 328 Koselleck, Reinhart: Kriegerdenkmale als Identitätsstiftungen der Überlebenden, in: Identität, Poetik und Hermeneutik Bd. 8, Odo Marquard und Karl Heinz Stierle (Hg.), München 1979, S. 255–277, hier S. 274. 329 Lipp, Wilfried: Denkmalpflege und Geschichte, in: Orte der Erinnerung. Denkmal, Gedenkstätte, Museum, Ulrich Borsdorf/Heinrich Theodor Grütter (Hg.), Frankfurt a.M. 1999, S. 131–169, hier S. 161–163. 330 Heiss, Hans: Denkmallandschaft Südtirol. Altlasten und neue Dynamiken der Zeitgeschichte, in: Umstrittene Denkmäler. Der Umgang mit der Vergangenheit, Günther Pallaver (Hg.), Bozen 2013, S. 109–135, hier S. 111.
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Augenblick des Denkmalbaus schon entrückt ist, da es zu diesem Zeitpunkt von dessen Stifter bereits sinnhaft ausgedeutet wurde.331 Stattdessen verfügen Monumente über einen »doppelten Identifikationsvorgang«,332 womit sie erstens Aussagen über deren eigentliche Errichtungsabsicht zulassen sowie zweitens in ihrem Nachleben verschiedene Sinnstiftungen für allerlei Rezipienten zulassen.333 Denkmäler dienen mithin als stetige Aushandlungsorte politischer Gedächtnisse, um deren Deutungshoheit verschiedene Gruppen miteinander konkurrieren.334 Innerhalb einer solch konfliktgeladenen Dynamik entwickelten sich schließlich nach 1951 auch die äußerst kontroversen Lesarten des Alpinidenkmals im Spannungsfeld zwischen nationalem-, regionalem- sowie lokalem Deutungsanspruch.
Von der ersten Wiedererrichtung bis zur zweiten Zerstörung: 1951–1966 Entsprechend der geschichtspolitischen Hegemonie, die mit dem Bau von Denkmälern behauptet wird, wusste folglich auch die staatsnahe, italienische Tagespresse die Feier für das neue Alpinidenkmal als einen gewichtigen Nationalgedenktag darzustellen. So schrieb die damals auflagenstärkste italienischsprachige Zeitung Südtirols – die Alto Adige335 – in folgenden stolzen Worten über die Errichtungszeremonie vom 1. Juli 1951: 331 332 333 334 335
Mattenklott, Denkmale, S. 27. Koselleck, Kriegerdenkmale als Identitätsstiftungen, S. 257. Speitkamp, Denkmalsturz und Symbolkonflikt in der modernen Geschichte, S. 13. Stachel, Stadtpläne als politische Zeichensysteme, S. 26–27; Mattenklott, Denkmale, S. 29. Grundsätzlich herrschte in Südtirol nach 1945 bis in die Neunzigerjahre hinein ein ethnisch getrenntes Mediensystem vor. Zum eigentlichen Sprachrohr des italienischen Staates etablierte sich dabei in der Nachkriegszeit die schon bald auflagenstärkste italienische Tagblatt Alto Adige. Dieses wurde vom Verlagshaus Societ/ editrice atesina (SETA) herausgegeben, dessen Vorsitzender Servillio Cavazzani wiederum vom UZC finanziell unterstützt wurde – nach 1950 erhielt er monatlich um die drei Millionen Lira – und dessen Sohn Albino nach 1954 als Direktor der Zeitung auftrat. Ganz im propagandistischen Sinne des UZC herrschte im Alto Adige ab den Fünfzigerjahren ein durchgehend italienisch-nationalistischer Ton vor, besonders wenn es darum ging, in Fragen der ›Volkstumspolitik‹ die staatliche Seite den Rücken zu stärken. Folglich fungierte der Alto Adige als eines der einflussreichsten Sprachrohre der ›Italianit/‹ in Südtirol, das etwaigen Autonomiebestrebungen natürlich keinerlei Toleranz entgegenbrachte. Dies verwundert auch dahingehend nicht, da sich die Redaktion aus zahlreichen ehemaligen Faschisten wie Angelo Facchin, Vincenzo Errante, Curzio Malaparte oder den beim UZC besonders um finanzielle Hilfe bemühten Renato Cajoli zusammensetzte. Ungehindert verbreiteten diese ihr autoritäres Gedankengut über zahllose Artikel nicht nur regional, sondern ebenso national, da auch die übrigen italienischen Medienhäuser ihre Südtirol-Berichte direkt vom Alto Adige bezogen. Letztendlich kommentiert der Alto Adige also nicht nur äußerst einseitig die jeweiligen Ereignisse rund um den Südtirolkonflikt, sondern trug darin als tonangebender Akteur auch maßgebend zur ethnischen Versäulung der beiden Sprachgruppen bei. Vgl. Hillebrand, Leo: Getrennte
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»Brunico vivr/ oggi la sua grande giornata: il monumento alpino alla ›Pusteria‹, per volont/ della sezione ›Alto Adige‹ dell’A.N.A, dopo la barbara distruzione del vecchio monumento, risorse oggi piF bello e piF grande di prima.« Weiter zitiert der Artikel aus einer Spezialausgabe der Scarpe grosse336 – dem Vereinsblatt der ANA: »Il monumento alpino in Brunico ritorna! Vive tuttora in noi il ricordo di quel sereno, festoso 6 giugno 1937 [sic], allorquando, in Brunico, in una atmosfera di toccante italianit/ venne inaugurato il monumento eretto per gli alpini dell’118, […].«337
Schließlich seien bei der Einweihungsfeier Vertreter aller ANA-Vereinigungen aus ganz Italien anwesend gewesen.338 Zudem galt es auch, den Besuch hoher Staats- und Kirchenvertreter wie beispielsweise den Finanzminister Ezio Vanoni, den General Maurizio Lazzeri, den Militärbischof Alberto Ferrero di Cavallerleone sowie des obersten Präsidenten der ANA, Prof. Mario Balestrieri, hervorzuheben: Durch deren Anwesenheit sei die Divisione Pusteria, »[…] che scrissero con il sangue su tutti i fronti di battaglia la storia eroica delle truppe italiane […]«339, gebührend geehrt worden. Deutlich tritt in diesen Zeilen der einseitige, italienisch-nationalistische Blick auf die Geschichte des Denkmals hervor, um dieses als ein Zeichen der Dankbarkeit Italiens für den Einsatz und die Opferbereitschaft der Alpini zu proklamieren. Der Vorwurf, dass das Denkmal 1943 von »Barbaren« zerstört wurde, steht dabei neben der Aussage, dass dessen erste Version von »1937« bei festlicher Stimmung und zum Stolze der Nation bzw. der ›Italianit/‹ errichtet worden sei. Die Schrecken des Faschismus und dessen nicht minder brutales Kriegs-
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Wege. Die Entwicklung des ethnischen Mediensystems in Südtirol, in: Die ethnisch halbierte Wirklichkeit. Medien, Öffentlichkeit und politische Legitimation in ethnisch fragmentierten Gesellschaften. Theoretische Überlegungen und Fallbeispiele aus Südtirol, Günther Pallaver (Hg.), Innsbruck 2006, S. 41–67, hier S. 42–45 sowie S. 54. Es handelte sich dabei um eine alle zwei Monate erscheinende Zeitschrift der Veteranenvereinigung, die ebenfalls vom Grenzzonenamt mitfinanziert wurde. Deren Ausgaben wurden gratis an die aktiven Alpini- und ANA-Mitglieder der drei Sektionen Tridentina, Orobica und Cadore verteilt. In der Diskussion um das Alpinidenkmal vertrat das Blatt offensichtlich die Ansichten der ANA und sprach sich somit auch vehement für den italienischen Nationalstaat aus, sodass sie zusammen mit der Alto Adige auf einer Seite stand. Die im Folgenden daraus zitierten Artikel werden zeigen, dass der italienischen Nationalismus in der Scarpe grosse allerdings noch einiges unverblümter propagiert wurde. Vgl. Bittschreiben des Präsidenten der ANA-Sektion »Alto Adige-Bolzano« Barello an die PCM – »Divisione Gabinetto«, betr. »Richiesta di contributo per l’attivit/ sul bilancio straordinario della Sezione. […]«, Bozen 26. 7. 1955, in: PCM, Bestand UZC, Sez. III, B. 86, vol. II, Dossier 673.1, »Associazione nazionale degli Alpini Sezione di Bolzano – Sovvenzioni«, Prot. Nr. 0256.55. »Oggi a Brunico l’inaugurazione del risorto monumento all’alpino«, in: Alto Adige, 1. 7. 1951, S. 4. Ebd., S. 4. Ebd., S. 4.
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Abb. 3: Ein Alpinisoldat salutiert vor dem enthüllten Denkmal während der Einweihungszeremonie von 1951, in: Online Bildarchiv des Südtiroler Landesarchivs, Bestand Foto Excelsior – Varini (008), Einweihung des Alpini-Denkmals: Das enthüllte Denkmal, Bruneck 1951, Sig. EXCELSI0002685NSF135.jpg.
treiben in Abessinien werden dabei wohlweislich ausgelassen.340 Dafür dominiert der nationalistisch verzerrte Blick auf die Vergangenheit umso mehr. Ge340 Dass sich die Erste Republik nach 1945 auf allen Ebenen aktiv darum bemühte, dass nirgendwo irgendwelche Denkmale die Schrecken des Abessinienkriegs ins Gedächtnis riefen, zeigt auch eine außenpolitische Affäre, die sich 1955 zwischen Rom und Addis Abeba zutrug: Dabei sollte nach dem Entwurf zweier jugoslawischer Bildhauer ein Mahnmal für die Opfer des Abessinienkriegs mitten in der Äthiopischen Hauptstadt errichtet werden. Das italienische Außenministerium bemühte sich daraufhin den Bau des umstrittenen Steinreliefs zu verhindern, wozu es anfänglich freilich nur Kontakte zum jugoslawischen Botschafter aufnahm und sich einem Dialog mit dem Kaiserreich erst in zweiter Instanz stellte. Die versuchte Intervention blieb allerdings wirkungslos. Anlässlich des kaiserlichen Geburtstags wurden die auf hohen Säulen platzierten Marmorplatten am 3. 11. 1955 auf dem Hauptplatz in Addis Abeba eingeweiht. Vgl. Note des Außenministeriums an die PCM, betr.
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nauso pathetisch äußerte sich die Scarpe grosse zur Eröffnungszeremonie: Die Rede von einer frenetisch jubelnden Menschenmasse zusammen mit dem ehrenvollen Empfang hoch dekorierter Staatsobrigkeiten weißt dabei unverkennbare Parallelen zur faschistischen Darstellungsweise der Feier vom Juni 1938 auf: »La piazza del Monumento, addobbata con festoni tricolori, aveva agli ingressi opposti due archi di trionfo. Due ampie tribune destinate alle Autorit/ erano state erette nella piazza, ed un maestro altare da campo sistematico ai piedi del Monumento. Musiche e fanfare scorrazzavano per le vie della cittadina, mentre per tutte le strade formicolava gente, avviata al luogo della cerimonia. […] Alle 10.30 la piazza del Monumento presenta uno spettacolo imponente e maestoso. Folla enorme e pigiata. Tutte le piF alte Autorit/ hanno preso posto sull’apposita tribuna d’onore e centinaia di invitati sulla tribuna a loro destinata. […]. Le parole dell’Ordinario Militare sono state piF volte interrotte da acclamazioni ed alla fine sono state calorosamente applaudite a lungo. ð il momento della consegna simbolica del Monumento alla citt/ di Brunico.«341
Vergleichsweise nüchtern dazu meldete sich die Dolomiten-Zeitung342 über das neue Monument zu Wort: »Zur Einweihung des vom Grödner Bildhauer Moroder geschaffenen Alpinidenkmals in Bruneck hatten sich im Städtchen an der Rienz zahlreiche bedeutende Persönlich»Monumento dedicato alle vittime del fascismo in Etiopia«. Nota n. 200/6801.T 279 del 18.X.1955«, Prot. Nr. 8402, Rom 5. 12. 1955, in: PCM, Bestand UZC, sez. II, B. 43, vol. II, Dossier 279: »Monumento dedicato alle vittimie del fascismo in Etiopia«, ohne Sig.; Mitteilung des Innenministeriums an die PCM, betr. »Monumento alle vittime del fascismo in Etiopia«, Prot. Nr. 15723.5181.94, Rom 29. 11. 1955, in: PCM, Bestand UZC, sez. II, B. 43, vol. II, Dossier 279: »Monumento dedicato alle vittimie del fascismo in Etiopia«, ohne Sig. 341 »Imponente il risorto Monumento Alpino alla ›Pusteria‹«, in: Scarpe grosse, Juli-August 1951, Jg. 1 Nr. 4, S. 1. 342 Die deutschsprachige Tageszeitung Dolomiten – Tagblatt der Südtiroler ist bis heute im Besitz des Athesia-Verlages, dessen Arbeit gleich nach 1945 wieder aufgenommen wurde. Dank einem dichten Beziehungsnetz innerhalb von Südtiroler Politik- und Wirtschaftskreisen, die auch während dem Faschismus aufrecht gehalten werden konnten, verfügte das Verlagshaus zusammen mit Werbeeinnahmen über ein üppiges Budget, um als deutschsprachiges Gegengewicht zum Alto Adige auftreten zu können. Zudem gelangten in der Nachkriegszeit über die dürftigen Verkehrswege kaum andere Medien des deutschen Sprachraums über den Brenner, sodass die Dolomiten tatsächlich eine Art Monopol innehatte. Überdies waren liberalere Blätter unter dem Faschismus grundsätzlich verboten worden, sodass die Dolomiten die antiitalienischen Ressentiments der Deutschsüdtiroler auch deshalb beinahe ungestört bedienen konnte. Im Gegensatz zur italienischen Tageszeitung waren Chefredakteure wie Michael Gamper oder Friedl Volgger bis in die Mitte der Sechzigerjahre politisch folglich ganz der deutschen ›Volkstumspolitik‹ verschrieben. Unter deren Aufsicht war ferner auch die Redaktion der Dolomiten im Vergleich zum Alto Adige eher klein gehalten – eingestellt wurde nur, wer dem katholisch-konservativen Kurs der Zeitung folgen wollte. Im Verlauf der Nachkriegsjahrzehnte waren allerdings nicht nur die ›Italiener‹ die grundsätzlich Bösen, genauso wurde auch gegen ›links‹ geschrieben: womit vor allem Kommunisten, Sozialisten, Gewerkschaftler und nicht zuletzt auch die 68er-Bewegung ins Visier gerieten. Vgl. Hillebrand, Getrennte Wege, S. 41–44 sowie S. 53.
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keiten des öffentlichen Lebens und viele ehemalige Alpinisoldaten aus verschiedenen Teilen Oberitaliens eingefunden.« Bemerkenswert erscheint dazu ein unscheinbarer Randkommentar zur Rede Vanonis: »Er gedachte aller in den Alpen, in Afrika, in Russland und auf den anderen Kriegsschauplätzen gefallenen Alpini, die eine Hoffnung bedeuteten für ein schöneres Land und ein sicheres Heim.«343
Mit seinen lobenden Worten würdigte der Finanzminister zwar durchaus den angeblich selbstlosen Einsatz der Gebirgstruppen an den genannten Kriegsschauplätzen. Zwischen den Zeilen lässt sich allerdings ebenso herauslesen, dass die Konsolidierung der italienischen Staatsgrenzen weit in die blutige Geschichte der faschistischen Expansionspolitik zurückreichte, bei dessen Angriffskriegen die Alpini stets an vorderster Front mitfochten. Es erscheint zumindest nicht unwahrscheinlich, dass die Dolomiten als das mediale Sprachrohr der Deutschsüdtiroler auch diese zweite Aussage hervorheben wollte. Allein eines neues Denkmal zur Ehre der Alpini war der ANA allerdings noch nicht genug. Der Kapuzinerplatz mit der daran angrenzenden, ehemaligen Kaserne, die mittlerweile als lokales Vereinshaus der Ente nazionale assistenza lavoratori (ENAL)344 genutzt wurde, war nach 1945 zwar bereits zu einem wichtigen Treffpunkt der italienischsprachigen Brunecker geworden. Dennoch sah man das neue Monument vor dem von den Stadtbehörden vorgesehenen Umzonung des Platzes nach wie vor bedroht.345 Konkret befürchtete die ANA zusammen mit dem UZC, dass der Alpino nach dem Umbau allzu isoliert dastünde und somit am Ende als gewissermaßen architektonischer Fremdkörper jeglichen Bezug zur benachbarten Kaserne verlöre.346 Dagegen wurde 1953 ein Projekt in Angriff genommen, mit welchem der Stadtplatz endlich zu einer dem Denkmal angemessenen ›Zona monumentale‹ umgestaltet werden sollte. Der italienische Historiker Giorgio Mezzalira umschreibt die Vision der ANA dazu folgendermaßen: 343 »Enthüllung des Alpinidenkmals in Bruneck. Im Beisein des Ministers Vanoni«, Dolomiten, 2. 7. 1951, S. 7. 344 Bei der ENAL handelte es sich im Wesentlichen um die Nachfolgeorganisation des faschistischen Dopolavoro. 345 Rückblickend schrieb die UZC-Abteilung in Trient zwei Jahre nach der Projekteingabe der ANAvon 1952 nach Rom: »Esisteva infatti qualche tendenza locale, piF o meno decisamente pronunziata, a favorire un destinazione delle aree edificabili ancora disponibili nel piazzale di rimessa automobilistica o a case di abitazione, il che avrebbe portato, a parere della Associazione Alpini, ad isolare sempre piF il Monumento, fino a farlo apparire un corpo estraneo alla estetica e alla funzionalit/ della piazza, allontanabile senza danno al momento opportuno.« Vgl., Mitteilung des Commissariato del Governi per la Regione Trentino-Alto Adige an die »Presidenza del Consiglio dei Ministri«, betr. »A.N.A. – Sezione di Bolzano – richiesta di sovvenzione«, Trento 31. 8. 1954, in: PCM, Bestand UZC, sez. III, B. 87, vol. I, Dossier 694 »Brunico. Monumento all’alpino«, Prot. Nr. 7134, ohne Sig. 346 Oberhollenzer, Alpini-Denkmal und »Kapuziner Wastl« in Bruneck, S. 72; Mezzalira, Geteilte Erinnerungen, S. 151.
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»Das Areal, auf dem es [das Denkmal, SDP] stand, erlangte schnell den Nimbus einer symbolischen Garnison der Italianität, mithin eines verteidigungswu¨rdigen Raumes, eines patriotischen Wallfahrtsortes.«347
Passend dazu war am 12. November 1952 ein Antrag der ANA-Sektion Bozen beim Brunecker Bürgermeister Hans Ghedina348 eingegangen, in welchem der Bau einer Ehrenmauer sowie eines Blumenbeets am Fuße des Denkmal ersucht wurde.349 Um dafür die Kosten von nochmals fünf Millionen Lire abdecken zu können,350 stand die ANA zugleich wieder in engem Kontakt mit dem Grenzzonenamt in Rom, in deren Korrespondenz die dahinterstehende Intention des Bauvorhabens deutlich zum Ausdruck kommt: »Nel proporzionare detto muro di confine, sono stati presi in attento esame e vagliati, vari fattori determinanti. Si H cercato innanzi tutto di dare allo stesso un carattere massiccio di sufficiente robustezza e solidit/ a significare una linea di presidio od opera fortificata a difesa di quei valori spirituali e di tradizione dei quali l’Alpino H costante sentinella e fedele difensore.«351
Dazu war auch das richtige Material für die Gedenkmauer von Bedeutung, um damit die Standhaftigkeit des Alpinidenkmals zu unterstreichen: Das fünf Meter hohe Bauwerk sollte daher aus Granit angefertigt werden: »La scelta dei materiali […] nonch8 la relativa lavorazione adottata, tendono a creare nel robusto muro di fondale, la voluta atmosfera di presidio, di cintura fortificata, che protegga e racchiuda i valori morali e di tradizione dei quali l’Alpino H nel tempo geloso custode e sentinella fedelissima.«352
Wie nicht anders zu erwarten, stieß das Projekt einer solch erweiterten Denkmalanlage in Rom auf offene Ohren, sodass der ANA kurzerhand zwei Millionen Lire zugesprochen wurden.353 Die altbekannte Funktion des Alpinidenkmals als 347 Mezzalira, Geteilte Erinnerungen, S. 151. 348 Goller, Neuorientierung, S. 166. 349 Antrag der ANA-Sektion Bozen an den Bürgermeister von Bruneck, Bozen 12. 11. 1952, in: StadtA Bruneck, Mappe: IX.6 1953–1954, Faszikel Verzeichnis: Alpini Denkmal – Umgebung Sistemisierung, ohne Sig. 350 Projektbeschreibung des Bauingenieurs Luigi Fedeli sowie des Präsidenten der ANA Sektion Südtirol Barello an das UZC in Rom, betrf. »Illustrativa del progetto di massima per il completamento del »Monumento all’alpino« in Piazza Cappuccini di Brunico (Prov. Di Bolzano)«, Bozen 30. 3. 1953, in: PCM, Bestand UZC, sez. III, B. 87, vol. I, Dossier 694 »Brunico. Monumento all’alpino«, ohne Prot. Nr., S. 3, ohne Sig. 351 Ebd., S. 1. 352 Ebd., S. 3. 353 Stellungnahme des »Presidente del Consiglio dei Ministri – Il Sottosegretario di Stato« G. Andreotti, Rom 21. 8. 1953, in: PCM, Bestand UZC, sez. III, B. 87, vol. I, Dossier 694 »Brunico. Monumento all’alpino«, ohne Sig.; Mitteilungsschreiben der PCM an den zweiten Staatssekretär, betr. »Appunto per S.E. il Sottosegretario di Stato«, Rom 17. 1. 1955, in: PCM, Bestand UZC, sez. III, B. 87, vol. I, Dossier 694 »Brunico. Monumento all’alpino«, ohne Sig.
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steinerner Wächter ›italienischer‹ Werte an der nördlichen Landesgrenze wurde in einer internen Stellungnahme des Ministerratspräsidiums sonach erneut bestätigt. Darin schrieb niemand anders als der damals noch zum zweiten Staatssekretär berufene Giulio Andreotti354 : »[…] un’opera destinata ad esaltare le virtF militari del Corpo degli Alpini ed il sentimento patriotico della popolazione italiana di quella zona confinaria; […].«355
Trotz der großzügigen Spende aus Rom wurde die Denkmalanlage der ANA letztendlich aber nie umgesetzt. Ausschlaggebend dafür waren die Beschlüsse des Gemeindeausschusses sowie des Gemeinderats, die sich letztendlich beide gegen die projektierte Gedenkmauer aussprachen.356 Der Grund dafür formulierte Bürgermeister Ghedina dabei noch relativ diplomatisch: In Absprache mit den lokalen Anwohnern und der Baukommission wäre das Projekt zwar grundsätzlich akzeptiert worden. Es müssten allerdings mehrere Vorschläge zum Umbau des Platzes eingereicht werden, damit über diese öffentlich abgestimmt werden könne. Das entsprechende Bauvorhaben müsse letztendlich vom Gemeindeausschuss sowie vom Gemeinderat gutgeheißen werden.357 Das Projekt wurde am Ende aber nicht nur von den beiden Gemeindekammern abgelehnt. Auch die lokale Baukommission sprach sich dagegen aus, da das Areal mit solch einer Gedenkstätte zukünftig nicht mehr hätte anders genutzt werden können.358 Die politischen Vertreter der Stadt Bruneck konnten sich schlussendlich also erfolgreich über den in Rom gefällten Regierungsentscheid hinwegsetzen. Der Beschluss, die Gedenkmauer entgegen den Wünschen der ANA nicht zu bauen, kann somit als eine der ersten Gelegenheiten betrachtet werden, bei welchem die seit 1952 von der Südtiroler Volkspartei (SVP) dominierte 354 Zur propagandistischen Tätigkeit Andreottis im Auftrag des Ministerrats in den führen Fünfzigerjahren siehe auch: Gheda, Paolo/Robbe, Federico: Andreotti e l’Italia di confine. Lotta politica e nazionalizzazione delle masse (1947–1954), Mailand 2015, S. 177–185. 355 Stellungnahme des »Presidente del Consiglio dei Ministri – Il Sottosegretario di Stato« G. Andreotti, Rom 21. 8. 1953, in: PCM, Bestand UZC, sez. III, B. 87, vol. I, Dossier 694 »Brunico. Monumento all’alpino«, ohne Sig. 356 Erstmals zum Ausdruck kam dies in einem Brief der ANA-Sektion Bozen an Hans Ghedina vom 27. 4. 1953, in welchem der Veteranenverein den Brunecker Bürgermeister darum bittet, die Einsprüche der Baukommission und des Gemeinderats doch bitte zu ignorieren, da das Projekt schließlich vom Staat abgesegnet worden sei. Vgl. Brief der ANA an den Bürgermeister von Bruneck, Bozen 27. 4. 1953, in: StadtA Bruneck, Mappe: IX.6 1953–1954, Faszikel-Verzeichnis: Alpini Denkmal – Umgebung Sistemisierung. 357 Brief des Bürgermeisters von Bruneck an die ANA-Sektion Bozen, Bruneck 12. 5. 1953, in: StadtA Bruneck, Mappe: IX.6 1953–1954, Faszikel-Verzeichnis: Alpini Denkmal – Umgebung Sistemisierung, ohne Sig. 358 Schreiben des Bürgermeisters von Bruneck an die ANA-Sektion Bozen, Bruneck 20. 6. 1953, in: StadtA Bruneck, Mappe: IX.6 1953–1954, Faszikel-Verzeichnis: Alpini Denkmal – Umgebung Sistemisierung, ohne Sig.
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Stadtregierung359 sich gegen das Zurschaustellen der ›Italianit/‹ auf kommunaler Ebene zu behaupten wusste.360 Öffentlich sichtbar wurde der in den Fünfzigerjahren losbrechende Streit um die Deutungshoheit des Denkmals erstmals 1956, als der Alpino während der 700-Jahr Feier von Bruneck in den Österreichischen Nationalfarben angemalt wurde. Offensichtlich hielt sich der dadurch verursachte Schaden noch in Grenzen, sodass sich die ANA gegenüber den damit zum Ausdruck gebrachten Gegenpositionen noch erkennbar überlegen fühlte: »A Brunico col solito favore delle tenebre, una notte di questo ottobre H stato imbrattato di bianco-rosso, il nostro monumento all’Alpino. Ne hanno parlato i giornali locali e la stampa nazionale, naturalmente deprecando l’atto insano, se non stupido, dovuto al soliti ignoti ed a mandatari, forse, troppo noti.« Weiter sei der Anschlag nicht weiter ernst zu nehmen: »[…] H come contrappore un moscerino ad una montagna svettante nel limpido sereno.«361
In ihrer Position erst recht gestärkt fühlte sich die ANA, als der italienische Staatspräsident Giovanni Gronchi im Sommer 1957 Bruneck besuchte, um am neuen Denkmal einen Blumenkranz zu Ehren aller gefallenen und noch aktiven Alpini niederzulegen. Begleitet wurde Gronchi dabei abermals von einflussreichen Persönlichkeiten: Beispielsweise vom Verteidigungsminister Paolo Emilio Taviani sowie von Angelo Facchin – ehemaliges Schwarzhemd, Redaktions-
359 Dazu muss beachtet werden, dass die ersten freien Gemeinderatswahlen in Südtirol erst am 25. Mai 1952 erfolgt waren. Mit einer überaus hohen Wahlbeteiligung von 84 Prozent in Bruneck, gingen dabei von 20 Mandaten ganze 14 an die Südtiroler Volkspartei. Die übrigen Mandate teilte sich die Democrazia Cristiana (DC) zusammen mit dem Partito Socialista Italiano (PSI) sowie dem Partito Socialista Democratico Italiano (PSDI). Vgl. Goller, Neuorientierung, S. 166. 360 Stattdessen wurde 1954 auf dem Kapuzinerplatz mit dem Bau eines Gebäudes für die Telefongesellschaft des Veneto – der Telve – begonnen. Obwohl der ANA damit deren erhoffte Gedenkmauer versagt wurde, so zeigte sie sich über den Bau des Telve-Gebäudes zumindest gegen außen hin nicht unzufrieden. Schließlich stammte der Entwurf aus dem Architekturbüro von Guido Pelizzari, der nach seinem Entwurf des ersten Alpinidenkmals von 1938 somit erneut in das Stadtbild Brunecks eingriff. In den offiziellen Stellungnahmen der Scarpe grosse zum Bauprojekt von 1954 ist deshalb nicht etwa von einer Niederlage der ANA die Rede: Zwar habe man sich tatkräftig um den Ausbau der Denkmalanlage bemüht, nun sei dafür aber ein Gebäude für eben jene Telve in Planung, dessen Fassade und Außenbereich dank den Plänen Pelizzaris dem Denkmal sichtbar angepasst würden. Zu guter Letzt werde das Standbild dank dem dadurch entstehenden Personenverkehr vermehrt wahrgenommen. Vgl. Oberhollenzer, Alpini-Denkmal und »Kapuziner Wastl« in Bruneck, S. 72; »Zona Monumento Alpini«, in: Scarpe grosse, Januar 1954, Jg. IV Nr. 1, S. 2; »Monumento Alpino«, in: Scarpe grosse, November-Dezember 1954, Jg. IV Nr. 11–12, S. 5. 361 »Per non dimenticare«, in: Scarpe grosse, Oktober 1956, Jg. VI Nr. 10, S. 2.
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mitglied des Alto Adiges sowie christdemokratischer Abgeordneter der Provinz Bozen.362 Einen ersten deutlichen Schock erlitt die staatliche Selbstinszenierung am Monument daraufhin in der Nacht vom 19. auf den 20. Februar 1959: Nach den offiziellen Feierlichkeiten anlässlich des 150. Gedenkjahrs der ›Tiroler Erhebung‹ um Andreas Hofer hatten Unbekannte eine Rohrbombe zwischen den Füssen des Alpinos platziert, die aufgrund einer Fehlkonstruktion allerdings nicht detonierte. Dennoch aufgerüttelt vom Anschlagsversuch veröffentlichte der Alto Adige in der Ausgabe vom 22. Februar gleich drei Artikel, in denen bestürzt über die versuchte Sprengung berichtet wurde.363 Der deutschsprachige Artikel dieser Ausgabe364 unterstrich sonach vor allem die Standhaftigkeit des Monuments: »Glücklicherweise widerstand der harte Stein dem Zerstörungsversuch, sodass weder Verwundete noch Sachschaden zu beklagen sind.« – und verurteilte den versuchten Anschlag auf schärfste: »Jedes Kulturvolk respektiert die Toten, respektiert sogar den gefallenen Feind. In Südtirol legt man unter die Denkmäler der Gefallenen jener Nation, die auch die Südtiroler zu ihren Staatsbürgern zählt, Sprengstoffladungen. Dabei verlangen wir von den Italienern, dass sie unsere Toten respektieren. Und – zu ihrer Ehre und zur Schande jener, die in Bruneck ihr nächtliches Unwesen treiben und aller Gleichgesinnten – sei es gesagt, die Italiener respektieren unsere Toten. Unsere Gedenkfeiern sind ungestört verlaufen und keiner nahm Anstoß an den Bildern Andreas Hofers, die in diesen Tagen viel Schaufenster und Kästen schmücken.«365
Besonders interessant erscheint hierbei der Versuch des Alto Adige, ihre deutschsprachige Leserschaft für die eigene Sicht auf den Anschlag zu verein362 »Il Capo dello Stato al Monumento Alpino«, in: Scarpe grosse, Juli-August 1957, Jg. VII Nr. 7–8, S. 1; Di Michele, L’Italia e il governo delle frontiere, S. 65–66; Ders.: Tra uffici speciali e amministrazione ordinaria: L’Italia e le zone di confine, in: Qualestoria 38 (2010), S. 21–44, hier S. 23; Hillebrand, Getrennte Wege, S. 44. 363 »Attentato a Brunico«, in: Alto Adige, 22. 2. 1959, S. 1; »Una bomba fra i piedi del monumento all’alpino«, in: ebd., S. 4; »Sprengstoffanschlag auf Alpini-Denkmal«, in: ebd., S. 7. 364 Solch ›fremdsprachige‹ Artikel erschienen im Alto Adige seit 1957. Mit diesem versuchte das italienisch-nationalistische Tagblatt vor allem eine deutschsprachige Leserschaft für sich zu gewinnen, um damit ein Gegengewicht zum Nachrichtenmonopol der Dolomiten zu legen. In den Jahren davor hatte das UZC dies mittels der Herausgabe ganzer deutschsprachiger Zeitungen zu erreichen versucht: darunter beispielsweise die Bozner Zeitung (1946–1947), die Edelweiß (1946–1947), die Südtiroler Wochenzeitung (1946–1948), der Standpunkt (1947–1957) oder schließlich auch die Alpenpost (1949–1950). Diese Tages- und Wochenjournale blieben allerdings allesamt erfolglos, sodass sich das Grenzzonenamt in Rom letzten Endes mit eben jenem deutschsprachigen Artikel in der Alto Adige zufriedengab. Vgl. Romeo, Carlo: Strategie e forme per la »propaganda di italianit/« nell’Alto Adige del dopoguerra, in: D’Amelio, Di Michele, Mezzalira (Hg.), La Difesa dell’Italianit/, S. 231–255, hier S. 234–240. 365 »Sprengstoffanschlag auf Alpini-Denkmal«, Alto Adige, 22. 2. 1959, S. 7.
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nahmen, während die »Unruhestifter« als isolierte Einzeltäter erscheinen.366 Die Dolomiten gewichtete den Vorfall hingegen völlig anders: In den Ausgaben nach der Nacht vom 19. Februar war vom misslungenen Anschlag kaum die Rede. Um einiges wichtiger war dem deutschen Tagblatt der 150. Todestag Andreas Hofers, sodass beinahe ausschließlich über die Feierlichkeiten zu Ehren des Sandwirts berichtet wurde.367 Über den versuchten Denkmalsturz informierte dabei nur ein einzelner Artikel kurz und knapp, wobei das Alpinistandbild lediglich als »eines der zahlreichen Gedenkmäler, die die Italiener in Südtirol errichteten«, bezeichnet wurde. Vielmehr zeigte sich der Artikel darüber verärgert, dass die Alto Adige mit ihrer »deutschen Rubrik« ein entsprechendes Lesepublikum für sich beanspruche. Zudem sei noch vor dem versuchten »Sprengstoffanschlag« ein Schaufenster mit einem Bild Andreas Hofers eingeschlagen worden. Die Aggressionen hätten demnach schon von Anbeginn der Feierlichkeiten an beidseitig bestanden.368 Des Weiteren zog der Dolomiten-Artikel im Gegensatz zum Bericht der Alto Adige etwas weniger voreilige Schlüsse, da die genauen Umstände der Aktion zu diesem Zeitpunkt gar noch nicht festlagen.369 Obwohl es sich im Nachhinein um eine der harmloseren Aktionen am AlpiniMonument handelte, so zeigt sich daran doch bereits eine der wesentlichen Triebfedern der losgebrochenen Denkmaldebatte. Die geteilte Wahrnehmung der Gedenkfeier von 1959 verweist dazu auf das schon damals vorherrschende, polarisierte Geschichtsverständnis der beiden Tageszeitungen: Ruhte der Blick der deutsch-nationalistisch-orientierten Dolomiten ausschließlich auf der Eh366 Im gewohnt militanten Ton der Scarpe grosse nahm die ANA nach dem Vorfall bereits eine weitaus aggressivere Grundhaltung ein und brüstete sich damit, in diesem »heiklen Grenzgebiet« als »Wächterin« der ›Italianit/‹ wahrgenommen zu werden: »Da scarponi coriacei quali siamo, consci azioni del genere come non sono riuscite a scalfire il porfido del Monumento non intaccano per nulla la nostra saldezza morale e spirituale. Che se poi il gesto inconsulto fosse stato volutamente inserito nella campagna di anti-italianit/ subdolamente condotta in questa delicata zona di confine, allora ci sentiremmo maggiormente onorati di essere stati presi di mira quali rappresentati dell’italianit/ in Alto Adige e cik perch8 questo privilegio sentiamo di non demeritare e di essere modestamente degni.« Vgl. »Incoscienza«, in: Scarpe grosse, Februar-März 1959, Jg. IX Nr. 2–3, S. 1. 367 »Südtirol beging das Andenken Andreas Hofers. Erhebende Feierstunden von allen Talschaften am Eisack, Riens und Etsch«, in: Dolomiten, 23. 2. 1959, S. 3 sowie S. 6. 368 »Pustertal. Ein Pulverrohr explodierte vor dem Alpinidenkmal in Bruneck«, in: Dolomiten, 23. 2. 1959, S. 6. 369 Die beiden Täter Max Innerhofer und Erich Erharter wurden erst zwei Jahre später aufgespürt. 1962 wurden sie vor dem Hintergrund weiterer Sprengstoffanschläge in Südtirol vom Bozener Schwurgericht wegen »antinationalistischer Propaganda«, »versuchter Sachbeschädigung« sowie »unerlaubten Herstellung von Waffen« zu 20 Monaten Haft verurteilt. Die Dolomiten betitelte die misslungene Sprengstoffaktion relativ harmlos als »kleine Sprengstoffaffäre« und warf der italienischen Presse vor, den Vorfall »ihrer Ausrichtung entsprechend« nationalistisch aufgebauscht zu haben. Vgl. »Eine kleine Sprengstoffaffäre vor dem Schwurgericht«, in: Dolomiten, 9. 11. 1962, S. 10.
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renperson Hofers, so wusste der Alto Adige als staatliches Sprachrohr jedwede antiitalienische Provokationen als sezessionistische Agitation hochzuspielen sowie den Namen des Jubilars höchstens am Rande zu erwähnen.370 Solch antagonistische Sichtweisen sind unter anderem der damals verpassten Verurteilung bzw. inkonsequenten Ahndung ehemaliger Faschisten sowie Nationalsozialisten im Südtirol der Nachkriegszeit zuzuschreiben.371 Die unterbliebene Entnazifizierung zusammen mit der ebenso unterlassenen Epurazione hatten nicht nur zur Folge, dass in den Redaktionstuben der Südtiroler Medienhäuser zahlreiche ehemalige NS-Kollaborateure und Schwarzhemden arbeiteten.372 Auch besetzten deren ehemalige Mitstreiter und Parteikollegen nach 1945 politische Ämter auf allen Ebenen und verfügten nach wie vor über öffentliche Verwaltungspositionen.373 Eine ideologisch aufgeladene Polemik um das Denkmal erscheint hier demnach unumgänglich. Zudem war die Stimmung Mitte der Fünfzigerjahre unter anderem auch wegen des sog. ›Todesmarschs‹ der 370 Ausgehend von den Überlegungen Umberto Ecos erkennt die italienische Semiotikerin Anna Maria Lorusso gerade in solch einseitigen Wahrnehmungsperspektiven bzw. Lesarten von Denkmälern eine wesentliche Ausdrucksform von Ideologien. Derart verschlossene Diskurse konzentrieren sich dabei auf bestimmte Teilaspekte ihres politischen und sozialen Umfelds sowie von der Geschichte – in diesem Fall von Monumenten – und grenzen dabei andere konsequent aus, um sich davon ausgehend ein selbstreferenzielles, verabsolutiertes Weltbild zusammenzuzimmern. In Südtirol führte diese ideologische Polarisierung dazu, dass sich die beiden Nationalismen grundsätzlich nicht mehr zugänglich waren bzw. sich zusehend weniger miteinander vermitteln ließen. Vgl. Lorusso, Anna Maria: Looking at Culture Through Ideological Discourse, in: Umberto Eco in his own Words, Torkild Thellefsen/Bent Sørensen (Hg.), Boston-Berlin 2017, S. 48–57, hier S. 56. 371 Pallaver, Günther : Schlamm drüber, in: Südtirol – Stunde Null? Kriegsende 1945–1946, Hans Heiss /Gustav Pfeifer (Hg.), Innsbruck 2000, S. 256–281. 372 Wie bereits weiter oben erwähnt, machten sich hier vor allem der Athesia-Präsident Michael Gamper oder der spätere Chefredakteur Friedl Volgger bei den Dolomiten einen Namen. Beim Alto Adige waren es dagegen Angelo Facchin, Vincenzo Errante, Curzio Malaparte oder Renato Cajoli, die als altgediente Faschisten weiterhin ihr nationalistisches Gedankengut verbreiteten. Vgl. Hillebrand, Getrennte Wege, S. 44; Pallaver, Schlamm drüber, S. 270–272. 373 Hierzu beispielsweise die sog. ›Rufacher‹-Gruppe um Alois Sandl, Anton Zelger, Siegfrid Posch, Josef Strobl und Gottfried Alber, die in der Optantenschulde in Rufach-Achern unter dem NS-Regime gearbeitet hatten und nach 1945 in Südtiroler Schulen unterrichteten bzw. zu deren Direktoren ernannt wurden. Zelger war später zudem als Landesrat für das Assessorat für deutsche Schule und Kultur zuständig. Zu nennen sind hier aber ebenso Lehrpersonen wie der spätere Südtiroler Landeshauptmann Alois Pupp, der Mitglied bei der NSDAP war sowie die beiden ehemaligen SS-Angehörigen Stefan Steinmeier und Josef von Aufschneiter. Aber auch auf italienischer Seite erhielten schwer belastete Persönlichkeiten öffentliche Ehrungen und Ämter. So durfte Tolomei seinen Titel als Senator nach 1945 beibehalten und trat nach wie vor als offizieller Regierungsberater auf. Überdies arbeiteten auch seine Mitarbeiter im Archivio per l’Alto Adige weiterhin an der Italianisierung Südtirols: so beispielsweise Guido Canali als Staatsarchivar in Bozen oder Prof. Rusconi als der Leiter des staatlichen Denkmalamtes in Bozen. Vgl. Pallaver, Schlamm drüber, S. 262 sowie S. 274.
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Südtiroler äußerst aufgeladen. Hiernach verbreitete Kanonikus Michael Gamper über einen Dolomitenartikel vom 28. Oktober 1953 die Angst einer unaufhaltsamen Arbeitsmigration aus den südlichen Landesprovinzen, sodass viele Deutschsüdtiroler befürchteten, in ihrer eigenen Heimat schon bald einer marginalisierten Sprachminderheit anzugehören.374 Diese kulturnationalistische Stimmungsmache radikalisierte vor allem diejenigen Südtiroler, welche über die Autonomie hinaus nach politischer Selbstbestimmung verlangten und dem italienischen Staat deshalb grundsätzlich feindselig gegenüberstanden. Genau zu diesem Zweck gründeten diese 1956 den Befreiungsausschuss Südtirol (BAS):375 Mittels Sprengstoffanschläge auf italienische Ämter und Vereinsgebäude, Hochspannungsmasten oder staatliche Denkmäler376 sollte die ersehnte Selbstbestimmung zwischen 1960 und 1969 gewaltsam erreicht werden.377 Es handelte sich dabei um die wohl heißeste Phase des Südtirolkonflikts, die später als die Südtiroler Bombenjahre in die Geschichtsbücher eingehen sollte.378 Diese war neben besagten Anschlägen ferner durch das Foltern von Attentätern in italienischen Staatsgefängnissen, dubiosen 374 Mezzalira, Giorgio: Una seconda italianizzazione forzata? L’immigrazione italiana in Alto Adige dal 1945 al 1955, in: La Difesa dell’Italianit/. L’Ufficio per le zone di confine a Bolzano, Trento e Trieste (1945–1954), Diego D’Amelio, Andrea Di Michele und Giorgio Mezzalira (Hg.), Bologna 2015, S. 131–153, hier S. 170–176; Steurer, Leopold: Südtirol und der Rechtsextremismus. Über »Urangst«-Politik, Geschichtsrevisionismus und rechte Seilschaften, in: Der identitäre Rausch. Rechtsextremismus in Südtirol, Günther Pallaver/ Giorgio Mezzalira (Hg.), Bozen 2019, S. 115–155, hier S. 117–118. 375 Steininger, Rolf: Südtirol zwischen Diplomatie und Terror 1947–1969, Bd. 2: 1960–1962, Bozen 1999, S. 496–512. 376 So wurde 1961 ein Anschlag auf das Geburtshaus Tolomeis verübt sowie das Reiterstandbild in Waidbruck gesprengt. Der Sprengsatz am ›Aluminium-Duce‹ war dabei eine alleinige Aktion der Innsbrucker Zelle, die nicht mit den Südtirolern abgesprochen worden war. Vielmehr wollten diese in einer einzigen Nachtaktion alle ehemaligen faschistischen Denkmäler in die Luft jagen, darunter auch das Alpinidenkmal in Bruneck. Vgl. Pardatscher, Das Siegesdenkmal in Bozen, S. 132; Peterlini, Südtiroler Bombenjahre, S. 101–111. 377 Obwohl der 1956 von Sepp Kerschbaumer, Karl Tietscher und Josef Crepaz gegründete BAS sich ursprünglich nicht vorbehaltlos der Gewalt verschrieben hatte. Das Ziel bestand darin, durch einen gezielten Vandalismus, Demonstrationen sowie mit Flugblättern die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft auf die prekäre Lage der Deutschsüdtiroler zu richten. Zu einer gewaltsamen Organisation – die auch vor der Gewalt gegen Menschen nicht zurückschreckte – entwickelte sich der BAS erst 1958 unter dem Einfluss der Innsbrucker Gruppe um Wolfgang Pfaundler. Endgültig zur ›Attentatsorganisation‹ wurde der BAS sodann 1960, als sich die SVP in der Landtagsversammlung vom 7. Mai gegen die vom ihm geforderte Selbstbestimmung stellte. Es war hier erneut die Innsbrucker-Zelle, die sich mit der Strategie der Attentate durchsetzte. Vgl. Steininger, Südtirol zwischen Diplomatie und Terror, Bd. 2, S. 496–504. 378 So beispielsweise in: Baumgartner, Elisabeth u. a. (Hg.): Feuernacht. Südtirols Bombenjahre: ein zeitgeschichtliches Lesebuch, Bozen 1992; Peterlini, Südtiroler Bombenjahre, Bozen 2005; Ders.: Feuernacht. Südtirols Bombenjahre: Hintergründe, Schicksale, Bewertungen 1961–2011. Bozen 2011.
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Geheimdiensteinsätzen, einem diplomatischen »Notenkrieg«379 zwischen Italien und Österreich, der Infiltration des BAS durch Agents-Provocateurs und neonazistischer Terroristen aus Westdeutschland und Österreich sowie nicht zuletzt von mehreren Todesopfern durchzogen.380 Bruneck blieb zwar anfänglich noch von den Bombenanschlägen des BAS verschont. Erst im Herbst 1966 kam es zu einer Anschlagsserie auf öffentliche Einrichtungen, die vorwiegend von Italienern frequentiert wurden. Zuerst explodierte am 24. Oktober ein Sprengsatz in der ENAL-Bar am Kapuzinerplatz – gefolgt von einem zweiten Anschlag auf ein italienisches Kaffee, durch welchen drei Alpini-Soldaten verletzt wurden. Weitere Attentate folgten danach gegen Ende des Jahres. Beim Ersten davon wurde das Alpinidenkmal am 2. Dezember von der Pustertaler Zelle des BAS381 mit einem Sprengsatz vom Sockel gerissen und zerstört.382 Wie nicht anders zu erwarten, verurteilte der Alto Adige am Tag darauf in zwei Artikeln den Anschlag auf das Alpinidenkmal aufs Schärfste. Besonders nachdrücklich wurde darin eine Kontinuität zum ersten Denkmalsturz von 1943 gezogen, wodurch die Attentäter von 1966 pauschal als Nazis abgestempelt wurden:
379 Steininger, Rolf: Südtirol zwischen Diplomatie und Terror 1947–1969, Bd. 3: 1962–1969, Bozen 1999, S. 565–571. 380 Inwiefern dieser neunjährige ›Freiheitskampf‹ des BAS die Autonomieverhandlungen zwischen Italien, Österreich und Südtirol tatsächlich voranbrachte oder den Paketabschluss von 1969 nicht eher verzögerte bzw. aufs Spiel setzte, war geschichtswissenschaftlich lange umstritten. Steininger zog in der bisher umfangreichsten Analyse des Quellenmaterials allerdings die Bilanz, das am Ende doch Letzteres der Fall war. Freilich blieb auch Steiningers Stellungnahme nicht ohne Kritik einzelner Kollegen – allen voran diejenige KarlHeinz Peterlinis. Im Kern wirft er Steininger einen politisch voreingenommenen Blick auf die BAS-Aktivität vor und erkennt hinter den Anschlägen im komplexen Zusammenspiel mit den langwierigen Verhandlungen zwischen Österreich, Italien und der SVP sehr wohl eine Strategie, die hinsichtlich des Paketabschlusses letztendlich aufging. Die Diskussion ist allerdings auch mit Peterlini bei langem nicht abgeschlossen. Bis heute handelt es sich dabei um ein stark politisiertes Thema der Südtiroler Zeitgeschichte, das je nach Herangehensweise unterschiedlich bewertet wird. Vgl. Steininger, Südtirol zwischen Diplomatie und Terror, Bd. 3, S. 842; Peterlini, Südtiroler Bombenjahre, S. 344–348. 381 Nach längerer Fahndung fand die Polizei in Mühlen im Tauferertal ein Sprengstoff- und Schusswaffendepot der besagten Gruppe um Lina Steger, David Oberhollenzer, Johann Auer und Robert Forer. Neben den Anschlägen in Bruneck wurde ihnen zudem ein Attentat auf eine Carabinierikaserne in Bozen zur Last gelegt. Vgl. »Flugzettel, Waffen und Sprengstoff gefunden«, in: Dolomiten, 17. 3. 1967, S. 1; »Weitere vier Festahmen«, in: Alto Adige, 16. 3. 1967, S. 9. 382 Zwei weitere Anschläge in Bruneck erfolgten kurz darauf am 17. Dezember im Gasthaus Stella Alpina sowie auf den Geräteschuppen eines Eisenbahnerhauses. 1967 forderte sodann ein vorläufig letzter Sprengsatz am Eingang des Gasthauses Rosticceria Veneta fünf Verletzte. Vgl. Goller, Neuorientierung, S. 171–172.
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»Per i nazisti il monumento all’Alpino, in Brunico, H sempre stato una spina negli occhi: […]. Nel 1943 assunto il controllo della provincia, i nazisti lo abbatterono nella notte fra il 9 e il 10 settembre, […]. Forse erano quelli stessi che hanno adoperato ieri notte l’esplosivo.«383
Außerdem hätte es sich um eine Aktion von Einzeltätern gehandelt, welche der Brunecker Bevölkerung grundsätzlich fern stünden. Diese unterstütze stattdessen voll und ganz die Alpini und verurteile die Sprengaktion dementsprechend.384 Zudem seien die Brunecker von der gewaltigen Explosion – die Fensterscheiben der den Platz umgebenden Gebäude lagen allesamt in Scherben – erschrocken aufgewacht und somit um ihren Schlaf gebracht worden. Der Anschlag wurde somit als eine unwillkommene Ruhestörung in einem ansonsten idyllischen Städtchen geschildert. Ferner wären auch die Alpini-Soldaten in der naheliegenden Kaserne aufgeschreckt worden, die sich gerade von einem harten Wintereinsatz für die hilfsbedürftigen Berggemeinden des Gadertals am Erholen waren.385 Dem zivilschützerischen Engagement habe der Anschlag demnach ebenfalls keinen Respekt gezollt. Ferner seien aus ganz Italien Solidaritätsbekundungen eingetroffen: so vom Ministerpräsident Aldo Moro, von den italienischen Gewerkschaften sowie vom MSI-Südtirol, der dieses »attentato terroristico« als ein Affront gegen die Opferbereitschaft der »glorreichen« Alpini verstand.386 Vor allem betonte der Alto Adige, dass Innenminister Paolo Emilio Taviani den Wiederaufbau des Denkmals bereits wieder angekündigt hatte.387 Die Dolomiten bestätigte das von Taviani angekündigte Bauvorhaben ebenfalls, schrieb allerdings nach wie vor in kurzen und distanzierten Worten von der Detonation.388 Dafür ist aber erstmals von »Attentätern« die Rede, sodass die Aktion nicht mehr wie diejenige von 1959 als ein simpler Lausbubenstreich kleingeredet wurde. Im Kontext der kurz zuvor verübten Anschläge in Bruneck 383 »Distrutto da una carica di tritolo il monumento all’alpino a Brunico«, in: Alto Adige, 3. 12. 1966, S. 1 sowie S. 16. 384 »Il monumento torner/ dov’era«, in: Alto Adige, 3. 12. 1966, S. 4. 385 »Distrutto da una carica di tritolo il monumento all’alpino a Brunico«, in: Alto Adige, 3. 12. 1966, S. 1 sowie S. 16. 386 »Il monumento torner/ dov’era«, in: Alto Adige, 3. 12. 1966, S. 4. 387 »Distrutto da una carica di tritolo il monumento all’alpino a Brunico«, in: Alto Adige, 3. 12. 1966, S. 16. 388 Deutlich weniger hielt sich die Dolomiten zwei Jahre später zurück, als es beim vierten Südtirolprozess in Bologna am 14. 5. 1969 zur Verurteilung mehrerer BAS Attentäter kam. Als »unfassbar« wurde das vor dem Hintergrund der zurückliegenden »Bombenjahre« gefällte Gerichtsurteil bezeichnet, bei dem sich für die Denkmalsprengung David Oberhollenzer verantwortlich zeigte. Seine Haftstrafe wurde auf 27 Jahre und zehn Monate festgelegt. Die Anklage sah im Anschlag ein direkter Angriff »auf die Einheit des Staatsgebietes«, der die »öffentliche Unversehrtheit« gefährdet hätten. Nichts weniger als ein »Blutbad« sei damit in Kauf genommen worden. Vgl. »Pusterer-Prozess: Unfaßbares Urteil«, in: Dolomiten, 16. 5. 1969, S. 1–2, hier S. 1.
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wurde das aggressive Vorgehen des BAS daher ebenfalls abgelehnt – wenn auch nur zwischen den Zeilen und mit einem im Vergleich zum Alto Adige ungleich teilnahmsloseren Vokabular.389
Von der zweiten Wiedererrichtung bis zur dritten Zerstörung: 1966–1979 Rund zwei Wochen nach dem Anschlag stand der notdürftig reparierte Alpino aber wieder auf seinem Sockel. In der Dolomiten war am Folgetag der Einweihungszeremonie vom 19. Dezember zu lesen: »In einer Rekordzeit von nur vierzehn Tagen sind die durch einen Sprengstoffanschlag zertrümmerten Teile eines Alpinidenkmals in Bruneck – im Volksmunde als ›Kapuzinerwastl‹ bekannt – wieder zusammengefügt und mit den fehlenden, bzw. beschädigten Teilen ergänzt worden, sodass gestern die neue Einweihung der reparierten überdimensionalen Statue erfolgen konnte. Nationalistische Kreise hätten die Feier gerne mit einem Massenaufgebot zur Demonstrierung der ›Italianit/‹ unterstrichen. Dazu ist es aber nicht gekommen. Nur an die Tausend Teilnehmer wurden gemeldet.«390
Dass das deutschsprachige Tagblatt dem reparierten Denkmal nach wie vor negativ gegenüberstand, ist bereits am Urteil einer »überdimensionalen Statue« klar zu erkennen. Zudem wurde aber auch die Zeremonie von dessen Wiederaufbau möglichst bescheiden dargestellt, da sie als eine misslungene Feier der italienischen Nationalisten beschrieben wird. Wogegen die Alto Adige eine gänzlich andere Sichtweise auf das Monument vertrat, deren Wortlaut wiederum stark an die Propagandasprache der ersten Denkmalfeier von 1938 erinnerte – was durch deren beinah gleichen Ablauf vom Enthüllen des Standbildes vor einer versammelten Menschenmenge und hohen Staatsvertretern, über das Niederlegen von Blumenkränzen bis hin zur Messe an dessen Sockel überdeutlich ins Auge springt.391 In stolzen Worten schrieb die Alto Adige also sehr wohl von einer geglückten Feier zu Ehren der italienischen Nation: »Poco prima del mezzogiorno la piazza era ghermita di folla e di divise: c’erano centinaia tra cui gli alunni delle scuole, c’era la fanfara del ›sesto‹ reggimento alpini con un reparto in armi che rendeva gli onori, c’erano con i loro labari, le rappresentanze di organizzazioni combattentistiche e d’arma venute non solo da molti centri della provincia ma anche da molte citt/ italiane. […] Sulla piazza s’H fatto silenzio quando il grande drappo tricolore H scivolato sui fianchi della statua, fermandosi ai suoi piedi, 389 »Alpinidenkmal am Kapuzinerplatz zerstört«, in: Dolomiten, 3. 12. 1966, S. 5. 390 »Italica civilt/«, in: Dolomiten, 20. 12. 1966, S. 10. 391 Der dermaßen durchorchestrierte Ablauf wurde so auch bewusst von der Alto Adige und der ANA hervorgehoben. Vgl. »l’Alpino al suo posto«, in: Alto Adige, 20. 12. 1966, S. 1 sowie S. 14, hier S. 14; »Riconsacrato il Monumento Gloria degli Alpini d’Italia«, in: Scarpe grosse, Dezember 1966, Jg. XVI Nr. 12, S. 4.
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[…]: c’era in tutti la commozione intensa dinanzi a questo simbolo […] che H tornato al suo posto a testimoniare la continuit/ della presenza italiana in Alto Adige, ben espressa dalla lapide murata ai piedi: ›Barbaro crimine infranse 2/12/1966 – italica civilt/ ricompose 19/12/1966.‹«392
Die hier angesprochene neue Plakette, nach welcher die »italienische Zivilisation« über die »barbarischen Verbrechen« triumphiert habe, erinnert unweigerlich an den faschistischen Glaubenssatz am Architrav des Siegesdenkmals in Bozen, der ebenfalls den ›Siegeszug‹ der italienischen ›Kultur‹ über die nördlichste Grenzregion verkünden sollte. Der Vergleich zum Faschismus ließ in der Dolomiten sonach nicht lange auf sich warten: »Die dabei verwendete Phraseologie erinnert mit ihrem ›barbaro‹ und ›italica civilt/‹ zu offenkundig an jene, die die Faschisten unseligen Angedenkens in Südtirol ständig im Mund geführt haben.«393
So wurde die faschistische Symbolik des ursprünglichen Alpinidenkmals stellenweise tatsächlich nochmals reproduziert. Selbst der einnehmende Blick des gegen die »Vetta d’Italia« marschierenden Gebirgssoldaten wurde von der ANA erneut hervorgehoben: »[…], l’Alpino di Brunico ha ripreso ad ammirare con occhio vigile e penetrante la cima della Vetta d’Italia.«394 Bei genauerem Hinsehen fällt indes auf, dass innerhalb dieses nach 1966 quantitativ stark zugenommenen Diskurses um das Denkmal verschiedene Lesarten versucht wurden. Um sich der öffentlichen Akzeptanz für das Monument – bzw. für dessen offiziellen Aussagegehalt als Symbol der Italianität – fortan sicher zu sein, bemühten sich vor allem die anwesenden Staatsvertreter darum, neben den beiden nationalistischen Sichtweisen eine dritte Interpretation anzubieten. Es handelte sich dabei um eine weniger aggressiv daherkommende Erzählung: Der wiedererrichtete Alpino stünde sonach nicht nur für den unermüdlichen Einsatz der Gebirgstruppe zu Kriegs- sondern ebenso zu Friedenszeiten. Der italienischen Zivilbevölkerung würde daher gerade in Südtirol wertvolle Hilfe geboten: Beispielsweise bei einer Flut im Tauferer Ahrntal, bei der gerade erst zwei junge Alpini ums Leben gekommen waren. Das Denkmal sei demnach speziell auch diesem selbstlosen Einsatz gewidmet. Mit den dankbaren Talbewohnern stehe der Anschlag auf das Denkmal demnach in keinem Zusammenhang – so der ANA-Präsident der Sektion Bozen Barello in seiner Rede.395 Ähnlich – allerdings einiges schärfer im Tonfall – äußerte sich dazu der 392 »l’alpino al suo posto«, Alto Adige, 20. 12. 1966, S. 14. 393 »Italica civilt/«, Dolomiten, 20. 12. 1966, S. 10. 394 Riconsacrato il Monumento Gloria degli Alpini d’Italia«, in: Scarpe grosse, Dezember 1966, Jg. XVI Nr. 12, S. 4. 395 »Riconsacrato il Monumento Gloria degli Alpini d’Italia«, S. 4; »l’Alpino al suo posto«, in: Alto Adige, 20. 12. 1966, S. 14.
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aus Rom angereiste Unterstaatssekretär Leonetto Amedei, der die Attentäter explizit als von außen kommende, nazistische Unruhestifter brandmarkte, denen die vereinte Willens- und Kulturnation Italien unbeirrt entgegenstünde.396 Die Attentäter würden sich durch ihre Aktion schließlich nur selber schaden, da sie letztendlich die dem Südtirol zugesprochene Autonomie aufs Spiel setzten: »La Costituzione della Repubblica Italiana […] che deve essere osservata da tutti i cittadini italiani, prevede larghe autonomie per alcune minoranze. Questi attentati non servono certo ad allargare il respiro di queste autonomie n8 si speri che costituiscano il mezzo per raggiungere. E se queste manifestazioni cos' odiose dovessero essere conseguenza dello spirito che pare crearsi fuori dei nostri confini per l’affermazione di una ideologia che tante infamie e tanti lutti a causato all’umanit/, dobbiamo essere tutti stretti e uniti per respingere questa ideologia che crea l’odio; […] l’Italia non H una espressone retorica, ma una nazione che puk e deve raggiungere traguardi di civilt/ e di cultura, i soli che veramente possono rendere grande e socialmente ben costruito il nostro popolo.«397
Der zusammengeflickte Alpino zeigte sich freilich alles andere als standhaft: Das wacklige Konstrukt musste schon bald ersetzt werden und wurde deshalb sicherheitshalber in eine bei Cuneo gelegene Kaserne gebracht.398 Die Kopie des zweiten Denkmals wurde danach vom Steinhauer Serafino Girlando aus Kalk-
396 Die ANA bestätige dieses Narrativ ebenfalls und ging in einem Artikel der Scarpe grosse soweit, dass das Denkmal als Zeichen der Freundschaft aller Gebirgstruppen – nicht nur der italienischen – errichtet worden wäre: »Ma chi ci pensava! Chi poteva pensare che quel povero Alpino di sasso, messo l/ con la mano stesa in segno di amicizia per onorare tutti i montanari caduti, e non solo gli italiani, potesse da fastidio ai delinquenti di oltre Brennero.« In derselben Ausgabe war man sich dann aber doch nicht zu schade, um den »heroischen« Kampf der Alpini um die Brennergrenze nochmals in einem Liedtext zu unterstreichen: »Quei confini sacrosanti / conquistato con onore, con eroici sacrifici / e con atti di valore, // che qualcuno in malafede / vuole porre in discussione […].« Vgl. »Natale di pace 1966!«, in: Scarpe grosse, Dezember 1966, Jg. XVI Nr. 12, S. 2–3, hier S. 2; »Rasereide [sic] di fine d’anno«, in: ebd., S. 3. 397 Die Einweihungsrede Amedeis, Bruneck 19. 12. 1966, zitiert in: »Riconsacrato il Monumento Gloria degli Alpini d’Italia«, Scarpe grosse, Dezember 1966, Jg. XVI Nr. 12, S. 4; Auch die Dolomiten druckte eine Passage der Rede auf Deutsch ab: »Wenn diese hässlichen Taten noch dazu als Folge eines Ansporns anzusehen sind, der außerhalb unserer Grenze seinen Ausgang nimmt und jene niederträchtige Ideologie wachruft, die nicht nur in unserem Land, sondern in ganz Europa Trau- [sic] und Schrecken verursacht hat, dann müssen wir selbst uns enger zusammenschließen und bereit sein, sie zurückzudrängen, weil es eine Ideologie ist, die auf dem sandigen Erdreich des Hasses aufgebaut ist.« Vgl. »Alpinidenkmal in Bruneck eingeweiht«, in: Dolomiten, 20. 12. 1966, S. 10. 398 Ging es nach der Dolomiten, so war das neu zusammengesetzte Denkmal deswegen von seinem alten Standort entfernt worden, weil es den »Unbilden des Wetters nicht mehr standhalten konnte.« Vgl. »Alpinidenkmal in Bruneck enthüllt«, in: Dolomiten, 1. 7. 1968, S. 8.
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stein angefertigt.399 Am 30. Juni 1968 wurde die neue Statue auf dem Kapuzinerplatz aufgestellt. Die Diskussion um den Aussagegehalt des Denkmals war nach 1966 allerdings einiges vielseitiger geworden, sodass angesichts des angekündigten Wiederaufbaus – und der damit einhergehenden Zeremonie – nun auch bislang ungehörte Stimmen vernehmbar wurden. Einen Tag vor der Einweihungsfeier machte sich so eine Gruppe junger Studenten in einer Protestnote bemerkbar, denen der Brunecker Schriftsteller Norbert Kaser das Wort redete. Ihr Anliegen bestand darin, sich zwischen den festgefahrenen, nationalistischen Fronten zu positionieren, um sich im Sinne der 68-Bewegung für eine kulturell offene und tolerante Gesellschaft zu engagieren.400 Grundsätzlich stellten sie sich weder gegen das Denkmal noch gegen die zivilschützerischen Einsätze der Alpini.401 Dafür verurteilten sie sowohl das militaristische Gehabe der ANA als auch den ›Terrorismus‹ des BAS in aller Schärfe: »Wir sind nicht eigentlich gegen das Denkmal, sondern gegen den nationalistischen Geist, der von der Veranstaltung ausgeht und das politische Klima der Stadt nur noch mehr verschlechtert. Wir sind auch gegen den Nationalismus von deutscher Seite, der sich im Terrorismus ausdrückt. Beide Nationalismen stammen aus verfehlter historischer Sicht und nähren sich gegenseitig. Sinnlos erscheint uns auch der hochgespielte Militarismus, der keine Früchte trägt und auf verzerrten historischen Tatsachen beruht. Wir sind gegen jeden Pseudoheroismus. Wir respektieren das Heer, wenn es Sinnvolles leistet. Wir danken für seine Einsätze in Katastrophen. Wir sind gegen: Deutschen Nationalismus, Italienischen Nationalismus, ›Rassentrennung‹, Militarismus. Wir sind für : Freiheit von toten Ideen, Frieden unter uns, Freundschaft.«402
Der Protest wurde indes von den tonangebenden Tageszeitungen kaum ernst genommen. Die Dolomiten erwähnte die Demonstration der Brunecker Jugend am Rande der Einweihungsfeier nur kurz am Ende ihres Berichts: »Eine Gruppe deutscher und italienischer Studenten ironisierte am Samstag die Denkmalenthüllung durch die Verstreuung von Flugblättern auf ihre Art.«403 Die Nach399 Oberhollenzer, Alpini-Denkmal und »Kapuziner Wastl« in Bruneck, S. 72. 400 Goller, Neuorientierung, S. 172. 401 An die Adresse der ANA verfasste Kaser überdies ein Gedicht, dass eben jenes nationalistische Getue um den Alpini anklagte: »tote italien. alpenjaeger / lassen grueßen / die lebenden / hoert so schon jeder // tote italien. alpenjaeger / lassen melden / die befehle / waren erfuellt und das leben // tote italien. alpenjaeger / liegen im schutt / die lebenden / baun standbilder draus // tote italien. alpenjaeger / sind nur noch bein / daraus wird ruhm gebastelt / der ihnen sehr viel nuetzt.« Vgl. Kaser, Nobert C.: »alpenjäger«, 29. 6. 1968, in: Mein hassgeliebtes Bruneck. Ein Stadtportrait in Texten und Bildern, Joachim Gatterer (Hg.), Innsbruck 2017, S. 141. 402 Flugblatt »Gegendemonstration« von Norbert C. Kaser, Bruneck 29. 6. 1968, in: Mein hassgeliebtes Bruneck, S. 46–47. 403 »Alpinidenkmal in Bruneck enthüllt«, in: Dolomiten, 1. 7. 1968, S. 8.
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richtenblätter beider Sprachlager waren stattdessen mehr darum bemüht, ihre eigene Version der mittlerweile dritten Einweihungsfeier zu verbreiten. Die kritischen Zwischenrufe der jüngeren Generation fanden dabei kaum Gehör. Zusammen mit der Denkmalkopie wurde zugleich auch der Umbau des Kapuzinerplatzes nach den Plänen Pelizzaris fertiggestellt. Der Alpino wurde hierzu auf einen neuen Sockel gestellt, der visuell vor allem durch eine neue Plakette auffiel. Diese zierten die Worte: »ALLA GLORIA IMPERITURA DEGLI ALPINI 1938, 1951, 1966, 1968«, womit deren Aussage nun einiges versöhnlicher daherkam als diejenige von 1966. Zudem wurden die Spoilen vom Schlachtfeld bei Mai Ceu sowie von der Ausgrabungsstätte Sebatum nicht mehr eingesetzt.404 Auf den bisherigen Bezug zum faschistischen – und angeblich römischen – Expansionismus wurde somit offiziell verzichtet.405 Entsprechend versuchten auch die anwesenden Politiker und Würdenträger in ihren Einweihungsreden erneut eine Lesart des Denkmals, die es dem faschistischen Ursprungs seines Vorvorgängers entledigen sollte.406 Der Landespräsident der ANA Ugo Merlini wusste daher in seiner Ansprache besonders die Absicht der Feier als eine anbgeblich gut gemeinte Versöhnungsgeste zu unterstreichen: »Siamo qui per una cerimonia di grande pace anche per ricordare i Caduti di questa valle. AffinchH [sic] su pacifichino gli animi e non succeda piF quanto H successo.«407 Daraufhin legte Barello nach: »Questo monumento H sorto ad omaggio e ricordo di tutti coloro che non sono tornati.«408 Dem ANA-Präsidenten aus Bozen ging es demnach darum, das Denkmal nicht mehr ausschließlich den italienischen Alpini zu widmen, sondern damit stattdessen dem Einsatz aller Gebirgstruppen sowie speziell deren Gefallenen zu gedenken. Gleiches ließ zuvor auch Ghedina verlauten: Mit Nachdruck dankte er allen Soldaten, die im Gebirge ihren Dienst erfüllten.409 Die Dolomiten unterließ es im Gegensatz zum Alto Adige dabei allerdings nicht, auch auf die mit erhobenem Zeigefinger gesprochenen Worte Barellos
404 Oberhollenzer, Alpini-Denkmal und »Kapuziner Wastl« in Bruneck, S. 72. 405 Immerhin war die für die Aufschrift der neuen Plakette verwendete Wortwahl der »GLORIA IMPERITURA« nach wie vor die gleiche wie diejenige für die eingemauerte Schriftrolle von 1951, welche sich – wie weiter oben bereits erwähnt – auffallend nah an einem Mussolini Zitat Tolomeis bewegte. Die angeblichen Dankesworte des »Duces« hatte er in einem Archivio-Artikel über das Alpinidenkmal von 1938 verwendet: »Per la conquista dell’impero voi avete scritto una pagina imperitura di gloria.« Vgl. Tolomei, »La gloriosa Divisione ›Pusteria‹«, S. 328. 406 Goller, Neuorientierung, S. 172. 407 »Un simbolo per i soldati dalla montagna«, in: Alto Adige, 1. 7. 1968, S. 1 sowie S. 10, hier S. 10. 408 Ebd., S. 10. 409 Ebd., S. 1.
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aufmerksam zu machen: So zitierte sie ihn in ihrem Artikel in deutscher Sprache: »Viele sind gekommen, großzügig wie immer, ohne Absicht zu beleidigen. Zeugnis abzulegen, dass man vergeben, nicht aber vergessen kann, und dass man mit ihrer Großzügigkeit und sprichwörtlichen Geduld nicht spekulieren darf.«410
Dem deutschen Tagblatt gemäß handelte es sich bei den italienischen Friedensbekundungen demnach mitnichten um ein bedingungsloses Vergeben gegenüber der Denkmalsprengung. Ganz dem staatlichen Versöhnungskurs folgend, verwendete hingegen die Alto Adige erstmals kritische Worte gegenüber dem ersten Denkmal von 1938 bzw. gegenüber den politischen Umständen der damaligen Zeit: »Sorse [das neue Denkmal, SDP] al posto di quello inaugurato nel ,38 e divelto nel 1943, senza ripetere intenzionalmente la primitiva figura dell’›Alpino‹, che esprimeva la realt/ di quei tempo.«411
Um der Enthüllungszeremonie den Eindruck einer harmonischen Landesfeier zu verleihen, war im selben Artikel außerdem zu lesen, dass nicht nur die Talbewohner am Spektakel teilnahmen, sondern zehntausende Zuschauer aus anderen Landesregionen zusammen mit verschiedensten Alpinidivisionen – darunter angeblich auch Vertreter einer Schweizer Gebirgstruppe – dem Monument ebenfalls Beifall zollten.412 Unbeirrt nationalistisch gaben sich hingegen die Scarpe grosse. Das Vereinsorgan ließ schon in der Ausgabe vor der Einweihungsfeier deren Lesart des Denkmals verlautbaren, nach welcher es nach wie vor als ein Zeichen der unverrückbaren Staatsgrenzen Italiens südlich des Alpenkamms dastehe: »Gli Alpini che converranno a Brunico, per la terza volta, rendendo omaggio ad uno di simboli ad essi piF cari, si specchieranno nella forza serena dell’›Alpino roccia‹, che sta inerme ma possente ed il cui sguardo volge, ancora e sempre, a quella Vetta d’Italia che H confine intangibile della Patria.«413
Im nächsten Heft wurde die Rede Barellos zwar brav abgedruckt und nochmals bestätigt, allerdings nicht ohne dabei die ungebrochenen Werte der Vaterlandsliebe zu betonen:
410 411 412 413
»Alpinidenkmal in Bruneck enthüllt«, in: Dolomiten, 1. 7. 1968, S. 8. »Un simbolo per i soldati dalla montagna«, in: Alto Adige, 1. 7. 1968, S. 10. Ebd., S. 1; »In diecimila ai piedi del monumento all’alpino«, in: Alto Adige, 1. 7. 1969, S. 2. »Il nuovo monumento Alpino«, in: Scarpe grosse, Mai-Juni 1968, Jg. XVII Nr. 5–6, S. 1.
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»Il nuovo Alpino in pietra del Carso H e sar/ un simbolo di continuit/ per gli ideali e i proposti degli alpini, un simbolo che li accomuna nell’amore alla propria Patria e li sostiene nell’adempimento del dovere.«414
Gewiss kann der anlässlich der Einweihungsfeier von 1968 teilweise eingeschlagene Versöhnungskurs als ein Vorzeichen auf den im Folgejahr vereinbarten Paketfrieden zwischen Rom und der SVP gedeutet werden. Jedenfalls sollte den beschwichtigenden Worten auf dem Kapuzinerplatz tatsächlich ein gewisses Gewicht zukommen: Immerhin ereignete sich dort in den nächsten elf Jahren kein nennenswerter Zwischenfall mehr.415 Generell lässt sich für die Zeit nach dem Paketabschluss und dem Inkrafttreten des zweiten Autonomiestatuts von 1972 in ganz Südtirol eine optimistische Aufbruchsstimmung feststellen,416 sodass nicht zuletzt auch deutsch-nationalistische Aktivisten die nach wie vor präsenten faschistischen Machtzeichen als weniger bedrohlich wahrgenommen haben dürften. Ferner lösten sich in diesen Jahren auch die verschiedenen – teils zerstrittenen – Lager des BAS auf, sodass dessen Anschlagsserien letztendlich ein Ende fanden.417 Dennoch wurde das Alpinidenkmal am 11. September 1979 per Zeitzünder ein zweites Mal gesprengt. Zur Tat bekannte sich diesmal der »Tiroler Schutzbund«, dessen Mitglieder nie wirklich gestellt wurden.418 Neben dem »Tiroler 414 »Diecimila Penne Nere a Brunico per l’inaugurazione del nuovo ›Alpino‹«, in: Scarpe grosse, Juli-August 1968, Jg. XVII Nr. 7–8, S. 1. 415 Obschon die staatlichen Denkmalbehörden das Alpinidenkmal zusammen mit dem Siegesdenkmal weiterhin wachsam im Auge behielten. Nicht von ungefähr definierte das Dekret Nr. 48 des Staatspräsidenten vom 20. 1. 1973 insgesamt 31 Kulturdenkmäler, die auch nach dem in Kraft treten des zweiten Autonomiestatut von 1972 als »Güter des geschichtlichen und künstlerischen Vermögens von gesamtstaatlichen Interesse […].«, weiterhin von der Landeszuständigkeit ausgeschlossen bleiben sollten. Neben vor allem alten Kirchen und römischen Fundstätten waren davon nur zwei moderne Bauwerke betroffen: das Siegesdenkmal in Bozen sowie das Alpinidenkmal in Bruneck. Erst nach der Verabschiedung dieses Dekrets – bzw. unter dessen Vorbehalt – übertrug der Staat per Dekret Nr. 690 vom 1. 11. 1973 den Denkmalschutz zusammen mit der Denkmalpflege direkt der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol. Für die staatliche Denkmalverwaltung in Trentino und Südtirol war ab 1975 sodann das »Ministero per i beni culturali e ambientali« in Verona zuständig. Vgl. Schneider, Samantha: Der Repräsentationsbau des Faschismus in Südtirol, ungedr. Phil. Dipl., Innsbruck 1996/97, S. 16–18. 416 Goller, Neuorientierung, S. 174. 417 Peterlini, Südtiroler Bombenjahre, S. 317. 418 Der »Tiroler Schutzbund« bekannte sich zudem zu einem Sprengsatz am Ossarium bei Burgeis vom 31. März 1978, zum ersten Anschlag auf das Siegesdenkmal in Bozen vom 30. September 1978, zur Explosion einer der Pfarrkirche in Frangart vom 2. Oktober 1978, zur Sprengung des Grabmals Tolomeis vom 9. März 1979 sowie zu weiteren Attentaten auf Sozialbauten im Sarntal, Strommasten im Vinschgau und auf Elektrizitätswerke bei Schluderns. Die nunmehr dritte Detonation des Alpinidenkmals bildete somit das Ende einer erneuten, langwierigen Anschlagsserie. Vgl. Peterlini, Südtiroler Bombenjahre, S. 319; »Le dieci azioni di dinamitardi«, in: Alto Adige, 12. 9. 1979, S. 1.
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Schutzbund« traten zur selben Zeit zudem diverse neue, italienisch-nationalistische Organisationen wie die Associazione Protezione Italiani (API) oder die Movimento Italiani Alto Adige (MIA) aufs Parkett.419 Innerhalb eines »Dialogs mit Detonationen«420 verübten diese ebenfalls Anschläge auf ausgewählte Wahrzeichen Deutschsüdtirols.421 Diese erneute Welle der Gewalt war Ausdruck einer politischen und sozialen Unzufriedenheit beidseits der Sprachlager, die sich vor dem Hintergrund einer sich Ende der ›Goldenen Siebzigerjahre‹ verschärfenden Wirtschaftsrezension in Südtirol zuspitzte.422 Freilich handelte es sich bei solchen Gewaltaktionen aber stets um Extrempositionen, die bei Weitem nicht von allen eingenommen wurden. Folglich zeigte sich ein Großteil der Brunecker Bevölkerung mit dem unzeitgemäßen Denkmalsturz alles andere als einverstanden.423 Vielmehr war ihr einhergehend mit dem Ende der Denkmaldebatte an einer friedlichen Koexistenz beider Sprachgruppen gelegen. Stellvertretend dafür steht die Stellungnahme des Brunecker Bürgermeisters Haymo Von Grebmer zur Anschlagsserie von 1979: »Gewalt erzeugt meistens Gegengewalt und dies müssen wir alle einheilig [sic] ablehnen, denn unser schwieriges Zusammenleben darf nicht mit den jetzt angewandten Gewaltmethoden wieder zunichte gemacht werden. Wer Gewalt sät, erntet Gewalt und
419 Solch staatstreue Bewegungen und Organisationen gewannen nach 1972 in Südtirol deutlich Zulauf, da mit dem Ende der Region Trentino-Südtirol bzw. der Schaffung der Autonomen Provinz Bozen die Italiener zu einer ethnischen Minderheit in der Brennerregion abgestiegen waren. Um sich gegen die befürchtete Übermacht der deutschen Sprachgruppe zu wehren, die sich unter anderem aufgrund des beschlossenen Grundsatzes der linguistischen Proportionalität ergab, suchten viele Italienische Bürger die Nähe zum italienischen Nationalismus. Vgl. Pallaver, Günther : South Tyrol. From an Ethnic to a New Territorial Cleavage, in: Challenges for Alpine Parties. Strategies of Political Parties for Identity and Territory in the Alpine Regions, Ders./Claudius Wagemann (Hg.), Innsbruck 2012, S. 101– 127, hier S. 106–107; Peterlini, Südtiroler Bombenjahre, S. 321–322. 420 Peterlini, Südtirol Bombenjahre, S. 321. 421 Beispielsweise der Wurf von Molotowcocktails auf die Wohnung des Südtiroler Landeshauptmanns Silvius Magnago vom 23. Juli 1978, den Anschlag auf das Andreas Hofer Denkmal in Meran vom 26. Oktober 1979 sowie dreier weiterer auf das Hotel Post des Brunecker Bürgermeisters Haymo Von Grebmers, auf das Bahnhofshotel in Neumarkt sowie auf die Seilbahnen am Kronplatz bei Bruneck vom 5. Dezember 1979. Vgl. Peterlini, Südtiroler Bombenjahre, S. 322; Goller, Neuorientierung, S. 178–179. 422 Auf deutscher Seite wurde dabei namentlich die nur schleppend vorangehende Umsetzung des Autonomiestatus beklagt, während auf italienischer Seite genau jene neuen Regelungen – 1976 wurde der ethnische Proporz und die Gleichstellung der deutschen Sprache im öffentlichen Dienst umgesetzt – eine Verlustangst um die verwaltungspolitische Vormachtstellung auslösten. Vgl. Peterlini, Südtiroler Bombenjahre, S. 321; Goller, Neuorientierung, S. 177–178. 423 Oberhollenzer, Alpini-Denkmal und »Kapuziner Wastl« in Bruneck, S. 75.
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dies darf nicht unser Wunsch sein, ganz gleich welcher Partei oder Volksgruppe wir angehören.«424
Die nach 1968 versuchte Lesart des Denkmals als eines Symbols der interkulturellen Solidarität eines selbst in den Grenzregionen vereinten Italiens hielt demnach nur so lange stand, bis die ethnischen Grabenkämpfe einhergehend mit dem umgesetzten Autonomiestatut wieder von Neuem ausbrachen. Gerade dessen Aussagegehalt von Koexistenz und Einigkeit barg eine erhebliche Sprengkraft, um mit einem Anschlag darauf gegen das friedliche Zusammenleben beider Sprachgruppen wirkungsvoll zu demonstrieren. Der Blick in die darüber erfolgte Berichterstattung der beiden tonangebenden Tageszeitungen macht sonach vor allem deutlich, wie unterschiedlich der Anschlag in beiden Lagern gewichtet wurde, wobei der erneute Gewaltausbruch beidseitig verurteilt wurde.425 Als offensichtliches Motiv des Anschlags wird von beiden Zeitungen der 11. September 1979 als der 60. Jahrestag des Anschluss Südtirols an Italien genannt.426 Die Alto Adige stellte den ›Tiroler Schutzbund‹ dabei als eine »isolato gruppo di estremisti«427 dar, deren Ziel in der »Jagd« von Italienern in Südtirol bestehe.428 Der Großteil der Deutschsüdtiroler würde aber nach wie vor hinter dem italienischen Staat stehen und gewaltsam extremistische Gruppierungen kategorisch ablehnen, besonders weil dies die friedliche Koexistenz beider Sprachgruppen aufs Spiel setze. Exemplarisch wird hierfür auf die Stellungnahme des Brunecker Stadtrates verwiesen: »Attentati di questo genere, da qualsiasi parte provengano, servono solo a coloro che vogliono impedire con ogni mezzo la convivenza fra i gruppi etnici.«429 Darüber hinaus wird in einem Nebenartikel besonders auf den regionalen Kontext des Anschlags bezüglich der zuvor erfolgten Anschlagsserie aufmerksam gemacht, um diesen
424 Erklärung des Bürgermeisters H. Von Grebmer zu den letzten Sprengstoffanschlägen, 20. 12. 1979, zitiert in: Goller, Neuorientierung, 178. 425 Selbst der Scarpe grosse scheint es angesichts des Anschlages die Sprache verschlagen zu haben. Das Periodikum begnügte sich damit, ein Vorher-Nachher-Bild des Denkmals mit einem ungewöhnlich kurzen Kommentar abzudrucken. Als Trauerzeichen habe die ANASektion Bozen demnach einen bronzenen Blumenkranz am Sockel angebracht. Vgl. »Per la terza volta dilaniato col tritolo il Monumento Alpini a Brunico, 11 sett. 1979 ore 4.50«, in: Scarpe grosse, September 1979, Jg. XXIX, II Semestre Nr. 1, S. 1. 426 Wobei die Alto Adige schlicht von einer »Annexion« spricht, während in der Dolomiten von einer »gewaltsamen Abtrennung Südtirols von Österreich« die Rede ist. Vgl. »Attentato: salta in aria il monumento all’alpino«, in: Alto Adige, 12. 9. 1979, S. 1 sowie S. 14, hier S. 1; »Bruneck: Alpinidenkmal gesprengt«, in: Dolomiten, 12. 9. 1979, S. 5. 427 »Attentato: salta in aria il monumento all’alpino«, in: Alto Adige, 12. 9. 1979, S. 14. 428 Ebd., S. 1. 429 »La dinamite H stata innescata con un congegno telecomandato?«, in: Alto Adige, 12. 9. 1979, S. 4.
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somit innerhalb einer »nuova ondata terroristica che si H abbattuta sull’Alto Adige« zu verorten.430 Die Dolomiten richtete den Fokus hingegen ganz auf das zerstörte Monument. Die Anschlagserie wird nur relativ kurz erwähnt, der ursprünglich kriegerische Errichtungszweck des ersten Denkmals von 1938 dafür umso mehr hervorgehoben: »Das Denkmal wurde in Anwesenheit des Prinzen von Savoien [sic] nach dem Abessinienfeldzug 1938, wo die Brigade ›Pusteria‹ gekämpft hatte, zu Ehren der in diesem Krieg gefallenen Alpinisoldaten erbaut. Wie uns der Brunecker ANA-Vertreter, […], erläuterte, verstünden die ehemaligen Alpini das Denkmal seit dem Krieg als Denkmal für alle, gleichgültig in welchen Kriegen und auf welcher Seite, gefallenen Gebirgssoldaten.«431
Von den beschwichtigenden Worten des zweiten Satzes abgesehen, wies die Aussage des Denkmals für die Dolomiten demnach immer noch eine unbestreitbare Kontinuität zu demjenigen von 1938 auf. Nach wie vor war dieses als ein Symbol des faschistischen Imperialismus zu deuten. Der Anschlag sei in Südtirol aber generell abgelehnt worden: »Die Stimmung war allgemein eher sehr ernst, bei manchen – gleichgültig welche Volksgruppe angehörend – wurde unmißverständlich [sic] Ärger laut über den erneuten Anschlag, der von der italienischen Bevölkerung Brunecks als Affront und Provokation gewertet wird: laut wurde auch die Sorge über die Folgen der schwerwiegenden Störung des an sich guten und friedlichen Zusammenlebens der Volksgruppen mit all den möglichen negativen politischen Auswirkungen.«432
Das »gute und friedliche Zusammenleben der Volksgruppen« erscheint aufgrund der Sprengung hiernach als akut bedroht, da sich die Geduld einiger »Angehöriger« der italienischen Sprachgruppe angeblich langsam dem Ende neige: »Nicht wenige Angehörige der italienischen Volksgruppe ließen im Gespräch am Kapuzinerplatz durchblicken, daß [sic] nun endlich das Maß voll sei, daß [sic] man ebenfalls zur Gewalt greifen sollte. Bleibt zu hoffen, daß [sic] es sich nur um vielleicht unbedacht aus großem Ärger begründete Reaktionen handelt.«433
Die Deutschsüdtiroler werden dagegen als vernünftig, friedfertig und weiterhin um Harmonie bemüht dargestellt, was beispielsweise in einem Schreiben von deren politischen Sprachrohr der SVP zum Ausdruck gebracht wird:
430 431 432 433
»Le dieci azioni di dinamitardi«, in: Alto Adige, 12. 9. 1979, S. 1. »Bruneck: Alpinidenkmal gesprengt«, in: Dolomiten, 12. 9. 1979, S. 5. Ebd., S. 5. Ebd., S. 5.
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»Die Südtiroler Volkspartei hat die Anwendung von Gewalt als Mittel zur Erreichung und Durchsetzung politischer Ziele stets abgelehnt. Sie erneuert diesen Standpunkt auch in bezug [sic] auf die jüngsten Anschläge in Südtirol in unmissverständlicher Weise.«434
Nach dem dritten Anschlag wurde das Alpinistandbild nicht mehr wiedererrichtet. Drei Monate nachdem dieses gesprengt worden war, vereinbarte die ANA zusammen mit dem Brunecker Gemeinderat zwar noch, dass sie ein neues Denkmal erhalten sollten,435 diesem würde aber vor dem Pfarroratorium in der Andreas-Hofer-Straße ein gänzlich neuer Standort zugewiesen. Gleichsam sollte auch der Aussagegehalt des neuen Monuments in klarer Distanz zum Bauwerk von 1938 stehen: Die Rede war diesmal von einem Granitwürfel mit Reliefs, welche Gebirgstruppen beim Friedenseinsatz zeigen.436 Mit der Büste des gesprengten Alpinos wurde danach am 24. Juli 1980 nur noch ein Fragment als Provisorium auf den alten Sockel gestellt.437 Die ANA verpflichtete sich dieses zu entfernen, sobald das neue Ehrenmal fertig gestellt sei. Soweit sollte es allerdings nie kommen: Bis heute noch ziert der Bruchteil der Denkmalkopie von 1968 den Sockel auf dem Kapuzinerplatz.438 Mit Rückblick auf den öffentlichen Umgang mit dem Denkmal bis 1981 bezeichnete der Südtiroler Schriftsteller und Historiker Claus Gatterer das im deutschen Volksmund auch als ›Kapuziner-Wastl‹439 bekannte Standbild als den
434 »Einig in Ablehnung der Gewalt«, in: Dolomiten, 12. 9. 1979, S. 5. 435 Brief des Vorsitzenden der Trentiner ANA-Vereinigung Franco Bertagnolli an den Brunecker Bürgermeister vom 16. 12. 1979, zitiert in: Gius, Bruno: Erinnerungskultur und erfahrungsgeschichtliche Deutung am Beispiel der Alpinidenkmäler in Bruneck / Südtirol, ungedr. phil. Dipl. Arbeit, Fernuniversität Hagen 2018, S. 15. 436 Von diesem neuen Projekt war indes nur in der Alto Adige öffentlich zu lesen. Die Dolomiten schwieg sich darüber aus – ließ sich aus solch einem entschärften Symbol doch kein kulturnationalistisches Kapitel mehr schlagen. Wogegen sich der projektierte Steinwürfel umso besser als Zeichen der italienischen »Friedensarbeit« in Südtirol verkaufen ließ. Vgl. »Monumento all’alpino diverso ma ricostruito«, in: Alto Adige, 18. 4. 1980, S. 4. 437 »Ricomposto il busto sul basamento del Monumento Alpino«, in: Scarpe grosse, 1980, Jg. XXX, II. Semestre Nr. 1, S. 1. 438 Goller, Neuorientierung, S. 179. 439 Die umgangssprachliche sowie herablassende Bezeichnung »Kapuziner-Wastl« taucht in einzelnen Artikeln der Dolomiten erstmals Ende der Sechzigerjahre auf. Generell wird davon ausgegangen, dass mit dem Namen das am Kapuzinerplatz gelegen Kapuzinerkloster sowie die Ähnlichkeit der Statue mit einem Kapuzinerpater angesprochen wird. Falls das Denkmal aber bereits bei der faschistischen Umbenennung des Kapuzinerplatzes in Piazza IX maggio so bezeichnet worden ist, könnte es sich auch um eine Art toponomastischen Widerstandsakt der Gemeindebewohner gehandelt haben, die somit am deutschen Platznamen festhielt. Vgl. »Italica civilt/«, in: Dolomiten, 20. 12. 1966, S. 10; »Alpinidenkmal in Bruneck enthüllt«, in: Dolomiten, 1. 7. 1968, S. 8; Gius, Erinnerungskultur und erfahrungsgeschichtliche Deutung am Beispiel der Alpinidenkmäler in Bruneck / Südtirol, S. 18.
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»größte[n] Invaliden Südtirols«.440 Gatterer machte damit darauf aufmerksam, dass dieser durch die Jahre hindurch als Projektionsfläche des ethnisch aufgeladenen Südtirolkonflikts herhalten musste und jeweils entsprechend Schaden davontrug. Die divergierenden Lesarten wurden an den von sich aus schweigsamen Alpino demnach von beiden Sprachgruppen herangetragen. Dessen ursprüngliche Errichtungsintention geriet dadurch letztendlich ins Abseits: »[…] Wenn man den granitenen Mann personalisieren könnte, wenn er Gedächtnis und Stimme hätte. Er muss sie alle gesehen haben, die ihm Übles angetan haben, er muss sie kennen; er muss sie gehört haben, ihre Reden, ihre Flüche, ihren Hohn, er muss auch ihre Motive kennen; Motive, die ihn und diejenigen, für die er dasteht, nichts angehen. […].«441
Der Deutungsstreit ums Alpinidenkmal sei daher durchaus exemplarisch für den Umgang mit den schwer belasteten Denkmälern Südtirols als symbolische Austragungsorte nationalistischer Grabenkämpfe: »Können Denkmäler Erbsünden haben? Bei uns sind alle mit Erbsünden auf die Welt gekommen: Jedes war in den Intentionen gegen das Denkmal der anderen gerichtet. Oder einfach gegen die anderen. Und so hat man den Hass auf den Stein, den Marmor, den Granit, eine Anschrift, eine Büste, die Bronze übertragen. Man hat Hand an die Denkmäler gelegt, weil das Risiko geringer war oder weil man die Symbole und nicht die Menschen treffen wollte.«442
Vor diesem Hintergrund konnten die immer wieder versuchten Umdeutungen des Alpinimonuments letzten Endes nur scheitern, da sie sich einem unvoreingenommenen Dialog um dessen Ursprung verschlossen, dafür aber dessen Aussagegehalt stets von neuem kulturnationalistisch zu besetzen wussten: »[…] Das Gschisti-Gschasti um die Eröffnung/Enthüllung des Denkmals. Es trägt dazu bei, das Denkmal zu belasten, es vor jenen, denen es gelten sollte, zu entfernen, und es mit einer Botschaft zu beladen, die mit dem Erleben und der Botschaft derer, denen es geweiht ist, nichts gemein hat, Was hat der Wastl, der in Abessinien gekämpft hat, mit der Vetta d’Italia zu tun?443 […]. Die ihnen [den Denkmälern, SDP] ›aufgedrängte‹, aufgezwungene, befohlene Seele gilt’s zu hinterfragen.«444 440 Tagebucheintrag Claus Gatterer, 2. 12. 1981, in: Hanifle, Thomas (Hg.): Claus Gatterer. Ein Einzelgänger, ein Dachs vielleicht – Tagebücher 1974–1984, Bozen 2011, S. 76. 441 Tagebucheintrag Claus Gatterer, 6. 12. 1981, in: Hanifle, Ein Einzelgänger, ein Dachs vielleicht, S. 79. 442 Tagebucheintrag Claus Gatterer, 13. 12. 1981, in: Hanifle, Ein Einzelgänger, ein Dachs vielleicht, S. 82–84, hier S. 83. 443 Diese auf den ersten Blick vielleicht etwas naiv erscheinende Frage, ist dies keinesfalls: wird darin doch gerade der dem Alpinidenkmals von Anbeginn an anhaftende, doppelte Symbolgehalt offensichtlich. Mit der Würdigung des ›Imperos‹ wurde neben dem verklärenden Blick auf den Abessinienkrieg schließlich auch die Herrschaft über das »Alto Adige« öffentlich festgeschrieben. 444 Hanifle, Ein Einzelgänger, ein Dachs vielleicht, S. 83 sowie S. 84.
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Den Worten Gatteres folgend verwundert es deshalb nicht, dass die Geschichte des Alpinidenkmals mit dem übereilten und unkritischen Neupositionieren seiner Überreste noch lange nicht am Ende angelangt war.
Von der Intensivierung der Denkmaldebatte zur kritischen Auseinandersetzung: 1985–2012 Das Übereinkommen zwischen der ANA-Sektion Bozen mit dem Brunecker Gemeinderat bestand gerade mal für sechs Jahre.445 Bereits 1985 kam es erneut zum Eklat, als der ein Jahr davor zum nationalen ANA-Präsidenten ernannte Leonardo Caprioli446 vom Hauptsitz in Mailand aus verkündete, dass das Abkommen von 1979 über ein gänzlich neues Monument und dessen Standort ohne sein Einverständnis beschlossen worden war, sodass es deshalb keine Gültigkeit besäße.447 Um sich stattdessen für den Wiederaufbau des Denkmals von 1968 am bisherigen Standort einzusetzen, legte die nationale ANA-Zentrale beim Staatsrat in Rom im November 1985 Rekurs gegen den vom Gemeinderat beschlossenen Bauleitplan des Kapuzinerplatzes448 ein.449 Der scheinbar einvernehmliche Kompromiss der Denkmaldebatte war sonach wieder in weiter Ferne gerückt. Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit, bei welchem zwischen Rom, Mailand und Bruneck450 über die Zukunft des ›Wastls‹ verhandelt wurde. Der 445 Vereinsintern zweifelte die ANA aber schon 1983 am Übereinkommen von 1979, das ein neues Denkmal an einem anderen Standort vorsah. Stattdessen wurde bereits zu diesem Zeitpunkt der Aufbau der alten Statue auf dem Kapuzinerplatz angekündigt. Vgl. »Monumento all’alpino: svolta buona?«, in: Scarpe grosse, 1983, Jg. XXXIII, I. Semestre Nr. 2, S. 1. 446 Peduzzi, Storia dell’Associazione Nazionale Alpini, S. 419. 447 »Der ›Wastl‹ marschiert wieder gegen Norden«, in: Pustertaler Zeitung, 14. 1. 1994, Jg. 6 Nr. 1/94, S. 5. 448 Bereits 1983 war das ENAL-Gebäude einem Neubau der Gemeindeverwaltung gewichen, die Kreuzung auf dem Kapuzinerplatz für den Straßenverkehr und einen Parkplatz erweitertsowie Werbeplakate neben dem Denkmal aufgestellt worden. Dessen Dominanz war ihm im sich modernisierenden Stadtbild der frühen Achtzigerjahre daher schon früher genommen worden. Weitere Bauprojekte am Kapuzinerplatz waren seitens der ANA deshalb dringend zu unterbinden. Vgl. Oberhollenzer, Alpini-Denkmal und »Kapuziner Wastl« in Bruneck, S. 75. 449 Rekursschreiben der nationalen ANA-Stelle in Mailand, vertreten durch Sergio Dragona an den Staatsrat in Rom, Mailand 28. 11. 1985, in: Archiv SABAP, Dossier BZ 2/Monumento Alpino, ohne Sign. 450 Der Gemeinderat hatte am 10. 2. 1986 gegen die Einsprache ANA-Führung ebenfalls einen Rekurs beim Consiglio di Stato eingereicht. Vgl. Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Rekurs der ANA beim Staatsrat für die Annullierung des Bauleitplanes und des Durchführungsplanes der Zone ›hinter den Kapuzinern‹ in Bezug auf die vermutliche Verlegung des Alpini-Denkmals. Gegenrekurs«, Bruneck 10. 2. 1986, Prot. Nr. 94, in: StadtA Bruneck, Sig. 94.GA.17. 2. 1986.
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Urteilsspruch des Consiglio di Stato erfolgte alsdann im Frühjahr 1993: Der Schaden am alten Standbild war dermaßen hoch, dass es zwar nicht mehr wiedererrichtet werden sollte451 – dieses an einen neuen Standort zu verlegen, kam aber genauso wenig in Frage.452 Der Denkmalstreit brach ab Mitte der Achtzigerjahre also wieder von neuem aus, obschon die Diskussion aufgrund der mittlerweile breiter ausgelegten Südtiroler Medienlandschaft zusehends vielstimmiger wurde. Hier waren es namentlich neugegründete, deutschsprachige Lokal- und Vereinsblätter, welche sich mal mehr, mal weniger sachlich zum Denkmal – bzw. zum Umgang damit – äußerten.453 Zumindest auf regionaler Ebene blieben die Dolomiten und die Alto Adige als die beiden auflagenstärksten Zeitungen aber nach wie vor tonangebend.454 Während diese beiden Tagesblätter die Denkmalpolitik rund um den Alpino demnach mit der gewohnten, kulturnationalistischen Polemik versorgten,455 liefen die Verhandlungen zwischen der ANA, den verschiedenen Parteien im Gemeinderat456 sowie dem Staatsrat im Hintergrund weiter. 451 Ein Gutachten des Denkmalamtes in Verona stellte ein Jahr nach dem Urteil fest, dass ein Wiederaufbau nur denkbar sei, wenn vom Originaldenkmal noch genügend intakte Einzelteile vorhanden wären. Abgesehen davon wurde der »historische« sowie »symbolische« Wert des Alpinos aber nochmals grundsätzlich bestätigt. Vgl. Gutachten des Segretario del Comitato per i Beni Ambientali e Architettonici, betr. »Monumento all’alpino – Tutela ex Legge 1089/39 e D.P.R. 48/1078«, Verona 21. 10. 1994, in: Archiv SABAP, Dossier BZ 2 / Monumento all’alpino, ohne Sig. 452 Der Staatsrat begründete seinen Entschluss damit, dass die Gemeinde Bruneck den korrekten Dienstweg über die römischen Ministerien sowie den Hauptsitz der ANA nicht eingehalten habe und der neue Bauleitplan deshalb tatsächlich annulliert werden müsse. Vgl. Dekret des Consiglio di Stato, Reg. Dec. Nr. 415/43, Reg. Dic. Nr. 1500, Rom 14. 4. 1993, in: Archiv SABAP, Dossier BZ 2/Monumento Alpino, ohne Sig. 453 Hillebrand, Getrennte Wege, S. 62. 454 Hillebrand erkennt in der ethnozentrischen Berichterstattung der beiden Tagblätter aber auch ein überproportionales Aufbauschen kulturnationalistischer Themen, womit deren tatsächliche Tragweite für beide Bevölkerungsgruppen oftmals reichlich übertrieben dargestellt wurde. Vgl. Hillebrand, Getrennte Wege, S. 62. 455 Passend zu dieser fortlaufenden Rivalität um den ›korrekten‹ Aussagegehalt des Alpinidenkmals lässt sich hier der von Aleida Assmann verwendete Begriff der Erinnerungskonkurrenzen anführen: Assmann erkennt einen solchen »Verdrängungswettbewerb« um die »knappe Ressource Aufmerksamkeit« vor dem Hintergrund des Aufkommens eines globalen Mediensystems anfangs der Neunzigerjahre, welches seitdem vermehrt als Aushandlungsplattform verschiedener – oftmals divergierender- kollektiver Gedächtnisse dient. Gerade an nationalen Denkmälern würden sich solche Debatten häufig entfachen, werden doch gerade an derartigen Erinnerungsorten Rollenverteilungen von »Siegern« und »Verlierern« miteinander ausgehandelt. Zusammengefasst schreibt Assmann dazu: »Erinnerungskonkurrenzen artikulieren sich in der Öffentlichkeit durch exklusive Forderungen kollektiver Identitätspolitik und eine erhitzte Rhetorik der Überbietung, die das eigene Leiden über das Leiden der anderen stellt.« Vgl. Assmann, Aleida: Erinnerungskonkurrenzen, in: Habsburg neu denken. Vielfalt und Ambivalenz in Zentraleuropa – 30 kulturwissenschaftliche Stichworte. Johannes Feichtinger/Heidemarie Uhl (Hg.), Wien – Köln – Weimar 2016, S. 52–59, hier S. 52–56.
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Zur ersten öffentlich-zivilen Protestaktion gegen das beschädigte Denkmal kam es sodann im Oktober 1991, als die Büste Rot-Gelb-Grün besprüht wurde.457 Nachdem die Gemeindeverwaltung diese ohne Erlaubnis des Denkmalamtes gereinigt hatte – wofür sie von der Amtsstelle in Verona aus harsch gerügt wurde458 – kippten bereits im Februar darauf unbekannte Täter Teer und Federn über den Alpino.459 Ein dritter Farbanschlag erfolgte danach im März 1995, bei welchem ein Kessel schwarzer Lackfarbe zum Einsatz kam.460 Neben solchen Nacht- und Nebelaktionen461 wurden indes auch produktivere Herangehensweisen an die Denkmalproblematik versucht: beispielsweise als im Februar 1994 im Brunecker Gemeinderat ein überparteiliches Komitee ernannt wurde. Dessen Auftrag bestand darin, alternative Vorschläge für eine neue Gedenkstätte auf dem Kapuzinerplatz – oder aber an einem geeigneteren Standort – auszuarbeiten. Zudem sollte sie mittels einer Unterschriftenaktion gegen den von der ANA angekündigten Wiederaufbau des alten Denkmals vorgehen.462 456 Für lebhafte Debatten sorgten im Brunecker Gemeinderat nach den Wahlen von 1990 und 1995 einerseits deutsch-nationalistische Oppositionsparteien der SVP, die sich mit deren gemäßigtem Kurs unter dem neuen Landeshauptmann Luis Durnwalder nicht anfreunden wollten. Zu nennen sind hier beispielsweise die Union für Südtirol (UfS) sowie die Freiheitlichen, die beide nach 1993 jeweils mindestens einen Sitz im Gemeinderat besetzten. Andererseits zogen 1995 neue italienische Rechtsaußen-Parteien wie die Bürgerliste Insieme per Brunico oder der Polo del Buongoverno in das Gemeindeparlament ein und unterstützten fortan die Kommunalpolitik der bereits etablierten italienischen Parteien wie den MSI oder den PSI. Nicht selten bemühte sich der 1990 zum Bürgermeister ernannte Günther Adang als Schlichtungsstelle zwischen diesen unterschiedlichen Fraktionen. Vgl. Goller, Neuorientierung, S. 183–185. 457 »Imbrattato nella notte il monumento in granito dedicato all’alpino«, in: Alto Adige, 3. 10. 1991, S. 25; »Alpinidenkmal mit Farbe beschmiert«, in: Dolomiten, 3. 10. 1991, S. 19. 458 »L’alpino imbrattato a Brunico. Ripulitura della statua la Sovrintendenza rimprovera il sindaco«, in: Alto Adige, 17. 12. 1991, S. 32; »Vor Säuberung Genehmigung einholen«, in: Dolomiten, 14./15. 12. 1991, S. 29. 459 »Vandali a Brunico. Imbrattato il monumento all’alpino«, in: Alto Adige, 24. 2. 1992, S. 6; »Nächtliche Schmieraktion in Bruneck«, in: Dolomiten, 24. 2. 1992, S. 13. 460 »Brunico, l’alpino. Lacrime d’oltraggio«, in: Alto Adige, 27. 3. 1995, S. 1; »Deturbato con vernice il busto dell’alpino«, in: Alto Adige, 27. 3. 1995, S. 6; »Am ›Wastl‹ klebt schwarze Farbe«, in: Dolomiten, 27. 3. 1995, S. 13. 461 Neben den einzelnen Farbanschlägen wurden nach den alljährlichen »Adunate« der ANA auch immer wieder die Blumenkränze gestohlen, was natürlich besonders in der Redaktion des Alto Adiges für rote Köpfe sorgte und von der Dolomiten entsprechend gelassen wahrgenommen wurde, so geschehen im September und November 1996. Vgl. »Via del monumento altra corona di alloro«, in: Alto Adige, 9. 11. 1996, S. 38; »Schwere Beleidigung«, in: Dolomiten, 7. 11. 1996, S. 20. 462 Gemeinderatsbeschluss, betr. »Alpinidenkmal am Kapuzinerplatz. Schreiben der »Associazione Nazionale Alpini – ANA« vom 10. 2. 1994. Stellungnahme und Ernennung einer Arbeitsgruppe«, Bruneck 28. 4. 1994, Prot. Nr. 53, in: StadtA Bruneck, Sig. GR.28. 4. 1994; Beschlussantrag Stadtgemeinde Bruneck, betr. »Beschlussantrag des Herrn TROGER Peter, Gemeinderat der Freiheitlichen vom 14. März 1994 mit Gegenstand: Alpinidenkmal«, Bruneck 28. 4. 1994, Prot. Nr. 47, in: StadtA Bruneck Sig. GR.47.28. 4. 1994; »2430 Unter-
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Abb. 4: Die Büste des gesprengten Denkmals nach 1979, in: Bruneck online Archiv zur Stadtgeschichte, aufgerufen am 04. 04. 2018.
Seitens der Denkmalbefürworter herrschte indes ebenfalls keine Ruhe: In unzähligen öffentlichen Stellungnahmen, Aufmärschen und Medienartikel wurde die baldige Rückkehr des Alpinos mit Verweis auf den bevorstehenden Staatsratsbeschluss angekündigt.463 Dessen Urteilspruch von 1993 folgte im Oktober 1999 schließlich ein neues Denkmalgesetz: Ergänzend zum Dekret Nr. 48 »Über Güter von gesamtstaatlichem Interesse in Trentino-Südtirol« vom Januar 1973464 legte dieses die Standortgebundenheit zusammen mit der staatlichen Aufsicht schriften gegen Wastl«, in: Dolomiten, 17. 3. 1994, S. 16; »Die Kopie einer Kopie des Originals«, in: Dolomiten, 19./20. 3. 1994, S. 32. 463 So beispielsweise in: »L’alpino non si tocca. Il monumento resta in centro«, in: Alto Adige, 18. 5. 1993, S. 30. 464 Dekret des Präsidenten der Republik, betr. »Güter des geschichtlichen und künstlerischen Vermögens von gesamtstaatlichen Interesse in Trentino-Südtirol, die von der Landeszuständigkeit ausgenommen sind«, Rom 20. 1. 1973, Nr. 48, veröffentlicht in: Gazzetta Ufficiale n. 84, Rom 31. 3. 1973.
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über umstrittene Denkmäler gesetzlich fest.465 Für die folgenden drei Jahre schien die Frage nach dem Umgang mit dem Alpinidenkmal demnach vorerst geregelt. Diese rund 14 Jahre andauernde Debatte um den ›korrekten‹ Umgang mit dem Denkmalfragment ist vor allem als Ausdruck zweier politischer Entwicklungen zu verstehen. Einerseits ist hier das gesteigerte Selbstbewusstsein der deutschsprachigen Südtiroler Bevölkerung zu nennen, das mit der fortlaufenden Umsetzung des zweiten Autonomiestatuts bis in die Neunzigerjahre zunehmend an Rückhalt gewann.466 In Folge der am 30. Mai 1992 von der SVP als erfüllt erklärten Autonomiedekrete nahm schließlich auch die Kulturpolitik deutschnationalistischer Exponenten schärfere Töne an.467 Gerade im Umgang mit Wahrzeichen der ›Italianit/‹ in der Brennerregion äußerten sich diese fortan besonders deutlich aus dem Lager des Südtiroler Schützenbundes (SSB).468 Andererseits ist der Auftritt neofaschistischer Parteien in Südtirol, die der ANA im Bereich der Denkmalpolitik das Wort redeten, auf die Parlamentswahlen vom März 1994 zurückzuführen, bei denen Silvio Berlusconi zusammen mit seiner Mitte-Rechts-Koalition als neuer Ministerpräsident der Zweiten Republik hervorging.469 Militaristische Vereinigungen wie die ANA mit ihren Denkmälern, 465 Entsprechend schrieb dieses vor: »I beni culturali non possono essere demoliti o modificati senza l’autorizzazione del Ministero […]. I beni culturali non possono essere rimossi senza l’autorizzazione del Ministero.« Vgl. Decreto Legislativo, Nr. 490, Rom 29. 10. 1999, veröffentlicht in: Gazzetta Ufficiale n. 302, Rom 27. 12. 1999. 466 Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 542–545; Grote, The South Tyrol Question, S. 114–117. 467 Zudem hielt die SVP nach 1992 weiterhin an der »Selbstbestimmung« als oberstes politisches Ziel fest. Überdies versuchte die wählerstärkste Partei Südtirols ihre Freiheiten gegenüber Rom durch das Projekt einer »Europaregion Südtirol« sowie der Amtsstelle »Tirol« in Brüssel weiter auszubauen und gleichzeitig die Zusammenarbeit mit Tirol und Trient zu intensivieren. Vgl. Grote, Georg: The South Tyrol Question, 1866–2010. From National Rage to Regional State, Bern 2012, S. 126–131. 468 Unter dem Schlagwort der »faschistischen Relikte« richtet sich die Polemik des SSB bis heute gegen jegliche Bauwerke – neben dem Alpinidenkmal vor allem gegen das Siegesdenkmal und das Mussolini-Relief in Bozen – sowie italienischen Namensgebungen. Hier standen besonders die noch heute gebräuchlichen Ortsschilder im Vordergrund, die während der Mussolini-Diktatur in Südtirol errichtet bzw. eingeführt wurden. In dessen Vereinsorgan, der seit 1977 erscheinenden »Tiroler Schützenzeitung«, tritt die Meinung dieses »Heimatvereins« zu solch umstrittenem Kulturgut wohl am deutlichsten hervor. Dazu beispielsweise aus den Jahren 1992–1993: »Referendum gegen faschistische Relikte«, in: Tiroler Schützenzeitung, Bozen-Innsbruck-Lienz, 1. 9. 1992, Jg.16 Nr. 3, S. 5–6; »Eine unendliche Geschichte«, in: Tiroler Schützenzeitung, Bozen-Innsbruck-Lienz, 1. 12. 1992, Jg. 16 Nr. 4, S. 6; »Nein zu faschistischen Ortsnamen«, in: Tiroler Schützenzeitung, BozenInnsbruck-Lienz, 1. 12. 1993, Jg. 17 Nr. 4, S. 3–4. 469 Aufgrund der sich nach 1972 erhöhenden Auswanderungszahlen der italienischen Südtiroler in südliche Landesprovinzen sank der Anteil der italienischsprachigen Bevölkerung bis 1981 auf 28.7 %, danach bis 2001 auf 26.4 % und schließlich bis 2011 auf nur noch gerade 4.5 %. Wegen des sich aus diesem Minderheitenstatus ergebenden Unbehagens suchten
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die in einer umstrittenen Grenzprovinz mit einer kulturnationalistischen Geschichtspolitik ein geradezu naives Bild des Ventennio nero zeichneten, passten schließlich bestens zum damals vollzogenen Bruch mit dem bis dahin geltenden, antifaschistischen Regierungskonsens.470 Namentlich der MSI – der ab 1995 unter Gianfranco Fini mit dem neuen Namen der Alleanza Nazionale (AN) landesweit politisierte – machte die revisionistische Sicht auf das MussoliniRegime im Nachkriegsitalien bis in höchste Regierungskreise salonfähig.471 Die Debatte um das Alpinidenkmal entfaltete sich nach 1983 demnach entlang von drei separaten Wahrnehmungshorizonten. Zunächst die beiden bereits bekannten Positionen der deutsch- und italienisch-nationalistischen Organisationen und Regionalmedien. Sorgten hier die Dolomiten, die Alto Adige sowie die ANA unterstützt von staatlichen Ministerien für Kontinuität; so traten mit dem SSB und deutschsprachigen Oppositionsparteien wie der Union für Südtirol (UfS) oder den Freiheitlichen auch neue Bewegungen aufs Parkett. Als Wortführer der ›Italianit/‹ agierten nach den Landtagswahlen von 1993 parallel dazu Parteien wie der MSI oder die Lega Nord.472 Wie bereits weiter oben erwähnt, öffnete sich die Südtiroler Medienlandschaft in den Achtzigerjahren allerdings auch für neue lokale und vereinsinterne Stimmen, womit zumindest in den nicht wenige Italiener Zuflucht bei nationalistischen Parteien, sodass diese südlich des Brenners über eine treue und zunehmend breite Wählerschaft verfügten. Gleichzeitig führte diese ethnische Gewichtsverschiebung aber auch zu einer engeren Kooperation und Integration der beiden Sprachgruppen jenseits des althergebrachten Kulturnationalismus. Schließlich profitieren alle Einwohner in der Autonomen Region von der hohen Beschäftigungsrate und der wirtschaftlichen Prosperität. Grundsätzlich ist deshalb festzustellen, dass die ethnischen Differenzen mit dem Heranwachsen jüngerer, zufriedener Generationen zugunsten eines kulturellen Austauschs und einer selbstbewussten Mehrsprachigkeit bis in die Nullerjahre mehrheitlich überwunden wurden. Vgl. Pallaver, South Tyrol, S. 106– 112. 470 Landesweit wurden damit einhergehend historische Themen wie der Resistenza, der Repubblica Sociale Italiana (RSI) oder auch des Kolonialismus aufgenommen und revisionistisch umgewertet. Selbsternannte Geschichtsexperten der Alleanza Nationale traten hierbei genauso hervor, wie altbekannte, rechts-konservative Historiker – allen voran der Mussolini-Apologet Renzo de Felice. Vgl. Mattioli, Aram: »Viva Mussolini!« Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis, Paderborn 2010, S. 75–84, S. 92–99 sowie S. 99– 105; Klinkhammer, Lutz: Der neue »Antifaschismus« des Gianfranco Fini. Überlegungen zur italienischen Vergangenheitspolitik der letzten beiden Jahrzehnte, in: Italien, Blicke. Neue Perspektiven der italienischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Petra Terhoeven (Hg.), Göttingen 2010, S. 257–281, hier S. 264–267. 471 Mattioli, »Viva Mussolini!«, S. 18; Klinkhammer, Der neue »Antifaschismus« des Gianfranco Fini, S. 259–260. 472 Auf regionaler Ebene begann der Aufstieg des MSI in Südtirol bereits mit den Landtagswahlen von 1988: Verfügten die Neofaschisten in der Legislaturperiode von 1983 bis 1988 über lediglich zwei Sitze, so gewannen sie in den Wahlen von 1988 ganze drei Sitze dazu. Zwar verloren sie danach 1993 ein Mandat, dieses ging jedoch an den Südtirol-Ableger der Lega Nord, womit eine weitere rechts-radikale Kraft in den Südtiroler Landtag einzog. Vgl. Archivdatenbank des Südtiroler Landtags, aufgerufen am 06. 05. 2019.
