Ilya Kabakov: Der Konzeptkünstler und das Dialogische [1 ed.] 9783412505066, 9783412503833


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Ilya Kabakov: Der Konzeptkünstler und das Dialogische [1 ed.]
 9783412505066, 9783412503833

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Das östliche Europa : Kunst- und Kulturgeschichte Herausgegeben von Robert Born, Michaela Marek und Ada Raev Band 4

Nicole Seeberger

ILYA K A BA KOV Der Konzeptkünstler und das Dialogische

2016

Böhlau Verlag Köln Weimar Wien

Das E-Book wurde publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung.

Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Herbstsemester 2014 auf Antrag von Prof. Dr. Philip Ursprung und Prof. Dr. Sylvia Sasse als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Ilya Kabakov, Die Fliege, 1989, Öl und Lack auf Holzfaserplatte, zweiteilig, 250 × 380 cm, Privatsammlung New York.

© 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Ulrike Weingärtner, Gründau Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-50383-3

Inhalt Vorwort   Prolog  

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1 ­Theorie   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Dialogizität in den Künsten  . . . . . . . . 1.1.1 Dialogizität bei Michail Bachtin . . . 1.1.2 Dialogizität bei Ilya Kabakov  . . . . 1.2 Postmoderne Theorien im Zusammenhang mit Bachtins Dialogizitätskonzept  . . . . . 1.2.1 Heterogenität und Vielheit  . . . . . 1.2.2 Aneignung und Wiederholung  . . .

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2 Die Moskauer Konzeptkunst 1960 –  1 990  . . . . . . . . 2.1 Zum Begriff Moskauer Konzeptkunst  . . . . . . . . . . . 2.1.1 Herleitung des Begriffs: Abgrenzung von der west­lichen Konzeptkunst  . . . . . . . . . . 2.2 Eine „Kunst der Beziehungen“ . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Die 1960er-­Jahre: Kunstgeschicht­liche Anbindungen  2.2.2 Die 1970er-­Jahre: Die Soz Art  . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Die 1980er-­Jahre: Die Ausdehnung im Raum  . . . . 2.3 Der Text und die Sprache als elementare Wesenszüge . . . . 2.4 Ein System im System  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Selbst-­Institu­tionalisierung  . . . . . . . . . . . . . 2.5 Nach der Perestrojka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3 Ilya Kabakov und das Dialo­g ische  . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Dialo­gische Werkstruktur anhand der Kabakov’schen Fliege  . . . . . 3.2 Vom Illustrator zum Künstler  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Kinderbuchillustra­tionen in der Sowjetunion ab Ende der 1950er-­Jahre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Über den Kinderbuchverlag zur künstlerischen Identität in den 1960er-­Jahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Künstlerische Adap­tionen aus den Kinderbuchillustra­tionen . .

 

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Tafelteil   .





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Inhalt

3.3 Dialo­gisches Weltmodell ­zwischen Vielheit und Einheit: von der Zeichnung über das Album und Gemälde zur Installa­tion  . 3.3.1 Verkettungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Verschachtelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Archivarische Verfahren: „Das grosse Archiv“  . . . . . . . . 3.4 Kommentierungsapparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 „Der Text als Grundlage des Visuellen“  . . . . . . . . . . . 3.4.2 Gesprochene Stimmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Die Emanzipierung des Textes . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4 Polyphonie von Meinungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.5 Die Strategie der Selbstkommentierung  . . . . . . . . . . . 3.4.6 Die „Personagen“ Ilya Kabakovs . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Die Künstlerbücher  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Ilya Kabakovs Buchproduk­tion  . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Die Bedeutung der Künstlerbücher  . . . . . . . . . . . . . 3.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Ilya 4.1 4.2 4.3

Kabakovs intertextuelle Bezüge   . . . . . . . . . . . . . Autorschaft vs. Autorlosigkeit: Die Suche nach dem Stil  . . . . . Intertextualität: Ein „Mosaik von Zitaten“  . . . . . . . . . . . . Literarische Bezüge im Werk Ilya Kabakovs  . . . . . . . . . . . 4.3.1 Bezüge zur rus­sischen Literatur aus dem 19. Jahrhundert . . 4.3.2 Bezüge außerhalb der rus­sischen Literaturlandschaft  . . . . 4.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5 Ilya Kabakov im jüdischen Kontext   . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Geschicht­liche Hintergründe: Das Judentum in der Sowjetunion  5.1.1 Die jüdische Identität einiger Moskauer Konzeptualisten  . 5.2 Jüdische Motive in Ilya Kabakovs Werk  . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Das Volk des Buches  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Geschichtsschreibung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Beseelte Gegenstände  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 Aphorismen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.5 Bilderverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.6 Luftmenschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.7 Humor  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Die jüdische Praxis des Kommentierens  . . . . . . . . . . . . . 5.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

6 Epilog   . .

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7 Anhang   . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Abbildungsnachweis  . . . . . . . . . . 7.2 Quellen- und Literaturverzeichnis  . . . 7.2.1 Ilya Kabakovs Künstlerbücher  . . 7.2.2 Literaturverzeichnis  . . . . . . . 7.3 Dank  . . . . . . . . . . . . . . . . . Register  

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Vorwort Die Basis der vorliegenden Studie bildet die Mitarbeit an Ilya Kabakovs Werkverzeichnis der Künstlerbücher, das vom Kunsthaus Zug 2010 nach zweijähriger intensiver Recherche­arbeit publiziert worden ist.1 Das Werkverzeichnis ist zur Ausstellung „Ilya Kabakov. Orbis pictus. Der Kinderbuchillustrator als eine ­sozia­le Figur“ im Kunsthaus Zug vom 21. März bis 20. Juni 2010 erschienen. Ich habe alle 137 z­ wischen 1958 und 2009 erschienenen Künstlerbücher seines Œ ­ uvres phy­sisch wie inhalt­lich erfasst. Dafür war ich auch beim Künstler und seiner Frau zu Forschungszwecken während dreier Wochen auf Long Island einquartiert. Neben den technischen Angaben und einer ­kurzen inhalt­lichen Aussage finden sich auch Verweise auf andere Katalognummern jener Künstlerbücher, Installa­tionen oder Gemälde, in denen dieselben Texte oder Teile davon von Ilya Kabakov wiederverwendet wurden.2 Dieses von mir aufgestellte Verweissystem ist die eigent­liche Forschungsgrundlage der folgenden Arbeit. Zur rus­sischen Translitera­tion: Für sämt­liche rus­sischen Termini und Namen – auch in den Zitaten, den übernommenen Begriffen oder Bezeichnungen und Literaturangaben – wird die wissenschaft­liche Translitera­tion (DIN 1460) verwendet. Илья Кабаков wird der eng­lischen Schreibweise „Ilya Kabakov“ folgen, dies aufgrund seiner künstlerischen Tätigkeit seit Ende der 1980er-­Jahre im Westen und seiner Niederlassung in den USA. Die neue Rechtschreibung wird in den Zitaten aus Authentizitätsgründen nicht berücksichtigt.

1 KB138. Sämt­liche Künstlerbücher Ilya Kabakovs werden im Folgenden mit KB und der jeweiligen Nummer versehen. 2 Vgl. die Erläuterungen zum Werkverzeichnis der Künstlerbücher, in: Ebd., 89.

Prolog „Ich musste einen besonderen Kniff finden, einen ­besonderen ‚Zug‘, um auf einem Seitenpfad den Weg des ‚wahren ­Künstlers‘ zu gehen und auf schnelle, abrupte, überraschende, noch unbekannte Weise an der Oberfläche [zu] erscheinen.“1 Ilya Kabakov, 1988

Ilya Kabakov (geb. 1933 in Dnepropetrovsk 2) gehört zu den prominentesten Vertretern der inoffiziellen Künstlergruppe der Moskauer Konzeptualisten, die im Verborgenen und ohne öffent­liches Publikum ­zwischen 1960 und 1990 in Moskau wirkten. Bevor Kabakov Ende der 1980er-­Jahre in die USA emigrierte, wo er auch heute noch lebt und an seinem Spätwerk arbeitet, wurde er in der Sowjetunion vor allem als erfolgreicher, offizieller Kinderbuchillustrator gefeiert. Nach seiner Übersiedlung in den Westen hat sich diese Perspektive geändert, gehört der Künstler doch seit Beginn der 1990er-­Jahre zu den wichtigsten zeitgenös­sischen Kunstschaffenden. Seine Emigra­tion in den Westen und sein Hinaustreten aus dem sowjetischen System, welches seine Biografie und sein Schaffen über 50 Jahre lang prägte und einengte, bedeuteten für Kabakov erst recht den großen künstlerischen Befreiungsschlag. Meine erste Begegnung mit einem von Kabakovs Werken fand vor dem Bahnhofs­ gebäude Zug (Schweiz) statt, wo zur Eröffnung des neuen Bahnhofs 2003 ein mannshoher Trinkbrunnen aus Carrara-­Marmor inmitten des großen Kehrplatzes der Linienbusse platziert wurde (Abb. 1). Der eigentüm­lich weiße Monolith des Künstlers steht auf einem tränen­förmigen Podest mit kleiner Rasenfläche. Ein Zuger Manneken-­Pis? Eine humorvolle Anspielung auf Marcel Duchamps Urinoir? Eine abstrahierte Darstellung des natür­lichen Wasserkreislaufes des menschlichen Körpers? Eine Parodie auf die oftmals manierierten Trinkbrunnen im öffent­lichen Raum, wie es derartig auf der offiziel­len Seite der Stadt Zug diskutiert wird?3 Oder gar eine fernöst­liche Anspielung auf die hinduis­tischen Darstellungen des dualistischen Prinzips von Yoni und Lingam? ­Kabakovs Skulptur aus dem klas­sischen Steinmaterial polarisiert und öffnet ein weites Feld von mög­lichen Bezügen.

1 KB123 (Bd. 1), 159. 2 Die ehemalige sowjetische Stadt Dnepropetrovsk liegt südöst­lich der heutigen ukrainischen Hauptstadt Kiew. 3 Vgl. Stadt Zug, Kunst im öffent­lichen Raum, Ilya und Emilia Kabakov, Drinking-­Fountain, http:// www.stadtzug.ch/de/kulturfreizeit/kultur/rundgaenge/ (6. 8. 2014).

Thesen |

Indes, das Kreisen um die Skulptur findet nicht nur tagtäg­lich durch die Passanten und Linienbusse statt, die das einsame Werk mitten auf dem Platz passieren und umfahren, sondern auch gedank­lich. Dieses Kreisen eröffnet dabei immer wieder neue Sichtweisen, sei es im Verhältnis zum Menschen oder im Bezug zum öffent­lichen Raum und der umgebenden Architektur, mit jedem neuen Bezug ergibt sich eine andere Bedeutung. Das skulpturale Werk steht in Beziehung zu seinem Umfeld und wird mit ­diesem offenen Dialog, mit d ­ iesem dialo­gischen Austausch und der daraus resultierenden Stimmenvielfalt erst zum eigent­lichen lebendigen Kunstwerk. Kabakovs Œuvre zeichnet sich ganz grundsätz­lich durch seinen offenen, dialo­ gischen Charakter aus. Das Dialo­gische findet sich nicht nur innerhalb eines Werks ­zwischen den einzelnen konzeptuellen Ausführungen einer Idee, ­zwischen Text, Zeichnung, Album, Gemälde, Modell oder Installa­tion, ­zwischen den einzelnen Werken, die miteinander im Dialog stehen, sich aufeinander beziehen, sondern auch ­zwischen Werk und seinem es umgebenden Raum. Zu seiner Arbeitsweise gehören einerseits die sogenannten „Personagen“ (perzonazhonost) – ein stehender Begriff Ilya Kabakovs für seine Alter Egos –, mit denen der Künstler auftritt und sein Werk aus verschiedenen Posi­tionen kommentiert und dialogisiert. Andererseits tritt Kabakov in den Dialog mit rus­sischen und nicht-­­rus­sischen Autoren, Künstlern und Wissen­schaftlern, mit Theorien und Philosophien. Er zitiert diese oder eignet sie sich an und stellt sich dabei in einen geschicht­lichen Kontext. Die Perspektive auf ein Werk wird um ein Vielfaches erweitert und sein narrativer Sinngehalt mehrdeutig und vielstimmig. Dieses dialo­ gische Konzept baut Kabakov seit den 1970er-­Jahren über die Jahrzehnte hinweg immer weiter aus, es wird zur Grundlage seines künstlerischen Schaffens. Auf die Kommentare folgen weitere Kommentare, Interpreta­tionen, Gespräche, theoretische Schriften, Werkverzeichnisse usw. Dabei wird eine Werkidee in einen immer größer werdenden Kontext, in ein immer größer werdendes dialo­gisches Netz eingewoben, welches sich ständig weiter verändert und keinen endgültigen Abschluss findet.

Thesen Um Ilya Kabakovs komplexes Œuvre zu erfassen und zu beleuchten, werde ich mich ­diesem im Folgenden mit dem Begriff des Dialo­gischen annähern. Ein besonders tragfähiges Prinzip dafür scheinen mir drei Bereiche, um die sich die nachstehenden Leitthesen kreisen: 1. Michail Bachtins literaturwissenschaft­liches Dialogizitätskonzept, auf dem Kabakovs werkimmanente dialo­gische Struktur ­zwischen offiziellem und inoffiziellem Schaffen, z­ wischen dem Dasein als erfolgreicher sowjetischer Kinder­buchillustrator und jenem als nonkonformer Künstler im Moskauer Untergrund basiert; 2. Kabakovs intertextuelle Verfahren, seine künstlerischen Aneignungen und Inkorporierungen

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literarischer Vorbilder und damit der ausgewiesen litera­rische Charakter und die typische Narrativik seiner Kunst; und 3. die jüdische Praxis des Kommentierens mit dem „dialo­gischen Prinzip“4 nach Martin Buber als Form des Seins, das auf dem nicht enden wollenden Dialog in Ilya Kabakovs Werkstruktur gründet und schließ­lich auch auf die allgemeinen jüdischen Motive in seinem Werk verweist. Michail M. Bachtins (1895 – 1975) literaturwissenschaft­liches Modell der Dialogizität aus den 1920er-­Jahren steht im Gegensatz zum totalitären Entwurf der Monologizität, wo nur ein einziger Sinn des Wortes seine Gültigkeit hat. Auch bestehen in ­diesem dialo­ gischen Modell keine hierarchischen, starren Strukturen; weder sind diese abgeschlossenen noch endgültig, sondern in steter Dislozierung und Veränderung. ­Bachtins Konzept steht für eine horizontale Beziehungsebene z­ wischen Autor und Held, Autor und Figur, in der Heterogenität, Vielstimmigkeit, Polyperspektive und Unabgeschlossenheit von Bedeutung sind. Dieses organische Modell unterliegt fortlaufenden Veränderungen, die zu keiner Abgeschlossenheit führen und dessen endgültige Form nicht voraussagbar ist. Entsprechend gilt Bachtins Dialogizitätstheorie als ästhetischer Gegenentwurf zur monolo­gischen Stalinkultur und befindet sich in Opposi­tion zum Sozia­listischen Realismus in all seinen Ausformungen.5 Kabakov arbeitet seit Anfang der 1970er-­Jahre an einer dialo­gischen Werkstruktur, die innerhalb der damaligen Sowjetunion als Antipode zum totalitären System, gewisser­maßen als System im System agiert. Sein dialo­gisches Arbeiten mit vielstimmigem Charakter begreift sich als ein antiautoritäres, subversives und polyperspektivisches Alternativ­system zur staat­lich verordneten Doktrin der sozia­listischen Ideologie. Kabakovs dialo­gisches Werkschaffen zeichnet sich durch seine literarische und narrative Prägung aus. Mit den künstlerischen Aneignungen und Inkorporierungen von litera­ rischen Vorbildern aus der rus­sischen, klas­sischen Literatur und darüber hinaus schreibt sich der bildende Künstler gewissermaßen in die rus­sische Literaturgeschichte ein. Mit diesen konstitutiv intertextuellen Verfahren etabliert und prägt der Künstler nicht nur im Kreis der Moskauer Konzeptualisten, sondern auch in der jüngeren Kunstgeschichte ein künstlerisches Verfahren, indem sich bildende Kunst und Literatur gegenseitig durchdringen. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch darin, indem das Künstlerbuch in Kabakovs Werkschaffen eine wichtige Rolle einnimmt.

4 Buber 2012. 5 Vgl. dazu Günther 1984, 126 – 143; Weibel 1994, 1 – 68. Bachtins Romantheorie, so Sylvia Sasse, entstehe zum Zeitpunkt der gewaltsamen Instituierung des Sozia­listischen Realismus in der Sowjetunion, der Zeit der großen Auferstehung der „monolo­gischen“ Roman-­Epopöe. Mit diesen aktuellen Entwicklungen setze sich Bachtin inhalt­lich nicht auseinander, nur implizit lassen sich seine auf dem Dialo­gischen basierende Romantheorie als eine strukturelle Kritik an den „zentripetalen“ ideolo­gischen Kräften der totalitären Ästhetik lesen. In: Sasse 2010, 122.

Thesen |

Neben einigen anderen seiner Weggefährten aus dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten wie Ėrik Bulatov (geb. 1933), Komar und Melamid (geb. 1943/1945), Pavel ­Pepperštejn (geb. 1966) oder Vladimir Sorokin (geb. 1955) konnte sich Ilya Kabakov auch nach der Perestrojka außerhalb Russlands erfolgreich etablieren, wo ihn seit Anfang der 1990er-­Jahre auch seine Frau Emilia Kabakov (-Kanevsky, geb. 1945 ebenfalls in ­Dnepropetrovsk  6) fördert und unterstützt. Der Systemwechsel brachte für Kabakov keine Einbußen mit sich. Im Gegenteil, mit seiner Emigra­tion nach Amerika setzte erst der große künstlerische Erfolg ein. Dieser liegt nicht allein im exotischen Außenseitertum und in der west­lichen Neugierde auf die Moskauer Konzeptualisten begründet, ­welche Jahrzehnte im Untergrund künstlerisch autark tätig waren. Dieser Erfolg hat vielmehr mit der dialo­gischen, offenen und anti-­hierarchischen Struktur von Kabakovs Werks zu tun. Sein dialo­gisch geprägtes Œuvre lässt sich nicht nur im historischen Spiegel der ehemaligen Sowjetunion betrachten und beurteilen, sondern auch im jüdischen Kontext, im Spiegel seiner jüdischen „Personage“ und der ausgeprägten Kommentierungspraxis, womit eine weitere Sichtweise auf das Dialo­gische wie auch auf sein Werk im Allgemeinen erstmals breiter eröffnet wird. Der dialo­gische Charakter seines Werkschaffens erhält aus dem Blickwinkel seiner jüdischen „Personage“ einen geradezu existentiellen Sinn und erklärt Kabakovs Theorieschrift „Der Text als Grundlage des Visuellen“7 nochmals aus einer ganz anderen Perspektive. Auch wenn Ilya Kabakovs Konzeptkunst tief im vergangenen sowjetischen Alltag verwurzelt ist, ist seine Kunst durchdrungen von universalen Parametern, die ihn als ehemaligen Moskauer Konzeptualisten zum Universalisten machen. Diese universale Lesart steht für Ilya und Emilia Kabakov ganz offensicht­lich Programm, umschreiben sie ihre Arbeitsweise selbst folgendermaßen: “[They] collaborate on environments which fuse elements of the everyday with those of the conceptual. While their work is deeply rooted in the Soviet social and cultural context in which the Kabakovs came of age, their work still attains a universal significance.”8

Kabakov spricht mit und in seinen Werken sowohl allgemeine menschliche Befind­ lichkeiten (Conditio humana) an, als dass er auch aktuelle, zeitgenös­sische Denkbewegungen thematisiert, die seit den 1960er-­Jahren diskutiert werden. Diese pluralistischen Strukturen manifestieren sich geradezu in Kabakovs dialo­gischem System, das er sich – so 6 Emilia Kabakov emigrierte nach ihrer Klavierausbildung in Irkutsk und ihrem Studium der spanischen Sprach- und Literaturwissenschaft an der Moskauer Universität bereits 1973 nach Israel und zog 1975 weiter nach New York, wo sie Ilya 1988 wieder traf und ihn 1992 auch heiratete. 7 KB111. 8 http://www.ilya-­emilia-­kabakov.com/about-­ba/ (1.  April 2016).

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meine Vermutung – mit der Aneignung und Inkorporierung von Bachtins Modell der Dialogizität ganz bewusst schafft. Damit gelingt es Ilya Kabakov näm­lich auch über die Jahrzehnte hinweg, erfolgreich seine eigene Biografie, sein eigenes Leben und seine eigene Vergangenheit zu Kunst zu machen, indem er sein Leben dialo­gisch, im Sinne von Bachtins literaturwissenschaft­lichem Dialogizitätsprinzip künstlerisch verarbeitet, sich selbst dabei aber auch zu einer Kunstfigur erklärt.

Aufbau der Ar beit Die monografische Arbeit ist in drei Hauptteile gegliedert, denen zwei kleinere Kapitel zur ­Theorie und zur allgemeinen Thematik der Moskauer Konzeptkunst vorausgehen. Im Kapitel zur ­Theorie wird das literaturwissenschaft­liche Konzept der Dialogizität von Bachtin dargestellt. Ausgehend davon wird das Dialo­gische auch bei Kabakov eingeführt. Im Zusammenhang mit Bachtins Dialogizitätskonzept werden anhand der Begriffe Heterogenität und Vielheit, Aneignung und Wiederholung postmoderne Theorien diskutiert, deren Aspekte auch in Kabakovs Œuvre mit vertreten sind. Im darauffolgenden Kapitel wird die Moskauer Konzeptkunst vorgestellt. Dabei geht es insbesondere darum, die Eigenheiten des Moskauer Konzeptualistenkreises ­zwischen 1960 und 1990 sichtbar zu machen, die auch in Ilya Kabakovs Œuvre von bedeutender Relevanz sind. Im ersten Hauptteil wird das Dialo­gische bei Kabakov analysiert. Ausgehend von den Kinderbuchillustra­tionen wird auf die einzelnen Strukturelemente eingegangen und aufgezeigt, wie sich diese über die Jahrzehnte hinweg dialogisieren. Es wird sichtbar, dass bereits in Kabakovs Kinderbuchillustra­tionen wichtige Strukturelemente angelegt sind, die er in seine autonome Kunst aufgenommen und weiterentwickelt hat. Es gilt aufzuzeigen, dass es keine Trennung gibt z­ wischen den offiziellen, staat­lich anerkannten und hochgeschätzten Kinderbuchillustra­tionen am Anfang seiner Tätigkeit und dem parallel dazu entstehenden inoffiziellen künstlerischen Schaffen. Bei Ilya Kabakov existiert keine Trennung ­zwischen „hoher“ und „niedriger“ Kunst. Sein dialo­gisches Konzept ent­ wickelt sich ­zwischen Vielheit und Einheit von den Kinderbuchillustra­tionen und den Zeichnungen über die Alben, die Gemälde bis hin zu den Installa­tionen. Dazu kommen vorgenommene Werkverkettungen und Ververschachtelungen, archivarische Verfahren sowie ein stets wachsender Kommentierungsapparat mit fiktiven und realen Stimmen. Zugleich zeichnet sich Kabakovs dialo­gisches Werk durch seine besondere Zuwendung zum Buch als Ideen- und Gedankenträger, aber auch als Ausgangs- und Endpunkt seiner Konzeptkunst aus. Dieser bibliophile Aspekt wird hier anhand seiner Künstler­ bücher analysiert und liest sich in gewissem Sinn als ausführ­licher Kommentar zu meiner Mitarbeit am Werkverzeichnis der Künstlerbücher Kabakovs. Hier wird auch mit Gilles Deleuzes und Félix Guattaris rhizomatischem Denken die Bedeutung von Kabakovs

Quellen |

Künstlerbüchern hergeleitet. Dieses dem Gesamtwerk immanente Dialo­gische bei Ilya Kabakov macht den ersten Hauptteil der vorliegenden Arbeit aus. Der zweite Hauptteil widmet sich den intertextuellen Bezügen Kabakovs und dem ausgewiesenen literarischen Charakter seines Œuvres. Die zahlreichen intertextuellen Bezüge, ­welche ein großes literarisches Netz aufspannen, verweisen auf poststrukturalistische Theo­ rien wie jene von Julia Kristeva oder Roland Barthes, die hier im Bereich der Intertextualität zur Einführung ins Thema diskutiert werden. Die für den Künstler kennzeichnende Narrativik beinhaltet nicht nur die werkimmanenten dialo­gischen Bezüge, sondern auch die intertextuellen Verfahren, Kabakovs künstlerische Aneignungen und Inkorporierungen zahlreicher literarischer Vorbilder aus dem 19. und dem 20. Jahrhundert. Hier wird mit Nikolaj Gogol’, Fëdor Dostoevskij und Anton Čechov, aber insbesondere auch mit den Autoren Marcel Proust, Robert Musil und einer fernöst­lichen Legende als literarischem Motiv der Kontext zu Kabakov hergestellt. Die Ausführungen zu dieser Letzteren zeigen auf, dass in seiner Kunst auch Anknüpfungspunkte außerhalb unserer abendländischen Gesellschaft beheimatet sind. Dies beweisen seine großen Erfolge in Japan seit den 1990er-­ Jahren mit Ausstellungen und Publika­tionen wie auch der Erscheinung des Werkverzeichnisses seiner Kinderbuchillustra­tionen. Dabei schlagen das Narrative seiner Kunst und die Kinderbuchillustra­tionen in gewissem Sinn auch Brücken zur Manga-­Kultur. Neben diesen beiden Hauptkapiteln wird sein Œuvre im dritten und letzten Hauptteil in den Fokus seiner jüdischen „Personage“ gestellt, um darin das Dialo­gische aus einer anderen Perspektive herzuleiten. Es werden erst einige Streif­lichter geworfen und Akzente auf das Judentum in der Sowjetunion und vor allem auf mög­liche jüdische Motive in Kabakovs Werk gesetzt. Der nicht enden wollende Dialog ist nicht nur bei Michail Bachtin von zentraler Bedeutung, sondern auch im Judentum mit seiner Praxis des Kommentierens, mit seinem „dialo­gischen Prinzip“9 (Martin Buber) als Form des Seins und wird als finales Kapitel angesprochen.

Quellen Als Quellen für die vorliegende Forschungsarbeit dienten Kabakovs Künstlerbücher, die im Werkverzeichnis erfasst sind.10 Innerhalb dieser Publika­tionen gilt es, neben den Werkverzeichnissen zu den Installa­tionen, Gemälden und Kinderbuchillustra­tionen sieben Werke besonders herauszustreichen, die für die nachstehenden Studien von Relevanz sind: die beiden Bücher „Die Kunst des Fliehens“ (1991) und „Die Kunst der Installa­ tion“ (1996) mit Dialogen ­zwischen Boris Groys und dem Künstler über verschiedene 9 Vgl. Buber 2012. 10 KB138.

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­ emen, die Kabakovs Werk charakterisieren und gleichzeitig interpretieren.11 ­Weiter Th „Das Leben der Fliegen“ (1992), ein Künstlerbuch mit zahlreichen Texten über die Fliege, die in K ­ abakovs Werk eine zentrale Rolle spielt und anhand derer im Folgenden das Dialo­gische bei Kabakov eingeführt wird;12 das gleichnamige Buch zur Installa­tion NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten (1993), in dem wichtige theore­ tische Grundzüge aus dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten von Künstlern aus dieser Gruppe erläutert werden;13 Kabakovs wichtigste theoretische Schriften zu seinem Œuvre „Über die „totale“ Installa­tion“ (1995) und „Der Text als Grundlage des Visuellen“ (2000), worin er auf den von ihm ausgedachten Begriff der „totalen“ Installa­tion eingeht und seine künstlerische Arbeitsweise z­ wischen Bild und Text über die verschiedenen Gattungen hinweg wie Zeichnung, Album, Gemälde und Installa­tion darlegt.14 Kabakovs Aufzeichnungen über das inoffizielle Leben in Moskau aus den 1960er- und 1970er-­Jahren geben schließ­lich neben biografischen Fakten vor allem Aufschluss über seine künstlerische Entwicklung ­zwischen Zeichnung, Album und Gemälde.15

Forschungsstand Vorzumerken ist, dass Ilya Kabakov und dessen wichtige Weggefährten aus dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten wie Boris Groys oder Sascha Wonders (ein ehemaliges Mitglied aus der Gruppe Kollektive Ak­tionen des Moskauer Konzeptualisten Andrej Monastyrskij) bis in die jüngste Zeit immer wieder selbst die eigene Historiografie beeinflussen und steuern. Diese (archivarische) Strategie gehört mitunter zur künstlerischen Arbeit der Moskauer Konzeptualisten und wird in dieser Arbeit immer wieder Teil der Auseinandersetzung sein. Zu erwähnen ist auch Kabakovs eigene Publika­tionstätigkeit mit seinen heute annähernd 140 Künstlerbüchern, die wiederum wissenschaft­liche Abhandlungen von ihm selbst und anderen Autoren zum Inhalt haben. In dieser immensen Textflut ist es nicht immer ganz einfach, Produk­tion und Rezep­ tion, Quellen und Forschungsliteratur stringent auseinanderzuhalten, greifen diese Zahnräder doch oft ineinander und bedingen sich gegenseitig. Diese Vielstimmigkeit gehört mitunter zum Dialo­gischen bei Ilya Kabakov. Dennoch wird erst ein breiter gefasster Überblick zu den wichtigsten Publika­tionen zu Ilya Kabakov folgen, bevor auf die Spezifik der literaturwissenschaft­lichen Interpreta­tion eingegangen wird.

11 12 13 14 15

KB47; KB91. KB50. KB62. KB83; KB111. KB116; KB107.

Forschungsstand |

In erster Linie sind dabei Boris Groys’ unabhängige Publika­tionen außerhalb Russlands seit Ende der 1980er-­Jahre zu erwähnen, in denen er als dominanter Spiritus rector einerseits das Werk Kabakovs analysiert und interpretiert, andererseits Kabakov im Kontext der Moskauer Konzeptkünstler und der sowjetischen Kultur beleuchtet. Nament­ lich sind dies: „Gesamtkunstwerk Stalin. Die gespaltene Kultur in der Sowjetunion“ (1988/1996), indem er auf den Utopiebegriff und seine ambivalente Bedeutung in der sowjetischen Kultur eingeht und zum Verständnis der eigentüm­lichen Atmosphäre in der Wirkungszeit der Moskauer Konzeptualisten beiträgt; „Zeitgenös­sische Kunst aus Moskau. Von der Neo-­Avantgarde zum Post-­Stalinismus“ (1991), ein erster Versuch, die Protagonisten der inoffiziellen Kunst in der Sowjetunion z­ wischen 1960 und 1990 zusammenzufassen; „Die Erfindung Russlands“ (1995), eine Essaysammlung über das Verständnis der rus­sischen Kultur, die sich immer wieder z­ wischen Ost und West neu zu posi­tionieren hat; „Am Nullpunkt: Posi­tionen der rus­sischen Avantgarde“ (2005), worin Groys, ausgehend von der rus­sischen Avantgarde, mit Kazimir Malevičs Suprematismus die Aufbruchsstimmung der rus­sischen Kultur und deren späteren Zerfall in der Ästhetik des Sozia­listischen Realismus nachzeichnet.16 Amei Wallachs Monografie Ilya Kabakov. “The man who never threw anything away” (1996) gibt wohl eine unkritische, aber biografisch exakte (Werk-)Übersicht, und ­Matthew Jesse Jacksons tief angelegte Recherche “The experimental group. Ilya Kabakov. Moscow conceptualism. Soviet avant-­gardes” (2010) bringt weniger historisch neue Fakten zutage, als dass er diese in einem neuen, interessanten Licht erscheinen lässt.17 Hat insbesondere Groys mit seinen Beiträgen in den 1990er-­Jahren Kabakov im deutschsprachigen Raum bekannt gemacht, stellt nun Jacksons facettenreiche Darstellung des Künstlers und der Gruppe der Moskauer Konzeptualisten einen Höhenpunkt im angloamerikanischen Raum dar. Schließ­lich werden noch drei Kataloge zu Ausstellungen in der Schweiz aus den 1980er-­Jahren genannt, die bezeichnenderweise im Zusammenhang mit Kabakovs west­ licher Rezep­tion eine entscheidende Rolle gespielt haben: „Ilya Kabakov. Am Rande“, Kunsthalle Bern 1985, Kabakovs erste Einzelausstellung außerhalb der Sowjetunion; „Gegenwartskunst aus der Sowjetunion. Ilya Kabakov und Ivan Čujkov“, Museum für Gegenwartskunst Basel 1987; und „Ich lebe. Ich sehe. Künstler der achtziger Jahre in Moskau“, Kunstmuseum Bern 1988.18 Paul R. Jolles liefert dazu mit seiner Niederschrift „Memento aus Moskau. Begegnungen mit inoffiziellen Künstlern 1978 – 1997“ wichtige, informative Hintergründe.19 16 17 18 19

Groys 1988/1996; Groys 1991; Groys 1995; Groys 2005. Wallach 1996; Jackson 2010. Ausst.Kat. Bern 1985. Vgl. dazu auch KB16; Ausst.Kat. Basel 1987; Ausst.Kat. Bern 1988. Jolles 1997.

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Die interdisziplinäre Diskussion um Kabakovs dialo­gische Werkstruktur wird mit einigen wenigen Ausnahmen von slavischen Sprach- und Literaturwissenschaftlern dominiert und geführt.20 Dabei kommt aber weniger die strukturelle Nähe zu Bachtins Dialo­ gi­zitätsprinzip und noch seltener der Bezug zum dialo­gischen Prinzip im Judentum als vielmehr das literarische Bewusstsein in Kabakovs Kunst zur Sprache und wird mit gewissen (rus­sischen) literarischen Tradi­tionslinien in Verbindung gebracht. Einige Ausführungen zum Literarischen bei Kabakov werden hier vorgestellt, allerdings ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Ilya Kabakovs struktureller Rückgriff auf das literaturwissenschaft­liche Dialogizitätsmodell von Michail Bachtin wird anfangs der 1990er-­Jahre vom ehemaligen Mitglied der Moskauer Konzeptualisten Boris Groys zur Sprache gebracht. So kennzeichne, argumentiert Groys 1991, die Vieldeutigkeit, eine Art Unvollkommenheit und Unbestimmtheit, aus Prinzip Kabakovs Kunst. „Sein Bemühen, die ‚Monologizität‘ des theoretischen Denkens zu überwinden, indem er sie in die ‚Polyphonie‘ des Erzählers integriert“21, verweise auf Michail Bachtin, so Boris Groys, und damit auf den ausgewiesen literarischen Werkcharakter von Kabakovs Konzeptkunst. In seinem Aufsatz „Der ein-­gebildete Kontext“ (1994) betont Groys allerdings primär die „rein strukturelle Nähe“ zu Bachtin. Gleichzeitig spricht er sich für eine prononcierte Defini­tion von Kabakovs dialo­gisch geprägter Kunst aus: „Die Anknüpfung an die Literatur – und vor allem an die klas­sische, rus­sische Literatur – ist allerdings das Alles-­Entscheidende in der Kabakovschen [sic] Kunst. Kabakov hat in der Benutzung des Textes innerhalb eines Bildes, die die konzeptualistische Kunst im Westen praktiziert hat, die Chance gesehen, seine Kunst zu literarisieren, indem er klas­sische, rus­ sische literarische Tradi­tion ‚verbild­licht‘ hat.“22

Dabei zieht Groys den Vergleich zum „polyphonen Roman“ von Michail Bachtin: „Die Bilder von Kabakov funk­tionieren wie Bachtinische [sic] ‚polyphonische Romane‘: Sie sind stumm, aber sie öffnen ihren Figuren die Mög­lichkeit der sinnvollen, kontextbestimmten Sprache. Diese rein strukturelle Nähe zu Bachtin wird zudem von den stilistischen Paral­ lelen und Vorlieben ergänzt: Kabakov benutzt bei der Beschreibung seiner malenden oder kommentierenden Figuren die charakteristischen Mittel der rus­sischen Literatur von Gogol’ bis Dostoevskij, die Bachtin als ‚polyphonische‘ beschrieben hat.“23

20 Vgl. Jackson 2010; Wallach 1996. 21 Groys 1991 f, 161. 22 Groys 1994, 272. 23 Ebd., 273.

Forschungsstand |

Neben Boris Groys setzen sich die Slavisten Sylvia Sasse und Stephan Küpper um die letzte Jahrtausendwende mit Kabakovs literarischen Werkstrukturen und den Theorien Bachtins auseinander. Sasse untersucht in „Texte in Ak­tion. Sprech- und Sprachakte im Moskauer Konzeptualismus“ (2003) auch unter Einbeziehung des dialo­gischen Prinzips Bachtins die Schreib- und Sprachweisen von Künstlern und Autoren des Moskauer Konzeptualistenkreises.24 Küpper formuliert in seinem Buch „Autorstrategien im Moskauer Konzeptualismus. Ilya Kabakov, Lev Rubinštejn, Dmitrij A. ­Prigov“, ausgehend von Kabakovs Albenserie Zehn Personen 25 aus den 1970er-­Jahren, die polyphone Romantheorie von Bachtin und baut diese erstmals auf das ganze bisherige Werk Kabakovs aus (1998/2000).26 Der Autor nennt dabei auch „Rahmungen“, „Neu-­ Rahmungen“, die der Künstler immer wieder vornehme, um sein Œuvre voranzutreiben und zu strukturieren, aber auch „Rahmungen“, „Fragmente“, die sich aufeinander beziehen.27 Sasses wie Küppers wichtige Erkenntnisse zu ­diesem Thema fließen an einigen Stellen in die vorliegende Arbeit mit ein. Der Galerist Johan Deumens spricht 1998 ebenfalls von der „gerahmten Zeichnung“: „Kabakov fügt gezeichnete Elemente auf einem Blatt Papier zusammen, die einen Dialog miteinander beginnen oder dies zumindest vorgeben.“28 Küpper thematisiert dagegen auch den nicht enden wollenden Dialog, der Ilya ­Kabakovs Werkstruktur charakterisiere, und weist darauf hin, dass im polyphonen Roman nach Bachtin jede Figur versuche, in der Auseinandersetzung mit fremden Stimmen ihre persön­liche Posi­tion durchzusetzen, ohne dass letzt­lich eine Posi­tion privilegiert, verabsolutiert würde.29 Der polyphone Roman, so Küpper weiter, realisiere eine Kontaktzone ­zwischen individuellen Bewusstseinen, in der sich jedes Bewusstsein nur über den Kontakt mit anderen konstituiere, ohne aber mit ihnen zu verschmelzen: „Weil sie nur im Dialog existieren, kann niemand an der Beendigung ­dieses Dialogs zugunsten einer absoluten, jenseits des Rahmens der dialo­gischen Welt gelegenen Wahrheit interessiert sein.“30

24 Sasse 2003. 25 Je nach deutscher Übersetzung wird diese Albumserie mit Zehn Personen, Zehn Personagen oder Zehn Alben betitelt. Damit keine Verwechslung z­ wischen dieser und der späteren Installa­tionsserie Zehn Personagen aus den 1980er-­Jahren entsteht, wird im Folgenden ausdrück­lich von den Zehn Personen die Rede sein, wenn es um die zehn Alben geht, und von den Zehn Personagen, wenn es um die zehn Installa­tionen geht. Zum Begriff der „Personage“ vgl. Kapitel 3.4.6. 26 Küpper 2000, 64 – 69. Vgl. auch Küpper 2000b, 127 – 137. 27 Küpper 2000a, 64 – 69. 28 Deumens 1998, 38. 29 Küpper 2000a, 64 – 69. 30 Ebd., 65.

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Der intertextuelle Bezug zur Belletristik in Ilya Kabakovs Konzeptkunst, wie ihn oben bereits Groys und Küpper, ausgehend von Bachtins Dialogizitätstheorie, herstellen, wird seit den 1990er-­Jahren zwar immer wieder thematisiert und in verschiedenen litera­rischen Kontexten angesprochen – vor allem auch im Zuge von Kabakovs Bekanntwerden außerhalb der Sowjetunion und im Zusammenhang mit der west­lichen Rezep­tion der Moskauer Konzeptkunst Ende der 1980er- bzw. Anfang der 1990er-­Jahre –, weniger aber im kunstwissenschaft­lichen Bereich verortet. Die wichtigsten literarischen Aneignungen und Inkorporierungen Kabakovs, aber auch mög­liche literarische Tradi­tionslinien werden hier genannt. Groys bezeichnet 1991 Ilya Kabakov als „den Künstler als Erzähler“ und definiert „die narrativen Strukturen“ als „das grundlegende Verfahren Kabakovs“.31 In dieser narrativen Werkbeschaffenheit vergleicht er den Künstler mit einem Schriftsteller, wobei das Dialo­gische nach Bachtin nicht beim Namen genannt, jedoch in seinen Merkmalen umschrieben wird: „Wie ein erfahrener Romanschriftsteller verwickelt Kabakov seine Handlung immer wieder aufs neue [sic], denkt sich Seitenlinien aus, die dann ein plötz­liches Licht werfen auf den Gang des Hauptgeschehens, gibt sich scheinbar Umwegen hin, die sich irgendwann als durchaus notwendig für die Gesamtkonstruk­tion erweisen, zwingt zu dauerndem Erinnern, indem er bereits Gesagtes oder halb Vergessenes zur Erklärung neuer Verwicklungen heranzieht, fordert ein ständiges Überdenken des bereits Bekannten unter neuen Umständen usw. Wie bei vielen großen Romanschriftstellern – etwa Balzac, Proust, Faulkner oder Nabokov – stellt das gesamte Schaffen Kabakovs im Grunde ein einheit­liches Ganzes dar, in dem jede Einzelheit als Verdeut­lichung, Erklärung oder Widerlegung anderer Einzelheiten fungiert.“32

Zugleich bemerkt Groys: „Jeder, der eine zeitlang das Schaffen Kabakovs beobachten konnte, konnte bemerken, dass es in vielem auf die Umgruppierung, Restrukturierung des schon Gemachten zielt.“33 So strebe Kabakov, argumentiert Groys weiter, auf jeder Stufe seiner Entwicklung danach, alles früher Geschaffene sowie mög­lichst alles, was er früher nicht beachtet habe – alles Weggeworfene, Abgeschnittene, Losgelöste, Vergessene, außerhalb des Rahmens Gebliebene – in eine einheit­liche Struktur zu integrieren und einem einheit­lichen Organisa­tionsprinzip zu unterwerfen. Diese Struktur beginne schon bei den winzigsten Systemelementen, den elementaren Komponenten ihrer ­­Zeichen.34 31 Groys 1991g, 154. 32 Ebd., 162. 33 Groys 1991h, 167. 34 Ebd.

Forschungsstand |

1994 greift Sascha Wonders (Pseudonym von Sabine Hänsgen) zusammen mit Günter Hirt auf den Typus des „kleinen Manns“ im Zusammenhang mit Kabakovs Erzählstil des skaz’ (skaz’at, russ. „sagen“) zurück: „Kabakov überträgt das stilistische Verfahren des ‚Skaz’‘ [sic] – gemeint ist die Nachahmung einer umgangssprach­lichen, fehlerhaften, an der Sprechweise des ‚kleinen Mannes‘ orientierten münd­lichen Erzählrede –, das in der rus­sischen Erzähltradi­tion eine grosse Bedeutung hatte, in die Gattung des theoretischen Kommentars.“35

Auch Boris Groys spricht in „Der rus­sische Künstler als Autor eines humoristischen ­Romans“ (1995) vom „kleinen Mann“ in der klas­sischen rus­sischen Literatur, den Kabakov mit seinen Masken und Figuren des trivialen, mittelmäßigen, erfolglosen Künstlers erschaffe.36 Und laut dem Slavisten Aage A. Hansen-­Löve finde sich die Geschichte des „kleinen Mannes“, wie sie Gogol’ und Dostoevskij initiierten, in den narrativen Gattungen Ilya Kabakovs: „Dafür nimmt Kabakov eben jene Diskurstradi­tion des Realismus in Anspruch, die von Gogol’ über Dostoevskij zu Čechov führt […] und eben die Kunst der sinnentleerenden Rede, das ‚Stammeln‘ hervorbringt. Diese ewigen ‚Erörterungen der Erörterungen‘, das im Kreise Reden, Stammeln, Fabulieren, Abschweifen, also eine hypertrophe Geschwätzigkeit, in der jeder Gegenstand, jede Tat aufgelöst, analysiert und paralysiert wird – all das gipfelt im Gemurmel, im unübersetzbaren Gruppendiskurs der Konzeptualisten selbst: Vom Idiolekt der Insider zum Idiotischen als letzter Ausläufer des Eigenen und Individuellen gibt es keinen Sprung.“37

Sowohl Groys als auch Hansen-­Löve greifen auf eine weitere literarische Tradi­tionslinie zurück, in der sie Kabakov und den Kreis der Moskauer Konzeptualisten vor allem im Zusammenhang mit deren Illustratorentätigkeit sehen. Zur Erwähnung kommt die Gruppe „Obėriu“ aus den 1920er- und 1930er-­Jahren aus Leningrad/St. Petersburg, deren wichtigste Mitglieder Daniil Charms, Konstantin Vaginov, Aleksandr Vvedenskij und Nikolaj Zabolockij waren. So schreibt Hansen-­Löve: „Die Herkunft Kabakovs – aber auch anderer Konzeptualisten – aus der Sphäre der Graphik, Buchillustra­tion und/oder Kinderliteratur erinnert unweiger­lich an die Kinderbuchexistenz der Obėriuty in den 30er Jahren. Gerade in den ‚Alben‘ Kabakovs, die ­zwischen den Bildtafeln und den Installa­tionen vermitteln, zeigt sich auch der für die Tradi­tion der ‚pošlost‘ [Banalisierung] 35 KB74, 192. 36 Groys 1995b, 210. Vgl. auch Groys 1995c, 18. 37 Hansen-­Löve 1997, 472 – 473.

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typische Zusammenhang z­ wischen Dilettantismus bzw. ‚ljubitel’stvo‘, Didaktismus, Kinderbuchstil und Privatheit bzw. Idiotie. Die ‚Schulheft-­Ästhetik‘ der Obėriuty trifft sich hier mit einem Genre, das frei­lich nicht am Anfang bzw. Höhepunkt des Stalinismus steht – sondern am Ende. Der für die rus­sische und späterhin sowjetische Kultur so charakte­ristische Hang zum Didak­ tischen, zur Belehrung und Lebenshilfe, feiert in diesen pseudo­naiven Genres fröh­liche Urständ.“38

Kabakov spricht 1991 von seinen Kinderbuchillustra­tionen als „Pfuscharbeit“: „Offiziell arbeitete ich als Illustrator von Kinderbüchern, und meine Illustra­tionen waren im Grunde Imitate echter Kinderbuchillustra­tionen, Pfuscharbeit. Doch das fiel niemandem auf, ich hörte von allen Seiten nur Lob.“39

Er betreibe sein dilettantisches Spiel auf höchstem offiziellem Niveau. Entsprechend, so Hansen-­Löve weiter, verweise die Selbststilisierung des Autors (Kabakov) als subalterner Archivar und/oder als „Laienkünstler“ in der Mystifika­tion des „ŽĖK “ auf die in der rus­sischen Prosa des 19. Jahrhunderts – vor allem bei Gogol’ und besonders bei Dostoevskij – reiche Tradi­tion des dilettantischen, „schlechten Schriftstellers“ bzw. Schreibers. Dessen „pošlost“ unterlaufe die Norm eines „schönen Stils“ ebenso, wie er auf eine neue Authentizität des Synchron-­Schreibens abziele.40 Nebst Ilya Kabakovs eigenen Bemerkungen zu seinem Jüdischsein ist es wiederum Groys, der Anfang der 1990er-­Jahre im Gespräch mit dem Künstler dessen eigenes Verhältnis zur rus­sischen Kultur, aber auch die Charakteristiken wie seine Vorliebe zum Text und damit das typische Narrative in seiner Kunst mit seiner jüdischen Identität in Verbindung bringt: „Alle Eigenschaften […] werden gewöhn­lich mit der spezifisch jüdischen Wahrnehmung der Welt in Verbindung gebracht […].“41 Auch im Gespräch mit Andreas Kreul 1998 wird Kabakovs jüdische Identität angesprochen, spezifisch jüdische Motive wie „Der kleine Mann“ in den Zusammenhang mit seiner Religion gestellt.42 Dabei werden einige jüdische Motive beim Namen genannt, aber nicht weiter erläutert oder gar in Kabakovs Œuvre verortet. Kabakovs dialo­gisch geprägte Werkstruktur wird dabei in keiner Weise mit dem dialo­gischen Prinzip von Martin Buber erwähnt, außer vom Künstler selbst.43

38 39 40 41 42

Hansen-­Löve 1997, 483. KB47, 41. Hansen-­Löve 1997, 482. KB47, 126 – 127. „Ich kontrolliere nur eine Situa­tion.“, Ilya Kabakov im Gespräch mit Andreas Kreul, in: Ausst.Kat. Bremen 1998, 21 – 27. 43 Vgl. Ausst.Kat. Bern 1988, 70.

Forschungsstand |

Kabakov selbst hatte die Mög­lichkeit, sich auch an einer Gruppenausstellung von acht ausgewählten, zeitgenös­sischen jüdischen Künstlern im Jüdischen Museum in New York zu beteiligen. Dazu ist auch ein Ausstellungskatalog erschienen.44 Einen wichtigen Beitrag und historischen Überblick zum jüdischen Hintergrund der Moskauer Konzeptualisten leistet das Buch “Russian Jewish artists in a century of change: 1890 – 1990” (1996) von Susan Tumarkin Goodman, worin sich auch zwei erhellende Aufsätze von Viktor Misiano (“Choosing to be Jewish”) und Boris Groys (“From interna­tionalism to cosmopolitanism. Artist of Jewish descent in the Stalin era”) zum Thema finden, deren Ausführungen ebenfalls Einlass in die vorliegende Arbeit finden.45

44 Ausst.Kat. New York 1993. 45 Tumarkin Goodman 1996; Misiano 1996, 89 – 95; Groys 1996, 81 – 88.

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1 ­Theorie

1.1 Dialogizität in den Künsten Ilya Kabakov arbeitet seinerseits an einer dialo­gischen Werkstruktur seit Anfang der 1970er-­Jahre, die sich einerseits auf Bachtins literarisches Konzept bezieht und d­ ieses andererseits in die Gattung der bildenden Kunst transferiert. Nachfolgend wird diese theo­ retische Grundlage ausgehend von Bachtin erläutert. Daran schließt sich ein kleiner Vergleich über ein mög­liches dialo­gisches Denken im filmischen Werk von Sergej ­Ėjzenštejn (1898 – 1948) an, und schließ­lich wird das Konzept in Ilya Kabakovs Œuvre dargelegt. 1.1.1 Dialogizität bei Michail Bachtin Sein dialo­gisches Konzept entwirft Bachtin in den 1920er-­Jahren als Antwort auf verschiedene zeitgenös­sische Theoriemodelle wie dem Marxismus, dem rus­sischen Formalismus, dem Neukantianismus, der Phänomenologie, der Lebensphilosophie und der Religionsphilosophie.1 Bachtin setzt sich auch mit Martin Bubers Schriften auseinander, mit denen er während seiner Studienjahre bekannt gemacht wird. Die dialo­gische Beziehung z­ wischen dem Ich und dem Du, ­zwischen Subjekt und Objekt ist in jenen Jahren von großer Bedeutung und wird vor allem stark geprägt von Martin Bubers Schrift „Ich und Du“ (1919 – 1923/1923 publiziert), die eng mit Franz Rosenzweigs „Der Stern der Erlösung“ (1921) und Ferdinand Ebners „Das Wort und die geistigen Realitäten – Pneumatolo­gische Fragmente“ (1921) verbunden ist.2 Die „bubersche Ich-­Es Beziehung“3 beschäftigt Bachtin aber in erster Linie „im Rahmen des ästhetischen Handelns“4. Den anderen zu entpersonalisieren, ihn zum Objekt zu machen, werde für Bachtin zur Ausgangsfrage des Verhältnisses von Autor und Figur, so Sylvia Sasse.5 Bachtin entwickelt

1 Vgl. Schmid 2008, 7 – 32. 2 Bachtin reihe sich hier, so Sylvia Sasse, mit seiner auf der Beziehung zum anderen fußenden ­Ersten Philosophie in eine ganze Reihe von Entwürfen ein, die die Beziehung von Ich und anderem, Ich und Du sowie von Subjekt und Objekt in den Mittelpunkt stellten. Sowohl in der Phänomenologie als auch in der Lebensphilosophie, dem Neukantianismus und der Religionsphilosophie spiele die Beziehung ­zwischen Ich und anderem zu Beginn der 1920er-­Jahre eine große Rolle. In: Sasse 2010, 32 – 33. 3 Sasse 2010, 34. Allerdings hebt Sasse hervor, dass sich Bachtin nicht mit Martin Bubers Entwurf zum „dialo­gischen Prinzip“ befasst haben könne. Denn bei Buber tauche das Dialo­gische als Begriff erst um 1932 in seinem Buch „Zwiesprache“ auf, bei Bachtin bereits 1929. Ebd., 92. 4 Ebd., 92. 5 Ebd.

Dialogizität in den Künsten  |

seine Literaturtheorie der Dialogizität anhand der Beziehung ­zwischen dem Ich und dem anderen, dem Ich und dem Du, ­zwischen Subjekt und Objekt, denn erst durch die Wahrnehmung des anderen kann man sich seines eigenen Ichs gewahr werden, sich als Du begreifen. Der andere hingegen braucht das Ich, um sich als anderer zu erkennen.6 Eine weitere Rolle bei Bachtins Entwicklung des Dialogizitätskonzepts dürften nament­ lich auch die linguistischen Studien von Valentin Vološinov (1895 – 1936) gespielt haben, auch wenn sich laut Sasse Bachtin und Vološinov vor allem in der dialektisch und dialo­gisch konzipierten Wechselbeziehung von Leben und Diskurs, Form und Inhalt unterscheiden.7 Interessanterweise veröffent­licht Vološinov 1927 das Buch „Freudismus. Kritische Studien“, worin er die These aufstellt, dass die Psyche ein gesellschaft­lich organisiertes Phänomen sei.8 Die Publika­tion erscheint allerdings zu einer Zeit, in der sich nach dem großen Aufsehen um die Freud’sche Psychologie in der Sowjetunion der frühen 1920er-­Jahre der Wind gedreht hat. Bereits ab 1925 wird die Psychoanalyse von Stalin immer mehr abgelehnt, schließ­lich 1930 verboten und durch die Reflexologie als wissenschaft­lich objektivere Methode ersetzt. Im Buch „Probleme der Poetik Dostoevskijs“ („Problemy tvorčestva Dostoevskogo“, 1929/1963) widmet sich Bachtin der polyphonen Schreibweise Dostoevskijs.9 Seine Romane ­seien nicht als Ganzheit eines Bewusstseins konzipiert, das andere Bewusstseine als Objekte in sich aufnehme, sondern als Ganzes, in dem verschiedene Bewusstseine in Wechselwirkung miteinander stehen würden, ohne dass eines von ihnen gänz­lich zum Objekt eines anderen würde.10 Der ganze Roman ist gemäß Bachtin als ein „grosser Dialog“11 angelegt. Bachtin erklärt: 6 Vgl. dazu die Erläuterungen von Grübel 2008, 334. 7 Folgende Ausführungen basieren auf: Sasse 2010, 99 – 114, hier: 100. Vgl. Hirshkop 1999; Poole 2001, 109 – 135; Alpatov 2005. 8 Vgl. dazu Sasse 2010, 102, und Vološinov 2000, 95 – 194. 9 Im Gegensatz zur dialo­gischen Schreibweise Dostoevskijs bezeichnet er Tolstojs als monolo­gischen, abgeschlossenen Stil. Tolstojs Helden s­ eien abgeschlossen: „Der Standpunkt des Autors kann mit dem des Helden nicht in demselben Bereich, nicht auf derselben Ebene zusammentreffen. […] Aber nicht eine von ihnen [Stimmen] befindet sich auf derselben Ebene wie Wort und Wahrheit des Autors, nicht zu einer von ihnen verhält sich der Autor dialo­gisch. Sie alle sind mit ihren Horizonten, ihren Wahrheiten, mit ihrem Suchen und ihren Streitgesprächen in das sie abschliessende, monolithisch-­monolo­ gische Ganze des Romans integriert, das bei Tolstoj nie wie bei Dostoevskij ein ‚grosser Dialog‘ ist.“ In: Bachtin 1985, 81. In ideolo­gisch-­politischer Hinsicht ist dabei auch die Tatsache interessant, dass Lenin Tolstoj zu seinem Vorbild erklärt. Die Idee der Polyphonie ist auch gegen das Monolo­gische der Ideologie gerichtet. Vgl. dazu Grübel 1979, 7 – 20. Kabakov hat davon sicher­lich Kenntnis, wenn er im Gespräch mit Boris Groys die Aussage macht: „Es hört sich so an, als hätten wir einen D ­ emiurgen, so einen Lev Tolstoj, der all seine Personen dominiert und sie lenkt. Doch das ist falsch: der Autor [Kabakov] ist eben gerade kein solcher Demiurg.“ In: KB47, 39. 10 Bachtin 1985, 23. 11 Ebd., 49.

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„Die Vielfalt selbstständiger und unvermischter Stimmen und Bewusstseine, die echte Polyphonie vollwertiger Stimmen ist tatsäch­lich die Haupteigenart der Romane Dostoevskijs. In seinen Werken wird nicht eine Vielzahl von Charakteren und Schicksalen in einer einheit­ lichen, objektiven Welt im Lichte eines einheit­lichen Autorenbewusstseins entfaltet, sondern eine Vielfalt gleichberechtigter Bewusstseine mit ihren Welten wird in der Einheit eines Ereignisses miteinander verbunden, ohne dass sie ineinander aufgehen.“12

Wobei Bachtin die Polyphonie als „pluralistisch“13 definiert, in der vor allem die „Koexistenz“14 gleichwertiger und vollständiger Stimmen von Bedeutung ist, währenddessen im Dialo­gischen insbesondere die „Wechselwirkung“ ­zwischen den einzelnen Stimmen und „ihre Beziehung zueinander in einem einzigen Augenblick“15 im Vordergrund steht: „In jeder Stimme konnte er [Dostoevskij] zwei miteinander streitende Stimmen hören, in jeder Äusserung einen Bruch und die Bereitschaft, sofort zu einer anderen, entgegengesetzten Äusserung überzugehen; in jeder Geste entdeckte er Sicherheit und Unsicherheit zugleich; er begriff die tiefe Zweideutigkeit und Vieldeutigkeit jeder Erscheinung.“16

Diese Vielstimmigkeit und Redevielfalt findet eher „auf einer Ebene“ im Raum statt, weniger aber „zeit­lich, innerhalb einer evolu­tionären Reihe“17. Bachtin definiert in „Das Wort im Roman“ („Slovo v romane“, 1934/1935), der Roman sei künstlerisch organisierte Redevielfalt, zuweilen Sprachvielfalt und individuelle Stimmenvielfalt.18 Jede von ihnen begründe eine Vielzahl von sozia­len Stimmen und eine Vielfalt von (immer mehr oder weniger dialogisierten) Verbindungen und Korrela­tionen z­ wischen den Aussagen und den Sprachen. Diese Bewegung des Themas durch Sprachen und Reden, deren Aufspaltung in Elemente der sozia­len Redevielfalt, ihre Dialogisierung: dies mache die grundsätz­liche Besonderheit der Stilistik des Romans aus.19 Im Gegensatz zum abgeschlossenen Konzept des Monolo­gischen behalte sich, so Bachtin, das Wort im Dialo­gischen immer eine Hintertür offen.20 Das an Dostoevskijs „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ angelehnte „Wort mit Hintertür“ (lazeijka) lässt 12 Bachtin 1985, 10. 13 Ebd., 33. 14 Ebd., 34. 15 Ebd. 16 Ebd., 37. 17 Ebd. 18 Bachtin 1979a, 154 – 300, hier: 156 – 157. 19 Ebd. 20 Bachtin 1985, 262.

Dialogizität in den Künsten  |

sich die Mög­lichkeit offen, durch eine Öffnung, durch ein Schlupfloch sich dem letzten Sinn, der letzten Bedeutung zu entziehen: „Wenn das Wort eine entsprechende Hintertür offen lässt, muss sich das unvermeid­lich auf die Struktur auswirken. Dieser mög­liche andere Sinn, d. h. die offengelassene Hintertür, begleitet das Wort wie ein Schatten. Seinem Sinne nach muss das Wort mit der Mög­lichkeit zur Ausflucht ein letztes Wort sein und es gibt sich als solches aus, aber in Wirk­lichkeit ist es nur vorletztes Wort und setzt nur einen bedingten, keinen endgültigen Punkt hinter sich. Das Selbstbekenntnis, das sich einen Ausweg offenhält (eine bei Dostoevskij sehr verbreitete Form), ist ihrer Bedeutung nach letztes Wort über sich selbst, endgültige Selbstbestimmung, aber in Wirk­lichkeit rechnet es inner­lich mit einer entgegengesetzten Beurteilung durch den anderen.“21

So mache die Mög­lichkeit zur Ausflucht alle Selbstbestimmungen der Helden schwankend, das Wort nehme keine feste Bedeutung in ihnen an und sei wie ein Chamäleon bereit, jeden Augenblick seinen Ton und seinen letzten Sinn zu verändern.22 In den 1960er-­Jahren spricht Bachtin vom „Hintertüradressaten“ (lazeečnyj adresat), von dem, der in den übersetzenden Worten Sasses über ein absolut antwortendes Verstehen verfüge und dem das Wort in der Zukunft eine andere Bedeutung zu geben vermöge.23 Grundsätz­lich ist der Dialog nach Bachtin unabschließbar: „Sein bedeutet, sich dialo­gisch zueinander verhalten. Wenn der Dialog aufhört, hört alles auf. Deshalb kann und darf der Dialog im Grunde genommen nicht aufhören.“24 Alles in den Romanen Dostoevskijs begegne sich im Dialog, in der dialo­gischen Opposi­tion als seinem Zen­trum. Alles sei Mittel, der Dialog allein sei das Ziel. Eine einzelne Stimme beende nichts und entscheide nichts. Zwei Stimmen s­ eien das Minimum des Lebens, das Minimum des Seins, so Bachtin weiter. In seinen Arbeitsnotizen aus den 1960erund 1970er-­Jahren resümiert er, dass jede „Äusserung immer schon vorangehende und ihr nachfolgende Äusse­rungen voraussetzt“, dass „keine Äusserung die erste oder die letzte sein“ könne, dass jede „Äusserung ledig­lich Glied in einer Kette [ist] und deshalb ausserhalb dieser Kette nicht erforscht werden“ kann.25 Bachtin spricht von der „prinzipielle[n] Unabgeschlossenheit“ und von der „dialo­gische[n] Offenheit der künstlerischen Welt Dostoevskijs“26.

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Bachtin 1985, 262. Ebd., 264. Sasse 2010, 9. Bachtin 1985, 285. Bachtin 2002, 394, hier zit. nach: Sasse 2010, 89. Bachtin 1985, 305.

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Bachtin bezieht sich stets auf literarische Beispiele in seinen Schriften, d. h. er ent­ wickelt das Konzept des Dialo­gischen an der Literatur, nie bezogen auf andere Medien als Sprache. Sprache ist für ihn prinzipiell dialo­gisch, es sei denn, ein Autor oder ein Sprecher tilge das dialo­gische Wesen der Sprache in seiner Verwendung von Sprache. So sind nach Bachtin monolo­gische Werke ­solche, die das dialo­gische Wesen der Sprache ausschalten. Dieses dialo­gische „Weltmodell“ findet sich auch in der Werkstruktur und im Œuvre von Ilya Kabakov. Dieser übersetzt es in ein neues künstlerisches Prinzip, das nicht mehr nur für die Literatur gilt, auch wenn er mit Elementen des Literarischen, mit literarischen Texten in seinen künstlerischen Werken arbeitet. Und dennoch muss gefragt werden: Ist Dialogizität als Modell für Literatur und sprach­ liche Äußerungen auch für andere Medien zu verwenden?27 Was bedeutet es, von einem dialo­gischen oder polyphonen Bild zu sprechen? Oder anders gefragt: Wie funk­tioniert Polyphonie nach Bachtin in der bildenden Kunst? Setzt dialo­gisches Arbeiten ganz grundsätz­lich die Literatur, den Text voraus oder kann sich dies auch bild­lich manifestieren? Zum Vergleich: Sergej Ėjzenštejn erarbeitet in den 1920er-­Jahren eine Montagetheorie für den Film („Attrak­tionsmontage“), in der er von der Mög­lichkeit einer „polyphonen Montage“ spricht und damit indirekt auf Bachtins horizontale Beziehungsebene ­zwischen den einzelnen Akteuren verweist – auch wenn es unwahrschein­lich ist, dass Ėjzenštejn sich auf Bachtins Buch bezieht.28 In Ėjzenštejns Konzept geht es wie bei Bachtin auch um eine ahierarchische Beziehung z­ wischen einzelnen Elementen, und zwar z­ wischen den montierten Filmbildern. Diese sollen sich nach Ėjzenštejn auf der gleichen horizontalen Ebene in einer Assozia­­tionskette befinden.29 Hinzu kommt, dass Ėjzenštejn über das „Prinzip der zweiten Stimme“ reflektiert, also über das Polyphonische in seinen Filmen: „Ich bemühe mich, eine Einstellung gegenständ­lich [sic] und komposi­tionell nie allein auf das Sichtbare zu beschränken, das auf der Leinwand zu sehen ist. Ein Gegenstand muss so ausgewählt werden, so gedreht und mit solchem Kalkül im Bildfeld räum­lich untergebracht werden, dass neben der Abbildung ein Assozia­­tionskomplex entsteht, der der emo­tional-­gedank­lichen Fracht der Sequenz eine zweite Stimme hinzuliefert.“30

27 Vgl. Fricke 2006. 28 „Ėjzenštejn nennt selten die für die Herausbildung seines Ansatzes relevante theoretische Quelle. Er zitiert ausgiebig aus verschiedensten Abhandlungen. Doch weder die Formalisten, die er aufmerksam gelesen hat und deren Einflüsse auf Eisensteins ­Theorie nicht zu übersehen sind, noch die Gestaltpsycho­ logen oder Michail Bachtin werden von ihm erwähnt.“ In: Bulgakova 1996, 18. 29 Ėjzenštejn 1991a, 19. 30 Ėjzenštejn 1988, 69.

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In jener Zeit denkt der Regisseur auch über die Konzep­tion eines kugelförmigen Buchs nach, von dem er sich eine gleichzeitige, polyphone Rezep­tion seiner theoretischen Überlegungen erhofft. Am 5. August 1929 schreibt Ėjzenštejn folgende Gedanken in sein Tagebuch: „Es ist schwer, ein Buch zu schreiben. Weil jedes Buch zweidimensional ist. Ich wollte aber, dass sich ­dieses Buch durch eine Eigenschaft auszeichnet, die keinesfalls in die Zweidimensionalität eines Druckwerkes passt. Diese Forderung hat zwei Seiten. Die erste besteht darin, dass das Bündel dieser Aufsätze auf gar keinen Fall nacheinander betrachtet und rezipiert werden soll. Ich wünschte, dass man sie alle zugleich wahrnehmen könne, weil sie schliess­ lich eine Reihe von Sektoren darstellen, die, auf verschiedene Gebiete ausgerichtet, um einen allgemeinen, sie bestimmenden Standpunkt – die Methode – angeordnet sind. Andererseits wollte ich rein räum­lich die Mög­lichkeit schaffen, dass jeder Beitrag unmittelbar mit einem anderen in Beziehung tritt… [sic] Solcher Synchronität und gegenseitigen Durchdringung der Aufsätze könnte ein Buch in Form… einer Kugel Rechnung tragen… Aber leider… werden Bücher nicht als Kugeln geschrieben…“31

Dieser Methode „wechselseitiger Umkehrbarkeit“ kann Ėjzenštejn zufolge nur ein kugelförmiges Buch gerecht werden. Charakteristisch für die Kugel Ėjzenštejns ist, dass diese immer weiter rollt, dass sich seine Theorien stets in der Weiterentwicklung befinden und zu keinem endgültigen Abschluss kommen. 1.1.2 Dialogizität bei Ilya Kabakov Grundsätz­lich versteht Ilya Kabakov unter dem Dialo­gischen die Kommunika­tion und Interak­tion ­zwischen zwei Partnern, die sich auf gleicher Ebene begegnen und sich miteinander austauschen. Dabei stellt Kabakov selbst den Bezug zu Bachtin her: „In der Terminologie von Bachtin ist das Phänomen Text ‚Kommunika­tion‘ und nicht ‚Text absolut‘. Wer ist der Partner, an den sich die Kommunika­tion richtet? Das ist für mich ganz einfach zu erklären: ‚Er‘ ist der Betrachter, der psychisch, intellektuell und energetisch aufgeladen ganz genauso ist wie ich. Das heisst, die Interpreta­tion läuft weder auf einem höheren noch auf einem niedrigen, sondern auf genau demselben Niveau wie bei mir ab. Es ist ­dieses gewisse ‚Ich‘, mit dem ich mich unterhalte, um ihm die Bilder zu erklären. In ­diesem Fall ist das Thema wahrschein­lich dieser Art: Im Raum stehen zwei Personen und jede sagt: ‚Was denkst du über diesen Stuhl?‘, ‚Was hältst du von Ivan Ivanovič? Ist er ein Dummkopf oder nicht?‘“32 31 Bulgakova 1996, 31. 32 Ausst.Kat. Bern 1988, 70.

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Kabakov geht es darum, dass er in einem Kunstwerk bereits dessen Dialog mit seinem Betrachter eingeschlossen sieht. Das Kunstwerk richtet sich an den Betrachter, es kommuniziert mit ihm, hat dessen Antworten, seine Sicht bereits impliziert. In ­diesem Sinn ist es dialo­gisch, genauso wie ein Wort bei Bachtin sich schon immer an einen anderen richtet und diese Antwort des anderen in sich trägt. Das Gespräch z­ wischen den Figuren, die bei Kabakov immer wieder miteinander kommunizieren, liegt auf einer intradiegetischen Ebene. Zunächst geht es Kabakov um das dialo­gische Verhältnis von Bild und Betrachter, welches dann in seinen Werken inszeniert wird; ­dieses Verhältnis wird geradezu zum Gegenstand der Darstellung. In ­diesem Sinn, so Ilya Kabakov weiter, sei bei ihm das Kunstwerk nicht der Ort, wo dieser Mensch etwas betrachte, sondern es sei der Ort, der den Anlass für das Gespräch zweier Subjekte biete.33 Demnach definiert das Kunstwerk nach Kabakov den Ort, von dem der Impuls für eine dialo­gische Auseinandersetzung ausgeht, oder anders formuliert: Das Kunstwerk ist für Kabakov der Schauplatz, auf dem sich eine dialo­gische Auseinandersetzung ­zwischen verschiedenen Figuren abspielt wie auf einer Theaterbühne, auf der eine freie Interak­tion der Figuren mit der Handlung stattfindet. Bei Ilya Kabakov finden diese dialo­gischen Interak­tionen allerdings mit Verzicht auf Didaktik und politische Statements statt.34 Wurden so die Alben erst vom Künstler einem eingeweihten Publikum vorgetragen, wird ­dieses ­später als Besucher seiner Installa­tionen selber aufgefordert, die ­Albenblätter zu lesen, sich räum­lich aktiv von Blatt zu Blatt zu bewegen. Das Umblättern einer Seite respektive die Vorführung findet durch den Betrachter im übertragenen Sinn in der Bewegung und im Lesen statt.35 Mit dem Einsetzen eines Dialogs nimmt Kabakov allerdings einen Standortwechsel vor. Mit Hilfe d ­ ieses Dialogs distanziert er sich vom Werk, er wechselt vom Künstler zur Figur des Kommentators. Entsprechend macht Kabakov die Aussage, dass sich auf diese Weise das Werk selbst von ihm befreie, besonders aber objektiviert werde. Dabei entstehe eine Triade, bei der nur zwei Personen in den Dialog eintreten könnten:

33 Ausst.Kat. Bern 1988, 70. 34 Kabakov in der Rezep­tion des Theaters, vgl. Ausst.Kat. München 2006; Gronau 2010. 35 So gesehen im Werk Der goldene unterirdische Fluss von 1985, wo die 186 Blätter auf hölzernen Notenpulten präsentiert werden. Die einzelnen Blätter sehen aus wie Albenblätter. Auf grauem Papier sind jeweils eine Zeichnung, ein Text und ein Notenblatt geklebt. In der Arbeit Konzert für eine Fliege (Kammermusik), 1986, wiederholt der Künstler sein Konzept mit den Notenpulten erneut. In einem kleinen Raum stehen zwölf Ständer in einem geschlossenen Kreis. Auch hier liegen graue Blätter mit Zeichnung, Text und Notenblatt auf. Das Werk Konzert für eine blaue Fliege und einen gelben Bleistift (1990) besteht ebenfalls aus sieben Notenpulten mit jeweils einem grauen Blatt. Vgl. Ilya Kabakov, Konzert für eine blaue Fliege und einen gelben Bleistift, 1990, KB123 (Bd. 1), 250 – 253. In den späteren Arbeiten wie Denkmal für einen verlorenen Handschuh von 1996 in New York City dienen die Notenständer oftmals als Halterung für den Text, welcher zu der Installa­tion gehört.

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„Wenn ich zum Beispiel denke, dass ich diese Ecke schlecht gemalt habe, dann stelle ich mir vor, das Bild würde im Museum hängen, und in d ­ ieses Museum kommt ein gewisser Petrov und der denkt: ‚So im ganzen [sic] nicht schlecht. Ach, schade, dass er in dieser Ecke… [sic]‘. Und plötz­lich sehe ich, dass ‚etwas von Petrov‘ hinzuzufügen ist und nicht etwas von mir, etwas von dem, der es bedauert, dass es in dieser Ecke so wenig blau [sic] gibt. Sofort mache ich Blaues hin, weil ich mich in Petrov hineinversetzen kann. Es handelt sich darum, dass ich nicht die Energie des persön­lichen Drucks habe. Das heisst, ich nehme an, Petrov werde mir nicht dann zuhören, wenn ich mich wirk­lich auf ihn setze und ihn so dazu bringe, zu sagen: ‚Na gut, einverstanden… [sic]‘. Das bedeutet, bei mir fehlt der Moment, Petrov durch mich selbst zu ersetzen.“36

Petrov erscheint als vollwertige personifizierte Stimme, mit der sich der Künstler selbst dialogisiert. Diese „Personage“ ist exemplarisch für sein dialo­gisches Arbeiten. Diese sprechenden Figuren, wie man sie aus der polyphonen Schreibweise in der Literatur kennt, tauchen in seinen Zeichnungen, Alben, Gemälden oder Installa­tionen auf, bevölkern, kommentieren, interpretieren sein Werk und machen es vielstimmig und heterogen. In Form von Text erscheinen sie gleichberechtigt neben dem Bild in den Zeichnungen, Alben, Gemälden oder Installa­tionen und geben seinem Œuvre den signifikanten narra­ tiven, literarischen Charakter. Dieser Umstand ist entscheidend, ja, um es zu betonen, programmatisch für die Rezep­tion von Kabakovs Œuvre. Seine Werke sind auf das Lesen hin ausgerichtet, sie eröffnen einen Leseraum. Ob in zwei- oder dreidimensionaler Form – sie gestalten sich wie ein polyphones Buch, in dem sich die verschiedenen Stimmen zu einem Thema äußern. Ob Kabakovs Vorlieben für Sigmund Freud (1856 – 1939) auch damit zusammenhängen und ihm für seine personifizierte Stimmenvielfalt einen weiteren Impuls geben? Der Künstler liest bereits in seinen frühen Jahren Schriften von Freud – obwohl diese spätestens 1930 von Stalin verboten wurden.37 Freuds Auseinandersetzung mit dem „Strukturmodell der Psyche“, mit der multiplen Persön­lichkeit sind für Kabakov eine wichtige Bestätigung für sein Stimmenarsenal: „Besonders wichtig in Freuds Lehre war für mich das Problem des ‚Unbewussten‘. […] Aber vielleicht das Wichtigste in Freuds Werk war seine Lehre vom Über-­Ich. Ich […] finde, dass ­dieses Problem mich ganz besonders betrifft. Hier erklärt mir Freud diese Trennung in zwei

36 Ausst.Kat. Bern 1988, 70. 37 Weitere Werke wie „Totem und Tabu“ (1913) und der Aufsatz „Eine Kindheitserinnerung des L ­ eonardo da Vinci“ (1910) folgen in seiner Ausbildungszeit. Vgl. Kabakov 1989, 13 – 14. Diese Aussagen Kabakovs sind insofern erstaun­lich, als Stalin 1930 die Psychoanalyse Freuds als „reak­tionär“ einstuft. Sylvia Sasse erklärt, Freuds ­Theorie sei in der Folge als pansexualistisch und sexuell entartet bewertet, als individua­ listisch und idealistisch abgelehnt worden. In: Sasse 2010, 101. Vgl. auch Miller 1998, 164 ff.