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Gemeinden und Talschaften nun auch gemäßigtere Positionen vernehmbar wurden. Während in Bruneck selber kleinere Gazetten wie Jugend ohne Maske (JOM)473 oder die Pustertaler Zeitung474 – immerhin das auflagenstärkste Bezirksblatt Südtirols475 – kursierten, boten kritische Regionalblätter wie beispielsweise die ff476 ebenfalls einen differenzierten Blick auf kulturnationalistische Tagesthemen. Politisch vertreten wurden jene Stimmen eines dritten Mittelweges beispielsweise durch den Einzug der Alternativen Liste für das andere Südtirol (ALFAS) in den Landtag von 1983477 oder etwas später durch die Wahl der Grün-Alternativen in den Brunecker Gemeinderat von 1990.478 Ideologisch eingeengt lag allerdings weder seitens der deutsch- noch der italienisch-nationalistischen Lesart des Alpinidenkmals eine sonderliche argumentative Varianz vor.479 Die Erstere pochte besonders nach dem Dekret des Staatsrates von 1993 weiterhin dafür, das Denkmal zu verlegen, wie dies 13 Jahre zuvor vereinbart worden war. Alternativ dazu wurde zudem ein komplett neues Monument zu Ehren des Einsatzes aller Gebirgstruppen für die Zivilbevölkerung gefordert.480 Um dagegen jegliche Würdigungen der italienischen Gebirgstruppen komplett aus dem öffentlichen Sichtfeld zu verbannen, wurde schließlich auch der
473 Beim JOM handelte sich um eine Jugendzeitschrift mit relativ kleiner Auflage. Von der Erstausgabe vom Juli 1985 erschienen 2.000 Exemplare. Als Eigentümer und Herausgeber stellte sich im ersten Heft das Jugendkollektiv »Alte Turnhalle – Vecchia Palestra« mit der folgenden Leitlinie vor: »Wir verstehen uns als eine lokale Alternative zur eintönigen Medienlandschaft und möchten dieser Zielsetzung mit der nötigen Objektivität entgegen gehen.« Vgl. »JOM«, in: JOM, 19. 7. 1985, Jg. 1 Nr. 1, S. 1. 474 Die Erstausgabe der Pustertaler Zeitung erfolgte 1989. Anfänglich erschien das deutschsprachige Bezirksblatt vierzehntägig und scheute von Beginn an nicht davor zurück, auch die Arbeit der Brunecker Gemeindeverwaltung kritisch zu kommentieren. Vgl. Goller, Neuorientierung, S. 183. 475 Goller, Neuorientierung, S. 183. 476 Das illustrierte Wochenjournal ff erschien erstmals 1980. Gegründet wurde sie von einem Kreis liberaler Journalisten, die damit ein bewusstes Gegengewicht zur Dolomiten legen wollten. Entsprechend bemühte sich das Blatt stets um ein möglichst entspanntes Verhältnis zur italienischsprachigen Bevölkerungsgruppe – nicht selten auch durch scharfe Kritik an der Kulturpolitik der SVP und anderen deutschen Oppositionsparteien. Vgl. Hillebrand, Getrennte Wege, S. 60. 477 Vgl. IX. Legislaturperiode (1983–1988), in: Archivdatenbank des Südtiroler Landtags, aufgerufen am 06. 05. 2019. 478 Goller, Neuorientierung, S. 184. 479 Lorusso, Looking at Culture Through Ideological Discourse, S. 56. 480 »Firme contro l’alpino H iniziata la raccolta«, in: Alto Adige, 13. 2. 1994, S. 27; »Datevi la mano. E Brunico un alpino e un Kaiserjäger vicini?«, in: Alto Adige, 28. 4. 1994, S. 14; sowie zwei Jahre später nochmals: »Dato il primo benestare«, in: Alto Adige, 29. 6. 1996, S. 32; »Einer friedlichen Lösung nahe«, in: Dolomiten, 21. 6. 1996, S. 26; »Standort und Form neu«, in: Dolomiten, 29./30. 6. 1996, S. 30; »Der »Wastl« darf nun ziehen«, in: Dolomiten, 28./29. 9. 1996, S. 33.
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Standort innerhalb einer Kaserne in Betracht gezogen.481 Eine drastischere Maßnahme erkannten namentlich die deutschsprachigen Oppositionsparteien im ersatzlosen Entfernen des ›Wastls‹.482 Das nicht mehr gewollte, sondern mittlerweile gewordene Denkmal wurde hierfür zum kulturellen Erbgut des faschistischen Gewaltregimes ernannt.483 Der in Südtirol verübte Terror der Schwarzhemden sowie auch deren andernorts begangenen Verbrechen traten in diesem Zusammenhang überdeutlich in den Vordergrund. Entsprechend wurde auch der italienische Kolonialismus zusammen mit dem Abessinienkrieg besonders harsch angeklagt.484 Immerhin war das ursprüngliche Denkmal von 1938 in erster Linie dem blutigen Einsatz der Pusteria gegen die Äthiopier gewidmet worden – wobei hier oftmals das Schicksal der Südtiroler als gleichermaßen vom Faschismus unterjochtes Volk evoziert wurde.485 Die italienisch-nationalistische Lesart hob dafür umso mehr das offiziell als Friedenszeichen der beiden Sprachgruppen errichtete Denkmal von 1951 bzw. dessen Kopie von 1966 hervor. Geradezu scheinheilig war hier die Rede davon, dass ja schon dieses im Namen aller Gebirgstruppen und deren Hilfseinsätzen errichtet worden sei und deshalb als ein Zeichen ihrer selbstlosen Hingabe zu Kriegs- sowie zu Friedenszeiten dastünde.486 Aus diesem Grund wäre weder ein neuer Standort noch ein neues Standbild notwendig. Lieber sollte stattdessen das alte Monument wieder in seiner vollen Größe aufgestellt werden.487 Jedwede Gegner oder Skeptiker dieser Lesart wurden dafür umso schärfer als Störenfriede im ansonsten friedvollen Zusammenleben der beiden Sprachgruppen 481 »Noch einmal Alpinidenkmal«, in: Dolomiten, 22. 6. 1993, S. 23; »Keine AlpinidenkmalKommission«, in: Dolomiten, 30. 10. 1995, S. 13. 482 Beschlussantrag des Gemeinderats Peter Trogers von der UfS, betr. »Alpinidenkmal«, Bruneck 5. 6. 1993, Nr. 64, in: StadtA Bruneck, Sig. 64.GR.17. 6. 1993. 483 Leserbrief eines Herrn Raymund Ottl, Meran, betr. »Warten auf ein gerechtes Umdenken«, in: Dolomiten, 25. 5. 1993, S. 29; Beschlussantrag des Gemeinderats Peter Trogers von der UfS, betr. »Alpinidenkmal«, Bruneck 5. 6. 1993, Nr. 64, in: StadtA Bruneck, Sig. 64.GR.17. 6. 1993. 484 »Noch einmal Alpinidenkmal«, in: Dolomiten, 22. 6. 1993. 485 So beispielsweise der Gemeinderat Peter Troger von den Freiheitlichen in einem Beschlussantrag von 1996. »In Anbetracht, dass dieses Denkmal in Form eines herrschenden Soldaten an einen extrem grausigen Eroberungskrieg in Abbesinien [sic] bzw. die Besetzung Südtirols erinnern soll, […]«, sollte der Gemeinderat deshalb, »der ANA unmissverständlich die Ablehnung [eines neuen Monuments] kundtun.« Vgl. Beschlussantrag des Gemeinderats Peter Trogers von den Freiheitlichen, betr. »Alpinidenkmal«, Bruneck 30. 5. 1996, Nr. 48, in: StadtA Bruneck, Sig. 48.GR.30. 5. 1996. 486 Vgl. dazu exemplarisch eine vereinsinterne Jubiläumsschrift der ANA-Sektion Bruneck von 1996: »Per noi alpini il Monumento ha sempre ricordato i caduti in guerra di tutti i fronti, ma soprattutto lo spirito di altruismo e solidariet/ in tempo di pace.« Vgl. Gallina, Attilio: 508 della Fondazione, Bruneck 1996. 487 »L’Alpino torner/. Il presidente Ana Leonardo Caprioli conferma »Il monumento rimarr/ in piazza Cappuccini«, in: Alto Adige, 11. 2. 1994, S. 31.
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diffamiert.488 Es liegt auf der Hand, dass dabei jeglicher Bezug zur kriegerischen Aussage des ursprünglichen Denkmals von 1938 unterlassen wurde.489 Nicht nur blieb der Abessinienkrieg dabei grundsätzlich unerwähnt, auch wurden die mit dem ersten Denkmal gewürdigten Kriegsverbrechen schlichtweg ignoriert:490 Was insofern kaum überrascht, als nationalistische Gruppierungen wie der MSI – bzw. die AN nach 1995 – oder die ANA in ihrem engstirnigen Blick auf die Vergangenheit die »totalitäre Fratze«491 des Mussolini-Regimes, wie sie sich in Ostafrika ungehemmt gezeigt hatte, bislang nicht wahrhaben mochten.492 Angesichts dieser festgefahrenen, denkmalpolitischen Debatte beider kulturnationalistischer Lager, zeigten die sich um ein friedliches Zusammenleben aller Sprach- und Kulturgruppen bemühten Gruppierungen und Politiker Brunecks als des Streits um den ›Wastl‹ langsam aber sicher überdrüssig. Die Vorstöße seitens beider Extrempositionen wurden deshalb generell als ermüdend wahrgenommen sowie überwiegend abgelehnt.493 Entsprechend wurde bereits der für den Wiederausbruch der Denkmaldebatte verantwortliche Einspruch der Mailänder ANA-Zentrale gegen den neuen Standort in einer JOM488 Ein Vorwurf, der besonders nach den Farbaktionen der Neunzigerjahren den jeweiligen Tätern gemacht wurde. Vgl. »Imbrattato nella notte il monumento in granito dedicato all’Alpino«, in: Alto Adige, 3. 10. 1991, S. 25; »Brunico, l’alpino. L’acrime d’oltraggio«, in: Alto Adige, 27. 3. 1995, S. 1. 489 Rekursschreiben der nationalen ANA-Stelle in Mailand, vertreten durch Sergio Dragona an den Staatsrat in Rom, Mailand 28. 11. 1985, in: Archiv SABAP, Dossier BZ 2/Monumento Alpino, ohne Sign. 490 So schrieb ANA-Präsident Leonardo Caprioli in einer Korrespondenz mit dem Brunecker Bürgermeister Günther Adang: »[…], n8 il Monumento distrutto intendeva celebrare la conquista dell’Etiopia ma solo ricordare il sacrificio degli Alpini ed il loro attaccamento al dovere.« Vgl. Antwortschreiben L. Caprioli an G. Adang, betr. »Monumento all’Alpino in Brunico«, Mailand 10. 2. 1994, Prot. Nr. 15762/93, in: StadtA Bruneck, Sig. 53.GR.28. 4. 1994. 491 Mattioli, »Viva Mussolini!«, S. 60. 492 So wurde der Einsatz der angeblich vergessenen Divisione Pusteria in einer Ausgabe des L’Alpino – dem nationalen Vereinsorgan der ANA – von 1987 wider besseres Wissen nach wie vor als der Beitrag am Siegeszug des zivilisatorischen Italiens über das »wilde« und »unkultivierte« Kaiserreich Haile Selassies gewürdigt. Vgl. »Pusteria, la divisione dimenticata«, in: L’Alpino, Juli 1987, Jg. LXVI Nr. 7, S. 14–17. 493 Beispielsweise wurden die Beschlussanträge Peter Trogers, der im Gemeinderat zuerst für die UfS und danach für die Freiheitlichen politisierte, von einer Mehrheit der Mandatsträger durchgehend abgelehnt. Zumeist forderte er in diesen, dass der Gemeinderat der ANA pauschal seine Abneigung gegen das bestehende- sowie gegen neue Denkmäler kundtun sollte. Vgl. Stadtgemeinde Bruneck, Beschlussantrag des Gemeinderats Peter Troger für die UfS, betrf. »Alpinidenkmal«, Nr. 64, in: StadtA Bruneck, Sig. 64.GR.17. 06. 1993; Stadtgemeinde Bruneck, Beschlussantrag des Gemeinderats Peter Troger für die Freiheitlichen, betr. »Alpinidenkmal«, Bruneck, 28. 4. 1994, Nr. 47, in: StadtA Bruneck, Sig. 47.GR.28. 4. 1994; Stadtgemeinde Bruneck, Beschlussantrag des Gemeinderats Peter Troger für die Freiheitlichen, betr. »Alpinidenkmal«, Bruneck 30. 5. 1996, Nr. 48, in: StadtA Bruneck, Sig. 48.GR.30. 5. 1996.
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Ausgabe von 1985 scharf verurteilt. Ein neues Denkmal würde im Endeffekt nur wieder nationalistische Ressentiments schüren: »Ci chiediamo a cosa possa servire oggi-giorno questo monumento alla guerra. Per asciugare italiote lacrime nostalgiche? Di certo non serve alla pacifica convivenza!«494 In einer späteren Ausgabe der Jugendzeitschrift kam sodann die Ansicht zum Ausdruck, dass sich das Kulturbewusstsein der italienischen Stadtbewohner auch ohne derart historisch belastete Symbole ausdrücken ließe: »Siamo della convinzione, in fatti, che un nuovo monumento all’Alpino non serva n8 a rappresentare ›l’Italianit/‹ di Brunico, n8 a favorire la pacifica convivenza. Siamo inoltre certi che lo spirito e la cultura italiani hanno ben altri valori da esprimere, molto al di l/ di certi simboli di un passato discutibile ai quali molti italiani di Brunico sembrano ancora legati.«495
In gleicher Weise setzte sich der 1990 zum Bürgermeister gewählte Günther Adang dafür ein, den Denkmalstreit ein für alle Mal beizulegen. Dass dem SVPPolitiker dabei soziale Angelegenheiten und ein friedliches Zusammenleben aller Sprachgruppen prinzipiell wichtiger waren als eine ethnonationalistische Denkmalpolitik,496 zeigt sich im folgenden Schreiben an den ANA-Hauptsitz in Mailand: »Negli ultimi anni e soprattutto con il mio personale impegni siamo riusciti ad eliminare tanti attriti tra i due gruppi etnici e ci siamo impegnati a fondo per creare un clima di convivenza pacifica. Oggi la gente ha sicuramente altri problemi da risolvere ed in un momento che tutti considerano critico per fatti nazionali ed internazionali non H proprio il caso di creare ulteriore discordia.«497
Einen möglichen Kompromiss erkannte Adang schließlich darin, dass die ANA am Abkommen von 1981 festhielte und sich doch endlich mit einem neuen Denkmalstandort abfände.498 Im neuen Millennium wurden die argumentativen Pfade dieser drei kontroversen Lesarten zwar kontinuierlich weiterbeschritten. Durch politische Machtverschiebungen in Rom und Südtirol nahm das Ausmaß der Diskussion um das Alpinidenkmal zeitweise allerdings nochmals erheblich zu. Der Auftakt dazu erfolgte am 13. Mai 2001 in Rom, als Berlusconi erneut mit einer rechtsgerichteten Koalition zwischen AN, der Lega Nord sowie seiner Forza Italia (FI) 494 »Breve storia di un monumento poco amato », in: JOM, Februar 1987, Nr. 2 Jg. 2, S. 3. 495 »Una pace simbolica«, in: JOM, Mai/Juni 1989, Nr. 24 Jg. 4, S. 3. 496 Goller, Neuorientierung, S. 182; »Beschlussniederschrift des Gemeinderates«, Prot. Nr. 5.8.22, Bruneck 07. 06. 1990, in: StadtA Bruneck, Sig. 102. 497 Brief des Brunecker Bürgermeisters Günther Adang an die Nationale Alpini Vereinigung in Mailand, betr. »Monumento all’alpino«, Bruneck 27. 12. 1993, Prot. Nr. 15762/GA/fr, in: StadtA Bruneck, Sig. 53.GR.28. 04. 1994. 498 Ebd.
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in die Regierung gewählt wurde. Was folgte waren Jahre eines rücksichtslosen Geschichtsrevisionismus,499 der mittels des Medienimperiums des ›Cavaliere‹ die besten Sendezeiten des Landes besetzte.500 Nun wurden die neofaschistischen Parolen indes nicht nur von den obersten Staatsämtern ausgerufen, sondern auch von zahlreichen Kommunen sowie einem Großteil der Landesbevölkerung aufgenommen und bereitwillig in die Tat umgesetzt.501 Der renommierte italienische Kolonialhistoriker Angelo Del Boca kam deshalb nicht umhin, bereits das erste Jahr des neuen Jahrtausends als ein wahrhaftes »annus terribilis« zu bezeichnen.502 Ein damals vorherrschendes Klima der Angst und Unsicherheit vor politischem Terrorismus,503 ein zunehmend schwacher Rechtsstaat sowie eine sich auf allen Landesebenen durchsetzende, »bipolare«504 Vergangenheitswahrnehmung drückte sich sonach in unzähligen Massenaufmärschen und faschistisch bzw. rassistisch motivierten Gewaltaktionen aus:505 Wohl am schlimmsten am Mord des Studenten Davide Cesare, der bei einer antifaschistischen Demonstration in Mailand am 17. März 2003 von Rechtsextremen brutal niedergestochen wurde.506 Oder in einem Gymnasium in Bozen am 4. Dezember 2001, als ein junger Schüler seine rechtsextremen Klassenkammeraden dazu aufforderte, doch bitte das lauthalse Huldigen Mussolinis zu 499 Dessen Wurzeln, wie weiter oben gezeigt, mit Hilfe des MSI und der ersten Amtsperiode Berlsconis allerdings schon in den später Achtzigern gesprossen waren und sich bis in die späten Neunziger landesweit verfestigt hatten. Vgl. Klinkhammer, Der neue »Antifaschismus« des Gianfranco Fini, S. 271. 500 Die Monopolmacht Berlusconis über das italienische Mediensystem war bei dessen zweitem Wahlsieg derart offensichtlich, dass das Europaparlament in seinem Jahresbericht der Menschenrechte in der EU vom 15. Januar 2001 in Besorgnis um den Grundsatz der Medienfreiheit intervenierte – wenn auch letztendlich ohne große Wirkung. Vgl. Del Boca, Angelo: Un bilancio deprimente di violenze fasciste e razziste, in: Studi Piacentini, Bd. 33, 2003, S. 7–36, hier S. 16. 501 Mattioli, »Viva Mussolini!«, S. 126–128; Klinkhammer, Der neue »Antifaschismus« des Gianfranco Fini, S. 271. 502 Del Boca, Un bilancio deprimente di violenze fasciste e razziste, S. 7. 503 Del Boca verweist hierzu auf die damals in Italien um sich greifende Angst, dass sich angesichts der Wiederwahl Berlusconis und der damit einhergehenden Mobilisierung der Zivilbevölkerung für- aber genauso auch gegen ihn, neue Formen des politischen Terrorismus von rechts sowie von links entwickeln könnten. Vgl. Del Boca, Un bilancio deprimente di violenze fasciste e razziste, S. 10–11 sowie S. 21. 504 Der deutsche Historiker Lutz Klinkhammer erkennt in den Wahlen von 2001 den Anbruch einer neuen Phase der italienischen Vergangenheitspolitik, die in ebenjene »bipolare« Sicht auf die Geschichte mündete. Während sich diese kontroverse Vergangenheitsperzeption im übrigen Italien vor allem an der geschichtspolitischen Diskussion um die Resistenza zeigte, verlagerte sich die Debatte in Südtirol freilich mehr auf die »korrekte« Erzählweise der faschistischen Herrschaftszeit sowie auf die kulturelle und staatsrechtliche Zugehörigkeit der Brennerregion. Vgl. Klinkhammer, Der neue »Antifaschismus« des Gianfranco Fini, S. 269. 505 Del Boca, Un bilancio deprimente di violenze fasciste e razziste, S. 21–29. 506 Ebd., S. 31.
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unterlassen – für seine Zivilcourage aber arg zugerichtet sowie zu »Viva il Duce!«-Rufen genötigt wurde.507 In Südtirol zeigte sich dieser landesweite Rechtsrutsch zudem im erneuten Wahlsieg italienisch-nationalistischer Parteien und Politiker von 2003.508 Von Bozen aus sorgte dabei namentlich die FI-Abgeordnete Michaela Biancofiore für neuen Furor um das Alpinidenkmal: Besonders als sie nach ihrer Wahl zusammen mit der ebenfalls rechtsstehenden Unitalia den Wiederaufbau des alten Standbilds ankündigte;509 was Kulturminister Giuliano Urbani als Antwort auf eine Intervention der SVP-Senatorin Helga Thaler allerdings kurzerhand zurückwies.510 Dafür spielte Urbani während einer Kranzzeremonie am Kapuzinerplatz die alte Leier vom Alpinidenkmal als einem Symbol des friedlichen Zusammenlebens aller Sprachgruppen, weshalb dessen Fragmente immerhin restauriert werden sollten.511 Gerade in Südtirol wurden derlei Provokationen freilich nicht einfach hingenommen: Wiederum wurde mit diversen Kunstaktionen, Farbanschlägen und Kranzdiebstählen gegen den italienisch-nationalistischen Aussagewert des Denkmals demonstriert.512 Auf deutsch-nationalistischer Seite war es nun besonders der SSB, der als selbsternannter Wächter der ›deutschen‹ Kultur gegenüber der Schönfärberei des Faschismus ein nicht minder engstirniges Gegengedächtnis mobilisierte.513 507 Del Boca, Un bilancio deprimente di violenze fasciste e razziste, S. 22. 508 Die AN wurde mit drei Mandaten immerhin zweitstärkste Partei, während die FI und die Unitalia – Movimento per Alto Adige mit jeweils einem Sitz neu in den Landtag einzogen. Vgl. Archivdatenbank des Südtiroler Landtags, aufgerufen am 06. 05. 2019. 509 »Der ›Wastl‹ wird renoviert«, in: Dolomiten, 7. 5. 2003, S. 33; »Alle plädieren für friedliche Lösung«, in: Dolomiten, 8. 5. 2003, S. 43; »Michaela »stringiamo«!«, in: Dolomiten, 30. 3. 2003, S. 4; »Zum »Wastl« noch nicht ausdiskutiert«, in: Dolomiten, 12. 6. 2003, S. 43. 510 Urbani bestätigte allein, dass er beim SABAP ein Gutachten über das Alpinidenkmal in Auftrag gegeben hätte, um sich über dessen generellen Zustand ein Bild zu machen. Vgl. »Wastl, bleib‹ wie du bist«, in: Dolomiten, 8. 6. 2003, S. 3; »Nur Gutachten, keine Genehmigung«, in: Dolomiten, 12. 5. 2003, S. 17; »Il ministro ha autorizzato une verifica«, in: Alto Adige, 14. 5. 2003, S. 35; Gutachten von Dr. Mauro Cuva, betr. »Brunico (BZ) – Monumento all’Alpino. Segnalazione stato degrado. Richiesta informazioni«, Verona 21. 2. 2003, in: Archiv SABAP, Dossier BZ 2.Monumento Alpino/1. Prot. Nr. 2384, ohne Sig. 511 »Monumento: via le cancellate, bocciate le targhe esplicative«, in: Alto Adige, 17. 10. 2003, S. 14. 512 »Vernice rossa imbratta il naso dell’Alpino«, in: Alto Adige, 2. 11. 2002, S. 38; »Farbangriff auf das Alpinidenkmal«, in: Dolomiten, 2./3. 11. 2002, S. 25; »Mahnwache beim »KapuzinerWastl«», in: Dolomiten, 17./18. 5. 2003, S. 42; »Monumento all’Alpino imbrattato con vernice«, in: Alto Adige, 18. 7. 2006, S. 32; »Alpinidenkmal mit Schriftzug beschmiert«, in: Dolomiten, 18. 7. 2006, S. 22; »Alpinidenkmal beklebt«, in: Dolomiten, 4. 4. 2008, S. 31; »Corona dell’Alpino tolta e quindi distrutta«, in: Alto Adige, 15. 6. 2008, S. 36; »Kranz am Alpinidenkmal entwendet«, in: Dolomiten, 17. 6. 2008, S. 36. 513 Politische Rückendeckung erhielt er dabei erneut von deutsch-nationalistischen Oppositionsparteien wie den Freiheitlichen, der UfS oder der 2007 neu gegründeten Süd-Tiroler Freiheit – Freies Bündnis für Tirol. Deren Eintritt in die Landesregierung erfolgte durch
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Als günstiger Anlass diente ihm dazu das Andreas Hofer-Gedenkjahr von 2009, das ein Jahr nach Beginn der dritten Legislaturperiode Berlusconis in Südtirol begangen wurde.514 Obschon mit einem kulturellen Großaufgebot zwar durchaus ein kritischer Zugang zum Leben und Wirken des Sandwirts versucht wurde,515 waren es letztendlich doch die Fackelzüge der Schützen, welche am häufigsten für Schlagzeilen sorgten.516 Der erste Marsch »Für Tirol – gegen Faschismus« fand dazu bereits am Abend des 8. Novembers 2008 in Bozen statt.517 Eine in Tracht uniformierte Marschformation zog dabei am Siegesdenkmal vorbei, um sich schließlich vor dem Mussolinirelief am Gerichtsgebäude aufzustellen und das Beseitigen aller Baudenkmäler des Ventennio nero einzufordern.518 Im eigentlichen Gedenkjahr von 2009 fand die offizielle Schützenkundgebung am
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einen historischen Rechtsrutsch der Landtagswahlen von 2008, bei dem die vergleichsweise gemäßigte SVP erstmals seit 1948 die absolute Mehrheit an Sitzen verlor. Parteien wie die Süd-Tiroler Freiheit, deren Politiker sich wie die Schützen gerne in österreichischer Tracht ablichten lassen, setzten das Beseitigen umstrittener Denkmale fortan zuoberst auf ihre Agenda. Wohl auch deswegen, weil sich angesichts des relativen Wohlstands Südtirols nur wenig andere Themen kulturnationalistisch derart dankbar ausschlachten lassen. Vgl. Steinacher, Gerald: Fascist Legacies: The Controversy over Mussolini’s Monuments in South Tyrol, Faculty Publications, Departement of History, University of Nebraska, 2013, S. 647–666, hier S. 659; Heiss, Hans: Annus semper mirabilis: Das 200. Anniversar der Tiroler Erhebung 1809, in: Südtirolismen. Erinnerungskulturen – Gegenwartsreflexionen – Zukunftsvisionen, Georg Grote und Barbara Siller (Hg.), Innsbruck 2011, S. 65–85, hier S. 72–73. Konkret galt die Feier dem 200. Jubiläum des Tiroler Widerstands um Andreas Hofer von 1809. Im Gegensatz zu den vorgegangenen Hofer-Anniversaren von 1909, 1934, 1959 und 1984 genoss die Ausgabe von 2009 nicht zuletzt dank den neuen Möglichkeiten digitaler Medien eine bis dahin nie dagewesene, öffentliche Aufmerksamkeit. Vgl. Heiss, Annus semper mirabilis, S. 65–66. Eine grundlegende Revision des Hofer-Mythos wurde dabei mittels diverser Ausstellungen, zahlreicher Theateraufführungen sowie einer ersten wissenschaftlichen Aufarbeitung versucht. Heiss, Annus semper mirabilis, S. 67–71; Oberhofer, Andreas: Der Andere Hofer. Der Mensch hinter dem Mythos, Innsbruck 2009; Schennach, Martin Paul: Revolte in der Region. Zur Tiroler Erhebung von 1809, Innsbruck 2009. So dominierten die dort geäußerten, reaktionären Rufe nach Selbstbestimmung des SSB die Südtiroler Medien, womit sie bei weiten Bevölkerungskreisen durchaus den Nerv der Zeit trafen. Der Südtiroler Historiker Hans Heiss beschreibt das damals vorherrschende Klima wie folgt: »Parolen wie ›Los von Rom‹ oder ›Selbstbestimmung jetzt!‹ zündeten unter weiten Südtiroler Bevölkerungsgruppen, die in solchen Bannformeln den Wunsch nach sicherem Abstand vom italienischen Nationalstaat und vom ›Mahlstrom‹ der Globalisierung aufgegriffen sahen.« Vgl. Heiss, Annus semper mirabilis, S. 67. Heiss, Annus semper mirabilis, S. 73. Offensichtlich übertrat der SSB mit solchen Massenkundgebungen – bei denen uniformierte und mit einem Schützengewehr bewaffnete Mitglieder unmissverständlich politische Ziele wie die Selbstbestimmung skandierten – dessen offizielle Funktion eines reinen Folklorevereins. Tatsächlich avancierten die Schützen damit zu einem nicht zu unterschätzenden, politischen Akteur in Südtirol. Vgl. Heiss, Annus semper mirabilis, S. 73.
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25. April in Bruneck statt.519 Angeblich zu Tausenden520 zogen die Schützen und ihre Marketenderinnen mit Transparenten und Trommeln durch die Rienzstadt auf den Rathausplatz und sagten dem Faschismus und seinen Wahrzeichen – diesmal speziell dem Alpinidenkmal – nochmals explizit den Kampf an. Offiziell begleitet wurde der Demonstrationszug außerdem von Vertretern der Freiheitlichen, der Süd-Tiroler Freiheit521 sowie der UfS.522 Aufsehen erregte dabei, dass den Schützen und ihren Begleitern der Zugang zum Kapuzinerplatz unter einem Polizeigroßaufgebot zwar untersagt worden war,523 der ehemalige Alpino und Unitalia-Abgeordnete Donato Seppi auf Zusage des Quästors Piero Innocenti aber dennoch am Fuße des Sockels einen Kranz niederlegen durfte.524 Seppi setzte sich dazu mit den folgenden Worten als ein volksnaher Beschützer des Denkmals in Szene: »L’Alpino H il simbolo dell’italianit/ dell’Alto Adige e di uno dei corpi militari che maggiormente si H distinto, sia in tempo di guerra che di pace, per umanit/, coraggio e dedizione al prossimo. Non permetteremo che nessuno calpesti queste prerogative che fanno dell’Alpino di Brunico uno dei simboli giustamente piF amati dalla popolazione.«525
Seppi war dabei allerdings nicht der Einzige, der sich weiterhin auf solch althergebrachte Scheinargumente berief. Die Denkmaldiskussion der Nullerjahre war generell von sich verhärtenden Positionen geprägt. Durch eine ungewöhnlich dichte Berichterstattung in den Printmedien sowie den neuen Möglichkeiten digitaler Informationskanäle nahm die Debatte quantitativ allerdings ein bis dahin ungesehenes Ausmaß an. Exemplarisch für dieses Stimmengewirr ist dabei eine Ausgabe der Dolomiten vom Mai 2003, in der anlässlich der von Urbani ange519 Völlig bewusst wählte der SSB dieses Datum: wird an diesem doch normalerweise in Italien der Tag der Befreiung gefeiert. Vgl. Heiss, Annus semper mirabilis, S. 16–19. 520 Die Alto Adige berief sich auf den Angaben des Pustertaler Schützenkommandanten, gemäß denen sich an diesem Tag 3500 Schützen in Bruneck versammelt hatten. Vereinsintern berichtete der SSB ebenfalls von rund 3000 Schützen – verwies aber zusätzlich noch auf weitere 6000 Zuschauer. Vgl. »3.500 Schützen in corteo: via L’Alpino«, in: Alto Adige, 26. 4. 2009, S. 12–13; »Eindrucksvolles Zeichen gegen den Faschismus«, in: Tiroler Schützenzeitung, 2. Juni 2009, Jg. 33 Nr. 3, S. 1–3, hier S. 1. 521 Die Süd-Tiroler Freiheit startete 2009 zudem eigens eine Internetkampagne zur »Dokumentation faschistischer Relikte in Süd-Tirol«, in welcher sie diese in Südtirol akribisch aufspürt, veröffentlicht und selbstredend für deren endgültige Beseitigung plädiert. Vgl. »Dokumentation faschistischer Relikte in Süd-Tirol», aufgerufen am 06. 05. 2019. 522 »3.500 Schützen in corteo: via L’Alpino«, in: Alto Adige, 26. 4. 2009, S. 12–13. 523 »Marsch endet am Rathausplatz«, in: Dolomiten, 16. 4. 2009, S. 32; »L’Alpino di Brunico blindato da 400 agenti«, in: Alto Adige, 18. 4. 2009, S. 15. 524 »3.500 Schützen in corteo: via L’Alpino«, in: Alto Adige, 26. 4. 2009, S. 12–13; »Applaus für Ruhe und Disziplin«, in: Dolomiten, 27. 4. 2009, S. 16; »Provokation ersten Ranges«, in: Dolomiten, 27. 4. 2009, S. 16. 525 »Da Unitalia un mazzo di rose per l’Alpino«, in: Alto Adige, 26. 4. 2009, S. 13.
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kündigten Restaurierung die verschiedenen Parteien zum ›Wastl‹ befragt wurden. Mit dem Kulturminister übereinstimmend war hierbei das Votum des Vorsitzenden der ANA-Sektion Bruneck Attillio Gallina: Der Wiederaufbau des Denkmals wäre demnach tatsächlich als ein bloßes Friedenszeichen zu verstehen.526 Gallinas deutschsprachige Landsleute zeigten sich allerdings einiges skeptischer. Wie schon in den Neunzigerjahren verlangten sie nach einer einzuberufenden Kommission, die einen Vorschlag für ein neues Denkmal an einem neuen Standort ausarbeiten sollte. Hans Kolfer von der SVP wollte das Monument hingegen lieber so belassen, wie es war, um keine neuen Auseinandersetzungen zu provozieren. Gemeinderat Franco Nones von den Grün-Liberalen erkannte hinter der Ansage Biancofiores und Urbanis allerdings schlichtweg eine plumpe Wahlkampfstrategie: In Wahrheit bestünden dringendere Probleme, die man stattdessen zusammen anpacken solle.527 Weitaus emotionaler wurde das Denkmal hingegen im Brunecker Lokalblatt FORUM diskutiert.528 Besonders hier machten sich auch radikalere Meinungen der deutschsprachigen Oppositionsparteien breit, gemäß denen das Denkmal nach wie vor als ein Symbol des unterdrückten Südtiroler Volkes sowie des Leidens der äthiopischen Zivilbevölkerung beseitigt gehöre.529 So ließ Landtagabgeordneter Pius Leitner von den Freiheitlichen 2003 verlauten: »Dieses Denkmal erinnert an den Einsatz italienischer Truppen in Abessinien, wo das faschistische Italien einen imperialistischen Kolonial- und Angriffskrieg führte.«530 In derselben Ausgabe stimmte auch Eduard Stoll von der UfS mit Leitner überein:
526 Der faschistische Entstehungshintergrund des Alpinidenkmals wurde vom ANA-Vorsitzenden zwar nicht geleugnet. Das Denkmal ehre aber ohne politische Absichten schlichtweg die in Abessinien und im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten beidseits der Front. Schließlich hätten diese nur ihre Pflicht erfüllt und seien überwiegend gegen ihren Willen eingezogen worden. Der Alpino solle deshalb als ein Zeichen gegen den Krieg aufgefasst werden. Vgl. »Alle plädieren für eine friedliche Lösung«, in: Dolomiten, 8. 5. 2003, S. 43. 527 »Alle plädieren für eine friedliche Lösung«, in: Dolomiten, 8. 5. 2003, S. 43. 528 Bei der FORUM handelte es sich um eine 2002 ins Leben gerufene, zweisprachige Gratiszeitschrift. Allmonatlich wurden darin anstatt selbstrecherchierter Artikel ausschließlich Leserbriefe sowie andere private Wortmeldungen veröffentlicht. Vgl. »Was ist Forum«, in: FORUM, Januar 2002, Nr. 1, S. 1. 529 Ironischerweise widersprach ihnen der aus Rom kommende Geschichtsrevisionismus zumindest insofern nicht mehr, als es sich tatsächlich um ein faschistisches Monument zu Ehren des Einsatzes der Soldaten im Abessinienkrieg handle. Nur sei dies kein Grund zur Schande, sondern vielmehr ein historisches Erbe, auf das auch die Südtiroler stolz sein sollten – so Biancofiore in einem Artikel der Dolomiten von Frühjahr 2003. Vgl. »Der ›Wastl‹ wird renoviert«, in: Dolomiten, 7. 5. 2003, S. 12. 530 »Freiheitliche / Alpinidenkmal Bruneck«, in: FORUM, Mai 2003, Nr. 10, S. 12.
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»Es handelt sich um ein Denkmal, das von einem faschistischen Regime der Stadt Bruneck aufgezwungen wurde und auf Grund seiner Entstehung den italienischen Angriffskrieg gegen ein wehrloses Volk in Afrika verherrlichen soll.«531
Fünf Jahre später war es dann wieder der SSB, der die Kriegsverbrechen des faschistischen Italiens in Äthiopien erneut als Gegenargument gegen das Denkmal bemühte.532 Die Diskussion um den ›Wastl‹ wurde dabei erstmals auf eine internationale Ebene gehoben,533 als der Landeskommandant Paul Bacher im Sommer 2008 der Äthiopischen Botschaft in Rom einen offenen Brief für den Präsidenten Girma Wolde-Giorgis und den Premierminister Meles Zenawi überreichte.534 In dieser sog. ›Schützen-Akte‹ wurden nicht nur die während des Abessinienkriegs begangenen Verbrechen in aller Deutlichkeit angeklagt sowie dem italienischen Staat die nach 1945 unterlasse Aufarbeitung vorgeworfen. Auch wurde die äthiopische Regierung darum gebeten, dem Schützenbund in seinem Kampf gegen die faschistischen Denkmäler in Südtirol tatkräftig beiseite zu stehen. Grundsätzlich wurden die Südtiroler zusammen mit den Äthiopiern darin gleichermaßen als Opfer faschistischer Unterdrückungspolitik dargestellt – ungeachtet dessen, wie anmaßend ein solcher Vergleich bei näherem Hinsehen doch erscheint.535 Die in der ›Schützen-Akte‹ geschilderte Opfersemantik markiert allerdings einen bemerkenswerten Perspektivenwechsel in der Diskussion um das Alpinidenkmal sowie damit einhergehend um den Abessinienkrieg: 531 »Pressemitteilung zum Alpini-Denkmal in Bruneck«, in: FORUM, Mai 2003, Nr. 10, S. 14. 532 Ein Artikel in der Dolomiten vom 30. 6. 2008 wies zudem darauf hin, dass der SBB dabei auch von einzelnen Vertretern der SVP und der Süd-Tiroler Freiheit unterstützt worden wäre. Vgl. »Schützen rufen Äthiopien als Alliierten an«, in: Dolomiten, 30. 6. 2008, S. 6. 533 Um eine möglichst große Aufmerksamkeit zu erreichen, wurde der dem Äthiopischen Botschafter überreichte Brief zusätzlich an alle italienischen, österreichischen, deutschen und äthiopischen Zeitungen- sowie an alle Politiker in Südtirol, Österreich, Italien und im EU-Parlament zugestellt. Vgl. »Der ›Wastl‹ und andere Symbole düsterer Zeit müssen weg!«, in: Pustertaler Zeitung, 12. 9. 2008, S. 19–20. 534 Offener Brief des Landeskommandanten des SBB, Paul Bacher, an den äthiopischen Präsidenten Girma Woldegoris sowie den äthiopischen Premierminister Meles Zenawi, Bozen 25. 06. 2008; Online Pressemitteilung des SSB, 30. 06. 2008, aufgerufen am 01. 05. 2019. 535 So sucht man in der ›Schützen-Akte‹ vergeblich nach einer ehrlichen Entschuldigung für die von Italien begangenen Kriegsverbrechen, an denen trotz allem auch Südtiroler Soldaten beteiligt gewesen waren. Das hier eingenommene Opfergedächtnis der Schützen lässt folglich keine unvoreingenommene Sicht auf den faschistischen Aggressionskrieg zu, der von den sich im Einsatz befindenden Südtirolern je nach Gegebenheit ganz unterschiedlich wahrgenommen worden war. Vgl. De Pretto, Sebastian: Der Abessinienkrieg aus der Sicht dreier Südtiroler Soldaten gegenüber der Bildpropaganda des Istituto Nazionale Luce, in: Abessinien und Spanien: Kriege und Erinnerung 1935–1939, Andrea Di Michele (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 25 (2016), Heft 1, S. 41–68, hier S. 55–67; Wurzer, Markus: »Reisetagebuch nach Afrika«. Koloniale Erzählungen zu Gewalt, Fremdheit und Selbst von Südtiroler Soldaten im Abessinienkrieg, in: Ebd., S. 68–95, hier S. 86–95.; Ders.: »Nacht hörten wir Hyänen und Schakale heulen.« Das Tagebuch eines Südtirolers aus dem Italienisch-Abessinischen Krieg 1935–1936, Innsbruck 2016, S. 102–111.
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Würdigt die italienisch-nationalistische Lesart des Alpinidenkmals den Einsatz der ›Atesini‹ für das ›Impero‹ in der Form eines von Aleida Assmann so genannten heroischen Opfergedächtnisses, so erscheint der Kriegsdienst der Südtiroler für die deutsch-nationalistischen Erzählweise dagegen innerhalb eines traumatischen Opfergedächtnisses.536 Zwar ist beide Male von ›Opfern‹ die Rede, der damit verbundene Anspruch ist allerdings jeweils ein grundlegend anderer. Während der sakrifizielle Opferbegriff einem märtyrerhaftem Kriegsdienst der Südtiroler für das italienische ›Vaterland‹ gedenkt, behauptet ein mythisch überhöhter, viktimologischer Opferbegriff gemäß Assmann: »Ehre im Sinne eines Anspruchs und positiven Selbstwerts.«537 Die Südtiroler seien demnach genauso unfreiwillig in diesen Expansionskrieg hineingezogen worden wie die abessinische Zivilbevölkerung, weshalb das Alpinidenkmal schließlich für beide in höchstem Maße beleidigend sei.538 Somit schlugen die Schützen aus dem furchtbaren Leid des abessinischen Volkes – das vom Nachkriegsitalien tatsächlich lange Zeit unterschlagen worden ist539 – schamlos politisches Kapital, um damit das aktuelle Alpinidenkmal in seiner Kernaussage als dasselbe von 1938 zu diffamieren: Bloß um ein weiteres Argument im Kampf um politische Selbstbestimmung zu gewinnen.540 Paradoxerweise war es allerdings genau jene geschichtspolitische Lesart der Geschichte des Alpinidenkmals, die einem ersten Kompromiss den Weg ebnete. Nachdem Biancofiore im Sommer 2010 vergebens versucht hatte, die Büste
536 Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006, S. 72–74. 537 Ebd., S. 81. 538 »The very name of the division [Divisone Pusteria, SDP] was designed to give the false impression that the South Tyrolean’s were behind the shameful aggression against the Ethiopians. […] In fact it reminds us that our fathers and grandfathers – themselves oppressed – were forced to serve an oppressor – this ›Divisone Pusteria‹ which was hated in South Tyrol – although the majority of the troop’s members were Italians form Italian provinces. […]. These monuments mock us as well as you and therefore they have to be removed.« Vgl. Offener Brief des Landeskommandanten des SBB, Paul Bacher, an den äthiopischen Präsidenten Girma Woldegoris sowie den äthiopischen Premierminister Meles Zenawi, Bozen 25. 6. 2008. 539 Mattioli, »Viva Mussolini!«, S. 75–84. 540 Der Schützenbund wusste in den folgenden Jahren die »Freundschaft« zum äthiopischen Volk als sozusagen »Leidensgenossen« der Südtiroler immer wieder zu betonen – allerdings immer zusammen mit der Forderung, dass die faschistischen Denkmäler in Südtirol endgültig entfernt gehören. So auch im August 2009, als die Schützen mit Spendengeldern einen Computerraum in einer Schule in Addis Abeba finanzierten. Für die dortigen Schüler mag dies zwar durchaus als eine noble Geste erscheinen. Der Schützenbund verfolgt damit aber primär einen eigennützigen Imagegewinn für seine andauernde Kampagne gegen die Zugehörigkeit Südtirols zu Italien. Vgl. »SSB errichtet Computerraum in Addis Abeba, Äthiopien«, in: Tiroler Schützenzeitung, August 2009, Jg. 33 Nr. 4, S. 3.
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einem Soldatenfriedhof gleichzustellen,541 reichten die Freiheitlichen noch im selben Jahr beim Brunecker Gemeinderat einen Textvorschlag für Gedenktafeln ein, die vor dem Sockel des Alpinos platziert werden sollten.542 Interessanterweise zeigte sich die ANA mit diesem ersten Versuch einer Historisierung grundsätzlich einverstanden, allerdings stellte sie sich gegen den Inhalt des von den Freiheitlichen eingereichten Textes. Bürgermeister Christian Tschurtschenthaler erkannte nun die günstige Gelegenheit und schlug vor, die Tafeln zwar aufzustellen, jedoch ohne den von den Freiheitlichen abgefassten Text: Stattdessen sollte dieser von einem zweiköpfigen Historikerteam, das sich aus einem deutsch- und einem italienischsprachigen Wissenschaftler zusammensetzte, kritisch-vermittelnd verfasst werden.543 Am 28. März 2011 stellten die beiden Lokalhistoriker Stefan Lechner544 und Giorgio Delle Donne ihren ersten Vorschlag für die Denkmalgeschichte dem Gemeinderat vor. Dieser stimmte einer nochmals überarbeiteten Version des Textes am 26. September 2011 einstimmig zu.545 Die letzten Anpassungen erfolgten schließlich im Folgejahr nach dem Gutachten des Denkmalamtes in Verona, sodass der Gemeinderat den heute 541 Womit die Zuständigkeit über das Alpini-Monument vom Denkmalamt in Verona direkt an das Verteidigungsministerium bzw. das entsprechende Regierungskommissariat in Bozen übergegangen wäre. Vgl. »Biancofiore und das Alpinidenkmal«, in: Dolomiten, 24. 6. 2010; »Stancher : Via dal monumento«, in: Alto Adige, 25. 6. 2010, S. 25. 542 Sicherlich wurden sie dabei von zeitgleichen Entwicklungen in Bozen beeinflusst: 2009 beschloss der Landtag die Historisierung des Siegesdenkmals, die nach einem Abkommen zwischen der SVP und dem italienischen Kulturminister Sandro Bondi 2011 auch von Rom aus abgesegnet werden sollte. Das Ziel bestand darin, in der Krypta des Siegesdenkmals ein Dokumentationszentrum zu eröffnen, dass sich sowohl mit der faschistischen als auch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Südtirols kritisch auseinandersetzen sollte. Das Museum öffnete seine Türen 2014 und zeigte sich bisher als äußerst erfolgreich: 2016 wurde es vom Europäischen Museumsforum als das »Europäische Museum des Jahres« prämiert. Schließlich wurde 2017 auch das Mussolinirelief am Gerichtsgebäude in Bozen nach langen Diskussionen entschärft: Über dieses wird nun das Hanna Arendt Zitat »Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen« in allen drei Landessprachen projiziert. Vgl. Steinacher, Fascist Legacies, S. 661–663; Obermair, Hannes: Monuments and the City – an almost inextricable entanglement, in: Multiple Identitäten in einer »glokalen Welt«, Matthias Fink u. a. (Hg.), Bozen 2017, S. 88–99, hier S. 96–97; Dunajtschik, Erinnerungskulturen in Bozen, S. 160– 168. 543 »Alpinidenkmal und Informationstafeln«, in: Dolomiten, 2. 12. 2010, S. 44. 544 Namentlich Stefan Lechner bot sich für das Herausarbeiten einer kritischen Geschichte des Denkmals bestens an, da sich der Brunecker Historiker als erster an die umstrittene Vergangenheit des »Wastls« gewagt hatte. Seine Resultate veröffentlichte er zwischen 2003 und 2011 in zwei Artikeln der Neuen Südtiroler Tageszeitung und einem in der ff. Vgl. Lechner, Der Schwarze Wastl, in: Die neue Südtiroler Tageszeitung, 18./19. 10. 2003, S. 6; Ders.: Der Krieg im Stein, in: ff-Das Südtiroler Wochenmagazin, 6. 2. 2009, Nr. 9, S. 36–38; Ders.: Grimmig dreinblickender Alpino, in: Die neue Südtiroler Tageszeitung, 8. 4. 2011, S. 28–29. 545 Gemeinderatsbeschluss, betr. »Alpinidenkmal. Anbringung einer Informationstafel. Genehmigung des Textes«, Prot. Nr. 55, Bruneck 26. 9. 2011, in: StadtA Bruneck, Sig. 55.GR.26. 9. 2011.
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auf den Tafeln stehende Text am 22. Oktober 2012 verabschiedete.546 Somit war eine erste konsensuale Grundlage gefunden worden, die es mittels einer kritischhistorischen Herangehensweise vermochte, die ideologisch aufgeladenen Lesarten von lokaler bis nationaler Ebene in einem übergreifenden Narrativ miteinander zu vereinbaren.547 Noch heute wird die umstrittene Geschichte des Alpinidenkmals auf einem vor ihm angebrachten Informationsschild folgendermaßen erzählt: »Der faschistische Amtsbürgermeister von Bruneck regte 1936 die Errichtung eines Denkmals für die Alpini-Division Val Pusteria an. Die Gebirgsjägereinheit nahm am Kolonialkrieg Italiens gegen Abessinien (Äthiopien) teil.548 Die Einweihung des Denkmals erfolgte am 6. Juni 1938 auf dem Kapuzinerplatz, der durch neue Bauten und Symbole zu einem italienischen Gegenpol zur Altstadt Brunecks umgestaltet werden 546 Gemeinderatsbeschluss, betr. »Alpinidenkmal. Anbringung einer Informationstafel. Genehmigung des endgültigen Textes«, Prot. Nr. 65, Bruneck 22. 10. 2012, in: StadtA Bruneck Sig. 65.GR.22. 10. 2012. 547 Die Kunsthistorikerin Kerstin Stamm erkennt genau in solchen Versuchen des vermittelnden »Übersetzens« exklusiver Deutungsmuster einen möglichen Ausweg aus ideologisch festgefahrenen Debatten. Die ihnen zu Grunde liegenden Differenzen und Widersprüche sollen demnach nicht einfach übergangen werden, sondern so fern als möglich gleichberechtigt in eine integrative Narration aufgenommen werden. Vgl. Stamm, Kerstin: Von Unruhe- zu Friedenstiftern? Über den Unfrieden mit Denkmalen und seinen möglichen Nutzen, in: Umstrittene Denkmale. Der Umgang mit dem Erbe der Diktaturen. Birgit Franz u. a. (Hg.), Holzminden 2013, S. 41–49, hier S. 44–45. 548 An diesem Satz fand im Vergleich zur Originalfassung, die Lechner und Delle Donne dem Gemeinderat im März 2011 vorgelegt hatten, die umfangreichste Abänderung bzw. Kürzung statt. Die umstrittene Sicht der verschiedenen Streitparteien, die gerade auf den Abessinienkrieg vorherrscht, wird hier nochmals offenkundig. In der ersten Version lautete der Absatz wie folgt: »Die Gebirgsjägereinheit, der auch Südtiroler angehörten, nahm am Kolonialkrieg Italiens gegen Abessinien, das heutige Äthiopien teil. In diesem Vernichtungskrieg setzte die italienische Armee Giftgas gegen die schlecht ausgerüsteten Verteidiger und sogar gegen die Zivilbevölkerung ein.« Während der zweite Satz schon nach der ersten Einsicht des Gemeinderats vom September 2011 ersatzlos gestrichen worden war, änderte sich ebenfalls die Bemerkung, dass einerseits auch Südtiroler am Krieg teilgenommen hatten sowie andererseits, dass es sich dabei um einen »Kolonialkrieg« gehandelt hat. Der Begriff »Kolonialkrieg« wurde vom Gemeinderat sodann in »verbrecherischer Aggressionskrieg« umbenannt, was vom SABAP in Verona daraufhin allerdings nicht gut geheißen wurde: In der finalen Version ist deshalb wieder von einem »Kolonialkrieg« die Rede. Der Abessinienkrieg wird somit in eine Reihe mit älteren europäischen Kolonialeroberungen gestellt, womit dessen Alleinstellungsmerkmal als erster systematischer Vernichtungskrieg eines europäischen Großmachtregimes nach 1918 – unter Beteiligung auch von Südtirolern – nicht mehr explizit genannt wird. Vgl. Gemeinderatsprotokoll, Bruneck 28. 3. 2011, S. 2; Gemeinderatsbeschluss, 55.GR.26. 9. 2011, S. 3; Gemeinderatsbeschluss betr. »Alpinidenkmal. Anbringung einer Informationstafel. Genehmigung des endgültigen Textes«, Prot. Nr. 65, Bruneck 22. 10. 2012, in: StadtA Bruneck Sig. 65.GR.22. 10. 2012, S. 2– 3; Mattioli, Experimentierfeld der Gewalt, S. 93–94; Labanca, Nicola: Erinnerungskultur und Historiografie zum Abessinienkrieg, in: Zwischen Duce und Negus. Südtirol und der Abessinienkrieg 1935–1941, Gerald Steinacher (Hg.), Bozen 2006, S. 33–59, hier S. 55–56.
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sollte. Das vom Bildhauer Paolo Boldrin aus Padua angefertigte Standbild zeigte einen sechs Meter hohen, mit einem Gewehr bewaffneten, nach Norden, in Richtung Staatsgrenze blickenden Alpino. Es zelebrierte die ›Val Pusteria‹ und ehrte deren Gefallene, symbolisierte aber zugleich auch die Annexion Südtirols durch Italien nach dem Ersten Weltkrieg und die faschistische Politik der Zwangsitalianisierung der deutschen und ladinischen Minderheit ab 1922. Nach der Besetzung Italiens durch NSdeutsche Truppen am 8. September 1943 wurde die Skulptur von deutschsprachigen Brunecker Bürgern vom Sockel gerissen. Nach dem Krieg setzte sich die Nationale Alpinivereinigung ANA für deren Wiedererrichtung ein. Der Grödner Bildhauer Rudolf Moroder schuf einen vier Meter hohen, unbewaffneten Alpino in schreitender Pose. Das Denkmal wurde 1951 eingeweiht. In der Zeit der Bombenanschläge, die in Südtirol ab 1956 zur Errichtung des Selbstbestimmungsrechts einsetzten, wurde das Monument, das als Symbol des italienischen Staates betrachtet wurde, wiederholt beschädigt und 1966 vollkommen zerstört. Ein neues Denkmal in alter Form, gewidmet allen im Krieg oder bei zivilen Einsätzen ums Leben gekommenen Alpini, wurde 1968 enthüllt. 1979 wurde auch dieses Standbild in die Luft gesprengt und ein Jahr später nur mehr die Büste des Alpino auf den Sockel gestellt. Die Deutung des Alpinidenkmals ist umstritten. Für die einen ist es ein Symbol der Gebirgstruppen, die seit Jahrzehnten an internationalen Friedensmissionen teilnehmen und im Zivilschutz wichtige Aufgaben übernehmen. Anderen gilt es nach wie vor als Verherrlichung des Faschismus und seiner Kriege sowie als Symbol der damaligen Unterdrückung der lokalen Bevölkerung. Die Ereignisse rund um das Denkmal bzw. die Denkmäler sind ein wichtiger Teil der jüngeren Stadt- und Landesgeschichte, deren Kenntnis zum besseren Zusammenleben beitragen soll.«549
Politisch weitgehend entschärft, fand dank diesem vermittelnden Narrativ die bisher nachhaltigste Ruhepause am Alpinidenkmal statt – ob diese weiteren nationalistischen Grabenkämpfen standhält, wird sich wohl erst noch erweisen müssen.550 So wurde im August 2017 die Feder der Büste abgebrochen, was angesichts der damaligen Nationalratswahlen in Österreich medial entsprechend hochgespielt wurde.551 Steinacher erkennt in der Historisierung umstrittener Denkmäler zwar durchaus einen bedeutenden Schritt im Beilegen nationalistischer Differenzen.552 Um diese aber endgültig zu lösen, bedarf es einer weitaus grundlegenderen Bereitschaft zum friedlichen Zusammenleben beider Sprachgruppen. Bis dahin wird die Geschichte des Alpindenkmals wohl noch lange andauern.
549 Gemeinderatsbeschluss, 65.GR.22. 10. 2012, S. 2–3. 550 Heiss, Hans/Obermair, Hannes: Erinnerungskulturen im Widerstreit. Das Beispiel der Stadt Bozen/Bolzano 2000–2010, in: Der Grenzraum als Erinnerungsort. Über den Wandel zu einer postnationalen Erinnerungskultur in Europa, Patrick Ostermann, Claudia Müller/ Karl-Siegbert Rehberg (Hg.), Bielefeld 2012, S. 63–81, hier S. 79. 551 »Sfregiato il monumento all’alpino«, in: Alto Adige, 27. 08. 2017, aufgerufen am 06. 05. 2019. 552 Steinacher, Fascist Legacies, S. 666.
Fazit
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Fazit Die Geschichte des Alpinidenkmals in Bruneck zeigt, dass nicht nur dessen ursprünglicher Gedenkanlass – die ›glorreiche‹ Hingabe der Divisione Pusteria für das ›Impero‹ – stets umstritten war, sondern dessen nunmehr 80-jährige Geschichte ebenso zur Disposition steht. Je nach Lesart wird dem Bauwerk dabei mehr oder weniger öffentliche Legitimität zu- bzw. abgesprochen. Auch dessen eigentliche Funktion wird in den unterschiedlichen Erzählweisen entsprechend anders gewichtet: Die deutsch-nationalistische Sichtweise erkennt im ›Kapuziner-Wastl‹ einen weiteren machtarchitektonischen Fremdkörper des faschistischen Regimes, der neben diversen anderen Protzbauten in dem zu Unrecht ›besetzten‹ Südtirol als Grenzstein platziert wurde. Die italienisch-nationalistische Seite sieht darin hingegen primär ein Zeichen der ›Italianit/‹, das sie mit dem weit entfernten Rom verbindet und somit ihre angeblich immerwährende Treue zum ›Vaterland‹ bekundet. Gewiss schließen sich diese beiden Auffassungen gegenseitig nicht aus: Es handelt sich stattdessen um verschiedene Ausformulierungen einer mehrdeutigen Errichtungsintention, die bereits dem ersten Denkmal von 1938 anhaftete. Nicht nur wurde dieses vordergründig im Andenken an den Abessinienkrieg gestiftet, genauso sollte es die Herrschaft des Faschismus bis hin zum Alpenkamm unverkennbar festschreiben. Im Umgang mit dem Alpinidenkmal nach 1943 spiegelten sich sodann stets die Geschehnisse der turbulenten Nachkriegsjahrzehnte Südtirols wider. Die unzähligen Farbaktionen, die beiden Sprengungen sowie die darauffolgenden Wiedererrichtungen sind somit als unmittelbarer Ausdruck der sich daraus ergebenden Geschichte dieser umstrittenen Grenzprovinz anzusehen. Es verwundert daher kaum, dass der steinerne Alpino relativ rasch ein Bestandteil der sich darum rankenden Erzählungen wurde. Die scheinbare Unvereinbarkeit der hier konkurrierenden Hauptnarrative, auf welche die Polemik um das Standbild auf dem Kapuzinerplatz letztendlich rekurriert, gründet dabei ganz wesentlich auf der ideologischen Verbissenheit der Konfliktparteien. Beidseitig des kulturnationalistischen Frontverlaufs werden zwar durchaus zutreffende Aspekte der Denkmalgeschichte hervorgehoben – genauso konsequent werden dabei indes auch wesentliche Einzelheiten überblendet oder komplett ausgelassen. So ist es historisch betrachtet schlichtweg undifferenziert, wenn namentlich die Promotoren des regionalen Selbstbestimmungskampfes das nach 1979 auf dem Sockel platzierte Bruchstück als dasselbe Monument wie dasjenige von 1938 bezeichnen. Obschon sich bei näherem Hinsehen die Frage aufdrängt, ob gewisse Kernaussagen des Vorvorgängerbaus die nach 1943 erfolgten Machtwechsel nicht etwa überdauert haben. Einige Kontinuitäten lassen sich hier ja zweifellos feststellen: Beispielsweise in der Absicht des UZC, in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit dem Alpini-
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Das Alpinidenkmal in Bruneck, 1938–2012
denkmal einen wichtigen Markstein der Italianität an der Grenze zu Österreich platziert zu haben. Genau jener unveränderte Aussagewert des Denkmals wird nun aber von der Gegenseite konsequent ausgeblendet: So fällt hier besonders die von der ANA beinahe gebetsmühlenartig wiederholte, friedensstiftende Absicht des Monuments von 1966 auf, welches vor allem dem zivilschützerischen Einsatz aller Gebirgseinheiten gedenke. Erstens wurden die neuen Standbilder jeweils nur deshalb errichtet, weil deren Vorgänger gesprengt worden war und nicht etwa, weil die Staatsvertreter in Rom oder die ANA von sich aus das Bedürfnis hatten, neue Symbole mit einer friedvolleren Aussage zu generieren. Zweitens entschied sich die Mailänder ANA-Zentrale mit ihrem Rekurs vor dem Staatsrat von 1985 bewusst dagegen, den ihr angebotenen Versöhnungspfad einzuschlagen. Die heutigen Überreste des Alpinidenkmals als ein Sinnbild des friedlichen Zusammenlebens beider Sprachgruppen zu bezeichnen, erscheint vor diesem Hintergrund schlicht unglaubwürdig. Zwischen nationalen Souveränitätsbekundungen und regionalem Selbstbestimmungsgebaren waren es schließlich lokale Stimmen von Schriftstellern, Journalisten, Politikern und Regionalhistorikern, die sich um eine sachliche Diskussion im korrekten Umgang mit dem ›Wastl‹ bemühten und sich entschieden gegen die der lauthalsen Polemik anhaftenden Nationalismen stellten. Mit den ersten, spontanen Protestaktionen und den Lokalblättern waren solche Zwischenrufe zuerst zwar kaum vernehmbar. Spätestens mit der vermittelnden und kritischen Herangehensweise von Lechner und Delle Donne konnte sich eine nüchterne Lesart des Denkmals schließlich aber dennoch Gehör verschaffen. Innerhalb ihrer integrativen Erzählung werden die von den Konfliktparteien üblicherweise ins Feld geführten Schlagworte gleichermaßen berücksichtigt, was freilich einiges an Unschärfe mit sich bringt – etwa wenn der Abessinienkrieg verallgemeinert als »Kolonialkrieg« bezeichnet wird – dafür aber von allen Entscheidungsträgern einstimmig angenommen werden konnte. Der faschistische Aggressionskrieg in Äthiopien wird darin zumindest dahingehend als politisches Streitargument entschärft, als dass dessen Relevanz für den ersten Denkmalbau von 1939 durchaus genannt wird. Für die nachfolgenden Standbilder werden sonach aber regionalhistorische Entwicklungen prominenter in den Vordergrund gerückt. Der Instrumentalisierung des vom äthiopischen Volk erlittenen Leids zur denkmalpolitischen Stimmungsmache, welche jüngst namentlich vom Schützenbund betrieben wurde, konnte somit zumindest vorläufig Einhalt geboten werden.
III.
Straßennamen in Bozen, 1919–2000
Straßenumbenennungen, 1919–1943 Die wechselhafte Geschichte Italiens hat sich seit 1861 fest in die Architektur der dortigen Städte und Dörfer eingeprägt. Neben zahllosen Baudenkmälern, die den Gründungsvätern und jeweiligen ›Nationalhelden‹ gedenken, schließen sich dabei vor allem die sie umgebenden Straßennamen553 zu einem erinnerungskulturellen Koordinatensystem des Landes zusammen. Sämtliche Herrschaftssysteme die das Bel Paese Zeit seines Bestehens gesehen hat, haben sich darin verzeichnet und sprechen teilweise noch heute aus den ihnen gewidmeten Straßen und Plätzen.554 Solch eine vielschichtige Geschichtskarte liegt deshalb auch in Bozen vor. Nicht nur die in der Stadt an der Etsch errichteten, ›italienischen‹ Stadtviertel und deren Monumente erzählen demnach über das Schicksal Südtirols nach 1919, sondern ebenso dessen weitläufiges Straßennetz. Das folgende Kapitel soll allerdings nicht nur über das Zustandekommen des dortigen Straßennamenkorpus berichten. Genauso wird auch die Funktion der imperialen Straßennamen555 erläutert, welche zunächst in den ausgehenden 553 Mit dem Begriff Straßenname – oder auch Hodonyme – ist im folgenden Kapitel eine Unterkategorie öffentlicher Ortsbezeichnungen – Toponyme – gemeint: »Sie [die Straßennamen, SDP] dienen einerseits als gemeinsame Kategorie für all die Namen, die das Netz von Verbindungslinien innerhalb einer geschlossenen Siedlung bezeichnen, seien es ein- oder mehrspurige Straßen, schmale Gassen, Fußwege, Steige, enge oder weite Plätze. Gleichzeitig werden unter dieser Kategorie auch Namen einbezogen, die für Verkehrswege außerhalb geschlossener Siedlungen gelten.« Vgl. Fuchshuber-Weiß, Elisabeth: Straßennamen: deutsch, in: Namensforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, Ernst Eichler, Gerold Hilty u. a. (Hg.), Bd. 2, Berlin – New York 1996, S. 1468–1475, hier S. 1468. 554 Raffaelli, Sergio: I nomi delle vie, in: I luoghi della memoria. Simboli e miti dell’Italia unita, Bd. 1, Mario Isnenghi (Hg.), Rom/Bari 2010, S. 261–289. 555 Die in Bozen nach 1919 verliehenen Straßennamen, die an die Expansionspolitik des liberalen Italiens sowie an diejenige Mussolinis erinnern, werden im Folgenden explizit als imperial- und nicht als kolonial bezeichnet. Der Begriff imperial vermag dabei die unterschiedlichen Formen italienischer Aggressionspolitik in Nord- sowie in Ostafrika ad-
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Zwanzigerjahren von den faschistischen Behörden zugeteilt wurden. Welcher Aussagewert später dem Abessinienkrieg innerhalb solcher Hodonyme zukam, wird daraus schließlich gleichermaßen ersichtlich. Dass Regimewechsel zugleich immer in einem Austausch öffentlicher Herrschaftssymbole münden, womit konsequenterweise auch Stadttexte556 überschrieben werden, geht anschließend aus der angeordneten Straßennamenrevision Bozens von 1943 hervor.
Tolomeis erste Umbenennungsvorschläge von 1919 Als Ettore Tolomei am 15. Juli 1923 im Bozner Stadttheater auftrat und seine ›Provvedimenti per l’Alto Adige‹ verlas, hatte die deutschsprachige Zuhörerschaft wahrlich nichts Gutes zu erwarten.557 Nicht nur waren die Südtiroler am 21. Januar desselben Jahres ungefragt zu Bürgern Italiens geworden, nun sollten sie gemäß den Anweisungen des hitzköpfigen Irrendentisten aus Trient also auch kulturell zu waschechten ›Italienern‹ werden. Neben den bereits im vorigen Kapitel besprochenen Zwangsmaßnahmen558 schien dem frisch ernannten Senator besonders die am Fuße des Alpenkamms verbreitete deutsche Sprache ein Dorn im Auge zu sein: Um gegen den von Rom aus geächteten ›Pangermanismus‹ vorzugehen,559 sollte sich das Italienische in der Brennerregion mit immerhin acht seiner ›Provvedimenti‹ endgültig als die dominante Sprache durchsetzen.560
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äquater zu fassen, da es sich bei diesen nicht mehr ausschließlich um Kolonialkriege im herkömmlichen Sinne des Wortes handelte: Besonders der Abessinienkrieg erreichte beispielsweise durch den systematischen Einsatz von Giftgas ein Ausmaß an Gewalt, das in den Überseeterritorien anderer Kolonialmächte bis dahin noch ungesehen war. Ferner wird mit den ›imperialen‹ Straßennamen auch die Nähe zu denjenigen Wegbezeichnungen sichtbar, die ebenfalls vom faschistischen Regime verliehen wurden und als Zeichen des angeblichen Anspruchs auf das ›Alto Adiges‹ die Expansionspolitik des antiken Roms gen Norden glorifizierten. Stachel, Peter : Stadtpläne als politische Zeichensysteme. Symbolische Einschreibungen in den öffentlichen Raum, in: Die Besetzung des öffentlichen Raumes. Politische Plätze, Denkmäler und Straßennamen im europäischen Vergleich, Rudolf Jaworski/Peter Stachel (Hg.), Berlin 2007, S. 13–61, hier S. 22. Steininger, Rolf: Südtirol im 20. Jahrhundert. Vom Leben und Überleben einer Minderheit, Innsbruck 1997, S. 77–80. Vgl. Kap. »Entnationalisierung – Italianisierung«, S. 60–62. Framke, Gisela: Im Kampf um Südtirol. Ettore Tolomei (1865–1952) und das »Archivio per l’Alto Adige«, Tübingen 1987, S. 27–28. Dabei handelt es sich allein um jene acht von insgesamt 32 Punkten, welche direkt auf die faschistische Sprachpolitik in Südtirol Bezug nahmen. Zu diesen zählen die Einführung des Italienischen als Amts- und Gerichtssprache; das Verbot des Namens ›Südtirol‹ bzw. ›Deutsch-Südtirol‹ – dieses hieß fortan ›Alto Adige‹ –; die Italianisierung der deutschen Ortsnamen-, der öffentlichen Aufschriften-, aller ›verdeutschten‹ Familiennamen- sowie
Straßenumbenennungen, 1919–1943
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Auf den ersten Blick kamen diese knapp ausformulierten, sprachpolitischen Dekrete vielleicht unscheinbar daher – sie stützten sich jedoch auf eine schon seit mehreren Jahren laufende Recherchearbeit Tolomeis. Seine damit einhergehende, publizistische Laufbahn als irredentistischer Verfechter der ›Italianit/‹ in den nördlichen Grenzregionen des Landes hatte ursprünglich mit dem von ihm und der Dante-Allighieri-Gesellschaft 1890 herausgegeben, propagandistischen Kampfblatt La Nazione Italiana begonnen. Zwar vertrat Tolomei zuvor in Rom noch durchaus linke Positionen, doch nachdem er sich nach 1888 für zwölf Jahre in Tunis und Kairo als Lehrer aufgehalten hatte, radikalisierte er sich zusehends und wurde letztendlich zu einem rechtsnationalistischen Irredendentisten.561 Als selbsternannter Namensforscher hatte Tolomei sich in seinen Zeitschriftenartikeln demnach schon seit Langem fieberhaft darum bemüht, den deutschen Namensbestand Südtirols zu katalogisieren, um diesen durch eine ›ursprünglichere‹ italienische Nomenklatur zu ersetzen. Seine propagandistisch-onomastischen Pseudostudien veröffentlichte Tolomei überdies in der 1906 von ihm gegründeten Fachzeitschrift L’Archivio per l’Alto Adige oder im zehn Jahre darauf erstmals von der Societ/ Geografica Italiana562 herausgegebenen Prontuario dei nomi locali dell’Alto Adige.563 Unter dem Vorwand wissenschaftlichen Interesses wurde darin nach dem Leitmotiv »restituire, sostituire, creare« zuerst eine ›Rückübersetzung‹ der gesamten Toponomastik der fremdsprachigen Grenzprovinz ins Lateinische vorgenommen. aller Straßennamen. Schließlich sollte auch die ›italienische‹ Sprache und Kultur ›großzügig‹ gefördert werden. Weitere Maßnahmen wie dem Austausch der deutschsprachigen Beamtenschaft oder die Italianisierung des öffentlichen Schulsystems können dazu aber genauso genannt werden – auch wenn in ihnen die repressive Sprachpolitik nur indirekt zum Ausdruck kommt. Vgl. Steininger, Rolf: Südtirol im 20. Jahrhundert. Dokumente, Innsbruck 1999, S. 33–34; Framke, Im Kampf um Südtirol, S. 181 sowie S. 185. 561 Framke, Im Kampf um Südtirol, S. 50–58; Gatterer, Claus: Im Kampf gegen Rom. Bürger, Minderheiten und Autonomien in Italien, Wien/Frankfurt a. M./Zürich 1968, S. 49–53; Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 22. 562 Die Königliche Geographische Gesellschaft nominierte 1916 gleich drei Ortsnamenkommissionen, die sich mit Rückbenennung fremdsprachiger Toponyme in Grenzregionen befassten: Die Kommission für Südtirol – die Tolomei leitete –, eine zweite für Dalmatien sowie eine dritte für das Österreichische Küstenland. Die Arbeit der drei Amtsstellen war innerhalb der geographischen Gesellschaft aber nicht unumstritten, da sich diese anstatt aus fachkundigen Philologen aus fachfremden Geographen und Naturwissenschaftlern zusammensetzten. Vgl. Kühebacher, Egon: Zur Arbeitsweise Ettore Tolomeis bei der Italianisierung der geographischen Nomenklatur Südtirols, in: Ettore Tolomei. Un nazionalista di confine / Die Grenzen des Nationalismus, Michael Gaismair-Gesellschaft Bozen (Hg.), S. 279–295, hier S. 281. 563 Kramer, Johannes: Ettore Tolomeis Italianisierung der Südtiroler Ortsnamen im europäischen Kontext, in: Ettore Tolomei. Un nazionalista di confine / Die Grenzen des Nationalismus, Michael Gaismair-Gesellschaft Bozen (Hg.), S. 295–315, hier S. 299; Hametz, Maura: Naming Italians in the borderland, 1926–1943, in: Journal of Modern Italian Studies, Bd. 15, S. 410–430, online Veröffentlichung 27. 5. 2010.
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Anschließend sollte dafür eine ausschließlich italienische Namensliste festgelegt werden. Dabei ging Tolomei von drei sprachlichen Zeitschichten aus, auf welche die in Südtirol vorhandenen Toponyme zurückzuführen seien: Erstens die vorrömische Zeit – die sog. ›strato italico‹ –, zweitens die römische Antike mit einem nur sehr diffus beschriebenen Regionallatein, sowie schließlich drittens das deutsche Element, das sich im Mittelalter verbreitet habe.564 Zweifelsohne waren solche Bemühungen in erster Linie nationalistisch motiviert: Sollte damit doch das ›invasive Germanentum‹ am Ende wieder über den Alpenkamm zurückgedrängt werden, womit schließlich nur die ›natürlichen‹ Sprachgrenzen565 der Apenninhalbinsel wiederhergestellt worden wären.566 Das hierzu als ursprünglich romanisch dargestellte ›Alto Adige‹ war gemäß dieser Argumentationslinie erst im Mittelalter von der deutschen Sprache eingenommen worden.567 Die angeblich germanisierte Toponomastik südlich des Alpenbogens durch das Italienische zu ersetzten, sah Tolomei deshalb als eine Pionierarbeit im Namen des rechtmäßig italienischen ›Kulturraums‹ an. Entsprechend ist über das Ziel einer solchen Übersetzungsmission in der ersten Ausgabe des Archivios zu lesen: »Io [Ettore Tolomei, SDP] credo non possa venir contestato che opera siffatta debba risultare interessante dal punto di vista scientifico ed utile da quello della difesa nazionale, cioH rispetto alle fluttuazioni etniche sul confine delle due stirpi. […] Noi non possiamo, oggi, antivedere con certezza qual sia per essere il destino delle valli atesine rispetto all’espansione avvenire della stirpe italica e della teutonica.«568
Konsequenterweise hatte es Tolomei mit seiner ethnisch-onomastischen Offensive ebenfalls auf die Straßennamen Südtirols abgesehen – darunter vor allem auf diejenigen der Handelsstadt Bozen.569 564 Kramer, Ettore Tolomeis Italianisierung der Südtiroler Ortsnamen, S. 299. 565 Um diese Sprachgrenzen als ›natürlich‹ gegeben zu deklarieren, orientiere sich Tolomei am Fluss der Etsch sowie an der Südgrenze des Alpenkamms. Das ›Italienische‹ durfte demnach nicht nur bis zum Flussufer der Etsch reichen, sondern besaß einen rechtmäßigen Anspruch auf das gesamte Einzugsgebiet des Gebirgsflusses: Demnach gehörten die Alpentäler des ›Hochetschs‹ schon von Natur aus zu Italien und nicht wie bisher zu ÖsterreichUngarn. Vgl. Tolomei, Ettore: »La Toponomastica dell’Alto Adige«, in: Archivio per l’Alto Adige, Jg. 1, Heft 1, 1906, S. 137–159, hier S. 148. 566 Zudem verfügten die nach 1916 tätigen Umbenennungskommissionen auch nicht über das nötige wissenschaftliche Quellenmaterial: Das sie aufgrund des Kriegs Südtirol nicht betreten durften, mussten sie sich auf dürftige österreichische Militärkarten beschränkten, deren Angaben beschränkt und fehlerhaft waren. Vgl. Kühebacher, Zur Arbeitsweise Ettore Tolomeis, S. 281. 567 Tolomei, La Toponomastica dell’Alto Adige, S. 140; Framke, Im Kampf um Südtirol, S. 186. 568 Tolomei, La Toponomastica dell’Alto Adige, S. 147–148. 569 Heiss, Hans: Europäische Stadt der Übergänge: Bozen / Bolzano im 20. Jahrhundert, in: Die Macht der Städte. Von der Antike bis zur Gegenwart, Michael Gehler (Hg.), Hildesheim 2011, S. 545–575, hier S. 550–554.
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Die erste systematische Übersicht über die zu übersetzenden Straßennamen legte Tolomei im Archivio per l’Alto Adige just in dem Jahr vor, in welchem die Bergtäler um Bozen mit dem Abschluss der Pariser Friedensverträge von 1919 offiziell an Italien fielen.570 Es verwundert daher kaum, dass sich der Herrschaftswechsel auch in den vorgesehenen Umbenennungen thematisch niederschlug. Davon ausgenommen waren freilich diejenigen Straßen und Gassen, welche auf ansässiges Gewerbe, Handwerk oder anliegende Geschäfte verwiesen und sich aufgrund ihrer angeblichen Verwandtschaft zu den Straßennamen anderer italienischer Städte wortwörtlich übersetzen ließen. Für diese waren folglich keine neuen Namen vorgesehen. Tolomei begründete dies mit den folgenden Worten: »Un gruppo H quello dei nomi d’arti e mestieri, da conservarsi gelosamente, come indice d’italianit/ per il somigliante uso in tante altre citt/ della Penisola.«571 Komplett umbenannt sollten dagegen diejenigen Straßen und Plätze werden, welche Politiker oder Kulturschaffende der untergegangenen Habsburgermonarchie ehrten.572 Derartige Hodonyme sollten aus dem öffentlichen Straßennetz verschwinden, um stattdessen den von Tolomei ausgegrabenen – vermeintlich neutralen573 – Vorgängern den Platz zu räumen: So hieß die 570 Zudem leitete Tolomei seit 1918 das Sprach- und Kulturkommissariat in Bozen, welches direkt dem Ministerpräsidenten in Rom unterstellt war, sodass er seine Namensforschungen von dieser privilegierten Position aus nochmals deutlich vorantreiben und bewerben konnte. Vgl. Kühebacher, Zur Arbeitsweise Ettore Tolomeis, S. 282. 571 Tolomei, Ettore: »Elenco dei nomi delle vie e piazze di Bolzano coi corrispondenti Italiani«, in: Archivio per l’Alto Adige, Jg. 14, 1919, S. 455–459, hier S. 457. 572 Ehrungen von Herrscherdynastien auf Straßenschildern entstanden im Laufe des ausgehenden 18. sowie des 19. Jahrhunderts in beinahe allen größeren Städten Europas. Ausschlaggebend dafür war die erstmalige politische Weihe von Straßennamen in Paris in Folge der Französischen Revolution. Vgl. Steger, Hugo: Institutionelle innerörtliche Orientierungssysteme – Fallstudien, in: Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, Ernst Eichler, Gerold Hilty u. a. (Hg.), 2. Teilband, Berlin – New York 1996, S. 1499–1521, hier S. 1507; Pöppinghege, Rainer : Wege des Erinnerns. Was Straßennamen über das deutsche Geschichtsbewusstsein aussagen, Münster 2007, S. 15; Ders.: Geschichtspolitik per Stadtplan. Kontroversen zu historisch-politischen Straßennamen, in: Fragwürdige Ehrungen!? Straßennamen als Instrument von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur, Matthias Frese (Hg.), Münster 2012, S. 22; Raffaelli, I nomi delle vie, S. 264. 573 Da genuin mittelalterliche Straßennamen die Sehgewohnheiten der Stadtbewohner sowie eine konsensuale Hierarchisierung des Stadtraums innerhalb eines langwierigen Traditionsverlaufs festschreiben – wodurch es sich um gewordene Straßennamen handelt – konnte Tolomeis Projekt der ›Rückübersetzung‹ eigentlich nur scheitern. Erstens handelte es sich nicht um eine unvoreingenommene, aus einer vormodernen Stadtwahrnehmung hervorgegangene Namensvergabe, sondern um eine nachträgliche, künstliche Bedeutungsvergabe von Straßennamen. Zweitens wurden jene ›ursprünglichen‹ Namen vor dem Hintergrund der politischen Umstände von 1919 ausgewählt, sodass es sich bei diesen nun um ›geschaffene‹ Straßennamen handelte, denen trotz ihrem scheinbar ›neutralen‹ Wortlaut schon von Beginn an ein kulturnationalistischer Symbolgehalt anhaftete. Vgl. Glasner, Peter : Die Lesbarkeit der Stadt. Kulturgeschichte der mittelalterlichen Straßennamen Kölns, Köln 2002, S. 428–429; Martens, Matthias: Straßennamen – Lesezeichen im kultu-
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Gärbergasse auch übersetzt weiterhin Via de’Conciapelli oder der Kornplatz nach wie vor Piazza del Grano. Die Kaiser-Wilhelm-Allee war jedoch in Via delle Stazione oder Via Roma umzubenennen.574 Genauso sollte auch der Kaiser-JosefPlatz in Piazza dei Domenicani umgetauft werden, die Erzherzog-Rainer-Straße in Via della Mostra oder die Kaiser-Franz-Josef-Straße in Via del Re.575 Die dem deutschen Sprachraum zugeordnete Kulturprominenz fand sich derweil in der verlängerten Erzherzog-Heinrich-Straße, die von ihrem anderen Ende her dem österreichischen Folkloremaler Franz Defregger gedachte.576 Über deren Gesamtlänge hinweg war diese zukünftig allgemeiner als Via degli Artisti zu bezeichnen. Bei der kulturellen Namenskategorie erweisen sich die tolomeischen Benennungsvorgaben allerdings als inkonsequent, da das Andenken an deren Angehörige scheinbar nur stellenweise nationalistisch vorbelastet war. Folglich durfte die Goethe-Straße ihren Namen zwar weiterhin beibehalten, da sie schließlich eines der »größten Genies der Menschheit«577 würdigte. Der nach einem 1889 darauf errichtetem Denkmal benannte Walther von der VogelweidePlatz war dagegen inakzeptabel, da Tolomei in diesem eine unverhohlene Provokation des Pangermanismus zu erkennen glaubte.578 Vorerst sollte der Platz deshalb durch möglichst nichtssagende Namen wie la Piazza, Piazza Grande, Piazza Maggiore oder Piazza di Citt/ ›entschärft‹ werden. Danach wurde für einen späteren Zeitpunkt eine der italienischen ›Eroberung‹ der Nordprovinz
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rellen Gedächtnis, in: Geschichte und Öffentlichkeit. Orte – Medien – Institutionen, Sabine Horn u. Michael Sauer (Hg.), Göttingen 2009, S. 61–70, hier S. 62; Handro, Saskia: Historische Orientierung gesucht! Straßennamendebatten als Forschungsgegenstand und geschichtskulturelle Praxis, in: Verhandelte Erinnerungen. Der Umgang mit Ehrungen, Denkmälern und Gedenkorten nach 1945, Matthias Frese u. Marcus Weidner (Hg.), Paderborn 2018, S. 253–279, hier S. 260. Via della Stazione wäre eine Namensvariante mit lokalem Bezug gewesen, während die Via Roma insofern vorzuziehen war, wollte man der bevorstehenden Italianisierung Bozens einen nationalfeierlichen Anstrich verleihen – so Tolomei. Vgl. Tolomei, Elenco dei nomi delle vie e piazze di Bolzano, S. 457. Tolomei, Elenco die nomi delle vie e piazze di Bolzano, S. 457–458. Ebd., S. 457–458. Ebd., S. 458. Das umstrittene Walther von der Vogelweide-Denkmal war 1889 auf dem damaligen Johannes-Platz errichtet worden und aufgrund seiner gegen die Dante Alighieri-Denkmal in Trient ausgerichteten Position von Beginn als eine deutsche Provokation der italienischen Kultur wahrgenommen worden. Es liegt somit auf der Hand, dass auch der nach dem Denkmal benannte Standplatz von italienischen Nationalisten als störend empfunden wurde, wogegen die Ehrung des Dichterfürsten Goethes unproblematisch erschien. Das Walther-Standbild wurde danach erst 1935 in Folge der faschistischen Umbauarbeiten entfernt, war dies logistisch doch einiges aufwändiger als dessen Standplatz bloß einen neuen Namen zuzuweisen. Vgl. Lehmann, Karin Ruth: Städtebau und Architektur als Mittel der Kolonisation am Beispiel der Provinz Bozen. Städtebau und Siedlungsbau in Südtirol und insbesondere in Bozen unter dem Faschismus, Aachen 2000, S. 183; Dunajtschik, Harald: Erinnerungskulturen in Bozen. Giorno della Memoria am Friedensplatz – Stolpersteine und Semiruralihaus, Innsbruck 2017, S. 8–11.
Straßenumbenennungen, 1919–1943
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gewidmete Namensvergabe nach dem römischen Feldherrn Drusus vorgeschlagen: »[…] quello del duce romano che guidk per primo le legioni alla conquista dell’Alto Adige.«579 Weshalb wirken die von Tolomei vorgebrachten Straßennamen trotz seiner ursprünglich eindeutig kulturnationalistischen Benennungsintention nun aber derart zurückhaltend? Immerhin wurden die von ihm als problematisch betrachteten Bezeichnungen bloß durch deren angebliche Vorgänger ersetzt, anstatt dafür neue, kulturpolitisch bedeutsamere Straßennamen festzulegen. Außer die vorgeschlagenen Umwidmungen der Kaiser-Wilhelm-Allee in Via Roma und des Walther-Platzes in Piazza Druso finden sich kaum Bezeichnungen mit deutlich nationalistischem Symbolgehalt. In einer Stadt wie Bozen, die möglichst rasch und umfassend italianisiert werden sollte, ließen sich durchaus radikalere Umbenennungsvorschläge erwarten. Schließlich wurden diese zu einer Zeit ausgearbeitet, in welcher das damals noch liberale Italien eine intensive Phase neuer Straßenbenennungen erlebte. Zwischen 1861 und 1919 sollte der relativ junge Nationalstaat dadurch symbolisch in die jeweiligen Stadttexte eingeschrieben werden. Offensichtlich wurde hierfür auf ein strikt nationalistisches Themenrepertoire zurückgegriffen. Zuerst fanden die bekanntesten Figuren des Risorgimentos in Namen wie beispielsweise Garibaldi oder Mazzini weitläufige Anwendung. Dicht gefolgt von einer regelrechten »Militarisierung«580 der Straßennetze in Folge des Ersten Weltkriegs. Geschichtsträchtige Daten vom Kriegseintritt Italiens vom 23. Mai 1915 bis hin zu dessen Sieg bei Vittorio Veneto vom 4. November 1919 gelangten dadurch ins kollektive Gedächtnis der zahlloser Gemeinden und Städte des Landes. Aber auch dem unbekannten Soldaten wurde in den Ortschaften der Apenninhalbinsel mit einer Viale della Rimembranza ein Sprachdenkmal gesetzt.581 Nicht zuletzt fand zudem der Kolonialismus mit nach libyschen und ostafrikanischen Besitztümern oder ›Kriegshelden‹ benannten Straßen vielerorts einen ersten toponomastischen Niederschlag.582 Gerade der Umstand, dass Tolomei für mehr als eine Dekade in Nordafrika tätig gewesen war und sich dort anscheinen radikalisiert hatte, würde nahelegen, dass er sich für die vorgenommene Revision 579 Tolomei, Elenco di nomi delle vie e piazze di Bolzano, S. 458–459. 580 Isnenghi, Mario: Le guerre degli Italiani. Parole, immagini, ricordi 1848–1945, Mailand 1989, S. 327. 581 Ebd., S. 326–327; Raffaelli, I nomi delle vie, S. 265–271. 582 Zur erinnerungskulturellen Funktion dieser ersten und landesweiten »›africanizzazione‹ della Toponomastica« schreibt Nicola Labanca: »Limpressione che abbiamo ricavato […] H che la classe dirigente dell‘Italia liberale mise effettivamente in opera varie strategie, a vari livelli e in varie situazioni, per popolarizzare la prospettiva coloniale e per mantenere vivo il ricordo e aperta la strada.« Vgl. Labanca, Nicola: L’Africa italiana, in: I luoghi della memoria. Simboli e miti dell’Italia unita, Mario Isnenghi (Hg.), Bari 2010, S. 301–337, hier S. 333.
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der Bozner Straßennamen ebenso imperial konnotierter Benennungsmotive bedient habe. Über Tolomeis ausgesprochen zurückhaltend verfasste Nomenklatur lassen sich grundsätzlich zwei Vermutungen anstellen. Erstens erweckt die 1919 veröffentlichte Namensliste den Eindruck, dass ihm vielleicht weniger daran gelegen war, die Stadtbevölkerung Bozens ideologisch zu erziehen, sondern abseits kulturpolitischer Interessen vielmehr darauf abzielte, seine Übersetzungsarbeit der Südtiroler Toponomastik konsequent voranzutreiben. Allerdings kamen damals gerade in umstrittenen Grenzstädten wie beispielsweise Triest nationalistische Straßennamengebungen vielerorts zum Einsatz: War die kaiserliche Administration Habsburgs dort doch bis 1918 noch hartnäckig darum bemüht gewesen, jedwede italienisch-irredentistischen Benennungsvorstöße so weit wie möglich zu unterbinden. Entsprechend bemühten sich kurz nach Kriegsende von Tolomei inspirierte Nationalisten wie Carlo Errera fieberhaft darum, der Hafenstadt an der Adria endlich ein möglichst ›italienisches‹ Straßennetz zu verleihen.583 Als glühender Irredentist dürfte sich Tolomei der Symbolkraft namhafter Verkehrswege deswegen zweifelsohne auch in Bozen bewusst gewesen sein, weshalb die erste Annahme wohl eindeutig zu kurz greift. So dürften zweitens vor allem äußere Umstände zur abgeschwächten Tolomeischen Namensliste geführt haben. Tatsächlich war der Zeitpunkt für das Umbenennen des Straßennamenkorpus in aggressiv nationalistischem Ton damals noch nicht reif genug. Das Jahr 1919 markierte das Ende der Regierungszeit Vittorio E. Orlandos und gleichzeitig den Beginn des Kabinetts um Francesco S. Nitti. In den neuen Provinzen Italiens herrschte deshalb für wenige Jahre eine deutlich liberaleres Klima als in den Jahren davor, ganz zu schweigen von der Zeit nach 1923. Namentlich das von Nitti gegründete Zentralamt für die neuen Provinzen unter der Aufsicht des deutschfreundlichen Francesco Salata und dem für die Venezia Tridentina verantwortlichen Liberalen Luigi Credaro war dabei für die Rechte der Deutschsüdtiroler anfänglich noch vielversprechend. Immerhin wurden in diesem Jahr alle tolomeischen Ortsnamensschöpfungen rückgängig gemacht – sie sollten erst wieder vier Jahre später unter faschistischer Herrschaft offiziell eingeführt werden –, die Grenzen zu Österreich geöffnet sowie die deutschen Schulen wieder eingeführt.584 Es erscheint daher wahrscheinlicher, dass Tolomei 1919 vorerst versuchte, die noch deutschen Straßenschilder so rasch als möglich mit italienischen auszutauschen, um erst nach der international beschlossenen Angliederung Südtirols an Italien 583 Raffaelli, I nomi delle vie, S. 270; Hametz, Naming Italians in the borderland, S. 411 sowie S. 413. 584 Kühebacher, Zur Arbeitsweise Ettore Tolomeis, S. 282; Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 41–42.
Straßenumbenennungen, 1919–1943
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sprachpolitische Fakten zu schaffen. Somit wäre ihm zunächst daran gelegen gewesen, den Straßennamenkorpus in einem ersten Schritt zunächst zu italianisieren. Danach hätte Tolomei für die Vergabe weiterer Straßennamen nach nationalistischen, militaristischen oder auch imperialen Motiven immer noch genügend Zeit gehabt.
Zur Funktion und Anwendung faschistischer Straßennamengesetze in Bozen nach 1923 Von den Umbenennungsvorschlägen Tolomeis wurden als Erstes die neuen Namen für die Ortschaften Südtirols per königlichem Dekret vom März 1923 angenommen.585 Die in den Provvedimenti angekündigte Revision missliebiger Straßennamen sollte bereits zwei Monate später umgesetzt werden. Die dafür nötigen, administrativen Richtlinien wurden offiziell am 10. Mai vom Toponomastikgesetz Nr. 1158 vorgegeben.586 Die faschistische Jurisdiktion ordnete darin an, dass grundsätzlich alle Straßennamensvergaben zuerst vom Ministerium für öffentliche Bildung und Kultur genehmigt werden mussten. Entsprechende Anträge waren beim regionalen Superintendenten für Denkmalpflege einzureichen. Fortan unterlag es demnach der Entscheidungsgewalt Roms, wer oder was auf den Straßenschildern der Apenninhalbinsel eingraviert werden sollte. Das Toponomastikgesetz von 1923 sprach den Städten und Gemeinden des vereinten Italiens somit das Recht auf eine selbstbestimmte Namensvergabe im öffentlichen Raum grundsätzlich ab. Immerhin wurde das Dekret aber in der Frühphase der faschistischen Machtkonsolidierung erlassen, sodass für die Vergabe von Straßennamen zumindest inhaltlich noch ein gewisser Spielraum offenstand.587 Auch sah dieses noch keine verbindliche Namensrevision aller Verkehrswege vor. Es bezog sich somit ausschließlich auf Fälle, bei denen Kommunalverwaltungen von sich aus etwaige Neubeschriftungen vorsahen und eben hierfür eine staatliche Erlaubnis einholen mussten.588 Gleichwohl bildete 585 Kühebacher, Zur Arbeitsweise Ettore Tolomeis, S. 282. 586 Toponomastikgesetz Nr. 1158, betr. »[…] norme per il mutamento del nome delle vecchie strade e piazze comunali«, Rom 10. 5. 1923, veröffentlicht in: Gazzetta Ufficiale Nr. 132, Rom 6. 6. 1923. 587 Raffaelli, I nomi delle vie, S. 271–273. 588 Der entsprechende Gesetzesartikel lautete wörtlich: »Le Amministrazioni municipali, qualora intendano [Hervorhebung, SDP] mutare il nome di qualcuna delle vecchie strade o piazze comunali, dovranno chiedere ed ottenere preventivamente l’approvazione dal Ministero dell’istruzione pubblica per il tramite delle competenti Soprintendenze ai monumenti.« Vgl. Art. 1, Königliches Dekret Nr. 1188, betr. »Toponomastica stradale e monumenti a personaggi contemporanei«, Rom 23. 6. 1927, veröffentlicht in: Gazzetta Ufficiale Nr. 164, Rom 18. 7. 1927.
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das Dekret gerade in Südtirol für die kommenden 17 Jahre die gesetzliche Grundlage, anhand welcher die schon seit 1916 im Prontuario ausgearbeitete Sprach- und Namensdoktrin umgesetzt werden sollte.589 Die inhaltlichen Vorgaben zur regimekonformen Toponomastik folgten vier Jahre später mit dem Königlichen Dekret Nr. 1188 betreffend der »Toponomastica stradale e monumenti a personaggi contemporanei« vom 23. Juni 1927.590 Bei der Gelegenheit passte Rom auch den administrativen Prozess für Straßennamenvergaben nochmals neu an: Zukünftig sollten die Präfekten der einzelnen Provinzen in Absprache mit den örtlichen Historikergesellschaften die von den Kommunalverwaltungen eingereichten Hodonyme bewilligen. Inhaltlich durften allerdings keine Personen mehr Eingang in Straßennamenkorpora finden, die vor weniger als zehn Jahren verstorben waren. Der königliche Erlass sah nur dann Ausnahmen vor, wenn es sich bei den Geehrten entweder um Mitglieder der königlichen Familie handelte oder aber, wenn damit dem »heldenhaften« Einsatz von »Märtyrern« zu Kriegszeiten sowie allgemein für die »causa nazionale«591 gedankt wurde.592 Auf gesetzlichem Weg gelang es dem Regime somit, das faschistische Heldenpantheon zur verbindlichen Grundlage für Neueinträge in Straßennamenverzeichnisse zu erklären – so oblag es nun doch allein seinem Urteil, welche ›Heldentaten‹ der Nation genau zuträglich gewesen sein sollten.593 Damit nicht genug schrieb der letzte Artikel vor, dass alle Verkehrswege sowie alle nichtkonformen Denkmäler und Gedenksteine innerhalb von nur fünf Monaten umzubenennen bzw. zu entfernen seien. Im 589 Hametz, Naming Italians in the borderland, S. 415. 590 Königliches Dekret Nr. 1188, betr. »Toponomastica stradale e monumenti a personaggi contemporanei«, Rom 23. 6. 1927, veröffentlicht in: Gazzetta Ufficiale Nr. 164, Rom 18. 7. 1927. 591 Welche angeblich lobenswerten Taten den Sachverhalt der »causa nazionale« genau erfüllten, war schon beim Gesetzesbeschluss des Senats vom 10. Juni 1927 nicht eindeutig umrissen worden. Ursprünglich sollte die Ausnahmeregel neben der Königsfamilie nur für Kriegsgefallene gelten. Nach der Einsprache zweier Senatoren (Marco A. Vicini sowie Pio Fedele) wurde der Satz aber um eben jene »causa nazionale« erweitert. Es darf angenommen werden, dass der Paragraph aber absichtlich derart wage gehalten wurde, damit das Regime von Fall zu Fall über etwaige Sonderfälle entscheiden konnte. Vgl. Raffaelli, I nomi delle vie, S. 275. 592 Königliches Dekret Nr. 1188, betr. »Toponomastica stradale e monumenti a personaggi contemporanei«, Rom 23. 6. 1927, veröffentlicht in: Gazzetta Ufficiale Nr. 164, Rom 18. 7. 1927. 593 Maoz Azaryahu rechnet einem solch nationalem Fundus an historischen Helden- und Gründerfiguren eine wesentliche Symbolfunktion für die Selbstlegitimation politischer Machtsysteme zu: »Die historischen Personen definieren, was man metaphorisch als das ›nationale Pantheon‹ bezeichnen kann, zu dem die Gründerväter, die ideologischen Väter, die Nationalhelden und die Schlüsselfiguren der nationalen Kultur gehören. In der Geschichtsauslegung und Vergangenheitsdeutung erfüllt das Pantheon eine wichtige Rolle.« Vgl. Azaryahu, Maoz: Von Wilhelmplatz zu Thälmannplatz. Politische Symbole im öffentlichen Leben der DDR, Tel Aviv 1991, S. 25–26.
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Gegensatz zum noch rein formalen Dekret von 1923 verlangte dieses zweite Toponomastikgesetz somit nach einem staatlich kontrollierten Bildersturm vor allem in den nördlichen Grenzregionen des Landes. Die dort noch vorhandenen Machtsymbole aus österreichischer Zeit waren von den regionalen Behörden sofort und ausnahmslos zu beseitigen.594 Weshalb messen Diktaturen wie der italienische Faschismus dem Benennen öffentlicher Verkehrswege einen derart hohen Stellenwert bei? Die beiden Dekrete von 1923 und 1927 müssen dazu vor dem Hintergrund der folgenden vier Grundeigenschaften von Straßennamen betrachtet werden. Erstens ging es bei der Gesamtrevision angeblich unzeitgemäßer Hodonyme darum, deren Symbolgehalt im Dienste der Mussolini-Diktatur so weit als möglich auszuschöpfen. Wie Baudenkmäler so bilden auch Straßennamen Hegemonialzeichen im öffentlichen Raum, die sich dem Betrachter mit einer vom namengebenden Machtzentrum vermittelten Zeichensprache erschließen. Damit das dazugehörige Verständnis nebst alternativen Lesarten die Oberhand behält, muss dieses andauernd wiederholt werden, was durch die Vorgabe eines strikt einzuhaltenden Wertekanons erreicht wird.595 Falls sich diese fortlaufende Übersetzungsarbeit irgendwann erschöpft, verliert folglich auch der beabsichtigte Aussagegehalt der Machtzeichen seinen vorrangigen Stellenwert.596 Es bedarf demnach strenger inhaltlicher Richtlinien und einer genauen administrativen Aufsicht, um die mit Straßennamen übermittelte Ideologie im Herrschaftsraum nachhaltig festzuschreiben. Je stärker ein Regime deshalb auf öffentliche Legitimation angewiesen ist, desto vehementer besteht es darauf, dass seine Herrschaftssymbolik in allen Winkeln des Landes verbreitet wird.597 Offensichtlich waren die beiden Toponomastikgesetze der Zwanzigerjahre somit gerade für Südtirol von erheblicher Tragweite: In der mehrheitlich deutschsprachigen Grenzregion fand die faschistische Staatsdoktrin während dem gesamten Ventennio kaum Rückhalt. Die Revision der dortigen Straßenkarten sollte von den
594 Zweifellos zeigte sich in solchen Erlassen die Zentralisierung des faschistischen Staatsapparates, die in der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre beträchtlich vorangeschritten war. Vgl. Raffaelli, I nomi delle vie, S. 273. 595 Dazu passend auch der Begriff der politischen Semiosphäre nach Marion Werner : Damit beschrieben wird ein »hoch vermachtetes« Kommunikationsfeld, innerhalb von welchem durch darin festgeschriebene Zeichen Herrschaftsverhältnisse abgebildet- sowie durch ständiges Wiederholen reproduziert werden. Vgl. Werner, Marion: Vom Adolf-Hitler-Platz zum Ebertplatz. Eine Kulturgeschichte der Kölner Straßennamen seit 1933, Köln – Weimar – Wien 2008, S. 298. 596 Azaryahu, Von Wilhelmplatz zu Thälmannplatz, S. 21. 597 Ebd., S. 28; Azaryahu, Maoz: Zurück zur Vergangenheit? Die Straßennamen Ost-Berlins 1990–1994, in: Denkmalsturz. Zur Konfliktgeschichte politischer Symbolik, Winfried Speitkamp (Hg.), Göttingen 1997, S. 137–155, hier S. 138.
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örtlichen Staatsvertretern spätestens nach 1927 entsprechend engagiert vorangetrieben und von den Präfekten mindestens genauso streng überwacht werden. Zweitens geben Straßennamenbestände inhaltlich einen genau vorgeschriebenen Wertekanon wieder, dessen Vorgaben wesentlich der Ideologie des nach Vormacht strebenden Machtregimes entspringen.598 Das hiernach vorliegende Wertesystem artikuliert sich mithilfe bestimmter Heldengeschichten und Mythen, aus denen ausgewählte Personen und Ereignisse als ehrenwerte Leitbilder hervortreten.599 Diese ergeben sonach ein nationales Heldenpantheon, welches sich für die Taufe von Straßenzügen vorrangig anbietet.600 Besonders der Blick in die Vergangenheit macht derartige Heroen und ihre geschichtsträchtigen Taten greifbar, lässt sich deren Leben und Wirken doch retrospektiv als abgeschlossen erfassen und innerhalb eines klar umrissenen Narrativs erzählen. Deren Geschichten werden dazu in Engramme übersetzt und in eine aus Straßennamen zusammengeführte, »autorisierte Geschichtskarte«601 eingewoben, aus welcher ebenjener vordefinierte Wertekanon spricht.602 Eine adäquate Wiedergabe von Vergangenem ist hier freilich kaum mehr von Belang.603 Dafür werden die ideologisch aufgeladenen Verkehrswege zum unmittelbaren Ausdruck eines ihnen zugrunde liegenden, geschichtspolitischen Ehrregimes.604 Der von den beiden Toponomastikgesetzen beschworene Heldenkult diente folglich ebenfalls dazu, den urbanen Erinnerungslandschaften Italiens regimekonforme Stra-
598 Azaryahu, Von Wilhelmplatz zu Thälmannplatz, S. 26; Speitkamp, Winfried: Denkmalsturz und Symbolkonflikt in der modernen Geschichte. Eine Einleitung, in: Denkmalsturz. Zur Konfliktgeschichte politischer Symbolik, Ders. (Hg.), Göttingen 1997, S. 5–22, hier S. 8. 599 Von Reeken, Dietmar/Thießen, Malte: Ehrregime. Perspektiven, Potenziale und Befunde eines Forschungskonzepts, in: Ehrregime. Akteure, Praktiken und Medien lokaler Ehrungen in der Moderne, Dietmar von Reeken u. Malte Thießen (Hg.), Göttingen 2016, S. 11–33, hier S. 11–12. 600 Azaryahu, Von Wilhelmplatz zu Thälmannplatz, S. 26. 601 Azaryahu, Zurück zur Vergangenheit?, S. 138. 602 Speitkamp, Denkmalsturz und Symbolkonflikt, S. 6; Bering, Dietz/Großsteinbeck, Klaus: Die ideologische Dimension der Kölner Straßennamen von 1870 bis 1945, in: Die Besetzung des öffentlichen Raumes. Politische Plätze, Denkmäler und Straßennamen im europäischen Vergleich, Rudolf Jaworski/Peter Stachel (Hg.), Berlin 2007, S. 311–337, hier S. 312. 603 Von Reeken/Thießen, Ehrregime, S. 19; Pöppinghege, Rainer : Geschichte mit Füssen getreten: Straßennamen und Gedächtniskultur in Deutschland, Paderborn 2005, S. 7. 604 Dietmar Von Reeken und Malte Thießen bestimmen den Begriff Ehrregime folgendermaßen: »Ehrregime stellen einen Ordnungs- und Werterahmen für Ehrungs- und Entehrungsprozesse in spezifischen gesellschaftlichen Konstellationen dar. […] Ehrregime sind für ehrende Kollektive in hohem Maße identitätsrelevant, weil sie eine besonders herausgehobene, öffentliche Selbst-Repräsentation darstellen und auf die gemeinsame Gestaltung von Gegenwart und Zukunft zielen. Da sie auf gesellschaftlich konsensfähigen Werten beruhen, sind sie spezifisch für die Epoche, in der die Ehrung stattfindet, aber gleichzeitig angesichts von gesellschaftlichen Veränderungsprozessen zukunftsoffen und veränderlich.« Vgl. Von Reeken/Thießen, Ehrregime, S. 17.
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ßennetze einzuverleiben.605 Die darin gemachten Vorgaben führten besonders den Bewohnern der neuen Provinzen vor Augen, dass nun der Faschismus in ihre Städte und Ortschaften Einzug gehalten hatte und fortan allein dessen Wertesystem als handlungsleitend galt. Neben der formalen und inhaltlichen Funktion, mit welcher Straßennamen zur gesellschaftlichen Indoktrination einer bestimmter Ideologie beitragen, besteht deren Wert drittens im Eingrenzen öffentlich-repräsentativer Räume.606 Die Straßennamenkorpora der zahllosen Kommunen und Städte der Apenninhalbinsel wirkten dabei innerhalb urbaner Arrangements von Repräsentativarchitektur und Baudenkmälern. Zusammen mit diesen bildeten sie weitläufige Polysysteme607, aus denen unmissverständlich das faschistische Herrschaftssystem sprach. Freilich fanden sich in solch repräsentativen Räumen allein die vom Regime tolerierten Gesellschaftsgruppen wieder, während sie der politischen Symbolik von Randgruppen grundsätzlich verschlossen blieben.608 Die strikt reglementierte Benennung von Verkehrsnetzen erlaubte es dem Faschismus daher, seine repressive Staats- und Gesellschaftslehre innerhalb städtischer Denkmallandschaften vorzuführen. Das Beispiel Bozen zeigt hierzu, inwieweit das Regime mit seinem Ehrenkodex das Zentrum der Stadt neu ausrichtete, während konkurrierende Monumente abgetragen sowie die dazugehörigen Straßenschilder entfernt wurden. Dennoch blieb die Altstadt aber am Rande der ›Zona monumentale‹ bestehen, sodass sie die altösterreichischen Bauten für jedermann ersichtlich übertrumpfen konnte. Wie die dazu passenden Namen genau lauteten, werden die nachfolgenden Abschnitte offenlegen. Eine vierte Eigenart von Straßennamen besteht schließlich in ihrer Doppelzugehörigkeit609, durch welche sie als Alltagsinstrumente sowohl über eine Primär- als auch eine Sekundärfunktion verfügen. Während sich Baudenkmäler ganz auf ihre Symbolfunktion beschränken und das Alltagsleben der Anwohner 605 Frese, Matthias: Straßennamen als Instrument der Geschichtspolitik und Erinnerungskultur. Fragestellungen und Diskussionspunkte, in: Fragwürdige Ehrungen!? Straßennamen als Instrument von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur, Ders. (Hg.), Münster 2012, S. 9–21, hier S. 10; Speitkamp, Denkmalsturz und Symbolkonflikt, S. 7. 606 Häußermann, Hartmut: Topographien der Macht: Der öffentliche Raum im Wandel der Gesellschaftssysteme im Zentrum Berlins, in: Stadt und Öffentlichkeit in Ostmitteleuropa 1900–1939. Beiträge zur Entstehung moderner Urbanität zwischen Berlin, Charkiv, Tallin und Triest, Andreas R. Hofmann u. Anna Veronika Wendland (Hg.), Stuttgart 2002, S. 81– 97, hier S. 82–83. 607 Solche Polysysteme sind gemäß Azaryahu als Summe politischer Symbolsysteme zu verstehen, die einer bestimmten Ideologie entspringen und im Zusammenwirken ihrer Teilglieder auf ebendieses Weltbild verweisen. Vgl. Azaryahu, Von Wilhelmplatz zu Thälmannplatz, S. 21. 608 Häußermann, Topographien der Macht, S. 92; Stachel, Peter : Stadtpläne als politische Zeichensysteme, S. 83; Azaryahu, Von Wilhelmplatz zu Thälmannplatz, S. 22. 609 Bering/Großsteinbeck, Die ideologische Dimension der Kölner Straßennamen, S. 312.