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Persön­lichkeiten, die ich ständig empfinde – in den, der überwacht, und den, der überwacht wird. Die Trennung in den Herrn und den Knecht.“38

Die Stimmen aber, die in Kabakovs Werken vorkommen, befinden sich alle auf der gleichen Ebene, ohne Hierarchie oder Rangordnung. „Vor allem gibt es für mich keine Hierarchie“, so der Künstler, „die unabdingbar wäre für die Stabilität – jede Stimme, jede Person hat für mich das ­gleiche Gewicht.“39 Darüber hinaus finden aber nicht nur die Dialoge auf der gleichen horizontalen Ebene statt, sondern auch die einzelnen konzeptuellen Aggregatzustände 40 ­zwischen Idee, Text, Skizze, Modell, Installa­tion oder Buch. Jede Gattung z­ wischen Text, Zeichnung, Malerei, Plastik oder Installa­tion ist der anderen gleichwertig. Jede Gattung wird im konzeptuellen Sinn als vollwertiges Werk, im dialo­gischen Sinn hingegen als vollwertiger Kommunika­tionspartner, als Glied in einer dialo­gischen Kette betrachtet. Dieses dialo­gische Konzept baut Kabakov über die Jahre hinweg immer weiter aus, auch ­zwischen den einzelnen Werken und über die einzelnen Gattungen hinweg, die miteinander im Dialog stehen, sich aufeinander beziehen und ein immer größer werdendes dialo­gisches und narratives Netz aufspannen. Gleichzeitig spielt der Dialog für die Existenz, für die Verortung des Werks eine entscheidende Rolle und verweist neben Bachtin auf die jüdische Praxis des Kommentierens. „Kann es darüber hinaus noch sein“, fragt sich Kabakov, „dass beim Gespräch beider beide nichts wissen? Es erweist sich, dass sie sich deshalb unterhalten, weil beide nichts [über das Werk] wissen und einander fragen, ob einer etwas weiss“. 41 Erst mit dem Dialog wird die Existenz des Werks berechtigt und für den Künstler glaubwürdig; erst im und vor allem mit dem Gespräch wird der Gegenstand zum eigent­lichen Werk erklärt. Bei Kabakov ist der Text dem Bild gleichberechtigt, der Text ist die Grundlage seines visuellen Schaffens. Das künstlerische Produkt und dessen Reflexion bedingen sich gegenseitig. Seine Werke leben sozusagen durch den fortlaufenden Dialog, durch Verkettungen und Wechselbeziehungen von Dialogen. 2002 nimmt Kabakov im Gespräch mit Groys über das Album mit dem programma­ tischen Titel Universalsystem zur Darstellung von allem (1977 – 80) zu seiner dialo­gischen Arbeitsweise Stellung:

38 Kabakov 1989, 14. 39 KB47, 38. 40 Ein Begriff, den ich für die verschiedenen konzeptuellen Ausformungen einer Idee z­ wischen Text, Skizze, Zeichnung, Gemälde, Modell oder Installa­tion einführe. Im Gegensatz zu den drei klas­sisch physika­lischen Aggregatzuständen fest, flüssig und gasförmig kennzeichnet sich der Begriff bei Kabakov durch die verschiedenen konzeptuellen Darstellungen. Vgl. Kapitel 3.2.3.2. 41 Ausst.Kat. Bern 1988, 70.

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„Er [der Künstler] legt uns eine Karte vor, auf der jeder Punkt auf ganz bestimmte Weise mit allen anderen Punkten seines topographischen Systems verstrickt ist. Es ist ein ziem­lich selbstbewusster und inspirierter Topograph, der uns da begegnet und uns auffordert, unsere Welt in einem völlig anderen topographischen System zu sehen.“42

Im genannten Album liefert Kabakov selbst eine genaue Anleitung, was unter dem Titel „Universalsystem zur Darstellung von allem“ zu verstehen ist: „Unter ­diesem Titel wird die visuelle und für uns ‚offensicht­liche‘, klare Darstellung eines bestimmten Systems verstanden, in dem wir bei genauer Betrachtung mit unseren eigenen Augen Mög­lichkeiten entdecken, ‚alles‘ adäquat darzustellen, oder, besser gesagt, eine ungeheure Menge von Erscheinungen und Prozessen, die bislang in dieser zusammenhängenden und schlüssigen Form nicht gezeigt werden konnten. Alles, was früher überhaupt keinen plastischen Ausdruck hatte, erhält ihn in unserem System zum ersten Mal.“43

Dabei schlägt er eine mög­liche Sehweise über mehrere kommunikative, räum­liche und zeit­liche Dimensionen, eine gleichzeitige Wahrnehmungsverknüpfung der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft vor, in welcher neben der Dialogizität ein weiterer Begriff von Bachtin anklingt. In „Formen der Zeit und des Chronotopos im Roman“ (1937 – 38) – Bachtins Schrift erscheint in den 1970er-­Jahren – wird unter dem Begriff „Chronotopos“ das Verhältnis von „Raum- und Zeit-­Beziehungen“ verstanden: „Im künstlerisch-­literarischen Chronotopos verschmelzen räum­liche und zeit­liche Merkmale zu einem sinnvollen und konkreten Ganzen. Die Zeit verdichtet sich hierbei, sie zieht sich zusammen und wird auf künstlerische Weise sichtbar; der Raum gewinnt an Intensität, er wird in die Bewegung der Zeit, des Sujets, der Geschichte hineingezogen. Die Merkmale der Zeit offenbaren sich im Raum, und der Raum wird von der Zeit mit Sinn erfüllt und dimensioniert.“44

Bachtin nutzt den Terminus – der aus den Naturwissenschaften entlehnt ist – als Metapher für den „untrennbaren Zusammenhang von Zeit und Raum“45 in der Literatur. Dabei ist das momentane Ereignis geschicht­lich zu verstehen, es verweist sowohl in die Vergangenheit, auf Geschehenes, als auch auf Zukünftiges, auf Potentielles. Auch Ilya 42 43 44 45

Ilya Kabakov im Gespräch mit Boris Groys, in: KB118, 189. Ebd., 18. Bachtin 1986, 262 – 464; Bachtin 2008a, 7. Bachtin 2008a, 7.

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Kabakov schafft mit und in seinen Werken geschicht­liche und zukünftige, potentielle Anknüpfungs- und Deutungspunkte wie in den „totalen“ Installa­tionen, in denen die Grenzen ­zwischen Zeit und Raum aufgehoben sind. Als Chronotopoi in Kabakovs Werken fungieren mitunter die sowjetische Heimat mit all den biografischen Schauplätzen wie Gemeinschaftsküche, -wohnung und -toilette, Schule, Krankenhaus oder Bibliothek, seine offiziellen und inoffiziellen Tätigkeiten als Kinderbuchillustrator und Künstler in Moskau. Sie bestimmen Kabakovs Werk und werden zu sinntragenden und konstitutiven Elementen. Die Zeit wird dabei im installativen Raum erfahrbar, währenddessen dieser durch die Zeit dimensioniert wird. Indem Kabakov die verschiedenartigen dialo­gischen Bezüge im Sinne Bachtins herstellt und eingeht, ist sein Werk. Kabakovs Œuvre zeichnet sich dadurch aus, dass er seit nun mehr als 30 Jahren den Dialog aufrechterhält – ohne dass sein Schaffen über die Jahre hinweg an Aktualität und Novität, Bedeutsamkeit und Format verloren hat. Es konstituiert und bewahrt sich dadurch im Sein, im Hier und Jetzt – gestern, heute und morgen – genauso wie im Chronotopos, wo sich die Zeit und der Raum vereinigen und wechselseitig durchdringen.

1.2 Postmoder ne Theor ien im Zusa mmenh ang mit Bachtins Dialogizitätskonzept Ilya Kabakovs dialo­gische Werkstruktur ist spätestens mit seiner Emigra­tion in den ­Westen Ende der 1980er-­Jahre vor allem auch als künstlerisches Abbild des postmodernen Zeitalters zu lesen, in dem Variantenreichtum, Pluralität, Eklektizismus von immer größer werdender Relevanz sind. Die dialo­gischen Motive wie offene Form, Verflechtung, Verkettung, Überlagerung oder „Einbettung unterschied­licher Zeitebenen“46 werden auch im Zuge der Debatte über die Postmoderne viel diskutiert, räum­lich-­zeit­liche Zusammenhänge damit reflektiert. Kennzeichen, die – wie oben bereits skizziert – auch in gewisser Art und Weise Bachtins literaturwissenschaft­lichem Konzept der Dialogizität eingeschrieben sind, auch wenn ­dieses in einem gänz­lich anderen politischen Umfeld entwickelt wurde.47 Unter dem einsetzenden Begriff der „Postmoderne“ Ende der 1970er-­Jahre werden diese gesellschaft­lichen Veränderungen kritisch reflektiert und diskutiert. Nachstehend werden einige wichtige Konzepte aufgeführt, die in Verbindung mit Kabakovs dialo­ gischer Werkstruktur stehen. 46 Stutterheim 2011, 16. 47 Zu Bachtins Theorie der Dialogizität in den Diskussionen über die Postmoderne im Zusammenhang von Kunst und Literatur vgl. Lachmann 1982 oder Hutcheon 1988.

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1.2.1 Heterogenität und Vielheit Die franzö­sischen Philosophen Gilles Deleuze und Félix Guattari schlagen 1976 das rhizomatische Denken vor, das sich durch seine ahierarchische Struktur charakterisiert. In der Rhizom-­Metapher ist der Vielheitsgedanke einbeschrieben. In dieser Metapher für ein poststrukturalistisches Modell der Wissensorganisa­tion vernetzt sich Einheit mit Vielheit, weder dominiert das Eine noch das Andere. Es sollen dabei viele Perspektiven und mannigfache Ansätze miteinander verbunden werden: „Das Viele (multiple) muss man machen [sic]: nicht dadurch, dass man fortwährend übergeordnete Dimensionen hinzufügt, sondern im Gegenteil ganz schlicht und einfach in allen Dimensionen, über die man verfügt: jedesmal n – 1 (das Eine ist nur dann ein Teil der Vielheit, wenn es von ihr abgezogen wird). Das Einzelne abziehen, wenn eine Vielheit konstituiert wird; n – 1 schreiben. Ein solches System kann man Rhizom nennen.“48

Kabakovs Werkgedanke spiegelt den Begriff der Vielheit wider, den auch der franzö­sische Philosoph und Literaturtheoretiker Jean-­François Lyotard („La condi­tion postmoderne: rapport sur le savoir“, 1979) als grundlegendes Kennzeichen des postmodernen Wissens umschreibt. So habe die große Erzählung ihre Glaubwürdigkeit verloren, was auch immer die Weise ihrer Vereinheit­lichung sei, die mit ihr bezeichnet werde.49 So könne man sagen, so Lyotard, dass diese Trauerarbeit abgeschlossen sei. Selbst die Sehnsucht nach der verlorenen Erzählung sei für den Großteil der Menschen verloren.50 Damit spricht Lyotard die großen Gedankengebäude des 18. und 19. Jahrhunderts an, die in den Worten Konrad Paul Liessmanns die „Geschichte der Menschheit als einen einheit­ lichen Prozess erzählen konnten“ und nun brüchig geworden s­ eien, zerfallen und sich als uneinlösbare Utopien und Fik­tionen erweisen würden.51

48 Deleuze/Guattari 1977, 11. Das Rhizom ist ein Lehnwort aus der Botanik. So zählen zum Beispiel die Ingwerwurzel, das Maiglöckchen, die Erdbeere, Windengewächse und viele Gräser zu d ­ iesem Typus. Ein Rhizom ist ein Wurzelgewächs mit waagrecht oder senkrecht wachsenden S­ prossachsen, die sowohl ober- als auch unterirdisch wuchern. Ohne erkennbare Ordnung kann das Rhizom mannig­ fache Formen annehmen, von der feinsten „Verästelung und Ausbreitung“ in alle Richtungen bis zur groben „Verdichtung in Knollen und Knötchen“. Letztere dienen teils dem Weiterwachsen, teils der Ausbildung von Laub- und Blütentrieben. Rhizome wachsen an ihrer Spitze endlos weiter, während ältere Teile allmäh­lich absterben. Auch ein Tierbau funk­tioniert als rhizomorphes Gefüge: als Wohnung, Vorratslager, Versteck und ­später als verlassene Behausung. Deleuze/Guattari 1977, 11 – 17, und Deleuze/Guattari 1992, 16. 49 Lyotard 1982, 71. 50 Lyotard 1986, 122. 51 Liessmann 2013a, 206.

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Der „einheit­liche Fokus der Postmoderne“, verdeut­licht 1987 der deutsche Philosoph Wolfgang Welsch, kennzeichne sich durch die „Verfassung radikaler Pluralität“ und „Vielheit heterogener Konzep­tionen, Sprachspiele und Lebensformen“ und zwar „aus Gründen geschicht­licher Erfahrung und aus Motiven der Freiheit“ 52. Daher ergreife die Postmoderne, so Welsch weiter, für das Viele Partei und wende sich gegen das Einzige, trete Monopolen entgegen und decouvriere Übergriffe.53 In seiner Schrift „Ästhetisches Denken“ (1990) fasst Welsch Essays aus der Zeit z­ wischen 1988 und 1990 zusammen, in ­welchen er „neue[n] Fragen der Ästhetik“ aufgreift und die unter der „Leitidee“ stehen, „dass ästhetisches Denken heute in besonderer Weise zum Begreifen unserer Wirk­lichkeit fähig ist.“54 In der (bildenden) Kunst sieht er die gesellschaft­lichen Formen der Postmoderne beispielhaft reflektiert: „Die durch einschneidende Heterogenität geprägte Pluralität, die wir an der Kunst exem­ plarisch erfahren können, entspricht der Verfassung unserer, der postmodernen Gesellschaft, oder genauer: ihrer eigent­lichen Verfassung, die es frei­lich – das wäre Emanzipa­tion heute – erst noch wirk­lich wahrzunehmen, in ihren normativen Implika­tionen zu entfalten und gegen Verstösse zu ­schützen und zu verteidigen gilt – gegen den allgegenwärtigen Trend zur Einschleifung, Unterdrückung, Uniformierung des Differenten. Im Feld der Kunst kann man die Pluralität, die mittlerweile gesellschaft­lich als Diversität von Lebensformen vordring­lich wurde (und die zugleich in anderen Bereichen wie der Sprache, ja im ganzen [sic] der Wirk­lichkeit gilt) so deut­lich studieren wie sonst nirgendwo. Die Kunst kann in ­diesem Sinne – als Elementarschule der Pluralität – ­sozia­le Modellfunk­tion haben. […] An ihr kann man lernen, was heute analog auch in der Gesellschaft mit ihren differenten Lebensformen wichtig wird: Anerkennung des Differenten, Verbot von Übergriffen, Aufdeckung impliziter Überraschung, Widerstand gegen strukturelle Vereinheit­lichung, Befähigung zu Übergängen ohne Gleichmacherei.“55

Die postmoderne Identität, verdeut­licht Welsch, sei immer weniger monolithisch, sondern nur noch plural mög­lich. „Leben unter heutigen Bedingungen ist Leben im Plural“56, fasst der Theoretiker schließ­lich zusammen. Dazu erwähnt Welsch die zahlreichen künstlerischen Identitäten von Cindy Sherman oder die verschiedenen Alter Egos Madonnas. Und Kabakov? Welche verschiedenen Identitäten zeigt er in und mit seinem Œuvre? Wie sieht es mit seinen zahlreichen Figuren aus, mit denen er auftritt und sich verkörpert?

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Welsch 1987, 4 – 7. Ebd., 5. Welsch 1990, 7. Ebd., 164 – 165. Diesen Hinweis verdanke ich Konrad Paul Liessmann, in: Liessmann 2013, 212 – 213. Welsch 1990, 171.

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Mit seinem polyphonen, polyperspektivischen und heterogenen Kunstsystem? Auch Ilya Kabakovs dialo­gisches Werk kann mit den Worten Welschs als eine „exemplarische Sphäre von Pluralität“57 verstanden werden. Eine künstlerische Sphäre, in der sich das pluralistische Leben Kabakovs, seine verschiedenen Identitäten z­ wischen Ost und West vor seinem jüdischen Hintergrund, dem sozia­listischen und kapitalistischen (Kunst-) System, seiner offiziellen Tätigkeit als anerkannter Kinderbuchillustrator und seinem inoffiziellen Kunstschaffen im Untergrund dialo­gisch abzeichnet. Im Zusammenhang mit den verschiedenen Identitäten Kabakovs und unterschied­ lichen Bezügen, die in seinem Kunstschaffen beheimatet sind und sich diskursiv verhalten, lässt sich auch über die Begriffe „Hybridkultur“, „Hybridbildung“ und „­hybri­de Ästhetik“ nachdenken. Der Begriff „Hybrid“ stelle gerade ­dieses Nichteinheit­liche oder Inhomogene der Verbindung und Vermischung von unterschied­lichen Zeichensystemen oder Kulturtechniken aus, argumentiert Jörg Schweinitz 2006 in Bezug auf Irmela Schneiders theoretische Abhandlung zur „Hybridkultur“ (1997). 58 Schneider hält fest, dass „[Hybridisierungen] zu Beschreibungen von Postmoderne – wie Pluralität, Heterogenität oder der Umgang mit Widersprüchen und Paradoxien – gehören.“59 In ­diesem Zusammenhang streicht sie die Aktualität von Bachtins Vielsprachigkeit hervor, gehe es in den Überlegungen zur Postmoderne doch darum, „dass sich disparate Diskurse nicht einfach vermischen, sondern aneinander reiben“60 und neue Diskurse auslösen würden. „Hybridisierung“ ist bei Bachtin eines von drei Verfahren, „ein Bild der Sprache“61 zu konzipieren. Hybridizität referiere auf Momente des Performativen und Generativen, die sich nicht fixieren ließen, so Schneider weiter. „Hybride Formen bilden eine Opposi­tion gegen hegemoniale Diskurse.“62 Ähn­liches formulieren der US-amerikanische Literaturwissenschaftler Michael Hardt und der italienische Philosoph Antonio Negri um die letzte Jahrtausendwende mit ihren Begriffen „Empire“ und „Multitude“. Letztere sei es, die als Gegenkraft kreativ und produktiv der Herrschaft des „Empire“ entgegensteht. Dieses könne nur auf die Ak­tionen der „Multitude“ reagieren. Die „Multitude“ ist als Menge und Netzwerk zu verstehen, aber auch als Vielfalt und Vielheit zu lesen:

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Welsch 1990, 111. Schweinitz 2006, 91. Vgl. Schneider 1997, 13 – 66. Schneider 1997, 44. Ebd., 28. „Alle Verfahren, ein Bild der Sprache im Roman zu schaffen, lassen sich auf drei Kategorien zurückführen: 1. Hybridisierung, 2. dialogisierte Wechselbeziehung der Sprachen und 3. reine Dialoge.“ In: Bachtin 1979, 244. Vgl. auch Schneider 1997, 20 – 28, hier: 24. 62 Schneider 1997, 24.

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“The multitude […] is not unified but remains plural and multiple. […] The multitude is composed of a set of singularities [sic] – and by singularity here we mean a social subject whose difference cannot be reduced to sameness, a difference that remains different.”63

Und schließ­lich ist zu lesen: “A multitude is an irreducible multiplicity; the singular social differences that constitute the multitude must always be expressed and can never be flattened into sameness, unity, identity, or indifference.”64 In Bezug auf Bachtins Modell könnte man die „Multitude“ mit der „Dialogizität“ und das „Empire“ mit der diktatorischen Struktur der Stalinzeit und darüber hinaus vergleichen, dies, indem das Dialo­gische gegenüber dem Monolog steht. 1.2.2 Aneignung und Wiederholung Die Imita­tion, Aneignung, Wiederholung und Wiederaufnahme von schon Dagewesenem wird – wenn auch mit einem gewissen Augenzwinkern – zum Indikator der Postmoderne und kann schließ­lich auch als eine Art Dialog verstanden werden. So führe, um abermals Welsch zu zitieren, die Postmoderne die Moderne fort, aber sie verabschiede den Modernismus: „Sie lässt die Ideologie der Potenzierung, der Innova­tion, der Überholung und Überwindung, sie lässt die Dynamik der Ismen und ihrer Akzelera­tion hinter sich.“65 Es wird auch von der postmodernen „Welt als Zitat“66 gesprochen. Von Ilya Kabakovs Œuvre als von einer solchen Welt von Zitaten zu sprechen, würde zu weit führen. Dennoch arbeitet Kabakov mit der sozia­listischen Ästhetik und ideolo­ gischen Textkultur, in seiner Abwehrhaltung gegen das propagierte Neuerertum in der damaligen Sowjetunion mit ästhetischen Rückgriffen auf kunstgeschicht­liche Strömungen, mit Aneignungen und Inkorporierungen von literarischen Schreibweisen oder bereits vorhandenen Modellen aus der Philosophie und anderen Disziplinen. Besonders das Vorgehen der Aneignung ist von Michel Foucault umfangreich in seinem Buch „Archäologie des Wissens“ („L’archéologie du savoir“, 1969) diskutiert worden. Foucault entwirft darin in Anlehnung an Husserls Phänomenologie den Begriff eines „historischen Apriori“, den er wie folgt beschreibt: „[…] ich will damit ein Apriori [sic] bezeichnen, das nicht Gültigkeitsbedingung für Urteile, sondern Realitätsbedingung für Aussagen ist. Es handelt sich […] darum, […] die Bedingungen des Auftauchens von Aussagen, das Gesetz ihrer Koexistenz mit anderen, die spezifische

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Hardt/Negri 2004, 99. Vgl. auch Hardt/Negri 2003, 11. Ebd., 105. Welsch 1987, 6. Liessmann 2013a, 205 – 218.

Postmoderne Theorien  |

Form ihrer Seinsweise und die Prinzipien freizulegen, nach denen sie fortbestehen, sich transformieren und verschwinden. Ein Apriori nicht von Wahrheiten, die niemals gesagt werden oder wirk­lich der Erfahrung gegeben werden könnten; sondern einer Geschichte, die gegeben ist, denn es ist die der wirk­lich gesagten Dinge.“67

Er erklärt weiter, dass ein bestimmter Diskurs zu einem gegebenen Zeitpunkt diese oder jene formale Struktur aufnehmen und anwenden könne.68 Foucaults Diskurstheorie definiert sich als „eine erneute Schreibung“, die nicht „die Rückkehr zum Geheimnis des Ursprungs“ darstellt, sondern die „Beschreibung eines Diskurses als Objekt“69. Auch Boris Groys ist der Meinung, die postmoderne Wiederholung rekonstruiere nicht „die verborgene, originäre Inten­tion“70 des appropriierten Werkes. Die Postmoderne werde vielmehr als Befreiung gefeiert – als Befreiung von der modernistischen Askese, vom modernistischen Reduk­tionismus, „die uns gezwungen haben sollen, auf das Bildhafte immer mehr zu verzichten, so dass am Ende nur das anonyme Weisse der Leinwand übrig blieb“71. Dagegen ermög­liche das Verfahren der Appropria­tion die postmoderne Befreiung.72 In Jacques Derridas philosophischem Dekonstruk­tionsbegriff der „différance“ (1968) wird die grundsätz­liche Unabschließbarkeit eines Wortes, Satzes oder Textes postuliert. So sei die „différance“ weder ein Wort noch Begriff, eher ein „Bündel“ von Verweisen, von „Text und Kontext“, von „Sinn- oder Kraftlinien“. Sie „ist“ nicht, weder hat sie ein Zentrum noch „Ursache“, die „différance“ zeigt sich dagegen als „Spur des Seins“.73 Derridas Begriff bedeutet nicht nur Unterscheidung, sondern auch Verschiebung. In der Bedeutungsverschiebung durch Wiederholung sind demnach auch die Prinzipien der Aneignung von Relevanz. So formuliert er, sich auf Ferdinand de Saussure berufend: „Jeder Begriff ist seinem Gesetz nach in eine Kette oder in ein System eingeschrieben, worin er durch das systematische Spiel von Differenzen auf den anderen, auf die anderen Begriffe verweist.“74 Das Anwesende werde, argumentiert Derrida weiter, zum ­­Zeichen des Zeichens, zur Spur der Spur. Es sei nicht mehr das, worauf jede Verweisung in letzter Instanz verweise. Es werde zu einer Funk­tion in einer verallgmeinerten

67 Foucault 1981, 184. 68 Ebd., 185. 69 Ebd., 200. 70 Groys 2001, 178. 71 Ebd., 177. 72 Ebd. 73 Derrida 2004, 110 – 149. 74 Ebd., 122.

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Verweisungsstruktur. So sei es Spur und Spur des Erlöschens der Spur.75 Derrida fügt an: „Die ‚frühe Spur‘ der Differenz verliert sich unwiederbring­lich in Unsichtbarkeit, und dennoch wird ihr Verlust selbst geborgen, bewahrt, gewahrt, verzögert.“76 Auch in Jean Baudrillards „Simulacres et simula­tion“ (1981) spiegeln sich verschiedene Formen der Aneignung wider. Allerdings beleuchtet er diese kritisch und radikal im gesellschaft­lichen Kontext. Er spricht von einer der referenzlosen ­­Zeichen durchdrungenen Gesellschaft.77 Der franzö­sische Philosoph und Soziologe argumentiert, dass es ausgeschlossen sei, ­zwischen Original und Kopie, Realität und Fik­tion, Vorbild und Abbild zu differenzieren.78 Lyotard bedenkt, dass end­lich Klarheit darüber bestehen sollte, dass es uns nicht zukomme, Wirk­lichkeit zu liefern, sondern Anspielungen auf ein Denkbares zu erfinden, das nicht dargestellt werden könne.79 Vielleicht lässt sich diese Nichtdarstellbarkeit als Leerstelle bezeichnen, oder in den Worten des amerikanischen Architekten und Architekturtheoretikers Charles Jencks (“The post-­modern language of architecture”, 1977) als „abwesende[s] Zentrum“, eine der am prominentesten vorkommenden „Figuren“ der Postmoderne: „[…] der Wunsch nach einem Gemeinschaftsraum, ein absolut gültiges Zelebrieren dessen, was wir gemeinsam haben, und dann das Eingeständnis, dass es nichts ganz Adäquates gibt, um ihn zu besetzen.“80 Dementsprechend wird das Zitieren, Persiflieren oder Nachahmen zur eigent­lichen Formel der Postmoderne. Es gibt kein Zentrum mehr, sondern nur noch Verbindungen und Beziehungen, dialo­gische Organisa­tionen und Systeme, was sich auch in der offenen Struktur von ­Kabakovs Œuvre und in der allgemeinen Bezeichnung der Moskauer Konzeptkunst als eine „Kunst der Beziehungen“ 81 abzeichnet: „Dinge fallen zusammen, und es gibt keine Mitte, nur Verbindungen.“82

75 Derrida 2004, 143. 76 Ebd. 77 Baudrillard 1988. 78 Ebd. 79 Lyotard 1990, 48. 80 Jencks 1987, 346. 81 Rubinštejn 1990, 48, hier zit. nach: Bobrinskaja 2008, 37. 82 Jencks 1987, 350.

2 Die Moskauer Konzeptkunst 1960 – 1990 „Die inoffizielle Kultur wendet sich stets an einen einzelnen konkreten Menschen. Gerade der von der ­offiziellen Kultur vernachlässigte Betrachter und Hörer wird zum ­Adressaten, zum Objekt des Interesses und zum Subjekt der Wahrnehmung der inoffiziellen Kultur. Was aber ist das für ein Subjekt? Vor allem ein Wesen, das fähig ist zur Reflexion und zur persön­lichen, auf eigener Erfahrung beruhenden Bewertung eines Kunstwerkes.“1 Ilya Kabakov, 1986

Die Moskauer Konzeptkunst gilt heute als eine der wichtigsten rus­sischen Kunstströmungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.2 Zwischen 1960 und 1990 entwickelt sich im Moskauer Untergrund über mehrere Genera­tionen hinweg eine Kunstrichtung, die heute als ein „geschicht­lich abgeschlossenes Phänomen“3 und in sich geschlossenes institu­tionelles System einer Dissidentenkultur betrachtet wird. Die Herausbildung des Moskauer Konzeptualismus steht in enger Beziehung zu den staatspolitischen Verhältnissen in der damaligen Sowjetunion. Nach dem Tod Stalins 1953 bilden sich in den darauf folgenden Jahren während Nikita Chruščëvs Entstalinisierungsphase, in der sogenannten Tauwetter-­Periode (ottepel’)4, in größeren Städten wie Leningrad/St. Petersburg und Moskau nonkonformistische Kunstszenen heraus, ­welche den Grundstein für eine spätere Dissidentenkultur legen. In der ­kurzen Liberalisierungsphase unter Chruščëv lockert sich die Zensur in allen kulturellen Zweigen wie Film, Literatur oder Kunst. Mit der Verleihung des Nobelpreises für Literatur an Boris Pasternak 1958 und der folgenden Hetzkampagne gegen ihn durch Chruščëv werden die Grenzen der kulturellen Öffnung jedoch deut­lich abgesteckt. Der eigent­liche Beginn der inoffiziellen Kunst wird mit der Ausstellung in der Moskauer Manege 1962 in Verbindung gebracht, als auf 1 KB116, 186. 2 Vgl. KB62; Groys 1991; Ausst.Kat. Aachen 1994; Ausst.Kat. Prag/Berlin/Kiel/Moskau 1995; Ausst.Kat. Frankfurt a. M. 2008. 3 Groys 2008, 25. 4 Der Begriff wird u. a. auf das Buch „Tauwetter“ von Il’ja Ėrenburg zurückgeführt, welches in der Zeit von Chruščëvs Entstalinisierungsphase z­ wischen 1954 und 1957 erschienen ist und symbo­lisch für die kulturelle Liberalisierung steht. Ilya Kabakovs Gemäldeserie Unter dem Schnee, 2004 – 2006, trägt auch noch die Titel Über den Wolken und Tauwetter und erinnert zudem an die kurze Erzählung „Durch den Schnee“ von Varlam Šalamov. Vgl. KB130.

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Einladung von Chruščëv Werke junger Künstler gezeigt werden. Nach einem öffent­ lichen Schlagabtausch, innerhalb dessen Chruščëv die Werke ächtet und die Künstler der Pornografie beschuldigt, wird die Ausstellung geschlossen, und einige der Beteiligten werden verurteilt. Die Hoffnungen der Kunstschaffenden auf weitere Freiheiten werden damit gänz­lich zerstört. Ilya Kabakov beschreibt die damalige Situa­tion folgendermaßen: „Nach der ‚Manege‘-Ausstellung, die Hoffnungen aufkeimen ließ, veränderte sich nichts und blieb ‚für immer gleich‘.“5 Ab d ­ iesem Zeitpunkt formiert und organisiert sich die inoffizielle Kunstszene Moskaus im Untergrund. Als eine wesent­liche Voraussetzung für diese Kunstbewegung im Untergrund nennt Boris Groys die politische Atmosphäre der Stagna­tion unter der Ägide von Leonid Brežnev, welcher 1966, nach Chruščëvs Tod, zum Generalsekretär der KPdSU gewählt wird: „Die Stagna­tionszeit unter der Ära von Leonid Brežnev bewahrte auf offizieller Ebene die gesamte von Stalin geschaffene politische, ­sozia­le und ideolo­gische Struktur, milderte jedoch den Massenterror, der die notwendige Grundlage des Stalinismus war.“6 Die Macht sei also noch so stark gewesen, dass sie jedes offiziell gesprochene oder gedruckte Wort habe blockieren können, doch habe sie sich bereits als zu schwach erwiesen, um das Privatleben der Sowjetbürger ihrer Kontrolle zu unterstellen, so Boris Groys weiter. Das sowjetische Leben habe infolgedessen die Züge einer „sozia­len Schizophrenie“ angenommen. Im offiziellen Bereich hätten dieselben Menschen anders als in ihren eigenen vier Wänden gehandelt und gesprochen. Dementsprechend zwiespältig sei das Verhältnis des Sowjetbürgers zur offiziellen Kultur, erläutert Groys.7 In dieser Zerrissenheit befinden sich auch die inoffiziellen Künstler wie Ilya K ­ abakov und andere seiner Weggefährten. Noch immer gilt der Sozia­listische Realismus 8 als die einzig wahre Kunstrichtung, deren Einhaltung von der Miliz und dem KGB überwacht wird. Die Radikalität ihrer Verfolgung gründet zwar nicht mehr im stalinistischen ­Terror, in der phy­sischen Liquidierung, sondern vielmehr und vor allem im Ausüben von psycholo­gischem Druck und im Ausspielen der Machtverhältnisse. So ist es zum Beispiel einem Nichtmitglied der Künstlervereinigung nicht mög­lich, Malutensilien wie Keilrahmen zu kaufen. Man hat sich diese über mühsame Umwege zu beschaffen.9 5 KB116, 84. Vgl. auch Sasse 2010, 179. Die „Manege“-Ausstellungen in Moskau und Leningrad/ St. Petersburg sind tradi­tionelle Schauplätze offizieller Jahresausstellungen. 6 Groys 1991, 12. 7 Ebd. 8 Zur Begriffsgeschichte des „Sozia­listischen Realismus“ vgl. Günther 1984, 1 – 10, und Schmitt/ Schramm 1974. 9 Diese Tatsache beschreiben Vitalij Komar und Aleksandr Melamid im Gespräch „Kunst ist ein Tagebuch“, in: Komar/Melamid 1994, 60. Es gibt in der Sowjetunion auch noch keine Acrylfarbe zu kaufen, stattdessen muss man sich mit Emailfarben begnügen und erklärt somit auch Kabakovs Maltechnik

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Jene Künstler, w ­ elche weder dem offiziellen Künstlerverband angehören noch sich der sozia­listischen Kunstdiktatur unterwerfen, werden von der Öffent­lichkeit und vor allem vom offiziellen Ausstellungsbetrieb im In- und Ausland systematisch und konsequent ausgeschlossen und ausgegrenzt.10 Zur führenden Künstlergruppe (nach der Kunsthistorikerin Ekaterina Bobrinskaja)11, die sich zu Beginn der 1970er-­Jahre innerhalb der inoffiziellen Kultur in Moskau herausbildet, gehören Ilya Kabakov, Vitalij Komar und Aleksandr Melamid, Rimma Gerlovina und Valerij Gerlovin, Viktor Pivovarov, Ėrik Bulatov, Leonid Sokov, Ivan Čujkov, Lev Rubinštejn und Andrej Monastyrskij. Ab Mitte der 1970er-­Jahre ­zählen auch die Gruppe Kollektive Ak­tionen, auch Kollektive Handlungen (Andrej Monastyrskij, Nikita Alekseev, Igor Makarevič, Elena Elagina, Georgij Kizeval’ter, Sergej Romaško und Nikolaj Panitkov), dazu sowie Arbeiten und einzelne Werke von Dmitrij Aleksandrovič Prigov, Elena Elagina, Igor Makarevič, Nikolaj Panitkov, Natalia Abalakova, Anatolij Žigalov, Eduard Gorochovskij, Griša Bruskin, Vagrič Bachčanjan, Boris Mikhailov, Larisa Zvezdochetova, Andrej Filippov und Arbeiten der Gruppe Nest (Gennadi Donskoj, Michail Rošal’, Viktor Skersis) und der Gruppe Fliegenpilz (Konstantin Zvezdochetov, Vladimir und Sergej Mironenko und Sven Gundlach). Ende der 1970er-­Jahre folgt eine jüngere Genera­tion von Künstlern nach, ­welche die Tradi­tionen der älteren Genera­tion der Moskauer Konzeptualisten einerseits weiterverfolgen, andererseits auch hinterfragen. Zu dieser jüngeren Genera­tion der Moskauer Konzeptualisten gehören Vadim Zakharov, Viktor Skersis, Jurij Albert und insbesondere in den 1980er-­Jahren die Gruppe der Inspek­tion Medizinische Hermeneutik (im Folgenden auch Medhermeneuten genannt) mit Sergej Anufriev, Jurij Lejderman und Pavel Pepperštejn.

dieser Jahre. Die qualitativ besseren Leinwände erhalten nur die offiziellen Künstler, für andere gibt es wiederum nur Sperrholzplatten. Dieser Umstand erklärt auch die Machart von K ­ abakovs ­Gemälden aus jener Zeit. Vgl. Jolles 1997, 118. 10 „Das Leben eines inoffiziellen Künstlers verlief ja fast dreissig Jahre lang in einer verriegelten und versiegelten Welt. Alle diese Jahre hindurch konnten die inoffiziellen Künstler und Autoren wegen der strengen politischen, ideolo­gischen und ästhetischen Zensur weder ausstellen noch publizieren. Sie hatten keine kompetenten Kritiker, keine Kontakte zur ausländischen Kunstwelt und praktisch keiner­lei Informa­tion über die Entwicklung der Gegenwartskunst. Im sozia­listischen Staat gab es natür­lich auch keine Sammler und Galerien. In dieser beinahe ‚kosmischen‘ Isola­tion waren die Künstler d ­ ieses Kreises vollständig auf sich selbst angewiesen und füreinander das, was andere für sie hätten sein müssen: Betrachter, Kritiker, Kenner, Historiker und sogar Sammler […].“ Ilya Kabakov, in: Jolles 1997, 9. 11 Bobrinskaya 2008, 37.

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2.1 Zum Begr iff Mosk auer Konzeptkunst Boris Groys (geb. 1947 in Ost-­Berlin 12) prägt den Begriff der Moskauer Konzeptkunst nachhaltig mit seinem Aufsatz „Der Moskauer romantische Konzeptualismus“, welcher erstmals 1979 publiziert wird.13 Der Kulturphilosoph gilt nach wie vor als eine der wichtigsten theoretischen Stimmen der Moskauer Konzeptkunst. Er agiert als das theore­tische Sprachrohr der Moskauer Konzeptualisten. Groys führt über Jahre hinweg et­liche Gespräche mit Ilya Kabakov. Seine Kommentare und theoretischen Gedanken sind unter anderen auch Zulieferer für Kabakovs Schaffen. Dementsprechend werden seine Gedanken in dieser Arbeit vielfältig verwendet. Groys gehört gewissermaßen zum dialo­gischen Konzept Ilya Kabakovs. 1976 übersiedelt er von Leningrad/St. Petersburg nach Moskau, wo er an der Philolo­gischen Fakultät der Moskauer Universität tätig ist. Er kommt mit der dortigen inoffiziellen Kunstszene in Kontakt und wird selbst aktives Mitglied ­dieses Kreises, bevor er 1982 in die Bundesrepublik Deutschland emigriert. 2.1.1 Herleitung des Begriffs: Abgrenzung von der west­lichen Konzeptkunst Der Name „Konzeptkunst“ verweist auf die angloamerikanische Konzeptkunst der 1960er-­ Jahre. So sind zum Beispiel die facettenreiche Ausformung, die konzeptuellen Aggregatzustände einer Idee Grundbestandteil von Ilya Kabakovs Werk und bringen ihn mit Joseph Kosuth (geb. 1945) und weiteren west­lichen Konzeptkünstlern in Verbindung.14 Man denkt dabei insbesondere an Kosuths Arbeit One and three chairs (1965), die aus einer Fotografie eines Stuhls, einem realen Stuhl und einem Lexikoneintrag zum Stuhl besteht. Auch Kabakov betrachtet bereits eine Idee im Projektzustand als vollwertiges und eigenständiges Kunstwerk und die verschiedenen Ausführungsformen einer Idee sind sich gleichberechtigt – auch wenn eine eigent­liche Verbindung ­zwischen der west­ lichen und der Moskauer Konzeptkunst nicht existiert. Tatsäch­lich sind den Moskauer Konzeptualisten wie Ilya Kabakov die künstle­rischen Verfahren der Gruppe Art & Language und jene von Joseph Kosuth dank der west­ lichen Publika­tionen, die zur damaligen Zeit nach Moskau geraten, vertraut.15 So manifestieren sich die konzeptuellen Zustände einer Idee bei Kabakov in unterschied­ lichen Formen in Text und Bild. Entsprechend der jeweiligen Präsenta­tionsform oder Realisierungsmög­lichkeit kommt die Idee im künstlerischen Zustand in Text, Skizze,

12 Groys’ Vater, ein sowjetischer Offizier, wurde bald darauf nach Moskau zurückgerufen. 13 Groys 1979. Auf Eng­lisch erstmals veröffent­licht in der Zeitschrift „A-Ja“, Paris 1979. Deutsche ­Fassung aus: Groys 1991a, 23 – 40. Von Groys stammt auch die Bezeichnung „Kollektive Ak­tionen“. 14 Vgl. Dreher 1992. 15 Vgl. Groys 2008, 20.

Zum Begriff Moskauer Konzeptkunst  |

Zeichnung, Modell oder Installa­tion vor. Auch existieren keine Hierarchien ­zwischen den einzelnen Ausführungen. Die künstlerischen Zustände sind gleichwertig relevant, stellen für sich ein selbstständiges, solitäres und autonomes Kunstwerk dar und können unabhängig voneinander existieren. Sol LeWitt artikuliert in seinen “Paragraphs on conceptual art” (1965) die „Befreiung vom Kunstwerk als Gegenstand“ (“dematerializa­tion of art”): “The idea itself, even if not made visual, is as much a work of art as any finished product. All intervening steps – scribbles, sketches, drawings, failed works, models, studies, thoughts, conversa­tions – are of interest.”16 Und in den “Sentences on conceptual art” (1967): “Ideas can be works of art; they are in a chain of development that may eventually find some form. All ideas need not be made physical.”17 Kabakov seinerseits sagt, dass jene Art von installativer, räum­licher Präsenta­tion eines Projekts nicht nur in seiner Eigenschaft als Dokument seine volle Aufmerksamkeit verdient hätte, sondern auch „als autonomer ‚ästhetischer Wert‘“.18 Kabakov ist sogar der Meinung, dass sich aus dem Projekt „der Gedanke, die Idee der Schöpfung und der Traum des Urhebers deut­licher herauslesen“ lasse, „als aus dem, was s­päter in seiner materiellen Verkörperung“ erscheine.19 Hingegen interessiere in Moskau, so Groys, nicht die strenge wissenschaft­liche Defini­tion irgendeines Gegenstandes und auch nicht die Begriffsbestimmung von Kunst wie beispielsweise bei Joseph Kosuth, sondern die Vielfalt an sozia­len, ideolo­gischen, mytholo­gischen und anderen Lesarten des Kunstwerks.20 Schließ­lich – und das ist der große Unterschied zur west­lichen Konzeptkunst – bewegen sich die Moskauer Konzeptualisten in einem gänz­lich anderen politischen und ideolo­gischen System, welchem seine eigenen Gesetzmäßigkeiten und Normen innewohnen. Hier finde man nicht die Leichtigkeit des Austausches von Visualität gegen Text, die Konvertierbarkeit von einem ins andere, die den west­lichen Konzeptualismus auszeichnen, so die renommierte Kunstkritikerin E ­ katerina Djogot.21 In ­diesem Sinn spricht Boris Groys von einer „Transforma­tion“, ­welche die Konzeptkunst in Russland erfahren habe. Das Adjektiv „Moskauer“ sei zudem eher ein Programm als eine bloße Ortsangabe.22 Ein großes Thema für die west­liche Konzeptkunst ist die Interak­tion ­zwischen Kunst und (Kunst-)Markt. In der Konzeptkunst als einer Auffassung, in der sich Bild und Text gleichberechtigt gegenüberstehen, sieht Groys Strategien einer „Entmaterialisierung“ und im weiteren Sinn auch einer „Entkommerzialisierung der Kunst“.23 In der Sowjetunion 16 LeWitt 1967. 17 LeWitt 1969. 18 KB83, 64. 19 Ebd. 20 Groys 1991e, 109 – 110. 21 Djogot 1995, 149. 22 Groys 2008, 20. 23 Ebd.

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hingegen existiert weder ein allgemeiner Markt noch ein spezifischer Kunstmarkt. Die sowjetische Zentralmacht waltet selbst über das na­tionale Kunstschaffen nach dem Diktat des Sozia­listischen Realismus. Dementsprechend verstehe sich nach Groys der Moskauer Konzeptualismus als „eine Untersuchung der sowjetischen symbo­lischen Ökonomie“ – und nicht als „eine Alternative zur Marktökonomie west­lichen Typus“.24 Mit der „sowjetischen symbo­lischen Ökonomie“ spricht Groys die ideolo­gische Textflut an, w ­ elche das gesellschaft­liche Leben in der Sowjetunion buchstäb­lich überschwemmt. Es handelt sich hauptsäch­lich um Texte, die der „Urheberschaft“, des Subjekts beraubt sind: um Parolen, Spruchbänder, Schilder, Plakate, um die offizielle Sprache im Sinne von Formularen oder Bescheinigungen der sowjetischen Bürokratie, w ­ elche die Moskauer Konzeptualisten in einem „rein ästhetischen Verfahren“ appropriieren: „Das Hauptverfahren des Moskauer Konzeptualismus bestand darin, diesen offiziellen Diskurs privat, ironisch, profan zu benutzen, zu variieren und zu analysieren. In ­diesem Sinne praktizierte der Moskauer Konzeptualismus Aufklärung – und zwar totale Aufklärung.“25

Und weiter: „Der Moskauer Konzeptualismus verstand seine Praxis als eine Aufklärung der sowjetischen Kultur über ihre eigenen ideolo­gischen Mechanismen.“26 Dieses Projekt der künstlerischen Beschreibung des sowjetischen Kontextes sei vor allem von den strukturalistischen Theorien beeinflusst worden, die damals das Bewusstsein der rus­sischen Intelligenzija beherrscht hätten.27 Darunter sind insbesondere jene des Literaturwissenschaftlers Michail Bachtin zu erwähnen, ­welche auf die Moskauer Konzeptualisten wie Ilya Kabakov nachhaltig einwirken. Groys damalige Begriffsfindung des „Romantischen Konzeptualismus“ bezieht sich auf jene künstlerische Grundstimmung, die sich mit „der Entlarvung der ideolo­gischen Illusion“ auseinandersetzt: „Die Gegenüberstellung von Illusion und Wirk­lichkeit war für die Romantiker zentral. Die Palme der Priorität verliehen sie jedoch der Illusion, während sie die Realität als ‚banal‘ behandelten. Zwar ging es dabei nicht ohne romantische Ironie ab, aber dennoch überwog der Rausch mit seinen schöpferischen Kräften. Die reale Welt wurde von den Romantikern als eine weitere Illusion verstanden, nicht mehr.“28

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Groys 2008, 21. Ebd., 22. Ebd., 23. Groys 1994, 263. Groys 1993, 57. Erstmals erschienen in der Samizdat-­Zeitschrift „37“, 1977.

Zum Begriff Moskauer Konzeptkunst  |

Doch habe bereits Kierkegaard bemerkt, dass die reale Welt eine Illusion besonderer Art sei. „Die moderne rus­sische Kunst sucht dennoch nicht nach der Form der Verbindung, sondern der des Bruchs. Und sie zeigt nicht den Gegenstand, sondern die reine Subjektivität des Künstlers.“29 Kabakov seinerseits spricht im Zusammenhang mit der „reinen Subjektivität“ von einer „romantischen Ironie“: „Die romantische Ironie ist keine zerstörerische Ironie. Sie ist der Zweifel über die Kriterien meiner Beurteilungen. Die Kriterien sind etwas Relatives. Wenn diese Ironie etwas schneidet, dann den Gegenstand immer nur soweit wie auch mich selbst […] Es gibt keine letzte Wahrheit und kein verbind­liches Kriterium für ein Subjekt. […] Das Romantische ist für mich die beste Erklärung für diese Subjektivität.“30

Kabakov redet in dieser Hinsicht auch vom Prinzip „einer doppelten Wirkung“, die des „Erleben[s] der Illusion und gleichzeitig [sic] die Reflexion darüber“31. Die sowjetische Welt ist für die Moskauer Konzeptualisten genauso eine Illusion besonderer Art, eine ideolo­gische Scheinwelt, deren Ästhetik sich in der diktierten Kunst des Sozia­listischen Realismus offenbart. Groys versucht mit der Begriffsfindung des „Moskauer Romantischen Konzeptualismus“ sicher­lich auch eine geschicht­liche Anknüpfung, nach welcher die Moskauer Konzeptualisten ebenfalls gesucht und sie bei den Romantikern Anfang des 19. Jahrhunderts auch gefunden haben. Die Kunst der rus­sischen Avantgarde endet praktisch in der ideolo­gischen Sackgasse, der Sozia­listische Realismus fällt mit seinen ästhetisch retardierten Normen und Gesetzen gänz­lich aus der Moderne. Diese „Rückkehr der rus­ sischen Kunst in die Geschichte“32, wie es Iosif Bakštejn nennt, wird auch von Künstlern wie Ilya Kabakov offenkundig gesucht und von Boris Groys mit der Namensgebung des „Moskauer Romantischen Konzeptualismus“ bestenfalls umschrieben. Die Moskauer Konzeptualisten beschäftigen sich unter anderem mit der „kommerziellen Massenkultur“ und reflektieren deren ideolo­gische Zeichensysteme, die allerdings aus der Sprache selbst bestehen. Denn eine Trennung ­zwischen „kommerzialisierter Massenkultur und institu­tionalisierter Hochkultur“33 existiert in der Sowjetunion nicht. Sowohl die Massen- als auch die Hochkultur sind in der zentralistisch geführten Machtinstitu­ tion den gleichen ideolo­gischen Kriterien unterworfen. Folg­lich könne man sagen, so Groys weiter, dass der Moskauer Konzeptualismus die diskursive Massenkultur seiner 29 30 31 32 33

Groys 1993, 58. Ausst.Kat. Bremen 1998, 27. KB83, 15. Bakštejn 1995, 143. Groys 2008, 22.

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Zeit zum Gegenstand gemacht habe – eine diskursive Kultur, die es zwar überall auf der Welt gebe, die aber in der Sowjetunion der damaligen Zeit auf besondere Art und Weise allgegenwärtig gewesen sei: „Der Moskauer Konzeptualismus war auf der einen Seite in der Tat eine Art Konzeptkunst. Aber noch viel mehr war er eine Art diskursiver Pop Art.“34 Wobei aus heutiger Sicht neben der Konzeptkunst und der Pop Art auch west­ liche Einflüsse aus der Minimal Art, der Performance und des Happenings erkennbar sind.35 Das künstlerische Verfahren z­ wischen analytischem, konzeptuellem Ansatz und populären, massentaug­lichen Zeichensystemen wird auch als Soz Art bezeichnet, ­welche von dem Künstlerpaar Vitalij Komar und Aleksandr Melamid 1972 eingeführt und vor allem durch es geprägt wird.36

2.2 Eine „Kunst der Beziehungen“ Die Moskauer Konzeptualisten werden zu Recht als ein heterogener und eklektizistischer Künstlerkreis bezeichnet, welcher sich weniger in der formalen Einheit charakterisiert als einerseits in seiner Methode, die ideolo­gischen Mechanismen zu analysieren und sich der offiziellen Sprache zu bedienen, und andererseits in seiner tiefen „Gruppensolidarität“, die sich durch einen „quasi-­institu­tionellen“ Charakter auszeichnet. Paul Jolles spricht von der großen „Menschlichkeit“, die diesen Kreis ausmachen würde: „Die Haltung der inoffiziellen Künstler scheint mir vor allem durch eine hohe Menschlichkeit gekennzeichnet. Man könnte sagen, dass sie versuchten, den Weg zur Menschlichkeit zurückzufinden und die Ideologie als Irreführung zu entlarven.“37

Der Dichter Lev Rubinštejn beschreibt die Moskauer Konzeptkunst als eine „Kunst der Beziehungen“38, in der „das Problem des ‚Neuen‘ nicht auf der Ebene des Stils gelöst wird, sondern in der Beziehung zum Stil. Dabei handelt es sich um ein System von Beziehungen (und um die Klärung der Beziehungen) ­zwischen der ‚Anwesenheit‘ und ‚Abwesenheit‘ des Autors im Text, z­ wischen seiner ‚eigenen‘ und der ‚fremden‘ Rede sowie ­zwischen ‚eigent­lichen‘

34 Groys 2008, 23. 35 Sylvia Sasse erläutert den Zusammenhang ­zwischen der west­lichen Performance Art und den Ak­tionen der Gruppe Kollektive Ak­tionen, in: Sasse 2003, insbesondere im 2. Kapitel „No Text’s Land? – KD: Handlungen am Rande der Stadt“, 53 – 188. 36 Vgl. Groys 1991d. Dem Künstlerpaar Komar und Melamid wird im Frühjahr 1977 seine Na­tionalität aufgrund seines subversiven künstlerischen Werks entzogen. Daraufhin emigrieren sie. 37 Jolles 1997, 60. 38 Rubinštejn 1990, 48, hier zit. nach: Bobrinskaja 2008, 37.

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und ‚übertragenen‘ Bedeutungen.“39 Dieses „System der Beziehungen“, wie es Rubinštejn umschreibt, schlägt sich auch in Kabakovs eigenem Kunstschaffen ganz deut­lich nieder. Die Gruppe der Medizinischen Hermeneutik bezeichnet den Kreis der Moskauer Konzeptualisten 1987/1988 als „NOMA“, als einen bestimmten Kreis von Menschen, „die sich durch den ‚inneren‘ Zusammenhalt ihrer sprach­lichen Realisierungen als Kollektivkörper begreifen“40. Noma meint im alten Ägypten diejenigen Bezirke, wo in Anlehnung an die ägyptische Mythologie die verschiedenen Teile des zerstückelten Körpers von Osiris begraben liegen. Im übertragenen Sinn bedeutet NOMA keine künstlerische formale Einheit, sondern nach Pepperštejn „einen psycholo­gischen Wahrnehmungsraum, der aus dem gesamten Komplex der Texte, münd­licher und schrift­licher Artikula­tionen, eigener Slangs und Intona­tionen entstanden ist, mit denen der Moskauer Konzeptualismus von Anfang an seine Selbstreflexion durchführte. Die konzeptualistische Noma geht aus einem ‚Kreis von Diskussionen‘ hervor.“41

Dieser „Kommunika­tionskreis“, wie ihn Pepperštejn umschreibt, ist eine „Gemeinschaft radikaler Individualisten“, die sich durch ihree innere Verbundenheit auszeichnet.42 Den Grund für diesen „auffallenden Eklektizismus“ erklärt Groys auch mit der opposi­ tionellen Haltung der Moskauer Konzeptualisten gegenüber dem Sozia­listischen Realismus, welcher das „Recht des Künstlers auf individuelles Arbeiten“43 verweigert. Im Zusammenhang mit dieser Zensur sieht Groys eine weitere Eigenschaft des Moskauer Konzeptualismus: „Im selben Masse, wie sich die inoffiziellen Künstler von Anfang an gegen die Einheit­lichkeit des offiziellen Kunststils wandten, wandten sie sich auch gegen jedes zwanghafte Neuerungsstreben.“44 Dies möge angesichts des modernen Kultes alles Neuen etwas seltsam anmuten, man müsse sich aber daran erinnern, dass gerade der Sozia­listische Realismus immer und an erster Stelle auf seine extreme Neuheit gepocht habe, darauf, dass er den Gipfel menschlicher Kultur darstelle. Daraus erkläre sich auch „die Abwesenheit jedes formalen Neuerertums“45, ­welche sich bei den inoffiziellen Künstlern bemerkbar macht. So hat man bei Kabakovs Kunst oftmals ein Déjà-­vu mit anderen, historischen Kunstrichtungen.

39 Rubinštejn 1990, 48, hier zit. nach: Bobrinskaja 2008, 37. 40 Pepperštejn 1994, 9. 41 Ebd. 42 Ebd. 43 Groys 1991b, 42. 44 Ebd. 45 Ebd., 43.

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2.2.1 Die 1960er-­Jahre: Kunstgeschicht­liche Anbindungen Zu den ersten Arbeiten der Moskauer Konzeptkunst zählen die Collagen von Vagrič Bachčanjan oder die Gemälde von Oskar Rabin aus den 1960er-­Jahren. Rabin wird mit seinen Bildern, w ­ elche er mit Fragmenten aus Zeitungen, Etiketten oder offiziel­len Dokumenten versetzt, als Vorläufer der späteren Soz Art der 1970er-­Jahre angesehen. Er zählt zur Lianozovo-­Künstlergruppe, bestehend aus bildenden Künstlern, Kunstexperten, Literaten und Wissenschaftlern, w ­ elche sich Ende der 1950er-­Jahre in der Agglomera­tion von Moskau in einem von Rabin bewohnten kleinen Zimmer einer Barackensiedlung formiert. Die Kommune steht als eines der ersten Modelle für eine Dissidenten-­Gemeinschaft innerhalb der Sowjetunion und ist bis in die 1980er-­Jahre von Bedeutung.46 An d ­ iesem Ort wird von Igor Cholin (1920 – 1999), Genrikh Sapgir (1929 – 1999), Jan Satunovskij (1913 – 1982), Vsevolod Nekrasov (geb. 1924) und anderen die sogenannte „Barackenpoesie“ kultiviert, eine Sprache, die sich aus ungeschönten Alltagserfahrungen herausformt: „In einem primitivistischen Gestus findet hier die unpoetische Welt von Aggressivität, Alltagskriminalität, Armut, Krankheit und Alkoholismus zu literarischer Form.“47 Hier wohnen unter anderem das Künstlerpaar Oskar Rabin (geb. 1928) und Valentina ­Kropivnickaja. Der Maler Rabin gilt als das Haupt der Lianozovo-­Gruppe. Ihr geistiger Begründer hingegen ist Evgenij Leonidovič Kropivnickij (1893 – 1978), der Vater von ­Valentina.48 Um Kropivnickij bildet sich die neue Avantgarde heraus, die von einem informellen Stil geprägt ist und auch Kabakovs Kunstschaffen nachhaltig beeinflusst.49 N ­ ekrasov blickt zurück und spricht von einem großen Geist der Freiheit, welcher an ­diesem Ort geherrscht habe: „Die Freiheit der Wahl auf dem kleinsten Stück Raum – das ist schon Freiheit. So wie eine lebendige Zelle schon ein Organismus ist. Es ist eine neue Qualität. […] Und solch eine Urzelle eben dieser Freiheit war Lianozovo: ein Privatraum mit einem für das Jahr 1958 beispiellosen Status einer allgemein zugäng­lichen Gemäldegalerie. Ein Zimmerchen in einer Baracke, zu dessen freiem Besuch ganz offen eingeladen wurde.“50

Diese institu­tionelle Einrichtung im Untergrund nimmt die Wohnungsausstellungen (Apt Art) vorweg, die Kabakov neben anderen Kollegen ­später in seinem eigenen Atelier veranstaltet. 46 Vgl. Hirt/Wonders 1992. Vgl. dazu auch die gleichnamige Ausstellung im Museum Bochum, 27.6. – 6. 7. 1992, die Hänsgen zusammen mit Georg Witte konzipiert und organisiert hat; Eichwede 2000, 43; Städtke 2002, 391. „Lianozovo“ war die ehemalige Haltestelle einer Moskauer Vorortbahn, wo die Besucher von Oskar Rabins Zuhause aussteigen mussten. 47 Städtke 2002, 391. 48 KB116, 173 ff. 49 Eichwede 2000, 160. 50 Nekrasov 1998, 28.

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Allgemein erinnern die malerischen Resultate aus den frühen 1960er-­Jahren teilweise an geheimnisvolle, surreale Welten wie beispielsweise Ėrik Bulatovs Lichtdiagonalen, 1964. Es sind jedoch auch konstruktivistische und kubistische Einflüsse zu erkennen wie bei Vladimir Jankilevskijs Triptychon Nr. 4, 1964, und Ilya Kabakovs Gemälden Der Busch, 1961, oder Komposi­tion im konstruktivistischen Stil, 1962. In den späteren 1960er-­Jahren wird in der Malerei auch von „metaphy­sischen Tendenzen“ gesprochen, in denen die Auseinandersetzung mit der Metaphysik des Lichts und dem religiösen Bewusstsein eine Rolle spielen.51 „Unter dem ‚metaphy­sischen‘ Zustand“, so Kabakov in seinen Aufzeichnungen, „verstehe ich die gleichsam konzentriert in der Luft liegende Problematik des Erlebens und des Ausdrucks von allem ‚Transzendenten‘ in der künstlerischen Produk­tion  […].“52 Laut Kabakov s­ eien gerade in Moskau die Künstler für diese „metaphy­sischen Regungen“ empfäng­licher gewesen als die Dichter, Philosophen und Theologen jener Zeit in Leningrad/St. Petersburg. In diese Phase falle auch das allerorten auftretende Interesse am „Silbernen Zeitalter“53 der rus­sischen Philosophie: „Man las und studierte mit Hingabe die Werke Bulgakovs, Berdjaevs, Šestovs, Florenskijs und gab sie einander wie Heiligtümer weiter. Was sie so anziehend macht, sind ihre beiden, sich gegenseitig ergänzenden Seiten: die Theologie, die aus der Sicht der zeitgenös­sischen Sprache verstanden, und die Offenbarung, die in ra­tionalen, philosophischen Begriffen beschrieben wird.“54

Künstler wie Jurij Soboljev, Michail Schwarzman, Eduard Štejnberg, Ülo Sooster oder Vladimir Jankilevskij entwickeln einen privaten Kosmos mit Mikro- und Makrokosmos­ entsprechungen und eigenen abstrakten, surrealen Zeichensystemen, in dem das Schöpferische immer wieder aufs Neue erforscht wird.55 Kabakov streicht noch einen weiteren Zusammenhang heraus, der mit diesen metaphy­ sischen Tendenzen in Verbindung steht: „Der Zustand des geistigen Klimas dieser Zeit war so mächtig und konzentriert, dass er, ohne sich zu verändern, ein wenig s­ päter in eine andere Kunstform überging, die nicht bildend und nicht gegenständ­lich war, näm­lich in die ‚Kunst des Umfeldes‘, die ‚Happenings‘, das Werk

51 Vgl. Sandmann/Barabanov 1999. 52 KB116, 87. 53 Die ersten zwei Dekaden des 20. Jahrhunderts werden in der rus­sischen Literatur als das „Silberne Zeitalter“ bezeichnet. Es ist die Zeit der Symbolisten, Akmeisten, Futuristen, Obėriuten etc., w ­ elche diese außerordent­lich vielfältige literarische Landschaft prägen. 54 KB116, 87. 55 Vgl. Groys 1991b, 47.

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der Gruppe ‚Kollektive Ak­tionen‘, wo dieser Zustand bereits die Form eines konzen­trierten, ‚totalen‘ Erlebnisses annahm, welches tatsäch­lich immer in ihren Ak­tionen präsent war und mit so genauer Sorgfalt in ihren Beschreibungen und Dokumenta­tionen festgehalten wurde…“56

Gleichzeitig spricht Kabakov trotz der Isola­tion von einer Anbindung an irgendeine „Geschichte der Kunst“, die zwar nur in der Vorstellungskraft existiert: „Dort, in dieser Einbildung, in diesen Vermutungen, wurden ‚Brücken‘ wieder errichtet, wurden Ideen, Kunstrichtungen miteinander verknüpft.“57 Die aber mit der Realität nichts gemein hat: „Dafür aber konnte jeder Künstler in seiner Fantasie jeden willkür­lichen Zusammenhang, jede beliebige Epoche oder Methode wählen und sich dermassen in diese vertiefen, dass sie für ihn zu einem authentischen Bestandteil der Realität wurde.“58 Kabakov fasst die Dekade der 1960er-­Jahre in drei unterschied­liche Bewusstseins­ typen von Künstlern zusammen und geht von einer aus „drei Schichten bestehende[n] Struktur der ‚inoffiziellen‘ bildenden Kunst“59 in Moskau aus: Der erste Künstlertypus bringe das inoffizielle Leben, die „Mentalität des inoffiziellen Menschen“60 und damit sich selbst zum Ausdruck. Hier zählt Kabakov die Künstler der Lianozovo-­Gruppe auf und bezeichnet sie als die „Klassiker der inoffiziellen Kultur“61. Der zweite Typus zeichne sich durch seine Selbstbezogenheit, sowohl als Erzeuger als auch als Betrachter der eigenen Kunst, aus. Kabakov meint damit, dass sich dieser Künstlertypus überhaupt nicht auf einen „äusseren Konsumenten“ beziehe, sondern das künstlerische Produkt aus einer tiefenpsycholo­gischen Expressivität heraus generiere.62 Der dritte Typus schließ­lich definiere sich durch seine Fähigkeit, sich den Bedingungen der Isola­tion, des geistigen Eingesperrtseins metaphy­sisch zu entziehen.63 Hier gliedert Kabakov sein eigenes künstlerisches Schaffen der 1960er-­Jahre ein. Dabei werden Jurij Soboljev (1928 – 2002) und sein spezifisch metaphy­sisches Weltbild erwähnt, welches im Allgemeinen an das künstlerische System von Ilya Kabakov erinnert und im Speziel­ len Kabakovs Albumwerk und Installa­tion Universalsystem zur Darstellung von allem (1977 – 1980/2002) ins Gedächtnis ruft.64

56 KB116, 89 – 90. 57 Ebd., 64. 58 Ebd. 59 Ebd., 62 – 64. 60 Ebd., 63. 61 Ebd. 62 Ebd. 63 Ebd., 64. 64 Ebd., 205 – 212. Ilya Kabakov, Universalsystem zur Darstellung von allem, 9. Album auf grauem Papier, 1977 – 1980. Ilya Kabakov, Universalsystem zur Darstellung von allem, 2002, Installa­tion in der Kunsthalle Göppingen, 12.2.–31. 3. 2002.

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Für Kabakov verkörpert Soboljev, den er durch seinen Freund Ülo Sooster kennenlernt, die Trennung „des kühlen, ruhigen und ständig reflektierenden Bewusstseins des Intellektuellen vom unablässig produktiven kreativen Menschen“65. Soboljev sei zugleich der Handelnde und Bewertende, der Unbewusste und Bewusste, gleichsam Schöpfer und Kritiker, die miteinander wie zwei Figuren im Dialog stünden. Diese Charaktereigenschaft treffen wir ­später auch bei Ilya Kabakov und anderen Künstlern aus dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten an. Es handle sich bei Soboljev um eine „offene“, so Kabakov weiter, nicht verschlossene Persön­lichkeit, die dazu neige, an einem solchen Dialog eine bestimmte Zahl von „Zeugen“ teilhaben zu lassen.66 Soboljev sei im Gegensatz zu vielen anderen Künstlerpersön­lichkeiten jener Zeit sehr gebildet. Er besitze eine große universelle Bildung, eine „riesige Datenbank an kultureller Informa­tion“ 67, aus der er schöpfe. Jedes künstlerische Produkt wisse er sogleich als Teil eines großen kulturellen Panoramas einzuordnen, er verstehe es als dynamischen Teil einer Entwicklung. In jedem Teilbereich sehe er den ganzen Kosmos, die ganze Welt einbeschrieben: „Es ist dies ein Mensch, dessen Wissen auf einer tief gehenden künstlerischen Bildung beruht, und das nicht nur im leblos schu­lischen beziehungsweise akademischen, sondern auch im ausserordent­lich breit gefächerten, lebendigen und durchaus zeitgenös­ sischen Sinn.“68 Für Kabakov stellt Soboljev nicht nur den gebildeten Europäer dar (er kann fließend Deutsch und Eng­lisch), sondern figuriert auch als Bindeglied z­ wischen der inoffiziellen Moskauer Kunstszene und der interna­tionalen zeitgenös­sischen Kunst. Als Künstler arbeitet Soboljev in den 1960er-­Jahren im Verlag Znanje und kann dank seiner Funk­tion auch Künstler als Illustratoren einstellen. Durch seine Tätigkeit im Verlagswesen setzt er neue Impulse, die auch auf Kabakov bestärkend und nachhaltig einwirken. Denn Soboljev habe gezeigt, dass eine Illustra­tion kein „Pfusch“ sein müsse, sondern ein vollwertiges Werk künstlerischer Produk­tion. Zudem habe sein Grundsatz gelautet: „Es gibt in der Kunst nichts ‚Künstlerisches‘ und nichts ‚Antikünstlerisches‘. Kunst ist keine Auswahl künstlerischen Materials. Alles kann in ein ästhetisches System eingebunden werden, man muss nur den richtigen Platz dafür finden.“ 69 Dieses Prinzip wendet auch Kabakov in seinem künstlerischen Schaffen an. Der Künstler macht in seinem dialo­gischen Konzept keine Trennung z­ wischen Hohem und Niedrigem, z­ wischen Kunst und Nichtkunst, ­zwischen eigenem künstlerischem Schaffen und der Tätigkeit als Kinderbuchillustrator. Vielmehr stellt er das „Antikünstlerische“ und das „Künst­ lerische“, Low und High, in einen Dialog. 65 66 67 68 69

KB116, 205. Ebd., 206. Ebd., 208. Ebd., 207. Ebd., 213.

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2.2.2 Die 1970er-­Jahre: Die Soz Art Anfang der 1970er-­Jahre beginnen sich Künstler wie Ilya Kabakov, Ėrik Bulatov, Vitalij Komar und Aleksandr Melamid, Dmitrij Aleksandrovič Prigov oder Lev Rubinštejn mit der sozia­listischen Ideologie auseinanderzusetzen und machen sie zu ihrem Arbeitsmaterial. Kabakov spricht hier „vom plötz­lichen, unvorhersehbaren und unerwarteten Eindringen einer aufrichtigen, ungeschminkten, nicht künstlerisch aufgeputzten, an der Ästhetik der Strasse und des Sozia­len orientierten Produk­tion und Thematik in das ‚Hoheitsgebiet der Grossen [sic] Kunst‘“70. Die Bilderwelt der sowjetischen Massenkultur sei durch und durch literarisiert, sie illustriere das große Epos des historischen Fortschritts unter sozia­ listischen Bedingungen. Der in seinem Wesen anti-­malerische Charakter dieser Kunst trete am deut­lichsten in dem außerordent­lichen Stellenwert hervor, den die Schrift, die Buchstaben in ihr einnähmen, argumentieren Günter Hirt und Sascha Wonders.71 Ėrik Bulatovs Werk Horizont, 1971/1972, oder Komars und Melamids erste Bilder wie Doppel-­Selbstbildnis, 1973, Der Feind hört mit!, 1972, oder Ein Zitat, 1972, begründen diese Richtung der Soz Art. Eine Erklärung sieht Kabakov darin, dass ein heftiger Wind der ideolo­gischen Propaganda über das Land fegte, wobei es auf einmal mög­lich erschien, „nicht dort hin [sic] zu blicken, wohin der Zeigefinger der Propaganda weist, sondern sich umzudrehen und diesen Finger selbst zu betrachten […] all diese bedroh­lichen, nicht zur Betrachtung vorgesehenen Gegenstände der Propaganda, die jeden von uns immer unablässig angeblickt hatten, wurden aus irgendeinem Grund nun selbst zu Gegenständen der Betrachtung.“72

Dabei finden nicht nur die Sprache und die unverkennbare Ästhetik der ideolo­gischen Propaganda, der Plakatkunst etc. imitierenden und persiflierenden Einlass in die künstle­ rische Arbeitsweise, sondern auch die Sprache des „einfachen sowjetischen Menschen“ und des einfachen Lebens in der Kommunalwohnung oder -küche oder jene „am Rande“ der sowjetischen Gesellschaft wie in Ilya Kabakovs Gemäldeserie Am Rande der 1970er-­Jahre oder Viktor Pivovarovs Projekte für einen einsamen Menschen, 1975. Diese Bildbenennung konnotiert Kabakov auch biografisch, es befinde sich alles und jedes „am Rand“, es sei unmög­lich, ja ungehörig, im „Zentrum“ zu existieren.73 Diese Aussage regt auch zum Nachdenken über Kabakovs zweite Heimat auf Long Island nach. Seine Niederlassung auf dieser Halbinsel öst­lich von New York findet sich am Wasser mit Blick gegen Osten. Der Standort impliziert eine Sehnsucht. Ilya Kabakov arbeitet hier sozusagen „am Rande“ weiter. 70 71 72 73

KB116, 96. KB74, 194. KB116, 98. KB111, 27.

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Einer der Gründe dieser Wendung zur sozia­len Kunst sieht Kabakov darin, „dass ich die Beschreibung meines ‚Innenraums‘ vollständig abgeschlossen hatte und mit furchtbarer Kraft aus dem persön­lichen Kellerloch (meines Bewusstseins), meiner ‚Höhle‘, herausgesprungen [sic] war, fast wie mit einem Schrei: ‚Da bin ich nun auch, sagt schon, was geht hier draussen bei euch vor?‘ Ich erblickte sozusagen die Aussenwelt, nachdem ich die innere – bereits als beschriebene – hinter mir gelassen hatte und sie interessierte mich; ich fühlte mich beinahe wie neu geboren, hatte das andere völlig vergessen und wollte nicht mehr dorthin in das Innere zurückkehren.“74

Dies im Gegensatz zur vorangegangenen Periode, die Kabakov als „erste innere“ ­Perio­de beschreibt: „als eine unend­lich schwierige, qualvolle, die einem undurchdring­lich zähen ‚Sack‘ voller innerem Lärm g­lich, wie das Geheul meines inneren Wesens, meines persön­lichen Bewusstseins, ausschliess­lich meines eigenen ‚Ichs‘. Dieser Lärm und ­dieses Geheul trennten mich in erster Linie von der rest­lichen Welt und von den anderen ‚Ichs‘. Ich war seltsam und stand mit der Aussenwelt in keiner Weise in Einklang oder in Beziehung. Ich war verschlossen, und nichts aus dieser Aussenwelt drang in mein Inneres vor.“75

Mit dem neuen „sozia­len“ Zustand änderte sich auch die künstlerische Sichtweise: „[…] ich begann diesen Zustand nicht von innen, sondern gewissermassen von aussen darzustellen beziehungsweise zu beschreiben.“76 So hat Ilya Kabakov begonnen, diesen Zustand der „Allgemeinheit“ zu untersuchen und zu verkörpern: „Nichts musste ausgedacht werden – weder die Form noch die Art – alles war ‚schon fertig‘ und jedermann bestens, ja sogar bis zum Überdruss bekannt“ 77, schreibt Kabakov über seine Werke. 2.2.3 Die 1980er-­Jahre: Die Ausdehnung im Raum Mit den Werken der auftretenden Soz Art in den 1970er-­Jahren als künstlerische Verarbeitung der ideolo­gischen Außenwelt, wie es Kabakov oben beschreibt, ist auch eine zunehmend phy­sische Eroberung des Raumes zu beobachten. Ilya Kabakov stellt in den 1970er-­Jahren

74 KB116, 147. 75 Ebd. 76 Ebd., 148. 77 Ebd., 149.

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Gemälde her, die in ihrer schieren Größe sein Atelier fast räum­lich sprengen.78 Ab 1976 finden die performativen Veranstaltungen der Gruppe Kollektive Ak­tionen um Andrej Monastyrskij im freien Feld außerhalb Moskaus statt. In den 1980er-­Jahren folgen die Aktivitäten der Medhermeneuten mit Sergej Anufriev, Jurij ­Lejderman und Pavel ­Pepperštejn, der Muchomors (oder Fliegenpilze) oder der Gruppe Im Kindergarten. Sowohl das Visuelle als auch das Textuelle greifen immer mehr in den Raum ein, dehnen sich immer weiter aus. Ist es erst der private (inoffizielle) Raum wie Atelier, Wohnung etc., der beansprucht wird, folgt s­ päter auch die Erweiterung in den öffent­lichen (offiziellen) Raum. Ilya Kabakov bringt 1983 seine erste Installa­tion Die Ameise auf Papier hervor. Mit der zweiten Installa­tion Weisse Männchen aus dem gleichen Jahr wird das Moskauer Atelier mit gespannten Seilen bespielt. Damit beginnt er, den umgebenden Raum immer mehr zu berücksichtigen. Fanden die Interak­tionen ­zwischen Wort und Bild bei Kabakov erst auf der zweidimensionalen Fläche statt, wird nun der umgebende Raum in die installative Arbeit miteinbezogen. Diese ideolo­gisch geprägte Hülle für seine Installa­tionen wird ihm s­ päter im Westen fehlen, woraus er schließ­lich die „totale“ Installa­tion als stehenden Begriff entwirft, als „ein vollständiger bearbeiteter Raum“79. Für die Moskauer Konzeptualisten stehen die 1980er-­Jahre aber auch als Zeit des Umbruchs und Ausbruchs, als Wirken z­ wischen den ideolo­gischen Fronten, z­ wischen Ost und West, z­ wischen Plan- und Marktwirtschaft. Groys hält fest, dass die rus­sischen Künstler der 1980er-­Jahre eine fast vollständige Ortlosigkeit und eine schwindelerregende Vielfalt der Mög­lichkeiten erlebten, die ihnen aber alle gleich fremd ­seien.80

2.3 Der Text und die Spr ache als elementar e Wesenszüge Generell zeichnet sich bei all den Arbeiten der Moskauer Konzeptualisten eine besonders enge Beziehung zur Sprache und zum Text, überhaupt zur Literatur, ab. Dies beruht einerseits auf der ideolo­gischen Propaganda, ­welche in den verschiedensten Textformen zum Ausdruck kommt und im sowjetischen Leben auch in den 1970er-­Jahren immer noch allgegenwärtig ist, wenn „auch schon längst völlig unglaubwürdig und inner­lich leer“81.

78 Ein Beispiel dazu ist die großformatige Gemälde-­Gruppe Am Rande, die aus seinem Dachatelier am Sretenskij-­Boulevard 6/1 in Moskau mangels Platz nicht über die Treppe aus dem Haus geschafft werden konnte, sondern für die erste Einzelausstellung in der Kunsthalle Bern 1985 in einer mühsamen Ak­tion über das Fenster der Hausmauer entlang abgeseilt werden musste. Vgl. die Ausführungen und Abbildung in Ausst.Kat. Bern 1985; Jolles 1997, 102 – 109. 79 Zum Begriff der „totalen“ Installa­tion vgl. KB83, hier: 27. 80 Groys 1991 f, 140. 81 Groys 1995a, 214.

Der Text und die Sprache als elementare Wesenszüge  |

Kabakov beschreibt die damalige Situa­tion als Leben „innerhalb eines einzigen Textes“82. So habe es für ihre Reklamen, Aufrufe, Erklärungen, Anweisungen, Pläne, Musterbiografien usw. niemals und nirgends irgendeine Entsprechung in der Realität gegeben. Es handle sich bei d ­ iesem Gegenstand (Kabakov meint hier den „einzigen“ Text) um einen reinen, in sich selbst geschlossenen Text im unmittelbarsten Sinn des Wortes. Ihre Texte würden sich ausschließ­lich an andere Texte wenden, und ein jeder Text sei zugleich Text, der einen vorangehenden Text überschreibe. In ­diesem Sinn existiere bei ihnen tatsäch­lich eine Wittgenstein’sche Hermeneutik: „Wir alle leben sozusagen innerhalb eines einzigen ‚Textes‘ […] und alles wird zur ‚Sprache‘.“83 Womit Kabakov im übertragenen Sinn auf Ludwig Wittgensteins „Tractatus logico-­philosophicus“ von 1921 anspielt, der mit den Worten beginnt “The world is all that is the case. The world is the totality of facts, not of things. The world is determined by the facts, and by their being all the facts […].”84 Die Kunsthistorikerin Ekaterina Bobrinskaja spricht vom „totalen Text“, der das ganze (sowjetische) Leben seiner Logik unterwerfe,85 dies unter Berücksichtigung von Stalins Doktrin, worin Stalin die Schriftsteller als „Ingenieure der menschlichen Seele“ bezeichnet. Diese Doktrin zieht sich wie ein Leitmotiv durch die zahlreichen litera­rischen Gattungen wie Produk­tionsroman, Erziehungsroman, Geschichtsroman, Massen­lied oder Kinderliteratur hindurch.86 Ausgewählte Autoren aus dem 19. Jahrhundert erfahren unter Stalin eine wahre Renaissance. So werden 1937 der 100. Todestag Puškins oder 1939 L ­ ermontovs 125. Geburtstag mit großen Feier­lichkeiten und Neuerscheinungen begangen. Einige Autoren dieser Epoche werden kanonisiert und zu „literarischen Leitbildern“ auserkoren, andere wiederum gelten als zu wenig „volkstüm­lich“ und sind somit nicht einsetzbar für die Propaganda.87 Andererseits gehören zum Kreis der Moskauer Konzeptualisten auch Dichter und Schriftsteller wie Lev Rubinštejn, Dmitrij Aleksandrovič Prigov oder Vladimir Sorokin, w ­ elche die zeitgenös­sische Auseinandersetzung mit der Literatur und ihrer Funk­tion vorantreiben und den Dialog ­zwischen Literatur und Kunst wechselseitig stimulieren. Sorokins Tätigkeit als Buchillustrator von Kinderbüchern, vor allem aber seine Teilnahme an den Ak­tionen bei den Kollektiven Ak­tionen ab 1976 bringt ihn in Kontakt mit anderen Moskauer Konzeptualisten. Zudem haben Sorokin wie Prigov eine Ausbildung als bildende Künstler, wobei sich dies auch in ihren Arbeiten niederschlägt. Sorokin spricht aus der Sicht eines bildenden Künstlers, wenn er als Autor Auskunft über seine schriftstellerische Tätigkeit gibt:

82 KB116, 150 – 151. 83 Ebd., 151. 84 Wittgenstein 1921. 85 Bobrinskaja 2008, 41. 86 Vgl. Schmitt/Schramm 1974. 87 Lauer 2000b, 689; Städtke 2002a.

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„Für mich ist das eine rein plastische Arbeit – das Wort ist wie Ton. Ich spüre mit dem g­ anzen Körper, wie ich den Text modelliere. Das Verhältnis zur Literatur ist bei mir unliterarisch. Näher stehe ich der bildenden Kunst. Den ersten schöpferischen Impuls erhielt ich von Künstlern, die mir halfen, meine ästhetischen Prinzipien zu formen.“88

Rubinštejn wählt seit 1973 kleinformatige Karteikarten als Träger für seine Sätze oder Zitate. Die Karten werden nummeriert und zu einer Serie zusammengefügt.89 Dieses performative Verfahren erinnert an Ilya Kabakovs Albenserie der 1970er-­Jahre, ­welche wie jene von Viktor Pivovarov ­zwischen Text und Bild funk­tioniert. Die ersten durchgeführten Ak­tionen der Gruppe Kollektive Ak­tionen seit 1976 bestehen sowohl aus Dichtung als auch aus Ak­tionskunst. Einige der Gemälde von Ėrik Bulatov korrelieren mit der Dichtkunst von Vsevolod Nekrasov aus dem Umfeld der Lianozovo-­Bewegung.90 Die Ak­tionen, Bilder und Texte der Mitglieder der Gruppe Medizinische Hermeneutik Sergej Anufriev, Pavel Pepperštejn und Jurij Lejderman, also der jüngeren Genera­ tion der Moskauer Konzeptkunst, dienen einem ständigen und unend­lichen Diskurs ­zwischen Interpretieren, Kommentieren und Analysieren, welcher ihr ganzes Leben durchdringt und entsprechend der Namensgebung der Gruppe eine heilende Wirkung haben soll. Die Texte und Objekte der Medhermeneuten basieren auf diversen (pseudo-) wissenschaft­lichen hermeneutischen Systemen z­ wischen Ost und West, z­ wischen Kunsttheorie, Philosophie, Psychologie, Mystik, Religion, Theologie etc.91 Der Diskurs entfalte sich dabei, so Groys, stets genau an der Grenze z­ wischen ra­tionaler Verständ­lichkeit und paranoidem Delirium, tiefer Deutung und oberfläch­lichem Unsinn, Ernsthaftigkeit und Parodie.92 Ihre Arbeit „ist die Praxis des systematischen Zerredens aller Inhalte“93, ­welche buchstäb­lich in die Leere führt. Ihre Installa­tionen bestehen weniger aus dem unmittelbaren Text als vielmehr aus einem bestimmten Diskurs und seinen Verweisen und Verzweigungen, der räum­lich illustriert wird. Das bestimmende Merkmal der Moskauer Konzeptkunst ist „die Menge der Begleittexte zu jeder künstlerischen Ak­tion und zu jedem Kunstwerk“94 und das weitgehende Verschwinden der Kunstobjekte „unter der Masse der Kommentare“, hält Boris Groys fest.

88 Vaj’l/Genis 1992, 141, hier zit. nach: Sasse 2003, 209. 89 Vgl. Rubinštejn 1994; Rubinštejn 2003. 90 Vgl. Bobrinskaja 2008, 45. 91 Groys 1991 f, 139. 92 Ebd. 93 Groys 1995d, 87. 94 Groys 1991d, 31.

Ein System im System  |

2.4 Ein System im System Die politische und gesellschaft­liche Isola­tion kompensieren die inoffiziellen Künstler mit der Schaffung ihrer eigenen Kunstszene, ­welche immer mehr zu einem „quasi-­ institu­tionellen“ Apparat heranwächst und ein geschlossenes System im System bildet. In der zweiten Hälfte der 1970er-­Jahre beginnen sich die Künstler abwechslungsweise in Wohnungen von Freunden zu treffen, wobei Gedichte und Prosatexte, aber auch theoretische Abhandlungen vorgelegt werden; es wird über das eigene Kunstschaffen reflektiert und diskutiert. An ­diesem Kreis, welcher sich „im Laufe der Jahre zu einem regelrechten Seminar entwickelte“95, nehmen unter anderen Künstler wie Ilya Kabakov, Ėrik Bulatov, Oleg Vasil’ev, Ivan Čujkov, Francisco Infante 96, Andrej Monastyrskij, die Dichter Dmitrij Aleksandrovič Prigov, Lev Rubinštejn, Vsevolod Nekrasov, der Kritiker Iosif Bakštejn, Vladimir Papernij und Boris Groys teil. 2.4.1 Selbst-­Institu­tionalisierung Ein weiterer Schritt in Richtung Selbst-­Institu­tionalisierung folgt mit den Gründungen inoffizieller Sprachorgane wie 1976 mit jener der in Leningrad/St. Petersburg publizierten Samizdat-­Zeitschrift „37“ und 1979 mit jener des in Frankreich gegründeten Magazins „A-Ja“ [von A bis Z], welches durch den nach Paris emigrierten Bildhauer Igor Šelkovskij in rus­sischer und eng­lischer Sprache herausgegeben wird.97 Letzteres öffnet erstmals auch einer west­lichen Leserschaft den Zugang zur Moskauer Konzeptkunst und ihrer Eigenheit. Es folgen private Wohnungsausstellungen (Apt Art) wie bei Sascha Glezer, der das inoffizielle Kunstschaffen sammelt, verwaltet und in seiner Wohnung jeweils Ausstellungen organisiert. Ausstellungen und Ak­tionen werden aber auch in Küchen, in der Datscha oder im Atelier abgehalten. Zudem entwickeln die Beteiligten eine Art Privatsprache, ein privates Vokabular, welches 1999 in einem eigens publizierten Wörterbuch zusammengefasst wird.98 So wird zum Beispiel die Farbe Weiß, die Leere, überhaupt der leere Raum für den Kreis der Moskauer Konzeptualisten aufgeladen und bedeutungsschwer.99 Für ihre Ak­tionen wählen 95 Groys 1991, 14. 96 Infantes Vater emigrierte nach dem Sieg Francos im spanischen Bürgerkrieg nach Moskau. 97 Vgl. Samizdat-­Zeitschrift „37“, hrsg. v. Tat’jana Goričeva/Viktor Krivulin, Aufl. 20 Stück mit 22 Nummern, Leningrad; Zeitschrift „A-Ja“, hrsg. v. Igor Šelkovskij, 7 Hefte in russ. und engl. Sprache, Paris 1979 – 1985. 98 Monastyrskij 1999. 99 Ilya Kabakov verbindet die Begriffe die „Farbe Weiss“, die „Leere“ und das „Licht“ zu einer Triade: „Die Leere entfaltet ihre ganze Kraft und maximale Bedeutung nur in Kombina­tion mit dem ‚Licht‘ und dem ‚Weissen‘. Es handelt sich dabei um eine weiße, leuchtende Leere, eine Leere, die voll ist von

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die Organisatoren der Kollektiven Ak­tionen weiße Schneefelder außerhalb Moskaus, auf denen sie ihre Ak­tionen durchführen. Im Wörterbuch der Moskauer Konzeptualisten wird das weiße Feld als ein „System von Elementen des raum-­zeit­lichen Kontinuums“100 bezeichnet. Und Andrej Monastyrskij hält fest: „Die Leere ist keine zeit­liche oder räum­ liche Pause, sondern ein unend­lich aufgeladenes Feld, das in sich die Mög­lichkeit und den Reichtum verschiedenster Bedeutungen und Sinngebungen bereithält.“101 Für Kabakov tritt die Leere des weißen Blattes „als nahezu exaktes Äquivalent des Schweigens“ auf, eines Schweigens jedoch, „das nicht Verneinung ist, sondern ganz im Gegenteil – eine Fülle, die jeg­liche Aussage übertrifft“.102 Und im Gespräch mit Boris Groys macht er die fernöst­lich klingende Aussage: „Die Leere hat die Doppelbedeutung von ‚Leere‘ und ‚Fülle‘. Wo ‚nichts‘ ist, ist vielleicht auch ‚alles‘.“103 Die Performances der Gruppe Kollektive Ak­tionen im öffent­lichen Raum außerhalb Moskaus gelten sowohl als „Kunst-­Happenings“ als auch als „sozia­le Veranstaltungen“, wo sich der Kreis der Moskauer Konzeptualisten in performativen Tätigkeiten immer wieder zusammenfindet.104 Diese Zusammenkünfte werden mit verschiedenartigen Texten begleitet, rezipiert und dokumentiert. Schließ­lich finden seit den 1980er-­Jahren „Archiv- und Musealisierungsprojekte“ statt wie die Materialbände „Reisen vor die Stadt“ der Kollektiven Ak­tionen rund um Andrej Monastyrskij oder die Gründung des Moskauers Archiv für Neue Kunst (MANI). Besonders Monastyrskij und seine Gruppe der Kollektiven Ak­tionen haben zum Prozess der „Selbst-­Institu­tionalisierung“ und zur Selbstarchivierung der Moskauer Konzeptualisten beigetragen.105 1988 rufen die Moskauer Konzeptualisten mit dem Museum MANI ihre eigene Sammlung ins Leben. Seit 1993 existiert neben MANI und NOMA mit MOKŠA (MOskovskaja Konceptual’naja ŠkolA) noch eine dritte Bezeichnung für den Kreis der Moskauer Konzeptualisten. Der Begriff stammt von Andrej Monastyrskij. MOKŠA ist, wie NOMA, vieldeutig und steht neben anderen Bezeichnungen für den Namen einer altslavischen Göttin Mokoš’ oder bedeutet auf Sanskrit Befreiung (Moskha).106 strahlendem Weiß, genauer gesagt, einem beinahe blendenden Licht, in dem wir gerade wegen ­dieses Lichts nichts erkennen können. ‚So hell, dass man nichts sehen kann.‘ Auf diese Weise betrachtet, kann das Wort ‚Leere‘ durch ‚Fülle‘ ersetzt werden.“ In: KB116, 125 – 126. 100 Monastyrskij 1999, 37, hier zit. nach: Sasse 2003, 72. 101 Ebd., 75, hier zit. nach: Sasse 2003, 81. 102 KB116, 125. Diese positive Umdeutung der Leere, des Nichts und der Farbe Weiß als Nährboden verweist auch auf Kazimir Malevičs suprematistische ­Theorie, 1913 – 1919. 103 KB27, 11A. Vgl. dazu auch den Dialog über „Die Leere“ ­zwischen Boris Groys und Ilya Kabakov, in: KB47, 93 – 101 und das Gespräch mit Matthias Haldemann über „Das weisse Schreiben“, in: KB138, 76 – 85. 104 Sasse 2003, 55-64. 105 Vgl. Zwirner 2008. 106 Sasse 2003, 18; Sasse 1997. Küpper erwähnt für MOKŠA auch noch das weib­liche Genital, Nirvana und eine synthetische Droge aus Aldous Huxleys Essay „Moksha“, in: Küpper 2000, 23.

Nach der Perestrojka  |

2.5 Nach der Per estrojk a Mit der Auflösung der Sowjetunion 1991 und dem Wegfall des ideolo­gischen Systems werden den Moskauer Konzeptualisten auch ihre sprach­lichen Grundlagen genommen, ihre opposi­tionelle Posi­tion wird entsprechend obsolet. Dieser Verlust ist indes auch mit ihrer Entdeckung und Anerkennung durch den west­lichen Kunstmarkt gekoppelt. Alledem gegenüber reagieren sie „mit einem intensiven Prozess der Selbstbespiegelung und Historisierung“, wie es Dorothea Zwirner beschreibt.107 So führt Vadim Z ­ akharov den Archivierungsprozess in den 1990er-­Jahren mit seinen Tätigkeiten als Archivar, Typograf und Verleger der Zeitschrift „Pastor“ weiter, zumal er bereits 1983 das bedeutende Dokument „Durch die Ateliers“ („Po masterskim“) mit Atelierfotografien und Künstlerinterviews herausgegeben hat.108 Währenddessen wächst Ilya Kabakov zum großen Geschichtenerzähler über das sowjetische Leben heran und expandiert mit seinen „totalen“ Installa­tionen die „psycholo­gische Topographie“ der Sowjetunion in den Westen. Durch die Globalisierung erleben die Menschen einen Prozess der Deindividualisierung. In Kabakovs künstlerischem Prozess ist aber auch die Rede von einer Individualisierung, von der Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie. Im Gegensatz zum west­lichen Menschen erlebt der ehemals sozia­listische Mensch einen Individualisierungsprozess ganz im Sinne von Anna Achmatovas Schilderung im Gedichtzyklus „Requiem“ (1957), wie es Olaf Terpitz mit anderen Worten formuliert: „Das wiederentdeckte Autoren- und Leser-‚Ich‘ bäumt sich auf gegen das kollektive -‚Wir‘ […] Die Wiederkehr des Individuums, das sich gegen das enge Korsett der Doktrin des sozia­ listischen Realismus wehrt, erfolgt mittels Rückgriff auf Konstrukte der Differenz. Die persön­ liche Biographie, das Dorf als Ort der Bewahrung der tradi­tionellen rus­sischen Lebenswelt, das Erlebnis des Krieges treten als Sujet, als Methode des Zugriffs auf die Wirk­lichkeit in den Vordergrund.“109

Kabakov, der Ende der 1980er-­Jahre in die USA emigriert, reagiert darauf mit einer intensiven Auseinandersetzung mit seiner ehemaligen sowjetischen Heimat und deren Mentalität, ­welche er historisierend und archivierend künstlerisch verarbeitet, ganz im Sinne von Sergej Kovalëvs Diktum: „Ich begriff, dass das Sammeln, Überprüfen, Systema­ tisieren und Verbreiten von Informa­tionen wahrschein­lich die wichtigste von allen Bürgerrechtsaktivitäten war.“110 Kabakov beginnt erst recht, seine sowjetische Identität 107 Zwirner 2008, 82. 108 Zakharov 1983. 109 Terpitz 2008, 37. 110 Kovalëv 1997, 74, hier zit. nach: Hirt/Wonders 1998, 26.

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einem dialo­gischen „Organisa­tionsprinzip“ zu unterwerfen, indem er das Erlebte in immer wieder neuen Zusammenhängen zeigt. Einen ersten Höhepunkt dieser „Mythenbildung“111 erreicht Kabakov 1993 mit seiner Installa­tion NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten in der Hamburger Kunsthalle. In dieser kreisrunden Installa­tion versammelt er zwölf Posi­tionen des NOMA-Kreises um ein leeres Zentrum: Boris Groys, Iosif Bakštejn, Dmitrij ­Aleksandrovič Prigov, Lev Rubinštejn, Vladimir Sorokin, die Mitglieder der Gruppe der Medizinischen Hermeneutik, Jurij Lejderman, Andrej Monastyrskij, die Gruppe Kollektive Ak­tionen, Nikita Alekseev, Vadim Zakharov und sich selbst. Jedes Mitglied bewohnt gewissermaßen einen Sektor, welcher von ihm mit Texten und anderen Produk­tionen bespielt wird, wobei das Interieur mit je einem Bett, Nachttisch, Tisch, Stuhl und einer Lampe an ein Krankenhauszimmer und damit an die Vorgehensweise der Medizinischen Hermeneutiker erinnert. Die Leere im Zentrum ist sinnstiftend für die immense Textproduk­tion oder, nach den Worten Kabakovs, für das „ununterbrochene Geschwätz“ und die „unaufhör­ lichen Gespräche“112, w ­ elche ­diesem Kreis einbeschrieben sind und sich um diese zentrale Achse um ein Vielfaches weiterdrehen und in die Unend­lichkeit führen: „Sowohl von innen wie von aussen lässt der Inhalt d ­ ieses Raumes denselben Eindruck entstehen: ein Meer von Texten, ein Meer von geklebtem Papier; es gibt wenig zu sehen, immer nur Worte…“113 2003 generiert Vadim Zakharov für die Ausstellung „Berlin – Moskau. Moskau – Berlin“ im Martin Gropius-­Bau in Berlin die Installa­tion Geschichte der rus­ sischen Kunst von der rus­sischen Avantgarde bis zum Moskauer Konzeptualismus. In den fünf begehbaren Aktenordnern chronologisiert und archiviert Zakharov die Geschichte der rus­sischen Kunst des 20. Jahrhunderts, von der „Utopie der rus­sischen Avantgarde“ über die „Ideologie des Sozia­listischen Realismus“ zur „Kunst des Nonkonformismus der 1950er und 1960er“ und der „Selbstkritik der Sozart“ bis hin zum „Archiv der Moskauer Konzeptualistenschule“.

111 Zwirner 2008, 83. 112 KB62, 186. 113 Ebd., 189.

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Abb. 1  Ilya und Emilia Kabakov, Trinkbrunnen, 2003, Carrara-Marmor, Stadt Zug, Schenkung der Wasserwerke Zug AG. Foto: Guido Baselgia.

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Abb. 2  Ilya Kabakov, Die Fliegenkönigin, 1965, Öl und Lackfarbe auf Hartfaserplatte und Holz, 48,5 × 60 × 6 cm, Privatsammlung Schweiz.

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Abb. 3  Ilya Kabakov, Die Fliege, 1989, Öl und Lack auf Holzfaserplatte, zweiteilig, 250 × 380 cm, Privatsammlung New York.

Abb. 4  Ilya Kabakov, Person und kleines Haus, 1969, Öl und Lackfarbe auf Hartfaserplatte, 133 × 190 cm, Kunsthalle Bremen 1995.

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Abb. 5  Ilya Kabakov, kolorierte Originalzeichnungen zu „Tima ist zu Hause“ von Anatolij Markovič Markusha, 1968, Fotos: Thomas Ruch.

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Abb. 6  Ilya Kabakov, 8. Blatt aus dem Album Der fliegende Komarov, 1970 – 74, 32 Seiten, je 51,5 × 35 cm, Musée National d’Art Moderne, Centre Georges Pompidou, Paris.

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Abb. 7  Ilya Kabakov, Am Rande # 3, 1974, Öl und Lackfarbe auf Hartfaserplatte, 300 × 190 cm, Privatsammlung Schweiz.

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Abb. 8  Ilya Kabakov, 32. Blatt aus dem Album Der Verzierer Malygin, 1970 – 74, 72 Seiten, je 51,5 × 35 cm.

Abb. 9  Ilya Kabakov, Sie liegen unten, 1969, Lackfarbe auf Hartfaserplatte, 110 × 172 cm, Collection John L. Stewart, New York.

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Abb. 10  Ilya Kabakov, 6. und 23. Blatt aus dem Album Der Quälgeist Surikov, 1970 – 74, 50 Seiten, je 51,5 × 35 cm.

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Abb. 11  Ilya Kabakov, Ekaterina Lvovna Sojka: Wem gehört diese Henkeltasse?, April 1982, Objekt (Metall), Öl und Lackfarbe auf Hartfaserplatte, 70 × 120 cm, Sammlung Max Dolgicer, New York 2005.

Abb. 12  Ilya Kabakov, Sie schauen # 1, 2010, Öl auf Leinwand, 172 × 284 cm, Courtesy Ilya und Emilia Kabakov.

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Abb. 13  Rembrandt Harmensz. van Rijn, Die Vorsteher der Tuchmacher-Gilde, 1662, Öl auf Leinwand, 191,5 × 279 cm, Rijksmuseum, Amsterdam.

Abb. 14  Marc Chagall, Über der Stadt, 1914 – 18, Öl auf Leinwand, 141 × 198 cm, Staatliche Tret’jakov-Galerie, Moskau.

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Abb. 15  Ilya Kabakov, NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten, 1993, Installationsansicht, Hamburger Kunsthalle, Hamburg, 1993, Foto: Elke Walford.

3 Ilya Kabakov und das Dialo­gische „Grundsätz­lich ist zu sagen, dass das Phänomen der ­dialo­gischen Darstellung für mich das Allerwichtigste ist. Praktisch alles, was ich mache, schaffe ich in irgendeiner Kommunika­tion.“1 Ilya Kabakov, 1988

Ilya Kabakov entwirft sein künstlerisches System zu einer Zeit, in der Michail Bachtins literaturwissenschaft­liches Konzept der Dialogizität in der Sowjetunion reaktiviert wird und strukturalistische sowie poststrukturalistische Theorien aus Frankreich in der rus­ sischen Intelligenzija großen Anklang finden: 1963 erscheint die Neuauflage von Bachtins Buch „Probleme der Poetik Dostoevskijs“ (1929), 1965 folgt die Erstpublika­tion „­Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur“, 1970 jene von „Epos und Roman“, 1974 der Sammelband „Zur Ästhetik des Wortes“ und 1979, also erst nach Bachtins Tod, „Autor und Held in der ästhetischen Tätigkeit“. Der Literaturwissenschaftler greift in dieser Zeit noch selbst in diesen „Aktualisierungsprozess“ mit ein, indem er einige seiner Begriffe aus dem eigenen Frühwerk neu überdenkt, sich abermals mit seinen Schriften befasst und diese teils überarbeitet und gar neu kontextualisiert.2 Neben Bachtins literaturwissenschaft­lichen Theorien sorgten in Moskau auch die west­lichen Diskussionen um die aufkommenden Theorien zum (Post-)Strukturalismus für große Aufmerksamkeit. Zur damaligen Stimmung bemerkt Boris Groys: „Bereits in den sechziger Jahren waren in der Sowjetunion verschiedene strukturalistische Theorien sehr in Mode gekommen.“3 Zumal es in Russland dazu „eine eigene lange Tradi­tion des Formalismus gab“4. Andere führende Theoretiker des west­ lichen Poststrukturalismus wie Barthes, Foucault, Derrida, Lyotard oder ­Baudrillard ­seien damals in der Sowjetunion ebenfalls wohlbekannt gewesen, und man könne sagen, dass der (Post-)Strukturalismus Anfang der 1970er-­Jahre praktisch die sowjetische Geistes­ wissenschaft bestimmt habe.5 Kabakov sind Bachtins Theorien bekannt.6 Der Künstler schafft sich ab den 1970er-­ Jahren mit seinem künstlerischen System ein Konzept, das zu jenem Bachtins große

1 Ausst.Kat. Bern 1988, 70. 2 Vgl. dazu Sasse 2010, 176 – 189. 3 Groys 1991, 11. 4 Ebd. 5 Ebd. 6 Vgl. KB138, 73; Ausst.Kat. Bern 1988, 70.

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strukturelle Parallelen aufweist. Genauso wie bei dessen literaturwissenschaft­lichem Dialogizitätsprinzip finden wir bei Kabakov ein vielstimmiges, polyperspektivisches, heterogenes, organisches und unabgeschlossenes Kunstsystem vor, das mit jenem von Bachtin eng verwandt ist. Kabakov sucht im Sinne Bachtins den Dialog mit seiner Kunst, dialogisiert sich selbst und schafft dabei einen selbstreferenziellen Kommentierungsapparat. Der Grund dafür liegt vor allem im fehlenden öffent­lichen Diskurs im damaligen sowjetischen Kunstsystem. Kabakov hält fest: „Es gab keine Ausstellungen, keine Verkaufsmög­ lichkeiten, keine Kritik, keine Betrachter.“7 Stattdessen baut sich Kabakov als inoffizieller Künstler im Moskauer Untergrund ein eigenes, privates System mit potentiellen Stimmen und fiktigen Figuren auf, die seine Kunst dialogisieren. Diesen Umstand erklärt Ilya Kabakov 1982 in seinem Essay „Der doppelte Blick des Künstlers auf sein Werk“ mit dem fehlenden Betrachter, mit der fehlenden öffent­lichen Rezep­tion: „Es führt dazu, dass der ‚andere‘ Betrachter durch einen Betrachter ersetzt wird, zu dem der Künstler, der Produzent selbst [sic] wird.“8 Es erfolge eine Ersetzung des Rezipienten, so der Künstler weiter. Mit ihren Meinungen und Ansichten machen Ilya Kabakovs fiktive und reale Stimmen sein Werk vielstimmig, vieldeutig, eröffnen immer wieder eine neue mög­liche (Deutungs-)Richtung. Bei Bachtin zu lesen und auf Kabakov zutreffend ist: „Der Held aus dem Untergrund verfolgt aufmerksam jedes fremde Wort über sich, betrachtet sich gleichsam in allen Spiegeln fremder Bewusstseine, kennt alle mög­lichen Brechungen seines Bildes in ihnen; er kennt auch seine objektive, sowohl einem fremden Bewusstsein, als auch seinem eigenen Selbstbewusstsein gegenüber neutrale Bestimmung, er zieht den Standpunkt eines ‚Dritten‘ in Betracht. […] Sein Selbstbewusstsein lebt von seiner Unabgeschlossenheit, Offenheit und Unentschlossenheit.“9

Michail Bachtins gesellschaft­liche Posi­tion innerhalb der Sowjetunion ist jener der Moskauer Konzeptualisten – Kabakov miteinbezogen – in gewisser Hinsicht ähn­lich. Beide Seiten stehen mit ihren „ästhetischen Tätigkeiten“ im Abseits der offiziellen sozia­listischen Kultur, beide üben in ihren Tätigkeitsfeldern Kritik am vorherrschenden totalitären System. Der Literaturwissenschaftler wird ab den 1930er-­Jahren „territorial und gesellschaft­lich an den Rand gedrängt“10, was auch bei Ilya Kabakov und dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten der Fall ist. Im Gegensatz zu den Moskauer Konzeptualisten wird Bachtin jedoch zu Sowjetzeiten 1967 offiziell rehabilitiert und schließ­lich auch in den Verband sowjetischer Schriftsteller aufgenommen. Damit erhält er nach seiner Verbannung 1929 7 8 9 10

KB138, 58. Kabakov 2001a, 327 – 328. Vgl. dazu auch Vischer 1995. Bachtin 1985, 59. Sasse 2010, 9.

Ilya Kabakov und das Dialo­gische  |

in die kasachische Provinz wieder das Wohnrecht für Moskau, wo er sich auch ab 1969 bis zu seinem Lebensende 1975 aufhält 11 – allerdings trifft Ilya Kabakov oder einer seiner Künstlerfreunde Bachtin zu dieser Zeit nie selbst.12 Ein Motiv, anhand dessen das Dialo­gische bei Kabakov lanciert werden kann, ist die Fliege. Das Motiv der Fliege ist ein bei ihm seit Beginn der 1980er-­Jahre immer wieder­kehrendes, omnipräsentes, in verschiedensten Varia­tionen auftauchendes Thema. Die Fliege ist nicht nur künstlerisches Motiv in den konzeptuellen Ausformungen ­zwischen Text und Bild. Zum einen setzt Kabakov die Fliege als gewichtige Metapher seiner eigenen Person und seines Status als inoffizieller Künstler ein. Zum anderen objektiviert er mit Hilfe der Fliege seinen künstlerischen Standpunkt.13 Im initialen Gemälde Die Fliegenkönigin, 1965, befindet sich der Künstler personifiziert in der auf ihren Hinterbeinen stehenden Fliege auf dem unteren linken Bildrand und schaut auf sein Werk (Abb. 2). Die Fliege im gleichnamigen Gemälde (1989) fliegt im übertragenen Sinn von einem Wortfeld zum anderen und bringt die einzelnen Wörter miteinander in den Dialog (Abb. 3). So figuriert die Fliege auch als Sinnbild für seine dialo­gische Werkstruktur: „Ein merkwürdiger, unkörper­licher Teil von einem selbst scheint wegzufliegen, aber nicht weit, und über einem zu kreisen, er beobachtet und registriert alles, was in einem vorgeht und was draussen geschieht, dabei sieht er alles gleichzeitig, erfasst alles mit einem Blick. Dieser Teil scheint alles sehr ruhig und kalt zu besehen, er muss alles protokollieren: aufzeichnen, aufzählen und in die richtige Reihenfolge bringen. Geruhsam und verweilend, einer Fliege ähn­lich, fliegt dieser Teil den Raum ­zwischen mir und den umgebenden Gegenständen ab, hört und schreibt alles auf, was ich inner­lich sage, und sieht die kleinsten Details in meiner Umgebung.“14

Dabei nimmt Kabakov verschiedene Perspektiven ein: Einmal agiert er als Künstler, ein anderes Mal als Kommentator, ein drittes Mal als Kritiker, ein viertes Mal als Autor, ein fünftes Mal als Gesprächsteilnehmer usw. Für den Leser oder Betrachter seiner Kunst wird dieser ständige Standortwechsel zur Herausforderung. Man muss sich dabei fortwährend gewahr sein, mit „welchem Kabakov“ man es in dem Moment zu tun hat, können sich die Richtungswechsel doch manchmal von einem Satz auf den anderen vollziehen. 11 Vgl. Sasse 2010, 177; Grübel 1979. 12 Korrespondenz der Autorin mit Emilia Kabakov, 22. 8. 2013. 13 Daran erinnert die Gesprächsak­tion zusammen mit Jan Fabre, worin sich 1997 Kabakov als Fliege und Fabre als Käfer inszenieren. Vgl. Ausst.Kat. Otegem 1998. 14 KB83, 63.

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Anhand der Kabakov’schen Fliege und ihres Flugkurses lassen sich die dialo­gischen Charakteristiken und der stets im Wandel begriffene Diskurs eines Motivs aufzeigen, welcher auf Michail Bachtins Dialogizitätsprinzip verweist. Kabakovs dialo­gisches Konzept kennzeichnet sich im Sinne von Bachtins ­Theorie durch permanente Richtungs- und Standortwechsel, Multiperspektivität, Maßstabwechsel, Horizontalität, Unabgeschlossen­ heit, Heterogenität und Vielstimmigkeit. Diese dialo­gische Werkstruktur lässt sich an der folgenden Binnenerzählung über die Kabakov’sche Fliege verdeut­lichen. Dabei schreibt sich Kabakov sozusagen in einen „rus­sischen Fliegentext“ – Gogol’, Tolstoj, Chlebnikov oder Charms – hinein.

3.1 Dialo­g ische Werkstruktur anh and der K abakov’schen Fliege 1982 erarbeitet Kabakov ein Projekt mit dem Titel Fliege mit Flügeln, welches als fiktive Installa­tion für den „Weissen Saal“ im Staat­lichen Puškin-­Museum in Moskau gedacht ist. Das dazugehörige, im Samizdat erschienene Künstlerbuch in der Form eines Ausstellungskatalogs umfasst einige Zeichnungen, unscharfe Schwarz-­Weiß-­Fotografien aus dem Puškin-­Museum und zwölf Texte Kabakovs. Diese zwölf Texte werden 1992 unter dem Titel „Die Fliege als Ursache und Grundlage des philosophischen Diskurses“ im Buch „Das Leben der Fliegen“ publiziert.15 Es sind zwölf Texte, in denen Kabakov sein bisheriges Œuvre aus verschiedenen Pers­ pektiven beleuchtet und kommentiert. In den ­kurzen Essays beschreibt er einige wichtige Grundzüge seiner künstlerischen Vorgehensweise wie das unend­liche dialo­gische Kreisen, das Auftauchen der Kunstfiguren, den Umgang mit Bild und Text oder die intertextuellen Bezüge zur Literatur. Es sind unabhängige Texte, die in alphabetischer Reihenfolge den Eindruck von Kapiteln und somit eines zusammenhängenden Buchs machen. Fünf davon werden hier kurz besprochen: −− Kabakov spricht im Text „Die Ameise“ über seine erste gleichnamige Installa­tion Die Ameise (1983).16 Die Installa­tion besteht aus fünf mit Schreibmaschine beschriebenen Papierblättern und einer Zeichnung einer Ameise. Alle sechs Blätter liegen z­ wischen zwei Glasscheiben, die in drei Reihen übereinander hängen, in der obersten die Zeichnung und

15 A) Vorwort, B) Kommentare der Betrachter, C) Die Ameise, D) Ein Bild mit Untertitel, E) Über die Leere, F) Über die lokale Sprache, G) Gnoseolo­gischer Durst, H) Strassenmenschen und Hausmenschen, I) Konzeptualismus in Russland, J) Warum wir beschlossen haben, die Ausstellung im Puškinmuseum zu veranstalten, K) Vorwort des Museumsdirektors, L) Die Ausstellung „Fliege mit Flügeln“. Vgl. KB8, KB50. 16 Installa­tion in der Ausstellung „Vystavka grafiki“ im Obédinjennyj Komitet Hudojnikov – Grafikov, GORKOM (City Council of Graphic Artists), Moskau, 5.–25. 5.1983. Vgl. KB43; KB44.

Dialo­gische Werkstruktur 

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in den beiden unteren jeweils die Textblätter. Die Ameisen-­Zeichnung ist ursprüng­lich der Umschlag eines gleichnamigen Kinderbuchs: „Das Blatt war eine aus einem Katalog herausgerissene Seite, die Reproduk­tion eines gewöhn­lichen Kinderbuchumschlages vom Anfang der fünfziger Jahre.“17 Im Text erzählt Kabakov, ­welche besonderen Auswirkungen der Anblick dieser Ameisen-­Darstellung damals auf seinen Freundeskreis und ihn ausübte: „Ihr Anblick löste bei jedem von uns ganze Eskapaden, Erinnerungen, Forschungsreisen in entfernteste Wissensgebiete aus. Es gab darunter philosophische Betrachtungen, kunsthisto­ rische Untersuchungen und ganze Geschichtswerke, doch all das hatte seinen Anfang und Urantrieb in dem Anblick unserer Ameise.“18

Kabakov bezeichnet diesen „Ameiseneffekt“ als „Ausgangspunkt“ ihrer „unend­ lichen Improvisa­tionen“19. Gleichzeitig hält er fest, dass die Ameise er selbst gewesen sei: „Ich hatte damals das stechende Gefühl, als sei ich ein hilfloses, schutzloses Käferchen, klein und unscheinbar wie ein aus dem Blickfeld verschwindendes Pünktchen. Es war eine Art inneres, authentisches Selbstporträt.“20 Wobei weitere „Selbstporträts“ anzufügen sind: „Die Ameise war für mich nicht die einzige und letzte in der Reihe ähn­licher Personen. Um mich herum tauchten ­später seltsam viele auf: Eine Fliege, ein abgebrochener Streichholzkopf, anderer winziger Abfall.“21 Andere fiktive Künstlerfiguren wie Stepan Jakovlevič Koshelev, Charles Rosenthal oder Igor Spivak folgen.22 −− Im Text „Ein Bild mit Untertitel“ erinnert sich Kabakov an eine Gegebenheit in seiner frühen Kindheit, wo er sich „ein grossformatiges Kinderbuch“ über „Seeabenteuer“ mit Bild und Text anschaut. Dabei habe ihn ­dieses Verhältnis ­zwischen Bild und Text sehr beeindruckt.23 Als späterer Illustrator sowjetischer Kinderbücher wird diese Rela­ tion zur Grundlage seines Schaffens. In seinen Künstlerbüchern „Der Text als Grundlage des Visuellen“ oder „Die 60er und 70er Jahre. Aufzeichnungen über das inoffizielle Leben in Moskau“ greift er das Thema unter dem Titel „Gleichberechtigung von Wort und Bild“ bzw. „Wort und Bild gleichauf“ wieder auf.24 −− In „Über die lokale Sprache“ spricht Kabakov über die „Wortkultur“ seiner Heimat, deren Ursprung er vor allem in der „Tradi­tion der rus­sischen Literatur des 19. Jahrhunderts“ 17 KB50, 69. 18 Ebd., 71. 19 Ebd. 20 KB123 (Bd. 1), 51. 21 Ebd. 22 Vgl. Kapitel 3.4.6. 23 KB50, 73. 24 Kabakov 2001. Vgl. auch Kabakov 2000.

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sieht, „in der sich alle die damaligen Zeitgenossen bewegenden Probleme konzentrierten und widerspiegelten“25. −− In „Konzeptualismus in Russland“ erklärt Kabakov aus der Sicht eines Kunsthistorikers den Unterschied z­ wischen dem „west­lichen“ und dem „rus­sischen Konzeptualismus“26. Letztere Kunstrichtung begründet er mit der klas­sischen rus­sischen Literatur des 19. Jahrhunderts, insbesondere mit den drei großen Literaten Gogol’, Dostoevskij und Čechov, wohlwissend, dass sein eigenes Œuvre die Eigenarten der drei Schreibweisen widerspiegelt.27 −− Im Text „Die Ausstellung ‚Fliege mit Flügeln‘“ berichten die Teilnehmer der Gruppe „IV – 80“ aus der Hand von Ilya Kabakov in gekürzter Fassung über die Art dieser Ausstellung, ­welche „in gewissem Sinne ein kompliziert organisiertes Ganzes, eine Reihe von rein formal miteinander verbundenen Abhandlungen aus verschiedenen Wissensgebieten“ 28 darstellt. Diese Beschreibung verweist einerseits auf Kabakovs dialo­gische Werkstruktur und im größeren Kontext auf den Kreis der Moskauer Konzeptualisten, ­welchen Lev Rubinštejn als eine „Kunst der Beziehungen“29 bezeichnet. Andererseits ruft die Beschreibung den oben erwähnten „Ameiseneffekt“ in Erinnerung, welcher als Ausgangspunkt ihrer unend­lichen Improvisa­tionen steht. So gelangt man auch zur Textstelle, wo ­dieses Vorgehen wiederum erläutert wird. „Auch heute treffen wir uns als alte Freunde noch regelmässig, und wie früher treiben wir unser Lieblingsspiel weiter: Was kann jeder von uns, ausgehend von seinem Interessenfeld, sagen über (…) [sic] Hier wählen wir den Gegenstand ganz bewusst aus, ein Thema, das gezielt von jedem weit entfernt ist, das für unser Wissen und unsere Phantasie ein schwerer Prüfstein ist (…) Uns spornen die notwendige Improvisa­tion und eine gewisse Eitelkeit an (…) […].“30

1990 hat Kabakov erstmals die Mög­lichkeit, das erwähnte Fliegen-­Projekt Fliege mit Flügeln in Londonderry (Nordirland) zu verwirk­lichen.31 Dazu publiziert er einen gleichnamigen Ausstellungskatalog, der die bereits erwähnten zwölf Kapitel enthält.32 Die Installa­tion selbst liest sich hingegen wie die zwölf Texte: Einerseits besteht die Arbeit aus einer Zeichnung der Fliege, andererseits aus 132 bedruckten Schreibmaschinen­seiten, 25 KB50, 99. 26 Ebd., 125. 27 Vgl. Kapitel 4.3. 28 KB50, 149. 29 Rubinštejn 1990, 48, hier zit. nach: Bobrinskaja 2008, 37. 30 KB50, 149 – 151. 31 New Works for Different Places: TSWA Four Cities Project, Orchard Gallery, Londonderry, Northern Ireland, 1.–29. 9. 1990. 32 KB33.

Dialo­gische Werkstruktur 

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­ elche die zwölf Texte wiedergeben. Der Besucher bewegt sich räum­lich von einem Text w zum anderen. Der Hängeplan sieht so aus, dass an der Stirnseite des Ausstellungsraums die Fliegen-­Zeichnung hängt. Ausgehend von ihr lesen sich die einzelnen Artikel sich flügelartig ausbreitend, links und rechts entlang der beiden Längsseiten des Raums. Die Gemeinsamkeit von Installa­tion und literarischem Text liege darin, so Kabakov, dass beide auf das „Gelesenwerden“ hin angelegt s­ eien, und diese Lektüre vollziehe sich auf vielen Ebenen, wie man das von jedem „guten“ literarischen Text kenne.33 Unmittelbar beim Eingang stößt man auf das „Vorwort“. Die Leserichtung in der Installa­tion wie auch im Buch wird jedoch von Kabakov nicht vorgegeben. Der Künstler sagt Jahre ­später, das Prinzip sei anders als bei einem Roman. Es gebe kein Nacheinander, „jedes Objekt“ funk­tioniere als geschlossene Einheit.34 Die Aussagen der einzelnen Texte spannen vielmehr einen ganzen Kosmos mit verschiedenen Teilbereichen auf. Die Texte bilden zusammen ein Werkganzes, sie sind sowohl totum als auch pars pro toto. Neben seiner Arbeit Meine Heimat. Die Fliegen (1991)35 in Berlin realisiert Ilya K ­ abakov im Kölnischen Kunstverein 1992 die Installa­tion Das Leben der Fliegen in vier Sälen.36 Der erste Saal beinhaltet die wissenschaft­lich anmutenden Th ­ emen „Die Fliegen und die Wirtschaft“, „Die Fliegen und die Finanzen“, „Die Fliegen und die Politik“ und „Die Fliegen und die bildende Kunst“. Im zweiten Saal wird das Thema „Die Zivilisa­tion der Fliegen (Neue Erkenntnisse über die ‚tanzende‘ Zivilisa­tion der Fliegen (F))“ behandelt, im dritten „Konzert für eine Fliege“ und „Die Fliegen. Tabellarische Poesie“. Es sind allesamt fiktive wissenschaft­liche Abhandlungen über das Leben der Fliegen, vom Künstler selbst verfasst. Der vierte Saal trägt den Titel „Die Fliege als Ursache und Grundlage des philosophischen Diskurses“ und beinhaltet die bereits erwähnte und beschriebene Installa­tion Fliege mit Flügeln mit ihren zwölf Kapiteln. Kabakov spricht hier selbst von einer „Teilinstalla­tion“, die der Installa­tion Das Leben der Fliegen eingegliedert ist.37 Von dieser Kölner Installa­tion Das Leben der Fliegen existiert ein gleichnamiges Künstlerbuch als Ausstellungskatalog.38 Das Buch ist in drei Teile gegliedert: Im ersten sind die Texte der ersten drei oben besprochenen Säle und die zwölf Kapitel aus der Installa­tion Fliege mit Flügeln publiziert. Im zweiten Teil wird die Installa­tion Das Leben der Fliegen beschrieben und im dritten der Dialog von Boris Groys und Ilya Kabakov über „Installa­tionen“ wiedergegeben. Das Vorwort „Lasst uns werden wie die Fliegen“ stammt aus der Feder von Groys. Groys zählt darin die Charakteristiken einer Fliege auf und vergleicht diese mit Kabakov:

33 34 35 36 37 38

KB83, 64. KB138, 56. Meine Heimat (Die Fliegen), Galerie Wewerka & Weiss, Berlin, 4.2.–23. 3. 1991. Ilya Kabakov. Das Leben der Fliegen, Kölnischer Kunstverein, Köln, 2.2.–29. 3. 1992. KB123 (Bd. 1), 368. KB50.

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„Die Fliege kann ihrer eigenen Natur nach keinen bestimmten Platz in irgendeinem System einnehmen. Sie schwirrt ständig im Kreis herum, brummt, setzt sich und fliegt im selben Augenblick wieder auf. Ihre Runden in der Luft sind immer chaotisch. Der Platz, den sie auf der Oberfläche der Gegenstände einnimmt, ist immer zufällig. Ausserdem ist die Fliege ihrer Identität beraubt – sie lässt sich nur schwer mit dem Auge festhalten, und wir können nie sicher sagen, ob es diese Fliege ist, die gerade herumschwirrt, sich setzt und auffliegt wie im Augenblick zuvor.“39

Zugleich spricht Groys von der Fliege als einer „Metapher für das menschliche Dasein“, verweist dabei auch auf Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ (1912), worin sich ein Mensch in einen Käfer verwandelt, und setzt die Fliegen-­Geschichte in Verbindung mit Jean-­Paul Sartres Theaterstück „Les mouches“ (1943) und William Goldings „Lord of the flies“ (1954).40 Er hält aber auch fest, dass keine dieser Interpreta­tionen die andere außer Kraft setze.41 So wie die Fliege von einem Ort zum anderen „schwirrt“, so bedient sich auch Kabakov verschiedener Interpreta­tionsmög­lichkeiten, „ohne sie nach ihrem Wert zu unterscheiden“42. Von der schmutzigen Müllgrube fliege die Fliege auf den Esstisch und vielleicht noch weiter auf einen höchst sakralen Gegenstand. Genauso wechsle auch der Begriff „Fliege“ bei Kabakov ständig von einer Ebene auf die andere, ohne sich lange auf einer von ihnen aufzuhalten.43 Neben Groys’ wichtigen Hinweisen auf das Werk Ilya Kabakovs gibt es einen weiteren bedeutenden Aspekt festzuhalten. Die einzelnen Abhandlungen zu „Das Leben der Fliegen“, ob, wie oben beschrieben, in räum­lich-­installativer oder in textueller Form, suggerieren einen wissenschaft­lichen Charakter, besonders die Kapitel im ersten Teil. Aage A. Hansen-­Löve weist darauf hin, diese ironische, komische Ober­ fläche der Installa­tion und Publika­tion solle aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die vorgeführte Theoriebildung – wenn auch nicht immer sofort erkennbar – neben der Diskursparodie und spielerischen Irreführung des Rezipienten eine Tradi­tion des Parawissenschaft­lichen aufgreife.44 Diese reiche in Russland von Koz’ma Prutkov 45 bis zu den Romanen des SozRealismus und den Konzepten der Obėriuty. Nicht zufällig spiele die Fliegen-­Symbolik bei den Obėriuty eine zentrale Rolle in ihrer Philosophie 39 KB50, 9. 40 Ebd., 11 – 13. 41 Ebd. 42 Ebd., 13. 43 Ebd. 44 Hansen-­Löve 1997, 488. 45 Koz’ma Prutkov ist das fiktive Kollektivpseudonym vier verwandter rus­sischer Schriftsteller, die Mitte des 19. Jahrhunderts unter ­diesem Namen parodistische Texte veröffent­lichten.

Dialo­gische Werkstruktur 

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des Zufalls und der Dekonstruk­tion des Theoretischen bzw. Wissenschaft­lichen überhaupt, deren immanente Paranoia, ja Wahnhaftigkeit in der erfundenen ‚Estaaniologie‘ [Bezeichnung von Ilya Kabakov: griech. „estasis“, „regelndes“ und „anilis“, „Insekten“46] sichtbar werde. Allerdings vereinigt hier Kabakov gemäß Hansen-­Löve „alle wesent­lichen Elemente des offiziellen Dilettantismus, der Pseudowissenschaft und einer Mythologie des Alltäg­lichen, in die auf vielfältige Weise auch Merkmale des rus­sischen Intertexts verwoben sind“47. Kabakov agiert als Künstler, Ökonom, Historiker, Kunsthistoriker, Biologe usw.48 Er nimmt dabei immer wieder eine andere Posi­tion ein, um seine Kunst zu dialogisieren. Diese „Forscher-­Künstler“-Posi­tion umschreiben Andrej Monastyrskij, Iosif Bakštejn und Ilya Kabakov auch mit dem Begriff „Livingstones Mercedes“. Kabakov schildert: „Meine Freunde Andrej Monastyrskij und Iosif Bakštejn und ich verg­lichen uns oft mit David Livingstone, der auf seiner Reise durch Afrika eine Menge Entbehrungen und Leiden ertrug und dabei in ruhigem Ton Riten und Bräuche der ihm begegnenden Völker aufzeichnete […].“49

Livingstones Mercedes, erklärt Sylvia Sasse, sei eines der Kult(ur)theoreme, ­welche die drei geprägt hätten, um ihre Posi­tion als Forscher-­Künstler in Beziehung zur kulturellen Selbst- und Fremdanalyse aus einem fremden Seh-­Vehikel heraus zu formulieren: „Das als ‚Neues Sehen‘ bezeichnete Wahrnehmen in der formalistischen Schule aus den 10er-­ Jahren wird auf ihren Reisen mit ­diesem Auto zu einem ‚Gefühl von Ausland‘ (zagraničnost’), das es ermög­licht, am gewohnten Ort fremd zu sein und das Gesehene als F ­ remdes zu betrachten. Eine zagraničnost’ hervorzurufen bedeutet, einen unmög­lichen Raum zu schaffen: eine Fik­tion des Ausländischen, des als fremd imaginierten Blicks, der eine neue Perspektive, vom Ort der Fik­tion aus, auf die eigene Wirk­lichkeit erlaubt.“50

46 Hier zit. nach: Ilya Kabakov, KB50, 23. 47 Hansen-­Löve 1997, 437. 48 Vgl. dazu auch die Installa­tion Das grosse Archiv oder das Inhaltsverzeichnis des KB104. Hier betreibt Kabakov mit den folgenden Kapiteln quasi völkerkund­liche oder soziokulturelle Forschungen: „Sektor der kommunistischen Ideologie und Propaganda“, „Kommunales Leben“, „Die Welt der Bürokratie“, „Museums- und Bildungszone“, „Krankenhäuser und wissenschaft­liche Forschungsarbeit“, „Die Welt der Erinnerung“, „Denkmäler der Kindheit“. Diesen sieben Kapiteln sind einzelne Projekte bzw. Installa­tionen unterstellt bzw. untergeordnet. 49 Kabakov im Gespräch mit Groys zum Thema „Büro für Wohnungsverwaltung ŽĖK“, in: KB47, 51 – 63, hier: 53. 50 Sasse 2003, 114.

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Mit Livingstones Mercedes fahren die „Forscher-­Künstler“ allerdings nirgendwo hin. Vielmehr eröffnet er ihnen durch die Autoscheiben einen Blick auf „die rus­sische Wirk­ lichkeit“51. Iosif Bakštejn bezeichnet die Moskauer Konzeptualisten allgemein als einen „[…] Kreis von Geographen, die sich mit der Beschreibung irgendwelcher ethnolo­gischer Erscheinungen beschäftigen, an denen sie nur formal Anteil haben, obwohl sie in dieser Geographie wohnen und sie kennen, aber im eigent­lichen Sinn und intellektuell und geistig-­ psycholo­gisch nicht dazu gehören, aber eine Distanz besitzen, die sehr wesent­lich ist, um diese Ereignisse beschreiben zu können.“52

Dieses Verfahren des kalten, distanzierten Blicks setzt Ilya Kabakov auch mit dem Fliegen-­ Motiv um. Er schwirrt aus, um wieder zu landen, schwirrt aus, um wieder zu landen usw., um den momentanen Landepunkt immer wieder neu zu reflektieren und ihn beim nächsten Flug aus einer neuen Perspektive zu begutachten. Aufgrund ihres Facetten­ auges setzt sich diese Multiperspektivität aus einzelnen Blickpunkten zusammen. Dabei entsteht ein Werk, welches im dialo­gisch fortsetzenden, organischen Wandel begriffen ist. Anläss­lich der Moskauer Retrospektive 2008 erscheint ein weiteres Künstlerbuch zu d ­ iesem Thema. „Das Leben der Fliegen“ dokumentiert sämt­liche Fliegen-­Arbeiten Kabakovs mit Text, Zeichnungen und Fotografien.53 Dieses Buch bildet momentan das letzte Glied in ­diesem Fliegen-­Kosmos. Anhand des geschilderten Fliegen-­Kosmos wird sichtbar, wie der Moskauer Konzeptualist dialo­gisch arbeitet und wie jeder Teilbereich ­dieses Fliegen-­Kosmos mit den anderen im Dialog steht, gleichzeitig aber auch als einzelner bestehen mag – ohne Hierarchie- und Machtgefüge. Untersucht man diesen Flugkurs der Kabakov’schen Fliege genauer, zeigt sich, dass Kabakovs Kunst ein endloses, unabgeschlossenes Kommentieren, ein unend­lich narratives Kreisen und Zirkulieren z­ wischen Text und Bild mit offenem Ausgang darstellt, dass aus einem Motiv eine endlose Verkettung, aber auch Verschachtelung generiert wird. Zudem zeigt das Fliegen-­Motiv, wie sehr Kabakovs Kunst textbezogen und literarisch gefärbt ist und wie er darin selbst auch als Autor agiert. Darin manifestieren sich et­liche intertextuelle Bezüge zur klas­sischen rus­sischen Literatur, aber auch zur Literatur aus dem 20. Jahrhundert. Die Kabakov’sche Fliege könnte demnach eine literarische Aneignung

51 Sasse 2003, 114. 52 Bakštejn 1998, 318, hier zit. nach: Sasse 2003, 115. 53 Ausstellungsreihe Ilya und Emilia Kabakov. Moskauer Retrospektive, Moskau, 15.9.–15.10. 2008. Vgl. KB134. Das Buch dokumentiert die Installa­tionen Konzert für eine Fliege, Konzert für eine blaue Fliege und einen gelben Bleistift, Wir sind frei, Meine Heimat. Die Fliegen, Das Leben der Fliegen (Fliege mit Flügeln) und das Theaterstück Fliegen (in der Kommunalküche). Eine musika­lische Phantasmagorie.

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und Inkorporierung aus Dostoevskijs „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ oder Gogol’s „Der Mantel“ sein. Die verzwickte Lage des ehemaligen Beamten bei Dostoevskij erinnert an Kabakovs Jahrzehnte dauernde künstlerische Situa­tion im Moskau der Sowjetunion, hält Ersterer doch niedergeschlagen und wütend fest: „Es war die pein­lichste Pein, eine anhaltende unerträg­liche Erniedrigung in dem Gedanken, der zu einer anhaltenden und unmittelbaren Empfindung wurde, dass ich in den Augen aller Welt nur eine Fliege war, eine gemeine, unnütze Fliege, wenn auch klüger als alle, wenn auch gebildeter als alle, wenn auch edler als alle […], so doch eine allen fortwährend ausweichende Fliege, von allen erniedrigt und von allen beleidigt. […] Augenschein­lich hielt man mich für eine Art ganz gewöhn­liche Fliege.“54

Oder sie ruft die verzweifelte Lage des kleinen Beamten Akakij Akakijevič bei Gogol’ wach: „Die Diener erhoben sich nicht nur nicht von ihren Plätzen, wenn er vorbeiging, sondern sahen ihn auch gar nicht an – als ob eine gewöhn­liche Fliege durch das Vorzimmer geflogen sei.“55

In den folgenden Kapiteln werden erst einmal die Anfänge und Quellen besprochen, die zur Entwicklung von Kabakovs Œuvre beigetragen haben. Dafür wird der Zusammenhang ­zwischen seiner offiziellen Tätigkeit als Kinderbuchillustrator und seinem inoffiziellen Künstlerdasein ab Ende der 1950er-­Jahre hergeleitet. Es soll aufgezeigt werden, wie Ilya Kabakov über den Kinderbuchverlag zu seiner künstlerischen Identität in den 1960er-­Jahren findet und wie sich dies in seinem künstlerischen Werk niederschlägt. Das Kapitel zu den künstlerischen Adap­tionen aus den Kinderbuchillustra­tionen zeigt, dass sich einige wichtige ­Themen in seinem Œuvre bereits in den Illustra­tionen offenbaren und von ihm auch in sein künstlerisches Werk integriert und dialogisiert werden.

3.2 Vom Illustr ator zum Künstler Kabakov zählt zu den erfolgreichsten und begehrtesten Illustratoren für Kinderbuchverlage während der Sowjetunion. In der Zeit ­zwischen 1956 und 1989 illustriert er über 100 Bücher und über 20 Periodika.56 Damals hat diese offizielle Beschäftigung für den Künstler ledig­lich die Bedeutung eines Brot- und Nebenerwerbs, um sich in erster Linie 54 Dostoevskij 2006, 61, 70. 55 Gogol’ 1984c, 119. 56 Im Werkverzeichnis der Kinderbuchillustra­tionen sind 102 Nummern verzeichnet (davon ausgeschlossen sind die 24 Illustra­tionen für Periodika).

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das Leben als Künstler im Moskauer Untergrund zu finanzieren.57 Das Illustrieren dient ihm gewissermaßen als Tarnung seines künstlerischen Unternehmens im Untergrund und wird in ganz opportunistischer Manier betrieben. Zudem ist es eine der wenigen Betätigungsmög­lichkeiten, als inoffizieller Künstler überhaupt Geld zu verdienen. Als Mitglied des Künstlerverbands (seit 196558) habe er die Posi­tion eines offiziellen Künstlers gut zu ­nutzen verstanden, argumentiert Stephan Küpper, gestützt auf Aussagen des Künstlerpaars Rimma und Valerij Gerlovin.59 Küpper weist auf Kabakovs vermittelnde Tätigkeit ­zwischen Offizialität und Inoffizialität hin, die „jedoch aus Kabakovs Werken völlig ausgeblendet“ sei. So sei dieser maßgeb­lich an verschiedenen Versuchen beteiligt gewesen, im Anschluss an die Bulldozer-­Ausstellung 1974 und die daraufhin genehmigte Präsenta­tion inoffizieller Kunst im Izmailovskij-­Park einen von offizieller Seite zumindest geduldeten modus vivendi für die inoffizielle Kunst zu erreichen.60 Aus diesen Versuchen hätten die Gründung des Gorkom, des städtischen Komitees der Grafiker im Moskauer Künstlerverband, und die Öffnung des Ausstellungssaals an der M ­ alaja Gruzinskaja für die „inoffiziellen“ Künstler resultiert. Entsprechend habe Kabakov sich und sein Werk in einer Art virtuellem Kunstbetrieb posi­tioniert, der zum offiziellen scheinbar keine Berührungspunkte aufgewiesen habe, so Küpper weiter.61 Mit Kabakovs Auswanderung in den Westen und erst recht mit seinem Welterfolg als Künstler außerhalb Russlands ab den 1990er-­Jahren, so mit seiner Teilnahme an den wichtigsten Kunstausstellungen der Welt wie der documenta IX in Kassel 1992 (Die Toilette) oder der XLV. Biennale in Venedig 1993 (Der rote Pavillon), rückt seine offizielle sowjetische Vergangenheit in den Hintergrund und gerät für den allgemeinen Rezipienten seiner sowjetisch gefärbten Kunst tatsäch­lich in Vergessenheit. Es sei denn, Kabakov mache seine ehemalige sowjetische Tätigkeit zum thematischen Gegenstand einer seiner „totalen“ Installa­tionen, beispielsweise in der Installa­tion Der Leim, in welcher der Künstler 1991 ein Bild-­Text-­Sujet aus seinen Kinderbuchillustra­ tionen großformatig wiederverwendet, oder in der Illustra­tion als Mittel zum Überleben, worin Ilya Kabakov 1992 Ülo Soosters und seine eigene Vergangenheit als Kinderbuch­ illustratoren verarbeitet. Zwei Installa­tionsräume sind jeweils so konzipiert, dass über 57 Zum Begriffspaar offiziell – inoffiziell: Diese beiden Wörter s­ eien relativ spät aufgekommen, erst gegen Ende der 1970er-­Jahre. In den 1960er-­Jahren habe man laut Kabakov nur das Prädikat „Untergrund“ gebraucht. In: KB116, 270. 58 Als Grafiker wird er in eine Untersek­tion des offiziellen Künstlerverbandes aufgenommen. 59 Küpper 2000, 54. 60 Ebd. Am 15. September 1974 fand eine nicht erlaubte Ausstellung, die „Bulldozer-­Ausstellung“, unter freiem Himmel Moskaus statt, die schließ­lich von schweren Geräten zerstört wurde. Das interna­ tionale Echo war enorm; der Protest war wenigstens dafür verantwort­lich, dass eine zweite, größere Ausstellung stattfinden konnte. 61 Ebd.

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den jeweiligen Kinderbuchillustra­tionen das eigene künstlerische Werk gehängt ist. Bei Ilya Kabakov sind es zahlreiche Leporellos seiner Albumserien aus den 1970er-­Jahren. Ins Auge sticht dabei die enge Verwandtschaft z­ wischen den Kinderbuchillustra­tionen, den Alben und einigen Künstlerbüchern, sowohl in ihrer Herstellung als auch in der Art der Darstellung. So wendet der Künstler in einzelnen Installa­tionen eine Aufstellungsart der einzelnen Albumblätter in zickzackförmiger Linie an, die an die Machart des Leporellos erinnert, ­welche Kabakov für seine späteren Künstlerbücher „Vor dem Abend­essen“, „Wer sind die kleinen Männchen?“, „Das Schiff“, „Ausstellung eines Buches“ und „Illustra­ tion als Mittel zum Überleben“ wählt.62 Diese formale Verwandtschaft z­ wischen dem offiziellen und inoffiziellen Schaffen hält auch Boris Groys im Zusammenhang mit der Installa­tion Die verlassene Schule oder Schule Nr. 6 von 1993 fest: “The visual material that Kabakov uses in his installa­tion is fundamentally of the same type and of the same style as the material that he has used the other day in his own children’s books.”63 Dass sich Kabakovs Tätigkeit als Illustrator in seinem künstlerischen Werk niederschlägt, wird dem aufmerksamen Leser seiner theo­ retischen Schrift „Der Text als Grundlage des Visuellen“ von 2000 erst recht bewusst. Darin untersucht der Künstler das Bild-­Text-­Verhältnis in den verschiedenen Gattungen wie Zeichnung, Album, Gemälde und Installa­tion – ein Zusammenspiel, das er als Grafiker und Illustrator bestens kennt.64 Die jüngeren Entwicklungen seit 2007 mit den vom Künstler selbst eingerichteten Ausstellungen in Japan und in der Schweiz, worin Kabakov auch seine offizielle Vergangenheit als erfolgreicher Kinderbuchillustrator thematisiert und seine Kinderbuchillustra­tionen im musealen Kontext zeigt 65, machen deut­lich, dass er seiner offiziellen Vergangenheit eine ebensolche Bedeutung zumisst wie seinem inoffiziellen künstlerischen Werk. Für die Ausstellungen der Kinderbuchillustra­tionen werden die einzelnen originalen Illustra­ tionsblätter fein säuber­lich in einem Passepartout arrangiert und dem Besucher ausschnitt­ artig präsentiert. Die fertig gebundenen Kinderbücher werden hinter Glas in Vitrinen gezeigt. Zu den einzelnen Büchern gesellen sich Erklärungstafeln, die über den Inhalt und Kabakovs jeweilige Beziehungen zu anderen Künstlerillustratoren oder Autoren berichten. Kabakovs offizielle Vergangenheit gehört heute ebenso zum künstlerischen System, zum künstlerischen Unternehmen, zur „Institu­tion Kabakov“, wie seine inoffizielle. Im Kommentar zu der Installa­tion Der kleine Mann, 1988, fragt Iosif Bakštejn den Künstler, ob es

62 KB23; KB24; KB26; KB27; KB51. 63 KB129, 19. 64 Vgl. KB111. 65 Museum of Modern Art, Hayama, 15.9.–11. 11. 2007, Hiroshima City Museum of Contemporary Art, Hiroshima, 8. 12. 2007 – 27. 1. 2008, Setagaya Art Museum, Tokyo, 9.2.–6. 4. 2008, Ashikaga Museum of Art, Ashikaga, 19.7.–14. 9. 2008 und Kunsthaus Zug, 21.3.–20. 6. 2010. Vgl. KB129.

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mit seiner Arbeit als Illustrator für Kinderbuchverlage zusammenhänge, dass er in dieser besagten Installa­tion „Faltbücher mit Zeichnungen“ verwendet habe. Kabakov erwidert: „Natür­lich hängt es damit zusammen, jetzt sieht man das gut, aber damals, als ich diese Leporellos machte, glaubte ich, dass diese beiden verschiedenen Arbeiten [Kinderbuchillustra­tionen und künstlerisches Schaffen] nichts miteinander zu tun hätten und zu tun haben könnten, so wie das ‚Hohe‘ mit dem ‚Niedrigen‘ nichts zu tun haben kann.“66

3.2.1 Kinderbuchillustra­tionen in der Sowjetunion ab Ende der 1950er-­Jahre Das Illustrieren von Kinderbüchern ist zu sowjetischen Zeiten, besonders aber ab den 1930er-­Jahren streng reglementiert und vom Schriftstellerverband ab d ­ iesem Zeitpunkt immer schärfer überwacht. Schon seit den 1920er-­Jahren gilt die Kinderliteratur als natür­liches Instrument zur Erziehung der Kinder und Jugend­lichen in kommunistischer Ideologie und Moral und ist dem „Bild des neuen Menschen“ unterstellt.67 Samuil Maršak (1887 – 1964), eine einflussreiche Figur in der sowjetischen Kinderbuchliteratur, hält 1924 auf dem Schriftstellerkongress einen wegweisenden Vortrag mit dem Titel „Über die grosse Literatur für die Kleinen“, worin er keine klas­sischen Märchen mehr, sondern neue „sowjetische Märchen, die aus der heldischen Gegenwart erwachsen“68, fordert. Schließ­lich wird die sowjetische Kinderliteratur spätestens ab 1934 für propa­ gandistische Zwecke eingesetzt. Es herrschen die Regeln der einzigen offiziell anerkannten Staatskunst des Sozia­listischen Realismus. Die zu bearbeitenden Th ­ emen konzentrieren 69 sich insbesondere auf das „Politmärchen“ , worin geläufige Märchenstrukturen angepasst und mit politischen Inhalten gefüllt, das „Produk­tionskinderbuch“, in dem technische Errungenschaften wie die sozia­listische Ingenieurskunst glorifiziert, und die „Natur“, mit welcher gewisse Naturphänomene veranschau­licht werden – diese Themenauswahl spiegelt sich auch in Ilya Kabakovs Werkverzeichnis der Kinderbuchillustra­tionen wider.70 Diese einsetzende Periode hat allerdings nichts mehr zu tun mit der Avantgarde und den prosperierenden 1920er-­Jahren, in denen auch progressive Kinderbuchliteratur wie Ėl’ Lisickijs an Kazimir Malevičs Schwarzes Quadrat (1913/1915) anknüpfende Geschichte „Eine Suprematistische Erzählung von zwei Quadraten. In 6 Konstruk­tionen“ 1922 publiziert werden kann.

66 KB123 (Bd. 1), 161 – 163. 67 Vgl. Reder, 48; Lauer 2000c. 68 Lauer 2000c, 710. 69 Später entwickelte sich daraus die negativ konnotierte sogenannte „Trommelliteratur“. Dieser Begriff leitet sich von der Blechtrommel ab: „Sie gab den jungen uniformierten Pionieren bei Ausflügen oder staat­lichen Manifesta­tionen den Marschtakt vor.“ In: Stagl 2004, 20, 23. 70 Ebd., 20 – 21. Vgl. KB129.

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Eine Tradi­tionslinie z­ wischen der rus­sischen Avantgarde und den Kinderbuchillus­ tratoren nach dem Zweiten Weltkrieg existiere aus seiner Sicht allerdings nicht, nimmt Ilya Kabakov im Aufsatz „Hat sich die Tradi­tion der rus­sischen Avantgarde in Büchern fortgesetzt?“ dazu Stellung: „In unserer Genera­tion war es schlicht und einfach nicht mög­lich, die Bücher der rus­sischen Avantgarde zu Gesicht zu bekommen, da sie in den Museen unter Verschluss gehalten wurden und für das Publikum nicht zugäng­lich waren. Zwar konnte man einige Künstler jener Genera­tion noch persön­lich erleben – so habe ich in Verlagen zufällig Vladimir Lebedev, Jurij Vasnezov, Alisa Poret gesehen –, doch für uns ging es dabei […] um die Begegnung mit einer prinzipiell anderen ‚Zivilisa­tion‘, fern wie die griechische Antike, die es einmal gegeben hat und die es nie wieder geben wird.“71

Vielmehr dürfte eine mög­liche Tradi­tionslinie in der jüdischen Kultur der (Kinder-) Buchillustra­tion liegen.72 Zu Beginn seiner Laufbahn als Illustrator um das Jahr 1957 – Kabakov schließt in ­diesem Jahr die Ausbildung an der grafischen Fakultät der führenden staat­lichen Kunstakademie Surikov in Moskau ab – werden seine Zeichnungen mehrmals abgelehnt und zurückgewiesen. Eines der ersten Bücher, das er illustriert, ist die jüdische Erzählung „Osya und seine Freunde“ von Boris Abramovič Olevskij 1956. Dies gilt als wagemutige Entscheidung, ist doch die jüdische Frage in der Sowjetunion – auch mit Stalins Tod 1953 – noch längst nicht geklärt.73 Die jüdische Geschichte erzählt von einem heranwachsenden Knaben aus der heutigen Ukraine und seinen leidvollen Erlebnissen in der Zeit vor und nach dem ­Ersten Weltkrieg. Die Skizzen Kabakovs zeugen von dem zaghaften Suchen nach dem richtigen Bild. Von einzelnen Szenen existieren mehrere Ausführungen über verschiedene Stadien hinweg, von der flüchtigen Skizze bis zur fein ausgeführten Zeichnung. Sie machen deut­ lich, dass der junge (noch unerfahrene) Illustrator nach einer geeigneten Ausdrucksform und zeichnerischen Sprache sucht. Anfäng­lich praktiziert Kabakov noch einen persön­lichen Stil, der ihm aber aufgrund der politischen Restrik­tionen und der strengen ästhetischen Richtlinien des künstlerischen Komitees der Zentralmacht sehr bald abgewöhnt wird. Die Th ­ emen, die Art der Gestaltung bis zum Gesichtsausdruck sind vordefiniert. Dementsprechend wird 71 Kabakov 2004b, 11. Der Maler und Grafikkünstler Vladimir Lebedev (1891 – 1967) ist durch seine pionierhaften Kinderbuchillustra­tionen in den 1920er-­Jahren berühmt geworden. 72 Vgl. Kapitel 5. 73 Vgl. Kapitel 5.1.