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höchstens beim Vorbeigehen tangieren, verhalten sich Straßennamen mehr wie Briefmarken oder Geldscheine: Auch sie können zeichenhaft auf ideologische Inhalte verweisen, dienen aber eigentlich einem anderen Primärzweck.610 Bei Straßennamen besteht dieser in der Orientierungshilfe, die sie beim Zurechtfinden in einer Ortschaft leisten. Die Wirkungskraft solcher Wegweiser liegt nun aber darin, dass ihr sekundärer Symbolgehalt direkt an die primäre Orientierungsfunktion geknüpft ist, da deren Aufschrift dazu zwingend mitausgesprochen werden muss. Kann das Motiv einer Briefmarke beim Alltagsgebrauch immerhin noch übersehen werden, so ist das Aussprechen eines Straßennamens für dessen Gebrauch unabdingbar.611 Gerade beim Verbreiten propagandistischer Inhalte eignen sich Straßenschilder daher als optimale Trägermedien, dank derer bestimmte Ideologien mehr oder weniger bewusst im alltäglichen Gang durch die Stadt wahrgenommen werden.612 Der deutsche Historiker Dietz Bering stellt dazu fest: »Natürlich ist es immer wieder umstritten, was zum kulturellen Gedächtnis gehören soll; aber was die Straßennamenschilder […] erobert hat, hat allemal den Sprung in die kanonisierten Bestände geschafft.«613
Zweifellos zielten auch die beiden Toponomastikgesetze von 1923 und 1927 auf eine allgegenwärtige Wirkungsmacht des faschistischen Wertekanons im öffentlichen Raum ab. Um vollumfänglich wirken zu können, verlangen ehrwürdige Hodonyme jedoch zuerst repräsentativer Straßen, die dem Geehrten von der Lage sowie vom Erscheinungsbild her gerecht werden. Eine schlecht ausgebaute, verwinkelte Gasse nach einem hochrangigen Staatsoberhaupt zu benennen, erzielt kaum den vom Machtzentrum beabsichtigten Propagandaeffekt.614 Die Straßenzüge der ländlichen Kleinstadt Bozen mussten anfangs der Zwanzigerjahre daher zuerst noch erweitert und ausgebaut werden, bevor sie von Rom aus mit honorablen Benennungen versehen werden durften. Die dazu nötige Umgestaltung des Stadtbildes begann mit dem Bau des Siegesdenkmals von 1926.615 Wie im vorigen Kapitel bereits erwähnt, bildete dieses mit seinem Standort auf Azaryahu, Von Wilhelmplatz zu Thälmannplatz, S. 27. Pöppinghege, Geschichtspolitik per Stadtplan, S. 33. Ebd., S. 10; Speitkamp, Denkmalsturz und Symbolkonflikt, S. 8. Bering, Dietz: Das Gedächtnis der Stadt. Kulturgeschichte der Straßennamen, in: Universität im Rathaus, Bd. 5, Köln 1997, S. 53–60, hier S. 56. 614 Weidner, Marcus: Neue Namen für die »Neue Zeit«. Straßenbenennungen in Westfalen und Lippe im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit, in: Ehrregime. Akteure, Praktiken und Medien lokaler Ehrungen in der Moderne, Dietmar von Reeken/Malte Thießen (Hg.), Göttingen 2016, S. 175–201, hier S. 192. 615 Für die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des Siegesdenkmals vgl. Pardatscher, Thomas: Das Siegesdenkmal in Bozen. Entstehung, Symbolik, Rezeption, Bozen 2002. 610 611 612 613
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Abb. 5: Die Aufsicht auf eine Planskizze der Piazza della Vittoria zeigt das Herzstück der ›Zona monumentale‹, von dem ausgehend sich ein weitreichendes Polysystem von Denkmälern, Fassadenaufschriften sowie prestigeträchtigen Straßenzügen ausbreitet. In den Folgejahren sollten gerade diese zentralen Straßen immer wieder mit besonders ehrenvollen Namen versehen werden, in: Mura, Angela Grazia: Prima della Via Littoria. Un reportage fotografico su Gries negli anni venti, in: Lavori in corso. Die Bozner Freiheitsstrasse, Hannes Obermair, Fabrizio Miori und Maurizio Pacchiani (Hg.), Bozen 2020, S. 35–79, hier S. 37.
dem gleichnamigen Siegesplatz die Ausgangslage eines bis 1939 andauernden Ausbaus der Provinzhauptstadt zu einer faschistischen Repräsentativstadt am Alpenfuß.616 Als am 6. Juni 1938 die das Denkmal umgebende ›Zona monumentale‹ schließlich als abgeschlossen erklärt wurde, kündeten folglich nicht nur die darauf errichteten Baudenkmäler und deren Fassadeninschriften vom Siegeszug des faschistischen ›Imperiums‹. Vielmehr waren die Monumente in ein axiales Verkehrsnetz offener und moderner Laubenstraßen eingebettet, mit denen sie innerhalb der Citt/ nuova ein weitläufiges Polysystem bildeten.617 Die dort in den frühen Dreißigerjahren verliehenen Straßennamen machten keinerlei Hehl mehr daraus, dass die Stadt an der Etsch und deren umliegende Bergtäler nun vom metropolitanen Rom aus regiert wurden.618
616 Vgl. Kap. über die »Faschistische Bau- und Denkmalpolitik in Bozen«, S. 62–68. 617 Speitkamp, Denkmalsturz und Symbolkonflikt, S. 6. 618 Zumal es sich dabei um einen schrittweisen Benennungsprozess handelte, der mit dem Ausbau der Stadt einherging. Nicht wenige der älteren und neugebauten Straßen Bozens waren daher bis 1932 namenlos verblieben oder aber verfügten immer noch über deren ältere, deutschen Bezeichnung. Dazu erließ der damalige Podest/ der Stadt Luciano Miori am 8. März den »dringenden« Beschluss zur Vergabe von 33 neuen Straßennamen: »Ritenuto di dover provvedere d’urgenza alla denominazione stradale sia per le vie e piazze di nuova costruzione sia per quelle che avevano fin ora nomi tedeschi o non avevano affatto nomi; […]. Delibera di approvare la seguente denominazione stradale.« Vgl. Beschluss des Podest/ L. Miori, betr. »Denominazioni stradali«, in: Stadtarchiv Bozen (StadtA Bozen),
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Dabei waren es vor allem Makrotoponyme619, die das Straßennetz der Neustadt zu einer nationalistischen Geschichtskarte Italiens zusammenführten und somit jegliche Regional- sowie Lokalbezüge aus dem repräsentativen Raum verdrängten.620 Wenig überraschend war daher auch Name der südlichen Kapitale mit einer Via Roma nach Baubeginn des italienischen Wohn- und Verwaltungsviertels von 1934 schon seit längerem verzeichnet worden.621 Dazu passend verlieh die über die Drusus-Brücke geführte Viale Druso der angeblich bereits in der Antike erfolgten Einnahme des ›Etschlandes‹ durch den gleichnamigen, römischen Feldherrn historische Würdigung. Ferner wurde mit einer Via Claudia Augusta an den verkehrstechnischen Anschluss des vormals ›unzivilisierten‹ Alpenraums an das Römische Reich erinnert.622 Die Ankunft der italienischen ›Hochkultur‹ wurde zudem mit einer Viale Dante besiegelt.623 Weitere Helden des nationalgeschichtlichen Pantheons wie der Trentiner Irredentist Cesare Battisti, der Generalstabschef des Ersten Weltkriegs Armando Diaz oder die Risorgimento-Ikone Giuseppe Mazzini bildeten mit den nach ihnen benannten Straßen aber mindestens genauso prominente Orientie-
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Bestand der Commissione Toponomastica, Toponomastica 1, Prot. Nr. 1307, Bozen 8. 3. 1932. Bering/Großsteinbeck, Die ideologische Dimension der Kölner Straßennamen, S. 315–317. Dazu passend der Begriff der Clusterbildung von Markus Weidner, womit er das inhaltliche Vernetzen mehrerer Straßennamen zu einem einheitlichen Themenkomplex bezeichnet, der zusammenwirkend eine erhöhte Aussagekraft erhält. Vgl. Weidner, Neue Namen für die »Neue Zeit«, S. 192. Mussolini hatte dazu im Juli 1931 den Präfekten aller Landesregionen angeordnet, dass jede Ortschaft zwingend über eine Via Roma verfügen musste. Vgl. Raffaelli, I nomi delle vie, S. 278. Die faschistische Version der römischen Antike unter dem Motto der ›romanit/‹ zielte unter anderem darauf ab, jenseits eines strikt biologistisch definierten ›Lebensraum‹ – wie ihn der Nationalsozialismus einforderte – ein italienisches Großreich bzw. ›Impero‹ zu postulieren, welches unter der Herrschaft der Liktorenbündels verschiedenste ›Kulturvölker‹ inkorporierte und dadurch schließlich auch ›zivilisierte‹. Das antike römische Reich mit seiner Nordexpansion sowie der ›pax romana‹ unter Augustus diente hierzu als ein vielzitierter Gründungsmythos, dem durch den Wiederaufstieg eines ›dritten Roms‹ mindestens gleichzukommen war. Nicht von ungefähr stand inmitten des zwischen 1934 und 1935 in Bozen errichteten Hauptgebäudes des militärischen Oberkommandos eine Julius-CäsarStatue. Vgl. Zoeggeler, Oswald/Ippolito, Lamberto: Die Architektur für ein Italienisches Bozen 1922–1942, Lana 1992, S. 155; Müller, Claudia/Ostermann, Patrick: Romanit/ und Germanesimo. Zur wechselseitigen Legitimierung imperialer Hegemonialbehauptungen, in: Der Grenzraum als Erinnerungsort. Über den Wandel zu einer postnationalen Erinnerungskultur in Europa, Dies./Karl-Siegbert Rehberg (Hg.), Bielefeld 2012, S. 27–43, hier S. 35; Nelis, Jan: From ancient to modern: the myth of romanit/ during the ventennio fascista. The written imprint of Mussolini’s cult of the »Third Rome«, Brüssel-Rom 2011, S. 39–43, 46–49 sowie 59–71. Beschluss des Podest/ L. Miori, betr. »Denominazioni stradali«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. 1307, Bozen 8. 3. 1932.
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rungspunkte im historiographischen Koordinatensystem Bozens.624 Direkt zum Siegesdenkmal hinführend erstreckte sich außerdem noch ein weiterer symbolischer Wegweiser durch die Neustadt: Vom Kasernen-Platz ausgehend führte der Corso Littorio pfeilgerade zur Piazza della Vittoria hin.625 Dieses DreierEnsemble zwischen lokaler Garnison, der dem Liktoren-Kult gewidmeten Defiliermeile sowie dem Triumphbogen in direkter Flucht sollte mit einer weiteren Namensvergabe von 1936 zwar noch weitaus nationalistischer aufgeladen werden.626 Allerdings wurde das faschistische Narrativ der nach dem Ersten Weltkrieg siegreichen ›Riconquista‹ Südtirols bereits hier überdeutlich ausformuliert. Derselben Rede folgte indirekt auch Tolomei, als er in seiner dritten Ausgabe des ›Prontuarios‹627 von 1935 zum nach wie vor andauernden ›Kulturkampf‹ über das angeblich immer noch von ›Fremdstämmigen‹ besetzte ›Hochetsch‹ schrieb: »Per la nostra dignit/ e per la piena affermazione dei nostri diritti dovevamo assolutamente ravvivare la toponomastica italica nelle terre che i nostri soldati andavano riacquistando alla Patria. Non si doveva tardare a ravvalorare i nostri nomi mentre procedeva l’esercito. Cos' da un giorno all’altro poteva determinarsi l’avanzata nelle valli atesine occupate da genti in maggioranza straniere.«628
Eine konsequente Italianisierung der gesamten Toponomastik Südtirols mitsamt allen Straßennamen war für den endgültigen ›Sieg‹ der faschistischen ›Hochkultur‹ über das ›fremdstämmige Germanentum‹ gemäß diesen Worten also weiterhin unabdingbar.
624 Kommissariatsbeschluss der Gemeinde Bozen, betr. »Denominazione di vie e piazze cittadine«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. 993/21139, Bozen 26. 9. 1936. 625 Dunajtschik, Harald/Steinacher, Gerald: Die Architektur für ein italienisches Südtirol 1922–1943, in: Faschismus und Architektur, Gerald Steinacher/Aram Mattioli (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, Jg. 17 (2008), Heft 1, S. 101–137, hier S. 120. 626 Sie dazu die verordnete Umbenennung der Bozner Straßen vom 26. 9. 1936, die im nächsten Kapitelabschnitt genauer besprochen wird. Vgl. Kommissariatsbeschluss der Gemeinde Bozen, betr. »Denominazione di vie e piazze cittadine«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. 993/21139, Bozen 26. 9. 1936. 627 Es handelte sich dabei um die dritte, überarbeitete Ausgabe des tolomeischen Namenbuchs. Fünf Jahre später sollte dieses per Ministerialdekret vom 10. Juli 1940 zur offiziellen staatlichen Nomenklatur für ganz Südtirol ernannt werden. Vgl. Kühebacher, Zur Arbeitsweise Ettore Tolomeis, S. 282. 628 Tolomei, Ettore: »Prontuario dei nomi locali dell’Alto Adige«, Istituto di studi per l’Alto Adige (Hg.), Rom 1935, S. 8.
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Der Abessinienkrieg in den Bozner Straßennamen, 1936–1939 In Bozen erfolgte die von Tolomei geforderte Revision aller Straßennamen im Sommer 1936. Im Fokus stand dabei das sich über die neuen Stadtviertel erstreckende Verkehrsnetz, dessen Propagandapotential einer thematisch abgestimmten Hodonomastik nun systematisch ausgeschöpft werden sollte. Wie beim Bau neuer Denkmäler in der ganzen Region Südtirol,629 so war auch hierfür der aufgrund der Saarabstimung sowie des Aufstiegs Nazideutschland ausgesprochen schwache ›Volkskonsens‹ ausschlaggebend. Außerdem galt es den Missmut vieler Deutschsüdtiroler auch angesichts des Zuzugs italienischer Arbeiterfamilien in die Bozner Industriezone im Zaum zu halten.630 Das Ansehen des Regimes in der Brennerregion galt es demnach unbedingt zu festigen, wozu eine entsprechende Machtsymbolik den öffentlich-repräsentativen Raum besetzten sollte. Offensichtlich bot sich hierfür die anlässlich des Abessinienkriegs landesweit forcierte Kriegs- und Kolonialpropaganda ideal an, sodass deren imperiale Doktrin auch in den Verkehrswegen Bozens zum Ausdruck kam. Im Zuge der angeblich gelungenen ›Eroberung‹ Äthiopiens war die Italianisierung der nördlichsten Grenzprovinz schließlich als nicht weniger erfolgreich abgeschlossen zu verstehen. Die Wortwahl Tolomeis lässt hierzu im Prontuario von 1935 jedenfalls keinen Zweifel offen: »La Nazione H concorda nella volont/ della restituzione italica, piena ed integrale. Ecco perch8 quest’arido vocabolario ha la virtF e la fortuna d’una definitiva vittoria.«631 Als im Juni 1938 die Siegessäule im Schatten des zehn Jahre älteren Siegesdenkmals platziert wurde, ehrte demnach nicht nur diese den heldenhaften Einsatz der tapferen »Atesini« für die Expansionspolitik Mussolinis in Libyen, Abessinien und Spanien.632 Die vergleichsweise unscheinbare Stele wurde inmitten eines weitreichenden Polysystems von zahlreichen, durch die Neustadt führenden Straßennamen platziert, die der aggressiven Außenpolitik Roms in Ostafrika ebenfalls den vom Regime eingeforderten Respekt zollten.633 Die Suche 629 Vgl. Kap. bez. »Zeitlicher Kontext, ursprüngliche Aussage und Standortfunktion« des Alpinidenkmals in Bruneck, S. 51–59. 630 Di Michele, Andrea: Guerre fasciste e memorie divise in Alto Adige/Su¨ dtirol, in: Abessinien und Spanien: Kriege und Erinnerung 1935–1939, Andrea Di Michele (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 25 (2016), Heft 1, S. 17–41, hier S. 20. 631 Tolomei, »Prontuario dei nomi locali dell’Alto Adige«, S. 44. 632 Steinacher, Gerald/Steurer, Leopold: Zwischen Duce, Negus und Hitler. Südtirol und der Abessinienkrieg, in: Der erste faschistische Vernichtungskrieg. Die italienische Aggression gegen Äthiopien 1935–1941, Asfa-Wossen Asserate/Aram Mattioli (Hg.), Italien in den Moderne Bd. 13, Köln 2006, S. 91–117, hier S. 103–104. 633 Steinacher, Gerald: Vom Amba Alagi nach Bozen, Spurensuche in Südtirol, in: Zwischen Duce und Negus. Südtirol und der Abessinienkrieg 1935–1941. Gerald Steinacher (Hg.), Bozen 2006, S. 13–33, hier S. 21.
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nach den für die Gesamtrevision der Straßenkarte geeigneten Namen hatte bereits am 25. Juli 1936 mit der vom Bozner Podest/ Guido Broise einberufenen Commissione consultativa per lo studio e la toponomastica stradale begonnen. Die von Broise ernannte, fünfköpfige Kommission setzte sich aus zwei gewählten Mitgliedern aus der Kommunalverwaltung, einem Vertreter des Präfekten der Provinz Bozen, einem Mitglied des regionalen faschistischen Kampfbundes sowie seiner selbst zusammen.634 Auf der Grundlage der beiden Namensgesetze der Zwanzigerjahre erarbeitete diese erste, amtlich berufene Toponomastikkommission einen umfänglichen Namenskatalog für die neu ausgebauten Bozner Verkehrswege.635 Die entsprechende Namensliste trat per Kommissariatsbeschluss vom 26. September 1936 in Kraft.636 Aus den darin von Broise aufgeführten Gründen für die abzuändernden Hodonyme spricht deutlich der ihnen beigemessene Aussagewert als Indizes des faschistischen Wertekanons: »Premesso che lo sviluppo continuo della Citt/ ha dato luogo alla costruzione ed attivazione di nuove numerose vie e piazze, alle quali necessita assegnare une denominazione; ritenuto opportuno dare alle predette nuove vie e piazze nomi; o di italiani illustri, che hanno onorato ed onorano la nostra Patria, o di luoghi storici, o di citt/ care agli italiani od infine locali gi/ in uso e che non si ravvisa di modificare; […].«637
Die nach diesen Kriterien verliehenen 37 Straßennamen lassen sich in folgende sechs Gruppen unterteilen, wobei der nach dem Abessinienkrieg benannte Themenkorpus zusammen mit demjenigen italienischer Ortschaften638 am umfangreichsten vertreten ist. Die kleineren vier Gruppen schließen sich sonach aus denjenigen Straßen zusammen, die entweder nach römischen Feldherrn, Dichtern oder Historikern benannt wurden,639 an wegweisende Daten640 oder
634 Die Namen der anderen Kommissionsmitglieder werden im Erlass von Broise leider nicht genannt. 635 Beschluss des Podest/ Guido Broise, betr. »Costituzione di una Commissione consultativa per lo studio e la toponomastica stradale«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 2, Prot. Nr. 708/16562, Bozen 25. 7. 1936. 636 Kommissariatsbeschluss der Gemeinde Bozen, betr. »Denominazione di vie e piazze cittadine«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. 993/21139, Bozen 26. 9. 1936. 637 Ebd., S. 1. 638 Die folgenden zwölf Straßen wurden mit dem Namen einer italienischen Ortschaft oder Region versehen: Via Milano, Via Firenze, Via Vicenza, Via Verona, Via Napoli, Via Torino, Via Dalmazia, Via Genova, Via Padova, Via Treviso, Via Pola, Rione Rovereto. 639 Hierzu zählen die Via Vergilio, die Via Giulio Cesare, die Via Cesare Augusto, sowie die Via Tito Livio. 640 Am prominentesten ist hier sicher der Kasernen-Platz, welcher fortan Piazza IV Novembre hieß sowie indirekt auch der nach dem angrenzenden Siegesplatz benannte Parco della Vittoria zu nennen – stellte letzterer doch auch einen unmittelbaren Bezug zum Ersten Weltkrieg her.
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bedeutende Persönlichkeiten der italienischen Nationalgeschichte641 erinnern oder schließlich einen unmittelbaren Lokalbezug642 offenlegen. Bei den insgesamt acht, dem Abessinienkrieg gewidmeten Hodonymen fällt zunächst deren räumlich-konzentrierte Lage auf: Zusammen mit den vier nach römischen Feldherrn und Dichtern benannten Kreuz- und Parallelstraßen erstreckten sie sich ausschließlich über die Citt/ nuova.643 Die Hauptarterie dieses vom Siegesdenkmal ausgehenden Straßennetzes bildete der ehemalige Corso Littorio, der nun als Corso IX Maggio angeschrieben wurde.644 Wie bereits erwähnt, verband diese zentrale Verkehrsachse die Piazza della Vittoria gegen Westen direkt mit dem Kasernen-Platz, der fortan den Namen Piazza IV Novembre trug.645 Geschickt verknüpfte dieses mehrgliedrige Sprachdenkmal den Sieg Italiens über Österreich-Ungarn bei Vittorio Veneto mit der einseitigen Proklamation des faschistischen ›Impero‹ vom 9. Mai 1936. Die angeblich blutig erfochtene Nordexpansion im Ersten Weltkrieg zusammen mit der ›Eroberung‹ Abessiniens erschienen dadurch als zwei aufeinanderfolgende Meilensteine einer Aufstiegsgeschichte Italiens hin zum faschistischen Großreich. Das Narrativ der siegreichen, faschistischen Eroberungskriege wurde entlang des Corso IX Maggio aber noch mit vier weiteren Wegmarken abgesteckt: So erinnerten die Via dell’Endert/646, die Via Lago Ascianghi647, die Via Neghelli648 oder auch 641 Aus dem nationalgeschichtlichen Pantheon wurden für insgesamt fünf Straßen diverse Mitglieder italienischer Adelsgeschlechter, namhafte Wissenschaftler oder auch berühmte Kulturschaffende auserwählt: Lungo Talvera Beatrice di Savoia, Largo Giuseppe Verdi, Via Torquato Taramelli, Via di Venosta, Via Claudia di Medici. 642 Über das lokale Erscheinungsbild sowie die Anwohner bestimmter Straßen und Stadtviertel gaben hiernach die Via dei Giardini, die Via dei Villini, die Salita S. Osvaldo, der Vicolo degli Orti sowie auch die Piazza Dodiciville unmittelbare Auskunft. 643 Kommissariatsbeschluss der Gemeinde Bozen, betr. »Denominazione di vie e piazze cittadine«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. 993/21139, Bozen 26. 9. 1936, S. 1–3. 644 Der Corso IX Maggio wurde zudem von einem kleineren Platz unterbrochen, der kurzerhand auch Piazza IX Maggio getauft wurde. 645 Dunajtschik, Harald/Steinacher, Gerald: Die Architektur für ein italienisches Südtirol 1922–1943, in: Faschismus und Architektur, Gerald Steinacher/Aram Mattioli (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 17 (2008), Heft 1, S. 101–137, hier S. 120. 646 Denselben Namen trägt eine Region in Äthiopien, bei welcher sich vom 10. bis 19. Februar 1936 am Fuße des Amba Aradam-Berges eine Schlacht zwischen italienischen- und äthiopischen Truppen zutrug. Die Italiener gingen dabei siegreich hervor. Vgl. »Endert/«, in: http://www.treccani.it/enciclopedia/enderta/, aufgerufen am 06. 05. 2019. 647 Am bei Mai Ceu gelegenen Ascianghi-See ereignete sich zwischen dem 31. 3. 1936 und dem 1. 4. 1936 eine der entscheidenden Niederlagen des Abessinischen-Heers gegen die Italienische Angriffsmacht. Am Ende der Schlacht hatten die kaiserlichen Truppen Haile Selassies 8000 Tote zu beklagen. Vgl. »Ascianghi«, in: http://www.treccani.it/enciclopedia/as cianghi/, aufgerufen am 06. 05. 2019. 648 Bei Neghelli handelt es sich um eine in Äthiopien gelegen Stadt, die während des Abessinienfeldzugs von Rodolfo Graziani eingenommen wurde und daraufhin unter anderem
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die Via Tripoli ebenfalls an erfolgreiche Territorialgewinne der italienischen Streitkräfte in Nord- und Ostafrika. Gleichermaßen prominent zogen sich zudem drei Straßen durch die Neustadt, die nach den vom Regime auserkorenen Heldenfiguren Antonio Locatelli, Reginaldo Giuliani sowie Ettore Crippa benannt wurden. Deren während des Abessinienkriegs erfolgter ›Märtyrertod‹ ließ sich schließlich genauso gut für faschistische Großmachtphantasien vereinnahmen wie geschichtsträchtige Daten oder Schlachtfelder. Die Via Antonio Locatelli würdigte demnach den damals international bekannten, aus Bergamo stammenden Fliegerpiloten, der bei einem Luftwaffeneinsatz bei Lekempti in Äthiopien im Juni 1936 gefallen war. Die Via Padre Reginaldo Giuliani verlieh dafür dem aus Turin stammenden Dominikanermönch einen hodonomastischen Nimbus: Als glühender Nationalist und Missionar war er zuerst einige Jahre in Eritrea tätig gewesen, bevor er sich nach Kriegsausbruch bereitwillig der Brigade Eritrea als Feldkaplan anschloss. Sein ›Kreuzzug‹ gegen die ›heidnischen‹ Kopten endete mit seinem Tod am 21. Januar 1936 bei einem Gefecht am Uarieu-Pass in Äthiopien.649 Ettore Crippa verkörperte schließlich die dritte Heldenikone: Der Panzerkommandant hatte sich während der sog. ›Weihnachts-Offensive‹ von 1935 einen Namen gemacht, nachdem er mit seinem Bataillon den Angriff Pietro Badoglios auf MacallH flankiert hatte und dabei ums Leben gekommen war.650 Zu den nach den drei ›Kriegshelden‹ benannten Straßen gesellten sich außerdem noch die Via Vergilio, die Via Giulio Cesare, die Via Cesare Augusto sowie die Via Tito Livio. Die ›Gründungsväter‹ der römischen Hochkultur sollten das aus dem Abessinienkrieg angeblich hervorgegangene ›Dritte Rom‹ in direkten Bezug zum antiken Imperium Romanum setzen.651 Der Abessinienkrieg wurde nach 1936 somit fest in die Bozner Straßenkarte eingeschrieben. Zusammen mit dem fortschreitenden Ausbau der Citt/ nuova folgten bis 1939 allerdings noch zwei weitere Straßenbenennungen, welche dem faschistischen Eroberungskrieg am Horn von Afrika abermals Ehre erwiesen. Die letzte Taufe der in den neuen Vierteln noch immer namenlos verbliebenen Straßen wurde dazu im Februar 1939 per Beschluss des Podest/ Alfredo Clavarino erlassen.652 Der Namensfindungsprozess war danach bis 1943 im Großen
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zum Marchese von Neghelli ernannt wurde. Vgl. »Graziani, Rodolfo«, in: http://www.trecca ni.it/enciclopedia/ascianghi/, aufgerufen am 06. 05. 2019. Steinacher, Vom Amba Alagi nach Bozen, S. 21–23. Del Boca, Angelo: Gli italiani in Africa Orientale, Bd. 2: la conquista dell’impero, Ausgabe 1992, S. 477–480. Zur genauen Funktion der Mythen um Julius Cäsar, Vergil sowie Augustus im Selbstbild des faschistischen Regimes sowie in demjenigen des ›Duces‹ vgl. Nelis, From ancient to modern, S. 71–96 sowie 104–121. Insgesamt wurden mit dem Beschluss nochmals 44 Straßen mit neuen Namen versehen. Vgl. Deliberazione des Podest/ Alfredo Clavarino, betr. »Denominazione di vie e piazze
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und Ganzen abgeschlossen.653 Wiederum waren die Wegbezeichnungen der Neustadt exklusiv denjenigen ›ehrwürdigen Italienern‹ vorbehalten, die ihr ›Vaterland‹ sowie die westliche ›Zivilisation‹ im Allgemeinen mit Stolz erfüllt hatten. Bezüglich der beiden dem Abessinienkrieg gewidmeten Straßennamen kam allerdings dasjenige Benennungskriterium zu tragen, nach welchem solch historische Ereignisse erinnert werden sollten, »die das Herz eines jeden Faschisten und Italieners höher schlagen ließen.«654 Unter diesem Vorsatz wurde die Kreuzung der Viale Giulio Cesare mit dem Corso IX Maggio nach 1939 zur Piazza dell’Impero – womit eine weitere Brücke zwischen dem antiken Rom und dem neuen faschistischen ›Großreich‹ geschlagen wurde. Ferner hieß die Verbindungsachse zwischen der Via Lago Ascianghi und der Via dell’Endert/ fortan Via Amba Aradam: Das äthiopische Bergmassiv, auf dessen Anhöhen sich im Februar 1936 eine für den italienischen Sieg entscheidende Schlacht zugetragen hatte,655 war somit ebenfalls innerhalb der ›Zona monumentale‹ verzeichnet worden.656 Die zwischen 1936 und 1939 verliehenen faschistischen Straßennamen sollten offensichtlich dazu beitragen, ein starkes italienisches Nationalbewusstsein in der umstrittenen Grenzregion Südtirol herauszubilden. Die staatlich verordnete Würdigung des Abessinienkriegs und seiner ›Helden‹, welche die Wiederkehr des römischen Weltreichs unter der Herrschaft des Rutenbündels bezeugen sollten, war allerdings weder zeitlich ein neues Phänomen, noch wurde sie ausschließlich in der nördlichsten Provinzhauptstadt forciert.657 Gerade solch geschichtsträchtige Schlachtfelder wie dasjenige auf dem Amba Aradam, beim
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cittadine«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. 123/3909, Bozen 18. 2. 1939. Bevor Deutschland 1943 nach Südtirol vorstieß, wurden im März 1941 zwar noch weitere 13 Straßen um- bzw. neubenannt. Bezeichnenderweise verwies darin jedoch keiner der verwendeten Hodonyme mehr auf Ereignisse, Daten oder Person aus dem Abessinienkrieg oder den übrigen Afrikanischen Kolonien. Dies erstaunt insofern kaum, als dass das ›Impero‹ damals nicht zuletzt wegen dem fatalen Kriegseinstieg Mussolinis von 1940 im Untergang begriffen war und nur zwei Monate nach der letzten faschistischen Namensvergabe vom März 1941 tatsächlich auch aufgegeben werden musste. Die schmachvolle Niederlage in Ostafrika und der darauffolgende Rückzug boten sich daher kaum mehr dazu an, um damit ehrwürdige Straßen einzuweihen. Vgl. Deliberazione des Podest/ Alfredo Clavarino, betr. »Denominazione di Vie e di Piazze cittadine«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. 222/8185, Bozen 29. 3. 1941. Deliberazione des Podest/ Alfredo Clavarino, betr. »Denominazione di vie e piazze cittadine«, S. 1. Vgl. »Amba Aradam«, in: http://www.treccani.it/enciclopedia/enderta/, aufgerufen am 06. 05. 2019. Deliberazione des Podest/ Alfredo Clavarino, betr. »Denominazione di vie e piazze cittadine«, S. 2. Bereits im liberalen Italien waren die Straßen zahlreicher Städte nach den damaligen Kolonialgebieten benannt worden, um damit den noch schwachen Bevölkerungszusammenhalt auf der Apenninhalbinsel zu fördern. Vgl. Labanca, L’Africa italiana, S. 332.
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Abb. 6: Betont großflächig und wuchtig sollte das ›Impero‹ dem Bozner Stadtbild eingeschrieben werden, was diese Aufnahme der nach 1939 getauften Piazza dell’Impero vor Augen führt, in: StadtA Bozen, Sammlung historischer Ansichtskarten, 564.
Lago Ascianghi, in Endert/ oder vor den Toren Neghellis fanden auch in zahlreichen anderen Städten der Apenninhalbinsel Anwendung.658 Genauso erhielten derart prominente Märtyrerfiguren wie Antonio Locatelli oder Reginaldo Giuliani in zahlreichen Ortschaften ein nach ihnen benanntes Wegzeichen.659 Hinter dem in Bozen der Dreißigerjahre dominanten Ehrregime lässt sich aber dennoch eine ausschließlich regionalspezifische Intention ausmachen: Offensichtlich sollte die sich im Bau befindende Neustadt mit der im Zentrum errichteten ›Zona monumentale‹ explizit von einem unaufhaltsamen Expansionismus des faschistischen ›Impero‹ künden. Wie die wuchtigen Baudenkmäler, so waren demnach auch die sie umgebenden Straßennamen ein unverkennbares Zeichen des faschistischen Staatskults. Dieser unbedingte Herrschaftsanspruch wurde zusätzlich durch diejenigen Wegbezeichnungen untermauert, die zwar nicht direkt dem Abessinienkrieg gedachten, aufgrund ihres Verweises auf die Expansionspolitik des antiken Roms aber nicht weniger imperial konnotiert waren. Deren Position auf der Straßenkarte, durch welche 658 Der gewonnenen Schlacht auf dem Bergmassiv des Amba Aradam wurde ebenfalls in Padua, Rom und Venedig eine Straße gewidmet. Eine Via Lago Ascianghi fand sich zudem auch in Bari, Grosseto, Latina, Padua sowie wiederum in Rom. Den Namen Via Endert/ trugen außerdem noch Straßen in Cremona und ein weiteres Mal in Rom. Derweil wurde die angeblich geschichtsträchtige Einnahme der Stadt Neghelli den Straßenkarten von Cosenza, Latina, Livorno, Neapel, Trapani und Vercelli eingeschrieben. Vgl. Lenci, Marco/Baccelli, Sergio: Riflessi coloniali sulla toponomastica urbana italiana. Un primo sondaggio, in: I sentieri della ricerca, Heft 7/8, 2008, S. 161–182, hier S. 176–177. 659 Dem Kampfpiloten Locatelli wurde außer in Bozen auch in Bergamo, Brindisi, Catania, Florenz, Mailand, Padua, Pisa, Rimini, Rom und Verona eine Straße gewidmet. Das Leben und Wirken Giulianis erhielt in Bergamo, Florenz, La Spezia, Latina, Mailand, Padua, Prato, Rom, Udine, Varese sowie in Venedig hodonomastische Würdigung. Vgl. Lenci/Baccelli, Riflessi coloniali sulla toponomastica urbana italiana, S. 175.
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sie mit den dem Afrikafeldzug entsprungenen Engrammen in direktem Bezug standen, macht eine solche Lesart augenfällig: Zusammen spielten sie alle auf die zivilisatorische ›Überlegenheit‹ Italiens über ›fremdstämmige‹ Kulturräume an.660
Entfernt die ›Verräter‹!…Der Imperialismus aber darf bleiben, August–September 1943 Nur gerade zwei Monate nach dem Sturz Mussolinis vom Juli 1943, ordnete der Präfekt der Provinz Bozen Emmanuele Zanelli per Rundschreiben eine sofortige Revision aller Straßennamenbestände sowie öffentlicher Anschriften an. Unter dem Betreff »Cambio denominazione vie, piazze e scritte« ging in den Amtsstuben der Südtiroler Gemeinden demnach am 6. August das folgende Schreiben ein: »In base alle direttive emanate dalle Autorit/ Centrali, si deve provvedere con sollecitudine, sostituire le denominazioni delle vie e piazze, che ricordino il regime fascista, con altre che non abbiano n8 carattere di reazione al passato regime n8 comunque politico.«661
Die Order schrieb außerdem vor, dass jegliche Straßenumbenennungen zuerst von den einzelnen Podest/ an die regionale Präfektur einzureichen waren, um sie dort definitiv bewilligen zu lassen. Weiter war darauf zu achten, dass jedwede Gegenpropaganda der nun »aufgelösten« faschistischen Partei aus dem öffentlichen Raum zu entfernen war – darunter vor allem zirkulierende Flugblätter sowie noch nicht abgetragene Fassadenaufschriften.662 Um dem Befehl Zanellis unverzüglich Folge zu leisten, wurde bereits sechs Tage nach dem Eingang seines Schreibens in Bozen erneut eine lokale Toponomastikkommission einberufen. Das vierköpfige Gremium setzte sich diesmal aus dem Podest/ Alfredo Clavarino, dem Ingenieur Guido Tagliazucca, dem Leiter der Stadtbibliothek Giuseppe Mammarella sowie dem städtischen Mu660 Davon abgesehen, dass es sich bei dem hier vorgestellten Themenrepertoire der Straßennamen nicht um streng voneinander isolierte Gruppen handelt. Deren Übergänge sind durchaus als unscharf zu verstehen: Gerade bei den teilweise von der Antike aber auch vom faschistischen Imperialismus inspirierten Namen wie beispielsweise der Via Tripoli, der Piazza dell’Impero oder der Via Giulio Cesare können je nach dem ganz unterschiedliche, thematische Zugehörigkeiten hervortreten. 661 Rundschreiben des Präfekten Emmanuelle Zannelli u. a. an den Podest/ von Bozen Alfredo Clavarino, betr. »Cambio denominazione vie, piazze e scritte«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 2, Prot. Nr. 15524, Cat. XII, Classe 2, Fasc. 6, Bozen 6. 8. 1943. 662 Ebd.
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seumsdirektor Nicolk Rasmo zusammen.663 Bereits in ihrer ersten Sitzung standen die zur Disposition stehenden Straßennamen fest, die sie aufgrund bereits geleisteter Vorarbeit in drei inhaltliche Kategorien unterteilten. Zur ersten Gruppe gehörten demnach jene Hodonyme, die vom Rundschreiben der Präfektur anscheinend nur indirekt betroffen waren. Zu diesen zählten beispielsweise die Piazza Littoria, die Piazza Pontinia oder die Piazza Oriani, die ihre aktuellen Bezeichnungen allesamt beibehalten sollten: Entweder verwiesen diese ›nur‹ auf italienische Städte und Ortschaften oder würdigten ausschließlich Personen, welche wie Alfredo Oriani einige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg verstorben waren und deshalb zum faschistischen Regime und seinem Gedankengut nicht direkt im Bezug standen.664 Die zweite Kategorie umfasste sodann die imperialen Straßennamen: Auch sie sollten weiterhin in Gebrauch bleiben. Dazu wurde kurzerhand behauptet: »La Commissione decide di non mutare il nome, perch8 ancor oggi S.M. H Imperatore d’Etiopia«.665 Ungeachtet dessen, dass Addis Abebas bereits am 5. Mai 1941 befreit worden war und die Italiener zwei Wochen später bedingungslos kapitulieren mussten,666 sollte der vermeintlich ungebrochene Herrschaftsanspruch Mussolinis also trotzdem noch auf der Bozner Straßenkarte verzeichnet bleiben. Vielleicht auch um den verzweifelten Wunsch eines baldigen Wiedergewinns der verlorengegangenen Überseeterritorien zu signalisieren.667 Unter die dritte Kategorie fielen schließlich alle diejenigen Straßennamen, welche unverhohlen das faschistische Regime 663 Sitzungsprotokoll der Commissione per la toponomastica, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 2, Bozen 12. 8. 1943. 664 Dieser Vorwand erscheint allerdings ausgesprochen scheinheilig. Einerseits aufgrund der Piazza Littoria, welche gemäß der Toponomastikkommission ›nur‹ der mittelitalienischen Retortenstadt gewidmet war. Der um den Bau der faschistischen Modellstadt betriebene Litkorenkult wurde dazu kurzerhand ausgeblendet. Andererseits hinsichtlich des Schriftstellers und Historikers Alfredo Oriani: Dessen Gesamtwerk war erst nach 1923 erschienen und wurde für den Aufstieg des Faschismus von Mussolini persönlich als wegweisend bezeichnet. Vgl. http://www.treccani.it/enciclopedia/alfredo-oriani/, aufgerufen am 06. 05. 2019. 665 Sitzungsprotokoll der Commissione per la toponomastica, Bozen 12. 8. 1943, S 1. 666 Mattioli, Aram: Experimentierfeld der Gewalt. Der Abessinienkrieg und seine internationale Bedeutung 1935–1941, Zürich 2005, S. 165. 667 Zumal der 1941 erfolgte abrupte Verlust der Ostafrikanischen Kolonien sich nicht auch gleich dem Selbstbild der Italienerinnen und Italiener einprägte. Nachhaltig beeinflusst von der faschistischen Kolonialpropaganda nahm sich das Land teilweise noch bis weit in die Nachkriegszeit als eine legitime Kolonialmacht wahr, das schon bald wieder nach Afrika »zurückkehren« sollte. Vgl. Labanca, Nicola: Postkoloniales Italien: Der Fall eines kleinen und verspäteten Reichs. Von starken Gefühlen zu grösseren Problemen, in: Erinnerungskulturen post-imperialer Nationen. Dietmar Rothermund (Hg.), Baden-Baden 2015, S. 179–215, hier S. 183–186; Novelli Dau, Cecilia: Erasure and Denial of the Past: The Long and Winding Road of Italian Colonial Historiography, in: Colonialism and National Identity, Paolo Bertella Farnetti/Cecilia Dau Novelli (Hg.), Newcastle 2015, S. 8–26, hier S. 20.
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glorifizierten. Genannt wurden hierzu insgesamt 17 Namenschöpfungen, von welchen sich sieben in der Neustadt- sowie zehn in der Industriezone befanden. Diese waren gesamthaft durch möglichst unpolitische Ortsverweise, Ideen oder historische Berühmtheiten zu ersetzen: So wurde beispielsweise in der Neustadt aus der Via Italo Balbo die Via Museo, aus der Via Littorio die Via Tiziano, aus der Piazza 11 Febbraio die Piazza della Conciliazione oder aus der Piazza Arnaldo Mussolini die Piazza Giustiano.668 Gleichzeitig wurden in der Industriezone unter anderem die folgenden Straßennamen ersetzt: Die Via Luigi Razza war fortan als Via Allessandro Volta zu bezeichnen, die Via Bianchi als Via Galileo Galilei oder die ehemalige Via Bonservizi als Via Agusto Righi. Das faschistische Repertoire an Märtyrerfiguren sollte in diesem italienischen Arbeiterquartier demnach mit angeblich wertneutralen Namenspatrons aus der Welt der technischen Naturwissenschaften ersetzt werden.669 Nachdem die Toponomastikkommission einberufen worden war, verstrichen weitere elf Tage, bis die dafür zuständigen Amtsstellen vom Podest/ die Erlaubnis erhielten, die insgesamt 17 neuen Hodonyme zu registrieren sowie anschließend die dafür nötigen Straßenschilder zu stanzen.670 Der Bozner Präfektur ging dies allerdings nicht schnell genug, sodass am 25. August bei Clavarino nochmals ein Schreiben mit der nachdrücklichen Kopfzeile »URGENTISSIMA« einging: »Pregarsi comunicare a giro di posta se da parte di codesto Comune sia stato provveduto all’eliminazione delle scritte, cartelli, emblemi relativi al cessato regime nonch8 alla sostituzione delle denominazioni delle vie e piazze che ricordino il regime stesso. Qualora non vi siano vie o piazze o istituti le cui denominazioni ricordino il cessato regime pregarsi comunicarlo.«671
668 Aus der Piazza 2 Ottobre wurde ferner die Piazza del Municipio, aus der Piazza 28 Ottobre die Piazza Adriano und aus der Ponte Littorio schließlich die Ponte Roma. Vgl. Sitzungsprotokoll der Commissione per la toponomastica, Bozen 12. 8. 1943, S 2. 669 Weitere Straßennamen der Industriezone lauteten: Via Casalini – Via Galileo Ferraris, Via Corridori – Via Luigi Galvani, Via Gioda – Via Antonio Pacinotti, Via Giordani – Via Evangelisti Torricelli, Via del Piano – Via Antonio Meucci, Via Berta – Via Luigi Giuseppe Lagrange, Via Sette – Via Amedeo Avogadro. Vgl. Sitzungsprotokoll der Commissione per la toponomastica, Bozen 12. 8. 1943, S 2. 670 Schreiben der »Azienda Elettrica Consorziale delle Citt/ di Bolzano e Merano« an die Stadtgemeinde Bozen, betr. »Variazioni nella toponomastica cittadina«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 2, Prot. Nr. 16737, Cat XII, Classe 2, Fasc. 6, Bozen 23. 8. 1943; Schreiben des Podest/ von Bozen an das Ufficio Statistica e Censimenti Bolzano, kein Betreff, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 2, Prot. Nr. 16333, Bozen 23. 8. 1943. 671 Anfrage der Präfekten u. a. an den Podest/ von Bozen, betr. »Cambio denominazione vie, piazze e scritte – URGENTISSIMA«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 2, Prot. Nr. 16456, Cat. XII, Classe 2, Fasc. 6, Bozen 25. 8. 1943.
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Aufgrund der zahlreichen öffentlichen Schriftzüge, die ans gefallene Regime erinnerten, sowie eines akuten Personalmangels ließen sich die Arbeiten jedoch nicht schneller vorantreiben – so jedenfalls berichtet es Clavarino in seinem darauffolgenden Antwortschreiben.672 Tatsächlich darf aber angenommen werden, dass die dringend befohlene Umbenennungsaktion nach den Wünschen der Präfektur aber auch daher allzu zögerlich verlief, da die Motivation bei den nach wie vor regimetreuen Staatsvertretern in Bozen relativ gering war. Ein derartiger Widerwille lässt sich beispielsweise aus dem Wortlaut des Gemeinderatsbeschlusses zur Montage der neuen Wegschilder vom 4. September entnehmen: Darin ist die Rede davon, dass die faschistischen Straßennamen – die allen »ehrlichen« und »guten« Bürgern doch eigentlich so lieb seien – zu dieser »fatalen« und »traurigen« Stunde Italiens nur vorübergehend entfernt würden. Unter anderem sollten die neuen Anschriften auch deshalb nur vorerst aus Holztafeln zum günstigen Preis von 5000 Lire angefertigt werden: »Il Podest/ considerato che dopo l’avvenimento storico della caduta del regime fascista si rende indispensabile e sentito il bisogno di sostituire ai nomi che vennero imposti di dare a vie e piazze, quelli che rispondono ai vari sentimenti di ogni onesto e buon cittadino, specialmente in questa ora triste e fatale e tanto grave per l’Italia; ritenuto che prima di provvedere all’applicazione delle nuove targhe a carattere provvisorio, date le attuali circostanze, occorre preventivamente una spesa per la fornitura delle tabelle in legno, che si aggira sulle L. 5.000; […].«673
Der Gemeindeausschuss behielt zumindest insofern Recht, als der Entscheid der Präfektur vom August 1943 tatsächlich von keiner langen Dauer war. Nachdem die deutschen Besatzer am 8. September die ›Operationszone Alpenvorland‹ ausgerufen hatten, verkündete der oberste NS-Kommissar Franz Hofer bereits im ersten Heft seines Verordnungsblattes vom 27. September das nun unter ihm geltende, nationalsozialistische Ehrregime674 : Gemäß diesem durften die den 672 Antwortschreiben des Podest/ Alfredo Clavarino an die Bozner Präfektur, betr. »Cambio denominazione vie, piazze e scritte«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 2, Prot. Nr. 16456, Bozen 27. 8. 1943. 673 Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Rimozione targhe di vie e piazze cittadine – spesa«, in: Protokolle des Gemeindeausschusses, Beschlüsse 1943, Prot. Nr. 546/17223, Bozen 4. 9. 1943. 674 Die dahinterstehende, auf das Südtirol abgestimmte NS-Kulturpolitik hatte bereits 1939 mit der ›Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe‹ von Bozen aus ihren Anfang genommen. Vordergründig hatte diese Kulturkommission zwar ursprünglich den Auftrag erhalten, vermeintlich deutsche Kulturgüter zu sammeln sowie ins ›Dritte Reich‹ zurückzuführen. Im Hintergrund war aber schon damals nicht nur die Suche nach Kunstgegenständen im Rahmen der ›Option‹ beabsichtigt. Vielmehr ging es den SS-›Kulturbeauftragten‹ darum, in Zusammenarbeit mit regionalen NS-Zellen wie dem ›Völkischen Kampfring Südtirol‹ oder später der ›Arbeitsgemeinschaft der Optanten‹ möglichst früh eine kulturelle Vorarbeit für den erhofften Vorstoß der Nationalsozialisten über die Brennergrenze zu leisten. Vgl. Wallnöfer-Köstlin, Elsbeth: Kultur und Kulturpolitik in der
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Straßennamen in Bozen, 1919–2000
Faschismus verherrlichenden Straßennamen der vergangenen 20 Jahre grundsätzlich beibehalten werden. Änderungsbedarf bestand nur insofern, »als dies zur Entfernung von Bezeichnungen notwendig ist, die der Ehrung jener Personen oder ihrer Familienangehörigen dienen, die für den Verrat des italienischen Königshauses und der Regierung Badoglio die Verantwortung tragen oder daran unmittelbar beteiligt waren.«675 Jegliche Neu- bzw. Umbenennungen waren ferner ausschließlich mit der Erlaubnis des Obersten Kommissars zulässig.676 Straßennamen, die bis dahin entgegen den obigen Anweisungen zugewiesen oder beibehalten worden waren, mussten rückwirkend ebenfalls von dessen Büro genehmigt werden.677 Für das ›verratene‹ Mussolini-Regime sowie für dessen faschistisch-imperialen Wertekanon war im Bozner Straßennetz somit wieder mehr als genügend Platz vorgesehen. Die zwei kurz aufeinanderfolgenden Benennungsanordnungen vom August und September 1943 verweisen auf ein weiteres Merkmal von Straßennamen, welches ihnen in ihrer Funktion als geschichtspolitische Machtsymbole ebenfalls zuteil wird: Als »Lesezeichen«678 des kollektiven Gedächtnisses im repräsentativen Raum sind sie ein grundsätzlich knappes und deshalb nicht selten umkämpftes Kulturgut. In ihnen spiegeln sich herrschaftslegitimierende Vergangenheitsbilder wider, wodurch sie ein erhebliches identitätsstiftendes Potential in sich bergen.679 Somit verwundert es nicht, dass deren Bestände infolge gesellschaftlicher Umbruchszeiten jeweils nach »›unzeitgemäßen‹ Erinnerungsfiguren«680 aussortiert und anschließend nach dem Wertekanon des gerade tonangebenden Machtzentrums neu angereichert werden.681 Der israelische Historiker Maoz Azaryhau stellt in einer Studie über Straßennamen in Deutschland und Österreich deshalb fest:
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677 678 679
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»deutschen« Zeit Südtirols 1943–1945, in: Südtirol im Dritten Reich. NS-Herrschaft im Norden Italiens 1943–1945, Gerald Steinacher (Hg.), Innsbruck 2003, S. 85–103, hier S. 90. »Verordnungsblatt des Obersten Kommissars für die Operationszone Alpenvorland«, erlassen von Gauleiter Franz Hofer, Heft 1, Verordnung Nr. 9, Paragraph 1, Bozen 21. 9. 1943. In den vom Nationalsozialismus eingenommenen Ortschaften und Städte wurde als Machtdemonstration oftmals eine derartige Totalrevision des bestehenden Straßennamenkorpus durchgeführt. Die dazugehörige Gesetzesgrundlage nach welcher primär kommunale Bürgermeister oder Kreisleiter für das ›korrekte‹ Umbenennen von Straßen zuständig sein sollten, war schon 1939 für das gesamte ›Dritte Reich‹ beschlossen worden. Vgl. Weidner, Neue Namen für die »Neue Zeit«, S. 182. »Verordnungsblatt des Obersten Kommissars für die Operationszone Alpenvorland«, erlassen von Gauleiter Franz Hofer, Heft 1, Verordnung Nr. 9, Paragraph 2 & 3, Bozen 21. 9. 1943. Martens, Straßennamen – Lesezeichen im kulturellen Gedächtnis, S. 61. Glasner, Peter : Vom Ortsgedächtnis zum Gedächtnisort: Straßennamen zwischen Mittelalter und Neuzeit, in: Namen und Gesellschaft. Soziale und historische Aspekte der Namengebung und Namenentwicklung, Jürgen Eichhoff, Wilfried Seibicke und Michael Wolffsohn (Hg.), Mannheim 2001, S. 282–303, hier S. 285–286. Ebd., S. 286. Bering, Das Gedächtnis der Stadt, S. 58.
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»City texts […] as an important component of official culture, are vulnerable to radical political reorientations of the ruling order.«682 Je radikaler ein Herrschaftswechsel demnach ausfällt, desto deutlicher und schneller äußert sich dieser im Wechsel der Straßennamen.683 Im Unterschied zu anderen Teilgliedern eines Polysystems verläuft ein Denkmalsturz684 bei Straßennamen indes einiges zögerlicher: Während vereinzelte Baudenkmäler impulsiv vom Sockel gerissen oder Geldnoten von einer Zentralinstanz kurzerhand für ungültig erklärt werden können, muss die Namensrevision eines Straßennetzes zuerst einen relativ langwierigen Verwaltungsprozess durchlaufen und danach im Alltagsgebrauch auf nachhaltige Akzeptanz stoßen.685 Dennoch halten sich Hodonyme weniger lang, je gewaltsamer und überstürzter sie zugewiesen wurden. Im Wesentlichen sind sie an die Lebenszeit jeweiliger Machtregime gekoppelt.686 Nicht zuletzt aus diesem Grund ging die Suche, Vergabe und Zuweisung von angeblich zeitgemäßen Straßennamen im Bozen der Nachkriegszeit unmittelbar wieder von vorne los.
Straßenumbenennungen, 1945–1953 Das Verhältnis Südtirols zum italienischen Staat war in der Nachkriegszeit von einer Suche nach möglichen Freiräumen geprägt. Während der verwaltungspolitische Streit dazu zwischen Autonomieverhandlungen, Selbstbestimmungsansprüchen und nationalistischen Dominanzgebaren verlief, zeichnete sich das Kräftezerren ferner auch auf der Straßenkarte Bozens ab. Die nachfolgenden Abschnitte zeigen, was für Parteien zu welcher Zeit nach angeblich zeitgemäßen Hodonymen verlangten und was für Personen und Ereignisse es dabei jeweils zu ehren galt. Gerade die imperialen Straßennamen standen 682 Azaryahu, Maoz: Renaming the Past. Changes in »City Text« in Germany and Austria, 1945– 1947, in: History and Memory. Studies in Representation of the Past, Vol. 2, Nr. 1, 1990, S. 32–53, hier S. 34. 683 Hierfür wird die im Stadttext enthalten Zeichensprache zuerst entkanonisiert, wodurch die vor dem Regimewechsel dominanten Symbolgehalte zunächst beseitigt werden. Danach werden die Herrschaftszeichen üblicherweise neu verteilt: Was entweder mit dem Einzug eines komplett neuen Wertekanons oder mit einer symbolpolitischen Einnahme der noch vorhandenen Straßennamen geschehen kann. Vgl. Azaryahu, Von Wilhelmplatz zu Thälmannplatz, S. 29–31; Frese, Straßennamen als Instrument der Geschichtspolitik, S. 11; Glasner, Vom Ortsgedächtnis zum Gedächtnisort, S. 286; Martens, Straßennamen – Lesezeichen im kulturellen Gedächtnis, S. 64. 684 Speitkamp, Denkmalsturz und Symbolkonflikt, S. 9. 685 Azaryahu, Von Wilhelmplatz zu Thälmannplatz, S. 32. 686 Kühn, Ingrid: Umkodierung von öffentlicher Erinnerungskultur am Beispiel von Straßennamen in den neuen Bundesländern, in: Namen und Gesellschaft. Soziale und historische Aspekte der Namengebung und Namenentwicklung, Jürgen Eichhoff, Wilfried Seibicke und Michael Wolffsohn (Hg.), Mannheim 2001, S. 303–318, hier S. 311.
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Straßennamen in Bozen, 1919–2000
hiernach immer wieder zur Disposition, hatten sie in den Jahren vor 1943 doch überdeutlich den faschistischen Herrschaftsanspruch über Südtirol markiert. Inwieweit ebendieser Aussagewert der Bozner Straßennamen für die kulturnationalistischen Grabenkämpfe der Nachkriegszeit bedeutend war, gilt es nachfolgend ebenfalls zu diskutieren.
Zur Arbeit der ersten Toponomastikkommission, 1945–1946 Am 11. Juli 1945 ordnete der Kommissar des Allied Military Government687 der Provinz Bozen, Oberst William McBartney, kraft seiner Sonderbefugnisse die »Suspendierung und Entlassung nazistischer und faschistischer Amtswalter« an.688 Die damit erlassene Provinzialverordnung Nr. 8 sah überdies vor, dass bei der Gelegenheit auch gleich mit dem autoritären Gedankengut der untergegangenen Regime abgerechnet werden sollte.689 Zumindest in den unmittelbaren Nachkriegsmonaten stimmten neugegründete Parteien wie die SVP oder der regionale Ableger des Comitato di Liberazione Nazionale (CLN) McBartenys Erlass noch zu, öffentliche Ämter so weit als möglich zu entnazifizieren bzw. zu entfaschisieren.690 Von Rom ging dazu beispielsweise im Dezember 1945 ein versöhnendes Zeichen aus, bei welchem das Deutsche per Ministerialbeschluss wieder als offizielle Amtssprache zugelassen wurde. Die Präfektur der Provinz Bozen war dem Entscheid allerdings schon zuvorgekommen, als sie am 17. November das Dekret Nr. 6588 erlassen hatte, nach welchem sämtliche Straßenschilder der Südtiroler Ortschaften fortan zweisprachig angeschrieben werden sollten.691 Um hierzu die passenden (Rück-)Übersetzungen festzulegen 687 Südtirol unterstand dem Allied Military Government vom Kriegsende im Mai 1945 bis zum 31. Dezember desselben Jahres für insgesamt acht Monate. Zu dieser kurzen Anfangsphase, während welcher kulturnationalistische Ressentiments öffentlich noch relativ wenig vernehmbar waren, schreibt Leopold Steurer : »Man könnte überhaupt die Monate vom Mai bis Dezember 1945 in Südtirol als eine Art von der Alliierten Militärregierung verordneten und kontrollierten Waffenstillstand zwischen den Sprachgruppen bezeichnen, der erst mit dem 1. Jänner 1946 sein Ende nahm, als nach der […] erfolgten Übernahme an die italienische Verwaltung die Auseinandersetzungen um die territoriale Regelung der Südtirolfrage zwischen den Parteien, der Presse und der Bevölkerung auf beiden Seiten härtere Formen annahm.« Vgl. Steurer, Leopold: Südtirol 1943–1946: Von der Operationszone Alpenvorland zum Pariser Vertrag, in: Südtirol – Stunde Null? Kriegsende 1945–1946, Hans Heiss/ Gustav Pallaver (Hg.), Innsbruck 2000, S. 48–107, hier S. 55. 688 Zitiert in: Pallaver, Günther : Schlamm drüber, in: Südtirol – Stunde Null? Kriegsende 1945– 1946, Hans Heiss/Gustav Pallaver (Hg.), Innsbruck 2000, S. 256–281, hier S. 256. 689 Pallaver, Schlamm drüber, S. 256. 690 Ebd., S. 261. 691 Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Toponomastica comunale«, in: StadtA Bozen, Protokolle des Gemeindeausschusses, Beschlüsse 1946, Prot. Nr. 561/16435, Bozen 17. 9. 1946.
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sowie bei der Gelegenheit gleich auch den bestehenden Straßennamenbestand nach scheinbar veralteten, faschistischen Namensgebungen zu durchforsten, war vom Bozner Gemeindeausschuss per Beschluss am 10. Dezember eigens eine neue Toponomastikkommission ernannt worden. Das sprachlich-paritätische Gremium setzte sich aus dem kommissarischen Bürgermeister Luciano Buonvicini, dem Gutsbesitzer Baron Egon von Eyrl, dem Ingenieur Bruno Frick sowie aus den bereits von der Kommission von 1943 her bekannten Giuseppe Mammarella und Nicolk Rasmo zusammen.692 Die fünfköpfige Benennungskommission ließ mit einer ersten Namensliste anschließend nicht lange auf sich warten. Schon rund drei Monate später stellte sie ihre Vorschläge am 26. März 1946 dem Gemeindeausschuss vor, der den ausgearbeiteten Katalog von insgesamt 232 Straßennamen ohne Gegenstimme annahm. Die Zustimmungskriterien für die 182 Übersetzungen und 50 Umbenennungen lauteten hiernach, dass die ›ursprünglichen‹, von der »popolazione indigena« verwendeten Straßennamen einerseits soweit als möglich übersetzt und beibehalten werden sollten.693 Andererseits waren die während des Ventennio nero eingeführten Hodonyme ausnahmslos zu ersetzen. Im dazugehörigen Beschluss des Gemeindeausschusses wurde diesbezüglich festgehalten, dass diese konfliktträchtigen Wegzeichen nicht nur ihren rechtmäßigen Platz in einem nun demokratischen Staat verloren hätten, auch sprächen sie mit ihrer meist imperialen Semantik grundsätzlich gegen ein friedliches Zusammenleben beider Sprachgruppen. Dafür sollten mit den neuen Straßenschildern vor allem kulturelle Persönlichkeiten gewürdigt werden, die der Stadt Bozen und dem naheliegenden Umland mit ihrem Leben und Werken besondere Ehre erwiesen hätten. Neben solch regionalen Namenspatrons sollten aber auch jene italienischen Wissenschaftler im neuen Stadttext eingeschrieben werden, die mit ihren Entdeckungen und Entwicklungen die Menschheit im Allgemeinen – und die Arbeiterschaft im Besonderen – vorangebracht hätten.694 Bei den 50 von der Toponomastikkommission umzubenennenden Straßen fällt auf, dass sie sich thematisch dreiteilen lassen. In der quantitativ größten 692 Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Commissione per la toponomastica cittadina«, in: StadtA Bozen, Protokolle des Gemeindeausschusses, Beschlüsse 1945, Prot. Nr. 596/ 15451, Bozen 10. 12. 1945. 693 Die teilweise noch von Tolomei ins Italienische übertragenen Straßennamen wieder zurück ins Deutsche zu übersetzten, zeugt zwar vom gut gemeinten Versuch den Bozner Verkehrsplan so weit als möglich zu entpolitisieren. Allein die Übersetzungsarbeit lädt die daraus resultierenden Namen aber erneut politisch auf – soll mit dieser doch der kulturpolitische Konflikt der beiden Sprachgruppen geschlichtet werden, womit unpolitische Straßennamen per se nicht mehr möglich sind. 694 Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Toponomastica comunale«, in: StadtA Bozen, Protokolle des Gemeindeausschusses, Beschlüsse 1946, Prot. Nr. 196/5537, Bozen 26. 3. 1946.
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Gruppe finden sich erstens all jene Namen, die entweder Angehörige des faschistischen Nationalpantheons würdigen, für das Regime geschichtsträchtige Daten bezeichnen oder dessen Symbolik auf anderem Wege evozieren. So verloren frühere Kampfgefährten Mussolinis wie beispielsweise Michele Bianchi oder Giovanni Berta ihren bisherigen Platz im Bozner Straßennetz. Die dadurch entstehende Leerstelle sollte danach mit der zusammengeführten Via Industriale ausgefüllt werden.695 Des Weiteren lautete die Piazza Littoria neu nach dem sozialistischen ›Märtyrer‹ Piazza Matteotti und die beinahe gleichnamige Via Littorio nach der altösterreichischen Sagenfigur Via Laurino.696 Bei den kalendarischen Verweisen verlief die Suche nach passenden Namen allerdings etwas langwieriger. Vorläufig sollte nur die an den ›Marsch auf Bozen‹ erinnernde Piazza II Ottobre in Piazza Municipio umgetauft werden. Für die anderen, mit historischen Daten versehenen Verkehrswege stand indes noch kein Ersatz fest. Über einen solchen sollten spätere Sitzungen entscheiden.697 Unter die zweitgrößte Gruppe fallen die der italienischen Nationalgeschichte gewidmete Straßen und Plätze: Die Namensrevision richtete sich somit nicht nur gegen die den Faschismus huldigenden Hodonyme, sondern teilweise auch gegen jene, welche offenkundig die italienische Nation ehrten. Insgesamt wurden hiernach zwölf Straßennamen mit entweder lokalen Standortsbeschreibungen oder aber mit Namen der Regionalprominenz ausgetauscht: So war die Via Camillo Cavour in Via Molini umzubenennen, die Via Armando Diaz sollte die Ortsangabe Via Gries erhalten, die Via Leonardo Da Vinci als Via Defregger nun einen deutschen Maler würdigen oder schließlich die nach dem dreimaligen Ministerpräsidenten benannte Via Francesco Crispi698 den unscheinbaren Na695 Weitere nach namhaften Faschisten benannte Verkehrswege erhielt die folgenden, zumeist berühmten Wissenschaftlern gewidmeten Neubeschriftungen: Via Nicola Bonservizi – Via Luigi Calvani, Via Armando Casalini – Via Galileo Ferraris, Via Costanzo Ciano – Piazza Stazione, Via Mario Gioda – Via Alessandro Volta, Via Alfredo Oriani – Via Garibaldi, Via Luigi Razza – Via Resia. Vgl. Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Toponomastica comunale«, in: StadtA Bozen, Protokolle des Gemeindeausschusses, Beschlüsse 1946, Prot. Nr. 196/5537, Bozen 26. 3. 1946. 696 Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Toponomastica comunale«, in: StadtA Bozen, Protokolle des Gemeindeausschusses, Beschlüsse 1946, Prot. Nr. 196/5537, Bozen 26. 3. 1946. 697 Bei den folgenden Plätzen wurde demnach eine noch offenstehende Namensvergabe angekündigt: Piazza XI Febbraio, Piazza XXIII Marzo, Piazza XXVIII Ottobre sowie die Largo XXI Aprile. Vgl. Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Toponomastica comunale«, in: StadtA Bozen, Protokolle des Gemeindeausschusses, Beschlüsse 1946, Prot. Nr. 196/5537, Bozen 26. 3. 1946. 698 Obschon Francesco Crispi während seiner dritten Amtszeit nach 1896 die koloniale Expansion des liberalen Italiens vehement vorangetrieben hatte, ist dessen Auftauchen im Bozner Verkehrsnetz nicht der imperialen Regimepropaganda entsprungen. Crispis hodonomatischer Nimbus wurde ihm jedenfalls nicht während den vom Faschismus in den Dreißigerjahren durchgeführten Namensrevisionen verliehen. Der Straßenname wurde
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men Via della Prefettura tragen.699 Während die Nationalhelden- und Kulturikonen des präfaschistischen Italiens überwiegend vom Stadtplan zu streichen waren, sollte die Tiroler Heldenfigur Andreas Hofer dafür aber einen neuen Platz erhalten: Hier war es die bisherige Piazza della Madonna, die gemäß dem Vorschlag der Toponomastikkommission in Piazza Andreas Hofer umzubenennen war. Das sprachlich-paritätisch zusammengesetzte Gremium scheint gerade in derartigen Würdigungen einflussreich gewesen zu sein. Nicht ohne Grund kamen deswegen nun auch prominente Figuren des deutsch-nationalistischen Heldenpantheons zur Sprache, derweil für deren italienisch-nationalistischen Antagonisten weitaus weniger Raum offenstand. Immerhin wurden aber die beiden italienischen Irredentisten Damiano Chiesa und Fabio Filzi sowie die Risorgimento-Ikone Giuseppe Garibaldi nicht gestrichen.700 Es darf daher angenommen werden, dass die Benennungskommission zusammen mit dem Gemeindeausschuss mit solchen Würdigungen ein kulturpolitisches Gleichgewicht in der Bozner Straßenkarte festzulegen versuchte. Die dritte Kategorie lässt sich mit immerhin zehn Verkehrsflächen thematisch unmittelbar dem Abessinienkrieg zuordnen. Hier sollten die bereits weiter oben genannten Engramme des faschistischen Eroberungskriegs wie der Corso IX Maggio, die Piazza dell’Impero, die Via Amba Aradam, die Via Endert/, die Via Lago Ascianghi sowie die Via Neghelli zusammen mit den daraus hervorgegangenen ›Kriegshelden‹ wie Ettore Crippa, Reginaldo Giuliani, Antonio Locatelli oder dem Duca d’Aosta701 allesamt vom Straßenplan radiert werden. Wiederum war an deren Stellen mehr oder minder bekannten Figuren der Südtiroler demnach wahrscheinlich erst nach 1945 vergeben. Vgl. Beschluss des Podest/ L. Miori, betr. »Denominazioni stradali«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. 1307, Bozen 8. 3. 1932; Kommissariatsbeschluss der Gemeinde Bozen, betr. »Denominazione di vie e piazze cittadine«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. 993/21139, Bozen 26. 9. 1936; Deliberazione Podestarile des Podest/ Alfredo Clavarino, betr. »Denominazione di Vie e di Piazze cittadine«, Bozen 29. 3. 1941, Prot. Nr. 222/8185. 699 Des Weiteren fallen unter diese Kategorie die Umbenennungen: Via Luigi Cadorna in Via Sarentino, die Via GiosuH Carducci in Via Domenico Molin, die Via Giuseppe Mazzini in Via Fago, die Via Dante in Via Tribunali, die Via Guglielmo Marconi in Via Sciliar, die Via Pietro Micca in Via della Riva, die Via Vittorio Veneto in Via S. Maurizio oder die Via Monte Grappa in Via Francesco Lindner. IMG_2523–2529. Vgl. Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Toponomastica comunale«, in: StadtA Bozen, Protokolle des Gemeindeausschusses, Beschlüsse 1946, Prot. Nr. 196/5537, Bozen 26. 3. 1946. 700 Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Toponomastica comunale«, in: StadtA Bozen, Protokolle des Gemeindeausschusses, Beschlüsse 1946, Prot. Nr. 196/5537, Bozen 26. 3. 1946. 701 Mit dem Duca d’Aosta war der ehemalige Vizekönig Italienisch-Ostafrikas Amedeo di Savoia-Aosta gemeint, der den letzten verzweifelten Widerstand gegen die CommonwealthTruppen am Amba Alagi vom Mai 1941 angeführt hatte und anschließend als gefeierter Nationalheld in englische Kriegsgefangenschaft geraten war. Vgl. Mattioli, Experimentierfeld der Gewalt, S. 165.
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(Kunst-)Geschichte ein Ehrenmal zu setzen.702 Hierfür fand auch das später in Norditalien der frühen Sechzigerjahre prominent verbreitete Resistenza-Narrativ703 einen ersten Vorläufer : In Gedenken an die Gefallenen des Partisanenkampfes war für den Corso IX Maggio der verheißungsvolle Name Corso della Libert/ vorgesehen.704 Selbstverständlich lassen sich nicht alle damals abgeänderten Straßennamen einer solch schablonenhaften Trias unterordnen, zumal sich einige der symbolträchtigen Personen, Daten und Lokalitäten je nach Lesart verschiedenen Themengruppen zuteilen lassen.705 Zudem entzogen sich den Umbenennungen nicht wenige Straßennamen faschistischen Ursprungs, die eindeutig imperial konnotiert waren. Als auffälligste Gruppe treten hier die Namensgebungen mit antikem Bezug hervor: Die Via Claudia Augusta, die Via Giulio Cesare, die Viale Druso zusammen mit der Ponte Druso, die Via Tito Livio sowie die Via Virgilio sollten ihre Namen allesamt beibehalten. Die faschistische Instrumentalisierung des antiken Roms war hier offenbar nicht weiter von Belang. Gleichwohl sollte die Zugehörigkeit Südtirols als eine nach 1919 entstandene Grenzprovinz Italiens mit der Piazza IV Novembre sowie der Piazza della Vittoria weiterhin im Straßennetz verzeichnet bleiben.706 Eine kleine Gasse muss hier zuletzt noch einzeln erwähnt werden: Beinahe unbemerkt gelangte die Via Tripoli auf den neuen Straßennamenkorpus von 702 Folgende Namenswechsel waren hier vorgesehen: Via Amba Aradam – Via Martin Knoller, Via Ettore Crippa – Via di Mezzo (ai piani), Via Duca d’Aosta – Via Mainardo, Via Endert/ – Via Antonio Giuseppe Santori, Via Padre Reginaldo Giuliani – Via Paolo Troger, Via Lago Aschiangi – Via Michel Pacher, Via Antonio Locatelli – Via Giuseppe Craffonara, Via Neghelli – Via Linus Egger. Vgl. Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Toponomastica comunale«, in: StadtA Bozen, Protokolle des Gemeindeausschusses, Beschlüsse 1946, Prot. Nr. 196/5537, Bozen 26. 3. 1946. 703 Klinkhammer, Lutz: Kriegserinnerungen in Italien im Wechsel der Generationen. Ein Wandel der Perspektive?, in: Erinnerungskulturen in Deutschland, Italian und Japan seit 1945, Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer und Wolfgang Schwenker (Hg.), Frankfurt a.M. 2003, S. 333–344, hier S. 338–341. 704 Der Gemeindeausschuss erklärte diesen Verweis in einem Artikel der Alto Adige vom 27. Oktober 1946. Vgl. »Toponomastica cittadina«, in: Alto Adige, 27. 10. 1946, S. 2. 705 Die folgende Liste der abgeänderten Straßennamen lässt sich entsprechend keinem oder gleich mehreren der oben diskutierten Themenclustern zuordnen: Die Via Italo Balbo in Via Museo, die Via Combattenti in Via del Sole, die Via Fillippo Corridoni in Via Vincenzo Lancia, die Via Giovane Italia in Via Talvera, die Via Principe di Piemonte in Via della Mostra, die Via Elena Regina in Via Cassa di Risparmio, die Piazza Vittorio Emmanuele III in Piazza della Madonna sowie der Corso Vittorio Emanuele III in Via Stazione. Vgl. Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Toponomastica comunale«, in: StadtA Bozen, Protokolle des Gemeindeausschusses, Beschlüsse 1946, Prot. Nr. 196/5537, Bozen 26. 3. 1946. 706 Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Toponomastica comunale«, in: StadtA Bozen, Protokolle des Gemeindeausschusses, Beschlüsse 1946, Prot. Nr. 196/5537, Bozen 26. 3. 1946.
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1946. Zwar handelte es sich bei dieser unmissverständlich um eine faschistische Benennung, die auf das ehemalige koloniale Verwaltungszentrum Libyens anspielte. Mit dem Verweis, dass die nordafrikanischen Kolonialräume bereits unter dem liberalen Italien für dessen ›Arbeitervolk‹ angeblich erschlossen worden waren, hielten sich derartige Hodonyme damals aber auch in den übrigen Städten des Bel Paese – so beispielsweise in Bologna auf Wunsch des gesamten Stadtparlaments.707 Es erscheint daher naheliegend, dass auch im Bozner Gemeindeausschuss die erste ›Eroberung‹ Libyens zwischen 1911 und 1912 als vermeintlich weniger verheerend bzw. problematisch wie die späteren italienischen Kriegszüge unter Mussolini wahrgenommen wurden,708 weshalb die Via Tripoli in dessen Augen nach wie vor nicht an Legitimität eingebüßt hatte.709 Bevor die neuen Namen auf die nun zweisprachigen Straßenschilder gelangten, musste jedoch erst noch der unter faschistischer Jurisdiktion festgelegte Amtsweg eingehalten werden, wofür nach wie vor das Toponomastikgesetz von 1923 galt. Entsprechend bat der kommissarische Bürgermeister Luciano Bonvicini mit einem Schreiben vom 23. April 1946 bei der Direktion des staatlichen Denkmalamtes darum, die vom Gemeindeausschuss rund einen Monat zuvor verabschiedete Namensliste ebenso zu genehmigen.710 Ohne sich explizit auf die inhaltlichen Benennungskriterien des zweiten Dekrets faschistischen Ursprungs von 1927 zu beziehen, wurde der von der Toponomastikkommission ausgearbeitete Straßenplan vom Denkmalamt weitgehend durchgewinkt. Der dazugehörige Beschluss des Gemeindeausschusses folgte am 17. September
707 Perilli, Vincenza: Da Dogali a Gramsci. Toponomastica e Memoria Coloniale a Bologna, in: Zapruder. Storie in Movimento, Nr. 23, September – Dezember 2010, S. 136–143, hier S. 140–143. 708 Was die italienische Kolonialgeschichte angesichts der schieren Brutalität, mit welcher bereits das liberale Italien zwischen 1911 und 1920 letztendlich vergeblich versucht hatte Tripolitanien, die Cyrenaika und den Fezzan zu erobern, einem genauso verfehlten wie auch unverschämten Blick preisgibt. Vgl. Mattioli, Aram: Die vergessenen Kolonialverbrechen des faschistischen Italien in Libyen 1923–1933, in: Völkermord und Kriegsverbrechen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Irmtrud Wojka/Susanne Meinl (Hg.), Frankfurt a.M. 2004, S. 203–227, hier S. 205–209. 709 Tatsächlich unterstützten bis zu einer Senatssitzung in Rom vom Juli 1949 noch alle grösseren Parteien des Landes den Wunsch der italienischen Regierung, die ehemaligen Kolonialgebiete in Ost- und Nordafrika zumindest per Treuhandschaft wieder zurückzuerlangen. Vgl. Pes, Alessandro: The Colonial Question between Ideology and Political Praxis, in: Colonialism and National Identity, Paolo Bertella Farnetti/Cecilia Dau Novelli (Hg.), Newcastle 2015, S. 112–126, hier S. 112–116 sowie S. 123–125. 710 Schreiben des Bürgermeisters von Bozen Luciano Bonvicini an das Ministero della Pubblica Istruzione – Direzione Generale della Sovraintendenza ai monumenti, betr. »Toponomastica stradale«, in: StadtA Bozen, Bestand der Comissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 23. 4. 1946.
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1946.711 Einzig 19 der von der Kommission eigentlich vorgesehenen Umbenennungen erhielten dabei kein grünes Licht:712 Entweder sollten einige dieser Straßennamen aufgrund ihrer kulturpolitischen Aussagekraft weiterhin beibehalten werden,713 einen angeblich angemesseneren Namenspatron erhalten714, oder aber anstatt eines solchen mit einem lokalen Standortbezug ausgestattet werden.715 Ferner äußerte sich erstmals auch die Anwohnerschaft einer Straße zu einem vom Gemeindeausschuss angekündigten Namenswechsel. Dabei ging es um die Via Locatelli, die fortan dem ursprünglich aus dem nahegelegenen Gadertal stammenden Kunstmaler Giuseppe Craffonara gedenken sollte. Am 26. Juli 1947 ging ein Brief mit dem Absender »abitanti di Via Locatelli« im Büro der Stadtgemeinde ein, in welchem der angeblich heroische Kriegseinsatz Locatellis folgendermaßen gewürdigt wurde: »A noi abitanti di Via Locatelli interessava molto veder abolito il nome di Via Grafonara che, come Manzoni, dobbiamo chiederci ›chi era costui?‹ […] Ricordiamo che Locatelli H stato un eroe con tre medaglie d’oro, di cui due guadagnate nella guerra 1914/18 ed, H
711 Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Toponomastica comunale«, in: StadtA Bozen, Protokolle des Gemeindeausschusses, Beschlüsse 1946, Prot. Nr. 561/16435, Bozen 17. 9. 1946. 712 Zur Liste aller gemäß dem Beschluss des Gemeindeausschusses Nr. 561/16453 vom 17. 9. 1946 zugeteilten Straßennamen, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 17. 9. 1946; Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Toponomastica comunale«, in: StadtA Bozen, Protokolle des Gemeindeausschusses, Beschlüsse 1946, Prot. Nr. 638/19517, Bozen 5. 11. 1946; Schreiben des Präfekten der Provinz Bozen an den Bürgermeister von Bozen, betr. »Toponomastica cittadina«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. Divisione IV prot. 68, Bozen 13. 1. 1947. 713 So durften die folgenden sechs Straßen gemäß dem staatlichen Denkmalamt nicht umbenannt werden: Die Via Giosu8 Carducci, die Via Dante, die Via Francesco Rismondi, die Via Sauro Nazario, die Via Vittorio Veneto sowie die Via Cesare Battisti. Ferner durften auch die nach italienischen Städten und Ortschaften benannten Straßen des überwiegend von Italienern bewohnten Viertels der Case popolari bestehen bleiben – in einem ›italienischen‹ Stadtviertel wurden diese vom Denkmalamt als durchaus passend deklariert. 714 Die Via Camillo Cavour hieß fortan Via Giuseppe Verdi, die Via Michele Bianchi zusammen mit der Via Giovanni Berta – Via Leonardo Da Vinci, die Via Nicola Buonservizi – Via Luigi Calvani, die Via Armando Casalini – Via Guglielmo Marconi, die Via Aldo Sette – Via Galileo Galilei, die Via Nino Bixio – Vicolo Mumelter und die Via Reginaldo Giuliani zu guter Letzt Via Nepomuceno Tschiderer. 715 Bei diesen drei Straßen waren Angaben bezüglich des jeweiligen Standorts demnach dem anscheinend problematischen Vorgängernamen vorzuziehen: Via Italo Balbo – Via Museo, Ponte Claudio Augusta – Ponte Talvera, Via Duca d’Aosta – Via dell’Ospedale, Via Pietro Micca – Via della Riva.
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giusto che la sua memoria sia onorata. […] Speriamo e preghiamo venga rimessa a posto l’indicazione della Via in ›Antonio Locatelli‹.«716
Abgesehen davon, dass der oder die Verfasserin des Schreibens den Einsatz Locatellis für das faschistische Regime im Abessinienkrieg großzügig übersieht, wird darin ebenfalls erkennbar, dass sich die Frage nach der korrekten Vergabe von Straßennamen nach 1945 nicht mehr nur exklusiv in den Amtsstuben von Bozen oder Rom beantworten ließ. Die Suche nach ehrwürdigen Namen war nun zu einem demokratischen Prozess öffentlich ausgehandelter Geschichtspolitik geworden, an dem die Stadtbevölkerung gleichermaßen teilnahm.
Die zweiten Umbenennungsverhandlungen, 1948–1949 Am 13. Januar 1948 ging im Bozner Rathaus ein Schreiben der Präfektur ein, in welchem im Namen des Kulturministeriums die Revision aller der im September 1946 beschlossenen Straßennamen angeordnet wurde. Der Grund dafür lautete, dass der Amtsweg gemäß dem Toponomastikgesetz Nr. 1158 von 1923 zwar durchaus eingehalten worden war, in den vergangenen rund eineinhalb Jahren seien aber nachträglich einzelne Namensänderungen vorgenommen worden, die nicht in der ursprünglich bewilligten Liste enthalten gewesen waren. Aufgrund dieses Umstands hatte die gesamte Benennungsarbeit nochmals von vorne zu beginnen, wozu am 2. November 1948 wiederum eine Toponomastikkommission vom Gemeinderat einberufen wurde. Nach einer etwas längeren Diskussion darüber, wie sich das Gremium den Parteien sowie den Sprachgruppen gemäß aufteilen sollte, wurde dieses nun um zwei Sitze erweitert. Unter der Aufsicht des neu gewählten christdemokratischen Bürgermeisters Lino Zillers entschieden somit Senator Karl von Breitenberg, Staatsarchivar und früherer Mitarbeiter Tolomeis beim Archivio per l’Ato Adige Guido Canali717, der spätere Vizebürgermeister Baron Egon Eyrl zusammen mit seinem SVP-Parteikollegen Alois Plattner sowie die beiden Gemeinderäte der Sozialistischen Arbeiterpartei Augusto Bonatta und Arturo Longo über die anstehenden Umbenennungen. Konkret bestand ihre Aufgabe darin, das im Spätsommer 1946 beschlossene Repertoire an Straßennamen nochmals zu überarbeiten und die daraus hervorgehenden Änderungsvorschläge dem Gemeinderat vorzulegen, damit dieser
716 Brief der »abitatni di Via Locatelli« an die Stadtgemeinde Bozen, kein Betreff, in: StadtA Bozen, Bestand der Commssione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 26. 7. 1947. 717 Pallaver, Schlamm drüber, S. 37.
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die angenommene Liste anschließend an das Kulturministerium weiterleiten konnte.718 Entgegen der kulturpolitisch noch ausgeglichenen Namensvergabe von 1945, stand die neuaufgesetzte Bozner Straßenkarte diesmal aber unter unverkennbar kulturnationalistischen Vorzeichen. Entsprechend waren schon von Beginn an ideologisch aufgeladenere Hodonyme zu erwarten. Ausschlaggebend hierfür waren unter anderem die erstmals frei durchgeführten Gemeindewahlen in Bozen vom 11. Juli 1948 – im selben Jahr gefolgt von den ersten Regionalratsund Landtagswahlen vom 28. November. Das Wahlresultat in der überwiegend von Italienern bewohnten Stadt an der Etsch fiel damals zu Gunsten der noch jungen Südtiroler Volkspartei (SVP) aus. Mit weitem Abstand zog sie daher als die wählerstärkste Partei in den Gemeinderat ein. Nach ihr folgte die Democrazia Cristiana (DC) mit Bürgermeister Lino Ziller – als Vizebürgermeister wurde der spätere Landeshauptmann Silvius Magnago von der SVP ernannt – sowie mit etwas weiterem Rückstand die kleineren Parteien der Sozialisten, Kommunisten, des neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) sowie des Partito Repubblicano Italiano (PRI).719 Gleiches trug sich bei den Novemberwahlen der Landesregierung zu: Auch hier holte sich die SVP die deutliche Mehrheit der Stimmen. Während sie im Südtiroler Landtag für die kommende Legislaturperiode demnach ganze 13 Sitze einnahm, gingen nur zwei Mandate an die DC sowie jeweils eines an die Sozialisten, Kommunisten, Unabhängigen, Sozialdemokraten und an den MSI.720 Ein gewisses Minderwertigkeitsgefühl der italienischen Gemeinderatsmitglieder gegenüber ihren deutschsprachigen Amtskollegen dürfte sich aufgrund ihres neuen Minderheitenstatus also durchaus eingeschlichen haben. Beinahe schadenfreudig zeigte sich demgegenüber die Dolomiten: Als mediales Sprachrohr Deutschsüdtirols plädierte sie zuversichtlich dafür, lokale Bezugskriterien gegenüber nationalen Makrotoponymen vorzuziehen: »Ortsgebundene Namen sind immer vorzuziehen, sie verleihen einer Stadt ein eigeneres, meist gemütlicheres Gesicht. Allzuviele [sic] Straßen nach Berühmtheiten zu benennen, riecht ein wenig nach Schablone und Gedankenarmut.«721
Die offiziellen Richtlinien zur verordneten Straßennamenrevision wurden den Stadtbehörden allerdings nicht von öffentlichen Lokalmedien zugetragen, son718 Protokoll des Beschlusses der Gemeindeversammlung, betr. »Nomina di una Commissione per lo studio della toponomastica cittadina«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 3, Prot. Nr. 18/22441, Bozen 2. 11. 1948. 719 »Gemeinderäte der Stadt Bozen von 1948 bis 2016«, online Veröffentlichung des Amtes für Statistik und Zeiten der Stadt Bozen, S. 9–36, aufgerufen am 06. 05. 2019. 720 Online Archiv des Südtiroler Landttags, Legislaturperiode (1948–1952), aufgerufen am 06. 05. 2019. 721 »Die Straßennamen in Bozen«, in: Dolomiten, 2. 11. 1948, S. 3.
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dern wiederum vom Denkmalamt der Provinz Trentino-Südtirol. Dieses wurde trotz der Einsprache der SVP sowie des CLN vom vormaligen Mitstreiter Tolomeis, Professor Rusconi, geleitet.722 Von seinem Amt aus teilte Rusconi seine Benennungskriterien dem Gemeinderat in einem Schreiben mit: Die zukünftige Toponomastikkommission sollte beim Zuweisen neuer Straßennamen demnach grundsätzlich freie Hand erhalten, bevor die ausgearbeitete Nomenklatur vom Kulturministerium sowie vom Landesausschuss abzusegnen war. Ausgenommen davon waren all jene Verkehrswege, die Mitgliedern der italienischen Königsfamilie oder des faschistischen Regimes gewidmet gewesen waren: Hier mussten die politisch angeblich entschärften Hodonyme von 1946 zwingend beibehalten werden. Einzig solch historisch-nationalistisch bedeutende Persönlichkeiten wie Dante, Leonardo Da Vinci, Giuseppe Verdi, Camillo Cavour, Guglielmo Marconi oder Raffaele Sernesi sollten über eine nach ihnen benannte Adresse verfügen. Des Weiteren durften auch erst zukünftig projektierte Verkehrsflächen gemäß diesem Pantheon benannt werden. Neu zu besetzende Leerstellen im Bozner Stadtplan waren demnach genauso vorprogrammiert wie der Austausch bereits verwendeter Hodonyme.723 Unter diesen Voraussetzungen begann die Arbeit der neuen Toponomastikkommission schließlich am 18. November 1948.724 Als ein letztes Benennungskriterium wurde bei diesem ersten Zusammentreffen überdies auf die lokalhistorische Tragweite eines jeden Straßennamens aufmerksam gemacht. Diese war bei allen Namensvergaben unbedingt zu berücksichtigen, um sich den kulturpolitischen Konsequenzen neuer Straßennamen vollumfänglich bewusst zu sein.725 Alles in allem kam es daraufhin zu insgesamt 15 Treffen, die sich vom 18. November 1948 bis zum Sommer des Folgejahres in unregelmäßigen Abständen hinzogen und bei denen alle Straßennamen einzeln durchdiskutiert wurden.726 Der Blick in die Wortprotokolle lässt dabei erkennen, dass es gemäß 722 Pallaver, Schlamm drüber, S. 262. 723 Schreiben des Leiters des Denkmalamtes Prof. A. Rusconi an die Stadtgemeinde Bozen, betr. »Toponomastica«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomatica 1, Prot. Nr. 2159, ohne Ort und Datum. 724 Eine aktualisierte Liste aller in den Vierzigerjahren vergebenen Bozner Straßennamen nach genauem Standort und in deren deutscher Version war dem Bürgermeister Lino Ziller am 16. November vom lokalen Statistikbüro zugestellt worden. Vgl. Schreiben des Direktors des Statistikamtes R. Germinasi an den Bürgermeister von Bozen Lino Ziller, betr. »Nuova toponomastica«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomatica 1, Bozen 16. 11. 1948. 725 Sitzungsprotokoll der ersten Sitzung der Toponomastikkommission, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomatica 1, Bozen 18. 11. 1948. 726 Zuerst traf sich das siebenköpfige Gremium im Dezember 1948 noch öfters, in den kommenden Monaten dann aber zusehends weniger. An den folgenden Daten kam es zu einer Sitzung: 18. 11. 1948, 9. 12. 1948, 15. 12. 1948, 20. 12. 1948, 28. 12. 1948, 30. 12. 1948, 11. 1. 1949, 17. 1. 1949, 24. 1. 1949, 31. 1. 1949, 7. 2. 1949, 28. 2. 1949, 2. 3. 1949, 7. 3. 1949 sowie ein
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den Vorgaben Rusconis nun zwar untersagt war, das Mussolini-Regime mitsamt seinen prominenten Heldenfiguren weiterhin öffentlich zu ehren, für die faschistischen Eroberungskriege in Nord- und Ostafrika dagegen jedoch keine Vorschriften vorlagen. Entsprechend offen wurde in den Verhandlungen über den ›korrekten‹ Umgang mit der imperialen Erblast der Bozner Straßenkarte diskutiert. Ein erster Entscheid wurde schließlich in der vierten Sitzung vom 20. Dezember 1948 gefällt: Während für die Via Duca d’Aosta und die Via Reginaldo Giuliani noch kein Ersatz festgelegt wurde, beschloss die Kommission dafür die Piazza dell’Impero weiterhin als Piazza Mazzini stehen zu lassen.727 Die nächsten beiden vom Abessinienkrieg inspirierten Straßennamen waren sogleich beim Treffen vom 28. Dezember 1948 an der Reihe. Der Entscheid wurde freilich auch diesmal hinausgezögert: Für die ehemalige Via Ascianghi sowie die Via Antonio Locatelli konnten vorerst noch keine besseren Umbenennungen als diejenigen von 1946 gefunden werden. Die Kommissionsmitglieder waren sich aber immerhin darüber einig, dass Letztere als derzeitige Via Giuseppe Craffonara einer zu unbekannten Persönlichkeit gewidmet worden sei, weshalb an deren Stelle ein namhafterer Künstler – wie beispielsweise Segantini – herhalten sollte.728 Offenbar herrschten bei den imperialen Straßennamen nur schwer miteinander verhandelbare Standpunkte vor, so dass die ersten Benennungsvorschläge relativ spät nach dem siebten Treffen vom 11. Januar 1949 vorlagen. Dafür kam es diesmal gleich zu vier Kommissionsbeschlüssen: Die ehemalige Via Duca d’Aosta sollte weiterhin die Via dell’Ospedale bleiben. Ebenso wenig waren die beiden Namen Via Lago Ascianghi und Via Endert/ wiederzuverwenden. An deren Stelle sollten sich neu die Via Manci und die Via Manlio Longon erstrecken. Für die damalige Via Andreas Hofer wurde allerdings deren vorheriger Namenspatron Reginaldo Giuliani ins Feld geführt, womit der Benennungsentscheid von 1946 wieder rückgängig gemacht worden wäre.729 Beim übernächsten Treffen vom 24. Januar 1949 machte sich sodann ausgerechnet der sozialistische Gemeinderat Arturo Longo dafür stark, die Via Tripoli weiterhin letztes Mal am 13. 6. 1949. Vgl. Abschlussbericht des Präsidenten der Toponomastikkommission, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 2, ohne Ort und Datum; Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, 9. Sitzung, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 24. 1. 1949; Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, 15. Sitzung, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 10. 6. 1949. 727 Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, 4. Sitzung, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 20. 12. 1948. 728 Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, 5. Sitzung, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 18. 12. 1948. 729 Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, 7. Sitzung, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 2, Bozen 11. 1. 1949.
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beizubehalten. Seine mehr als nur unzeitgemäße Argumentation ist im Sitzungsprotokoll folgendermaßen festgehalten: »L’ing Longo propone la conservazione del toponimo Tripoli, affinch8 anche con la toponomastica sia mantenuta viva e attuale l’aspirazione e la necessit/ del ritorno delle colonie all’Italia.«730
Wie schon bei den Straßenbenennungen von 1946, so sollte die Via Tripoli demnach auch zukünftig als ein Zeichen des vermeintlichen Herrschaftsanspruchs über die nordafrikanische ›Arbeiterkolonie‹ bestehen bleiben. Die gnadenlose und brutale ›Wiedereroberung‹ der ›Vierten Küste‹ unter Mussolini von 1922 bis 1932 wurde dazu selbst von linken Politikern ausgeblendet oder völlig verzerrt ins Gedächtnis gerufen.731 Die faschistische Kriegspropaganda, nach welcher sich das italienische Arbeitervolk entgegen den plutokratischen Großmächten Europas in Nord- und Ostafrika ein eigenes Imperium erkämpft hätte,732 scheint demnach auch in der Ersten Republik selbst bei sozialistischen Politikern noch verfangen zu haben. Nicht minder einseitig wurde mit der Via Antonio Locatelli verfahren: Dem »valoroso aviatore« sollte aufgrund seines mit seinen beiden Ehrenmedaillen anscheinend bewiesenem »valor militare« erneut ein Verkehrsweg gewidmet werden. Hierfür war die Via Giuseppe Craffonara schließlich nun doch zurück zu benennen. Gemäß dem Vorschlag Canalis sollte des Weiteren die Via Martin Knoller von der Straßenkarte gestrichen werden, um dafür einer Via Beatrice di Savoia Platz zu machen. Somit kam zwar der jüngste Spross des italienischen Königshauses zu öffentlichen Ehren, allerdings war das zwischen 1936 und 1943 verwendete Hodonym Via Amba Aradam aufzugeben.733 Nach der 14. und insgesamt zweitletzten Sitzung vom 7. März 1949 lag der revidierte Straßennamenkatalog schließlich vor und am 18. Mai unterbreitete die Toponomastikkommission diesen dem Gemeinderat. Wie nicht anders zu erwarten, wurden die ausgearbeiteten Vorschläge nochmals lebhaft diskutiert. Die Debatte verlief dabei vor allem entlang kulturnationalistischer Gräben, was unter anderem an der Beschwerde Bonattas ersichtlich wird, der sich über den Vorstoß seiner deutschsprachigen Amtskollegen für den Namen Via Rottenbuch echauffierte: Dieser sei für die italienische Zunge schlicht unaussprechbar. Derweil stießen auch die imperialen Straßennamen auf härteren Widerstand, weswegen sich deren Verfechter einer ideologisch umso aufgeladeneren Argu730 Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, 9. Sitzung, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 24. 1. 1949. 731 Mattioli, Experimentierfeld der Gewalt, S. 41–53. 732 Ebd., S. 117–118. 733 Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, 9. Sitzung, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 24. 1. 1949.
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mentation bedienten. Besonders der MSI-Gemeinderat Pietro Mitolo konnte sich diesbezüglich kaum zurückhalten: So trat er entgegen dem Vorschlag des Kommissionsmitgliedes Canalis dafür ein, die Via Amba Aradam weiterhin als solche beizubehalten – oder sie alternativ dazu als Via Amba Alagi zu benennen. Der neofaschistischen Gedankenwelt Mitolos entsprechend sollte damit dem angeblich besonders ›glorreichen‹ Waffengang der italienischen Streitkräfte in Ostafrika gedacht werden. Natürlich nahm Mitolo nicht die beiden ersten Schlachten am Amba Alagi in den Blick, sondern bemühte stattdessen den dortigen ›Widerstandkampf‹ des Duca Amedeo di Savoia vom Frühjahr 1941.734 Dieses verbitterte, letzte Aufbäumen des italienischen ›Großreichs‹ symbolisch an den Fuß des Brenners zu verlegen, bot sich für den ›Widerstandskampf‹ des MSI gegen den ›invasiven Pangermanismus‹ offensichtlich ideal an.735 Ein vergleichsweise weniger beachtetes Kapitel der Landesgeschichte wurde hingegen vom Sozialisten Andrea Mascagni bemüht. Anstatt dem Abessinienkrieg in der Provinzhauptstadt ein weiteres Denkmal zu setzen, sprach Mascagni sich für eine Via Giovanni Monteforte aus: Mit einer solchen wäre dem Trentiner Spanienkämpfer, Partisan und Opfer des Nationalsozialismus für dessen Freiheitskampf gedankt worden. Am Ende der Gemeinderatssitzung wurde letztendlich aber nur entschieden die Via Craffonara in Via Antonio Locatelli- sowie die Via Andreas Hofer736 in Via Padre Reginaldo Giuliani zurück zu benennen.737 Die Frage, ob einer der in Äthiopien verteidigten Berge wie der Amba Aradam
734 Das imperiale Schicksal Italiens hatte sich am Amba Alagi bekannterweise dreimal entschieden gewendet: Das erste Mal im Dezember 1895, als der erste Eroberungsversuch unter Francesco Crispi mit ausgesprochen hohen Opferzahlen der Italiener gescheitert war. Das zweite Mal 1936 als die Faschisten das Bergmassiv dank einer militärtechnischen Überlegenheit einnehmen konnten, womit die ›Eroberung‹ des neuen ›Impero‹ angeblich zum Abschluss gekommen sei. Das dritte Mal während des Zweiten Weltkriegs im April und Mai 1941: Angeführt vom Duca Amedeo di Savoia fand dort einer der letzten, verzweifelten Widerstandkämpfe gegen das vorrückende Britische Heer statt. 735 Di Michele, Andrea: Straßenkämpfe, in: ff-Das Südtiroler Wochenmagazin, 2009, Nr. 8, S. 44–46, hier S. 44. 736 Die deutschsprachigen Parteien mussten allerdings nicht auf ihren Freiheitshelden verzichten. Die Via Andreas Hofer sollte sich neu an Stelle der alten Via Ca’ de Bezzi hinziehen. Vgl. »Piacciono e non piacciono le variazioni die toponimi«, in: Alto Adige, 24. 5. 1949, S. 1. 737 Erwartungsgemäß ging auf diesen Entscheid eine Unmenge an Leserbriefen bei der Redaktion der Alto Adige ein, welche die Liste der vom Gemeinderat vorgesehenen Straßennamen andauernd aktualisierte. Dabei musste das italienische Tagblatt allerdings immer wieder darauf verweisen, dass die Liste vor der Zusage des Landesausschusses nicht definitiv abgeschlossen war. Vgl. »Piacciono e non piacciono le variazioni die toponimi«, in: Alto Adige, 24. 5. 1949, S. 1.
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oder der Amba Alagi mit einem Straßennamen geehrt werden sollte, wurde hingegen ein weiteres Mal vertagt.738 Im Prinzip lagen nun beinahe alle Straßennamen für den definitiven Antrag an das Denkmalamt sowie an den Landesauschuss vor. Allerdings mussten noch für die Via Beatrice di Savoia sowie die Via Amba Alagi zwei für den Gemeinderat annehmbare Standorte gefunden werden. Hierzu schloss das Gremium bei seinem letzten Treffen vom 13. Juni 1949 nach langem Hin und Her den Kompromiss, dass auf die Erstere verzichtet werden sollte, um dafür die Chancen für die Letztere zu erhöhen. Entsprechend sollte die Via Martin Knoller nicht wie erwartet dem Savoyischen Adelshaus gewidmet werden, sondern dafür allen gefallenen Soldaten Italiens als Via Combattenti Tribut zollen. Gleichzeitig wurde erlassen, die bisherige Via Villini in Via Amba Alagi umzutaufen.739 Wiederum setzte sich dafür an vorderster Front MSI-Sprecher Mitolo ein, der in diesem symbolträchtigen Berg tatsächlich den »ultimo baluardo della resistenza italiana in Africa«740 zu erblicken meinte.741 Erneut zeigt sich hier die damalige Funktion imperialer Engramme im Straßennetz Bozens, mit welchen neofaschistische Gruppierungen wie der MSI ein Widerstandzeichen in der kulturell umkämpften Region Südtirol setzen wollten. Die Mitglieder der Toponomastikkommission hatten die Rechnung allerding ohne den Wirt gemacht: In der Gemeinderatssitzung vom 17. Juli 1949 wurde beschlossen, dass für den Antrag ans Denkmalamt die Via Combattenti zwar genehmigt werden sollte, die Via Amba Alagi unterlag aber der Via Villini mit einem Stimmenmehr von 14 zu sieben. Ausschlaggebend dafür war unter anderem wohl der Einwand Magnagos, der seine italienischen Kollegen darum bat, doch lieber einen Straßennamen zu wählen, der nicht derart provokativ an einen Eroberungskrieg Mussolinis erinnerte – auch wenn daraufhin Kommissionsmitglied Longo letztendlich umsonst das ausgesprochen fadenscheinige Gegenargument einwarf, dass mit der Via Amba Alagi nicht etwa der faschistischen 738 Beschluss des Gemeinderats, betr. »Toponomastica cittadina«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. 8/14511, Bozen 18. 5. 1949; Di Michele, Straßenkämpfe, S. 46. 739 Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, 15. Sitzung, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 13. 6. 1949. 740 Mitolo beharrte demnach zweifellos auf der dritten Schlacht am Amba Alagi von 1941: Also auf den unbedingten Widerstand gegen den Verlust formal italienischer Herrschaftsgebiete. Die anderen beiden Gefechte am Amba Alagi – also entweder die schmachvolle Niederlage des liberalen Italiens oder die gewaltsame und blutige Annexion neuer Territorien unter der Herrschaft Mussolinis – wären im demokratischen Umfeld von 1949 kaum vermittelbar gewesen. Vgl. Di Michele, Andrea: Guerre fasciste e memorie divise in Alto Adige/Su¨ dtirol, S. 37. 741 Wortmeldung des MSI-Kommissionsmitgliedes Pietro Mitolo, in: Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, 15. Sitzung, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 13. 6. 1949, S. 3.
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Aggression an sich, sondern vielmehr dem angeblich bereitwilligen Kriegseinsatz der Kolonialtruppen unter italienischer Flagge zu gedenken war. Als ›kulturfremdes‹ Volk hätten demnach auch sie ohne Hadern ihren Beitrag ans ›Vaterland‹ geleistet, womit wohl wieder ein mahnendes Zeichen an die Adresse ›widerspenstiger‹ und ›staatsfeindlicher‹ Deutschsüdtiroler ergehen sollte.742 Die vom Bozner Gemeinderat mit leichten Änderungen genehmigte Nomenklatur wurde vom Landesausschuss mit Vorbehalt am 21. Oktober 1949 ebenfalls angenommen. Der Landesausschuss stieß sich dabei an drei Hodonymen, welche aufgrund ihrer politischen Brisanz nach wie vor inakzeptabel waren: Dazu zählten zwei Straßen aus der Bozner Industriezone, welche nach den beiden Gewerkschaftlern Bruno Buozzi und Achille Grandi benannt werden sollten sowie die bereits mehrfach erwähnte Via Antonio Locatelli, an deren Stelle sich immer noch die Via Giuseppe Craffonara erstreckte.743 Erst auf Insistieren Zillers hin, der sich in einem umfassenden Antwortschreiben für die ehrwürdigen Biographien der drei Namenspatrons aussprach, konnte die definitive Annahme aller vorgesehenen Straßennamen überhaupt erst in Betracht gezogen werden.744 Betreffend der beiden Syndikalisten argumentierte der Bürgermeister dafür, dass diese schließlich ihr Leben für die Rechte und die Freiheiten der Arbeiterschaft eigesetzt hätten. Jenseits etwaiger politischer Ressentiments hätten sie ihren Platz im Bozner Arbeiterviertel deshalb redlich verdient. Im Falle Antonio Locatellis lehnte sich Ziller danach einiges weniger weit aus dem Fenster : Hier begnügte er sich lediglich mit dem Verweis auf das faschistische Toponomastikgesetz von 1927, nach welchem Personen, die vor länger als zehn Jahren verstorben waren, öffentlich wieder zu Ehren kommen durften. Den faschistischen Fliegerhelden geschichtspolitisch zu rehabilitieren, 742 Gemeinderatsbeschluss betr. »Toponomastica cittadina«, in: StadtA Bozen, Gemeinderatsbeschlüsse 1949, Prot. Nr. 27/19867, Bozen 17. 7. 1949; Di Michele, Straßenkämpfe, S. 46. 743 Schreiben des Landesausschusses an den Bürgermeister von Bozen Lino Ziller, betr. »Toponomastica cittadina – Delibera n. 8/14511 del 18. 5. 1949« in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. 13348, Bozen 21. 10. 1949. 744 Aus der Sicht Zillers war es vor allem wichtig, dass die drei umstrittenen Straßennamen vom Landesausschuss angenommen wurden, da diese zusammen mit allen anderen nur als Gesamtpacket grünes Licht erhalten konnten. Wären die drei Benennungsvorschläge abgelehnt worden, hätte die ganze Arbeit der Toponomastikkommission nochmals von vorne beginnen müssen. Auch aus finanzieller Sicht wäre dies ein überaus schlechter Ausgang gewesen, da die bisherige Arbeit bereits zwei Millionen Lire verschlungen hatte. Davon abgesehen verfügten die Straßen der Provinzhauptstadt Bozen seit 1945 über keine offizielle, einheitlich festgelegte Straßennamenkarte. Die Stadt Bozen zu verwalten wurde dadurch ungemein erschwert. Es ist demnach davon auszugehen, dass Ziller gar nicht so sehr am Aussagewert der drei fragwürdigen Hodonyme gelegen war, als vielmehr, dass die mühsame Benennungsarbeit am Straßennetz endlich zu einem Abschluss kam. Vgl. »E’ancora in atto il ›caos‹ toponomastico«, in: Cronaca di Bolzano, 21. 1. 1950, S. 1.
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wurde somit zumindest in gesetzlicher Hinsicht als legitim dargestellt, weswegen die Via Giuseppe Craffonara ebenso umzubenennen war.745 Die Figur Locatellis war indes immer noch alles andere als kulturpolitisch unumstritten, hätte sich Ziller ansonsten doch wie bei Buozzi und Grandi gewiss einer stichhaltigeren Argumentation bedient. Anscheinend begnügte sich der Landesausschuss aber mit dieser doch eher seichten Erklärung des Bürgermeisters, so dass dieser in Absprache mit dem Denkmalamt746 den vom Bozner Gemeinderat vorgebrachten Straßennamenkorpus am 22. Februar 1950 erstmals gesamthaft absegnete.747
»E’ ancora in atto il ›caos‹ toponomastico«: zum Weiterverlauf der Umbenennungen, 1950–1953 Die vom Landesausschuss und vom Denkmalamt verabschiedete Liste der neuen Straßennamen wurde im Frühling 1950 erstmals veröffentlicht. Als das städtische Statistikamt die neue Straßenkarte verzeichnet hatte sowie die dafür notwendigen Schilder angefertigt waren, waren die neuen Hodonyme in der regionalen Tagespresse allerdings schon längst allgegenwärtig. An vorderster Front verkündete die Alto Adige748 am 20. Mai die beschlossenen Umbenennungen. Insgesamt wurden dabei 15 Verkehrswege mit neuen Namen vorgestellt.749 Mit der ehemaligen Via Andreas Hofer, die nun Via Padre Reginaldo 745 Antwortschreiben des Bürgermeisters von Bozen Lino Ziller an den Landesausschuss auf dessen Schreiben vom 21. 10. 1949 n. 13348, betr. »Toponomastica cittadina«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 23. 11. 1949. 746 Die Zusage des Denkmalamtes für den neuen Bozner Straßennamenkorpus war bereits am 5. 12. 1949 per Beschluss Nr. 2040 erteilt worden. Vgl. Wortprotokoll der Gemeinderatssitzung vom 22. 2. 1950, betr. »Toponmastica cittadina – conferma di toponimi«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. 214/ 5291, Bozen 22. 2. 1950. 747 Beschluss des Landesausschusses, betr. »Toponomastica cittadina«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 22. 2. 1950. 748 Hillebrand, Leo: Getrennte Wege. Die Entwicklung des ethnischen Mediensystems in Südtirol, in: Die ethnisch halbierte Wirklichkeit. Medien, Öffentlichkeit und politische Legitimation in ethnisch fragmentierten Gesellschaften. Theoretische Überlegungen und Fallbeispiele aus Südtirol, Günther Pallaver (Hg.), Innsbruck 2006, S. 41–67, hier S. 43–45. 749 Dazu wurden die folgenden Umbenennungen aufgezählt: Via Giovane Italia – Via Spechbacher, Der gegenüber der Christkönig Kirche gelegene, bis dahin namenlose Platz – Piazza 11 Febbraio, Via Resia – Via Volta, Via Volta – Via Bruno Buozzi, Via Mozart – Viale Principe Eugenio di Savoia, Vicolo Mumelter – Via Nino Bixio, Via dei Combattenti – Via Lienz Egger, Via Siemens – Via Achille Grandi, Via Andreas Hofer – Via Padre Reginaldo Giuliani, Corso Giulio Cesare – Corso Italia, Via Francesco Lindner – Via Martin Knoller, Via Craffonara – Via Antonio Locatelli, Via Riva d’Isarco – Via Josef Mayr Nusser, Via Molini –
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Straßennamen in Bozen, 1919–2000
Giuliani hieß sowie der Via Giuseppe Craffonara, welche fortan Via Antonio Locatelli lautete, verfügten mithin zwei Straßen über einen neuen, dem Abessinienkrieg gedenkenden Namen.750 Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis sich seitens italienisch-nationalistischer Gruppierungen Widerstand formierte. Dieser regte sich rund zehn Monate nachdem die Alto Adige die revidierten Straßennamen veröffentlicht hatte, als im Büro des Bürgermeisters zwischen dem 30. März und dem 3. April Bittschreiben von insgesamt 14 Veteranenorganisationen eingingen. Allesamt ausgestattet mit demselben Text, baten die Vorsitzenden der jeweiligen Verbände darin, doch bitte der 1946 in Via Ospedale umgetauften Straße wieder ihren davor in Gebrauch gewesenen Namen Via Duca d’Aosta zurückzugeben.751 Die Bittsteller wurden prompt von der Alto Adige unterstützt, als diese am 4. April 1951 deren Schreiben veröffentlichte, in welchem Amedeo di Savoia nachdrücklich als »eroe di Amba Alagi« zu Ehren kam.752 Das damit veröffentlichte Anliegen wurde sonach als eine Gegenreaktion dargestellt, welche aufgrund einer überwiegend zu Gunsten der Deutschsüdtiroler ausgefallenen Benennungspraxis notwendig geworden sei: So hieß die ehemalige Via Macina nun beispielsweise Via Waldenstein, obschon die Straße angeblich ausschließlich von Italienern bewohnt sowie von italienischen Geschäften gesäumt war. Ferner war mit der Via Eugenio di Savoia ein altösterreichischer Feldherr ins Bozner Straßennetz aufgenommen worden, weshalb nun auch die italienischen Stadtbewohner Anrecht auf einen ihrer eigenen ›Kriegshelden‹ besäßen.753 Die Stimmungsmache im Alto Adige gegen den angeblich verdeutschten Straßennamenkorpus machte sich später außerdem noch bei der ehemaligen Via Claudia Augusta bemerkbar : Die zu der Zeit als Via delle Corse benannte Straße hatte ihren vorigen Namen nach der Revision von 1950 verloren, womit wiederum eines der vom Faschismus verliehenen Hodonyme aus dem Stadtplan gestrichen worden war. Dies sehr zum Bedauern des italienisch-nationalistischen Tagblattes, da die Via Claudia Augusta schließlich dem verkehrstechnischen sowie zivilisatorischen Einzug des antiken Roms ins von den rückstän-
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Via Cavour, Vicolo S. Osvaldo – Via Beda Weber. Vgl. »Questi i nuovi nomi delle strade di Bolzano«, in: Alto Adige, 20. 5. 1950, S. 1. »Questi i nuovi nomi delle strade di Bolzano«, in: Alto Adige, 20. 5. 1950, S. 1. An diesem Massenbrief beteiligten sich mit einzelnen Schreiben die Associazione cittadine del Nastro Azzurro, diejenige der Madri e Vedove di guerra, -der Mutilati ed invalidi, -der Ufficiali in congedo, -der Combattenti e reduci, -der Reduci dalla prigionia, -der Ex-internati, -der Volontari della libert/, -der Liberi partigiani del Trentino-Alto Adige, -der Fanti in congedo, -der Artiglieri in congedo, -der Bersaglieri in congedo, -der Marinari d’Italia sowie diejenige des Corpo giovani esploratori. Vgl. »Via Ospedale o Via Duca d’Aosta«, in: Alto Adige, 4. 4. 1951, S. 1. »Via Ospedale o Via Duca d’Aosta«, in: Alto Adige, 4. 4. 1951, S. 1. Ebd.
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digen Rätern besiedelte ›Etschland‹ gedacht habe. Als nördliches Pendant zu den faschistischen »Legionären« in Äthiopien habe demnach auch der junge Feldherr Drusus die überlegene Zivilisation Roms bis hin zum südlichen Alpenkamm gebracht und dadurch den kulturellen Grundstein in dieser vormals schwer zugänglichen Bergregion gelegt.754 Im Übrigen seien mit der Gesamtrevision von 1950 sowieso allzu viele Personen auf den städtischen Straßenschildern verewigt worden, die den wenigsten Stadtbewohnern überhaupt bekannt gewesen sein dürften. Um dem Anliegen einer nochmaligen Revision des jüngst verabschiedeten Namenkatalogs politisches Gewicht zu verleihen, wurde das Bittschreiben anschließend noch dem Regierungskommissariat in Trient zugestellt.755 Obwohl sich Ziller den bei ihm eingegangenen Antrag für eine Via Duca d’Aosta durchaus zu Herzen nahm, sollten die Straßen Bozens dennoch nicht weiter umbenannt werden: Die nun zugeteilten Hodonyme auszuarbeiten, habe für sich bereits schon mehr als genügend Zeit und Geld in Anspruch genommen. Die Partikularinteressen einzelner Organisationen und Verbände konnten deshalb gemäß dem Veto des Bürgermeisters allein aus praktischen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden. Schließlich hätte man ansonsten auch die Änderungsvorschläge anderer Interessensgruppen gleichermaßen entgegennehmen müssen, womit einer erneuten zeitintensiven Revision Tür und Tor geöffnet worden wäre.756 Ein Schlussstrich in der für ihn mittlerweile leidigen Toponomastikfrage war dem Bürgermeister nicht zuletzt aber auch daher wichtig, da im November 1951 die erste statistische Volkszählung in Südtirol bevorstand, welche ohne einheitliche Adressangaben der Wohnbevölkerung nur sehr mühsam durchführbar gewesen wäre.757 Eine Gelegenheit, dem Anliegen der Veteranenverbände trotzdem entgegenzukommen, eröffnete sich daraufhin zwei Jahre später. Am 19. Mai 1953 wurde die achtköpfige Toponomastikkommission von 1948 – allein Staatsarchivar 754 »Realizzata dai romani la strada tra il Po e il Danubio«, in: Alto Adige, 29. 6. 1951, S. 1. 755 »Via Ospedale o Via Duca d’Aosta«, in: Alto Adige, 4. 4. 1951, S. 1. 756 Antwortschreiben des Bozner Bürgermeisters Lino Ziller an das Regierungskommissariat, betr. »Toponomastica stradale. Risposta a nota n. 9/V 5047 Gab. Del 14 giugno 1951«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 2. 7. 1951. 757 In einem Schreiben Zillers an das Regierungskommissariat in Trient erklärte er diesem ferner, dass die Straße bereits 1946 aufgrund ihrer Lage am Krankenhaus in Via dell’Ospedale umbenannt worden war und ihm eine Rückbenennung unter anderem deshalb nicht mehr zeitgemäß erschien. Zusammen mit der städtischen Toponomastikkommission wolle er sich aber gerne alternative Möglichkeiten für den Standort einer zukünftigen Via Duca d’Aosta überlegen. Vgl. Antwortschreiben des Bozner Bürgermeisters Lino Ziller an das Regierungskommissariat, betr. »Toponomastica stradale. Risposta a nota n. 9/V 5047 Gab. Del 14 giugno 1951«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 2. 7. 1951.