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die jeweilige künstlerische Ausführung der Illustra­tionen streng überwacht und kon­ trolliert. Dies bereitet vielen Illustratoren Mühe. Auch Kabakovs enger Künstlerfreund Ülo Sooster (1924 – 1970) habe darunter sehr gelitten: „Unter der strengen Verlagszensur, die rigoros die Einhaltung der Normen des Sozia­listischen Realismus überwachte, stand er [Sooster] durch seine künstlerische Integrität in ständigem Konflikt mit der kulturamt­lichen Obrigkeit. Er verlor Zeit und Kraft für wiederholte Korrekturen.“74 So bleiben bereits zugesagte Aufträge und, noch viel schlimmer, die erwarteten finanziellen Beiträge aus. Ilya Kabakov ist schließ­lich deshalb so erfolgreich, weil er sich den persön­lichen Stil sehr schnell auszutreiben weiß. Verfolgt man seine Illustra­tionstätigkeit über die drei Jahrzehnte hinweg, beobachtet man eine Entwicklung hin zur stilistischen Unpersön­ lichkeit. Außerdem wirkt seine zeichnerische Sprache über die Jahre hinweg zugunsten der Produktivitätssteigerung immer vereinfachter. Kabakov hat die Fähigkeit, in die Haut des Zensors zu schlüpfen. Er eignet sich diese „Personage“ an, um sowohl materiell als auch ideolo­gisch zu überleben: „Also stand ich erst gar nicht vor der Wahl, auf meinen eigenen künstlerischen Stil zu bestehen oder mir schleunigst die Norm anzueignen und den bereits existierenden Stil nachzuahmen.“75 Damit erklärt sich der Untertitel des Werkverzeichnisses seiner Kinderbuchillustra­ tionen “Children’s book illustrator as a social character”, den Kabakov ­diesem Verzeichnis selbst verleiht: “I had to exist on something – illustra­tion was the only thing I had been trained to do in the art institute, so I didn’t have any other choice but to become just such a ‘social character’ who would meet all the demands […] I did whatever the editor said, or rather corrected, in my pictures, and I began to ‘hear’ clearly the meaning of these criticisms so that just such an ‘editor’s eye’ grew in me very quickly […] So to summarize, it wasn’t ‘I’ but ‘he (the social character)’ who illustrated all the books, although ‘he’ drew using my hand.”76

Ilya Kabakov sieht aus finanziellen Gründen keinen anderen Ausweg, als sich den sozia­ listischen Charakter, die ­sozia­le „Personage“ einzuverleiben. Diese „Personage“ erklärt aus heutiger Sicht auch, warum er sich 2007 dazu entschließt, seine Kinderbuchillustra­tionen in einer Ausstellungsreihe dem Publikum bekanntzumachen. Seine ­sozia­le „Personage“ ist eine unter vielen, die Kabakovs dialo­gische Werkstruktur bevölkern und beleben und das heutige Œuvre auszeichnen.77 74 KB123 (Bd. 1), 410. 75 Ebd., 413. 76 Kabakov 2007, 9. 77 Vgl. Kapitel 3.4.6.

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3.2.2 Über den Kinderbuchverlag zur künstlerischen Identität in den 1960er-­Jahren Ab 1957 versucht Kabakov, sich in den staat­lichen Kinderbuchverlagen Detgiz oder ­Detskaja literatura und Malyž zu etablieren – einerseits um seinen Lebensunterhalt und die Genossenschaftswohnung zu finanzieren, andererseits um seine ­Mutter Bejla ­Solodukhina, die in ärm­lichen Verhältnissen lebt, finanziell und materiell zu unterstützen. Kabakov arbeitet auch für die Magazine „Mursilka“ und „Veselye Kartinki“. Das bedeutet für Kabakov, je nach Umfang z­ wischen fünf und acht Bücher pro Jahr zu illustrieren. Dafür arbeitet er jeweils zwei bis drei Monate durchgehend, um sich anschließend wieder zwei bis drei Monate „seiner“ eigenen Kunst zu widmen, wie er sagt.78 Dank ­diesem Broterwerb wendet sich Kabakovs noch junge künstlerische Laufbahn entscheidend. Durch den Kontakt mit anderen Illustratoren in den Verlagen kommt er in Berührung mit Künstlerpersön­lichkeiten der damaligen freien Kunstszene im Moskauer Untergrund; gleichzeitig steigt Kabakov zu einem der führenden Kinderbuch­ illustratoren der Sowjetunion auf. Boris Groys reflektiert in seinen einleitenden Worten des Werkverzeichnisses der Kinderbuchillustra­tionen: “As book illustrator, Kabakov was a part of an official Soviet art and culture industry of that time; but at the same time, he was also deeply engaged in the activities of the unofficial, alternative Moscow art scene. It was a kind of schizophrenic posi­tion he was situated in that time.”79

Dabei begebe sich Kabakov, wie es Stephan Küpper formuliert, keineswegs in eine künst­ lich-­künstlerische Welt, in der die Regeln des sowjetischen Lebens ignoriert würden. Im Gegenteil: sein Schaffen reflektiere die alltäg­liche Schizophrenie des durchschnitt­lichen Sowjetbürgers, die ständige Selbstbeobachtung und das Hin und Her z­ wischen der „offiziellen“ und der „inoffiziellen“ Sphäre des Daseins, die beide als falsch und unbefriedigend empfunden worden ­seien und von denen sich Kabakov gleichermaßen distanziere.80 In den Sommer- und Herbstmonaten 1956 macht Kabakov einerseits mit den Künstlern Oleg Vasil’ev und Ėrik Bulatov Bekanntschaft, die zu freundschaft­lichen Weggefährten Kabakovs werden und, wie dieser auch, nebenher Kinderbücher illustrieren.81 Sie helfen sich bei Gelegenheit gegenseitig beim Kolorieren der Illustra­tionen aus wie etwa Vasil’ev 1959 bei Kabakovs Illustra­tionen zu „Das Märchen vom Terra-­Ferro Land“ von Evgenij Andreevič Permyak. Einige Jahre s­päter, im Sommer 1962, lernt Kabakov im Detgiz-­ Verlag Ülo Sooster kennen, mit dem zusammen er eine Atelier-­Gemeinschaft gründet. 78 KB116, 21. 79 Groys 2007, 17. 80 Küpper 2000, 54 – 55. 81 Vgl. KB129, 174. Bulatov ist auch an der staat­lichen Kunstakademie Surikov in Moskau in Ausbildung.

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Andererseits macht er die Bekanntschaft von Künstlern und Autoren der Lianozovo-­ Gruppe, die teils auch als Autoren von Kindergedichten tätig sind.82 Diese Künstlergruppe aus der Lianozovo-­Siedlung in einem Barackenvorort von Moskau besucht Ilya Kabakov danach zweimal.83 Die Durchdringung des offiziellen Broterwerbs mit dem freien Kunstschaffen und umgekehrt findet auch bei den Lianozovo-­Angehörigen ihren Niederschlag. Zahlreiche Gedichte dieser Gruppe sind beispielsweise dem Kinderbuch „Zwischen Sommer und Winter“ von 1976 einverleibt und von Ilya Kabakov wiederum illustriert. Entscheidend ist, dass Kabakov durch das geistige Umfeld der Lianozovo-­Gruppe Anfang der 1960er-­Jahre seine Bestätigung und Identität als Künstler findet. Insbesondere Oskar Rabin habe ihm und seinen Künstlerfreunden zu einer überzeugten und endgültigen Form der vollwertigen Existenz, die keiner herablassenden Verharmlosung mehr bedurfte, verholfen. Rabin habe die Eigenschaft gehabt, seine Freunde in ihrem künstlerischen Schaffen mit Selbstwertgefühlen zu bestärken.84 Kabakov konstatiert in seinen biografischen Aufzeichnungen: „Mein neues Leben als Künstler begann somit im Winter 1962.“85 Rückblickend schafft sich Kabakov als Künstler wahr­lich eine eigene „rekonstruierte Geschichte“, deren Beginn er Anfang der 1960er-­Jahre entwirft: „Die 60er Jahre sind zweifellos als eine Blütezeit der Subkultur auf allen Gebieten zu bezeichnen, vor allem aber auf jenem der Malerei, der Lyrik und der Prosa.“86 Womit Kabakov das künstlerische Konglomerat der Lianozovo-­Gruppe definiert. Er generiert in seinen Aufzeichnungen über das inoffizielle Leben in Moskau der 1960er- und 1970er-­Jahre geradezu eine alternative Kunstgeschichte Moskaus, denn für ihr künstlerisches Schaffen existiert keine historisch-­kulturell relevante Tradi­tion, es gibt keine künstlerischen Anknüpfungspunkte. Die rus­sische Avantgarde endet in der stalinistischen Sackgasse, in der vom Staat propagierten Kunst des Sozia­listischen Realismus. Dementsprechend protokolliert Kabakov über die Künstler der damaligen inoffiziellen Szene: „Jede dieser Persön­ lichkeiten schuf, baute an ihrem eigenen Kosmos, in dem alles vorhanden war: eine eigene Kunstgeschichte, eine eigene Philosophie und eine eigene Technologie.“87 Diese drei Stichworte sind auch in Kabakovs künstlerischem Gesamtwerk verankert. Mit den fiktiven Künstlerpersön­lichkeiten Charles Rosenthal und Igor Spivak generiert Kabakov

82 Vgl. Kapitel 2.2.1. 83 KB116, 194. 84 Ebd., 196 – 197. 85 Ebd., 26. 86 Ebd., 29. 87 Ebd., 168.

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seine eigene historische Tradi­tionslinie.88 Die ­Theorie der „totalen“ Installa­tion und die theoretische Abhandlung „Der Text als Grundlage des Visuellen“ können mitunter als Kabakovs eigene Philosophie betrachtet werden, und die Technologie findet sich in seiner dialo­gischen Werkstruktur, seinem dialo­gischen Konzept wieder. 3.2.3 Künstlerische Adap­tionen aus den Kinderbuchillustra­tionen Zahlreiche und mitunter sehr wichtige motivische und formale Eigenschaften, die Kabakovs künstlerisches Werk ausmachen, sind in prototypischer Form bereits in den Kinderbuchillustra­tionen angelegt. In ihnen finden sich mancherlei phantastische und phantasievolle Motive, die als Schlüssel zu seinem Œuvre als inoffizieller Künstler während der Sowjetunion, aber auch nach seiner Emigra­tion in den Westen 1987 agieren. So zum Beispiel die allgemeine Beobachtung, dass die in den sowjetischen Kinderbüchern verwendete Sprache von der heilsbringenden Zukunft, einer besseren (sozia­listischen) Gesellschaft von Kabakov in sein künstlerisches Werk adaptiert wird. Diese futuris­ tischen und utopischen, aber auch heilsbringenden Grundzüge finden auch immer latent Nieder­schlag in seinen Geschichten. Boris Groys streicht diesen Umstand im Vorwort des Werkverzeichnisses der Kinderbuchillustra­tionen ebenfalls hervor und betont: “This is maybe a deepest, most intimate connec­tion between the children books illustrated by Kabakov and his adult, serious works: In both cases his heroes are waiting for the ­marvelous, are obsessed by the desire to enter a different, better, unexpected, one can say, Messianic world.”89

Einzelne gestalterische Elemente, die Kabakov für die Illustra­tionen der Kinderbücher entwickelt, werden von ihm ganz selbstverständ­lich in das künstlerische Werk transformiert. Matthew Jesse Jackson weist jedoch als erster darauf hin, dass sich Ilya Kabakov mitunter auch in umgekehrter Richtung inspirieren lässt. So stellt dieser 1962 zwei Gemälde her, Würfel und Komposi­tion im konstruktivistischen Stil, deren formaler Aufbau im Cover für das Kinderbuch „Alphabet unseres Lebens“ von Evgenij Permyak von 1963 wiederum anklingt.90 Nachfolgend werden, ausgehend von den Kinderbuchillustra­tionen, einige Elemente und ­Themen diskutiert, die Kabakov in sein künstlerisches Werk adaptiert, weiterent­ wickelt und die zur eigent­lichen Grundlage seines künstlerischen Œuvres werden.

88 Vgl. die Kapitel 3.4.6. und 5.2.2. 89 Groys 2007, 19. 90 Jackson 2010, 65 – 66.

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3.2.3.1 Das Verhältnis z­ wischen Bild und Text 1959 illustriert Kabakov erstmals „Das Märchen vom Terra-­Ferro Land“ von Evgenij Andreevič Permyak. Das Buch besteht aus ganzseitigen, zum Teil auch doppelseitigen Illustra­tionen mit großen Raumöffnungen im Hintergrund. Auffällig sind dabei die Bildsprünge, die teilweise ­zwischen den einzelnen Illustra­tionsabfolgen angelegt sind. Noch aber verläuft der Text mehrheit­lich parallel zum Bild. In der zweiten Ausgabe des „Märchens vom Terra-­Ferro Land“ von 1981 elaboriert Kabakov seine illustratorische Heran­gehensweise an den Text. Die Illustra­tionen haben sich vom Text emanzipiert, d. h. sie bilden einen eigenen Erzählstrang parallel zum Verlauf der Geschichte. Die Bilder haben gegenüber dem Text ihre eigene narrative Gültigkeit: Dennoch funk­ tionieren sie zusammen mit dem Text als eine Einheit. Die Geschichte von Permyak erhält durch diese illustratorische Freiheit einen erweiterten Sinngehalt. Dieses besondere Verhältnis ­zwischen Bild und Text erprobt Ilya Kabakov bereits in seinem Œuvre der 1970er-­Jahre, worin er seine Zeichnungen und Alben mit Text umrahmt und daraus die „Synthese“91 zieht. Im Album meiner ­Mutter (1977 – 80/1987)92 verfolgt Kabakov ­dieses Prinzip ebenfalls als Künstler. Jeweils in der oberen Albumblatthälfte sind Farbreproduk­tionen mit Begleittext angebracht. Es sind Bildausschnitte aus offiziellen Zeitschriften der 1950er-­ Jahre, der Blütezeit des Sozia­lismus, wie beispielsweise auf dem 36. Blatt: „Weite Verbreitung im Sowjetland haben Kosmetiksalons, in denen die Pflege der Gesichtshaut und der Haare mit Hilfe von Spezialisten und erfahrenen Kosmetik-­Ärzten durch­geführt wird. Auf dem linken Bild – ein Behandlungsraum im Moskauer Institut für ärzt­liche Kosmetik auf der Gorkijstrasse in Moskau.“93

Jeweils in der unteren Hälfte des Blattes sind die fortlaufend autobiografischen, leidvollen Aufzeichnungen von Bejla Solodukhina, der ­Mutter von Kabakov, nachzulesen: „[…] gaben sie mir ihre Adresse. Nach der Ankunft in Moskau begaben wir uns zum Volkskommissariat für Bildung, wo man uns mitteilte, im Mai gebe es keinerlei Aufnahmeprüfungen, wir sollten im August wiederkommen, und derweil fahrt wieder zurück. Wir ­beschlossen, gemeinsam zurückzufahren. Aber ich hatte das Päckchen, und wir vereinbarten, uns am nächsten Tag zu treffen. Ich ging zur angegebenen Adresse. Ein sehr freund­licher

91 KB111, 18. 92 Das Album meiner ­Mutter existiert in zwei Versionen: Das erste wurde 1987 in Moskau publiziert und das zweite in Paris 1995. Vgl. KB70. 93 KB84, 72.

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junger Mann begrüsste mich. Er arbeitete beim Militär, erhielt eine Lebensmittelra­tion und verdiente auch noch nebenbei.“94

Durch den dialo­gischen Bezug z­ wischen Bild und Text generiert Kabakov die eigent­liche Aussage oder Botschaft, die er uns erzählen will. Hier anhand der schwierigen Lebensbedingungen seiner ­Mutter unter dem sozia­listischen System. 1980 fertigt er das großformatige Gemälde Der Kleine Wassermann, dem eine eigene Kinderbuchillustra­tion als Vorlage dient. 1979 illustriert er näm­lich die gleichnamige Kindergeschichte des deutschen Kinderbuchautors Otfried Preußler, ­welche von Jurij Iosifovič Korinec ins Rus­sische adaptiert wird. Unter der stark vergrößerten Zeichnung befindet sich die Textstelle: „Als sie zum Teich kommen, dreht sich der kleine Wassermann plötz­lich blitzschnell um, packt den Langen am Fuss und – eins, zwei, drei! – zieht ihn ins Wasser.“95

Im selben Jahr gestaltet Kabakov das großformatige Gemälde Der Leim, ebenfalls eine Vergrößerung einer seiner Kinderbuchillustra­tionen. Auf weißem Grund gibt er das gleichnamige Gedicht von Jan Brzechwa (Jan Wiktor Lesman, 1898 – 1966) in zwei Spalten mit einer Illustra­tion wieder. Die Illustra­tion korreliert mit der folgenden Versstelle: „[…] und plötz­lich klebt der Laster an einem Bus wie Pflaster. Es kleben Stein und Reifen, der Schutzmann kann nur pfeifen, und klebt selbst fest am Weg […].“96

Der polnische Autor und Lyriker ­dieses Gedichts ist Kabakov kein Unbekannter. 1966 illustriert er dessen Geschichte „Herrn Klecks Akademie“, eine polnische Vorwegnahme der berühmten Harry-­Potter-­Romane der eng­lischen Schriftstellerin Joanne K. Rowling. 1972 bebildert Kabakov eine Sammlung von polnischen Gedichten unter dem Namen

94 KB84, 72. 95 KB137 (Bd. 1), 115. 96 Jan Brzechwa (Jan Wiktor Lesman, 1898 – 1966), „Der Leim“: „Hey, rette sich wer kann, der Leim will an alles ran! Vor niemand macht er halt, klebt alles bei uns bald: Die Gläser und die Flaschen, die Tassen, Löffel, Ascher, geklebt sind Hut und Stock, die Mama und der Rock, das Spielzeug und die Bücher, die Laken und die Tücher. Die Decke und der Boden sind fest verklebt. Und wo nun ist er selbst? Längst raus! Gleich kleben Katz und Maus, und plötz­lich klebt der Laster an einem Bus wie Pflaster. Es kleben Stein und Reifen, der Schutzmann kann nur pfeifen, und klebt selbst fest am Weg. Was macht man jetzt? O Weh! Die Amsel und die Meise, der Hammer und der Meissel, Gesellen und der Meister sind allesamt verkleistert und können nicht mehr raus. Die Lichter gehen aus: Bald klebt der ganze Rest, die ganze Stadt schläft fest. Die Lider fallen zu, gleich schlafen ich und du.“ In: KB137 (Bd. 1), 117.

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„Alles für Alle“, darunter auch s­ olche von Brzechwa, allen voran das Gedicht Der Leim, für das sich Kabakov besonders interessiert. Zum Gemälde Der Leim bekennt Kabakov selbst: „Im Grunde einfach eine Seite aus einem Buch. […] Interessant ist nur die Anordnung des Textes und der Illustra­tion. Eine der ersten Studien in der langen Reihe, wo diese Wechselbeziehung – im grossen Bildformat – untersucht wurde. Schon hier – in der Illustra­tion und der Bildlegende darunter – ahnte ich ‚riesige‘ Mög­lichkeiten für die Zukunft. Das ‚Weiss‘ fungiert auf dem Bild als gemeinsames Feld für den Text wie für die Illustra­tion.“97

Anstelle der weißen Buchseite wird die weiße Leinwand zum konzeptuellen Träger von Bild und Text. Die separierte Buchseite wird vergrößert an die Wand gehängt. Sie bildet in einer neuen Bild-­Text-­Dimension „einen einheit­lichen ‚Organismus‘“98 im Kontext der Kunst. 3.2.3.2 Konzeptuelle Aggregatzustände In den Kindergeschichten wird ein Thema zur Wissensvermittlung oftmals von verschiedenen perspektivischen Seiten her mit Wort und Bild in Beziehung gebracht. Damit wird versucht, den jungen Lesern mög­lichst viele Perspektiven auf ein Thema zu vermitteln. Evgenij Petrovič Mars Erzählung „Wunder aus Holz“ handelt von der Holzverarbeitung im Sinne einer Reise durch das „Land des Holzes“. Ilya Kabakov illustriert das Buch 1960 in formaler Anlehnung an die Technik des Holzstichs (Xylografie). Der Text ist teilweise von einem Rahmen umgeben, in dem sich verschiedene mikroskopisch gehaltene, narrative Szenen abspielen. Jedes kleine Bildfenster illustriert eine andere Geschichte bzw. Sichtweise zur Funk­tion des Holzes. Ein jedes zeichnet einen weiteren mög­lichen narrativen Aggregatzustand nach. In der Originalzeichnung auf Seite 81 fehlt zwar der Text, dafür erzählen die Bildfenster im Rahmen umso mehr. Abermals findet sich in jedem Fenster eine andere Szene, von der Holzmarionette bis zum Harfenspieler. Dieser dreiseitige Rahmen ist auf einer Holzbühne aufgebaut, dem eine hölzerne, dreistufige Treppe vorgelagert ist. Auf der Bühne, perspektivisch leicht nach rechts versetzt und somit vom rechten Bildrahmen angeschnitten, befindet sich eine Hütte auf einem Podest, in und auf der sich wiederum einige Szenen abspielen. Jeweils über mehrere Dimensionen hinweg entwickelt Kabakov Illustra­tionen zum Text wie beispielsweise für Genrikh Sapgirs Geschichte „Vier Briefumschläge“ von 1976 – Sapgir zählt auch zur Lianozovo-­Gruppe.

97 KB111, 38. 98 Ebd.

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Kabakovs Illustra­tionen wie etwa zum Kinderbuch „Die Luft, die wir atmen“ von Evgenij Petrovič Mar, 1972, wiederholen sich in ihrem formalen Aufbau als standardisierte Layoutvorgabe in den Alben der 1970er-­Jahre. In verschieden großen Bildfenstern, die zusammen ein Rechteck bilden, illustriert Kabakov jeweils auf einer Buchseite ein Thema, das fast ohne Text auskommt. Die Illustra­tionen des jeweiligen Bildrahmens stehen zwar für sich allein, weichen aber in der Darstellung nur minimal voneinander ab. Kabakov nimmt nur kleine Veränderungen vor, wechselt zum Beispiel die Perspektive, zeichnet ein Sujet einmal im Profil, frontal oder von der Rückseite, wie das Thema der Windmühle. Dabei wird das Objekt aus verschiedenartigen (narrativen) Zuständen bild­lich reflektiert. Die einzelnen Fenster haben jedoch das ­gleiche Thema, die ­gleiche Idee gemein, nur werden diese in verschiedenen Ausformungen dargestellt. Dieses Vorgehen vermag die einzelnen konzeptuellen Aggregatzustände von Ilya Kabakovs Konzeptkunst z­ wischen Text, Skizze, Zeichnung, Modell oder Installa­tion, ­zwischen den einzelnen Gattungen wie Text, Zeichnung, Malerei oder Installa­tion wachzurufen, eine Welt aus verschiedenen konzeptuellen Aggregaten, die alle miteinander in Beziehung stehen. Jedes davon bilde nach Kabakov eine geschlossene und unabhängige Einheit.99 Jede Einheit steht im dialo­gischen Bezug zur anderen, auch innerhalb eines Werks, ­zwischen den einzelnen konzeptuellen Aggregatzuständen. Kabakov spricht von seiner sowjetischen Heimat als einer “aggregate world” und von einer “aggregate condi­tion”. Gerade weil der Künstler sein Leben zu Kunst macht, seine eigene Biografie in seinem Œuvre eine große Rolle spielt, er einzelne Motive und ­Themen in Werke verpackt, erscheint seine Aussage von großer Relevanz: “I have always been convinced that there is an ‘aggregate world’ and an ‘organic world’. For example, all the time that I lived in the Soviet world was an unhappy existence, because this world was an aggregate. I am now convinced of this. The steam engine – I really love the steam engine – is the ideal embodiment of the aggregate: on the wheels stands a horizontal boiler and behind it a box with coal in it. This is not an organism; it is a collec­tion of physical objects, as in a laboratory; this is the aggregate condi­tion.”100

3.2.3.3 „Buch im Buch“-Darstellung Kabakovs Vorgehensweise, über mehrere ineinander verschachtelte Fenster hinweg auf ein Thema einzugehen und in jedem neuen Fenster aus einer neuen Perspektive eine weitere Sichtweise des Themenmotivs zu illustrieren und zu kommentieren, steht auch in Verbindung mit der „Buch im Buch“-Darstellung, wie es Kabakov selbst nennt.101 99 Vgl. KB138, 56. 100 Kabakov/Zakharov 2001, 47, hier zit. nach: Jackson 2010, 113. 101 KB129, 136.

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In Boris Vasil’evič Zubkovs Kinderbuch „Was ist morgen und was war gestern?“ greift Kabakov 1978 zu dieser Darstellungsform. Das kleinere weiße Buch ist in der Mittelachse des eigent­lichen phy­sischen, offen aufgeschlagenen Buchs posi­tioniert und von einem flächendeckenden gelben Rahmen eingefasst, in der „die Welt“ dargestellt ist. Währenddessen sind auf den weißen Buchseiten der Text und ein weiteres Bildfeld platziert. Die Illustra­tionen ­dieses Bildfelds verweisen wiederum sowohl formal als auch thematisch auf die Darstellungen im gelben Rahmen. Das kleinere weiße Buch illustriert bzw. erklärt mit Text und Bild die Welt des äußeren Rahmens, wobei außerhalb des haptischen, phy­ sischen Buchs eine weitere Welt, eine weitere Realität existiert, zu welcher der Buchinhalt wiederum in Beziehung steht. Für die zweite Ausgabe des Kinderbuchs „Das Märchen vom Terra-­Ferro Land“ wählt Kabakov 1981 dieselbe Darstellungsart. Hier wird d ­ ieses Motiv bereits auf dem Titelblatt des Buchdeckels angekündigt, indem er ein altertüm­liches Buch, einen großen, dicken Folianten auf die Frontseite rückt, der auf einer Halterung steht und an der Oberkante einen Griff hat, als wäre das Buch ein Koffer, aus dem das Märchen über das Terro-­Ferro Land im Sinne des Buchumblätterns erst ausgepackt bzw. mit Bild und Text gelesen werden will. Diese Präsenta­tion ruft die Albenvorführungen Kabakovs in seinem selbst gezimmerten Moskauer Atelier am Sretenskij-­Boulevard 6/1 in Erinnerung, die er zur selben Zeit veranstaltet. Die „Buch im Buch“-Methode aus den Kinderbuchillustra­tionen ist einerseits den Verschachtelungen und Verkettungen ähn­lich, die Kabakov mit seinen späteren Werken immer wieder vornimmt. Der Künstler generiert Gruppen, fasst Werke zu einem bestimmten Thema zusammen, um diese im nächsten Moment wieder aufzulösen und neu zu organisieren. Andererseits führt er diese Verschachtelungsmethode in seinen Künstlerbüchern und allen voran im Künstlerbuch „Werkverzeichnis der Künstlerbücher“ (2010) zur Voll­ endung 102, indem er ganz bewusst ein Buch seiner Bücher schafft, darin seine ganze künstlerische Welt abbildet und als einen Mikrokosmos im Makrokosmos speichert. Das Kompendium verfügt über mehrere Dimensionen, über die man zu den verschiedenen konzeptuellen Aggregatzuständen des Gesamtwerks Kabakovs gelangt. Dieses Buch der Bücher repräsentiert das künstlerische Unternehmen Kabakovs, an dem der Künstler seit Ende der 1950er-­Jahre in einem kontinuier­lichen dialo­gischen Prozess baut, bildet und formt und verweist gleichzeitig auf die wichtige Rolle der Künstlerbücher in Ilya Kabakovs Œuvre. Ein weiteres Künstlerbuch, das Werkverzeichnis seiner Kinderbuchillustra­tionen, genannt „Orbis pictus“, liest sich als Pendant – auch im Sinne der Titelgebung – zum

102 KB138.

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„Werkverzeichnis der Künstlerbücher“. Kabakovs „Orbis pictus“ beinhaltet mehr als 100 Illustra­tionsvorlagen für sowjetische Kinderbücher, deren Geschichten mit pädago­ gischen und didaktischen Botschaften befrachtet sind. Hier wie da bildet Kabakov die (reale) Welt ab und vereint diese zu einer persön­lichen, subjektiven Enzyklopädie, zu einem privaten Universalsystem. Hier wie da generiert der Künstler das Buch der Bücher und stellt seine künstlerische Realität dar, die wiederum in Rela­tion zur äußeren, erfahrbaren Welt steht. Der Typus des gelehrten Künstlers als Vermittler von Universalismus ist auch ­Kabakovs Anspruch.103 Der Versuch, die gesamte Welt in ein einziges Kompendium, in eine Enzyklopädie zu fassen, hat frei­lich eine lange Tradi­tion und findet weitreichende Anknüpfungspunkte. Ein zusammenhängendes, beziehungsreiches Denken hat schließ­lich auch mit Enzyklopädien zu tun. Kabakovs „Orbis pictus“ führt auf den lateinischen Buchtitel „Orbis sensualium pictus“ von Johann Amos Comenius (Jan Amos Komenský, 1592 – 1670) zurück.104 In Comenius’ „Die sichtbare Welt“ (1658) wird die Welt als Ganzes mit Wort und Bild beschrieben. In ­diesem Sprachbilderbuch werden 150 ­Themen zu Gott und Religion, Politik, Flora und Fauna, Tier und Mensch aufgegriffen, aber auch Berufe erklärt, Tugenden, Laster und Strafen aufgelistet. 3.2.3.4 Fliegende Menschen und Objekte Ein in Ilya Kabakovs Werk immer wiederkehrendes Motiv, das sich über seine ganze Schaffensperiode spannt, ist das Sujet des Fliegens, des Entschwindens und der Entfernung. Dieses Motiv wird frei­lich auch von anderen Moskauer Konzeptualisten und der rus­sischen Avantgarde verarbeitet, wie das die Autorinnen des Ausstellungskatalogs „Flug. Entfernung. Verschwinden. Konzeptuelle Moskauer Kunst“ 1995 zur Sprache bringen.105 Besonders fliegende Menschen, die über den Dächern einer Stadt oder über das Land schweben oder sich gar in eine andere Welt, in eine andere (Atmo-)Sphäre begeben, sowie fliegende Objekte oder Geräte finden sich sowohl in Kabakovs Kinderbuchillustra­tionen als auch in seiner Kunst wieder wie im Album Der fliegende Komarov aus den 1970er-­ Jahren (Abb. 6), in der Installa­tion Der Mann, der aus seinem Zimmer in den Kosmos flog von 1985 über einen Mann, welcher sich aus seinem kleinen Zimmer einer typisch sowjetischen Gemeinschaftswohnung in den Kosmos katapultiert, in Der Mann, der ins Bild flog, 1988, oder in der jüngeren Gemäldeserie Fliegend (#1 – 20) aus dem Jahr 2009.106

103 Diese Aussage erinnert an Kabakovs „Lieblingskünstler“, Frederick Edwin Church (1826 – 1900), ein wichtiger Vertreter der amerikanischen Hudson River School, der sich am Humboldt’schen Ideal orientiert. 104 KB129, 28 – 29. 105 Ausst.Kat. Prag/Berlin/Kiel/Moskau 1995. 106 Vgl. KB129, 112 – 133. Wobei Ilya Kabakov die Gemäldeserie Fliegend (#1 – 20) in die suprematistische Tradi­tion einordnet.

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Für die Buchklappe von James Matthew Barries „Peter Pan und Wendy“ wählt ­Kabakov 1968 ein Holzfenster, durch das sich vier fliegende Figuren, das immerwährende Kind Peter Pan, die aus London stammende Wendy Darling und ihre beiden Brüder John und Michael, auf ins Nimmerland machen. In den Illustra­tionen zu Hans Christian Andersens „Märchen und Geschichten“ von 1971 findet sich auf Seite 159 ein Mann mit Zylinder und ausgestreckten Armen, der sich fliegend über den Dächern entfernt. Seit den Wintermonaten 1970 beschäftigt sich Kabakov auch in seiner eigenen Arbeit der Alben mit dem Thema des Fliegens: Im 6. Album Der fliegende Komarov sind fliegende Menschen omnipräsent. Fliegende Objekte wie Äpfel oder Kuchenstücke auf weißem Grund schweben im 2. Album Der Spassvogel Gorochov umher. Kabakov vergleicht seine damalige künstlerische Produk­tion mit einem Flug in schwerelosem Zustand: „In den 70er Jahren [sic] stellt mein Schaffen ein Fliegen, einen schwerelosen Zustand, ein ontolo­gisches Erfragen dar, das jedoch die mittlere Zone – die Zone der sozia­len Realität, des Alltags – nicht einschliesst.“107 In den 1980er-­Jahren verwendet Kabakov das Motiv des Fliegens erneut für seine Illustra­tionen. Einerseits 1983 in Irina Mikhailovna Pivovarovas „Ich möchte fliegen“, andererseits 1985 in Georgij Aleksandrovič Balls „Sonnenversteckspiel“, wo sich der Nachtkurier mit seiner blauen Jacke, der Kapitänsmütze und der schwarzen Brieftasche mit dem Knaben fliegend davonmacht. 1985 ist auch das Jahr, in welchem Kabakov die bereits erwähnte Installa­tion Der Mann, der aus seinem Zimmer in den Kosmos flog schafft. 3.2.3.5 Fragmente In Ilya Kabakovs Zeichnungen, Alben und Gemälden findet sich das Fragment als formales Motiv durch das ganze Œuvre hindurch seit Mitte der 1960er-­Jahre bis in die jüngste Zeit. Gleichfalls vertreten ist d ­ ieses Motiv in seinen Illustra­tionen der Kinder­geschichten. Dabei funk­tioniert jedes fragmentarische Element auf der Basis der Buchseite räum­lich anders. Es gibt geometrische, aber auch amorphe Fragmente, die flach, räum­lich oder symbolträchtig wirken, andere wiederum haben einen narrativen Inhalt. Es sind Fragmente ­zwischen suggerierender Flächigkeit und Räum­lichkeit wie in Kabakovs Illustra­ tionen zu den Kindergeschichten „Tima ist zu Hause“ (1968) und „ABC“ (1971) von Anatolij Markovič Markusha oder im Kinderlehrbuch über die Geologie „Geologie in Bildern“ von Anatolij Filipovič Členov. Im Gemälde Im Zimmer, 1965, ist auf dunkelblauem Hintergrund in der oberen rechten Hälfte ein fragmentarischer Einblick in einen Raum dargestellt. In der unteren linken Ecke befinden sich außerdem drei weitere Fragmente, zwei hellblaue runde und eine braune, leicht angeschnittene Kugel. Dazwischen existiert viel leerer (dunkelblauer)

107 Slavická 1988, 150, hier zit. nach: Slavická 1995, 26. Vgl. Kapitel 5.2.6.

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Raum. Diese formale Beschreibung zum Fragment passt auf et­liche Gemälde und Zeichnungen, die Kabakov ab den 1960er-­Jahren malt. Das Gemälde Person und kleines Haus, 1969, charakterisiert sich durch die vier leicht nach links versetzten griechischen Kreuze auf weißem Grund (Abb. 4). Rechts oberhalb des dritten Kreuzes von links befindet sich ein tropfenartiges, grünes Fragment mit einem Haus, davor, in der perspektivischen Vergrößerung, ein grün gekleideter Mann im Profil. Die kolorierten Originalzeichnungen zur eben genannten Kindergeschichte „Tima ist zu Hause“ (Abb. 5) von Markusha weisen ebenfalls s­ olche griechischen Kreuze auf wie das erwähnte Gemälde Person und kleines Haus. Überhaupt finden sich diese Kreuze in vielen von Kabakovs Originalzeichnungen der Kinderbuchillustra­tionen. Die Zeichen ­­ dienen dem Illustrator nebst den mit Bleistift markierten, noch leeren Textfeldern zur Ausrichtung; sie bilden eine Art Raster. Gleichzeitig erinnern die einzelnen Illustra­tionsfragmente in „Tima ist zu Hause“ stark an die erst viel s­ päter entstandene Gemäldeserie Unter dem Schnee, 2004 – 2006. Hier wie dort benutzt der Künstler tropfenartige Fragmente auf weißem Grund, in denen er die Geschichte ausschnitthaft wiedergibt. Die Schnee-­Gemäldeserie ist zudem eine Analogie – oder ein weiterer Aggregatzustand – auf die ältere Reihe der sogenannten Weissen Bilder aus den Jahren 1977 bis 1978.108 Fragmente finden sich auch in den Alben, am augenschein­lichsten im 4. Album Der Quälgeist Surikov aus der Serie Zehn Personen. Dazu interpretiert Kabakov: „Das Bewusstsein, das hinter einem ‚Schleier‘ steht. Verborgenheit ‚hinter dem Vorhang‘ alles Echten. Zerreissen ­dieses ‚Schleiers‘, Vergrössern der ‚Öffnung‘, dahinter ein Schleier nach dem anderen, auf den alten folgt ein neuer.“109 Im besagten Album selbst findet sich eine Textstelle zum Fragment: „Als ich im Leben zu erkennen versuchte, was mich umgab, war das Ergebnis immer ein kleines Fragment, so etwas wie ein Spalt, alles übrige aber war mir durch einen dichten Schleier verborgen.“110 Die geschilderten Zusammenhänge z­ wischen seiner offiziellen Tätigkeit als Kinderbuch­ illustrator und seinem inoffiziellen Kunstschaffen zeigen auf, dass Kabakov sein verwendetes Vokabular als Illustrator in seinen künstlerischen Arbeiten elaboriert; dass die Trennung z­ wischen diesen beiden Tätigkeitsfeldern nicht hermetisch ist. Im Gegenteil, sie bedingen sich gegenseitig. ­Themen wie die verschiedenen zeichnerischen Ausformungen, worin ein Gegenstand aus unterschied­lichen (narrativen) Perspektiven dargestellt wird und sich ­später in gewisser Art und Weise in den einzelnen konzeptuellen Aggregatzuständen seiner Werke wiederholt, und insbesondere das substantielle Verhältnis z­ wischen Bild und 108 Vgl. KB116, 142 – 145. 109 KB111, 25 – 26. 110 Kabakov II, o. S.

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Text, aus dem Kabakov den werkcharakteristischen Kommentierungsapparat ent­wickelt, sind sowohl in seinen Kinderbuchillustra­tionen als auch in seinem Werk angelegt. Einige Illustra­tionsvorlagen haben nicht nur ihre Gültigkeit in ihrer spezifischen Gattung, sie erfahren eine Umwertung und werden im Kontext der Kunst rezipiert. Sie werden durch den „Kunstgriff“ Kabakovs in einen neuen, weiteren Aggregatzustand gebracht.

3.3 Dialo­g isches Weltmodell ­z w ischen Vielheit und Einheit: von der Zeichnung über das A lbum und Gem älde zur Install a­t ion Kabakovs Œuvre ist über die Jahrzehnte in chronolo­gischer Reihenfolge von der Zeichnung über das Album und Gemälde bis zur Installa­tion gewachsen. Parallel dazu fasst der Künstler immer wieder einzelne Werke zu Gruppen zusammen, die sich zu neuen Organisa­tionsprinzipien zusammenfinden und ständigen Veränderungen unterliegen. Dabei entwickelt sich sein dialo­gisches Konzept über die Jahre kontinuier­lich und nimmt immer wieder neue und weitere (Gattungs-)Formen an. Mit dem fortlaufenden künstlerischen Prozess wird der momentane Standpunkt immer wieder relativiert und in ein neues Bezugssystem geführt, wobei vom Künstler immer wieder neue dialo­gische Perspektiven eröffnet werden. Sein Werk ist dadurch stets im Wandel begriffen. Das Momentane ist ebenso Gesamtwerk wie das Vergangene und Zukünftige. So werde, in den Worten Groys, jede Struktur, die Kabakov abschließe, wieder geöffnet und in der folgenden Struktur „aufgehoben“, um sie einem erneuten Diskurs zu unterbreiten.111 Zu d ­ iesem ständig pulsierenden „Abschließen-­Öffnen“, wie es Groys nennt, gehören sowohl die Verkettungen als auch die Verschachtelungen von Werken, die der Künstler wiederholt vornimmt, doch unterliegen ihnen verschiedene dialo­gische Bedeutungen. 3.3.1 Verkettungen Ilya Kabakov spricht von seinen ersten künstlerischen Versuchen in den 1950er-­Jahren: „Das Erste, worauf ich bei mir ‚stiess‘, war das Auftreten eines unbewussten Impulses – mit Bleistift und Feder auf kleine Blätter Papier, etwa in der Grösse eines Heftes, Linien und grafische Gesten zu setzen, während bei unzusammenhängend und ohne Vorsatz ­ausgeführten Bewegungen aus dem Inneren, der Psyche irgendwelche Regungen auftauchten, die sich mit diesen Strichen verbanden.“112 111 Groys 1991h, 168. 112 KB116, 16.

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Dabei wird eine sehr große Anzahl an Zeichnungen geschaffen. Von diesen s­eien laut Kabakov ungefähr 600 bis 700 entstanden und hätten ­später Eingang in die Gruppe der Vier Alben aus der Serie Auf grauem Papier gefunden.113 Sämt­liche Alben Ilya Kabakovs sind ausschließ­lich in den Jahren ­zwischen 1970 und 1978 entstanden und stehen in Verbindung mit Viktor Pivovarovs Alben dieser Jahre wie Tränen (1975) oder Der Garten (1976). Danach wird diese Technik von Kabakov nicht mehr aufgegriffen, wie er sagt.114 Die ersten zusammenhängenden Albumserien s­eien allerdings bedeutend früher aufgetaucht. Sie hätten, so Kabakov, aus einzelnen Zeichnungen bestanden. So sei beispielsweise Mensch und Haus die Variante einer Zeichnung, die in das 7. Album Der mathematische Gorskij der Albumserie Zehn ­Personen eingegangen sei.115 Matthew Jesse Jackson macht darauf aufmerksam, dass diese Zeichnungen bereits einzeln gerahmt in Kabakovs Atelier ausgestellt gewesen waren: “Usually Kabakov’s drawings were piled in stacks around his studio; the fact that they appear inside frames evidences an uncharacteristic solicitousness.”116 Diese einzelnen, ehemals selbstständigen Zeichnungen führt Kabakov schließ­lich in einen größeren, zusammenhängenden Kontext eines Albums. Zur Entstehungsgeschichte der Alben erklärt der Künstler, die ersten zusammenhängenden Serien hätten aus einzelnen Zeichnungen bestanden: „In ihnen gab es bereits diese besondere Eigenschaft der ‚Variiertheit‘ – jede von ihnen rief augenblick­lich wieder eine weitere Varia­tion ihrer selbst hervor. Irgendwie ‚beste‘ darunter auszuwählen, war mir nicht mög­lich, ich nahm einfach ‚eine daraus‘ und begann dann, ohne die Mühe zu scheuen, einen ganzen ‚Komplex‘, oder genauer eine ‚Kette‘, davon zu zeichnen, […].“117

Diese dialo­gische Verkettung beschreibt er als „gleich bedeutende [sic] lineare Varia­tionen ein und derselben Zeichnung“, die in seiner Vorstellung sofort als eine Vielzahl von „gleichen“ bzw. „gleich bedeutenden“ auftauchen würden.118 Gleichzeitig fordert der Künstler selbst schon von jedem einzelnen Albumblatt einer Albumserie die Eigenschaft des selbstständigen Funk­tionierens, obwohl eine Serie aus mehr als hundert Einzelblättern bestehen kann. Diese Forderung betont Kabakov noch

113 KB116, 16. Ein kleiner Teil der Zeichnungen sind publiziert in: Ausst.Kat. Hannover 1998; Martin 2014. 114 „Überhaupt wurden die Alben als Technik von mir im Jahr 1978 sozusagen endgültig und, wie es damals schien, für immer abgeschlossen.“ In: KB116, 114. 115 Ebd., 42. 116 Jackson 2010, 105. 117 KB116, 115. 118 Ebd.

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durch seine jeweilige Signatur und Datierung auf jedem Blatt. Er macht die Aussage, das Albumblatt stelle in den Alben immer und unbedingt ein vollwertiges, vollständig abgeschlossenes und sich selbst genügendes Bild im Sinne eines vollendeten Kunstwerkes dar, das dazu geeignet und auch vorgesehen sei, allein an der Wand zu hängen wie jedes andere „Bild“ auch. Es müsse alle mög­lichen Ebenen eines Tafelbildes oder einer Zeichnung in sich bergen und bewahren.119 Es wird sowohl die Einheit des Albums als auch die Vielheit der Albumblätter betont. Dazu macht Kabakov den Vergleich mit den japanischen Farbholzschnitten der ukiyo-­e von Kitagawa Utamaro (1753 – 1806), die teilweise zu Alben gebunden wurden.120 Das ­gleiche Vorgehen wiederholt er ­später mit den Gemälden, wovon er wiederum einzelne zu Serien zusammenführt wie jene aus den 1970er-­Jahren mit den Titeln Am Rande (1974), Drei rus­sische Bilder (1976) und Die „weissen“ Bilder (1977/78) oder jene ab 2000 wie Unter dem Schnee (2004 – 2006), Kanon (2007), Fliegend (2009) oder Raumcollage (2010). Neben den Verkettungen innerhalb einer Gattung kommt es auch zu solchen, die sich über die Gattungen hinweg herausbilden. So agieren die Gemälde, die Kabakov aus den Alben heraus entwickelt, auch nur als ein „Glied in einer Kette“121 (um Bachtin an dieser Stelle zu rezitieren), ohne dass diese dialo­gische Verkettung zu einem endgültigen Abschluss führt. Für eine programmatische dialo­gische Verkettung z­ wischen Zeichnung, Album, Gemälde und Installa­tion stehen einerseits die Albenserie Zehn Personen, andererseits drei Gemälde-­Gruppen aus den 1970er-­Jahren, Am Rande (1974), Drei rus­sische Bilder (1976) und Die „weissen“ Bilder (1977/78), die sich wechselseitig bedingen, im Vordergrund. Die drei großformatigen Gemälde aus der Gruppe Am Rande greifen auf die Idee der Zeichnungen aus dem 8. Album Der Verzierer Malygin der Albumserie Zehn Personen zurück (Abbn. 7, 8). Hier wie dort findet die Handlung, die Darstellung am Rand der Bildfläche statt. Doch bewegen sich in diesen drei Gemälden kleine Figuren in gegenläufiger Progression am Rand entlang; von Bild zu Bild sind es mehr. Es sind Bauern, die sich mit angespannten Karren oder beladen mit Säcken und Körben vor einer angedeuteten, perspektivisch verkleinerten länd­lichen Szene im Hintergrund bewegen.122 Das erste Gemälde „dient“ gemäß Kabakov „als Schlüssel zum Verständnis des zweiten

119 KB116, 116; KB74, 91. 120 Ebd. 121 Bachtin 2002, 394, hier zit. nach: Sasse 2010, 89. 122 „,Diese ganze Welt‘, alle Leute darin haben sich ‚am Rande‘ angesiedelt, wohnen ‚am Rande‘ […].“ In: KB137 (Bd. 1), 93.

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und dritten“.123 In ihrer Abfolge stehen sie gewissermaßen – wie die einzelnen Albumblätter – in einem Dialog.124 Die Dreiergruppe aus dem Jahr 1976125 wird von Kabakov mit Drei rus­sische Bilder überschrieben. Deren Bildvorlage stammt aus dem 4. Album Der Quälgeist Surikov der Albumserie Zehn Personen. Wobei Kabakov präzisiert, dass die Nr. 1 Ivan ­Trofimovič holt Feuerholz aus dem Album Hülle sowie die Nr. 2 In der Ecke und Nr. 3 Sie liegen unten dem Album Vorhang entnommen sind.126 Mit ihrer Größe und ihrer charakteristisch braunen Farbe sind sie den sowjetischen Schautafeln wie etwa in den Kommu­ nalwohnungen ähn­lich. Die beiden Gemälde Ivan Trofimovič holt Feuerholz und Sie liegen unten sind in ihren linken unteren Ecken mit einer tabellarischen Zeichen­ erklärung versehen (Abbn. 9, 10). Dieses Bild-­Schrift-­Verfahren hat der Künstler zuvor schon im 5. Album Anna Petrovna hat einen Traum der Zehn Personen angewandt.127 Hier wie da setzt Kabakov in der linken unteren Bildecke eine Zeichenerklärung in der Form einer Tabelle. Die Entstehung der „weissen“ Bilder ist ebenfalls auf die Albumzeichnungen der 1970er-­ Jahre zurückzuführen. Auffällig ist ihre äußerst minimalistisch gehaltene Bildsprache auf weißem Grund. Das zweiteilige 1. Gemälde In der Ecke/12 alte weisse Menschen über dem Teller wiederholt eine Zeichnung aus dem 8. Album Der Verzierer Malygin aus der Albumserie Zehn Personen und zwar aus dem 1. Album Malygins In der Ecke. Kabakov erklärt, diese „Greise“, die über einem Teller schweben, würden sich beim Betrachten des ganzen Bildes aus einer bestimmten Entfernung als überhaupt nicht sichtbar erweisen.128 Mit Ausblick auf Kabakovs folgenden Kommentierungsapparat ein wichtiger Hinweis – setzt doch Kabakov die vormaligen Schriftblöcke in den unteren Bildecken im Gemälde In der Ecke/12 alte weisse Menschen über dem Teller mit unsichtbaren Greisen, mit fiktiven Betrachtern gleich. Die Entstehungsgeschichte des gleichfalls zweiteiligen 2. Gemäldes Das Weiss verdeckt Alles ist dem Künstler zufolge auf das 4. Album Der Quälgeist Surikov der Albumserie Zehn Personen zurückzuführen. Wobei Kabakov auch hier insofern unterscheidet, als es

123 Ausst.Kat. Bern 1985, 25. 124 Zusammen mit dem Album Der Verzierer Malygin werden diese drei Gemälde 1985 das erste Mal in der Kunsthalle Bern gezeigt. Ilya Kabakov. Am Rande, Kunsthalle Bern, 31.8.-18. 11. 1985. Weitere Destina­ tionen dieser Ausstellung waren Düsseldorf, Marseille und Paris. Zu dieser Ausstellung in Bern ist eine Begleitpublika­tion erschienen, zu welcher der Künstler das Layout lieferte. Vgl. KB16. 125 Im Werkverzeichnis der Gemälde (Bd. 1) sind diese drei Werke irrtüm­licherweise auf 1969 datiert, in Ilya Kabakovs „Aufzeichnungen über das inoffizielle Leben in Moskau“ hingegen auf 1976. Vgl. KB116, 140, und KB137 (Bd. 1), 73 – 76. 126 KB116, 141. 127 Ebd. 128 Ebd., 143.

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dem 1. Album namens Hülle entstamme.129 Das 3. Gemälde Flügel s­chützen das Weiss steht in wechselseitiger Beziehung zu dem 10. Album Der aus dem Fenster schauende Archipov aus der Albumserie Zehn Personen. Dieses zweiteilige Gemälde besteht aus einer einzigen weißen Fläche. Jeweils parallel entlang der beiden Kanten, wo die Bildhälften aufeinander treffen, sind im oberen Teil zwei sich wiederholende Engelsflügel in äußerst blassen, hellblauen Linien gemalt. Dem 4. Bild Er fliegt liegt das 43. Blatt des 10. Albums Der aus dem Fenster schauende Archipov aus der Albenserie Zehn Personen zugrunde, wo gleichfalls ein mickriger Punkt im Weiß der Malfläche zu verschwinden scheint.130 Entscheidend ist für diese drei Gemälde-­Gruppen Am Rande, Drei rus­sische Bilder und Die „weissen“ Bilder aus den 1970er-­Jahren, dass Ilya Kabakov sein Werk aus den Zeichnungen und Alben schrittweise weiterentwickelt und in eine weitere Gattung überführt. Es kommt auch hier zu dialo­gischen Verkettungen, nun auch gattungsübergreifend. Die permanente Installa­tion Wem gehören diese Flügel (1991) in Utrecht zeigt diese Entwicklung beispielhaft auf. Auf der röt­lichbraunen Backsteinhauswand der städtischen Polizeiwache Tolstergbrug in Utrecht leuchtet jeweils in der Nacht ein großer Rahmen aus grünen Neonröhren mit einer vertikalen Linie in der Mitte. Abwechslungsweise, in einem zeit­lichen Rhythmus von vierzehn Sekunden, leuchten jeweils an den Seiten und dem oberen Rand blaue Flügel auf. Jede der vier Phasen wird durch einen Text am unteren Rand links und rechts begleitet.131 Diese Korrela­tion ­zwischen Text und Bild erinnert an Kabakovs formalen Aufbau der Albumblätter, zusammen mit dem Flügelmotiv insbesondere an das 10. Album Der aus dem Fenster schauende Archipov. In Utrecht präsentiert Kabakov dem Betrachter das Album vertikal an der Wand, geblättert wird durch das zeit­liche Intervall der alternierend aufleuchtenden Flügel und Texte. Zugleich erinnert die Utrechter Situa­tion an Kabakovs private Albenvorführungen für seine Dissidenten-­Kommune Ende der 1970er-­Jahre in seinem Moskauer Dachatelier am Sretenskij-­Boulevard 6/1.132 Dafür baut er eine Tischhalterung aus Holz, auf die er eine großformatige, aufgeklappte Albumschachtel stellen kann, ähn­lich einer Leinwand auf einer Staffelei, um so jedes einzelne Blatt dem Betrachter vorzuführen: „Ich zeige meinen Freunden die Alben. Ich stelle sie auf eigens dafür gefertigte Ständer, wende 129 KB116, 143. 130 Ebd. 131 I. Phase. Flügel an der Seite: Anna Petrovna Ryss: „Wem gehören diese Flügel?“ Boris Pavlovič Koss: „Ich weiss nicht.“ / II. Phase. Flügel oben: Olga Ivanovna Bobrova: „Wem gehören diese Flügel? Ivan Igorevič Gorin: „Ich weiss nicht.“ / III. Phase. Flügel zu beiden Seiten der Mittellinie: Lidia Markovna Popova: „Wem gehören diese Flügel?“ Pavel Ilijč Kostin: „Ich weiss es nicht.“ / IV. Phase. Alle Flügel leuchten gleichzeitig an ihren Plätzen: „Niemand weiss, wem diese Flügel gehören.“ In: KB123 (Bd. 1), 307. 132 Nach Stephan Küpper sei das Haus am Sretenskij-­Boulevard 6/1 von Le Corbusier als das schönste Haus Moskaus genannt worden und habe für einige Zeit das Hauptquartier der Artillerie der Roten Armee sowie das erste Volkskommissariat für Bildung beherbergt. In: Küpper 2000, 54.

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die Blätter um, lese den Text. Fünf oder sechs Freunden schauen mir dabei zu.“133 Das häus­liche Vorlesen wird zu einer Performance, was an die Tradi­tion der Guckkästen und Volksbilderbögen (Lubok) erinnert, deren Erzählungen von Schaustellern jedoch nicht wie bei Kabakov im privaten Raum, sondern in der Öffent­lichkeit erzählt wurden.134 In der Installa­tion Wem gehören diese Flügel wird hingegen die ehemals private Vorstellung der Alben in die Öffent­lichkeit gekehrt. Die drei Gemälde der Installa­tion Flügel von 1996 in der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main sind gewissermaßen eine Adap­tion und Weiterentwicklung der Utrechter Installa­tion Wem gehören diese Flügel. Die Texte der Bilder Nr. 1 und 2 sind jenen in Utrecht fast gleich.135 Nr. 2 wird ebenfalls am Bildrand von einem Rahmen eingefasst und in der Mitte mit einer vertikalen Linie unterteilt. Diese Unterteilung erinnert wiederum an ein aufgeschlagenes Buch. Hier allerdings finden sich die Texte jeweils an den beiden oberen Bildecken in einem grünen Feld. Bild Nr. 3 weist kein Textfeld mehr auf, sondern nur noch die Rahmen, die sich im oberen Teil des Gemäldes im Weiß auflösen. Die äußerst fein gezeichnete, kaum sichtbare Flügeldarstellung findet sich im oberen Bereich der Mittellinie. Ohne hier eine genaue Informa­tion zum Inhalt kennen zu müssen, lässt sich Kabakovs Beschreibung zum 10. Album Der aus dem Fenster schauende Archipov auf diese Installa­tion übertragen: „Die Erscheinungen des ‚Lebens‘ werden beim direkten Blick ins ‚Licht‘ körperlos, farblos, lösen sich auf und verschwinden schliess­lich endgültig, wenn sich das Licht so weit verstärkt, dass es völlig blendet…“136 3.3.2 Verschachtelungen Mit den Verschachtelungen von Werken, die Ilya Kabakov seit den 1980er-­Jahren vornimmt, konstruiert er kleinere und größere dialo­gische „Weltmodelle“, die ihrerseits in Bezug zu anderen „Weltmodellen“ stehen. Als Vergleich dazu führt der Künstler das Prinzip der rus­sischen Holzpuppe, der Matrëški 137 an, aus der sich aus einer Puppe 133 KB79, 32. 134 Vgl. dazu die Ausführungen in Hirt/Wonders 1998, 32 – 34; Hirt/Wonders 1993. 135 Gemälde für die Installa­tion ‚Die Flügel‘# 1, 1996: Sergej Vladimirovič Sazonov: „Sag mir, wem gehören diese Flügel?“ Antonina Lvovna Sysojeva: „Olga Ivanovna“; Gemälde für die Installa­tion ‚Die ­Flügel‘# 2, 1996: Boris Ignat’evič Zimin: „Wem gehören diese Flügel?“ Sofia Grigor’evna Paniz: „Angelina ­Jonovna“. In: KB137 (Bd. 1), 336 – 337. 136 KB116, 130. 137 Die rus­sische Matrëška ist eine Adap­tion der japanischen Hohlfigur namens Fukuruma, wie der Slavist Felix Philipp Ingold ausführt. So sei die Matrëška nicht der rus­sischen folkloristischen Tradi­tion zuzuordnen: „Vielmehr ist es eine verhältnismässig junge Fremderwerbung, deren Herkunft völlig vergessen, wohl aber exakt belegbar ist.“ Die ersten Matrëški ­seien in der Künstlerkolonie Abramzevo, unweit von Moskau, um 1890 nach dem Vorbild japanischer Hohlfiguren angefertigt worden. Man nimmt an, dass die Figuren von der größten Insel Japans, der Hauptinsel Honshū, stammen und den

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mehrere kleinere herausschälen oder, in umgekehrter Richtung, aus einer Kleinstform immer größere heranwachsen. In einem Gespräch über die Entwicklung seines Œuvres seit den 1950er-­Jahren bezieht sich Kabakov auf d­ ieses „Matrëška-­System“ und vergleicht die bunt bemalte Holzpuppe mit ihren mehrteiligen, in sich eingelassenen Figuren mit einem Weltmodell, wobei das kleine Weltmodell zum großen Weltmodell werde.138 So ist in den Worten Kabakovs „auch das Modell nur das bedingte Schema für etwas anderes“, das in Bezug zum „realen ‚Lebensraum‘“ steht.139 Ähn­lich ergeht es dem Besucher seiner Installa­tion Der Palast der Projekte, 1998, im ehemaligen Salzlager der Zeche Zollverein in Essen.140 Der Palast wirkt beim Betreten der riesigen Halle vorerst klein und modellhaft, was einerseits durch die leichte Bauweise und andererseits durch die Beleuchtung erst recht unterstrichen wird. Der Palast mit seinem archetypischen Grundriss als Schneckenform und der spiralförmigen, sich aufwärtsstrebend verjüngenden Bauart setzt sich aus einer simplen Holzkonstruk­tion zusammen, die über zwei Stockwerke 16 kleinere Räume aneinanderreiht. Seine Konstruk­ tion ruft die lange Tradi­tion utopischer Bauwerke ins Gedächtnis wie der Turmbau von Babel aus der bib­lischen Erzählung des Alten Testaments,141 Vladimir Tatlins Denkmal der III. Interna­tionale von 1919/20 oder Marino Auritis Enzyklopädischer Palast aus den 1950er-­Jahren, der das gesamte universale Wissen beherbergen sollte. Die Wände und Decken des Palasts der Projekte von Kabakov bestehen aus einer weißen, halbdurchsichtigen Plastikfolie, die ­zwischen das hölzerne Rahmengerippe gespannt wurde. Die Rahmen bleiben somit sichtbar, was dem eigent­lichen voluminösen Baukörper Leichtig­keit verleiht und an eine ausgeleuchtete (asiatische) Laterne erinnert, die über dem Boden schwebt. Die begehbare Installa­tion beherbergt insgesamt 65 Projekte, die sich in drei thematische Gruppen gliedern, ­welche Kabakov wie folgt benennt: 1. „Projekte zur

rund­lichen buddhistischen Mönch Fukuruma darstellen würden, in dessen Bauch mehrere, immer kleinere Figürchen – Abbild seiner selbst – eingelassen gewesen ­seien. „Die Bezeichnung Matrëška (matreška) verweist etymolo­gisch auf ­Mutter (russ. mat’, mater’, als weib­licher Vorname Matrëna, zu Matrone), auf Mütter­lichkeit, als Symbolgegenstand steht sie für Russland generell, Rus’, Rossija, das schon immer als gigantischer mütter­licher Weltinnenraum oder volkstüm­lich als ‚Mutter feuchte Erde‘ (mat’-zemlja-­syra) imaginiert wurde. Erst nachdem die Prototypen der Matrëška-­Puppen um 1900 in Paris anläss­lich der Weltausstellung als eine Neuheit des rus­sischen Kunsthandwerks bekannt gemacht und sogar mit einer Medaille ausgezeichnet worden waren, begann in Russland selbst […] die handwerk­ liche und bald auch die industrielle Massenproduk­tion, die auch während der Sowjetzeit nie eingestellt wurde und die noch heute in grosser Varia­tionsbreite fortgeführt wird.“ In: Ingold 2009, 197 – 198. 138 „Das kleine Weltmodell wird zum grossen Weltmodell, wie beim Matrëška-­System.“ In: KB138, 56. Vgl. auch das Matrëška-­Prinzip bei Sorokin, Burkhardt 1999, 37 – 52. 139 KB123 (Bd. 2), 425. 140 Seit Herbst 2001 permanente Installa­tion im Salzlager, Kokerei Zollverein Essen, Sammlung Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur. Vgl. KB126. 141 AT, 1. Mose, Gen 11,1 – 9.

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Verbesserung des Lebens anderer“142, 2. „Projekte, die die Kreativität anregen, die zur Schaffung, zur Entstehung neuer Projekte beitragen“143, und 3. „Projekte, die die Selbstvervollkommnung einer einzelnen Person zum Ziel haben“144. Die Projekte werden in den einzelnen Räumen dem Besucher jeweils mit einer kleinen, modellartigen Ausführung, der Beschreibung und dem Kommentar in Textform vorgestellt. Zahlreiche leuchtstarke Lampen sind auf das Bauwerk gerichtet und stellen es aus. Die Installa­tion wirkt durch die eigenartig atmosphärische Beleuchtung selbst wie ein Artefakt oder Ausstellungsobjekt. Seine Architektur wird dadurch zur Plastik im Raum, im Sinne Kabakovs zu einer „totalen“ Installa­tion. Außerhalb ­dieses Lichtkegels herrschen schummrige Lichtverhältnisse – auch wenn die halleneigenen Ober­ lichtfenster Tages­licht spenden. Kabakov bringt es selbst auf den Punkt, wenn er sagt, der Pavillon sei wie ein inszeniertes Kunstwerk innerhalb eines riesigen Ausstellungssaals errichtet worden.145

142 Projekte zur Verbesserung des Lebens anderer: 1. Wie kann man sich selbst ändern?, 2. Die Rückkehr ins Glück, 3. Das abhebende Zimmer, 4. Begegnungen mit der Vergangenheit, 5. Sich unglück­lich fühlen, 6. Was könnte man noch dazu sagen?, 7. Geschichte über die weißen Männchen, 8. Vertrauen zu anderen, 9. Tiefflug über der Erde, 10. Hinauf schauen, 11. Konzentra­tion im Schrank, 12. Behandlung mit Erinnerungen, 13. Nächt­liche Reise, 14. Mein Lieblingsbuch, 15. Bestrafung der Haushaltsgegenstände, 16. Begegnung mit dem Engel, 17. Sich selbst entfliehen, 18. Projekte für Langzeitbeschäftigungen, 19. Mein Projektbuch, 20. Auf dem Topf sitzen, 21. Eine Ecke für die Projekte, 22. An allem Realen vorbei, 23. Vorrichtung für die Ankunft von Gästen, 24. Das Paradies unter der Decke, 25. Ich schlafe im Garten, 26. Alles Wichtige ist immer rechts. 143 Projekte, die die Kreativität anregen, die zur Schaffung, zur Entstehung neuer Projekte beitragen: 27. Gleichmäßige Energieverteilung, 28. Informa­tion aus der Noosphäre, 29. Auf der Erde kann man nicht leben, 30. Straßenchorsingen, 31. Die Welt als eine Familie, 32. Radikale „historische“ Umänderung eines Landes, 33. Eine gemeinsame Sprache mit den Bäumen, Steinen, Tieren, 34. Toiletten in der freien Natur, 35. Auferweckung aller Toten, 36. Nächt­liche Beleuchtung einer Stadt oder Region, 37. Die Erde in einem anderen topographischen System, 38. Non-­Transport, 39. Zimmerflucht der Weltmusik, 40. Die entschlüsselte Struktur des Luftraums, 41. Große weiße Pfeiler, 42. Stadtpalast der Zukunft, 43. Schränke der Einsamkeit, 44. Großer „Wolken-­Ball“, 45. Optimaler Plan für ein Gefängnis, 46. Bildvorstellungen einer „kosmischen Flasche“, 47. Fahrzeug für den universalen Einsatz (an Decken, Wänden usw.), 48. Dauerpolarisierung zweier Energien, 49. Projekt eines Denkmals für sich selbst, 50. Die Kunst der Zukunft, 51. Steuerung der Wolken, 52. Das ganze Land mit Kanälen überziehen, 53. Bestrahlung mit positiver Energie und Optimismus, 54. Lenkung der Außenwelt, 55. Vibratoren an der Wand (über den Kollektivismus), 56. Universalsystem für die Darstellung von allem. 144 Projekte, die die Selbstvervollkommnung einer einzelnen Person zum Ziel haben: 57. Ideengenerator (Stimula­tion von Projekten), 58. Misslungene Projekte gibt es nicht (Stimula­tion von Projekten), 59. K ­ asten zur „endgültigen Durchführung“ von Projekten, 60. Plan meines Lebens (Stimula­tion von Projekten), 61. Begonnenes Bild (Stimula­tion von Projekten), 62. Projekt „Pferd auf der Treppe“ (Stimula­tion von ­Projekten), 63. Eine Tür an der Decke (Stimula­tion von Projekten), 64. Weißes Papier (Stimula­tion von Projekten), 65. Eine neue Teekanne (Stimula­tion von Projekten). 145 KB123 (Bd. 2), 248.

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Vergleichbare Beobachtungen lassen sich auch bei der Arbeit Der Rote Waggon machen, dessen Ausführung im Freien auf dem Terrassenplateau des Österreichischen Museums für angewandte Kunst (MAK) in Wien an das Modell in einer Plexiglashaube erinnert, welches im Jahr 2000 in der Ausstellung 50 Installa­tionen im Kunstmuseum Bern in einer installativen Retrospektive gezeigt wird.146 Beide Installa­tionen, sowohl Der rote Waggon als auch Der Palast der Projekte, wirken aus der Ferne selbst wie Modelle. Sie oszillieren z­ wischen den konzeptuellen Aggregatzuständen Modell und Installa­tion. Dabei versteht es der Künstler, seine Werke in verschiedenen Zuständen, in verschiedenen Größen wie beim Ziehharmonika-­Effekt zu präsentieren. Gleichzeitig sagt er, der Palast bilde mit seinen Projekten in sich eine Art Museum, weil das Haus selbst Träger von Projekten sei, die auch anderweitig, außerhalb d ­ ieses Werkkomplexes/-Kontextes selbstständig und für sich allein funk­tionieren würden.147 3.3.3 Archivarische Verfahren: „Das grosse Archiv“148 Schliess­lich macht der Künstler in verschiedenen seiner Werke das Archiv zum Gegenstand seines Œuvres, worin das Dialo­gische erst recht in einem raumzeit­lichen Kontext zum Tragen kommt. Bereits 1982 listet Ilya Kabakov in einer selbstverlegten Publika­tion von zehn Auflagen seine Alben auf, die er zu d ­ iesem Zeitpunkt als abgeschlossene Werkserie sieht.149 1984 verfasst er eine Gesamtübersicht über seine bisherige Arbeit, die insgeheim als erstes Werkverzeichnis operiert.150 Eingebettet im Text stellt er sein Gesamtwerk in Form eines Diagramms mit einer horizontalen und einer vertikalen Achse dar, auf denen sich bisherige

146 Ilya Kabakov, 50 Installa­tionen, Kunstmuseum Bern, Bern, 7.4.–25. 6. 2000, und Kunstsammlungen Chemnitz, Chemnitz, 23.3.–4. 6. 2001. Vgl. KB108; KB113. 147 KB123 (Bd. 2), 248. Entsprechend existiert das zur ersten Gruppe („1. Projekte zur Verbesserung des Lebens anderer“) zählende 12. Projekt Behandlung mit Erinnerung auch als unabhängige, autonome Installa­tion. Wird es im Palast in Miniaturausführung präsentiert, war das Werk bereits 1997 im ­Whitney Museum of American Art, New York, und 1998 im Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin, als „totale“ Installa­tion zu sehen. Oder das zur zweiten Gruppe („2. Projekte, die die Kreativität anregen, die zur Schaffung, zur Entstehung neuer Projekte beitragen“) zählende 56. Projekt Universalsystem zur Darstellung von allem, ein Album auf grauem Papier aus dem Ende der 1970er-­Jahre, welches hier dem Palastbesucher ebenfalls als Projekt vorgestellt wird. Diese Arbeit wird als gleichnamige raumgreifende Installa­tion 2002 in der Kunsthalle Göppingen gezeigt. 148 Die Installa­tion Das grosse Archiv von 1993 repräsentiert eine Gruppe von Installa­tionen, die Kabakov zufolge die „einheit­liche Überinstalla­tion Die rus­sische [sowjetische] Welt“ bildet und vom sowjetischen Alltag handelt. In ­diesem Archiv blickt der Künstler gewissermassen über sein bisheriges Œuvre, aber auch über sein Leben als homo sovieticus in der Sowjetunion zurück. Vgl. KB123 (Bd. 1), 430. 149 KB116, 114. 150 KB12. Vgl. dazu auch Küpper 2000.

Dialo­gisches Weltmodell ­zwischen Vielheit und Einheit  |

Werkkategorien befinden wie „Bilder ohne Text“, „Bilder mit Text“, „Schirmwände ‚Ausstellungen‘“, „Mappen, Schachteln, Roman mit Bildern“ oder „Text ohne Bilder“. 1995, anläss­lich der Installa­tion Wir leben hier im Forum des Centre Georges Pompidou in Paris, erscheint eine weitere Werkübersicht der Installa­tionen von 1983 bis 1995 als Ausstellungskatalog, ­welche gewissermaßen die erste installative Dekade Kabakovs innerhalb dieser zwölf Jahre festhält.151 2003 erscheint das Werkverzeichnis der Installa­tionen, 2007 jenes der Kinderbücher, 2008 jenes der Gemälde und 2010 das Werkverzeichnis der Künstlerbücher, unter Berücksichtigung, dass alle vier als Künstlerbücher gelten.152 Dieses (selbst-)archivarische Verfahren gilt als ein allgemeines Phänomen der (Moskauer) Konzeptkunst.153 So arbeitet auch die britisch-­amerikanische Künstlergruppe Art & Language mit archivarischen Strukturen wie in ihrem Werk Index 01 auf der documenta 5 (1972), in welchem die Gruppe ihre erschienenen Texte und Manuskripte auf Karteikarten in acht Planschränken ablegt, die sich wiederum auf die abgebildeten „Indices“ an den Wänden beziehen. Den „künstlerische[n] Archivierungswille[n]“ hingegen formuliert Julia Scharf am Beispiel der Moskauer Konzeptualisten um die Gruppe der Kollektiven Ak­tionen von Andrej Monastyrskij.154 Scharf betont, das Ziel und der Inhalt dieser Kunst sei die Schaffung eines Archivs gewesen. Dabei sei das Archiv „keineswegs externer Behälter für Kunst, für die in Ausstellungen kein Platz mehr ist und die mittels archivarischer Kollek­tion und Beschreibung ein theoretisches Recycling und eine chronifizierende Einordnung erfahren soll“.155 Das Archiv sei auch „kein sekundäres Aufbewahrungsmedium für die Kunst nach der Kunst, für abgegrenzte, beschreibbare ästhetische Objekte“, vielmehr gelte das Archiv in ­diesem Sinne als ein „konstitutives und zentrales Element des ästhetischen Objektes selbst“.156 Sie formuliert es noch radikaler: „[…] das Archiv ist die Kunst“157. Das Archiv als Kunstwerk oder das Kunstwerk als Archiv erfüllt sich auch bei Kabakov wechselseitig, wenn er und seine Frau 2005 mit Kaaba einen Vorschlag für ein öffent­ liches Sammlungsarchiv für den Neubau des Kunsthauses Zug projektieren, welches ­zwischen Kunstwerk und Gebrauchsobjekt, Kunst und Architektur oszilliert. Oder wenn Ilya Kabakov zwecks Objektivierung seiner eigenen künstlerischen Produk­tion die „Personagen“ Der Mann, der nie etwas wegwarf (Der Müllmensch) oder Der Sammler entwickelt, die für ihn in „buchhalterischer Akribie“158 ein Archiv anlegen und in 151 KB80. 152 KB123; KB129; KB137; KB138. 153 Vgl. Kapitel 2.4. 154 Scharf 2006. 155 Ebd., 8. 156 Ebd. 157 Ebd. 158 KB111, 27.