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Canali war nicht anwesend und ließ sich deshalb vom Direktor des Stadtmuseums Nicolk Rasmo vertreten – ein weiteres Mal einberufen.758 Diesmal bedurften insgesamt 13 neu eröffnete oder erst noch projektierte Straßen über einen möglichst passenden Namen. Die Kommissionmitglieder kamen dabei relativ rasch auf die naheliegende Idee, bei einem dieser namenlosen Verkehrswege endlich das offene Versprechen einer Via Duca d’Aosta einzulösen: Die sich im Bau befindende Verbindungsachse zwischen der Kreuzung Via Roma, Corso Italia, Viale Druso und der sich am anderen Ende befindenden Piazza Gries sollte dazu dem Herzog von Aosta gewidmet werden. Ebenfalls wieder aufgegriffen wurde die im Juli 1949 vom Gemeinderat abgelehnte Via Amba Alagi: Diesmal war es eine sich im Bau befindende Verkehrsader, die sich zukünftig zwischen der Via Cesare Battisti und der Via Orazio schräg parallel zum Corso Italia erstrecken würde und dabei die Via Zancani kreuzen sollte, für die der Name des äthiopischen Bergmassivs vorgeschlagen wurde. Der Aussagegehalt dieses anachronistischen Sprachdenkmals speiste sich hierbei wiederum aus dem Bedürfnis, ein Zeichen des italienischen Widerstandes in ›fremdstämmigen‹ Kulturräumen zu setzen: So wurde der Schicksalsberg in der Kommissionssitzung wiederholt als der »ultimo baluardo della resistenza italiana« gerühmt.759 Die eigentliche Entscheidungsgewalt lag allerdings auch diesmal nicht in den Händen der Toponomastikkommission, sondern zumindest in erster Instanz beim Gemeindeausschuss sowie beim Gemeinderat. Ersterer gab den Vorschlägen der Toponomastikkommission bereits am 1. Juni 1953 grünes Licht, sodass die Alto Adige drei Tage später verkündete: »Sono stati approvati i lavori compiuti dalla commissione toponomastica e le relative denominazioni delle nuove vie che saranno prossimamente sottoposte al giudizio del Consiglio comunale.«760
Entgegen der Zuversicht des italienischen Tagblatts zog sich der Gemeinderatsbeschluss aber doch noch etwas länger hin, was sich in der lebhaften Debatte um die Vergabe der neuen Straßennamen vom 22. Juni 1953 nochmals überdeutlich zeigte. Wie nicht anders zu erwarten, waren es besonders die Via Duca d’Aosta sowie die Via Amba Alagi, die neben den anderen Vorschlägen am kontroversesten diskutiert wurden.761 Dabei sprach sich an erster Stelle der MSI758 Wortprotokoll der Sitzung der Toponomastikkommission vom 19. 5. 1953, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 3, Bozen 19. 5. 1953. 759 Ebd. 760 »Approvate dalla Giunta comunale le denominazioni delle nuove vie«, in: Alto Adige, 4. 6. 1953, S. 1. 761 Was auch insofern kaum verwundert, als das die übrigen zwölf Hodonyme – zum Zeitpunkt der Gemeinderatssitzung fehlte noch ein 13. Straßenname für eine kleinere Gasse in der
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Vertreter Mitolo dafür aus, die neuen Verkehrswege gemäß der von der Toponomastikkommission vorgelegten Nomenklatur zu benennen. Dieser hatte sich schon bei früheren Gelegenheiten immer als ein überzeugter Befürworter imperialer Straßennamen geäußert, so dass seine Position auch diesmal nicht weiter überraschte. Den Rücken gestärkt bekam Mitolo dabei von seinem sozialistischen Amtskollegen Giuseppe Volpi: Mit einer Via Duca d’Aosta wäre der »grande soldato« endlich zu seinen verdienten Ehren gekommen. Allerdings maß Volpi dem funktionalen Namen der Via dell’Ospedale mehr Gewicht zu, so dass entgegen dem ursprünglichen Anliegen der Veteranenverbände doch die neu gebaute Verbindungsstraße den hochdekorierten Herzog würdigen sollte. Dafür echauffierte sich Volpi umso mehr darüber, dass Unbekannte bereits einige Monate zuvor ein Pappschild neben das offizielle Straßenschild der Via dell’Ospedale angebracht hätten, auf welchem die Via Duca d’Aosta schon angeschrieben stand. Hier meldete sich nun der Gemeinderat des Partito Nazionale Monarchico (PNM) und ANA-Kommandant Nino Barello zu Wort: Die Aktion mit dem improvisierten Straßenschild sei keineswegs von Unbekannten vollbracht worden, sondern von der lokalen ANA-Sektion, welche damit gegen die Via dell’Ospedale ein Zeichen setzen wollte. Auch Barello sprach somit dem Antrag der Veteranenverbände das Wort. Generell fällt auf, dass gemäß dem Wortprotokoll der Gemeinderatssitzung kaum kritische Voten die Ehre des durchaus streitbaren ›Kriegshelden‹ anfochten. Wichtiger erschien stattdessen der funktionale Vorrang der Via dell’Ospedale gegenüber einer etwaigen Neubzw. Rückbenennung. In diesem Sinne argumentierten jedenfalls Amerigo Finato von der DC, Luigi Berzuini von der PSI sowie – wiederum wenig überraschend – Renato Pascualini vom MSI. Schlussendlich spiegelte sich diese unkritische Haltung auch im Entschluss des Gemeinderats wider : Während dieser es grundsätzlich ablehnte der Via dell’Ospedale einen neuen Namen zu verleihen,762 beschlossen die Ratsmitglieder beinahe einstimmig, die neueröffnete Verbindungsstraße fortan Via Duca d’Aosta zu nennen – nur gerade vier Gemeinderäte enthielten sich dabei ihrer Stimme. Ähnlich hoch fiel auch der Entscheid zu Gunsten der Via Amba Alagi aus: Mit insgesamt 30 Ja-Stimmen –
Innenstadt, welche die Via Carducci mit der Piazza Domenicani verband – weitaus weniger politisch aufgeladen waren. Entsprechend wurden sie vom Gemeinderat auch allesamt einstimmig angenommen. Dazu zählten die Via Rottenbuch, die Via Vicenza, die Via di Novacella, die Via Rovigo, die Via Bassano del Grappa, die Viale Roma, die Via Fratelli Bronzetti, die Via Monte Cassini, die Via del Convento sowie die Via Pola. Vgl. Gemeinderatsbeschluss, betr. »Toponomastica cittadina – assegnazione di nomi a nuove strade«, in: StadtA Bozen, Gemeinderatsbeschlüsse 1953, Prot. Nr. 168/16457, Bozen 22. 6. 1953. 762 Mit insgesamt 20 gegen sieben Stimmen bei sechs Enthaltungen wurde beschlossen, den Namen der Via dell’Ospedale weiter beizubehalten.
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darunter auch diejenigen von sieben SVP-Gemeinderäten763 – und lediglich zwei Enthaltungen von Andrea Mascagni und Mario Granata vom Partito Comunista Italiano (PCI) gelangte die ›letzte Schlacht‹ des Abessinienkriegs endgültig auf die Bozner Straßenkarte.764 Was sagt nun der Umgang mit den Straßennamen in Bozen nach 1945 über deren erinnerungskulturelle Relevanz für die hiesige Stadtbevölkerung aus? Aleida Assmann schickt dazu voraus: »Wer eine neue Epoche eröffnet, muss wissen, was er mitnehmen und was er zurücklassen möchte.«765 Entsprechend war auch der Umgang mit dem Erbe der faschistischen Straßennamen in Bozen nach 1945 für die dafür verantwortlichen Stadtverwalter sowie die davon betroffene Öffentlichkeit geschichtspolitisch von nicht zu unterschätzender Tragweite. Politische Straßennamen artikulieren vorgefertigte Geschichtsbilder, anhand welcher nationale, regionale oder lokale Gruppenzugehörigkeiten zusammen mit den ihnen innewohnenden Machtverhältnissen zum Ausdruck kommen.766 Gerade in Bozen, das als eine mehrheitlich italienischsprachige Stadt inmitten einer deutschsprachigen Grenzregion als ein nationalstaatlicher Außenposten wahrgenommen wird, besitzt der kollektive Gedächtnisraum als ein mit Straßen, Denkmälern und Prestigebauten durchzogener Symbolträger bis heute eine stark identitätsstiftende Funktion.767 Erst recht, wenn dabei kulturelle Hegemonialansprüche miteinander ausgehandelt werden, was sich spä763 Andrea Di Michele erkennt im diesbezüglichen Abstimmungsverhalten der SVP-Abgeordneten Adolf Blasha, Josef Burger, Egon Eyrl, Josef Mayr, Heinrich Puff, Alois Plattner und Max Staffler eine Kompromisslösung: Damit die Via dell’Opedale ihren Namen weiterhin beibehalten konnte und stattdessen nicht ein politisch vergleichsweise neutraler Straßenname zu Gunsten eines faschistischen Hodonyms nach dem Herzog von Aosta gestrichen wurde, stimmten die sieben Gemeinderäte schlussendlich für die Via Amba Alagi. Ihre Rechnung ging letztendlich aber nur bedingt auf: konnten sie die spätere Annahme einer Via Duca d’Aosta an weitaus prominenterer Stelle im Bozner Straßennetz doch trotzdem nicht verhindern. Ansonsten war der SVP allerdings mehrheitlich daran gelegen, so weit als möglich diejenigen Straßennamen wieder einzuführen, die noch vor den ersten ›Übersetzungsarbeiten‹ Tolomeis von 1919 in Gebrauch gewesen waren. Vgl. Di Michele, Straßenkämpfe, S. 46; Di Michele, Guerre fasciste e memorie divise in Alto Adige/Su¨ dtirol, S. 36. 764 Gemeinderatsbeschluss, betr. »Toponomastica cittadina – assegnazione di nomi a nuove strade«, in: StadtA Bozen, Gemeinderatsbeschlüsse 1953, Prot. Nr. 168/16457, Bozen 22. 6. 1953; Di Michele, Straßenkämpfe, S. 46. 765 Assmann, Aleida: Geschichte im Gedächtnis. Von der individuellen Erfahrung zur öffentlichen Inszenierung, München 2007, S. 134. 766 Pöppinghege, Wege des Erinnerns, S. 11; Stachel, Stadtpläne als politische Zeichensysteme, S. 19 sowie S. 31. 767 Heiss, Hans/Obermair, Hannes: Erinnerungskulturen im Widerstreit. Das Beispiel der Stadt Bozen/Bolzano 2000–2010, in: Der Grenzraum als Erinnerungsort. Über den Wandel zu einer postnationalistischen Erinnerungskultur in Europa, Patrick Ostermann, Claudia Müller u. Karl-Siegbert Rehberg (Hg.), Bielefeld 2012, S. 63–81, hier S. 66–67; Stachel, Stadtpläne als politische Zeichensysteme, S. 20.
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testens mit dem politischen Umbruch von 1945 innerhalb eines offen-demokratischen Prozesses zu vollziehen begann.768 Die sich daraus ergebenden Verhandlungen und Entscheide der Toponomastikkommission zeigen zusammen mit denjenigen der vom Landrat und Denkmalamt unter Kontrolle gehaltenen Stadtregierung, dass mit den Straßennamen in Bozen immer auch repräsentative Räume für eine der beiden Sprachgruppen markiert wurden.769 Nicht umsonst lassen sich die vergebenen Straßennamen noch heute den verschiedenen Stadtvierteln thematisch mehr oder weniger klar zuordnen. Am augenfälligsten sticht dabei die durch den Talferbach getrennte, von den Faschisten erbaute ›italienische‹ Neustadt mit dem Siegesdesplatz und den sich darum ausbreitenden Straßen wie der Corso della Libert/, dem Corso Italia, der Viale Druso oder auch etwas außerhalb gelegen der Viale Duca d’Aosta hervor. Inmitten dieses Vierecks sowie direkt an dieses angrenzend befinden sich weitere symbolträchtige Straßen wie beispielsweise die Via Amba Alagi, die Via Cesare Battisti, die Via Antonio Locatelli, die Via Padre Reginaldo Giuliani oder die kreisrunde Via IV Novembre. Gegenüber der Neustadt erstreckt sich dagegen die altösterreichische Bozner Altstadt mit einigen vormodernen Straßennamen wie beispielsweise der Via Argentieri oder auch mit den für die Deutschsüdtiroler bedeutenden Heldenfiguren wie der Via Andreas Hofer oder der Via Dr. Julius Perathoner. Gewiss handelt es sich hierbei um einen etwas schablonenhaften Blick auf die Bozner Straßenkarte. Die Lage der ›italienischen‹ und ›deutschen‹ Straßennamen innerhalb voneinander getrennter Stadtviertel lässt sich abgesehen von einzelnen verstreuten Ausnahmen allerdings nicht von der Hand weisen.770 Straßennamen, die dagegen den Wert eines harmonischen Zusammenlebens beider Sprachgruppen hervorheben würden, sind auf dem Bozner Stadtplan daher kaum anzutreffen. In der Tat handelt es sich bei der Provinzhauptstadt Südtirols diesbezüglich um einen landesweiten Einzelfall: So besetzten mit dem Kulturnationalismus sowie den imperialen Kriegszügen Mussolinis doch außerordentlich umstrittene Kapitel der jüngeren Vergangenheit die vom Faschismus sowie von der Monarchie ›bereinigten‹ Leerstellen des Straßenplans. Die lokale Gedächt768 Azaryahu schreibt bezüglich solch politischem Kräfteringes, das zwangsläufig auch in einem Stadttext seine Spuren hinterlässt: »A city text, as the term implies, is owned by the municipality. Its content reflects the power relations in city hall. It often mirrors the city’s distinctive political structure.« Vgl. Azaryahu, Renaming the Past, S. 35. 769 Riederer, Günter : Kollektive Erinnerung in einer Stadt ohne Tradition – die Geschichte der Straßenbenennungen in Wolfsburg nach 1945, in: Gedächtnisräume. Geschichtsbilder und Erinnerungskulturen in Norddeutschland, Janina Fuge, Rainer Hering u. Harald Schmid (Hg.), Göttingen 2014, S. 309–325, hier S. 310–311 sowie S. 323. 770 Noch heute können die meisten Straßennamen in Bozen relativ eindeutige beispielsweise der italienisch geprägten Neustadt oder aber der altösterreichisch bzw. »deutsch« geprägten Altstadt zugewiesen werden.
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nisebene der Stadt Bozen überschneidet sich hierbei mit dem regionalen Gedächtnisraum Südtirols sowie mit dem nationalen Gedächtnisraum Italiens. Der daraus resultierende Straßennamenkorpus ist deshalb als Ausdruck des kulturpolitischen Ringens der von diesen drei Ebenen beeinflussten Sprachgruppen um den städtischen Erinnerungsraum der Stadt an der Etsch zu verstehen.771 In den übrigen Städten der Apenninhalbinsel wurden die Straßen dagegen nach gänzlich anderen Themen wie beispielsweise der schönfärberischen Version einer gemeinschaftsstiftenden Resistenza-Erzählung772 benannt.773 Mit den nach 1945 durchgeführten Gesamtrevisionen des Straßennamenbestandes entstand in Bozen zudem eine aussagekräftige Geschichtskarte des vergangenen Jahrhunderts: »[…] in der tief gestaffelten Flucht der Straßennamen«, lässt sich »die Kulturgeschichte des ganzen städtischen Organismus wie in einem Vexierglas betrachten«, schreibt dazu Dietz Bering.774 Jegliche politische Herrschaftssysteme, welche seit dem Ende des Ersten Weltkriegs nicht nur das Schicksal der Stadt an der Etsch, sondern zugleich auch dasjenige ganz Europas mitprägten, haben sich darin mit ihren jeweils eigenen Gedächtnisbildern Platz verschafft.775 Der Bozner Stadttext lässt sich dazu als ein historisches »Hegemonialverzeichnis«776 des »Zeitalters der Extreme« (Eric J. Hobsbawm) lesen.777 Das Eigentümliche dieser urbanen Erinnerungslandschaft ergibt sich dabei freilich nicht nur daraus, dass sich die verschiedenen Regime mit ihrem jeweils eigenen Heldenpantheon verewigen konnten, sondern vielmehr in der komplexen Ungleichzeitigkeit der nur scheinbar aus derselben Epoche stammenden Engramme. Folglich erschließen sich die im Bozner Stadtbild erkennbaren
771 Speitkamp, Winfried: Verlorene Ehre. Ehrungen im politischen Streit um Vergangenheit und Gegenwart, in: Ehrregime. Akteure, Praktiken und Medien lokaler Ehrungen in der Moderne, Dietmar Von Reeken u. Malte Thießen (Hg.), Göttingen 2016, S. 311–343, hier S. 341. 772 Mantelli, Bruno: Revisionismus durch »Aussöhnung«. Politischer Wandel und die Krise der historischen Erinnerung in Italien, in: Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer und Wolfgang Schwentker (Hg.), Frankfurt a.M. 2003, S. 222–233, hier S. 228. 773 Raffaelli, I nomi delle vie, S. 283–285. 774 Bering, Dietz: Grundlegung kulturwissenschaftlicher Studien über Straßennamen: Der Projektentwurf von 1989, in: Name und Gesellschaft. Soziale und historische Aspekte der Namengebung und Namenentwicklung, Jürgen Eichhoff, Wilfried Seibicke und Michael Wolffsohn (Hg.), Mannheim 2001, S. 270–282, hier S. 272. 775 Heiss/Obermair, Erinnerungskulturen im Widerstreit, S. 67. 776 Wenninger, Florian: Kommunalpolitische Handlungsspielräume im Umgang mit belasteten Straßennamen. Das Beispiel Österreich, in: Verhandelte Erinnerung. Der Umgang mit Ehrungen, Denkmälern und Gedenkorten nach 1945, Matthias Frese u. Marcus Weidner (Hg.), Paderborn 2018, S. 319–361, hier S. 319. 777 Nicht umsonst bezeichnet Hans Heiss Bozen auch als »Europäische Stadt der Übergänge«. Vgl. Heiss, Europäische Stadt der Übergänge, S. 548–550.
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Zeitschichten als ein sog. ›Palimpsest‹778 erst bei genauerem Hinsehen in ihrer tatsächlichen Chronologie: Insofern kein Zweifel darüber besteht, wann die Piazza della Vittoria von wem ihren Namen erhalten hat, liegt beispielsweise falsch, wer der Via Amba Alagi oder der Via Duca d’Aosta ebenso eine genuin faschistische Herkunft attestiert. Gewiss tauchten einige der nach 1945 wiederverwendeten Hodonyme wie die Via Antonio Locatelli oder die Via Padre Reginaldo Giuliani schon unmittelbar nach dem vermeintlich siegreichen Abessinienkrieg auf dem Stadtplan auf. Ihren heutigen Standort verdanken sie allerdings der Benennungspraxis der unmittelbaren Nachkriegszeit. Es handelt sich mithin um »amputierte kollektive Geschichtsbilder«779, deren Ursprünge erst sorgfältig freigelegt werden müssen, um ihren eigentlichen Entstehungskontext zusammen mit der dahinterstehenden Benennungsintention adäquat nachvollziehen zu können. Zahlreiche Straßennamen aus faschistischer Zeit wurden mit den Umbenennungsinitiativen der späten Vierziger- und frühen Fünfzigerjahre daher wieder neu aufgenommen und als rekanonisierte Machtsymbole in ein neues, kulturpolitisches Sinngewebe780eingeflochten. Die an den Abessinienkrieg erinnernden Straßennamen dienten fortan nicht mehr ausschließlich dazu, den einseitig proklamierten Sieg des faschistischen Regimes am Horn von Afrika zu Gunsten eines erhofften Volkskonsenses propagandistisch auszuschlachten sowie die faschistische ›Vorherrschaft‹ über Südtirol symbolisch festzuschreiben. Stattdessen führte der sich mit dem mehrfach umgeschriebenen Stadttext ebenso verändernde Aussagewert der imperialen Sprachdenkmäler mit sich, dass diese von nun an als Zeichen des kulturnationalistischen ›Widerstandkampf‹ – sozusagen als ›ultimo baluardo‹ – zum Einsatz kamen. Nicht umsonst setzten sich an vorderster Front ausgerechnet italienisch-nationalistische bis neofaschistische Gemeinderatsmitglieder dafür ein, die symbolpolitischen Namensrelikte aus dem Ventennio nero 778 Assmann, Aleida: Geschichte im Gedächtnis, S. 111–114; Dies.: Geschichte findet Stadt, in: Kommunikation – Gedächtnis – Raum. Kulturwissenschaften nach dem »Spatial Turn«, Morit Cs/ky u. Christoph Leitgeb (Hg.), Bielefeld 2009, S. 13–29, hier S. 18; Dies.: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999, S. 153–155; Von Reeken, Dietmar/Thieße, Malte: Regionale oder lokale Geschichtskulturen? Reichweite und Grenzen von Erinnerungsräumen, in: Gedächtnisräume. Geschichtsbilder und Erinnerungskulturen in Norddeutschland, Janina Fuge/Rainer Hering/ Harald Schmid (Hg.), Göttingen 2014, S. 71–97, hier S. 73. 779 Pöppinghege, Geschichte mit Füssen getreten, S. 7; Ders.: Wege des Erinnerns, S. 13. 780 Peter Stachel beschreibt den Begriff des Sinngewebes im Text einer Stadt wie folgt: »Der ›Text einer Stadt‹ stellt ein teils historisch gewordenes, teils aktuell gewolltes, immer aber kollektiv erzeugtes Sinngewebe dar, an dem im Allgemeinen über längere Zeiträume mit unterschiedlichen Intentionen ›gewoben‹ wird. Jede neue Sinnstiftung erfolgt damit zwangsläufig innerhalb eines bereits vorgegeben Referenzrahmens, wobei dieser in affirmativer Weise bestätigt oder aber kritisch in Frage gestellt werden kann.« Vgl. Stachel, Stadtpläne als politische Zeichensysteme, S. 22.
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nicht nur zu erhalten, sondern diese sogar noch um weitere Hodonyme zu ergänzen. Sogar einigen Vertretern des PSI war der italienische Herrschaftsanspruch über Südtirol dabei anscheinend wichtiger als etwa klasseninterne, sprachübergreifende Solidaritätsbekenntnisse. Die an den Abessinienkrieg erinnernden, anachronistisch wirkenden Wegmarken müssen daher von ihrem zeitspezifischen Kontext her gelesen werden, um sie als Zeugnisse eines kulturnationalistischen Dominanzgebarens der Nachkriegszeit zu identifizieren. Dabei gilt es beim Abtragen der sich auf der Straßenkarte Bozens überlagernden Zeitschichten stets den Einwand Rainer Pöppingheges im Hinterkopf zu behalten: »Der Straßennamenkorpus zeigt […] nicht so sehr unser heutiges Geschichtsbild, sondern repräsentiert das Ergebnis dessen, was über die Zeit hinweg mit dem sich immer wieder wandelnden Zeitgeist ›kompatibel‹ gewesen ist. Was wir vor uns haben, ist das über verschiedene Epochen hinweg gesellschaftlich Akzeptierte, […].«781
Andernfalls werden die imperialen Straßennamen wohl noch weiterhin als Teilursache anstatt als Folge der nach 1945 vom Zaun gebrochenen, kulturnationalistischen Grabenkämpfe missverstanden.782
Straßenumbenennungen nach 1953 Den Straßennamenrevisionen zwischen 1945 und 1953 folgten zwar keine großflächigen Umbenennungskampagnen mehr, was aber nicht heißt, dass die Suche nach passenden Straßennamen danach abgeschlossen war. Insofern das Straßennetz in und um Bozen weiterwächst, steht auch die Frage immer wieder im Raum, wem oder was mit den neuen Verkehrsadern gedacht werden soll. Solch geschichtspolitische Auseinandersetzungen ziehen sich deshalb bis in die jüngste Zeit hin und können jeweils unterschiedlich intensiv und folgenreich hervortreten. Hodonomastische Debatten wurden dabei zwischen 1958 und 1967 wieder vereinzelt ausgefochten. Besondere Aufmerksamkeit erweckte danach jedoch der gescheiterte Versuch von 2000, die Piazza della Vittoria in Piazza della Pace umzubenennen. Der damalige Namensstreit zeigte nochmals deutlich, dass die angemessene Vergabe von Straßennamen in Bozen bis heute ein erhebliches Streitpotential in sich birgt. Auch die imperialen Straßennamen werden dabei immer wieder erneut hinterfragt, angegriffen oder mit aller Vehemenz verteidigt. 781 Pöppinghege, Geschichte mit Füssen getreten, S. 16. 782 Beispielsweise finden bis in die jüngste Zeit immer wieder Fackelzüge deutsch-nationalistischer Gruppierungen wie der Südtiroler Schützen durch die Via Amba Alagi statt, wenn sie gegen die faschistischen Bauwerke protestierend vom Siegesplatz zum Gerichtsplatz marschieren. Vgl. Di Michele, Straßenkämpfe, S. 44 sowie S. 45.
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Abb. 7: Ausschnitt der von der Toponomastikkommission am 19. Mai 1953 verwendeten Straßenkarte. Zu sehen sind 12 der insgesamt 13 damals zu benennenden Straßen. Unter der Nummer 1 ist dabei groß die Via Duca d‘Aosta erkennbar. Rechts davon ist unter der Nummer 3 die Via Amba Alagi verzeichnet, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 3, Bozen 19. 05. 1953.
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Neue Namen für neue Straßen: Zu den Benennungen von 1958–1967 Nach der zwischen 1945 und 1953 verlaufenden Phase der mehrfachen Straßennamenrevisionen war der Bedarf an diesen noch nicht endgültig gedeckt. Aufgrund des Weiterausbaus des Bozner Verkehrsnetzes bedurfte es bereits vier Jahre darauf acht neuer Benennungen, für welche im Dezember 1957 eine frisch einberufene Toponomastikkommission passende Vorschläge machen sollte. Nach insgesamt drei Treffen783 sprach sich das Gremium zuvor nochmals mit dem Gemeinderatsausschuss ab und legte den ausgearbeiteten Namenkatalog am 23. Juni 1958 der Gemeindeversammlung zur Annahme vor.784 Ohne lange Diskussion wurden die neuen Wegbezeichnungen von dieser einstimmig angenommen. Eine der Gründe dürfte hierfür in den vorgebrachten Vorschlägen selber gelegen haben: Keine der neuen Verkehrsadern sollte demnach mit einer eindeutig politischen Aussage versehen werden. Entweder erinnerten sie stattdessen an eine Ortschaft in Südtirol oder in Italien, verwiesen auf ihren jeweils lokalen Standort oder verfügten über eine religiöse Konnotation.785 Einzig mit der Via Giuseppe Craffonara sollte eine Einzelperson für ihre kulturellen Verdienste gewürdigt werden: Für den Kunstmaler aus dem Gadertal, dessen Namen schon zwischen 1946 und 1950 als Platzhalter für die Via Antonio Locatelli gedient hatte, war im Bozner Straßennetz nun also doch noch ein Platz vorgesehen.786 Es handelte sich hierbei allerdings um die letzten Neubenennungen, welche sich allein auf die beiden faschistischen Toponomastikgesetze von 1923 und 1927 stützten. Bereits zwei Monate später trat am 12. August 1958 das Landesgesetz Nr. 5 zur »Straßennamensgebung« in Kraft.787 Dieses orientierte sich zwar inhaltlich immer noch stark an seinen Vorgängern aus den Zwanzigerjahren: 783 Die Toponomastikkommission fand sich am 14. März, 17. April und 12. Juni für die einzelnen Sitzungen zusammen. Vgl. StadtA Bozen, Sitzungsprotokolle des Gemeinderates 1958/1, Prot. Nr. 191/19205, Bozen 23. 6. 1958. 784 StadtA Bozen, Sitzungsprotokolle des Gemeinderates 1958/1, Prot. Nr. 191/19205, Bozen 23. 6. 1958. 785 Dazu gehörte die Galleria Stella, die Via Amalfi, die Via Capri, die Via Malles, die Via Riva del Garda, die Via del Santissimo Rosario sowie die Piazzetta del Bersaglio. Vgl. Wortprotokoll der Gemeinderatssitzung, betr. »Denominazione di alcune vie cittadine«, in: StadtA Bozen, Sitzungsprotokolle des Gemeinderates 1958/1, Prot. Nr. 191/19205, Bozen 23. 6. 1958. 786 Bereits sechs Jahre später taucht die Via Craffonara allerdings nirgends mehr auf der Straßenkarte auf. Entweder wurde der Name demnach doch nicht vergeben oder aber die Straße erhielt nach 1958 wieder eine andere Anschrift. Vgl. Toponomastikamt der Gemeinde Bozen, Elenco alfabetico delle aree di circolazione, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 3, Bozen 1. 3. 1964. 787 Landesgesetz Nr. 5 betr. »Straßennamensgebung«, Bozen 12. 8. 1958, veröffentlicht in: Amtsblatt der Region Trentino-Südtirol Nr. 35, Bozen 2. 9. 1958, S. 355–356.
Straßenumbenennungen nach 1953
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Nach wie vor war die endgültige Entscheidungsgewalt über die Annahme neuer Straßennamen nicht nur der Kommunalregierung vorbehalten. Bei der Annahme der von der Toponomastikkommission vorgebrachten Namenslisten besaß zukünftig allerdings allein der Landesausschuss das letzte Wort.788 Das Denkmalamt bekam sein bisheriges Mitspracherecht dafür mit einem Sitz in der Toponomastikkommission zugesprochen und konnte folglich schon bei der Suche nach den ersten Vorschlägen aktiv mitwirken. Neben diesem für den Oberintendanten für Denkmalschutz reservierten Sitz wurde der fünfköpfige Beirat ferner von einem gewählten Mitglied des Landesausschusses geleitet und setzte sich aus dem Schulamtsleiter, seinem Vertreter sowie aus einem Mitglied des Verbandes für Heimatpflege zusammen.789 Außerdem wurde die Kommission nicht mehr gemäß den sprachlichen Kräfteverhältnissen im Gemeinderat zusammengesetzt. Ausschlaggebend war nun der aktuelle »Bestand der Sprachgruppen« im Landtag.790 Insgesamt wurde der Namensfindungsprozess folglich von einer kommunalen auf eine regionale Ebene verlagert, da beispielsweise weder für den amtierenden Bürgermeister noch für beratende Lokalhistoriker wie Museumsdirektoren oder Stadtarchivare ein Sitz in der Toponomastikkommission vorgesehen war. Auch wurde neu festgelegt, inwiefern solche Personen, die vor weniger als zehn Jahren verstorben waren, dennoch vorgezogen geehrt werden durften. Grundsätzlich sollten diese vor dem Ablauf einer Dekade zwar noch immer nicht als Namenspatrons herhalten. Ausnahmefälle waren jetzt freilich nicht mehr davon abhängig, ob die zu würdigenden ›Helden‹ dem italienischen Königshaus entstammten oder sich für die »causa nazionale«791 aufgeopfert hatten. Stattdessen durften fortan nur noch diejenigen zu verfrühter
788 Art. 1 des Landesgesetzes Nr. 5 betr. »Straßennamensgebung«, Bozen 12. 8. 1958: »Die Benennung von öffentlichen Straßen und Plätzen sowie von öffentlichen Gebäuden und die Errichtung von Denkmälern an öffentlichen oder der Öffentlichkeit zugänglichen Orten werden vom Landesausschuss nach Einholung des Gutachtens des im Art. 2 angeführten beratenen Organs genehmigt.« 789 Ein weiteres Toponomastikgesetz von 1962 schrieb die Zusammensetzung der Toponomastikkommission später nochmals leicht abgeändert vor: Anstatt irgendeinem gewählten Mitglied des Landesausschusses sollte dessen Präsident den Vorsitz der Kommission erhalten. Zudem mussten die einzelnen Kommissionsmitglieder bei Abwesenheiten von bereits im Voraus gewählten Stellvertretern ersetzt werden. Vgl. Landesgesetz Nr. 6, betr. »Modifica dell’art. 2 della legge provinciale 12 agosto 1958, n. 5 sulla toponomastica urbana«, Bozen 8. 6. 1962, veröffentlich in: Amtsblatt der Region Trentino-Südtirol Nr. 26, Bozen 26. 6. 1926. 790 Art. 2 des Landesgesetzes Nr. 5 betr. »Straßennamensgebung«, Bozen 12. 8. 1958. 791 Art. 4 des Königliches Dekret Nr. 1188, betr. »Toponomastica stradale e monumenti a personaggi contemporanei«, Rom 23. 6. 1927, veröffentlicht in: Gazzetta Ufficiale Nr. 164, Rom 18. 7. 1927.
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Ehre gelangen, »die sich um die Gemeinschaft besondere Verdienste erworben haben.«792 Generell wurde mit dem neuen Toponomastikgesetz seitens des Landtages versucht, die Benennungspraxis neuer Verkehrswege weitgehend zu entpolitisieren sowie von den parteipolitischen Kräfteverhältnissen in der Stadtregierung zu lösen. Hierfür mitausschlaggebend dürften unter anderem deren Wahlen vom Mai 1957 gewesen sein: Während der Landtag seit den Regionalwahlen im Vorjahr von einer jüngeren, weitaus schärfer politisierenden Generation der SVP – mit ganzen 15 von insgesamt 22 Sitzen – dominiert wurde,793 herrschte im Bozner Stadtparlament genau das gegenteilige Kräfteverhältnis vor. Beispielsweise wurden von 1957 bis 1961 fünf der neun Sitze im Gemeindeausschuss von der DC besetzt, zwei von der SVP und jeweils einer vom Partito Repubblicano Italiano (PRI) sowie vom Partito Liberale Italiano (PLI).794 Da seit 1956 zudem noch die Verhandlungen zwischen Wien und Rom um die im Pariser Vertrag festgeschriebene Südtiroler Landesautonomie liefen, erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass der Landtag ein erneutes kulturnationalistisches Kräftezerren um die Straßennamen Bozens vermeiden wollte: Gerade auch in Anbetracht dessen, dass dieses bis dahin tendenziell zu Gunsten der überwiegend italienischsprachigen Gemeinderats ausgefallen war. Tatsächlich versuchten in den Folgejahren einzelne italienischsprachige Gemeinderäte bei verschiedenen Gelegenheiten, nationalistisch konnotierte Straßennamen vorzubringen: Beispielsweise als im Januar 1966 eine weitere Toponomastikkommission insgesamt zehn Namen ausarbeiten sollte – neun für frisch eröffnete Straßen und einen für eine bereits ältere, nun aber umzubenennende Verkehrsader. So sollten nicht nur jüngste Persönlichkeiten aus der jüngsten Nationalgeschichte wie der Staatsmann Alcide de Gasperi oder der Gewerkschaftsführer Giuseppe Fanin gewürdigt werden, sondern auf Vorschlag des DC Gemeinderates Diodato Veronese hin ebenso Gabriele D’Annunzio. Eine Seitenstraße der Via Duca d’Aosta sollte gemäß dem Votum Veroneses demnach Mussolinis Hofdichter gewidmet werden, da dieser nicht nur als wahrer Patriot, sondern auch als »grande poeta moderno« ein leuchtendes Vorbild für die junge italienischsprachige Stadtbevölkerung darstelle.795 Dafür schlug die SVP-Frak792 Art. 5 des Landesgesetzes Nr. 5 betr. »Straßennamensgebung«, Bozen 12. 8. 1958. 793 Steinacher, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 479–483. 794 III. Legislaturperiode des Südtiroler Landtages (1956–1960), in: Onlinedatenbank des Südtiroler Landtages, aufgerufen am 06. 05. 2019; Amt für Statistik und Zeiten der Stadt (Hg.): Bürgermeister und Gemeindeausschüsse von 1948 bis 2016, Onlineverzeichnis der Stadtgemeinde Bozen, aufgerufen am 06. 05. 2019, S. 6; Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 484–489. 795 Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 3, Bozen 17. 1. 1966.
Straßenumbenennungen nach 1953
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tion im Gemeinderat eine nach dem Bozner Schriftsteller und in der Weimarer Republik tätig gewesenen Raketenforscher benannte Via Max Valier vor.796 Beide Namensgebungen wurden von der damaligen Toponomastikkommission allerdings ausgeschlagen.797 Stattdessen kam es bei den nächsten beiden Sitzungen vom 13. März und 14. September zu einer politisch weitgehend entschärften Liste von insgesamt zehn Benennungsvorschlägen.798 Dem Gemeinderat wurde die Nomenklatur bei dessen Treffen vom 18. Juli 1967 vorgelegt. Nach kurzer Diskussion stimmten die Gemeindevertreter den vergleichsweise harmlos daherkommenden Hodonymen einstimmig zu.799 Der Bedarf an neuen Straßennamen scheint sich daraufhin für einige Zeit gelegt zu haben.800 In den Folgejahren wurden jedenfalls keine größeren Benennungsverfahren mehr lanciert.801 Allein die Via Amba Alagi, die Via Amedeo Duca d’Aosta, die Via Padre Reginaldo Giuliani, die Via Antonio Locatelli und nicht zuletzt die als Einzige aus den Dreißigerjahren herrührende Via Tripoli erinnerten danach weiterhin ungestört – mehr oder weniger offensichtlich – an die faschistischen Aggressionen in Nord- und Ostafrika.
796 Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 3, Bozen 17. 1. 1966. 797 Ebd. 798 Sitzungsprotokolle der Toponomastikkommission, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 13. 5. 1966 sowie 14. 9. 1966. 799 Die folgenden zehn Straßennamen wurden dabei angenommen: Via Camegno, Via Pie’ di Virgolo, Galleria del Virgolo, Via Campiglio, Via Glorenza, Via Roen, Via Dr. Streiter, Via Carretai, Via Ischia und die Via Sorrento. Vgl. Gemeindratsbeschluss Nr. 167, betr. »Denominazione di alcune aree di circolazione«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 3, Prot. Nr. 24715, Bozen 18. 7. 1967. 800 Zum einen wuchs das Straßennetz Bozens aufgrund einer blockierten Wohnbaupolitik der Landesregierung von den späten Siebziger- bis in die späten Achtzigerjahren kaum mehr derart an, dass gleich mehrere neue Straßennamen beschlossen werden mussten. Zum anderen erscheint es aber auch nicht unwahrscheinlich, dass sich die Vertreter der Landesund der Stadtregierung in den turbulenten Jahren der Autonomieverhandlungen nach 1972 mit weitaus dringenderen Problemen konfrontiert sahen als neue Wegbezeichnungen auszuhandeln. Vgl. Heiss, Europäische Stadt der Übergänge, S. 568–574. 801 Was allerdings nicht heißt, dass sich die rechtliche Grundlage zur Vergabe von Straßennamen im Zuge der Autonomieverhandlungen nicht auch weiterentwickelt hat. Weitere Vorgaben zum korrekten Benennen öffentlicher Verkehrsflächen folgten beispielsweise mit dem Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 574 vom 15. Juli 1988, mit dem alle Straßennamen der ladinischen Ortschaften auch auf Ladinisch angeschrieben werden sollten. Vgl. Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 574, betr. »Durchführungsbestimmungen zum Sonderstatut für die Region Trentino-Südtirol über den Gebrauch der deutschen und ladinischen Sprache in den Beziehungen zur öffentlichen Verwaltung und in den Gerichtsverfahren«, 15. 7. 1988, veröffentlicht im Gesetzesblatt Nr. 105, Bozen 8. 5. 1989; Landesgesetz Nr. 15, betr. »Errichtung des Verzeichnisses der Ortsnamen des Landes und des Landesbeirates für Kartographie« vom 20. 9. 2012, in: Amtsblatt der Region TrentinoSüdtirol, Nr. 39, 25. 9. 2012.
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Straßennamen in Bozen, 1919–2000
Von der Piazza della Vittoria zur Piazza della Pace und zurück: Straßennamendebatten nach 2000 Die Frage nach dem korrekten Umgang mit historisch belasteten Straßennamen in Bozen führte erst wieder zu Beginn des neuen Millenniums zu erhitzten Stadtratsdebatten. Ausschlaggebend dafür war eine Initiative des 2000 für die italienische Partei Noi per l’Alto Adige zum Bürgermeister gewählten Giovanni Salghetti-Driolis, die Piazza della Vittoria in Piazza della Pace umzubenennen. Der ursprünglich aus Rom stammende Advokat hatte bereits 1998 versucht, die nach wie vor vom Siegesdenkmal dominierte Denkmalzone am Eingang zur Citt/ nuova mit einem Umgestaltungsprojekt politisch zu entschärfen. Das Denkmalamt in Verona hatte ihm damals allerdings per Einspruch einen Strich durch die Rechnung gemacht.802 Frisch im Amt kündigte Salghetti-Drioli in einem Interview der Alto Adige nun aber an, die aggressive Machtsymbolik des Siegesplatzes zu entschärfen, indem ebendieser im Namen eines europäischen, friedvollen Geistes umbenannt werden sollte. Den dazu nötigen Rückenwind erhielt Salghetti-Drioli namentlich von der SVP sowie auch von einer Umfrage in der Dolomiten, in welcher sich beinahe alle der Befragten damit einverstanden zeigten, den Siegesplatz neu zu benennen – obschon die gleiche Umfrage in der Alto Adige genau das gegenteilige Ergebnis lieferte: Hier sprach sich rund 95 Prozent der hauptsächlich italienischsprachigen Leserschaft vehement gegen ein Versöhnungszeichen inmitten des Straßenplans aus. Dessen unbeirrt gelangte der Vorstoß des Gemeindeoberhaupts am Abend des 15. Novembers 2001 trotzdem vor den Gemeinderat, der daraufhin in einer achtstündigen Sitzung lauthals über den neuen Platznamen debattierte.803 Am Ende sprachen sich alle Parteien – mit Ausnahme des Mitte-Rechts-Blocks der Alleanza Nazionale (AN), der Unitalia sowie der Forza Italia – geschlossen zu Gunsten einer zukünftigen Piazza della Pace aus.804 Dadurch angestachelt bemühte sich die postfaschistische AN allerdings intensiv darum, den Umbenennungsbeschluss des Gemeinderates so rasch als möglich wieder rückgängig zu machen. Dazu spielte ihr das in Bozen vorherrschende, demographische Mehrheitsverhältnis ideal in die Hände: So war dieses doch überwiegend italienischsprachig, während in den umliegenden Bergtälern genau die umgekehrte Bevölkerungsproportion vorherrschte.805 Die nötigen 802 Risse, Stefanie: Sieg und Frieden. Zum sprachlichen und politischen Handeln in Südtirol/ Sudtirolo/Alto Adige, München 2010, S. 127. 803 Für eine ausführliche Analyse dieser achtstündigen Debatte unter Berücksichtigung sprachpolitischer Handlungsmuster vgl. Risse, Sieg und Frieden, S. 122–173. 804 Dunajtschik, Erinnerungskulturen in Bozen, S. 158–159; Heiss/Obermair, Erinnerungskulturen im Widerstreit, S. 68. 805 Heiss/Obermair, Erinnerungskulturen im Widerstreit, S. 66–67.
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Unterschriften für ein Referendum kamen entsprechend rasch zusammen. Von diesem Stimmenmehr getragen fiel es der AN daraufhin leicht, die vorangegangene Gemeinderatsdiskussion um den Siegesplatz geschichtspolitisch zu emotionalisieren, indem der daraus resultierte Beschluss als ein weiteres Zeichen der kulturellen Fremdbestimmung durch die von der SVP vertretenen Deutschsüdtiroler gewertet wurde. Stattdessen gab die AN in der Zona monumentale mit allen ihren Bestandteilen ein historisches Gesamtensemble zu erkennen, welches es als Wahrzeichen der italienischen Identität in Südtirol auch für künftige Generationen zu pflegen galt. Der ursprünglich totalitäre Aussagegehalt des Siegesdenkmals wurde dazu äußerst leichtfertig als schon längst überwunden deklariert. Trotz einer medialen Überlegenheit der Befürworter des Friedensplatzes, die sich klar gegen eine derart revisionistische Lesart des faschistischen Triumphbogens aussprachen,806 ging das Spiel am Ende zu Gunsten der AN auf. Am 6. Oktober 2002 sprach sich das Bozner Stimmvolk mit einer deutlichen Mehrheit von rund 62 Prozent dafür aus, die Piazza della Pace in Piazza della Vittoria zurück zu benennen.807 Das überwältigende Abstimmungsergebnis lässt sich unter anderem damit erklären, dass die AN ihr Referendum bewusst auf das Unbehagen eines Großteils der in der Landeshauptstadt lebenden Italiener abgestimmt hatten. In einer deutschsprachig dominierten, autonomen Grenzregion nehmen sich diese politisch sowie institutionell als tendenziell untervertreten wahr.808 Öffentliche Symbole der kulturellen Überlegenheit und Vorherrschaft erhalten dadurch erst recht eine stark identitätsstiftende Funktion. Der Widerstand aufgrund von Umbenennungen, Umgestaltungen oder gar der Beseitigung von solch symbolträchtiger Bausubstanz ist entsprechend vorprogrammiert.809 Die Debatte um die Piazza della Vittoria fand in Bozen zwar vor dem Hintergrund eines regionalspezifischen Sprach- und Kulturkonfliktes statt. Bei den Bemühungen der AN, den Faschismus auf lokaler Ebene öffentlich zu rehabilitieren, handelte es sich landesweit jedoch um keinen Einzelfall. Wie beim Alpinidenkmal in Bruneck, so schlug sich der zweite Wahlsieg des Mitte-RechtsBündnisses von Berlusconi anno 2001 auch in den Straßennamendebatten Italiens – und schließlich denjenigen Bozens nieder.810 Exemplarisch dafür ist der 806 Radikalere Vertreter der deutsch-nationalistischen Parteien fanden sich dadurch zudem in ihrem Vorurteil bestärkt, dass die italienischsprachige Bevölkerung Südtirols generell äußerst unkritisch und stur an ihrer »faschistischen Herkunft« festhält. Vgl. Heiss/Obermair, Erinnerungskulturen, S. 69. 807 Heiss/Obermair, Erinnerungskulturen im Widerstreit, S. 68–69; Risse, Sieg und Frieden, S. 128–129. 808 Risse, Sieg und Frieden, S. 128. 809 Dunajtschik, Erinnerungskulturen in Bozen, S. 159. 810 Heiss, Europäische Stadt der Übergänge, S. 572.
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Aufritt des damals zum Vizeministerpräsidenten ernannte Gianfranco Fini auf dem Siegesplatz in Bozen. Stolz verkündete der ehemalige Vorsitzende der AN seinen versammelten Parteianhängern dabei, der Piazza delle Pace kraft seines Amtes wieder ihren vormaligen Namen zurückzugeben. Der durch das Siegesdenkmal symbolisierte »Triumph« Italiens an der südlichen Alpengrenze stünde demnach für den vollendeten, nationalen Zusammenschluss, womit eigentlich nur die »natürlichen Grenzen« der Apenninhalbinsel berücksichtigt würden. Beifall zollten dem Magistraten aus Rom hierbei zahlreiche Gemeindepolitiker, die dazu extra aus jenen Ortschaften Italiens angereist waren, welche ebenfalls über eine Piazza- oder eine Via della Vittoria verfügen.811 Der Sturm auf die Straßennamenbestände griff allerdings nicht nur in Bozen, sondern landesweit um sich. In zahlreichen Ortschaften dienten somit wieder faschistische Heldenerzählungen zur Grundlage neuer Straßennamen. Mit den antifaschistischen Benennungstraditionen – wie sie beispielsweise in Mittel- und Norditalien durch das Resistenza-Narrativ verbreitet war – wurde hierbei gleichermaßen abgerechnet. Aus einer arg verzerrten, revanchistischen Wahrnehmungsperspektive heraus sollten mithin auch die ›braven‹ Schwarzhemden ihre vermeintliche Würde zurückerhalten.812 Dass in der sizilianischen Gemeinde von Tremestieri eine Straße nach Mussolini benannt werden sollte,813 bildet hiernach nur die Spitze des Eisbergs.814 Das Wiederaufflammen der Straßennamendebatten nach der Jahrtausendwende nicht nur in Bozen, sondern vielerorts in Italien verweist auf eine weitere Funktion von Hodonymen, die ihnen als »Tresore des kollektiven Gedächtnisses«815 zukommt. Die im Palimpsest des Straßennetzes festgehaltenen Personen 811 Risse, Sieg und Frieden, S. 129. 812 Mattioli, Aram: »Viva Mussolini!«. Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis, Paderborn 2010, S. 126–130. 813 Nach vehementem Einspruch des Simon-Wiesenthal-Zentrums, des Partisanenverbands ANPI sowie den Provinzialbehörden unterließ es die Gemeinde am Ende aber dem ›Duce‹ eine solch unangebrachte Ehre zu erweisen. Vgl. Mattioli, »Viva Mussolini!«, S. 129. 814 So beschloss beispielsweise die Gemeinde von Ragusa dem Faschisten und Raufbold Filippo Pennavia nicht nur eine Straße, sondern gleich auch einen Gedenkstein sowie eine Brücke zu widmen. In Cagliari auf Sardinien erhielt dafür das ehemalige faschistische Stadtoberhaupt Enrico Endrich eine nach ihm benannte Straße. Derweil wurde in Catania Filippo Anfusio – Mitarbeiter von Geleazzo Ciano sowie faschistischer Botschafter in Berlin – auf die Straßenkarte genommen. Ferner verlieh die Gemeinde Rieti dem unter Mussolini zum Minister für Volkskultur ernannten Alessandro Pavolini hodonomastische Würdigung. Aber auch ein Militärflughafen bei Rom, der nach Marschall Italo Balbo benannt werden sollte, sorgte für eine erhitzte Debatte im Stadtparlament. Ganz auf der Regierungslinie Berlusconis wurde der umstrittene Name letztendloch aber dennoch angenommen. Die Liste ließe sich hier noch ohne weiteres ergänzen. Vgl. Mantelli, Revisionismus durch »Aussöhnung«, S. 223; Mattioli, »Viva Mussolini!«, S. 129–130. 815 Lübbren, Rainer: Straßenbenennungen um die Jahrhundertwende. Identifikationsversuche der besonderen Art, in: Die alte Stadt 28 (2001), Heft 4, S. 344–349, hier S. 344.
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und Ereignisse werden hierzu je nach momentanem Bedarf anders betrachtet:816 Ganz abhängig davon, wer gerade den öffentlichen Blick auf die Geschichte lenkt und damit das vorherrschende Ehrregime diktiert. Zuweilen kann es dabei zu mehr oder weniger heftigen Konflikten um die Einnahme der urbanen Gedächtnislandschaft kommen. Der deutsche Historiker Winfried Speitkamp hält diesbezüglich fest: »Straßennamen sind schlafende Erinnerungen. Sie stehen im Kontext vergleichbarer Erinnerungszeichen, die eher subkutan wahrgenommen werden, oft jahrelang unbeachtet bleiben und dann irgendwann an Brisanz gewinnen.«817
Es verwundert deshalb nicht, dass im Fahrwasser der Diskussion um die Piazza della Pace auch die Kontroverse um die anderen, angeblich vom faschistischen Regime verliehenen Straßennamen wieder ausbrach. Etwa zeitgleich mit Salghetti-Driolis Umbenennungsversuch ereignete sich 2000 ein weiterer Streit um das Bozner Realgymnasiums, das dem Innsbrucker Geologen und NS-Anhänger Raimund Von Klebelsberg gewidmet werden sollte.818 Der damalige Schulamtsleiter für die deutsche Schule, Walter Stifter, verteidigte die umstrittene Namenswahl unter anderem damit, dass seine Amtsstelle schließlich auch an der Via Amba Alagi – also einem Hodonym aus scheinbar faschistischer Zeit – angrenze, was schließlich einiges konfliktbehafteter sei als den Alpenforscher Klebelsberg postum zu ehren. Überhaupt müsse dessen braune Vergangenheit historisch erst noch nachgewiesen werden. Es stünde bei der Via Amba Alagi hingegen außer Frage, dass diese dem blutigen Feldzug des Mussolini-Regimes in Abessinien gedenke, womit eines der wohl dunkelsten Kapitel des Ventennio nero vor aller Augen unhinterfragt gewürdigt würde.819 Der Streit um das Verteilungsverhältnis zwischen ›deutschen‹ und ›italienischen‹ Straßennamen wurde danach von der Dolomiten dankbar aufgegriffen und in einer Ausgabe vom 25. Oktober ausgiebig diskutiert. Gleich fünf Artikel widmeten sich darin der Thematik der Straßennamen Bozens. Erstens wurde aufgrund eines noch am selbigen Tag angekündigten Vorstoßes der AN im Gemeinderat, nach welchem eine Straße nach den italienischen »Märtyrern
816 Assmann, Erinnerungsräume, S. 153–154. 817 Speitkamp, Verlorene Ehre, S. 321. 818 Klebelsberg war zwischen 1931 und 1942 u. a. als Vorsitzender der nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft »Alpenländische Forschungsgemeinschaft« tätig gewesen. Vgl. Wedekind, Michael: »Alpenländische Forschungsgemeinschaft«, in: Handbuch der völkischen Wissenschaften. Akteure Netzwerke, Forschungsprogramme, Bd. 2: Forschungskonzepte – Institutionen – Organisationen – Zeitschriften, Michael Fahlbusch u. a. (Hg.), 2. Aufl., Berlin/Boston 2017, S. 1739–1752, hier S. 1739–17340. 819 »Vorwurf gegen Schule ist einseitig«, in: Dolomiten, 1./2. 4. 2000, S. 29; Di Michele, Straßenkämpfe, S. 44 sowie S. 45; Steinacher, Vom Amba Alagi nach Bozen, S. 24.
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von Istrien«820 benannt werden sollte, die auf der Stadtkarte vorherrschende Dominanz italienisch-nationalistischer Wegbezeichnungen angeprangert. Das deutschsprachige Tagblatt schrieb dazu: »Als Einstimmung auf die Ratsdebatte haben die ›Dolomiten‹ die 300 Bozner Straßennamen genauer unter die Lupe genommen. Herausgekommen ist ein erschreckend deutliches Übergewicht an italienischen Orts- und Personennamen sowie an herübergeretteten ›Kriegsrelikten‹.«821
Der Artikel machte danach auf das tatsächliche Missverhältnis der vorhandenen Namen aufmerksam: Während eine Überzahl an Straßen demnach italienischen Ortschaften und Persönlichkeiten gestiftet wurden, fanden nur wenige Südtiroler Lokalitäten und Namenspatrons ihren Weg ins Straßenverzeichnis. Besonders selten sind überdies Ehrungen mit internationalem Verweis wie beispielsweise die bis heute für sich alleinstehende Viale Europa. Außerdem wurde auch die Lage der den Südtirolern gewidmeten Straßen kritisiert: Dem letzten deutschsprachigen Bozner Bürgermeister vor 1922, Julius Perathoner, »gehöre« demnach nur ein »mickriges Verbindungsstück zwischen Bahnhofsallee und Südtiroler Straße.«822 Dass es der Dolomiten-Redaktion freilich nicht allein darum ging, auf das ohnehin augenfällige Überverhältnis italienischer Straßenbezeichnungen zu verweisen, erschließt sich spätestens aus den beiden folgenden Artikeln derselben Ausgabe. Zweitens wurden hiernach Umbenennungsvorschläge bemüht, die genauso unverhohlen nationalistisch daherkamen wie die zuvor kritisierten Hodonyme italienischer Prägung. Anstatt also die tatsächlich untervertretene Themengruppe internationaler Friedenszeichen und Würdenträger zu fördern, wurde der kulturnationalistische Spieß kurzerhand umgekehrt. In einer umfassenden Liste wurden folglich ausschließlich deutschsprachige Persönlichkeiten vorgeschlagen, die entweder als Südtiroler über einen gewissen regionalhistorischen Bekanntheitsgrad verfügten oder einmal kurzzeitig in Bozen logiert hatten.823 Für die Ortsbezeichnungen wurden derweil nur Gemeinden in Betracht gezogen, die entweder in Südtirol oder Österreich liegen.824 820 Mit den »Märtyrern« waren die Opfer der von jugoslawischen Partisanen während- und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg bei den Foibe verübten Gewaltverbrechen gemeint. Besonders die italienische Rechte weiß diese für ihre nationalistische Stimmungsmache immer wieder schamlos zu vereinnahmen. Schließlich lassen die Foibe die Rede einer seitens der Italiener ebenso erlittenen Opferschaft zu, die sich beispielsweise gerade in Südtirol der deutsch-nationalistischen Opfersemantik entgegenhalten lässt. 821 »›Innsbruck‹ besser als ›Amba Alagi‹«, in: Dolomiten, 25. 10. 2001, S. 35. 822 Ebd., S. 35. 823 Unter anderem wurden dazu heiliggesprochene Kirchenvertreter wie Johann Nepomuk von Tschiderer, Märtyrerfiguren wie Franz Innerhofer oder SVP-Gründerväter wie Erich Ammonn vorgeschlagen. Zur deutschsprachigen Weltprominenz, die eine mehr oder weniger lange Zeit in Bozen verbracht hatte, zählte beispielsweise Johann Gottlieb von Herder,
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Drittens wurde der Stadtregierung in einem kürzeren Artikel der Vorwurf einer äußerst engstirnigen Vergabe von Straßennamen gemacht: So führen beispielsweise zahlreiche Verkehrsadern durch Innsbruck oder München, die angeblich jenseits politischer Ressentiments eine hodonomastische Brücke zum Südtirol schlagen.825 Dass aber gerade in Innsbruck derartige Adressen ihre Anschrift als Gegenwehr gegen die ›Italianisierung‹ der Südtiroler Toponomastik von einer deutsch-völkischen Arbeitsgemeinschaft in den Zwanzigerjahren verliehen bekommen hatten,826 fand nirgendwo Erwähnung. Ferner wurden die Bozner Stadtbehörden im vierten Beitrag zahlreicher Übersetzungsfehler bezichtigt. Die deutsche Version der dortigen Wegbezeichnungen sei demnach immer noch äußerst mangelhaft: Ein weiterer Ausdruck dafür, dass die deutsche Sprache in der Südtiroler Landeshauptstadt deutlich untervertreten sei.827 Damit nicht genug wurde im fünften Artikel eine aktuelle Liste aller bestehenden Straßennamen abgedruckt. Hier konnte sich die Leserschaft zuletzt selber davon überzeugen, dass die Bozner Straßenkarte überwiegend italienisch dominiert war. Ein kritischer Zugang zur vorgestellten Namensliste wurde freilich wiederum nicht eröffnet. Vielmehr wurde diese bloß zur weiteren Stimmungsmache in der damals erhitzten kulturnationalistischen Debatte um die umstrittene Vergabe von Straßennamen ins Feld geführt.828 Die damit adressierten, kulturnationalistischen Ressentiments dürften davon durchaus angesprochen worden sein. Eine offene – am Ende vielleicht sogar versöhnende – Diskussion um das im Bozner Straßennetz eingeschriebene, kulturpolitische Dominanzgebaren bedürfte einer ungleich kritischeren Herangehensweise an dessen vielschichtige Entstehungsgeschichte. Danach wäre der Verzicht auf
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Wolfgang Amadeus Mozart, Kaiserin Elisabeth »Sisi« sowie natürlich auch Kaiser Franz Joseph. Vgl. »Straßennamen: Neuvorschläge«, in: Dolomiten, 25. 10. 2001, S. 35. Hier durften die Namen Innsbruck und Tirol natürlich nicht fehlen. Aber auch Bruneck, Sterzing, Klausen, der Bergisel und der Tschöggelberg sollten ihren Platz im Straßennetz erhalten. Vgl. »Straßennamen: Neuvorschläge«, in: Dolomiten, 25. 10. 2001, S. 35. In München würden demnach ganze 31 Straßennamen auf Südtirol verweisen. In Innsbruck gäbe es deren 44. Vgl. »Anderswo geht’s auch anders«, in: Dolomiten, 25. 10. 2001, S. 35. Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 81. So sollte die Rodi-Straße korrekterweise Rhodos-Straße heißen, die Duca d’Aosta-Straße Herzog von Aosta-Straße, die Virgil-Straße eigentlich Vergil-Straße, die Tripoli-Straße besser Tripolis-Straße, die Fratelli-Bronzetti-Straße Gebrüder-Bronzeti-Straße, die Sorrento-Straße Sorrent-Straße, die Riva del Garda-Straße Riva-am-Gardasee-Straße, die Florenzer-Straße Florenz- oder Florentiner-Straße sowie die Laurino-Straße gemäß eines Gemeinderatsbeschluss von 1949 Laurin-Straße. Vgl. »Zahlreiche Übersetzungsfehler«, in: Dolomiten, 25. 10. 2001, S. 35. »Detaillierte Analyse der Bozner Straßennamen«, in: Dolomiten, 25. 10. 2001, S. 35.
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weitere kulturnationalistische Vereinnahmungen der Stadtkarte wohl der einzige Weg hin zu einer friedvolleren Benennungspraxis.829
Fazit Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Straßenkarte Bozens spätestens mit den ersten Übersetzungsversuchen Tolomeis zu einem politisch umstrittenen Konfliktfeld wurde. Selbst wenn die in Folge seiner fieberhaften Toponomastikstudien ausgearbeiteten ›Rück‹-Übersetzungen inhaltlich vorerst noch relativ harmlos daherkamen, so wurde doch immerhin schon damals das ideologische Feld für die später vom faschistischen Regime veranlassten Umbenennungskampagnen bestellt. Diese erfuhren ihre gesetzliche Legitimation mit den beiden Toponomastikgesetzen von 1923 und 1927. Grundsätzlich sorgten jene beiden Dekrete dafür, dass sich die den Straßennamen innewohnende symbolische Aussagekraft nun vollumfänglich ausschöpfen ließ. Nicht nur sollten feste, administrative Vorgaben die damit zum Ausdruck gebrachten Symbolgehalte gesellschaftlich verankern. Spätestens mit dem zweiten Gesetz wurde zudem das nationale Heldenpantheon mitsamt den dazugehörigen Mythenerzählungen eingegrenzt. Die damit einhergehende Order zur landesweiten Umbenennungskampagne sorgte in Bozen dafür, dass der dortige repräsentative Raum für die kommenden Jahre ideologisch besetzt wurde. Schließlich handelte es sich bei der Vergabe von Straßennamen um ein hoch wirkungsvolles, tief in den Alltag eingreifendes Propagandainstrument, welches nicht zuletzt in der ethnisch umkämpften Grenzregion Südtirol nachhaltig wirken sollte. Die ›Zona monumentale‹ und die sie umgebende Neustadt boten dafür eine ideale Plattform. Nachdem der faschistisch-imperiale Expansionismus vor 1936 noch vornehmlich mit Bezug zur antiken ›Eroberung‹ des ›Alto Adiges‹ im Bozner 829 Einen wesentlichen Beitrag dazu leistete aber gewiss auch das einige Jahre später verabschiedete Landesgesetz zur »Errichtung des Verzeichnisses der Ortsnamen des Landes und des Landesbeirates für Kartographie« vom 20. September 2012. Darin wurden die »Richtlinien für die Hodonomastik« unter Artikel 4 gänzlich neu bestimmt: Erstens sollte das »örtliche Namensgut, wie durch historische Dokumente belegt oder im kollektiven Gedächtnis verankert« zukünftig generellen Vorrang bei Neubenennungen erhalten. Zweitens zählte die zehnjährige Frist für das rechtmäßige Ehren eines Verstorbenen zwar nach wie vor. Ausnahmen dazu durften von der Landesregierung in voriger Absprache mit dem Direktor der Denkmalpflege aber insofern gewährt werden, als dass die Widmungen Personen zugedacht sind, die sich im Speziellen um die »Gemeinschaft« verdient gemacht haben. Vgl. Landesgesetz Nr. 15, betr. »Errichtung des Verzeichnisses der Ortsnamen des Landes und des Landesbeirates für Kartographie« vom 20. 9. 2012, in: Amtsblatt der Region Trentino-Südtirol, Nr. 39, 25. 9. 2012.
Fazit
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Straßennetz verzeichnet worden war, erfuhr die Stadt an der Etsch mit dem Abessinienkrieg nochmals eine grundlegende Erweiterung. Entlang der sich im Namen des ausgerufenen ›Imperos‹ hinziehenden Zentralachse des Corso IX Maggio fanden sich danach immerhin vier Wegmarken, welche die blutigen Feldzüge in Nord- und Ostafrika anhand bedeutender Schlachtorte ebenso verherrlichten. Unweit der Via dell’Endert/, der Via Lago Ascanghi, der Via Neghelli sowie der Via Tripoli erhielt allerdings auch das dazu passende Heldenpantheon ihm gebührende Standorte. Hierfür dienten die vier Märtyrerfiguren Antonio Locatelli, Padre Reginaldo Giuliani, Amedeo Duca d’Aosta und Ettore Crippa als personifizierte Platzhalter des imperialen Wertekanons. Seinen Abschluss fand dieses mehrgliedrige Sprachdenkmal 1939 mit der Piazza dell’Impero sowie der Via Amba Aradam. Grundsätzlich dienten derartige Hodonyme erstens dazu, das italienische Nationalbewusstsein in der Grenzregion Südtirol zu stärken. Zweitens spricht aus ihnen aber genauso unverkennbar das autoritäre Herrschaftssystem des Mussolini-Regimes in dem in seinen Augen vormals kulturfremden – nun freilich italianisierten – Staatsgebiet. Mit dem Untergang der faschistischen Diktatur konnte dessen Hegemonialanspruch jedoch nicht länger aufrecht erhalten bleiben. Einhergehend mit dem Wechsel der autoritären Herrschaftssysteme wandelten sich daher auch die Straßennamen in entsprechend kurzen Intervallen. Vom dringend verlangten Austausch der faschistischen Straßenschilder im August 1943 vergingen bis zur befohlenen Benennungsdoktrin des Nationalsozialismus demnach nur wenige Wochen. Dafür nahmen die gewählten Volksvertreter der Nachkriegszeit die Suche nach einem zeitgemäßen Straßennamenbestand für Bozen unmittelbar wieder von neuem auf. Dabei fällt zunächst auf, dass die Namenssuche mit der ersten Revision von 1945 erstmals innerhalb einer vielstimmigen, demokratisch geführten Debatte ausgetragen wurde. Hierin war die italienischsprachig dominierte Kommunalverwaltung Bozens zumindest anfänglich noch redlich darum bemüht, die während des Ventennio nero eingeführten Wegbezeichnungen so weit als möglich zu entfernen. Folglich wurden auch die an den Abessinienkrieg erinnernden Straßennamen von der Stadtkarte gestrichen. Einzig die Via Tripoli konnte sich dieser Entfaschisierung der öffentlichen Verkehrsflächen entziehen. Geprägt von dem in den Folgejahren offen zutage tretenden Kulturnationalismus wurde die Vergabe neuer Hodonyme anschließend allerdings wieder konfliktgeladener. Bei der zweiten vom Kulturministerium verordneten Namensrevision von 1948 brachen die drei Jahre zuvor als überwunden erschienenen kulturpolitischen Grabenkämpfe daher sogleich wieder aus. Es verwundert nicht, dass dabei auch die imperial konnotierten Benennungen mit Bezug zum Abessinienkrieg erneut auftauchten. Diesmal sollte die Via Padre Reginaldo Giuliani, die Via Antonio Locatelli sowie einige Jahre später die Via Amba Alagi zusammen mit der Via
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Duca d’Aosta aber mehr vom kämpferischen Widerstandswillen des italienischen Nationalismus zeugen, als wie ursprünglich unter dem Faschismus ein fest im Sattel sitzendes Machtregime symbolisch zementieren. Somit wird die verborgene Chronologie der Bozner Straßennamen als eine Folge des kulturnationalistischen Hoheitsanspruchs des nach 1945 vollzogenen Namensfindungsprozesses erkennbar. Die den Afrikafeldzügen gedenkenden Straßenschilder lassen sich daher zwar nicht mehr als ein Zeichen der faschistischen Repression Deutschsüdtirols lesen. Dafür verweisen sie umso deutlicher darauf, was für Geschichtsbilder der auf dem Bozner Stadtplan ausgetragene Kulturkonflikt zeitweise hervorgebracht hat. Der Weg hin zu einer friedvolleren Benennungspraxis verlangt deshalb nach einer historiographischen Herangehensweise an die dortigen Straßennamen.
IV.
Südtiroler Heimatbücher, 1951–2012
Systematik der Südtiroler Heimatbücher Im Juli 2013 ging von der Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann eine Anfrage an die Gemeinden Südtirols, ihr die in den Jahren nach 1945 veröffentlichten Heimatbücher830 zuzusenden. Das Ziel bestand darin, die Bücher zentral zu sammeln und sie zu digitalisieren, damit sie auf der Webseite der deutschsprachigen Landesbibliothek erstmals einer breiten Leserschaft zugänglich gemacht werden konnten. Dem Aufruf folgend trafen schließlich 128831 Heimatbücher bei der Teßmann-Bibliothek ein, die sich heute allesamt in hervorragender Qualität online einsehen lassen.832 Die kritische Lektüre der im Teßmann-Bestand erschlossenen Heimatbücher soll nun offenlegen, ab wann der Abessinienkrieg in diesen aus welchen Gründen erschien, und was für Erzählweisen sich daraus heraus ergeben haben.833 Erstens wird hierzu die Gattung des Heimatbuchgenres im Allgemeinen erläutert sowie 830 Im Bestand der Dr. Friedrich Teßmann Bibliothek ist der Bestand der Heimatbücher allerdings unter dem Begriff Dorfbuch verzeichnet. Neben den Dorfbüchern sind in Südtirol aber beispielsweise auch zahlreiche Bücher über Talschaften oder mehrere Gemeinden und Weiler erschienen. Um nun alle diese Untergattungen in einer Analyse erfassen zu können, wird im folgenden Kapitel der Überbegriff ›Heimatbuch‹ verwendet. 831 Insgesamt gibt es in Südtirol heute 116 Gemeinden. Die 128 Bücher sind demnach so zu erklären, dass die Teßmann von einigen Gemeinden über mehrere Heimatbücher verfügt oder einige Heimatbücher mehrbändig erschienen sind, während von anderen (noch) keine Publikation vorliegt. Ebenfalls muss hier berücksichtigt werden, dass nicht alle Bücher digitalisiert werden konnten, da wahrscheinlich nicht alle eingereicht wurden. Ferner wurden viele der Dorfbücher im Eigenverlag veröffentlicht sind daher aufgrund ihrer geringen Auflage mittlerweile vergriffen. 832 Zum Teßman-Digitalbestand der Heimatbücher : http://digital.tessmann.it/tessmannDigi tal/Kategorie/20021, aufgerufen am 06. 05. 2019. 833 In diesem Kapitel werden vorerst ausschließlich die Erzählweisen des Abessinienkriegs in den Heimatbüchern untersucht. Ein umfassendere Analyse, wie und weshalb der Abessinienkrieg in Südtirol sonst noch zur Sprache gebracht wurde, folgt im vierten Kapitel der vorliegenden Arbeit.
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die zentralen Begriffe daraus vorgestellt. Die Publikationen aus Südtirol lassen sich dadurch in ihren spezifischen Eigenarten besser erfassen. Danach wird zweitens im Speziellen nach der Funktion von Heimatbüchern für das kollektive Gedächtnis der südlich des Brenners ansässigen Bevölkerung gefragt. Eine systematische Analyse macht drittens deutlich, weshalb solche Dorfgeschichten in Südtirol zu welchen Zeiten überhaupt geschrieben und veröffentlicht wurden.834 Viertens werden die Autoren sowie Herausgeberschaften der Südtiroler Heimatbücher vorgestellt. Hier geht es unter anderem um die Frage, weshalb ausgerechnet sie sich mit der Geschichte ihrer Gemeinde befassten und dazu ein Buch veröffentlichten.
Gattungs- und Begriffsbestimmung Der Terminus Heimatbuch wurde bis dato noch nicht abschließend bestimmt.835 Einige wenige Autorinnen und Autoren bemühten sich zwar darum, den Begriff einzugrenzen,836 mussten sich jedoch angesichts der Vielzahl verschiedener 834 Diese beiden ersten Fragen orientieren sich an den drei vom Gießener Sonderforschungsbereich 434 vorgeschlagenen Aspekten kollektiven Erinnerns. Gemeint sind hier erstens die soziopolitischen Umstände jeweiliger Gedächtnisbildung, zweitens die den Vertretern der einzelnen Erinnerungsformen zu Grunde liegenden Partikularinteressen sowie drittens das konkrete Erinnerungsgeschehen an sich. Vgl. dazu der zusammengefasste Erstantrag von Günter Lottes aus dem Jahr 1996, in: Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, 2. Auflage, Weimar 2011, S. 37–38. 835 Hierzu stellt Mathias Beer in einer jüngeren Arbeit über Heimatbücher als »Schriftenklasse« im deutschsprachigen Raum fest, dass sich der Begriff »Heimatbuch« weder im Duden noch in anderen anerkannten Begriffslexika finden lässt. Es besteht demnach deutlicher Nachholbedarf seitens der Forschung, um den Begriff zumindest lexikographisch eindeutig festzulegen. Vgl. Beer, Mathias: Das Heimatbuch als Schriftenklasse. Forschungsstand, historischer Kontext, Merkmale und Funktionen, in: Das Heimatbuch. Geschichte, Methodik, Wirkung, Mathias Beer (Hg.), Göttingen 2010, S. 9–41, hier S. 10. 836 Das Forschungsfeld zu Heimatbüchern ist mit einigen wenigen Sammelbänden und Monografien noch sehr überschaubar und konzentriert sich hauptsächlich auf Deutschland. Nach einem zaghaften Start in den Siebzigerjahren wurde der erste umfangreiche Sammelband zur Thematik erst 36 Jahre später von Mathias Beer herausgegeben. Hierzu ein kurzer chronologischer Überblick: Schöck, Gustav: Das Heimatbuch – Ortschronik und Integrationsmittel? Anmerkungen zum Geschichts- und Gesellschaftsbild der Heimatbücher, in: Der Bürger im Staat. 24. Jg., Heft 1, 1974, S. 149–152; Kessler, Wolfgang: Ostdeutsche, sudetendeutsche und südostdeutsche Heimatbücher – Erinnerung und Dokumentation, in: Stiftung Ostdeutscher Kulturrat (Hg.): Ost- und Südostdeutsche Heimatbücher und Ortsmonographien nach 1945. Eine Bibliographie zur historischen Landeskunde der Vertreibungsgebiete, München 1979; Frede, Ulrike: »Unvergessene Heimat« Schlesien. Eine exemplarische Untersuchung des ostdeutschen Heimatbuches als Medium und Quelle spezifischer Erinnerungskultur, Marburg 2004; Beer (Hg.), Das Heimatbuch, Göttingen 2010; Faehndrich, Jutta: Eine endliche Geschichte. Die Heimatbücher der deutschen Vertriebenen, Köln, Weimar u. Berlin 2011; Thomaschke, Dirk: Abseits der Geschichte. Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg in
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Formen und deren Medien, innerhalb welcher Dorfchroniken in bestimmten Regionen erschienen sind, stets mit einer relativ offenen Definition begnügen.837 Dass die Südtiroler Dorf- und Talbücher aber auf jeden Fall in den noch sehr weitreichenden Gegenstandsbereich der Heimatbuchforschung mit einzubeziehen sind, wird bereits in einer ersten Begriffsbestimmung aus den späten Siebzigern von Wolfgang Kessler deutlich. Im Rahmen einer Bibliographie, die er über nach 1945 veröffentlichte Gemeindechroniken Ostdeutschlands erstellte, berief er sich auf eine »objektive« Form des Heimatbuches im engeren Sinne.838 Heimatbücher seien demnach im Wesentlichen: »[…] als Dokumentation angelegt, als Versuch das, was war, zu erfassen, ›wie es war‹. Eine solche Orts-, Kreis- oder Landschaftsdokumentation sollte im Idealfall folgende Themenbereiche berücksichtigen: Geographie und Naturkunde; Geschichte; Verwaltung; Kirchen- und Schulwesen; Land- und Forstwirtschaft; Handel, Handwerk, Gewerbe und Industrie; Kunst- und Kulturgeschichte, Bau- und Kunstdenkmäler, Musik, Theater, Mundart, Brauchtum und volkstümliche Überlieferungen; den Ersten und den Zweiten Weltkrieg mit ihren Folgen; das Gemeindeleben; dazu ein Quellen- und Literaturverzeichnis und ein die Auswertung erleichterndes Register.«839
Wie sich an späterer Stelle zeigen wird, entsprechen auch die Heimatbücher aus dem Südtirol in etwa diesem Raster. Besonders bemerkenswert bei Kesslers Definition ist aber, dass es den Autoren grundsätzlich darum gehe, alles »wie es war« – also sozusagen dokumentarisch – zu erfassen. Mit Hilfe einer möglichst hohen Anzahl an verschiedenen Themenbereichen sollte die Geschichte einer Ortschaft demnach möglichst umfassend und grundsätzlich »originalgetreu« dargestellt werden. Davon ausgehend bestimmt Mathias Beer etwas mehr als drei Jahrzehnte später weitere wichtige Eigenschaften von Heimatbüchern: Diese »verbinden in sich kulturhistorische Dokumentation und Erinnerung und stellen aufgrund ihrer spezifischen Merkmale innerhalb der breiten heimatkundlichen Literatur eine eigene Gruppe dar.«840
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Ortschroniken, Formen der Erinnerung Bd. 60, Jürgen Reulecke/Birgit Neumann (Hg.), Göttingen 2016. So beispielsweise in der Dissertation von Ulrike Frede, über die Heimatbücher Schlesiens, in welcher sie neben verlegten Heimatbüchern auch Fotoalben, Pfarrblätter oder private Aufzeichnungen über einzelne Ortschaften untersuchte. Vgl. Frede, »Unvergessene Heimat«, S. 367. Im weiteren Sinne als Heimatbuch habe aber grundsätzlich immer auch schon »jede selbstständig erschienene Veröffentlichung über den als Heimat begriffenen und angenommenen Raum: der Gedichtband wie die Stadtgeschichte, die Erzählung und der Bildbestand, Schulgeschichte, Familienchronik, Theatergeschichte und Erinnerungen.«, zu gelten. Eine Kategorie also, welche sich in solch einem breiten Bestimmungsfeld kaum wissenschaftlich zusammenfassen bzw. beschreiben lässt. Kessler, Heimatbücher, S. 17. Kessler, Heimatbücher, S. 17. Beer, Das Heimatbuch als Schriftenklasse, S. 19.
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Beer macht an dieser Stelle darauf aufmerksam, dass die Konstruktion einer Dorfgeschichte neben der von Kessler bereits angesprochenen »kulturhistorischen Dokumentation« besonders auch auf der Erinnerung der Dorfbewohner fußt. Heimatbücher besitzen demnach eine immanent gedächtnisbildende Kraft, indem sie als Katalysatoren kommunaler Vergangenheitswahrnehmung fungieren. Hierbei konzentrieren sie sich stark auf das Lokale und Vertraute, was als Ort der ›Heimat‹ eingegrenzt wird. Eine zwangsläufige Verbindung, die Beer als die »wesentliche Triebfeder für die Erstellung eines Heimatbuches«841 konstatiert: »Unter mehreren unterschiedlichen Zugangsweisen zur Vergangenheit ist das Heimatbuch Teil der Heimatgeschichte. In seinem Verständnis ist Heimat der überschaubare Ort, an dem man selber, und idealerweise auch die Vorfahren, geboren und sozialisiert wurde und in der Regel lange Zeit oder schon immer gelebt hat. Dieser mit dem Erkenntnisobjekt und der Zielgruppe der Publikation verbundene Ortszentrismus fußt auf einer sentimentalen Überhöhung des Lokalen. […]. Damit erklären sich sowohl der ihm [dem Heimatbuch, SDP] eigene Zugang zur Vergangenheit als auch die Unterschiede zur wissenschaftlichen Erforschung der Geschichte.«842
Durch die Eigenschaft der »sentimentalen Überhöhung des Lokalen« zum Zwecke kollektiv-kommunaler Gedächtnisbildung stellen Heimatbücher mithin eine eigenständige Kategorie »heimatkundlicher Literatur« dar.843 Beer macht damit auf die Heimatverbundenheit jeweiliger Autoren aufmerksam, aufgrund welcher sie dazu neigen, die Geschichte zu ihren Gunsten zu vereinnahmen, womit die eingangs von Kessler genannte »originalgetreue« Dokumentation als ein Anspruch erscheint, dem Heimatbücher letzten Endes nie ganz gerecht werden können. Entsprechend eröffnet auch das Vorwort des Heimatbuches von Ober- und Niederrasen aus dem Jahr 1951 mit den Worten: »Aus Liebe zur Heimat wurde der Inhalt folgender Schrift gesammelt und zusammengestellt. Möge sie beim Leser freundliche Aufnahme finden und auch bei ihm diese Liebe wecken oder fördern! Es war mein Bestreben, alles wahrheitsgetreu, wie ich es
841 Beer, Das Heimatbuch als Schriftenklasse, S. 35. 842 Ebd., S. 35. 843 Zu diesem Schluss kommt auch Dirk Thomaschke in einer neueren Studie über Heimatbücher in Deutschland. Er stellt dabei fest, dass sich das Genre auch ohne »gemeinsame programmatische Basis« und ohne ein festes Netzwerk von Buchautoren als eine selbstständige Textgattung etabliert habe. Es scheint demnach bestimmte sozikulturelle Mechanismen zu geben, die dazu führen, dass die Ortsbewohner die Geschichte ihres Dorfes einem gewissen Kanon gemäß niederzuschreiben pflegen. Mechanismen und Muster, die in diesem Kapitel ebenfalls für das Südtirol untersucht bzw. aufgezeigt werden sollen. Vgl. Thomaschke, Abseits der Geschichte, S. 8.
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mündlich erfahren oder in Geschichtsquellen ausfindig machen konnte, wiederzugeben.«844
Neben der vom Autor hervorgehobenen Erinnerungsleistung möchte dieser vor allem seine innige »Liebe zur Heimat« als den Hauptbeweggrund für das Verfassen des Buches verstanden wissen. Von dieser tiefen Verbundenheit ging er aus, als er seine Recherchen begann und die daraus gezogenen Erkenntnisse anschließend niederschrieb. ›Heimat‹ wird so zu einer Folie, vor welcher die persönliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit einer Ortschaft stattfindet,845 wodurch ein bestimmtes, auf die dortige Gemeinschaft zugeschnittenes Geschichtsbild konstruiert wird.846 Schließlich betont der Autor auch seine Bemühungen, »alles«, was er dank Quellen und mündlichen Berichten erfahren hat, »wahrheitsgetreu« ins Buch eingebracht zu haben: Somit wird eine scheinbar objektive Erzählung eingeleitet, da der Autor sich schließlich redlich darum bemüht habe, alles ortsgeschichtlich Relevante recherchiert zu haben. Ein Vorsatz, der so allerdings nicht eingehalten werden kann. Schon nur die Annahme einer harmonischen, durch alle Zeiten hindurch zusammenhaltenden Dorfgemeinschaft als ›Heimat‹ haftet zwangsläufig einem stark eingeschränkten Vergangenheitsbild an, werden so doch gerade problematischere Kapitel der Ortsgeschichte systematisch ausgeblendet.847 Es wird somit Kontinuität postuliert, wo in Wahrheit Spannungen und Brüche auszumachen wären. Auch Friedemann Schmoll stellt bei seiner Lektüre deutscher Heimatbücher eine derartige Selektivität zugunsten eines harmonischen Heimatverständnisses fest: »Heimat stiftet Ordnung im Raum und im Leben. Dabei erfolgt eine rigide Trennung von Innen und Außen beziehungsweise von Eigen und Fremd und die entsprechende Verteilung allfälliger Attribute. Mit der Zentrifizierung auf das Eigene, das mit dem Anspruch auf kulturelle Überlegenheit ausgestattet wird, geht auch die hochgradige Verdrängung und Tabuisierung bestimmter Wirklichkeitsbereiche einher. Solcher 844 Mayr, Anton: Heimatkunde von Ober- und Niederrasen im Pustertal, Oberrasen 1951, Vorwort S. 1. 845 Jäger, Jens: »Heimat«, Version 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 09. 11. 2017, S. 7. 846 Heimatbücher aus Südtirol entsprechen somit einem Konzept von ›Heimat‹, dass Alon Confino spezifisch dem deutschen Sprachraum zuordnet. Auch er erkennt ›Heimat‹ als primäres Produkt kollektiver Gedächtnisbildung, innerhalb welchem sich lokale, regionale und nationale Identitätsangebote überlagern. Dadurch unterstreicht ein bestimmtes Verständnis von Heimat immer schon gewisse Elemente aus diesen drei Ebenen, während andere gleichzeitig in den Hintergrund geraten. Das sich dabei jeweils abzeichnende, ›richtige‹ Vergangenheitsbild einer Ortschaft, sagt schließlich einiges über die Funktion von Geschichte für die dort wohnhafte Bevölkerung aus. Im Falle der Südtiroler Heimatgeschichten ist hierzu beispielsweise die generelle Verschlossenheit gegenüber allem Nationalen bei einer gleichzeitigen Offenheit gegenüber allem Regionalen bzw. Lokalen festzustellen. Vgl. Confino, Alon: The Nation as a Local Metaphor. Württemberg, Imperial Germany, and National Memory, 1871–1918, North Carolina 1997, S. 9–11. 847 Applegate, Celia: A Nation of Provincials. The German Idea of Heimat, Oxford 1990, S. 19.
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nämlich, die gemeinhin zur Kehrseite der Heimat zählen, zu ihrer Nachtseite, zu den unheimlichen Aspekten des Heimeligen.«848
Folglich wirft das viele Ortschroniken dominierende Geschichtsbild nicht nur die Frage auf, anhand welcher Erzählmuster bestimmte Ereignisse der Geschichte wiedergegeben werden. Die von den Autoren gegenüber ihrer Heimat oftmals verspürte Treuepflicht muss auch dahingehend kritisch betrachtet werden, dass vieles ihr Zuwiderlaufendes verschwiegen wird.849 In den Worten Schmolls: »Es sollte nicht nur das analysiert werden, was in Heimatbüchern steht, sondern auch das, was nicht in ihnen nachzulesen ist.«850
Adressaten und Funktionen Das Heimatbuch von Vintl aus dem Jahr 1981 eröffnet mit einem Gruppenportrait der Schützenkompanie Bartlmä von Guggenberg, die sich darin als Eigentümerin und Verlegerin des Bandes vorstellt (Abb. 8). Auf der Aufnahme posieren die überwiegend männlichen Mitglieder der Kompanie in der für Südtiroler Schützen üblichen Tracht stolz auf einer bewaldeten, saftig grünen Wiese. Zur Linken und zur Rechten der Gruppe werden zwei goldverzierte Standarten hochgehalten. Zudem sitzen den versammelten Männern ein Mädchen und ein Junge zu Füssen. Auch sie tragen die Tracht der älteren Jahrgänge. Auf den ersten Blick entsteht so der Eindruck eines generationsübergreifenden Zusammengehörigkeitsgefühls. Im darauffolgenden Vorwort schreibt der Hauptmann der Kompanie in entsprechend stolzen Worten: »Wir glauben, mit diesem Werk unserer Gemeinde sowie auch der ganzen Tiroler Heimat einen Dienst erwiesen zu haben. […]. Wir freuen uns, den Bürgern unserer Gemeinde, unseren Landsleuten, den Heimatfernen und vielen Freunden des deutschen Sprachraumes unser Heimatbuch in die Hände drücken zu dürfen. Letzen Endes möchten wir den heutigen und kommenden Generationen mit diesem Buch echtes Tiroler Bewußtsein vermitteln, daß auch der Glaube, Tradition und innige Heimatliebe in der Jugend hochgehalten werde.«851
848 Schmoll, Friedemann: Die Vergegenwärtigung des Verlorenen. Heimatbücher im Schnittfeld von Geschichte und Erinnerung, in: Das Heimatbuch. Geschichte, Methodik, Wirkung, Mathias Beer (Hg.), Göttingen 2010, S. 309–331, hier S. 322. 849 Zum kollektiven Schweigen, das die in Südtirol dominante, deutsch-nationalistische Vergangenheitsnarrativ der Nachkriegszeit in sich barg – und inwiefern daraus zunächst eine totgeschwiegene Erinnerung an den Abessinienkrieg hervorging vgl. Kap. »Das Schweigen über den Abessinienkrieg im Südtirol der Nachkriegszeit«, S. 274–287. 850 Schmoll, Die Vergegenwärtigung des Verlorenen, S. 320. 851 Gruber, Vintl, S. 7.
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Die Gruppenaufnahme zusammen mit der Widmung des Hauptmanns lassen die anvisierte Leserschaft des Buches klar erkennen: Es handelt sich sozusagen um ein Geschenk an die Gemeindebewohner von einem lokalpatriotischen Verein, der damit seine »Heimatliebe« zum Dorf wie auch zum Raum »Tirol« zum Ausdruck bringen möchte. Angesprochen sind dabei nicht nur »Landsleute«, die »Heimatfernen« oder allgemein die »Freunde des deutschen Sprachraums«, sondern speziell auch die »kommenden Generationen«. Von diesen sollen die von den Schützen gelobten Werte auch in Zukunft hochgehalten werden.
Abb. 8: Gruppenportrait der Schützenkompanie Bartlmä von Guggenberg aus dem Jahr 1980, in: Gruber, Paul (Hg.): Vintl. Geschichte und Gegenwart einer Gemeinde, Vintl 1981, S. 5.
Das gleiche Anliegen äußert auch der Bürgermeister von Jenesien im Grußwort des Heimatbuches seiner Gemeinde: »Ich möchte mit dem Wunsch abschließen, dass unser ›Jenesier Dorfbuch‹ in möglichst vielen Haushalten und Familien einen festen Platz finden wird und entsprechend eine ›Jenesier Identität‹ schaffen wird.«852
Mit der beabsichtigten Herausbildung einer »Jenesier Identität« wird eine weitere wesentliche Funktion von Heimatbüchern angesprochen, die sich ebenfalls im obigen Grußwort des Hauptmanns der Schützenkompanie Vintls zeigt: Durch die vermittelnde Wiedergabe von »echtem Tiroler Bewußtsein« sollten die dortigen Einwohnerinnen und Einwohner auf ein Zusammengehörigkeitsgefühl als Dorfbürger eingeschworen werden. Als identitätsstiftendes Fundament werden dabei vom Autor die drei Grundwerte »Glaube«, »Tradition« und »innige Heimatliebe« hervorgehoben. Jutta Faehndrich beschreibt Heimatbü852 Partelli, Othmar (Hg.): Jenesien am Tschöggelberg: Landschaft – Geschichte – Kultur – Kunst, Lana 2012, S. 10.
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cher von deutschen Vertriebenen in ihrer Dissertation deshalb auch als das »zentrale Medium regionalspezifischer Identifikation«, die »von Einheimischen für Einheimische« geschrieben und veröffentlicht werden853 – eine Hauptfunktion des Genres, die sich folglich auch in den beiden Veröffentlichungen aus Vintl und Jenesien zeigt.854 Dabei werden besonders die kommenden Generationen angesprochen: In deren »Treue« zur »Heimat« liegt sonach der Schlüssel zum zukünftigen Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft. Wolfgang Sannwald unterstreicht diesbezüglich die gedächtnisbildende Wirkungsabsicht von Heimatbüchern, indem sie kulturelle Identität durch ein intergenerationelles Geschichtsnarrativ zu vermitteln versuchen: »Den Impuls zum Verfassen eines Heimatbuchs gibt oft ein – unter anderem durch generationenübergreifende Kontinuität konstituiertes – abstraktes Kollektiv. Ein Teil dieses Kollektivs […], ist auch die Nachwelt, vor der Autoren bestehen wollen. […] Kollektive, zu denen auch Kommunen gehören, streben wie Individuen nach Identität. Dazu benötigen sie Erinnerungen, die sie von sich aus nicht haben. Sie sind als generationenübergreifende Gebilde in besonderem Maße auf kulturelle Formen des Erinnerns angewiesen, etwa auf Heimatbücher, Heimatmuseen oder Riten.«855
Heimatbücher vermögen hiernach zwischen aufeinanderfolgenden Generationen ein gemeinsames Erinnern in Gang zu setzen, womit das kulturelle Gedächtnis nachhaltig gestärkt und gefördert werden soll. In diesem Sinne verweist die Autoren- und Herausgeberschaft oft auch darauf, dass ihr Buch nicht als abgeschlossen angesehen werden darf: Es sei lediglich als eine erste Vorarbeit gedacht und sollte die nächste Generation dazu anregen, das Wissen um die Geschichte des Dorfes nochmals zu vertiefen, um es eines fernen Tages ihrer Nachkommenschaft wiederum weitergeben zu können.856 Exemplarisch dazu können auch die folgenden Zeilen aus dem Vorwort eines Gemeindebuches aus Latsch gelesen werden: 853 Faehndrich, Eine endliche Geschichte, S. 7. 854 Allerdings handelt es sich dabei um einen Anspruch, der nur selten tatsächlich erfüllt wird. Folgt man beispielsweise den Einschätzungen von Leo Hillebrand, so verpassten es die Südtiroler Heimatbücher in Wahrheit oftmals, die Mehrheit der Dorfgemeinschaft als Leserschaft zu gewinnen. Als Beispiel nennt er hierzu das zweibändige Heimatbuch von Schlanders: So wurden vom ersten Band bei der Herausgabe von 1999 gerade mal 800 Exemplare gedruckt und nur 300 verkauft, was bei einer Einwohnerzahl von rund 6000 Personen bzw. ca. 2000 Haushalten mehr als deutlich unter den Erwartungen der Herausgeber gelegen haben dürfte. Vgl. Hillebrand, Leo: »Von bleibendem Wert« – Dorfbücher in Südtirol, in: Sport und Faschismen, Claudio Ambrosi/Wolfgang Weber (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 13 (2004), Heft 1, S. 227–242, hier S. S. 234–236. 855 Sannwald, Wolfgang: Erinnerungskultur vor Ort. Heimatbuch – Landesgeschichte – Wissenschaft, in: Das Heimatbuch. Geschichte, Methodik, Wirkung, Mathias Beer (Hg.), Göttingen 2010, S. 233–257, hier S. 238. 856 Thomaschke, Abseits der Geschichte, S. 40.
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»Möge das Buch vor allem für die Jugend ein Ansporn sein, sich mit der Vergangenheit ihres Heimatortes näher zu beschäftigen, bereits gewonnenes Wissen zu vertiefen und an die nächste Generation weiterzugeben.«857
Auf die Frage, weshalb solch identitätsstiftende Literatur überhaupt benötigt wird bzw. weshalb der Bedarf an intergenerationeller Zusammengehörigkeit zu bestehen scheint, gibt die Einleitung eines Heimatbuches aus Altrei eine aufschlussreiche Antwort: »Südtirol hat seit 85 Jahren ein ihm aufgezwungenes hartes Schicksal zu ertragen. Die zahlreichen in den letzten Jahrzehnten erschienenen Heimatbücher bezeugen, daß das deutsch-tirolesische Bewußtsein ungebrochen ist und im Rahmen der in den sechziger Jahren erkämpften Autonomie kräftige Zeichen seines Selbstbehauptungswillens zu geben vermag.«858 In dieser Aussage erscheinen Heimatbücher als »Ausdrucksmittel, spezifischer, womöglich prekärer Minderheitenidentitäten«859, die besonders in Zeiten äußerer Bedrohungsängste ein Zeichen ungebrochener »Selbstbehauptung« bezeugen sollen. Ein Mittel zur kulturellen Selbsterhaltung also, das auch Schmoll in dieser Funktion beschreibt: »Die in den Heimatbüchern ritualisierte Bezugnahme auf diese gemeinsame Geschichte verknüpfte Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und ermöglichte in einer Zeit äußerer und innerer Orientierungslosigkeit die Erfahrung gemeinsamer Kontinuität. Eine traumatisierte Gegenwart und eine unsichere Zukunft suchten Gewissheit und Stabilität zunächst in einer verbindenden Geschichte.«860
Solche »Zeiten äußerer Orientierungslosigkeit« führen demnach zum Bedürfnis, eine der Dorfgemeinschaft zugrunde liegende Identität zu postulieren, wozu sich Heimatbücher mit ihren Erzählungen einer gemeinsamen Vergangenheit ideal anbieten. Davon ausgehend, wie sehr von außen kommende Gefahren also einen als ›Heimat‹ wahrgenommenen Raum gerade zu bedrohen scheinen, variiert dort auch die Anzahl an Dorfpublikationen.
857 »Grußwort« von Sabina Kasslatter Mur, Landesrätin für Familie, Denkmalpflege und deutsche Kultur, in: Gritsch, Helmut: Latsch und seine Geschichte: Goldrain – Morter – Tarsch – St. Martin, Lana 2007, S. 7. 858 »Grußwort« von Otto Scrinzi, Vorsitzender des Kuratoriums der Laurinstiftung, in: Abram, Heinz: Heimatbuch Altrei, Altrei 2006, S. 7. 859 Faehndrich, Jutta: Entstehung und Aufstieg des Heimatbuchs, in: Das Heimatbuch. Geschichte, Methodik, Wirkung, Mathias Beer (Hg.), Göttingen 2010, S. 55–85, hier S. 67. 860 Schmoll, Die Vergegenwärtigung des Verlorenen, S. 318.
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Quantitative Auswertung nach 1951861 Obschon Heimatbücher im deutschen Sprachraum bereits anfangs des 20. Jahrhunderts erstmals erschienen862 und sich von da an rasch zu einem festen Bestandteil lokaler Heimatkunde entwickelten,863 erlebte Südtirol erst nach dem Zweiten Weltkrieg einen markanten Zuwachs dieser Textgattung.864 Das erste in der Nachkriegszeit erschienene Buch stammt daher aus dem Jahr 1951 und behandelt die Geschichte der beiden Gemeinden Ober- und Niederrasen.865 Das von Anton Mayr verfasste Werk fand in anderen Ortschaften allerdings für lange Zeit keine Nachfolge. Im selben Jahrzehnt sollte nur noch eine andere Heimatchronik in Form einer Festschrift geschrieben werden, die 1956 anlässlich des 700-jährigen Jubiläums der Stadt Bruneck erschien.866 Für die 22 Jahre danach liegen heute insgesamt sechs Heimatbücher aus den Gemeinden Taisten, Inni-
861 Wie bereits weiter oben erwähnt, stützt sich die folgende quantitative Analyse auf den Digitalbestand der Teßmann Bibliothek. Die Angaben beziehen sich demnach auf die dort aufrufbaren Bücher. Es kann daher leider kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. Über einen Bestand von Heimatbüchern nicht nur aus dem Raum Süd-, sondern auch Nord- und Osttirol sowie dem Trentino verfügt hingegen das Südtiroler Landesarchiv. Die vorliegende Analyse beschränkt sich allerdings auf den Raum Südtirol, weswegen der in der Teßmann vorliegende Bestand ausreichend war. Da es sich 2012 um einen landesweiten Aufruf der Teßmann Bibliothek an alle Gemeinden Südtirols handelte, ist jedenfalls davon auszugehen, dass am Ende nur sehr wenige Bücher nicht eingesendet wurden. Deren Einfluss auf die feststellbaren Trends ist für die vorliegende Untersuchung folglich vernachlässigbar. Vgl. Bestand der Dorf-, Talschaften- und Gemeindebüchern. Nord-, Ost-, Südtirol und Trentino (Stand 01. 01. 2017), Südtiroler Landesarchiv (SLA). 862 Als die erste Ortschronik in deutscher Sprache überhaupt nennt Jutta Faehndrich eine Publikation aus dem Jahr 1904: Gild, Andreas (Hg.): Hessisches Heimatsbuch. Ein Lesebuch für jung und alt, Kassel 1904. Vgl. Faehndrich, Entstehung und Aufstieg des Heimatbuchs, S. 65. 863 Ebd., S. 65; Dies.: Eine endliche Geschichte, S. 65; Thomaschke, Abseits der Geschichte, S. 16. 864 Obwohl es aus dem Raum Südtirol durchaus auch Heimatbücher aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert gibt, bei welchen es sich allerdings nur um wenige, vereinzelte Publikationen handelt. Zu einem regelrechten Massenphänomen entwickelte sich das Genre freilich erst in den Jahrzehnten nach 1950.Vereinzelte Heimatbücher, welche vor 1950 geschrieben wurden, erschienen beispielsweise über die folgenden Gemeinden: Tschurtschenthaler, Paul: Brunecker Heimat-Buch, Bozen 1928; Enneberg in Geschichte und Gegenwart, 1912; Das Grödner Tal, 1914; Die »Hofmark« Innichen, 1908; Kühtai. Ein landesfürstlicher Jagdsitz im Gebirge, 1933. Vgl. Bestand der Dorf-, Talschaften- und Gemeindebüchern. Nord-, Ost-, Südtirol und Trentino (Stand 01. 01. 2017), SLA. 865 Mayr, Ober- und Niederrasen, 1951. 866 Stemberger, Hubert (Hg.): Brunecker Buch: Festschrift zur 700-Jahr Feier der Stadterhebung, Schlern-Schriften 152, Innsbruck 1956.
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chen, Latsch, Altendorf bei Kaltern, Gißmann am Ritten sowie aus Antholz vor.867 Ein quantitativer Wendepunkt an jährlichen Heimatbuchpublikationen markiert das Jahr 1979: Den Auftakt dazu machten zwei Veröffentlichungen aus Mühlbach und aus Badia, wobei es sich beim Letzteren um das erste auf Ladinisch geschriebene Gemeindebuch868 handelte.869 Mit der Ausnahme von 1982 erschien daraufhin bis 2012 mindestens ein Heimatbuch pro Jahr bzw. ab 1989 dann sogar deren zwei. Alles in allem sind in diesen Jahren vier große Publikationswellen auszumachen: Die Erste zwischen 1979 und 1991 mit insgesamt 28 Büchern, die Zweite von 1992 bis 2000 mit 39 Büchern, die Dritte von 2001 bis 2009 mit 31 Büchern und schließlich eine aktuelle Vierte von 2010 an mit bisher 15 Publikationen. Die meisten Heimatbücher in Südtirol wurden demnach während dem zweiten Hoch veröffentlicht: In gerade mal acht Jahren erschienen ganze 39 Ortsgeschichten, wobei allein neun davon im Rekordjahr 1998 auf dem Markt kamen.870 Nie zuvor wurde in Südtirol in etwas mehr als zwei Jahrzehnten dermaßen viel zur lokalen Kulturgeschichte gearbeitet und veröffentlicht. Diese nun seit 1979 andauernde »Ära der Dorfbücher«871 ist auf bestimmte politische und wirtschaftliche Entwicklungen bzw. Rahmenbedingungen in Italien und Europa zurückzuführen, die sich wesentlich auf die Kultur der Alpenprovinz ausgewirkt haben. Innenpolitisch dominierten in den ausgehenden Siebziger- und den gesamten Achtzigerjahren die seit dem verabschiedeten ›Paket‹ des Zweiten Autonomiestatuts vom 20. Januar 1972872 andauernden Gespräche mit Rom, wie die den Südtirolern zugesprochene Autonomie effektiv umzusetzen sei.873 Die schritt867 Baur, Johannes: Beiträge zur Heimatkunde von Taisten: ein Südtiroler Heimatbuch, Innsbruck 1969; Kühebacher, Egon: Die Hofmark Innichen: ein Heimatbuch für Einheimische und Gäste, Innichen 1969; Pegger, Hans: Aus der Chronik von Latsch und seinen umgebenden Pfarrgemeinden, Latsch 1971; Tröger, Anton: Geschichte, Land und Leute von Altenburg bei Kaltern: ein Beitrag zur Heimatgeschichte der Überetscher Gegend, Bozen 1972; Lantschner, Rudolf: Gissmann am Ritten: eine allgemeine Skizze, Neumarkt 1975; Müller, Hubert: Das Dorfbuch von Antholz, Bd. 1 & 2, Niederrasen 1976. 868 Das nächste ladinische Heimatbuch sollte erst wieder 2010 mit demjenigen der Ortschaft Mareo veröffentlicht werden. Vgl. Ellecosta, Lois: Mareo: Enneberg – Marebbe, St. Vigil in Enneberg 2010. 869 Hye, Franz Heinz (Hg.): Der alte Markt Mühlbach, Mühlbach 1979; Dapunt, Angel: Badia: paisc y cüra, San Martin de Tor 1979. 870 Für eine Übersicht über die einzelnen Bücher vgl. das Suchportal der Teßmann Bibliothek. http://digital.tessmann.it/tessmannDigital/ErweiterteSuche, aufgerufen am 06. 05. 2019. 871 Hillebrand, Leo: 30 Jahre Dorfbücher in Südtirol, in: Tiroler Chronist, Nr. 95, 2004, S. 30– 36, hier S. 30. 872 Steininger, Rolf: Südtirol im 20. Jahrhundert. Vom Leben und Überleben einer Minderheit, Wien 1997, S. 506–507. 873 Die Südtiroler Landesregierung verhandelte mit den Regierungsvertretern in Rom bis in die Neunzigerjahre hinein um den endgültigen Paketabschluss. Offiziell beendet wurde die
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weise ausgehandelten Freiräume der deutschen und ladinischen Sprachminderheiten stärkte schließlich deren kulturpolitisches Selbstbewusstsein.874 Öffentliche Ämter, wie das Kulturassessorat für Schule und Kultur, lieferten obendrein optimale Fördermöglichkeiten für deutsche Kulturprojekte südlich des Brenners. Namhafte Regionalpolitiker wie Landesrat Anton Zelger875, welcher das Assessorat von 1984 bis 1989 führte, oder dessen Nachfolger Bruno Hosp, der dieses bis 2003 leitete,876 nutzten hierzu mehrfach die Gelegenheit, um das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschsüdtiroler von ihrem Amt aus zu fördern.877 Somit entstand für neue Heimatbuchprojekte ein fruchtbarer Nährboden, wozu letztendlich auch das Tiroler Gedenkjahr von 1984 beitrug. Anlässlich dieses 175. Jubiläums des ›Tiroler Freiheitskampfes‹ glaubten besonders rechtsaußen stehende Parteien und Zivilorganisationen die ›Einheit‹ Tirols als
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Gespräche erst am 23. 11. 1991, als die SVP-Landesversammlung dazu ein offizielles Einverständnisschreiben veröffentliche und der damalige Ministerpräsidenten Giulio Andreotti daraufhin das Paket am 30. 1. 1992 als endgültig erfüllt deklarierte. Vgl. Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 542–543. Hillebrand, 30 Jahre Dorfbücher in Südtirol, S. 30; Grote, Georg: The South Tyrol Question, 1866–2010. From National Rage to Regionale State, Bern 2012, S. 114–116. Zelger als Leiter des Amtes für Schule und Kultur bot sich dank seiner ehemaligen Tätigkeit als Lehrer auch insofern für die Stärkung des deutschen ›Volkstums‹ in Südtirol an, da er seinem Beruf Ende der Dreißiger in der nationalsozialistischen Optantenschule in RufachAchern nachgegangen war. Vgl. Pallaver, Günther : Schlamm drüber, in: Südtirol – Stunde Null? Kriegsende 1945–1946, Hans Heiss/Gustav Pfeifer (Hg.), Innsbruck 2000, S. 256–281, hier S. 274. Abgeordnetenregister des Südtiroler Landtags, http://www.landtag-bz.org/de/datenban ken-sammlungen/archiv-abgeordnete-landtag.asp#z, aufgerufen am 06. 05. 2019. So war es für Zelger ausgesprochen wichtig, dass alle drei in Südtirol lebenden Sprachgruppen ihre »Identität« getrennt beibehalten- bzw. stärken sollten. In radikal kulturnationalistischem Ton wandte er sich bereits 1967 dezidiert gegen eine »Vermischung« der »Volksgruppen«: »Der Boden, dem unsere kulturellen Tätigkeiten entwachsen, ist das uns su¨ dlich des Brenners vom Herrgott zugewiesene Gebiet: zugewiesen zum Leben, zum Arbeiten, zum Schauen und Feiern, in Schönheit und Häßlichkeit, Armut und Reichtum. Träger dieses so abgegrenzten Kulturraumes sind die Menschen dieses Gebietes, unterteilt in drei Sprachgruppen: […]. All diese drei Sprachgruppen leben und arbeiten seit nun beinahe 50 Jahre nebeneinander, ja oft auch miteinander. Kulturell gesehen, entfalten sie ihre Tätigkeit ebenfalls nebeneinander. Und es ist gut so. Denn ein Kulturgemisch, eine sog. ›Su¨ dtiroler Kultur neuer Prägung‹ kann und darf es nicht geben, wenn die eingangs genannten Grundsätze anerkannt werden: es haben die drei Kulturen nebeneinander Platz, in ihren besonderen Ausdrucksformen, in ihrer Vielfalt von Bildern und Lebendigkeit an Gesten. Aufgabe des Staates kann es lediglich sein, die Freiheit der Kulturentwicklung aller drei Gruppen zu gewährleisten, ja gemäß der Verfassung, […], ›mit besonderen Maßnahmen‹ die sprachlichen Minderheiten zu schützen.« Vgl. Zelger, Anton: Kulturaufgabe Südtirols, in: Der Schlern. Illustrierte Monatshefte für Heimat- und Volkskunde, Festschrift »Haus der Kultur Walther von der Vogelweide«, 41. Jg., Heft 4–5, 1967, S. 264–267, hier S. 265.
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historisch legitimiert zu erkennen.878 Da ihnen die in Aussicht stehende Autonomie nicht weit genug ging, galt es bei der Gelegenheit die Selbstbestimmung unter dem Slogan ›Los von Rom‹ umso lauter zu propagieren.879 Heimatbücher als Medien der kulturhistorischen Identitätsbildung im Dienste eines »nationbuilding at provincial level«880 boten sich hierfür optimal an. Die zweite Publikationswelle, welche zu Beginn der Neunzigerjahre losbrach, wurde ferner durch bestimmte nationale sowie internationale Entwicklungen vorangetrieben und flankiert. Zum einen kam es damals zu einem Generationenwechsel in der Südtiroler Historikerzunft: Seit Mitte der Achtzigerjahre kehrten zahlreiche junge Universitätsabsolventen von ihrem Studium in Innsbruck zurück und begannen die Südtiroler Geschichte aufzuarbeiten, indem sie auf bereits veröffentlichte, kritische Werke wie diejenigen von Claus Gatterer881 oder Leopold Steurer882 zurückgreifen konnten.883 Somit wurde zwar ein gewisser Autorenmangel ausgeglichen, allerdings nicht nur durch die Rückkehr progressiver, kritischer Geister, sondern zugleich auch durch das Engagement von Vertretern der deutsch-nationalistischen Landesgeschichte. Zwischen 1985 und 1988 erschien dazu beispielsweise die vierbändige Geschichte des Landes Tirol: Ein ausgesprochen umfangreiches Werk, das jedoch nicht vielmehr als eine kulturnationalistische Gesamtschau auf die Vergangenheit ›Tirols‹ bot.884 Neben dem Athesia Verlag – dem ebenfalls die Dolomiten-Zeitung gehörte – trat dabei vor allem der ehemalige ›Bombenjahre‹-Aktivist Josef Fontana als Herausgeber auf, der damals einem dezidiert ideologischen Vergangenheitsbild
878 Ein solches Triumphgefühl griff auch im Jahr 2009 in der Region Südtirol um sich. Das 200. Anniversar der Tiroler Erhebung wurde in zahlreichen Südtiroler Gemeinden mit der Herausgabe eines Heimatbuchs oder einer sonstiger Gedenkschrift gefeiert. Vgl. Heiss, Hans: Annus semper mirabilis: Das 200. Anniversar der Tiroler Erhebung 1809, in: Südtirolismen. Erinnerungskulturen – Gegenwartsreflexionen – Zukunftsvisionen, Georg Grote und Barbara Siller (Hg.), Innsbruck 2011, S. 65–85, hier S. 73. 879 Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 522–523. 880 Heiss, Hans: Regionale Zeitgeschichten. Zur Differenzierung der zeithistorischen Forschung Tirols und Südtirols seit 1986, in: Nationalismus und Geschichtsschreibung, Arbeitsgruppe Regionalgeschichte Bozen (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 5 (1996), Heft 1& 2, S. 267–317, hier S. 286–287. 881 Gatterer, Claus: Im Kampf gegen Rom. Bürger, Minderheiten und Autonomien in Italien, Wien/Frankfurt a.M./Zürich 1968. 882 Steurer, Leopold: Südtirol zwischen Rom und Berlin 1919–1939, Diss., Wien/München/ Zürich 1980. 883 Heiss, Hans: Identität und Wissenschaft an der Grenze: Landes- und Regionalgeschichte in Tirol und Südtirol, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte, Klaus Neitmann (Hg.), 147. Jg., Potsdam 2011, S. 31–59, hier S. 50–52. 884 Fontana, Josef u. a. (Hg.): Geschichte des Landes Tirol, 4 Bde., Bozen-Innsbruck-Wien 1985–1988; Heiss, Regionale Zeitgeschichten, S. 281.
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anhaftete.885 Fontana schlossen sich anschließend nicht wenige Heimatbuchautoren an, um gemeinsam eine Art historiographischen Widerstand gegen die unbequemen Stimmen kritischer Zeithistoriker zu leisten.886 Gewiss entsprangen einige der in den Neunzigerjahren erschienenen Heimatbüchern diesem regionalen Aufruhr der Geschichtswissenschaft,887 ließ sich somit doch zumindest in der eigenen Dorfgemeinschaft das damals etablierte, kulturnationalistische Vergangenheitsbild weiterhin aufrechterhalten. Zum anderen trugen wiederum innenpolitische Entwicklungen zu einem regeren Kulturschaffen bei: So war es dem Gesetz für die Südtiroler Landesfinanzen vom 14. Dezember 1989 zu verdanken, dass Steuereinnahmen aus Südtirol und dem Trient nicht mehr von Rom aus per Ausgleichszahlungen in ärmere Landesregionen umverteilt wurden. Die Gelder konnten nun ganz gemäß den Wünschen der Landesregierung dort ausgegeben werden, wo sie es für angebracht hielt. Gemäß den Angaben des Südtiroler Statistikinstituts nahmen die Ausgaben für »Bildungswesen und kulturelle Angelegenheiten« zwischen 1988 und 1992 bei einem stetigen Wachstum von 94’602 Mil. Lire auf 177’093 Mil. Lire immerhin um ganze 87.2 Prozent zu.888 Somit wurden die Töpfe für öffentliche Kulturarbeiten angefüllt, womit sich nun auch finanzschwächere Gemeinden kostspielige Heimatbuchprojekte leisten konnten.889 Letztlich wurden Buchvorhaben nach 1989 aber ebenfalls dank der in diesem Jahr erfolgten Wahl von Alois Durnwalder zum Landeshauptmann bereitwillig unterstützt.890 Bis zu seinem Rücktritt von 2014 sollte sich der stets als besonders volksnah gebende Politiker vehement für ein starkes und selbstbewusstes Deutschsüdtirol einsetzen.891 Hinsichtlich der um das Alpinidenkmal in Bruneck sowie die Straßennamen in Bozen wiederausgebrochenen Geschichtsdebatten verwundert es nicht, dass 885 Dazu beispielsweise seine überaus lückenhaften Ausführungen zur ›Operationszone Alpenvorland‹ im vierten Band seiner »Geschichte des Landes Tirol«. Vgl. Parteli, Othmar: Geschichte des Landes Tirol. Die Zeit von 1918–1970, Bd. 4/1, Bozen 1988, S. 392–396. 886 Heiss, Identität und Wissenschaft an der Grenze, S. 52; Hillebrand, »Von bleibendem Wert«, S. 229. 887 Heiss, Regionale Zeitgeschichten, S. 278–280. 888 Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 541. 889 Vgl. Zweijährliche Rechnungsabschlüsse der Autonomen Provinz Bozen/Südtirol nach funktionellen Gesichtspunkten – 1988 bis 1992, in: Statistische Jahrbücher für Südtirol, Landesinstitut für Statistik der Autonomen Provinz Bozen/Südtirol (Hg.), Bozen 1990– 1993, Tab. 20.2. 890 Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 541; Grote, The South Tyrol Question, S. 134. 891 Ein Anliegen, welches er im Heimatbuch von Eppan beispielsweise wie folgt formulierte: »Das gemeinsame Erlebnis der Geschichte, […], wird das Zusammengehörigkeitsgefühl weiter stärken; es wird leichter gelingen, Verbindendes über Trennendes zu stellen und das Miteinander mit noch mehr Kraft und Begeisterung zu erfüllen.« Vgl. Mahlknecht, Bruno u. a. (Hg.): Eppan – Geschichte und Gegenwart: ein Gemeindebuch, Eppan 1990, S. 6.
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sich der 1994 in Rom erfolgte Machtwechsel ebenfalls in den Gemeinden Südtirols niederschlug. Immerhin wurden aufgrund der ersten Amtszeit Silvio Berlusconis und seines Mitte-Rechts-Bündnisses die »Grenzen des Sagbaren« hinsichtlich der schwarzen Vergangenheit des Bel Paese grundlegend »neu vermessen«892, wodurch in der Brennerregion die Sorge um die in den vergangenen Jahrzehnten abgerungene Autonomie gegenüber Rom erheblich zunahm.893 Entsprechend dürfte das Bedürfnis nach einer engagierten Kulturarbeit zugenommen haben, um mit einer solchen dem Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschsüdtiroler vor einem verstärkt nationalistisch auftretenden Staat Vorschub zu leisten. Somit ist es sicherlich nicht verkehrt, die zwischen 1997 und 1999 erschienenen 22 Heimatbücher auch als eine Reaktion auf den einige Jahre zuvor erfolgten Wiederausbruch kulturnationalistischer Grabenkämpfe in Südtirol zu verstehen. Zuletzt muss aber ebenfalls das sich mit dem Ende des Kalten Kriegs von 1989 öffnende, europäische Umfeld berücksichtigt werden: Der Bedeutungsverlust der Landesgrenzen und die neugegründete Europäische Union brachten es mit sich, dass Südtirol als Alpenregion über die Landesgrenzen hinweg emanzipierter auftreten konnte, erhielt es doch neben Rom einen neuen, deutlich nachsichtigeren Verhandlungspartner in Brüssel.894 Die multilaterale Neuorientierung führte allerdings nicht nur zu einem gesteigerten Selbstbewusstsein. In einigen Heimatbüchern ist auch von einer gewissen Verlustangst zu lesen, die angesichts einer als bedrohlich wahrgenommenen, europaweiten Mobilitätszunahme entstand: Damit in Frage stehende, existenzielle Orientierungspunkte, wie sie bis dahin durch angeblich geschlossene Dorfgemeinschaften als gegeben angenommen wurden, verlangten daher nach einem grundlegend neuen Verständnis kommunaler Gemeinschaft.895 So leitete beispielsweise Albert Kamelger sein Heimatbuch über Niederdorf von 1994 mit den folgenden warnenden Worten ein: »Die Technik und der ungeahnt schnelle wirtschaftliche Aufschwung, vorab in der Landwirtschaft und im Gewerbe, führen zur Ausbeutung und Strukturänderung in unserem Dorf, denen vieles bedenkenlos geopfert wurde, was unsere Vorfahren im Laufe der Jahrhunderte in mühevoller und harter Arbeit geschaffen haben. Die gegenwärtige Wohlstandsgesellschaft stellt das Erbe unserer Väter in Frage. Über den 892 Mattioli, Aram: Aram: »Viva Mussolini!« Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis, Pederborn-Zürich 2010, S. 18. 893 Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 547. 894 Grote, The South Tyrol Question, S. 121–136. 895 Di Michele, Andrea: Einleitung, in: An der Grenze. Sieben Orte des Durch- und Übergangs in Tirol, Südtirol und im Trentino aus historischer und ethnologischer Perspektive, Andrea Di Michele/Emanuela Renzetti/Ingo Schneider/Siglinde Clementi (Hg.), Bozen 2012, S. 7– 11, hier S. 7.
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›Ausverkauf der Heimat‹ täuschen wir uns mit einer kurzfristigen materiellen Entschädigung hinweg, und eine Folge davon, führt zum Verlust unserer eigenen Identität. Der Identitätsverlust ist der Totengräber von Sitte und Brauchtum, von Erbe und Heimatbewußtsein.«896
Solche Ängste verspürten freilich nicht nur vereinzelte, lokal orientierte Heimatbuchautoren. Es handelte sich durchaus um ein regional vorhandenes Anliegen, dass Gemeindebücher einem traditionalistischem Verständnis von ›Heimat‹897 entsprechen sollten, die durch den plötzlichen »Einbruch der Moderne«898 in geradezu existenzieller Gefahr schwebe.899 Entsprechend machte auch der Gemeindebuchautor Christoph Von Hartungen 1992 in einer Südtiroler Chronistenzeitschrift die düstere Prognose: »Der althergebrachte Typus ›Dorf‹ als überwiegend bäuerlich geprägte Gemeinschaft existiert (fast) nicht mehr. An seine Stelle trat ein oft von Bauexplosion, Verkehr, Tourismus, Pendlertum geprägtes Gemeinwesen, das bisweilen schon städtische Züge aufweist.«900
Die Bewohner der Südtiroler Gemeinden stünden demnach in Gefahr, sich orientierungs- und haltungslos von ihrer ursprünglichen Heimat zu verabschieden. Bücher, welche dem kommunalen Gedächtnis somit als Stütze dienten, könnten dagegen als ein ideales Antidot fungieren: »Als Gegenreaktion auf diesen als rasant empfundenen und verlaufenen Einbruch der Moderne wächst ein Bedürfnis nach Verortung und nach Übersichtlichkeit in einer als zunehmend ungeordnet angesehenen Zeit. Dafür bieten sich Bücher, welche die Vergangenheit eines Gemeinwesens, eines Dorfes zum Inhalt haben, gut an.« In den Worten Von Hartungens sollten Heimatbücher mithin: »Zusammengehörigkeitsgefühl und Heimatverbundenheit stärken, indem sie Geschlossenheit und Einzigartigkeit dieses Dorfes oder jener Gemeinde hervorheben.«901
896 Kamelger, Albert (Hg.): Niederdorf im Pustertal 994–1994. Tausend Jahre Geschichte, Niederdorf 1994, S. 2. 897 Hierzu die Funktion von ›Heimat‹ nach Jens Jäger : »Offenbar bildet Heimat einen Kristallisationspunkt von Identitätsprozessen, die angesichts von Modernisierung, Krisen und Globalisierung eine stabile Verortung des Individuums in einer komplexen und dennoch als überschaubar gedachten soziokulturellen und räumlichen Konstellation anboten und bis heute anbieten.« Vgl. Jäger, »Heimat«, S. 3. 898 Hillebrand, »Von bleibendem Wert«, S. 229. 899 Heiss, Regionale Zeitgeschichten, S. 290. 900 Von Hartungen, Christoph H.: Dorfbücher – kritische Bestandsaufnahme und Suche nach neuen Wegen, in: Tiroler Chronist, Nr. 49, 1992, S. 25–28, hier S. 25. 901 Ebd.
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Autoren- und Herausgeberschaften
Öffnet man das Heimatbuch von Latsch aus dem Jahr 1971, blickt einem auf einer Fotografie der Verfasser des Buches Hermann Pegger freundlich entgegen.902 Die Aufnahme eröffnet zusammen mit dem Grußwort des Autors sein Werk, welches er bereits in dritter Generation weitergeschrieben habe, wobei er die Aufzeichnungen seines Vaters und seines Großvaters903 nun als Festschrift neuauflege: »Anläßlich der 90 Jahre Markterhebung habe ich die Gelegenheit wahrgenommen, anhand der originalen und detaillierten Aufzeichnungen meines Großvaters Johann und meines Vaters Emil Pegger einen Rückblick zu geben, und in dieser Broschüre die übertragenen und unveränderten Texte zu veröffentlichen.«904
Wie weiter oben gezeigt wurde, reiht sich Peggers Arbeit genau in jene Heimatbücher ein, welche als intergenerationelle Projekte einer lokalen Geschichtstradition einen Beitrag an kulturelle Dorfgedächtnisse leisten möchten. Bemerkenswert erscheint dazu auch das Eigenportrait des Autors, welches ihn bei seiner Arbeit vor einem mit Büchern, Dokumenten und Fotoalben schwer beladenen Tisch zeigt. Das darunterliegende, weiße Tischtuch zusammen mit dem restlichen Interieur des Raumes, bestehend aus Holzstühlen, Eckbank, Lampe und schweren Stoffvorhängen, gibt den gemütlichen und warmen Anschein einer heimischen Stube wieder, in welcher sich Pegger während seiner Recherchen aufzuhalten scheint. Stolz und zugleich vergnügt schaut Pegger in die Kamera, wobei er zwischen einem Kruzifix zur Linken und einem Bild des altösterreichischen Doppeladlers zur Rechten Platz genommen hat. Der christliche Glaube sowie der historische Bezug zum alten Kronland Tirol dienen folglich als die beiden Referenzpunkte, in deren Zeichen Pegger sein Familienerbe in einem heimatlichen Umfeld fortführte und veröffentlichte. Genau diese Heimatverbundenheit ist es, vor deren Hintergrund Heimatbuchautoren ihr Werk generell präsentieren möchten. Entsprechend verstehen sie ihre Arbeit dezidiert nicht als literarisches Einzelprojekt, sondern vielmehr als ein öffentlicher Dienst für diejenige Gemeinde, mit welcher sie über Generationen hinweg verbunden sind. Mithin sollte an ihrem Werk auch die gesamte Dorfeinwohnerschaft teilhaben.905 Heimatbuchautoren verfolgen – im Gegensatz zum Wissenschaftler – demnach kein allgemeines Erkenntnisinteresse, aufgrund dessen sie sich einer bestimmten Region oder Ortschaft zuwenden. Das Interesse 902 Portraitaufnahme von Hermann Pegger, in: Pegger, Herrmann: Ein Beitrag zur Geschichte der Feier der Markterhebung in Latsch, Schlanders 1996, S. 5. 903 Pegger, Latsch, 1971. 904 Pegger, Latsch (1996), S. 5. 905 Thomaschke, Abseits der Geschichte, S. 39.
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an der Geschichte eines Dorfes geht bei ihnen aus einer lokalpatriotischen Verbundenheit hervor, von welcher ausgehend sie ihr Buchprojekt in Angriff nehmen.906 Deren Schriften sind somit als direkt aus der Dorfgemeinschaft heraus entstandene – sozusagen endogene – Erzählungen zu verstehen, die sich primär an das sie umgebende, kommunale Kollektiv richten, als dessen Dienstleister sie sich schließlich anbieten. Thomaschke schreibt diesbezüglich über Heimatbücher aus Deutschland: »Die Entstehung von Ortschroniken und Heimatbüchern setzt folglich ein besonderes Nahverhältnis von Autor, Gegenstand und Leserschaft voraus; ein Verständnis, das unter der Prämisse des Mitlebens und Mitgestaltens steht. Chronikautoren sind mit ihrem Forschungsbereich existentiell verwoben. Sie haben den Ort, dessen Geschichte sie schreiben, meist selbst aktiv mitgestaltet, beispielsweise als Pfarrer, Lehrer, ehemaliger Bürgermeister, Landwirt oder Verein.«907
Die Feststellung Thomaschkes lässt sich insofern auf Südtirol übertragen, als auch hier Vertreter solcher Berufszweige immer wieder als Einzelverfasser von Heimatbüchern auftraten. Es handelt sich dabei um eine Art »Erzähler-Elite«908 »gebildeter Laien«909, die nicht selten eine akademische Ausbildung genossen und beispielsweise als Historiker910, Theologen911 oder kommunale Beamte912 einen Beitrag an ihre Heimatgemeinde leisten wollten. Deren Bildungshintergrund wird indes nicht immer direkt erkennbar : Oftmals verzichten sie mit dem Argument, durch eine leichtere Zugänglichkeit eine breitere Leserschaft zu erreichen, auf einen wissenschaftlichen Apparat in ihren Büchern. So verpassen viele Ortschronisten den Anschluss an aktuelle Forschungsdebatten oder machen die unmittelbaren Bezüge darauf nicht explizit erkennbar.913 Mehr als an der Lektüre und Aufnahme der neusten Forschungsliteratur ist ihnen daran gelegen, die Geschichte ihres Dorfes ihrer Ansicht nach bzw. im ›Interesse‹ ihrer Mitbürger adäquat darzustellen. 906 907 908 909 910
Thomaschke, Abseits der Geschichte, S. 28. Ebd., S. 29. Sannwald, Erinnerungskultur vor Ort, S. 347. Beer, Das Heimatbuch als Schriftenklasse, S. 17. Beispielsweise das Heimatbuch von Girlan, das vom Südtiroler Landeshistoriker Prof. Dr. Karl Heinz Zani geschrieben wurde: Zani, Karl Heinz: 200 Jahre Pfarrei Girlan: ein Dorfbuch und Quellenwerk, Girlan 1987. 911 Hierzu z. B. die beiden Heimatbücher von Brenner und Frangart, welche jeweils vom dortigen Gemeindepfarrer verfasst wurden: Trenkwalder, Alois: Brenner: Bergdorf und Alpenpaß, Brenner 1999; Schraffl, Georg: Frangart. Das Dorf an Etsch und Weinstraße, Bozen 2008. 912 So war es beispielsweise der ehemalige Bürgermeister von Schluderns, der 2011 ein Heimatbuch seiner Gemeinde veröffentlichte: Klotz, Kristian: Dorfbuch Schluderns, Lana 2011. 913 Thomaschke, Abseits der Geschichte, S. 49.
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Der Bezug zur deutsch-österreichischen Kultur, der von Pegger mittels symbolischer Heraldik suggeriert wird, zeigt sich ferner auch in der bevorzugten Sprache der Südtiroler Heimatbücher : So liegen von den über hundert verzeichneten Publikationen des Teßmann-Bestands gerade zehn auf Italienisch914, sechs in deutsch-italienischer Doppelfassung915 sowie zwei auf Ladinisch916 vor. Nur bei den wenigsten handelt es sich dabei um eigenständige Arbeiten.917 In den überwiegenden Fällen wurden ursprünglich auf Deutsch geschriebene Schriften zur Erst- oder Zweitveröffentlichung ins Italienische oder Ladinische übersetzt.918 Somit handelt es sich bei den Südtiroler Heimatbüchern zweifellos um ein kulturspezifisches Ausdrucksmittel der Deutschsüdtiroler. Neben den bereits erwähnten Gründen gilt es hierzu sicherlich auch zu beachten, dass die Dorfgemeinden am Fuße des Brenners überwiegend deutschsprachig sind, während sich die italienischsprachige Bevölkerungsmehrheit auf die größeren Städte wie Bozen oder Meran aufteilt.919 Werden demnach in kleineren Ortschaften Heimatbücher geschrieben und veröffentlicht, erscheint es sinnvoll, dass diese in der dortigen Mehrheitssprache verfasst werden. Eine Vielzahl der Südtiroler Gemeindebücher wurde indes nicht gänzlich von Einzelautoren verfasst und veröffentlicht.920 Nicht selten publizierten ganze 914 Die folgenden Gemeinden veröffentlichten bisher Heimatbücher mit italienischer Ortsbezeichnung: Brunico (1988), Castelrotto und Siusi (1983), Chiusa (2009), Egna (1997), Lagundo (2005), Laives (1998), Lana (1990), Sesto (2000), Stelvio (1997) und Vadena (1991). Vgl. http://digital.tessmann.it/tessmannDigital/ErweiterteSuche, aufgerufen am 06. 05. 2019. 915 Bisher zweisprachig sind erschienen: Branzoll (1994), Brenner (1997), Dobbiaco / Toblach (1997), Franzenfeste (1998), Proveis (1999) und Vadena / Pfatten (2011). Vgl. http://digital. tessmann.it/tessmannDigital/ErweiterteSuche, aufgerufen am 06. 05. 2019. 916 Die einzigen beiden Ladinischen Heimatbücher wurden in Badia (1979) und Mareo (2010) veröffentlicht. Vgl. http://digital.tessmann.it/tessmannDigital/ErweiterteSuche, aufgerufen am 06. 05.2019. 917 Das erste auf Italienisch geschriebene Heimatbuch erschien erst 1988 in Bruneck: Pellizzari, Marco: Brunico: passato, presente e dintorni, Spinea 1988. 918 Beispielsweise erschienen die Heimatbücher von Neumarkt (ital. Egna, 1997), Lana (1990), Algund (ital. Lagundo, 2005), Kastelruht (ital. Catselrotto, 1983) von Beginn an in zwei der drei Südtiroler Landessprachen. Ursprünglich auf Italienisch geschrieben, wurde das Heimatbuch von Sesto (2000). Zwei Jahre später lag dieses dann aber auch in Deutsch vor (Sexten, 2002). Vgl. http://digital.tessmann.it/tessmannDigital/ErweiterteSuche, aufgerufen am 06. 05. 2019. 919 Vgl. Landesinsitut für Statistik (Abt. 8): Volkszählung 2011, Berechnung des Bestandes der drei Sprachgruppen in der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol, Astatinfo, Nr. 38, Juni 2012, Tab. 2, S. 6–7 & Tab. 3, S. 8. 920 Die meisten monographischen Heimatbücher wurden in den Jahren vor 1980 verfasst. Danach nahm die Anzahl an Sammelbänden stetig zu. Als Buchveröffentlichungen, welche nach 1980 noch von Einzelautoren geschrieben und publiziert wurden, können beispielsweise die von Laurein (1983) oder diejenige von Hafling (1998) genannt werden. Vgl. Ungerer, Hubert: Laurein am Deutschnonsberg, Bozen 1983; Werther, Trude: Hafling: Geschichte und Geschichten eines Bergdorfes, Hafling 1998.
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Autorenkollektive und Herausgeberschaften voluminöse Sammelbände, wobei sie verschiedene Themen- und Aufgabenbereiche jeweils untereinander aufteilten.921 Obschon einzelne solche Kollektivwerke schon relativ früh erschienen922, wurden die meisten davon erst nach dem Ende der Siebzigerjahre veröffentlicht. Den Beginn hierzu markiert das 1979 erschienene Heimatbuch aus Mühlbach.923 Offiziell in Auftrag gegeben wurde es von der dortigen Schützenkompanie, wobei sich der Lokalverein darin zugleich als Eigentümer, Herausgeber sowie als Verleger vorstellt. Als Hauptautor wird darin Franz Heinz Hye genannt, während neun verschiedene Koautoren einzelne Beiträge beigesteuert haben. Im Mühlbacher Buch zeigen sich somit erstmals vier verschiedene Aufgabenbereiche, die sich bei einer im Kollektiv verfassten Dorfgeschichte ergeben können: Beteiligt daran waren demnach eine Herausgeberschaft, ein Verleger sowie mehrere Mitautoren unter der Aufsicht eines eigentlichen Hauptautors. In den Jahren danach sollten sich in weiteren Sammelbänden anderer Gemeinden dann noch zusätzliche Funktionen herausbilden. Zu nennen sind hier beispielsweise Koordinatoren für inhaltliche Vorgaben und Richtlinien, Redaktionsausschüsse sowie Organisatoren, welche um einen möglichst reibungslosen Projektablauf bemüht sein sollten.924 Aufgrund einer derart komplexen Organisationsstruktur etablierte sich während der ersten großen Heimatbuchkonjunktur der Achtzigerjahre eine Gruppe eigentlicher Heimatbuchspezialisten, die entsprechend ihrer Expertise bei zahlreichen Sammelbänden mitwirkten.925 Ob sie selber dabei den Gemeinden, über welche sie gerade schrieben, entstammten oder angehörten, war für ihre Mitarbeit nicht ausschlaggebend. Gewissermaßen von Ortschaft zu Ortschaft ziehend, beteiligten sie sich an den jeweiligen Projekten bzw. koor921 Besonders umfangreich ist das in zwei Bänden veröffentlichte Heimatbuch von Terenten. Während sich der zweite Band auf 600 Seiten ausschließlich mit Straßennamen beschäftigt, umfasst der erste Band aufgrund der Mitarbeit von 15 Autoren ganze 1238 Seiten. Vgl. Engl, Jakob/Bildungsausschuss Terenten (Hg.): Terenten. Bd. 1: Ein Dorf erzählt, Terenten 1998 & Bd. 2: Höfe, Häuser, Menschen, Terenten 1998. 922 Stemberger, Bruneck, 1956. 923 Hye, Mühlbach, 1979. 924 Hillebrand, »Von bleibendem Wert«, S. 233. 925 Während in den späten 80er- bis in die frühen 2010er-Jahre Autoren wie beispielsweise Bruno Mahlknecht, Josef Fontana, Leo Andergassen, Hans Nothdurfter, Ernst Delmonego oder Christoph von Hartungen in bis zu fünf Büchern einzelne – teilweise auch mehrere – Kapitel beigesteuert haben, so stechen zwei Mitautoren besonders deutlich hervor: Egon Kühebacher sowie der erste Direktor des Südtiroler Landesarchivs Josef Nössing. Kühebacher beteiligte sich nach seiner ersten Monographie zur Gemeinde Innichen von 1969 für die nächsten 43 Jahre an insgesamt zehn Gemeindebüchern, während Nössing in einem erheblich kürzeren Zeitraum an beinahe gleich vielen Heimatbuchprojekten mitschrieb. Einzelbeiträge des Landesarchivars sind zwischen 1983 und 2001 in gesamthaft sieben Sammelbänden einzelner Ortschaften vorhanden. Vgl. http://digital.tessmann.it/tessmann Digital/ErweiterteSuche, aufgerufen am 06. 05. 2019.
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dinierten oder organisierten diese. Deren reges Schaffen führte nach 1979 schließlich zu einem regionalen Netzwerk der Südtiroler Dorfgeschichtsschreibung.926 Augenfällig wird dieses Netzwerk unter anderem durch den Blick in die Grußworte und Widmungen der zahlreichen Sammelbände: Oftmals noch vor dem Vorwort und dem Inhaltsverzeichnis stehend, gratulierten darin nicht nur die örtlichen Bürgermeister, Lehrer oder Geistlichen zum veröffentlichten Buch, sondern nach 1990 auch namhafte Regionalpolitiker. In den Widmungen zahlreicher Heimatbücher traten dabei namentlich Durnwalder und Bruno Hosp927 hervor, welche unmittelbar nach ihrem Amtsantritt Ende der Achtzigerjahre erstmals derartige, kulturpolitische Gütesiegel verfassten.928 Nicht nur als Vertreter der Südtiroler Landesregierung, sondern gerade auch als Fürsprecher deutschregionaler Vereine und Parteien wie der Südtiroler Schützen und der SVP,929 wird deren funktioneller Anspruch an die Südtiroler Heimatbücher somit klar erkennbar. Beispielsweise weisen die beiden dem Heimatbuch von Wiesen-Pfitsch die folgende identitätsstiftende Funktion zu: »Mit dem Gemeindebuch Wiesen Pfitsch liegt nun ein weiteres Schatzkästchen Südtiroler Heimatgeschichte vor. […] Es ist Teil jener unverzichtbaren Identitätsforschung, welcher wir als Minderheit auf dem Gebiet einer anderssprachigen Mehrheitsbevölkerung besonderen Wert beimessen müssen.«930
Der hier formulierte, kulturfördernde Auftrag der »Identitätsforschung« geht folglich weit über die einzelnen Gemeindegrenzen hinaus und war letztendlich an das Selbstbewusstsein aller deutschsprachigen Südtiroler adressiert. Nicht nur in den Ortschaften im Speziellen sollte sich also eine bereitwillige Leserschaft für die eigene ›Heimatgeschichte‹ finden lassen: Vielmehr galt es durch sie
926 Zwei wichtige regionale Plattformen, auf denen sich Südtiroler Lokalhistoriker bis heute austauschen und vernetzten, sind die Zeitschriften Der Tiroler Chronist, der vierteljährlich seit 1980 erscheint oder auch Der Schlern, welcher schon seit 1920 allmonatlich neue Hefte herausbringt. 927 Nach dem Rücktritt Hosps übernahm die Landesrätin für deutsche Kultur, Familie und Denkmalpflege Sabina Kasslatter Mur neben Durnwalder ab 2004 die Aufgabe, als offizielle Regierungsvertreterin derartige Geleitworte zu verfassen. Ihre erste Widmung findet sich im Heimatbuch von Gossensaß. Vgl. Marktgemeinde Brenner (Hg.): Heimatbuch Gossensaß und Pflersch mit den Weilern Giggelberg und Pontigl, Brixen 2004. 928 Zwischen 1990 und 2012 verfasste Durnwalder für 14 Heimatbücher eine Widmung. Hosp schrieb von 1992 bis 2001 in einem etwas kürzeren Zeitraum insgesamt sieben Grußworte. 929 Durnwalder sowie Hosp amteten nicht nur für die SVP in der Landesregierung. Beide waren ebenfalls führende Mitglieder des Südtiroler Schützenbundes. Ihre Grußworte sind somit indirekt auch als Aussagen dieses deutsch-nationalistischen Kulturvereins zu verstehen. 930 »Geleitwort«, in: Campei-Klapfer, Maria Luise: Gemeindebuch Wiesen Pfitsch, Wiesen 1998.
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einen Beitrag an das kulturelle Gedächtnis Südtirols im Allgemeinen zu leisten.931
Aufbau und Inhalte historischer Narrative Bis hierhin wurde der Frage nachgegangen, zu welchem Zweck Heimatbücher im Südtirol der Nachkriegszeit von wem verfasst und veröffentlich wurden. Als nächstes sind die darin erzählten Geschichten narratologisch932 zu analysieren: Die Prämissen, Inhalte, Leerstellen und historischen Ursprünge der Südtiroler Heimatbücher zeigen auf, wie die hiesige Landesgeschichte auf kommunaler Ebene jeweils verfasst wurde.933 Der Stellenwert, welcher dem Faschismus sowie davon ausgehend auch dem Abessinienkrieg in den unterschiedlichen Erzählweisen zukam, lässt sich somit entschlüsseln.
Prämissen der Heimatgeschichtsschreibung Die Ausgangslage von in Gemeindebüchern geschildeter Lokalgeschichte verleiht ihrem Forschungsgegenstand eine grundlegende Disposition, welche den Fort- und Ausgang solcher Erzählungen schon im Voraus wesentlich mitbeeinflusst: Nimmt sich eine Autorenschaft hiernach vor, einer bestimmten Dorfvergangenheit nachzugehen und diese aufzuschreiben, wird bereits zu Beginn davon ausgegangen, dass die betreffende Ortschaft grundsätzlich über 931 Die mit Heimatbüchern erhoffte, gesamtregionale Wirkungskraft zu Gunsten des kulturellen Zusammenhalt Deutschsüdtirols, zeigt sich ebenfalls in den für sie gesprochenen Geldern. Wurden sie bis zum Ende der Achtziger weitgehend noch von der Gemeinde oder dem Autor selbstfinanziert, treten ab den Neunzigerjahren regionale Banken wie die Südtiroler Raiffeisenkasse oder die Kulturförderung der Landesregierung als bereitwillige Spender auf. Das erste von der Raiffeisenkasse geförderte Heimatbuchprojekt erschien 1988 in Vilpian. Vier Jahre darauf wird sodann im Umschlag des Gemeindebuchs von Freienfeld erstmals offiziell der staatlichen Kulturförderung gedankt. Als Gönner wird hierbei die Abteilung für Kultur der Südtiroler Landesregierung genannt. Vgl. Pichler, Walter : 700 Jahre Vilpian: ein Dorf erzählt seine Geschichte, Terlan 1988; Gemeinde Freienfeld (Hg.): Freienfeld: Trens, Stilfes, Mauls, Fraktionen, Freienfeld 1992. 932 Saupe, Achim/Wiedemann, Felix: Narration und Narratologie. Erzähltheorien in der Geschichtswissenschaft, Version 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 28. 01. 2015, S. 10–11. 933 Dabei ist ebenfalls darauf zu achten, wie die Südtiroler Dorfgeschichtsschreibung bisher auf Entwicklungen der regionalen sowie nationalen Historiographie reagierte und mit diesen demnach in Relation steht. Für dieses erinnerungskulturelle Interaktionsmodell zwischen kommunalen, regionalen und nationalen Erinnerungsräumen vgl. Schmid, Harald: Regionale Gedächtnisräume, in: Gedächtnisräume. Geschichtsbilder und Erinnerungskulturen in Norddeutschland, Formen der Erinnerung Bd. 56, Janina Fuge/Rainer Hering/Harald Schmid (Hg.), Göttingen 2014,S. 33–43, hier S. 40–41.
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eine ihr eigene ›Geschichte‹ verfügt. Diese reicht entsprechend zurück bis in die frühsten Tage dokumentarischer Erstnennung und wird davon ausgehend innerhalb einer historischen Kontinuität erzählbar. Thomaschke erkennt diesbezüglich eine »ununterbrochenen Linie«, welche die »zusammenhängende Geschichte eines Ortes« konstituiere: »[…] eine Zeitlinie, die relativ gleichförmig und relativ unabhängig von allen historischen Brüchen verläuft.« Demgegenüber weist Tomaschke historische Zäsuren einer »allgemeinen Geschichte« zu, die »demnach auf einer anderen, wechsel- und sprunghaften Zeitlinie«934 zu verorten ist. Die dadurch angenommene, ortsgeschichtliche Kontinuität wird allerdings stellenweise unterbrochen, sobald die externalisierte, übergeordnete Nationalund Landesgeschichte in den Alltag des lokalen Gemeindelebens eingreift. Gerade hier zeigt sich die Differenz jener beiden historischen Ebenen besonders markant: Wird die Heimatgeschichte von den politischen Geschehnissen, welche sozusagen von außen her über sie hineinbrechen, überlagert, setzt sie für diesen Zeitraum aus, um daraufhin wieder an den zurückliegenden Geschehnissen anzuknüpfen.935 Thomaschke beschreibt das Zusammenwirken dieser beiden historiographischen Dimensionen wie folgt: »Je stärker die Politisierung des Dorflebens, desto deutlicher treten in der OrtschronikHistoriografie zwei Ebenen auseinander : die Ebene einer zeitbedingten, politisierten Oberfläche und die Ebene einer dauerhaften, jedoch unterdrückten oder sogar zeitweilig aufgehobenen wesenhaften Ortsgeschichte.«936
Der von oben herab verlaufende Einschnitt in die Ortsgeschichte kann nach Thomaschke mit dem Prinzip der Kontext-Kaskade beschrieben werden: Damit gemeint ist das ›Herab-Fließen‹ der Staatsgeschichte auf lokale Gegebenheiten, wobei die heimatliche Gemeinde als passiver Empfänger externer, politischer Umwälzungen erscheint.937 Ähnlich versinnbildlichen lässt sich dies zudem mit dem Verständnis von Geschichte als eine von außen hereinbrechende Umweltkatastrophe, die zeitweise und gewissermaßen aus dem Nichts über ein Dorf hinüberzieht und mit Aussicht auf bessere Zeiten durchzuhalten ist.938 Wie ein Erdbeben, welches das Dorf geradezu einem »idyllischen« Schlaf entriss, wird hierzu beispielsweise die Geschichte von 1848 bis 1949 in einer Festschrift zur 700-Jahre-Feier Brunecks beschrieben: »Bruneck erlebte in den letzten hundert Jahren seit 1848 schwere äußere Umwälzungen und Erschütterungen in seiner Verbundenheit mit dem eigenen Tale und Lande, so daß 934 935 936 937 938
Thomaschke, Abseits der Geschichte, S. 53. Ebd., S. 106–107. Ebd., S. 107. Ebd., S. 112–113. Ebd., S. 102–103.
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es in seiner mehr idyllischen Abseitigkeit und geruhsamen Entwicklung von sieben Jahrhunderten Fernerstehenden [sic] fast wie plötzlich wachgerüttelt vorkommt.«939
Jegliche Eigenverantwortung für die historischen Ereignisse dieser turbulenten, beinahe 100-jährigen Zeitspanne wird diesen Zeilen gemäß abgelehnt. Die Dorfbewohner standen der von außen kommenden Geschichte demnach als isolierte Gemeinschaft lange Zeit fern und wurden sozusagen unfreiwillig in deren Sog hineingerissen. »Die Heimat konnte leiden, aber selbst kein Leid zufügen. Sie konnte falsch behandelt werden, aber selbst nicht falsch handeln«940, schreibt der amerikanische Historiker Alon Confino bezüglich der Nachkriegserinnerung im westdeutschen Sprachraum passend dazu. Einerseits fungieren Heimatbücher somit als zentrale Medien der Vergangenheitsbewältigung, wobei hintergründig stets ein gewisser Verdrängungsmechanismus mitwirkt, dem die Autoren bzw. deren Leserschaft gerade gegenüber einer traumatischen Vergangenheit bedürfen: Reicht die Narration bisweilen bis in die Ur- und Frühgeschichte zurück, von wo aus sich sodann ein durchgehender Erzählstrang der Ortsentstehung entfaltet, gelingt es den Blick von der jüngsten Ereignissen folglich abzuwenden. Sie erscheint somit nur als eine kurze Episode in einer ungleich längeren, von Selbsterhaltung durchzogenen Geschichte der Dorfbevölkerung.941 Exemplarisch dafür steht das bereits erwähnte, in den frühen Nachkriegsjahren erschienene Heimatbuch von Oberund Niederrasen. Der Blick in das dortige Inhaltsverzeichnis verrät rasch, dass in diesem die historischen Ereignisse vor allem von der Burgen-, Kirchen-, Häuser- sowie Schulgeschichte ausgehen.942 Nur ein einzelnes Kapitel mit der Überschrift ›Kriegszeiten‹ erzählt über die Landesverteidigung gegen französische Truppen von 1809. Als stolze und wehrhafte Krieger werden darin der Südtiroler »Landessturm« sowie einzelne Märtyrer genannt, welche sich heldenhaft gegen den von außen einfallenden Feind zur Wehr gesetzt hätten.943 Das 20. Jahrhundert wird indes kaum behandelt: Von den beiden Weltkriegen werden ausschließlich Opfer und Vermisste aufgezählt944, während weder von der faschistischen noch von der nationalsozialistischen Herrschaftszeit etwas zu lesen ist. Die eigentliche Geschichte des Dorfes erfährt hier einen markanten 939 Stemberger, Bruneck, S. 251. 940 Confino, Alon: »This lovely country you will never forget«. Kriegserinnerungen und Heimatkonzepte in der westdeutschen Nachkriegszeit, in: Das Erbe der Provinz. Heimatkultur und Geschichtspolitik nach 1945, Habbo Knoch (Hg.), Veröffentlichungen des Arbeitskreises Geschichte des Landes Niedersachsen (nach 1945), Bd. 18, Göttingen 2001, S. 235– 252, hier S. 243–244. 941 Thomaschke, Abseits der Geschichte, S. 56. 942 Mayr, Ober- und Niederrasen, S. 96. 943 Ebd., S. 76–79. 944 Ebd., S. 79–85.
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Unterbruch: Als ob dem Autor die Worte gefehlt haben, um die jüngste Vergangenheit in seinem Buch direkt zur Sprache zu bringen. Andererseits erzeugen Heimatbücher aber auch eine geschichtliche, nur von kurzzeitigen Unterbrüchen gekennzeichnete Kontinuität ihrer Gemeinde, um sich damit gegen historische Strukturwandel standhaft zu zeigen: Gerade unsichere Zeiten verlangen nach einem solchen Widerstand, kann aus diesem schließlich Kraft für eine zuversichtliche Zukunftsperspektive geschöpft werden.945 Genau hiervon kündet beispielsweise das Heimatbuch von Sexten, mit dem programmatischen Untertitel »Vom Bergbauerndorf zur Tourismusgemeinde«: Trotz des nachhaltigen Wandels, der die Ortschaft in der Vergangenheit hiernach erfahren hat, suggeriert die weitreichende Zeitspanne dennoch eine bis in die Gegenwart – und darüber hinaus – verlaufende ›Geschichte‹ der Gemeinde Sexten.946 Ein Narrativ, welches grundsätzlich der Prämisse einer tiefliegenden, historischen Kontinuität bedarf.
Inhaltliche Entwicklung des Südtiroler Heimatbuchkanons Das Buch über Ober- und Niederrasen von 1951 steht allerdings nicht für sich alleine, sondern markierte den Anfang eines in den Gemeindebüchern der ersten drei Nachkriegsjahrzehnte stets wiederkehrenden Themenrepertoires. So verfügen die nachfolgenden Veröffentlichungen zu Bruneck947, Taisten948 und Latsch949 inhaltlich über einen ähnlichen Aufbau. Gemäß einer Analyse des Südtiroler Historikers Leo Hillebrand lässt sich dieser grundsätzlich in zwei Ebenen unterteilen: Einerseits eine diachrone mit historischen Inhalten wie Urund Frühgeschichte; der Geschichte von Burgen, Schlössern und sakralen Bauten mit der dazugehörigen Kirchen- und Adelsgeschichte; allgemeinen Abhandlungen über das Mittelalter und die Frühe Neuzeit; einer Schulgeschichte; Schilderungen vergangener Kriege bis ins frühe 19. Jahrhundert; der Erzählung überlieferter Mythen und Sagen; einer Höfe- und Häusergeschichte sowie schließlich auch dem Leben bekannter Persönlichkeiten aus der Gemeinde. Andererseits steht demgegenüber eine synchrone Ebene mit zeitunabhängigen bzw. gegenwartsbezogenen Themenfeldern. Dazu gehören Beschreibungen der das Dorf umgebenden Flora und Fauna; geologische Erläuterungen; Ausführungen zum Wirtschaftsleben mit Angaben zum lokalen Handwerk, zu den Märkten, zur Land- und Forstwirtschaft oder auch zur Jagd; 945 946 947 948 949
Thomaschke, Abseits der Geschichte, S. 61; Applegate, A Nation of Provincials, S. 6. Holzer, Rudolf: Sexten: vom Bergbauerndorf zur Tourismusgemeinde, Lana 2002. Stemberger, Bruneck, 1956. Baur, Taisten, 1969. Pegger, Latsch, 1971.
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die Schilderung von Bräuchen und Festen der Dorfgemeinschaft sowie letztlich eine Liste kommunaler Organisationen und Vereine wie beispielsweise der Feuerwehr oder des Gesangsvereins.950 Die Ursprünge dieses für Südtiroler Heimatbücher spezifischen Kernkanons951 sind indes bereits in der Zwischenkriegszeit zu verzeichnen und wurden von den Heimatbuchautoren nach 1945 neu aufgenommen und weiter ausgebaut. Entsprechend macht bereits der Blick in das 1928 veröffentlichte Heimatbuch von Paul Tschurtschenthaler über Bruneck eine klare Konzentration auf das Mittelalter und die Frühe Neuzeit deutlich.952 Die prekären Umstände der faschistischen Herrschaftszeit, unter welchen das Buch erschienen ist, werden darin nirgends angesprochen.953 Gewiss eine Darstellungsweise, welche auch den Autoren der unmittelbaren Nachkriegszeit zu Gute kam, um damit das Bild einer standhaften Heimatgemeinde entgegen externer ›Gefahren‹ aufrechtzuerhalten.954 Zum ersten Mal erweitert wurde der Kernkanon 1976 im Heimatbuch von Antholz.955 Der Autor Hubert Müller berücksichtigte darin zwar durchaus die Themen des bisherigen Themenrepertoires, allerdings setzte er sich mit diesen einiges akribischer auseinander, als dies bis dahin in anderen Dorfgeschichten unternommen worden war. Innerhalb von zwei Bänden mit 53 Kapiteln auf insgesamt 349 Seiten entsteht folglich der Eindruck, dass Müller alles über seine Gemeinde niederschreiben wollte, was ihm dazu an Informationen in die Hände gelangte. Müller ließ dem Gedächtnis seiner Gemeinde demnach freien Lauf, womit die daraus resultierenden Ausführungen vor allem als persönlicher Ausdruck eines Bedürfnisses nach einer selbstständigen, durchwegs lokalen Dorfgeschichte verstanden werden können. Verstärkt wird diese Annahme dadurch, dass Müller sein Buch eigenständig publizierte und bis heute keine offizielle Verlagsversion vorliegt, sondern lediglich der ursprünglich auf Schreibmaschine eingetippte Text. Ferner treten keine regionalen Vereine oder Institutionen als Auftraggeber auf, sodass das Buch aus Antholz tatsächlich ganz der Eigeninitiative 950 Hillebrand, »Von bleibendem Wert«, S. 229. 951 Ein Begriff, unter dem Faehndrich den einheitlichen, inhaltlichen Aufbau, der von ihr betrachteten Heimatbücher zusammenfasst. Dieser kann folglich aber auch für das Südtirol angewendet werden. Vgl. Faehndrich, Entstehung und Aufstieg des Heimatbuchs, S. 74. 952 Tschurtschenthaler, Bruneck, 1928. 953 Was neben den etwaigen Absichten des Autors natürlich auch wegen der damals rigiden Zensurtätigkeit des faschistischen Staates kaum denkbar gewesen wäre. 954 Nicht von ungefähr widmete das spätere Gemeindebuch von Bruneck Tschurtschenthaler ein eigenes Kapitel, um ihn darin als eine herausragende kulturelle und politische Persönlichkeit der Stadt- und Landesgeschichte zu ehren. Entsprechend wird er darin als zutiefst heimatverbundener Autor gepriesen, »der sein altes, holdes und heimeliges Städtlein aus Bischofszeiten, sein Oberpustertal und bald das ganze, reiche und weite Südtirol im Auge fest und im Herzen hochhielt.« Vgl. Stemberger, Bruneck, S. 249. 955 Müller, Antholz, 1976.
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seines Autors entsprungen zu sein scheint. Nicht zuletzt zeigt sich diese Eigeninitiative auch in der Themenwahl: So erweitert Müller den Kernkanon um gleich vier Kapitel: »Kriegszeiten«; »Feldzüge gegen Italien 1848/49, 1859,1866«; »Der erste Weltkrieg 1914–1918«; »Der Zweite Weltkrieg« sowie »Die Option – Schicksal der Umsiedler (S. 234–254)«.956 Müller ließ sich somit als einer der ersten Südtiroler Autoren nicht von den traumatischen Kapiteln der jüngeren Vergangenheit abschrecken, sodass er beispielsweise gerade über die beiden Weltkriege ausführlicher berichtete als dies bis dahin in den unkommentierten Listen von Kriegsgefallenen anderer Ortschaften üblich gewesen war. Müllers Arbeit zur Geschichte von Antholz stand aber lange Zeit für sich alleine. Neue Inhalte fanden nur zögerlich Eingang in den Kernkanon der Südtiroler Heimatbücher. Erst zu Beginn der Achtzigerjahre erschienen zwei weitere Publikationen, die zeitgeschichtliche Themen mitberücksichtigten: Die erste aus der Gemeinde Vintl von 1981 sowie die zweite aus Kastelruth von 1983.957 Den dortigen Ausführungen zum 20. Jahrhundert kam jedoch nach wie vor nur ein marginaler Stellenwert zu: Der Neueren und Neusten Geschichte Vintls wird innerhalb eines großen Eröffnungskapitels auf 42 Seiten zwar durchaus Rechnung getragen. Zu lesen ist darin aber vornehmlich von der »Südtiroler Landesverteidigung« gegen die Franzosen von 1797 bis 1809. Danach springt der Autor direkt zum Ersten und zum Zweiten Weltkrieg. Hier werden wiederum ausschließlich Gefallene und Vermisste aufgelistet sowie die Jahre nach 1945 kurz auf neun Seiten abgehandelt. Das Buch aus Kastelruth beinhaltet dafür durchaus eine »Chronik« für die Jahre 1928 bis 1952, die sich auf insgesamt sieben Seiten erstreckt. Es handelt sich dabei allerdings um ein Extrakapitel mit der Überschrift »Vom alten zum neuen Kastelruth«, welches außerhalb des Kapitels »Aus der Geschichte« steht. Beide Bücher führten den Ansatz des Heimatbuches aus Antholz somit zwar weiter, wobei das problematisierte 20. Jahrhundert freilich noch keinen Eingang in die eigentliche ›Geschichte‹ der beiden Gemeinden fand. Der historiographische Schwerpunkt lag folglich weiterhin auf dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Nichtsdestotrotz weiteten die beiden Bücher aus Vintl und Kastelruth den ursprünglichen Kernkanon weiter aus, so dass im Verlaufe der Achtziger- und Neunzigerjahre andere Autoren weiter daran anknüpfen konnten. Deren Lesart der jüngeren Dorfvergangenheit verblieb allerdings selektiv und stark voreingenommen: So wird die Zeit bis und mit dem Zweiten Weltkrieg als ausge-
956 Müller, Antholz, S. 234–257. 957 Gruber, Vintl, 1981; Nössing, Josef: Gemeinde Kastelruth: Vergangenheit und Gegenwart. Ein Gemeindebuch zum 100-Jahr-Jubiläum der Erstnennung der Orte Seis und Kastelruth, Kastelruth 1983.
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sprochen düster und leidvoll beschrieben.958 Dementsprechend verteilen sich die einzelnen Themengebiete: Wird das 20. Jahrhundert behandelt, so dominieren darin deutlich der Erste Weltkrieg, die faschistische Herrschaftszeit, die ›Option‹959 sowie der Zweite Weltkrieg.960 In einigen Heimatbüchern endet die Gemeindegeschichte allerdings auch abrupt mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, nachdem die Zeit davor bis weit zurück in die Ur- und Frühgeschichte mit ausgewählten Schlaglichtern umso genauer geschildert wurde.961 Ausgehend von der Darstellungsweise des letzten Jahrhunderts in den Dorfgeschichten von Vintl und Kastelruth stand die Epoche jedenfalls schon von Beginn an im Zeichen einer eigentlichen Leidensgeschichte. Inwiefern spätere Heimatbuchautoren diese Erzwählweise der opferreichen Vergangenheit Südtirols aufnahmen und ausgestalteten, soll zwar erst an späterer Stelle ausführlich besprochen werden.962 Hier ist aber bereits vorwegzunehmen, dass die Dorfgemeinschaft darin grundsätzlich als passiver Empfänger auftritt, anstatt als an den Ereignissen aktiv beteiligter Akteur. Thomaschkes Prinzip der KontextKaskade entsprechend, stößt ihr die von ›außen‹ kommende Geschichte mithin unverschuldet zu.963 Somit stellen sich die Südtiroler Heimatbücher der Nach958 Beispielsweise werden dazu die Schlüsselereignisse des 20. Jahrhunderts im Gemeindebuch von Kaltern am See innerhalb von acht Kapiteln geschildert: Beginnt die Erzählung mit dramatischen Überschriften wie »Der Tod an der Ostfront«, »Credere, obbedire, combattere«, »Kaum Brot zum Essen«, »Die versuchte Italianisierung«, »Die Kalterer optieren« oder »Der mörderische Zweite Weltkrieg«, so erhält sie für die Zeit nach 1945 einen weitaus zuversichtlicheren Tonfall wie z. B. »Vereine sprießen wie Pilze«. Somit wird bereits im Inhaltskapitel der Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft nach- bzw. trotz traumatischer Zeiten impliziert. Vgl. Dissertori, Arnold: Kaltern am See, Inhaltsverzeichnis, Bozen 1989. 959 Obwohl es sich bei der ›Option‹ bis in die späten Achtzigerjahre um ein eigentliches Tabuthema handelte. Da diese die Deutschsüdtiroler in ›Dableiber‹ und ›Optanten‹ spaltete und es nach dem Krieg die Einheit des Südtiroler ›Deutschtums‹ als gestärkte Front gegen Italien zu beschwören galt. Erst die Ausstellung ›Option – Heimat – Opzioni‹ von 1989 bis 1990 veranlasste die Südtiroler dazu, sich fortan wieder vermehrt mit diesem Thema auseinanderzusetzen. In den Heimatbüchern finden sich somit besonders nach 1989 regelmäßig Einträge zu diesem Kapitel der jüngeren Südtiroler Geschichte. Vgl. Verdorfer, Martha: Individuelles und kollektives Nachkriegsgedächtnis, in: Südtirol – Stunde Null? Kriegsende 1945–1946, Hans Heiss/Gustav Pfeifer (Hg.), Innsbruck 2000, S. 296–311, hier S. 303; Heiss, Regionale Zeitgeschichten, S. 291–294. 960 Vgl. http://digital.tessmann.it/tessmannDigital/ErweiterteSuche, aufgerufen am 06. 05. 2019. 961 So beispielsweise in: Wachtler, Michael: Prags: Garten Eden, Bozen 2005. 962 Vgl. Kap. »Eine Erzählung vom Faschismus«, S. 233–242. 963 Eine Sichtweise auf die Vergangenheit, die zwar angesichts der faschistischen Politik der Italianisierung im besetzten Südtirol nicht grundsätzlich falsch ist. Allerdings bereitet die einseitig überbetonte Opferschaft einem äußerst undifferenzierten (und politisierten) Geschichtsverständnis den Weg, gab es doch während des italienischen Faschismus sowie auch während des deutschen Nationalsozialismus in beiden Sprachgruppen Leidtragende und Kollaborateure sowie auch Profiteure und Täter. Martha Verdorfer spricht hier von einer »widersprüchlichen Gleichzeitigkeit von Zustimmung, Anpassung und Resistenz
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kriegszeit eindeutig in den Dienst des deutschen Kulturnationalismus: Die Geschichten einzelner Ortschaften werden hierfür ausschließlich von einer traumatischen Opfersemantik aus erzählt,964 hinter der die Agenda einer auf Wiedergutmachung bedachten Identitätspolitik steht.965 Nach etwaigen Mittäterschaften wird prinzipiell nie gefragt. Freilich übernahmen bei langem nicht alle Heimatbuchautoren den seit anfangs der Achtzigerjahre um die Zeitgeschichte erweiterten Kernkanon. Noch zu Beginn der Neunzigerjahre war das Verhältnis zwischen den ›klassischen‹ Heimatbüchern und solchen, die sich auch der jüngeren Historie zuwandten, in etwa ausgeglichen. In den Folgejahren setzten sich einige Ortchronisten dann aber vermehrt auch mit den umstrittenen Geschichtskapiteln ihrer Gemeinden auseinander. 2012 überwogen Heimatbücher, die sich unter anderem der Zeitgeschichte zuwenden, schließlich gegenüber denjenigen, welche sich nach wie vor dem noch aus der Vorkriegszeit herstammenden Kernkanon verpflichtet fühlen.966
Bisherige Leerstellen des Südtiroler Heimatbuchkanons Trotz dieser zunehmenden Themenvielfalt der Heimatbücher werden einige Kapitel der Südtiroler Vergangenheit freilich nach wie vor nur selten angesprochen oder komplett ausgelassen. Angefangen bei der Ur- und Frühgeschichte lässt sich beispielsweise feststellen, dass die Expansion des Römischen Reiches bis hin zum Alpenbogen im letzten vorchristlichen Jahrhundert967 bei-
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gegenüber beiden Regimen«, die im damaligen Alltagsleben Südtirols auszumachen ist. Ein kritisches Geschichtsbild muss diese Ambivalenz unbedingt mitberücksichtigen. Andernfalls wird das Leiden der wahren Opfer der beiden Gewaltregime (z. B. Juden und Euthanasieopfer) wohl nie gebührend anerkannt. Vgl. Verdorfer, Individuelles und kollektives Nachkriegsgedächtnis, S. 302 sowie S. 304. Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit, S. 72–74. Diese Opfersemantik wurde später dankbar von deutsch-nationalistischen Organisationen aufgenommen, um in durch sie mitgetragene, kulturnationalistische Debatten Eingang zu finden. Im ersten Kapitel über das Alpinidenkmal ging dies beispielsweise aus der Stellungnahme der Schützen zum Alpinidenkmal in der ›Schützen-Akte‹ von 2008 hervor. Vgl. Kap. »Von der Intensivierung der Denkmaldebatte zur kritischen Auseinandersetzung: 1985–2012«, S. 105–125; Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006, S. 79–81. Betrachtet man die Inhalte der Südtiroler Heimatbücher zurück bis zum Antholzer Buch von 1976, so lässt sich die Bilanz ziehen, dass sich 56 Bücher verschiedenen Aspekten der Zeitgeschichte annahmen, während in 49 Veröffentlichungen darauf verzichtet wurde. Vgl. http://digital.tessmann.it/tessmannDigital/ErweiterteSuche, aufgerufen am 06. 05. 2019. Demetz, Stefan: Zur Eingliederung des Bozner Raumes in das Imperium Romanum, in: Archäologie der Römerzeit in Südtirol. Beiträge zur Forschung, Lorenzo Dal Ri/Stefano di Stefano (Hg.), Bozen-Wien 2002, S. 28–46, hier S. 42.
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nahe nie explizit thematisiert wird.968 Zumal es sich hierbei um einen sehr frühen und langanhaltenden kulturellen Einfluss der antiken Großmacht auf das Gebiet südlich des Brenners handelte, liegt hier ein Kapitel der älteren Vergangenheit vor, das die Wurzeln der deutschen Sprache und Kultur in Südtirol grundsätzlich nicht offenzulegen vermag.969 Autoren, die vor allem um den Zusammenhalt des ›Deutschtums‹ in Südtirol bemüht sind, zeigen für diese Epoche deshalb kaum Interesse. Entsprechend war es 1988 auch der italienische Korrespondent des Alto Adige Marco Pellizzari in Bruneck, der die römische Geschichte erstmals als einzelnes Kapitel in sein Heimatbuch aufnahm.970 Weitere Leerstellen bestehen im Bereich der Sozialgeschichte: Hier würden beispielsweise ortsinterne Fehden, Kriminalität, soziale Ausgrenzung, geschlechterspezifische Ungleichheiten oder häusliche Gewalt dem Bild einer behüteten, vom harmonischen Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft geprägten Heimatgeschichte widersprechen. Folglich hat sich die Südtiroler Kommunalgeschichtsschreibung solch dunklen Aspekten des Gemeindelebens bislang kaum zugewendet.971 Des Weiteren werden auch die italienischsprachigen Dorfbewohner in den Gemeindebüchern nirgends erwähnt. Deren erfolgreiche Integration in die überwiegend deutschsprachigen Ortschaften vor, während 968 Die Ausnahmen hierzu bilden Veröffentlichungen zu: Bruneck (1988), Mölten (1990), Pfatten bzw. Vadena (1991), Freienfeld (1992), Stelvio (1997), Barbian (2003), Algund (2005), Enneberg bzw. Mareo (2010), Pfalzen (2010), Sterzing (2010), Schluderns (2011), Gröden bzw. Selva Gardena (2012). Vgl. http://digital.tessmann.it/tessmannDigital/Erwei terteSuche, aufgerufen am 06. 05. 2019. 969 Wobei die politisch-ideologische Vereinnahmung der Ur- und Frühgeschichte des Raumes Südtirols kein neues Phänomen der Nachkriegszeit darstellt: Sollten Ausgrabungen in den Dreißigerjahren auf Geheiß des Bozner Präfekten Mastromattei hin die Präsenz des antiken Römischen Reiches südlich des Brenners propagieren; so war es zwischen 1943 und 1945 die Kulturkommission ›SS-Ahnenerbe‹, die anhand archäologischer Funde die dortige Präsenz eines überlegenen ›Germanentums‹ unter Beweis stellen wollte. Vgl. Lunz, Reimo: Sebatum. Die römischen Fundmünzen aus den Jahren 1938–1940, in: Archäologie der Römerzeit in Südtirol. Beiträge zur Forschung, Lorenzo Dal Ri/Stefano di Stefano (Hg.), Bozen-Wien 2002, S. 782–840, hier S. 785; Pollak, Marianne: Archäologische Denkmalpflege zur NS-Zeit in Österreich. Kommentierte Regesten für die Ostmark, Wien/Köln/ Weimar 2015, S. 293–299; Lun, Margareth: NS-Herrschaft in Südtirol. Die Operationszone Alpenvorland 1943–1945, Innsbruck 2004, S. 227–230. 970 Siehe die biographischen Angaben zum Autor im hinteren Klappentext von: Pellizzari, Brunico, 1988. 971 Gewiss gibt es dazu auch vereinzelte Ausnahmen: So wird beispielsweise im Dorfbuch von Rodeneck ausführlich über die wirtschaftliche Not der Zwischenkriegszeit und die damit einhergehende Kriminalität innerhalb der Gemeinde berichtet. Die Motive der genannten Verbrechen werden allerdings sämtlich äußeren Umständen zugeschrieben – im Fall von Rodeneck ebenjener wirtschaftlichen Krisenzeit der späten Zwanzigerjahre, welche die Dorfbewohner angeblich zu Verzweiflungstaten wie Einbrüche oder Raubüberfälle zwang. Vgl. Rastner, Alois (Hg.): Heimatbuch Rodeneck: Geschichte und Gegenwart, Brixen 1986, S. 100–101.
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und nach dem Ventennio nero würde die angebliche Geschlossenheit der Deutschsüdtiroler wohl ebenfalls in Frage stellen. Eine seltene Ausnahme bildet hierzu das Buch von Neumarkt: Nicht nur gibt es darin jeweils ein Kapitel zur deutschen- und zur italienischen Vereinsgeschichte. Es handelt sich zudem auch um eine der wenigen zweisprachigen Veröffentlichungen.972 Genauso vernachlässigt werden die beiden Jahre nationalsozialistischer Herrschaftszeit in Südtirol von 1943 bis 1945. Die damals stattgefundene, grundsätzlich bereitwillige Kooperation mit der NS-Macht wird entweder komplett ausgelassen oder auffallend unterkomplex dargestellt.973 Nur etwa 15 Heimatbücher haben sich der Zeit der ›Operationszone Alpenvorland‹ bisher in einem separaten Kapitel angenommen. Neun davon wurden erst zwischen 2002 und 2012 veröffentlicht.974 Aber selbst noch in diesen erzählt beispielsweise Josef Fontana davon, dass Gauleiter Franz Hofer als »überzeugter Gesamttiroler« die Brennerregion nach den chaotischen Jahren faschistischer Herrschaft wieder ordentlich und konsequent zweisprachig verwaltet habe, woran sich das »nachfaschistische Italien« ein Beispiel hätte nehmen sollen.975 Des Weiteren sei es der NS-Kulturkommission zu verdanken, dass das von ihr geförderte »deutsche« Brauchtum das Selbstvertrauen der Südtiroler nach 1943 wieder gestärkt habe.976 Von der menschenverachtenden Ideologie des Nationalsozialismus, die in Südtirol auf einen überaus fruchtbaren Boden stieß und zahlreiche Menschenleben forderte, möchte Fontana freilich nichts wissen.977 Gewiss liefen solche Erzählungen dem Bild einer traumatischen Opferrolle zuwider ; drängten sich dadurch doch unangenehme Forderungen nach einem noch offenstehenden, historischen Schuldspruch auf. Etwas differenzierter äußerte sich 2007 dagegen die Heimatbuchautorin von Latsch, Katharina Lamprecht, zu den unter 972 Gritsch, Helmut (Hg.): Neumarkt an der Etsch, Neumarkt 1997; Ders. (Hg.): Egna: Alto Adige – Sudtirolo nel passato e nel presente, Neumarkt 1997. 973 Wedekind, Michael: Nationalsozialistische Besatzungs- und Annexionspolitik in Norditalien 1943 bis 1945. Die Operationszonen »Alpenvorland« und »Adriatisches Küstenland«, München 2003, S. 408–409; Lun, NS-Herrschaft in Südtirol, S. 55 sowie S. 264. 974 Lüsen (1988), Vilpian (1988), Gsieser Tal (1997), Hafling (1998), Ahrntal (1999), Wiesen Pfitsch (1998), Schenna (2002), Algund (2005), Truden (2005), Altrei (2006), Latsch (2007), Reischach (2007), Schlanders (2010), St. Andrä (2010), Wolkenstein bzw. Selva Gardena (2012). Vgl. http://digital.tessmann.it/tessmannDigital/ErweiterteSuche, aufgerufen am 06. 05. 2019. 975 Fontana, Josef: Zeitgeschichte, in: Truden, Michael Pernter (Hg.), Lana 2005, S. 285–383, hier S. 338–339. 976 Ebd. S. 344–346. 977 Diese Leerstelle findet sich in den Südtiroler Heimatbüchern generell. So ist in diesen praktisch auch nichts vom Holocaust zu lesen. Eine seltene Ausnahme dazu bildet das Heimatbuch von Vilpian aus dem Jahr 1988, wo von insgesamt 25 Meranern die Rede ist, welche nach 1943 deportiert- und in Ausschwitz ermordet wurden. Vgl. Pichler, 700 Jahre Vilpian, S. 67.
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dem Nationalsozialismus begangenen Euthanasieverbrechen. Allerdings muss Lamprecht am Ende einräumen, dass über solche Gräueltaten in Latsch kaum Näheres bekannt sei, da ihre Mitbürger über derartige Themen noch immer nicht sprechen wollten.978 Unweigerlich träte damit eine Kluft zwischen Täterund Opfergedächtnis an den Tag, vor welcher die vom Kulturnationalismus gepredigte Einheit des ›Deutschtums‹ letztendlich zerfiele.979 Selbstgerechte Schweigegebote versperren historischen Schuldbekenntnissen in Südtirol sonach vielerorts den Weg.980 Aus selbigem Grund ist in den Heimatbüchern bis heute nur wenig Kritisches über die unmittelbaren Nachkriegsjahrzehnte zu lesen. Für diese Zeit dominieren vor allem Erzählungen der wirtschaftlichen Prosperität, des zunehmenden Tourismus oder des Ausbaus des Verkehrsnetzes. Hingegen werden die turbulenten ›Südtiroler Bombenjahre‹ bisher nur im Inhaltsverzeichnis des Buches der Gemeinde Frangart beim Namen genannt.981 Wohl wieder ein tabuisiertes Kapitel der jüngsten Regionalgeschichte,982 welches – wenn überhaupt – erst mit der sicheren Distanz einiger Jahrzehnte einen festen Platz im bisherigen Heimatbuchkanon finden wird.983 Nicht umsonst schreibt Von Hartungen bei einer kritischen Bestandsaufnahme der Südtiroler Heimatbücher bezüglich der Zeitgeschichte: »An ihrem Stellenwert und an ihrer Darstellung lassen sich Absichten und Courage der Herausgeber ermessen; denn wie oft heißt es denn bei der Abschlußredaktion: Es gibt Dinge, die einfach nicht geschrieben werden können (dürfen?).«984
Ursprünge historiographischer Narrative Auch wenn Heimatbuchautoren auf Literaturangaben überwiegend verzichten, lässt deren Inhaltswahl trotzdem erkennen, an welcher Geschichtsschule sie sich in etwa orientieren. Der dabei von ihnen verwendete inhaltliche Kanon korrespondierte oftmals mit dem aktuellen Erkenntnisstand der Südtiroler Histo978 979 980 981 982 983
Lamprecht, Katharina: Latsch im 20. Jahrhundert, in: Gritsch, Latsch, S. 400. Pallaver, Schlamm drüber, S. 263–264. Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit, S. 82. Schraffl, Frangart, S. 42–45. Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 489. Hierzu sind jedoch wiederum vereinzelte Ausnahamen auszumachen. Wenig überraschend bemühte sich auch bei dieser Thematik Josef Fontana als einer der ersten Heimatbuchautoren darum, die konfliktreiche Geschichte der Nachkriegsjahrzehnte seinem kulturnationalistischen Vergangenheitsbild anzugleichen: beispielsweise im Heimatbuch von Truden. Vgl. Fontana, Josef: Zeitgeschichte, in: Truden, Michael Pernter (Hg.), Lana 2005, S. 285–383, hier S. 348–370. 984 Von Hartungen, Dorfbücher, S. 26.
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riographie. Neue Forschungsimpulse wurden dabei sowohl bereitwillig angenommen, als zeitweise auch dezidiert abgelehnt. Schon die Heimatbücher der frühen Nachkriegszeit waren demnach auf bereits vorhandene Übersichtswerke angewiesen, insofern sie als eigenständige Publikationen die Inhalte ihrer Vorgängerschriften aus der Vor- und Zwischenkriegszeit nicht einfach kopieren wollten. Die hierfür verwendbare TirolerGeschichtsschreibung aus der Feder professioneller Landeshistoriker reichte bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Die ersten Arbeiten dazu sind vom Schulinspektor Josef Egger sowie vom Landtagsabgeordneten und späteren Geschichtsprofessor Josef Hirn vorgelegt worden. Letzterer vertrat eine stark konservative und volksnah orientierte Geschichtsschreibung, während Ersterer einer damals liberalen Historiographie nahestand. Deutlich wurde dies in einem dreibändigen Werk, das zwischen 1872 und 1880 der Arbeit Eggers entsprang, womit er die Tiroler-Geschichte erstmals gesamthaft darzustellen versuchte.985 Hirn handelte dafür einige Jahre später die Tiroler Erhebung von 1809 ab, womit er das Feld für den bis heute wirkmächtigen Mythos um den ›Freiheitskämpfer‹ Andreas Hofers bestellte.986 Unterstützt wurden deren beiden Arbeiten zudem von Werken des Benediktinermönchs, späteren Landtagsabgeordneten und Direktors des Wiener Instituts für Österreichisches Geschichtsforschung Albert Jäger. Um während dem Ende des Vormärz und der Revolution von 1848 einerseits dem zentralistischem Druck Wiens zu widerstehen sowie dem italienischen Risorgimento andererseits das Bild eines wehrhaften Tirols entgegenzuhalten, war Jäger an einer stark nationalistischen Landeshistorie gelegen. Hierzu kam ihm das Heldennarrativ eines Andreas Hofers ideal entgegen, sodass Jäger damit einhergehend das Land Tirol als eine eigenständige Region beschrieb, bewohnt von einem zwar einfachen, dafür arbeitsamen und kriegstüchtigen Bergbauernvolk.987 Als angeblicher Beweis führte Jäger hierzu namentlich das aus dem Landlibell von 1511 hervorgegangene Milizsystem ins Feld, welches die Wehrbereitschaft Tirols schon in frühen Zeiten bewiesen habe.988 Der Mythos der Tiroler als ein alpines Kriegervolk fand seine Wurzeln 985 Egger, Josef: Geschichte Tirols von den ältesten Zeiten bis in die Neuzeit, 3 Bde., Innsbruck 1872–1880. 986 Hirn, Josef: Tirols Erhebung im Jahr 1809, Innsbruck 1909. 987 Heiss, Identität und Wissenschaft an der Grenze, S. 37–39. 988 Eine politisch folgenschwere und sich hartnäckig haltende Geschichtsauslegung: so nennt der 1958 gegründete Südtiroler Schützenbund noch heute in seinen Statuten die Aufgabe vom »Schutz der Heimat und der Tiroler Lebens- und Wesensart«. Womit Jägers Interpretation des Landlibells hintergründig immer noch mitschwingt und zugleich auch das militante und kulturnationalistische Selbstverständnis dieses regionalen Folklorevereins unmissverständlich hervortritt. Mithin lässt sich davon auch die Funktion einiger Heimatbücher ableiten, insofern diese von lokalen Schützenkompanien herausgegeben wurden (z. B. dasjenige aus Vintl von 1981): sollten sie demnach Zeugnis über die »Tiroler
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somit in den Erzählungen von Hirn und Jäger, wobei besonders das Mittelalter und die Frühe Neuzeit als die entscheidenden Epochen hervortraten.989 Erst nach dem Ersten Weltkrieg knüpfte daran die nächste Historikergeneration an, welche die Geschichte ›Tirols‹ anschließend bis in die Zeit des Nationalsozialismus hinein für sich vereinnahmte. Federführend war hier die an der Universität Innsbruck betriebene Lehre und Forschung, durch welche es neben Österreich auch das Südtirol in einen deutschnationalen ›Kulturraum‹ einzugliedern galt.990 Namentlich Hermann Wopfner991 – ein ehemaliger Schüler Hirns – nahm sich an seinem Lehrstuhl zusammen mit Otto Stolz dieser Aufgabe an,992 wobei wiederum das Mittelalter als politische Projektionsfläche diente.993
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Lebens- und Wesensart« ablegen. Vgl. Statuten des Südtiroler Schützenbundes, Paragraph 2/Punkt 2, Bozen 1. Juni 2002, https://schuetzen.com/organisation/ssb/statuten/, aufgerufen am 06. 05. 2019. Das Mittelalter wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert allerdings in weiten Teilen Europas instrumentalisiert. Der Mythos eines wehrhaften Bauernstandes, der seine alpine Heimat gegen Feinde von außen verteidigt, kam dabei ebenfalls in anderen Alpenländern wie beispielsweise der Schweiz gesellschaftspolitisch zum Tragen. Auch die Eidgenossenschaft beschwor mittels nationaler Feiertage mittelalterliche Mythen eines heimatverbundenen und kriegstüchtigen Bergvolkes, dass sich gegen missgünstige Großmächte stets siegreich zur Wehr gesetzt habe. Eine solche Nationalfeier fand in der Schweiz 1886 beim 500-Jahr Jubiläum der Schlacht von Sempach statt. Der angebliche Freiheitskamp um Winkelriet diente dazu, um einerseits über innenpolitische Differenzen der Bundesstaatsbildung hinweg nationale Einheit zu predigen. Andererseits sollte damit aber auch im Klima des Kulturkampfes sowie der Industrialisierung und deren politischen Bewegungen wie dem Sozialismus Stärke demonstriert werden. Vgl. Marchal, Guy P.: Medievalism. The Politics of Memory and Swiss National Identity, in: The Uses of Middle Ages in Modern European States. History, Nationhood and the Search of Origins, Ders./Robert J.W. Evans (Hg.), Basingstoke 2011, S. 197–221, hier S. 208–210. Stolz, Otto: Land und Volk von Tirol im Werden des eigenen Bewußtseins und im Urteil älterer Zeitgenossen, in: Tiroler Heimat. Beiträge zu ihrer Kenntnis und Wertung, Nr. 3/4, Innsbruck 1923, S. 5–39; Wopfner, Hermann: Von der Ehre und Freiheit des Tiroler Bauernstandes. Von der Freiheit des Landes Tirol, 1. Teil, Innsbruck 1934. Zur Biographie sowie zum Gesamtwerk Hermann Wopfners siehe: Meixner, Wolfgang/ Siegl, Gerhard: »Hermann Wopfner«, in: Handbuch der völkischen Wissenschaften. Akteure, Netzwerke, Forschungsprogramme, Bd. 1: Biographien, Michael Fahlbusch u. a. (Hg.), 2. Aufl., Berlin/Boston 2017, S. 913–919. Cole, Laurence: Fern von Europa? Zu den Eigentümlichkeiten Tiroler Geschichtsschreibung, in: Nationalismus und Geschichtsschreibung, Arbeitsgruppe Regionalgeschichte Bozen (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 5 (1996), Heft 1& 2, S. 191–227, hier S. 198–205; Oberkrome, Willi: Volksgeschichte. Methodische Innovation und völkische Ideologisierung in der deutschen Geschichtswissenschaft 1918–1945, Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 101, Helmut Berding, Jürgen Kocka und Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Göttingen 1993, S. 37–38. Cole, Fern von Europa?, S. 204–205; Als Quelle hierzu auch ein Urkundenwerk von Stolz aus der Zwischenkriegszeit, worin er die Verbreitung sowie den Erhalt der deutschen »Volksart« in Südtirol historisch zu verteidigen versuchte. Vgl. Stolz, Otto: Die Ausbreitung des Deutschtums in Südtirol im Lichte der Urkunden, Institut für Sozialforschung in den Alpenländern a. d. Universität Innsbruck (Hg.), Bd. 1, München/Berlin 1927, S. 8.
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In diesem Sinne verurteilten die beiden Autoren schon in ihren ersten Arbeiten der frühen Zwanzigerjahre die Abtrennung Südtirols vom ehemaligen Kronland als ein klares »historisches Unrecht«.994 Wohl nicht zuletzt auch deswegen, weil Wopfner im Ersten Weltkrieg seine akademische Laufbahn unterbrochen hatte, um als Offizier in der k.k. Armee zu dienen und der Streitfrage um die Zugehörigkeit Südtirols emotional entsprechend nahestand.995 Später erhielt die Argumentation der beiden Landeshistoriker durch die konstante Überbetonung von Konzepten wie der »Einheit Tirols«, der »Einheit der Geschichte«, des »Volkstums und seiner eigenartigen Kultur«996 sowie des »Kampfes« um die »Wahrung tirolerischer Selbständigkeit in der Nachkriegszeit«997 definitiv das Siegel nationalsozialistischen Gedankenguts.998 Zudem galt es auch der erhofften Wiedervereinigung einen ideologischen Boden zu bereiten. Bereits 1921 äußerte Wopfner hierzu in der Erstausgabe der unter anderem von ihm und Stolz gegründeten Zeitschrift Tiroler Heimat die folgende Erwartungshaltung: »Die Treue unserer Brüder im Reich wird aber umso gefestigter sein, je stärker die Überzeugung sich durchsetzt, daß Südtirol seit vielen Jahrhunderten deutscher Boden ist und zum unveräußerbaren deutschen Besitz gehört.«999
Viel deutlicher lässt sich die deutsch-nationalistische Instrumentalisierung von Geschichte gewiss nicht formulieren.1000 Dieses völkische Geschichtsnarrativ, welches fieberhaft die historischen Wurzeln des Südtiroler ›Deutschtums‹ freizulegen versuchte, erfuhr in der Nachkriegszeit freilich keinen Abbruch. Altgediente Historiker wie Wopfner und Stolz wurden dabei tatkräftig von ehemaligen Schülern unterstützt: Allen voran der Bozner Historiker Franz Huter, der zusammen mit Wopfner schon 1942 in der vom NS-Regime eingesetzten ›Alpenländischen Forschungsgemeinschaft‹ den Spuren des ›Germanentums‹ im Alpenbogen nachgegangen war.1001 Von Innsbruck aus forschte das ideolo994 Schennach, Martin Paul: Der wehrhafte Tiroler. Zur Entstehung, Wandlung und Funktion eines Mythos, in: Region in Waffen, Oswald Überegger/Camillo Zadra (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 14 (2005), Heft 2, S. 81–113, hier S. 100; Meixner/Siegl, »Hermann Wopfner«, S. 913. 995 Meixner/Siegl, »Hermann Wopfner«, S. 913; Oberkrome, Volksgeschichte, S. 37. 996 Wopfner, Hermann: Vorwort, in: Tiroler Heimat, Nr. 1, Innsbruck 1921, S. 3. 997 Wopfner, Von der Ehre und Freiheit des Tiroler Bauernstandes, S. 186. 998 Wildt, Michael: »Volksgemeinschaft«, Version 1.0, in: Docupedia-Zeigeschichte, 03. 06. 2014, S. 4. 999 Wopfner, Vorwort, S. 3. 1000 Götz, Norbert: »Volksgemeinschaft«, in: Handbuch der völkischen Wissenschaften. Akteure Netzwerke, Forschungsprogramme, Bd. 2: Forschungskonzepte – Institutionen – Organisationen – Zeitschriften, Michael Fahlbusch u. a. (Hg.), 2. Aufl., Berlin/Boston 2017, S. 1268–1278, hier S. 1269; Oberkrome, Volksgeschichte, S. 37. 1001 Heiss, Identität und Wissenschaft, S. 42; Meixner/Siegl, »Hermann Wopfner«, S. 915; Wedekind, Michael: »Alpenländische Forschungsgemeinschaft«, in: Handbuch der völ-
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gische Dreigespann demnach nach 1945 ungestört – wenn auch im Ton einiges zurückhaltender – weiter. Seine Leserschaft jenseits des Brenners erreichte es dabei mittels landeshistorischer Zeitschriften wie beispielsweise demjenigen des bereits 1920 gegründeten Chronistenblatts Der Schlern.1002 Bis hin zum Ende der Sechzigerjahre dominierte der darin eingenommene Blick auf die Vergangenheit die Südtiroler Historiographie, der folglich von den dortigen Heimatbuchautoren übernommen wurde; sofern sie sich nicht durch selbstständige und kritische Quellenstudien eines Besseren belehren lassen wollten. Schließlich war das Bild einer selbstständigen und wehrhaften Region Südtirol gerade nach 1945 angesichts der angestrebten Autonomie resp. Selbstbestimmung mindestens genauso wichtig wie in den Jahrzehnten zuvor. Entsprechend erteilte Zelger noch 1961 dem »Südtiroler Akademiker« die Aufgabe, dem »gesunden Volkskörper« Südtirols Sorge zu tragen. Die regionalen Nachwuchswissenschaftler sollten sich demnach, »nach reifer Überlegung und genauer Prüfung […] im klaren sein, was zur Erhaltung unseres [des Südtirolers, SDP] Volkskörpers notwendig, bzw. noch tragbar ist und was an Neuem ferngehalten werden muß, auch dann, wenn man dieses Neue oft gerne, vermöge der genossenen Ausbildung, herbeiwünscht.«1003
Die von Zelger befürchteten, historiographischen Traditionsbrüche zeichneten sich Ende der Sechzigerjahre aber dennoch ab. Neben ersten vereinzelten Dissertationsschriften über Südtirol1004 war es hierbei vor allem Claus Gatterer, der nach seinem Studium in Padua das in seiner Heimat vorherrschende Geschichtsbild zu entstauben begann.1005 Zwar sprach Gatterer als einer der ersten Historiker bewusst auch die empfindlichen Leerstellen der Südtiroler Zeitgeschichte an, indem er jenseits des althergebrachten Opfernarrativs beispielsweise die NS-Täterschaft seiner Landsleute ausführlich thematisierte.1006 Außerhalb der Akademie wirkte sich dieser erste Paradigmenwechsel vorerst jedoch noch nicht breitenwirksam aus. Der von ihm vorgespurte Weg wurde
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kischen Wissenschaften. Akteure Netzwerke, Forschungsprogramme, Bd. 2: Forschungskonzepte – Institutionen – Organisationen – Zeitschriften, Michael Fahlbusch u. a. (Hg.), 2. Aufl., Berlin/Boston 2017, S. 1739–1752, hier S. 1739–1745; Oberkrome. Heiss, Identität und Wissenschaft, S. 44. Zelger, Anton: Kulturelle Aufgaben und Verpflichtungen des Südtiroler Akademikers, in: Die Stellung des Südtiroler Akademikers in öffentlichen Leben, Studientagung der Südtiroler Hochschülerschaft 1961, S. 29–36, hier S. 33. Stuhlpfarrer, Karl: Die Operationszone »Alpenvorland« und Adriatisches Küstenland 1943–1945, Wien 1969; Adler, Winfried: Die Minderheitenpolitik des italienischen Faschismus in Südtirol und Aosta, Trier 1979. Gatterer, Im Kampf gegen Rom, S. 767–803. Steinacher, Gerald/Pallaver, Günther : Leopold Steurer : Historiker zwischen Forschung und Einmischung, Veröffentlichung der Historischen Fakultät, Universität Nebraska 2006, S. 53–54.
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alsdann in den Achtzigerjahren weiterbeschritten. Südlich des Brenners machte sich hierbei vor allem der von Gatterers Studien angespornte Hochschullehrer Leopold Steurer einen Namen. Seine Doktorarbeit ›Zwischen Rom und Berlin, 1919–1939‹ erschien 1980 und erregte sofort öffentlichen Widerstand, brach sie durch ihren kritisch-differenzierten Blick auf die Zwischenkriegszeit doch wesentlich mit der vom deutschen Kulturnationalismus diktierten Geschichtsschreibung.1007 Von den unverbesserlichen Verfechtern einer deutsch-nationalistischen ›Volkstumsgemeinschaft‹ als ›Pseudohistoriker‹ oder ›Störenfried‹ verschrien, musste Steurer genauso wie sein Vorgänger manch höchst unsachliche Kritik über sich ergehen lassen.1008 Nur mit viel Mut und Durchhaltewillen konnten Gatterer und Steurer ihre Studien durchführen und auch veröffentlichen, um somit der überfälligen Aufarbeitung der Südtiroler Geschichte endlich den Weg zu bereiten. Unterstützt wurden die beiden Regionalhistoriker sonach im Verlaufe der Achtzigerjahre von jenseits der Brennergrenze her : Diesmal war es die mit dem Institut für Zeitgeschichte von 1984 ins Leben gerufene Innsbrucker Schule, die besonders unter der Feder Rolf Steiningers neue Einblicke in die umstrittene Südtiroler Geschichte gewährte. International hervorragend vernetzt sowie dazu bereit, auch umfangreiche Archivbestände aufzuarbeiten und mit neuen Forschungsansätzen zu verknüpfen, gelang es Steininger und seinen Schülern in den Folgejahren somit den Zugang zu einer kritischen Regionalgeschichte zu eröffnen.1009 Am deutlichsten ist an seiner zweibändigen Monographie »Südtirol im 20. Jahrhundert« erkennbar : Mit den darin gewonnenen Einsichten bildet diese bis heute eine der zentralen Standardwerke zu ebenjener Thematik.1010 Steiningers langanhaltendem Forschungsfleiß ist es unter anderem zu verdanken, dass daraus eine junge Generation kritischer Historiker hervorging, die sich zusehends den blinden Flecken des kollektiven Gedächtnisses Südtirols zuwendeten: Andrea Di Michele, Andreas Oberhofer, Gerald Steinacher, Gustav Pfeifer, Hannes Obermair, Martha Verdorfer, Oswald Überegger oder Stefan Lechner sind nur einige der bekannteren Namen, die sich in den vergangenen 30 Jahren diesbezüglich um ein sachliches Geschichtsbild bemüht haben. Institutionell unterstützt wurden sie dabei vom 1985 gegründeten Südtiroler Landesarchiv. Dessen Vorsitz nahm bis 2007 der Mediävist Josef Nössing ein, der nicht nur selber an diversen Heimatbüchern mitarbeitete, sondern genauso bereit1007 Steurer, Südtirol zwischen Rom und Berlin. 1008 Steinacher/Pallaver, Leopold Steurer, S. 56–57. 1009 Bischof, Günter/Böhler, Ingrid: Forschung und Lehre am Innsbrucker Institut für Zeitgeschichte (1983–2003). Die »Innsbrucker Schule« in der österreichischen Zeitgeschichtsforschung, in: Zeitgeschichte, 30. Jg. Nr. 6, November/Dezember 2003, S. 387–399, hier S. 387–393. 1010 Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert.
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willig die Projekte jüngerer Nachwuchswissenschaftler unterstützte.1011 Des Weiteren bemüht sich bis heute Geschichte und Region / Storia e regione rege darum, kritische sowie überregionale Forschungsbeiträge zu veröffentlichen.1012 Explizit als ein Forum regionalgeschichtlicher Neuansätze gedacht, wurde die Zeitschrift 1992 ins Leben gerufen.1013 Der Bruch innerhalb der Südtiroler Historiographie schlug sich indes nie eins zu eins in den Heimatbüchern nieder. Im Gegenteil erkannten konservative Historiker gerade in diesem Medium ein Refugium, innerhalb dessen sie ihr ethnisch festgefahrenes Geschichtsbild weiterhin aufrechterhalten konnten. Entsprechend war es auch ein Heimatbuchprojekt, an welchem sich die Kluft zwischen der alteingesessenen Landesgeschichte und den Vertretern der kritischen Regionalgeschichte schon früh zeigte. Dabei handelte es sich um eine Publikation zur Gemeinde von Neumarkt, für dessen Koordination Hannes Obermair 1989 beauftragt wurde. Von ihm wurde erwartet, dass er als frisch promovierter Mediävist den für die Zeitgeschichte zuständigen Autoren absolut freie Hand ließe. Als Obermair sich dem jedoch verweigerte, da das gesamte Kapitel über das 20. Jahrhundert von Josef Fontana geschrieben werden sollte, wurde das Projekt vorerst abgebrochen.1014 Obermair wandte sich daraufhin ganz davon ab, Fontana schrieb sein eigenes Buch über die jüngere Vergangenheit seiner Heimatgemeinde1015und Neumarkt erhielt schließlich 1997 sein lang ersehntes Heimatbuch.1016
1011 Heiss, Identität und Wissenschaft an der Grenze, S. 51. 1012 Heiss, Hans: Geschichte und Region / Storia e regione. Eine Zwischenbilanz, in: Bewegte Geschichte, Andrea Bonoldi u. a. (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 21 (2012), Heft 1& 2, S. 163–172, hier S. 167–168. 1013 Dazu fasste das Gründungskomitee den folgenden Vorsatz: »Die so entstehende sprachübergreifende und plurikulturelle Zusammenarbeit, die das historisch-kulturelle ethnische Monadentum überwindet, ermöglicht einen gemeinsamen und geteilten Blick auf das historische Tirol und auf die Zeitgeschichte Südtirols.« Hierzu wichtig sei die Aufgeschlossenheit gegenüber methodischen Neuansätzen. Diese sollen »die traditionelle Landesgeschichte aufbrechen«, sodass »insbesondere die regionalen Forschungsfelder immer neu ausgehandelt und definiert werden.« Anstatt als ein unflexibles, ideologisches Konstrukt, erscheint das Konzept der »Region« daher als ein »flexibler Rahmen zur Erfassung spezifischer historischer Phänomene«. Vgl. »Über den Verein«: https://storiaeregi one.eu/de/verein/ueber-den-verein, aufgerufen am 06. 05. 2019. 1014 Gespräch mit Hannes Obermair, Stadtarchiv Bozen, 04. 05. 2017. 1015 Fontana, Josef: Neumarkt 1848–1970: ein Beitrag zur Zeitgeschichte des Unterlandes, Bozen 1993. 1016 Gritsch, Neumarkt, 1997.
Erzählungen vom Faschismus und vom Abessinienkrieg
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Erzählungen vom Faschismus und vom Abessinienkrieg Der Parallelverlauf zwischen der Regional- und der Landesgeschichte schlägt sich noch heute in den Südtiroler Heimatbüchern nieder. Das Primat der deutsch-nationalistisch orientierten Opfergeschichte versperrte dadurch oftmals den Zugang zu einem differenzierten Geschichtsbild. Dennoch fanden dank dem Engagement einiger aufgeschlossener Wissenschaftler vereinzelt auch neue zeithistorische Kapitel Eingang in die schwer zugängliche Heimatgeschichtsschreibung. Ob sich der Blick auf solch vermeintlich neue Themen tatsächlich von kulturnationalistischen Scheuklappen lossagen konnte oder trotz allem immer noch einem tendenziösen Vergangenheitsverständnis anhaftet, gilt es nun anhand der Erzählweise vom Faschismus sowie denjenigen vom Abessinienkrieg ins Auge zu fassen.
Eine Erzählung vom Faschismus Es wurde bereits erwähnt, dass die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts anfangs der Achtzigerjahre vermehrt von den Heimatbuchautoren aufgegriffen und kulturnationalistisch vereinnahmt wurde. Die beiden Weltkriege sowie die Zwischenkriegszeit gelangten somit während der zweiten Publikationswelle der Achtziger- und Neunigerjahre in das Themenrepertoire der Dorfbücher. Inwieweit das Interesse an der umstrittenen Zeithistorie mit der landesweiten Zunahme des italienischen Nationalismus sowie dem regionalen Engagement kritischer Regionalhistoriker zusammenhängt, bleibt nur zu vermuten. Eindeutig ist dagegen aber, dass die entsprechenden Kapitel der Dorfchroniken einen opferreichen Leidensweg darlegen sollten, welcher den Südtirolern nach dem verlustreichen Ersten Weltkrieg von den europäischen Großmächten auferlegt worden sei. Dieses eingängige Narrativ ging dabei schon von Beginn an von den drei historischen Wegmarken der faschistischen Herrschaftszeit, der ›Option‹ sowie des Zweiten Weltkriegs aus. Die Wurzel allen historischen Übels wurde dazu in der Zwischenkriegszeit erkannt, während welcher Südtirol von Österreich zuerst abgetrennt und danach dem italienischen Faschismus preisgegeben worden sei.1017 1017 Zwischen 1976 und 2012 wurden die Zwischenkriegsjahre in 34 von insgesamt 115 Heimatbüchern thematisiert: Antholz (1976), Vintl (1981), Olang (1984), St. Georgen (1985), Rodeneck (1986), Kiens (1988), Lüsen (1988), Vilpian (1988), Kaltern (1989), Mölten (1990), Percha (1991), Niederdorf (1994), Kuens (1996), Gsieser Tal (1997), Prad (1997), Hafling (1998), Wiesen Pfitsch (1998), Brenner (1999), Ahrntal (1999), Schenna (2002), Algund (2005), Truden (2005), Altrei (2006), Latsch (2007), Reischach (2007), Frangart (2008), Clausa (2009), Schlanders (2010), St. Andrä (2010), Schluderns (2011), Jenesien
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Bemerkenswert ist hierbei, dass diese Geschichte in den zahlreichen Heimatbüchern seit 1976 mehr oder weniger demselben inhaltlichen Erzählmuster folgt. Von Gemeinde zu Gemeinde scheint sich somit beinahe gleiches ereignet zu haben, während von lokalen Einzelschicksalen höchst selten etwas zu lesen ist. Die Erzählweise, der sich demnach die Verfasser von Heimatbüchern bedient haben, eröffnet mit den unmittelbaren Jahren nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, währenddessen Südtirol vorerst noch vom liberalen Italien verwaltet wurde. Diese Zeit wird zwar bereits als ein erster Einschnitt in die angeblich jahrhundertelange, kulturelle und politische Vorherrschaft des ›Deutschtums‹ in der Brennerregion erinnert,1018 allerdings seien den Südtirolern damals noch diverse Freiräume offen gestanden.1019 Unter anderem habe Rom seiner neuen Grenzprovinz sogar die Möglichkeit einer Autonomie in Aussicht gestellt.1020 Abgesehen von marodierenden Soldaten,1021 die bei ihrem Rückzug nach Kriegsende durch die Dörfer zogen, sei es den Südtirolern im liberalen Italien trotz ihrem kulturellen Minderheitenstatus demnach nicht unbedingt schlecht ergangen.1022 Wenig überraschend wird der erste, kulturpolitische Schock anschließend im Jahr der faschistischen Machtergreifung verortet.1023 Bereits vor dem ›Marsch auf Rom‹ habe dabei der am 24. April 1921
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(2012), Partschins (2012), Tabland (2012), Selva Gardena / Wolkenstein (2012). Vgl. Onlineportal der Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann, http://digital.tessmann.it/tess mannDigital/Kategorie/20021, aufgerufen am 06. 05. 2019. Delmonego, Ernst: Die Zeit zwischen den Weltkriegen, in: Rastner, Rodeneck, S. 98–101, hier S. 98; Passler, Johann: Percha im Pustertal: Dorfbuch, Percha 1991; Campei-Klapfer, Wiesen Pfitsch, S. 132; Pichler, Walter: Die schwarzen Jahre, in: Schenna: Dorfbuch, Walter Innerhofer (Hg.), Schenna 2002, S. 117–150, hier S. 121. Delmonego, Ernst (Hg.): Lüsen: Natur – Kultur – Leben, Lüsen 1988, S. 132; Fontana, Zeitgeschichte, S. 306. Pfeifhofer, Karl: Kiens zur Zeit des Faschismus, in: Heimatbuch Kiens, Arbeitskreis Heimatbuch Kiens (Hg.), Kiens 1988, S. 147–161, hier S. 147; Griessmair, Reischach, S. 223; Tecchiati, Umberto: Dorf und Heimat: St. Andrä. Plabach, St. Leonhard, Rutzenberg, Karnol, Mairdorf, Melaun, Klerant, St. Andrä 2010, S. 136. Dass es sich dabei u. a. um österreichische Armeeangehörige der k.k. Armee handelte, die sich nach der Kriegsniederlage Österreich-Ungarns zurückzogen und dabei die kriegsversehrten Dörfer Südtirols überfielen, wird freilich nie erwähnt. Ganz im Gegenteil schrieb beispielsweise Fontana noch 2005 im Heimatbuch von Truden davon, dass es sich bei diesen Soldaten selbstverständlich nicht um »Österreicher« gehalten habe, sondern ausschließlich um undisziplinierte »Slaven« und »Ungarn«, vor denen sich die Südtiroler derart fürchten mussten, dass sie sich die Italiener als Schutzmacht herbeiwünschten und deshalb teilweise sogar froh waren, als die Brennerregion von den Italienern besetzt worden sei. Vgl. Fontana, Josef: Zeitgeschichte, in: Truden, Michael Pernter (Hg.), Lana 2005, S. 304–337, hier S. 304. Werther, Hafling, S. 76; Campei-Klapfer, Wiesen Pfitsch, S. 135; Pichler, Die schwarzen Jahre, S. 120–121; Griessmair, Reischach, S. 229. Delmonego, Lüsen, S. 132; Prieth, Elias: Die Gemeinde Kuens im Wandel der Zeit, in: Kuens: Geschichte und Kultur, Sepp Pircher (Hg.), Kuens 1996, S. 195–229, hier S. 211; Taschler, Peter : Zur Geschichte des Gsieser Tales von 1918 bis 1995, in: Das Gsieser Tal: ein
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in Bozen erfolgte ›Blutsonntag‹ die Repressionen der Folgejahre angekündigt.1024 Exemplarisch dafür erscheint die Märtyrerfigur Franz Innerhofers: Gemäß damaliger Zeitungsberichten wollte der Lehrer aus Marling einen kleinen Jungen vor Ausschreitungen mit faschistischen Schlägertruppen in Sicherheit bringen, wofür er niedergeschossen wurde und kurz darauf seiner Schusswunde erlag.1025 Aus deutschnationalistischer Sicht steht der tragische Tod Innerhofers seither für den Niedergang des wehrhaften ›Tirolertums‹ an der Schwelle zum Ventennio nero. Tatsächlich verurteilte aber auch die Mehrheit der italienischsprachigen Stadtbevölkerung Bozens dessen Ermordung, weshalb dem kaltblütigen Verbrechen eigentlich stellvertretend für alle Opfer faschistischen Terrors erinnert werden kann.1026 Mit dem zentralen Ausbau des faschistischen Staatsapparats einhergehend, wird anschließend auch der Verlust der Gemeindeautonomie in Südtirol genannt. Zwar hätten sich diverse Dörfer bei den Parlamentswahlen von 1924 ein letztes Mal aufgebäumt, indem der Deutsche Verband vielerorts mit Abstand die meisten Wählerstimmen erhalten habe.1027 Schon bald drängten sich die Faschisten aber mit ihrer totalitären Staatsdoktrin bis auf die Kommunalebene durch, indem im Februar 1926 erstens alle Ortschaften mit weniger als 5000 Einwohnern zusammengelegt wurden – was als ein besonders schmerzlicher Verlust der bis dahin geltenden Gemeindeautonomie geschildert wird.1028 Schließlich wären somit in sich geschlossene Dorfgemeinschaften aufgerissen und unfreiwillig in eine ihnen fremde Verwaltungshierarchie gezwungen worden.1029 Einen weiteren Schritt zur Unfreiheit hätte zweitens das im September
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Südtiroler Hochtal im Spannungsfeld zwischen Tradition und Zukunft, Bergbonifizierungskonsortium Gsies-Taisten (Hg.), Gsies / Taisten 1997, S. 119–134, hier S. 120; Partelli, Jenesien, S. 187–188. Campei-Klapfer, Wiesen Pfitsch, S. 135–136; Griessmair, Reischach, S. 223–224. Zu den Ereignissen des sog. ›Blutsonntags‹ in Bozen, bei denen aus Altitalien angereiste Schwarzhemden äußerst brutal gegen einen anlässlich der Bozner Frühjahrsmesse abgehaltenen Trachtenumzug vorgingen: Lechner, Stefan: Der »Bozner Blutsonntag«: Ereignisse, Hintergründe, Folgen, in: Erinnerungskulturen des 20. Jahrhunderts im Vergleich – Culture della memoria del Novecento a confronto, Hannes Obermair/Sabrina Michielli (Hg.), Bozen 2014, S. 37–47, hier S. 41. Lechner, Der »Bozner Blutsonntag«, S. 46; Pallaver, Günther : Südtirol studieren, um den Faschismus zu verstehen, in: Erinnerungskulturen des 20. Jahrhunderts im Vergleich – Culture della memoria del Novecento a confronto, Hannes Obermair/Sabrina Michielli (Hg.), Bozen 2014, S. 55–67, hier S. 55. Picher, Die schwarzen Jahre, S. 123. Dieser Prozess hatte allerdings bereits 1922 begonnen und sich mit der 1923 gegründeten Einheitsprovinz der Venezia Tridentina nochmals erheblich intensiviert. Vgl. Di Michele, Andrea: Die unvollkommene Italianisierung. Politik und Verwaltung in Südtirol 1918– 1943, Innsbruck 2008, S. 231. Pfeifhofer, Kiens zur Zeit des Faschismus, S. 155–157; Prieth, Die Gemeinde Kuens, S. 212; Taschler, Zur Geschichte des Gsieser Tales, S. 120; Loose, Rainer: Prad unter der Herrschaft des Liktorenbündels, in: Prad am Stilfserjoch: Beiträge zur Orts- und Heimatkunde
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1926 eingeführte Podest/-System unternommen, wodurch ortsfremde Beamte aus den altitalienischen Provinzen auf einmal das Schicksal der Dorfgemeinschaft gelenkt hätten.1030 Gehen die Heimatbuchautoren an dieser Stelle näher auf die Persönlichkeiten der einzelnen Podest/ ein, welche vom Präfekten der Provinz Bozen jeweils entsandt wurden, so eröffnen sie teilweise einem durchaus differenzierten Vergangenheitsbild den Raum: So ist oftmals auch die Rede von Amtsbürgermeistern, welche die ihnen zugeteilte Gemeinde angeblich vorbildhaft und ordentlich verwalteten, während einige ihrer Kollegen ganze Dorfgemeinschaften in den wirtschaftlichen Ruin getrieben hätten.1031 Es zeigt sich hier die Kluft zwischen der meistens nur diffus beschriebenen, faschistischen Staatsmacht, welche für alle verwaltungs- und kulturpolitischen Zwangsmaßnahmen verteufelt wird und den ›Italienern‹, die sich bei näherem Hinsehen einem derartigen Pauschalurteil entziehen.1032 Genauso werden auch die zugewanderten Italiener nicht immer gleichermaßen als Faschisten abgestempelt, sondern mitunter als arbeitssame Mitbürger, die der deutschsprachigen Dorfgemeinschaft zwar lange fremd blieben, ansonsten aber nicht unbedingt negativ auffielen.1033 Anstatt nun aber auf die in Wahrheit soziokulturell heterogene Bevölkerung Südtirols näher einzugehen, verlieren sich solch historische Nuancen meistens rasch wieder in der landeshistorischen Einheitserzählung der Zwischenkriegszeit.1034 Andernfalls würde der kulturpolitische Dualismus zwischen den ›Italienern‹ und den ›Deutschen‹ wohl nicht lange standhalten.1035 Neben dem Verlust der Gemeindeautonomie werden die von Ettore Tolomei angeordneten ›Provvedimenti‹ am vehementesten angeklagt. Namentlich die sprachpolitischen Maßregeln, nach welchen alle deutschsprachigen Aufschrif-
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von Prad, Agums und Lichtenberg im Vinschgau / Südtirol, Prad 1997, Ders. (Hg.), S. 252– 259, hier S. 252; Campei-Klapfer, Wiesen Pfitsch, S. 139; Fontana, Zeitgeschichte, S. 306– 317; Abram, Altrei, S. 694–700; Griessmair, Reischach, S. 230; Partelli, Jenesien, S. 187. Innerhofer, Herbert Theobald: Olang. Eine Gemeinde im Wandel der Zeiten, Olang 1984, S. 222–223; Delmonego, Lüsen, S. 33; Dissertori, Kaltern, S. 76; Campei-Klapfer, Wiesen Pfitsch, S. 138; Picher, die schwarzen Jahre, S. 124; Kofler, Heinrich: Dorfbuch der Marktgemeinde Schlanders: von 1815 bis zur Gegenwart, Bd. II, Schlanders und seine Geschichte, Tappeiner 2010, S. 383–384. Delmonego, Lüsen, S. 137; Loose, Prad unter der Herrschaft des Liktorenbündels, S. 252; Campei-Klapfer, Wiesen Pfitsch, S. 139; Picher, Die schwarzen Jahre, S. 125–127. Verdorfer, Martha: Zweierlei Faschismus. Alltagserfahrungen in Südtirol 1918–1945, Wien 1990, S. 65. Werther, Hafling, S. 77; Campei-Klapfer, Wiesen Pfitsch, S. 140 sowie S. 142; Picher, Die schwarzen Jahre, S. 121. Recla, Giorgio: Die italienischen Gemeinschaft in Algund, in: 100 Jahre Algund, Maria Kiem (Hg.), Algund 2005, S. 606–614. Mezzalira, Giorgio: Geteilte Erinnerungen. Faschistische Denkmäler und Symbole in Südtirol zwischen Konflikt und Historisierung, in: Umstrittene Denkmäler. Der Umgang mit der Vergangenheit, Günther Pallaver (Hg.), Bozen 2013, S. 135–165, hier S. 140.
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ten aus dem öffentlichen Raum zu entfernen waren – womit alle Vor- und Nachnamen, Ort- und Straßenanschriften sowie sämtliche Grabinschriften italianisiert werden sollten – sowie das Verbot der alteingesessenen Dorfvereine werden als tiefgreifende und traumatische Einschnitte in das deutsche Kulturleben der Gemeinden genannt.1036 Neben diesem Raub der eigenen Sprache und des lokalen Brauchtums hätten vor allem aber die jüngsten Dorfbewohner unter dem faschistischen Joch gelitten. So sei den Kindern ihre deutsche Muttersprache genommen worden, als das gesamte Schulsystem nach Erlass des Bildungsministers Giovanni Gentiles von 1923 ebenfalls italianisiert wurde.1037 Der Unterricht wurde fortan ausschließlich auf Italienisch erteilt. Nach Schulschluss seien die Kinder aber noch immer nicht freigestellt worden, da sie gezwungenermaßen einer faschistischen Kinder- oder Jugendgruppe angehören mussten.1038 Die Mitgliedschaft bei der Balilla hätte die heranwachsende Generation nur noch mehr von der Kultur ihrer Eltern trennen sollen.1039 Wie bei den italienischen Amtsbürgermeistern, so zeigen sich die Risse der heimatgeschichtlichen Einheitserzählung auch in der Schulhistorie der einzelnen Dörfer : So hätten die vielen Anstellungswechsel auch beflissene und engagierte Lehrpersonen ins Dorf gebracht, so dass die Kinder zeitweise durchaus gerne in die Schule gingen.1040 Dass die Südtiroler Schulgeschichte demnach aufschlussreiche Einblicke in das faschistische Bildungssystem gewährt, für welches Frauen und Männer anscheinend aus unterschiedlichen Beweggründen arbeiteten und sich in die oberitalienischen Grenzregionen versetzen ließen, wird allerdings nirgends weiter ausgeführt. Einen weitaus prominenteren Platz nimmt innerhalb der Schulgeschichte dafür der Widerstand der lokalen Lehrerschaft sowie des Dorfklerus ein. Zum einen werden hierzu die ›Katakombenschulen‹ als ein Beispiel der erfolgreichen Lokalwiderstands gegen die bildungspolitischen Zwangsmaßnahmen aus Rom 1036 Innerhofer, Olang, S. 222–223; Mitterhofer, Michael/Komitee Dorfbuch St. Georgen (Hg.): St. Georgen an der Ahr, St. Georgen 1985, S. 57; Delmonego, Die Zeit zwischen den Weltkriegen, S. 99; Delmonego, Lüsen, S. 138–139; Dissertori, Kaltern, S. 75; Passler, Percha, S. 214–215; Prieth, Die Gemeinde Kuens, S. 211; Taschler, Zur Geschichte des Gsieser Tales, S. 120 sowie S. 123; Campei-Klapfer, Wiesen Pfitsch, S. 136 sowie S. 140– 141; Picher, Die schwarzen Jahre, S. 124; Abram, Altrei, S. 691–694; Griessmair, Reischach, S. 224–229; Tecchiati, St. Andrä, S. 136; Partelli, Jenesien, S. 193–194. 1037 Delmonego, Ernst: Die Schule zur Zeit des Faschismus, in: Rastner, Rodeneck, S. 236–238, hier S. 236; Pfeifhofer, Kiens zur Zeit des Faschismus, S. 153; Taschler, Zur Geschichte des Gsieser Tales, S. 120; Campei-Klapfer, Wiesen Pfitsch, S. 141; Picher, Die schwarzen Jahre, S. 128; Fontana, Josef: Schulgeschichte, in: Truden, Michael Pernter (Hg.), Lana 2005, S. 237–262, hier S. 237–243; Abram, Altrei, S. 678–691; Tecchiati, St. Andrä, S. 136. 1038 Dissertori, Kaltern, S. 77; Taschler, Zur Geschichte des Gsieser Tales, S. 122–123. 1039 Picher, Die schwarzen Jahre, S. 30; Griessmair, Reischach, S. 230–235. 1040 Delmonego, Die Schule zur Zeit des Faschismus, S. 236; Prieth, Zur Geschichte des Gsieser Tales, S. 122; Fontana, Schulgeschichte, S. 243–245; Griessmair, Reischach, S. 230–235.
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genannt.1041 Die sich dafür engagierten Gemeindebewohner werden dazu nicht selten einzeln aufgelistet, um als selbstlose Helfer der Dorfgemeinschaft gewürdigt zu werden.1042 Schließlich hätten es die von ihnen entgegen aller Gefahren unterrichteten Kinder zu verdanken, dass sie der staatlichen Italianisierung nicht vollends zum Opfer gefallen seien. Insofern es in einzelnen Ortschaften aber keine solchen Katakombenschulen gab, treten zum anderen die Gemeindepfarrer als Verteidiger des ›Deutschtums‹ ihrer Pfarrei auf. Da die Katholische Kirche gegenüber dem faschistischen Staatsapparat stets über gewisse Freiräume verfügte, blieb der Religionsunterricht durch das Ventennio nero hindurch eine Angelegenheit der Kirche, sodass dieser in Südtirol weiterhin auf Deutsch abgehalten werden durfte. Folglich sei das Widum vieler Südtiroler Gemeinden als ein Refugium des deutschsprachigen Unterrichts bestehen geblieben. Dieser Widerstand der lokalen Geistlichkeit wird in den Heimatbüchern mit entsprechend stolzem Duktus hervorgehoben.1043 Nach etwaigen Sympathien der Südtiroler Geistlichkeit für den katholisch-konservativen Austrofaschismus oder später dem Nationalsozialismus wird hierbei freilich nicht gefragt.1044 Die vermeintlich moralische Integrität schillernder Heldenfiguren ist schließlich ungleich bedeutender als der Umstand, dass in Südtirol nie ein organisierter und langanhaltender Aktivwiderstand gegen den Faschismus zustande kam.1045 Abgesehen von solch einem ausgebliebenen Widerstandskampf betonen aber viele Heimatbuchschreiber, dass sich die Dorfgemeinschaft – und stellenvertretend dafür ganz Südtirol – nie vom Faschismus und dessen Schergen hätte unterkriegen lassen.1046 Selbst noch zu Zeiten wirtschaftlicher Not und Armut,
1041 Dissertori, Kaltern, S. 77; Taschler, Zur Geschichte des Gsieser Tales, S. 121; Werther, Hafling, S. 77; Griessmair, Reischach, S. 235–237; Felzetti-Sorg, Barbara: Gemeinde Ratschings, Bd. II: Außerratschings, Gasteig, Innerratschings, Jaufental, Mareit, Ridnaun, Telfes, Ratschings 2012, S. 212. 1042 Gruber, Vintl, S. 205–206. 1043 Delmonego, Die Schule zur Zeit des Faschismus, S. 236; Pfeifhofer, Kiens zur Zeit des Faschismus, S. 153; Taschler, Zur Geschichte des Gsieser Tales, S. 121; Fontana, Schulgeschichte, S. 248–251; Griessmair, Reischach, S. 230–235; Mitterhofer, St. Georgen an der Ahr, S. 57–58. 1044 Gatterer, Claus: Südtirol und der Rechtsextremismus, in: Rechtsextremismus in Österreich nach 1945, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (Hg.), S. 336– 354, hier S. 337. 1045 Lechner, Stefan: Die Eroberung der Fremdstämmigen: Provinzfaschismus in Südtirol 1921–1926, Bozen 2005, S. 485. 1046 Wobei in den Heimatbüchern vor allem von passiven Widerstandsformen geschrieben wird, die sich vorwiegend in harmlosen Lausbubenstreichen oder kleineren Widerstandshandlungen wie beispielswiese dem Hissen der Österreichischen Flagge oder dem Tragen von Trachten äußerten. Vgl. Mitterhofer, St. Georgen an der Ahr, S. 58; Delmonego, Die Zeit zwischen den Weltkriegen, S. 99, Campei-Klapfer, Wiesen Pfitsch, S. 140 sowie
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welche in den Dreißigerjahren aufgrund staatlicher Misswirtschaft in vielen Gemeinden um sich gegriffen habe, wäre das Südtiroler ›Deutschtum‹ standhaft geblieben. Die Rede ist hier überwiegend von fallenden Absatzmärkten für landwirtschaftliche und handwerkliche Produkte aus Südtirol, die in Italien keine Abnehmer fanden und gleichzeitig nicht mehr nach Österreich exportiert werden durften.1047 Zudem sei es der Gemeindeleitung unfähiger Podest/ zuzuschreiben, dass oftmals falsch Buch geführt wurde oder die Dorfbewohner sich den neuen Umständen nicht rechtzeitig anpassen durften. Unbezahlte Schulden, absurde Steuerdekrete, Arbeitslosigkeit, Bettelwesen und Kriminalität sowie der Bankrott örtlicher Raiffeisenkassen oder der Rückgang zahlreicher Sennereigenossenschaften sind dabei nur einige der geschilderten Folgen, welche die Gemeindebewohner deshalb zu ertragen hatten.1048 Einen traurigen Höhenpunkt erlangte der Südtiroler Leidensweg gemäß den Heimatbüchern schließlich mit der ›Option‹ von 1939. Ihrer Erzählweise nach war es ursprünglich Mussolini gewesen, der Hitler zum ›Verrat‹ an den Südtirolern gebracht habe, da er nur so dem ›Pangermanismus‹ südlich des Brenners Herr werden konnte.1049 Die Südtiroler seien danach von beiden Achsenmächten mit einer nie dagewesenen Propagandawelle überrollt worden, welche sie nichtsahnend ins Verderben stürzte.1050 Allein aufgrund der vom Faschismus in den Vorjahren betriebenen Repression hätte sich dabei ein Großteil aller Dorfbewohner – bzw. aller Südtiroler – für den Wegzug ins ›Dritte Reich‹ entschieden. Deren Wahl sei von nationalsozialistischem Gedankengut sonach gänzlich unbeeinflusst getroffen worden.1051 Auch die Kampagne des VKS wird dazu nur als eine lokalpatriotische Kulturarbeit für die Südtiroler verstanden. Dessen langjährige Zusammenarbeit mit dem NS-Regime wird dabei kaum angespro-
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S. 143–144; Von Hartungen, Ahrntal, S. 103–108 sowie S. 115; Picher, Die schwarzen Jahre, S. 128–129 sowie S. 132–134; Partelli, Jenesien, S. 188. Delmonego, Die Zeit zwischen den Weltkriegen, S. 100; Dissertori, Kaltern, S. 76–77; Werther, Hafling, S. 77; Lamprecht, Latsch im 20. Jahrhundert, S. 383; Griessmair, Reischach, S. 229. Innerhofer, Olang, S. 222–223; Delmonego: Die Option 1939, in: Rastner, Rodeneck, S. 101–103, hier S. 100–101; Delmonego, Lüsen, S. 134–136, Dissertori, Kaltern, S. 77; Loose, Prad unter der Herrschaft des Liktorenbündels, S. 255; Picher, Die schwarzen Jahre, S. 124. Delmonego, Die Option 1939, S. 101; Dissertori, Kaltern, S. 78; Campei-Klapfer, Wiesen Pfitsch, S. 146; Felzetti, Gemeinde Ratschings, S. 212. Delmonego, Die Option 1939, S. 101; Taschler, Zur Geschichte des Gsieser Tales, S. 124; Von Hartungen, Ahrntal, S. 117; Picher, Die schwarzen Jahre, S. 136–137; Partelli, Jenesien, S. 195; Schweitzer, Sabine: »…und dann sind wir herausgekommen…«: Zur Wahrnehmung von Option und Umsiedlung der SüdtirolerInnen, in: Geschichte der Alpen, 3(1998), S. 351–364, hier S. 361. Mitterhofer, St. Georgen an der Ahr, S. 59; Dissertori, Kaltern, S. 80; Passler, Percha, S. 219; Campei-Klapfer, Wiesen Pfitsch, S. 146–148.
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chen.1052 Ganz im Gegenteil wäre es für ›den Südtiroler‹ doch eigentlich undenkbar gewesen, fernab seiner heimatlichen »Scholle«1053 eine neue Existenz aufzubauen, was die unter dem Faschismus erlittene Not letztendlich umso mehr vor Augen führe.1054 Zudem hätte das Abkommen zwischen Mussolini und Hitler die bisherige Einheit des Südtiroler Volks durch die Wahl zwischen Skylla und Charybdis erstmals entzweit.1055 Auch wenn die ›Option‹ am Ende nie in dem Maße umgesetzt wurde, wie sie ursprünglich angekündigt worden war, blieben die Gräben zwischen ›Dableiber‹ und ›Optanten‹ deshalb noch lange bis in die Nachkriegszeit bestehen.1056 Wiederum wird den unbequemen Fragen solch tragischer Ereignisse aus dem Weg gegangen: Beispielsweise ob denn einige dieser dorf- und familieninternen Differenzen nicht schon lange vor der ›Option‹ bestanden haben, durch diese aber politisch ausgenutzt wurden und somit verhängnisvoll zutage traten. Die Geschichte der faschistischen Herrschaftszeit in Südtirol endet in den meisten Heimatbüchern mit dem Optionsentscheid von 1939. Anschließend werden oftmals die Schicksale einzelner Optanten geschildert oder direkt auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges übergegangen, wobei vor allem vom Frontaufenthalt der aus dem Dorf eingezogenen Soldaten zu lesen ist.1057 Etwas seltener wird von den entbehrungsreichen Kriegsjahren nach 1939 berichtet, wobei kaum noch etwas von faschistischen Zwangsmaßnahmen geschrieben steht. Wie zuvor erwähnt, kommt die ›Operationszone Alpenvorland‹ dagegen nirgends ausführlich zur Sprache.1058 Dem Südtiroler Opfernarrativ versperrt sich die zwischen 1943 und 1945 vielerorts stattgefundene Kooperation mit dem Nationalsozialismus grundsätzlich.1059 Seitens der kritischen Regionalgeschichte, die parallel zu den Heimatbüchern in den Neunzigerjahren erste umfängliche Resultate vorlegte, ist der eben zusammengefassten Einheitserzählung vom Faschismus in mancher Hinsicht zwar 1052 Hubert, Antholz, S. 254; Kamelger, Niederdorf, S. 457. 1053 Passler, Percha, S. 216; Pfeifhofer, Karl: Kiens zur Zeit der Option, in: Arbeitskreis Heimatbuch Kiens, Kiens, S. 165–168, hier S. 165. 1054 Hubert, Antholz, S. 254; Fontana, Zeitgeschichte, S. 333; Griessmair, Reischach, S. 237– 238. 1055 Hubert, Antholz, S. 254; Innerhofer, Olang, S. 222–223; Mitterhofer, St. Georgen an der Ahr, S. 58–59; Delmonego, Lüsen, S. 146–147; Taschler, Zur Geschichte des Gsieser Tales, S. 124–125; Campei-Klapfer, Wiesen Pfitsch, S. 146; Tecchiati, St. Andrä, S. 146. 1056 Delmonego, Lüsen, S. 152; Lamprecht, Latsch im 20. Jahrhundert, S. 396. 1057 Hubert, Das Dorfbuch von Antholz, S. 255–256; Delmonego, Die Option 1939, S. 102–103. 1058 Mitterhofer, St. Georgen an der Ahr, S. 59. 1059 Insofern diese dennoch erwähnt wird, ist oftmals nur von angeblich harmlosen Lausbubenstreichen junger Dorfmänner die Rede. Welchen Einfluss nationalsozialistisches Gedankengut tatsächlich auf die Dorfbevölkerung hatte, bleibt freilich unerwähnt. Vgl. Delmonego, Die Option 1939, S. 103; Taschler, Zur Geschichte des Gsieser Tales, S. 123– 124.
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durchaus zuzustimmen. Viele der von den Heimatbuchautoren angeklagten Repressionsmaßnahmen seitens der faschistischen Regimes fanden tatsächlich statt und erschwerten das Leben vieler Südtiroler ungemein.1060 Auch blieb der Faschismus in der Brennerregion letztendlich ein »Oberflächenphänomen«1061 und stieß während seiner zwanzigjährigen Herrschaftszeit vielerorts auf eine zumindest passive Resistenz.1062 Was hingegen auffällt, ist die Beständigkeit des immer gleichen Narrativs vom Faschismus in den zwischen 1976 und 2012 erschienenen Dorf- und Talgeschichten. Anstatt das Wissen um den Einfluss des Mussolini-Regimes auf die einzelnen Dorfgemeinden Südtirols anhand verschiedener Einzelstudien zu vertiefen, wurden über all die Jahre also immer nur diejenigen Inhalte wiedergegeben, die sich besonders gut einer kulturnationalistischen Opfersemantik einordnen ließen. Das Interesse an neuem Wissen scheint bei vielen Dorfbuchschreibern trotz aussagekräftigem Quellenmaterial wie beispielsweise den Klassenbüchern italienischer Lehrpersonen, zeitgenössischen Pfarrchroniken oder Gemeinderatsprotokollen kaum vorhanden gewesen zu sein.1063 Stattdessen galt es, die Einheitserzählung vom Joch faschistischer Vorherrschaft auf die Geschichte der eigenen Gemeinde möglichst passgenau zu übertragen. Erkennbar ist dies nicht zuletzt darin, dass die Einträge in den Heimatbüchern im Verlaufe der Neunzigerjahre einiges umfangreicher werden. Die zusätzlichen Angaben unterfüttern allerdings nur altbekannte Erzählmuster mit ausschweifenden Anekdoten aus den zahlreichen Dörfern der Brennerregion. So versäumte es die Heimatgeschichtsschreibung Südtirols bislang, spannende Erkenntnisse über den hiesigen Provinzfaschismus zu liefern, obwohl sie dafür über eine durchaus günstige Ausgangslage verfügt. Das Geschichtsbild erweitern würden hingegen Arbeiten, innerhalb welcher die Dorfbewohner nicht bloß als passive Opfer auftreten, sondern die sie als historische Akteure begreifen würden, womit deren effektives Verhalten gegenüber dem faschistischen Regime ersichtlich würde.1064 Die Annahme eines solidarisch und auf alle 1060 Di Michele, Die unvollkommene Italianisierung, S. 357–361; Überegger, Oswald: Freienfeld unterm Liktorenbündel. Eine Fallstudie zur Geschichte der Südtiroler Gemeinden unter dem Faschismus, Innsbruck 1996, S. 220–223; Lechner, Die Eroberung der Fremdstämmigen, S. 479–487; Verdorfer, Martha: Individuelles und kollektives Nachkriegsgedächtnis, in: Südtirol – Stunde Null? Kriegsende 1945–1946, Hans Heiss/Gustav Pfeifer (Hg.), Innsbruck 2000, S. 302. 1061 Lechner, Die Eroberung der Fremdstämmigen, S. 484. 1062 Ebd., S. 484–485; Überegger, Freienfeld unterm Liktorenbündel, S. 220–221; Verdorfer, Zweierlei Faschismus, S. 39. 1063 Fontana, Schulgeschichte, S. 243–244; Loose, Prad unter der Herrschaft des Liktorenbündels, S. 252; Kofler, Schlanders und seine Geschichte, S. 469. 1064 Di Michele, Die unvollkommene Italianisierung, S. 237–238; Di Michele, Andrea: La fabbrica dell’identit/. Il fascismo e gli italiani in Alto Adige trau so pubblico della storia,
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Zeiten gegen den Faschismus vereinten ›Deutschtums‹ gälte es damit selbstverständlich zu widerlegen.1065 Ebenfalls würde der tatsächliche Einfluss des Mussolini-Regimes zusammen mit den damit einhergegangenen Wechselwirkungen zwischen Lokalbevölkerung und Schwarzhemden einiges greifbarer. Des Weiteren gäbe es auch den italienisch- und ladinischsprachigen Südtiroler endlich eine Stimme zu verleihen – deren alles andere als einheitliche Einstellung gegenüber dem Faschismus bleibt in den Heimatbüchern bisher unerwähnt.1066 Ferner verhindert die kulturnationalistische Historie einen aufschlussreichen, überregionalen Blick auf das übrige Italien: Zwangsläufig würde damit erkennbar, dass neben Südtirol auch andere Grenzregionen wie die Venezia Giulia faschistische Italianisierungsmaßnahmen erleiden mussten oder die Gemeinden weiterer Landesprovinzen wie der roten Emilia Romagna ebenfalls durch das Podest/-System zwangsverwaltet wurden.1067 Die Geschichte eines angeblichen ›Südtiroler-Sonderfalls‹ müsste dann allerdings gänzlich umgeschrieben werden.