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­ iesem Sinne sein Leben archivieren, das z­ wischen Kunst und Künstlerarchiv hin und d her schwingt. So steht auch seine Installa­tion Kiste mit Müll (1986) als ein „anthropolo­ gisch-­ethnographische[s] Kabakov-­Museum“159 für sein eigenes Leben, das er in dieser Holzkiste katalogisiert und kommentiert. Als „Lebensgeschichte in Gegenständen“160 bezeichnet er die Installa­tion Das Boot meines Lebens. Die hölzerne Barke ist vom Heck bis zum Bug mit 24 offenen Kartonschachteln gefüllt. Jede Schachtel mit den darin aufbewahrten, beschrifteten Sachen wie Spielzeug, Geschirr, Bücher, Kinderkleidung, Schuhe etc. definiert einen bestimmten Lebensabschnitt des Künstlers. Jede Archivschachtel steht im Dialog zur anderen und sichert das (sowjetische) Leben Ilya ­Kabakovs wie die Arche Noahs. Kabakov definiert das Archiv als eine „Sammlung unterschied­licher verbaler und visuel­ler Dokumente, anhand derer wir diese Vergangenheit studieren und in unserer Vorstellung wiederherstellen können“, sowie als „Vergleich der Lebensumstände und Kultur in verschiedenen Epochen und Ländern“161. Für ihn werden in einem Archiv nicht nur Dokumente gelagert, sondern das Archiv dient in seiner Sicht sozusagen als Präparat einer vergangenen Zeit wie in seinem eigenen projektierten Künstlerarchiv Das Archiv des Künstlers mit Text, Skizzen, Zeichnungen, Plänen, Modellen und Fotografien für die Salzfabrik auf dem Areal der Zeche Zollverein in Essen. Auf drei Etagen hätte dabei seine Kunst archiviert werden sollen.162 Im Modell sind im Erdgeschoss eine öffent­liche und private Bibliothek sowie ein Computerraum mit zahlreichen Programmen über die wissenschaft­liche Arbeit zu Ilya Kabakov und auch ein Vortragssaal für Kabakovs Vorlesungsreihen und Filme geplant. Die erste Etage soll der Kindheit, die zweite dem Leben in Moskau und die dritte der Arbeit im Westen gewidmet sein. Hier wird Ilya Kabakovs Archiv zur Kunst und die Kunst wird zum Archiv. Das Kabakov’sche Archiv wird zu einer weiteren „totalen“ Installa­tion, ­welche der Künstler als Weltmodell betrachtet: „Die Installa­tionen sind im Prinzip ein Modell des Lebens oder dieser Welt: eine Metapher des ‚Universellen‘.“163 Entsprechend unterlegt Kabakov seine „totalen“ Installa­tionen in der Regel mit einem atmosphärischen Farbund Lichtschema, welches einem (sowjetischen) Weltmodell sehr ähn­lich kommt und „einen vollständigen in sich geschlossenen Kosmos“ darstellt: 159 KB47, 105. Mit dem Müll assoziiert Kabakov die sowjetische Gesellschaft, die er als einen einzigen großen Müllhaufen bezeichnet: „Wir schaufeln ständig Müll, bereiten den Raum für die eigene Existenz, die ständig überschüttet zu werden droht. Das ist eine Art Perpetuum mobile. Doch die Sauberkeit siegt niemals endgültig, und Dreck und Müll bleiben konstante Faktoren unseres Lebens. Das gilt besonders für unser rus­sisches Leben.“ In: Ebd., 105 – 106. 160 KB123 (Bd. 1), 466. 161 KB126, 28. 162 Ebd., 62 – 79. 163 KB138, 75.

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„Die Decke und der obere Teil der Wand, in derselben Farbe gestrichen, werden zum Himmel; der grüne und braune untere Teil der Wände zur braunen oder dunkelgrünen Erde; und der blaue schmale Streifen – zur Linie des Waldes, zum Horizont, der dort in der Ferne sichtbar ist und Himmel und Erde trennt. […] Die nackte, nach allen Seiten Licht und Strahlen aussendende Glühlampe an der Decke spielt in d ­ iesem Kosmos […] die Rolle der ‚Sonne‘, die am Himmel steht und die unbewegte wie die bewegte Welt, mit letzterem meine ich den Betrachter, gleichmässig beleuchtet.“164

Und das Werkverzeichnis der Installa­tionen bildet für Kabakov eine Art dialo­gische „Kugel“ – ähn­lich wie Sergej Ėjzenštejns kugelförmiges Buch, dessen Inhalt sich wechsel­ seitig bedingt – , insbesondere in der dargestellten Reihenfolge Konzeptbeschreibung, Skizzen, Zeichnungen, Modell und Installa­tionsansicht. In Kabakovs kugelförmigem Buch hingegen spiegelt sich die Welt: „In jedem Buch ist die ganze Welt. Mein pompöses Buch über Installa­tionen besitzt den naiven Anspruch, wie ein Modell des Universums zu funk­tionieren.“165 Für Kabakov hat die Form des Archivs eine existentielle Bedeutung: Das Archiv als Aufbewahrungsform und als dialo­gisches Weltmodell wird zur Wurzel seiner eigenen Identität, zum „totalen“ Gedächtnis und zum überlebenden Körper seiner selbst, mit all den Büchern und Materialien seines Werks.166 Dabei mutiert er zum Archivar seiner eigenen Kunst, vor allem aber zum Archivar seines eigenen Lebens. Kabakov generiert mit seiner Kunst ein Archiv, das genauso sinn- und beziehungsreich, genauso einem dialo­gischen Konzept unterworfen ist wie sein Leben selbst. Er gibt jedoch zu bedenken, dass das Puzzle nicht gelingen werde, denn es komme immer noch ein weiteres Teil dazu und noch eines – genauso, wie seine Installa­tionen auch nur immer Fragmente sein könnten.167 Die Pyramide brauche immer noch eine weitere, riesigere Pyramide, und auch die sei nur ein Modell eines anderen Modells. Die Kabakov’sche Pyramide als ein dialo­gisch funk­tionierendes Weltmodell, in dem die nach Bachtin bezeichnete „dialo­gische Offenheit“ und „prinzipielle Unabgeschlossenheit“ von elementarer Bedeutung sind.

164 KB83, 69, 74. 165 KB138, 56. 166 Vgl. Witte 1995. 167 KB138, 56.

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3.4 Kommentierungsappar at Kabakov bemerkt in seinen Aufzeichnungen, dass ihn während der Entstehung seiner frühen abstrakt expressiven Zeichnungen aus den 1950er-­Jahren das Fehlen einer „Reflexion“ stört: „Und so begriff ich, dass, während ich diese kleinen Zeichnungen anfertigte, ein wesent­licher Teil von mir bei ­diesem Prozess nicht anwesend war.“168 Seine künstle­rischen „Erzeugnisse“, wie er diese nennt, ­seien „organisch“, „absichtslos“, „unkontrolliert“, „meine eigenen“, also alles andere als reflektiert und kalkuliert. „Auf das ‚Bewusstsein‘, die Reflexion zu verzichten, war mir aber kein Anliegen, denn noch nie hatte es mir Vergnügen bereitet, mich zu befreien und ‚natür­lich‘ zu werden, ein Idiot, oder auch nur ein ‚Künstler‘.“169 Kabakovs Bekenntnisse rufen seine Beschreibungen über Jurij Soboljev in Erinnerung, der für den Künstler die Unterscheidung „des kühlen, ruhigen und ständig reflektierenden Bewusstseins des Intellektuellen vom unablässig produktiven kreativen Menschen“170 darstellt. Womög­lich, dass Soboljevs Haltung im Nachhinein einen prägenden Eindruck bei Kabakov hinterlässt. Kabakov beginnt, sein künstlerisches Schaffen zu reflektieren, mit einem ra­tionalen Blick zu hinterfragen und einem intellektuellen Inhalt zu unterwerfen: „Dieser reflexive Teil meiner selbst fand seinen Ausdruck in endlosen Aufzeichnungen, die ich in den kleinen Alben machte, w ­ elche wir als Schüler [des Surikov Kunstinstituts in Moskau] mit Skizzen und Entwürfen füllen sollten.“171 Diese Reflexionen fließen mitunter auch 1958 in das Heft „Ein Meer von Gedanken“ im Selbstverlag.172 Wobei der Künstler seine Gedanken mit einer Nummer kennzeichnet und katalogisiert. Seine Aufzeichnungen werden damit bereits in einer gewissen Art institu­tionalisiert. Kabakov behält damit die „totale“ Kontrolle über seine Werke, die er vorerst mit eigenen und fiktiven, ­später auch mit fremden Kommentaren umgibt. Entsprechend konfrontiert er den Rezipienten seiner „totalen“ Installa­tionen mit einer Vielfalt an Texten, Beschreibungen, Erklärungstafeln, Kommentaren etc. Der Künstler wächst in einem totalitären System auf, in dem Kontrolle und Überwachung seitens des Staats allgegenwärtig sind. Die ideolo­gische Propaganda findet in unzähligen Textformen ihren Niederschlag, bestimmt und dominiert das Leben – und frei­lich auch die Kunst – in all seinen Facetten.173

168 KB116, 17. 169 Ebd. 170 Ebd., 205. 171 Ebd., 17. 172 KB1. 173 Kabakov spricht vom Leben „innerhalb eines einzigen Textes“, der beinahe alles diktiert (vgl. dazu Kapitel 2.3). In: KB116, 150 – 151.

Kommentierungsapparat |

In den 1950er-­Jahren beginnt Kabakov seine Zeichnungen mit „endlose[n] Aufzeichnungen“174 zu begleiten, bis diese sich innerhalb seines Œuvres emanzipieren und seine Kunst einerseits kommentieren und kontextualisieren, andererseits aber auch determinieren und definieren. Diese Aufzeichnungen spannen schließ­lich ein Bezugsfeld auf, das sich ähn­lich verhält wie die ideolo­gischen Texte, die sich aus der Sicht des Künstlers ausschließ­lich an andere Texte wenden würden und bei denen ein jeder Text zugleich Text sei, der einen vorangehenden Text überschreibe.175 Allerdings beschreibt Bachtin ­dieses Phänomen in seinen Arbeitsnotizen aus den 1960er- und 1970er-­Jahren gleicherweise: dass näm­lich jede Äußerung immer schon vorangehende und ihr nachfolgende Äußerungen voraussetze und keine Äußerung die erste oder die letzte sein könne.176 3.4.1 „Der Text als Grundlage des Visuellen“ Im Verhältnis ­zwischen Bild und Text geht es dem Künstler „um die tiefere, bestimmende Bedeutung des Textes für jede visuelle Darstellung“, wo hinter den verschiedenen Textarten und -formen in plastischen Werken, aber auch hinter jedem Werk ein Narra­ tives stehe, das auf allen Ebenen existiere und „funk­tioniere“.177 Zudem bemerkt er: „Ich hatte schon immer die Eigenschaft, jede visuelle Wahrnehmung mit einem inner­lich gesprochenen Text zu verbinden. Wenn ich einen Gegenstand im Leben oder in der Kunst betrachtete, führte ich stets einen klar formulierten inneren Monolog. Ohne diesen im Bewusstsein formulierten Text oder Kommentar blieb die Betrachtung für mich unvollständig, war das Erleben des Gesehenen nicht stark genug.“178

Bereits Kabakovs Texte zu den Zeichnungen bzw. in den Zeichnungen der 1960er-­Jahre sind dem Bild gleichberechtigt und gleichwertig, wie er das in seiner theore­tischen Schrift „Der Text als Grundlage des Visuellen“ (2000) über die einzelnen Gattungen seines Œuvres hinweg beschreibt. Sie treten als eigene, „kraftvolle Institu­tion“ innerhalb seines Schaffens auf. Beide würden, so Kabakov im Kapitel „Wort und Bild gleichauf“, im Bewusstsein des Rezipienten einander angeg­lichen, sofern es diese Mög­lichkeit gebe, sie innerhalb eines Feldes zu betrachten.179 Dieses Bild-­Text-­Feld nennt Kabakov „Feld des Bewusstseins“ bzw. „innere[r] Raum des Bewusstseins“, in dem sich „die unterschied­lichsten Kategorien,

174 KB116, 17. 175 Ebd., 151. 176 Bachtin 2002, 394, hier zit. nach: Sasse 2010, 89. 177 KB111, 11. 178 Ebd. 179 Ebd., 18 – 21. Vgl. auch Kabakov 2001.

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Dinge, Ansichten, Ideen, Begriffe und so weiter gleichwertig integrieren,“180 aber auch Meinungen (Kommentare) über diese Kategorien, wie dies auch Bachtin anhand Dostoevskijs polyphonen Romanen formuliert.181 Dieses besondere Verhältnis hat Kabakov frei­lich auch in seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Kinderbuchillustrator aufs Vielfachste erprobt und kann als raffinierten Kunstgriff, als „besonderen Kniff“182 – wie es der Künstler nennt – betrachtet werden. Er bemerkt, dass der zum Bild gehörende Text es nicht zulasse, „dass das Werk vom Bewusstsein abgelöst und objektiviert wird, er versetzt es in eine unbestimmte, ‚gleitende‘ Posi­tion in Bezug auf das innere Urteilsfeld, das sich zum Teil in uns und zum Teil ausserhalb von uns befindet“183. Demnach kehre der Text das Werk „nach innen“, lasse es innen „einschnappen“, die dargestellten Gegenstände aber würden es nach außen bringen.184 Der Text determiniert in gewissem Sinn die Darstellung. Gleichzeitig weckt das Bild auch Assozia­­tionen beim Betrachter, womit Kabakov den Betrachterkommentar bereits mit ins Bild bzw. ins Werk holt. Der Rezipient befindet sich plötz­lich in einer Flucht von Meinungen und Kommentaren. 3.4.2 Gesprochene Stimmen Zur entscheidenden Weiterentwicklung der dialo­gischen Struktur gehört Kabakovs Verständnis der „gesprochenen Stimmen“ in seinen Werken. Der Text versteht sich bei Kabakov nicht als geschriebene Worte, sondern als gesprochene und verweist auf Bachtins Auffassung von Dostoevskijs Romanen als einen großen personalisierten Dialog. „Es wird geredet“185, so Kabakov. „Die Echtheit, das Fragmentarische dieser Worte vermittelt aber den Eindruck, als stünde der Sprecher unmittelbar in unserer Nähe.“186 Entsprechend könne das Wort die scheinbare Existenz einer Person herstellen und das Geschriebene den materiellen Gegenstand ersetzen. So ­seien gesprochene Worte räum­lich, ein Kosmos aus tönenden Stimmen, ein gigantisches Meer von Stimmen, die sich aufeinander bezögen, in einem Dialog stünden.187 Mit diesen Voraussetzungen erhalten bereits Zeichnungen wie Früchte (1968), ­welche mit zahlreichen Personen- und Gemüsenamen und Grammangaben versehen ist, ein vielstimmiges und räum­liches Innenleben. 180 KB116, 53. 181 Vgl. Bachtin 1985, 23. 182 KB138, 159. 183 KB111, 18. 184 Ebd. 185 Kabakov 2001, 54. 186 Ebd. 187 Ebd., 54 – 55.

Kommentierungsapparat |

Eine erste größere personifizierte Stimmenvielfalt generiert Kabakov in seiner Alben­ serie Zehn Personen (10 personažej), die für seinen beginnenden Kommentierungsapparat von besonderer Bedeutung ist und innerhalb seines Werks eine zentrale Ausgangsposi­tion einnimmt.188 Zwischen 1972 und 1980 stellt er zeitgleich mit Viktor Pivovarov mehr als 45 Alben her, jene der Serie der Zehn Personen ­zwischen 1972 und 1975. Für die Entstehung der Zehn Personen macht Kabakov seine innere Stimmenvielfalt verantwort­lich: „Seit meiner Kindheit spürte ich ein unglaub­liches Geräusch in mir, ein Gefühl, als ob ich selbst aus einer enormen Summe von Stimmen bestehen würde. Dieses unerträg­liche Geräusch, das aus meinem Inneren erklang, hat mich buchstäb­lich betäubt. Dieses unentwirrbare, unend­liche Knäuel liess mich weder am Tage noch in der Nacht in Ruhe, führte zu Spannungen, Erregung und Müdigkeit. Jede Stimme unterbrach die nächste, versuchte sie zu dämpfen, zu übertönen und verlor sich in der Dunkelheit im brummenden Stimmenchor.“189

Demnach habe er den Wunsch verspürt, all diese Stimmen, ­Themen einzeln voneinander zu unterscheiden, die Bänder zu entwirren, die da zu einem Knäuel verworren in ihm existiert und zugleich auch getönt hätten: „Die ‚Themen‘ bzw. ‚Themenbilder‘, die zur Herstellung der Zehn Personen führten, das sind die ­Themen meines Bewusstseins.“190 Die Zehn Personen repräsentieren Bewusstseinsbewohner des Künstlers, die gewisse see­ lische Zustände von ihrem Auftauchen bis zu ihrem Verschwinden „in Form einer Erzählung“191 darstellen: „Das Schauspiel des Bewusstseins wird innerhalb des Bewusstseins gespielt und beendet. Zuschauer und Schauspieler sind dabei im Grunde ein und dieselbe ‚Person‘, die abwechselnd die Plätze tauschen.“192 Dabei werden die Plätze alternierend ­zwischen Autor und Held, Autor und Figur, getauscht. Kabakov und seine personifizierten Bewusstseinsbewohner sind dabei nicht identisch, sie stehen im wechselseitigen Bezug zueinander. Dieses dialo­gische Verhältnis ­zwischen Autor und Held beschreibt Bachtin in „Autor und Held in der ästhetischen Tätigkeit“ bereits Mitte der 1920er-­Jahre.193 Autor und Figur sind dabei nicht kongruent, sondern stehen sich in ­lebhafter, wechselseitiger

188 1. Der im Schrank sitzende Primakov, 2. Der Spassvogel Gorochov, 3. Der freigebige Barmin, 4. Der Quälgeist Surikov, 5. Anna Petrovna hat einen Traum, 6. Der weggeflogene Komarov, 7. Der mathematische Gorskij, 8. Der Verzierer Malygin, 9. Der beurlaubte Gavrilov und 10. Der aus dem Fenster schauende Archipov. Vgl. dazu KB16; KB68; KB100. 189 KB123 (Bd. 1), 76. 190 KB116, 128. 191 Ebd., 132. 192 KB111, 27. 193 Sylvia Sasse hält fest, dass der heute etwas irritierende Terminus „Held“ (geroj) in den 1920er-­Jahren überall dort im Gebrauch gewesen sei, wo heute von einer Figur bzw. von Figuren gesprochen werde. In: Sasse 2010, 52.

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Beziehung gegenüber: „Das wesent­liche Leben des Werks ist gerade d ­ ieses Ereignis der 194 dynamisch-­lebendigen Beziehung von Held und Autor.“ So stehe der Autor in einer spannungsvollen Außerhalbbefind­lichkeit gegenüber allen Momenten des Helden, einer Außerhalbbefind­lichkeit in Bezug auf Raum, Zeit, Wert und Sinn.195 Kabakovs Alben bestehen aus 35 bis 100 Einzelblättern aus weißem oder grauem Karton (je 72,5 × 35 cm) und werden in einer Schachtel gestapelt aufbewahrt. Zum Lesen wird die Schachtel auf einem pultartigen Aufbau aufgeschlagen, womit jedes einzelne Blatt von links nach rechts – wie in einem Buch – umgeblättert wird. Nachfolgend der Auszug des Textbeginns aus dem 2. Album Der Spassvogel Gorochov: „1. DER SPASSVOGEL GOROCHOV 2. ER SAGT: Meine Eltern und die Eltern meiner Eltern waren vor der Revolu­tion Clowns und Spassmacher. Meine Tante war Clown in Taganrog, mein Grossvater in Tiflis, und mein Vater war Clown und Exzentriker in Kiew. In unserer Familie sind viele komische Geschichten und Spässe von ihnen erhalten, die ich sorgfältig sammle und aufbewahre. Manche finde ich noch heute zum Lachen. 3. Gorochov: KOMISCH. ,Wieso finden Sie das nicht komisch?‘ ,Ich gehöre zu einer anderen Organisa­tion.‘ Witz 4. Gorochovs erstes Album: VON LEV GLEBOVIČ. ,Sonne, bedecke dich!‘ sagte ich mit Donnerstimme. Alle hoben die Köpfe. Die hell leuchtende Scheibe begann langsam zu schrumpfen. M. Twain ,Yankees in King Arthur’s Court‘ 5. ACHT ALTE RÄUBER IN EINER SCHLUCHT 6. LEV GLEBOVIČS ,SPÄSSE‘ ZWISCHENFALL IM PIONIERLAGER BEI TARUSSA Anmerkung: Die Pionierführerin Maria Veniaminovna Balkina hatte Aufsicht bei den Kindern, die Mittagsschlaf hielten. Als sie plötz­lich den Kopf hob, sah sie, dass manche hoch oben in den Zweigen sassen, in dieser äusserst unbequemen Lage ruhig schliefen und sogar im Schlaf pfiffen. Der Vorfall wurde auf einer Versammlung der Truppführer besprochen. 7. Parkzaun im Jussupovschen Gut 194 Bachtin 2008, 45. 195 Ebd., 68.

Kommentierungsapparat |

8. LEV GLEBOVIČ ,SPÄSSE‘ ACHT ROSENBÜSCHE BEI KOSSY Anmerkung: Augenzeugen berichten, dass sie am Montag, als die Rosenpflücker am Matiza­ berg ankamen, einige Rosenbüsche in der Luft sahen, die sich von der Erde losgerissen hatten. Die Rosenbüsche schaukelten still im Wind, schwebten aber nicht herab. Das ganze Dorf lief zusammen, bis in die Nacht wurde gelärmt und geschrien, aber alles blieb, wie es war… Das dauerte die ganze Woche an, bis zu dem starken Gewitter am Sonntag. 9. DER SCHLOSSHERR IST ZURÜCK, DER DIENER EILT MIT DEM LICHT HERBEI 10. […]“196

In der Abfolge der einzelnen eigenständigen Blätter generiert Kabakov eine narrative Geschichte. Gleichzeitig agiert der Künstler wie ein Autor eines Theaterstücks. So hat er näm­lich für sich entschieden, dass jede dieser zehn Personen der Albenserie einen literarischen Helden darstellt, der von einem Zustand oder von einem Thema besessen ist und der diesen Zustand „und seine zeit­liche Darlegung in Form einer Erzählung, einer Parabel, deren Ende zugleich das Ende des Albums darstellt“197, von Anfang bis Ende als seinen einzigen Lebensinhalt durchlebt. Seine Helden durchleben nach Kabakov wie in einem Regeldrama z­ wischen Exposi­tion, Steigerung, Höhepunkt und Katastrophe einen „Reifeprozess“ ­zwischen „Auftauchen“, „Realisa­tion“ und „Verschwinden“: „Am Anfang zeigt sich diese ‚Ideenkrankheit‘ noch undeut­ lich und unbestimmt, gegen Mitte – allumfassend und in voller Blüte, nicht als Krankheit, sondern eher als eine besondere Art blühender Gesundheit, einer erhellenden Erkenntnis, die einem ‚absolut alles‘ offenbart.“198 Schließ­lich trete das erschöpfte Finale ein, wo alles, nachdem es sich als Ergebnis einer leeren Aufregung erwiesen habe, vergehe und verschwinde: „Das Thema, das offensicht­lich die Geschichte wiedergibt, wie der Held an seiner ‚Idee‘ erkrankt, erreicht an einem bestimmten Moment seine volle Entfaltung und höchste Spannung, und nach einer gewissen Zeit stirbt der Held, nachdem ihn diese krankhafte Idee von innen zerstört hat.“199

Die besagten Alben haben einen deut­lich ausgeprägten Anfang, eine Mitte und ein Ende. Beim deren Durchblättern wird man sich d ­ ieses „Heldentod[s]“ bewusst. Gegen Ende verflüchtigt sich die zum Thema gewordene Idee im Blattweiß, die „Personage“ entschwindet, sie löst sich auf. Übrig bleiben die Kommentare zur Reflexion. Diesen 196 Kabakov I, o. S. 197 KB116, 131 – 132. 198 Ebd., 129. 199 Ebd.

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literarischen Reifeprozess beinhaltet auch die Konzeptkunst Ilya Kabakovs mit den konzeptuellen Aggregatzuständen ­zwischen Idee und Realisa­tion, ­zwischen Text, Skizze, Zeichnung, Modell und Installa­tion in gewisser Art und Weise. Vereinzelte Albenblätter sind mit Kommentaren versehen, die im Bezug zum „Helden“ stehen und gleichzeitig eine Art „Außenschau“ evozieren: „Selbstverständ­lich sind diese ‚aussenstehenden‘ Kommentatoren ebenfalls Personagen, aber ihre Erörterungen der Hauptfigur aus verschiedenen Blickwinkeln erhöh[en] den Grad deren ‚ganz wirk­liche[r]‘ Echtheit, steigert den Eindruck einer alltäg­lichen Lebensrealität.“200 Nachfolgend nochmals am Beispiel Der Spassvogel Gorochov:  „20. […] 21. Gorochovs Kommentar: Man erzählt sich, dass Lev Glebovič, mein Onkel, folgende Nummer hatte: Hoch über der Manege war ein schmales Holzbrett angebracht. Mein Onkel ging im Pierrot­kostüm mit einer langen Stange auf der Stirn, auf der meine Tante stand, bis ans Ende des Brettes. Aber das Brett war nicht durchgehend. Über der Manegemitte hatte es einen etwas drei Meter langen Zwischenraum. Das Brett brach davor ab, dann kam der Abgrund. Doch mein Onkel merkte nichts davon. Er schaute weiter nach oben, balancierte komisch, hielt kaum das Gleichgewicht und gelangte so bis zur Kante. Todesstille trat ein. Doch er blieb nicht stehen, machte ein paar schnelle Schritte in der Luft und landete zur allgemeinen Erleichterung wieder auf dem Brett über der anderen Manegeseite. 22. Kaschpers Kommentar: […].“201

Die Einführung von „Nebenpersonagen“ ermög­liche die Schaffung eines ganzen sozia­ len „Spektrums“ und eines sozia­len Porträts der Hauptfigur, was für deren von Kabakov so angestrebte Objektivierung von besonderer Bedeutung sei. So entstehe, begründet Kabakov, eine Situa­tion sozia­ler Komplexität sowie des Konflikts ­zwischen der Existenz der „Personagen“ „für andere“ und ihrer inneren Existenz „für sich selbst“.202 Schließ­lich folgt am Ende jedes Albums der Zehn Personen der „Allgemeine Kommentar“ (obščij kommentarij) mit dem Amateurphilosophen Kogan, dem Amateurtheologen Schefner, und Frau Lunin, „einfach eine[r] Frau“203. Hier weiter am Beispiel Der Spassvogel Gorochov: 200 KB116, 131. 201 Kabakov I, o. S. 202 KB116, 131. 203 KB16, 140.

Kommentierungsapparat |

„ 42. […] 43. ALLGEMEINER KOMMENTAR [aus dem Album DER SPASSVOGEL GOROCHOV] 44. Kogans Kommentar: Wenn man von der Narretei als einer ,philosophischen Kategorie‘ spricht, so besteht sie einfach darin, dass sich unter der obersten, allen zugäng­lichen Sinnschicht eine andere, niedrigere etabliert, ­welche die erste untergräbt und diskreditiert. Doch das führt nicht zu einem w ­ eiteren Vordringen in die Tiefe, sondern bleibt immer an der Oberfläche, in diesen Schichten, die endlos miteinander spielen. 45. Schefners Kommentar: In Arkadij Lvovičs ,Spiel‘ wird die Idee der ,Inkrusta­tion‘ angesprochen… 46. Frau Lunins Kommentar: Gorochov gefällt mir gar nicht.“204

Der „allgemeine Kommentar“ ist in seinen Ansätzen philosophisch, mora­lisch etc. gefärbt, womit die vorangegangene Geschichte abermals von fiktiven Figuren „kommentiert“ wird. Kabakov zieht damit einen weiteren Kreis, auf w ­ elchen weitere Kreise folgen und die Perspektive auf das Werk immer mehr ausweiten.205 Dazu der Künstler: „Die so entstandenen Kommentatoren, besonders die letzten drei – Kogan, Schefner und Frau Lunin –, die mit ihren Aussagen alle 10 Alben [sic] abschliessen, treten nicht nur als Figuren auf, die jede Tatsache oder Darstellung wie eine Wolke, wie eine Decke aus Wörtern, [sic] umhüllen, sondern lassen auch erahnen, dass für diese Meinungsäusserungen kein Ende vorgesehen ist, dass jeder Sprecher kein ‚letztes‘ Wort, kein ‚Schlusswort‘ hat.“206

So habe es auch der Betrachter des Albums nicht. Diese „geschichteten“ Meinungen würden einfach aufeinander folgen wie Kringel auf dem Wasser, wobei sie immer breiter und sich von ihrem Mittelpunkt entfernen würden.207 Mit den Kommentaren und Meinungen anderer werden die Ringe auf dem Wasser immer größer, dehnen sich immer weiter aus. Dabei entsteht Bezugnahme auf Bezugnahme, Dialog um Dialog ohne ein Ende in dieser dialo­gischen Kette. Diese dialo­gische Struktur des fortlaufenden Kommentierens baut Kabakov in den kommenden Werkgattungen wie Gemälden oder Installa­tionen immer weiter aus. Kabakovs Kommentierungsapparat nimmt dabei immer größere und kompliziertere 204 Kabakov I, o. S. 205 Stephan Küpper spricht von „Rahmungen“, die Ilya Kabakov dabei vornimmt. Vgl. Küpper 2000, 53 – 95, hier: 62 – 63. 206 KB111, 29. 207 Ebd.

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Dimensionen an. Damit steuert er bis zu einem gewissen Grad auch seine eigene Rezep­ tionsgeschichte ­zwischen Innen- und Außenschau, Subjekt und Objekt. 3.4.3 Die Emanzipierung des Textes Obwohl Kabakovs Prinzip der „Personagenhaftigkeit“ (perzonazhonost) bereits ganz am Anfang der Arbeit in den Zehn Personen aufgetaucht sei, ­seien die „Kommentatoren, Verwandten und Freunde der Personage“ erst in der für alle zehn Alben gemeinsamen Periode des Jahres 1974 in Erscheinung getreten, als sich immer deut­licher und nachhaltiger ein Verständnis dafür herausgebildet habe, ­welche Mög­lichkeiten die „gleichberechtigte“ Einbeziehung von – unbedingt handschrift­lichem – Text in den „Bildfluss“ geboten habe, wobei das Wort nicht nur verstanden, sondern auch betrachtet werden müsse.208 Anfang der 1980er-­Jahre beginnt Kabakov, seine Bilder mit Erklärungstafeln zu ergänzen. 1980 fügt er der Bildserie Drei rus­sische Bilder eine großformatige, braune Erläuterungstafel bei.209 Der Künstler kommentiert, die Bildserie werde dadurch nicht nur verständ­licher und intensiver wahrgenommen, sondern diese vier Bilder würden ein neues, unerwartetes Ganzes bilden.210 Neu ist dabei, dass sich der Text aus dem Bild verselbstständigt und emanzipiert, auch als eigenständiges Werk. Eine Erklärungstafel kann ebenfalls ein Bild darstellen wie Kosuths bereits erwähnte konzeptuelle Arbeit One and Three Chairs (1965). Dieses Prinzip der Erklärung oder des Kommentierens baut Kabakov im großen Stil aus. Das Wort bzw. der Kommentar werden neben dem Bild in den folgenden Jahrzehnten immer wichtiger. So hängen beispielsweise die drei Großformate Drei rus­sische Bilder und die Schrifttafel 1990 in der gleichnamigen Installa­tion. Ilya Kabakov transferiert die Bilderserie, die er aus Albenblättern heraus entwickelt, in eine Installa­tion. Vor den Bildern platziert er eine Holzbarriere, davor einen Tisch, worauf sich ein weiterer 208 KB116, 133. 209 „1. Ivan Trofimovič holt Feuerholz. Die Tafel ist sand-, erdfarben. Auf der Tafel ist Ivan Trofimovič durch einen kleinen schwarzen Lastwagen bezeichnet. A ist eine Stadt, in der es Holz gibt. Sie liegt rechts von ihm und höher. Der Name der Stadt ist unbekannt und unbekannt sind die Bezeichnungen der Städte und der Seen, an denen Ivan Trofimovič vorbeigefahren ist. 2. In der Ecke: Die Tafel ist sand-, erdfarben. Hat man den Blick auf die leere Mitte gerichtet, fängt in der rechten Ecke etwas zu flimmern an. Lässt man den Blick weiterschweifen, sieht man von der Sonne beleuchtete Häuschen. Aber der Blick muss zurück in die Mitte der Tafel, weil es schwierig ist, lange in die Ecke zu starren. 3. Sie liegen unten: Auf der Tafel unten links ist angegeben, was hier dargestellt war: die Kolchose ‚Smena‘, die Saatpläne, der Kolchosevorsitzende usw. Sie sind in ­diesem Moment nicht da. Sie sind auf den unteren Rand gefallen und liegen dort: ein Gürtel, ein Nagel, ein Samovar und eine Vase. Die Tafel ist sand- und erdfarben.“ In: KB137 (Bd. 1), 110. 210 KB116, 142.

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Kommentartext zu den Gemälden befindet. Es ist quasi ein Kommentar zum Kommentar an der Wand. Dabei greift der Künstler immer mehr in den Raum ein. Mit dem Kommentar zum Kommentar konstruiert er um das Tafelbild einen polyphonen (Text-) Raum, in den er auch den Betrachter mit einschließt. Die Verbindung von Text und Bild beginne laut Kabakov besonders dann reichhaltig und kompliziert zu „funk­tionieren“, wenn der „Kommentar“ erfundenen Betrachtern zugeschrieben werde: „Beim Lesen dieser Kommentare und beim Betrachten des Bildwerks spürt der reale Betrachter, dass er unversehens in einer endlosen Flucht von Meinungen gelandet ist, von denen er ebenfalls viele vertreten könnte.“211 3.4.4 Polyphonie von Meinungen Zu den Kommentaren fügen sich auch Gespräche über das jeweilige Werk oder über ein spezielles Thema hinzu: „Sehr wichtig ist für mich aber auch der Dialog und das kritische Gespräch, zum Beispiel mit Boris Groys. Und entsprechend wichtig ist mir dann auch die Publika­tion dieser Überlegungen und Gespräche, daher strebe ich eine Publika­ tion zu jeder Installa­tion an.“212 Neben Boris Groys sind es inzwischen viele Partner, mit denen Ilya Kabakov kritische Gespräche über seine Arbeit führt: Iosif Bakštejn, der Kunstwissenschaftler, der den Moskauer Konzeptualisten nahe steht, die Künstler Jurij Kuper oder Pavel Pepperštejn, Wissenschaftler, Kuratoren oder Museumsdirektoren. Auch wenn einzelne als außenstehende Personen über das Werk diskutieren, gehören sie dennoch mit zum dialo­gischen Konzept Kabakovs. In der performativen Installa­tion Das Tennisspiel (1996) machen Kabakov und ­Pepperštejn einen mög­lichen Gesprächsverlauf auf der Spielfläche im Sinn eines Ballwechsels zum Thema. Die Aufschläge stellen die Fragen dar, die Antworten folgen vom „Retournierenden“. Das „Disput-­Turnier“ als „intellektueller Wettkampf“ ­zwischen Kabakov und Pepperštejn auf dem Tennisplatz wird auf den schwarzen Wandtafeln, ­welche das Spielfeld umrahmen, aufgezeichnet und dokumentiert.213 Wichtig ist, dabei

211 KB111, 42. 212 KB119, Interview mit Barbara Wally, 22. 4. 2002. 213 Kabakov spricht in ­diesem Zusammenhang auch von Kôans, Dialogen ­zwischen Schüler und Meister im Zhen-­Buddhismus. Kôans sind „zentrale Fragen“, die auf den Laien meist vollkommen paradox, unverständ­lich oder sinnlos wirken. „Im Kôan, in der Regel eine unlo­gische Kurzgeschichte, wird der Geist zunächst zum Denken animiert, wobei der Übende letzt­lich immer wieder mit ansehen muss, dass ein Kôan nicht mit dem Intellekt gelöst werden kann. Durch diese widersprüch­lichen Aufgaben soll der Übende bis an die Grenzen seines Denkens geführt werden, weil die echte Zen-­Erfahrung jenseits des normalen Intellekts liegt: Oberfläch­lich betrachtet erscheinen Kôan paradox, doch tatsäch­lich sind sie keine Paradoxa. Wie die berühmte Frage ,Was ist der Ton des Klatschens einer Hand?‘ ist die Antwort auf einen Kôan weder eine bestimmte Menge an Informa­tionen noch eine bestimmte Sicht

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festzuhalten, dass diese Dialoge keinen Sieger oder Verlierer hervorrufen. Die Gespräche reihen sich vielmehr wie die hin und her gespielten Bälle einfach aneinander, und ihnen schließen sich wiederum Interpreta­tionen, Analysen, theoretische Abhandlungen an. Nachvollziehen lässt sich dieser diskursive Ballwechsel anhand von Kabakovs Werk Der rote Pavillon für den rus­sischen Länderpavillon an der XLV . Biennale in Venedig 1993. So publiziert der Künstler ein Jahr nach der Realisierung, 1994, ein Künstlerbuch zum Roten Pavillon.214 Dieses Buch dokumentiert die Ausführung der Idee in Venedig. Es beinhaltet die Installa­tionsbeschreibung, Entwürfe, Pläne und Fotografien der Installa­tion im und um den rus­sischen Pavillon. Ergänzt wird die Publika­tion mit einem Dialog ­zwischen Boris Groys und Ilya Kabakov mit dem Titel „Die Biennale“. Darin unterhalten sich die beiden über die allgemeine Rolle der Kunstgattung der Installa­tion in Bezug auf das reale Leben z­ wischen sowjetischer und west­licher, euro­päischer Ideologie. Damit transferiert sich das Werk in einen weiteren, noch größeren Bedeutungszusammenhang. Das erwähnte Gespräch ist wiederum im 1996 erschienenen Buch „Die Kunst der Installa­tion“ unter dem gleichnamigen Titel „Der rote Pavillon“215 enthalten. Gleichzeitig gilt diese Publika­tion als Fortsetzung der ­zwischen Boris Groys und Ilya Kabakov geführten Gespräche unter dem Titel „Die Kunst des Fliehens“ mit den Dialogen über „Angst“, das „Heilige Weiss“ und den „Sowjetischen Müll“ von 1991.216 Anläss­lich der von Ilya und Emilia Kabakov im Jahr 2000 geleiteten sechsteiligen Vorlesungsreihe in der Fondazione Antonio Ratti in Como erörtert Ilya die Bedeutung seiner Kunstprojekte in der Öffent­lichkeit seit 1990 anhand verschiedener Werkbeispiele, unter anderen auch des Werks Der rote Pavillon.217 Kabakovs Ausführungen sind in der Publika­tion „Public projects or the spirit of a place“ nachzulesen. Darin streicht der Künstler hervor, dass seine öffent­lichen Werke weniger als Skulpturen zu verstehen sind, sondern vielmehr als „totale“ Installa­tionen. Erneut wird das Werk Der rote Pavillon von ihm erörtert, indem er es als Beispiel für seine ­Theorie der „totalen“ Installa­tion erwähnt.218 Ist das Werk erst im Zentrum der Betrachtung gestanden, rückt es über die verschiedenen dialo­gischen Transformierungsdurchgänge in den Hintergrund und wird in einen größeren Kontext eingebettet. Dabei gerät es in ein immer größer werdendes dialo­gisches Netz. So werde nach Boris Groys dem Meinungspluralismus Raum innerhalb eines künstlerischen Systems gewährt, das alle Meinungen katalogisieren und in ein Bezugssystem bringen könne.219 irgendeines Gegenstandes. Sie ist vielmehr die Erfahrung eines Bewusstseinszustands.“ In: Daido Loori 1996, 20 – 22. 214 KB78. 215 KB91, 100 – 116. 216 Vgl. KB47. 217 KB114. 218 Ebd. 219 Groys 1991d, 85.

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Es kommt aber auch zu Richtungsänderungen und Umdeutungen wie beim Werk Der rote Waggon 220, der aus gegebenem Anlass zu Illustra­tionen zur Bibel mutiert. Steht Der rote Waggon erst als Metapher für die drei Perioden der Sowjetunion mit der Zeit der aufstrebenden Avantgarde, des täuschend fröh­lichen Seins der mittleren Sowjetzeit und ihres Untergangs im Müll,221 wird das Vehikel ohne Räder auch bib­lisch gedeutet. Der rote Waggon wird vom Künstler mit den zwei religiösen Geschichten von Jakobs Himmelsleiter und von Jona im Bauch des Wals aus dem Alten Testament in Verbindung gesetzt.222 Dazu kommentiert und interpretiert der Künstler das Werk Der rote Waggon neu: „Sind denn die utopischen Türme und die in den Himmel gehenden Konstruk­tionen, die die rus­sischen Konstruktivisten von Tatlin bis Vesnin beschäftigten und deren Gestalt die Treppe des ‚Roten Waggons‘ wiederholt, nicht eine moderne Variante der Himmelsleiter Jakobs? Kann denn ‚Der rote Waggon‘ selbst, hinter dem eine düstere Lagerbaracke oder eine schlecht beleuchtete Gemeinschaftswohnung im Stalinschen [sic] ‚Paradies‘ steht, nicht als das riesige Innere des Wales verstanden werden, in dem der unglück­liche Jona eingeschlossen war?“223

Dabei wird von Kabakov eine neue Richtung eingeschlagen, ein Perspektivenwechsel vorgenommen, welcher eine weitere mög­liche Deutungsrichtung suggeriert, indem er das Werk neu kontextualisiert. Damit werde, so Boris Groys, ein jedes interpretierende und kritische Wort von Anfang an desavouiert, denn jeder über die Kunst Kabakovs Sprechende – ihn eingeschlossen – wisse ganz genau, dass seine Rede sich automatisch in diese unend­liche und unsinnige Reihe stelle und ihre ursprüng­liche Inten­tion verliere: „Jedes lebendige, gesprochene Wort verliert sich bei Kabakov im Zeichenspiel eines potentiell unend­lichen Schreibens.“224 Zu ­diesem endlosen Dialog meint Ilya Kabakov: „Dies ist die permanente Revolu­tion oder besser der permanente Zweifel. Es gibt keinen Ausgang aus dieser Situa­tion. Es ist auch die permanente Reflexion. Keine Reflexion oder permanente Reflexion stehen auf derselben Seite. Es gibt eine rus­sische Tradi­tion: Die rus­ sische Seele ist immer zerrissen! Es gibt immer die zwei Seiten der Medaille. […] Unsere Geschichte ist eine Geschichte einer unglück­lichen Mentalität. Deshalb stehen der Prozess

220 Ilya Kabakov, Der rote Waggon, 1991, mit einem musika­lischen Arrangement von Vladimir Tarasov, vgl. KB123 (Bd. 1), 290 – 295. 221 Vgl. dazu auch Groys 1988/1996. 222 AT, 1. Mose, Gen 28 10 – 19/AT, Jona 1,1 – 2,11. 223 KB123 (Bd. 1), 275. 224 KB32, o. S.

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der Relativierung, der Prozess der Reflexion, der Prozess des Pessimismus im Zentrum der rus­sischen Mentalität. […] Was ist das einzig Dauerhafte, das einzig Permanente in Russland? Sprechen! Blabla, ohne Pause. Das ist unsere Realität. Das ist unser Grundstein…“225

3.4.5 Die Strategie der Selbstkommentierung Zur künstlerischen Strategie des Kommentierens gehören indes auch Kabakovs „Selbst-­ Thematisierung“ und „Selbst-­Reflexion“, eben ­dieses Verhältnis ­zwischen Kunstwerk und Kommentar: „Die Situa­tion der Spaltung z­ wischen dem, was ich mache, und dem, was ich meine, empfand ich von Anfang an als normal, mehr noch, ich empfand sie als die interessanteste und fruchtbarste.“226 Denn dieser „Hersteller“ sei gewisser­maßen in die fertige Arbeit eingeschlossen, „von ihr ‚besessen‘ […], während ein anderer Teil seiner Person sozusagen von der Seite zugleich auf das Ding und auf sich selbst blickt, ohne sich irgendwie in diesen Prozess einzuschalten, wobei er sich das Recht vorbehält, sowohl das Erzeugnis als auch dessen Urheber zu kommentieren,“227 um sich selbst einem Deutungsprozess zu unterwerfen. Daraus ergeben sich diese „beiden Ichs“, wie Ilya Kabakov sagt, die zwei Arten von Produkten schaffen würden und an Bachtins literaturwissenschaft­liches Konzept der „Ausserhalbbefind­ lichkeit“ erinnern. Kabakov seinerseits bemerkt: „Der erste – als ‚Hersteller‘ – das Ding selbst, der zweite das Urteil über d ­ ieses Ding. Beide Zustände sind jedoch objektivierbar, und so entsteht die Mög­lichkeit, sowohl dem Wort als auch dem Bild in gleicher Weise zu begegnen.“228 Jurij Soboljev nimmt 1990 zu dieser Strategie Stellung: “I think that Kabakov’s main peculiarity consists in the fact that he is the first dialogical ­Russian artist. Against the background of these prophecy-­monologues there suddenly appeared a man who from the first moment introduced dialogue. The unique character of this dialogue consists in Kabakov’s ability to always find a common language with his interlocutor.”229

Mit den endlosen Kommentaren, in die Kabakov sein Œuvre einbettet, greifen die Produk­tion und Rezep­tion immer mehr ineinander bis hin zur räum­lich suggerierenden Gleichzeitigkeit.

225 Ausst.Kat. Bremen 1998, 24. 226 KB116, 51 – 53. 227 Ebd., 53. 228 Ebd. 229 Soboljev 1990, 49, hier zit. nach: Jackson 2010, 33.

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Das Konzept der Selbstkommentierung verfolgt auch die Gruppe der Kollektiven Ak­tio­nen.230 Die Teilnehmer der Ak­tionen agieren zugleich als Zuschauer, als „Zuschauer-­Teilnehmer“. Auch bei den Kollektiven Ak­tionen werden Kommentare generiert; allerdings werden diese von den teilnehmenden Zuschauern selbst verfasst. Es sind Kommentare ­zwischen Erzählung und Interpreta­tion, ­zwischen Kunst und Dokumenta­tion. Sasse erläutert dazu in ihrem Buch „Texte in Ak­tion. Sprech- und Sprachakte im Moskauer Konzeptualismus“ (2003), dass nicht nur die Ak­tion interpretiert werde, sondern auch das Interpretieren der einzelnen auftauchenden Gegenstände und Personen.231 Entsprechend schildert Dmitrij Aleksandrovič Prigov seine Rolle in der Gruppe: „Ich sehe meine Rolle in der Ak­tion und sehe die Erklärungen zu der Ak­tion. Dabei wird klar, dass mir die Rolle zugedacht war, gerade nicht dorthin zu schauen, wo man hätte hinschauen sollen. Ich wurde also als einer der Gegenstände benutzt.“232

Dieses Verfahren ­zwischen „Zuschauer-­Teilnehmern“ und „Organisatoren“ wird von Monastyrskij mit dem Begriff „Hantel-­Schema“ umschrieben. Autorschaft und Rezep­tion ­seien dabei immer wie das Prinzip einer Hantel organisiert. Monastyrskij meint damit die Distanz (der Gewichte) z­ wischen Autor und Rezipient, w ­ elche durch das Stemmen von Autor und Rezipient eine räum­liche Gleichzeitigkeit erfährt.233 In Kabakovs Installa­tion 7 Ausstellungen eines Bildes im Kasseler Kunstverein (1990) ist dies anhand der Kommentare nachvollziehbar.234 Neben den braunen Kommentar­ tafeln finden sich jeweils weitere Kommentare wie bei der Ausstellung Nr. 1: „Ohne Erklärung kann man hier nichts verstehen.“, „Das gehört zu d ­ iesem metaphy­sischen Suchen Anfang der 60er Jahre in Europa. Bei uns gab es auch…“, „Auf dem Wochenmarkt kaufe unbedingt: Gurken, Tomaten, Zwiebeln, vergiss die Kartoffeln nicht…“ oder „Anja hatte mir versprochen, einen Roman über das Bewusstsein zu schreiben“. 235 Diese Kommentare suggerieren Stimmen aus dem Publikum. Sind es nun Gesprächsfetzen von Zuschauern, die sich über das Gemälde unterhalten, oder handelt es sich um Kommentare von Kabakov, die zum Bild gehören? Stammen sie vom Produzenten oder vom Rezipienten?

230 Die folgenden Ausführungen basieren auf: Sasse 2003a. 231 Sasse 2003, 119. 232 Dmitrij Aleksandrovič Prigov in Kollektive Ak­tionen 1998, 394, hier zit. nach: Sasse 2003, 162. 233 Sasse 2003, 166. 234 Kasseler Kunstverein, Kassel, 13.5.–24. 6. 1990. 235 Es sind die Kommentare zur Ausstellung Nr. 1, Das Weisse verdeckt alles, 1979, 260 × 380 cm, Kommentar­ tafel 118,5 × 107,5 cm. Vgl. KB32.

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Der Übergang ­zwischen Innen und Außen, Subjekt und Objekt ist dabei fließend. Dieses Konzept wird bei Vladimir Sorokin als „Erfindung des Lesers im Text“ beschrieben. Sorokin involviere gewissermaßen die Leser in den Prozess der Rezep­tion: „Dieses Involvieren ist nicht darauf aus, die Wirkung der Sprache auf den Leser zu richten, sondern ihm über den Nachvollzug eine doppelte Wirkung vorzuführen: zum einem seine Involviertheit nachvollziehbar zu machen und zum anderen Praktiken ästhetischer Wirkung zu reflektieren.“236

Dieses Verfahren legt Kabakov auch im Kommentar zu den Zehn Personen offen. Durch das Herausschälen eines Gedankens gewinne die „Thema-­Idee“ langsam an Gestalt. Die „Themen“ bzw. „Themenbilder“, die zur Herstellung der Zehn Personen geführt hätten, das ­seien die ­Themen seines Bewusstseins.237 Die Idee wird zur selbstständigen Figur: „Die ­Themen nahmen sofort ein menschliches Antlitz an, erwiesen sich sogleich als ‚Personagen‘ […].“238 Ideen durchlaufen jedoch erst einen Reifeprozess, von ihrem Anfang bis zur vollen Entfaltung. Ideen werden auch wieder verworfen, wenn sie in eine Sackgasse führen, unbrauchbar sind oder sich verflüchtigen, mit den Worten Kabakovs, wenn „Ideen erkrankt“239 sind. Schließ­lich trete das erschöpfte Finale ein, wo alles, nachdem es sich als Ergebnis einer leeren Aufregung erwiesen habe, vergehe und verschwinde.240 Kabakovs Erörterungen zeigen auf, wie er mit der Idee umgeht, wie er sie modelliert und wie er sie in eine künstlerische Form bringt. Das Herauskristallisieren und die prozesshafte Entwicklung einer Idee sind darin exemplarisch beschrieben. Der Künstler lässt uns aktiv an seinem (konzeptuellen) Denkprozess teilhaben. Beim Durchblättern der Albenserie Zehn Personen können wir ihm beim Entwickeln eines Gedankens praktisch zusehen. Diese Beobachtung erinnert an den literarischen Typus des inneren Monologs oder des stream of consciousness (Bewusstseinsstrom).241 Für diesen Typus spricht die von Kabakov suggerierte gebrochene Textsyntax, ­welche den Lauftext der Albenblätter auszeichnet. Zudem hinterlassen die einzelnen Bilder einen fragmentarischen Eindruck, sind die Bildfenster oftmals geprägt durch ihre Ausschnitthaftigkeit. Erst das phy­sische Blättern bringt den Gedankenstrom richtig ins Fliessen.242 236 Sasse 2003, 244. 237 KB116, 128 – 132. 238 Ebd., 129. 239 Ebd. 240 Ebd. 241 Zur Unterscheidung von Innerem Monolog und stream of consciousness vgl. Pottbeckers 2008. 242 Der Typus des Inneren Monologs hat sich in der Geschichte der Literatur spätestens mit James ­Joyces „Ulysses“ (1922), insbesondere mit dem interpunk­tionslosen Schlussmonolog von Molly Bloom im

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Mit seiner Erzähltechnik des Bewusstseinsstroms, aber auch der Struktur und dem Aufbau des Romans macht James Joyces Erzählung „Ulysses“ großen Eindruck auf den Künstler. Die Geschichte ist auf einen einzigen erzählten Tag beschränkt, in dem sich quasi das ganze facettenreiche Leben eröffnet.243 Im Roman wechseln sich die Stil­formen der „Bewusstseinsdarstellung“, der „erlebte[n] Rede“ und des „innere[n] Monolog[s]“, mit den „ausserpersonalen Techniken des Dialogs“ und dem „Erzählbericht“ ab.244 Dabei wird vom Leser ein ständiger Richtungswechsel verlangt, was das Leseverständnis noch zusätz­lich erschwert. So bilde „Ulysses“ nach Therese Fischer-­Seidel außerfik­tionale Wirk­lichkeit ab, und schaffe fik­tionale Wirk­lichkeit. Dabei imitiere Joyce Fik­tion, um Wirk­lichkeit hervorzubringen, und imitiere Wirk­lichkeit, um Fik­tion entstehen zu lassen.245 James Joyce setzt, in den Worten von Hans Walter Gabler, „beobachtete und erlebte Wirk­lichkeit“ wie aber auch „den kontinuier­lichen Prozess der Fik­tionalisierung und symbo­lischen Überhöhung der Autobiographie“ in seinem gesamten literarischen Schaffen um.246 Dieses Oszillieren z­ wischen Wirk­lichkeit und Fik­tion, Fik­tion und Wirk­lichkeit manifestiert sich auch in Kabakovs Texten der Zehn Personen und darüber hinaus. Wobei Kabakov „Meinungen und Kommentare“ zwecks Objektivierung seiner Bewusstseinszustände einführt und somit sowohl eine personale als auch eine außerpersonale Darstellung suggeriert. Dieses Vorgehen erinnert zudem an die Romanfigur Pecorin von Michail Lermontov (1814 – 1841) in „Ein Held unserer Zeit“, worin Pecorin erklärt: „In mir leben zwei Menschen, der eine lebt im vollen Sinne des Wortes, der andere denkt und verurteilt ihn.“247 So unterliege, dokumentiert Stephan Küpper, auch die Selbstdarstellung dem Mechanismus, den Kabakov beschreibe: „Alles, was er tut, wird zum Objekt der Reflexion, auch die Reflexion selbst. Daher lassen sich Kabakovs theoretische Statements nur sehr bedingt als Metatexte lesen. Das gilt vor allem für die Interpreta­ tionen, die er seinen Werken mitgibt.“248 Küpper spricht dabei auch von der „Strategie des Versteckens“, die prinzipiell darauf ziele, jedem Zugriff von außen zu entkommen, jede fremde Deutung, jede fremde Rahmung seines Werkes zu entwerten und über die Steuerung ihres Kontextes die Rezep­tion so weit zu steuern, dass die Betrachter selbst zu

„Penelope“-Kapitel, als eigenständige Schreibgattung etabliert. Je nach Defini­tion wird die Erfindung der Erzähltechnik des Inneren Monologs Édouard Dujardin („Les Lauriers sont Coupés“, 1888) zugeschrieben. Im deutschen Sprachraum wird diese Technik unter anderen von Arthur Schnitzler („Leutnant Gustl“, 1900, „Fräulein Else“, 1924) aufgegriffen und in einer Vorstufe auch bei Dostoevskij lokalisiert. Vgl. Pottbeckers 2008. 243 Die Geschichte spielt sich am Donnerstag, 16. Juni 1904, ab. 244 Die folgenden Ausführungen basieren auf: Fischer-­Seidel 1977, 316. Vgl. auch Wellershoff 1991. 245 Fischer-­Seidel 1977, 339. 246 Gabler 1977, 59. 247 Städtke 2002, 154. 248 Küpper 2000, 57.

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Figuren würden, die Kabakovs Rahmensouveränität anerkennen müssten.249 Kabakov, der Meister im sich Entziehen, hält sich damit ein „Hintertürchen“ im Sinne Bachtins offen, durch das er seine Worte immer wieder lenken und umdeuten kann. 3.4.6 Die „Personagen“ Ilya Kabakovs Kabakovs „Personagen“ (perzonazhonost) stellen personifizierte Tätigkeiten und Handlungen, fiktive Autoren, Kommentatoren, Interpreten oder Künstler dar. Diese Alter Egos sind meist Stimmen, die mit seinem Werk aus verschiedenen Perspektiven den Dialog aufnehmen, sein Œuvre auf unterschied­liche Art und Weise beleuchten, kunsthistorisch einordnen oder interpretieren. Allen „Personagen“ ist gemein, dass sie vom Künstler zur Objektivierung seines eigenen Daseins und Handelns eingesetzt werden wie zum Beispiel in der berühmten Zehn Personagen-­Versammlung in einer typischen ehemaligen sowjetischen Kommunalka.250 In der L-förmig angelegten Wohnung mit den kleinen einzelnen Zimmern, der Toilette und der Gemeinschaftsküche hausen die folgenden zehn Personen zusammen: 1. Der Mann, der in das Bild flog, 2. Der Mann, der die Meinungen anderer sammelte, 3. Der Mann, der aus seinem Zimmer in den Kosmos flog, 4. Der unbegabte Künstler, 5. Der kleine Mann, 6. Der Komponist, 7. Der Sammler, 8. Der Mann, der nie etwas wegwarf (Der Müllmensch), 9. Der Mann, der sein Leben über andere Charaktere beschrieb und 10. Der Mann, der Nikolaj Viktorovič rettete. Alle zehn „Personagen“ verkörpern und personifizieren mit ihren Tätigkeiten Kabakovs Werk: der Maler, der Sammler oder der Schreiber. In gleicher Weise beschreibt der Bewohner Nr. 9 Kabakovs Vorgehen, seine inneren Stimmen in Gestalt verschiedener „Persön­lichkeiten“ zu Wort kommen zu lassen: „Eines Tages machte er sich daran, sein Leben zu beschreiben, um so vor allem zu erfahren, wer er eigent­lich war: er, der bereits mehr als die Hälfte seines Lebens hinter sich hatte. Wenn er ­dieses Leben nur ruhig und ausführ­lich erzählte, könnte er gewiss alles, was ihn in den vergangenen Jahren umgeben hatte, klären und sich inner­lich vor Augen führen, er könnte sich an all das erinnern, was ihm widerfahren war. Es stellte sich jedoch heraus, dass es in all diesen langen Jahren gar nicht so viele Erlebnisse gab – höchstens zwei oder drei und dass sein ganzes Leben bis zu d ­ iesem Tag unter dem Strich nur aus allerlei Eindrücken von manchen Menschen, Sachen, Gegenständen bestand … [sic] Aber während er diese nachein­ ander, wahllos niederschrieb, entdeckte er auf einmal, dass diese verschiedenen Fragmente

249 Küpper 2000, 58. 250 Die sowjetische Gemeinschaftswohnung war eine Erscheinung, die sich in der Zeit nach der Revolu­ tion entwickelte. Dabei wurden et­liche Herrschaftswohnungen aufgelöst und in eine Gemeinschaftswohnung umgestaltet.

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und Bruchstücke nicht aus seinem ganzheit­lichen Bewusstsein, nicht aus seinem Gedächtnis kamen, sondern gewissermassen zu unterschied­lichen, ja sogar getrennten, fast gänz­lich geschiedenen Persön­lichkeiten gehörten … Er denkt darüber nach: Wie soll er sich verhalten, was soll er tun? Irgendwie ist er doch eins, denn schaut er sich im Spiegel an, sieht er sich ‚allein‘. Denkt er jedoch über etwas nach, erkennt er in seinem Inneren so etwas wie eine Vielheit.“251

Der Übergang ­zwischen Fik­tion und Wirk­lichkeit ist bei Kabakovs „Personagen“ meist fließend und für den Rezipienten oftmals schwer unterscheidbar, gehört doch das Oszillieren ­zwischen Fik­tion und Realität, Innen- und Außenschau zum System Kabakov.252 Kabakov wechselt oftmals unmerk­lich die Farbe wie Bachtins Chamäleon. So setzt er Namen ein, die vermeint­lich der Realität entsprechen wie jene der Zehn Personen: Der Quälgeist Surikov und Der aus dem Fenster schauende Archipov finden beispielsweise ihre Namensentsprechungen bei Vasilij Ivanovič Surikov (1848 – 1916) und Abram Jefimovič Archipov (1862 – 1930), rus­sische Maler und Mitglieder der „­Peredvizhniki“, der Wandermaler.253 Anna Petrovna hat einen Traum könnte auf die fiktive Anna Petrovna in Čechovs Drama „Ivanov“ (1889) oder auf die reale Anna Petrovna (1708 – 1728), die Tochter des ersten Kaisers des Rus­sischen Imperiums, Peters I. des Großen (1672 – 1725), verweisen. Der weggeflogene Komarov könnte auf Vladimir Michajlovič Komarov (1927 – 1967) deuten, einen sowjetischen Kosmonauten, der beim Landeanflug der Raumkapsel Sojus I am 24. April 1967 ums Leben kam. Der Name Komarov (russ. komar, Mücke) taucht auch in Daniil Charms Erzählung auf, worin Komarov vom Maler Michelangelo vor einer herunterstürzenden Kugel gewarnt wird.254 Mit dem Namen des Verzierer[s] Malygin könnte auf Stepan Gavrilovič Malygin aufmerksam gemacht werden, einen rus­sischen Arktis-­Forscher aus dem 18. Jahrhundert. Dessen Reise zeichnet der deutsche Schriftsteller Friedrich Sieburg 1932 im Buch „Die rote Arktis, Malygins empfindsame Reise“ nach.255 Es wird aber auch mit dem real existierenden Namen Kogan aus den Kommentaren der Zehn Personen an das jüdische Bruderpaar M. und B. Kogan, zwei der neun sogenannten „Kreml-­Ärzte“, oder an den Violinvirtuosen Leonid Kogan (1924 – 1982) jüdisch-­ukrainischer Abstammung erinnert. Beim fiktiven Maler Stepan Jakovlevič Koshelev wird mit Nikolaj Andrevič Koshelev (1840 – 1918) gespielt, ebenfalls 251 KB123 (Bd. 1), 137 – 138. 252 Vgl. Groys 2000. 253 Die Mitglieder der Peredvizhniki protestierten gegen die Restrik­tionen der Petersburger Kunstakademie und versuchten, „die Kunst aus offiziell-­bürokratischer Kontrolle zu befreien und die unübersehbare rus­sische Provinz mit ihr bekannt zu machen“. In: Bruk 1989, 136 – 140. Dieser Gang weg von der zentralistisch geführten Museumseinrichtung kann sicher­lich auch als Institu­tionskritik gelesen werden. 254 Charms 1990. 255 Friedrich Carl Maria Sieburg (1893 – 1964) war Anhänger des Na­tionalsozia­lismus.

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einem rus­sischen Maler. Kabakov verankert Koshelevs Künstlerbiografie, indem er in der fiktiven Autorschaft von I. Sinyakova („Die Bedeutung Koshelevs und seiner Schule in der sowjetischen Kunst der 20er und 30er Jahre“), von I. Sevostyanov („Über ­Koshelev – meinen Lehrer“) und von I. Zverev („Über Koshelevs Ausstellungen im Ausland“) eine eigene Geschichte der Kunst formt – gleichzeitig aber von einem fiktiven Selbst spricht: „Was tatsäch­lich geboren wurde, ist ein kompliziertes Konglomerat unterschied­licher Persön­lichkeiten und der Diskurs ­zwischen ihnen – eine Art große Versammlung, eine riesige Institu­tion.“256 Kabakov gibt zu Protokoll, dass seine Personen halb phantastisch, halb real ­seien: „Vielleicht kann man Dostoevskijs Ideenromane zum Vergleich heranziehen, in denen bestimmte Gedanken Fleisch und Blut gewinnen. Meine Personen sind auch ­solche Ideologen. Jede von ihnen ist Vermittler und Opfer der eigenen Idee […] jede dieser Personen verkörpert eine meiner eigenen fixen Ideen, Ängste und Wünsche.“257

In seinen Aufzeichnungen der 1960er- und 1970er-­Jahre beschreibt der Künstler gewissermaßen als Chronist und Zeitzeuge sein künstlerisches Umfeld, wie aber auch seine Arbeit selbst. In sach­lich distanzierter Wiedergabe, aber – wie er sagt 258 – aus seiner subjektiven Erinnerung heraus analysiert und formiert er die künstlerische Untergrundszene Moskaus jener Jahre zu einer Geschichte der Kunst. Je länger man liest, desto mehr hat man das Gefühl, all diese Künstlerfreunde könnten auch etwas mit Kabakov selbst zu tun haben. Schließ­lich findet am Ende tatsäch­lich eine Verschmelzung der zahlreichen beschriebenen Künstlerfreunde mit der Ichfigur Kabakovs statt. Insbesondere, wenn der Künstler schreibt, dass all die genannten Künstlerfiguren auch er selber sein könnten: „Daher unterscheidet sich der Versuch, in der Gestalt des Müllhaufens eine Metapher für alles zu schaffen, was in den 60er Jahren gemacht wurde, im Grunde kaum von jenem, aus all den verschiedenen Persön­lichkeiten das Ebenbild eines einzigen talentierten und inspirierten Künstlers zu modellieren.“259

All seine Künstlerfreunde aus dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten könnten demnach auch „Personagen“ seiner selbst sein.260

256 KB47, 14. 257 Ebd., 36. 258 „Aber das ist bereits meine persön­liche Anmerkung und stellt keinen Anspruch auf eine allgemein gültige Aussage.“ In: KB116, 292. 259 Ebd., 301. 260 Auch Matthias Haldemann hält diesen Sachverhalt in seinem Typoskript zu KB116 fest.

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Diese „Autorstrategien“261 wenden auch andere Künstler im Kreis der Moskauer Konzeptualisten an wie Ėrik Bulatov, Vladimir Sorokin, Dmitrij Aleksandrovič ­Prigov oder Lev Rubinštejn. Komar und Melamid setzen in ihren frühen Arbeiten zwei Künstlerpseudonyme ein (A. Siablov und Butsumov). Lev Rubinštejn baut in seinen Texten der späten 1980er- und der 1990er-­Jahre eine ebensolche Vielfältigkeit an Stimmen ein: „Das Erscheinen des Helden 1) Mir fällt rein gar nichts ein. 2) Er weiss was, aber hält den Mund. 3) Wer weiss, vielleicht hast du ja recht. 4) Es schmeckt nicht nur, es tut auch gut. 5) Erster Waggon, um sieben Uhr. 6) Um einen Schüler geht es wohl. 7) Das trifft sich, ich muss auch dorthin. 8) Nun, habt ihr das Problem gelöst? […] Der Schüler ging zur Schule. Als er in der Schule angekommen war, ging er in den Klassenraum und setzte sich an seinen Platz. Es war Zeichenunterricht. Der Schüler zeichnete eine Tasse in sein Heft. Der Lehrer sagte, dass die Tasse nicht schlecht sei, und er lobte den Schüler für seine Zeichnung. Dann klingelte es, und die Schüler gingen in die Pause. Der Schüler blieb allein in der Klasse und dachte nach.

[…] 99) Der Schüler fragte den Lehrer: „Im Sein oder im Nichtsein aufzugehen – ist das nicht egal?“ Der Lehrer sagte: „Ich weiss nicht.“ Und der Schüler ging fort und dachte nach.“262

In „Ein Monat in Dachau“ (1992) taucht Sorokin als Autor selbst auf, und Dmitrij ­Aleksandrovič Prigov arbeitet seit den 1980er-­Jahren mit sogenannten „Stimm-­Masken“263. Prigov schreibt überdies in „Über Prigov“ (1993) über sich selbst im Sinn einer „Auto(r)

261 Diesen Begriff schlägt Küpper vor: „Das Konzept der Autorstrategie ist nicht epochenspezifisch. Während Autorstrategien für gewöhn­lich hinter dem Bild, auf dessen Produk­tion sie gerichtet sind, zurückstehen, wird im Moskauer Konzeptualismus die Strategie zum eigent­lichen Thema. Meine These ist, dass sich die Erscheinungsformen der Autorschaft im Moskauer Konzeptualismus gar nicht anders denn als Strategien fassen lassen. Nicht umsonst der Konzeptualismus thematisiert [sic] immer wieder die Phänomene des Rahmens, der Strategie, des chudožestvennoe povedenie, während die Autorbilder Randprodukte sind.“ In: Küpper 2000, 31. 262 Rubinštejn 1985, o. S., hier zit. nach: Städtke 2002, 395. 263 Städtke 2002, 395. Vgl. Küpper 2000.

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kritik“, wie Sylvia Sasse schreibt, „in der Dmitrij Prigov seine eigene künstlerische Praxis und Schreibweise“264 kritisiere: „Prigov arbeitet nicht mit Gemälden, nicht mit Stilen, nicht mit Polystilistik, sondern mit Images, mit Imagina­tionstypen von Künstlern und Dichtern. […] Viele Arbeiten Prigovs haben mit der Verwendung von blankem Textmaterial zu tun – Zeitungen, Druckerzeugnisse, eigene maschinengeschriebene Texte. Diese Arbeiten stehen gleichsam auf der Grenze ­zwischen Literatur und bildender Kunst. Manchmal nehmen sie die Gestalt von räum­lichen oder manipulativen Textobjekten an (die Serien ‚Dosen‘, ‚Fenster‘, ‚Telegramme‘), bei denen der metaphorische Raum der Sprache die Realität eines räum­lichen Gegenstandes erlangt.“265

Am Ende kommt Prigov zum Begriff des Schwebens: „Ungeachtet all dessen kommt es niemals vor, dass Prigov vollständig in die von ihm verwendeten Stile und Bildformen, Sprachen und Images ‚hineinrutscht‘, in ihnen verschwindet, sondern er schwebt gleichsam über ihnen, er flimmert […]“266 Dieses Flimmern, Oszillieren und Schweben ist auch charakteristisch für Kabakovs „Personagen“, die wohl im Raum anwesend, jedoch nie wirk­lich greifbar sind.267 Kabakov argumentiert, dass es damals in Moskau mehrere Gründe für das Aufkommen solcher Ideen gegeben habe. „Als erstes ist zu jener Zeit die besondere Dichotomie, der soziopsycholo­gische Dualismus im Leben und Verhalten des ‚Sowjetmenschen‘ zu nennen.“268 Zudem werden seine Absichten einer fiktiven Künstlergestalt mit der folgenden Aussage klar: „Es würde mich ausserordent­lich freuen, dem gleichen Rang zugeordnet zu werden wie ein Künstler, der eine so wichtige Rolle in der Geschichte der sowjetischen Kunst gespielt hat.“269 Der inoffizielle Künstler existiert nicht auf der Landkarte der Sowjetunion. Eine fiktive Posi­tion zu ergreifen, bedeutet eine Umkehrung in ­diesem System. Der Künstler-­Prototyp jener Jahre, so Kabakov, charakterisiere sich durch das Verneinen der Realität und das Ignorieren der Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart. Dabei finde sich der Künstler in der Rolle eines Forschers wieder, jedoch nur in der Vorstellung, nicht in der Wirk­lichkeit.270 264 Sasse 2003, 203; Prigov 1993. 265 KB62, 66, 68. 266 Ebd., 69. 267 Vgl. auch Lorenz 2010. 268 Ilya Kabakov im Gespräch mit Iosif Bakštejn, in: KB61 (Bd. 1), deutsches Beilageheft, o. S. 269 Ebd. 270 KB116, 293. Dementsprechend operiert Kabakov mit weiteren fiktiven Autoren- und Künstlernamen wie mit dem „Laienkünstler eines ŽĖK“ (Ein ŽĖK ist ein Wohnungsverwaltungsbüro eines städtischen Bezirks.), mit E. Zavshanskaya, B. Sokolov und dem Wohnungsnachbarn Charitonov in seiner Arbeit Er wurde verrückt, zog sich aus und rannte nackt davon (1990) oder mit dem Studenten B.Zhirnov aus

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Bei Ilya Kabakov ist Kunst und Leben eins, Leben und Kunst verschmilzt, was insbesondere in der rus­sischen Literatur eine weitreichende Tradi­tion hat. Obzwar ­dieses Phänomen besonders seit Beginn der Moderne in Russland erhöhte Aufmerksamkeit erfährt, unter anderem mit den Manifesten von Andrej Belyjs „Lied des Lebens“ (1908), Nikolaj Evreinovs „Apologie der Theatralität“ (1908) und Nikolaj Čužaks „Literatur des Lebenbauens“ (1929).271 Aber auch in „Roman der Erinnerung“ und „Schwerer Sand“ von Anatolij Naumovič Rybakov, worin – wie Olaf Terpitz beschreibt – entweder das „Reale“ die Fik­ tion überblende oder aber die „Fik­tion“ Teil der realen Welt des Autors geworden sei.272 Auch außerhalb der rus­sischen Tradi­tion finden sich Anknüpfungspunkte in der Literatur. Ähn­liches findet sich in Marcel Prousts vielbändigem Roman „A la recherche du temps perdu“. Dieser ist in der Ich-­Form verfasst und einer autobiografischen Aufzeichnung ähn­lich. Der Roman bebildert die Lebensgeschichte Marcels in einer retrospektiven Sicht, und zwar bis zu seiner öffent­lichen Anerkennung und dem Durchbruch als Schriftsteller. So hat man die Geschichte bereits gelesen, die er am Ende des Buches niederschreiben wird – vergleichbar mit Ilya Kabakov und Charles Rosenthal, wo man auch bereits das künstlerische Werk kennt, welches auf die Malerkarriere von Rosenthal folgen wird.273 Da der Erzähler „ich“ sage, erklärt Pierre-­Edmond Robert, die Chronologie seines Lebens mit dem Leben des Autors einigermaßen übereinstimme und man für die Personen Modelle finden könne, sei die „Recherche“ von Anfang an für einen Schlüsselroman und eine Autobiografie gehalten worden.274 Proust aber habe sich immer wieder gegen die Gleichsetzung von Erzähler und Autor zur Wehr gesetzt. Trotz allem fänden sich in der „Recherche“ Elemente, die zur Gattung der Autobiografie gehörten: Bildungsroman, Berufung zum Künstler, Darstellung der Gesellschaft und deren Entwicklung, argumentiert Robert weiter.275 Allerdings spüre der Leser auch, schreibt seinerseits Jean Milly, dass der Autor oft eine Art Versteckspiel mit ihm treibe. Bald sei der autobiografische Gehalt des Romans offensicht­lich, bald sei unverkennbar, dass Proust die Wirk­ lichkeit verändere.276 Dieter Wellershoff wiederum beschreibt diesen Umstand zu Beginn seines Aufsatzes „Double, Alter Ego und Schatten-­Ich“ folgendermaßen: „Im Umweg über diese Figur ist Marcel Proust in das Innere seiner Erfahrungen eingedrungen, aber er hat dabei von

Zaborsk im Vorwort des Buchs „Universalsystem zur Darstellung von allem“ (2002). Vgl. KB74; KB28; KB29; KB123 (Bd. 1), 224 – 225; B. Zhirnov, Vorwort, in: KB118, 8 – 11. 271 Vgl. Schahadat 2004. 272 Terpitz 2008, 120. 273 Vgl. Kapitel 3.4.6.1. 274 Robert 2009, 66. 275 Ebd. 276 Milly 2009, 57.