Mancherlei Erzählungen vom Abessinienkrieg Begibt man sich in den Südtiroler Heimatbüchern auf die Suche nach dem Abessinienkrieg, fällt rasch auf, dass dieser innerhalb der landesgeschichtlichen Einheitserzählung der Heimatbücher relativ selten auftaucht. Das erste Kapitel über den faschistischen Feldzug in Ostafrika findet sich in den Siebzigerjahren im weiter oben bereits erwähnten Heimatbuch von Antholz.1068 Daraufhin befassten sich in den Achtzigerjahren vier Autoren mit dem italienischen Aggressionskrieg.1069 In den Neunzigerjahren sodann fünf,1070 gefolgt von insge-
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memoria e autorappresentazione, in: Geschichte und Region / Storia e regione, 13 (2004), Heft 2, S. 75–109, hier S. 80; Lechner, Die Eroberung der Fremdstämmigen, S. 479. Di Michele, Die unvollkommene Italianisierung, S. 233; Lechner, Die Eroberung des Fremstämmgen, S. 480; Verdorfer, Zweierlei Faschismus, S. 9; Dies., Individuelles und kollektives Nachkriegsgedächtnis, S. 302; Pallaver, Südtirol studieren, um den Faschismus zu verstehen, S. 56–57. Di Michele, Die unvollkommene Italianisierung, S. 299 sowie S. 359–360; Ders., La fabbrica dell’identit/, S. 82–83; Lechner, Die Eroberung der Fremdstämmigen, S. 480–483; Verdorfer, Zweierlei Faschismus, S. 12 sowie S. 47; Lechner, Der »Bozner Blutsonntag«, S. 46. Di Michele, Die unvollkommene Italianisierung, S. 242 sowie S. 298; Lechner, Die Eroberung des Fremdstämmigen, S. 480; Verdorfer, Zweierlei Faschismus, S. 39–40. Müller, Antholz, 1976. Nössing, Kastelruth, 1983; Rastner, Rodeneck, 1988; Delmonego, Lüsen, 1988; Dissertori, Kaltern, 1989. Gruber, Veronika: Kurtatsch und sein Gebiet im Wandel der Zeit: ein Heimatbuch, Kurtatsch 1995; Tiefenbrunner, Heinz: Kurtinig: ein Dorf an der Sprachgrenze in Vergangenheit und Gegenwart, Bozen 1998; Campei-Klapfer, Wiesen Pfitsch, 1998; Von Har-
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samt zehn Einträgen, die in den zwischen 2000 bis 2012 geschriebenen Heimatbüchern stehen.1071 Gewiss machen diese 19 Einträge deutlich, dass es sich beim Kriegseinsatz einiger Südtiroler Soldaten unter der Flagge Mussolinis letztendlich um ein marginales Thema der am Fuße des Brenners praktizierten Heimatsgeschichtsschreibung handelt. Weshalb dieses Kapitel der Südtiroler Vergangenheit zunächst also kaum Eingang in den Kernkanon der Heimatbücher fand und was für Impulse dazu notwendig waren, um das Interesse einiger Dorfchronisten dennoch zu wecken, soll aus den folgenden Seiten hervorgehen. Zudem zeigen sich somit auch die wechselhaften Funktionen, die der Abessinienkrieg für die Einheitserzählung vom Faschismus zeitweise erfüllte. Im Zeitraum von 1976 bis 1994 wurde der Äthiopisch-Italienische Krieg in den Heimatbüchern von Antholz (1976), Kastelruth (1983), Rodeneck (1986), Bruneck (1988), Lüsen (1988), Kaltern (1989) sowie in demjenigen aus Kurtatsch (1995) erwähnt.1072 Diese frühen Einträge fallen vor allem durch kurze Formulierungen sowie durch nur spärliche Angaben zum Kriegsaufenthalt der aus dem Dorf eingezogenen Soldaten auf. Das Wissen über den Abessinienkrieg scheint demnach von dessen lokalen bis nationalen – oder gar internationalen – Auswirkungen nur rudimentär vorhanden gewesen zu sein. Zwar lagen kritische Studien zum imperialen Kriegszug Mussolinis schon seit dem Erstlingswerk des italienischen Journalisten und Historikers Angel Del Boca von 1965 vor,1073 woran bis in die Neunzigerjahre zahlreiche weitere Studien angeknüpft hatten.1074 Die Werke der italienischen Geschichtsschreibung waren bei den über-
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tungen, Christoph (Hg.): Ahrntal: ein Gemeindebuch, Frangart 1999; Valorz, Karin: Proveis 1949–1999: die sozioökonomische Entwicklung einer Berggemeinde am Deutschnonsberg, Innsbruck 1999. Mahlknecht, Bruno (Hg.): Margreid: Entstehung, Entwicklung und Gegenwart, Auer 2001; Aberer, Michael: Barbian: eine Gemeinde stellt sich vor, Barbian 2003; Thaler, Werner : Montan, 2 Bd., Auer 2003; Pernter, Michael (Red. & Koord.): Truden, Lana 2005; Abram, Altrei, 2006; Gritsch, Latsch, 2007; Griessmair, Raimund: Reischach: aus der Geschichte eines Dorfes, Bruneck 2007; Krismer, Sepp (Hg.): Klausen 1308–2008: ein Lesebuch zur Stadtgeschichte, Brixen 2008; Bezirksgemeinschaft Pustertal (Hg.): Unser Pustertal: in Vergangenheit und Gegenwart, Bozen 2009; Tecchiati, Dorf und Heimat: St. Andrä, 2010. Müller, Antholz, S. 248; Nössing, Kastelruth, S. 330; Rastner, Rodeneck, S. 229; Pellizzari, Brunico, S. 56–57; Delmonego, Lüsen, S. 139–140; Dissertori, Kaltern, S. 78; Gruber, Kurtatsch, S. 240. Hier nur eine kleine Auswahl des ausgesprochen umfangreichen Werkes des Wegbereiters der italienischen Kolonialhistoriographie: Del Boca, Angelo: La guerra d’Abissinia 1935– 1941, Mailand 1965; Ders.: Gli italiani in Africa Orientale, 4 Bde., Rom/Bari 1976–1984; Ders.: Il Negus. Vita e morte dell’ultimo re dei re, Rom/Bari 1995. Die Arbeit dieser kritischen Generation an italienischen Kolonialhistorikern wird im nächsten Kapitel eingehend vorgestellt. Hier einige der bekannteren Werke von Nicola Labanca und Giorgio Rochat: Labanca, Nicola: Oltremare. Storia dell’espansione coloniale italiana, Bologna 2002; Rochat, Giorgio: Militari e politici nella preparazione della campagna d’Etiopia. Studio e documenti, 1932–1936, Mailand 1971; Ders.: Guerre italiane
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wiegend deutschsprachigen Südtiroler Heimatbuchautoren aber entweder nicht bekannt oder wurden nur ungern für die eigene Dorfgeschichte herangezogen. Folglich wird vom Abessinienkrieg auch im zuvor bereits genannten Buch von Antholz noch ausgesprochen knapp und zurückhaltend erzählt. Hierzu ist zu lesen: »Am Abessinienfeldzug 1935/36 nahm der Riedersohn, Hartmann Meßner, teil. Er stand im Somaliland dem Feinde gegenüber und kam, bis auf das Malariafieber, das er sich dort geholt, wieder glücklich heim.«1075
Die nur kurze Wortwahl zusammen mit der im Nebensatz folgenden Bemerkung, dass der Einberufene mit Ausnahme einer Malariaerkrankung wohlbehalten heimkehrte, begründete demnach ein Narrativ, dem auch spätere Autoren immer wieder folgten. So wird sechs Jahre danach in der Dorfgeschichte Kastelruths behauptet: »Wegen des Abessinienkriegs werden mehrere Jahrgänge zu den Waffen gerufen. Alle eingerückten Kastelruther sollten heil in die Heimat zurückkehren.«1076 Ähnliches weiß das Buch über die Gemeinde Kurtatsch zu berichten: »Hier ist der Ort, jener 15 Männer aus der Gemeinde Kurtatsch zu gedenken, die als junge Burschen in den Kolonialkrieg ziehen mußten, den Italien 1935/36 in Abessinien führte. Sie kamen alle wieder heil zurück […].«1077
Solche Schilderungen entsprechen eindeutig dem Modell der Kontext-Kaskade: Der sich am Horn von Afrika abspielende »Kolonialkrieg« erscheint darin als eine aus der faschistischen Herrschaftszeit hergeführte Außeneinwirkung, die das Dorfleben kurzzeitig tangiert. Leidtragende davon sind primär die eingezogenen »Burschen«, die aber allesamt »heil« aus dem Krieg heimkehren. Dieser wird somit als Unterbruch geschildert, nach welchem das Leben der Rückkehrer im Dorf in gewohnten Bahnen weiterverläuft. Etwaige psychische oder körperliche Versehrtheiten des Waffengangs, die sich beispielsweise aus extremen Gewalterfahrungen ergeben haben könnten, werden hier freilich nirgends genannt. Genauso herrscht auch ein generelles Schweigen über die persönliche Motivation der einzelnen Kriegsteilnehmer. Weshalb haben sie nun aber dem Marschbefehl Folge geleistet? Gingen einige von ihnen gar aus freiem Willen und weshalb entschieden sich diese stattdessen nicht, wie viele andere ihrer Jahrgänge, für die Flucht über die österreichische Landesgrenze? Trotz der sehr knapp gehaltenen Inhalte erscheint der in Äthiopien ausgefochtene Vernichtungskrieg aber innerhalb des gewohnten, deutsch-nationain Libia e in Etiopia. Studi militari 1921–1939, Treviso 1991; Vgl. Kap. »Das Schweigen über den Abessinienkrieg im Italien der Nachkriegszeit«, S. 262–274. 1075 Müller, Antholz, S. 248. 1076 Nössing, Kastelruth, S. 330. 1077 Gruber, Kurtatsch, S. 240.
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listischen Opfergedächtnisses. Dafür sprechen besonders diejenigen Themen, in deren Kontext von ihm berichtet wird: Ausnahmslos handelt es sich dabei um Zwangsmaßnahmen oder um Situationen des Verzichts, die sich für die betroffene Dorfbevölkerung als mehr oder weniger direkte Kriegsfolgen ergaben. So berichtet das Kastelruther Buch: »Die Regierung führt Festtage ein und regt die Ersetzung der goldenen Eheringe durch eiserne an. Beim Primizmahl für Alois Prossliner darf nur ein Fleischgericht aufgetragen werden.«1078 Gleiches liest man in der Dorfgeschichte Rodenecks: »Besonders schwer war das Gefühl der dauernden Unterdrückung durch willkürliche Schikanen und Verbote […]. Es kam immer wieder zu Überfällen.«1079 Schließlich erscheint der Angriff auf Abessinien erstmals ausführlich innerhalb eines eigenständigen Kapitels im Heimatbuch von Lüsen. Freilich ist dieser auch hier in das gängige Themenrepertoire vom Faschismus eingebettet: Entsprechend gehen den Schilderungen zum Eroberungsfeldzug Buchabschnitte voran, die sich mit Titel wie »Die schweren ›Dreißiger Jahre‹«, »Faschistische Bautätigkeit« sowie »Italianisierung der Orts- und Familiennamen« ausschließlich mit Zwangsmaßnahmen der faschistischen Verwaltungspolitik befassen.1080 Darin vorkommende Sätze wie: »Alles zielte daraufhin, das Deutschtum in Südtirol auszurotten.«1081, lassen keine Zweifel an der von den Autoren eingenommenen Opferperspektive aufkommen. Das Kapitel zum Abessinienfeldzug im Gemeindebuch Lüsen ist inhaltlich aber auch insofern bemerkenswert, als darin die Reaktion der Südtiroler Bevölkerung gegenüber der faschistischen Aggression erstmals direkt angesprochen wird. Dabei werden ausschließlich passive Widerstandsformen der Dorfbewohner genannt, worin sich einmal mehr die altbekannte Opfersemantik äußert. Beispielsweise steht zur Gold- und Eisensammlung, welche das Mussolini-Regime erstmals im Dezember 1935 durchführte, um damit einerseits die kostenreiche Invasion in Ostafrika zu finanzieren sowie andererseits die durch die Völkerbunds-Sanktionen erlittenen Verluste auszugleichen, das Folgende geschrieben: »Zur Unterstützung des Krieges sollten Gold und Eisen gesammelt werden. Die Kinder erhielten den Auftrag, altes oder noch besser neues Eisen in die Schule zu bringen, wozu auch öffentlich aufgerufen wurde. Eines Tages wurden drei alte Mistgabeln und zwei Stallschaufeln im Gang des Gemeindehauses abgestellt. Eheringe (Gold) wurden ebenfalls kaum abgegeben.«1082 Zuvor habe sich aber auch schon beim zum Kriegsbeginn ausgerufenen Volksappell vom 3. Oktober 1935 bei den Bewohnern Lüsens 1078 1079 1080 1081 1082
Nössing, Kastelruth, S. 330. Rastner, Rodeneck, S. 229. Delmonego, Lüsen, S. 135–139. Ebd., S. 132. Ebd., S. 139–140.
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grundsätzlich keine Begeisterung gezeigt: »Um 3.30 Uhr nachmittag schlug es 20 Minuten lang Sturm. Da bis 5.30 Uhr noch immer niemand erschien, ließ der Gemeindesekretär nochmals Sturm schlagen; mehr nützte allerdings sein Schreien und Aufbegehren, so daß sich gegen 8 Uhr doch eine bescheidene Menge beim Oberwirt einfand. Dort hörte man im Radio einige großen Reden, die aber kaum jemand verstand, da sie nicht übersetzt wurden.«1083
Leider verzichtete der Autor Ernst Delmonego beim Niederschreiben der Zeilen auf Quellenangaben. Woher er diese ausführlichen Informationen also bezieht, bleibt ungewiss. Allerdings vertritt Delmonego damit erstmals explizit die Erzählweise der grundsätzlichen Ablehnung des Abessinienkriegs, welche bis in die jüngste Heimatgeschichtsschreibung hinein wirksam bleiben sollte. Auch wenn hier vorerst nur passive Widerstandsformen genannt werden, steht dahinter doch bereits die Absicht, den angeblich regionalen Schulterschluss aller Südtiroler gegen den faschistischen Vernichtungskrieg hervorzuheben. Direkt aus diesem soll sich sodann eine generelle Abwehrhaltung gegenüber dem Faschismus als fremde und unrechtmäßige Besatzungsmacht herauslesen lassen. Natürlich ist die Annahme einer grundsätzlichen Skepsis vieler Deutschsüdtiroler hinsichtlich des ihnen aufgezwungenen Kriegsdienstes in Abessinien nicht grundsätzlich falsch. Selbst Gatterer hielt in seinen Memoiren unmissverständlich fest: »Für uns im Tal war der abessinische Krieg eine klare Angelegenheit, und der Name des Ras NasibF klang in unseren Ohren wie Schwertgeklirr und Wogenprall. Wir waren für den Negus und seine Abessinier auf Grund jener Sympathiegefühle, die der Schwache dem andern Schwachen entgegenbringt, […]. Doch hielten wir auch deshalb zum Negus, weil dieser gegen die Italiener war und weil wir hofften, die Abessinier würden den Italienern einiges von dem heimzahlen, was wir ihnen heimzuzahlen gehabt hätten.« Gatterer weiß diese Beobachtung aber zu relativieren, insofern der Krieg anfänglich auch wirtschaftliche Gewinne und Anreize versprach: »Schließlich waren wir trotz allem – und dies gewissermaßen neutral – für den Krieg, weil dieser die Preise für Holz, Vieh, Butter, Eier und Hennen lustig in die Höhe trieb wie die Germ den Brotteig. Es tat uns gewiss leid, dass die Abessinier so viel mitzumachen hatten; doch vermochte dieses Mitleid die Tatsache nicht aus der Welt zu schaffen, dass es uns besser ging, dass ab nun mehr Geld ins Haus kam, dass die leider noch vorhandenen Bürgschaftsschulden mit jeder Lira, um welche die Preise für Holz und Vieh stiegen, ganz von selbst kleiner wurden. Zeitungen und Lehrer versprachen uns obendrein billigen und guten Kaffee aus Harrar sowie abessinische Datteln, Bananen, Kokosnüsse und andere Kostbarkeiten.«1084
Diese Zeilen machen deutlich, dass der Krieg je nach Perspektive durchaus auch Vorteile für die Südtiroler mit sich brachte, was sich mit der Annahme eines 1083 Delmonego, Lüsen, S. 140. 1084 Gatterer, Claus: Schöne Welt, böse Leut. Kindheit in Südtirol, 4. Aufl., Bozen 2015, S. 223.
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Kollektivwiderstands freilich nicht vereinbaren lässt. Zudem ist mittlerweile bekannt, dass sich einzelne Südtiroler entgegen dem Heimatbuchnarrativ zuweilen auch aus freiem Willen für einen Kriegseinsatz meldeten. Hierzu berichtet wiederum Gatterer von einem gewissen Franz Unterdörfer aus Sexten, der in Addis Abeba stationiert war : »Der Franz, der aus einer hochachtbaren Familie stammte, war schon daheim zum Ärger seines Vaters Anführer der Avanguardisti und später der Giovani Fascisti gewesen, und bei Kriegsbeginn hatte er sich freiwillig zur Miliz gemeldet.«1085
Ähnliches brachte ebenfalls eine von Steinacher und Ulrich Beutler durchgeführte Quellenanalyse von Fotonachlässen dreier Abessinienkämpfer hervor. Darin wird von dem nach Afrika eingezogenen Ernst Villi unter anderem berichtet, dass er sich grundsätzlich freiwillig für den Kriegsdienst gemeldet habe. Dies aus einer allgemein verspürten Abenteuerlust sowie der Aussicht auf eine Staatsanstellung, die er nach seiner Rückkehr dann tatsächlich auch erhielt.1086 Selbstredend widersprechen solche Einzelschicksale der Annahme eines gesamtregionalen Widerstandes gegen den von Mussolini vom Zaun gebrochenen Aggressionskrieg. Wichtig ist hier vor allem, dass die politische Indienstnahme des Überfalls auf Äthiopien in den Heimatbüchern erkennbar wird. Neben anderen Aspekten der faschistischen Herrschaftszeit fungiert dieser somit ebenfalls als Platzhalter für deren Repressalien, welcher den geschlossenen Widerstand der Deutschsüdtiroler erneut mobilisiert habe. Aber auch abgesehen von solch historischen Facetten, die zwangsläufig aus den Lebensläufen einzelner Kriegsteilnehmer sprechen, ist die Erzählweise eines regionalspezifischen Schulterschlusses gegen den Abessinienkrieg unbedingt zu ergänzen. Es handelte sich bei Weitem nicht um eine Reaktion, die ausschließlich von der Südtiroler Bevölkerung ausging. Der von der Regimepropaganda gepredigte ›consenso popolare‹ ist allgemein kritisch zu betrachten.1087 So stellte der in einem abgelegenen Dorf des Mezzogiornos konfinierte Carlo Levi über die dortigen Bauern schlicht und ergreifend fest: 1085 Gatterer, Scho¨ ne Welt, bo¨ se Leut, S. 229. 1086 Steinacher, Gerald/Beutler, Ulrich: Aus der Sicht der Soldaten: Fotoalben von Südtiroler Kriegsteilnehmern, in: Zwischen Duce und Negus. Südtirol und der Abessinienkrieg 1935–1941, Gerald Steinacher (Hg.), Bozen 2006, S. 87–194, hier S. 91. 1087 Colarizi, Simona: L’Opinione degli Italiani sotto il regime 1929–1943, Rom/Bari 1991; Labanca, Nicola: »Chi ha studiato il »consenso« alla Guerra d’Etiopia?«, in: Le forze armate e la nazione italiana (1915–1943), Romain H. Rainero/Paolo Alberini u. a. (Hg.), Rom 2004, S. 201–226; Corner, Paul: Fascist Italy in the 1930s: Popular Opinion in the Provinces, in: Popular Opinion in Totalitarian Regimes: Fascism, Nazism, Communism, Oxford 2009, S. 122–149; Corner, Paul: L’opinione popolare italiana alla guerra d’Etiopia, in: L’Impero fascista. Italia ed Etiopia (1935–1941), Ricardo Bottoni (Hg.), Bologna 2008, S. 167–187; Corner, Paul: The Fascist Party and Popular Opinion in Mussolini’s Italy, Oxford 2012.
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»Dieser Krieg interessierte die Bauern nicht. […]. Sie [die Bauern, SDP] trauten dem gelobten Land nicht, das man erst denen, die es besaßen, wegnehmen mußte […]. Die in Rom hatten nicht die Gewohnheit, etwas für sie zu tun. Trotz allem Geschwätz musste auch dieses Unternehmen einen anderen Zweck haben, der sie nichts anging. […]. Deshalb dachten sie an den Krieg wie an eine der üblichen, unvermeidlichen Katastrophen, wie an die Steuern oder die Ziegenabgabe. […]. Man begriff übrigens sehr schnell, daß nicht nur die Ziele, sondern auch die Kriegsführung nur das andere Italien jenseits der Berge anging und wenig mit den Bauern zu tun hatte.«1088
Hieraus ergibt sich nicht nur eine differenzierte Sicht auf einen angeblich landesweiten Volkskonsens. Auch wird die Sonderrolle des Südtirols relativiert, da die Bevölkerung Italiens doch alles andere als ausnahmslos begeistert über das Prestigeprojekt des ›Duces‹ war. Zweifellos ein Umstand, dem das Narrativ des Südtirols als gallisches Dorf letzten Endes nicht gerecht wird.1089 Die ersten vier Bücher, in denen vom Abessinienkrieg nach 1995 die Rede ist, wurden über die Ortschaften Kurtinig (1998), Wiesen-Pfitsch (1998), Ahrntal (1999) sowie Proveis (1999) geschrieben.1090 Die Schilderungen vom imperialen Expansionskrieg nahmen in den Gemeindegeschichten nach 1995 somit zwar zu und wurden teilweise ausführlicher. Althergebrachte Erzählweisen von staatlicher Repression und regionalem Widerstand wurden dabei aber nicht nur weitertradiert, sondern kamen oftmals noch expliziter zum Ausdruck. So erscheint der Krieg bereits schon im Heimatbuch von Kurtinig ganz im Zeichen des regionalen Antifaschismus. Der Autor Heinz Tiefenbrunner erzählt darin ausschließlich von Fahnenflüchtigen, welche lieber die Flucht über die österreichische Landesgrenze auf sich genommen hätten, als für Mussolini in Abessinien einen aufgezwungenen Kriegsdienst zu leisten. Ob einige Dorfbewohner dem Marschbefehl aus Rom vielleicht auch bereitwillig Folge leisteten, wird allerdings ausgelassen. Der Fokus ist mithin ganz auf die sieben jungen Männer aus Kurtinig gerichtet, die den italienischen Behörden schon vor Kriegsbeginn negativ aufgefallen seien, wären sie doch kurz vor ihrem Marschbefehl gerade von der ›confino‹ zurückgekehrt und schon früher öfters von Polizisten geschlagen worden. Deren Flucht wird schließlich in einem völlig übertriebenen Zusammenhang dargestellt, da Tiefenbrunner von angeblichen 1500 Kriegsdienstverweigerern1091 in ganz Südtirol schreibt.1092 Eine systematische Quel1088 Levi, Carlo: Christus kam nur bis Eboli, 9. Aufl., München 2016, S. 141–142. 1089 Zu dieser Erkenntnis kommen unter anderem auch zahlreiche weitere Studien, die sich jüngst mit der Verflechtungsgeschichte des Abessinienkriegs und Südtirols beschäftigt haben. Vgl. Kap. »Erzählungen aus der Peripherie: Zur ersten Aufarbeitung von 2006«, S. 313–319. 1090 Tiefenbrunner, Kurtinig, S. 46–47; Campei-Klapfer, Wiesen Pfitsch, S. 101–105; Von Hartungen, Ahrntal, S. 114; Valorz, Proveis, S. 18. 1091 Wie Heinz Tiefenbrunner auf diese Zahl kommt, ist dem Heimatbuch von Kurtinig nicht zu entnehmen. Die bereits reichlich übertriebene Zahl von 1000 Deserteuren wurde das
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lenauswertung der Stammdatenblätter der Militärmatrikel im Bozner Staatsarchiv von Thomas Ohnewein belegte 2004 hingegen, dass die faschistischen Behörden in Bozen nur gerade 198 Desertionen verzeichnet hatten.1093 Diese zahlenmäßige Differenz zu den Angaben Tiefenbrunners macht nicht nur deutlich, dass die Fahnenflucht junger Südtiroler je nach politischem Lager als solche anerkannt und vermerkt wurde oder eben nicht. Genauso wird auch der symbolische Stellenwert aktiver Kriegsdienstverweigerer für das deutsch-nationalistische Geschichtsbild der Brennerregion augenfällig: Je mehr wehrfähige Jungmänner sich demnach dem Kriegseinsatz in Abessinien aus politischen Gründen verweigert haben, desto geschlossener erscheint deren Widerstand gegenüber der faschistischen ›Besatzungsmacht‹. Jedenfalls wurden die Ausführungen über den Italienisch-Äthiopischen Krieg nach 1995 umfangreicher. Dies verrät auch der Blick in das Heimatbuch von Wiesen-Pfitsch, in welchem auf vier Seiten relativ ausführlich über die Verwicklung der Berggemeinde in die Geschichte des italienischen ›Impero‹ berichtet wird.1094 Obendrein legte die Autorin Marie Luise Campei-Klapfer ungleich vieler ihrer Kollegen einen wissenschaftlichen Apparat an, sodass diesmal Literatur- und Quellenangaben vorhanden sind. Diese lassen erkennen, dass die Autorin nicht nur auf lokaler und regionaler, sondern ebenfalls auf nationaler Ebene nach Informationen zur Geschichte ihres Dorfes Ausschau hielt: Zuerst lokal, indem sie Veteranen und andere Zeitzeugen aus dem Dorf befragte und bezüglich der zum Kriegsdienst einberufenen Männern in der Pfarrchronik nachschlug. Danach regional im Staatsarchiv Bozen, wo sie die Personalakten der aus Wiesen-Pfitsch stammenden Soldaten auswertete sowie nach Zeitungsartikel der Dolomiten aus den Dreißigerjahren suchte. National schließlich dadurch, dass sie sich die damals verfügbare, italienische Forschungsliteratur zum Abessinienkrieg anschaute: Hierfür wird in den Fußnoten beispielsweise auf Angelo Del Bocas Erstlingswerk ›La guerra d’Abissinia‹ von 1965 verwiesen.1095
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erste Mal allerdings in der während dem Zweiten Weltkrieg erschienenen Denkschrift »Beiträge zur Geschichte des VKS« des Mitbegründers des nationalsozialistischen »Völkischen Kampfrings Südtirol«, Robert Helm, behauptet. Ob sich Tiefenbrunner an den Vorgaben Helms orientierte und weshalb er dabei 500 Deserteure hinzufügte, bleibt allerdings offen. Vgl. Steurer, Leopold: Südtirol und der Abessinienkrieg, in: Zwischen Duce und Negus. Südtirol und der Abessinienkrieg 1935–1941, Gerald Steinacher (Hg.), Bozen 2006, S. 195–241, hier S. 238–239. Tiefenbrunner, Kurtinig, S. 46–47. Ohnewein, Thomas: Südtiroler in Abessinien – Statistisches Datenmaterial, in: Zwischen Duce und Negus. Südtirol und der Abessinienkrieg 1935–1941, Gerald Steinacher (Hg.), Bozen 2006, S. 269–273, hier S. 270. Campei-Klapfer, Wiesen Pfitsch, S. 101–105. Ebd., S. 249.
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Dass sich Campei-Klapfer ausführlich auf den italienischen Kolonialhistoriker bezog, wird aber schon zu Beginn des Abschnittes zum Abessinienkrieg augenfällig. So beginnt sie damit, den Überfall auf das abessinische Kaiserreich von einer internationalen Perspektive aus zu erzählen. Das darin genannte Hauptmotiv für den Kriegsausbruch ist spätestens seit den Studien Del Bocas wissenschaftlicher Konsens: »Die schwere Niederlage gegen Menelik von 1895 konnten die italienischen Militärs nicht verschmerzen, und sie wollten diese militärische Scharte unbedingt auswetzen, um Italien als Kolonialmacht politisch und wirtschaftlich mehr Geltung in der Welt zu verschaffen.«1096
Daraufhin werden der Kriegsbeginn sowie dessen Verlauf kurz geschildert, um anschließend deren Einflüsse auf das Dorfleben zu thematisieren. Erneut steht die scheinbar massenhafte Flucht von wehrpflichtigen Südtirolern im Vordergrund: »Mehrere militärpflichtige Jungmänner aus Wiesen und Pfitsch zeigten keinerlei Interesse, der Machtpolitik Mussolinis in Ostafrika zu dienen. Sie zogen es vor, die nahe österreichische Staatsgrenze zu überschreiten und vielfach in Nordtirol oder im deutschen Reich unterzutauchen.«1097
In diesem Zusammenhang tauchen auch die gängigen Themen der politischkulturellen Zwangsmaßnahmen wieder auf: beispielsweise die Spende von Eheringen oder der aufgezwungene Auftritt der Dorfmusikkappelle in Sterzing am Tag der Generalmobilmachung vom 2. Oktober 1936.1098 Diese allgemeinen Ausführungen leiten daraufhin zu den Einzelschicksalen der aus dem Pfitscher-Hochtal eingezogenen Kriegsteilnehmer über. Hierzu verwendet die Autorin Zeugnisse von neun Veteranen, in denen über ihre Zeit in Ostafrika, über ihre dortige Funktion sowie über ihre anschließende Heimkehr berichtet wird. Dadurch entstehen ungewohnt persönliche Portraits der Südtiroler Soldaten, aus welchen sich allerdings wiederum altbekannte Stereotype herauslesen lassen. Generell erscheinen die eingezogenen jungen Männer darin als ausgesprochen tapfere und zähe Frontkämpfer. Obwohl ungewollt in einen fremden Konflikt hineingezogen, hätten sie in diesem trotzdem einen »ehrvollen Dienst« geleistet. Beispielsweise stand Friedrich Hofer in der Schlacht am Amba Arad/m als ausgezeichneter Sanitäter »seinen Mann«, während Siegfried Marginter aufgrund seines vorbildlichen Verhaltens von einem General der Gebirgstruppen zu dessen persönlichem Begleiter ernannt wurde.1099 Von den 1096 1097 1098 1099
Campei-Klapfer, Wiesen Pfitsch, S. 101. Ebd., S. 101. Ebd., S. 101–102. Ebd., S. 102–103.
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tatsächlichen physischen und psychischen Strapazen des Kriegs und deren Nachwirkungen ist freilich nur wenig zu lesen. Vielmehr erscheint dieser erneut als eine kurze Episode der Dorfgeschichte, nach welcher das Leben der Heimgekehrten in gewohnten Bahnen weiterverlief. So habe sich Friedrich Hofer nach seiner Rückkehr nicht nur als Familienvater, sondern vor allem auch als »tüchtiger« und »fleißiger« Bergbauer »einen Namen gemacht«.1100 Der Erzähltradition Albert Jägers und Hermann Wopfners entsprechend, wird hier schließlich ein weiteres Mal dem Narrativ vom wehr- und standhaften Südtiroler Bauerntum Folge geleistet.1101 Allerdings führt das genauere Hinsehen auf solche Einzelschicksale unweigerlich zu Rissen im ursprünglichen Narrativ von traumatischer Opferschaft und kollektivem Widerstand. Die Rede ist hier beispielsweise von einem Ludwig Kofler aus Tulfer, der sich angeblich aus freien Stücken nach Ostafrika einschiffen ließ, um dort zwei Jahre als Carabinieri zu dienen. Als dessen Gründe werden die Aussicht auf eine bessere Entlohnung, das Ableisten obligater Dienstzeit sowie eine »gewisse Abenteuerlust« genannt.1102 Ein Motiv also, das wir schon bei seinem Landsmann Ernst Villi angetroffen haben. Im gleichen Sinne findet sich auch in den Ausführungen von Campei-Klapfer ein Zitat Friedrich Hofers, das dem Dualismus ›der Südtiroler‹ und ›der Italiener‹ grundsätzlich widerspricht. Sie zitiert den Veteranen dazu wie folgt: »Viele von Ihnen [italienischsprachige Kameraden, SDP] waren oft nett zu mir, ja man kann sagen wie Brüder!«1103 Somit weiß Hofer von einer geradezu familiären Nähe zu seinen italienischen »Kameraden« während des Frontaufenthalts zu berichten. An dieser Stelle wird ausschließlich das faschistische Regime verteufelt, welches den Krieg mit Äthiopien begann und junge wehrfähige Männer dadurch ins Verderben führte. Die Autorin geht allerdings nicht näher auf die Aussagen von Kofler und Hofer ein. Unkommentiert stehen sie demnach quer zum Hauptnarrativ des dem Südtirol von außen aufgezwungenen Expansionskriegs.1104 1100 1101 1102 1103 1104
Campei-Klapfer, Wiesen Pfitsch, S. 102–103. Heiss, Identität und Wissenschaft an der Grenze, S. 36–39. Campei-Klapfer, Wiesen Pfitsch, S. 104. Ebd., S. 102. Nicht so bei einer Studie über das Kriegstagebuch des Abessinienkämpfers Andrä Ralser, die jüngst vom österreichischen Historiker Markus Wurzer geschrieben wurde. Wurzer kommt bei seiner Lektüre der Aufzeichnungen des Diaristen zur Erkenntnis, dass sich die Südtiroler bei ihrem Fronteinsatz nicht einfach als eine in sich geschlossene Gruppe wahrnahmen. Ganz im Sinne einer kulturellen Hybridität beanspruchten sie je nach Situation verschiedene Identitätsangebote. So sprechen aus Ralsers Aufzeichnungen je nach Gelegenheiten seine Zugehörigkeit zur katholischen Kirche, seine Rolle als Soldat in einer Bersaglieri Einheit oder seine Herkunft aus einer deutschsprachigen Randregion Norditaliens genauso wie auch sein imperialer Blick, mit dem er als weißer Europäer das ihm fremde Ostafrika wahrnahm. Dass auch Friedrich Hofer freundschaftliche Beziehungen zu seinen italienischsprachigen Truppenkameraden unterhielt, kommt den Beobachtungen
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Differenzierende Stimmen wie diejenigen aus dem Heimatbuch von WiesenPfitsch stehen allerdings für sich alleine. In den meisten nach 1995 veröffentlichten Heimatgeschichten sind solche nicht vernehmbar. Entsprechend setzten sich die Autoren auch in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends zwar vermehrt mit dem Abessinienkrieg auseinander, dabei ging es ihnen aber vor allem darum, dessen althergebrachte Lesart mit inhaltlich neuen Informationen zu unterfüttern. In den ersten sechs Jahren nach 2000 nahm sich dazu ein einzelner Autor in insgesamt drei Ortspublikationen der Thematik an. Es handelt sich dabei um den weiter oben im Zusammenhang mit dem Buch über Neumarkt erwähnten Joseph Fontana. Ausgehend von einer zeitgeschichtlichen Arbeit zur Gemeinde Margreid (2001), fügte er seine Erzählweise vom Abessinienkrieg später auch den Publikationen der Gemeinden Montan (2003) und Truden (2005) bei.1105 Unter seiner Feder blieb der faschistische Feldzug gegen Äthiopien in allen drei Publikationen politisch stark vereinnahmt. Von seiner Version abweichende Ansichten und Zeugenberichte kommen darin kaum zur Sprache. Dadurch überwiegt dieselbe historiographische Erzählweise, wie sie schon in seinen früheren Werken wie beispielsweise der von ihm mitherausgegebenen ›Geschichte des Landes Tirol‹ verwendet wurde.1106 Den kommunalen Gegebenheiten wird somit ein regionales Narrativ übergestülpt, wodurch sich die Kernaussagen trotz ortsspezifischen Präzisierungen mehrfach wiederholen. Unter anderem zeigt sich dies daran, dass in den Abschnitten zum Abessinienkrieg der drei oben genannten Heimatbücher nur sehr spärlich Angaben bezüglich verwendeter Forschungsliteratur bzw. ausgewertetem Quellenmaterial gemacht werden. Fontana hielt darin also jeweils an seinem standardisierten Darstellungsmodell des Abessinienkriegs fest. Seine Ausführungen beginnen jeweils damit, dass Südtiroler-Widerstandszellen als die damaligen regionalen Stimmungsmacher genannt werden. Namentlich der Völkische Kampfring Südtirols (VKS) habe dabei den Südtirolern den Weg gewiesen, wie sie sich gegenüber dem unerwarteten Marschbefehl zu verhalten hatten. Der VKS wird dabei von einem stark verzerrten Blickwinkel aus gezeigt: Erstens habe sich dieser ausschließlich aufgrund faschistischer Repressionsmaßnahmen gegründet:
Wurzers demnach entgegen. Vgl. Wurzer, Markus: »Nachts hörten wir Hyänen und Schakale heulen.« Das Tagebuch eines Südtirolers aus dem Italienisch-Abessinischen Krieg 1935–1936, Innsbruck 2016, S. 102–110. 1105 Mahlknecht, Margreid, S. 233; Thaler, Montan, S. 300–301; Pernter, Truden, S. 251–254 sowie 321–322. 1106 Fontana, Geschichte des Landes Tirol.
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»Die Auflösung der politischen Parteien, die energisch durchgezogene Entnationalisierungsmaßnahmen und der allgemeine politische Druck führten zwangsläufig zum Entstehen von illegalen Gruppierungen und Strömungen.«1107
Zweitens wäre der VKS zwar »eindeutig großdeutsch ausgerichtet« gewesen, aber dieser – so betont der Autor – »war weder ein Ableger noch ein Anhängsel der NSDAP, sondern eine eigenständige Organisation«.1108 Scheinbar geläutert von seinem nationalsozialistischen Einfluss wird der VKS somit als genuin südtirolerische Widerstandsorganisation dargestellt, welche ihren Landsleuten die ›korrekten‹ Verhaltensrichtlinien vorgegeben hätte. Natürlich sind solche Behauptungen bei genauerem Hinsehen unhaltbar. Obschon sich der VKS mit den faschistischen Repressionsmaßnahmen einhergehend entwickelte, so wirkte die NSDAP doch organisatorisch sowie ideologisch direkt auf diesen ein.1109 Zudem widersprechen sich Fontanas Geschichten stellenweise selber, worauf er freilich nicht näher eingeht. Gemeint sind hier von ihm verwendete Zeitzeugenberichte aus Truden, worin sich die Befragten angeblich gar nicht mehr an den VKS erinnern konnten.1110 Ob dieser in Truden tatsächlich keine kommunale Zelle unterhielt oder dem Nicht-Erinnern vielleicht auch ein gewolltes Vergessen zu Grunde liegt, sei hier dahingestellt. Wichtig erscheint indes, dass der Frage nach dem wirklichen Einfluss des VKS bis auf die Gemeindeebene herunter nicht mit voreingenommenen Pauschalaussagen begegnet werden sollte. Dessen tatsächliche Mitsprache am alltäglichen Dorfleben dürfte sich innerhalb einer kritischen Studie als wesentlich komplexer herausstellen. Mit dem Einbezug nationalsozialistisch orientierter Bewegungen stellt Fontana schließlich nicht nur die Deserteure, sondern ebenso die Kriegsteilnehmer als heldenhafte Lokalpatrioten dar : So sei der VKS zusammen mit dem Deutschen Verband dafür eingetreten, dass die Südtiroler von einer voreiligen Fahnenflucht absehen sollten.1111 Das Einrücken an die Front wäre demnach 1107 Thaler, Montan, S. 299. 1108 Mahlknecht, Margreid, S. 230. 1109 In diesem Sinne ist beispielsweise in einem Schreiben des VKS an Heinrich Himmler vom 27. 9. 1939 angesichts der kurz bevorstehenden ›Option‹ zu lesen: »Wenn das deutsche Volk unter dem Zeichen des Hakenkreuzes überall in einem Sturm der Erneuerung erwachte, durften auch die Südtiroler nicht abseitsstehen. So entstand – kurz nach dem historischen Ereignis der Machtübernahme – der Völkische Kampfring Südtirols, die Bewegung unseres Volkes.« Vgl. »Denkschrift des VKS an Heinrich Himmler (Berlin)«, 27. 9. 1939, zitiert in: Steininger, Rolf: Südtirol im 20. Jahrhundert. Dokumente, Innsbruck 1999, S. 74–76, hier S. 74. 1110 Pernter, Truden, S. 321. 1111 Diese Richtlinie des VKS bezüglich des Kriegseinsatzes der Südtiroler in Abessinien findet sich ursprünglich in einer Denkschrift des VKS-Gründungsmitglieds Robert Helm »Beiträge zur Geschichte des VKS«, die er später während dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht hatte. Die nationalsozialistischen Ansichten eines Helms wurden von Fontana
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»sinnvoller« gewesen. Aber wohlverstanden »nicht aus Sympathie für Italien, sondern aus Rücksicht auf Südtirol: Sie [Deutscher Verband und VKS, SDP] befürchteten, dass das Land sonst seine besten Jahrgänge für immer verliere.«1112 Trotz dieser Verhaltensregel wäre es aber dennoch zur massenhaften Flucht über die Staatsgrenze gekommen. Fontana geht an dieser Stelle ebenfalls von 1500 Südtirolern aus, die sich entgegen der harten Strafen, welche den zurückgelassenen Familienangehörigen drohten, dem Kriegsdienst in Afrika entzogen hätten.1113 Ungeachtet der strengen Repressionen wären sie daheim bei ihren Angehörigen freilich nicht in Verruf geraten. Die ausgehängten Urteilssprüche seien in den Dörfern vielmehr als »Ehrenurkunden« behandelt worden.1114 Ob nun dem Marschbefehl vordergründig brav Folge leistend oder sich dem Waffengang verweigernd: Mit dem Rückbezug auf den VKS und dessen angeblicher Strategie erscheint das Verhalten der Südtiroler angesichts des Abessinienkriegs in beiden Fällen als bewusster Akt eines regional organisierten, antifaschistischen Widerstands. Die nach Äthiopien eingerückten Rekruten werden folglich als märtyrerhafte Kämpfer portraitiert, die sich aufgrund ihrer tiefen Heimatverbundenheit todesmutig an die Front begeben hätten. Über ihre tatsächlichen Motive herrscht allerdings Schweigen. Stellvertretend für deren Schicksal gibt Fontana dafür die Strophen eines Abessinienlieds aus Montan wieder : »Still in weiter Ferne / Unter Sonnenlast und -glut / Liegt in fremder, heißer Erde / Junges Südtiroler Blut // Weder Kranz noch Blümlein schmücken / Ihm sein trautes fernes Grab, / Nur die Sternlein funkelnd blicken / Auf den Kämpfer still herab. // Starb er nicht für seine Heimat, / Starb für fremde Ruhmeswut, / Hielt die Treue nur der Heimat, / Für Italien gilt sein Fluch. / In der Heimat hofft ein Mägdlein, / Hofft auf baldiges Wiedersehen, / Träumt von Glück und träumt von Liebe, / Doch er kehrt ja nimmermehr. // Unterm Kreuze kniet die Mutter, / Hebt die Hände zum Gebet: / Lieber Gott, bei Deiner Güte, / Gib, dass er nur wiederkehrt.«1115
Dem Leiden und Sterben junger Südtiroler in Äthiopien wird somit postum ein Sinn verliehen, wären sie in Wahrheit doch aus Treue zur Heimat in den Krieg gezogen, auch wenn dieser im Zeichen »fremder Ruhmeswut« geführt wurde. An solchen Märtyrerfiguren ist Fontana besonders interessiert. Neben den unversehrt Heimgekehrten lassen sich solch gefallene ›Kriegshelden‹ schließlich äu-
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demnach bereitwillig – und ohne betreffende Quellenangaben – aufgenommen und selbst noch im neuen Jahrtausend unhinterfragt weitererzählt. Vgl. Steurer, Südtirol und der Abessinienkrieg, S. 238–239. Ebd., S. 322. Im Heimatbuch von Truden nennt Fontana als Strafmaßnahmen für die Angehörigen der Deserteure Knüppelschläge, das Verabreichen von Rizinusöl, verbale Angriffe sowie auch Enteignungen und Festnahmen. Vgl. Pernter, Truden, S. 322. Pernter, Truden, S. 322. Thaler, Montan, S. 300–301.
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ßerst gut in das Narrativ eines kriegstüchtigen Bergvolks einfügen, das dem Faschismus bis zum Tod entschlossen die Stirn geboten habe. Anstatt innerhalb eines instrumentalisierten Traumagedächtnisses schildert der Autor den Abessinienkrieg somit vor dem Hintergrund eines heroischen Opfergedächtnisses,1116 das vom selbstlosen Kriegsdienst Südtiroler ›Burschen‹ berichtet. Diese hätten den Kriegseinsatz im fernen Ostafrika demnach nicht einfach passiv hingenommen, sondern sich diesem letztendlich zum Wohle der Heimat mutig und entschlossen gestellt. Von der Gewalt des faschistischen Feldzugs gezeichnete, kriegsmüde Veteranen passen hierzu eindeutig nicht ins Bild. Deren Schicksal wäre weiterhin im traumatischen Opfergedächtnis zu verorten, da sie als gebrochene Persönlichkeiten dem Kampf um die Heimat letztendlich nicht standhielten. Folglich ist über sie kaum etwas zu lesen. Bezeichnenderweise schreibt Fontana zwar kurz über einen Luis Häusl aus Montan, der »sich in Afrika eine Krankheit« zuzog, »von der er sich nie mehr richtig erholte« und deshalb »keinen seelischen Antrieb« mehr fand.1117 Weshalb dieser aber dermaßen geschädigt aus Äthiopien zurückgekehrt ist, sodass ihm danach ein lebenslanger Leidensweg bevorstand, interessiert den Autor indes nicht weiter. Die Erinnerung an das tragische Einzelschicksal des Luis Häusels verblasst somit vor dem Hauptnarrativ des Südtiroler Freiheitskampfs. In den drei Heimatbüchern aus Margreid, Montan und Truden verfolgt die Darstellungsweise des Abessinienkriegs somit eine eindeutig politische Agenda: Die Kriegsteilnahme wie auch dessen aktive Verweigerung erscheinen gleichermaßen als heroische Widerstandshandlungen gegen das faschistische Italien. Der in Ostafrika ausgetragene Konflikt wird dadurch zu einem Moment, indem die Südtiroler trotz aller kulturpolitischen Repressionen Durchhaltevermögen und Einigkeit bewiesen hätten. Den überzeugten Kriegsteilnehmern wird innerhalb dieser Erzählweise genauso wenig ein Platz zugeteilt wie den Kriegsversehrten, haben sich diese doch weder als besonders heimatverbunden, noch als ausgesprochen widerstandsfähig gezeigt. Des Weiteren wird auch nicht nach den eigentlichen Fronterlebnissen der einzelnen Soldaten gefragt. Wie sie den Krieg demnach persönlich wahrnahmen, darüber steht nichts geschrieben. Der Selbstbestimmungskampf der Südtiroler Bevölkerung als unterdrückte Sprachminderheit steht dadurch unverkennbar im Vordergrund. Selbst das unvergleichbar härtere Schicksal der primär Leidtragenden der faschistischen Kriegsgewalt – nämlich der äthiopischen Bevölkerung – bleibt dabei weiterhin unerwähnt. Neue Erzählperspektiven auf den Abessinienkrieg brachte indessen das Jahr 2006 mit sich. Den entscheidenden Anstoß dazu gab der von Gerald Steinacher 1116 Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit, S. 74–76. 1117 Thaler, Montan, S. 300.
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herausgegebene Sammelband ›Zwischen Duce und Negus. Südtirol und der Abessinienkrieg 1935–1941‹.1118 Erstmals fragen die darin enthaltenen Beiträge gemäß wissenschaftlicher Kriterien danach, wie das Südtirol in den faschistischen Expansionskrieg involviert war und wie dieser von den aus der Region einberufenen Soldaten und ihren zuhause wartenden Angehörigen wahrgenommen wurde.1119 Beispielsweise wurden hier die bereits erwähnten statistischen Datenerhebungen aus dem Bozner Staatsarchiv von Thomas Ohnewein aus dem Jahr 2004 veröffentlicht, in denen er die übertriebene Anzahl von 1500 Deserteuren auf lediglich 198 herunterkorrigierte.1120 Somit wurde ein neues Licht auf den Abessinienkrieg geworfen, in welchem nun auch die Schicksale und Kriegserfahrungen einzelner Soldaten zur Sprache kamen.1121 Das Bild des geschlossenen Widerstandes eines wehrhaften Bauernvolkes, das dem Einzug seiner Jungmänner nach Ostafrika mit Einigkeit und Stärke entgegentrat, wurde somit zweifellos widerlegt. Mitautor an Steinachers Sammelband war ferner der Schweizer Historiker Aram Mattioli. Sein Beitrag ›Der Abessinienkrieg in internationaler Perspektive‹ baute auf einer der ersten deutschsprachigen Gesamtdarstellungen auf, die ein Jahr zuvor von ihm veröffentlicht wurde.1122 Die Synthese machte die schonungslose Brutalität der faschistischen Kriegsverbrechen auf dem ostafrikanischen »Experimentierfeld der Gewalt« definitiv auch außerhalb des italienischen Sprachraums bekannt. Besonders deutschsprachige Südtiroler, die nur ungern auf italienische Forschungsliteratur zurückgriffen, konnten sich spätestens nach 2006 am Sammelband Steinachers sowie am Übersichtswerk Mattiolis orientieren.1123 Zwischen 2006 und 2012 fand der italienische Expansionskrieg demnach vermehrt Eingang in die Südtiroler Heimatbuchliteratur. Im Zeitraum dieser sechs Jahre bezogen Autoren aus insgesamt fünf Gemeinden den Krieg in ihre
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Steinacher, Zwischen Duce und Negus. Steurer, Südtirol und der Abessinienkrieg, S. 195–241. Ohnewein, Südtiroler in Abessinien, S. 269–273. Hanni, Martin: Der Abessinienkrieg in der Erinnerung Südtiroler Soldaten – Bericht zu einem Forschungsprojekt, in: Steinacher, Zwischen Duce und Negus, S. 241–257. 1122 Mattioli, Aram: Der Abessinienkrieg in internationaler Perspektive, in: Steinacher, Zwischen Duce und Negus, S. 257–269; Mattioli, Experimentierfeld der Gewalt. 1123 So erstaunt es kaum, dass in einem offenen Brief vom Sommer 2008, in welchem die Schützen die Äthiopische Regierung auf die dem Abessinienkrieg gewidmeten Denkmäler in Südtirol aufmerksam machen wollte, als einziger Literaturverweis Mattiolis Buch aufgeführt ist. Damit unterlegt wird das grausame Vorgehen der Faschisten in Abessinien geschildert, womit die Südtiroler als vermeintliche Leidensgenossen der Äthiopier erscheinen. Vgl. Offener Brief des Landeskommandanten des SBB, Paul Bacher, an den äthiopischen Präsidenten Girma Woldegoris sowie den äthiopischen Premierminister Meles Zenawi, Bozen, 25. 6. 2008, S. 2.
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Erzählungen mit ein.1124 Zwar verfügen die Bücher nach wie vor nur über sehr wenige bis gar keine Literatur- und Quellenangaben. Dennoch treten die Einflüsse Mattiolis auf der internationalen Erzählebene sowie diejenigen Steinachers auf der regionalen stellenweise klar hervor. Beispielsweise steht im Buch von Altrei geschrieben: »Der Abessinienkrieg (vom Oktober 1935 bis Mai 1936) wurde von Italien unter Einsatz massiver Propaganda geführt. Unter dem Kommando der früheren Generäle De Bono, Badoglio und Graziani kam es zu einer Art vom bis dahin unbekannten ›totalen Krieg‹ (mit Vergewaltigungen, Giftgasangriffen, Vertreibungen, Deportationen, Straflager, Folterungen, Tötung von Gefangenen, Leichenschändung etc.).«1125
Besonders der Einfluss Mattiolis ist hier dahingehend erkennbar, dass der Autor der obigen Zeilen die äthiopische Zivilbevölkerung als die primär Leittragende des faschistischen Aggressionskriegs nennt. Den Angriff auf das Kaiserreich eindeutig verurteilend werden die Südtiroler Soldaten neben ihren italienischen Truppenkameraden allerdings nicht als Mittäter dargestellt, sondern eher als Beobachter der beispielslosen Massengewalt. Dazu steht im Gemeindebuch von Latsch: »Eine ganze Reihe von Fotografien, darunter auch solche, die von Südtiroler Abessinienkämpfern stammen, belegen diese Brutalität.«1126 Unter der Beihilfe solch neuer Archivbestände treten die Südtiroler Soldaten demnach neu als historische Zeugen1127des Abessinienkriegs in Erscheinung. Angesprochen sind hier die vom Südtiroler Landesarchiv erschlossenen Fotonachlässe, die ebenfalls im Sammelband Steinachers erstmalig aufgearbeitet und kommentiert wurden.1128 Wichtig für die Funktion des Abessinienkriegs innerhalb des kollektiven Südtiroler Gedächtnisses ist hierbei die grundsätzliche erweiterte Erzählperspektive: Von rein kommunal- bis regional fokussierenden Betrachtungen losgelöst, werden nun Geschehnisse bis zur internationalen Ebene hinauf aufgegriffen und in ihrem Einfluss auf das Dorfleben dargestellt. Neben solch neuer Erzählansätze zur faschistischen Kriegsgewalt und den Äthiopiern als deren eigentliche Opfer, erscheint dadurch auch die damalige Verwaltungspolitik in 1124 Abram, Altrei, S. 696; Gritsch, Latsch, S. 391–393; Griessmair, Reischach, S. 229; Krismer, Klausen, S. 161; Tecchiati, St. Andrä, S. 139–140. 1125 Abram, Altrei, S. 696. 1126 Gritsch, Latsch, S. 392. 1127 Die historische Zeugenschaft ist hier im Sinne Aleida Assmanns zu verstehen: »Der [historische] Zeuge als Bote ist nicht selten der Überlebende (lat. ), der als einzig Entkommener den Bericht einer Katastrophe an die Nachwelt weiterzugeben vermag, wobei das Überlebthaben und das Berichtenmüssen eng aufeinander bezogen sind. Allgemeiner gesprochen ist der historische Zeuge derjenige, der durch seine Nähe zu einem wichtigen Ereignis diese seine Wahrnehmung an die Nachwelt vermittelt.« Vgl. Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit, S. 86. 1128 Steinacher/Beutler, Aus der Sicht der Soldaten, S. 87–195.
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Südtirol im Spiegel der landesweiten Regimepropaganda. Nicht von ungefähr steht deshalb im Gemeindebuch von Altrei: »Der totale Krieg wurde durch die ›totale Propaganda‹ bis in das hinterste Tal hinein begleitet.«1129 Der Ausbau von Dorfbibliotheken, das Erlernen von Liedern und Spottgedichten im Schulunterricht, das Errichten von Denkmälern oder das Konfiszieren von Eheringen erscheinen in diesem Licht als unmittelbare, kommunale Auswirkungen des Äthiopisch-Italienischen Konflikts.1130 Trotz der neuen Erkenntnisse, die sich dank der erweiterten Erzählperspektive ergeben, folgen die zwischen 2006 und 2012 veröffentlichten Heimatgeschichten aber immer noch dem herkömmlichen Narrativ : Auch wenn die Opferrolle darin deutlich relativiert wird, so ist der Mythos des regionalen Widerstands nach wie vor tonangebend. In diesem Sinne schreibt der Autor des Latscher Heimatbuchs: »Die jungen Südtiroler zeigten überhaupt keine Begeisterung für den AbessinienKrieg. Wir wissen heute von 1376 Rekruten der Jahrgänge 1911, 1912 und 1913, die in Afrika kämpfen sollten. 198 dieser einfachen Soldaten flüchteten in das Deutsche Reich und nach Österreich: […].«1131
Anstatt den neuen Zahlen entsprechend den angeblichen Widerstand unter kritischem Licht zu betrachten, werden sie sozusagen als austauschbare Variablen der althergebrachten Erzählweise der ›1500 Deserteure‹ eingefügt. Die Annahme eines aktiven Kollektivwiderstands wird dabei unhinterfragt tradiert. Ansätze einer kritischen Verflechtungsgeschichte des Abessinienkriegs mit der Region Südtirol sind seit 2006 demnach zwar auszumachen, von den Heimatbuchautoren wurden diese aber höchstens stellenweise – jedenfalls gewiss nicht konsequent – aufgenommen und verarbeitet. Einige wenige Ausnahmen bestehen allerdings, welche auf die zukünftige Offenheit einer ausdifferenzierten Lokalgeschichtsschreibung hinweisen. Als Beispiel hierzu kann das Pustertaler Heimatbuch von 2009 genannt werden, in welchem der Brunecker Historiker Stefan Lechner das Kapitel zur Zeitgeschichte beisteuerte. Darin stellt Lechner unmissverständlich klar : »Einen aktiven Widerstand gegen den Faschismus hat es im Pustertal wie auch im restlichen Südtirol nur in geringem Maße gegeben, dafür aber viele Formen der passiven Resistenz.«1132 1129 Abram, Altrei, S. 696. 1130 Ebd., S. 696; Tecchiati, St. Andrä, S. 140; Krismer, Klausen,S. 161; Griessmair, Reischach, S. 229. 1131 Gritsch, Latsch, S. 392. 1132 Lechner, Stefan: Vom Kreis zur Bezirksgemeinschaft: Geschichte des Pustertals von der Napoleonischen Zeit bis in die Gegenwart, in: Bezirksgemeinschaft Pustertal (Hg.): Unser Pustertal: in Vergangenheit und Gegenwart, Bozen 2009, S. 65–77, hier S. 72.
Fazit
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Lechner bestreitet die grundsätzliche Distanziertheit des deutschsprachigen Südtirols gegenüber dem Faschismus zwar keineswegs, plädiert jedoch gleichzeitig für einen differenzierten Blick auf die verschiedenen Resistenzformen, die genauso still-passive wie lauthals-aktive Gesichtszüge annehmen konnten. Auch wenn Lechner den Abessinienkrieg damit nicht direkt anspricht, so kann die von ihm gewählte Erzählweise aber gewiss auf diesen übertragen werden. Dadurch träte die Annahme einer massenhaften Fahnenflucht in den Hintergrund und würde dafür Platz für die Vielzahl an unterschiedlichen Strategien machen, mit welchen die Südtiroler dem Marschbefehl aus Rom effektiv begegnet sind. Weniger politisch aufgeladen, dafür umso mehr an den Einzelschicksalen und den entsprechenden Lebenssituationen interessiert, würden somit weitaus reichhaltigere Erinnerungen an den Abessinienkrieg zum Vorschein kommen.
Fazit Aufbauend auf einer generellen Systematik der Südtiroler Heimatbücher wurde dem Stellenwert des Abessinienkriegs anhand der verschiedenen Funktionen nachgegangen, die er innerhalb der in den Büchern praktizierten Lokalgeschichtsschreibung jeweils erfüllt. Die Analyse dieser Quellengattung für den Raum Südtirol ergab demnach, dass es sich dabei um ein gänzlich politisiertes Medium handelt, mit welchem nicht nur lokale Autoren, sondern besonders auch regionale Parteien und Vereine ein ihrer Agenda angepasstes Vergangenheitsbild zu vermitteln versuchen. Das ›Dorf‹ bzw. die ›Heimat‹ bildet dabei eine diskursive Kategorie, mit deren Hilfe der Zusammenhalt der deutschsprachigen Bevölkerung gegenüber den Einflüssen des italienischen ›Kulturraums‹ demonstriert werden soll. Aus diesem Grund kam es gerade zu Zeiten äußerer Bedrohungsängste immer wieder zu Publikationswellen weiterer Heimatgeschichten. Um einen solchen Widerstand historisch zu legitimieren, sind die Autoren der Gemeindebücher grundsätzlich darauf angewiesen, diesen in einer bis in die fernsten Tage zurückreichenden Kontinuität darzustellen. In diesem Sinne fanden besonders solche Kapitel der Vergangenheit Eingang in deren Erzählungen, die entweder die historische Präsenz der deutschen Sprache und Kultur in Südtirol untermauern oder von der erfolgreichen Abwehr ›fremder‹ Einflüsse berichten. Entsprechend selektiv gestaltet sich die Heimatgeschichtsschreibung, wobei die Autoren mit Vorliebe auf jene historiographischen Werke zurückgreifen, in welchen sie ihren ideologisierten Blick zurück in vergangene Zeiten grundsätzlich bestätigt finden. Der kritischen Regionalgeschichte werden dadurch nur äußerst selten Zugänge eröffnet, verlangt diese doch nach einer möglichst unvoreingenommenen Herangehensweise an Vergangenes. Grund-
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sätzlich soll das Dorf sonach als historische Konstante gegenüber wechselhaften und teilweise bedrohlichen Zeiten dargestellt werden. Momente interner Spannungen und Brüche sind dabei freilich unwillkommen. In diesem Vorfeld fand der Abessinienkrieg Eingang in die Einheitserzählung der Heimatbücher vom Faschismus, wobei diesem darin zeitweise verschiedene Funktionen zukamen. Während sich das historische Narrativ von der Zwischenkriegszeit über die Jahre hinweg demnach kaum veränderte, wurde der Überfall auf das Kaiserreich Haile Selassies geschichtspolitisch unterschiedlich ausgedeutet. Dessen Stellenwert für die Landeshistorie galt es für die Heimatbuchautoren erst noch auszumachen. Dabei erschien der Abessinienkrieg bis 1995 nur in wenigen Dorf- und Talgeschichten. Erst danach wurden die Einträge dazu allmählich kenntnisreicher. Generell ist hierbei zu beachten, dass die jeweiligen Schilderungen des faschistischen Expansionskriegs neue Forschungserkenntnisse stellenweise durchaus aufnahmen. Zugleich waren sie aber auch von gegenwärtigen regionalpolitischen Entwicklungen beeinflusst, was die markante Zunahme des Interesses von Heimatbuchautoren an diesem imperialen Feldzug erklärt und dessen geschichtspolitische Indienstnahme vor Augen führt. Über den Krieg selber wurden lange Zeit nur äußert zögerlich Informationen in die Südtiroler Kommunalgeschichtsschreibung aufgenommen. Dafür wurde bzw. wird dieser umso mehr als ein vermeintliches Zeugnis des Südtiroler Opferstatus betrachtet und erscheint daher als ein entscheidender Prüfstein des antifaschistischen Kollektivwiderstands. Beispielsweise zeigte sich dies mit der übertriebenen Annahme von 1500 Deserteuren, die erst nach der Jahrtausendwende mit neuen Archivforschungen widerlegt werden konnte. Dennoch hielten die Heimatbuchautoren weiterhin an den althergebrachten Erzählweisen des Abessinienkriegs fest. In den Beiträgen Joseph Fontanas wurden diese in den Jahren zwischen 2000 und 2006 sogar noch weiter ausgebaut, als er den bereits vorhandenen, traumatischen Opfermythos mit sakrifiziellen Märtyrergeschichten ausstattete. Jedwede Reaktion seitens der Südtiroler konnte dadurch als heldenhafter Widerstandsakt gegen das faschistische Rom gelesen werden: Egal ob Kriegsteilnehmer oder Deserteur, beide dienten dem Freiheitskampf ihrer Heimat. Erst als sich nach 2006 eine Handvoll kritischer Geschichtswissenschaftler den Spuren des Abessinienkriegs in Südtirol anzunähern begann, wurde diesbezüglich ein sachlicher Zugang möglich. Ob solche Chancen von den Südtiroler Heimatbuchautoren auch tatsächlich wahrgenommen werden, wird sich in deren zukünftigen Arbeiten wohl erst noch zeigen müssen. Jedenfalls würden somit weitaus reichhaltigere und letztendlich ehrlichere Stimmen kommunaler Gedächtnisse vernehmbar.
V.
Schweigen und Erzählen, 1945–2018
Vom eingestimmten Schweigen kollektiver Nachkriegsgedächtnisse Abseits einzelner Erinnerungsorte schwiegen sich die Südtiroler über deren tatsächliche Teilnahme am Abessinienkrieg lange Zeit geschlossen aus. Auf welche Art und Weise dieses kollektive Schweigen1133 in der Nachkriegszeit gesellschaftlich zustande kam, soll nachfolgend aufgezeigt werden. Einführend ist dem erzählerischen Umgang mit dem Abessinienkrieg dazu das vielsagende Schweigen auf Landesebene gegenüberzustellen. National sowie regional werden dadurch erinnerungspolitische Praktiken und Erzählkonventionen sichtbar, welche die Erinnerung an den imperialen Angriffskrieg Mussolinis über verschiedene Wege verstummen ließen. Der Hauptteil geht danach auf konkrete, in Südtirol verbreitete Erzählstrategien ein, die zuerst im Stillen und danach zunehmend öffentlich über den Abessinienkrieg zu berichten wussten.
1133 Dazu die Definition kollektiven Schweigens nach Jay Winter : »Silence, we hold, is a socially constructed space in which and about which subjects and words normally used in everyday life are not spoken. The circle around this space is described by groups of people who at one point in time deem it appropriate that there is a difference between the sayable and the unsayable, or the spoken and the unspoken, and that such a distinction can and should be maintained and observed over time. Such people codify and enforce norms which reinforce the injunction against breaking into the inner space of the circle of silence.« Vgl. Winter, Jay : Thinking about silence, in: Shadows of War. A Social History of Silence in the Twentieth Century, Efrat Be-Zev’ev/Ruth Ginion/Jan Winter (Hg.), Cambridge 2010, S. 3–32, hier S. 4.
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Das Schweigen über den Abessinienkrieg im Italien der Nachkriegszeit Schweigen und Erzählen sind zwei entscheidende Grundoperationen von Vergangenheitspolitik.1134 Was aus der Geschichte in welcher Form vernehmbar ist, hängt wesentlich von der politischen Agenda jeweiliger Machtinstanzen ab.1135 Daher bedurfte auch das Nachkriegsitalien von 1945 eines einheitsstiftenden Gründungsmythos, der die in den 22 Jahren davor erlittenen Traumata und gesellschaftlichen Risse so rasch als möglich zu überspielen vermochte. Der gemeinsame Aufbruch in die Erste Republik erfolgte somit durch das Unterordnen fragmentierter und oftmals antagonistischer Kriegserinnerungen unter eine identitätsstiftende Meistererzählung.1136 Wenig überraschend artikulierte sich diese in erster Linie als Widerstand gegen das gerade untergegangene, faschistische Herrschaftssystem.1137 Eine solche Vergangenheitspolitik kam indes nicht nur in Italien zum Tragen. Europaweit bemühten sich zu der Zeit diverse Regierungen beflissen darum, unbequeme Kriegserinnerungen zu Gunsten einer gemeinsamen Aufbauarbeit zum Schweigen1138 zu bringen.1139 Das oftmals überstürzt vorgenommene Abrechnen mit der jüngsten Geschichte schlug allerdings nur wacklige Brücken über gesellschaftliche Gräben hinweg – 1134 Wolfrum, Edgar : Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948–1990, Darmstadt 1999, S. 25–26. 1135 Simon, Dieter : Verordnetes Wissen, in: Amnestie oder die Politik der Erinnerung in der Demokratie, Gary Smith/Avishai Margilat (Hg.), Frankfurt a. M. 1997, S. 21–37, hier S. 35; Koschorke, Albrecht: Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer Allgemeinen Erzähltheorie, Frankfurt a.M. 2012, S. 219 sowie S. 222–223. 1136 Middell, Matthias/Gibas, Monika/Hadler, Frank: Sinnstiftung und Systemlegitimation durch historisches Erzählen. Überlegungen zu Funktionsmechanismen von Repräsentationen des Vergangenen, in: Zugänge zu historischen Meistererzählungen, Dies. (Hg.), COMPARATIV. Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung, 10 (2000), Heft 2, S. 7–35, hier S. 24–26; Schaff, Barbara: Erzählen und kollektive Identität, in: Handbuch Erzählliteratur. Theorien, Analysen, Geschichte, Mat&as Mart&nez (Hg.), Stuttgart 2011, S. 89–97, hier S. 90. 1137 Focardi, Filippo: La guerra della memoria. La Resistenza nel dibattito politico italiano dal 1945 a oggi, Rom/Bari 2005, S. 3–4. 1138 Albrecht Koschorke schreibt hierzu auch von Schweigezonen des kulturellen Gedächtnisses, in welchen Tabus, Geheimnisse, Krypten oder Traumata in Form von nicht-vergessbarem Nicht-Wissen generationsübergreifend weitergetragen werden. Solche Schweigezonen: »[…] reproduzieren sich von Generation zu Generation nach eigenen Gesetzen und weisen in ihrer negativen Tradierung eine besondere, rätselhafte Beharrlichkeit auf.« Vgl. Koschorke, Wahrheit und Erfindung, S. 218. 1139 Cornelißen, Christoph: Stufen der Vergangenheitspolitik in Deutschland und Italien seit 1945, in: Verschweigen, Erinnern, Bewältigen. Vergangenheitspolitik nach 1945 in globaler Perspektive, Jürgen Zimmerer (Hg.), Leipzig 2004, S. 14–38, hier S. 19; Baldissara, Luca: Die Konstruktion einer Erinnerung zwischen Vergangenheit und Zukunft. Zur Erinnerungspolitik in Europa, in: Historikerkommissionen und historische Konfliktbewältigung, Christoph Cornelißen und Paolo Pezzino (Hg.), Berlin / Boston 2018, S. 285– 315, hier S. 307.
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besonders zu Krisenzeiten sollten diese stets wieder von Neuem einbrechen.1140 Luca Baldissara beschreibt dieses kollektive Verdrängen deshalb als einen Obolus: »[…] der im Vergessen und in der Verfälschung der jüngsten Vergangenheit bestand und entrichtet werden musste, um den Wiederaufbau der durch den Krieg tief erschütterten Zivilgesellschaft zu beschleunigen.«1141
Somit wurde mit dem Faschismus zwischen 1943 und 1945 zwar noch überaus streng abgerechnet, als noch während des Kriegs um die 12’000 Regimeanhänger verfolgt und getötet wurden. Zudem institutionalisierten Sonderschwurgerichte solch öffentliche Prozesse in den unmittelbaren Nachkriegsmonaten, wodurch doch immerhin um die 20’000 Verfahren eröffnet wurden. Politisch sowie strafrechtlich wurde der Faschismus allerdings nicht lange verfolgt: Bereits im Juni 1946 brachte der kommunistische Justizminister Palmiro Togliatti ein Amnestiegesetz durch,1142 nach welchem die alten Regimeanhänger zu Gunsten einer nationalen Versöhnungspolitik freigesprochen wurden.1143 Der in Rom vorherrschende Umgang mit der historischen Erblast des Faschismus änderte sich in den Folgejahrzehnten daraufhin immer wieder von Neuem – je nach parteilichen Zusammensetzungen jeweiliger Regierungskoalitionen.1144 We-
1140 Baldissara, Die Konstruktion einer Erinnerung zwischen Vergangenheit und Zukunft, S. 287. 1141 Ebd., S. 287. 1142 Zur allgemeinen Funktion von Amnestien in jungen Demokratien vgl. Smith, Gary : Ein normatives Niemandsland? Zwischen Gerechtigkeit und Versöhnungspolitik in jungen Demokratien, in: Amnestie oder Die Politik der Erinnerung in der Demokratie, Gary Smith/Avishai Margalit (Hg.), Frankfurt a.M. 1997, S. 11–21, hier S. 13. 1143 Cornelißen, Stufen der Vergangenheitspolitik, S. 21; Focardi, La guerra della memoria, S. 18. 1144 Christoph Cornelißen unterscheidet dazu vier Phasen der italienischen Vergangenheitspolitik: Die erste verortet er in den Jahren von 1945 bis 1948, als die Sozialisten und Kommunisten aufgrund ihrer Wahlniederlage die Regierung verlassen mussten und das Ruder von der Christdemokratischen Partei übernommen wurde. Bis in die Sechzigerjahre verfügte diese über die absolute Wahlmehrheit, wozu sie aus Opportunitätsgründen auch auf die Anliegen neofaschistischer Parteien einging. Hier bewegte sich die Lesart der Kriegsjahre zwischen dem ehemaligen Grundkonsens gegen die deutsche Besatzungsmacht auf der einen Seite- und dem Reinwaschen des faschistischen Regimes auf der anderen. Die dritte Phase brach danach mit dem Sieg der Mitte-Links-Koalition von 1963 an. Für die kommende Dekade war deren Geschichtspolitik vor allem um einen landesweiten Resistenza-Mythos bemüht, nach welchem das italienische Volk als eigentliche Opfer der Schergen Mussolinis erschien. Die letzte vierte Phase nahm ihren Anfang in den Siebzigerjahren: dabei bemühten sich konservative Historiker wie Renzo De Felice darum, dem damals hegemonialen Deutungsrahmen der linken Lesart des Faschismus eine revisionistische Variante entgegenzuhalten. Dankbar wurde diese schönfärberische Rezeption des Faschismus und seiner Verbrechen sodann in den Achtzigern und Neunzigern von den im Fahrwasser Berlusconis zur Macht gelangten Rechtsparteien aufgenommen,
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sentlich erscheint hierbei letztendlich, dass die zeitweise bevorzugten Meistererzählungen stets von einem gemeinschaftsstiftenden Erzählkanon des Ventennio nero ausgingen. Eine differenzierte und unvoreingenommene Auseinandersetzung mit dieser düsteren Zeitspanne kam auf nationaler Ebene dadurch nie zustande.1145 Das Hauptaugenmerk der nationalen Meistererzählung vom Faschismus richtete sich hauptsächlich auf den Zweiten Weltkrieg. Genauer auf die beiden Jahre nach 1943, während welcher sich der Fokus auf den ›gemeinsamen‹ Kampf mit den Alliierten gegen die deutsche Besatzungsmacht und die Anhänger Mussolinis richten ließ. Dank diesem angeblich zweiten Risorgimento habe sich das italienische Volk eigenständig vom Joch der autoritären Herrschaft befreit und damit den demokratischen Grundstein für die Erste Republik gelegt.1146 Der in den Jahren zuvor um den ›Duce‹ betriebene Staatskult erschien dadurch nicht nur als grundsätzlich volksfern, auch verlagerte sich die Aufmerksamkeit auf diejenigen Kriegsgeschehnisse, welche sich innerhalb der Landesgrenzen von 1945 zugetragen hatten. Die völkerrechtswidrigen und äußerst blutigen Expansionskriege, die bis 1941 im Namen des faschistischen Großreichs ausgetragen worden waren, verschwanden somit rasch hinter einem um sie gelegten Schweigemantel.1147 Hieraus entsprang wenig verwunderlich der Mythos der ›braven Italiener‹1148, gemäß welchem das italienische Volk von Mussolini unfreiwillig in den Zweiten Weltkrieg hineingezogen worden war und dessen Soldaten als bloße Mitläufer der ungleich ›böseren Deutschen‹ ins Feld gezogen seien.1149 In diese nationale Erzähltradition reihte sich ebenfalls die Narration vom italienischen Kolonialismus in Nord- und Ostafrika ein.1150 Hier bemühten sich vergangenheitspolitische Meinungsmacher landesweit darum, das kollektive
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um damit deren fremdenfeindliche Agenda abzustützen. Vgl. Cornelißen, Stufen der Vergangenheitspolitik, S. 22–37. Klinkhammer, Lutz: Kriegserinnerungen in Italien im Wandel der Generationen. Ein Wandel der Perspektive?, in: Erinnerungskulturen in Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer und Wolfgang Schwenker (Hg.), Frankfurt a.M. 2003, S. 333–344, hier S. 340. Focardi, La guerra della memoria, S. 7. Klinkhammer, Kriegserinnerungen in Italien im Wechsel der Generationen, S. 333. Bidussa, David: Il mito del bravo italiano, Mailand 1994, S. 12. Davon ausgenommen waren freilich die Schwarzhemden sowie die oberen Befehlshaber der italienischen Streitkräfte. Der Mythos beschränkte sich ausschließlich auf die Selbstabsolution ›einfacher Soldaten‹. Vgl. Focardi, La guerra della memoria, S. 17; Cornelißen, Stufen der Vergangenheitspolitik S. 17. Deplano, Valeria: Within and outside the nation: former colonial subjects in post-war Italy, in: Modern Italy, online veröffentlicht am 16. 08. 2018, S. 1–16, hier S. 2, aufgerufen am 06. 05. 2019; Morone, Antonio M.: La fine del colonialismo italiano tra storia e memoria, in: Storicamente.org, Laboratorio di Storia, 12 (2016), Imperialismi e retaggi postcoloniali in Italia, Portogalo, Spagna, Matteo Pasetti (Hg.), 1–31, hier S. 12–13.
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Selbstbild der Italiener als arbeitssame Entwicklungshelfer anstatt als skrupellose Unterdrücker zu reproduzieren.1151 Dieser offensichtliche Erzählstrang der faschistischen Regimepropaganda wurde aufgenommen, um damit die in Wahrheit grässlichen Verbrechen des faschistischen Imperialismus so weit als möglich unter den Teppich zu kehren. Dafür galt es umso eindringlicher auf den vermeintlich rechtmäßigen Kolonialismus des liberalen Italiens zu verweisen, ohne dabei freilich dessen nicht minder brutales Vorgehen – beispielsweise in Libyen – anzuprangern. Dieser Erzählweise entsprechend war mithin von einem angeblichen Zivilisierungswerk von vormals ›unterentwickelten‹ Regionen des ›dunklen Kontinents‹ die Rede, deren Bevölkerungen sich nun kraft der italienischen Arbeiterschaft auf einer höheren Entwicklungsstufe befänden.1152 Gewiss wurde dieses Märchen einer kolonialen Entwicklungsarbeit nach 1945 von breiten Bevölkerungskreisen dankbar aufgenommen und weitererzählt. Schließlich hatte der plötzliche Verlust der afrikanischen Überseeterritorien nach 1941 keinesfalls zum Verschwinden eines kolonialen Bewusstseins beigetragen.1153 Tief geprägt von der faschistischen Kriegs- und Kolonialpropaganda der Vorjahre, war der Stolz, einem angeblich neu geschaffenen ›Impero‹ anzugehören, im kollektiven Selbstbild der Nation nach wie vor präsent.1154 Um die Kontinuität eines derartigen Sendungsbewusstseins war ferner auch das erste Kabinett Alcide De Gasperis bemüht. Eine entsprechend geschichtspolitische Stimmungsmache lag diesem unter anderem deswegen am Herzen, da es die im Krieg verlorengegangenen Kolonien gesamthaft wiederzugewinnen galt. Der ungebrochene Herrschaftsanspruch wurde hierbei vor allem auf die präfaschistischen Kolonien Eritrea, Somalia sowie Libyen erhoben.1155 Einige der nationalen Ansprachen De Gasperis von 1946 lesen sich dazu nicht viel anders, als diejenigen der faschistischen Eroberungsrhetorik der Dreißigerjahre: 1151 Morone, La fine del colonialismo italiano tra storia e memoria, S. 4. 1152 Pes, Alessandro: Coloni senza colonie. La Democrazia Cristiana e la decolonizzazione mancata (1946–1950), in: Quel che resta dell’Impero. La cultura coloniale degli italiani, Ders./Valeria Deplano (Hg.), Mailand/Udine 2014, S. 417–439, hier S. 419. 1153 Burdett, Charles: The Debris of Utopia: The Cultural Construction of Empire and its Memory, in: Colonialism and National Identity, Paolo Bertella Farnetti/Cecilia Dau Novelli (Hg.), Newcastle 2015, S. 196–212, hier S. 196–199; Labanca, Nicola: Postkoloniales Italien: Der Fall eines kleinen und verspäteten Reichs. Von starken Gefühlen zu grösseren Problemen, in: Erinnerungskulturen post-imperialer Nationen, Dietmar Rothermund (Hg.), Baden-Baden 2015, S. 179–215, hier S. 179. 1154 Deplano, Valeria: La madrepatria H una cosa straniera. Libici, eritrei e somali nell’Italia del dopoguerra (1945–196), Mailand 2017, S. 6; Assmann, Aleida: Erinnerung post-imperialer Nationen. Ein Kommentar, in: Erinnerungskulturen post-imperialer Nationen, Dietmar Rothermund (Hg.), Baden-Baden 2015, S. 261–275, hier S. 265. 1155 Pes, Alessandro: Coloni senza colonie. La Democrazia Cristiana e la decolonizzazione mancata (1946–1950), in: Quel che resta dell’Impero. La cultura coloniale degli italiani, Ders./Valeria Deplano (Hg.), Mailand/Udine 2014, S. 417–439, hier S. 417–418.
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»Non sarebbe giusto privare l’Italia di tutte le colonie in cui ha profuso il lavoro dei suoi figli; ha fondato citt/ italiane e promosso coltivazioni, mentre si H visto che dove cessa l’opera del nostro contadino, torna il deserto. Noi non rivendichiamo le colonie per l’imperialismo politico e l’espansionismo economico, ma in nome del lavoro e senza il lavoro italiano nel Mediterraneo, mare nel quale dovrebbe esplicarsi la piena collaborazione internazionale, non sarebbe possibile progredire.«1156
Gewiss lag der wesentliche Unterschied zur faschistischen Expansionspolitik nun darin, nicht mehr verschiedenste Erdteile unter einer ›immerwährenden‹ Herrschaft des ›Imperos‹ vereinen zu wollen.1157 Stattdessen setzte sich Rom zwischen 1947 und 1949 bei den alliierten Siegermächten für eine befristete Treuhandschaft über die vormaligen Kolonialgebiete ein. Die italienischen Diplomaten vertrauten dabei auf die damals durchaus gängige Ansicht der Siegermächte, dass die Menschen der kolonisierten Welt für deren Unabhängigkeit noch nicht weit genug ›zivilisiert‹ gewesen seien und deshalb nur mithilfe europäischer ›Entwicklungsarbeit‹ zu ›mündigen‹ Staatsbürgern souveräner Nationalstaaten erzogen werden konnten.1158 So verwundert es nicht, dass Italien seine Treuhandmandate ausschließlich auf internationalem Parkett aushandelte, anstatt sich auf gleicher Augenhöhe einer Diskussion mit den ehemaligen Untertanengebieten zu stellen.1159 Am deutlichsten wurde dieser Vormundschaftsanspruch in einem Memorandum des Ministero dell’Africa Italiana (MAI) vom 12. Januar 1948 ausformuliert.1160 An der UNO-Generalversammlung vom 18. Mai 1949 wurde den anwesenden Entscheidungsträgern das Bittschreiben ausgehändigt und schien durchaus wirksam gewesen zu sein: Immerhin bekam Italien danach die Treuhandschaft über Somalia bis 1960 zugesprochen.1161 1156 1157 1158 1159
Rede De Gasperis in Cagliari vom 21. Mai 1946, zitiert in: Pes, Coloni senza colonie, S. 426. Ebd., S. 436–437. Ebd., S. 418. Pes, Alessandro: The Colonial Question between Ideology and Political Praxis, in: Colonialism and National Identity, Paolo Bertella Farnetti/Cecilia Dau Novelli (Hg.), Newcastle 2015, S. 112–126, hier S. 112. 1160 Neben dem MAI schrieben ebenfalls der Botschafter und vormals in Äthiopien als Kolonialbeamter stationierte Giuliano Cora sowie der Generalsekretär und Äthiopien›Forscher‹ Enrico Cerulli mit. Beide waren zusammen mit ihren Kollegen aus dem MAI fest davon überzeugt, dass Italien seine verlorengegangene Vormachtposition am Horn von Afrika sowie in Libyen unbedingt wieder zurückgewinnen sollte. Vgl. Morone, La fine del colonialismo italiano tra storia e memoria, S. 4–5. 1161 Die offizielle ›Betreuung‹ der früheren Kolonie auf ihrem Weg in die vorgesehene Unabhängigkeit wurde danach bis 1960 von der Amministrazione fiduciaria italiana della Somalia (AFIS) aus verwaltet. Der dazu vorangegangene UNO-Beschluss wurde allerdings erst nach langen diplomatischen Vorverhandlungen gefasst, sodass die tatsächliche Wirkung des Memorandums noch kritisch zu untersuchen wäre. Vgl. Comberiati, Daniele: Decolonization: Representing the Trusteeship Administration of Somalia, in: The Horn of Africa and Italy. Colonial, Postcolonial and Transitional Cultural Encounters,
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Derselbe Dominanzanspruch über vormalige Kolonialgebiete lässt sich zwar unzähligen externen sowie internen Regierungsdokumenten, Positionspapieren verschiedenster Parteien sowie Parlamentsprotokollen bis weit in die Sechzigerjahre entnehmen.1162 Am vehementesten wurde dieser jedoch vom ehemaligen Kolonialministerium eingefordert. In dessen Büros traf sich bis 1953 die alte Kolonialelite des faschistischen Italiens, von wo aus sie landesweit die Restauration ihres verlorengegangenen ›Großreichs‹ lobbyierte. Dabei konnten sich die Kolonialnostalgiker getrost auf deren Regierungskollegen verlassen: Beispielswiese als sich das Parlament 1947 dafür entschied, die Nachlässe der Kolonialverwaltung im Archiv des Außen- anstatt in demjenigen des Innenministeriums unterzubringen. Einzig einem ausgewählten Komitee des MAIs wurde danach noch der Zugang zu den Beständen gewährt. Unabhängige Historiker erhielten dagegen keine Einsicht in das brisante Aktenmaterial.1163 Dafür wurden dem Afrikaministerium öffentliche Gelder zugesprochen, um in einem mehrbändigen Werk mit dem großspurigen Titel ›Opera dell’Italia in Africa‹ die angeblich dort vollbrachte ›Entwicklungsarbeit‹ zu dokumentieren. Angelo Del Boca betitelte die darin versuchte Selbstabsolution passend als ein »verschwenderisch ausgestattetes, kolossales Mystifikationswerk«.1164 Damit nicht genug, verfügte die alte Kolonialelite aufgrund ihrer Expertise weiterhin über bedeutende Wirtschafts- und Handelsposten und besetzte noch lange die Forschungs- und Förderstellen am Istituto italiano per l’Africa – womit auch an vielen Universitäten grundsätzlich keine kritischen Fragen zu den italienischen Aggressionskriegen zugelassen wurden.1165 Aufgrund dieser nationalen Erzählkultur1166 trafen die aus Ost- und Nordafrika zurückkehrenden Siedler in den Vierziger- und Fünfzigerjahren auf ein in der italienischen Gesellschaft vorherrschendes, kollektives Schweigen über die Kolonialvergangenheit des Landes. Deren Tagebücher, Fotoalben oder sonstigen Andenken verschlossen sie wohl auch deshalb in ihren Schubladen und gewährten höchstens privaten Familiengedächtnissen Einblicke in die darin fest-
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Simone Brioni/Shimelis Bonsa Gulema (Hg.), Oxford 2018, S. 193–215; Morone, La fine del colonialismo italiano tra storia e memoria, S. 4–8. Pes, The Colonial Question between Ideology and Political Prais, S. 118–126; Morone, La fine del colonialismo italiano tra storia e memoria, S. 28. Del Boca, Der Mythos von den »anständigen Italienern«, in: Völkermord und Kriegsverbrechen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Irmtrud Wojak/Susanne Meinl (Hg.), Frankfurt a.M. 2004, S. 193–203, hier S. 200; Labanca, Postkoloniales Italien, S. 189– 190. Del Boca, Der Mythos von den »anständigen Italienern«, S. 200. Labanca, Postkoloniales Italien, S. 191. Saupe, Achim/Wiedemann, Felix: Narration und Narratologie. Erzähltheorien in den Geschichtswissenschaft, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, Version 1.0, 28. 01. 2015, S. 13.
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gehaltenen Kriegserinnerungen.1167 Außerdem erlebte Italien in den ersten Nachkriegsjahrzehnten keine derartige Einwanderungswelle aus früheren Kolonien wie beispielsweise Frankreich, England, Belgien oder Holland. Sofern sich dennoch vereinzelte Studenten aus Ostafrika oder vormalige Askaris in den Städten der Apenninhalbinsel aufhielten, fanden sie sich nicht selten mit offen rassistischen Vorurteilen konfrontiert.1168 Die Mitsprache an einer öffentlichen Diskussion über die koloniale Erblast Italiens wäre ihnen daher sowieso verschlossen geblieben. Aber auch die schulischen Lehrmittel jener Zeit trugen nichts zu solch einer Aufarbeitungsdebatte bei. Die menschenverachtenden Stereotypen aus der Zeit des Faschismus wurden in zahllosen Schulzimmern ungestört weiter unterrichtet. Bis weit in die Sechzigerjahre war in den Lehrbüchern ausschließlich vom vermeintlichen ›Zivilisierungswerk‹ in Nord- und Ostafrika zu lesen.1169 Erst nach 1970 wurden solche Mystifikationen allmählich von den Lernplänen gestrichen, wobei sie allerdings nicht durch eine kritischere Erzählweise der faschistischen Kolonialzeit ersetzt wurden. Um unbequeme Fragen zu vermeiden, wurde im Fach Geschichte einfach nur noch die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg unterrichtet.1170 Die Kolonialgeschichte Italiens erschien in den Schulbüchern des Landes deshalb lange Zeit höchstens in den Fußnoten.1171 Es liegt auf der Hand, dass die Schrecken des Abessinienkriegs innerhalb dieser nationalen Meistererzählung ebenso keinen Platz fanden. Zusammen mit einer Reihe weiterer Gewaltverbrechen des faschistischen Regimes1172 tauchte die Aggression gegen das Kaiserreich Haile Selassies höchstens in der Form idealisierter Abenteuergeschichten auf. Zahlreiche Kolonialoffiziere sowie regimetreue Kriegskorrespondenten1173 bemühten sich in ihren Memoiren um ein 1167 Labanca, Postkoloiales Italiens, S. 183–184. 1168 Deplano, Within and outside the nation, S. 2–12. 1169 De Michele, Grazia: La storia dell’Africa e del colonialismo italiano nei manuali di storia in uso nelle scuole superiori, in: I sentieri della ricerca, 3 (2006), S. 131–168, hier S. 132–136. 1170 Gabrielli, Gianluca: The Colonial Identitiy of Italian Youth in the Period between the Fascist Regime and the Republic: The School’s Role, in: Colonialism and National Identity, Paolo Bertella Farnetti/Cecilia Dau Novelli (Hg.), Newcastle 2015, S. 46–67, hier S. 58. 1171 Erste kritische und wahrheitsgetreue Schilderungen sind erst in einigen wenigen Lehrbüchern der Neunzigerjahre zu finden. In vielen Lehrmitteln sind falsche Mystifikationen und althergebrachte Vorurteile aber nach wie vor auszumachen. Vgl. De Michele, La storia dell’Africa e del colonialismo italiano, S. 139–143. 1172 So beispielsweise die Beteiligung am Spanischen Bürgerkrieg, die Gewaltverbrechen der ›dragoni della morte‹ in Mallorca, die Besatzungspolitik auf der Balkanhalbinsel oder auf dem Dodekanes sowie schließlich die Komplizenschaft beim Russlandfeldzug der Deutschen Wehrmacht. Vgl. Del Boca, Angelo: Italiani, brava gente? Un mito dure a morire, Vicenza 2005, S. 293. 1173 Darunter vor allem die drei Kriegsberichterstatter Indro Montanelli, Roberto Battaglia sowie Ennio Flaiano, von denen dreien sich Battaglia und Flaiano in den Jahren nach 1945 aber auch dezidiert kritisch zum Abessinienkrieg äußern sollten. Vgl. Novelli Dau, Cecilia:
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solch schönfärberisches Bild ihres Kriegseinsatzes.1174 Widerspruchlos zog demnach eine Überzahl der Veteranen das Schweigen dem Erzählen vor: Oftmals auch deshalb, weil ihrem vermeintlich siegreichen Einsatz in Ostafrika nicht selten ein weiterer Dienst auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs gefolgt war. Das Trauma der dort erlittenen Niederlage – teilweise gefolgt von mehreren Jahren Kriegsgefangenschaft – stellte den vorangegangenen Einsatz in Ostafrika häufig in den Schatten.1175 Insofern sich dennoch Stimmen gegen den nationalen Erzählkanon des Abessinienkriegs erhoben, konnten diese die Mauer des Schweigens nur selten und kaum hörbar durchbrechen. Dass solche »Enklaven der Erinnerung«1176 aber trotz allem bestehen blieben und sich hin und wieder zu Wort meldeten, ist für Nicola Labanca ein weiteres Indiz dafür, dass die Abwesenheit des Abessinienkriegs in der Meistererzählung des Bel Paese einem gewollten, kollektiven Verschweigen geschuldet war. Von einer tatsächlichen Amnesie könne deshalb prinzipiell nicht die Rede sein.1177 Um solche Einzelstimmen aus dem kommunikativen Gegengedächtnis einzufangen, unterteilt Labanca die gesamte Nachkriegszeit in vier Phasen der »post-imperialen Erinnerung«1178 : Die erste davon wird auf die Verlustjahre der vormaligen Kolonien begrenzt (1945–1955), die zweite auf diejenigen der Entkolonialisierung (1955–1975), die dritte auf die post-koloniale Periode (1975– 1990) und die vierte schließlich auf die Zeit der politischen und wirtschaftlichen Globalisierung nach 1991.1179 Wiederum hingen die öffentlich vorherrschenden Erzählweisen des Abessinienkriegs stark von den jeweiligen Regierungskoalitionen ab: Tonangebend waren folglich lange Zeit die Christdemokraten. Als politisches Sprachrohr der Katholischen Kirche hatten sie allerdings kaum Interesse daran, die Verbrechen Mussolinis in Ostafrika aufzuarbeiten.1180 Gerade der Vatikan versuchte die bereitwillige Kooperation am ›Kreuzzug‹ gegen die ›ketzerischen‹ Kopten zu verschweigen.1181 Demgegenüber setzte sich die Linke
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Erasure and Denial of the Past: The Long and Winding Road of Italian Colonial Historiography, in: Colonialism and National Identity, Paolo Bertella Farnetti/Cecilia Dau Novelli (Hg.), Newcastle 2015, S. 8–26, hier S. 9. Labanca, Nicola: Una guerra per l’impero. Memorie della campagna d’Etiopia 1935–36, Bologna 2005, S. 284. Ebd., S. 278–279. Labanca, Postkoloniales Italien, S. 183. Ebd., S. 183. Ebd., S. 184. Ebd., S. 184. Schließlich ließ sich die Segenserteilung an Mussolinis Eroberungskrieg von der Kirche nicht mit ihrem am zweiten vatikanischen Konzil (1962–1965) beschlossenem Einsatz für die damals unabhängig gewordenen Nationalstaaten vereinbaren, weshalb sich die Kirchenvertreter weiterhin in ein opportunistisches Schweigen hüllten. Vgl. Labanca, Postkoloniales Italien, S. 185. Mattioli, Aram: Experimentierfeld der Gewalt. Der Abessinienkrieg und seine internationale Bedeutung 1935–1941, Zürich 2005, S. 121–123.
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zwar zuerst noch für den Wiedererhalt der präfaschistischen ›Arbeiterkolonien‹ ein – was sie ab den Sechzigerjahren angesichts von Solidaritätsbekundungen für die entkolonialisierte Welt freilich wieder herunterzuspielen versuchte. Die rechte bzw. neofaschistische Minderheit schwelgte derweil weiter in der Nostalgie des untergegangenen ›Imperos‹.1182 Überdies war das zwischen 1945 und 1975 vorherrschende Schweigen wesentlich dem damaligen internationalen Umfeld geschuldet. Die von der italienischen Kolonialherrschaft befreiten Länder Nord- und Ostafrikas machten ihren Anspruch auf eine gerechte Aufarbeitung der Kriegs- und Kolonialverbrechen kaum bzw. nicht lange geltend.1183 Zwar bestand Haile Selassie nach seiner Rückkehr nach Addis Abeba anfangs noch vehement darauf, die ungesühnten Kriegsverbrechen international anzuerkennen sowie dafür angemessen entschädigt zu werden.1184 Unter der Gewaltherrschaft des Dergs geriet Äthiopien nach 1975 aber schon bald in eine innere Dauerkrise, wodurch der Blick in die Vergangenheit von weitaus dringenderen Problemen der Gegenwart abgelenkt wurde.1185 Aber auch die alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs unterließen es Italien den Prozess zu machen – trotz ihres ursprünglichen Bekenntnisses, Kriegsverbrecher in aller Welt aufzuspüren und für ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bestrafen. Die Geschichtsschreibung hat hierzu schon seit Längerem festgestellt, dass sich die Schergen des Mussolini-Regimes nie vor einem Nürnberg-Tribunal rechtfertigen mussten. Letztendlich waren die Regierungsvertreter in London, Paris und Washington mehr darum besorgt, dass sich die inmitten Europas gelegene junge Republik vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs zu sehr dem Kreml annähern könnte. Zu Gunsten der italienischen Rechts- und Mitteparteien wurden die in Nord- und Ostafrika begangenen Gewaltverbrechen deshalb wohlweislich übersehen und nie in aller Konsequenz angesprochen.1186 Das Schweigen um den Abessinienkrieg konnte demnach erst in der dritten Phase nach 1975 stellenweise durchbrochen werden. Zu verdanken war dies der 1182 Labanca, Postkoloniales Italien, S. 184. 1183 Somalia profitierte finanziell zu sehr von der Treuhandschaft und zerfiel danach in den Neunzigern aufgrund eines nie beendeten Bürgerkriegs um die Nachfolge des Diktators Siad Barre. Eritrea wurde erst 1993 unabhängig und erhielt danach von Italien militärische Hilfe in seinem Krieg gegen Äthiopien, wofür Asmara auf kritische Fragen bezüglich seiner Kolonialvergangenheit verzichtete. Einzig Tripolis forderte Rom ständig wieder dazu auf, zum begangenen Unrecht offiziell Stellung zu beziehen sowie die Rechnung dafür endlich zu begleichen. Für Gaddafi wurden die Öl-Geschäfte mit Italien aber letztendlich wesentlich lukrativer als eine nach Gerechtigkeit strebende Vergangenheitspolitik. Vgl. Labanca, Postkoloniales Italien, S. 193. 1184 Mattioli, Experimentierfeld der Gewalt, S. 169. 1185 Labanca, Postkoloniales Italien, S. 193. 1186 Mattioli, Experimentierfeld der Gewalt, S. S. 167–176.
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unermüdlichen Pionierarbeit des kritischen Journalisten und späteren Kolonialhistorikers Angelo Del Boca, der 1965 seine erste wissenschaftliche Studie1187 zum Abessinienkrieg ›La guerra d’Abissinia‹1188 vorgelegt hatte.1189 An die Universitäten gelangten derart kritische Stimmen allerdings erst in den Siebzigerjahren, wo sie anschließend in den Achtzigern die ersten Lehrstühle zu besetzen begannen. Der Forschungsbereich der italienischen Afrika-Studien wurde dadurch teilweise – allerdings nur langsam und mit erheblicher Verspätung – von seiner kolonialen Erblast befreit.1190 Dazu beigetragen haben zweifellos die Arbeiten von Giorgio Rochat,1191 eine wegweisende Studie von Giuseppe Maione,1192 die ab 1976 veröffentlichten Monographien und Aufsätze Del Bocas sowie die bis dato erschienenen Forschungsbeiträge Nicola Labancas.1193 Aber auch außerhalb Italiens begannen sich Historiker für die Eroberungskriege Mussolinis zu interessieren. So beispielsweise die britischen Historiker Denis
1187 Dieser ersten Monographie Del Bocas ging allerdings noch eine frühere Artikelserie in der Gazetta del popolo voraus, in welcher der engagierte Auslandkorrespondent anlässlich des 30. Jahrestages des Abessinienkriegs bereits einige seiner ersten Untersuchungsergebnisse veröffentlicht hatte. Vgl. Mattioli, Experimentierfeld der Gewalt, S. 179. 1188 Del Boca, Angelo: La guerra d’Abissinia, 1935–1941, Mailand 1965. 1189 Etwas älter als die von Del Boca vorgelegte Rekonstruktion ist zwar noch ein Buch des Abessinienveteranen Roberto Battaglia. Dieses stieß allerdings auf weitaus weniger Aufmerksamkeit als das Erstlingswerk Del Bocas, welches er zwischen 1976 und 1988 nochmals um ein vierbändiges Monumentalwerk erweiterte. Vgl. Battaglia, Roberto: La prima guerra d’Africa, Turin 1958; Del Boca, Angelo: Gli Italiani in Africa Orientale, 4 Bd., Rom 1979–1985. 1190 Nicht wenige Wissenschaftler schwiegen sich allerdings weiter zum italienischen Kolonialismus und dem Abessinienkrieg aus. Dies aus verschiedenen Gründen: Einerseits aus politischer Überzeugung wie beispielsweise Renzo De Felice- andererseits aber auch aus Scham für deren früheren Kollegen, die sich nach 1945 voll und ganz in den Dienst der Koloniallobby gestellt hatten. Ferner wurde die Auswirkung der italienischen Vorherrschaft in Nord- und Ostafrika oftmals auch ganz einfach unterschätzt. Davon abgesehen ist die Geschichte der ehemaligen Kolonialgebiete bisher bei Weitem noch nicht aufgearbeitet worden: Neben zahlreichen Studien zu Eritrea und Äthiopien gibt es bis dato noch kaum Untersuchungen zu Somalia. Auch Libyen wurde von der Forschung lange Zeit vernachlässigt. Vgl. Labanca, Postkoloniales Italiens, S. 194–195; Novelli Dau, Erasure and Denial of the Past, S. 11–12. 1191 Dazu beispielsweise Rochat, Giorgio: Il colonialismo Italiano, Turin 1974. 1192 Maione, Giuseppe: L’imperialismo straccione. Classi sociali e finanza di Guerra dall’impresa etiopica al conflitto mondiale (1935–1943), Bologna 1979. 1193 Hierzu nur ein kleine Auswahl der umfangreichen – und in dieser Arbeit bereits teilweise zitierten – Oeuvres der beiden Kolonialhistoriker: Del Boca, Angelo: Gli italiani in Africa orientale, 4 Bde., Bari 1976–1984; Ders.: Hail8 Selassi8, Mailand 1983; Ders. Il negus. Vita e morte dell’ultimo re dei re, Bari 1995; Ders.: I gas di Mussolini. Il fascismo e la guerra d’Etiopia, Rom 1996; Ders.: La guerra d’Etiopia. L’ultima impresa del colonialismo, Mailand 2010; Labanca, Nicola: Oltremare. Storia dell’espansione coloniale italiana, Bologna 2002; Ders.: Una guerra per l’impero. Memorie della campagna d’Etiopia 1935–36, Bologna 2005; Ders.: La guerra d’Etiopia. 1935–1941, Bologna 2015.
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Mack Smith, John Whittam oder Richard Pankhurst mit ihren in den Siebzigerjahren erschienenen Büchern und Aufsätzen.1194 Hin und wieder wurden solch unbequeme Gegenstimmen auch von Medienschaffenden unterstützt.1195 Auf den Heimbildschirmen waren die von Mussolini auf dem Balkan und in Abessinien angeordneten Gewaltverbrechen erstmals in der zweiteiligen BBC-Dokumentation von Ken Kirby und Michael Palumbo ›Fascist Legacy‹ aus dem Jahre 1989 zu sehen. Dabei handelt es sich jedoch um eine ausländische Produktion, über deren italienischsprachige Version zwar immer noch das Staatsfernsehen der RAI verfügt, von diesem aber bezeichnenderweise nie öffentlich ausgestrahlt wurde.1196 In den Kinos war die faschistische Kriegsgewalt am Horn von Afrika ebenfalls 1989 mit dem Spielfilm ›Tempo di uccidere‹1197 nach der gleichnamigen Romanvorlage von Giuliano Montaldo zu sehen. Die in Libyen begangenen Kriegsverbrechen wurden dagegen schon neun Jahre früher im Filmstreifen ›Lion of the Desert‹ von Moustapha Akkad offengelegt. Dieser Film wurde allerdings 1982 von den italienischen Behörden verboten und bis 2009 der Öffentlichkeit vorenthalten.1198 Nicht per Zufall setzten sich nach dem Beginn der vierten post-imperialen Erinnerungsphase von 1991 engagierte Historiker und Kulturschaffende zunehmend mit dem Abessinienkrieg auseinander : Wie bereits in den vorigen Kapiteln gezeigt wurde, war dafür die damals von der ersten Regierungskoalition Berlusconis landesweit betriebene Geschichtspolitik ausschlaggebend. Die dadurch angestoßenen Denkmaldebatten und Straßennamenrevisionen verliefen dabei vor dem Hintergrund einer breiten, staatlich unterstützten Medienkampagne.1199 Deren Ziel bestand unter anderem darin, die nach wie vor schlum1194 Mack Smith, Denis: Mussolini’s Roman Empire, London 1976; Ders.: Le guerre del Duce, Rom/Bari 1976; Whittam, John: The politics of the Italian Army, 1861–1918, London 1977; Ders.: Storia dell’esercito italiano, Mailand 1979; Pankhurst, Richard: The secret history of the Italian fascist occupation of Ethiopia 1935–1941’, in: Africa Quarterly, 1977, 16(14), S. 1–52; ders.: The Ethiopian patriots and the collapse of Italian rule in East Africa, in: Ethiopia Observer, 1969, Heft 10, S. 83–85. Zu den Forschungsbeiträgen Richard Pankhurst’s, die bereits ab den späten Sechzigerjahren erschienen sind, liesse sich die Aufzählung freilich noch lange fortsetzen. 1195 Gemäß Winter verfügen solch außerakademische »memory activists« nicht selten über einen weitaus höheren öffentlichen Aufmerksamkeitsradius als hingegen wissenschaftliche Fachpublikationen. Vgl. Winter, Thinking about silence, S. 24–26. 1196 Del Boca, Der Mythos von den »anständigen Italienern«, S. 201. 1197 Das Buch dazu von 1947 stammt ursprünglich aus der Feder Ennio Flaianos. Vgl. Flaiano, Ennio: Tempo di uccidere, Mailand 1947. 1198 »Dopo trent’anni, via il divieto italiano al ›Leone del deserto‹«, in: Corriere della Sera, 11. 06. 2009, corriere.it, aufgerufen am 01. 05. 2019. 1199 Diese mediale Stimmungsmache hatte bereits 1987 begonnen, als der rechtskonservative Historiker Renzo De Flice dem damaligen Corriere della Sera-Journalisten und späteren Sprecher der Berlusconi Regierung Giuliano Ferrara zwei Interviews gab. Dabei warf der Mussolini-Biograph De Felice ein ungemein verharmlosendes Licht auf das Ventennio
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mernden imperial-rassistischen Vorurteile innerhalb der italienischen Bevölkerung zu wecken, um letztendlich gegen die damals zunehmende Migration aus Südosteuropa zu polemisieren. Auch der eigentlich längst widerlegte Mythos der ›braven Italiener‹ wurde hierbei wieder vielerorts zitiert: Allen voran mit der Hilfe unbelehrbarer ›Zeitzeugen‹ wie dem Journalisten Indro Montanelli,1200 der sich Zeit seines Lebens verzweifelt für die Leugnung des Giftgaseinsatzes in Äthiopien eingesetzt hat.1201 Solch unverbesserliche Meinungsmacher waren unter anderem dafür verantwortlich, dass das öffentlich eingestimmte Schweigen um den Abessinienkrieg auch in den Neunzigerjahren nicht endgültig gebrochen wurde.1202 Wider besseres Wissen dauert dieses in Italien bis heute weiterhin an und wird je nach innen- und außenpolitischem Bedarf erneut mit irreführenden Erzählungen und Zitaten aus dem Ventennio nero untermalt. Jüngst beispielsweise in einer Twitter-Meldung des Lega-Politikers und amtierenden Innenministers Matteo Salvini zum Geburtstags Mussolinis vom 29. Juli 2018: »Tanti nemici, tanto onore«.1203
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nero. Als international angesehener Mussolini-Experte sowie zugleich als Vertreter einer dezidiert revisionistischen Geschichtslehre, erteilte der Römer Professor dem Faschismus dabei eine regelrechte Generalabsolution: Der ›Duce‹ und seine Schergen hätten sich demnach grundsätzlich keinen Gewaltverbrechen schuldig gemacht. Vgl. Heiss, Hans: Regionale Zeitgeschichten. Zur Differenzierung der zeithistorischen Forschung Tirols und Südtirols seit 1986, in: Nationalismus und Geschichtsschreibung, Arbeitsgruppe Regionalgeschichte Bozen (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 5 (1996) Heft 1& 2, S. 267–317, hier S. 272–274; Mattioli, Aram: »Viva Mussolini«. Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis, Paderborn 2010, S. 35. In den Bemühungen Montanellis wird ein dritter Impuls kollektiven Schweigens erkennbar, der in Italien ebenso dazu verwendet wurde, um von den in Abessinien verübten Kriegsverbrechen öffentlich abzulenken. Winter nennt die dabei verwendete Strategie essentialist silence. Bei dieser sind Zeitzeugen als sog. ›agents of silencing‹ darum bemüht, unter dem Vorwand des vermeintlichen Privilegs der ›Augenzeugenschaft‹ eine einer politischen Agenda entsprechende Vergangenheitserzählung zu verbreiten. Ihrer Logik folgend verfügen sie als ›Dabei-Gewesene‹ allein über die Autorität Vergangenes zu erzählen sowie zu beurteilen. Etwaiger Widerspruch kritischer Historiker wird dadurch bereits im vornherein diskreditiert. Vgl. Winter, Thinking about silence, S. 6 sowie S. 30. Labanca, Postkoloniales Italiens, S. 195–198. Ebd., S. 210. Mit dem nur spärlich kaschiertem Zitat des ›Duces‹ (»Molti nemici, molto onore«) reagierte Salvini gewohnt plump-provokativ auf die öffentliche Kritik an seiner äußerst restriktiven Migrationspolitik – namentlich an die Adresse der katholischen Kirche sowie an diejenige italienischer Intellektueller aus gemäßigteren Lagern. Entgegen scheinheiliger Beschwichtigungen Salvinis war mit seinem geschmacklosen Tweet eindeutig der Propagandaspruch Mussolinis gemeint, mit welchem der Einsatz modernster Kriegstechnologien gegenüber einer angeblichen ›Übermacht‹ der äthiopischen Streitkräfte zu einem heldenhaften ›Märtyrerkrieg‹ hochstilisiert wurde. Vgl. Wurzer, Markus: Viel Feind, viel Ehr?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. 10. 2018, Nr. 245, S. 6.
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Das Schweigen über den Abessinienkrieg im Südtirol der Nachkriegszeit In Südtirol geriet der Abessinienkrieg nach 1945 ebenfalls in einen Erzählkanon der dortigen Landesgeschichte des 20. Jahrhunderts. Die drei Fallbeispiele der vorangegangenen Kapitel haben dazu gezeigt, dass der faschistische Eroberungskrieg am Horn von Afrika innerhalb gewisser Erinnerungsorte zeitweise zwar durchaus Erwähnung fand, dabei jedoch stets Gegenstand geschichtspolitischer Diskurse blieb. Bis nach der Jahrtausendwende wollte sich grundsätzlich niemand öffentlich und kritisch zur Teilnahme der Südtiroler am Abessinienkrieg äußern. In den Bergtälern der Brennerregion wurde darüber folglich ebenso lange im Kollektiv geschwiegen. Grundsätzlich war diese Sprachlosigkeit aber anders motiviert als diejenige, die sich hinter der aus Rom vernehmbaren Meistererzählung des italienischen Kolonialismus und dessen imperialen Expansionskriegen verbarg. Der die individuellen Nachkriegsgedächtnisse überspannende Erzählrahmen der vergangenen 22 Jahre diente 1945 nicht nur in Italien, sondern auch in Südtirol dazu, über die durch Krieg und Besatzungspolitik erlebten Traumata und sozialen Gräben so weit als möglich hinwegzusehen. Zu Gunsten eines gegen Rom gerichteten Selbstbestimmungskampfes galt es fortan, an einer gemeinsamen Identität als Deutschsüdtiroler zu arbeiten.1204 Mithilfe einer gemeinschaftsstiftenden Kollektiverzählung1205 sollte die in Wahrheit ungleich facettenreichere Vergangenheit schließlich innerhalb einheitlicher Vorgaben nacherzählbar werden.1206 Barbara Schaff schreibt zur kulturellen Wirkungsmacht solch öffentlicher Erzählkonventionen: »Erzählungen basieren auf Erfahrungen und können in einen weiteren Schritt zu gemeinsamen Erfahrungen einer Gruppe von Menschen werden und damit ein kollek1204 Pallaver, Günther : Schlamm drüber, in: Südtirol – Stunde Null? Kriegsende 1945–1946, Hans Heiss/Gustav Pfeifer (Hg.), Innsbruck 2000, S. 256–281, hier S. 267. 1205 Die Funktion von Kollektiverzählungen liegt nach Roy Sommer in genau jener Absicht der Erzeugung von Gruppenzugehörigkeiten, wobei dazu nicht nur ein einziger Erzähltext als Vorlage dient. Vielmehr geben sie allgemeinverbindliche Erzählmuster vor, nach denen zahlreiche Einzelgeschichten ausgerichtet werden, um damit explizit Zusammenhalt und Orientierung für ein anvisiertes Kollektiv zu schaffen. Kollektiverzählungen unterscheiden sich von Meistererzählungen dahingehend, dass sie sich erstens auch innerhalb marginalisierter Gegengedächtnisse formieren können und demnach nicht unbedingt auf eine öffentliche Vormacht abzielen. Zweitens wissen Kollektiverzählungen im Wesentlichen über gesellschaftsstiftende Erfahrungen und Erlebnisse einer Sozietät zu berichten, wogegen Meistererzählungen je nach geschichtspolitischem Bedarf ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen können. Vgl. Sommer, Roy : Kollektiverzählungen. Definition, Fallbeispiele und Erklärungsansätze, in: Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens, Christian Klein/Mat&as Mart&nez (Hg.), Stuttgart 2009, S. 229–245, hier S. 232. 1206 Saupe/Wiedemann: Narration und Narratologie, S. 5.
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tives Bewusstsein generieren. Sie beziehen sich auf eine außertextliche Wirklichkeit und mobilisieren den sozialen Austausch, sie verwenden ein Repertoire von Erzählkonventionen und Erzählinhalten einer spezifischen Kultur, das diese in der Fiktion sichtbar macht wie auch narrativ erzeugt. Dadurch prägen sie Identität und Erinnerung von Individuen wie auch von Kollektiven.«1207
Aufgrund des überwiegend nach den südlichen Herkunftsregionen orientierten Zusammengehörigkeitsgefühls der italienischen Sprachgruppe und der marginalisierten Kollektividentität der Ladiner, wurde die öffentliche Deutungshoheit über die Geschichte in den Tälern rund um Bozen folglich primär von deutsch-nationalistischen Erinnerungsaktivisten1208 beansprucht.1209 Ganz nach dem Grundsatz: »Südtirol ist in Italien […] Südtirol ist nicht Italien.«1210, wurden hierzu zwar gleichwohl Kapitel aus der Geschichte des Ventennio nero rezipiert. Innerhalb des damit bemühten, landesgeschichtlichen Vergangenheitsnarrativs wurden jedoch gänzlich andere Akzente als im nationalen Gedächtnis der Apenninhalbinsel gesetzt. Zum Bild eines standhaften, tief mit dem Land verwurzelten – natürlich ausschließlich deutschsprachigen – Bergbauernvolks passte dazu mehr die Erzählung einer traumatischen und illegitimen Abtrennung vom ›Mutterland‹ Österreich und des darauffolgenden Widerstandskampfes gegen die skrupellose Italianisierungspolitik Roms.1211 Das faschistische Italien erschien darin als ein imperialer Schurkenstaat, unter welchem pauschal alle Deutschsüdtiroler leiden mussten, da sie sich als dezidierte Antifaschisten seit jeher gegen das an ihnen verübte historische Unrecht zur Wehr gesetzt hatten.1212 Im Gegensatz zu dem sich zeitgleich herausbildenden Nationalgedächtnis wurde hierbei weder eine Mythenbildung um die Resistenza noch um den präfaschistischen Kolonialismus eines ›braven‹ Arbeitervolks benötigt. Gemäß dem deutsch-nationalistischen Geschichtsverständnis trat dafür der Nationalsozialismus als die eigentliche Befreiungsmacht gegen die ›bösen Italiener‹ von 1943 in Erscheinung. Es verwundert daher kaum, dass die Opfer der ›Operationszone Alpenvorland‹ innerhalb dieses Diskurses bis heute kleinge1207 Schaff, Erzählen und kollektive Identität, S. 89. 1208 Dazu der Terminus memory activists von Jay Winter. Vgl. Winter, Thinking about silence, S. 24–26. 1209 Grote, Georg: »Besessen und Vergessen« Historische Forschung und Geschichtsvermittlung in Südtirol, in: Südtirolismen. Erinnerungskulturen – Gegenwartsreflexion – Zukunftsvisionen, Georg Grote/Barbara Siller (Hg.), Innsbruck 2011, S. 101–113, hier S. 103. 1210 Grote, »Besessen und Vergessen«, S. 103–104. 1211 Ebd., S. 105–107. 1212 Wohingegen italienisch-nationalistische Kreise genau in jener faschistischen Herrschaftszeit des ›Alto Adiges‹ die Geburtsstunde ihrer ›Heimat‹ zu erkennen gaben. Ihr Selbstbild speist sich demnach aus dem imperialen Mythos der ›Zivilisierung‹ Südtirols durch die dortige Siedlungspolitik des Faschismus. Historisch wird diesem somit eine grundsätzlich positive Bedeutung zugemessen. Vgl. Grote, Georg: The South Tyrol Question, 1866–2010. From National Rage to Regional State, Bern 2012, S. 169–170.