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fik­tionalen Freiheiten Gebrauch gemacht […].“277 Proust changiere dabei z­ wischen autobiografischem Roman und romanhafter Autobiografie: „Er formt die Situa­tionen und Personen so, dass sie an Wesent­lichkeit und Tiefe gewinnen, und er gibt ihnen fremde Namen und ändert die Orte und andere Erkennungszeichen, um damit auszudrücken, dass die Lebenswelt des Buches ein von imaginären Personen bevölkerter autonomer Raum ist. Zwar spiegelt sich darin die tatsäch­liche Lebenswelt des Autors, aber ein Leser, der die biografischen Hintergründe des Romans nicht kennt, muss sie nicht vermissen, weil Figuren und Situa­tionen durch sich selbst interessant sind und in ihrer Welthaltigkeit weit über das Biografische hinausreichen.“278

Kabakovs Werk ist nicht nur als eine „erzählerische Metapher“279 für seine autobiografischen Erfahrungen zu deuten. Es ist vielmehr eine kunstvolle Konstella­tion, wie sie oben beschrieben wird, in der sich Kabakov – auch mit seinen „Personagen“ – bewegt. 3.4.6.1 Zwei prominente „Personagen“ des Künstlers: Charles Rosenthal und Igor Spivak Zu Kabakovs prominenten Künstler-„Personagen“ zählen neben Stepan Jakovlevič ­Koshelev  280 (1884 – 1934) Charles Rosenthal (1898 – 1933) und Igor Spivak (geb. 1970). Charles (Scholem) Rosenthal agiert praktisch als der geistige Vorgänger und künstlerische Prototyp von Ilya Kabakov. Kabakov lässt ihn 1933 sterben, im Geburtsjahr des Künstlers Kabakov. Diese persön­liche Bezugnahme stellt auch Vladimir Sorokin in „Der Obelisk“ (1989) mit dem im Großen Vaterländischen Krieg gefallenen Vater her. Auf dem Grabstein d ­ ieses Vaters steht der 7. August, das Geburtsdatum von Sorokin.281 Kabakovs Rosenthal wird am Montmartre in Paris von einem „ausser Kontrolle geratenen Auto“ zu Tode gefahren.282 Rosenthal, gleichfalls jüdischer, ukrainischer Herkunft wie Kabakov 283, durchläuft in seiner imaginären Malerkarriere erst die realistische Schule, wobei seine künstlerische

277 Wellershoff 1991, 6. 278 Ebd., 8. 279 Koneffke 2014, 62. 280 Eine Serie von Koshelevs Gemälden, gemalt in der Art des Sozia­listischen Realismus von Kabakov, integriert der Künstler 1993 in seiner Installa­tion Zwischenfall im Museum oder Wassermusik. Im gleichnamigen Ausstellungskatalog (2 Bde.) agiert Kabakov als Ilya Kabakov selbst. Er stellt das Konzept vor, erklärt sein zweigeteiltes Handeln im Aufsatz „Wie ich zur Kunstfigur meiner selbst wurde“ und agiert als Gesprächspartner von Iosif Bakštejn. Vgl. KB61 (Bd. 1), deutsches Beilageheft, o. S. 281 Vgl. Sasse 2003, 263. 282 Folgende Ausführungen basieren auf: Ausst.Kat. Frankfurt a. M. 2000. 283 Vgl. Kapitel 5.2.2.

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Handschrift mit der des rus­sischen Malers Robert Fal’k (1886 – 1956) vergleichbar ist, der mit seinen Farbtexturen eine rus­sische Variante des Cézannismus darstellt. Ilya Kabakov lernt Fal’k über Ėrik Bulatov Anfang der 1950er-­Jahre kennen. Fal’k seinerseits lehrt in den 1920er-­Jahren an der berühmten VK hUTEMAS und ist mit Vladimir Tatlin und Aleksandr Rodčenko befreundet.284 Viele Bilder Rosenthals stellen das Verschwinden und die Auflösung der Realität dar. Durch den Einfluss von Kazimir Malevič und dem Suprematismus geometrisiert und minimalisiert sich seine Bildsprache. In den Jahren 1927 und 1928 schafft Rosenthal nach dem Vorbild des franzö­sischen Malers Théodore Géricault (1791 – 1824) zwei Leuchtbildgemälde, Auk­tion und Drei Reiter, ­welche einerseits den west­lichen Kommerz, andererseits eine Triade von apokalyptischen Reitern aus dem Osten darstellen. Rosenthal plant ein einheit­liches Ensemble von Bild und separatem Text, jeweils auf Tischen vor den Bildern, was an Kabakovs Installa­tionen erinnert. Mit dieser Bild-­Text-­Konstella­tion nimmt Rosenthal vorweg, was Ilya K ­ abakov in Reinkarna­tion in all seinen Gattungen Zeichnung, Album, Gemälde und vor allem in der Installa­tion auf ähn­liche Art und Weise ausführt. Zugleich steht diese Ost-­West-­ Metapher für die zwei Leben von Ilya Kabakov, auf der einen Seite der inoffizielle sowjetische, auf der anderen Seite, mit der Emigra­tion in den Westen, der hochdotierte, interna­tional anerkannte Künstler, dessen Werke auf Auk­tionen feilgeboten werden. In der Rolle des Kurators organisiert Ilya Kabakov 1999 erstmals eine fiktive Retro­spektive über Charles Rosenthals Schaffen.285 In seiner über mehrere Räume greifende „totale[n]“ Installa­tion Leben und Werk von Charles Rosenthal stellt er die einzelnen Schaffensperioden ­dieses Malers aus und schreibt im Ausstellungskatalog über sein offenkundiges, historisches Alter Ego.286 Anläss­lich der Ausstellung „The teacher and the student: Charles Rosenthal und Ilya Kabakov“ (2004) im Museum of Contemporary Art, Cleveland, wirkt Kabakov erneut in der Rolle des Kurators, wobei er neben dem Werk Rosenthals auch das Schaffen von Ilya Kabakov und Igor Spivak ausstellt. Kabakov vereint drei Künstlergenera­tionen zu einer „alternativen Geschichte der Kunst“, wie er es nennt, und bringt diese in einen kritischen Dialog.287 Er zeigt fiktive Werke von Ilya Kabakov aus den Jahren 1972 und 1973, die er wohlgemerkt in den Jahren 2002 bis 2003 herstellt. Sie stehen unter dem Einfluss von Charles Rosenthal, nachdem Ilya Kabakov 1971 reproduzierte Werke von ihm in der Zeitschrift „La Sate“ sieht.288

284 Vgl. Sarabianov 1974; Shchekin-­Krotova 1981. 285 KB106; KB132; Ausst.Kat. Frankfurt a. M. 2000. 286 KB106. 287 The teacher and the student: Charles Rosenthal und Ilya Kabakov, Museum of Contemporary Art, Cleveland, 10. 9. 2004 – 2. 1. 2005. Vgl. KB125. 288 Kabakov 2004.

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Der Maler Igor Spivak (geb. 1970), selbst ukrainischer Herkunft, lebt in Kiew, wobei von seinem Werdegang und Verbleib nicht viel bekannt ist, außer dass er Kabakov zufolge seinen Erfolg mit Alkohol kompensiere.289 In der erwähnten Ausstellung werden Spivaks Werke aus der Periode 1991 bis 1996 gezeigt. Sie weisen eine enge Verwandtschaft zum Sozia­listischen Realismus vergangener Dezennien auf, werden jedoch ebenfalls 2003 von Ilya Kabakov produziert. Seine Bilder zeichnen sich vor allem durch fragmentarische, realistische Darstellungen aus und machen einen unfertigen Eindruck. Sie sind in meist röt­lichem Ton gehalten, in Anlehnung an die charakteristische Farbe des sozia­listischen bez. kommunistischen Systems. Mit den Alter Egos Charles Rosenthal und Igor Spivak und schließ­lich seiner eigenen Person einbezogen sucht Ilya Kabakov Ende der 1990er-­Jahre einen weiteren Dialog mit seinem mehr als 30 Jahre währenden Schaffen, um es einer Genealogie, einer künstle­ rischen Entwicklungsgeschichte und -tradi­tion zu unterwerfen, die fortlaufend ist, in der Realität aber nicht existiert. Rosenthal, Kabakov und Spivak gehören zu einer erweiterten künstlerischen Selbstreflexion Ilya Kabakovs. So schreibt der Künstler: “Rosenthal is full of hope, he strives toward the future; Kabakov is caught in the endless, unchanging present of today; and for Spivak, ‘brightne’ (whiteness) opens up once again, only this time it is a light in the depths of the century, in its past. And such, perhaps, is the ‘sonnet-­like’ artistic and perhaps even political symmetry of the history of Russia of the 20th century and its art, forming a unique kind of mirror.”290

Mit den fiktiven Künstlern und mit seiner eigenen Person generiert Ilya Kabakov verschiedene zeit­liche und künstlerische Zustände, die sein Schaffen axial, historisch wie zukünftig, dialogisieren. Er unterläuft damit aber auch seine eigene Autorschaft, wenn er in der Beschreibung zur Installa­tion Leben und Werk von Charles Rosenthal schreibt, Rosenthals Arbeiten ­seien von einem „versteckten Autor der Installa­tion simuliert“291.

289 Ilya Kabakov: “[…] In addi­tion to his ‘closed’ biography, what we have is the strange testimony of the gallery employees about the fact that there will be no more paintings, that ‘the artist never began to make any more because of constant bouts with alcohol provoked by his sudden commercial success’.” In: KB125, 225. 290 Kabakov 2004a. 291 KB123 (Bd. 2), 376.

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3.5 Die Künstler bücher Als konzeptuelle Träger agieren Kabakovs Künstlerbücher ­zwischen Artefakt und Dokument, z­ wischen Museum und Bibliothek, zwei wichtige Institu­tionen für den Künstler. Entsprechend reichhaltig gestalten sich seine Bücher ­zwischen Ausstellungskatalog, Werkverzeichnis, Libretto und thematischer Publika­tion, die dem Leser auf vielfältige Art und Weise einen offenen Zugang und verschiedene Leserichtungen zu seinem Œuvre ermög­lichen. Kabakov versteht es, aus zwei Buchdeckeln heraus einen universalistischen Kosmos entstehen zu lassen, und zwar nicht nur in imaginärer, sondern auch in realer, installativer Form, einen Kosmos, der aus dem Buch kommt und ins Buch zurückführt. Je mehr man sich mit Kabakovs Künstlerbüchern auseinandersetzt, desto ersicht­licher wird, wie sehr der Künstler textbezogen arbeitet, welch großen Stellenwert der Text und die literarische Form in seinem dialo­gischen Werk haben und vor allem wie eng sein Gesamtwerk mit dem Buch verknüpft ist. Dabei spielt das Buch für sein dialo­gisches Konzept eine wichtige Rolle: Es ist immer wieder Start- und Landepunkt für weitere Diskurse, sowohl in visueller als auch in textueller Form. Kabakovs forcierende Buchproduk­ tion gibt Aufschluss darüber, wie sehr das Dialo­gische und das Buch einander bedingen. Ilya Kabakov hat bisher über 130 Künstlerbücher publiziert, die innerhalb seines Gesamtwerks eine zentrale Stellung einnehmen und als Schlüssel zu seinem Werkkosmos funk­tionieren. Seine Affinität zum Buch hängt nicht nur mit seinem professionellen Umgang mit ­diesem Medium als Illustrator zusammen. Kabakovs Bücher sind vielmehr konzeptuelle und dokumentarische Träger seiner Ideen als pulsierendes Aggregat und zählen selbstverständ­lich zum dialo­gischen Konzept dazu. Der langen Reihe seiner Publika­tionen gehören sowohl die inoffiziellen Schriften der Samizdat-­Kultur aus der Sowjetunion als auch die offiziellen Veröffent­lichungen außerhalb der Sowjetunion an. Was ist unter der Bezeichnung „Künstlerbücher“ bei Ilya Kabakov zu verstehen? So entstehe das Künstlerbuch als publiziertes, gedrucktes und vervielfältigtes eigenständiges Kunstwerk aus einer künstlerischen Konzep­tion heraus, die in dieser Art durch keine andere künstlerische Form so auszudrücken wäre, halten die Herausgeber des Manuals für Künstlerpublika­tionen (2010) fest.292 Das Künstlerbuch sei nicht Träger, sondern Medium der künstlerischen Aussage, argumentieren sie weiter.293 Wie definiert Kabakov ein Künstlerbuch? Bei ihm drängt sich auch die Frage auf, inwiefern die Konzeptkunst, in der laut Michael Glasmeier „die schrift­liche Aussage das Werk“ selbst ist, und das Buch bzw. das schrift­liche Erzeugnis sich gegenseitig voraussetzen, ja gar bedingen.294

292 Thurmann-­Jajes/Stepančič/Boulanger 2010, 51. 293 Ebd. 294 Glasmeier 1994a, 11.

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3.5.1 Ilya Kabakovs Buchproduk­tion 3.5.1.1

Die Samizdat-­Publika­tionen

Kabakovs Buchproduk­tion ist eng verknüpft mit der inoffiziellen sowjetischen Textkultur und -tradi­tion der Samizdat (Publika­tion im Selbstverlag) z­ wischen 1950 und 1990.295 In dieser Zeit ­seien gemäß den Herausgebern von „Präprintium. Moskauer Bücher aus dem Samizdat“ (1998) nicht sank­tionierte Schriftsteller in eine „vor-­gutenbergsche“ Situa­tion zurückgeworfen worden: „Von den offiziellen sowjetischen Publika­tionskanälen und den durch sie monopolisierten Printmedien ausgeschlossen, machen sie aus ihren handschrift­lichen oder maschinenschrift­ lichen Büchern künstlerische Gegenstände. Diese Hefte existieren oft nur in einem Exemplar, manche haben eine ‚Auflage‘ in der Grössenordnung von Schreibmaschinendurchschlägen.“296

Weiter halten sie fest, dass dieser Umstand eine interessante Konstella­tion innerhalb der Moskauer Konzeptualisten ergeben habe: „Künstler machen Bücher, und umgekehrt: Schriftsteller machen aus ihren Büchern künstlerische Objekte.“297 Diese Aussage lässt sich auch bei Kabakov belegen, welcher als Künstler bisher über 130 „richtige“ (in seinen Worten)298 Bücher publiziert hat. Hingegen stellen die Autoren Dmitrij A ­ leksandrovič ­Prigov (Textcollagen auf Blechdosen, 1975) oder Vladimir Sorokin (das literarisches Paket Onanium, 1988) textuelle Kunstobjekte her. Die Kultur des Samizdat gilt als eine gut organisierte Institu­tion im Untergrund.299 Kabakov publiziert von Ende der 1970er-­Jahre bis 1987 in seinem Moskauer Atelier

295 Der Begriff Samizdat, Selbstverlag, ist als Gegenstück zum offiziellen Staatsverlag, Gosizdat, entstanden. Es wird angenommen, dass der Begriff auf den Lyriker Nikolaj Glazkov zurückgeht, der in den 1930er-­Jahren seine Gedichte in Abschriften veröffent­lichte, ­welche er als „Sam-­sebja-­izdat“ [Sich-­ selbst-­Verlag] betitelte. Die Samizdat-­Publika­tionen sind wiederum eng verbunden mit den Tamizdat (Dort-­Verlag), Schriften, die im west­lichen Ausland gedruckt werden. Boris Pasternaks „Doktor Živago“ war ein e­ rster sogenannter Tamizdat. Pasternaks Skript gelangte an den Mailänder Verleger Feltrinelli, welcher Pasternaks Roman 1957 publizierte. Daneben existiert der Begriff Radizdat, eine Art Tamizdat, jedoch in elektronischer Form ausgestrahlt von ausländischen Rundfunksta­tionen wie BBC London, Freies Europa München, Stimme Amerikas oder Deutsche Welle Köln. Vgl. Olschowsky/Richter 1995; Hirt/Wonders 1998, 27; Lauer 2000, 831 – 836; Hänsgen/Hirt 2003; Hänsgen 2012. 296 Hirt/Wonders 1998, 8. Vgl. auch die von Sabine Hänsgen kuratierte Ausstellung „Samizdat. Alternative Kultur in Zentral- und Osteuropa: Die 60er bis 80er Jahre“ in der Akademie der Künste, Berlin, 2000 (gemeinsam mit Wolfgang Eichwede, Ivo Bock und Wolfgang Schlott). 297 Ebd. 298 Diese Aussage machte Kabakov immer wieder im Gespräch mit der Autorin. 299 Die Lianozovo-­Gruppe außerhalb Moskaus wird als eine ihrer „Keimzellen“ in den 1950er-­Jahren betrachtet. In der Baracke von Oskar Rabin treffen sich Künstler und Schriftsteller wie Il’ja Ėrenburg

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zahlreiche Publika­tionen in einer Auflage von meist zehn Kopien im Selbstverlag, w ­ elche Kabakovs erste Frau Vika Močalova abtippt. Die losen Blätter legt er in einen dünnen Kartonumschlag, den er mit Klammern oder mit Faden zusammenheftet und von Hand beschriftet, wie das auch andere in seinem Umkreis ausführen, etwa Genrikh Sapgir. Kabakov unterscheidet dazu folgende Kategorien 300: 1.  Notizbücher nur mit Text über sein inoffizielles Künstlerleben und seine Freunde wie „Rhombus“, „Ohne Kultur“ oder „Staub, Schmutz, Müll“. Es sind dies kulturanalytische Texte über die allgemeine Lebenssitua­tion in Moskau. 2.  Notizbücher mit Text, Postkarten und anderen Materialien wie „In unserer Wohnungsverwaltung“ oder „Die 70er Jahre“ als Sammlungen und Aufzeichnungen über das inoffizielle Leben in Moskau. 3.  Hauskataloge, die sich auf Gemälde beziehen. Neben der Beschreibung enthalten diese jeweils auch eine Fotografie des Werks wie bei „Geprüft“ oder „Schaufel“. Einige der Beschreibungen sind eine Vorwegnahme der Erläuterungstafeln, die Kabakov zu den Gemälden herstellen wird. Basierend auf der Samizdat-­Buchkultur gibt Kabakov zusammen mit seiner Frau Emilia in den 1990er-­Jahren eine spezielle Serie von Büchern heraus, die in ihrer Herstellungsart in enger Verbindung mit jener der 1980er-­Jahre steht. Es handelt sich dabei größtenteils um mehrsprachige Dokumenta­tionen seiner Installa­tionen mit Text, Skizzen und Fotografien der Ausstellungssitua­tion in einer Auflage von meistens 500 Kopien. Die Hefte sind alle nach dem gleichen Schema hergestellt: Die Texte werden mit der Kopiermaschine vervielfältigt, die (farbigen) Abbildungen professionell reproduziert und im Schnellheftverfahren gebunden. Der charakteristische graue Papierumschlag ist mit einem Etikett versehen, auf dem Ilya Kabakov den Titel der Installa­tion und den Ausstellungsort von Hand schreibt. Diese von Nicole Seeberger so benannten Samizdat-­Imita­tionen transportieren trotz ihrer bescheidenen Erscheinung eine wichtige künstlerische Botschaft. Sie gehören zum allgemeinen konzeptuellen Programm. In dieser Fortsetzung steht das Buch „Das Leben der Fliegen“ (1992), welches mit seiner graubraunen Farbe und dem weißen Etikett auf dem Buchdeckel auf die Samizdat-­Kultur verweist. 3.5.1.2 Die Publika­tionen nach der Emigra­tion Mit seinem Aufenthalt außerhalb der Sowjetunion 1987 und der endgültigen Emigra­tion des Künstlers in den Westen ändert sich die Art und Weise seiner Buchproduk­tion und setzt sich nach seiner Niederlassung in den USA bis heute unermüd­lich fort. Kabakov publiziert offizielle Künstlerbücher der Gattungen Ausstellungskatalog, thematische und andere wichtige Vertreter der zeitgenös­sischen nonkonformistischen Kulturszene. Vgl. Kapitel 2.4. 300 Die folgende Auflistung basiert auf dem Typoskript „A List of Various Types of Edi­tions“ von Ilya Kabakov.

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Publika­tion, Werkverzeichnis und Libretto in zahlreichen Sprachen wie Rus­sisch, Eng­ lisch, Franzö­sisch, Deutsch, Japanisch etc., an deren Gestaltung (unterschieden wird ­zwischen Idee, Konzept und Layout) er direkt beteiligt ist. Kabakovs Künstlerbücher sind einfach hergestellte Bücher; entsprechend verwendet er einfache Techniken und Materialien. Die Bücher machen allgemein einen sehr unprätentiösen, manchmal einen eher pragmatischen und sogar dürftigen Eindruck. Dieses Spiel setzt er in den 1990er-­Jahren gekonnt um, wenn er für seine Künstlerbücher wie Ausstellungskataloge auch Mappen mit losen Blättern oder Schnellhefter verwendet, die in Büros, Archiven oder Schulen ihre Verwendung haben und vor allem auch an das bürokratische System der ehemaligen Sowjetunion erinnern. Mit dieser Haltung knüpft Kabakov an die Samizdat-­Kultur an; in den Worten Günter Hirt und Sascha Wonders finde näm­lich auch eine Thematisierung der Buchform als solcher statt: „Durch eine lockere Zusammenstellung in Mappen, durch die Gestaltung in Leporelloform oder durch spalten-, kolonnen- und kolumnenförmige Unterteilungen wird die festgefügte Folge der Seiten im gebundenen Buch aufgehoben, durch herausklappbare Elemente, über das tradi­tionelle Rechteck überstehende Formen oder umgekehrt durch Einschneidungen oder Auszackungen wird die Grenze des Buchs umspielt.“301

In erster Linie muss für Kabakov das Layout stimmen, was die Lesbarkeit bedeutend erhöht und den Fokus auf die Botschaft, auf den Inhalt legt. Betrachtet man beispielsweise die Werkverzeichnisse (der Installa­tionen, der Gemälde, der Künstlerbücher und der Kinderbuchillustra­tionen), ist Kabakovs Handschrift – auch als Grafiker – deut­lich herauszulesen. Dem Betrachter fällt auf, dass die Abfolgen von Text- und Bildmaterial wohlorchestriert sind. Die Abbildungen von Büchern und Gemälden auf weißem Grund werden durch eine leichte Schattierung hervorgehoben, womit ihre Physis noch zusätz­lich unterstrichen wird. Der von Kabakov vorangetriebene Kommentierungsapparat findet seinen Niederschlag in Textform, sei dies in Projektbeschreibungen, Ausstellungskatalogen oder Dokumenta­ tionen. Dementsprechend umfassend ist die Anzahl künstlerischer Publika­tionen zu den einzelnen Installa­tionen. Hier allerdings muss ­zwischen sogenannten Vor- und Nachschriften differenziert werden. Aus verschiedenen (zeit­lichen und dialo­gischen) Perspektiven werden in Form von Projektierung, Ausstellungskatalog und Dokumenta­tion die verschiedenen Teilbereiche oder konzeptuellen Aggregatzustände des Werkprozesses vor und nach der Realisa­tion analysiert.

301 Hirt/Wonders 1998, 31.

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Zur narrativen Seite zählen im Allgemeinen ein von Kabakov so bezeichneter „subjektive[r] Text“, ein „Konzept der Installa­tion“, eine „Beschreibung der Installa­tion“, ein „Text in der Installa­tion“ und schließ­lich nachträg­liche Kommentare oder Gespräche als Interpreta­tion und mög­liche Rezep­tionsrichtung.302 Auf der visuellen Seite folgen auf die Skizzen verschiedene Grundrisse, Detailentwürfe, Gesamtansichten und schließ­lich Fotografien als Dokumenta­tion der Realisa­tion in Gesamt- und Detailansichten. So beinhaltet beispielsweise die 1998 erschienene Publika­tion zum Installa­tionsprojekt Alte Brücke für die Ausstellung „3 Räume – 3 Flüsse“ in Hannoversch Münden im Herbst 2000 die Beschreibung mit Text und Skizzen.303 Im Werkverzeichnis der Installa­tionen wird die temporäre Installa­tion in der ganzen konzeptuellen, sowohl narrativen als auch visuellen Spannbreite von der Idee bis zur Ausführung verzeichnet und dokumentiert.304 Der Ausstellungskatalog zur Installa­tion Auf dem Dach, 1996, beschreibt mit Zeichnungen und Plänen die Installa­tion und enthält zahlreiche Schwarz-­Weiß-­Fotografien, die in der Installa­tion projiziert werden. Das Manuskript der Beschreibung ist ebenfalls abgedruckt.305 Ein Jahr ­später, 1997, dokumentiert der Künstler die realisierte Arbeit mit Text, Zeichnungen, Plänen, Fotografien der Installa­tion und weiteren Schwarz-­Weiß-­Fotografien.306 In der enorm produktiven Ausstellungstätigkeit ab den 1990er-­Jahren sieht sich ­Kabakov damit konfrontiert, dass die Installa­tion nach Ausstellungsende meist abgebaut wird und somit vergäng­lich ist. Dadurch gehe, so der Künstler, die „Geschichte“ des installa­tiven Artefakts verloren, vor allem aber seine eigene biografische Geschichte, die er vorher über die verschiedenen konzeptuellen Aggregatzustände aufgebaut hat. Dieser Vergäng­ lichkeit könne das Buch als Mittel und Speicher der Erinnerung entgegenwirken: „Nur die Erinnerungen daran bleiben, aber für ‚die Geschichte‘ bleibt nichts. Aber mich interessiert der Blick künftiger Genera­tionen mehr als derjenige der Zeitgenossen.“307 Das beste Mittel der Erinnerung, so Kabakov, ­seien dafür die Bücher und deren Träger, die Bibliotheken.308 In dieser Hinsicht überdauert das Buch die temporäre Form des ausgestellten Werks (besonders der Installa­tion) in der Bibliothek als „Trägerin der Bücher und des in ihnen aufbewahrten […] Wissens“309, wie es Werner Oechslin in seinem Aufsatz „Die Bibliothek, die Architektur und die ‚Architektonik‘“ formuliert. Dabei agieren die Künstlerbücher Kabakovs als Scharnierstelle ­zwischen Museum und 302 KB123 (Bd. 1), 11. 303 KB103. 304 Ilya Kabakov, Alte Brücke, 1998, KB123 (Bd. 2), 334 – 339. 305 KB87. 306 KB93. 307 KB138, 53. 308 Ebd. 309 Oechslin 2011, 49.

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Bibliothek. Beide hätten näm­lich als „Bildflächen des Wissens“310, wie es Oechslin bezeichnet, das Aufstellen und die Sichtbarmachung von Wissenswertem gemeinsam, ganz im Sinne des Ausspruchs des niederländischen Künstlers und Buchillustrators aus dem 17. Jahrhundert, Romeyn de Hooghe: „Der Sinn von dem Verfertiger des Denkbildes ist eben derselbe, als der Sinn des Redners. Man muss aus dem Werke ebenso wohl urtheilen [sic], als aus den Worten.“311 3.5.2 Die Bedeutung der Künstlerbücher In der Tradi­tion des Samizdat behaupte das Buch Zusammenhang – als „Korpus“, als „Kodex“, als „Band“, als „Chronik“, als „Geschichte“. Das Buch sei aber auch Speicher: als „Verzeichnis“, „Katalog“, „Album“, so die Herausgeber von „Präprintium. Moskauer Bücher aus dem Samizdat“312. Ilya Kabakovs Künstlerbücher stellen eine dialo­gische Verkettung verschiedenster Bedeutungen dar, mit denen er aus unterschied­lichen Perspektiven auf sein Œuvre blickt. Einmal operiert das Künstlerbuch als Ausstellungs­katalog, Dokumenta­tion, Konzept, Libretto, Verzeichnis, einmal liest es sich als theoretische Schrift wie die Bücher „Über die ‚totale‘ Installa­tion“, „Der Text als Grundlage des Visuellen“ oder „Öffent­liche Projekte oder Der Geist eines Orts“.313 Die künstlerische Aussage ist mit jeder Gattung eine andere. Und doch beziehen sich die einzelnen Publika­tionsformen aufeinander und spannen einen komplexen dialo­gischen Kosmos auf. 3.5.2.1 Ein offenes Buch Ilya Kabakovs Künstlerbücher bestehen oftmals aus verschiedenen konzeptuellen Aggre­ gatzuständen wie Text, Skizze, Zeichnung, Modell oder Abbildung der Installa­tion und eröffnen dabei verschiedene Zugänge. Damit kann sich jeder seinen eigenen Zutritt zum Œuvre Kabakovs verschaffen. Laut Gilles Deleuze und Félix Guattari ist ein Buch „aus den verschiedensten Materialien gemacht, aus ganz unterschied­lichen Daten und Geschwindigkeiten“314, so formulieren sie in „Rhizom“ (1976). Sobald man das Buch einem Subjekt zuschreibe, vernachlässige man die Arbeit der Materialien und die Äußer­ lichkeit ihrer Beziehungen. Für Deleuze und Guattari steht das Buch „in Verbindung mit anderen Verkettungen“, da es selbst aus „Verkettungen“ von verschiedensten Bedeutungen besteht, „denn beim Schreiben geht es nur darum, zu wissen, an w ­ elche andere Maschine die literarische Maschine angeschlossen werden kann, ja angeschlossen werden

310 Oechslin 2011, 48. 311 De Hooghe/Baumgarten 1744, 14, hier zit. nach: Oechslin 2011, 56. 312 Hirt/Wonders 1998, 32. 313 KB83; KB111; KB114. 314 Deleuze/Guattari 1977, 6.

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muss, damit sie funk­tioniert“315. Zudem argumentieren sie, das Rhizom mit seinen Fluchtlinien beziehe sich auf eine Karte mit vielen Ein- und Ausgängen; man müsse sie produzieren und konstruieren, immer aber auch demontieren, anschließen, umkehren und verändern können.316 Kabakov interessiert sich neben dem realisierten Werk viel mehr für die einzelnen konzeptuellen Aggregatzustände wie Text, Skizze, Zeichnung oder Modell und ihren geschicht­ lichen Zusammenhang. Sie alle funk­tionieren als gleichwertige Teile, ­welche nach Kabakov die „Geschichte eines zerstörten Baus“317 auf ihre jeweilige Wesensart perspektivisch beleuchten. Dieses Interesse spiegelt sich im Layout des Werkverzeichnisses der Installa­tionen wider, worin Kabakov der Skizze oder dem Plan oftmals einen größeren Stellenwert einräumt als der Fotografie des realisierten Werks. Der Künstler appelliert mit dieser Haltung auch an die Imagina­tion des Lesers. Auf diese Art kann sich jeder seinen eigenen Bau erstellen, seine eigene Geschichte bilden. Fragmente regen Kabakovs Phantasie an. Sie sind seiner Meinung nach die Grundsteine für die Phantasie.318 In dieser Hinsicht scheint seine Affinität zu Plänen besonders inte­ ressant: „Hierbei spielt meine Kunstschule vielleicht eine wichtige Rolle, wo es wunderbare Bücher über die römischen Katakomben, über Ruinen oder Piranesi-­Zeichnungen gab.“319 Kabakov gibt außerdem in einem Gespräch seine Faszina­tion für den futuristischen italie­ nischen Architekten Antonio Sant’Elia (1888 – 1916) preis, dessen Bauwerk hauptsäch­lich durch Skizzen überliefert ist. Ab 1913 beginnt Sant’Elia mit seinem Großprojekt, dem Entwurf der Città Nuova, einer utopischen Zukunftsmetropole. Nach seinem Tod an der Front 1916 hinterlässt er nahezu 400 Architekturzeichnungen.320 Jeder konzeptuelle Aggregatzustand eines verzeichneten Werks, sei es der Text, die Zeichnung, der architektonische Plan, das Modell oder die Fotografie des realisierten Werks, beeinflusst die Vorstellungskraft des Lesers anders. Deleuze und Guattari bezeichnen das Buch als eine „rhizomorphe“, anti-­hierarchische Organisa­tion: „Das Buch […] ist Teil eines Rhizoms, Plateau eines Rhizoms für den Leser, zu dem es passt. Die Kombina­tionen, die Permuta­tionen und Gebrauchsweisen sind dem Buch nie inhärent, sondern hängen von seinen Verbindungen mit ­diesem oder jenem Aussen ab.“321 315 Deleuze/Guattari 1977, 7. 316 Ebd., 35. 317 KB138, 55. 318 Der Künstler im Gespräch mit der Autorin, Mattituck, Long Island, 14. 01. 2009. 319 KB138, 55. 320 Interview mit Barbara Wally, 22. 4. 2002, in: KB119. In Ilya Kabakovs privater Bibliothek findet sich das Buch Antonio Sant’Elia. Gezeichnete Architektur, hrsg. v. Vittorio Magnago Lampugnani, München 1992. Vgl. auch Caramel/Longatti 2013. 321 Deleuze/Guattari 1977, 40.

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Kabakovs Werkverzeichnis der Installa­tionen stellt ein solches mög­liches Plateau für den Leser dar. Dementsprechend sind die Einstiegs- oder Zugangsmög­lichkeiten in sein Werk variantenreich. Es ist durch die verschiedenartigen konzeptuellen Aggregatzustände aus mehreren Perspektiven zugäng­lich und fassbar. Deleuze und Guattari proklamieren dazu die „offene Karte“, die in allen ihren Dimensionen verbunden, demontiert und umgekehrt werden könne, sie sei ständig modifizierbar. Vielleicht sei es, meinen sie weiter, eines der wichtigsten Merkmale des Rhizoms, viele Eingänge zu haben.322 Kabakov hingegen formuliert es noch treffender. Nach ihm müsse die Suche nach persön­licher Individualität, an die sich zu wenden sinnvoll sei, eine offene und eine freie sein. Er ist der Meinung, der Künstler müsse ein offenes Buch schreiben, dann werde er auch den Betrachter finden, den er suche.323 Für Kabakov ist das Künstlerbuch ein Medium, im Sinne von Michel Foucault eine „Werkzeugkiste“324, aus der sich jeder Leser sein Instrument heraussuchen kann. Er selbst lässt sich die Freiheit offen, ein Buch in der gewohnten Leserichtung zu lesen. Im Gegensatz zur „horizontalen“, Seite für Seite fortschreitenden Leserichtung sticht er gegebenenfalls auch vertikal in die Tiefe, wenn er Fragmente oder Kapitel daraus liest, um so den Charakter oder die Charaktere zu begreifen.325 Ein Beispiel dafür ist die bereits beschriebene Installa­tion Fliege mit Flügeln, ­welche sich wie ein offenes Buch mit den einzelnen Kapiteln liest. Wobei der Künstler bemerkt, dass es kein Nacheinander gebe, „jedes Objekt“ funk­tioniere als geschlossene Einheit.326 In ähn­licher Bauart gestaltet sich auch die Installa­tion Ausstellung eines Buches, 1989, die aus dem Inhalt eines seiner thematischen Künstlerbücher besteht. Um den oktogonalen Hauptraum in der Mitte gliedern sich je zwei rechteckige Räume. Die Ausstellung beginnt im Zentrum mit Ilya Kabakovs Künstlerbuch „Die Kunst des Fliehens“327, wobei das Buch nicht phy­sisch greifbar ist. Es wird auf einem Sockel unter einer Plexi­glashaube auf einem Support als klas­sisches Ausstellungsstück präsentiert. Das Künstlerbuch beinhaltet 322 Deleuze/Guattari 1977, 21. 323 KB116, 187. 324 Vgl. Foucault 1976, 53. 325 Dieses Vorgehen nennen die Medhermeneuten eine „Explika­tion der Beziehungstechnik“. Sylvia Sasse erklärt, der Text, der sich aus den einzelnen zufällig gefundenen Bausteinen ergebe, sei zwar in seiner Zusammensetzung zufällig, die Bausteine aber ­seien nicht frei von Verbindungen, ­welche die Inspektoren der Medizinischen Hermeneutik mit den einzelnen zufällig gewählten anderen Bausteinen eingehen. In der „Explika­tion der Beziehungstechnik“ existiere die Kultur als ein System von Verwandtschaftsbeziehungen und kommentiere sich fortlaufend selbst und gegenseitig. Dieses Geflecht, so Sasse weiter, sei nichts anderes als eine medhermeneutische Form der Intertextualität, die versuche, die inneren und äußeren Diskursmechanismen, ihre Koali­tionsangebote, die Komplizenschaft und das Liebäugeln mit anderen Texten zu beschreiben und zu demonstrieren. In: Sasse 2003, 312. 326 KB138, 56. Vgl. Kapitel 3.1. 327 KB47.

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die Dialoge von Ilya Kabakov und Boris Groys über „Angst“, „Stimmen“, „Personen“, „ŽĖK“, „Der Westen“, „Kommunalwohnung“, „Leere“, „Müll“ und „Flucht“, ­welche die beiden im Vorfeld der Ausstellung geführt haben und die wichtige Th ­ emen in Kabakovs Œuvre behandeln. Die Wände aller fünf Ausstellungsräume sind in Augenhöhe mit den Manuskriptseiten des vorliegenden Buchs tapeziert. Auch hier existiert keine Leserichtung. Es ist vielmehr ein dialo­gisches Wandern durch die Räume, in denen die Grenzen ­zwischen Zeit und Raum aufgehoben sind. Dieses Wandern vergleicht Ilya Kabakov mit einer Eisenbahnlinie, wobei jedes Thema eine Sta­tion dieser Eisenbahnlinie darstelle.328 Das Wandern gestaltet sich wie eine por­ tionierte Zeitreise, die sich räum­lich über Kabakovs Leben in der Sowjetunion erstreckt und Deleuzes und Guattaris Begriff des „Nomadisierens“ als Bewegung aufnimmt.329 Die installative Zeitreise in Sta­tionen ruft aber auch die von Kabakov praktizierte vertikale Leserichtung ins Gedächtnis, wenn er sich beim Lesen etwa Fragmente oder Kapitel, „Sta­tionen“, herausgreift. In der jeweiligen Sta­tion erhalten wir durch das Lesen Informa­tionen. „Das erinnert zum Teil an den Zustand eines Menschen, der ein Buch liest. Er steckt selbst halb in ­diesem Buch, taucht darin ein, wohin ihn der Autor schickt“330, formuliert Kabakov in der Einleitung zu seiner theoretischen Schrift „Über die ‚totale‘ Installa­tion“ und unterstreicht damit die Literarizität seiner Installa­tionen, die sich auch wie Bücher lesen. Dieses Vorgehen erinnert an den Projektentwurf des Letzten Rus­sischen Romans (1996) der Medhermeneuten Pavel Pepperštejn und Sergej Anufriev. Die Installa­tion basiert zwar nicht auf einem Roman oder Buch wie Kabakovs Ausstellung eines Buches, sondern sie thematisiert das Lesen selbst. Man hält sich gewissermaßen räum­lich im Text auf wie im Raum Kapitel 13, an dessen Flügeltüren ein Text angebracht ist. Im Innern des Kapitels finden sich die inhalt­lichen Requisiten, neben ein paar Skiern ein Sessel und ein kleiner Schrank mit einem darauf stehenden Lämpchen. Der spär­lich ausgestattete Raum wird zum Körper, zum Textkörper, wohingegen bei Kabakov der Raum zum vielstimmigen Leseraum wird. Kabakovs Künstlerbücher funk­tionieren wie Installa­ tionen und umgekehrt.

328 KB27, o. S. 329 Vgl. Deleuze/Guattari 1977. 330 KB83, 15.

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3.6 Zusa mmenfassung Kabakov lässt sich aus heutiger Sicht nicht mehr so einfach in seiner offiziellen Tätigkeit als Kinderbuchillustrator und in seiner inoffiziellen künstlerischen Arbeit auseinanderhalten. Diese beiden ehemals divergenten Welten hängen vielmehr zusammen, was auch der Künstler Jahre ­später nach seiner Emigra­tion in den Westen nicht mehr verneint. Seine Existenz als Kinderbuchillustrator prägt seine künstlerische Arbeit nachhaltig. Entscheidend für die gegenseitige Durchdringung offizieller und inoffizieller Tätigkeit ist, dass Ilya Kabakov in den Redak­tionen der Kinderbuchverlage andere Illustratoren kennenlernt, die ebenfalls ihren Weg in der Nonkonformität gehen. Dadurch bestärkt, findet er zu seiner eigenen künstlerischen Identität. Bedeutende Impulse für sein künstlerisches Arbeiten erhält Kabakov auch durch einige Mitglieder der Lianozovo-­ Künstlergruppe, denen er ebenfalls in den Verlagen begegnet und die er schließ­lich auch in ihrer prekären Wohnsitua­tion in einer Barackensiedlung außerhalb Moskaus besucht. In seinem Vokabular als Illustrator sind einige prominente Motive und ­Themen wie etwa das Verhältnis z­ wischen Bild und Text zu finden, die er auch als Künstler verwendet. Werden diese Motive übernommen oder teilweise gar als Vorlage benutzt, wird für Kabakov das Verhältnis ­zwischen Bild und Text zur eigent­lichen Grundlage seines konzeptuellen Arbeitens. Dabei kann bereits von einem dialo­gischen Verhältnis gesprochen werden, das ­zwischen diesen beiden Tätigkeiten besteht. Das Dialo­gische bei Ilya Kabakov zeigt sich auf mehreren Ebenen und in unterschied­ lichen Dimensionen, das veranschau­licht die Kabakov’sche Fliege mit ihren verschieden eingenommenen Flug- und Landperspektiven. Das Insekt funk­tioniert in seinen Eigenschaften als Metapher für das Dialo­gische bei Kabakov. Kabakov entwickelt sein Œuvre in chronolo­gischer Reihenfolge ­zwischen Vielheit und Einheit, von der Zeichnung über das Album und Gemälde zur Installa­tion. Sowohl bei Bachtin als auch bei Kabakov zeichnet sich das Dialo­gische durch Offenheit, fortlaufende Veränderung, Unabgeschlossenheit, horizontale Beziehungsebene und Polyperspektivität aus. Einzelne Werke fügt er zu Serien zusammen, s­ eien dies anfäng­lich Zeichnungen, die ­später zu Alben zusammengefasst werden oder einzelne Albumblätter, die als Vorlage für Gemälde dienen und die wiederum zu weiteren Ordnungen gruppiert werden. Diese Verkettungen von einzelnen Werken stellen einen Dialog dar. Diese Emanzipierung vom Kleinen zum Großen hat aber auch mit den sich veränderten Bedingungen zu tun, die sich Kabakov nicht zuletzt mit der Emigra­tion in den Westen schafft. Kabakovs Nähe zu Bachtins Dialo­gischem zeigt sich nicht nur in Text-, sondern (ansatzweise) auch in Bildform. Der Künstler schafft frei­lich auch einen großen visuellen Dialog ­zwischen den einzelnen Bildwerken, so wie es Bachtin für den polyphonen Roman Dostoevskijs sieht. Genauso wie mit dem dialo­gischen Wort bei Bachtin, das sich an ein anderes wendet und ­dieses bereits in sich trägt, verhält es sich bei Kabakov

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auch mit dem dialo­gischen Bild, das sich an ein nächstes richtet und ­dieses folgende gleichzeitig schon in sich trägt. Dabei kommt es zu einer dialo­gischen Verkettung, in der jedes einzelne Glied, jedes einzelne Bild auch für sich alleine, als eigenständiges Kunstwerk bestehen kann. Genauso wie Bachtin spricht Kabakov von dialo­gischen Ketten, wenn er seine Albumblätter ­zwischen Einheit und Vielheit reflektiert. Ähn­liches lässt sich auch auf Kabakovs Gemäldeserien anwenden, die sich ebenfalls durch dialo­gische Verkettungen auszeichnen. Der Text in Kabakovs Werken ist dem Bild äquivalent. Der Text spannt mit dem Bild ein narratives Bezugsfeld auf, in das sich diverse Meinungen und Kommentare, Interpreta­tionen und Analysen einfinden und den Betrachter in diesen Meinungs­ pluralismus miteinschließen. Diese Interak­tion wird von Kabakov zum eigent­lichen Werk inszeniert, sei dies in den Alben, Gemälden oder den späteren Installa­tionen, immer mit der Voraussetzung, dass die Äußerungen als gesprochene Stimmen verstanden und wahrgenommen werden. Sind es erst Kabakovs fiktive „Personagen“, Alter Egos des Künstler, die sein Werk kommentieren und mit denen sich Kabakov selbst dialogisiert, folgen mit den Jahren weitere Figuren, außenstehende Personen wie Freunde und Weggefährten, Kunsthisto­ riker und Kuratoren. Die systematische Strategie der Selbstkommentierung basiert auf dem speziellen Verhältnis z­ wischen Kabakov und seinen Stimmenfiguren, die dabei – wie auch bei Bachtin ­zwischen Autor und Held – nicht deckungsgleich sind. Sie stehen sich ohne Hierarchie und Machtgefüge auf gleicher horizontaler Ebene in wechselseitiger Beziehung gegenüber. Diese Gleichwertigkeit findet sich auch z­ wischen den einzelnen konzeptuellen Aggregatzuständen einer Idee, also ­zwischen Text, Skizze, Zeichnung, Modell oder Installa­tion. Entsprechend wird mit den einzelnen konzeptuel­ len Ausführungen, aber auch mit den Kommentaren eine Polyphonie von Meinungen generiert, deren Anzahl an Stimmen sich in seinem Werk bis heute unermüd­lich fortsetzt und zwischenzeit­lich zu einem komplex verflochtenen Kommentierungsapparat angewachsen ist. Die „Personagen“ dienen Kabakov aber auch als Pseudonyme, mit denen er wegen des Berufsverbots eine neutrale Posi­tion einnimmt und hinter denen er sich als Künstler verstecken kann. Mit den Meinungen auf Widerruf kann er selbst immer wieder eine neue (Deutungs-)Richtung einschlagen, sich der vormaligen Gültigkeit entziehen und die gemachte Aussage neutralisieren. Der momentane Standpunkt ist dabei nur provisorischer Natur. Dies zeigt sich auch in der beziehungsreichen Werkstruktur, die sich ständig verändert und weiterentwickelt. Zu Kabakovs dialo­gischem Konzept zählen auch die Künstlerbücher ­zwischen inoffi­zieller Samizdat- und offizieller Publika­tionskultur. In Kabakovs vorangetriebener Buchproduk­tion der Gattungen Ausstellungskatalog, thematische Publika­tion, Werkverzeichnis und Libretto in zahlreichen Sprachen werden die einzelnen konzeptuellen

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Aggregatzustände, die prozessartige konzeptuelle Entwicklung ­zwischen Idee und Realisierung dokumentiert, verzeichnet und für die nachfolgenden Genera­tionen gespeichert. Den Künstlerbüchern und Kabakovs Kunstschaffen ist gemein, dass beide auf das Lesen hin ausgerichtet sind, allerdings mit offenem Zugang und verschiedenartigen Einstiegsmög­lichkeiten. Neben den Büchern als Speicher seiner Kunst spielt das archivarische Verfahren in Kabakovs Werk eine allgemein wichtige Rolle. Diese Tendenz kann schon früh beobachtet werden und nimmt mit den Jahren eine immer größere und wichtigere Posi­ tion ein. Kabakov thematisiert das Archiv nicht nur in den Werkverzeichnissen der Kinderbuchillustra­tionen, Installa­tionen, Gemälde und Künstlerbücher, sondern auch explizit mit und in seinen Werken. Kabakovs Œuvre ist durch und durch dialo­gisch, das veranschau­lichen schließ­lich die Werkverschachtelungen, die er immer wieder vornimmt, um bestimme Zusammenhänge, Beziehungen oder Zustände sichtbar zu machen. In d ­ iesem vom Künstler bezeichneten „Matrëška-­System“ geht es immer auch um das Verhältnis ­zwischen Mikro- und Makrokosmos, ­zwischen Innen- und Außensicht, Subjektivität und Objektivität, Individuum und Gemeinschaft, deren verschiedene Bereiche Kabakov zu einem dialo­gischen Weltmodell amalgamiert.

4 Ilya Kabakovs intertextuelle Bezüge „Die rus­sische Literatur gibt mir die Mög­lichkeit, von einem bestimmten stabilen Ideal auszugehen.“1 Ilya Kabakov, 1991

Bachtins Dialogizitätskonzept beruht vor allem auf dem Dialog, auf der Polyphonie der Stimmen innerhalb eines literarischen Textes, der, wie er es bezeichnet, aus einem „Mikro­ kosmos der Redevielfalt“2 besteht. Im vorhergehenden Kapitel sind diese inneren, dialo­ gischen Bezüge basierend auf Bachtins Philosophie eingehend auf verschiedenen künstlerischen Ebenen Ilya Kabakovs diskutiert worden. Neben diesen inneren, werkimmanenten Bezügen finden sich in Kabakovs Werk auch äußere Bezüge. Er setzt den Dialog auch mit „fremden Texten“ fort.3 Dazu gehören vereinzelte Zitate aus der Literatur, die er seinem Werk inkorporiert. Und noch viel weitergehend: Er stellt auf verschiedene Art und Weise intertextuelle Bezüge ­zwischen seiner Kunst und der Literatur her. Dazu zählen insbesondere Schreibweisen von Autoren, mit denen er sich vergleicht, die er sich aneignet oder deren Art er seinem Œuvre inkorporiert, – und dazu zählt frei­lich auch die dem Werk zugrunde liegende Struktur des literaturwissenschaft­lichen Dialogizitätsprinzips von B ­ achtin. Es finden Romanstrukturen von Gogol’, Dostoevskij oder Čechov ihren künstlerischen Niederschlag in Kabakovs Œuvre. Sein Werk könnte ein literarisches Konglomerat von Gogol’, Dostoevskij oder Čechov und anderen Autoren wie Marcel Proust oder Robert Musil sein. Kabakov stellt damit aktiv eine „Beziehung zur [literarischen] Tradi­tion“ her.4 Der Künstler streicht den literarischen Charakter seiner Werke auch selbst hervor. Er bezieht sich selbst unter anderen auf die Schriftsteller Nikolaj Gogol’, Anton Čechov, Michail Zoščenko, Viktor Erofeev, Evgenij Popov und Vladimir Sorokin, ­welche er für die Entwicklung der rus­sischen Literatur und mitunter auch für sein eigenes, literarisch geprägtes Kunstschaffen als maßgebend sieht.5 Kabakov spricht im Zuge der gesonderten Textpublika­tion der Zehn Personen 19786 über sein Vorgehen: „Von der Literatur her (besonders der rus­sischen) stammt das Erzählerische der Alben, das Sujet, das Vorhandensein eines Helden, vor allem aber, dass es einfach grosse Mengen von Text, fremdem oder vom Autor verfassten, gibt.“7

1 KB47, 54. 2 Bachtin 1979, 290. 3 Vgl. Lachmann 1982a. 4 Vgl. Gasparov 1982. 5 KB47, 54. 6 KB3. 7 KB74, 91.

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Kabakov betont damit die Literarizität seiner Alben, vor allem aber sein intertextuelles Vorgehen. Dabei könne sich ein „zusammenhängendes, unzerreissbares Netz bilden, in dem ein Knoten den anderen nach sich zieht (ähn­lich dem einheit­lichen Gedächtnisfeld bei Proust)“.8 Kabakov spielt auf das vielschichtige literarische Bezugsfeld an, das ­Proust in seinem Romanwerk „A la recherche du temps perdu“ aufspannt und das für den Künstler gleichfalls programmatisch ist:9 „Allmäh­lich bedeckten sich die Räume meines Gedächtnisses in dieser Weise mit Namen, die sich ordneten und zusammenfügten in Beziehung zu anderen, und untereinander immer zahlreichere Verknüpfungen eingingen, so dass sie jene vollendeten Kunstwerke nachahmten, in denen kein einziges Tüpfelchen nur für sich besteht, sondern jeder Teil abwechselnd von den anderen her seinen Daseinsgrund erhält wie er andererseits den ihrigen bestimmt.“10

4.1 Autorsch aft vs. Autor losigk eit: Die Suche nach dem Stil Mit den Literaturaneignungen und -inkorporierungen von Romanstrukturen und Schreibweisen, hinter denen sich Ilya Kabakov geradezu „versteckt“, fragt sich, um wessen Autorschaft es sich nun handelt. Wer ist der Autor und vor allem wo ist der Autor? Welche Posi­tion nimmt der Künstler damit ein? Wo und vor allem wer ist Kabakov? Die Diskussion um die Stellung des Autors gehört zum allgemeinen künstlerischen Programm des Moskauer Konzeptualismus und spielt in Kabakovs Œuvre eine ebenso bedeutende Rolle. Einerseits generiert Kabakov als „Künstler als handelnde Figur“11 – eine Bezeichnung von ihm selbst – mit den verschiedenen konzeptuellen Aggregatzuständen einer Idee wie Beschreibung, Text der Installa­tion, Kommentar in Dialogform, Skizze, Zeichnung, Modell, Installa­tion oder Architektur ständige Blick- und Richtungswechsel auf sein Werk. Andererseits gehört das Oszillieren z­ wischen seinen einzelnen „Personagen“12, ­zwischen Künstler oder Interpret ebenfalls zu seiner dialo­gischen Werkstruktur und passt in die von Monastyrskij im Gespräch mit Kabakov hinzukommenden Begriffsfindungen wie der „Zuschauer als Figur“, der „Kritiker als Figur“ oder „Ideologie als Figur“13. ­Kabakov dialogisiert sich mit all diesen Figuren selbst. Er verleiht sich mit ihnen eine Stimme und macht seine Werke damit vielstimmig.

8 KB116, 53 – 54. 9 Vgl. Kapitel 4.3.2.1. 10 Proust 2002; die hier zitierte Stelle folgt aus: Proust 2000 (Bd. 1), 1964. 11 Vgl. KB20. 12 Vgl. Kapitel 3.4.6. 13 Monastyrskij 1999, 94.

Autorschaft vs. Autorlosigkeit  |

Kabakov spricht meist vom Autor, nicht vom Künstler: „Es gibt den Autor der Installa­tion, den Regisseur, den Direktor und die verschiedenen fikti­ ven Autoren der Texte, den Philosophen, den Philologen, den einfachen Besucher, und jeder gibt seine Meinung ab. Aber im Grunde bist du immer das Mäuschen, das sich durch alles hindurchfressen muss – und kein anderer. […] ich sehe alles, aber mich soll man nicht darin sehen … Dies relativiert noch einmal die Posi­tion des Autors.“14

Auch bezeichnet er sich im Zusammenhang mit der Verwendung von Texten in seinen Installa­tionen als „rus­sische[n] Autor“.15 Die Debatte um die Autorschaft im Moskauer Konzeptualismus steht aus der Sicht von Sylvia Sasse im Zusammenhang mit dem „sprachlosen, kollektiven Subjekt in der totalitären Gesellschaft“16. Stephan Küpper verortet die Autorlosigkeit bei Kabakov ebenfalls im Sozia­listischen Realismus und bezieht sich „auf den Verlust der auf ein individuelles Subjekt verweisenden kreativen Originalität, Aufrichtigkeit und Authentizität zugunsten der Illustra­tion der vom Staat dekretierten Wirk­lichkeit“17. Die programmatische Autorlosigkeit Ilya Kabakovs kann aber auch genutzt werden, um sich der Aufsichts­behörde zu entziehen. Seine Alter Egos dienen ihm auch als Mittel gegen das Berufsverbot als Künstler. Die ständigen Standort- und Richtungswechsel gehören ebenso dazu wie die Aneignung und Inkorporierung von Romanstrukturen und Schreibweisen rus­sischer Schwergewichte aus der (klas­sischen) Literatur. Dabei kann Kabakov immer wieder die eigene Autorschaft unterwandern und sich selbst verstecken. Im Zusammenhang mit einer Notiz Bachtins aus seinen Aufzeichnungen der 1960erund 1970er-­Jahre bedenkt Sylvia Sasse überdies, dass das dialo­gische Verhältnis von Autor und Held noch einen anderen Aspekt von Autorschaft zum Vorschein bringe.18 Der Autor wie auch der Held reagiere mit seinem Wort stets auf ein fremdes Wort. Das antwortende Reagieren beziehe sich nicht nur auf ein einzelnes Wort, sondern auf ganze Autorschaften: „Die Autorschaftsformen und insbesondere die ihnen entsprechenden Tonlagen sind im Wesent­lichen tradi­tionsgebunden und reichen weit in die Vorzeit zurück. Sie erneuern sich in neuen Situa­tionen. Sie können nicht erfunden werden, genauso wenig wie die Sprache erfunden werden kann.“19

14 15 16 17 18 19

Ausst.Kat. Bremen 1998, 22. KB83, 17. Sasse 2003, 171. Küpper 2000, 41. Sasse 2010, 58 – 59. Bachtin 2002, 371, hier zit. nach: Sasse 2010, 59.

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Und an einer anderen Stelle ist bei Bachtin zu lesen, die „Suche des Autors nach dem eigenen Wort“ in ­diesem Sinne sei eine Suche nach dem Genre, nach Stil und Perspektive.20 Diese „Suche nach dem Genre“, nach „Stil und Perspektive“ ist auch bei Kabakov deut­lich herauszulesen, wenn er sich und seine Arbeitsweise in die Tradi­tion der klas­ sischen rus­sischen Literatur stellt, sich andere Schreibweisen von Schwergewichten aus der Literatur des 20. Jahrhunderts künstlerisch aneignet oder „in der Art von“ seine Werke generiert. Dabei untergräbt er seine eigene Autorschaft oder künstlerische Identität ebenso, wie er sich damit eine gewisse schon gesicherte, festgeschriebene und vor allem eine konforme Identität inkorporiert. Kabakov liegt damit vollends in der Zeit. Die Hinterfragung der Autorschaft Ende der 1960er-­Jahre setzt im Zuge der damaligen poststrukturalistischen Theorien wie jenen von Roland Barthes („Der Tod des Autors“, 1967) oder Michel Foucault („Was ist ein Autor?“, 1969) ein, eine Zeit, die auch K ­ abakovs künstlerische Entwicklung entscheidend mitprägt.

4.2 Intertextualität: Ein „Mosaik von Zitaten“ Die Reaktivierung von Bachtins Theorien in den 1960er- und 1970er-­Jahren findet schließ­lich auch außerhalb der sowjetischen Grenzen ihre Wahrnehmung und zukunftsweisende Interpreta­tionen. Die bulgarische Literaturwissenschaftlerin Julia Kristeva (geb. 1941) lernt Ende der 1960er-­Jahre die damals kurz zuvor auf Rus­sisch erschienenen Schriften von Bachtin kennen. Kristeva, die 1965 von Sofia nach Paris emigriert, stellt 1967 seine Theorien in einem Seminar von Roland Barthes vor und verfasst darauf den zukunftsweisenden Aufsatz „Das Wort, der Dialog und der Roman“21. Basierend auf Bachtins Modell der Dialogizität entwickelt Kristeva den Terminus der Intertextualität, der in den Grundzügen den „Bezug von Texten auf andere Texte“22 beschreibt. Bachtin gehöre zu den ersten, fasst Kristeva zusammen, die die statische Zerlegung der Texte durch ein Modell ersetzten, in dem die literarische Struktur nicht sei, sondern sich aus der Beziehung zu einer anderen Struktur herstelle, was sich auch bei Kabakov beobachten lässt. Diese Dynamisierung des Strukturalismus, formuliert Kristeva weiter, werde erst durch eine Auffassung mög­lich, nach der das „literarische Wort“ nicht ein Punkt (nicht ein feststehender Sinn) sei, sondern eine Überlagerung von Text-­Ebenen, ein Dialog verschiedener Schreibweisen: der des Schriftstellers, der des Adressaten (oder auch

20 Bachtin 2002, 412, hier zit. nach: Sasse 2010, 59. 21 Julia Kristeva, Bakthine, le mot, le dialogue et le roman, erstmals publiziert in der 1946 von Georges Bataille gegründeten Zeitschrift „Critique“ im April 1967, worin auch frühe Texte von Roland Barthes, Maurice Blanchot, Jacques Derrida und Michel Foucault abgedruckt sind. Vgl. Kristeva 1978. 22 Broich/Pfister 1985, S. IX.

Intertextualität |

der Person), der des gegenwärtigen oder vergangenen Kontextes.23 Allerdings kommt sie zum Schluss, dass das Wort (der Text) Überschneidung von Wörtern (von Texten) sei, in der sich zumindest ein anderes Wort (ein anderer Text) lesen lasse. So baue sich jeder Text als „Mosaik von Zitaten“ auf, jeder Text sei „Absorp­tion und Transforma­tion eines anderen Textes“.24 Dieses Textgefüge nennt Kristeva „Intertextualität“. Zur selben Zeit spricht Roland Barthes in seinem Aufsatz „Der Tod des Autors“ (1967) vom Text, der ein „Gewebe von Zitaten“ aus unzähligen Stätten der Kultur sei.25 Der Text bestehe aus einem vieldimensionalen Raum, in dem sich verschiedene Schreibweisen, von denen keine einzige originell sei, vereinigen würden. Barthes plädiert für eine neue Sichtweise und für ein Umdenken, denn die Erklärung eines Werkes werde stets bei seinem Urheber gesucht. Entsprechend fordert er, „die Sprache [langage] an die Stelle dessen zu setzen, der [le langage] bislang als ihr Eigentümer galt.“26 So sei es nach Barthes unmög­lich, „ausserhalb des unend­lichen Textes zu leben – ob dieser nun Proust oder die Tageszeitung oder der Fernsehschirm ist“27. Mit dem von Julia Kristeva eingesetzten Begriff der Intertextualität wird einerseits die Debatte um die Autorschaft radikalisiert, andererseits aber vor allem die Übertragung, „die Interferenz von Texten“ diskutiert. So werden in den darauffolgenden Jahren mit den Begriffen wie „Subtext“, „Hypotext“, „Hypertext“, „Anatext“, „Paratext“, „Intertext“, „Transtext“, „Text im Text“ die „Aspekte der komplexen Erscheinung des Text-­ Text-­Kontakts“ bezeichnet und gleichzeitig „die Komplementarität und Interferenz der Perspektiven“ beglaubigt, schreibt die Literaturtheoretikerin Renate Lachmann.28 „Der intertextuell organisierte, seine punktuelle Identität aufgebende Text“, so Lachmann weiter, „stellt sich durch ein Verfahren der Referenz (dekonstruierend, summierend, rekonstruierend) auf andere Texte her.“29 Ilya Kabakov tritt mit seinen künstlerischen Aneignungen und Inkorporierungen aus der Literatur in Dialog mit anderen, vergangenen und zeitgenös­sischen Schreibweisen, ähn­lich wie er seine alternative Kunstgeschichte mit Charles Rosenthal, Ilya Kabakov und Igor Spivak schreibt. Er transformiert diese auf unterschied­liche Art und Weise in seine Kunst. 23 Kristeva 1978, 346 f. 24 Ebd., 348. 25 Roland Barthes, La mort de l’auteur, in: Manteia, Nr. 5 (1968), Marseille, 12 – 17; eine eng­lische Übersetzung erschien davor unter „The Death of the Author“, in: Aspen, Nr. 5/6 (1967), New York; auf Deutsch unter „Der Tod des Autors“, in: Barthes 2000, 190. 26 Ebd., 187. 27 Barthes 1986, 53 f. 28 Lachmann 1990a, 55 – 56. 29 Ebd., 57.

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Demnach ist zu fragen: Wie und vor allem was transformiert Kabakov in sein Œuvre? Welche Art von Transforma­tionen stellt er her? Wie zeigen sich diese in seinem Werk? Was passiert dabei mit seinem Werk? Es folgt zunächst eine Darstellung der damaligen politischen und soziokulturellen Atmosphäre, die in der Sowjetunion und vor allem in Ilya Kabakovs Umkreis geherrscht und die sicher­lich auch zu dieser intertextuellen Textkultur und zum ausgeprägten literarischen Bewusstsein in der Moskauer Konzeptkunst geführt hat.

4.3 Liter ar ische Bezüge im Werk Ilya K abakovs Kabakov durchlebt in seiner Aktivität als inoffizieller Künstler die relativ stabile Brežnev-­ Periode z­ wischen 1964 und 1982, eine Zeit der zähen Stagna­tion verbunden mit aufkeimenden Hoffnungen. Trotzdem erlaubt das rigide System keine phy­sische Flucht, der Bewegungsspielraum ist stark begrenzt. Der Sowjetbürger ist gefangen im eigenen Land, im totalitären System. Diese Einkapselung vergleicht der Künstler mit einem Bathys­ kaphen, einem Tiefsee-­U-Boot  30, oder umgekehrt mit einer Weltraumrakete: „Alles ist so gemacht, dass du an allen Punkten deines Bewusstseins geschützt, verhängt, abgeschlossen bist: mit durchsichtigen Fenstern, damit du dich orientieren kannst, nicht in eine Grube fällst oder an eine Wand schlägst, aber abgeschlossen von dem Einfluss der Umwelt auf dein inneres Modell. Das führt zu einer unwahrschein­lichen Hermetisierung der inneren Welt.“31

Kabakov sagt, er sei manchmal drauf und dran gewesen, wegzulaufen, aber irgendeine irra­tionale Kraft habe ihn buchstäb­lich an seinen Platz gefesselt.32 Aus dieser phy­sischen Hermetisierung zu entfliehen, wird mit geistiger (Einbildungs-)Kraft mög­lich. Um zu überleben, entwickelt Kabakov eine besondere Art des „Entfliehens“ und des „Rückzugs“, ein „Konzept des inneren Exils“33. Dieses Konzept gestaltet sich durch das Praktizieren eines fiktiven und utopischen Gedankenraums wie zum Beispiel Kabakovs Mann, der aus seinem Zimmer in den Kosmos flog oder das Projekt Eine Tür an der Decke, ­welche nach Aussage des fiktiven Psychiaters E. Strachovskij aus Dnepropetrovsk zur Stimulierung der

30 Kabakov spricht auch von der „Unterwasserwelt“, in der die Moskauer Künstler „zu Zeiten der Sowjet­ union“ lebten. In: Jolles 1997, 8. 31 KB91, 74. 32 Ebd., 77. 33 Slavická 1995, 22. Ein solches Konzept des „inneren Exils“ habe seine Tradi­tion in der rus­sischen Literatur, es sei sozusagen ihr ma­gischer Zug.

Literarische Bezüge im Werk Ilya Kabakovs  |

eigenen Ideen verhelfen soll. Ebenso das Projekt Konzentra­tion im Schrank, worin sich der Schriftsteller V. Kornejčuk aus Ulan-­Ude zwecks Konzentra­tion in den Kleiderschrank zurückzieht.34 Seine Überlebensstrategie sieht Kabakov im Entwickeln von immateriellen „Flucht- und Rückzugsplänen“ wie bei Dostoevskijs Beamtem aus den „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“, der sich „für alles ein edles Hintertürchen zugelegt“35 hat, in der Tat aber völlig handlungsunfähig ist.36 Ilya Kabakov erklärt, man habe nicht auf die äußere, sondern auf die eigene innere Welt geblickt und ­dieses Fragment für das Ganze und die inneren Phantasien von der Außenwelt für die tatsäch­liche Realität gehalten.37 Diese Umkehrung fordert eine gewisse schizoide Haltung, die zu einem totalen Realitätsverlust führen kann, wie das Kabakov beschreibt: „Bei denjenigen, die es nicht wagten, der Angst ins Auge zu blicken, und das war die Mehrheit, bewirkte dies die Flucht in andere – irreale – Sphären, eine Beschäftigung mit dem, was man als metaphy­sisches Bewusstsein bezeichnen kann, ein Abdriften in irgendwelche Bereiche, die weit über unserer Erde liegen, weit über jenem furchtbaren Ort, an dem die Furcht regiert, in ferne Gebiete, Höhen, Abgründe etc.“38

Entsprechend charakterisiert der Künstler Pavel Pepperštejn die Schizophrenie und die Depression als einen kulturellen Zustand. Diese „kulturelle Depression“ in Bezug auf Pepperštejns Aussage sei eine Krankheit, die durch die Unmög­lichkeit weiterer Unter­ drückung im Unbewussten entstehe, erläutert Sylvia Sasse. Sie sei der permanente Zustand des Subjekts im totalitären Diskurs.39 Und Boris Groys beschreibt die „Schizophrenie des typischen Sowjetmenschen“ mit „gespaltenen Persön­lichkeiten, bei denen Persön­ liches vom Öffent­lichen scharf abgegrenzt ist“40. Kabakov bezeichnet sich und seinen inoffiziellen Künstlerkreis als „fensterlose Monaden“, die wohl im Nichts schweben und doch über alle universellen Parameter verfügen. Den Ursprung dieser positiven Eigenschaft sieht der „Russe ohne Fenster“41, wie er sich zu jener Zeit auch bezeichnet, trotz all der bedrückenden Umstände im sowjetischen Bildungs- und Erziehungssystem. Zur kommunistischen „Anerziehung“ der jungen 34 Es handelt sich um das 63. Projekt (Eine Tür an der Decke) und um das 11. Projekt (Konzentra­tion im Schrank) aus Ilya Kabakovs Palast der Projekte. Diese beiden Werkbeispiele schlägt auch Sylvia Sasse vor in: Sasse 2010a, 52. 35 Dostoevskij 2006, 67. 36 Vgl. auch Raskolnikovs „Zimmer als Schrank“ aus Dostoevskijs „Verbrechen und Strafe“. 37 KB116, 220 – 222. 38 Ebd., 269. 39 Sasse 2003, 366. 40 Groys 1991c, 62. 41 KB91, 74.

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Genera­tion gehört neben einem straffen ideolo­gischen und wissenschaft­lichen Fächer­ katalog auch die Vermittlung eines geistig-­kulturellen Universalismus. Kabakov seinerseits nennt es das „Goethe-­Prinzip“, welches an das Humboldt’sche Bildungsideal aus dem 19. Jahrhundert erinnert oder an den Universalgelehrten Athanasius Kircher aus dem 17. Jahrhundert.42 Dank ­diesem vom Staat diktierten und kontrollierten Bildungssystem hat die sowjetische Gesellschaft Zugang zu „einige[n] wenige[n] erhaltene[n] ‚Oasen‘“ 43, die Kabakov als „Museum“, „Philharmonie“ und „Lesesaal“ bezeichnet und die somit einen kulturellen Kosmos von bildender Kunst, Musik und Literatur umspannen. Die Literatur dient mitunter zur Erziehung des Volkes ganz im Sinne des Diktums Stalins. Kabakov erinnert sich, dass die sowjetische „Schulkultur“ ausschließ­lich in der Buchkultur bestanden habe.44 In den schön ausgestatteten Lesesälen sei die ganze Bandbreite der klas­sischen Literatur griffbereit gewesen. Daraus entwickelt Kabakov wie so manch anderer seiner Zeitgenossen eine große Affinität zum Lesen und zum Buch überhaupt – auch weil es die sehr viele freie Zeit zugelassen hat. Das Lesen weitet den geistigen Horizont und rettet vor der phy­sischen, vor allem aber auch vor der psychischen Eingeschlossenheit in der damaligen Zeit. Für ihn existiert ­zwischen den Buchdeckeln eine andere, eine bessere Welt. Das Buch vermittelt ihm trotz des allseits proklamierten ideolo­gischen Wir-­Gefühls eine individuelle Identität und ein kulturelles Bewusstsein: „Für mich ist das gedruckte Buch seit Gutenberg wie ein tiefer Brunnen, worin die Leute nach Wasser wie nach Wissen suchen.“45 Diesen (begrenzten) Mög­lichkeiten entsprechend orientieren sich Kabakov und der Kreis der Moskauer Konzeptualisten einerseits an der klas­sisch rus­sischen Literatur des 19. Jahrhunderts – zum bevorzugten Lesestoff gehören auch die Klassiker der deutschen Romantik wie E. T. A. Hoffmann, Novalis, die Brüder Schlegel und Schelling 46 –, anderer­seits an der verbotenen (nichtsowjetischen) Literatur der Gegenwart. In der Samizdat-­Kultur existieren wohl Übersetzungen fremdsprachiger Literatur, wobei der Besitz dieser verbotenen Bücher immer ein wagnisreiches Unternehmen bedeutet, wie das die Autoren von „Präprintium. Moskauer Bücher aus dem Samizdat“ (1998) nachzeichnen.47 Zu bedenken ist, dass einige inoffizielle Schriftsteller wie Rubinštejn oder Sorokin zum Kreis der Moskauer Konzeptualisten zählen und den wechselseitigen Diskurs

42 KB138, 59. 43 Ebd. 44 Ebd. 45 Ebd., 62. 46 Zur deutschen Romantik in Bezug auf Kabakov vgl. Kapitel 6. „1968 – 1970. Of Russian Romantics“, in: Wallach 1996, 47 – 52. 47 Hirt/Wonders 1998, 24.

Literarische Bezüge im Werk Ilya Kabakovs  |

z­ wischen zeitgenös­sischer Kunst und Literatur wesent­lich beeinflussen. So werden von den Moskauer Konzeptualisten die klas­sisch chine­sischen Romane „Reise in den Westen“ (Wu Cheng’en, 16. Jh.) und „Der Traum der roten Kammer“ (Cao Xueqin, 18. Jh.) verehrt. Thomas Manns „Zauberberg“ wird gar als Kultbuch gehandelt.48 Insbesondere die Motive des Schnees 49, des Traums, der Zeitwahrnehmung, aber auch des eingebildeten Kranken, der Gegensatz ­zwischen Gesundheit und Krankheit, Leben und Tod, z­ wischen „Eingeschlossenheit“ und „Abgeschlossenheit“50 von der übrigen Welt in Manns „Zauberberg“ hinterlassen große Spuren bei den Künstlern wie Ilya Kabakov, Andrej Monastyrskij mit den Kollektiven Ak­tionen außerhalb Moskaus im Schnee oder der Gruppe der Medizinischen Hermeneutik um Pavel Pepperštejn (­Pivovarov). Letzterer leitet sein Pseudonym von Mynheer Peeperkorn, der Romanfigur aus dem „Zauberberg“, ab. In Kabakovs Werken wie Das Krankenhaus. Fünf Bekenntnisse (1997), Das weisse Bild. Die Klinik (1998) oder Unter dem Schnee (2007) klingen die oben genannten Motive an. Im Gegensatz zur rus­sischen Malerei des 19. Jahrhunderts, ­welche als veraltet und rückständig gegolten und gemäß Kabakovs Aussage kein brauchbares künstlerisches Modell dargestellt habe, ist die Literatur des 19. Jahrhunderts in den inoffiziellen Kreisen hoch beliebt.51 4.3.1 Bezüge zur rus­sischen Literatur aus dem 19. Jahrhundert Kabakov stützt sich in seinem künstlerischen Werk auf einige literarische Schwer­gewichte der rus­sischen Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts, welches mit der Symbolgestalt Puškin beginnt und 1904 mit dem Tod Čechovs und 1910 mit jenem von Tolstoj an der Schwelle zur Moderne sein Ende nimmt. Im Vordergrund stehen dabei Nikolaj Gogol’ (1809 – 1852), Fëdor Dostoevskij (1821 – 1881) und Anton Čechov (1860 – 1904).52 48 Thomas Manns gesammelte Werke erscheinen 1959 in rus­sischer Sprache. 49 Im Kontext des Kapitels „Schnee“, aber auch im gesamten Roman ist die weiße Masse nicht positiv konnotiert. Der Schnee wird vielmehr als bedroh­liches Element dargestellt und von Thomas Mann mit dem Tod assoziiert. Vgl. dazu Bensch 2004, 95 – 97. Ilya Kabakov verarbeitet das Schnee-­Motiv beispielsweise in seiner Arbeit Unter dem Schnee, 2007. Vgl. KB130. 50 Matthew Jesse Jackson verweist nicht nur auf Thomas Manns „Der Zauberberg“, sondern auch auf Hermann Hesses „Das Glasperlenspiel“. Beide Protagonisten, argumentiert Jackson, sowohl Hans Castorp als auch Joseph Knecht, “[…] live in cloistered abodes secluded from the world, immersed in atmospheres of intense cultural transmission: Castorp in a humanistic Davos sanatorium, Knecht in a ‘province of the spirit’ called Castalia […].” In: Jackson 2010, 109. 51 KB138, 60. 52 Besonders der kosmopolitisch agierende Adel Anfang des 19. Jahrhunderts trägt mit seiner hochkulti­vierten Salonkultur und den neu gegründeten Literaturzirkeln viel zur Stärkung des literarischen Bewusstseins jenes Jahrhunderts bei. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts werden zahlreiche euro­päische Klassiker wie beispielsweise Rousseaus „Julie ou la Nouvelle Héloïse“ (1769), Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“

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I­nsbesondere die Stilformen des „Phantasmagorischen“ und der „Erörterung“ ­dieses literarischen Dreigestirns erwähnt der Künstler in seiner Erklärung über das Phänomen des „Konzeptualismus in Russland“, d. h. über die Besonderheit des Moskauer Konzeptualismus und vor allem über die Charakteristik seines eigenen Œuvres.53 In Abgrenzung zum west­lichen Konzeptualismus, w ­ elchen Kabakov als „Idee von ‚qui pro quo‘ – ‚das eine anstatt des anderen‘“54 bezeichnet, existiere und funk­tioniere bei ihnen ­dieses Prinzip nicht. Vor allem deshalb nicht, weil in dieser Formel kein eindeutig bestimmbares zweites Element, das „andere“, vorhanden sei. Kabakov stellt hierfür die These auf, dass d ­ ieses zweite Element der Formel – Vorstellung, Idee, Faktum, Gegenstand – „drüben“ von Anfang an existiert habe, bei den Moskauer Konzeptualisten aber vage und unbestimmbar sei, wobei sowieso zu bezweifeln sei, ob es bei ihnen überhaupt existiere: „In so einer Situa­tion ist es besonders interessant, die Konstruk­tion ‚a statt b‘ anzuführen, wenn ‚b‘ gar nicht existiert, und im Gegensatz zum west­lichen Konzeptualismus eine unteilbare Unbekannte – die Leere – darstellt. Daraus ergibt sich ein erstaun­liches Paradox, ein Nonsens: Unweiger­lich treten die Gegenstände, Ideen, Fakten in direkte gespannte Beziehung zum Vagen, Unbestimmbaren; in Wirk­lichkeit aber in Beziehung zur Leere.“55

Diese „Berührung, Nähe, Überschneidung, Angrenzung“ – der „Kontakt mit dem Nichts, mit der Leere“ – bedeutet für Kabakov das Hauptmerkmal des „rus­sischen Konzeptualismus“56. In d ­ iesem Zusammentreffen von „etwas“ mit „dem Nichts“ greift er auf die beiden Stilformen des „Phantasmagorischen“ und der „Erörterung“ bei Gogol’, Dostoevskij und Čechov zurück, w ­ elche der Künstler auch mit seinem eigenen konzeptuellen Kunstschaffen in Verbindung bringt. „In ­diesem Sinne verdient es diese ästhetische Erscheinung vielleicht, zum Kunststil Konzeptualismus gezählt zu werden. Unsere lokale Denkweise könnte man (1781) oder Richardsons Briefroman „Pamela, or Virtue Rewarded“ (1787) ins Rus­sische übersetzt und vom gebildeten Adel auch in Originalsprache gelesen. Auch finden zu jener Zeit Nachahmungen aus der franzö­sischen, eng­lischen und deutschen Literatur ihren Niederschlag, wie beispielsweise die „Russkaja Pamela“ („Die rus­sische Pamela“, 1789) von Petr L’vov, „Verterovy čuvstvovanjia, ili Nesčastnyj M-v“ („Werthers Empfindungen oder Der unglück­liche M-v“, 1793) von Aleksandr Klušin oder der „Russkij Verter“ („Der rus­sische Werther“, 1801) von Michail Suškov. Vgl. Städtke 2002, 118, 122 – 129. 53 KB50, 129. 54 „Das Wirkungsprinzip des west­lichen Konzeptualismus könnte man als Idee von ‚qui pro quo‘ – ‚das eine anstatt des anderen‘ – bezeichnen. Eine wesent­liche Voraussetzung ist dabei die allgemeine ­Kenntnis von ­diesem ‚anderen‘ für unsere weiteren Ausführungen. Das ist die Hauptsache. Darin liegt die ursprüng­liche konkrete Gegenständ­lichkeit des west­lichen Konzeptes. Das, was ersetzt wird, ‚ist‘ von vornherein, und jedermann weiss, dass es existiert.“ In: Ebd., 125. 55 Ebd., 129. 56 Ebd.