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redet werden, um das während des Ventennio nero erlittene Leid gleichzeitig umso lauter anzuklagen.1213 Dieses kulturnationalistische Geschichtsbild fand in der Nachkriegszeit nicht nur in den deutschsprachigen Printmedien oder Heimatbüchern weite Verbreitung. Auch diverse zivilgesellschaftliche Vereine bemühten sich um eine aktive Teilnahme an dieser regionalen Erzählkultur. In zahlreichen Berg- und Talgemeinden trat hierzu Ende der Vierzigerjahre der Südtiroler Kriegsopferund Frontkämpferverband (SKFV) in Erscheinung.1214 Ursprünglich war die Veteranenorganisation 1957 aus dem Südtiroler Kriegsopferverband und dem Südtiroler Heimkehrerverband1215 hervorgegangen. Das Hauptanliegen des SKFV bestand folglich zunächst darin, sich beim italienischen Staat für das Recht auf Pensionszahlungen einzusetzen. Diese wurden vielen Südtirolern in erster Linie deswegen verwehrt, weil sich das dafür eigentlich zuständige nationale Kriegsinvalidenhilfswerk (ONIG) für die Rückoptanten nicht verantwortlich zeigen wollte. Erst nach langem Verhandeln mit Rom und der Bundesrepublik Deutschland sowie der Teilnahme an internationalen Treffen, wie demjenigen des Weltfrontkämpferverbands in Wien von 1954, wurden die Mitglieder des SKFV schließlich mit einer bescheidenden Summe für ihren Militärdienst entschädigt. Allerdings war es am Ende trotzdem die BRD, die ihnen 1965 eine einmalige Pension von rund 264 Millionen Lire zusprach. Der italienische Staat zahlte ihnen danach nie eine fürs Leben ausreichende Altersvorsorge aus. Entsprechend war der Verband und dessen Mitglieder noch jahrzehntelang auf Privatspenden angewiesen, wozu enge Kontakte zur SVP gepflegt wurden, alljährlich Landesverbandstage stattfanden sowie die Verbandszeitschrift Südtiroler Kamerad monatlich herausgegeben wurde.1216 Es erstaunt daher nicht, dass sich der SKFV erstens äußerst kämpferisch gab und zweitens dezidiert antiitalienisch auftrat. Zudem reihten sich unter die heimgekehrten Wehrmachtssoldaten nicht wenige überzeugte Nationalsozia1213 Verdorfer, Martha: Individuelles und kollektives Nachkriegsgedächtnis, in: Südtirol – Stunde Null? Kriegsende 1945–1946, Hans Heiss/Gustav Pfeifer (Hg.), Innsbruck 2000, S. 296–311, hier S. 300–304; Verdorfer, Martha: Zweierlei Faschismus. Alltagserfahrungen in Südtirol 1918–1945, Wien 1990, S. 10–11 sowie S. 14. 1214 Gewiss trat der SKFV auf kommunaler Ebene stets zusammen mit anderen ›Traditionsvereinen‹ wie beispielsweise den Südtiroler Schützen oder den Dorfchronisten auf. Gemeinsam engagierten sie sich in den zahlreichen Gemeinden für das ihnen gemäße, deutsch-nationalistische Geschichtsbild. Vgl. Steurer, Leopold: Südtirol und der Rechtsextremismus. Über »Urangst«-Politik, Geschichtsrevisionismus und rechte Seilschaften, in: Der identitäre Rausch. Rechtsextremismus in Südtirol, Günther Pallaver/Giorgio Mezzalira (Hg.), Bozen 2019, S. 115–155, S. 140–143. 1215 Dieser war 1947 von ehemaligen Wehrmachtssoldaten bzw. zurückgekehrten Optanten gegründet worden. Vgl. Heinz, Elmar : Die versteinerten Helden. Kriegerdenkmäler in Südtirol, Bozen 1995, S. 89. 1216 Heinz, Die versteinerten Helden, S. 89–94.
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listen,1217 wenn nicht gar vormalige Angehörige der Waffen-SS1218, die sich nun als Ehrenmitglieder innerhalb des Verbands tatkräftig für die ›Traditions- und Kameradschaftspflege‹ sowie den Erhalt der ›Soldatenehre‹ einsetzten.1219 Offensichtlich wurde damit nationalsozialistisches Gedankengut im Sinne eines durch den tapferen Kriegseinsatz erfolgten heroischen ›Opfergangs‹ der Südtiroler im Zweiten Weltkrieg eins zu eins wiedergegeben. Auf Kosten des Narrativs einer selbstlosen ›Pflichterfüllung‹ wollte sich dafür niemand kritisch mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen.1220 Als Opfer erschienen allein die gefallenen ›Helden‹ der Wehrmacht, wodurch die grässlichen Gewaltverbrechen des ›Dritten Reichs‹ konsequent ausgeblendet wurden.1221 Der dadurch beschworene Gefallenenkult des SKFV breitete sich einerseits durch das Errichten von Kriegerdenkmälern in unzähligen Südtiroler Gemeinden auf die Region aus. Die dazu nötigen Gelder wurden oftmals direkt vor Ort gesammelt: Entweder bei den Dorfbewohnern oder aber über Lokalvereine wie die freiwillige Feuerwehr, Musikkapellen sowie ab den Siebzigerjahren bei kommunalen Schützenkompanien.1222 Andererseits marschierte der SKFV auch alljährlich vor ebenjenen Denkmälern auf oder zeigte sich an den Totenmessen verstorbener Kameraden sowie an Andreas-Hofer-Feiern: Unübersehbar markierten dessen Mitglieder ihre Anwesenheit dabei jeweils fahnenschwingend in Verbandsuniform und brüsteten sich stolz mit den ihnen verliehenen Wehrmachtsorden.1223 Dass der SKFV in den Gemeinden Südtirols nicht nur das öffentliche Gedenken an den Zweiten Weltkrieg vereinnahmte,1224 sondern genauso fleißig die 1217 Mit der Rückoption von 1948 kehrten viele belastete Nationalsozialisten wieder nach Südtirol zurück. Im Klima des Kalten Kriegs und der verpassten Verurteilung des italienischen Faschismus konnten sie gedeckt durch eine Art Stillhalteabkommen ein weitgehend anonymes Leben führen. Bezüglich der schwarzen oder brauen Vergangenheit vieler Südtiroler wurden demnach in der Nachkriegszeit grundsätzlich keine Fragen gestellt. Ganz im Gegenteil konnten die Altnazis gegenüber den Altfaschisten an vorderster Front der kulturnationalistischen Grabenkämpfe Position beziehen. Vgl. Pallaver, Schlamm drüber, S. 267. 1218 So beispielsweise der Obmann der Ortsgruppe Frangart und ehemalige SS-Offizier Karl Nicolussi-Leck. Vgl. Heinz, Die versteinerten Helden, S. 101. 1219 Heinz, Die versteinerten Helden, S. 96. 1220 Steurer, Südtirol und der Rechtsextremismus, S. 140–142. 1221 Verdorfer, Individuelles und kollektives Nachkriegsgedächtnis, S. 305–306. 1222 Bezeichnenderweise geben beinahe alle der in den Gemeinden platzierten Denkmäler ein ausnahmslos positives und heroisches Bild vom Kriegseinsatz der eigenen Dorfbevölkerung wieder. Kritische oder gar pazifistische Mahnmale sind dabei nur vereinzelt in Dörfern und Weilern entlegener Bergtäler zu finden. Vgl. Heinz, Die versteinerten Helden, S. 81. 1223 Heinz, Die versteinerten Helden, S. 77–85. 1224 Dazu ein Zitat aus der Ausgabe des Südtiroler Kamerads vom Juli 1960, in welchem der angeblich ideale Standort eines Kriegerdenkmals in Tramin – zu dessen Einweihung SVPLandeshauptmann Silvius Magnago eine Rede gehalten hatte – wie folgt beschrieben wird: »Die Wahl des Platzes hätte nicht günstiger sein können, denn jetzt haben die Traminer
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Narration des ›wehrhaften Südtiroler Bergbauernstands‹ wiedergab, wird spätestens beim Blick in den Südtiroler Kamerad offenkundig.1225 Hierzu erschien in den Ausgaben der Vereinszeitschrift zwischen 1959 und 1960 eine fünfzehnteilige Artikelserie mit dem Titel ›Unsere Heimat Südtirol‹, in welcher der ›Leidensweg‹ Südtirols bis 1945 nachzulesen ist. In der Ausgabe vom November 1958 wurde dazu die ›Wesenheit‹ des ›Tiroler-Volkstums‹ in einer derben Blutund-Boden-Rhetorik zusammengefasst und als grundlegend für die spätere Geschichte Deutschsüdtirols vorausgesetzt: »Das bodenständige Volkstum in Tirol stellt eine einheitliche Sondergestaltung deutschen und auch des ihm eng verbundenen rätoromanischen Wesens dar. Am ausgeprägtesten offenbart sie sich im Bauerntum, in Südtirol trotz aller modernen Umschichtungen auch heute noch der stärkste Stand. […] Der überquellende Kinderreichtum fand bis zur italienischen Ära in diesen Städten und ihren Berufen seine naturgegebenen Arbeitsplätze, außerdem bestand eine weitere Wanderbewegung des stets erheblichen Bevölkerungsüberschusses. Die Abgeschlossenheit und das Streben nach Selbstversorgung bei der Bergbauernschaft regten zu einer vielseitigen Betätigung der körperlichen und geistigen Kräfte an. […] Zu einer äußerlichen Schwerfälligkeit und geringer Redegewandtheit gesellen sich gründliches Denken und scharfe Beobachtungsgabe, die sich in Schlagfertigkeit und gesunden Humor offenbaren. […] Wesentlich ist die Tiroler Eigenart von der Geschichte des Landes und der Verbindung mit dem Hause Habsburg bestimmt. […] Die seit dem Mittelalter bestehende persönliche Freiheit des Tiroler Bauern ist auch der Urgrund seiner politischen Freiheitsrechte. So ist zum Unterschied von manchen deutschen und besonders italienischen Landschaften der Südtiroler an ein hohes Maß von Selbstverwaltungsrecht und Teilnahme an der Regierung seit alters her gewohnt. Aus all dem leitet sich ein starker Freiheitssinn und demokratisches Bewusstsein ab, für die auch große Opfer gebracht werden. Kräftig ist das Gefühl für die Bande des Blutes, der Gemeinde und der Landmannschaft.«1226
Vor diesem kämpferischen und eigensinnigen Bild der Südtiroler »Landmannschaft« erstaunt es kaum, dass jedwede kulturellen Einflüsse Italiens kategorisch geleugnet werden: So erscheint auch der Faschismus als eine repressive Besattäglich ihr Kriegerdenkmal vor Augen, das sie auch täglich mahnen wird, für die Heimat einzustehen.« Vgl. »Einweihung des neuen Kriegerdenkmales in Tramin«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, III. Jg., Nr. 7, Juli 1960, S. 3. 1225 Das erste Heft vom Südtiroler Kamerad erschien am 1. Dezember 1958. Allein dessen Aufmachung assoziierte in Frakturschrift und dem Titelbild eines heroischen Wehrmachtssoldaten, der gerade einen gefallenen Kameraden auf seinen Schultern aus der Schusslinie trägt, eine unverkennbare NS-Nostalgie. Vgl. Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer- und Frontkämpferverbandes. I. Jg., 1. Dezember 1958, S. 1. 1226 »Unsere Heimat Südtirol – Volkseigenart und Brauchtum, 3. Fortsetzung«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, II. Jg., Nr. 11, November 1959, S. 2–3, hier S. 2.
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zungsmacht, welcher die Südtiroler im geschlossenen Kollektiv ablehnend bis kämpferisch gegenüberstanden. Der Nationalsozialismus wird demgegenüber vor allem hinsichtlich des Optionsabkommens von 1939 als Verräter des ›Tiroler Volkes‹ angeklagt. Die bereitwillige Kooperation mit dem NS-Regime während der ›Operationszone Alpenvorland‹ oder die darunter begangenen Gräueltaten werden dagegen in keiner einzigen Zeile erwähnt.1227 Diesem Geschichtsbild des Kollektivwiderstands der Brennerregion entsprechend, war auch für die Teilnahme von Südtirolern an den imperialen Eroberungskriegen des Faschismus kein Platz vorgesehen. Stattdessen wird eine direkte Linie vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg gezogen; wobei besonders die innige Verbundenheit zwischen der für die Habsburgermonarchie im Einsatz gewesenen Veteranen mit der jüngeren Generation, die wiederum unter der Fahne einer ›deutschen‹ Macht marschiert war, hervorgehoben wird.1228 Das Vergangenheitsnarrativ des SKFV verfügt jedoch durchaus über ein Kapitel des Zweiten Weltkriegs, in welchem Nordafrika im Mittelpunkt des Geschehens steht. Es handelt sich dabei um die von Nazideutschland durchgeführte ›Operation Sonnenblume‹, die in der Schlacht bei El Alamein von 1942 bekannterweise mit einem entscheidenden Sieg der britischen Streitkräfte unter General Bernard Montgomery endete. Ungeachtet dessen, dass Mussolini Hitler bei der Einnahme Polens hinterrücks im Stich gelassen habe, sei die Wehrmacht dennoch den Italienern in Libyen zur Hilfe geeilt. Aufgrund disziplinloser Offiziere sowie einer maroden Ausrüstung hätten diese ansonsten keine Chance gegen die ihnen weit überlegenen Briten gehabt.1229 Als heldenhafter Protagonist der Geschichte tritt hiernach Generalfeldmarschall Erwin Rommel auf, der sich 1227 »Unsere Heimat Südtirol, 13. Fortsetzung«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, II Jg., 1960, Nr. 9, S. 2; »Unsere Heimat Südtirol, 14. Fortsetzung«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, II Jg., 1960, Nr. 10, S. 2; »Unsere Heimat Südtirol, 15. Fortsetzung«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, II Jg., 1960, Nr. 11, S. 2. 1228 So beispielsweise im Geleitwort des Verbandspräsidenten Anton Achmüller gleich auf der Frontseite der ersten Ausgabe der Zeitschrift: »Wir können mit Freuden feststellen, dass gerade die Frontkämpfer des ersten Weltkrieges stolz sind, heutzutage sich einem deutschen Kriegsverband eingliedern zu können, da dies früher niemals möglich gewesen wäre.« Vgl. »Zum Geleit. Ein Wort des Verbandspräsidenten«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, I. Jg., Nr. 1, Dezember 1958, S. 1–2, hier S. 2. 1229 Diese Erzählung fand besonders in den Zeitschriftenausgaben der Achtziger- und frühen Neunzigerjahren Verbreitung. So beispielsweise in: »Die Schlacht um El Alamein«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 4, 1983, S. 6; »Die deutsche Offensive in Nordafrika«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 1, 1991, S. 9; »Der ›Wüstenfuchs‹ erobert Tobruk«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 1, 1991, S. 12.
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als der »tüchtigste und jüngste Feldherr« der Wehrmacht bereitwillig an die nordafrikanische Front begeben habe, um dort für die »Größe« des »Dritten Reichs« seinen Mann zu stehen. Die nationalsozialistische Parteispitze habe den »Wüstenfuchs« für seinen tollkühnen Einsatz am Ende aber nie gebührend gewürdigt. Letztendlich sei Rommel aufgrund eines unbegründeten Verratsverdachts von Hitler 1944 bei Herlingen persönlich in den Suizid getrieben worden.1230 Ihren in Nordafrika gefallenen Kameraden gedachten die Südtiroler ›Afrikakämpfer‹ während der Nachkriegszeit besonders auf Jahresversammlungen sowie auf sog. »Erinnerungsfahrten«1231. Auf derartigen Ausflügen besuchten aus deutschen, österreichischen sowie südtirolerischen Veteranenverbänden zusammengesetzte Reisegruppen ehemalige Kriegsschauplätze und Soldatenfriedhöfe in Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten, um dort direkt vor Ort in ihrer Kriegsnostalgie zu schwelgen.1232 Der Zusammenhalt solcher Vereine erwies sich letztendlich äußerst langlebig: Noch Mitte der Neunzigerjahre trafen sie sich in mittelweile hohem Alter zweimal jährlich, um ihren Einsatz an der nordafrikanischen Küste gemeinschaftlich ins Gedächtnis zu rufen.1233 Sofern der italienisch-faschistische Imperialismus in den Artikeln des Südtiroler Kameraden dennoch zur Sprache kam, wird dieser als eine explizit italienische Angelegenheit geschildert, mit welcher die Deutschsüdtiroler grundsätzlich nichts am Hut gehabt hätten. Eine Ausnahme dazu bilden einzig Schilderungen, bei denen Südtirol gemeinsam mit den übrigen exterritorialen Zugewinnen des faschistischen Italiens als eine ebenso unterworfene Kolonie genannt wird. Den Südtirolern sei es durch die ihnen oktroyierte Entnationalisierungspolitik sonach nicht anders ergangen als den Menschen Nord- und
1230 »Der »Wüstenfuchs« erobert Tobruk«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 1, 1991, S. 12. 1231 »›Afrikaner‹ besuchen ehemalige Kampfstätte«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 5, 1983, S. 12. 1232 Ebd., S. 12; »Das Kriegsgeschehen in Nordafrika«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 6, 1989, S. 6; »Südtiroler Afrikakämpfer bei Gedenkfeier in Tunesien«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 3–4, 1995, S. 8. 1233 »Adventfeier der ›alten Afrikaner‹ des Pustertals«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 1, 1985, S. 9; »Die alten Afrikaner treffen sich in Schlanders«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 2, 1987, S. 7; »Wüstenfüchse feiern Zehnjähriges«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 3, 1987, S. 9; »Treffen ehemaliger Afrika-Kämpfer«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 3–4, 1995, S. 7.
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Ostafrikas, Albaniens oder des Dodekanes.1234 Im Unterschied zu diesen sei Südtirol nach 1945 aber als einzige italienische Kolonie verblieben1235 – ganz davon abgesehen, dass angeblich kein anderes Kolonialvolk derart gelitten habe wie die Bewohner der Bergtäler um Bozen.1236 Der Abessinienkrieg wird in den Ausgaben der Vereinszeitschrift zwischen 1958 und 2007 gerade mal in vier Artikeln erwähnt.1237 Die damit zusammenhängenden Kriegsverbrechen werden in diesen zwar durchaus kritisch angesprochen und die nach Del Boca allmählich begonnene Aufarbeitungsarbeit somit grundsätzlich aufgenommen.1238 Es handelt sich freilich um einen Feldzug, der ausschließlich von Altitalien geführt wurde und an dem die Deutschsüdtiroler folglich keinerlei Anteil nahmen. Die Aggression gegen Äthiopien übernimmt folglich einzig die Funktion, die skrupellose Kriegsführung und Besatzungspolitik Mussolinis anzuklagen, um das damit zweifellos begangene Unrecht des faschistischen Imperialismus eins zu eins auf Südtirol zu übertragen. Wiederum herrscht hier derjenige, traumatische Opferdiskurs vor, gemäß welchem die Abessinier an der Seite der Deutschsüdtiroler als Leidensgenossen desselben imperialen Expansionswahns erscheinen.1239 Exemplarisch kann hierfür der erste Bericht zum Abessinienkrieg von 1961 herangezogen werden. Darin echauffiert sich der Autor über eine in Bozen gehaltene Festrede des Präsidenten des italienischen Verbandes der Externierten
1234 »Unsere Heimat Südtirol, 14. Fortsetzung«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, II Jg., 1960, Nr. 10, S. 2. 1235 »Unsere Heimat Südtirol, 15. Fortsetzung«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, II Jg., 1960, Nr. 11, S. 2; »Amba Alagi und Südtirol«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, III Jg., 1961, Nr. 3, S. 5. 1236 So behauptete es jedenfalls Hedy Gutweniger aus Meran, in: »Zeugen einer tristen Vergangenheit«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 2, 1997, S. 4–5, hier S. 4. 1237 »Amba Alagi und Südtirol«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, III Jg., 1961, Nr. 3, S. 5; »Historische Wahrheiten nicht verfälschen«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 5, 1982, S. 13; »Auch italienische Kriegsverbrechen?«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 6, 1989, S. 11; »Italien verdrängt Genozid«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 1, 2006, S. 15. 1238 So bezieht sich der Artikel von 1989 explizit auf den Dokumentarfilm »Fascist Legacy« und derjenige von 2006 auf einen Bericht der schweizerischen Gesellschaft für bedrohte Völker (Gfbv) sowie die zahlreichen, bis dahin erschienenen wissenschaftlichen Studien aus der Feder italienischer Kolonialhistoriker. 1239 Hierzu beispielsweise Kap. »Mancherlei Erzählungen vom Abessinienkrieg«, S. 242–259; Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006, S. 72–74 sowie S. 81.
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anlässlich des alljährlichen ›Tages der Erinnerung‹.1240 Senator Paride Piasenti würdigte dabei in seiner Ansprache den angeblich tapferen Widerstand des Herzogs Amedeo von Aosta am Amba Alagi von 1941 als eine unvergleichliche ›Ruhmestat‹ der Nationalgeschichte, die es an der Brennergrenze unbedingt zu wiederholen gelte. Prompt reagierte der SKFV auf diese Provokation und bestätigte, dass Südtirol tatsächlich die letzte verbliebene Kolonie Italiens darstelle. Allerdings dürfe es nun nicht mehr darum gehen, in dieser die Italianit/ um jeden Preis zu verteidigen, sondern sich vielmehr für die Umsetzung des Pariser Abkommens von 1946 einzusetzen.1241 Neben diesem verzerrten Geschichtsbild verrät der Artikel allerdings auch einiges über die geschichtspolitische Konkurrenz, welcher sich der SKFV besonders in den Städten und größeren Ortschaften Südtirols ausgesetzt sah. Dazu haben bereits die in den vorigen Kapiteln behandelten Fallbeispiele des Alpinidenkmals in Bruneck oder der Straßennamen in Bozen verdeutlicht, dass italienische Veteranenverbände an solchen Erinnerungsorten ebenso ihre eigene Version vom Abessinienkrieg propagierten.1242 Solche von Rom aus unterstützte vergangenheitspolitische Narrationen des Abessinienkriegs dienten in den mehrheitlich italienischsprachigen Zentren folglich dazu, dass sich die dort wohnhaften Veteranen zu ritterlichen Verteidigern der Italianit/ hochstilisierten konnten. Dagegen haben sich die Erzählungen des SKFV vor allem im deutschsprachigen Hinterland Südtirols etabliert: beispielsweise in den Kriegerdenkmälern abgelegener Berggemeinden. Das Vereinsorgan des SKFV machte den Abessinienkrieg somit stellenweise zwar durchaus zum Thema. Allerdings nur, solange sich dieser im Sinne eines Emplotments1243 widerspruchslos in die Kollektiverzählung des traumatischen Opferdiskurses einfügen ließ.1244 Diejenigen Deutschsüdtiroler, die aus verschiedensten Gründen selber am Überfall in Äthiopien teilgenommen hatten, erhielten dadurch jahrzehntelang freilich keine Stimme.1245 Zugunsten des Zu-
1240 »Amba Alagi und Südtirol«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, III Jg., 1961, Nr. 3, S. 5. 1241 Ebd., S. 5. 1242 Heiss, Hans/Obermair, Hannes: Erinnerungskulturen im Widerstreit. Das Beispiel der Stadt Bozen/Bolzano 2000–2010, in: Der Grenzraum als Erinnerungsort. Über den Wandel zu einer postnationalen Erinnerungskultur in Europa, Patrick Ostermann, Claudia Müller/Karl-Siegbert Rehberg (Hg.), Bielefeld 2012, S. 63–81, hier S. 75. 1243 Koschorke, Wahrheit und Erfindung, S. 248. 1244 Saupe, Saupe/Wiedemann, Narration und Narratologie, S. 5–6. 1245 Gleichermaßen schweigsam blieben diejenigen Soldaten, welche sich 1939 gegen die ›Option‹ entschieden hatten und anschließend wiederum für Mussolini im Zweiten Weltkrieg ihren Wehrdienst leisten mussten. Deren ambivalente Einstellung zum italienischen Faschismus fand in der deutsch-nationalistischen Kollektiverzählung von den Jahren 1919 bis 1945 ebenfalls keinen Platz. Vgl. Di Michele, Andrea: Guerre fasciste e memorie divise in Alto Adige/Südtirol, in: Abessinien und Spanien: Kriege und Erinne-
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sammengehörigkeitsgefühls mit ihren Landsleuten zogen sie sich lieber zurück und brachten ihre Erlebnisse und Geschichten aus Ostafrika kaum jemals in den öffentlichen Vergangenheitsdiskurs mit ein.1246 Sofern sie dennoch als ›Abessinienkämpfer‹ auftraten – beispielsweise an einem offiziellen Treffen vom 8. Mai 1985 in Bozen –, wurde dies im Südtiroler Kamerad zwar durchaus erwähnt.1247 Die Angaben dazu sind aber rein informativ und auffallend unpathetisch formuliert; von einem regen Interesse an solchen Gedenktagen kann wahrlich nicht die Rede sein.1248 Selbst in ihren Todesanzeigen erscheint der oftmals erste Kriegseinsatz der ›Abessinienkämpfer‹ von 1936 als eine unfreiwillige Vorepisode ihres späteren, angeblich ehrvolleren Einsatzes für die ›deutsche Heimat‹: Sei dies in der Wehrmachtsuniform an einer Front des Zweiten Weltkriegs, als tüchtige Bergbauern auf dem elterlichen Hofe oder als führsorgliche Gründungsmitglieder des SKFV.1249 Welcher Platz dem Abessinienkrieg innerhalb der deutsch-nationalistischen Kollektiverzählung der Nachkriegszeit zugeordnet wurde, lässt sich außerdem einer sechsteiligen Artikelserie der Dolomiten vom Frühjahr 1966 entnehmen.1250 Anlässlich des 30. Jahrestags der faschistischen Aggression kam diese damit erstmals in einem deutschsprachigen Publikumsmedium Südtirols ausführlich zur Sprache. Der Informationsgehalt der allwöchentlich erscheinenden Artikel bezog sich wesentlich auf Del Bocas ›La guerra d’Abissinia‹ von 1965, zu deren Lektüre die Zeitung im Kreise einer deutschsprachigen Leserschaft explizit anregen wollte.1251 Obschon der Reportage die seriöse Recherchearbeit Del
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rung 1935–1939, Ders. (Hg.) Geschichte und Region / Storia e regione, 25 (2016), Heft 1, S. 17–41, hier S. 19. Di Michele, Guerre fasciste e memorie divise in Alto Adige/Südtirol, S. 20. Ebd., S. 24. »3. Treffen der ehemaligen Abessinienkämpfer in Gries-Bozen«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 2, 1985, S. 5. »Gründungsmitglied Wilhelm Kofler verstorben«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 1, 2007, S. 13; »Abschied von Hans Eschgfäller«, in: ebd., S. 13. »Mussolinis Angriffskrieg auf Abessinien«, in: Dolomiten, 15. 01. 1966, Nr. 11, S. 3; »Mussolinis Angriffskrieg gegen Abessinien, 1. Fortsetzung«, in: Dolomiten, 22. 01. 1966, Nr. 17, S. 3–4; »Mussolinis Angriffskrieg gegen Abessinien, 2. Fortsetzung«, in: Dolomiten, 29. 01. 1966, Nr. 23, S. 3 u. 20; »Mussolinis Angriffskrieg gegen Abessinien, 3. Fortsetzung«, in: Dolomiten, 05. 02. 1966, Nr. 29, S. 3–4; »Mussolinis Angriffskrieg gegen Abessinien, 4. Fortsetzung«, in: Dolomiten, 12. 02. 1966, Nr. 35, S. 3–4; »Mussolinis Angriffskrieg gegen Abessinien, 5. Fortsetzung und Schluss«, in: Dolomiten, 19. 02. 1966, Nr. 41, S. 3. Es handelt sich hierbei um eine allgemeine Funktion journalistischer Wahrheitserzählungen, indem sie auf der Grundlage gegebener Tatsachen eine für die Zielleserschaft bestimmte Geschichte zurechtzuschneiden versuchen. Abhängig von den dabei mittransportierten Werten bieten derartige Erzählungen ganz unterschiedliche Blicke auf die ihnen zugrundeliegenden Ereignisse. Vgl. Mart&nez, Mat&as: Erzählen im Journalismus,
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Bocas zugrunde lag, bediente die Redaktion mit deren Wiedergabe am Ende trotzdem nur wieder die gängigen Klischees der Landesgeschichte.1252 Augenscheinlich wird die Absicht schon im ersten Teil vom 15. Januar 1966:1253 Einleitend wird darin auf das faschistische Propagandamärchen der ›braven Italiener‹ aufmerksam gemacht, an welches die Mehrheit der Italiener immer noch naiv glaube. Entsprechend verwundere es nicht, dass die Studie Del Bocas weder in den landesweiten Medien besprochen,1254 noch öffentlich beachtet worden sei. Zwar entpuppt sich der Vorwurf, angesichts der von weiten Bevölkerungskreisen gegenüber der Publikation Del Bocas tatsächlich geäußerten Empörung, natürlich als unhaltbar.1255 Der Dolomiten gelang es, sich somit jedoch als das vermeintlich einzige aufklärerische Blatt Italiens in Szene zu setzen, welche die Arbeit des kritischen Journalisten angemessen zu würdigen wisse. Die von Mussolini angewendeten Gewaltmethoden gelte es daher endlich in ihrer ganzen Brutalität offenzulegen: Der hinterhältige Eroberungskrieg sei folglich nur dank der Bestechung abessinischer Ras, der durch italienische Spione unterwanderten kaiserlichen Heeresspitze sowie dem grausamen Einsatz von Giftgas derart schnell vorangeschritten. Von einem heroischen Feldzug, wie ihn schon das Regime den blauäugigen Italienern verkauft habe, könne mithin keinesfalls die Rede sein. Bezüglich des Inhalts gilt es dem Artikel kaum zu widersprechen. Allerdings muss dieser mit einem weiteren Bericht in den Kontext gestellt werden, der noch auf derselben Seite abgedruckt wurde. Unter der Überschrift »150-Jahr-Jubiläum der Tiroler Kaiserjäger« war von deren Anniversar zu lesen, welches am 15. und 16. Januar 1966 in Innsbruck gefeiert worden war. Von Innsbruck über Bozen bis hinunter nach Trient sei die alpine Spezialeinheit demnach vielerorts für ihre ehrwürdigen Kriegseinsätze gelobt worden. Weiter wird sie neben den Schützen und der Landmiliz als die dritte Elitetruppe aus dem südlichen Alpenraum genannt, welche Kaiser Franz I. nach dem Sieg über Napoleon von 1813 gegründet habe. Anschließend hätten sich die Gebirgsjäger bis zum Ersten Weltkrieg als exzellente Verteidiger gegen fremde Eroberer – namentlich gegen die Italiener – verdient gemacht. Für die folgenschwere Niederlage von
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in: Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens, Ders./Christian Klein (Hg.), Stuttgart 2009, S. 179–192, hier S. 184. Steinacher, Gerald: Vom Amba Alagi nach Bozen, Spurensuche in Südtirol, in: Zwischen Duce und Negus. Südtirol und der Abessinienkrieg 1935–1941, Gerald Steinacher (Hg.), Bozen 2006, S. 13–33, hier S. 29–30. »Mussolinis Angriffskrieg auf Abessinien«, in: Dolomiten, 15. 01. 1966, Nr. 11, S. 3. Ein Vorwurf, der angesichts des bis in die Sechzigerjahre nach wie vor ungebrochenen Staatsmonopols auf alle italienischsprachigen Radio- und Presseagenturen des Landes durchaus seine Berechtigung hatte. Vgl. Baratieri, Daniela: Memories and Silences haunted by Fascism. Italian Colonialism MCMXXX–MCMLX, Bern 2010, S. 54–62. Mattioli, »Viva Mussolini«, S. 80.
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1918 hätten sie freilich nichts gekonnt. Vielmehr hätten sie die Brennergrenze selbstlos bis hin zum letzten Mann verteidigt.1256 Im Gegensatz zum Vorwurf der infamen Aggression der Italiener in Äthiopien, sticht der Kontrast zur kriegsverherrlichenden Erzählweise des Widerstands altösterreichischer Streitkräfte entlang der Brennergrenze unverkennbar hervor: Auf nur einer Zeitungsseite findet der Leser demnach sowohl den kriegslüsternen Expansionismus Roms, als auch den angeblich edelmütigen Verteidigungskampf der Tiroler gegen den südlichen Aggressor. Die eigentliche Funktion dieses ersten Teils der Reportage über den Abessinienkrieg wird somit offensichtlich: Trotz der Rezeption von Del Bocas Enthüllungen gelangt die Kritik an der imperialen Aggression am Horn von Afrika schlussendlich nicht über die altbekannte, kulturnationalistische Kollektiverzählung hinaus. Ganz im Gegenteil reiht sie sich nahtlos in das landesgeschichtliche Narrativ der ausschließlich ›bösen Italiener‹ – dafür aber umso ›braveren (Süd)Tiroler‹ ein. Ein unvoreingenommenes Interesse am Abessinienkrieg hätte dagegen unweigerlich auch unbequeme Fragen nach dem Mitwirken der Südtiroler an diesem brutalen Eroberungskrieg aufgeworfen. Stattdessen beschränkte sich das Tagblatt lieber auf einen letztendlich reduktionistischen Vergleich zweier genauso blutiger wie auch verlustreicher Konflikte der jüngsten National- und Landesgeschichte. Ein solches Spannungsverhältnis zwischen Erinnerung und Verschwiegenheit in Gedenken an Kriege des 19. und 20. Jahrhunderts ist im Kontext konfliktgeladener Geschichtspolitik indes nicht unüblich. Gemäß Winfried Speitkamp spiegelt sich genau darin »der Charakter einer Gesellschaft, die Funktionsweise einer politischen Kultur und das Verständnis der nationalen Identität« wider.1257 Dasselbe rhetorische Spiel wiederholte sich sodann in den zwischen dem 22. Januar und dem 19. Februar erschienenen Folgeartikeln: Die grenzenlose Brutalität der unter den drei Generälen Emilio De Bono, Pietro Badoglio und Rodolfo Graziani begangenen Kriegs- und Besatzungsverbrechen werden zwar schonungslos geschildert,1258 selbstkritische Töne nach einer Mittäterschaft der Südtiroler sind jedoch nirgends auszumachen. Besonders hervorgehoben wird hingegen die Versöhnungsbereitschaft Haile Selassies, welche dieser bei der 1256 »150-Jahr-Jubiläum der Tiroler Kaiserjäger«, in: Dolomiten, 15. 01. 1966, Nr. 11, S. 3. 1257 Speitkamp, Winfried: Krieg und Erinnerung. Fallstudien zum 19. und 20. Jahrhundert, ders. (Hg.), Göttingen 2000, S. 9–17, hier S. 13. 1258 Einzig das unter Herzog Amedeo von Aosta geltende Besatzungsregime wird als vergleichsweise versöhnend und nachsichtig beschrieben. Dessen angebliche Bemühungen eines friedlichen Zusammenlebens von Besatzungsmacht und Einheimischen kamen allerdings zu spät, sodass dessen Vermittlungsbemühungen bis 1941 keine nachhaltige Wirkung erzielte. Vgl. »Mussolinis Angriffskrieg gegen Abessinien, 4. Fortsetzung«, in: Dolomiten, 12. 02. 1966, Nr. 35, S. 3–4, hier S. 3.
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Unterzeichnung des offiziellen Friedensvertrags von 1947 international gezeigt hatte. Das bezüglich der begangenen Untaten des faschistischen Regimes uneinsichtige Rom hätte es aber zu verantworten, dass das bereitwillige Engagement des äthiopischen Kaisers letztlich im Sande verlaufen sei. Daher verwundere es kaum, dass ein Großteil der Italiener zum wahren Verlauf des Abessinienkriegs noch immer im Dunkeln tappe – eine Unwissenheit, welche die dazu schweigende Presse seit jeher untermauere.1259 Selbstverständlich stimmen die Forschungsresultate der Geschichtswissenschaft hiermit grundsätzlich überein. Allerdings folgte diesem Fazit ein Abschlussplädoyer der Redaktion, welches das zuvor Geschriebene erneut in einen relativistischen Erzählrahmen stellt. Unter dem Titel »Die Vergangenheit bewältigen« wurde dazu Folgendes geschrieben: »Einzelne Leser, die unsere Darstellung jener Ereignisse verfolgt haben, werden sich nun am Ende fragen, welchen Zweck es hat, all diese Verbrechen und Grausamkeiten wieder hervorzuholen? Verfallen wir damit nicht in denselben Fehler jener italienischen Kreise, die nicht müde werden, heute noch antideutsche Kriegsfilme am laufenden Band herzustellen und immer wieder die schrecklichen Erinnerungen an das Hitler-Regime und den von ihm entfachten Weltbrand auch in der Presse wiederzuerwecken? […] Offenbar soll mit dem Hinweis auf die letzte Vergangenheit der Deutschen die eigene faschistische Vergangenheit vertuscht werden. Gerade die italienische Lokalpresse, die auch von vielen jugendlichen Südtirolern gelesen wird, hat sich diese Taktik in besonders schamloser Weise zu eigen gemacht. Auch aus diesem Grunde war es notwendig, über ein Kapitel dunkelster und übelster Geschichte einmal die Schleier zu lüften, weil es die anderen geflissentlich unterlassen. […] Wie das deutsche Volk heute das Unrecht, das unter Hitler geschah, nicht zudeckt oder verharmlost, sondern es soweit als möglich wiedergutzumachen versucht, darf auch das italienische Volk das Unrecht, das in Abessinien und anderswo geschah, nicht weiterhin verherrlichen, vergessen oder beschönigen.«1260
Letztendlich war die Reportage also dazu gedacht, den Italienern – allen voran der italienischsprachigen »Lokalpresse« – die vom faschistischen Regime begangenen Gräueltaten denjenigen des von ihm verurteilten Nationalsozialismus entgegenzuhalten. Mit erhobenem Zeigefinger wurde der Abessinienkrieg somit als Gegengewicht zum von Deutschland organisierten und verübten Kriegs- und Besatzungsterror ins Feld geführt; als ließe sich damit irgendeine Gleichung erinnerungspolitischer Schuldbekenntnisse auflösen. Ein die Opfer aller Kriege gedenkendes Schuldbekenntnis hätte dazu gewiss eines selbstkritischeren Ansatzes bedurft. Letztendlich wurde zur tatsächlichen Täterschaft vieler Südtiroler aber weiterhin im Kollektiv geschwiegen.1261 1259 »Mussolinis Angriffskrieg gegen Abessinien, 5. Fortsetzung und Schluss«, in: Dolomiten, 19. 02. 1966, Nr. 41, S. 3. 1260 »Die Vergangenheit bewältigen«, in: Dolomiten, 19. Februar 1966, Nr. 41, S. 3. 1261 Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit, S. 82.
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Unstimmigkeiten individueller und kommunikativer Nachkriegsgedächtnisse Das gesellschaftlich eingestimmte Schweigen über die Beteiligung von Südtirolern am Abessinienkrieg verhinderte indes nicht, dass sich die heimgekehrten Abessinienkämpfer nicht selbst im privaten Familienumfeld mit ihrem zurückliegenden Kriegseinsatz auseinandersetzten. Zu welcher Zeit sie dies weshalb taten und inwieweit sie die Kollektiverzählung vom Abessinienkrieg dabei in Form einer Passungsleistung1262 aufnahmen und weitersponnen,1263 soll in den folgenden beiden Abschnitten betrachtet werden.1264 Gleichzeitig lässt sich dadurch die zeitbedingte Position solcher Erzählinstanzen im kommunikativen Gedächtnis1265 der Südtiroler Nachkriegsjahre verorten.
Zum individuellen Nachkriegsgedächtnis eines ›Südtirolers‹ im Abessinienkrieg, 1973 Ein aufschlussreiches Zeugnis persönlicher Nachkriegserinnerung liegt im Tagebuch des Deutschsüdtirolers Oskar Eisenkeil vor, welches er während seiner Dienstzeit in Abessinien zwischen dem 12. Oktober 1936 und dem 13. März 1938 verfasst hat.1266 Das rund 100-seitige Manuskript entspricht allerdings nicht mehr den während dieser Monate ursprünglich geschriebenen Tagebuchseiten.1267 Vielmehr handelt es sich um dessen Abschrift, die Eisenkeil erst 34 Jahre nach seiner Rückkehr aus Ostafrika vornahm. Diesem späteren Typoskript legte 1262 Dazu Matthias Middell: »Die Identifikation des Einzelnen mit einer Gruppe, mit einer Situation, mit einem Ziel sozialer Entwicklung, kann als ›Passungsleitung‹ durch den Abgleich zwischen vorliegenden Erzählmustern und der individuelle Selbsterzählung unter Berücksichtigung der verfügbaren Ressourcen interpretiert werden.« Vgl. Middell u. a., Sinnstiftung und Systemlegitimation durch historisches Erzählen, S. 10–11. 1263 Gerade diese Anwendbarkeit von Kollektiverzählungen in verschiedenen sozialen und zeitlichen Kontexten gehört laut Albrecht Koschorke zu deren allgemeinen Hauptfunktionen. Vgl. Koschorke, Wahrheit und Erfindung, S. 212. 1264 Saupe/Wiedemann, Narration und Narratologie, S. 11. 1265 Assmann, Jan: Collective Memory and Cultural Identity, in: New German Critique, 65 (1995), S. 125–133, hier S. 126–128. 1266 Eisenkeil, Oskar R.: Erinnerungen an den Krieg in Abessinien 1935/39, Typoskript des Tagebuchs mit einer Einleitung von 1973, Südtiroler Landesarchiv (SLA), eingegangen am 23. März 2016. 1267 Eine solch inhaltliche Analyse des Kriegstagebuches eines Deutschsüdtirolers liegt dagegen in der hervorragenden Monographie des österreichischen Historikers Markus Wurzers vor. Vgl. Wurzer, Markus: »Nachts hörten wir Hyänen und Schakale heulen.« Das Tagebuch eines Südtirolers aus dem Italienisch-Abessinischen Krieg 1935–1936, Innsbruck 2016.
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der Autor eine ausführliche Einleitung bei, in welcher er auf den ersten 25 Seiten die Erzählung seines Kriegseinsatzes um diejenige Zeit zu ergänzen versucht, die zwischen der Einberufung ins italienische Heer vom 18. Juli 1935 in Bozen und dem Beginn der ursprünglichen Tagebuchaufzeichnungen vom 13. März 1938 in Addis Abeba verstrichen war.1268 Ganz aus dem Speicher seines persönlichen Gedächtnisses versuchte Eisenkeil demnach 1973 die Vorgeschichte seiner Kriegserlebnisse in Abessinien zu rekonstruieren.1269 Eisenkeil selbst begründet die Arbeit an seinem »abgegriffenen Büchlein«, dessen Inhalt an vielen Stellen kaum noch zu entziffern sei, mit den folgenden Worten: »Ich will es abschreiben und durch meine Erinnerungen ergänzen. Warum? Vielleicht ist es Eitelkeit, vielleicht weil [es] die eindrucksvollste Zeit meines Lebens war, die ich mir ins Gedächtnis zurückrufen will, vielleicht weil es meine Söhne einmal lesen sollen.«1270
Davon abgesehen, dass ihn die an der abessinischen Kriegsfront verbrachten Monate anscheinend fürs ganze Leben stark geprägt haben, betont Eisenkeil vor allem seine Absicht, das Tagebuch seinen Nachkommen gut lesbar zu hinterlassen. Das Kapitel seines früheren Lebens als Angehöriger der italienischen Streitkräfte in Ostafrika sollte demnach fester Bestandteil des Familiengedächtnisses der Eisenkeils werden. Aleida Assmann schreibt zur Funktion solch generationenübergreifender Erinnerungsarbeit: »Entscheidend bei dieser […] ist nicht nur die historische Arbeit der Spurensicherung und das Re-Imaginieren, sondern auch die Verwandlung der Familiengeschichte in eine literarische Gestalt, in einen Roman, der sie weiter- und umschreibt und ihr damit Zukunft zurückgibt. Erinnerung und Imaginieren von Vergangenem werden so zu einer Intervention im Zeichen der Zukunft und der nächsten Generationen. Es geht schließlich darum zu erkennen, dass man Teil einer Geschichte ist, die man auch anders weitererzählen kann.«1271
Eine gemäß den Überzeugungen des Diaristen adäquate Darstellung seiner in Abessinien verbrachten Dienstzeit dürfte ihm für das Bild, welches seine 1268 Eisenkeil, Erinnerungen an den Krieg in Abessinien, Einleitung, S. 1. 1269 Zum Aussagewert solch retrospektiver Selbstzeugnisse ehemaliger Soldaten vgl. Epkenhans, Michael/Förster, Stig/Hagemann, Karen: Einführung: Biographien und Selbstzeugnisse in der Militärgeschichte – Möglichkeiten und Grenzen, in: Militärische Erinnerungskultur. Soldaten im Spiegel von Biographien, Memoiren und Selbstzeugnissen, Dies. (Hg.), Paderborn 2006, S. IX–XVI, hier S. XII–XIII; Schulze, Winfried: »Autobiographie«, in: Lexikon der Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stefan Jordan (Hg.), Stuttgart 2002, S. 37–40, hier S. 39. 1270 Eisenkeil, Erinnerungen an den Krieg in Abessinien, Einleitung, S. 1. 1271 Assmann, Aleida: Geschichte im Gedächtnis. Von der individuellen Erfahrung zur öffentlichen Inszenierung, München 2007, S. 95.
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Nachkommen von ihm im Gedächtnis behalten sollten, also von Beginn wichtig gewesen sein. Zusammen mit der Einleitung von 1973 sollte sein Tagebuch für die nachkommende Generation demzufolge nach einem sinnstiftenden Erzählhorizont ausgerichtet werden.1272 Nach welchen erzählerischen Parametern wollte Eisenkeil nun aber seine persönliche Geschichte ins Familiengedächtnis übersetzen und inwieweit lassen sich diese aus seiner Abschrift herauslesen? Obwohl sich aus dem Tagebuch allein kaum nähere Informationen zum restlichen Leben Eisenkeils erschließen, sei an dieser Stelle auf ein Gespräch des Historikers Markus Wurzer verwiesen, der bei einem der beiden Söhne des Diaristen ausführliche Auskunft einholen konnte.1273 Demnach kam Eisenkeil 19101274 als mittleres von drei Kindern in der Vinschgauer Gemeinde Latsch auf die Welt.1275 Seine Eltern betrieben eine Bahnhofsgaststätte. Eisenkeil selbst ließ sich nach seiner Schulzeit zum Elektriker ausbilden. Ferner handelte es sich bei seinem Einsatz fürs italienische Militär nicht um den ersten Fahnendienst für Italien. Dem Marschbefehl von 1935 war bereits fünf Jahre vorher ein anderer Wehrdienst in den südlichen Landesprovinzen vorangegangen. Nach seiner Rückkehr aus Ostafrika, wo sich Eisenkeil 1939 krankschreiben ließ, entschied er sich, zurück in Meran, noch im selben Jahr für die ›Option‹ und begann ein neues Leben im nationalsozialistischen Deutschland. Im Zweiten Weltkrieg folgten anschließend weitere Fronteinsätze für die Wehrmacht in Polen sowie 1272 Auch Jakob Tanner erkennt in dieser intersubjektiven Funktion des zukunftsgerichteten Tradierens von Lebensgeschichten eine der wesentlichen Triebfedern von Erinnerungsprozessen. Vgl. Tanner, Jakob: »Erinnern/Vergessen«, in: Lexikon der Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stefan Jordan (Hg.), Stuttgart 2013, S. 77–81, hier S. 77. 1273 Wurzer, Markus: Gruppenzugehörigkeiten als fotografisches Ereignis. Gruppenbilder aus dem Italienisch-Abessinischen Krieg 1935–1941, in: Community of Images: Zugehörigkeiten schaffen, Hans Heiss/Margareth Lanzinger (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 27 (2018), Heft 1, S. 50–75, hier S. 53. 1274 Eisenkeil entstammte somit der von Aleida Assmann so beschriebenen »33er Generation«: gemeint damit sind die Jahrgänge von 1900 bis 1920. Diese Generation erlebte in Südtirol die Abtrennung vom österreichischen Kaiserreich noch in jungen Jahren mit. Deren Väter waren zudem unter der Flagge des Doppeladlers in den Ersten Weltkrieg eingerückt. Der Kriegseinsatz für das ehemals befeindete Italien wurde von deren Söhnen demnach persönlich sowie auch innerhalb der Familie als ein traumatischer Bruch wahrgenommen. Nach ihrem Kriegseinsatz für den Faschismus in Abessinien sowie teilweise auch in Spanien war es sonach jene 33-Generation, deren Angehörigen nach der ›Option‹ von 1939 entweder für Italien oder aber für Nazideutschland in den Zweiten Weltkrieg zogen. Nach 1945 begann für sie schließlich ein – zumindest von den äußeren Lebensumständen her – neues Kapitel, welchem sie sich je nach ideologischer Ausrichtung mehr oder weniger erfolgreich fügen konnten. Vgl. Assmann, Geschichte im Gedächtnis, S. 61. 1275 Die Angabe zum Geburtsort Eisenkeils entstammt einem Artikel des Journalisten Christian Potykas der militärischen Fachzeitschrift »Europäische Wehrkunde« von 1976. Vgl. Potyka, Christian: »Erinnerungen an den Kleinkrieg in Äthiopien«, aufgezeichnet von Oskar R. Eisenkeil, in: Europäische Wehrkunde. Organ für alle Wehrfragen, 1 (1976), S. 42– 45, hier S. 42.
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1941 in Nordafrika. Nach mehreren Jahren Kriegsgefangenschaft und einer Karriere in der deutschen Bundeswehr kehrte Eisenkeil erst wieder während seines Ruhestands nach Südtirol zurück. Von seinem Wohnsitz in Schlanders aus beteiligte er sich bis zu seinem Tod im Jahre 1983 aktiv am Aufbau des regionalen Schützenwesens.1276 Eisenkeils deutsch-nationalistische Orientierung lässt sich daher wohl kaum von der Hand weisen. Dessen Sympathiegefühl zur italienischen Nation dürfte dagegen kaum derart stark ausgeprägt gewesen sein. Die persönliche Erzählweise seines Kriegsaufenthalts in Abessinien muss deshalb unweigerlich vor diesem Lebenshintergrund betrachtet werden. Weshalb zog es Eisenkeil aber als überzeugter Deutschsüdtiroler vor, seiner persönlichen Geschichte des Abessinienkriegs ausgerechnet 1973 ein neues Kapitel hinzuzufügen? Immerhin hätte er seine mittlerweile lädierten Kriegsaufzeichnungen genauso gut einfach stillschweigend wegschmeißen können, um stattdessen über seinen erfolgreichen Werdegang zum Major der Deutschen Bundeswehr zu berichten. Im Vergleich zur nationalen Ebene widmete sich Eisenkeil jedenfalls an der Schwelle zur dritten Phase der post-imperialen Erinnerung (1975–1990) seinem abgegriffenen Tagebuch. Del Bocas erste Studie war damals zusammen mit der Artikelserie in der Dolomiten immerhin schon seit acht Jahren veröffentlicht; und auch Rochat publizierte genau 1973 sein Erstlingswerk über die frühen italienischen Kolonialkriege sowie den darauffolgenden faschistischen Imperialismus in Nord- und Ostafrika. Neben diesen ersten beiden wissenschaftlichen Arbeiten war seit 1971 aber ebenso das Kriegstagebuch des italienischen Journalisten Ciro Poggiali landesweit im Umlauf,1277 welches das faschistische Terrorregime in Äthiopien schonungslos aufzeigte.1278 Es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass Eisenkeil als in diesem Eroberungskrieg vormals aktiver Offizier solche Publikationen aufmerksam gelesen hatte. Insofern wäre er gewiss darum bemüht gewesen, seine Beteiligung an den offengelegten Gräueltaten im Stillen zu reflektieren sowie sich und seinen Familienangehörigen so weit als möglich Rechenschaft darüber abzulegen. Die Arbeit an seinem Tagebuch lässt sich deshalb als eine unmittelbare Folge davon vermuten.
1276 Wurzer, Gruppenzugehörigkeiten als fotografisches Ereignis, S. 53–54. 1277 Poggiali, Ciro: Diario AOI: 15. Giugno 1936–4 ottobre 1937. Gli appunti segreti dell’invio del »Corriere della Sera«, Mailand 1971. 1278 Selbst wenn der ehemalige Kriegskorrespondent des Corriere della Sera darin zwar nicht explizit als Kritiker der imperialen Herrschaftsambitionen Roms per se auftritt. Die damit einhergehenden Gewaltausbrüche werden von ihm nichtsdestotrotz in aller Schärfe verurteilt. Vgl. Burdett, Charles: Colonial Associations and the Memory of Italian East Africa, in: Memories and Legacies of Italian Colonialism, in: Italian Colonialism. Legacy and Memory, Andall, Jacqueline, Derek, Duncan (Hg.), Bern 2005, S. 125–143, hier S. 126; Burdett, The Debris of Utopia, S. 204–207.
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In Südtirol selbst geriet das kulturnationalistische Geschichtsbild anfangs der Siebzigerjahre genauso ins Wanken. Namentlich war dies den ersten Werken Claus Gatterers zu verdanken, dessen erste drei Publikationen zwischen 1968 und 1972 erschienen waren.1279 Besonders in seiner biographischen Erzählung ›Schöne Welt, böse Leut‹ von 1968 hinterfragte der unbequeme Intellektuelle öffentlich den schablonenhaften Blick auf die Jahre faschistischer sowie nationalsozialistischer Vorherrschaft in Südtirol.1280 Die bis dahin vermeintlich scharfe Trennlinie zwischen den ›Deutschen‹ und den ›Italienern‹ wurde mithin durch einen differenzierten Blick auf die Vergangenheit grundlegend und vor aller Öffentlichkeit in Frage gestellt.1281 Wie im vorigen Kapitel gezeigt wurde, versuchten daraufhin zahlreiche Heimatbuchautoren ihr deutsch-nationalistisches Geschichtsbild zumindest in ihrer eigenen Gemeinde aufrechtzuerhalten.1282 Gerade aber auch solche Leute wie Eisenkeil, die bezüglich ihres Zugehörigkeitsgefühls eigentlich über eine durch und durch ambivalente Biographie verfügten, dürften von kritischen Autoren wie Gatterer angesprochen worden sein.1283 Eisenkeils überarbeitete Memoiren passen hiernach also bestens ins Bild.1284 Obendrein sind aber auch die regionalpolitischen Umstände jener Zeit zu berücksichtigen: Namentlich das Inkrafttreten des Zweiten Autonomiestatuts von 1972, nach welchem das Selbstbewusstsein vieler Deutschsüdtiroler nach langen Jahren des zähen Kampfes um die Autonomie bzw. Selbstbestimmung entscheidend gestärkt wurde. Der Tatendrang deutsch-nationalistischer Kreise, sich dem von der Wissenschaft gestreutem Zweifel an bis dahin hegemonialen Vergangenheitserzählungen zu widersetzen, wurde dadurch sicherlich ebenfalls bestärkt. Es verwundert daher nicht, dass die verstaubten Tagebücher der El-
1279 Gatterer, Claus: Im Kampf gegen Rom. Bürger, Minderheiten und Autonomien in Italien, Wien/Frankfurt a.M./Zürich 1968; Ders.: Schöne Welt, böse Leut. Kindheit in Südtirol, 1. Ausg., Wien/München 1969; Ders.: Erbfeindschaft Italien-Österreich, Wien/Frankfurt/ Zürich 1972. 1280 Gatterer, Schöne Welt, böse Leut, Wien/München 1969. 1281 Es bedurfte freilich noch unzähliger kritischer geschichtswissenschaftlicher Studien über Südtirol, bis das öffentliche Geschichtsbild allmählich nachhaltige Risse erfuhr. Die althergebrachte, deutsch-nationalistische Kollektiverzählung wurde außerhalb der historischen Fachschaft allerdings bis heute noch nicht endgültig überwunden. Vgl. Verdorfer, Martha: Zweierlei Faschismus. Alltagserfahrungen in Südtirol 1918–1945, Wien 1990, S. 301. 1282 Vgl. Kap. »Ursprünge historiographischer Narrative«, S. 226–233. 1283 Zumal sich Gatterer in Büchern wie beispielsweise »Schöne Welt, böse Leut« auch als einer der ersten differenziert zum Einsatz einiger Südtiroler im Abessinienkrieg geäußert hatte. Insofern solche Zeilen von den Veteranen ebenfalls gelesen wurden, dürften sie höchstwahrscheinlich auch zum Nachdenken angeregt haben. Vgl. Kap. »Mancherlei Erzählungen vom Abessinienkrieg«, S. 242–259. 1284 Schulze, »Autobiographie«, S. 40.
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terngeneration1285 für eine private oder innerfamiliäre Lektüre wieder aus den Schubladen geholt wurden. Die ursprünglich private Gedächtnisarbeit Eisenkeils stieß innerhalb des deutschen Sprachraums in den Siebziger- und Achtzigerjahren aber durchaus auf ein gewisses öffentliches Interesse. Dieses kam ihm zunächst seitens einer militärischen Fachzeitschrift entgegen, die im Januar 1976 einige Abschnitte aus seinem Tagebuch veröffentlichte.1286 Die Initiative für den Artikel ging allerdings nicht von Eisenkeil selbst aus. Stattdessen bemühte sich ein Redaktionsmitglied der Süddeutschen Zeitung, Christian Potyka, um den Druck der Manuskriptseiten.1287 Potyka hatte einige Jahre zuvor an der Universität München mit einer Biographie über Haile Selassie promoviert und war nun vor allem am Guerillakrieg der äthiopischen Streitkräfte nach 1936 interessiert.1288 In seinem Artikel führte Potyka das Tagebuch Eisenkeils deshalb als »Erinnerungen an den Kleinkrieg in Äthiopien« ein und gab deren wesentlichen Informationswert auch in den Passagen über »Kleinkriegsmechanismen« zu erkennen.1289 Außerdem wollte Potyka in der Wehrkunde generell über den Abessinienkrieg informieren, da die bisherige Literatur noch sehr dünn oder oftmals »irreführend« gewesen sei.1290 Seine Kritik dürfte sich namentlich auf die damals außerhalb Italiens kaum vorhandenen Studien zum Abessinienkrieg sowie die dort zirkulierende
1285 Hierbei waren es die Jahrgänge von 1926 bis 1945, welche sich in den Siebzigern mit der Geschichte der eigenen Eltern auseinandersetzten. Sie standen dabei vor der schweren Herausforderung, das bis dahin von Krieg und Leid durchzogene 20. Jahrhundert innerhalb des eigenen Familiengedächtnisses notgedrungen zu verarbeiten und somit auch nach der potentiellen Täterschaft ihrer Väter und Mütter zu fragen. Dagegen bemühten sich oftmals genau jene Eltern mit belasteter Vergangenheit darum, das bisherige Schweigen um die begangenen Verbrechen trotz der kritischen Fragen ihrer Kinder und Enkel so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Vgl. Assmann, Geschichte im Gedächtnis, S. 68–69. 1286 Potyka, »Erinnerungen an den Kleinkrieg in Äthiopien«, S. 43–45. 1287 Vgl. dafür die folgende Korrespondenz aus der Privatsammlung Sturmhard Eisenkeils in München, die er den vorliegenden Recherchen freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat: Schreiben Christian Potykas an Oskar Eisenkeil, ohne Betreff, München, 28. 10. 1975; Antwortschreiben Oskar Eisenkeils an Christian Potyka, ohne Betreff, ohne Ortsangabe, 05. 11. 1975; Bestätigungsschreiben Wehrkunde-Redaktion an Oskar Eisenkeil, ohne Betreff, München 10. 11. 1975; Schreiben Oskar Eisenkeil an Christian Potyka, ohne Betreff, ohne Ortsangabe, 12. 11. 1975; Dankschreiben Oskar Eisenkeils an die Wehrkunde-Redaktion, ohne Betreff, München, 12. 11. 1975; Dankschreiben Christian Potykas an Oskar Eisenkeil, ohne Betreff, München, 18. 11. 1975. 1288 Potyka, Christian: Haile Selassie. Der Negus Negesti in Frieden und Krieg: Zur Politik des äthiopischen Reformherrschers, Bad Honnef 1974. 1289 Das Tagebuch Eisenkeils hatte Potyka bereits in seiner Dissertation als eines der wenigen, dazumal zugänglichen Zeitzeugnisse eines deutschsprachigen Soldaten aus dem Abessinienkrieg gedient. Vgl. Potyka. Haile Selassie, S. 299. 1290 Potyka, »Erinnerungen an den Kleinkrieg in Äthiopien«, S. 43.
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Memoirenliteratur gerichtet haben.1291 Dass sich dennoch vor allem rechtsgerichtete Bundeswehrkreise für die Aufzeichnungen Eisenkeils interessiert haben, zeigt sich in einem weiteren Versuch von deren Publikation seitens eines Friedrich W. Günthers im Jahre 1981. Dieser hatte beim Militaria-Verlag Podzum-Pallas eine entsprechende Anfrage eingereicht. Aufgrund des damaligen »Links-Drucks« sei der Buchhandel hinsichtlich des Vertriebs militärischer Fachbücher aber zu sehr »eingeschüchtert« gewesen, weswegen der von Günther vorgeschlagene Titel nicht ins Verlagsprogramm aufgenommen wurde.1292 Eisenkeil dürfte beim Überarbeiten seines Tagebuchs von 1973 also primär darum bemüht gewesen sein, seine eigene Lebensgeschichte so weit als möglich der deutsch-nationalistischen Erzählkultur seines damaligen Umfelds anzupassen. Einzelne Vertreter aus diesem scheinen an seinen zurechtgerückten Kriegserinnerungen ebenfalls interessiert gewesen zu sein. Dass Eisenkeil dazu vieles ungesagt ließ, wird in einem Artikel der faschistischen Alpenzeitung vom 20. Oktober 1939 offenkundig. Diesem zufolge war Eisenkeil als Offizier einer Maschinengewehrkompanie zu einem bekannten Kriegshelden avanciert, dem bei seinem Urlaub in Meran das dritte Kriegsverdienstkreuz verliehen worden war. Als »tapferer Kämpfer in AOI« habe Eisenkeil bei mehreren »harten Operationszyklen« ein »herrliches Beispiel von Kameradschaft und Todesverachtung« abgegeben, so dass er für seine angeblichen Heldentaten bereits schon mit einer Tapferkeitsmedaille sowie zwei weiteren Kriegsverdienstkreuzen ausgezeichnet worden war.1293 Derartige Auslassungen im späteren Eigenportrait Eisenkeils verdeutlichen nochmals, inwiefern dieses für ihn eine wesentlich identitätsstiftende Funktion besaß: Nur so gelang es ihm, seine eigene Lebensgeschichte mit der in den Siebzigerjahren für sein soziokulturelles Umfeld relevanten Vergangenheitsversion abzugleichen. Nicht von ungefähr händigte Eisenkeil sein Manuskript an die Redaktion der Wehrkunde mit dem Kommentar aus: »Nur nebenbei möchte ich bemerken, dass ich […] meine Erinnerungen neu geschrieben habe. Einiges was überflüssig war [sic] wurde gestrichen, anderes ausführlicher beschrieben.«1294
1291 Immerhin hatte Poytka den italienischen Gaskrieg in seiner Dissertation kurz diskutiert sowie das Erstlingswerk Del Bocas zitiert. Vgl. Potyka, Haile Selassie, S. 187–191 sowie S. 293. 1292 Mitteilungsschreiben des Podzun-Pallas-Verlags an Friedrich W. Günther, ohne Betreff, Friedberg, 21. 10. 1981, in: Privatsammlung Sturmhard Eisenkeil, München. 1293 »Ein tapferer Kämpfer in AOI«, in: Alpenzeitung, 20. 10. 1939, S. 2. 1294 Schreiben Oskar Eisenkeils an die Redaktion der Zeitschrift Wehrmacht, München, 12. 11. 1975, in: Privatsammlung Sturmhard Eisenkeil, München.
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Christian Klein stellt bezüglich solch kultureller Passungsleistungen fest: »Biografien und Autobiographien verhandeln immer auch die zum Zeitpunkt ihres Entstehens virulenten Subjekts- und Identitätskonzepte, die in engstem Austausch mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen stehen.«1295
Retrospektive Selbstzeugnisse geben daher immer Auskunft darüber, »wie die Person, die ihr Leben verschriftlicht vorlegt, ihre Lebensgeschichte rezipiert wissen möchte.« Die daraus resultierenden Texte können über zweierlei Zugänge entziffert werden: »[…] den nach außen gerichteten Aspekt des Inszenatorisch-Darstellerischen ebenso wie die nach innen gewandte Perspektive des Suchenden, der Selbstbestimmung, wobei das Verhältnis von Extraversion und Introspektion dialektisch ist.«1296
Diese dialektische Zusammenführung von sich oftmals widersprechenden Lebensabschnitten und entsprechenden Gruppenzugehörigkeiten zu einem kohärenten und ›vorzeigbaren‹ Selbstportrait, wird in der Erzählforschung auch als narrative Identität bezeichnet.1297 Aufgrund der unterschiedlichen sozialen Lebenswelten, an denen jede Person in Wahrheit teilhat, müssten ganzheitliche Lebensgeschichten allerdings immer als eine unüberschaubare Schnittmenge mehrerer Sozietäten erzählt werden. Von Situation zu Situation werden narrative Identitäten deshalb ganz anders formuliert: Je nach gegenwärtigem Bedürfnis oder Adressat stehen jeweils einige deutlicher im Vordergrund – oder werden bewusster ausgesprochen – als andere. Narrative Identitäten kommen somit grundsätzlich immer vor der Folie einer multiplen Identität der Erzählinstanz zum Ausdruck.1298 Aus kulturnationalistischer Sicht kann folglich angenommen werden, dass Eisenkeil mit seinem Vorwort von 1973 primär darum bemüht war, sich inmitten eines imperialen Feldzugs der ›Italiener‹ als besonders mustergültiger ›Südtiroler‹ zu inszenieren. Besonders deutlich wird dies auf denjenigen Seiten, auf welchen Eisenkeil sich mit Aspekten seines unmittelbaren Umfelds entweder geradewegs identifiziert oder sich aber gegenüber diesem zu distanzieren versucht. Im Sinne der sich dahinter verbergenden multiplen Identität Eisenkeils offenbart der Blick in sein Tagebuch aber verschiedene Gruppenzugehörigkei1295 Klein, Christian: Erzählen und personale Identität, in: Handbuch Erzählliteratur. Theorien, Analysen, Geschichte. Mat&as Mart&nez (Hg.), Stuttgart 2011, S. 83–89, hier S. 85. 1296 Klein, Erzählen und personale Identität, S. 85–86. 1297 Fludernik, Monika: Identity/alterity, in: The Cambridge Companion to Narrative, David Herman (Hg.), Cambridge 2007, S. 260–274, hier S. 261; Wodak, Ruth/De Cillia, Rudolf/ Reisigl, Martin u. a.: Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identitäten, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 2016, S. 55–56. 1298 Fludernik, Identity/alterity, S. 261; Wodak u. a., Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identitäten, S. 59.
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ten, die zwar gleichzeitig vorhanden sind, jedoch unterschiedlich markant durchschimmern. Sein somit hybrides Selbstportrait zeigt sich insbesondere dort, wo er seine facettenreichen Erinnerungen nach dem Fluchtpunkt des Lebens und Wirkens eines ›Südtirolers‹ im Abessinienkrieg zwar widerspruchslos auszurichten versucht, andere narrative Identitäten dabei aber ebenso miterzählt. Dieses Oszillieren zwischen den in seinem Gedächtnis verankerten Identitätskonzepten schlägt sich innerhalb zweier Erzählstränge nieder. Erstens kam dazu bereits Wurzer bei seiner Analyse des Tagebuchs zur Erkenntnis,1299 dass sich darin überaus viele narrative Kohäsionsmomente ausmachen lassen, die am Ende alle zum Eigenportrait Eisenkeils hinführen. Wie nicht anders zu erwarten, hob der Diarist vor allem die Gruppenzugehörigkeit gegenüber anderen Südtirolern so oft als möglich hervor. In mehreren Abschnitten ist deshalb davon die Rede, dass Eisenkeil den Kontakt zu deutschsprachigen Kameraden aus der Heimat bei jeder sich eröffnenden Gelegenheit gesucht habe. Insofern solche Treffen zustande kamen, zelebrierten sie als ›Deutschsüdtiroler‹ deren gemeinsame kulturelle Herkunft bei Wein, Essen und Gesang sowie durch gegenseitige Hilfeleistungen im Kriegsalltag.1300 Der scheinbare Widerspruch von heimatverbundenen Südtirolern, die trotz allem bereitwillig und ausgelassen für Mussolini in Abessinien ihren Dienst ableisteten, versucht Eisenkeil danach so aufzulösen, dass diese zwar explizit als pflichtbewusste Armeeangehörige, nicht aber als überzeugte Schwarzhemden geschildert werden. Für sich selbst bringt der Erzähler die folgende Rechtfertigung vor : »Ich hatte nicht unbedingt die Absicht hier mein Leben zu beenden, es hinzugeben für einen Staat der nicht mein Vaterland war und der uns Südtirolern gegenüber alles eher als großzügig handelte. Wir Südtiroler fühlten uns immer als Deutsche und nicht als Italiener. Aber jetzt war ich schon mal hier und musste versuchen das Beste aus der Lage herauszuholen.«1301
Gegenüber seinen italienischen und teilweise auch ladinischen Mitsoldaten,1302 pflegte Eisenkeil allerdings eine ungleich widersprüchlichere Beziehung. Allein schon der Umstand, dass er in Äthiopien nur selten auf andere Südtiroler traf, verlangte von ihm, ebenso gute Beziehungen zu einigen seiner italienischsprachigen Kameraden zu pflegen.1303 Im Gedächtnis blieb ihm dabei vor allem die 1299 Neben dem Tagebuch untersuche Wurzer zudem zwei sorgfältig gestaltete Fotoalben Eisenkeils. Darin untermauern besonders die Gruppenportraits viele der im Tagebuch feststellbaren Selbstzuschreibungen des Erzählers. Vgl. Wurzer, Gruppenzugehörigkeiten als fotografisches Ereignis, S. 53–65. 1300 Ebd., S. 55–56. 1301 Eisenkeil, Erinnerungen an den Krieg in Abessinien, Einleitung, S. 12. 1302 Wurzer, Gruppenzugehörigkeiten als fotografisches Ereignis, S. 59. 1303 Eisenkeil, Erinnerungen an den Krieg in Abessinien, Einleitung, S. 13.
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Freundschaft zu drei ihm zugeteilten Funksoldaten aus Norditalien. Deren Zusammenhalt wird im Tagebuch als derart unzertrennlich beschrieben, dass das Quartett von Eisenkeil auch als die ›vier Musketiere‹ benannt wird. Deren Freundschaft habe auch nach der Überfahrt ins Kriegsgebiet noch kurzzeitig Bestand gehabt. Das Vierergespann brach allerdings auseinander, als Eisenkeil zum Aufbau einer Funkstation an die Front abgeordnet wurde.1304 Zum tatsächlichen Kriegsgeschehen ist in den anschließenden Abschnitten jedoch nie direkt etwas zu lesen. Weder von Tod noch von Gewalt weiß der Tagebuchschreiber irgendetwas zu berichten.1305 Stattdessen stellt er seine eigenständige und effiziente Arbeit als Funktruppenführer in den Vordergrund – die ihm untergebenen Askaris werden dagegen pauschal als unfähige »Nieten« bezeichnet.1306 Als der allgegenwärtige Feind werden ausschließlich die »herumgeisternden Horden«1307 der Abessinier genannt.1308 Nachdem Eisenkeil seinen Weg folglich als »Einzelgänger«1309 beschritten habe, hätte die Freundschaft zu den vier Norditalienern nach seiner Rückkehr freilich keinen Bestand mehr gehabt. Schließlich sei dafür sein zwischenzeitlicher Aufstieg in den Rang eines Offiziers ausschlaggebend gewesen: Die zwischen ihnen bestehende Distanz wäre fortan schlicht zu weit auseinandergeklafft. Im Nachhinein weiß Eisenkeil seine Militärkarriere folglich weitaus höher zu gewichten als die Freundschaft zu seinen italienischsprachigen Kameraden, sodass er deren Verlust letztendlich nicht als sonderlich tragisch einstuft.1310 Für den Bruch war aber zweifellos auch Eisenkeils neue Funktion als Leutnant der Alpini mitverantwortlich. Erst diesem Aufstieg misst er den eigentlichen Sinn seiner Dienstzeit in Abessinien zu: 1304 Wurzer, Gruppenzugehörigkeiten als fotografisches Ereignis, S. 59–60; Eisenkeil, Erinnerungen an den Krieg in Abessinien, Einleitung, S. 6–8. 1305 Insofern Eisenkeil dennoch über gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den italienischen Invasoren und den Truppen des Negus berichtet, bezieht er sich überwiegend auf Augenzeugenberichte, die ihm anscheinend in der Form kolportiert worden wären. Meistens erfährt Eisenkeil von solch Gräueltaten aber erst im Nachhinein, als er an deren Schauplätzen eintrifft. Einer Mittäterschaft an den geschilderten Gewaltverbrechen entzieht Eisenkeil sich somit grundsätzlich. Dass sich der Diarist hiernach ebenfalls auffällig vergesslich zeigt, wird wiederum im Artikel der Alpenzeitung vom Oktober 1939 ersichtlich. Gemäß diesem hatte Eisenkeil als »Sottotenente« einer Maschinengewehrabteilung mehrere »harte Operationszyklen« gegen einheimische Streitkräfte angeführt. Bei solchen Gemetzeln faschistischer Angriffstechniken wäre Eisenkeil demnach an vorderster Front gestanden und sei dafür auch entsprechend zu ehren. Vgl. Eisenkeil, Erinnerungen an den Krieg in Abessinien, Einleitung, S.17; »Ein tapferer Kämpfer in AOI«, in: Alpenzeitung, 20. 10. 1939, S. 2. 1306 Eisenkeil, Erinnerungen an den Krieg in Abessinien, Einleitung, S. 11. 1307 Ebd., S. 16. 1308 Ebd., S. 10. 1309 Ebd., S. 13. 1310 Ebd., S. 18.
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»Wie froh ich war ist nicht zu beschreiben. Endlich heraus aus dieser nutzlosen Tätigkeit und neue Aussichten für die Zukunft. Offizier zu werden war schon immer mein Wunsch gewesen und die leise Hoffnung hatte ich schon seit meiner Einberufung in mir getragen.«1311
Dass Eisenkeil seine Dienstlaufbahn zunächst für ein ›fremdes Vaterland‹ einschlug, war für ihn nachträglich also nicht wirklich von Belang. Viel wichtiger war ihm hingegen, dass er sowohl aufgrund seines neuen Ranges, als auch als ›berggängiger Südtiroler‹, dessen Vater im Ersten Weltkrieg selbstverständlich bei den Kaiserjägern gedient habe, nun in dessen Fußstapfen treten konnte.1312 Wie nicht anders zu erwarten, wird auch die dazugehörige Aufnahmeprüfung als ein geradezu lächerliches Kinderspiel geschildert, das er natürlich mühelos bestanden habe.1313 Als Alpino freundete Eisenkeil sich zwar nochmals mit einigen italienischen Offizierskameraden an.1314 Hierbei war es ihm aber wiederum wichtig zu betonen: »Wenn man Lust hat, kann man sich mit einem Italiener schnell anfreunden, darf aber eine solche Freundschaft nicht so wichtig nehmen, wie es bei uns üblich ist.«1315 Werden in der Einleitung zweitens diejenigen Passagen betrachtet, in denen Eisenkeil sich erzählerisch einem ihm gegenüber als ›fremd‹ wahrgenommenen Umfeld abzugrenzen versucht, so werden dort weitere narrative Identitäten sichtbar.1316 Besonderen Eindruck hinterließ dabei seine Ankunft in der Militärkaserne in Rom. Nach einem kurzen Streit mit dem Busfahrer, der ihn noch wegen seines unordentlichen Tenues rügte – Eisenkeil hatte aufgrund der spätsommerlichen Hitze seine Uniformjacke ausgezogen –, weiß er über die dortige Garnison nichts Derartiges zu berichten. Entgegen der in der Hauptstadt anscheinend vorherrschenden Disziplin, wird die zukünftige Ausbildungsstätte als ausgesprochen chaotisch beschrieben. Eisenkeil entsinnt sich hier entsprechend seiner tiefen Motivation, die ihm schon zu Beginn jegliche Lust an der bevorstehenden Dienstzeit nahm: »Wenn ich ehrlich sein will, ich hatte nicht die geringste Lust hier Soldat zu spielen. Einige Versuche mich dem Dienst zu entziehen misslangen. Wir Südtiroler waren den durchtriebenen Italienern nicht gewachsen.«1317
Der Ausbildungszeit in Italien folgt das Kapitel der Überfahrt Eisenkeils nach Äthiopien: Diese erscheint als die eigentliche Übergangspassage in das ihm 1311 1312 1313 1314 1315 1316 1317
Eisenkeil, Erinnerungen an den Krieg in Abessinien, Einleitung, S. 13. Wurzer, Gruppenzugehörigkeiten als fotografisches Ereignis, S. 61. Eisenkeil, Erinnerungen an den Krieg in Abessinien, Einleitung, S. 15. Wurzer, Gruppenzugehörigkeiten als fotografisches Ereignis, S. 63. Eisenkeil, Erinnerungen an den Krieg in Abessinien, Einleitung, S. 16. Wurzer, Gruppenzugehörigkeiten als fotografisches Ereignis, S. 55. Eisenkeil, Erinnerungen an den Krieg in Abessinien, Einleitung, S. 2.
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damals unbekannte Kriegsgebiet, sodass sich Eisenkeil an besonders viele Augenblicke der Schiffsreise erinnert, in denen er sich als Südtiroler einsam und verloren vorkam.1318 Obwohl die Überfahrt an sich als geradezu »herrlich« beschrieben wird und ihm im Gegensatz zu seinen Kameraden auf hoher See nie schlecht geworden sei. Mit was sich Eisenkeil allerdings gar nicht anfreunden konnte, waren erstens »dunkelhäutige Händler«, die der Schiffsbesatzung von Booten aus Fotografien nackter Frauen feilboten; zweitens »schwarze Eingeborene«, die den Soldaten entlang der Ufer des Suezkanals angeblich mit Handzeichen das Abschneiden von Köpfen und Genitalien zu erkennen gaben; sowie drittens dem Singen der Giovinezza, welche seine Schiffskameraden anstimmten, als sie einen deutschen Passagierdampfer kreuzten.1319 Während er sich demnach bei den ersten beiden Vorkommnissen als wohlgesitteter, weißer und angeblich unschuldiger Europäer den ›wilden Eingeborenen‹ ausgesetzt sah, grenzte er sich bei der dritten Begebenheit als ›Deutscher‹ dezidiert gegen sein italienisches Umfeld ab. Die Unfähigkeit der italienischen Invasoren wird nach der Ankunft in Abessinien unmittelbar zum Hauptthema von Eisenkeils Kriegsbericht. Obschon die koloniale »Kultivierung« des scheinbar kargen und verwilderten Eroberungsraums mit seinen in »dreckigen« und »zerfetzten« Kleidungsstücken daherkommenden »Eingeborenen« nie in Frage gestellt wird, sei das faschistische »Zivilisationswerk« schon von Beginn an zum Scheitern verurteilt gewesen. Folglich sind dem Erzähler seine schlecht ausgebildeten Kameraden und Vorgesetzten, deren körperliche Schwäche sowie die unstrukturierte Organisation bei einer gleichzeitig mangelhaften Versorgungslage noch überaus präsent. Die Italiener seien daher nur dank der um einiges schlechter ausgerüsteten sowie führungslosen »Negustruppen« nicht wieder zurück ins »Meer geworfen worden«.1320 Mit Ausnahme seiner »Musketiere« habe er entsprechend kaum Kontakt zu anderen Truppenangehörigen gepflegt und es sei ihm auch kein einziger Name seiner Vorgesetzten je im Gedächtnis geblieben.1321 Wie zuvor erwähnt, weiß Eisenkeil über seine Fronterlebnisse gleichermaßen von Einsamkeit sowie von zahlreichen kulturellen Divergenzen zu berichten. Auf die Hilfe der ihm zugeteilten Askaris – geschweige denn seiner »verweichlichten« Kameraden aus dem »Flachland«, die beim Vormarsch nie mit ihm mithielten – sei prinzipiell kein Verlass gewesen.1322 Grundsätzlich schildert Eisenkeil die Invasion Äthiopiens als eine Aggression, die vor allem mit dem Einsatz von Kolonialtruppen ausgefochten wurde. Die Italiener erscheinen in seiner 1318 1319 1320 1321 1322
Eisenkeil, Erinnerungen an den Krieg in Abessinien, Einleitung, S. 4. Ebd., S. 4–5. Ebd., S. 6–7. Ebd., S. 7. Ebd., S. 8–11.
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Erzählung dagegen als Schwarzhemden, als Oberbefehlshaber, als Kampfpiloten oder aber innerhalb von Pioniertruppen, welche hinter dem Frontverlauf nachrückten, um die eroberten Gebiete mit Straßen zu erschließen. Vom Wahrheitsgehalt dieser Aufteilung abgesehen, erscheinen die von der Apenninhalbinsel nach Ostafrika entsandten Streitkräfte folglich nicht als besonders wagemutig. Das blutige Kriegshandwerk sei stattdessen den Kolonialtruppen überlassen worden: »Ausgezeichnete Krieger. Genauso grausam wie eben alle Abessiner [sic], sie unterschieden sich nicht von den Soldaten des Negus, nur waren sie mit fester Hand geführt, diszipliniert und besser ausgebildet. Diese Truppen trugen die Hauptlast der Kämpfe!«1323
Obschon auch das grausame Vorgehen der Italiener mit dem Einsatz von Giftgas kurz genannt wird,1324 schreibt der Autor die auf und hinter den Schlachtfeldern begangenen Gewaltverbrechen allein den »unzivilisierten« und »zügellosen« »Eingeborenen« zu.1325 Deren »Disziplinierung« durch Razzien in den Dörfern der Einheimischen, bei denen italienische Befehlshaber alle Verdächtigen exekutierten, werden daher als unproblematisch und gerechtfertigt bewertet.1326 Eisenkeils Verhältnis zu den Einheimischen ist allerdings nicht weniger widersprüchlich als seine wechselhafte Verbundenheit mit dem italienischen Heer. Obwohl die vermeintlich einseitige Brutalität der einheimischen »Horden« klar verurteilt wird,1327 scheint sich der Erzähler für die einheimischen »Rassen«1328 durchaus interessiert zu haben und deren Religion angeblich respektvoll begegnet zu sein.1329 Die angebliche Tugend eines gottesfürchtigen Südtirolers gibt Eisenkeil bei den einheimischen Frauen allerdings nicht mehr zu erkennen: Anfänglich noch vor deren Geschlechtskrankheiten abgeschreckt,1330 ergab er sich schließlich den angeblichen Avancen amharischer »Mädchen«: »Über Moral herrschten hier ganz andere Ansichten als bei uns. Prostitution wird hier nicht verdammt und ist kein unehrenhaftes Gewerbe, sondern eine Verdienstmöglichkeit mit der mittelose [sic] Mädchen sich eine Mitgift erwerben können. Die sind begehrte Ehefrauen. Diese Mädchen sind auch nicht schamlos wie ich es bei gele1323 Eisenkeil, Erinnerungen an den Krieg in Abessinien, Einleitung, S. 14. 1324 Ebd., S. 16. 1325 Entsprechend wird auch die nach dem einseitig proklamierten Sieg im Frühjahr 1936 weiterlaufende Guerilla-Taktik der nach dem Abzug Haile Selassies zurückgebliebenen Widerstandskämpfer als eine hinterhältige Sabotagearbeit am »Zivilisationswerk« der italienischen Truppen und Arbeiter beschrieben. Vgl. Ebd., S. 16, 17, 21 sowie 23. 1326 Ebd., S. 17. 1327 Ebd., S. 12, S. 16 sowie S. 23. 1328 Ebd., S. 16. 1329 Eisenkeil schreibt diesbezüglich von einer Zurückhaltung die abessinischen Gotteshäuser zu betreten, weil er damals noch zu wenig über deren Religion gewusst habe und die Einheimischen deshalb nicht durch ein falsches Verhalten kränken wollte. Vgl. Ebd., S. 16. 1330 Ebd., S. 16.
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gentlichen Besuchen in italienischen Bordellen erlebt habe. Die weiße Prostituierte ist gemein ordinär, nur auf Verdienst aus.«1331
Weitere solche ›Vorzüge‹ des Koloniallebens nahm Eisenkeil daraufhin bei einem Aufenthalt in der von Frankreich verwalteten Stadt Dschibuti in Anspruch, bei dem er nach einem Kinobesuch und der erstmaligen Bekanntschaft mit Whisky erneut in den Armen einer einheimischen Prostituierten landete.1332 Dem Tagebuch zufolge gelangte er anschließend erst wieder ab dem 12. Oktober 1936 als Offizier der Division ›Malta‹ zurück ins Kriegsgebiet. Eisenkeil verrät uns in seinem Lebensrückblick sonach einiges über die in seiner Nachkriegserinnerung vorhandenen narrativen Identitäten. Ob er sich nun in seinem Umfeld wiederkennt oder sich gegenüber diesem abgrenzt – im Endeffekt entsteht ein um einiges vielstimmigeres Bild von ihm, als dessen er sich bewusst gewesen sein dürfte.1333 Zwar schildert Eisenkeil seinen Einsatz in Abessinien stellenweise durchaus als mit dem deutsch-nationalistischen Geschichtsbild seiner Zeit übereinstimmend, sein Selbstverständnis als Südtiroler tritt je nach Textpassage aber unterschiedlich in den Vordergrund. Genauso gibt er sich auch als pflichtbewusster Soldat – später dezidiert als Offizier –, als kulturaffiner und technisch versierter Europäer, als gottesfürchtiger Katholik sowie als weißer Kolonisator und triebgesteuerter Mann zu erkennen. Einerseits offenbart das Vorwort seines Tagebuchs demnach, inwieweit die von Vereinen wie dem SKFV oder öffentlichen Printmedien verbreitete Erzählkultur selbst private Nachkriegsgedächtnisse durchdrang. Andererseits lässt seine Erinnerungsschrift erkennen, dass kommunikative Gedächtnisse zumindest im Stillen immer auch über facettenreiche Gegenstimmen verfügen.1334
Veteranenstimmen im kommunikativen Nachkriegsgedächtnis, 2004 Eigenständige Erzählweisen des Abessinienkriegs fanden zwischen dem kulturnationalistischen Frontverlauf der Südtiroler Vergangenheitspolitik allerdings lange kein Gehör. Weder die italienisch- noch die deutschsprachigen 1331 Eisenkeil, Erinnerungen an den Krieg in Abessinien, Einleitung, S. 19. 1332 Ebd., S. 20. 1333 Auch Martha Verdorfer stellte hierzu bereits fest, dass es von der Vergangenheit nie eine pauschale Einheitserfahrung aller Südtiroler gab. Vielmehr sind deren unzähligen Lebensgeschichten von nach innen sowie nach außen gerichteten Widersprüchen und Divergenzen durchzogen. Vgl. Verdorfer, Individuelles und kollektives Nachkriegsgedächtnis, S. 302. 1334 Assmann, Jan: Globalization, Universalism, and the Erosion of Cultural Memory, in: Memory in a Global Age. Discourses, Practices and Trajectories, Aleida Assmann/Sebastian Conrad (Hg.), Basingstoke 2010, S. 121–138, hier S. 123.
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Medien und Verbände hatten irgendwelches Interesse daran, solch ambivalente Selbstzeugnisse wie dasjenige Eisenkeils publik werden zu lassen. Es bedurfte demnach dem Engagement einer aktiven und hartnäckigen Historikergeneration,1335 um den lange Zeit marginalisierten Gegengedächtnissen eine Stimme zu verleihen.1336 Gerade noch rechtzeitig gelang es so dem jungen Journalisten Martin Hanni mit einem Oral History-Projekt von 2004 die letzten noch lebenden Abessinienkämpfer entgegen der hegemonialen Erzählkultur Deutschsüdtirols aufzufinden und zum Sprechen zu bringen.1337 Hierfür lancierte das Südtiroler Landesarchiv im Sommer 2004 per Presseinserat die Suche nach Kriegsteilnehmern der Jahrgänge 1911 bis 1913. Mit der zusätzlichen Hilfe von Dorfchronisten, Bibliothekaren sowie von Familienangehörigen und Bekannten konnten schon kurze Zeit später die mittlerweile über 90-jährigen Veteranen aufgespürt werden. Dabei verwundert es kaum, dass fast alle der Befragten mittlerweile fernab der größeren Ortschaften Südtirols zuhause waren. Als gesellschaftliche Außenseiter wohnten viele von ihnen zurückgezogen in kleinen Dörfern und Weilern der Südtiroler Bergtäler.1338 In der dortigen Abgeschiedenheit hatten die meisten von ihnen nie öffentlich über ihren Einsatz in Abessinien gesprochen.1339 Deren Kriegserlebnisse waren 1335 Wie im vorigen Kapitel zu den Heimatbüchern gezeigt wurde, ging diese kritische Historikergeneration in Südtirol unter anderem aus Impulsen des 1984 gegründeten Innsbrucker Institut für Zeitgeschichte sowie dem im Folgejahr eröffneten Südtiroler Landesarchiv hervor. Deren Forschungsbeiträge bereichern die Südtiroler Historiographie nun schon seit den späten Achtzigern: Dazu beispielsweise die zahlreichen Themenhefte von Geschichte und Region / Storia e regione. Vgl. Kap. »Ursprünge historiographischer Narrative«, S. 226–233. 1336 Heiss/Obermair, Erinnerungskulturen im Widerstreit, S. 76. 1337 Genau solche verschwiegenen Gegenstimmten zum Sprechen zu bringen und damit gegen allzu einseitige Erzählpraktiken vorzugehen – darin liegt eine der Hauptaufgaben- und herausforderungen der Oral-History. Vgl. Popular Memory Group: Popular Memory : theory, politics, method, in: Oral History. Critical Concepts in Historical Studies, Vol. II, Graham Smith (Hg.), New York 2017, S. 221–233. 1338 Nur zwei der Befragten lebten in Bozen. Die anderen 16 waren in den folgenden Gemeinden beheimatet: Eggen, Marlin, Mals, Schlanders, Martell, Eyrs, Lana, Langtaufers, St. Jakob im Ahrntal, Teis, Seis, St. Vigil, Hintermartell, Sarnthein und Algund. Vgl. Hanni, Martin: Der Abessinienkrieg in der Erinnerung Südtiroler Soldaten – Bericht zu einem Forschungsprojekt, in: Zwischen Duce und Negus. Südtirol und der Abessinienkrieg 1935–1941, Gerald Steinacher (Hg.), Bozen 2006, S. 241–257, hier S. 242. 1339 Eine Ausnahme bildeten die beiden Veteranen Hans Luggin und Hans Rössler. Die beiden hatten schon in einer Fernsehdokumentation der RAI-Bozen von 2002 die einmalige Gelegenheit erhalten, als Zeitzeugen über ihren Einsatz im Abessinienkrieg zu berichten. Einige Auszüge der Gespräche wurden vom Produzenten dann 2009 in einer Sammlung seiner Interviewtexte veröffentlicht. Um diese populärwissenschaftlich ausgerichtete Publikation dem zeitlichen Kontext ihres Erscheinens gemäß einzuordnen, wird auf sie im nachfolgenden Kapitel noch genauer eingegangen. Vgl. Hanni, Der Abessinienkrieg in der Erinnerung Südtiroler Soldaten, S. 243; Degle, Heinz: Abessinien. Ein Abenteuer in
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demnach – wenn überhaupt – nur ihrem engsten Familienkreis bekannt. Außerdem lagen die an der ostafrikanischen Front verbrachten Lebensabschnitte Jahrzehnte zurück. Die fragmentarischen Geschichten aus den individuellen Nachkriegsgedächtnissen der Befragten sollten daher ohne den Erzähldruck eines vorgefertigten Fragebogens ungehemmt zum Ausdruck kommen.1340 Während Hanni ihrem Redefluss also möglichst freien Lauf ließ, dienten ihm nur das nötigste Kartenmaterial sowie von den Gesprächspartnern teilweise wieder ausgegrabene Fotonachlässe und andere Kriegsandenken als erzählerische Anknüpfungspunkte.1341 Inwieweit die daraus hervorgegangenen Einzelgeschichten auf das Vorhandensein einer überspannenden Kollektiverzählung verweisen und was für andere narrative Identitäten sich dabei ebenfalls zeigen, soll nachvollgend untersucht werden. Zuvor gilt es aber noch der Frage nachzugehen, inwiefern sich denn die Veteranengespräche Hannis von den bisherigen Erzählweisen des Abessinienkriegs in Südtirol grundsätzlich unterschieden: Erstens handelt es sich bei den Aufzeichnungen wie auch beim Tagebuch Eisenkeils um autobiographische Selbstzeugnisse. Zweitens stellen sie aber gerade in Bezug zum Memorial Eisenkeils einen Bruch dar, da sie nicht von der Eigeninitiative einer Erzählinstanz ausgingen, die sich und ihren Nachkommen Rechenschaft über den Einsatz in einem Eroberungskrieg Italiens ablegen wollten. Stattdessen wurden die Befragten aufgrund einer von außen kommenden Initiative um eine ihrem Gegengedächtnis entspringende, stellenweise ambivalente Lebensgeschichte gebeten.1342 In der Form eines einmaligen Interviews und der darin gewiss auch spontan geäußerten Zeitzeugenerinnerungen dürften demnach weitaus weniger aufpolierte Narrationen vorliegen.1343 Natürlich geht dies nicht so weit, dass deren Erzwählweisen abseits einer sie umgebenden Erzählkultur geäußert wurden.1344 Nur dürften diese soziokulturellen Einflüsse aufgrund der von Hanni
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Afrika, Kastelruth (Bozen), Dokumentarfilm der RAI-Bozen, ausgestrahlt 2002; Ders.: Erlebte Geschichte. Südtiroler Zeitzeugen erzählen…1918–1945, Bozen 2009. Vorländer, Herwart: Mündliches Erfragen von Geschichte, in: Oral History. Mündlich erfragte Geschichte, Herwart Vorländer (Hg.), Göttingen 1990, S. 7–29, hier S. 20. Hanni, Der Abessinienkrieg in der Erinnerung Südtiroler Soldaten, S. 241–242; Telefonat zwischen Sebastian De Pretto und Martin Hanni vom 21. 02. 2018. Epkenhans/Förster/Hagemann, Einführung: Biographien und Selbstzeugnisse in der Militärgeschichte, S. XIV; Raj, Yogesh: History as mindscapes, in: Oral History. Critical Concepts in Historical Studies, Vol. II, Graham Smith (Hg.), New York 2017, S. 101–111, hier S. 102. Bommes, Michael: Gelebte Geschichte. Probleme der Oral History, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 12(1983), Heft 45, S. 75–103, hier S. 91; Portelli, Alessandro: The peculiarities of oral history, in: Oral History. Critical Concepts in Historical Studies, Vol. II, Graham Smith (Hg.), New York 2017, S. 31–45. Lummis, Trevor : Structure and validity in oral evidence, in: Oral History. Critical Concepts in Historical Studies, Vol. II. Graham Smith (Hg.), New York 2017, S. 68–79, hier
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bewusst offengelassenen Ausgangslage des Gesprächs um einiges weniger intentional mit eingeflossen sein:1345 Verweise auf die den Nachkriegsgedächtnissen tatsächlich zugrundeliegenden, multiplen Identitäten der Südtiroler Veteranen sind in den von Hanni aufgezeichneten Interviews demnach äußerst präsent.1346 An der Schwelle einer sich nach rund 70 Jahren erneuernden Erzählgeneration1347 gelang es somit, das kommunikative Nachkriegsgedächtnis Südtirols mit deren letztem Beitrag zu bereichern.1348 Das in den Vorjahren dominante kollektive Schweigen über den Abessinienkrieg erhielt dadurch wohl erstmals einen nachhaltigen Einspruch. Obwohl die Veteranen sich bei ihren persönlichen Geschichten auf die Gedächtnisstütze der mittlerweile weit vorangeschrittenen Historiographie zum Abessinienkrieg beziehen konnten,1349 sprachen deren Stimmen im landesweiten Vergleich nach wie vor gegen eine starke, geschichtsrevisionistische Opposition an. Während der ab 1991 angebrochenen, vierten Phase der auf nationaler Ebene verlaufenden post-imperialen Gedächtnisbildung waren es freilich nicht die noch wenigen, lebenden Veteranen, die den Abessinienkrieg weiterhin schön zu reden versuchten. Vielmehr bemühten sich jetzt deren Nachkommen darum, den althergebrachten Mythos der ›braven Italiener‹ weiterhin lebendig zu halten. Als öffentliche Meinungsmacher waren diese mittlerweile in die tonangebenden Positionen der öffentlichen Verwaltung, des Militärs sowie der Medien nachgerückt. Exemplarisch hierfür steht die unter dem Verteidigungsminister Luigi E. Longo veröffentlichte Studie ›La campagna italo-etiopica‹1350 von 2005: Zwar wird darin der systematische Einsatz von Giftgas nicht mehr länger geleugnet, dennoch wird der Feldzug als ein grundsätzlich legitimes Militärmanöver geschildert, dass nur dank dem mutigen Einsatz pflichtbewusster und geradezu
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S. 71; Schrager, Samuel: What is Social in Oral History, in: Oral History. Critical Concepts in Historical Studies, Vol. II, Graham Smith (Hg.), New York 2017, S. 241–257, hier S. 246; Vorländer, Mündliches Erfragen von Geschichte, S. 15–16. Dejung, Christoph: Oral History und kollektives Gedächtnis. Für eine sozialhistorische Erweiterung der Erinnerungsgeschichte, in: Geschichte und Gesellschaft 34(2008), S. 91– 115, hier S. 105–107; Portelli, The peculiarities of oral history, S. 40. Lynn, Abrams: Memory as both source and subject of study : the transformation of oral history, in: Oral History. Critical Concepts in Historical Studies, Vol. II, Graham Smith (Hg.), New York 2017, S. 201–221, hier S. 210–210; Green, Ana: Individual Remembering and ›Collective Memory‹, in: Oral History. Critical Concepts in Historical Studies, Vol. II, Graham Smith (Hg.), New York 2017, S. 335–352, hier S. 349. Assmann, Collective Memory and Cultural Identity, S. 127. Epkenhans/Förster/Hagemann, Einführung: Biographien und Selbstzeugnisse in der Militärgeschichte, S. XV. Mit der Veröffentlichung von Aram Mattiolis Monographie von 2005 lag zudem die erste deutschsprachige Überblickdarstellung zum Abessinienkrieg vor. Für viele Südtiroler, die sich nur ungern mit italienischsprachiger Literatur beschäftigen, stand der Zugang zur Thematik nun ebenfalls offen. Vgl. Mattioli, Experimentierfeld der Gewalt, Zürich 2005. Longo, Luigi E.: La campagna italo-etiopica (1935–1936), Rom 2005.
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ritterlicher Soldaten sowie treu ergebener Askaris zum Erflog geführt habe. Ferner habe sich der Krieg nur auf die Jahre von 1934 bis 1936 beschränkt. Gleichwohl sei auch Mussolinis Angriffsentscheid überhaupt erst wegen des Gefechts von Ual-Ual erfolgt.1351 Die faschistische Kriegspropaganda geisterte demnach auch noch im neuen Millennium durch die Köpfe breiter Regierungskreise und schlug sich entsprechend ungefiltert in deren Positionspapieren nieder. Hannis Veteraneninterviews in Südtirol waren landesweit freilich nicht die erste Initiative, um mithilfe individueller Nachkriegsgedächtnisse der nationalen Erzählkultur mit ungehörten Gegenstimmen entgegenzuwirken. Die Ergebnisse eines ersten, derartigen Oral History-Projekts waren bereits 1988 in einer Publikation der Sozialanthropologin Irma Taddia erschienen.1352 Obgleich die darin veröffentlichten Gespräche mit aus der Emilia-Romagna stammenden, ehemaligen Soldaten und Kolonisten mit vielen der damals um den Abessinienkriegs kursierenden Mythen brachen,1353 fanden Taddias Forschungsresultate bei Weitem nicht die öffentliche Aufmerksamkeit,1354 die ihnen eigentlich zugestanden hätte.1355 Ein ungleich größeres Erschließungsprojekt privater Nachkriegsgedächtnisse folgte zeitlich erst zwei Jahre nach Hannis Interviews von 2004. Hierzu organisierten die beiden in Modena ansässigen und in Äthiopien tätigen Hilfsorganisationen Moxa und Hewo die Ausstellung ›Mo1351 Labanca, Una guerra per l’impero, S. 387–392. 1352 Taddia, Irma: La memoria dell’Impero. Autobiografie d’Africa Orientale, Manduria/Bari/ Rom 1988. 1353 Ebd., S. 38–40; Burdett, Colonial Associations and the Memory of Italian East Africa, S. 126–127. 1354 Ebenfalls nur relativ wenig Aufmerksamkeit erhielten die Forschungsarbeiten des sardischen Historikers Gianni Dore, der in einigen Regionen Sardiniens Veteranen des Abessinienkirges nach ihren persönlichen Erinnerungen befragte und die Gespräche anschliessend in einem Aufsatz sowie an internationalen Oral History Tagungen präsentierte und auswärtete. Vgl. Dore, Gianni: The Fascist Colonial Ideology in the Memories of the Survivors of the Ethiopian War (1935–1936), preprints of the International Oral History Conference (24–26. Oktober 1980), II, Universität von Amsterdam, Amsterdam 1980, S. 415–421; Ders.: Guerra d’Etiopia e ideologia coloniale nella testimonianza orale dei reduci sardi, in: Movimento operaio e socialista, Bd. 3, 1983, S. 475–487. 1355 Seitens der Geschichtswissenschaft wurde die Studie Taddias bereits ein Jahr später in das Grundlagenwerk zur italienischen Nachkriegserinnerung von Mario Isnenghi aufgenommen. Isnenghi verwendete die Interviews vor allem dazu, um damit auf die für die italienische Nachkriegsgesellschaft typischen Schuldzuweisungen aufmerksam zu machen: So distanzieren sich die von Taddia befragten Veteranen in aller Schärfe von der im Abessinienkrieg seitens der Italiener angewendeten Gewalt. Diese sei allein von den Faschisten sowie den oberen Befehlshabern ausgegangen. Die herkömmlichen Soldaten hätten sich diesbezüglich nichts zu Schulden lassen kommen. Gewiss lassen sich darin Parallelen zu der in Südtirol dominanten Erzählweise erkennen: Schuld an der Gewalt waren dabei grundsätzlich immer die anderen. Vgl. Isnenghi, Mario: Le Guerre degli Italiani. Parole, immagini, ricordi 1846–1945, Mailand 1989, S. 309.
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dena-Addis Abeba: Round Trip‹ zum Thema der italienischen Aggression und der daraufhin versuchten Kolonisierung Äthiopiens. Als Exponate sollten private Fotonachlässe sowie andere Souvenirs aus Ostafrika dienen, welche die Soldaten und Siedler bei der Rückkehr in ihre alte Heimat nach 1941 mitgebracht hatten. Die Suche dafür wurde per Zeitungsinserat ausgeschrieben, woraufhin eine umfangreiche Kollektion privater Nachkriegserinnerungen aus den Kellern und Dachstöcken der Emilia-Romagna zusammenkam. Nachdem die Exposition am 22. Juli 2007 in Modena erstmals eröffnet worden war, folgte eine weitere im Folgejahr an der Universität von Addis Abeba. Anschließend wurden die zusammengesammelten Nachlässe digitalisiert, online aufgeschaltet1356 sowie vom modenaischen Historiker Paolo Bertella Farnetti in zwei Publikationen1357 ausgewertet.1358 Von diesem Erfolg angetrieben, schloss sich 2010 eine Historikerkommission zusammen, um das Projekt von Modena aus auf die übrigen Landesregionen auszuweiten.1359 Deren Forschungsprojekt ›Returning and Sharing Memories‹ wurde danach ab 2011 von den Universitäten in Addis Abeba, Modena und Neapel aufgenommen und institutionell weitergetragen.1360 Es folgten einige CDs mit weiteren privaten Sammlungen, die in verschiedenen Städten des Landes zusammengetragen und bisweilen auch schon bearbeitet wurden.1361 In Südtirol ging dem Projekt von Hanni eine Oral History-Studie von Martha Verdorfer voraus. Das 1990 veröffentlichte Buch beinhaltet Gespräche der 1356 http://www.memoriecoloniali.org, aufgerufen am 16. 07. 2019. 1357 Bertella Farnetti, Paolo (Hg.): Sognando l’impero. Modena-Addis Abeba (1935–1941), Mailand 2007; Ders. u. a. (Hg.): Modena-Addis Abeba andata e ritorno. Esperienze italiane nel Corno d’Africa, Carpi 2007. 1358 Bertella Farnetti, Paolo: Italy’s Colonial Past between private memories and collective Amnesia, in: Colonialism and National Identity, Paolo Bertella Farnetti/Cecilia Dau Novelli (Hg.), Newcastle 2015, S. 212–227, hier S. 214–219. 1359 Mitunter ergaben sich daraus Synergien mit einem Projekt, welches die Erfahrung des Abessinienkriegs sowie die späteren Erinnerungsformen daran für Sardinien untersuchte. Der dazugehörige Sammelband wurde 2017 unter dem Titel Sardegna d’Oltremare von Valeria Deplano herausgegeben. Vgl. Bertella Farnetti, Paolo: Due progetti per una lettura dal basso dell’esperienza coloniale italiana, in: Sardegna d’Oltremare. L’emigrazione coloniale tra esperienza e memoria, Valeria Deplano (Hg.), Rom 2017, S. 3–17, hier S. 3 sowie S. 12–14. 1360 Über die daraus resultierte Kooperation der drei Universitäten zog Bertella Farnetti jedoch eine eher nüchterne Bilanz. Bisher sei allein der Sammelband »L’impero nel cassetto« erschienen, den er zusammen mit weiteren italienischen Kollegen sowie zwei äthiopischen Historikern 2013 herausgebracht hat. Vgl. Bertella Farnetti, Italy’s Colonial Past between private memories and collective Amnesia, S. 214–219; Ders., Due progetti per una lettura dal basso dell’esperienza coloniale italiana, S. 8–10; Bertella Farnetti, Paolo/Mignemi, Adolfo/Triulzi, Alessandro (Hg.): L’impero nel cassetto. L’Italia coloniale tra album privati e archivi pubblichi, Mailand 2013. 1361 Beispielsweise für Messina: Bolognari, Mario (Hg.): Lo scrigno africano. La memoria fotografica della guerra d’Etiopia custodita dalle famiglie italiane, Rubettino 2012.
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Autorin mit insgesamt 29 Personen sowie sechs von ihr erschlossene InterviewTranskripte, die aus älteren Forschungszusammenhängen hervorgegangen waren. Das Ziel bestand darin, Südtiroler Zeitzeugen zu ihren Erinnerungen an die Jahre von 1918 bis 1945 zu befragen. Dabei bemühte sich die Historikerin um eine alltagsgeschichtliche1362 Herangehensweise an jene Jahre, indem sie sich bewusst in die entlegenen Dörfer der Region begab, um dort Angehörige der unteren und mittleren Mittelschicht1363 ausfindig zu machen.1364 Interessanterweise werden in den dabei geäußerten Alltagsgeschichten einige Parallelen zum Kriegsbericht Eisenkeils erkennbar, die später ebenso aus den von Hanni geführten Gesprächen hervorgehen. Dazu resümiert Verdorfer : »In der Erinnerung an den italienischen Faschismus wird vor allem die Fremdheit und die Distanz gegenüber dem Regime und seinen personellen Repräsentanten betont. Die Faschisten bzw. die Italiener in der eigenen Umgebung werden in den Interviewtexten meist als die ganz anderen dargestellt, mit denen man sich weniger in Auseinandersetzung befand, als sich vielmehr in klarer Abgrenzung dazu definierte.«1365
Zwangsläufig erinnert man sich hier an das Verhältnis Eisenkeils zu seinen italienischen Kameraden, denen er zwar nicht grundsätzlich feindschaftlich, aber dennoch distanziert begegnete. Das von Verdorfer erfragte Narrativ vom Militärdienst weißt gleichwohl unscharfe Trennlinien auf: Dieser sei als ein vom Faschismus grundsätzlich getrennter Lebensbereich im Gedächtnis geblieben. Ganz dem Mythos des »apolitischen Heeres«1366 folgend, geben sich die befragten Südtiroler exkulpatorisch als tüchtige Soldaten zu erkennen, die nur ihrer staatsbürgerlichen Pflicht gefolgt seien.1367 Konsequenterweise identifizieren sie sich mehr mit der Institution des Militärs und seiner oberen Befehlshaber als mit ihren italienischen Kameraden. Hierzu nochmals Verdorfer : »Der […] Eifer und die Loyalität der Südtiroler Soldaten ließe sich in dem Sinn auch als Kompensation dafür verstehen, dass sie ihren Militärdienst, den sie grundsätzlich als staatsbürgerliche Pflichterfüllung akzeptierten, in einem Staat und vor allem mit Soldatenkollegen, die sie als kulturell unterlegen wahrnahmen, ableisten mussten, wodurch viele Südtiroler offenbar gezwungen wurden, immer die ›besseren‹ Soldaten zu sein, die dann auch entsprechend honoriert wurden.«1368 1362 Lüdtke, Alf: »Alltagsgeschichte«, in: Lexikon der Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stefan Jordan (Hg.), Stuttgart 2002, S. 21–24, hier S. 23. 1363 Die Befragten waren mehrheitlich in der Landwirtschaft, in der Gastronomie, als Handwerker, Angestellte, Hausfrauen oder als Verkäufer tätig gewesen. Nur fünf waren Lehrpersonen und einer Rechtsanwalt. Allein vier davon waren Frauen. Vgl. Verdorfer, Zweierlei Faschismus, S. 16. 1364 Verdorfer, Zweierlei Faschismus, S. 15–17. 1365 Ebd., S. 41. 1366 Ebd., S. 83. 1367 Saupe/Wiedemann, Narration und Narratologie, S. 11. 1368 Verdorfer, Zweierlei Faschismus, S. 86.
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Solche Eindrücke blieben freilich nicht nur vom Zweiten Weltkrieg im Gedächtnis, sondern lassen sich ebenso den Erfahrungsberichten des Abessinienkriegs von 2004 entnehmen. Schließlich überschattete der Wehrmachtsdienst im Zweiten Weltkrieg das Nachkriegsgedächtnis vieler Südtiroler – gerade auch hinsichtlich vorheriger Fronterlebnisse.1369 Wenig überraschend überschneiden sich deshalb auch die Erzählweisen verschiedener Kriegseinsätze stellenweise inhaltlich. Überdies wissen Hannis Interviewpartner von ihrer Zeit in Abessinien oft ähnliche Geschichten zu berichten. Vom Aufbau sowie vom Inhalt her weisen diese gleich mehrere Parallelen auf.1370 Von einzelnen Abweichungen abgesehen, zeigt sich hiermit erneut ein Emplotment, um welches sich die vormaligen Abessinienkämpfer beim Erzählen mehr oder weniger bewusst bemüht haben. Entsprechend unterteilen sich in Hannis Skript deren Geschichten in einzelne Abschnitte, die sich von Gespräch zu Gespräch oftmals wiederholten. Zusammenfassend liegt hierzu das folgende Themenraster vor: Einberufung und Einschiffung; Kriegsbeginn; Südtiroler in Abessinien; Aufgaben und Kriegserlebnisse; Ausrüstung, Alltag, Essen und Klima; Giftgas; Land und Leute; Lieder und Briefe; Heimkehr und Leben nach dem Krieg.1371 Insofern die Zeitzeugen zu einer Thematik nun aber generell mehr zu berichten wussten als zu anderen, lässt sich daraus schließen, welche Kriegsabschnitte in ihrem Gedächtnis besonders tiefe und nachhaltige Spuren hiterlassen haben. Hanni stellt dazu fest, dass sich der im Verlauf des Jahres 1935 eingegangene Marschbefehl mit Abstand am markantesten eingeprägt hat.1372 So wissen zu diesem beinahe alle der Befragten zu berichten, dass sie ihn als eine deutliche Zäsur in ihrem bisherigen Leben erfahren haben: Riss das unerwartete Schreiben aus Rom die jungen Männer doch meistens aus ihrem vertrauten Lebensalltag heraus und forderte sie zum unverzüglichen Fahnendienst an Italien auf.1373 Dass sie außerdem nach Ostafrika eingeschifft werden sollten, davon erfuhren sie oftmals erst, nachdem sie sich ihrem Wehrdienst gestellt und zu Ausbildungszwecken in anderen Landesregionen bereits einige Zwischenstationen eingelegt hatten.1374 Über die eigentlichen Gründe ihres Kriegseinsatzes in Ostafrika steht in den Interviews hingegen nicht viel geschrieben. Während die meisten der Befragten demnach überhaupt keine näheren Angaben dazu machen, geben doch aber vier von ihnen an, sich entweder mit der Aussicht auf 1369 Hanni, Der Abessinienkrieg in der Erinnerung Südtiroler Soldaten, S. 243. 1370 Ebd., S. 242. 1371 Hanni, Martin: Biographische Ehrhebung einiger Abessinienkämpfer aus Südtirol, ausgearbeitet vom 04. August – 05. April 2005, S. 2–7. 1372 Hanni, Der Abessinienkrieg in der Erinnerung Südtiroler Soldaten, S. 242. 1373 Hanni, Biographische Ehrhebung einiger Abessinienkämpfer aus Südtirol, S. 10, S. 18 sowie S. 37. 1374 Ebd., S. 8, S. 10, S. 15, S. 18, S. 21, S. 23, S. 26 sowie S. 30.
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eine militärische Laufbahn freiwillig zum Dienst gemeldet zu haben oder aber aufgrund harmloser Streiche von ihren Vorgesetzten strafversetzt worden zu sein.1375 Von einem generellen Widerstand gegenüber dem Einsatzbefehl ist an keiner Stelle zu lesen. Dagegen wird über Dienstverweigerer nur kurz im Gespräch mit Johann Eisath gesprochen: Diese habe er aber nicht persönlich gekannt. Vielmehr sei ihm deren Fahnenflucht über Umwege zu Ohren gekommen.1376 Die Überfahrt ins Kriegsgebiet wurde danach mit ganz unterschiedlichen Erwartungen angetreten. Teilweise ist dabei durchaus von einer gewissen Vorfreude auf das damals bevorstehende ›Kriegsabenteuer‹ zu lesen. So berichtet Hans Eschfäller : »Ich hatte irgendwie sogar eine Freude daran, da ich von meiner Natur her zu denen gehöre, die hinaus in die Welt wollten, um vieles zu sehen und zu erleben. […] Ich hab viel über diesen Kontinent gelesen. Nun hatte ich die Möglichkeit nachzusehen ob dies stimmt, was ich gelesen hatte.«1377
Die anschließende Seereise wird entweder als eine komfortable Fahrt in eleganten Kreuzfahrtschiffen geschildert oder dagegen als ein ungewohntes Erlebnis,1378 während welchem einige zuweilen seekrank wurden.1379 Auch die Ankunft in einem der ostafrikanischen Häfen sowie die noch vor dem Kriegsbeginn zugeteilten Aufgaben werden ganz unterschiedlich erinnert: Grundsätzlich ist dazu zu bemerken, dass nicht alle der Befragten das Bild eines heroischen Kriegseinsatzes wiedergeben. Viele zeigten sich mit einfachen Aufgaben hinter dem eigentlichen Kriegsgeschehen zufrieden und waren geradezu froh, nicht selber in die Gefechte verwickelt worden zu sein: So beispielsweise Karl von Marsoner, der als Schneider von Uniformen den Truppen »immer schön langsam« hinterher gekommen sei und daher weder von einzelnen Gefechten noch von der systematischen Massengewalt der italienischen Invasion je etwas mitbekommen habe.1380 Generell lässt sich feststellen, dass die Südtiroler Identität im Kriegsalltag nur selten wirklich bedeutend war. Der Kontakt zu anderen Landsleuten wurde zwar angeblich gesucht und bei Gelegenheit ausgiebig gefeiert,1381 entscheidender für die Soldaten war hingegen deren Truppenzugehörigkeit, aufgrund welcher der Krieg ganz anders erlebt wurde und sich später im Gedächtnis einprägte. Entsprechend machte es einen erheblichen Unterschied, ob die Neuankömmlinge wie von Marsoner als Schneider, im 1375 Hanni, Biographische Ehrhebung einiger Abessinienkämpfer aus Südtirol, S. 26, S. 24, S. 30 sowie S. 39. 1376 Ebd., S. 9. 1377 Ebd., S. 10. 1378 Ebd., S. 30 sowie S. 32. 1379 Ebd., S. 35. 1380 Ebd., S. 39. 1381 Ebd., S. 22, S. 28, S. 33, S. 35 sowie S. 37.
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Hilfsdienst,1382 in der Küche,1383 als Magazinier,1384 als Hafenarbeiter,1385 bei einer Patrouilleneinheit im Hinterland1386 oder aber als Infanteristen direkt an der Front1387 eingeteilt wurden. Davon abhängig erinnern sich die Befragten unterschiedlich an die dortigen Gefahren und Herausforderungen des Kriegsalltags,1388 an die zumeist schlechte Versorgungslage,1389 an deren Kameraden und Vorgesetzten,1390 an die Widrigkeiten des Klimas1391 sowie an die Brutalität der Gefechtsmanöver.1392 Weiter wird auch der seit den Studien Del Bocas vieldiskutierte Giftgaseinsatz vereinzelt anders erinnert: Während also einige der Erzähler weder an solchen Vernichtungsoperationen beteiligt gewesen seien, noch irgendetwas davon mitbekommen hätten,1393 wissen andere durchaus von derartigen Erlebnissen zu berichten. Die Informationen darüber sind indes überaus knapp und distanziert formuliert.1394 Ein selbstreflektiertes Schuldbekenntnis kam folglich auch 2004 noch nicht zu Stande: Stattdessen waren es immer noch die anderen bzw. ›die Italiener‹, welche diese Kriegsverbrechen allein begangen hatten. Exemplarisch dazu erinnerte sich Johann Eisath, der innerhalb eines Infanterie-Regiments das Feldtelefon betätigte, nur noch entfernt daran, überhaupt etwas von chemischen Kampfstoffen mitbekommen zu haben: »Gehört haben wir schon davon, dass die Italiener Giftgas einsetzten – im Kampfgebiet aber glaub ich nicht. Es wurde immer viel geredet, gesehen hab ich aber nichts, außer beim Kampf in Amba Aradam vielleicht.«1395
Nicht zuletzt zum Selbstschutz gegenüber solch schwerwiegender Kriegserlebnisse tritt die narrative Identität als ›Südtiroler‹ demnach wieder überdeutlich in den Vordergrund. Hannis Gesprächspartner konnten sich aber auch an zahlreiche Erlebnisse abseits der Kriegsfront erinnern. Am meisten wussten sie dabei über ihre Begegnungen mit dunkelhäutigen Äthiopiern sowie mit den in den Dörfern und Städten lebenden Frauen zu erzählen. Bei einigen der Befragten scheint der 1382 1383 1384 1385 1386 1387 1388 1389 1390 1391 1392 1393 1394 1395
Hanni, Biographische Ehrhebung einiger Abessinienkämpfer aus Südtirol, S. 15. Ebd., S. 32. Ebd., S. 35. Ebd., S. 21. Ebd., S. 30 sowie S. 24. Ebd., S. 11, S. 16, S. 19, S. 23, S. 33 sowie S. 37. Ebd., S. 8, S. 11, S. 16, S. 19 sowie S. 32. Ebd., S. 8, S. 14, S. 17, S. 19, S. 21, S. 23, S .25, S. 30, S. 33, S. 35 sowie S. 40. Ebd., S. 15, S. 18, S. 25, S. 35 sowie S. 37. Ebd., S. 18 sowie S. 23. Ebd., S. 8, S. 11, S. 16, S. 18, S. 19, S. 23, S. 24, S. 26, S. 33 sowie S. 39. Ebd., S. 14, S. 27, S. 28 sowie S. 38. Ebd., S. 13, S. 25, S. 31, S. 33, S. 39 sowie S. 40. Ebd., S. 9.
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Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung daher eine große Faszination ausgelöst zu haben, da viele von ihnen bis dahin angeblich nie Menschen aus Afrika zu Gesicht bekommen hatten.1396 Das tatsächliche Wissen über die ostafrikanischen Kulturen hält sich aber dennoch in Grenzen.1397 Vielmehr sprechen aus den Schilderungen zu den ›Schwarzen‹ rassistische Stereotype, welche die Erzähler wohl eher zuhause oder von der Regimepropaganda aufgenommen haben dürften, als das solche aus der unmittelbaren Bekanntschaft mit den Einheimischen hervorgegangen wären. Stellenweise werden die Abessinier deshalb zwar als »baumgroß« und »schwarz«, aber nicht als angeblich richtige »Neger« beschrieben,1398 die sich tagsüber im »Dschungel« verkrochen und abends hungrig zu den Zelten der Italiener kamen, um dort nach Nahrung zu betteln oder aber im Verstecktem Hinterhalte zu planen.1399 Trotz solcher Überfälle erscheinen die einheimischen Widerstandskämpfer aber nicht als ernstzunehmende Gegner, wären viele von ihnen doch barfuß und für den Kampf nur mangelhaft ausgerüstet unterwegs gewesen.1400 Stattdessen werden sie als »faule« Arbeitskräfte bezeichnet,1401 welche die italienischen Soldaten dafür aber gastfreundlich zu Teezeremonien einluden.1402 Auch über die äthiopischen Frauen wird in den Interviews oftmals Gleiches erzählt: Deren angeblich aufreizendes Auftreten und ihre scheinbar bereitwillige Hingabe werden auffällig häufig erinnert. Die Soldaten seien jedoch von ihren Vorgesetzten vor den Geschlechtskrankheiten der Abessinierinnen gewarnt worden, weshalb sich viele der Interviewten aus Vorsicht und Anstand nie in deren Zelte gewagt hätten. Nur einige sittenlose, italienische Kameraden und Offiziere hätten sich dieser ›Gefahr‹ ausgesetzt und seien deswegen mit allerlei Krankheiten angesteckt worden.1403 Generell fällt dazu auf, dass sich trotz aller Kritik an der brutalen Kriegsführung der Italiener grundsätzlich nirgends vergleichbar negative Urteile über die versuchte Kolonisierung Äthiopiens finden. Viele der von der faschistischen Kriegspropaganda verbreiteten Vorurteile über die vermeintlich unterentwickelte Zivilisation der Äthiopier und deren lasterhaften sowie ›schmutzigen‹ Frauen konnten sich demnach bis ins hohe Alter im Gedächtnis der Befragten halten. Hans Eschgfäller meinte deshalb kurz und bündig dazu: »Wenn’s net
1396 1397 1398 1399 1400 1401 1402 1403
Hanni, Biographische Ehrhebung einiger Abessinienkämpfer aus Südtirol, S. 31. Ebd., S. 19, S. 21 sowie S. 26. Ebd., S. 12. Ebd., S. 28. Ebd., S. 8, S. 33 sowie S. 35. Ebd., S. 39. Ebd., S. 17 sowie S. 31. Ebd., S. 12, S. 19, S. 26, S. 35 sowie S. 39.
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walsch war, war i glei entn geblieben.«1404 Trotz der angeblichen Vorzüge des Lebens im annektierten Ostafrika scheint es aber, dass die Soldaten und Arbeiter aus Südtirol ihr früheres Leben in der Heimat schließlich doch vorzogen und mit der dortigen Familie stets eng in Kontakt blieben.1405 Beinahe alle erzählten davon, während ihres Aufenthaltes fleißig Briefe nach Hause geschickt zu haben.1406 Seltener ist dagegen von Tagebüchern oder Fotografien zu lesen, wobei nur die wenigsten diese nach dem Krieg aufbehalten hätten.1407 Viele wollten sich mit den dortigen Erlebnissen demnach nicht mehr weiter auseinandersetzen. Dies erklärt auch Angaben wie diejenige von Mariano Gruosso, der keinerlei Andenken aus Abessinien aufgehoben habe, um diesen Lebensabschnitt wohlweislich hinter sich zu lassen. Er selber meinte dazu: »Wir haben schon gesungen und Briefe hab ich auch geschrieben. Fotos hab ich keine gemacht, und die, die ich hatte, habe ich alle an einem Tag weggeworfen. Ich habe gar nichts. Es war ein brutaler Krieg.«1408
In beinahe allen Interviews wird die Rückkehr in die alte Heimat als ein grundsätzlich freudiges Erlebnis geschildert – und zwar nicht nur seitens der Heimkehrer, sondern genauso auch seitens der Dorfgemeinschaft. So seien sie oft von der Dorfkappelle mit Blumenkränzen feierlich als siegreiche Kriegshelden willkommen geheißen worden.1409 Zwar hätten bereits Ende der Dreißigerjahre einige Dorfbewohner schlecht über die »verräterischen« Abessinienkämpfer geredet, doch seien solche Feindseligkeiten vorerst nur hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen worden.1410 Erst mit den »Nazis« – also ungefähr um 1943 – wären die für das Mussolini-Regime in Ostafrika im Einsatz gewesenen Südtiroler öffentlich in Verruf geraten.1411 Inwiefern solche retrospektiven Angaben nun zeitlich korrekt sind, sei dahingestellt. Vielmehr erscheint an dieser Stelle bemerkenswert, dass der Einfluss eines militanten Deutschnationalismus, der mit der ›Operationszone Alpenvorland‹ so offen wie nie zuvor zu Tage trat, als wesentlich ausschlaggebend für das kollektive Verstummen der Abessinienkämpfer genannt wird. Die spätere Dominanz des SKFV über das öffentliche Gedenken an den Zweiten Weltkrieg in den Gemeinden Südtirols hat dazu gewiss für eine Kontinuität der Nachkriegszeit gesorgt. Über das Leben nach dem Krieg liegen anschließend verschiedene Lebensgeschichten vor. Viele mussten nach ihrer Heimkehr schon bald wieder einrü1404 1405 1406 1407 1408 1409 1410 1411
Hanni, Biographische Ehrhebung einiger Abessinienkämpfer aus Südtirol, S. 12. Ebd., S. 17 , S. 20, S. 21 sowie S. 23. Ebd., S. 9, S. 13, S. 28 sowie S. 36. Ebd., S. 14, S. 15 sowie S. 19. Ebd., S. 14. Ebd., S. 9, S. 13, S. 20, S. 22 sowie S. 36. Ebd., S. 17 sowie S. 36. Ebd., S. 22.
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cken. Die meisten nach der ›Option‹ von 1939 an die Ostfront, wo einige der ehemaligen Abessinienkämpfer auch in mehrjährige Kriegsgefangenschaft gerieten.1412 Einige wenige kämpften zuvor aber noch ein weiteres Mal für den Faschismus – diesmal allerdings freiwillig im Spanischen Bürgerkrieg.1413 Bei ganz wenigen ist außerdem davon zu lesen, dass sie sich nach 1936 zuerst noch einige Jahre im neu ausgerufenen ›Impero‹ als Siedler und Arbeiter niederließen und dort zuweilen auch eine Familie gründeten. Nach wenigen Jahren kehrten aber auch sie desillusioniert wieder nach Südtirol zurück.1414 Deren ehemalige Kameraden trafen sie danach bei zwei großen Veteranentreffen vom 8. Mai 1985 in Bozen sowie bei einem in Laas von 1990.1415 Mit der Ausnahme dieser beiden Zusammenkünfte und dem Gespräch mit Hanni behielten sie ihre Geschichten aus Abessinien aber bis ins hohe Alter für sich. Aus den eben zusammengefassten Gesprächstexten der Veteranen sprechen nun nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch zahlreiche Unterschiede. Während die erzählten Kriegserlebnisse und -wahrnehmungen also von Einsatzort zu Einsatzort variieren, fallen die meisten Gemeinsamkeiten bezüglich der dort erfahrenen Gewalt auf: Die Italienische Aggression wird demnach entweder als grausam und rücksichtlos verurteilt oder aber überhaupt nicht mehr ins Gedächtnis gerufen. In der Selbstwahrnehmung als Südtiroler bleibt ein Eingeständnis zur eigenen Täterschaft aber generell aus. Außerdem liegen viele Parallelen in der Erzählweise der versuchten Kolonisierung Äthiopiens vor, wobei sich hierzu keine grundsätzliche Kritik findet. Vielmehr versuchten einige der Südtiroler Soldaten durch Arbeit und Familiengründung selbst Teil dieses vom Regime verhießenen Zivilisationswerks zu werden. Offensichtlich kehrten diese aber schon bald wieder in ihre ursprüngliche Heimat zurück und konnten sich dort angeblich rasch wieder in die Dorfgemeinschaft integrieren. Von einer traumatischen Opferschaft, welche die Südtiroler als ebenfalls unterdrücktes Volk an der Seite der Äthiopier erfahren hätten, ist indes nirgends zu lesen. Alles in allem sprechen aus den Veteranengesprächen Hannis jedenfalls weitaus vielfältigere narrative Identitäten, als dies eine kulturnationalistische Kollektiverzählung der ›Südtiroler‹ im Abessinienkrieg nahezulegen vermag. Die Gegenstimmen der von Hanni aufgespürten Zeitzeugen sperren sich somit gegen die hegemoniale Erzählkultur Deutschsüdtirols. Für einen differenzierten Blick auf die Geschichte sind sie daher zweifellos mit anzuhören.
1412 Hanni, Biographische Ehrhebung einiger Abessinienkämpfer aus Südtirol, S. 27 sowie S. 29. 1413 Ebd., S. 40. 1414 Ebd., S. 29. 1415 Ebd., S. 9, S. 13, S. 15, S .20, S. 23 sowie S. 31.
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Von der Kollektiverzählung zum historiographischen Diskurs Das Oral History-Projekt von Hanni erschien in Form eines kurzen Überblicks in einem von Gerald Steinacher und dem Südtiroler Landesarchiv herausgebrachten Sammelband von 2006.1416 Im vorigen Kapitel wurde bereits aufgezeigt, dass die Aufsatzsammlung Steinachers vor allem in den Südtiroler Heimatbüchern einen erkennbaren Niederschlag fand. Nicht ohne Grund setzten sich nach 2006 Heimatbuchautoren vermehrt und ausführlicher mit der Verflechtungsgeschichte ihres Dorfes und dem Abessinienkrieg auseinander. Wissenschaftlich stellte der Band aber genauso eine tiefgreifende Zäsur dar, als dass die Thematik im landesgeschichtlichen Kontext zuvor noch nicht kritisch bearbeitet worden war. Was diese Historisierung1417 neben den bereits besprochenen Heimatbucheinträgen sonst noch für Narrationen hervorbrachte und welche weiteren Forschungsfragen seitdem daran anknüpften, soll im nachstehenden Kapitel diskutiert werden.
Erzählungen aus der Peripherie: Zur ersten Aufarbeitung von 2006 Albrecht Koschorke unterteilt Erzählräume gemäß seiner Erzähltheorie in ›kalte‹ und ›heiße‹ Zonen. Innerhalb Ersterer dominieren einzelne Kollektiverzählungen konkurrenzlos, während den Letzteren durch antagonistische Narrative eine reibungsvolle Dynamik innewohnt. Bei näherem Hinsehen zerfallen solche Erzählräume in ein Kaleidoskop mehrerer Zentren und Peripherien, welche entsprechend unterschiedlich temperiert sind.1418 Hierzu führt Koschorke die Begriffe der Provinz und der Peripherie ein: Während abseits der größeren Zentren demnach provinzielle ›Horte der Tradition‹ für sich isoliert bestehen bleiben, sind großflächigere ›kalte‹ Zonen jeweils von peripheren Gegenerzählungen umgeben. Solch konkurrierende Narrative vermögen Druck auf die erkalteten Zentren auszuüben, womit deren Temperatur unter Umständen ansteigen kann.1419 In Südtirol übernimmt die Regionalgeschichte spätestens seit den Neunzigerjahren die Funktion einer solch peripheren »Kontaktzone«, die mittels neuer Forschungsergebnisse »unablässigen Artikulationsbedarf« erzeugt und sich daher »nicht durch fixe Codierungen«1420 stilllegen lässt. Demgegenüber befindet sich die Provinz wortwörtlich in den Dörfern der Brennerregion, wo 1416 Hanni, Martin: Der Abessinienkrieg in der Erinnerung Südtiroler Soldaten, S. 241–257. 1417 Kol#rˇ, Pavel: »Historisierung«, in: Docupedia-Zeitgeschichte, Version 2.0, 22. 10. 2012, S. 2–3. 1418 Koschorke, Wahrheit und Erfindung, S. 128–134. 1419 Ebd., S. 131–132. 1420 Ebd., S. 131.
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Heimatvereine wie die Schützen – oder früher der SKFV – ungestört ihr kulturnationalistisches Vergangenheitsnarrativ postulieren. Worin lagen denn nun genau die Möglichkeiten der peripheren Aufarbeitungsarbeit des Abessinienkriegs innerhalb des Erzählraums Südtirol? Zunächst einmal erschöpft sich der Sammelband Steinachers gewiss nicht in einem abschließenden Wahrheitsanspruch, sondern zielt vielmehr auf eine historische Wahrheit ab, welche aufgrund ihres andauernden Artikulationsbedarf grundsätzlich ergebnissoffen orientiert ist.1421 Somit galt es, die Thematik des Abessinienkriegs von ihren bislang vorherrschenden Erzählweisen abzutrennen und damit einem historiographischen Diskurs1422 überhaupt erst zugänglich zu machen.1423 Der Kollektiverzählung des Abessinienkriegs sollte dadurch jedoch nicht einfach eine neue fixe Lesart beiseite gestellt werden, stattdessen galt es mittels eines quellengestützten und differenzierten Zugangs Druck auf eben solch erkaltete Geschichtsbilder auszuüben.1424 Insofern kommt der Sammelband Steinachers einem grundsätzlichen Anspruch der Geschichtswissenschaft nach, gemäß welchem deren Vertreter als »Wächter beunruhigender Fakten«1425 lieber einer misstrauischen Leserschaft »zerbrochene Spiegel«1426 vorhalten, anstatt einem willfährigen Publikum historische Halbwahrheiten zu servieren. Am Anfang des Aufarbeitungsprojekts von 2006 stand wiederum die Eigeninitiative eines Veteranen, der seine Erinnerungen aus Abessinien dem kulturellen Gedächtnis Südtirols vermachen wollte. Hierfür überließ der aus Algund bei Meran stammende Alois Leiter im Sommer 2001 dem Landesarchiv sein umfangreiches Fotoalbum,1427 dessen Bilder er während seines Kriegsaufenthalts zwischen 1935 und 1936 als Besatzungssoldat in Äthiopien aufgenommen hatte.1428 Von der Leihgabe Leiters inspiriert, stellte das Archivteam fest, dass das 1421 Baldissara, Die Konstruktion einer Erinnerung zwischen Vergangenheit und Zukunft, S. 310; Jeager, Stefan: Erzählen im historiographischen Diskurs, in: Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens, Christian Klein/ Mat&as Mart&nez (Hg.), Stuttgart 2009, S. 110–136, hier S. 123; Saupe/Wiedemann, Narration und Narratologie, S. 4. 1422 Jeager, Erzählen im historiographischen Diskurs, S. 122. 1423 Kol#rˇ, Historisierung, S. 4. 1424 Baldissara, Die Konstruktion einer Erinnerung zwischen Vergangenheit und Zukunft, S. 311; Middell u. a., Sinnstiftung und Systemlegitimation durch historisches Erzählen, S. 9. 1425 Burke, Peter : Geschichte als soziales Gedächtnis, in: Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, Aleida Assmann/Dietrich Harth (Hg.), Frankfurt a.M. 1991, S. 289–305, hier S. 302. 1426 Kol#rˇ, Historisierung, S. 9. 1427 Steinacher, Gerald/Beutler, Ulrich: Aus der Sicht des Soldaten: Fotoalben von Südtiroler Kriegsteilnehmern, in: Zwischen Duce und Negus. Südtirol und der Abessinienkrieg 1935–1941, Gerald Steinacher (Hg.), Bozen 2006, S. 88–195, hier S. 90. 1428 Auszüge aus Leiters Fotoalbum wurde danach nicht nur im Sammelband Steinachers vorgestellt. Der gesamte Bestand an 254 Aufnahmen wurde anschließend vom Landes-
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fachhistorische Wissen über den Abessinienkrieg in Südtirol trotz dessen Präsenz an diversen regionalen Erinnerungsorten äußert bescheiden war. Bis dahin gab es weder eine Monographie noch einzelne Aufsätze zur Geschichte dieses imperialen Angriffskriegs, obschon die Provinz Bozen davon genauso betroffen gewesen war wie die südlicheren Provinzen Altitaliens. Abgesehen davon, dass das Unwissen über den Abessinienkrieg in Italien auch im neuen Jahrtausend noch allgegenwärtig war, sollte nun also zumindest in Südtirol einer möglichst breiten Leserschaft ein kritischer Zugang zu diesem historischen Kapitel gewehrt werden.1429 Gerade auch die mediale Aufmerksamkeit, welche dem Abessinienkrieg angesichts seines 70. Jahrestags von 2005 sowie im Zusammenhang mit dem Projekt des Landesarchivs in der Südtiroler Presse zugekommen war,1430 machte den dringenden Aufarbeitungsbedarf offenkundig.1431 Wie vorhin erwähnt, sollte die Thematik daher nicht mehr allein Gegenstand erinnerungspolitischer Erzwählweisen bleiben, sondern erstmals innerhalb eines historiographischen Diskurses besprochen werden.1432 An diesen sollten sich anschließend zahlreiche Folgestudien anknüpfen lassen.1433 Dem Forschungsdesiderat der »Abessinienerfahrung«1434 in Südtirol wollte Steinacher jedoch nicht nur regionalgeschichtlich entgegenkommen. Einerseits bestand sein Ziel darin, die Grundlage für den Themenkomplex »Abessinienkrieg und Südtirolfrage« im Lichte neuester geschichtswissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisse der Gedächtnisforschung auszulegen. Andererseits war ihm aber genauso daran gelegen, die Resultate des Archivprojekts mit der gesamteuropäischen Geschichte zu verbinden.1435 Hierfür lud er Historiker von außerhalb Südtirols dazu ein, ihr Fachwissen über den Äthiopienkrieg in der
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archiv im »Bildarchiv Luis Leiter« online veröffentlicht. Vgl. Steinacher/Beutler, Aus der Sicht des Soldaten, S. 88–195, hier S. 100–194. Steinacher, Gerald: Vorwort, in: Zwischen Duce und Negus. Südtirol und der Abessinienkrieg 1935–1941, Gerald Steinacher (Hg.), Bozen 2006, S. 9–13, hier S. 10. Steinacher zitiert dazu später in seinem Aufsatz einen Leserbrief aus der Dolomiten von 2003, bei welchem der altbekannte Opferdiskurs der kulturnationalistischen Kollektiverzählung nach wie vor tonangebend war. Dabei wurde anlässlich einer Gedenkzeremonie am Alpinidenkmal in Bruneck die folgende Anklage gegen Italien erhoben: »Unsere Großväter wurden zum Mitwirken beim Völkermord durch Italien in Afrika gezwungen, bei dem mehr als 600.000 kg Chemie- und Gaskampfstoffe und Waffen zum Einsatz kamen, Gefangene in den Konzentrationslagern elend sterben mussten , fast 500 Mönche, nur weil sie Patrioten waren, ermordet wurden usw. Für die erzwungene Teilnahme unserer Großväter an diesen Schandtaten wollen wir keine Kranzniederlegung beim ›Kapuzinerwastl‹ in Bruneck.« Vgl. Leserbrief, Dolomiten, 23. 10. 2003, S. 12, zitiert in: Steinacher, Vom Amba Alagi nach Bozen, S. 32. Steinacher, Vom Amba Alagi nach Bozen, S. 32. Ebd., S. 9. Ebd., S. 10. Steinacher, Vorwort, S. 9. Ebd., S. 9–10.
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Publikation des Landesarchivs vorzustellen. Die Aufsätze von Labanca zur Erinnerungskultur und Historiographie des Abessinienkriegs, von Ulrich Beutler über die außenpolitische Konstellation vor dem Angriff auf das Kaiserreich Haile Selassies sowie von Aram Mattioli, der in seinem Beitrag den Eroberungsfeldzug Mussolinis von einer internationalen Perspektive her betrachtete, betteten die Geschichte Südtirols in eben jenen internationalen Kontext ein.1436 Dazwischen widmeten sich fünf teilweise bereits weiter oben besprochene Aufsätze der Verflechtungsgeschichte Südtirols mit der imperialen Expansion Italiens in Ostafrika. Während sich demnach Steinacher in einem ersten Beitrag auf eine erinnerungskulturelle Spurensuche des Abessinienkriegs in der Brennerregion begab,1437 ordnete er in einem weiteren Kapitel zusammen mit Beutler den Fotobestand Leiters seinem historischen Entstehungshintergrund zu.1438 Hanni verortete dazu die autobiographischen Erzählungen seines Oral HistoryProjekts erstmals im kommunikativen Gedächtnis der damaligen Jahre.1439 Neue Erkenntnisse dazu, wie die Südtiroler in den Abessinienkrieg hineingezogen worden waren, stellten schließlich Leopold Steurer in einem Aufsatz und Thomas Ohnewein mittels eines statistischen Überblicks über die von ihm ausgewerteten Stammdatenblätter der Militärmatrikel des Bozner Staatsarchivs vor.1440 Erstens deckt Steinachers Spurensuche demnach die regionalen Erinnerungsorte des Abessinienkriegs auf und stellt diese im Einzelnen kurz vor. Neben der 1938 auf der Piazza della Vittoria zu Ehren der ›Helden‹ des Imperiums errichteten Siegessäule erfährt in diesem Zusammenhang auch das Alpinidenkmal in Bruneck zum ersten Mal überhaupt eine historiographische Kontextualisierung.1441 Zudem thematisiert Steinacher die Straßennamen Bozens und nennt hierfür die prominentesten der noch bestehenden Wegmarken des imperialen Straßennamenbestands Bozens: Dazu verweist er auf die Via Amba Alagi, die Via Antonio Locatelli sowie die Via Padre Reginaldo Giuliani.1442 Abschließend geht Steinacher noch auf weitere Gedenkorte in Südtirol ein, welche ursprünglich faschistische Eroberungskriege würdigen sollten und 1436 Labanca, Nicola: Erinnerungskultur und Historiographie zum Abessinienkrieg, in: Zwischen Duce und Negus. Südtirol und der Abessinienkrieg 1935–1941, Gerald Steinacher (Hg.), Bozen 2006, S. 33–59; Beutler, Ulrich: Italien und die außenpolitische Konstellation vor dem Abessinienkrieg, in: ebd., S. 59–87; Mattioli, Aram: Der Abessinienkrieg in internationaler Perspektive, in: ebd., S. 257–269. 1437 Steinacher, Vom Amba Alagi nach Bozen, S. 13–33. 1438 Steinacher/Beutler, Aus der Sicht des Soldaten, S. 88–195. 1439 Hanni, Der Abessinienkrieg in der Erinnerung Südtiroler Soldaten, S. 241–257. 1440 Steurer, Leopold: Südtirol und der Abessinienkrieg, in: Zwischen Duce und Negus. Südtirol und der Abessinienkrieg 1935–1941, Gerald Steinacher (Hg.), Bozen 2006, S. 195–241; Ohnewein, Thomas: Südtiroler in Abessinien – Statistisches Datenmaterial, in: ebd., S. 269–273. 1441 Steinacher, Vom Amba Alagi nach Bozen, S. 21 sowie S. 26–29. 1442 Ebd., S. 21–22.
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deswegen 1935 dem Regime zu Propagandazwecken gedient hatten: So die Ehrengräber des Kampfpiloten Otto Huber und des Leutnants Siegfried Wackernell, welche für ihren Einsatz in Libyen von 1929 auf dem Meraner Friedhof jeweils ein Ehrengrab erhalten hatten.1443 Steinacher betont gegen Ende seines Beitrags aber nochmals, dass es sich nur um eine erste Sondierung handelt. Bei genauerer Suche würden zweifelsohne noch zahlreiche weitere Spuren des Abessinienkriegs in Südtirol zum Vorschein kommen.1444 Zweitens wertet Steurer die im staatlichen Zentralarchiv in Rom liegenden Bestände an zensurierten Briefen und Überwachungsberichten faschistischer Regimespitzel aus, womit ihm ein grober Umriss der aufgrund des Abessinienkriegs in Südtirol vorherrschenden Stimmungslage von 1935 gelingt.1445 Offensichtlich lassen sich damit jedoch nur solche Positionen einfangen, welche sich explizit gegen den Kriegseinsatz der eigenen Landsleute in Ostafrika richteten. Die schweigende Mehrheit der Südtiroler Bevölkerung von 1935 bleibt dagegen nach wie vor ungehört. Eine tiefergehende Studie zur effektiven Anoder Ablehnung des Angriffskriegs wäre rein quellentechnisch dagegen überaus schwer zu bewerkstelligen und lässt wohl deshalb noch bis heute auf sich warten. Steurer weist dafür aber darauf hin, dass das Loyalitätsverhältnis zum italienischen Staat nicht nur im Südtirol der Dreißigerjahre alles andere als gefestigt war : Rom musste sich in den übrigen nach 1919 zu seinem Staatsgebiet gestoßenen Randregionen ebenso darum bemühen, dass ihm nicht zu viele wehrfähige Männer über die nahegelegen Grenze davonliefen. Im Trentino oder in der Venezia Giulia überlegten es sich zahlreiche Einberufene ebenfalls zweimal, ob sie dem Marschbefehl tatsächlich Folge leisten oder ihr Glück stattdessen lieber auf der Flucht versuchen wollten.1446 Südtirol stellte dahingehend also bei Weitem kein Sonderfall dar.1447 Was in der Brennerregion jedoch speziell auffällt, ist die von Steurer klar herausgearbeitete Sympathie vieler Südtiroler für den Na1443 1444 1445 1446 1447
Steinacher, Vom Amba Alagi nach Bozen, S. 30–31. Ebd., S. 30. Steurer, Südtirol und der Abessinienkrieg, S. 198–201. Steurer, Südtirol und der Abessinienkrieg, S. 197, S. 205 sowie S. 223. Auch für die übrigen Landesprovinzen des faschistischen Italiens liegen mittlerweile einige Einzelstudien vor, welche nach dem effektiven Grad eines angeblichen – von der faschistischen Propaganda allerdings stets betonten – Volkskonsenses fragen und dabei auf eine durchaus unterschiedliche Stimmungslage des italienischen Volkes von 1935 und 1936 gestoßen sind. Vgl. Labanca, Nicola: »Chi ha studiato il »consenso« alla Guerra d’Etiopia?«, in: Le forze armate e la nazione italiana (1915–1943), Romain H. Rainero/ Paolo Alberini u. a. (Hg.), Rom 2004, S. 201–226; Corner, Paul: Fascist Italy in the 1930s: Popular Opinion in the Provinces, in: Popular Opinion in Totalitarian Regimes: Fascism, Nazism, Communism, Oxford 2009, S. 122–149; Corner, Paul: L’opinione popolare italiana alla guerra d’Etiopia, in: L’Impero fascista. Italia ed Etiopia (1935–1941), Ricardo Bottoni (Hg.), Bologna 2008, S. 167–187; Corner, Paul: The Fascist Party and Popular Opinion in Mussolini’s Italy, Oxford 2012.
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tionalsozialismus zusammen mit den dagegen vorgenommenen Repressionsmaßnahmen Roms.1448 Der Mitte der Dreißigerjahre in und um Bozen bekundete Widerstand gegen Mussolinis imperiale Aspirationen verschaffte sich daher oftmals unterstützt von Tiroler NS-Zellen sowie mit lauthalsen »Heil-Hitler«Rufen Ausdruck.1449 Abschließend macht Steurer zudem darauf aufmerksam, dass allein der Begriff des ›Desertierens‹ politisch schon immer stark umstritten war : Weswegen sich die Südtiroler jeweils in eines der Nachbarländer absetzten, kann letztendlich nur anhand sorgsamer Einzelstudien beantwortet werden.1450 Somit liegt es auf der Hand, dass je nach Blick in die Unterlagen verschiedener Außenministerien und Regierungsbehörden ganz unterschiedliche Fluchtursachen genannt werden. In den diversen politischen Lagern sprachen demnach verschiedene Gründe für bzw. gegen eine Fahnenflucht – und nochmals andere für deren nachträglichen Registereintrag in den jeweiligen Amtsstuben.1451 Drittens liefert Ohnewein schließlich wichtiges statistisches Datenmaterial nicht nur für die einzelnen Aufsätze des Sammelbandes, sondern ebenso für weitere Forschungsvorhaben. In den Beständen des Staatsarchivs in Bozen wurden dazu die Wehrdienstjahrgänge von 1911 bis 1913 ausgewertet, woraus 1375 Südtiroler hervorgingen, die beim Kriegsausbruch als einfache Soldaten einen Marschbefehl erhalten hatten. Die höheren Dienstgrade sowie die älteren oder jüngeren Jahrgänge sind in den Stammdatenblättern allerdings nicht erfasst. Deren Einsatz erfolgte grundsätzlich freiwillig, weshalb sie nicht per offiziellem Schreiben zum Fronteinsatz aufgefordert worden waren. Die daraus gewonnenen Angaben sind aber dennoch aussagekräftig, da so entgegen bisheriger Gerüchte erstmals die von den faschistischen Behörden im Stillen geführten Statistiken zugänglich wurden. Mit der nötigen Vorsicht hinsichtlich der bei Steurer genannten politischen Konnotation des Phänomens des Desertierens wird dadurch beispielsweise die Aussage möglich, dass es sich im Endeffekt um eine Minderheit von 198 verzeichneten Fahnenflüchtigen handelte. Gleichwohl lässt sich dank der Recherchen Ohneweins der Opfermythos der ›märtyrerhaften‹ Südtiroler Frontkämpfer widerlegen: Obwohl viele von ihnen bei einem Infanterieregiment eingeteilt wurden, scheinen nur die wenigsten von ihnen einer direkten Kriegsgefahr ausgesetzt gewesen zu sein. Entsprechend wurden nur zwölf Todesopfer gezählt, von denen allein sieben im Gefechten gefallen waren. Drei von ihnen waren dagegen Krankheiten erlegen und zwei an nicht näher feststellbaren Ursachen. Die meisten der nach Äthiopien eingeschifften Südtiroler kehrten nach 1936 also zumindest physisch wohlbehalten wieder in 1448 1449 1450 1451
Steurer, Südtirol und der Abessinienkrieg, S. 196–197. Ebd., S. 195–196 sowie S. 201. Ebd., S. 216 sowie S. 236–237. Ebd., S. 202–217 sowie S. 239.
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ihre Heimat zurück. Für einen längeren Aufenthalt im ostafrikanischen ›Impero‹ hatten sich hiernach nur 76 der vormaligen Kombattanten entschieden.1452 Wie bereits eingangs erwähnt, sind die von Steinacher veröffentlichten Beiträge nebst ihren Forschungsergebnissen vor allem hinsichtlich des dadurch eröffneten historiographischen Diskurses bemerkenswert. Zahlreiche bisher allein der Kollektiverzählung überlassene Halbwahrheiten wurden entsprechend aufgedeckt oder zumindest quellengestützt hinterfragt, womit ein bisher verschwiegenes Kapitel der Neuesten Südtiroler Geschichte erstmals eine wissenschaftlich fundierte Grundlage erhielt. Ohne diesen Sammelband hätte ein differenzierter Zugang zur Verflechtungsgeschichte Südtirols mit dem Abessinienkrieg wohl noch lange auf sich warten lassen. Entsprechend bildete die Publikation auch eine Ausgangslage für weitere Forschungsarbeiten, die bis heute veröffentlicht wurden oder derzeit angekündigt sind. Die daraus hervorgegangenen Erzählansätze des Abessinienkriegs sollen anschließend kurz vorgestellt werden.
Jüngste Forschungs- und Erzählansätze nach 2006 Landesweit folgte der Sammelband Steinachers zusammen mit den späteren Forschungsprojekten zur selben Thematik einem nach 2000 ansetzenden Trend der italienischen Geschichtswissenschaft sowie des dortigen Literaturbetriebs.1453 So erschienen in den vergangenen 18 Jahren unzählige Romane über die italienische Kolonialgeschichte,1454 denen allerdings nicht immer das gleiche Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit zukam. Eine Ausnahme dazu bildet das viel besprochene Buch der lange Zeit in Südtirol wohnhaften Francesca Melandri mit dem Titel Sangue giusto.1455 Abgesehen von Melandris Bestseller fanden viele der Romane jedoch nie die breite Leserschaft, die ihnen zweifellos zusteht.1456 Vielmehr handelt es sich um einen literarischen Diskurs 1452 Ohnewein, Südtiroler in Abessinien, S. 269–272. 1453 Kirchmair, Maria: Postkoloniale Literatur in Italien. Raum und Bewegung in Erzählungen des Widerständigen, Bielefeld 2017, S. 33–44. 1454 Hierzu ein kleine Auswahl der zwischen 2000 und 2008 über den Abessinienkrieg veröffentlichten Literatur : Cavagnoli, Franca: Una pioggia bruciante, Mailand 2000; Marrocu, Luciano: Debr/ Libanks, Nuoro 2002; Longo, Davide: Un mattino a Irgalem, Mailand 2001; Camilleri, Andrea: La presa di MacallH, Palermo 2003; Capretti, Luciana: Ghibli, Mailand 2004; Pastacaldi, Paola: Khadija, Turin 2005; Coscia, Fabrizio: Notte Abissinia, Rom 2006; Ghermani, Gabriella: Regina di fiori e di perle, Rom 2007; Fraschetti, Roberto: Nera delle dune, Rom 2008; Lucarelli, Carlo: L’ottava vibrazione, Turin 2008; Brizzi, Enrico: L’inattesa piega degli eventi, Mailand 2008. 1455 Melandri, Francesca: Sangue giusto, Mailand 2017. 1456 Labanca, Postkoloniales Italien, S. 200–201.
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über die koloniale Vergangenheit des Bel Paese, für den sich nur eine Minderheit der Italienerinnen und Italiener tatsächlich zu interessieren scheint.1457 Die Geschichtswissenschaft teilt dieses Schattendasein mit der Belletristik: Obschon gerade seit dem Jahrtausendwechsel in verschiedenen Sprachen zahlreiche innovative Studien über den italienischen Kolonialismus im Allgemeinen und den Abessinienkrieg im Speziellen veröffentlicht wurden, bleiben die darin gewonnenen Erkenntnisse außerhalb der Akademie nur den wenigsten bekannt.1458 Labanca zieht deswegen den ernüchternden Schluss, dass das Schweigen um den Abessinienkrieg zwar mittlerweile vielerorts durchbrochen wurde, anstatt eines kritischen Geschichtsverständnisses wich das kollektive Schweigen in den letzten Jahren aber vielmehr einer generellen Scham um die dunkle Vergangenheit der Groß- und Urgroßeltern.1459 Im Endeffekt herrscht in Italien über den Abessinienkrieg nach wie vor ein von rassistischen Vorurteilen umhülltes Schweigen. Ein endgültig entkolonialisiertes Vergangenheitsbild liegt entsprechend noch in weiter Ferne.1460 In Südtirol wurde dem Abessinienkrieg derweil ein prominenterer Platz im öffentlich hegemonialen Vergangenheitsdiskurs zugesprochen. Auch wenn sich die kulturnationalistische Kollektiverzählung bis heute erfolgreich in den erkalteten Zentren und Provinzen des dortigen Gedächtnisraums zu behaupten weiß, sind zahlreiche, regionalgeschichtliche Initiativen nach wie vor darum bemüht,1461 den Blick auf die Vergangenheit allerorts nachhaltig zu schärfen. Immerhin kommen aber viele der seit 2006 veröffentlichten Erzählungen über den Abessinienkrieg zusehends ohne geschichtspolitischen Deutungsrahmen aus: So beispielsweise in einer Arbeit des ehemaligen RAI Bozen-Produzenten Heinz Degles von 2009, der damit seine für diverse Fernseh- und Radiosendungen geführten Gespräche mit Südtiroler Zeitzeugen zusammengekürzt vorstellte.1462 Nebst zahlreichen Wortmeldungen zu anderen zeitgeschichtlichen Themen würdigte er dem Abessinienkrieg darin immerhin ein ganzes Kapitel. Dieses beinhaltete kurze Auszüge einer sieben Jahre davor ausgestrahlten 1457 Bisher ist noch kein Roman über Südtirol erschienen, der sich ausschließlich der Thematik des Abessinienkriegs zuwendete. Der Expansionskrieg wurde von der dortigen Belletristik auch im neuen Millennium nur selten verarbeitet bzw. kurz erwähnt. Wenige Ausnahmen dazu bilden: Gruber, Sabine: Stillbach, oder die Sehnsucht, München 2011, S. 239–242; Schwazer, Heinrich: Der Zingerle: Geschichte eines Frauenmörders Bozen 2014, S. 94–98 sowie S. 136–138; Gruber, Lilli: Das Erbe. Die Geschichte meiner Südtiroler Familie, München 2013, S. 316. 1458 Novelli, Erasure and Denial of the Past, S. 21 sowie S. 24. 1459 Labanca, Postkoloniales Italien, S. 204–207. 1460 Ebd., S. 210–211; Deplano, La madrepatria H una cosa straniera, S. 166. 1461 In den vorangegangenen Kapiteln wurden einige solcher öffentlicher Projekte wie beispielsweise das Dokumentationszentrum unterhalb des Siegesdenkmals von 2014 oder der Schriftzug auf dem Mussolini-Relief am Gerichtsgebäude von 2017 genannt. 1462 Degle, Erlebte Geschichte, S. 7–8.
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Fernsehdokumentation, deren Texte Degle grob in sechs Unterkapitel einteilte. Entsprechend wurden die von ihm geführten Veteranengespräche in die Abschnitte Zur Einberufung, Kriegseinsatz, Giftgaseinsatz, Versorgung und Transport, Frauen und Kontakt mit Einheimischen sowie der Heimkehr gegliedert. Obwohl dabei neben einigen bereits von Hanni befragten Kriegsteilnehmern gleichsam solche zur Sprache kamen, die von ihm 2004 nicht mehr erfasst werden konnten,1463 hält sich der daraus zu gewinnende Informationswert dennoch in Grenzen. Vieles was sich hiernach bereits aus den Zeitzeugenberichten von Hanni herauslesen lässt, findet sich ebenso im Zusammenschnitt Degles wieder. Dabei macht er sich aber leider nicht die Mühe, im Einzelnen auf die teilweise durchaus spannungsreichen Aussagen der vormaligen Südtiroler Soldaten einzugehen. In den oben genannten Unterkapiteln erscheinen deren Geschichten aus Abessinien daher nur als unkommentierte Zitate.1464 Abseits des historiographischen Diskurses und ohne weiteren Kommentar überlässt er es demnach allein dem Leser, den ausschnitthaften Interviewzeilen einen erinnerungskulturellen Aussagewert abzugewinnen.1465 Innovativere Ansätze verfolgt dafür ein Themenheft von Geschichte und Region / Storia e regione aus dem Jahr 2016 mit dem Titel ›Abessinien und Spanien: Kriege und Erinnerung, 1935–1939‹. Die darin enthaltenen Aufsätze betraten in dreierlei Hinsicht geschichtswissenschaftliches Neuland: Erstens wurden dadurch die regionalen Erinnerungsräume Südtirol, Nordtirol und Trient in direkten Vergleich zueinander gesetzt. Zweitens standen neben den Veteranen des Abessinienkriegs die bis dahin weitgehend unbekannten Lebensgeschichten von Spanienkämpfern im Vordergrund.1466 Drittens dienten den Aufsätzen über Südtirol in Ostafrika entstandene Fotoalben und Tagebücher als Quellen1463 Neben Interviews mit Hans Luggin und Hans Rössler, deren Geschichten aus dem Abessinienkrieg auch im Skript von Hanni festgehalten sind, veröffentlichte Degle zusätzlich Gespräche mit vier weiteren Zeitzeugen. Interessanterweise finden sich darunter auch einige Äußerungen von Alois Leiter, der dem Landesarchiv 2001 sein Fotoalbum aus Äthiopien vermacht hatte. Es scheint daher, dass es Leiter kurz vor seinem Ableben wohl ein Anliegen gewesen war, seine Erinnerungen aus dem faschistischen Aggressionskrieg dem kollektiven Gedächtnis der nachkommenden Generationen zu überlassen. Vgl. Degle, Erlebte Geschichte, S. 62–79. 1464 Degle, Erlebte Geschichte, S. 62–79. 1465 Ebd., S. 7. 1466 Dies leisteten vor allem die drei letzten Aufsätze des Bandes: Zendri, Davide: I trentini del Corpo Truppe Volontarie – dalla Spagna all’Italia, in: Abessinien und Spanien: Kriege und Erinnerung 1935–1939, Andrea Di Michele (Hg.) Geschichte und Region / Storia e regione, 25 (2016), Heft 1, S. 95–116; Ianes, Enzo/Vicentini, Lorenzo: »Non H stando a casa che si difende una causa«: percorsi biografici di antifascisti trentini in Spagna, in: ebd., S. 116– 143; Gatterer, Joachim/Stepanek, Friedrich: Internationalismus und Region: Über die schwierige Einordnung antifaschistischer Spanienkämpfer in regionale Erinnerungsdiskurse am Beispiel Tirol und Südtirol, in: ebd., S. 143–159.
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grundlage, womit sich nun auch zeitgenössische Eindrücke und Erlebnisse aus dem Abessinienkrieg einfangen ließen.1467 Schließlich hatten über solche Erfahrungen bisher allein die im kommunikativen Nachkriegsgedächtnis kursierenden Erinnerungsberichte informiert. Der einführende Artikel zum Band aus der Feder Andrea Di Micheles verknüpfte die verschiedenen Themenfelder dazu in einer aufschlussreichen Übersicht. Dabei ging er der Frage nach, wie das zweisprachige Südtirol auf die beiden aufeinanderfolgenden, faschistischen Aggressionen der Dreißigerjahre reagierte und welche Narrative sich in der anschließenden Nachkriegszeit darum formiert haben. Nicht nur wurde hiernach ansatzweise erkennbar, wo sich der Abessinienkrieg nach 1945 in Südtirol erinnerungskulturell in etwa verorten lässt; gleichwohl machte Di Michele als erster auf die ambivalenten Lebenswege der Südtiroler Spanienkämpfer aufmerksam. Deren gänzlich freiwilliger Fahnendienst an der Seite der von Mussolini unterstützen Franquisten entsprach 1936 genauso wenig dem Stereotyp antiitalienischer Deutschsüdtiroler, wie sich dieser später auch dem nicht weniger schablonenhaften Erinnerungsdiskurs der Region entzog.1468 Die anschließende Bildbetrachtung, die vom Autor des vorliegenden Buches durchgeführt wurde, setzte sich einen Vergleich zwischen der offiziellen Bildpropaganda des faschistischen Propagandainstituts Luce mit den Schnappschüssen dreier Südtiroler Soldaten zum Ziel. Im Wesentlichen ging daraus hervor, dass die vom Regime propagierte Sichtweise auf den Abessinienkrieg durchaus Eingang in die Laienfotografie fand: Insbesondere in denjenigen Aufnahmen, die das Horn von Afrika als einen grenzenlosen und frei verfügbaren Raum darstellen, deren Natur und Menschen den Invasoren reichhaltigen Gewinn versprachen. Aus den Fotografien spricht aber auch eine deutliche Distanznahme gegenüber der schieren Brutalität der faschistischen Kriegsmaschinerie: Die Knipser zeigen sich gegenüber diesem skrupellosen Vorgehen als grundsätzlich abseitsstehend. Die dem Angriffskrieg zugrunde liegenden Motive werden deswegen allerdings nicht gleichermaßen in Frage gestellt.1469 Die Arbeit an solchen Bildnachlässen wurde kurz darauf von Wurzer aufgenommen und bis heute in diversen Artikeln weitergeführt. Das neueste Heft von Geschichte und Region / Storia e regione über Community of Images, welches verschiedene Ausdrucksformen von Gruppenzugehörigkeiten vor einem global1467 De Pretto, Sebastian: Der Abessinienkrieg aus der Sicht dreier Südtiroler Soldaten gegenüber der Bildpropaganda des Istituto Nazionale Luce, in: Abessinien und Spanien: Kriege und Erinnerung 1935–1939, Andrea Di Michele (Hg.), Geschichte und Region / Storia e regione, 25 (2016), Heft 1, S. 41–68; Wurzer, Markus: »Reisebuch nach Afrika«. Koloniale Erzählungen zu Gewalt, Fremdheit und Selbst von Südtiroler Soldaten im Abessinienkrieg, in: ebd., S. 68–95. 1468 Di Michele, Guerre fasciste e memorie divise in Alto Adige/Südtirol, S. 39–40. 1469 De Pretto, Der Abessinienkrieg aus der Sicht dreier Südtiroler Soldaten, S. 64–66.
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historischen Hintergrund untersucht, verfügt deshalb über einen aufschlussreichen Beitrag Wurzers, worin er sich ebenfalls Südtiroler Bildaufnahmen aus dem Abessinienkrieg zuwendet.1470 Unter anderem dienen ihm dazu zwei Fotoalben Oskar Eisenkeils, die zusammen mit seinem Tagebuch von seinen Söhnen aufbewahrt worden sind. Wurzer bestätigt hiernach die weiter oben gewonnene Erkenntnis, dass sich die Südtiroler Soldaten während ihres Kriegseinsatzes sowie nach ihrer Heimkehr unterschiedlichen Identitätsangeboten ausgesetzt sahen und diese je nach Gegebenheit wechselhaft annahmen.1471 Weitere Beobachtungen zu Südtirolern, die ihren Kriegseinsatz in Ostafrika mit ihrer Kamera dokumentierten und später teilweise ihrem Familiengedächtnis überließen, verspricht die von Wurzer angekündigte Dissertation demnächst nachzuliefern.1472 Bedeutende Erkenntnisse liefert Wurzer zudem in seiner Diplomarbeit über das von ihm transkribierte Kriegstagebuch des Wipptalers Andrä Ralser,1473 der im Sommer 1935 als Bersagliere nach Äthiopien eingezogen worden war.1474 In diesem aus den Dreißigerjahren überlieferten Erlebnisbericht finden sich wiederum zahlreiche Parallelen zu den in den späteren Nachkriegsjahrzehnten geäußerten Erinnerungen anderer Veteranen. So kommt Wurzer auch zum Schluss, dass Ralser den Krieg aufgrund seiner sozialen und regionalen Herkunft zwar als einen abrupten Einschnitt in seinen gewohnten Lebensalltag erfuhr, den faschistischen Feldzug an sich aber nicht explizit ablehnte. Vielmehr nahm er den Einsatz am Horn von Afrika als eine Pflicht wahr, die er als Staatsbürger zu erfüllen und als Mann durchzustehen hatte. Nicht zuletzt stellte die Reise in einen fernen, unbekannten Erdteil für den Tagebuchautor ein aufregendes Abenteuer in einem ihm »unterlegenen« Kulturraum dar. Schlussendlich überlagerten sich bei Ralser wiederum verschiedene kulturelle Gruppenzugehörigkeiten:1475 Ein narratives Merkmal, dass sich aus vielerlei zeitgenössischer sowie nachträglicher Erzählungen ebenso herauslesen lässt. Trotz der variierenden 1470 Wurzer, Gruppenzugehörigkeiten als fotografisches Ereignis, S. 50–75. 1471 Ebd., S. 72–74. 1472 Weitere Forschungsresultate Wurzers zur die Südtiroler Kriegsfotographie im Abessinienkrieg erschienen zudem in: Wurzer, Markus: (Re-)Produktion von Differenzen im kolonialen Gewaltregime. Private Fotopraxis aus dem Italienisch-Abessinischen Krieg 1935–1941, in: zeitgeschichte 45 (2018) 2, S. 177–200; Ders.: Photographs by Italy’s German-Speaking Soldiers from the Italo-Abyssinian War, 1935–36, in: Santanu Das/Larissa Schmid/Daniel Steinbach (Hg.), Colonialism and Photography, London 2019, in Vorbereitung. 1473 Ausgehend von seiner ersten Monographie erschienen seitdem zwei weitere Aufsätze über Südtiroler Kriegstagebücher aus dem Abessinienkrieg. Vgl. Wurzer, »Reisebuch nach Afrika«, S. 68–94; Ders.: Betwixt and Between. The hybrid identity of a South Tyrolean Bersagliere in the 1935–1936 Italo-Abyssinian War, in: Tabula 14 (2016), S. 143–162. 1474 Wurzer, »Nachts hörten wir Hyänen und Schakale heulen.«, Innsbruck 2016. 1475 Ebd., S. 111–115.
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äußeren und zeitlichen Einflüsse jeweiliger Erzählgegebenheiten scheinen gewisse Eindrücke aus dem Krieg demnach bei vielen Südtirolern allgemein überdauert zu haben. Inwiefern sich solche Beobachtungen ebenfalls bei den Veteranen anderer Landesregionen feststellen lassen und es sich vielleicht nicht unbedingt um eine Südtirol-spezifische Erzählweise vom Abessinienkrieg handelt, wäre durch weiterführende, überregionale Studien zu belegen.1476 Auf eine buchstäbliche Erinnerungsreise ins ehemalige Kriegsgebiet Äthiopiens begab sich der Hochschullehrer und Journalist Helmut Luther.1477 Seine postkoloniale Erinnerungsfahrt zeichnete er in einem Reistagebuch von 2017 auf.1478 Darin schildert er seine Fahrt entlang der sich durch das ehemalige ›Impero‹ ziehenden ›Siegesstraße‹, welche die beiden Hauptstädte Asmara und Addis Abeba noch heute miteinander verbindet. Seine Inspiration dazu gewann Luther aus dem Kriegstagebuch Andrä Ralsers, welches er zusammen mit einem italienischen Reiseführer von 1938 stets in seinem Gepäck mit sich trug. Demnach leitete ihn die Frage, ob er sich während seiner »historischen Reisereportage«1479 in das Erlebnis des Kriegs und der Fremde eines Südtiroler Soldaten nachträglich hineinversetzen könnte.1480 Entlang der ›Siegesstraße‹ suchte er demnach unzählige Zeitzeugnisse der italienischen Kolonialherrschaft auf: Darunter futuristische Architektur und Stadtviertel, zerfallene Fabriken und Denkmäler sowie »Spuren nie geahnter Kriegsverbrechen«, die er passend als die hinterlassenen »Ruinen eines Kolonialtraums« bezeichnet.1481 Luther kam dabei den Eindrücken Ralsers seiner eigenen Einschätzung nach erstaunlich nahe, wenn er von sich selbst schreibt: »Mit R’s Tagebuch in der Hand streifte ich über die Schlachtfelder. Je weiter ich auf der Siegesstraße vorankam, desto vertrauter wurde mir Bersagliere R. Ich verglich seine 1476 Zu einigen Regionen wie Sardinien oder der Reggio Emilia liegen mittlerweile bereits erste Studien vor. Vgl. Bolognari, Lo scrigno africano; Conti, Amos/Moratti, Alfino: Adua, Adua! Il sogno di un impero. Soldati e lavoratori reggiani nelle campagne coloniali del Corno d’Africa (1882–1939), Reggio Emilia 2015; Deplano, Valeria (Hg.): Sardegna d’oltremare. L’emigrazione coloniale tra esperienza e memoria, Rom 2017. 1477 Luther, Helmut: Mussolinis Kolonialtraum. Eine Reise zu den Schauplätzen des Abessinienkrieges, Bozen 2017. 1478 Für die wissenschaftliche Definition von postkolonialen Reisebüchern vgl. Clarke, Robert: History, Memory, and Trauma in Postcolonial Travel Writing, in: The Cambridge Companion to Postcolonial Travel Writing, Robert Clark (Hg.), Cambridge 2018, S. 49–65, hier S. 50. 1479 Luther, Mussolinis Kolonialtraum, S. 7. 1480 Luthers postkoloniale Erinnerungsreise wird in der neueren Forschung auch als Footsteps travel writing bezeichnet. Vgl. Keirstead, Christopher M.: Contemporary Postcolonial Journeys on the Trails of Colonial Travellers, in: The Cambridge Companion to Postcolonial Travel Writing, Robert Clarke (Hg.), Cambridge 2018, S. 139–157, hier S. 139–140 sowie S. 151. 1481 Luther, Mussolinis Kolonialtraum, S. 6–7.
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Beobachtungen mit meinen eigenen, hörte das Zittern in seiner Stimme, wenn er über Hitze und Dürre im Land klagte. Ich sah die gleichen Bilder : […]. Ich lernte, das Land und die Menschen mit R.s Augen zu betrachten.«1482
Nach mehreren Zwischenhalten in den größeren Städten Eritreas und Äthiopiens sowie dem Besuch einiger geschichtsträchtiger Schlachtorte wie Amba Alagi oder Mei Ceu am Mecan Pass,1483 zeigt sich Luther nach seiner Heimkehr von den Schrecken des Abessinienkriegs äußerst betroffen. Mithin müsse auch Ralser vom Krieg tief traumatisiert zurückgekehrt sein: So lasse sich dessen Wallfahrt zur Pilgerstätte Maria Weißenstein erklären, die er nach seiner Rückkehr in Südtirol unternommen habe. Als Kriegsheld habe er sich damals aber sicherlich nicht gefühlt.1484 Derlei persönlichen Soldatenportraits steht die gebürtige Südtirolerin Roberta Pergher in ihrer erweiterten Dissertationsschrift ›Mussolini’s NationEmpire‹ zwar fern,1485 dafür geht die in den USA lehrende Historikerin darin der dringend anstehenden Frage nach, welche Absichten das faschistische Regime genau mit seinem ›Impero‹ im Schilde führte. Somit gelingt es ihr, die von Rom aus in der Zwischenkriegszeit betriebene Entnationalisierungspolitik der nördlichen Grenzregionen mit dem zeitgleichen Expansionsprojekt in Libyen zu vergleichen. Gemeinsam war diesen imperialen Bestrebungen demnach nicht die Absicht, bloß neue Handelskolonien dazuzugewinnen, um diese danach zwar auszubeuten und gefügig zu machen, ohne dabei aber den Anspruch auf eine radikale Akkulturation zu erheben. Im Sinne eines imperialen Nationalismus sollten die neuen Territorien vielmehr als gleichgeschaltete Provinzen in die italienische Nation inkorporiert werden.1486 Durch Zwangsumsiedlungen von Arbeitern aus Altitalien war die ursprüngliche Kultur jener Siedlungsgebiete folglich zu verdrängen, um anschließend der faschistischen »Zivilisation« den Platz zu räumen. Durch die Arbeit der Siedler sollte die Italianit/ obendrein nicht nur kulturpolitisch oktroyiert, sondern zu einer tief mit dem Boden verwurzelten, sozialwirtschaftlichen Realität werden, die über deren nachkommende Generationen hinweg sichergestellt worden wäre. Pergher schreibt dazu: 1482 1483 1484 1485
Luther, Mussolinis Kolonialtraum, S. 7. Ebd., S. 174–186. Ebd., S. 228. Pergher, Roberta: Mussolini’s Nation-Empire. Sovereignty and Settlement in Italy’s Borderlands, 1922–1943, Cambridge 2018. 1486 Hiernach steht reiht sich der faschistische Imperialismus zwar durchaus in die Tradition des klassischen Kolonialismus ein. In seinem Versuch aus den unterworfenen Kolonien mit allen erdenklichen Mitteln gleichgeschaltete Provinzen eines imperialen Nationalstaats zu machen, stellt der Expansionsdrang des Mussolini-Regimes aber dennoch einen traurigen Höhepunkt kulturchauvinistischen Größenwahns dar. Vgl. Osterhammel, Jürgen/Jansen Jan C.: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, 7. Aufl., München 1995, S. 20.
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»In this aspect, the bonds of national fraternity were expected to be closer than ever before, creating a supernation that reached from the Alps to Africa.[…].«1487 Diesbezüglich sei in den annektierten Überseeterritorien mehr von einem nation- anstatt von einem empire-building zu sprechen. Gleichzeitig wäre in den nördlichen Grenzprovinzen eine imperiale Bevölkerungspolitik zum Tragen gekommen, welche sich für ebenjenes spätere nation-building in Nord- und Ostafrika maßgebend zeigte.1488 Das nach 1936 in Äthiopien versuchte siedlungspolitische Gesellschaftsprojekt orientierte sich konsequenterweise ebenso an den Plänen dieses radikal expansiven Nationalismus.1489 Die dortigen Siedlungspläne Roms sind daher in direkter Linie mit denjenigen Japans in der Mandschurei oder auch mit der ›Lebensraum‹-Politik des ›Dritten Reichs‹ in Osteuropa zu nennen. Es wäre hingegen falsch, den faschistischen Imperialismus dem klassischen Siedlungskolonialismus, um welchen sich beispielsweise Frankreich, Großbritannien oder Holland in anderen Weltregionen bemüht haben, zuordnen zu wollen: »With its demographic justification, intrusive state control, and national rather than imperial objective, Fascist Italy’s settlement policy is in fact more reminiscent of Japanese expansionism in Manchuria and Nazi settlement policies in the East than of the classic settler colonialism of the French, British, or Dutch. […] in spite of the different degrees to which assimilation was pursued along with settlement and annihilation, all three powers [Italien, Japan und Deutschland, SDP] employed massive schemes of population management as a way of permanently laying claim to new ›living space‹.«1490
Pergher nähert sich somit über einen wissenschaftlichen Weg dem tatsächlichen Schicksal an, welches die Bevölkerung Südtirols mit derjenigen Äthiopiens zeitweise teilte.1491 Innerhalb des historiographischen Diskurses erhebt sich dadurch erneut eine aussagekräftige Stimme gegen althergebrachte Pauschalaussagen über die Geschichte Südtirols und des Abessinienkriegs.
1487 Pergher, Mussolini’s Nation-Empire, S. 248. 1488 Ebd., S. 244–250. 1489 Erste Überlegungen stellte Pergher dazu bereits 2009 in einem Sammelband von Aram Mattioli und Gerald Steinacher an. Vgl. Zwischen Monumentalbauten und Kleinsiedlungen. Faschistische Siedlungspolitik in Libyen und Südtirol, in: Für den Faschismus bauen. Architektur und Städtebau im Italien Mussolinis, Aram Mattioli/Gerald Steinacher (Hg.), Zürich 2009, S. 287–309. 1490 Pergher, Mussolini’s Nation-Empire, S. 251 sowie S. 252. 1491 Solch einen vergleichenden Blick auf die nördlichste- sowie südlichste Grenze des faschistisch-imperialen Territorialanspruchs warf jüngst auch Mia Fuller in einem kürzeren Aufsatz von 2018. Vgl. Fuller, Mia: Laying Claim. On Italy’s Internal and External Colonies, in: A Moving Border : Alpine Cartographies of Climate Change, Marco Ferrari/Andrea Bagnato/Elisa Pasqual (Hg.), Irvington 2018, S. 99–111.
Fazit
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Fazit Ob in Italien, ob in Südtirol: Über die tatsächliche Brutalität des Abessinienkriegs und den damit zusammenhängenden Mittäterschaften wurde in der Nachkriegszeit zunächst allerorts geschwiegen. Während sich hierfür auf Landesebene die ehemalige Koloniallobby zusammen mit den jeweiligen Regierungskoalitionen um die Kontinuität der faschistischen Propagandaerzählung bemühten, war das Schweigen der Veteranen in Südtirol hingegen anders motiviert: Hier traten nach 1945 zunehmend deutsch-nationalistische Gruppierungen wie der SKFV auf und verbreiteten in den zahlreichen Gemeinden Südtirols mittels folkloristischer Aufmärsche und Kriegerdenkmäler ihre Kollektiverzählung der zurückliegenden Kriegsjahre. Solch selbsternannten Heimatvereinen standen zwar genauso radikale italienisch-nationalistische Zivilorganisationen gegenüber, die ihren Einfluss besonders auf die größeren Städte der Region auszuüben versuchten, doch bot die deutschsprachige Südtiroler Medienlandschaft den ehemaligen Wehrmachtsangehörigen ein dankbares Umfeld, innerhalb dessen ihre äußerst einseitige Kriegsnostalgie auf fruchtbaren Boden stieß. Entsprechend passt auch die von der Dolomiten 1966 verbreitete Narration des Abessinienkriegs in jene polarisierte Vergangenheitswahrnehmung. Die Gewaltverbrechen Italiens in Ostafrika galt es demnach den Gräueltaten Deutschlands entgegenzuhalten. Einer differenzierten Wahrnehmung, durch welche die in Abessinien im Einsatz gestandenen Südtiroler ebenso eine Stimme erhalten hätten, stand in diesem geschichtspolitischen Spannungsverhäverhältnis freilich nirgends ein mögliches Artikulationsfeld offen. Trotz dieser hegemonialen Erzählkultur der Brennerregion suchten viele der Veteranen aber dennoch einen Weg, um ihre Erlebnisse aus dem Abessinienkrieg zumindest mit ihren Kindern und Enkeln zu teilen. Hierfür wurden nicht nur alte Fotoalben und Tagebücher aufbewahrt: Das Beispiel der Memoiren Eisenkeils von 1973 zeigt, dass gerade zu Zeiten, als die faschistische Aggression am Horn von Afrika öffentlich vermehrt wieder zum Thema wurde und nationalistische Identitätsangebote gleichzeitig ins Wanken gerieten, eine klare Stellungnahme zur eigenen Teilnahme am Abessinienkrieg ein dringendes Bedürfnis darstellte. So sehr sich die Erinnernden im Stillen aber darum bemühten, sich selbst als waschechte ›Südtiroler‹ in Äthiopien zu beschreiben, so sehr fallen auch deren autobiographischen Widersprüche auf. In den Kriegsberichten werden unterschiedliche narrative Identitäten geäußert, die je nach Situation mehr oder weniger deutlich in den Vordergrund treten. Gleiches lässt sich in dem von Hanni durchgeführten Oral History-Projekt von 2004 feststellen: Auch diesmal wussten die Befragten weitaus mehr über ihre an der abessinischen Front verbrachten Monate und Jahre zu erzählen, als eine vereinheitlichende Kollektiverzählung es je nahezulegen vermochte. Der Un-
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terschied lag nun aber darin, dass solche Gegenstimmen des kommunikativen Gedächtnisses zum einen erstmals öffentlich vernehmbar waren, während dies zur Entstehungszeit von Eisenkeils Memoiren trotz einzelner Publikationsversuche kaum möglich gewesen war. Zum anderen suchte Hanni seine Interviewpartner explizit in entlegenen Bergdörfern auf. Von sich aus hatten sie oftmals bis ins hohe Alter geschwiegen und scheinen bezüglich ihres Fahnendienstes für Mussolini deshalb auch weniger um eine selbstgerechte Narration bemüht. Das nicht selten zwiespältige Verhältnis zum imperialen Expansionswahn des Faschismus findet in den Gesprächstexten Hannis somit einen prominenteren Niederschlag. Nicht per Zufall fand Hannis Projekt Eingang in den 2006 von Steinacher und dem Landesarchiv herausgebrachten Sammelband zur Verflechtungsgeschichte Südtirols mit dem Abessinienkrieg. Der vielstimmige Kriegsbericht wurde dadurch in den sich neu eröffnenden historiographischen Diskurs eingebettet, welcher sich der bisherigen Kollektiverzählung weitgehend entzog. Dank der Beiträge verschiedener Historiker aus Südtirol, Italien sowie dem internationalen Umfeld erfuhr die Thematik erstmals jene wissenschaftliche Grundlage, die ihr angesichts ihrer Komplexität zweifellos zusteht. Gerade diejenigen Aufsätze, welche die Wirkung des Abessinienkriegs auf Südtirol untersuchten, eröffneten somit neue Zugänge zu diesem lange verschwiegenen Kapitel der jüngeren Regionalgeschichte. Solch innovativen Ansätzen folgten seitdem zahlreiche wissenschaftliche sowie populärwissenschaftliche Erzählformen des Abessinienkriegs in Südtirol. Weitere vielversprechende Arbeiten sind zudem bereits angekündigt. Bestenfalls steuern solche zu einem narrativen Perspektivenreichtum auf die Geschichte dieses Vernichtungskriegs bei, wodurch ein Gegengewicht zum letztendlich eintönigen Vergangenheitsbild kulturnationalistischer Kollektiverzählungen gesetzt würde.
VI.
Konklusion
Unter dem Titel »Zeugen einer tristen Vergangenheit« klagt Hedy Gutweniger aus Meran im Südtiroler Kamerad von 1997 über das historische Unrecht, das den Südtirolern seitens des faschistischen Italiens widerfahren sei. Aufgrund der angeblichen Ignoranz »linker« Junghistoriker würde sich nur noch die Generation »jener Zeiten« an das ihnen zugefügte Leid erinnern: »Was die Südtiroler unter der zwanzigjährigen Faschistenherrschaft in Italien erlebt haben und erdulden mussten, ist der noch lebenden Generation jener Zeit gewiss noch in lebhafter Erinnerung geblieben. Nur die meisten unserer wie Pilze aus dem Erdboden schießenden Junghistoriker – die Mehrzahl aus dem linken Lager – scheinen da eine Mattscheibe vor den Augen zu haben, obgleich auch sie wissen müssten, dass kein Kolonialvolk so niederträchtig behandelt wurde, wie die Südtiroler während der schwarzen Ära.«1492
Dem vermeintlichen Übereifer der Regionalgeschichte wirft Gutweniger vor, dass diese anstatt aufklärerisch historische Fakten aufzudecken, in Wahrheit die Geschichte verneble, womit der Sonderfall ›Südtirol‹ schlussendlich relativiert werde. Gerade hinsichtlich der Kolonialgeschichte dürfe die faschistische Herrschaft über die Brennerregion nicht vergessen werden, da niemand so sehr gelitten habe wie deren Bevölkerung. Der Abessinienkrieg macht allerdings deutlich, dass der Vorwurf des Südtiroler Kamerads genauso unhaltbar wie anmaßend ist.1493 Bemerkenswert erscheint dahingegen die Befürchtung eines Gedächtnisverlusts, die in diesen Zeilen ebenfalls zum Ausdruck kommt. Das Wissen um die Geschichte, welche der damals jungen Historikergeneration gemäß Gutweniger abhanden gekommen sei, wäre demnach allein noch den Zeitzeugen zuzutrauen, welche jene »schwarze Ära« tatsächlich miterlebt haben. 1492 Gutweniger, Hedy : »Zeugen einer tristen Vergangenheit«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 2, 1997, S. 4–5, hier S. 4. 1493 Was mit einem Blick auf die anderen vom Mussolini-Regime besetzten Gebiete wie beispielsweise Libyen oder dem Balkan, wo ebenfalls schwerste Kriegs- und Besatzungsverbrechen begangen wurden, genauso deutlich hervortritt.
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Gutwenigers Aussage ist folglich als ein Beleg des in den Neunzigerjahren stattgefundenen Generationenwechsels in der Südtiroler Geschichtsschreibung zu verstehen, durch welchen sich die kritische Regionalgeschichte gegenüber der kulturnationalistischen Landesgeschichte zu behaupten begann. Somit war der Autorin weniger an historischen Wahrheiten gelegen, als mehr an der Deutungshoheit über die Vergangenheit, welche durch die unbequemen Fragen der Geschichtswissenschaft angefochten wurde. Die Forschungsergebnisse der Regionalgeschichte zeigen, dass genau jene Auseinandersetzung mit den tabuisierten Problemfeldern der Geschichte differenzierende Schlaglichter auf ebendiese Vergangenheit zu werfen vermochte. Die Einheitserzählungen der deutsch- und italienisch-nationalistischen Geschichtspolitik konnte dadurch aufgebrochen werden, indem kritische Fragen an neu erschlossene Quellen gestellt wurden sowie die Zeitzeugen des Ventennio neros zu Wort kamen. Anstatt die Geschichte zu vergessen, brach die Regionalhistorie deshalb vielmehr mit dem vergangenheitspolitischen Schweigen und verlieh den bis dahin ungehörten Gegengedächtnissen erstmals eine öffentliche Stimme. Die vorliegende Arbeit leistet hierzu insofern einen Beitrag, als dass sie den Stellenwert des Abessinienkriegs innerhalb des umkämpften Gedächtnisraums Südtirol anhand von vier Erinnerungsorten untersucht. Der Entwicklungsprozess von den verschlossenen hinzu den allmählich erweiterten Kollektivgedächtnissen beider Sprachgruppen wurde somit stellenweise nachgezeichnet. Wo über den Abessinienkrieg in welcher Art und Weise öffentlich gesprochen und geschwiegen wurde, galt es hierfür entsprechend aufzuzeigen. Das Alpinidenkmal in Bruneck, die Straßennamen in Bozen, die Heimatbücher sowie alternative Erzählweisen, die sich innerhalb der sie umgebenden Erzählkultur ebenfalls zum Abessinienkrieg geäußert haben, bieten eine exemplarische Übersicht über die Knotenpunkte der kollektiven Erinnerung an den Abessinienkrieg am Fuße des Brenners. Die untersuchten Fallbeispiele zeigen erstens, dass der Gedächtnisraum Südtirol in der Nachkriegszeit von kulturnationalistischen Vergangenheitserzählungen eingenommen wurde, bei denen mancherlei narrative Kontinuitäten aus den Jahren faschistischer- und nationalsozialistischer Herrschaft weiterwirkten. Die Geschichtspolitik der Zeit nach 1945 war somit mehr von konfliktträchtigen Kontinuitäten als von friedensstiftenden Neuanfängen geleitet. Zugunsten eines innerhalb der einzelnen Sprachgruppen forcierten Zusammengehörigkeitsgefühls wurden folglich vielerlei ideologische Altlasten aus faschistischer und nationalsozialistischer Zeit übernommen und den neuen, soziopolitischen Bedürfnissen nach umformuliert. Am Alpinidenkmal in Bruneck zeigte sich der Umstand dadurch, dass Rom ein faschistisches Ehrenmal unmittelbar wiedererrichtete, um weiterhin am nationalistischen Herrschaftsanspruch über seine nördlichste Landesprovinz festzuhalten. Das Grenzzonenamt,
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die von ihm unterstützte Veteranenorganisation ANA sowie staatlich getragene Regionalmedien verteidigten hierfür das vom Alpinidenkmal ausgehende Nationalbewusstsein. So erstaunt es nicht, dass der Kapuzinerplatz in Bruneck zum symbolpolitischen Austragungsort der ›Südtirolfrage‹ mutierte. Sowohl die Anschläge deutsch-nationalistischer Gruppierungen als auch die späteren Kampagnen des Südtiroler Schützenbundes erhofften sich dabei für ihren andauernden Selbstbestimmungskampf ein wirkungsvolles Zeichen zu setzen. Bei den Straßennamenrevisionen in Bozen zeigte sich die Übernahme faschistischen Gedankenguts im Dienste nationalistischen Dominanzgebarens derweil genauso so markant. Die imperial-konnotierten Hodonyme wurden hierzu in den unmittelbaren Nachkriegsjahren zwar vorläufig entfernt. Nur wenige Jahre später erschienen sie allerdings erneut auf der Straßenkarte – wiederum um die angeblich rechtmäßige ›Italianit/‹ der ›fremdstämmigen‹ Grenzprovinz symbolisch zu ›verteidigen‹. Der Blick auf ebenjene Bergtäler zeigt entsprechend, dass abseits der größeren Städte ein Geschichtsbild kursierte, dessen Narrative sich stark an völkisch geprägtem Gedankengut anlehnten, um den regionalen ›Volkstumskampf‹ rhetorisch zu unterfüttern. Einen weitreichenden Niederschlag fand die darum bemühte Landesgeschichte in den Heimatbüchern, mit welchen sie die weit über die Alpenprovinz verstreuten Gemeinden zu erreichen hoffte. Bis heute noch ist in den dortigen Publikationen von einem heimatverbundenen und wehrhaften Südtiroler ›Bergbauernvolk‹ zu lesen, das unter dem Faschismus zu leiden hatte sowie ihren Peinigern stets geschlossen die Stirn bot. Die von den Erinnerungsorten ausgehenden Lesarten der Geschichte trugen schließlich zu einer regionalen Erzählkultur bei, die auch in privaten Nachkriegsgedächtnissen wirkmächtige Spuren hinterließ. Obwohl aus den Zeitzeugenberichten bei genauerem Hinsehen multiple Identitäten sprechen, so wurden die erinnerten Erlebnisse von den jeweiligen Erzählinstanzen doch immer nach einer kollektiven ›Südtiroler‹-Identität hin ausgerichtet und entsprechend ausformuliert. Innerhalb der konfliktgeladenen Debatten kamen zweitens lange Zeit nur diejenigen Geschichtskapitel zur Sprache, welche den diskursiven Strategien italienisch- oder deutsch-nationalistischer Meinungsmacher gerade dienlich waren. Folglich bekam der Abessinienkrieg im kollektiven Nachkriegsgedächtnis beider Sprachgruppen lange Zeit keinen Platz zugesprochen. Selbst an den untersuchten Erinnerungsorten trat der Abessinienkrieg relativ spät in den Vordergrund und wurde dabei jeweils stark mythologisiert. Grundsätzlich waren den kulturnationalistischen Streitparteien andere Einsichten in die zurückliegenden Jahre zuträglicher : Einerseits hatten die Staatsvertreter der Ersten Republik keinerlei Interesse daran, die tatsächliche Brutalität der faschistischen Expansionspolitik offenzulegen – besonders nicht in einer Grenzregion, deren separatistische Parteien und Organisationen sich selbst als Opfer italie-
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nischer Eroberungswut verstehen. Andererseits entsprach es genauso wenig dem Geschichtsverständnis deutsch-nationalistischer Exponenten, dass sich ihre Väter nicht grundsätzlich gegen den Kriegsdienst in Ostafrika gestellt hatten, sondern dem Marschbefehl aus verschiedenen Motiven gefolgt waren. Das Resultat davon war ein kollektives Schweigen um die tatsächlichen Schrecken des Abessinienkriegs in Italien im Allgemeinen und in Südtirol im Speziellen. Dafür wurden andere Kapitel der Geschichte umso beflissener bemüht: In Italien beispielsweise die Resistenza als gemeinschaftsstiftender Widerstandskampf gegen den Faschismus. In Südtirol der Opfermythos, durch welchen das Leid des Ventennio nero tendenziell überbetont und die eigene Täterschaft dagegen verschwiegen wurde, um daraus letztendlich nur weitere Autonomie- bzw. Selbstbestimmungsansprüche geltend zu machen. Dass die beiden Jahre der ›Operationszone Alpenvorland‹ ignoriert wurden, passt hierzu gleichermaßen ins Bild, wie dass die in Abessinien begangenen Gewaltverbrechen entweder geleugnet oder ausschließlich den ›bösen Italienern‹ angelastet wurden. Somit wurde die kollektive Erinnerung an den Abessinienkrieg drittens von Beginn an instrumentalisiert, woraus nach 1945 an den untersuchten Erinnerungsorten miteinander konfligierende Erzählweisen hervorgingen. Ob vor dem Alpinidenkmal oder während den Straßennamenrevisionen, beide Male übernahmen italienisch-nationalistische Stimmungsmacher das staatlich forcierte Narrativ eines noblen Zivilisationswerks, das die ›braven Italiener‹ in den von ihnen besetzten Gebieten vollbracht hätten. Entsprechend galt es dieses an den dazu errichteten bzw. benannten Denkmälern in Ehre zu halten. Gerade in Südtirol, wo viele solcher architektonischen sowie hodonomastischen Relikte die Ankunft der italienischen ›Kultur‹ priesen, ließ sich daraus ein fruchtbares Identitätsangebot für die italienische Sprachminderheit gewinnen. Dagegen interessierte sich die deutsch-nationalistisch orientierte Landesgeschichte erst für den Abessinienkrieg, als dessen fürchterliche Brutalität Ende der Sechzigerjahre publik wurde. Bis dahin schien der imperiale Angriffskrieg nicht weiter erwähnenswert, wären dadurch doch nur unangenehme Fragen nach denjenigen Südtirolern aufgekommen, welche ebenfalls daran teilgenommen hatten. Erst als innerhalb der Geschichtswissenschaft Vorwürfe laut wurden, dass die Verbrechen des Faschismus auf Kosten einer falschen Kolonialnostalgie unter den Teppich gekehrt wurden, wendeten sich Journalisten deutscher Tagblätter und Heimatbuchautoren dem Thema allmählich zu. Zuerst die Dolomiten in ihrer sechsteiligen Reportage von 1966, bei der die ›braven Südtiroler‹ den ›bösen Italienern‹ gegenübergestellt wurden. Anschließend in den Heimatbüchern nach 1995, wobei dem Abessinienkrieg in der Einheitserzählung der Zwischenkriegsjahre ein wechselhafter Stellenwert zugesprochen wurde: Unter dem Strich diente er darin jedoch nur als ein weiterer Platzhalter für den angeblichen Widerstand aller Südtiroler gegen die faschistische Eroberungsmacht. Deutsch-
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nationalistische Parteien und Zivilorganisationen wie der SKFV oder der SSB nahmen derartige Erzählweisen anschließend auf und führten sie andernorts entsprechend dankbar ins Feld. So ist es viertens dem Engagement aufgeschlossener Journalisten und Regionalhistoriker anzurechnen, dass heute auch komplexere Zugänge zur Verflechtungsgeschichte des Abessinienkriegs mit Südtirol diskutiert werden. Ausgehend von einer seit Mitte der Achtzigerjahren dort zunehmend institutionalisierten, kritischen Geschichtswissenschaft, liegen derartige Studien seit nunmehr zwölf Jahren vor und werden stetig durch neue Forschungsbeiträge ergänzt. Als Wegbereiter einer kritischen Regionalgeschichte engagierten sich Autoren wie Claus Gatterer oder Leopold Steurer. Deren Pionierarbeiten wurden danach von der Universität Innsbruck sowie von regionalhistorischen Forschungsplattformen wie dem Südtiroler Landesarchiv oder der Zeitschrift Geschichte und Region / Storia e regione aufgenommen und weitergeführt. Aber auch außerhalb der Akademie bemühten sich Kulturschaffende um ein gemeinsames Zusammenleben abseits kulturnationalistischer Ressentiments. In Bruneck beispielsweise verkörpert durch den Schriftsteller Norbert Kaser, der dem Zeitgeist der 68er-Generation folgend jegliche Form von Nationalismus ablehnte und sich für eine friedvolle, pluralistische Gesellschaft einsetzte. Trotz alldem wurde dem historischen Konnex zwischen dem Abessinienkrieg und Südtirol aber erst im neuen Jahrtausend allmählich auf den Grund gegangen. Arbeiten wie Martin Hannis Oral History-Gespräche, Gerald Steinachers Sammelband, der postkoloniale Reisebericht Helmut Luthers oder die ersten vorliegenden Studien von außerhalb Südtirols lieferten hierzu bereits aufschlussreiche Beiträge. Dank solch differenzierter Einsichten zeichnet sich langsam ab, wie der Abessinienkrieg in Südtirol wahrgenommen wurde sowie in der Nachkriegszeit von Individuen und Gruppen zeitweise in Erinnerung gerufen wurde. Am Ende schließt auch die vorliegende Arbeit an solch erinnerungskulturellen Initiativen an und erhofft sich dadurch ein kritisches und von allerlei Scheuklappen befreites Geschichtsbewusstsein in bzw. für Südtirol. Das Forschen am Abessinienkrieg in Südtirol hat allerdings gerade erst begonnen, weshalb auch die Resultate dieser Studie durch zusätzliche Fragen zu ergänzen sind. Ein dringendes Forschungsdesiderat besteht beispielsweise in der Suche nach weiteren geschichtspolitischen Problemfeldern Südtirols: Über welche Kapitel der Vergangenheit dieser Grenzregion wird demnach weiterhin öffentlich geschwiegen und was für Themen sind demgegenüber im kollektiven Geschichtsdiskurs übervertreten? Nicht nur würden somit weitere Erinnerungsorte in Südtirol erkennbar und die umstrittene Geschichte dieser Grenzregion enttabuisiert, ebenso würde die dortige Geschichtspolitik mit deren Mechanismen, Akteuren und Machtverhältnissen greifbarer. Weitere Themenfelder, die diesbezüglich aufzuarbeiten sind, können für das 20. Jahrhundert
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beispielsweise in der Beteiligung von Südtirolern an anderen faschistischen Kriegszügen wie in Spanien oder dem Balkan, in der vielerorts stattgefunden Kollaboration mit der Deutschen Besatzungsmacht zwischen 1943 und 1945 sowie auch in einer Sozialgeschichte der Nachkriegsjahre, welche interne Brüche, Spannungen und Konflikte beider Sprachgruppen unter die Lupe nähme, ausgemacht werden. Zudem warfen die besprochenen Fallbeispiele ausschließlich Licht darauf, wie der faschistische Aggressionskrieg jeweils öffentlich erinnert wurde. Nach der Art und Weise wie der Einsatz von Südtirolern an der abessinischen Front familienintern weitererzählt wurde, gilt es demnach ebenfalls zu fragen. Hierzu stellen Privatnachlässe von Südtiroler Veteranen aus dem Abessinienkrieg, die in Form von Tagebüchern und Fotoalben in zahlreichen Privathaushalten schlummern, eine aussagekräftige Quellengattung dar. Wie dies vereinzelt schon für andere Landesprovinzen- und Städten Italiens wie in Sardinien, Sizilien oder Modena unternommen wurde,1494 lassen sich derartige Untersuchungen genauso auch am Fuße des Brenners durchführen. Freilich begab sich dazu bereits das Dissertationsprojekt Markus Wurzers auf die Suche nach überlieferten Fotobeständen und Diarien von Südtirolern aus dem Abessinienkrieg, so dass dessen Forschungsresultate erkenntnisreiche Einblicke in Südtiroler Familiengedächtnisse erwarten lassen. Spannende Recherchen ließen sich ferner darüber anstellen, wie denn der damalige Krieg im fernen Ostafrika in der Brennerregion effektiv wahrgenommen wurde: Inwieweit sprachen deren Bewohner auf die damalige Kriegspropaganda an und wie verhielt sich deren Reaktion zu anderen Grenzregionen wie der Venezia Giulia im Norden oder den nicht weniger peripheren Landesprovinzen im Süden der Apenninhalbinsel? Einerseits würde dadurch ersichtlich, welche Vorstellungen damals von (Ost-)afrika in den Köpfen vieler Südtiroler kursierten und die propagandistische Inszenierung des Abessinienkriegs entsprechend auf Zu- oder Abneigung stieß. Andererseits ließe sich dadurch das Verhalten der zum Kriegseinsatz einberufenen Jungmänner teilweise erfassen und deren persönlichen Beweggründe wohl auch besser nachvollziehen. Eine Vergleichsstudien mit anderen Landesregionen wäre hierzu genauso innovativ wie aussagekräftig, wurden derartige Forschungsfragen in Italien bislang doch 1494 Bertella Farnetti, Paolo: L’impero, il fronte interno, Modena, in: Sognando l’impero. Modena-Addis Abeba (1935–1941), Ders. (Hg.), Mailand 2007, S. 13–137; Ders.: Testimonianze eroiche e memoriali, in: Sognando l’impero. Modena-Addis Abeba (1935– 1941), Ders. (Hg.), Mailand 2007, S. 215–255; Ders. u. a. (Hg.): Modena-Addis Abeba andata e ritorno. Esperienze italiane nel Corno d’Africa, Carpi 2007; Bolognari, Mario (Hg.): Lo scrigno africano. La memoria fotografica della guerra d’Etiopia custodita dalle famiglie italiane, Rubettino 2012; Deplano, Valeria (Hg.): Sardegna d’oltremare. L’emigrazione coloniale tra esperienza e memoria, Rom 2017.
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noch kaum gestellt. Gegenüber eines von der Geschichtsschreibung lange angenommenen Volkskonsens, der über den Abessinienkrieg angeblich landesweit geherrscht habe, würden somit relativierende Aussagen möglich. Der reichhaltige Forschungsbedarf führt vor Augen, dass die Verflechtungsgechichte des Abessinienkriegs und Südtirol noch über zahlreiche, offene Kapitel verfügt. Die Arbeit an diesen verspricht aufschlussreiche Einsichten in das durchwegs ambivalente, historische Verhältnis zwischen Italien und Südtirol zu liefern. Weder ein Kollektivwiderstand noch eine heroische Hingabe aller aus den Berg- und Talgemeinden rund um Bozen einberufenen Kriegsteilnehmer lässt sich dabei erwarten. Wahrscheinlicher erscheint, dass sich eine Vielzahl an Verhaltensweisen abzeichnen wird, die der wechselhaften Einstellung der Südtiroler gegenüber dem faschistischen Regime entspricht. Auf jeden Fall würde die dortige Historiographie im Speziellen sowie diejenige Italiens im Allgemeinen der tatsächlichen historischen Vielseitigkeit dieses Landes und seiner Regionen gerecht. Gerade in Zeiten, in welchen eine politische Rechte in Italien auf allen Ebenen eine geschichtsrevisionistische Stimmungsmache betreibt,1495 ebnen differenzierte Gegenstimmen in den Provinzen einem kritischen Vergangenheitsverständnis den Weg.
1495 Wurzer, Markus: Viel Feind, viel Ehr?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. 10. 2018, Nr. 245, S. 6; »Rechte Umtriebe. Salvini provoziert auf Mussolinis Balkon«, in: Der Standart, 06. 05. 2019, aufgerufen am 13. 09. 2019.
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Dank Meine Dissertationsschrift verdanke ich ganz wesentlich der großzügigen Unterstützung zahlreicher Personen, ohne die meine Recherchen und die damit einhergehende Schreibarbeit nicht möglich gewesen wären. Als erstes möchte ich ganz herzlich meinem Doktorvater Prof. Aram Mattioli danken. Ohne seine großzügige Aufgeschlossenheit gegenüber der Idee einer Forschungsarbeit zur Erinnerungskultur Südtirols wäre die Studie nicht zustande gekommen. Auch seine hilfreichen Gespräche und informativen Inputs waren mir stets eine wertvolle Orientierung für das weitere Vorgehen. Besonderer Dank gebührt zudem meinem Zweitbetreuer Prof. Andrea Di Michele. Seine ausgesprochen fundierte Expertise zur Geschichte Südtirols gab mir stets die Gewissheit, als sozusagen ›außenstehender‹ Historiker die wichtigen Aspekte meines Forschungsfeldes abzudecken bzw. diese richtig und präzis erfasst zu haben. Überdies war ich stets froh, dass sich Prof. Mattioli sowie Prof. Di Michele jeweils die Zeit für die Lektüre der einzelnen Kapitel nahmen, so dass ich die mir vorgenommenen Fallbeispiele zuversichtlich abarbeiten konnte. Für das sorgfältige Gegenlesen und das geduldige Basteln am Layout gilt meine ganz besondere Verbundenheit des Weiteren Lea Ilmer, Philippe Kottoros, D8sir8 Fuchs, Irene Stark, Janina Sutter, Florian Dürhammer und Florian Zoller. Freilich kommt keine historische Forschungsarbeit ohne Quellengrundlage aus. Eine solche konnte ich mir dank der Hilfsbereitschaft zahlreicher Archivare und Bibliothekare erarbeiten. Vor Ort halfen mir dabei vor allem Hannes Obermair im Stadtarchiv Bozen und Andreas Oberhofer im Stadtarchiv Bruneck. Ihre Ratschläge, in welche Bestände sich eine Einsicht lohnen würde, waren für meine zeitlich begrenzten Archivaufenthalte von höchstem Wert. Meine Wertschätzung geht aber auch an diejenigen Archivare und Bibliothekare, die mir in all den anderen Institutionen hilfsbereit zur Seite standen – sei dies in Verona, in Rom oder anderswo per E-Mail-Kontakt. Die Arbeit in den Archiven und Bibliotheken war des Weiteren wesentlich davon abhängig, in Südtirol für längere Auf-
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enthalte unterzukommen. Die Gastfreundschaft von Pater Benedikt und seinen Mitbrüdern im Kloster Muri-Gries sowie die warmherzige Aufnahme im Widum von Pfarrer Peter Langthaler in St. Georgen waren mir sowohl eine Ehre als auch eine Freude. Ferner profitierte die Arbeit von zahlreichen Gesprächen und Korrespondenzen, die ich mit geschätzten Kollegen wie Martin Hanni, Bruno Gius und Markus Wurzer führen durfte. Nicht zuletzt gilt ein unschätzbarer Dank meiner geliebten Ehefrau Angela sowie meiner ganzen Familie. Ihre Geduld und Zuversicht gaben mir stets den nötigen Mut, das Forschungsvorhaben anzupacken und bis zum Ende durchzuziehen. An dieser Stelle möchte ich die Arbeit in Andenken an meinen Vater Dr. Renato De Pretto abschließen. Ich bin mir sicher, dass er die Arbeit mit Stolz und viel Freude gelesen hätte.
Literatur
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1938. Comitato Comunale pro erigendo Monumento alla Divisione Alpina – »Val Pusteria«, ohne Sig. Gemeinderatsbeschluss, betr. »Alpinidenkmal am Kapuzinerplatz. Schreiben der »Associazione Nazionale Alpini – ANA« vom 10. 2. 1994. Stellungnahme und Ernennung einer Arbeitsgruppe«, Bruneck 28. 4. 1994, Prot. Nr. 53, in: StadtA Bruneck, Sig. GR.28. 4. 1994. Gemeinderatsbeschluss, betr. »Alpinidenkmal. Anbringung einer Informationstafel. Genehmigung des Textes«, Prot. Nr. 55, Bruneck 26. 9. 2011, in: StadtA Bruneck, Sig. 55.GR.26. 9. 2011. Gemeinderatsbeschluss, betr. »Alpinidenkmal. Anbringung einer Informationstafel. Genehmigung des endgültigen Textes«, Prot. Nr. 65, Bruneck 22. 10. 2012, in: StadtA Bruneck Sig. 65.GR.22. 10. 2012. Kassationsbuch des Comitato pro erigendo monumento caduti divisione val Pusteria 1936–1940, in: StadtA Bruneck, Altsignatur 485. Mitteilungsschreiben von Antonio Di Stefano an die Bozner Präfektur, Bruneck 17. Februar 1938, Prot. Nr. 1523, in: StadtA Bruneck: Sonderschachtel Kriegerdenkmal. Monumento all’Alpino. Pratiche. 1936–1938. Comitato Comunale pro erigendo Monumento alla Divisione Alpina – »Val Pusteria«, ohne Sig. Rundschreiben von Antonio Di Stefano an die Gemeinden Südtirols, betr. »Invio Cartoline«, Bruneck 24. Juli 1936; sowie Telegramm von Antonio Di Stefano an den Podest/ der Gemeinde Toblach, betr. »Raccolta offerte«, Bruneck undatiert, in: StadtA Bruneck: Sonderschachtel Kriegerdenkmal. Monumento all’Alpino. Pratiche. 1936–1938. Diversi, ohne Sig. Rundschreiben von Antonio Di Stefano an die Podest/ Südtirols, betr. »Monumento a ricordo Caduti Divisione Alpina ›Val Pusteria‹«, in: StadtA Bruneck: Sonderschachtel Kriegerdenkmal. Monumento all’Alpino. Pratiche. 1936–1938. Comitato Comunale pro erigendo Monumento alla Divisione Alpina – »Val Pusteria«, ohne Sig. Rundschreiben von Antonio Di Stefano im Namen des »Comitato Centrale pro Monumento Caduti Divisione Alpina ›Val Pusteria‹« an die Podest/ der Pustertaler Gemeinden, betr. »Monumento a ricordo Caduti Divisione Alpina ›Val Pusteria‹ Costituzione Comitati«, Bruneck 12. 6. 1936, in: StadtA Bruneck, Sonderschachtel Kriegerdenkmal: Monumento all’Alpino. Pratiche. 1936–1938. Comitato Comunale pro erigendo Monumento alla Divisione Alpina – »Val Pusteria«, ohne Sig. Rundschreiben von Antonio Di Stefano im Namen des »Comitato Centrale Pro Monumento Caduti Divisione Alpina »Pusteria« an die Podest/ der Pustertaler Gemeinden, betr. »Modalit/ sottoscrizioni«, Bruneck 10. 7. 1936, in: StadtA Bruneck, Sonderschachtel Kriegerdenkmal: Monumento all’Alpino. Pratiche. 1936–1938. Diversi, Prot. Nr. 46, ohne Sig. Schreiben des Bürgermeisters von Bruneck an die ANA-Sektion Bozen, Bruneck 20. 6. 1953, in: StadtA Bruneck, Mappe: IX/6 1953–1954, Faszikel-Verzeichnis: Alpini Denkmal – Umgebung Sistemisierung, ohne Sig. Schreiben von Antonio Di Stefano an die Bozner Präfektur, betr. »Monumento ai Caduti della Divisione Alpina »Pusteria«, Bruneck 26. Januar 1938, Prot. Nr. 267, S. 3, in: StadtA Bruneck, Sonderschachtel Kriegerdenkmal: Monumento all’Alpino. Pratiche. 1936–1938, ohne Sig.
366
Anhang
Schreiben von Antonio Di Stefano an die Bozner Präfektur, betr. »Monumento ai Caduti della Divisione Alpina ›Pusteria‹«, Bruneck 26. Januar 1938, Prot. Nr. 267, S. 2, in: StadtA Bruneck: Sonderschachtel Kriegerdenkmal. Monumento all’Alpino. Pratiche. 1936–1938, ohne Sig.; Spendenbeiträge nach Gemeinden, Kassationsbuch, StadtA Bruneck, Nr. 485. Stadtgemeinde Bruneck, Beschlussantrag des Gemeinderats Peter Troger für die UfS, betrf. »Alpinidenkmal«, Nr. 64, in: StadtA Bruneck, Sig. 64.GR.17. 06. 1993. Stadtgemeinde Bruneck, Beschlussantrag des Gemeinderats Peter Troger für die Freiheitlichen, betr. »Alpinidenkmal«, Bruneck, 28. 4. 1994, Nr. 47, in: StadtA Bruneck, Sig. 47.GR.28. 4. 1994. Stadtgemeinde Bruneck, Beschlussantrag des Gemeinderats Peter Troger für die Freiheitlichen, betr. »Alpinidenkmal«, Bruneck 30. 5. 1996, Nr. 48, in: StadtA Bruneck, Sig. 48.GR.30. 5. 1996. Wortprotokoll des Brunecker Gemeinderats, Sitzung vom 28. 3. 2011, S. 2, ohne Sig.
Stadtarchiv Bozen (StadtA Bozen) – Bestand der Toponomastikkommission Abschlussbericht des Präsidenten der Toponomastikkommission, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 2, ohne Ort und Datum. Anfrage der Präfekten u. a. an den Podest/ von Bozen, betr. »Cambio denominazione vie, piazze e scritte – URGENTISSIMA«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 2, Prot. Nr. 16456, Cat. XII, Classe 2, Fasc. 6, Bozen 25. 8. 1943. Antwortschreiben des Bozner Bürgermeisters Lino Ziller an das Regierungskommissariat, betr. »Toponomastica stradale. Risposta a nota n. 9/V 5047 Gab. Del 14 giugno 1951«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 2. 7. 1951. Antwortschreiben des Bürgermeisters von Bozen Lino Ziller an den Landesausschuss auf dessen Schreiben vom 21. 10. 1949 n. 13348, betr. »Toponomastica cittadina«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 23. 11. 1949. Antwortschreiben des Podest/ Alfredo Clavarino an die Bozner Präfektur, betr. »Cambio denominazione vie, piazze e scritte«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 2, Prot. Nr. 16456, Bozen 27. 8. 1943. Aufzählung der Straßennamen gemäß dem Beschluss des Gemeindeausschusses Nr. 561/ 16453 vom 17. 9. 1946, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 17. 9. 1946. Beschluss des Gemeinderats, betr. »Toponomastica cittadina«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. 8/14511, Bozen 18. 5. 1949. Beschluss des Landesausschusses, betr. »Toponomastica cittadina«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 22. 2. 1950.
Quellen
367
Beschluss des Podest/ Alfredo Clavarino, betr. »Denominazione di vie e piazze cittadine«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. 123/3909, Bozen 18. 2. 1939. Beschluss des Podest/ Alfredo Clavarino, betr. »Denominazione di Vie e di Piazze cittadine«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. 222/8185, Bozen 29. 3. 1941. Beschluss des Podest/ Guido Broise, betr. »Costituzione di una Commissione consultativa per lo studio e la toponomastica stradale«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 2, Prot. Nr. 708/16562, Bozen 25. 7. 1936. Beschluss des Podest/ L. Miori, betr. »Denominazioni stradali«, in: Stadtarchiv Bozen (StadtA Bozen), Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. 1307, Bozen 8. 3. 1932. Brief der »abitatni di Via Locatelli« an die Stadtgemeinde Bozen, kein Betreff, in: StadtA Bozen, Bestand der Commssione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 26. 7. 1947. Gemeindratsbeschluss Nr. 167, betr. »Denominazione di alcune aree di circolazione«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 3, Prot. Nr. 24715, Bozen 18. 07. 1967. Kommissariatsbeschluss der Gemeinde Bozen, betr. »Denominazione di vie e piazze cittadine«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. 993/21139, Bozen 26. 9. 1936. Protokoll des Beschlusses der Gemeindeversammlung, betr. »Nomina di una Commissione per lo studio della toponomastica cittadina«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 3, Prot. Nr. 18/22441, Bozen 2. 11. 1948. Rundschreiben des Präfekten Emmanuelle Zannelli u. a. an den Podest/ von Bozen Alfredo Clavarino, betr. »Cambio denominazione vie, piazze e scritte«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 2, Prot. Nr. 15524, Cat. XII, Classe 2, Fasc. 6, Bozen 6. 8. 1943. Schreiben der »Azienda Elettrica Consorziale delle Citt/ di Bolzano e Merano« an die Stadtgemeinde Bozen, betr. »Variazioni nella toponomastica cittadina«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 2, Prot. Nr. 16737, Cat XII, Classe 2, Fasc. 6, Bozen 23. 8. 1943. Schreiben des Bürgermeisters von Bozen Luciano Bonvicini an das Ministero della Pubblica Istruzione – Direzione Generale della Sovraintendenza ai monumenti, betr. »Toponomastica stradale«, in: StadtA Bozen, Bestand der Comissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 23. 4. 1946. Schreiben des Direktors des Statistikamtes R. Germinasi an den Bürgermeister von Bozen Lino Ziller, betr. »Nuova toponomastica«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomatica 1, Bozen 16. 11. 1948. Schreiben des Landesausschusses an den Bürgermeister von Bozen Lino Ziller, betr. »Toponomastica cittadina – Delibera n. 8/14511 del 18. 5. 1949« in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. 13348, Bozen 21. 10. 1949.
368
Anhang
Schreiben des Leiters des Denkmalamtes Prof. A. Rusconi an die Stadtgemeinde Bozen, betr. »Toponomastica«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomatica 1, Prot. Nr. 2159, ohne Ort und Datum. Schreiben des Podest/ von Bozen an das Ufficio Statistica e Censimenti Bolzano, kein Betreff, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 2, Prot. Nr. 16333, Bozen 23. 8. 1943. Schreiben des Präfekten der Provinz Bozen an den Bürgermeister von Bozen, betr. »Toponomastica cittadina«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Prot. Nr. Divisione IV prot. 68, Bozen 13. 1. 1947. Sitzungsprotokoll der Commissione per la toponomastica, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 2, Bozen 12. 8. 1943. Sitzungsprotokoll der ersten Sitzung der Toponomastikkommission, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomatica 1, Bozen 18. 11. 1948. Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, 15. Sitzung, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 13. 6. 1949. Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, 5. Sitzung, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 18. 12. 1948. Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, 7. Sitzung, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 2, Bozen 11. 1. 1949. Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, 9. Sitzung, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 24. 1. 1949. Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, 15. Sitzung, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 10. 6. 1949. Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, 4. Sitzung, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 20. 12. 1948. Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, 9. Sitzung, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 24. 1. 1949. Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 13. 5. 1966. Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 14. 9. 1966. Sitzungsprotokoll der Toponomastikkommission, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 3, Bozen 17. 1. 1966. Toponomastikamt der Gemeinde Bozen, Elenco alfabetico delle aree di circolazione, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 3, Bozen 1. 3. 1964. Wortprotokoll der Gemeinderatssitzung vom 22. 2. 1950, betr. »Toponmastica cittadina – conferma di toponimi«, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 1, Bozen 22. 2. 1950, Prot. Nr. 214/5291. Wortprotokoll der Sitzung der Toponomastikkommission vom 19. 5. 1953, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 3, Bozen 19. 5. 1953.
369
Quellen
Stadtarchiv Bozen (StadtA Bozen) – Bestand des Gemeindeausschusses Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Commissione per la toponomastica cittadina«, in: StadtA Bozen, Protokolle des Gemeindeausschusses, Beschlüsse 1945, Prot. Nr. 596/15451, Bozen 10. 12. 1945. Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Rimozione targhe di vie e piazze cittadine – spesa«, in: Protokolle des Gemeindeausschusses, Beschlüsse 1943, Prot. Nr. 546/17223, Bozen 4. 9. 1943. Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Toponomastica comunale«, in: StadtA Bozen, Protokolle des Gemeindeausschusses, Beschlüsse 1946, Prot. Nr. 561/16435, Bozen 17. 9. 1946. Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Toponomastica comunale«, in: StadtA Bozen, Protokolle des Gemeindeausschusses, Beschlüsse 1946, Prot. Nr. 196/5537, Bozen 26. 3. 1946. Beschluss des Gemeindeausschusses, betr. »Toponomastica comunale«, in: StadtA Bozen, Protokolle des Gemeindeausschusses, Beschlüsse 1946, Prot. Nr. 638/19517, Bozen 5. 11. 1946.
Stadtarchiv Bozen (StadtA Bozen) – Bestand des Gemeinderats Gemeinderatsbeschluss betr. »Toponomastica cittadina«, in: StadtA Bozen, Gemeinderatsbeschlüsse 1949, Prot. Nr. 27/19867, Bozen 17. 7. 1949. Gemeinderatsbeschluss, betr. »Toponomastica cittadina – assegnazione di nomi a nuove strade«, in: StadtA Bozen, Gemeinderatsbeschlüsse 1953, Prot. Nr. 168/16457, Bozen 22. 6. 1953. Wortprotokoll der Gemeinderatssitzung, betr. »Denominazione di alcune vie cittadine«, in: StadtA Bozen, Sitzungsprotokolle des Gemeinderates 1958/1, Prot. Nr. 191/19205, Bozen 23. 6. 1958.
Bildnachweise Abb. 1:
Abb. 2:
Abb. 3:
Abb. 4:
Alpinisoldaten posieren für eine Postkarte vor dem Alpinidenkmal auf dem Kapuzinerplatz in Bruneck, in: Tiroler Archiv für photographische Dokumentation und Kunst, Sammlung von Grebmer – TAP, Alpini-Denkmal Bruneck um 1940. Das neue Alpinidenkmal von 1951 vor dem damaligen Gebäude des Post- und Telegraphenamts, in: Museumsverein Bruneck, Nachlass Ernst Mariner, Sig. MENS60900293/Bruneck/Altes Post- und Telegraphenamt/Alpinidenkmal. Ein Alpinisoldat salutiert vor dem enthüllten Denkmal während der Einweihungszeremonie von 1951, in: Online Bildarchiv des Südtiroler Landesarchivs, Bestand Foto Excelsior – Varini (008), Einweihung des Alpini-Denkmals: Das enthüllte Denkmal, Bruneck 1951, Sig. EXCELSI0002685NSF135.jpg. Die Büste des gesprengten Denkmals nach 1979, in: Bruneck online Archiv zur Stadtgeschichte, aufgerufen am 04. 04. 2018.
370 Abb. 5:
Abb. 6: Abb. 7:
Abb. 8:
Anhang
Planskizze der Piazza della Vittoria, in: Mura, Angela Grazia: Prima della Via Littoria. Un reportage fotografico su Gries negli anni venti, in: Lavori in corso. Die Bozner Freiheitsstrasse, Hannes Obermair, Fabrizio Miori und Maurizio Pacchiani (Hg.), Bozen 2020, S. 35–79, hier S. 37. Aufnahme der Piazza dell’Impero, in: StadtA Bozen, Sammlung historischer Ansichtskarten, 564. Stadtplan aus der Sitzung der Toponomastikkommission vom 19. Mai 1953, in: StadtA Bozen, Bestand der Commissione Toponomastica, Dossier Toponomastica 3, Bozen 19. 05. 1953. Gruppenportrait der Schützenkompanie »Bartlmä von Guggenberg« aus dem Jahr 1980, in: Gruber, Paul (Hg.): Vintl. Geschichte und Gegenwart einer Gemeinde, Vintl 1981, S. 5.
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Quellen
381
»Per la terza volta dilaniato col tritolo il Monumento Alpini a Brunico, 11 sett. 1979 ore 4.50«, in: Scarpe grosse, September 1979, Jg. XXIX, II Semestre Nr. 1, S. 1. »Per non dimenticare«, in: Scarpe grosse, Oktober 1956, Jg. VI Nr. 10, S. 2. »Rasereide [sic] di fine d’anno«, in: Scarpe grosse, Dezember 1966, Jg. XVI Nr. 12, S. 3. »Ricomposto il busto sul basamento del Monumento Alpino«, in: Scarpe grosse, 1980, Jg. XXX, II. Semestre Nr. 1, S. 1. »Riconsacrato il Monumento Gloria degli Alpini d’Italia«, in: Scarpe grosse, Dezember 1966, Jg. XVI Nr. 12, S. 4. »Zona Monumento Alpini«, in: Scarpe grosse, Januar 1954, Jg. IV Nr. 1, S. 2.
Südtiroler Heimat. Mitteilungen für Freunde Südtirols »Ein neues Denkmal in Bruneck«, in: Südtiroler Heimat. Mitteilungen für Freunde Südtirols, 1. 9. 1936, S. 6.
Tiroler Schützenzeitung »Eindrucksvolles Zeichen gegen den Faschismus«, in: Tiroler Schützenzeitung, 2. Juni 2009, Jg. 33 Nr. 3, S. 1–3, hier S. 1. »Eine unendliche Geschichte«, in: Tiroler Schützenzeitung, Bozen-Innsbruck-Lienz, 1. 12. 1992, Jg. 16 Nr. 4, S. 6. »Nein zu faschistischen Ortsnamen«, in: Tiroler Schützenzeitung, Bozen-InnsbruckLienz, 1. 12. 1993, Jg. 17 Nr. 4, S. 3–4. »Referendum gegen faschistische Relikte«, in: Tiroler Schützenzeitung, Bozen-InnsbruckLienz, 1. 9. 1992, Jg.16 Nr. 3, S. 5–6. »SSB errichtet Computerraum in Addis Abeba, Äthiopien«, in: Tiroler Schützenzeitung, August 2009, Jg. 33 Nr. 4, S. 3.
Europäische Wehrkunde Potyka, Christian: »Erinnerungen an den Kleinkrieg in Äthiopien«, aufgezeichnet von Oskar R. Eisenkeil, in: Europäische Wehrkunde. Organ für alle Wehrfragen, 1 (1976), S. 42–45.
Südtiroler Kamerad »›Afrikaner‹ besuchen ehemalige Kampfstätte«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 5, 1983, S. 12. »3. Treffen der ehemaligen Abessinienkämpfer in Gries-Bozen«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 2, 1985, S. 5. »Abschied von Hans Eschgfäller«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 1, 2007, S. 13.
382
Anhang
»Adventfeier der ›alten Afrikaner‹ des Pustertals«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 1, 1985, S. 9. »Amba Alagi und Südtirol«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, III Jg., 1961, Nr. 3, S. 5. »Auch italienische Kriegsverbrechen?«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 6, 1989, S. 11. »Das Kriegsgeschehen in Nordafrika«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 6, 1989, S. 6. »Der ›Wüstenfuchs‹ erobert Tobruk«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 1, 1991, S. 12. »Die alten Afrikaner treffen sich in Schlanders«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 2, 1987, S. 7. »Die deutsche Offensive in Nordafrika«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 1, 1991, S. 9. »Die Schlacht um El Alamein«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 4, 1983, S. 6. »Einweihung des neuen Kriegerdenkmales in Tramin«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, III. Jg., Nr. 7, Juli 1960, S. 3. »Gründungsmitglied Wilhelm Kofler verstorben«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 1, 2007, S. 13. »Historische Wahrheiten nicht verfälschen«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 5, 1982, S. 13. »Italien verdrängt Genozid«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 1, 2006, S. 15. »Südtiroler Afrikakämpfer bei Gedenkfeier in Tunesien«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 3–4, 1995, S. 8. »Treffen ehemaliger Afrika-Kämpfer«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 3–4, 1995, S. 7. »Unsere Heimat Südtirol – Volkseigenart und Brauchtum, 3. Fortsetzung«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, II. Jg., Nr. 11, November 1959, S. 2–3. »Unsere Heimat Südtirol, 13. Fortsetzung«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, II Jg., 1960, Nr. 9, S. 2. »Unsere Heimat Südtirol, 14. Fortsetzung«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, II Jg., 1960, Nr. 10, S. 2. »Unsere Heimat Südtirol, 14. Fortsetzung«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, II Jg., 1960, Nr. 10, S. 2. »Unsere Heimat Südtirol, 15. Fortsetzung«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, II Jg., 1960, Nr. 11, S. 2. »Unsere Heimat Südtirol, 15. Fortsetzung«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, II Jg., 1960, Nr. 11, S. 2. »Wüstenfüchse feiern Zehnjähriges«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 3, 1987, S. 9.
Quellen
383
»Zum Geleit. Ein Wort des Verbandspräsidenten«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, I. Jg., Nr. 1, Dezember 1958, S. 1–2, hier S. 2. Gutweniger, Hedy : »Zeugen einer tristen Vergangenheit«, in: Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverbandes, Nr. 2, 1997, S. 4– 5, hier S. 4. Südtiroler Kamerad. Mitteilungsblatt des Südtiroler Kriegsopfer- und Frontkämpferverbandes. I. Jg., 1. Dezember 1958, S. 1.
Der Schlern Zelger, Anton: Kulturaufgabe Südtirols, in: Der Schlern. Illustrierte Monatshefte für Heimat- und Volkskunde, Festschrift »Haus der Kultur Walther von der Vogelweide«, 41. Jg., Heft 4& 5, 1967, S. 264–267.
Der Standart »Rechte Umtriebe. Salvini provoziert auf Mussolinis Balkon«, in: Der Standart, 06. 05. 2019, aufgerufen am 13. 09. 2019.
Tagungsbericht der Südtiroler Hochschülerschaft Zelger, Anton: Kulturelle Aufgaben und Verpflichtungen des Südtiroler Akademikers, in: Die Stellung des Südtiroler Akademikers in öffentlichen Leben, Studientagung der Südtiroler Hochschülerschaft 1961, S. 29–36.
Süd-Tiroler Freiheit »Dokumentation faschistischer Relikte in Süd-Tirol«, in: Süd-Tiroler Freiheit, aufgerufen am 06. 05. 2019.