Literarische Bezüge im Werk Ilya Kabakovs  |

daher von Anfang an ‚Konzeptualismus‘ nennen. Wir haben einfach noch nicht gewusst, dass wir schon lange in ‚Prosa‘ sprechen.“57 Kabakov unterstreicht und bestätigt damit die Literarizität seiner Kunst und stellt sich mit der künstlerischen Aneignung und Inkorporierung dieser Schreibweisen in die Tradi­tion der rus­sischen Prosa. Nachfolgend werden diese beiden Stilformen aus der Sicht des Künstlers besprochen. Dabei geht es vor allem um die literarische Sichtbarmachung dieser beiden Begriffe in Ilya Kabakovs Konzeptkunst. 4.3.1.1 Nikolaj Gogol’s phantasmagorische Figuren Für Ilya Kabakov ist es insbesondere die „Phantasmagorie der trügerischen Gogol’schen Figuren“58, ­welche er mit der Moskauer Konzeptkunst in Verbindung bringt, sich im erweiterten Sinn aber auch in der damaligen politischen Situa­tion widerspiegelt. Er spricht von den „klaffenden Abgründen“, die sich hinter jeder der handelnden Personen Gogol’s auftäten. Doch ist er der Meinung, dafür sei die Bezeichnung „Personen“ nicht geeignet, „weil diese ja niemanden personifizieren, wenngleich sich auch eine oberfläch­liche Gleichsetzung dieser ‚Personen‘ mit Gutsbesitzern, Kaufleuten und Beamten sehr schnell aufdrängt“.59 Gogol’ male Einzelheiten und Details aus, damit diese „Personen“ nahezu mit denjenigen übereinstimmten, die sie personifizierten und meisterhaft satirisch darstellen sollten, anstatt derer sie in den Text eingehen würden. Durch die „plastischen und genau durchgearbeiteten Details entsteht der Eindruck, als verberge sich hinter ihnen rein niemand und nichts!… Buchstäb­lich, im schreck­lichsten Sinne des Wortes, niemand und gar nichts!“60, so Kabakov weiter. „Eine Sache, eine Idee, ein Vorsatz, eine Tat werden nicht gleichermaßen mit Sachen, Ideen, Vorsätzen, Taten konfrontiert, sondern mit … [sic] dem Nichts, mit der Leere, mit dem klaffenden Abgrund.“61 Dieser „Kontakt mit dem Nichts“, diese „Beziehung zur Leere“, wie es Kabakov einleitend bereits als markanten Unterschied ­zwischen der west­lichen und der Moskauer Konzeptkunst formu­liert hat, zeichnet das künstlerische Verfahren der Moskauer Konzeptualisten nach. Andrej Monastyrskij seinerseits beschreibt die Tätigkeit seiner Gruppe als eine „Reise ins Nichts“, denn: „Unsere gesamte Tätigkeit kann man, kurz gesagt, als eine ‚Reise ins Nichts‘ charakterisieren.“62 Der geschilderte Alltag in Gogol’s „Petersburger Erzählungen“ (außer „Das Porträt“), ca. 1831 – 1841, ende jeweils im Chaos, im Wahnsinn oder einfach im Nichts, führt Klaus Städtke aus. Ohne see­lischen Innenraum ­seien die Figuren ledig­lich Hüllen oder Simulakren menschlicher Existenz, Funk­tionen grotesker Sprachspiele des Autors, hält Städtke

57 KB50, 133. 58 Ebd. 59 Ebd. 60 Ebd., 129. 61 Ebd. 62 Andrej Monastyrskij in Kollektive Ak­tionen 1998, 115, hier zit. nach: Sasse 2003, 136.

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weiter fest.63 Gleich verhält es sich mit Kabakovs „Personagen“, die stimm­lich wohl anwesend, aber doch nicht greifbar sind. Eher fliegen sie davon, lösen sich auf oder halten sich im Schrank auf. Es gibt für diese „Personagen“ keine Entsprechung in der Realität. Es wird auch von Gogol’s „Lust an der Maskierung und Verkleidung“64 gesprochen, ­welche seinen Erzählungen immanent ist. Er nimmt darin immer wieder andere Rollen ein und verberge sich nach Bodo Zelinsky „hinter verschiedensten Masken, so dass seine Identität als Person verloren zu gehen scheint“65. So wie der Erzähler z­ wischen den Formen seiner Rede hin und her wechsle und mal mehr, mal weniger präsent sei, so ändere er fortwährend seine Darstellungsweise in Bezug auf die Figuren und insbesondere den Helden des Romans, so Zelinsky weiter.66 Hinter jeder handelnden Gogol’schen Figur öffnet sich ein „klaffender Abgrund“ im Sinne einer Nichtexistenz, was auch auf die fiktiven Figuren Kabakovs zutrifft, wie er selber beschreibt.67 Die zehn „Personagen“, oder Rosenthal, Spivak, Koshelev und wie sie alle heißen, existieren nur an der Oberfläche.68 Oft wirken selbst Kabakovs „totale“ Installa­tionen wie Phantome, die sogleich wieder verschwinden oder gar nicht anwesend zu sein scheinen, wie beispielsweise Der Palast der Projekte mit seiner luftigen Konstruk­ tion. Bezugnehmend auf den Konzeptualismus, auf „ein beliebiges Konstrukt als ästhetisches Kunstwerk“69, spricht Kabakov von einem in der Luft hängenden Gegenstand: „Dank seinem In-­sich-­geschlossen-­Sein, dank des Fehlens der Fenster und des Ausgangs aus sich selbst heraus, nach irgendwohin, kann das Kunstwerk eben von allen Seiten betrachtet und beschrieben werden wie ein in der Luft hängender Gegenstand, wie ein sich selbst genügendes Ding, wie ein phantastisches Gebilde, wie eine mit nichts verbundene, in nichts verwurzelte, aus nichts hervorgehende Neigung zu gigantischen globalen Spekula­tionen.“70

Gogol’s satirische, humorvolle und groteske Sprachbilder hallen in den narrativen Werken Kabakovs wieder. Gogol’s Erzählungen wechseln ­zwischen fiktiven und realen Darstellungen, künstlerischer Eingebung und realer Vorlage, „Sinn und Un-­Sinn“. Unter der Einwirkung der franzö­sischen Romantik und der Verwendung von „Trivialsujets“ und „kursierende[n] Anekdoten“71 zeichnet Gogol’ einerseits das z­ eitgenös­sische 63 Städtke 2002, 157. 64 Zelinsky 2000, 34. 65 Ebd., 36. 66 Ebd., 37. 67 KB50, 129. 68 Vgl. Kapitel 3.4.6. 69 KB50, 133. 70 Ebd. 71 Murašov 1984, 165.

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Milieu nach. Andererseits greift er auf folkloristische Tradi­tionen zurück, in denen er ­zwischen den verschiedenen Gattungen wie Märchen, Legende und Lied changiert, oder er nimmt die Gestalt des Skomoroch, des altrus­sischen Spaßmachers und volkstüm­ lichen Erzählers, und das ukrainische Puppentheater (vertep) und dessen spezifische Komik wieder auf.72 Mit Letzterem kommt der aus der Ukraine stammende Gogol’ durch seinen Vater als Arrangeur und Textdichter am Leibeigenentheater schon früh in Berührung. Das Gogol’sche Verfahren der „Verding­lichung“ ist auch in Kabakovs Œuvre zu finden. Dinge wie Müllgegenstände oder Hausratsobjekte werden selbstständig, wie zum Beispiel in Gogol’s Erzählung „Der Nevskijprospekt“, wo man im Durcheinander dieser Promenade anstelle von Menschen auf einmal „Schnurrbärte“, „Hütchen“, „Kleidchen“ oder „Tüchlein“ wahrnimmt, aber auch „dünne, schmale, nicht dicker als ein Flaschenhals geformte Taillen“, oder wo man Damenärmeln wie „Luftballons“ begegnet.73 Oder in der Erzählung „Die Nase“, worin die Nase des Majors Kovalëv auf Wanderschaft geht und in der Uniform eines Staatsbeamten ihr Unwesen treibt. Auch vergleicht Kabakov die Bilder der 1960er-­Jahre mit jenen Damen bei Gogol’, „die sich während der Vorbereitung auf einen Ballbesuch der Hoffnung hingeben, dass die anderen Gäste ihre Augenbrauen und ihr Kinn zwar bemerken, den Hals, die Nase und andere unvorteilhafte Details aber übersehen werden“.74 Wenn er ein Bild betrachte, so der Künstler weiter, dann sehe er deut­lich, was sein Kollege damit sagen wollte, aber das ganze riesige „Übrige“ [sic] habe er dabei nicht bedacht, er wisse sozusagen nicht, was er damit machen solle, und hoffe, dass auch er nicht darauf achten werde. Dennoch aber existiere es auf dem Bild, auch wenn der Künstler es nicht zeige.75 An diese vollzogene Verding­lichung und Verselbstständigung von Gogol’s Körperteilen erinnern Kabakovs Gemäldeserie mit Küchenutensilien (Abb. 11), aber auch die Hausratsobjekte und Müllgegenstände, die mit Zettelchen und Kommentaren aus dem Alltag versehen sind: „Gleich fange ich zu bügeln an… [sic]“, „Wenn es Sommer wird, machen wir die Fenster auf und putzen dann alle…“, „…Aus ihrem Zimmer stinkt’s bestia­lisch…“, „…Halten Sie [sic], ich will ihn stürzen, nur bitte fester… nehmen Sie die Hand weg!…“76 Mit diesen Kommentaren werden die Objekte personifiziert und verding­licht. Ihre wahrhafte Existenz wird noch mit der von Gogol’ in die rus­sische

72 Vgl. Städtke 2009; Lauer 2000a. 73 Gogol’ 1984a, 11. 74 KB116, 286. 75 Ebd. 76 Kommentare aus der Installa­tion Die Gemeinschaftsküche, 1991, KB123 (Bd. 1), 321. Vgl. auch Ilya Kabakovs Installa­tion In der Gemeinschaftsküche, 1991.

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Prosa eingeführten Erzählform des skaz’, ­welche den Eindruck münd­licher Rede simuliert,77 besiegelt. Gleichzeitig erinnert das Gogol’sche Verfahren der Verding­lichung an eine Anekdote aus Kabakovs inoffiziellem Leben, ist es d ­ iesem in seinem damaligen Kellergeschoss­atelier doch ähn­lich ergangen wie den Menschen auf dem Nevskijprospekt. Im Fenster, welches beinahe auf Bodenniveau eingebaut ist, sieht er Fußknöchel vorbeihuschen: „Das Klappern nähert sich erst, schliess­lich ist es dann auf gleicher Höhe mit dem oberen Rand unserer kleinen Fenster […], ein paar wunderbare Knöchel huschen vorbei… alles Übrige blieb unseren Blicken verborgen, wir brauchten es nur in unserer Vorstellung weiter zu zeichnen […]“78 Kabakovs polyperspektivische Kommentierungsart vergegenwärtigt die Gogol’schen Erzählkommentare. Klaus Städtke hält in Bezug auf Gogol’s Novelle „Der Mantel“ fest, die Deutung der Geschichte und ihres „niederen“ Helden falle je nach Wahl des Standpunkts (Sozia­lkritik, Psychoanalyse, Formalismus u. a.) unterschied­lich aus, und diese Vieldeutigkeit rühre zum Teil aus dem Fehlen einer zentrierenden Erzählperspektive.79 Gogol’ nimmt im Schlussteil der Erzählung „Die Nase“ selbst Stellung zu seiner Geschichte und kommentiert darin die zeitgenös­sische Ablehnung seiner Prosa. Der Autor nimmt damit einen Perspektivenwechsel vor: „Doch am merkwürdigsten, am unverständ­lichsten von allem ist, dass Autoren derlei Sujets überhaupt wählen können. Ich gestehe, das ist für mich zu hoch, das ist geradezu… nein, nein, ich kann es überhaupt nicht verstehen. E ­ rsten hat das Vaterland nicht den geringsten Nutzen davon; zweitens… aber auch zweitens hat es keinen Nutzen. Ich weiss einfach nicht, was das bedeuten soll… […] Doch indessen und trotz allem könnte man andererseits wiederum vielleicht dennoch ­dieses oder jenes oder manch anderes davon zugeben und sogar… ja, zum Kuckuck, wo gibt es denn keine Ungereimtheiten? Und wenn man alles genau überlegt, ist doch sicher­lich an alledem etwas dran. Sag, was du willst, aber derartige Ereignisse kommen vor auf der Welt – zwar selten, aber sie kommen vor.“80

Damit endet die Erzählung mit einem Kommentar des Verfassers. Wobei er sogleich die Angelegenheit mit der Nase bagatellisiert und den Nutzen einer solchen Geschichte untergräbt und in die Leere laufen lässt. 77 78 79 80

Vgl. dazu Murašov 1984, 175; Ėjchenbaum 1988; Vinogradov 1988. KB116, 38. Städtke 2002, 159. Gogol’ 1984b, 115 – 116.

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Diese Kommentierungsart trifft genauso gut auf Kabakovs Œuvre zu. Auch er schafft mit den verschiedenen konzeptuellen Aggregatzuständen – Idee, Text, Skizze, Zeichnung, Modell, Gemälde oder Installa­tion – eine Vieldeutigkeit mit offenem Ausgang. Einmal tritt Kabakov als Künstler, Autor, ein anderes Mal als Kommentator oder Theoretiker auf. Oder er schafft „Personagen“, die für ihn arbeiten oder am Ende sein Werk kommentieren und analysieren. Damit ändert Kabakov immer wieder seinen Standpunkt und treibt mit dieser Stimmenvielfalt die sprach­liche Erörterung seines Werks unend­lich voran und schließ­lich in die unend­liche Leere. 4.3.1.2 Fëdor Dostoevskijs Schreibweise der verkettenden Erörterungen Dostoevskijs Schreibweise der „Erörterung“ setzt Kabakov mit den dialo­gischen Verfahren der Moskauer Konzeptkunst und somit auch seines eigenen Œuvres gleich. Die Hauptbestandteile der Romane Dostoevskijs s­ eien nach Kabakov unend­liche, zügellose Erörterungen und vor allem Erörterungen seiner selbst: „In den Romanen findet man mal kurze, mal lange, mal ungeheuer grosse Girlanden, Ketten dieser Erörterungen.“81 Jeder Dostoevskij-­Leser kenne aus eigener Erfahrung jenen Zustand, wenn er glaube, der Faden und damit auch die Mög­lichkeit, die Entwicklung der ursprüng­lichen Idee zu verfolgen, sei fast schon verloren, so der Künstler weiter.82 Für Kabakovs Œuvre von weiterer Bedeutung sind die folgenden Darstellungen des Künstlers über Dostoevskijs Schreibstil, dass näm­lich der Leser selbst durch diesen beschriebenen Zustand in den Prozess eines beziehungsreichen Systems miteinbezogen werde: „Er [der Leser] wird in den Prozess selbst [sic] einbezogen, und den Prozess der vielstufigen, vielschichtigen Verweise, Abschweifungen, Bezugnahmen, zusätz­licher Randbemerkungen, Antworten auf vorausgehende Verweise… [sic]“83 Der Rezipient seiner Kunst befindet sich auf der gleichen Stufe, auf der gleichen horizontalen Ebene wie der Künstler. Durch die Einbeziehung des Betrachters wird der Kommentar, die Erörterung über das Werk erweitert und fortgesetzt. Gleichzeitig bilden die verschiedenen konzeptuellen Aggregatzustände Ilya Kabakovs eine Kette von „Erprobungen einer Idee“.84 Jeder Aggregatzustand, Text, Skizze, Zeichnung, Modell, Installa­tion oder Architektur, erprobt mit seinen Mitteln eine Idee und bildet dabei ein Netz von „Bezugnahme auf Bezugnahme“,85 wie es Kabakov hinsicht­lich Dostoevskijs beschreibt. Wobei jedes Kettenglied wiederum Kommentare, Interpreta­tionen, Verweise usw. hervorbringt und somit Bezugnahme auf Bezugnahme folgt. Auf Dostoevskij bezogen, so Kabakov weiter, könne man diesen Strom, oder vielmehr Wasser­fall, einerseits mit der 81 KB50, 131. 82 Ebd. 83 Ebd. 84 Ebd. 85 Ebd.

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literarischen Tradi­tion der „Erprobung einer Idee“, mit der Menippea vergleichen.86 Die satirische Menippea wird von Bachtin mit Dostoevskijs Schreibweise in Verbindung gebracht. Andererseits lasse er sich mit dem unend­lichen Nebel von Ermittlungen, dem Alptraum eines Verhörs, quälenden, ausweglosen Behördengängen in Verbindung bringen, wo die Schlinge einer „Bezugnahme“ sich mit der Schlinge des anderen „Antrages“ verknote und ein wider­liches Netz bilde, aus welchem keiner der Helden sich herauswinden könne: „Hier liegt weniger die Erforschung der ursprüng­lichen Idee vor, als die unend­liche, ausweglose Widerspiegelung einer ‚Meinung‘ in der anderen, eines ‚Standpunktes‘ im anderen.“87 ­Kabakov formuliert mit anderen Worten Bachtins Prinzip der Dialogizität, welches seinem Œuvre zugrunde liegt. Gerade im Bachtin’schen Dialog steht diese „Wechselwirkung“ z­ wischen den einzelnen Meinungen und „ihre Beziehung“ im Vordergrund, die sich durch Unabgeschlossenheit und Unend­lichkeit charakterisiert.88 Dieser Dialog findet jedoch keinen endgültigen Abschluss, keine Meinung ist die erste oder die letzte, sie ist ledig­lich „ein Glied einer Kette“89. Kabakov bezeichnet dies als ein „Meinungsspiel“ in ungeheuer­lichem „Ausmass und Gestalt“.90 Dieses Spiel der verschiedenen Ansichten von Meinungen wiederholt sich auch in ­Kabakovs Werk. Der einzelne konzeptuelle Aggregatzustand wird kommentiert, interpretiert und analysiert. Wobei der Künstler dafür samt seinem eigenen Kommentar auch fiktive oder reale Meinungen anderer Personen, Künstlerfreunde und Wissenschaftler sprechen lässt wie Dostoevskij auch. Allerdings, und darauf legt Ilya Kabakov Wert, entsteht dieser Teufelskreis von Urteilen, Meinungen, Ansichten erst dann, wenn diese am Ende jeder Kette haltmachen und an die Leere stoßen würden: „Dann näm­lich schliessen sich die ‚Meinungen‘ kurz, und immer wieder stellt sich die Wiederholung des tristen und hysterischen Kreislaufes von neuem ein, dabei in immer neuen Kreisen.“91 Dostoevskijs Figuren und Erzählungen prägen sich stark in Kabakov ein. So findet er zum Beispiel in den „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ (1864) oder in Fürst Myškin aus dem „Idiot“ (1867 – 1869) literarische Entsprechungen für seine jahrzehntelange aussichtslose Situa­tion als inoffizieller Künstler im Moskauer Untergrund. Dostoevskijs Myškin ist durch seine „kindhafte“, „unschuldige“, „intuitiv wissende“ Art schutzlos der Umwelt ausgesetzt.92 Seine Ideale und seine Menschlichkeit treiben ihn an den Rand der Gesellschaft. Er wird als däm­licher Idiot abgetan und scheitert schließ­lich an seiner eigenen 86 KB50, 131. Vgl. Kapitel 4. „Besonderheiten der Gattung und der Sujetkomposi­tion in den Werken Dostoevskijs“, in: Bachtin 1985, 113 – 201. Vgl. dazu auch Kapitel 10. „Die Menippea: Der Text als gesellschaft­liche Tätigkeit“, in: Kristeva 1978, 366 – 370. 87 KB50, 131. 88 Vgl. Bachtin 1985 und die Ausführungen zu Kapitel 3. 89 Bachtin 2002, 394, hier zit. nach: Sasse 2010, 89. 90 KB50, 131. 91 Ebd. 92 Städtke 2002, 201.

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Unzuläng­lichkeit. Dieses von Dostoevskij realistisch dargestellte Menschenbild in der Person des Fürsten Myškin wirkt stark auf Ilya Kabakov ein. Ebenso der ehemalige Beamte aus den „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ (1864), der aus seinem zurückgezogenen Leben in einer Kellergeschosswohnung bei St. Petersburg berichtet und über sein Verhältnis zur Welt philosophiert. In Selbstgesprächen, die nach den Analysen von Klaus Städtke einen „fiktiven Leser oder Zuhörer“ miteinbezögen,93 gibt er Folgendes von sich preis: „Im Augenblick zum Beispiel bedrückt mich ganz besonders die Erinnerung an ein weit zurückliegendes Ereignis. Vor einigen Tagen tauchte sie in mir auf und will seither nicht weichen, wie eine lästige Melodie, die einem nicht aus dem Sinn gehen will. Solche Erinnerungen gibt es bei mir zu Hunderten; von Zeit zu Zeit steigt eine von ihnen auf und quält mich. Nichtsdestoweniger muss ich sie loswerden. Aus irgendeinem Grund glaube ich, dass ich sie los bin, sobald ich sie niedergeschrieben habe. Warum sollte man es nicht versuchen?“94

Die „Aufzeichnungen“ interessieren insbesondere deshalb, weil sie an Ilya Kabakovs „Aufzeichnungen über das inoffizielle Leben in Moskau“ (2001) aus den 1960er- und 1970er-­ Jahren erinnern, eine wichtige Niederschrift, auch zum Verständnis seines künstlerischen Werks.95 Darin bezeichnet der Künstler seine inoffizielle Existenz als „Kellerloch[dasein]“96. Zu Beginn seiner künstlerischen Tätigkeit teilt Kabakov mit seinem Freund Ülo ­Sooster die erste Ateliergemeinschaft in einem feuchten Keller Moskaus: „Im Herbst [1962] fanden wir das erste unserer drei gemeinsamen Ateliers an der Taganka in der Malye Kamenščiki-­Strasse – die Leiterin der Hausverwaltung hatte Mitleid mit uns, und wir bezogen einen schreck­lichen Keller, der so feucht war, dass im Laufe eines einzigen Tages ein riesiger wider­licher weisser Pilz am Stuhlbein wachsen konnte. […] Sooster und ich verbrachten zwei Jahre im Atelier an der Malye Kamenščiki-­Strasse. Im Herbst 1964 begann man ­dieses Haus abzureissen, und nachdem die Leiterin der Hausverwaltung wieder Mitleid mit uns hatte, wies sie uns einen anderen, im Übrigen genauso finsteren und feuchten Keller zu, der in einem einstöckigen Haus gegenüber des Majakovskij-­Museums an der Taganka lag.“97

Im Gegensatz zum ausgedienten Beamten Dostoevskijs verweigern sich Sooster und Kabakov nicht dem Leben. Es sind vielmehr die äußer­lichen, politischen Faktoren, ­welche Kabakov und andere Kunstschaffende zur Isola­tion zwingen. 93 94 95 96 97

Städtke 2002, 200. Dostoevskij 2006, 49. KB116. Ebd., 294. Ebd., 26, 32.

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4.3.1.3 Anton Čechovs sprechende Figuren Die Romanhelden in Čechovs Texten würden nicht leben, sondern sprechen, so K ­ abakovs wichtigste und gewichtigste Aussage über diesen Autor im Vergleich zum Rus­sischen Konzeptualismus und seinem eigenen Œuvre. Darin wird Kabakovs Defini­tion von Stimmen deut­lich, die seiner Ansicht nach nicht als geschriebene, sondern als gesprochene Worte funk­tionieren würden.98 Damit verweist Kabakov indirekt auch auf Bachtin und dessen sprach­liche Auffassung von Dostoevskijs Romanen als einem großen Dialog. Im Gegensatz zu Dostoevskijs Helden würden hingegen jene von Čechov laut Kabakov nichts aufklären, nichts erörtern, „ihre Texte stehen nicht im Konflikt zueinander und bilden keine verbindenden Dialogketten“99. Ihre „Worte“ s­eien ruhig und träge und in ein und demselben Rhythmus fast parallel zueinander, irgendwohin nach oben in die Luft gerichtet, analysiert Kabakov.100 Klaus Städtke nennt es Dialoge des „Aneinander-­vorbei-­Redens“, ­welche sich insbesondere in Čechovs Dramen („Die Möwe“, „Onkel Vanja“, „Drei Schwestern“, „Der Kirschgarten“) niederschlagen würden: Es gebe keine Helden mehr, nicht einmal Akteure, die ihr Reden und Handeln verantwort­lich selbst bestimmen könnten. Die Figuren würden oft aneinander vorbei reden oder mitten im Gespräch in einen lauten inneren Monolog versunken scheinen. Nicht das vordergründige Geschehen, sondern die psycholo­gische Introspek­tion bilde das Zentrum der Dramen.101 Reinhard Lauer spricht in ­diesem Zusammenhang von „gestörter Kommunika­tion, die oftmals durch Čechovs typische Pausen, also Nullstellen des Kommunizierens, vertextet wird“102. Ähn­liches erfahren wir zum Beispiel in Kabakovs Albenserie der Zehn Personen, hier am Textbeispiel aus dem 2. Album Der Spassvogel Gorochov, worin sich Stimme an Stimme reiht und doch auch für sich selbst steht. „[…] 2. ER SAGT: Meine Eltern und die Eltern meiner Eltern waren vor der Revolu­tion Clowns und Spassmacher. Meine Tante war Clown in Taganrog, mein Grossvater in Tiflis, und mein Vater war Clown und Exzentriker in Kiew. In unserer Familie sind viele komische Geschichten und Spässe von ihnen erhalten, die ich sorgfältig sammle und aufbewahre. Manche finde ich noch heute zum Lachen.

98 KB50, 131. 99 Ebd. 100 Ebd. 101 Städtke 2002, 132, 239, 240. 102 Lauer 2000, 444.

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3. Gorochov: KOMISCH. ,Wieso finden Sie das nicht komisch?‘ ,Ich gehöre zu einer anderen Organisa­tion.‘ Witz 4. Gorochovs erstes Album: VON LEV GLEBOVIČ. ,Sonne, bedecke dich!‘ sagte ich mit Donnerstimme. Alle hoben die Köpfe. Die hell leuch­ tende Scheibe begann langsam zu schrumpfen. M. Twain ,Yankees in King Arthur’s Court‘ […]“103

Dieses Agieren in einer Einheit und gleichzeitige Funk­tionieren als Vielheit war bereits Gegenstand eingehender Erörterungen der verschiedenen konzeptuellen Ebenen von Kabakovs Werk in dieser Arbeit.104 Zugleich spricht Kabakov von einer „allgemeinen Leere“, die bei Čechovs Texten von Anfang an präsent sei.105 Dessen Texte, begründet Kabakov weiter, ­seien keine Antworten auf andere Texte, gesprochene Worte s­ eien keine Repliken auf andere gesprochene Worte. Jede Aussage erklinge der Reihe nach, fülle die nächste Pause an wie stetig fallende Wasser­ tropfen: „Das Empfinden von allgemeiner Leere entsteht nicht, wie bei Dostoevskij, am Schluss [sic] der ‚Prüfung‘, am Schluss der Suche, sondern ist ursprüng­lich präsent, wie die Vorbedingung in einer Rechenaufgabe.“106 So umfasse ­dieses ursprüng­liche Empfinden von Leere beinahe räum­lich alle Worte, Taten, Posen dieser Figuren. Die Leere stehe hinter allem, was mit ihnen geschehe, dennoch würden sie reden: „Sie reden, um diese Leere aufzufüllen und um nicht zuzulassen, dass sie auf der Bühne neben ihnen hervortritt, um nicht zu ertrinken, nicht zu verschwinden in ihrem lautlos surrenden Gräuel.“107 Ans Ende seiner Erklärung setzt Kabakov mit der unbestimmten 3. Person Singular den folgenden Schlusssatz, als ob es eine Aufforderung an sich selbst sei: „Man muss reden, ununterbrochen reden, ein endloses Netz aus Wörtern, Phrasen, Meinungen weben, das von Anfang an jedes Sinnes entbehrt.“108 Das endlose Weben eines Netzes ist Grundbestandteil von Kabakovs Gesamtwerk, ein Meer aus Wörtern, Sätzen, Meinungen und Kommentaren, Analysen und Interpreta­tionen. Womit auch die Existenz des jeweiligen Werks beglaubigt

103 Kabakov I, o. S. 104 Vgl. Kapitel 3.3 Dialogisches Weltmodell zwischen Vielheit und Einheit. 105 KB50, 131. 106 Ebd. 107 Ebd., 131 – 133. 108 Ebd., 133.

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und verortet wird. Dieses endlose Reden wird von der Gruppe der Medizinischen Hermeneutik mit ihrer Praxis „des systematischen Zerredens aller Inhalte“109 fortgesetzt. Čechov ist zwar hauptberuf­lich als Arzt tätig, verfasst aber unter mehreren Pseudonymen wie etwa Antoša Čechonte Kurzgeschichten. Aus seinen zahlreichen Geschichten wie „Der Dicke und der Dünne“, „Die Steppe“ (1988), „Krankenzimmer Nr. 6“ (1892) oder „Dame mit dem Hündchen“ (1899) zeichnet sich ein „Gesamtbild der Gesellschaft“ ab, welches nach den Beschreibungen von Reinhard Lauer einem Mosaikbild gleich aus vielen winzigen Ausschnitten, Einzelteilchen, Splittern und Steinchen bestehe 110, was wiederum in Kabakovs intertextuellem, dialo­gischem Arbeiten anklingt. In „Krankenzimmer Nr. 6“ unterhält sich Dr. Ragin, Chefarzt eines Provinzkrankenhauses, mit seinem Patienten Gromov über philosophische Fragen. Infolge einer Intri­ge eines Arbeitskollegen wird er selbst für geisteskrank eingestuft und schließ­lich in das Krankenzimmer seines Gesprächspartners versetzt. Als er sich gegen seine Zwangs­ einweisung zur Wehr setzt, stirbt er. Dabei beschreibe der Autor, so Klaus Städtke, nicht nur die katastrophalen Zustände im Krankenhauswesen, sondern bezweifle auch die formalen Gegenüberstellungen von Krankheit/Gesundheit bzw. Wahnsinn/Normalität sowie die damit verbundene Institu­tionalisierung.111 Čechovs „Krankenzimmer Nr. 6“ mag eine literarische Vorlage für Kabakovs Installa­tionen sein wie Das Irrenhaus oder Institut für kreative Forschungen, Zwei Behandlungsräume oder Das Krankenhaus: Fünf Bekenntnisse. So gehört zu beiden jeweils ein Gespräch ­zwischen Arzt bzw. Ärztin und Patient. Im Irrenhaus oder Institut für kreative Forschungen, 1991, hingegen „gibt es keine Aufteilung in Arzt und Patient, in Kranke und Gesunde, sondern ‚Autoren‘ und ‚Mitarbeiter‘, ‚Kreatoren‘ und ‚Helfer‘.“112 Kabakov beschreibt die Installa­tion weiter: „Die einen wie die anderen arbeiten eifrig und beharr­lich an der Verwirk­lichung des Projekts des ‚Autors‘ und führen es erfolgreich zu Ende.“113 Kabakovs Werke sind und werden erst lebendig, wenn sich das Gespräch z­ wischen „Autoren“ und „Mitarbeitern“ fortsetzt, ganz so wie die Romanhelden bei Čechov, die nach Kabakov nicht leben, sondern sprechen würden.114 Kabakovs Figuren sind Sprechhandlungen, sie handeln, indem sie sprechen. Neben den Stilformen des „Phantasmagorischen“ und der „Erörterung“ bei Gogol’, Dostoevskij und Čechov, w ­ elche Kabakov seinem Werk inkorporiert, finden sich darin

109 Groys 1995d, 87. 110 Lauer 2000, 440. 111 Städtke 2002, 221. 112 KB123 (Bd. 1), 332. 113 Ebd. 114 KB50, 131.

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auch zahlreiche Zitate, mit denen er weitere Bezüge zur Literatur herstellt. Mit den intertextuellen Bezügen, aber auch mit simulierten Schreibstilen anderer Schriftsteller arbeiten neben Kabakov auch andere Künstler und Autoren aus dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten. Hierzu hält Sylvia Sasse in „Texte in Ak­tion. Sprech- und Sprachakte im Moskauer Konzeptualismus“ fest, dass die ersten Romane und Erzählungen Sorokins Nach­ahmungen, zum Teil auch Simula­tionen der Schreibweise und Sprechweise des Sozia­listischen Realismus bzw. der sowjetischen Alltagskultur s­ eien. Später folgten Zitate unterschied­lichster literarischer Schreibweisen, zum Beispiel des Romans aus dem 19. Jahrhundert oder aktueller Science Fic­tion wie im Roman „Der himmelblaue Speck“ (1999), in dem die Schreibweisen einzelner rus­sischer Dichter reproduziert würden und Sorokins Text aus Texten anderer rus­sischer Schriftsteller zusammen­ gesetzt sei.115 In einem Interview mit Durs Grünbein, welches Sasse zitiert, berichtet Sorokin von seinen Stimmen: „Wenn ich mich an den Schreibtisch setze, stehen die rus­sischen Schriftsteller aus ihren Gräbern auf und stellen sich mit grimmiger Miene hinter mich. Und je länger ich schreibe, desto grimmiger und düsterer werden sie. Ich höre, wie schwer Lev Tolstoj stöhnt, Dostoevskij Gebete murmelt, Lermontov böse mit den Zähnen knirscht, Čechov leise weint und Puškin murmelt: ‚Welch ein Schuft, ach welch ein Schuft!‘“116

Bei Kabakov hingegen finden sich vor allem Zitate aus Märchen, Fabeln oder Erzählungen, die sich weniger auf die Wirk­lichkeit beziehen als auf eine phantastische Welt. Diese Zita­tionen – etwa aus Čechovs „Die Steppe“, Turgenevs Erzählungen „Rauch“ oder „Die Sänger“, H. C. Andersens „Die Gänse“, Mark Twains „Yankees in King ­Arthur’s Court“ oder aus Veniamin Kaverins fabelhaftem Abenteuerroman „Zwei Kapitäne“ (1946) – fügen sich in der Albenserie Zehn Personen ­zwischen den ­kurzen Sätzen und Kommentaren ein.117 Sie tragen aber vielmehr zur Stimmenvielfalt Kabakovs bei, ebenso wie all die fiktiven und realen Stimmen, die in seinem Werk auftauchen. Während die künstlerischen Aneignungen der Gogol’schen phantasmagorischen Figuren, der Schreibweise der Erörterung Dostoevskijs und der sprechenden Figuren Čechovs sein konzeptuelles Arbeiten ganz grundsätz­lich literarisieren, bedeuten sie gleichzeitig auch einen Anschluss oder ein Einschreiben in die Geschichte.

115 Sasse 2003, 193. 116 Durs Grünbein im Interview mit Sorokin 1998, hier zit. nach: Sasse 2003, 191. 117 So zum Beispiel „Es scheint, er schläft… [sic]“, Motto von Anton Čechov aus „Die Steppe“, in: KB83, 4; Erwähnung von Ivan Turgenev „Die Sänger“ und „Rauch“, im 8. Album Der Verzierer Malygin.

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4.3.2 Bezüge außerhalb der rus­sischen Literaturlandschaft Neben den drei rus­sischen Autoren aus dem 19. Jahrhundert, Gogol’, Dostoevskij und Čechov, auf die sich das künstlerische Verfahren Ilya Kabakovs vor allem bezieht, offenbaren sich in seinem Œuvre weitere literarische Bezüge, sowohl historische als auch zeitgenös­sische. Dabei eröffnet er einen immensen Intertext, der weit über Gogol’, Dostoevskij, Čechov, weit über die klas­sisch rus­sische Literaturgeschichte hinausweist. Anhand der Autoren Marcel Proust, Robert Musil und einer fernöst­lichen Legende werden die ­Themen „Räume der Erinnerung“, „Wirk­lichkeitssinns – Mög­lichkeitssinn“, „Verschmelzung von Haupt- und Ichfigur“ diskutiert, in ­welchen weitere für Kabakovs Kunstschaffen wichtige intertextuelle Bezüge anklingen. 4.3.2.1 Marcel Prousts Räume der Erinnerung „In ihrer gesamten Anlage, Atmosphäre und Struktur ist die totale Installa­tion gleichsam von Anfang an auf die Bewahrung und Wiederbelebung der Vergangenheit gerichtet, auf das lebendige, zurückholende Gedächtnis.“118 Ilya Kabakov

In Ilya Kabakovs Werk werden wir immer wieder mit seiner sowjetischen Vergangenheit konfrontiert. Es gibt kaum ein Werk, das nicht in irgendeiner Form mit seiner Biografie verknüpft ist und dabei nicht auf sein Leben oder das kollektive Bewusstsein in der ehemaligen Sowjetunion direkt oder indirekt verweist. Dabei spielt das Thema der Erinnerung eine zentrale Rolle. Durch alle Gattungen hinweg, wie Zeichnung, Album, Gemälde, Modell, Installa­tion oder Text zieht sich d ­ ieses Thema wie ein roter Faden. Die „totalen“ Installa­tionen wie Das Seil des Lebens (1985), M ­ utter und Sohn (1990), worin das Album meiner ­Mutter integriert ist, Meine Heimat. Die Fliegen (1991), Die Gemeinschaftsküche (1991), Die Toilette (1992), Zum Gedenken an angenehme Erinnerungen (1992), Das Boot meines Lebens (1993), Auf dem Dach (1996) oder Der Schuppen meines Grossvaters (1997), um hier nur einige Beispiele zu nennen, machen das Erlebte Kabakovs und die Erfahrungen aus seiner sowjetischen Zeit zum Thema, sein Leben wird zur Kunst, zur Lebenskunst. Zu erwähnen sind in d ­ iesem Zusammenhang auch Kabakovs fixierte Erinnerungen in den Einklebe- und Ansichtskartenalben, auf den Stelltafeln und -wänden mit montierten Fotografien (u. a. auch aus ŽĖK), die auch zu Installa­tionen wie Die rote Ecke (1994), Das angeflogene Archiv (1998) oder Denkmal für eine untergegangene Zivilisa­tion (1999) gehören und an Aby Warburgs Bilderatlas Mnemosyne erinnern. Mitgedacht müssen

118 Ausst.Kat. Frankfurt a. M. 2000, 96.

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hier aber auch die verschiedenen intertextuellen Bezüge, die Kabakov seinem Œuvre auf unterschied­liche Art und Weise inkorporiert und die ebenfalls einen (historischen) Gedächtnisraum aufspannen. Kabakov bezeichnet seine „totalen“ Installa­tionen mitunter als „rituellen Ort“ und als „sakrale[n] Raum“.119 Einige „totale“ Installa­tionen ähneln in ihrer Bauweise und ihrem architektonischen Grundriss an eine Kapelle oder K ­ irche wie Die Gemeinschaftsküche als oktogonaler Zentralbau, Das Leben der Fliege oder Wir gehen hier für immer fort (1991) als rechteckiges Langhaus bzw. dreischiffige, längs gerichtete ­Kirche – auch wenn es in ihrem eigent­lichen Sinn nicht um die Thematik des Tempels und des Ritus geht, sondern vielmehr um die „Sakralisierung der banalen Räume“120, um s­ ozia­le Gedächtnisräume, wie sich im Folgenden zeigen wird, ­welche aber der Künstler mit der sakral konnotierten Installa­tionsarchitektur unterstreicht. Kabakov sieht den Grund für seine „totalen“ Installa­tionen vor allem in seiner Dislo­ zierung von der Sowjetunion in den Westen. In der Sowjetunion sei ihm für seine Arbeiten der Kontext durch Zeit und Raum vorgegeben gewesen: „Wenn ich in meinem Atelier in Moskau etwas zeichnete und es anschliessend meinen Freunden zeigte, verstanden ich selbst und auch sie diese Arbeiten vollkommen adäquat: Wir hatten einen gemeinsamen Verstehens-­Kontext. Wir waren in der ‚Sowjet-­Ära‘ geboren, aufgewachsen und erzogen, sie war um uns herum und in uns, wir kannten all ihre kulturellen Codes, und darum konnten wir die Arbeiten der Freunde, wenn wir sie betrachteten, selbstverständ­lich und unbewusst auf die gesamte Mentalität, die historische, kulturelle, künstlerische Tradi­tion und Situa­tion beziehen, deren Teil wir waren und in deren Kontext wir und unsere Arbeiten einzig existieren konnten.“121

Mit seiner Emigra­tion in den Westen fehlt ihm diese (räum­liche) Hülle, womit er seine Gebäude der Erinnerung, seine nach ihm benannten „totalen“ Installa­tionen baut. Als Schlüssel der Erinnerung entstehen seine Installa­tionen in alltäg­lichen, profanen Räumen wie beispielsweise in der Gemeinschaftsküche, -Wohnung und -Toilette, im Schulzimmer und Krankenhaus, in der Psychiatrie, im Lesesaal, in der Bibliothek oder im Archiv, in denen sich die Geschichten abspielen: „Der Betrachter steht vor einem alltäg­lichen sozia­len Raum, einem bewusst profanen Milieu, doch der Grundriss, die Gestaltung, die gesamte Anlage und oft auch die Anordnung der

119 Vgl. dazu Ilya Kabakov, „Vierzehnte Vorlesung. Die totale Installa­tion als ritueller Ort“, in: KB83, 111 – 115. 120 Ebd., 114. 121 Ebd., 37.

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profanen Exponate ist so (und alles wird auch so beleuchtet), als handele es sich um einen bewusst sakralisierten Ort, einen für eine sakrale Handlung bestimmten Raum.“122

Diese von Kabakov minutiös geplanten und exakt beschriebenen Räume sind sehr eng mit seiner eigenen biografischen Geschichte und Existenz verknüpft. Kabakovs „totale“ Installa­tionen lesen sich dabei als Räume der Erinnerung, als erlebte und rekonstruierte Wirk­lichkeit, als „Ready-­mades“ einer vergangenen Zeit. Als „Kunstwerk der Erinnerung“123 wird Marcel Prousts Buch „A la recherche du temps perdu“, 1918 – 1927, bezeichnet, das Ilya Kabakov gelesen hat.124 Der Roman gilt neben James Joyces „Ulysses“ (1922) und Thomas Manns „Der Zauberberg“ (1924) als wegweisender „Zeit-­Roman“ für das 20. Jahrhundert.125 Das „Motiv der Erinnerung“ 126 als ein sich abwechselndes Spiel von „erzählendem, erinnerndem und erinnertem Ich“127 der Hauptfigur Marcel ist ein zentraler Bestandteil. Dazu erklärt und fragt sich Hanno Helbling gleichzeitig in seinem Buch „Erinnertes Leben“: „Die ‚Recherche‘ ist ein Buch der Erinnerung, oder sollte man sagen: der Vergewisserung?“128 Der Erzähler, so Helbling weiter, schreibe nicht seine Memoiren. Er versuche, schreibend seiner zeit­lich verfassten, an Orte gebannten, gesellschaft­lich verstrebten Existenz auf den Grund zu kommen. Das Erinnern sei die Methode, mit der er seiner Lebenszeit schließ­lich habhaft werde und menschliche wie räum­liche Verhältnisse in ihre wahre Ordnung bringe,129 was auch auf Kabakov zutrifft. Karl Hölz hält fest, dass im Erinnern Marcel „eine Mög­lichkeit, seine Person neu zu begreifen“, finde.130 In der Marcel Proust-­Enzyklopädie schreibt Anne Henry, es sei nicht die Aufgabe der Erinnerung, nostal­gische Sehnsucht zu befriedigen, sondern die Mannigfaltigkeit eines Lebens zu betonen, dessen Mangel an Einheit der Protagonist bedaure.131 Dieses Unvermögen an Einheit und Ganzheit sucht Kabakov mit und in seinen Werken ebenfalls wiederherzustellen, indem er das Erlebte in seiner Kunst 122 KB83, 114. 123 Jauss 2009, 356. 124 Korrespondenz der Autorin mit Ilya und Emilia Kabakov, 5./6. 7. 2012. 125 „Der Zauberberg“ wird von Thomas Mann rückblickend reflektiert: „Er [Der Zauberberg] ist ein Zeitroman im doppelten Sinn: einmal historisch, indem er das innere Bild einer Epoche, der euro­ päischen Vorkriegszeit, zu entwerfen versucht, dann aber, weil die reine Zeit selbst sein Gegenstand ist, den er nicht nur als Erfahrung seines Helden [Hans Castorp], sondern auch in und durch sich selbst behandelt.“ In: Mann 1924/1958, S. XI. Vgl. auch Jauss 2009a. 126 Vgl. Hölz 1972; Henry 1981; Helbling 1988; Jauss 2009; Henry 2000. 127 Link-­Heer 1988, 150. 128 Helbling 1988, 45. 129 Ebd. 130 Hölz 1972, 18. 131 Henry 2009, 239.

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verarbeitet. Doch auch er wird diese Sehnsucht nicht stillen können, worüber Marcel am Ende „In Swanns Welt“ schreibt: „[…] welcher Widersinn darin liegt, wenn man die Bilder der Erinnerung in der Wirk­ lichkeit sucht, wo immer der Reiz ihnen fehlen muss, der im Gedächtnis wohnt und mit den Sinnen nicht wahrgenommen werden kann. Die Wirk­lichkeit, die ich einst kannte, existierte nicht mehr. […] Die Stätten, die wir gekannt haben, sind nicht nur der Welt des Raums zugehörig, in der wir sie uns denken, weil es bequemer für uns ist. Sie waren nur wie ein schmaler Streif in die Eindrücke eingewoben, aus deren ununterbrochener Folge unser Leben von damals bestand; die Erinnerung an ein bestimmtes Bild ist wehmutsvolles Gedenken an einen bestimmten Augenblick; und Häuser, Strassen, Avenuen sind flüchtig, ach! wie die Jahre.“132

Die Erinnerung an „ein bestimmtes Bild“, an eine bestimmte Begebenheit und damit verbunden deren räum­liche Verortung wird in der „Recherche“ immer wieder neu entfacht und entfaltet. Die berühmte und viel zitierte „Madeleine“-Erfahrung am Ende des 1. Kapitels von „Combray“ gilt als Weckruf an die vergangene Kindheit, worin ­Marcel sich anhand des Geschmacks eines Madeleine-­Gebäcks an die damalige räum­ liche Umgebung erinnert: „Sobald ich den Geschmack jener Madeleine wiedererkannt hatte, die meine Tante mir, in den Lindenblütentee eingetaucht, zu verabfolgen pflegte […] trat das graue Haus mit seiner Strassenfront, an der ihr Zimmer sich befand, wie ein Stück Theaterdekora­tion zu dem kleinen Pavillon an der Gartenseite hinzu, der für meine Eltern nach hintenheraus angebaut worden war (also zu jenem verstümmelten Teilbild, das ich bislang allein vor mir gesehen hatte) und mit dem Hause die Stadt, der Platz, auf den man mich vor dem Mittagessen schickte, die Strassen, […], die Wege […].“133

Ähn­liche Weckrufe stellt Kabakov mit seinen „totalen“ Installa­tionen her, die – wie bereits geschildert – alltäg­liche, profane (nachgebaute) Räume aus der sowjetischen Zeit darstellen, in denen seine Geschichten verortet sind. Proust hat seinen Roman selbst als ein „riesiges Gebäude der Erinnerung“ bezeichnet und mit einer Kathedrale verg­lichen: „[…] indem ich hier oder dort ein zusätz­liches Blatt anheftete, würde ich näm­lich mein Buch erbauen – ich wagte nicht in ehrgeiziger Weise zu sagen, wie eine Kathedrale […]“, denn „[…] in solchen grossen Büchern gibt es ganze Partien, die aus Mangel an Zeit im 132 Proust 2002; die hier zitierten Stellen folgen aus: Proust 2000 (Bd. 1), 564. 133 Proust 2000 (Bd. 1), 67.

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Zustand der Skizze geblieben sind und die zweifellos auch nie fertiggestellt werden können, weil der Plan des Baumeisters zu grossartig war. Wie viele gewaltige Kathedralen bleiben unvollendet.“134

Auch Kabakov versucht, mit und in seiner Kunst gegen das Vergessen, gegen die verlorene Zeit anzukämpfen, indem er seine Installa­tionen baut. Auch Kabakov ist bestrebt, wie es Jean Milly in seiner Zusammenfassung über die „Recherche“ von Proust formuliert, „dem Tod zuvorzukommen“ und sozusagen Werke entstehen zu lassen, „eingeschrieben in die Zeit“.135 Seit 2003 widmet sich Ilya Kabakov wieder vermehrt der Malerei, doch auch hier entstehen in gewissem Sinn Räume der Erinnerung.136 Er malt die Serien Unter dem Schnee (2004 – 2006), Kanon (2007), Fliegend (2009), Raumcollage (2010) oder Sie schauen (2010). Fragmentarisch tauchen auf den großformatigen Gemälden realistisch gemalte sowje­ tische Szenen auf, w ­ elche wie als flüchtig festgehaltene Erinnerungsfetzen aus Kabakovs Leben erscheinen und die Bildserie Achsenzeit/Axial Age (2005 – 2007) von Sigmar Polke (1941 – 2010) ins Gedächtnis rufen. Erinnerungen scheinen sich zu überlagern wie die Papierschnipsel in Raumcollage, wo Zeit und Raum, Natur und Technik, Individuum und Gesellschaft miteinander und übereinander geschichtet, in ­diesem Fall collagiert sind und damit eine „Mehrdimensionalität des Augenblicks“137 herstellen. So öffnen sich in Landschaften Fenster, in denen wiederum Fensteröffnungen zu sehen sind, womit sich die Zeit im Raum immer weiter ausdehnt. Im Zusammenhang mit den Räumen der Erinnerung interessiert auch das Triptychon Drei Gemälde mit schwarzem Fleck (2009) und die Serie Sie schauen (2010). Im Triptychon Drei Gemälde mit schwarzem Fleck verarbeitet der Künstler seine Erlebnisse in Japan, als seiner Frau Emilia und ihm (neben dem britischen Künstler Richard Hamilton, dem Schweizer Architekten Peter Zumthor und dem indischen Dirigenten Zubin Mehta) 2008 der hoch dotierte Preis, der „Praemium Imperiale“ in Tokio verliehen wird. Die großformatigen Gemälde sind, in Anlehnung an die Barockmalerei des 16. und 17. Jahrhunderts, insbesondere in der Tradi­tion der „Tunnelperspektive“138 gemalt, wie es Kabakov bezeichnet, so dass sie den Raumgedanken wieder aufnehmen: „Im Bild gibt es kein Oben und kein Unten, das Bildgeschehen dreht sich frei um eine Achse, die zentral in die Tiefe 134 Leonard 2009; Proust 2000 (Bd. 3), 4174. 135 Milly 2009, 56. 136 Vgl. die Ausstellungen „Ilya Kabakov. Ich beginne zu vergessen“ im Kunsthaus Zug, Zug, 25.5. – 17. 8. 2014, „Ilya Kabakov. A Return to Painting. Eine Rückkehr zur Malerei. 1961 – 2011” im S ­ prengel Museum, Hannover, 29.1. – 29. 4. 2012, und im Henie Onstad Art Centre, Oslo, 24.5. – 16. 9. 2012, sowie das KB 139. 137 Lämmert 1999, S. XII. 138 KB139, 108.

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entschwindet. In ­diesem Triptychon ‚funk­tioniert‘ dieser Kunstgriff nicht an der Decke, sondern auf der flach an die Wand gehängten Leinwand.“139 Das große Format – die beiden großen Bilder messen je 510 × 786 cm und das mittlere 510 × 467,5 cm – bewirkt, dass die Bildränder je nach Standpunkt gar nicht mehr wahrgenommen werden, womit sich der Betrachter im All-­over-­Prinzip, mitten in einer „totalen“ Installa­tion im malerischen Sinn wiederfindet. Die Erinnerungen aus Japan werden dabei beinahe räum­lich erfahrbar, wie in einer „totalen“ Installa­tion. In der Serie Sie schauen porträtiert Kabakov seine Verwandtschaft, insbesondere ihm nahe stehende weib­liche Familienmitglieder, basierend auf den wenigen noch existierenden schwarz-­weißen Fotografien (Abb. 12). Der Künstler changiert malend z­ wischen Schärfe und Unschärfe, ­zwischen fokussierter und verblassender Erinnerung, aber auch je nach Wichtigkeit der von ihm Porträtierten und je nach den Parametern Zeit und Raum, w ­ elche z­ wischen ihm und der jeweiligen Person bestehen. Kabakov sagt, er wolle den Effekt von Rembrandt (1606 – 1669) des „real psycholo­gischen Kontakt[s] ­zwischen jedem von ihnen und mir“140 wiederholen, und gibt seiner Bewunderung für die Bilder Nachtwache (1642) und Die Vorsteher der Tuchmacher-­Gilde (1662) des niederländischen Malers an dieser Stelle erneut Ausdruck (Abb. 13).141 Marcel Proust seinerseits lässt seine Bewunderung für den holländischen Maler in seinem Roman „A la recherche du temps perdu“ ebenfalls an verschiedenen Stellen anklingen. Als 20-Jähriger nennt er Rembrandt neben Leonardo da Vinci als seinen Lieblings­ maler. Zudem besucht Proust 1898 die große Rembrandt-­Ausstellung in Amsterdam.142 Er erwähnt das berühmte Gemälde Die Nachtwache von Rembrandt in seinem Roman, als sich ein Maler und Mitglied des „Verdurin-­Clans“ über ein Bild äußert. Dabei kommt es zu einem Vergleich z­ wischen einem Werk eines kürz­lich verstorbenen Künstlers und der Nachtwache: „‚Ich bin ganz nahe herangetreten‘, sagte er, ‚um zu sehen, wie es gemacht ist, ich habe mir fast die Nase plattgedrückt. Unglaub­lich! Man kann nicht sagen, ob er Kleister, Rubinen, Seife, Bronze, Sonnenstrahlen oder Kacka dazu nimmt!‘[…] ‚Es sieht aus, wie mit gar nichts gemacht‘, fuhr der Maler fort, ‚es ist ebenso unmög­lich, den Trick herauszubekommen wie bei der Nachtwache oder den Vorsteherinnen, und dabei ist er stärker als Rembrandt oder Frans Hals.‘“143

139 KB139, 108. 140 Ebd., 154. 141 Der Künstler bekundet schon in seinen früheren Jahren seine Bewunderung für Rembrandt, in: KB1. 142 Keller 2009a, 728. 143 Karpels 2010, 58.

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Für eine räum­liche Beschreibung greift Proust zu einem weiteren Bildvergleich der Stimmungsmalerei Rembrandts (Der Philosoph, 1633). Marcel hält sich in einem Hotel in Balbec auf und beschreibt die Atmosphäre seines Aufenthaltsorts: „Gewöhn­lich aber, denn mein schüchterner Eifer vom ersten Tag lag nun schon sehr weit hinter mir, sprach ich nicht mehr mit dem Liftboy. Ihm konnte es nun widerfahren, dass er ohne Antwort blieb auf dieser k­ urzen Fahrt, in der er vertikal das Hotel durchschiffte, das jetzt leer dalag wie ein Spielzeughaus und rings um uns von Etage zu Etage seine verzweigten Korridore aussandte, in deren Tiefen das Licht in samtiger Dichte lagerte und in sich abstufender Intensität die Verbindungstüren und die Stufen der Innentreppen schmaler erscheinen liess, wenn es sie in jenes Bernsteingold tauchte, das, unstoff­lich und geheimnisvoll, jenem Dämmer­licht gleicht, aus dem Rembrandt zuweilen einen Fenstersims oder einen Brunnenschwengel herausschneidet.“144

Mit Bezug auf Kabakov interessiert vor allem Prousts Interesse an Rembrandt, der für Proust neben Dostoevskij als der malende Vertreter „der Geheimnisse und Abgründe der Seele“ gilt.145 In einem Gespräch ­zwischen Marcel und Albertine kommt es zum folgenden Vergleich z­ wischen der Literatur und der Malerei (Bathseba im Bade, 1654): „Diese neue Schönheit nun ist auch überall in den Werken Dostoevskijs dieselbe: ist nicht die Frau bei Dostoevskij ebenso einzigartig wie eine Frauengestalt Rembrandts, mit ihrem geheimnisvollen Antlitz, dessen ansprechende Schönheit jäh, als habe sie nur die Komödie der Güte aufgeführt, zu furchtbarer Anmassung erstarrt […], Grushenka, Nastasja, ebenso ursprüng­liche, geheimnisvolle Gestalten nicht nur wie die Kurtisanen von Carpaccio, sondern auch wie Rembrandts Bathseba?“146

Diese geheimnisvolle Bildsprache von Rembrandt fasziniert auch Kabakov, als er sein großformatiges Gemälde Sie schauen weiter beschreibt und insbesondere auf den Blick der Dargestellten eingeht: „Alle auf meinen Bildern dargestellten Personen sind näm­lich gestorben, schon vor langer Zeit oder erst kürz­lich. Sie sind bereits ‚dort‘, und ich wollte eben jenen Blick wiedergeben – nicht das Gesicht, nicht die Pose, nicht die Kleidung. Die Bilder sind recht

144 Karpels 2010, 116. 145 Keller 2009a, 729. Bei Proust ist dies an folgender Stelle nachzulesen: „Bei Dostoevskij stosse ich auf tiefe Abgründe, die sich aber nur an vereinzelten Stellen der menschlichen Seele auftun.“ In: Proust 2000 (Bd. 3), 3272. 146 Proust 2000 (Bd. 3), 3269, hier zit. nach: Karpels 2010, 254.

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provisorisch gemalt, um nicht zu sagen schlecht. Es ging mir jedoch um den Blick, der direkt auf mich gerichtet ist, wenn mir jemand etwas sagen möchte, aber nichts sagen kann… Diesen Effekt kennt jeder Abreisende: Der Zug hat sich noch nicht in Bewegung gesetzt, aber man schaut durchs Fenster auf die Lieben draussen auf dem Bahnsteig. Du betrachtest sie, sie betrachten dich, der Zug steht noch, die Zeit dehnt sich, gleich reisst sie ab…“147

Dabei mag mit „gleich reisst sie ab“ sowohl die Zeit und der Augenblick als auch die Person verstanden werden, womit auch die unabwendbare Vergäng­lichkeit und das Bewusstsein gegenüber der eigenen Zeit­lichkeit mit anklingt, die er auf das Bild bannt. Im wieder aufgenommenen, wenn auch malerisch imaginierten Dialog stellt ­Kabakov den Augenblick mit seiner Familie wieder her. Er kommentiert treffend: „Ich fahre weiter, aber in die Vergangenheit.“148 Mit der suggerierten Rembrandt’schen Malerei unterstreicht Kabakov diese Reise in die Vergangenheit noch zusätz­lich, die auch P ­ roust aufleben lässt: „Denn der Mensch ist ein Wesen ohne festes Lebensalter, ein Wesen, das die Fähigkeit besitzt, in wenigen Sekunden wieder um Jahre jünger zu werden, und das innerhalb der Wände der Zeit, in der es gelebt hat, in dieser auf und ab schwebt wie in einem Bassin, dessen Spiegel unaufhör­lich auf und nieder steigt und ihn bald mit dieser, bald mit jener Epoche auf die ­gleiche Ebene führt.“149

Kabakov rollt sein vergangenes Leben in der Gegenwart mit Hilfe der Erinnerung, der Retrospek­tion immer wieder neu auf und begründet damit sein Dasein stets von Neuem, wenn nicht sogar immer prägnanter und offensicht­licher mit den Gemälde-­Zyklen seiner späten Schaffenszeit. Die Erinnerung gilt als das eigent­liche Leitmotiv in Kabakovs Kunst, sei es in der Zwei- oder Dreidimensionalität, in den Zeichnungen, Alben, Gemälden oder Installa­tionen. Mit ihr und aus ihr schöpft Kabakov den Stoff für seine Kunst. Einem Fotoalbum gleich, holt er Bild für Bild seiner Vergangenheit in die Gegenwart zurück, am prägnantesten in seinen „totalen“ Installa­tionen als Räume der Erinnerung, die sich mit Prousts literarischer Kathedrale der Erinnerung vergleichen lassen und einen weiteren intertextuellen Bezug eröffnen.

147 KB139, 154 – 156. 148 Kabakov im Gespräch mit Ulrich Krempel, Juni 2011, in: Ebd., 14. 149 Proust 2000 (Bd. 3), 3590.

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4.3.2.2 Robert Musils Wirk­lichkeitssinn – Mög­lichkeitssinn „Musil ist meinem Bewusstsein sehr nahe, wie ein Teil meiner eigenen Erfahrungen.“150 Ilya Kabakov, 2009

Ilya Kabakovs Kunst ist geprägt durch die verschiedenen Rollen, die er einnimmt: Buchillustrator, Künstler, Autor, Interpret oder Kurator, all diese Figuren, in seinen Worten „Personagen“, gehören zu ihm, sind Teil von ihm und seinem Werk. Denn eine eigent­liche Biografie seines Lebens existiere nicht, auch nicht ein eigent­liches Leben an sich, sagt er im Gespräch mit Matthias Haldemann.151 Kabakovs Biografie besteht vielmehr aus den „Personagen“, die er sich über die Jahre hinweg aneignet, ­seien sie real oder fiktiv.152 Mit der Kunst thematisiert der Künstler sein Leben, er holt es sich gewissermaßen zurück, indem er es in der Kunst lebt, baut sich Räume (der Erinnerung), generiert mit den konzeptuellen Aggregatzuständen eine Art Lebensplan, der an Georges Perecs Roman „La vie mode d’emploi“ (1978) erinnert.153 Aber auch, indem er Pate steht für Projekte einer jüngeren Genera­tion wie jenes der amerikanischen Installa­tionskünstlerin Andrea Zittel A-Z Enterprise (seit 1991), in welchem die Grenzen ­zwischen Kunst und Leben verschwimmen, oder jenes der in Deutschland lebenden britischen Künstlerin Lucy Harvey Arbeiten aus dem Lebensführer (seit 1997), das an Lebenspläne erinnert. Kabakov bewegt sich nicht nur ­zwischen Realität und Fik­tion, Wirk­lichkeit und Mög­ lichkeit, sondern auch z­ wischen Subjekt und Objekt. Besonders für letzteres Begriffspaar habe es in seinem konzeptualistischen Kreis den Begriff „Blinzeln“ gegeben, was als „schwebende Situa­tion“ und „schneller Posi­tionswechsel“ ­zwischen den Figuren verstanden worden sei.154 Dieser Begriff ruft Bachtins „Wort mit Seitenblick“ ins Gedächtnis, worin ein Wort „wie aus zwei Perspektiven gleichzeitig aufgenommen“155 wird. Dieser Wechsel finde laut Kabakov so schnell statt, dass der Leser/Hörer nicht verstehe, wo die Posi­tion des anderen sei. Bei der ersten Posi­tion sei dieser wie ein Objekt, aber in der nächsten Sekunde sei er wie ein Subjekt, so Kabakov.

150 KB139, 74. 151 Ilya Kabakov im Gespräch mit Matthias Haldemann, in: KB138, 72. 152 Matthias Haldemann benutzt dafür den Begriff der „Doppelung“: „[…] dass du nicht nur der Künstler und die Person Kabakov bist, sondern auch die Figur oder ‚Personage‘ Kabakov, die in deinem Werk eine eigene Rolle spielt. Es gibt diese Doppelung.“ In: KB138, 70. Vgl. Kapitel 3.4.6. 153 Perec 1978. 154 KB138, 69. 155 Bachtin 1985, 233.

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In ­diesem Sinn schreibt er sich mit den verschiedenen „Personagen“ eine Biografie auf den Leib, die von d ­ iesem steten Wechsel z­ wischen den Figuren geprägt ist.156 So sei der Künstler kein separater Künstler, erklärt Kabakov im Gespräch mit Haldemann, egal was er über sich denken möge, er habe Tendenzen zu verschiedenen Figuren: einer metaphy­sischen, religiösen, einer sozia­len etc. Schon in seiner Jugend habe er sich gefragt: „‚Wer bin ich? Wo bin ich? Was bedeute ich?‘ Ich hatte nicht das normale, subjektive Gefühl: ‚Ich bin da.‘ Sondern: ‚Alle sind da, alle bis auf mich.‘ Ich fühlte mich selbst nicht als Subjekt oder als Körper, sondern als etwas Irreales, wie eine Wolke oder eine immaterielle Substanz. Ohne Selbstgefühl oder Selbstreflexion, ohne Namen. Wenn ich ‚Kabakov‘ gehört habe, war meine erste Reak­tion: ‚Wer ist das denn?‘ In mir war absolut keine subjektive Basis, kein Stativ, keine Mittelachse vorhanden. Absolut nichts.“157

„Der Versuch einer Biografie in den Installa­tionen“ fasst er unter dem Titel „Wie ich zu meiner eigenen Figur wurde“ zusammen.158 Dazu gehören Werke wie etwa Die Ameise, Kiste mit Müll, Der Sammler, Der Mensch, der in sein Bild flog, Der kleine Mann oder Der metaphy­sische Mensch. Und er lokalisiert oder gar verortet seine Figur ­später in den Installa­tionen mit dem Titel „Wo ich zu meiner eigenen Figur wurde“.159 Darunter sind Werke aufgeführt wie Zehn Charaktere, Die Gemeinschaftsküche, Ausstellung eines Buches, Der rote Waggon, Das Schiff oder Das Leben der Fliegen. Kabakov sucht dementsprechend – gewissermaßen nach Arthur Rimbauds Diktum „Je est un autre“ – in anderen Personen, seine Daseinsberechtigung, um sagen zu können: „Ich bin eine ‚Person‘ mit einer fertigen, bekannten Rolle […].“160 Diese Befind­lichkeit Kabakovs steht in gewisser Verwandtschaft mit der Romanfigur Ulrich, dem Protagonisten aus Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“. Ulrichs Identität ist im Roman zwar, anders als bei Kabakov, nicht eindeutig festgelegt, sein Nachname wird „aus Rücksicht auf seinen Vater“ nicht erwähnt.161 Womit, so Jörg Theis, auch keine eindeutige Identifika­tion des Protagonisten stattfinde.162 Dieser Sachverhalt könne mit dem Titel ein „Mann ohne Eigenschaften“ in Beziehung gesetzt werden, denn Ulrich versuche, sich stets einer klaren Festlegung zu entziehen und damit der Zusprechung von Eigenschaften zu entgehen, erläutert Theis weiter.163 Womit Ulrich 156 Vgl. Lorenz 2010. 157 Ilya Kabakov im Gespräch mit Matthias Haldemann, in: KB138, 70. 158 KB111, 53. 159 Ebd., 173. 160 Ebd., 57. 161 Musil 2007 (Bd. 1), 18. 162 Theis 2004b, 223. 163 Ebd.

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als „Mög­lichkeitsmensch“ bezeichnet werden kann. Wenn Ulrich sich aber, wie oben bei Kabakov geschildert, an Situa­tionen in seinem vergangenen Leben zurückerinnere, argumentiert Theis, erscheine ihm die damalige Person, die seinen Namen trug, als fremd und nicht zu ihm gehörig. Ledig­lich der gleichbleibende Name verweise auf die bestehende Kontinuität von damaligem und heutigem Individuum.164 Ulrich musste sich „angesichts dieser Bedenken lächelnd eingestehen, dass er mit alledem ja doch ein Charakter sei, auch ohne einen zu haben“.165 Diese Einstellung sei dem Erzähler zufolge schon früh im Leben des Protagonisten angelegt, er lobe schon in einem Schulaufsatz den „Conjunctivus Potentialis“, also den Mög­ lichkeitsmodus.166 Im hypothetischen Denken von Ulrich sei eigene und fremde Identität zu keinem Zeitpunkt festgelegt, sie befinde sich im beständigen Fluss, so Theis abschließend. Dies weist große Ähn­lichkeit auf mit dem eingangs erwähnten Begriff „Blinzeln“ der Moskauer Konzeptualisten und mit Kabakovs Aussage „Ich habe kein Zuhause, ich fühle mich immer im Zustand des Transits“,167 ­welche den „Mög­lichkeitsmodus“ impliziert. Das Romanprojekt „Der Mann ohne Eigenschaften“ begleitet den österreichischen Schriftsteller Robert Musil (1880 – 1942) über drei Jahrzehnte. Das Buch wird gewissermaßen zu seinem lebenslangen Projekt. Bei seinem Tod 1942 bleibt es unvollendet und teilweise in Fragmenten zurück. Nach seinem Ableben im Genfer Exil – Musils Frau Martha ist Jüdin, im September 1938 reisen sie von Wien über Italien nach Zürich und ziehen 1939 nach Genf weiter – publi­ ziert seine Frau im Selbstverlag einen Nachlassband mit weiteren Kapiteln aus dem „Mann ohne Eigenschaften“, nachdem bereits im Winter 1930 ein erster Band im deutschsprachigen Raum erschienen ist und 1938 in Deutschland und Österreich verboten wird. Musil versteht seinen Roman als eine Darstellung, in welcher „die Sinnfragen der Existenz des modernen Menschen […] aufgeworfen und in einer ganz neuartigen, aber sowohl leicht-­ironischen wie philosophisch tiefen Weise beantwortet“ werden, und als einen Beitrag zur „geistigen Bewältigung der Welt“.168 So markiert der „Mann ohne Eigenschaften“ ein „stets im Werden begriffene[s] totale[s] Buch“, ein „nie erschöpfte[r] Katalog“ und eine „ungeheure Baugrube“,169 in w ­ elchen das Verhältnis z­ wischen Wirk­lichkeitssinn und Mög­ lichkeitssinn immer wieder neu auszuloten ist. Das Großwerk wird in den 1970er-­Jahren ins Rus­sische übersetzt und für Ilya Kabakov zu einem sehr wichtigen literarischen Vorbild.

164 Theis 2004b, 223. 165 Musil 2007 (Bd. 1), 150. 166 Theis 2004b, 223. Theis spricht auch vom „Zustand des Schwebens“ bei Ulrich, vgl. das Kapitel „Das ,dazwischen‘“, in: Theis 2004, 242 – 246. 167 KB47, 120. 168 Musil 1981, 950, 942, hier zit. nach: Shin 2008, 168. 169 1. und 2. Zitat in: Magris 1983, 59; 3. Zitat in: Musil 1986, 23, hier zit. nach: Luserke 1987, 207.

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Die multiperspektivische Erzählung „Der Mann ohne Eigenschaften“ besteht aus einer Menge von Dialogen, Gedankengängen, Reflexionen und Assozia­­tionen, die immer wieder ­zwischen „dem Individuum und der Gesellschaft“, „dem Einzelnen und dem Kollektiven“, dem Subjekt und dem Objekt hin und her pendeln.170 Musil speise dabei eigene, unmittelbare Erfahrungen und Begegnungen in seinen Roman ein. Er nähre seine Geschichte auch aus der eigenen Wirk­lichkeitserfahrung.171 Die Frage nach dem Verhältnis von Wirk­lichkeit und Mög­lichkeit steht dabei im Zentrum. Im 4. Kapitel „Wenn es Wirk­lichkeitssinn gibt, muss es auch Mög­lichkeitssinn geben“ wird dem Leser eine erste Einführung und Erklärung dieser Begriffe geliefert.172 So würden „Mög­lichkeitsmenschen“ in einem feineren Gespinst leben, „in einem Gespinst von Dunst, Einbildung, Träumerei und Konjunktiven“.173 Solche Menschen würde man, schreibt Musil, als Narren oder Idealisten bezeichnen, wobei ihnen etwas Gött­liches anhafte: „Ein mög­liches Erlebnis oder eine mög­liche Wahrheit sind nicht gleich wirk­lichem Erlebnis und wirk­licher Wahrheit weniger dem Werte des Wirk­lichseins, sondern sie haben, wenigstens nach Ansicht ihrer Anhänger, etwas sehr Gött­liches in sich, ein Feuer, einen Flug, einen Bauwillen und bewussten Utopismus, der die Wirk­lichkeit nicht scheut, wohl aber als Aufgabe und Erfindung behandelt.“174

Es sei die Wirk­lichkeit, ­welche die Mög­lichkeiten wecke, und oft stehe dahinter eine „ausserordent­liche Idee“.175 Die Mög­lichkeiten sind nach Musil „nichts als noch nicht geborene Wirk­lichkeiten“176. Ulrich ist bestrebt, in der gegenwärtigen Wirk­lichkeit seine Mög­lichkeiten auszuschöpfen, doch gerät er in d ­ iesem Versuch in ein Dilemma ­zwischen der Wirk­lichkeit und der Mög­lichkeit, ­zwischen der bestehenden Ordnung und seiner eigenen Kreativität. Mit d ­ iesem Konflikt ist Ilya Kabakov in der damaligen Sowjetunion ebenfalls konfrontiert. Er schildert ihn als künstlerisches Ringen ­zwischen Konformität und Individua­ lismus – als erfolgreicher Illustrator von Kinderbüchern gehört er seit 1965 dem Künstlerverband der UdSSR an –, ­zwischen offizieller und nicht offizieller Kunst, ­zwischen der propagierten Kunst des Sozia­len Realismus, die er als „Nichtkunst“ bezeichnet, und dem eigenen persön­lichen Kunstwillen auf der Suche nach der realen Existenz:

170 Theis 2004, 196. 171 Ebd. 172 Zum Begriff Wirk­lichkeit – Mög­lichkeit vgl. Luserke 1987. 173 Musil 2007 (Bd. 1), 16. 174 Ebd. 175 Ebd. 176 Ebd., 17.

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„Der innere Wunsch […] zu erfahren, was ich bin, wofür ich lebe, womit ich mich beschäftige, wohin ich da eigent­lich, ohne selbst ‚anwesend‘ zu sein, gestossen worden war, quälte mich die ganze Zeit über und musste natür­lich in erster Linie auf nicht künstlerische Weise zu Tage treten, als ‚Nichtkunst‘.“177

Dieser Zustand habe einem das Gefühl vermittelt, dass man sich ständig außerhalb ­dieses Lebens befinde und sich selbst in der Rolle eines Forschers wahrgenommen habe, jedoch nur in der Vorstellung, nicht in der Wirk­lichkeit. Die künstlerische Tätigkeit der Moskauer Konzeptualisten jener Zeit ­gleiche dabei einem Filmstreifen, auf dem irgendwelche Phantasien, Entdeckungen oder Visionen festgehalten s­ eien, reflektiert Kabakov weiter.178 Um mit Musils obiger Erklärung des „Mög­lichkeitsmenschen“ Kabakovs Umfeld in Worte zu fassen, sind diese Menschen, w ­ elche die Wirk­lichkeit nicht scheuen, sie wohl aber als Aufgabe und Erfindung behandeln würden, mit einem „bewussten Utopismus“ 179 ausgestattet. Im Kapitel 61 „Das Ideal der drei Abhandlungen oder die Utopie des exakten Lebens“ nimmt Musil Stellung zum Verhältnis von Wirk­lichkeit, Mög­lichkeit und Utopie.180 Utopien würden ungefähr so viel wie Mög­lichkeiten bedeuten; darin, dass eine Mög­ lichkeit nicht Wirk­lichkeit sei, drücke sich nichts anderes aus, als dass die Umstände, mit denen sie gegenwärtig verflochten sei, sie daran hindere, denn andernfalls wäre sie ja nur eine Unmög­lichkeit; löse man sie nun aus ihrer Bindung und gewähre ihr Entwicklung, so entstehe Utopie.181 Weiter schreibt Musil: „Es ist ein ähn­licher Vorgang, wie wenn ein Forscher die Veränderung eines Elements in einer zusammengesetzten Erscheinung betrachtet und daraus seine Folgerungen zieht; ­Utopie bedeutet das Experiment, worin die mög­liche Veränderung eines Elements und die Wirkungen beobachtet werden, die sie in jener zusammengesetzten Erscheinung hervorrufen würde, die wir Leben nennen.“182

Der „Mann ohne Eigenschaften“ ist ein „Komplex von Utopien“, wie ihn Shin in ihrer Einleitung zu ihrem Buch „Der ‚bewusste Utopismus‘ im Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil“ bezeichnet.183 Shin verweist neben der „Utopie als Experiment“ auch auf den Begriff der „Gedankenexperimente“, welcher ebenfalls von Musil im Verlauf des ­Romans verwendet werde.184 Zusammenfassend erfasst sie den Begriff als „die 177 KB116, 15. 178 Ebd., 293. 179 Musil 2007 (Bd. 1), 16. 180 Ebd., 246. 181 Ebd. 182 Ebd. 183 Shin 2008, 10. Vgl. auch Schwartz 1997; Marschner 1981. 184 Ebd., 36; Musil 2007 (Bd. 1), 631.

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­ rtikula­tionen des ‚Mög­lichkeitssinns‘“ und als „gedank­liches und praktisches ExperiA mentieren mit dem Mög­lichen“.185 Die Utopien Musils ­seien objektive Mög­lichkeiten, die morgen Wirk­lichkeiten werden könnten, und als ­solche eher Zukunftsbilder als Gegenbilder.186 Jahrzehnte ­später diskutiert Kabakov den Begriff der Utopie im Zusammenhang mit seinem Projekt Die utopische Stadt und andere Projekte (2004). Er sieht die „,Utopie‘ als wichtige Grundlage der Kreativität und Stiftung einer globalen, vielleicht sogar unrealisierbaren Idee mit humanistischem, erhabenem und romantischem Inhalt“.187 Für Ilya Kabakov entspricht Musils Erzählung seinen eigenen Erfahrungen, seinem eigenen Bewusstsein, wie er im Gespräch mit Matthias Haldemann erläutert.188 Zu Beginn des Romans wird das Gefühl des Wirk­lichkeitsverlusts vermittelt, von welchem Kabakov im Zusammenhang mit der sowjetischen Realität spricht: „Die sowjetische Wirk­lichkeit ist äusserst chimärisch und ideolo­gisch. Idee und Realität fallen in eins, die Distanz ­zwischen ihnen ist aufgehoben.“189 Im „Mann ohne Eigenschaften“ ist der Zugang zur Wirk­lichkeit hingegen durch die gesellschaft­lichen Normen und Kategorien entstellt: „Die Ziele, die Stimmen, die Wirk­lichkeit, all ­dieses Verführerische, das lockt und leitet, dem man folgt und worein man sich stürzt: – ist es denn die wirk­liche Wirk­lichkeit, oder zeigt sich von der noch nicht mehr als ein Hauch, der ungreifbar auf der dargebotenen Wirk­ lichkeit ruht?! Es sind die fertigen Einteilungen und Formen des Lebens, was sich dem Misstrauen so spürbar macht, das Seinesgleichen, ­dieses von Geschlechtern schon Vorgebildete, die fertige Sprache nicht nur der Zunge, sondern auch der Empfindungen und Gefühle.“190

Die Hauptfigur Ulrich durchläuft verschiedene Berufsrollen; nach dem Militär widmet er sich dem Ingenieurwesen, anschließend der Mathematik. Die schematischen Weltbilder, w ­ elche 191 diesen Berufsgattungen eigen sind, desillusionieren ihn. Er gerät in den Konflikt mit den ra­tionalen Gesetzmäßigkeiten und den Rollen dieser Berufsfelder. Ulrich sieht darin den Verlust des Selbst, der Individualität, was man bei Ilya Kabakov in der Rolle des Kinderbuchillustrators auch anbringen kann. Ulrich quittiert: „[…] aber den Vorschlag, die Kühnheit ihrer [der Ingenieure] Gedanken statt auf ihre Maschinen auf sich selbst anzuwenden, würden sie 185 Shin 2008, 36 186 Ebd.; Musil 2007 (Bd. 1), 631. 187 KB126, 28. 188 Ilya Kabakov im Gespräch mit Matthias Haldemann, in: KB138, 74. 189 KB47, 37. 190 Musil 2007 (Bd. 1), 129. 191 Vgl. Kapitel 9. „Erster von drei Versuchen, ein bedeutender Mann zu werden“ und Kapitel 10 „Der zweite Versuch. Ansätze zu einer Moral des Mannes ohne Eigenschaften“ in: Musil 2007 (Bd. 1), 35 – 36, 36 – 38.

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ähn­lich empfunden haben wie die Zumutung, von einem Hammer den widernatür­lichen Gebrauch eines Mörders zu machen.“192 Er kapituliert und wird schließ­lich zum Sekretär der „Parallelak­tion“ für das 70-jährige Thronjubiläum des österreichischen Kaisers. Ulrich muss feststellen, dass die Rolle des menschlichen Individuums genau festgelegt ist und dass das Individuum durch „Schemata“ reduziert wird. Das Ideal „des exakten Lebens“ bestehe näm­lich darin, zu „schweigen, wo man nichts zu sagen hat; nur das Nötige tun, wo man nichts Besonderes zu bestellen hat; und was das Wichtigste ist, gefühllos bleiben, wo man nicht das unbeschreib­liche Gefühl hat, die Arme auszubreiten und von einer Welle der Schöpfung gehoben zu werden“.193 Diese Einstellung praktiziert Ilya Kabakov in seiner Tätigkeit als Kinderbuchillustrator, pflegt er doch diesen Broterwerb in ganz opportunistischer Manier, um parallel dazu seine eigene künstlerische Arbeit voranzutreiben: „Die Aufgabe konzentrierte sich […] darauf, in mög­lichst kurzer Zeit mög­lichst viel Geld zu verdienen.“194 So habe er sich als „sozia­le Figur“ von Anfang an vorgenommen, genau das zu zeichnen, was man von ihm erwartet habe, um mög­lichst schnell im „Gehaltsschema“ aufzusteigen. Bis heute liege ihm jeg­liche künstlerische Ambi­tion auf ­diesem Gebiet völlig fern. Dieser Strategie sei er all diese Jahre treu geblieben, und so habe er für sein zum Überleben notwendiges Einkommen ungefähr eineinhalb Monate im Jahr aufgewendet.195 Anfäng­lich werden Kabakovs Illustra­tionen von der Aufsichtsbehörde zurückgewiesen, zu persön­lich ist sein zeichnerischer Stil noch. Doch mit der Zeit kennt er die ideolo­gischen Formalismen, die er auf das Blatt Papier zu bringen hat. Das Individuelle und Einmalige hat darin keine Bedeutung mehr. Diese Beobachtung macht auch Ulrich in seiner Umgebung: „Fragen und Antworten klinken ineinander wie Maschinenglieder, jeder Mensch hat nur ganz bestimmte Aufgaben, die Berufe sind an bestimmten Orten in Gruppen zusammengezogen, man isst während der Bewegung, die Vergnügungen sind in anderen Stadtteilen zusammengezogen, und wieder anderswo stehen die Türme, wo man Frau, Familie, Grammo­phon und Seele wieder findet.“196

Selbst die „moderne“ Stadt wird als eine „Summe von reduzierten Individuen“ charakterisiert, in der alles determiniert ist.197 Auch Kabakov hält fest:

192 Musil 2007 (Bd. 1), 38. Vgl. Kapitel 9. „Erster von drei Versuchen, ein bedeutender Mann zu werden“ und Kapitel 10 „Der zweite Versuch. Ansätze zu einer Moral des Mannes ohne Eigenschaften“. 193 Ebd., 246. 194 KB116, 259. 195 Ebd. 196 Musil 2007 (Bd. 1), 31. 197 Ebd., 32.

Literarische Bezüge im Werk Ilya Kabakovs  |

„Wir kleiden uns zwangsläufig in fremde Kleider, wenn wir ‚uns selbst darstellen‘ wollen. Das ‚Ich‘ ist das Phantasma des anderen, und der andere ist mein Phantasma. Ich bin die Fik­tion der anderen, denn ich reagiere fortwährend auf ihre Erwartungen, diese Erwartungen aber denke ich mir selbst aus.“198

Kabakov wirft den offiziellen Künstlern Betrug vor: „Der inoffizielle Künstler hat Angst, zittert, steht aber mit seinem Inneren im Einklang, während der offizielle Künstler vor nichts Angst hat, dafür aber nicht in sich ruht, vergleichbar mit einem Gogol’schen Helden, der blut- und körperlos irgendwo herumirrt. Daraus erklärt sich die spezielle Anonymität, Gesichtslosigkeit der offiziellen Kunst, sie ist niemandem persön­lich zuzurechnen, und niemand hat persön­lich Bedarf an ihr.“199

Am Ende durchschaue gemäß Jörg Theis „Der Mann ohne Eigenschaften“ die gesellschaft­ lichen Mechanismen, die das Individuum determinieren, es von „außen“ nach „innen“ umbauen würden, und zweifle, ob er überhaupt eine eigene individuelle Identität aufbauen könne.200 Dieses Innen und Außen wird in der Musil-­Forschung oftmals auch mit der Metapher vom Fenster verg­lichen, ­welche in Kabakovs Œuvre und bei anderen Künstlern des Moskauer Konzeptualismus ebenfalls ein Thema ist.201 Das Fenster, das einerseits als Trennung z­ wischen der Innen- und Außenwelt, z­ wischen dem Gefühl (innen) und der Logik (außen), andererseits als Moment der Durchlässigkeit verstanden wird. 4.3.2.3 Eine fernöst­liche Legende: Verschmelzung von Haupt- und Ichfigur „Die Kunst überwindet nicht die Melancholie des Lebens, sie ist ebenso melancho­lisch wie das Leben, doch im Akt des Übergangs vom Leben in die Kunst öffnet sich irgendwo eine Tür, und die Melancholie ist nicht mehr allumfassend.“202 Ilya Kabakov, 1991

In Kabakovs Werk trifft man immer wieder auf die Verschmelzung von Haupt- und Ichfigur, „Personage“ und Künstler, Objekt und Subjekt und vor allem auf die Vereinigung seiner Kunst und seiner Biografie. Ist es Kabakov oder eine seiner „Personage“, mit denen wir es gerade zu tun haben? Agiert Kabakov nun als Künstler, Interpret oder als Autor? 198 KB47, 37. 199 KB116, 272 – 273. 200 Theis 2004a, 222. 201 Vgl. Böhme 1974, 165 f.; Theis 2004c. 202 KB47, 17.

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Kabakovs fiktive Künstlerpersön­lichkeiten Charles Rosenthal, Igor Spivak oder Stepan Jakovlevič Koshelev führen zwar ihre Eigenleben. Sie treten in Einzelausstellungen und Monografien auf. Sowohl ihre Biografien als auch ihre künstlerische Handschrift stehen jedoch in enger Verwandtschaft mit Kabakov.203 Seine Installa­tion Der Mann, der ins Bild flog, 1988, steht geradezu als Paradigma für die Verschmelzung von Haupt- und Ich-­Person in seinem Œuvre. Der Mann aus der Gemeinschaftswohnung hat ein kleines Selbstbildnis auf das großformatige, weiße Gemälde gemalt, das die Hälfte seines kleinen Zimmers füllt. Als er eines Tages nach Hause kommt, setzt er sich ganz nah vor das Bild, um sich von seinen alltäg­lichen Sorgen und Strapazen zu befreien und beginnt zu meditieren. Dabei wird er sukzessive von einem merkwürdigen Geisteszustand erfasst: „Es scheint ihm, als flöge nicht das gezeichnete Figürchen, sondern er selbst zunächst langsam, dann immer schneller ins Innere der weissen Tafel davon, in eine strahlende Ferne…“204 Weiter ist zu lesen: „Die weisse Tafel hört auf, eine einfache weisse Tafel zu sein, und wird zu einem weissen Nebel, dann zerstreut sich dieser Nebel, und das Weiss, das er immer noch anschaut, verwandelt sich allmäh­lich in einen riesigen strahlenden Raum, der von gleichmässig strömendem Licht durchdrungen ist. Das Licht steht und kommt zugleich sacht aus der unend­lichen Ferne geflossen, aus einer wunderbaren, segenspendenden Quelle.“205

Schließ­lich verschmilzt der Mann mit dem gemalten, winzigen Figürchen auf dem Bild. Das Hineintreten in das Bild ist bei Kabakov nicht bloß ein ästhetischer Zeitvertreib, sondern ein „Transzendieren“ aus der Mühsal des sowjetischen Alltags, eine „Transgression“ in eine bessere Welt. Kabakov sagt näm­lich, der in den engen Raum einer Gemeinschaftswohnung eingesperrte Mensch, der sich nicht durch Flucht retten könne, versuche, seine Lebenssitua­tion zu „transzendieren“ und damit zu überwinden. Zugleich spricht sein Gesprächspartner Iosif Bakštejn von einer „Form des Rückzugs“, einer „Rettung vor der furchtbaren Umgebung“.206 Neben bildwissenschaft­lichen Theorien 207, ­welche mit der Legende des Mannes, der in sein Bild fliegt, eng verknüpft sind, ist diese Legende ein wichtiges literarisches Motiv. Es verweist in seinem Ursprung nach China und Japan, und es zeigt sich im Folgenden, dass es längst in euro­päischen Literaturkreisen seinen Niederschlag gefunden

203 Vgl. Kapitel 3.4.6. 204 KB123 (Bd. 1), 147. 205 Ebd. 206 Ebd., 148. 207 Vgl. Mersmann 2007.

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hat. Womit Kabakovs Mann, der ins Bild flog sowohl mit der öst­lichen Bildtradi­tion als auch mit deren euro­päisch literarischen Adap­tion in Verbindung gebracht werden kann. Im tradi­tionellen chine­sischen Kunstbegriff spielt bereits die „Identifika­tion mit dem Thema oder Gegenstand“ eine wichtige Rolle: „Die Tatsache, dass im chine­sischen Kontext Natur und Mensch gleichermassen von der vegetativen Lebenskraft qi [sic] durchpulst sind, ermög­licht dem chine­sischen Künstler eine Identifika­tion mit dem von ihm gestalteten Thema oder Gegenstand“208, so Roger Goepper. Er hält weiter fest: „Die ‚geheimnisvolle Begegnung‘ (xuandui) [sic] mit dem Naturgegenstand hat den Charakter einer geistigen Kommunika­tion (shenhui).“209 Solche Begegnungen müssen sich aber nicht „realiter in der Natur“ ergeben, sondern können auch „zu Hause im Studio als Projek­tion“ eintreten.210 Im 11. Jahrhundert schreibt der Maler Guo Xi: „Es ist einem subtilen Künstler mög­lich, die Landschaften in all ihrer reichen Pracht zu reproduzieren. Ohne aus dem Zimmer zu gehen, kann er bei voller Zufriedenheit seines Herzens mitten ­zwischen Strömen und Tälern sitzen.“ 211 Für ­dieses ma­gische Schaffen und beispiellose Genießen von Malerei habe schon Zong Bing den Topos „Zuhause liegend umherwandern (woyou) [sic]“212 erfunden. Die deut­lichste Ausprägung der Identifika­tion mit dem Objekt findet sich allerdings seit der chine­sischen Song-­Zeit in der Tusche-­Bambusmalerei. Su Dongpo erzählt vom Bambusmaler Wen Tong: „Zur Zeit, da er Bambus malte, achtete er nur auf den Bambus und nicht auf seine eigene Person. Dabei war er sich seiner selbst nicht einfach unbewusst, sondern wie in Trance liess er seinen Körper zurück, ja sein Körper verwandelte sich in einen Bambus […].“213 Für den Mann in Kabakovs Erzählung löst der Vorgang des „Aus-­dem-­Körper-­Tretens“ jedoch Unbehagen aus, denn „obwohl seine Seele klar begreift, dass er selbst dem davonfliegenden Figürchen nachfliegt, ist sich der andere Teil seines Wesens durchaus bewusst, dass er reglos in seinem einsamen Zimmer sitzt, […].“214 Der Mann sieht in d ­ iesem Zustand sogar eine lebensbedrohliche Krankheit: „Er sieht ein, dass es nichts taugt, Licht zu sehen anstelle von vergilbter Ölfarbe, die er mit der ausgestreckten Hand anfassen und als dünne, getrocknete Schicht abschälen kann, es ist eine Fieberfantasie, Anzeichen einer vorläufig unklaren, aber wahrschein­lich gefähr­lichen

208 Goepper 2000, 30. Vgl. auch Jullien 2005. 209 Ebd. 210 Ebd. 211 Bush/Shih 1985, 151, hier zit. nach: Goepper 2000, 30. 212 Diese Erzählung von Zong Bing erscheint im „Lidai minghua ji 6“, hier zit. nach: Goepper 2000, 30. 213 Bush/Shih 1985, 212. 214 KB123 (Bd. 1), 148.

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Krankheit. Ausserdem beginnt er infolge des langen Sitzens allein vor der Tafel zu spüren, dass ihm die Wirk­lichkeit entgleitet und er schon nicht mehr genau sagen kann, wo er in Wirk­lichkeit ist… [sic]“215

Die Geschichte vom chine­sischen Maler Wu Daozi, der in seinem Bild verschwindet, findet auch in euro­päischen Schriftstellerkreisen ihre Verwendung. „Von Wu Daozi wird erzählt, er habe ein grosses Landschaftsbild an eine Wand des Palastes gemalt und ­dieses aber dem K ­ aiser erst nach der Fertigstellung enthüllt.“ 216 Er habe auf die Grotte gedeutet und in die Hände geklatscht. Daraufhin habe sich eine Türe geöffnet und der Maler sei in das von ihm geschaffene Bild getreten und zusammen mit d ­ iesem vor den Augen des Kaisers verschwunden. Dabei wird auf das Buch „Spuren“ (1930) des deutschen Philosophen Ernst Bloch (1885 – 1977) hingewiesen.217 Birgit Mersmann zufolge habe wohl Bloch die Geschichte vom chine­sischen Maler in der deutschsprachigen Literaturlandschaft bekannt gemacht und sie als Vor-­Schein einer Utopie im Hier und Jetzt, als Ankunfts- und Glückssymbol gedeutet.218 Die Geschichte vom chine­sischen Maler, der in seinem Werk und mit d ­ iesem zusammen verschwindet, fungiere darin als ein adäquates Bild und eine probate Vermittlungsinstanz, um die moderne Krise der Repräsenta­tion einzufangen, die als Abbild- bzw. Darstellungskrise in Erscheinung trete und mit dem Verschwinden des Autors und dem Tod des Subjekts in Verbindung gebracht werde.219 Bernhard Greiner hat sich dem Mythos des chine­sischen Malers in der deutschen Literatur ebenfalls angenähert. Er findet ihn vor allem bei Walter Benjamin, Dieter Wellershoff, Peter Handke und Eva Meyer.220 In Dieter Wellershoffs Erzählung „Das Verschwinden im Bild. Über Blendwerke und Fik­tionen“ von 1984 werde der Topos von der Verlebendi­ gung des Bildes als Kulmina­tionspunkt einer vom Künstler auf die Spitze getriebenen und daher sich selbst negierenden Repräsenta­tion vorgeführt: „Es gibt eine Legende über einen chine­sischen Maler, der sein Leben lang versuchte, die Landschaft vor seinem Fenster zu malen, aber nie mit seinen Werken zufrieden war. Sie erregten allgemeine Bewunderung. Er galt inzwischen als der grösste Meister seiner Zunft. Aber er selbst fand, dass seine Bilder den Gegenstand nicht erreichten. Schliess­lich aber gelang ihm doch ein Bild, das

215 KB123 (Bd. 1), 148. 216 Hier zit. nach: Mersmann 2007, 195. 217 Greiner 1999, 177, hier zit. nach: Mersmann 2007, 195. 218 Mersmann 2007, 195. 219 Ebd., 196. 220 Greiner 1999.

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seinen Ansprüchen genügte. Er zeigte es seinen Freunden, die alle übereinstimmten, dass dies ein vollkommenes Werk sei. Darauf soll der Maler sein Malerwerkzeug weggelegt haben und vor den Augen seiner Freunde in sein Bild hineingegangen und darin verschwunden sein. Die Parabel erscheint einfach und ist doch eine Kristallisa­tion vielfältiger Erfahrungen. Ihr szenischer Schluss erlaubt eine sentenzhafte Zusammenfassung ihres Sinns: Der Künstler geht in seinem Werk auf. Doch gewinnt die Erzählung ihre Spannung, indem sie den Blick auf den langen, beschwer­lichen Weg richtet, an dessen Ende der Schritt in eine wunderbare Vollendung mög­ lich wird. Ausgangspunkt ist das schmerz­liche Nicht-­haben, das Nicht-­erreichen-­können. Die Landschaft, das sehnsüchtig betrachtete Andere, bleibt unerreichbar für sich. Und die Parabel deutet nun die künstlerische Arbeit als einen Prozess geduldiger Annäherung an den umworbenen Gegenstand, an dessen utopischem Zielpunkt die Entzweiung von Subjekt und Objekt in eine vollkommenen Vereini­gung getilgt wird, die so triumphal wie unheim­lich ist.“221

Der besprochene Mythos wird aber auch als „Subjektkrise und Selbstauflösung“, als „Negierung des Selbst“ gedeutet.222 In d ­ iesem Kontext steht sicher­lich auch Kabakovs Werk Der Mann, der ins Bild flog und schließ­lich auch sein Alben-­Zyklus Zehn Personagen, allesamt Psychogramme des Künstlers, die sich am Ende ihrer jeweiligen Geschichte im Nichts auflösen – auch wenn Kabakovs Werke nicht in dem Sinn verschwinden wie bei der Legende des chine­sischen Malers. Walter Benjamin transportiert den chine­sischen Mythos in den Kontext des „Verschwinden[s] des Selbst“.223 So könne nach Bernhard Greiner Benjamins Deutung des chine­sischen Motivs als Ausdruck einer Erfahrung einer gesteigerten Ich-­Krise verstanden werden.224 Nicht nur sei das „Ich“ philosophisch, psycholo­gisch, literarisch „unrettbar“, zu Beginn der 1930er-­Jahre in Europa sei die ideolo­gisch-­sozia­le Auslöschung des Ich in den faschistischen Massenbewegungen von einer neuen, existentiell bedrängten Aktualität.225 Hingegen spielt Kabakovs ungesicherter Status als Künstler im Untergrund, sein „Kellerloch[dasein]“ 226 über die Jahre hinweg in Moskau für die Motivwahl seines Werks Der Mann, der ins Bild flog sicher­lich eine wichtige Rolle und könnte auch als Subjektkrise gedeutet werden. Laut Mersmann drücke Walter Benjamin in der „Kierkegaard-­Studie“ (1933) in der chine­ sischen Legende ebenfalls die Erfahrung einer gesteigerten Subjektkrise aus, einer Schaffenskrise, in der Schöpfung durch Erschöpfung verdrängt werde.227 Mersmann deutet ­dieses

221 Wellershoff 1980, 235 f., hier zit. nach: Greiner 1999, 198. 222 Greiner 1999, 187. 223 Ebd. 224 Ebd., 187 – 189. 225 Ebd. 226 KB116, 294. 227 Mersmann 2007, 197.

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Schwinden als ein „Zusammensinken“, ein „Diminuieren“ und als ein „Rückentwickeln“ – Prozesse, die mit Bedeutungs- und Sinnverlust konnotiert ­seien: „Da diese Erfahrung negativ besetzt ist, taucht, um die Schwindsucht des Subjekts zu kompensieren, der Gedanke der Erlösung und Rettung auf. Das Selbst wird als Verschwindendes gerettet durch Verkleinerung.“228 Und doch ist bei Walter Benjamin nachzulesen: „Das Eingehen ins Bild spendet Trost, dessen Quelle die Phantasie als Organon bruchlosen Übergangs vom Mythisch-­Historischen in Versöhnung ist.“229 Was wiederum Kabakovs Transzendierungsgedanken unterstreicht.

4.4 Zusa mmenfassung Zum Dialo­gischen bei Ilya Kabakov gehören nicht nur die werkimmanenten, sondern auch die vielen intertextuellen Bezüge, die der Künstler in sein Werk eingelassen hat. Damit sind in erster Linie Kabakovs künstlerische Aneignungen und Inkorporierungen, aber auch Zita­tionen zahlreicher literarischer Vorbilder gemeint, die in seinem narrativen Werk zu finden sind. Kabakov dialogisiert sich einerseits mit seinen zahlreichen „Personagen“, die sein Werk kommentieren, andererseits mit literarischen Bezügen, die es in einen geschicht­lichen Kontext integrieren und damit zeit­lich und räum­lich nochmals um ein Vielfaches dimensionieren. Überhaupt geht Kabakov von einem gewissen literarischen Ideal aus, welches sich in seiner Konzeptkunst insbesondere durch die rus­sische Triade aus dem 19. Jahrhundert, Gogol’, Dostoevskij und Čechov, manifestiert. Kabakov stellt sich damit ganz bewusst in die rus­sische literarische Tradi­tion und nicht in jene der rus­sischen bildenden Kunst, die in die ideolo­gische Sackgasse des Sozia­listischen Realismus führt. Die Suche nach einem brauchbaren Stil und vertretbaren Vorbild führt ihn zu den verschiedenen Schreibweisen großer literarischer Namen. Kabakov agiert dabei als Autor und Held, Autor und Figur seiner Geschichten, die aus seinem Leben stammen und doch auch Allgemeingültigkeit erlangen. Das Pendeln ­zwischen Autorschaft und Autorlosigkeit gehört gewissermaßen zum Werk und definiert letzt­lich auch die Kabakov’sche Intertextualität als ein Konglomerat von Schreibweisen. Ein solches intertextuelles Textgefüge wird von Kristeva als ein „Mosaik von Zitaten“ und von Barthes als ein „Gewebe von Zitaten“ bezeichnet. Die literarischen Inkorporierungen und Aneignungen schlagen sich in unterschied­licher Art und Weise in seinem Werk nieder. Mit den zahlreichen intertextuellen Bezügen literarischer Vorbilder aus dem 19. und 20. Jahrhundert eröffnet der Künstler eine Art Bibliothek. Will man bei Kabakovs Werk von einem Gewebe oder Mosaik aus Zitaten sprechen, muss 228 Mersmann 2007, 197. 229 Benjamin 1933, hier zit. nach: Mersmann 2007, 197.

Zusammenfassung |

allerdings differenziert werden, arbeitet der Künstler doch viel weniger mit Zitaten aus der Literatur als er sich künstlerisch gewisse literarische Schreibweisen aneignet oder inkorporiert. Mit den Erläuterungen zu Gogol’s, Čechovs und Dostoevskijs Schreibweisen und insbesondere mit der Darstellung ihrer Sichtbarkeit in Kabakovs Werk hat sich dies bestätigt. Die drei Schreibweisen, die phantasmagorischen Figuren Gogol’s, die endlosen Erörterungen und Verkettungen Dostoevskijs und die sprechenden Figuren Čechovs, charakterisieren auf der einen Seite ganz grundsätz­lich das Dialo­gische bei Kabakov – Bachtin entwickelte die ­Theorie der Dialogizität anhand der literarischen Verfahren von Dostoevskij. Auf der anderen Seite spiegeln sich diese auch in seinem Kunstschaffen wider. So ist die für Gogol’ typische Verding­lichung auch in Kabakovs Werken wie den Gemäldeserien mit Küchenutensilien oder den mit Zetteln beschrifteten Hausratsobjekten und Müll­ gegenständen zu finden. Das Phantasmagorische, die Darstellung literarischer Trugbilder bei Gogol’ findet ihre Entsprechung in den fiktiven Stimmen und „Personagen“, die Kabakov einsetzt, um sein Schaffen zu dialogisieren. Oder die für Čechov charakteris­ tische stückweise oder abgerissene Kommunika­tion, in der sich Stimme an Stimme reiht und doch jede auch für sich alleine funk­tioniert, zeigt sich in ähn­licher Art und Weise im Verhältnis z­ wischen Einheit und Vielheit, das sich durch Kabakovs Œuvre zieht wie ein roter Faden. Der Künstler setzt die Stimmen vorwiegend ein, um sein Werk zu dialo­ gisieren und um den Rezipienten seiner Kunst in ein Beziehungsgefüge einzuschließen. Gegenüber diesen drei wichtigen Bezügen zur rus­sischen Belletristik offenbaren sich auch jene zu Schreibweisen von Autoren außerhalb der rus­sischen Tradi­tion, die als wichtige literarische Bezugs- und Inspira­tionsquellen für Ilya Kabakov erscheinen, wenn er auch diese nicht so prominent erwähnt. Mit Marcel Proust und Robert Musil werden zwei Autoren in den Fokus gerückt, deren Romane „A la recherche du temps perdu“ und „Der Mann ohne Eigenschaften“ in seinem Werk anklingen. Gleichzeitig könnte Kabakovs Leben auch einer dieser Romane darstellen. Sein Werk ist ein „Gebäude der Erinnerungen“ (Proust), ein Werk der Erinnerungen an seine sowjetische Zeit, überhaupt an sein vergangenes Leben im Allgemeinen, indem er einzelne Sta­tionen festhält und aufleben lässt. Das Hin und Her ­zwischen Wirk­lichkeitssinn und Mög­lichkeitssinn, so wie es Musil anhand seines Manns ohne Eigenschaften zur Sprache bringt, findet sich sowohl in Kabakovs Leben als auch in seiner Konzeptkunst, die z­ wischen Mög­lichkeit, Utopie und Wirk­lichkeit, ­zwischen Idee und Ausführung, Konzept und Realisa­tion oszilliert. Schließ­lich weitet sich der literarische Bezugskreis mit einer chine­sisch-­japanischen Legende deut­lich aus. Damit zeigt sich die Offenheit des dialo­gischen Konzepts auch in der Kabakov’schen Intertextualität, wird die offene, universelle Lesart seines dialo­gischen Systems auch von dieser Seite her ersicht­lich. Die Legende vom Mann, der in sein Bild steigt, dient als literarisches Sinnbild für Kabakovs Verknüpfung von Haupt- und Ichfigur, Objekt und Subjekt, innerer und äußerer Sicht, die er in seinem Werk zu einem kunstvollen Ganzen zusammenführt, aber auch als Subjektkrise gedeutet werden kann.

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5 Ilya Kabakov im jüdischen Kontext „Diese tatsäch­lich spezifisch jüdische Erfahrung des seit­lichen Blicks auf die Welt begünstigt allerdings die Genauigkeit der Beschreibung, das Verstehen der grundlegenden Züge unserer Zivilisa­tion.“1 Ilya Kabakov, 1991

Kabakovs ­Mutter, Bejla Ulievna Solodukhina (1902 – 1988), umschreibt in ihren fragmentarischen Aufzeichnungen ihre Eltern in ­kurzen Sätzen: „Der Vater war verschlossen und wortkarg, er kannte nur seine Arbeit und die Synagoge. Rus­sisch konnte er nicht. […] Die ­Mutter beherrschte Jiddisch in Wort und Schrift und las viele ­Romane.“2 Angesprochen auf seine ostjüdische Herkunft und seine gespaltene Beziehung zur rus­sisch-­sowjetischen Kultur, der „äusseren Zugehörigkeit und zugleich innere[n] Entferntheit oder sogar Fremdheit“3, antwortet Ilya Kabakov 1991 seinem Gesprächspartner Boris Groys: „[…] inzwischen war ich in Israel, und da überfiel mich plötz­lich ein echtes Heimatgefühl. Das war die erstaun­liche Empfindung, in der Welt an meinem Platz zu sein, ungefähr so, als stecke man einen Schlüssel ins Schlüsselloch und die Tür öffnet sich mühelos. In Israel hatte ich zum ersten Mal nicht das Gefühl, in der Fremde zu sein.“4

Im Gespräch mit Andreas Kreul zu seiner Installa­tion Der metaphy­sische Mensch macht Kabakov 1998 im gleichnamigen Katalog indes die Aussage, dass er nur ein Beobachter sei, kein religiöser Praktiker: „Es gibt aber sehr viele rus­sische Künstler, die wie Propheten arbeiten, ihre Bilder zeigen eine prophetische Welt. Ich bin natür­lich nicht so enthusiastisch an religiösen Problemen interessiert; ich bin aber auch nicht so zynisch zu sagen, dies sind alles Idioten oder Fanatiker. Ich stehe ­zwischen diesen beiden Posi­tionen: Kultur und Religion.“5

1 KB47, 129. 2 KB70, 24, 26. Das Album ist die Grundlage der Installa­tionen Labyrinth. Das Album meiner M ­ utter (1990) und M ­ utter und Sohn (1990). Vgl. KB123 (Bd. 1), Nr. 31, 36. 3 KB47, 126. 4 Ebd., 129. 5 Ausst.Kat. Bremen 1998, 21.

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Kabakov arbeitet mit jüdischen Philosophien und lässt diese in sein Œuvre mit einfließen. Man könnte mit anderen Worten formulieren, dass Kabakovs Werk sozusagen auch von einer jüdischen „Personage“ bewohnt wird, die in seinem Werk ähn­lich zu Hause ist wie andere seiner bereits erwähnten „Personagen“, die zu seinem künstlerischen Verfahren zählen und sein Werk kommentieren und dialogisieren.6 In der jüdischen „Personage“ – man denke hier an Charles Rosenthal, ein bedeutendes Alter Ego Kabakovs – stellt der Künstler den Kontext zu seinem jüdischen Hintergrund her und damit gleichzeitig eine Koexistenz ­zwischen „Kultur und Religion“7, wie er selbst sagt. So stößt man auf eigene gemachte Aussagen wie jene, dass Kabakov sich wie Golem fühle,8 oder jene über die „kleinen Menschen“, dass sich Ähn­liches bei den chassidischen Juden finde, die sagen würden, sie ­seien alle „kleine Menschen“: „Er, der kleine Mann, wird in seiner subjektiven Posi­tion gezeigt, und es gibt vielleicht die Mög­lichkeit, ihn objektiv zu kritisieren, wenn du ihn kritisierst, … aber auch du bist nur ein kleiner Mann. Die ganze Welt wird gebildet aus diesen kleinen Männern. Vielleicht ist diese Haltung sehr pessimistisch; es gibt ja ähn­liches auch bei den chassidischen Juden, die sagen: Wir sind alle kleine Menschen.“9

Kabakov verarbeitet das Motiv des „kleinen Manns“ oder der „kleinen Männchen“ in den Arbeiten wie Alte Möbel und weisse Männchen (1989), Der kleine Mann (1988) oder Weisse Männchen (1983). Gleichzeitig finden sich zahlreiche jüdische Motive wie beispielsweise in der Installa­ tion Die Tore (2006), die neben nachgebauten, im Raum platzierten Toren oder Pforten auch Texte, Zeichnungen und impressionistische Gemälde beinhaltet, ­welche an Claude Monets großteilige Bildserie Kathedrale von Rouen von Anfang der 1890er-­Jahre erinnert. Überhaupt spielen die Tür, der Eingang und der Übergang in Ilya Kabakovs

6 Vgl. Kapitel 3.4.6. 7 KB47, 129. 8 Die Autorin im Gespräch mit Ilya Kabakov, Long Island, 14. 01. 2009. Golem ist eine prominente Sagenfigur aus dem Prager Ghetto Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts. Vgl. Scholem 1970a; Petisky 1979; Meyrink 1981; Nübler 2005. 9 Ausst.Kat. Bremen 1998, 27. Der literarische Typus des kleinen Mannes bzw. des kleinen Beamten wird insbesondere von Gogol’ („Der Mantel“) und im Folgenden auch von Dostoevskij („Arme Leute“) verarbeitet. Olaf Terpitz zufolge gelten Tolstoj, Gogol’ und Dostoevskij mit ihren Darstellungen jüdischer Figuren als Vorbilder für jüdische Autoren. In: Terpitz 2008, 62. Vgl. auch Ingold 1981, worin Ingold Dostoevskijs Umgang mit dem Judentum aufschlussreich nachzeichnet. Doch mag dieser Typus auch an den Roman „Kleine Menschen und kleine Gedanken“ von Scholem Alejchem erinnern, worin der Autor neben all der Tragik, Bitterkeit und Armut mit einer Leichtigkeit das ostjüdische Alltagsleben dieser „kleinen Menschen“ nachzeichnet.

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„totalen“ Installa­tionen eine wichtige Rolle.10 Im „Buch der Schöpfung“ (Sefer Jezira) ist von 231 Toren die Rede, durch w ­ elche die 22 hebräischen Buchstaben „in verschiedenen Buchstabenkombina­tionen und komplizierten Mikro- und Makrokosmosentsprechungen“ hervorgehen, wobei Gott daraus „alles Geschaffene und alles Gesprochene“ bildet.11 Dieses Gefüge erinnert auch an Kabakovs „Buch im Buch“-Darstellung, die er im Zusammenhang seiner Kinderbuchillustra­tionen erwähnt.12 Allerdings offenbart sich Kabakovs jüdische Identität nicht in der Intensität wie in Marc Chagalls (1887 – 1985) oder Chaim Soutines (1893 – 1943) Werken. Ilya Kabakov macht seine religiöse Zugehörigkeit nicht zum offenkundigen Thema seiner Kunst, obwohl seine Biografie, aus der er seine Geschichten schöpft, eine zentrale Rolle in seinem Œuvre spielt. Vielmehr agiert Kabakovs jüdische Figur wie andere seiner Stimm­ figuren, die sein künstlerisches Universum bevölkern. Dabei webt sich Kabakovs jüdischer, autobiogra­fischer Kontext genauso in sein Werk ein wie das auch mit anderen ­Themen und Figuren, beispielsweise aus der Literatur, passiert. Das Vokabular dieser jüdischen „Personage“ wird in den nachfolgenden Kapiteln unter verschiedenen Aspekten und bestimmten Motiven beleuchtet. Vorerst folgt ein kurzer Abriss über die wichtigsten politischen Geschehnisse ab den 1930er-­Jahren, dem Jahrzehnt, in das Ilya Kabakov hineingeboren wird. Sie rufen ins Bewusstsein, mit welch großen Diskriminierungen und Repressionen die sowjetischen Juden in der Zeitspanne bis zu Stalins Tod 1953 und lange darüber hinaus zu leben haben, auch wenn Ilya Kabakov in seiner Kindheit keinen unmittelbar antisemitischen Aggressionen ausgesetzt gewesen sei: „Und übrigens habe ich, obwohl ich in der ziem­lich bedrückenden Atmosphäre eines sowje­ tischen Kinderheims aufwuchs, unmittelbar antisemitische Aggressionen gegen meine Person niemals erlebt. Vielleicht lag es daran, dass mein Name nicht typisch jüdisch ist, und mein Gesicht eigent­lich auch nicht, so dass ich gar nicht ohne weiteres als Jude zu erkennen war.“13

Das Bewusstsein ist dadurch aber mit dem Heranwachsen und Älterwerden sicher­lich geschärft worden, so dass man aufgrund der politischen Atmosphäre in ständigem Wissen darum und in Angst gelebt hat. In ­diesem Zusammenhang ist überdies über die Bezeichnung der Moskauer Konzeptkunst als „System im System“ nachzudenken, haben doch einige Künstler dieser Gruppierung einen jüdischen Hintergrund. Begünstigt dafür die jüdische Abstammung ihre

10 Vgl. Kabakov 1995. 11 Hermann 2008, 32. 12 Vgl. Kapitel 3.2.3.3. 13 KB47, 128.

Geschicht­liche Hintergründe 

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kritische Außenseiterposi­tion gegenüber dem sowjetischen System? Wird durch ihre jüdische Identität ihr (künstlerischer) Blick auf d ­ ieses noch zusätz­lich geschärft?

5.1 Geschicht­l iche Hintergründe: Das Judentum in der Sowjetunion Nach der Revolu­tion von 1917 werden die Juden in der rus­sischen bzw. sowjetischen Gesellschaft, wenn auch unter gewissen ideolo­gischen Vorzeichen, recht­lich gleich­gestellt.14 Obwohl in den 1920er-­Jahren der Sowjetstaat die Verbreitung der jiddischen Sprache und die Assimila­ tion einer aufgeklärten, proletarischen jiddischen Kultur fördert, werden mit Beginn der 1930er-­Jahre immer mehr Einschränkungen und Verbote gegenüber den sowjetischen Juden verhängt.15 1930 werden die jüdischen Abteilungen innerhalb der Kommunistischen Partei abgeschafft. Die politischen Sank­tionen der Jahre 1932 und 1934 seitens der Zentralmacht treffen auch die zur sowjetischen Intelligenzija zählenden jüdischen Kulturschaffenden. Am 23. April 1932 beordert das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei die Auflösung aller Künstlervereinigungen zugunsten staat­lich kontrollierter Künstlerverbände.16 Die Verkündigung einer Doktrin unter dem Namen des Sozia­listischen Realismus wird zwar auf dem E ­ rsten Allunionskongress der sowjetischen Schriftsteller im August 1934 ausgerufen. Dieses Motto wird ­später jedoch auch auf andere Künste übertragen. Die Kunst- und Kulturschaffenden haben von nun an der einzigen politischen Ideologie des Sozia­lismus zu dienen, die zur Bildung und Erziehung der Volksmasse eingesetzt wird. Dabei werden die sowjetischen Juden in Politik, Kultur und Wissenschaft noch toleriert, wenn nicht sogar – wie der jüdische Schriftsteller Il’ja Ėrenburg – gefördert. Dem berüchtigten „fünften Punkt“ im Pass betreffend die religiöse Zugehörigkeit wird noch keine große Aufmerksamkeit zuteil.17 Die Jahre 1937 bis 1939 werden als die „großen Säuberungen“ bezeichnet. Sie gipfeln im Mai 1939 im Kontext des Hitler-­Stalin-­Pakts mit der Absetzung des jüdischen Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten, Litvinov, der durch Molotov ersetzt wird. Dieser Fall zeigt, dass ein großer Prozentsatz säkularer sowjetischer Juden wichtige Funk­tionen in der Administra­tion, Armee und der Partei innehat.18

14 Vgl. Slezkine 2004; Gitelman 1988; Grüner 2008; Haumann 2008b. 15 „Die zukünftige sozia­listische jüdische Kultur sollte sich im Medium der jiddischen und rus­sischen Sprache entfalten, die als die Sprachen des Proletariats galten, im Gegensatz zum Hebräischen, das als Sprache der Reichen und der Rabbis stigmatisiert wurde.“ In: Simon 2005, 94. 16 Vgl. Groys 1988/1996. 17 Groys 1996, 82; Simon 2005, 87. 18 Simon 2005, 96 – 99.

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Den endgültigen Wendepunkt auf politischer Ebene markiert das Jahr 1941, als die deutsche Wehrmacht mit dem Einmarsch in die Sowjetunion am 22. Juni mit der Ermordung der Juden in den von ihnen besetzten Gebieten beginnt. Stets sei nur von Verbrechen der deutschen Besatzungsmacht an Sowjetbürgern die Rede gewesen, ohne dass die gezielte Vernichtung der Juden beim Namen genannt worden sei, so Gerhard Simon in seinem Aufsatz „Juden in der Sowjetunion: Von der Emanzipa­tion in den 1920er Jahren zur Verfolgung in der späten Stalinzeit“.19 Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Gründung des Staats Israel wird in der Sowjetunion eine noch härtere und aggressivere Gangart gegen die Juden unternommen. Ihre Religionsausübung ist stark eingeschränkt.20 Mitte Januar 1948 wird der berühmte Schauspieler, Regisseur und Direktor des jüdischen Staatstheaters Moskaus (GOSET) sowie Vorsitzende des Jüdischen Antifaschistischen Komitees (JAK ), Solomon M. Michoėls (1890 – 1948), im Auftrag der Staatssicherheit bei einem getarnten Autounfall in Minsk ermordet. Im November desselben Jahres wird das Komitee aufgelöst, womit auch sein wichtigstes Organ, die jiddische Zeitschrift „Eynikayt“, eingestellt wird.21 Dem JAK gehören Literaten, Dichter, Musiker, Schauspieler, Künstler, Journalisten, Kritiker, Wissenschaftler sowie Ärzte und ranghohe Militärs und Politiker an. In ganz erheb­ lichem Maß ­seien hier die Vertreter der jiddischsprachigen Literatur und des jüdischen Theaters engagiert gewesen. So könne man diese „Kampagne“ mit Recht als „Pogrom gegen das sowjetische Geistesleben“ bezeichnen, erklärt Frank Grüner in seinen Ausführungen in „Patrioten und Kosmopoliten. Juden im Sowjetstaat 1941 – 1953“.22 Einer der Gründe liegt sicher­lich darin, dass sich der im Mai 1948 neu gegründete Staat Israel mit den Vereinigten Staaten und nicht, wie von Stalin erhofft, mit einem sozia­listischen System verbündet, womit sich Stalins Hoffnungen auf Einflussnahme im Nahen Osten zerschlagen. Dies hat zur Folge, dass für Stalin die erstarkten Juden zu einer Gefährdung für den Sowjetstaat werden. Zudem stößt das JAK in verschiedenen Staaten, besonders aber in den USA, wo es während des Zweiten Weltkrieges Spenden amerikanischer Juden sammelt, auf große Beliebtheit, was Stalin ein weiterer Dorn im Auge ist.23

19 Simon 2005, 96 – 99. 20 Ebd., 94 – 95. „Was Stalin persön­lich betrifft, gibt es – soweit ich sehe – weder vor noch nach dem Zweiten Weltkrieg öffent­liche antisemitische Äusserungen von ihm. Das überliess er dem Propagandaapparat, der sich seit 1949 in Hasstiraden und Verleumdungen gegenüber den Juden überschlug. Dennoch besteht kein Zweifel, dass die Zurückdrängung und s­ päter die Verfolgung sowjetjüdischer Eliten von Stalin selbst initiiert waren; das belegen die Archivmaterialien.“ In: Ebd., 96. 21 Grüner 2008, 115 – 128. 22 Ebd., 125. 23 Ebd., 127 – 128; Simon 2005, 97 – 98.

Geschicht­liche Hintergründe 

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Besonders ab d ­ iesem Datum und bis zum Tod Stalins im März 1953 werden die Juden aus sämt­lichen politischen, kulturellen und wissenschaft­lichen Bereichen verdrängt.24 Jiddische Drucksachen wie Bücher und Zeitungen werden in diesen „schwarzen Jahren“ verboten, Werke von jüdischen Autoren wie Eduard Bagrickij, Vasilij Grossman, Michail Svetlov, Iosif Utkin und Boris Pasternak aus den Bibliotheksregalen verbannt. Studenten jüdischer Abstammung sind, wenn überhaupt, nur noch stark reglementiert an den Hochschulen zugelassen. Es folgen regelrechte „Hasstiraden und Verleumdungen“ gegen die jüdische Minderheit, es werden Verhaftungen, Verbannungen und Todesurteile gesprochen. Zugleich wird das jüdische Volk als „wurzellose Kosmopoliten“ betitelt, die man zur Stärkung der sowjetischen Macht beseitigt haben wollte. Ist der Feind früher als „Trotzkist“ oder „Kulak“ bezeichnet worden, gelten nun seitens des Staates die „Kosmopoliten“ als die größten Widersacher.25 So sind Sprüche wie „heimatlose Kosmopoliten“ Synonyme für alles Jüdische geworden. Stalin setzt die Juden im Zuge der öffent­lich geführten Hetzkampagne gegen die Kreml-­ Ärzte im Januar 1953 sogar mit Spionen gleich: „Jeder jüdische Na­tionalist ist ein Agent der amerikanischen Spionage.“26 Stalin bezichtigt sein vorwiegend jüdisches Ärzteteam, sie hätten ihn vergiften wollen. Nur sein Tod wendet ihre schon gesprochene, bevorstehende Exeku­tion ab. Der in den Tageszeitungen offen kommentierte Fall brandmarkt in der breiten Bevölkerung alle Menschen jüdischer Herkunft. Die geschürten Vorurteile gegen alles Jüdische werden in der breiten Masse durch diesen Prozess nur noch gefestigt. Dementsprechend beginnen sich die sowjetischen Juden zurückzuziehen und ihrer Sicherheit wegen zu isolieren. Auch distanzieren sie sich allmäh­lich von der Regierung und ihrem bürokratischen Apparat. Zvi Gitelman hält fest, dass die sowjetischen Juden “acculturated but not assimilated” gewesen s­eien, “because while for the most part they have lost their Jewish culture, they have not lost their Jewish identity”.27 Diese veränderte Haltung gegenüber dem Sowjetstaat habe sich laut Frank Grüner vor allem darin ausgedrückt, dass zahlreiche jüdische Sowjetbürger, die sich noch vor Beginn des Krieges ihrer eigenen Na­tionalität kaum bewusst gewesen ­seien, nun ganz offensicht­lich die konkrete Gemeinschaft bzw. den Zusammenhalt mit anderen Juden zu suchen begonnen hätten. Vor allem Angehörige der jüdischen Intelligenzija hätten berichtet, dass sie, soweit dies überhaupt mög­lich gewesen sei, die Gesellschaft zu nichtjüdischen Kollegen an ihrer Arbeitsstelle, den Kontakt zur nichtjüdischen Bevölkerung im Alltag oder den zu nichtjüdischen Bekannten im Privaten zu meiden begonnen hätten, offensicht­lich aus einem Gefühl der Unsicherheit und Angst heraus, selbst zum Opfer antijüdischen Hasses und folgenschwerer Verleumdungen werden zu können.28 24 25 26 27 28

Grüner 2008, 399 – 406/438 ff.; Simon 2005, 96 – 98. Simon 2005, 98. Brent/Naumov 2003, 278. Gitelman 1988, 272. Grüner 2008, 272 – 273.

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5.1.1 Die jüdische Identität einiger Moskauer Konzeptualisten Mit der Tatsache, dass die rus­sische Kultur eher literarisch als visuell geprägt (gewesen) ist, sind neben den bildenden Künstlern insbesondere die Schriftsteller von den Sank­tionen und Unterdrückungen gegen alles Jüdische betroffen. Boris Groys stellt dafür die These auf, dass gerade deshalb nach der Stalin-­Ära die inoffizielle bildende Kunst einen wichtigen Faktor in der kulturellen Opposi­tion einnehme.29 Neben Ilya Kabakov haben viele Moskauer Konzeptualisten wie auch Oskar Rabin, Vladimir Vejsberg, Ėrnst Neizvestnyi, Eduard Štejnberg, Viktor Pivovarov und Irina Mikhailovna Pivovarova mit ihrem Sohn Pavel Pepperštejn, Ėrik Bulatov, Vladimir Jankilevskij 30 oder das Künstlerpaar Vitalij Komar und Aleksandr Melamid einen jüdischen Hintergrund.31 Der Moskauer Kunsthistoriker Viktor Misiano 32, der mit den inoffiziellen Künstlern in Verbindung steht, verweist in ­diesem Kontext auf Marc Chagalls „Kleines Jerusalem“ und seine Sicht auf die Funk­tion des jüdischen sowjetischen Künstlers als eines Erschaffers eines politisch versprochenen Landes: “This tendency goes back to Marc Chagall, to his mythicized ‘Little Jerusalem’ and to his view of the artist’s func­tion as the creator of a poetic Promised Land.”33 So sei die jüdische Identität zur einzigen wahren sowjetischen Identität geworden. Die sowjetischen Juden, betont Misiano, hätten eine kritische Posi­ tion gegen die sowjetische Realität eingenommen: “This is why Jewish identifica­tion of self in the Soviet context stands not so much for an ethnic or confessional identity as for a cultural one – and, above all, an ethical and political one. […] Since Stalin’s death, being Jewish has not been an ethnic reality, but an ethical choice.”34

29 “It is possibly for this reason that visual art became such an important factor in the cultural opposi­ tion of the post-­Stalin era.” In: Groys 1996, 87. 30 Jankilevskijs Vater war Rabbiner. 31 Vgl. Tumarkin Goodman 1996. Paul Jolles bemerkt jedoch, dass sich nur Grisha Bruskin, der nicht zum engeren Freundeskreis gehört, in seinem Werk immer expliziter der jüdischen Symbolik bedient hätte. In: Jolles 1997, 51. 32 Paul R. Jolles vermerkt, dass Viktor Misianos Stellung in Moskau seiner Abstammung zu verdanken gewesen sei: „Es erwies sich, dass er seine halboffizielle Stellung und Bewegungsfreiheit seiner Abstammung als Sohn des nach Moskau emigrierten früheren Generalsekretärs der kommunistischen Partei Italiens verdankte und sich ­später offen für die Verbreitung der inoffiziellen Kunst einsetzen konnte.“ In: Jolles 1997, 101. 33 Misiano 1996, 89. Das entfernte Birobidžan am Fluss des Amurs an der chine­sischen Grenze wird 1934 hingegen zum offiziellen „Jüdischen Autonomen Gebiet“ erklärt. Vgl. Simon 2005, 94; Grüner 2008, 316 – 325. 34 Ebd., 95.

Geschicht­liche Hintergründe 

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Oder wie Kabakov sagt, dass diese spezifisch jüdische Erfahrung des seit­lichen Blicks auf die Welt die Genauigkeit der Beschreibung und das Verstehen der grundlegenden Züge ihrer Zivilisa­tion begünstigt habe,35 was sich auch in seiner jüdischen „Personage“ widerspiegelt und in seinem Werk ganz grundsätz­lich manifestiert. Für die jüdischen Künstler bedeuten die offiziellen „künstlerischen“ Tätigkeiten wie beispielsweise jene der Buchillustra­tion oder Bühnenbildgestaltung wichtige Nischen, um in dieser Zeit der Unterdrückung und Verfolgung überleben zu können. So ist es für Ilya Kabakov eine Selbstverständ­lichkeit, die Gedichte von Irina Mikhailovna Pivovarova (1939 – 1986), einer begabten und hoch geschätzten Dichterin und Autorin von Kinderbüchern – auch in jiddischer Sprache –, zu illustrieren wie in „Blauglöckchenkranz“. Oder spielt die jüdische Vorliebe für das Kleine, Kind­liche wie bei Walter Benjamin und Elias Canetti vor allem auch für Kinderbücher eine nicht ganz unwichtige Rolle für ihre Tätigkeiten als Buchillustratoren? Auf alle Fälle gelten diese veritablen Brotberufe auch als Tarnung für das eigene künstlerische Schaffen im Verborgenen, um nicht ins Visier der Partei und der Staatssicherheit zu geraten. Der Künstlerkreis, mit welchem Kabakov zu Beginn seiner noch jungen Tätigkeit als Kinderbuchillustrator in Berührung kommt, setzt sich aus Personen zusammen, die ebenfalls jüdischer Abstammung sind. Dazu zählt insbesondere der Maler Oskar Rabin,36 das Haupt der Lianozovo-­Gruppe und der Vorläufer der späteren Soz Art.37 Der Zirkel der „Sretenskij-­Boulevard-­Künstler“ ab 1970, wo Ilya Kabakov sein Atelier hat, setzt sich neben Kabakov unter anderen aus den Künstlern Eduard Štejnberg, Viktor ­Pivovarov, Ėrik Bulatov und Vladimir Jankilevskij zusammen, zu denen Kabakov eine enge Freundschaft pflegt.38 Ihre Ateliers und Privatwohnungen werden zu inoffiziellen Künstlertreffs, wo sie sich ihre Kunst zum Teil in Wohnungsausstellungen und performativen Vorführungen gegenseitig präsentieren.39 Andere Mög­lichkeiten außerhalb der eigenen vier Wände existieren für diese Künstler in dieser Zeit kaum.40 Kabakov berichtet, dass einander ständig alles gezeigt worden ist. Der Wunsch auszustellen, habe eine spezielle Atmosphäre des gesellschaft­lichen Lebens in der „Untergrund“-Szene geschaffen.41 Die aggressive Stimmung schwächt sich in der Tauwetterpolitik unter Stalins Nachfolger Nikita Chruščëv zwar etwas ab. Während seiner neunjährigen Regierungszeit (1953 – 1964) werden die Repressionen und Zensuren gegen das jüdische Volk wohl gelockert, doch 35 KB47, 129. 36 Vgl. Tumarkin Goodman 1996. 37 Vgl. Kapitel 2.2. 38 Misiano 1996, 89. 39 Vgl. Kapitel 2.4. 40 Es finden Ausstellungen im Café Sinjaja ptica (1968), im Pavillon für Imkerei der VDNCh (1975) und in den Ausstellungsräumen an der Malaja Gruzinskaja ulica im halbinoffiziellen Rahmen statt. 41 KB116, 31.

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von einer Entspannung ist in dieser „Tauwetter“-Periode noch lange nicht die Rede. Unter den Generalsekretären Brežnev, Černenko und Andropov wird die jüdische Frage tabuisiert und unbeantwortet gelassen. Kabakov merkt in seinen Aufzeichnungen an: „Alles verlief bis zum Jahr 1974 [das Jahr der von staat­licher Seite zerstörten „Bulldozer-­ Ausstellung“, Anmerkung der Autorin] unter dem ausweglosen Gefühl des Endes, der für dich und alle dir nahe stehenden Künstler unausweich­lichen Vernichtung. Nach 1974 […] wurde das Gefühl der Todesangst und der Vernichtung schwächer, die Furcht liess nach, aber das Gefühl der Absurdität und der Hoffnungslosigkeit in Bezug auf das eigene Schicksal blieben weiterhin unveränder­lich… [sic]“42

Die fortwährend existierende Angst macht auch der jüdisch-­ukrainische Autor Boris ­Samojlovič Jampol’skij zum Leitmotiv in seinem in den 1960er-­Jahren verfassten Buch „Kommunalka. Ein Moskauer Roman“: „Mein ganzes Leben habe ich mich gefürchtet; eigent­ lich, wenn ich mein Leben mit einem Wort beschreiben soll, heisst ­dieses Wort – Angst.“43 Das Thema Angst ist auch Bestandteil von Kabakovs Dialogen mit Boris Groys und in seinen Aufzeichnungen über das inoffizielle Leben in Moskau der 1960er- und 1970er-­Jahre.44 Kabakov spricht darin von einer weiteren Komponente der Angst, von der „Seinsangst“, vom „Gefühl des eigenen Nichtexistierens“45, von der Angst, „selbst dann nicht zu existieren, während ich doch lebe und etwas tue“46. Schließ­lich aber gibt er im Zusammenhang mit dem sowjetischen Leben zu Protokoll, dass seine Reak­tion auf die Angst immer heiße: verschwinden, entwischen, wegrennen.47 Ilya Kabakov verlässt schließ­lich nach dem Tod seiner ­Mutter im Februar 1988 und ihrem Begräbnis in Berdyansk (Ukraine) endgültig seine Heimat und siedelt nach einem Aufenthalt in Paris 48 in die USA über, wo er sich erst in New York, ­später auf Long Island niederlässt.49 Durch eine neue Ausreiseregelung emigrieren zu dieser Zeit neben Dissidenten und Bürgerrechtlern insbesondere sowjetische Juden in den Westen. Ihre Reise 42 KB116, 61. 43 Vladimir Prichod’ko, Sistema uduš‹ja [Das System der Erdrosselung], in: Boris Jampol’skij, Arbat, režimnaja ulica, Moskau 1997, 7 – 14, hier zit. nach: Terpitz 2008, 174. 44 KB47. 45 Ebd., 10. 46 Ebd., 9. 47 Ebd., 11. 48 Die Galeristin Dina Vierny (1919 – 2009) stellt Kabakov ein Atelier in Mittenville zur Verfügung. Die gebürtigte Russin jüdischer Abstammung und ehemaliges Modell von Aristide Maillol (1861 – 1944) lebt und arbeitet schon seit Jahrzehnten in Paris und ist auch mit den Moskauer Konzeptualisten befreundet. 49 1986 wird Ilya Kabakov (zusammen mit Ėrik Bulatov) sein Illustra­tionsmandat nach einer öffent­ lich geführten Kontroverse gegen das in Paris publizierte Magazin „A-Ja“ entzogen. Kabakovs letzte Kinderbuchillustra­tionen – bevor er sich in den Westen absetzt – sind jene Zeichnungen zu Lev

Jüdische Motive in Ilya Kabakovs Werk  |

führt oftmals über Österreich – Ilya Kabakov erhält 1987 eine Einladung des Galeristen Peter Pakesch als Stipendiat des „Steirischen Herbstes“ nach Graz – und Israel, in die Vereinigten Staaten oder nach Deutschland.50

5.2 Jüdische Motive in Ilya K abakovs Werk Manche Motive wie das Narrative und die Präferenzen für das Wort anstelle des Bildes werden vom Künstler selbst oder von Gesprächspartnern wie Boris Groys im jüdischen Kontext erwähnt.51 Auf andere jüdische Motive in Kabakovs Werk stößt man wiederum erst, wenn man sich mit dem Judentum und seiner Symbolhaftigkeit tiefer auseinandersetzt. Allgemein kennzeichnend für Kabakovs Werk sind insbesondere die vielen fliegenden Menschen, der eigentüm­liche Humor ­zwischen Witz und Tragik und der Umgang mit der, wenn nicht mit seiner Geschichtsschreibung und Erinnerung – Motive, die im Judentum ihre eigene Bedeutung und ihren eigenen Ursprung haben und entsprechend eine viel tiefere und breitere Studie benötigen würden, als es hier mög­lich ist. Trotzdem sollen diese wichtigen ­Themen nachfolgend angesprochen werden. 5.2.1 Das Volk des Buches Ilya Kabakovs große Affinität zum Narrativen, zum Text und insbesondere zum Buch ist schon an verschiedenen Stellen diskutiert worden. Die narrativen Eigenschaften von ­Kabakovs Kunst werden auch von Groys mit der jüdischen Tradi­tion in Verbindung gebracht.52 Man liest in ­diesem Zusammenhang auch immer wieder von „der Liebe der Ostjuden zu ausschweifendem Erzählstil“53. In der Aggada, der narrativen Tradi­tion des rabbinischen Schrifttums, ist das Leben ein Narrativ.54 Das Leben, sagt Elazar Benyoëtz, sei eine Geschichte. Man müsse sie gut erzählen können, um gelebt zu haben.55 „Eine Geschichte soll man erzählen, dass sie schon durch das Erzählen eine Hilfe leistet […].“56 Mit diesen Worten beginnt eine berühmte chassidische Geschichte, in der ein seit vielen Jahren gelähmter Großvater am Ende wieder laufen kann. Sie zeugt von der großen jüdischen Jakovlevič Rakhlis’ 1989 publizierten Kindergeschichte „Damit alles um uns herum wächst“, die aber von Pavel Pepperštejn koloriert werden. Vgl. dazu auch Jolles 1997, 109 – 117. 50 Terpitz 2008, 57. 51 Vgl. das Gespräch „Flucht“ ­zwischen Ilya Kabakov und Boris Groys, in: KB47, 117 – 134. 52 Vgl. KB47, 126 – 127. 53 Schwara 2001, 34. 54 Vgl. Sabel 2010. 55 Benyoëtz 1990, o. S. 56 Lapide 1996, 19.

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Erzählkraft, insbesondere aber von der Kraft des Wortes und dem Glauben an das Wort und steht auch im Zusammenhang mit dem bib­lischen Spruch „am Anfang war das Wort“ 57. In der jüdischen Geschichte hat das Buch einen zentralen Stellenwert. Mit der römischen Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahr 70 n. Chr. wird der für das jüdische Volk identitätsstiftende Ort für „Kultus und Ritus“ zerstört. Es wird seiner Identität beraubt, was die jüdische Kultur bis zum heutigen Tag prägt, doch setzt sich deren Tradi­tion im Buch der Bücher, der Bibel fort. Das vertriebene „Volk des Tempels“ wird gewissermaßen zum „Volk des Buches“. Die einzige Heimat des in der Diaspora lebenden Volks ist die geistige Heimat des Buches geworden, die Torah als „portatives Vaterland“58. Der erste und mehrfache Ministerpräsident des Staates Israel, David Ben-­Gurion (1886 – 1973), bringt diesen bibliophilen Charakter auf den Punkt: „Wir haben das Buch bewahrt, und das Buch hat uns bewahrt.“59 Das Buch der Bücher muss dementsprechend immer wieder neu weitergegeben und gedeutet werden. Wissen heißt fragen. Im Lernen besteht die einzige Hoffnung, selbst in der messianischen Zeit des Neuaufbaus des Tempels. Wer lerne, lerne auch zu hoffen.60 Die Voraussetzung dafür ist ein hoher Bildungsgrad. Ein ostjüdisches Volkslied besagt, die Kinder dürften keine Analpha­ beten sein, sondern müssten die hebräischen Buchstaben lernen, um „Golus schleppen“ zu können 61 – Golus meint die Verbannung, die Diaspora –, also sinngemäß, um mit dem Schicksal der Heimatlosigkeit umgehen zu können. Dementsprechend groß ist die Affinität zum Lesen, zum Buch überhaupt und seinem Aufbewahrungsort, der Bibliothek, eine Affinität, die sich über die Jahrhunderte fortsetzt: „Während […] die Literatur der talmudischen Zeit noch in einem kleinen Bücherregal Platz findet, füllen die mittelalter­lichen Quellen einen statt­lichen Bibliotheksraum, und dies trotz der vielen Verluste im Lauf der Jahrhunderte […] aus der Buchreligion wurde eine Religion der Bücher.“62

Das Buch ist für Ilya Kabakov der Inbegriff von Kultur, Bildung, universalem Wissen und universaler Identität. Wer lese, füge sich seiner Meinung nach in einen kulturellen Prozess ein, an dem gleichfalls Tausende beteiligt s­eien, gewesen s­eien und sein würden. So sei jeder ein Teil d ­ ieses Zeit-­Kontinuums.63 Jeder partizipiert gewissermaßen an d ­ iesem narrativen Kontinuum. 57 AT, Joh. 1, 1. 58 „[…], denn die Juden, die dasselbe aus dem grossen Brande des zweiten Tempels gerettet, und es im Exil gleichsam wie ein portatives Vaterland mit sich herumschleppten, […]“ In: Heine 1982, 43. 59 Ben-­Gurion 1951, S. XXXII, hier zit. nach: Petuchowski 1982, 14. 60 Schubert 1983 (Bd. 1), 8. 61 Hier zit. nach: Schubert 1983 (Bd. 1), 7. 62 Maier 1973, 442 – 443. 63 KB123 (Bd. 2), 373 – 375.

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5.2.2 Geschichtsschreibung Kabakov lässt seinen fiktiven Künstlerprototyp Charles Rosenthal (1898 – 1933), auch jüdisch-­ukrainischer Abstammung, nach Paris emigrieren. Zudem stirbt Rosenthal im Geburtsjahr Kabakovs, als in der Ukraine eine große Hungersnot herrscht. Rosenthal, mit dem (und Igor Spivak, geb. 1970) Kabakov eine, wenn nicht seine alternative Kunstgeschichte generiert, hält sich zur selben Zeit in Paris auf wie der „Montparnasse-­Kreis“, näm­lich z­ wischen 1905 und 1930. Dieser Kreis setzt sich aus (ost-)jüdischen, emigrierten Künstlern wie Chaim Soutine, Amadeo Modigliani, Jules Pascin, Marc Chagall, Mane Katz, Rudolf Levy, Jacques Lipchitz, Sonja Delauney, Max Weber und 40 weiteren Künstlern zusammen.64 Rosenthals imaginäre künstlerische Handschrift hingegen setzt Kabakov in die Tradi­ tionslinie des rus­sischen Malers Robert Fal’k (1886 – 1956). Kabakov bekennt, dass auf ihn der mächtige, geheimnisvolle „malerische“ Charakter der Bilder Fal’ks eine stark aufwühlende Wirkung ausübe.65 Die jüdischen Künstler Aleksandr Tyshler und Robert Fal’k spielen eine wichtige Rolle für die Künstlergenera­tionen nach dem Tod Stalins 1953. Viktor Misiano fasst es zusammen: “Almost every founding figure of the new Russian art of the last three decades paid their hommage to Tyshler and Fal’k.”66 Ilya Kabakov stellt sich mit seinem jüdischen Alter Ego Charles Rosenthal in diese Tradi­tion und legt sich damit eine identitätsstiftende Geschichte zugrunde. Wobei er nicht der einzige ist mit d ­ iesem Vorgehen. Viktor Pivovarov sucht sich seine eigenen Wunsch-­Väter aus, nachdem er seinen leib­lichen Vater nie kennengelernt hat. Dazu gehören Ovsej Driz (1908 – 1971), ein Moskauer jüdischer Dichter, der auf Jiddisch vor allem Kindergedichte verfasst, und Igor Cholin (1920 – 1999), Dichter und Mitglied der Lianozovo-­Gruppe.67 Kabakovs Aufzeichnungen über das inoffizielle Leben in Moskau der 1960er- und 1970erJahre gehören mitunter auch in den Bereich der „Memoirenliteratur“68, so wie sie eine ganze Menge an Schriftstellern zu seiner Zeit auch verfasst, insbesondere auch Autoren jüdischer Herkunft, wie Olaf Terpitz hervorstreicht.69 Zu erwähnen ist hier Konstantin Paustovskij (1892 – 1968), der in seinem frühen Schaffen Künstlerporträts verfasst und sein Hauptwerk, den autobiografischen Romanzyklus „Erzählung vom Leben“, von 1945 bis

64 Vgl. Silver/Golan 1985. 65 KB116, 18. 66 Misiano 1996, 90. 67 Diesen Hinweis verdanke ich Matthias Haldemann, Kunsthaus Zug. 68 Kissel 2002a, 373. 69 Terpitz 2008, 42.

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1963 niederschreibt. Michail Prišvin verfasst den autobiografischen Roman „Die Kette des Koščej“ ­zwischen 1923 und 1954 in Form der dokumentarischen Skizze. Zu diesen im Stil der Memoiren erfassten Schriften zählen auch Viktor Šklovskijs „Kindheit und Jugend“, 1961, Valentin Kataevs „Das Gras des Vergessens“, 1967, sowie Il’ja Ėrenburgs „Menschen Jahre Leben“ aus den Jahren 1960 bis 1965 als literarisches Porträt seiner Weggefährten wie Ossip Mandelstam, Vsevolod Mejerchol’d und der Maler Robert Fal’k. Oder Vasilij Grossmans „Leben und Schicksal“ von 1961, worin er das jüdische Leben unter Stalin, das Jüdischsein überhaupt schildert. Die in eng­lischer Sprache verfasste Autobiografie „Conclusive Evidence“ von Vladimir Nabokov (Pseudonym Vladimir Sirin, 1899 – 1977) aus dem Jahr 1951, ­welche er in seinem amerikanischen Exil schreibt, gehört ebenso in diese Reihe. Nabokov übersetzt 1954 seine Autobiografie unter dem Titel „Drugie berega“ („Andere Ufer“) ins Rus­sische zurück und erweitert sie 1966 als „Speak, Memory“ zu einer weiteren eng­lischen Fassung, womit er einen „mehrsprachigen Intertext“70 erarbeitet, welcher wiederum an Kabakovs künstlerisches Verfahren erinnert, ganz im Sinne des ägyptisch-­ jüdischen Schriftstellers Edmond Jabès, wenn er schreibt: „Will ein Wesen existieren, muss es benannt sein; um jedoch in die Schrift einzutreten, muss es mit seinem Namen die Mög­lichkeit eines jeden Lautes, eines jeden Zeichens angenommen haben, w ­ elche ihn fortdauern lassen.“71 Seine zerrissene biografische Kette stellt Kabakov mit seinen fiktiven Künstlern und seiner eigenen Person wieder her; auch mit dem weiten kulturellen (und literarischen) Bezugsnetz, das er aufspannt, bettet er sich in einen universalen Kontext ein. Der in Paris lebende Künstler Christian Boltanski (geb. 1944), Sohn eines jüdisch-­ukrainischen Vaters, arbeitet ebenfalls mit Rekonstruk­tionen seiner eigenen Vergangenheit, die allerdings stark vom Holocaust geprägt sind. Bis heute beschäftigt sich Boltanski mit Erinnerungen, die sich wie bei Ilya Kabakov nicht nur auf seine eigene Vergangenheit beziehen, sondern auf das Kollektiv. Boltanski lässt uns „in den Brunnen der eigenen Vergangenheit“72 blicken. Dabei spielen Archiv und Inventar eine wichtige Rolle und sind gleichzeitig charakteristisch für sein Œuvre. So werde, schreibt Verena Lenzen in „Ethik der Erinnerung“, Geschichte erinnert und verinner­licht als identitätsstiftendes und tradi­ tionsbildendes Element. Jedes Ich werde ein Glied in der Tradi­tionskette des kollektiven Wir. Erinnerung sei Verbindung.73

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Kissel 2002, 288. Jabès 1989, 33. Boltanski/Grenier 2009. Lenzen 2002c, 178.

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Dazu ist zu erwähnen, dass das Judentum im Allgemeinen ein anderes Zeitverständnis, auch ein anderes Geschichtsverständnis hat.74 Martin Buber fasst diesen Aspekt der jüdischen „Erinnerungskultur“ treffend zusammen: „Die jüdische Bibel ist die reichste Erinnerungswahrerin, die freigebigste Erinnerungsspenderin der Menschheit; wenn irgendwer, wird sie uns lehren, uns wieder zu erinnern.“75 Für Israels Zeitverständnis bleibe die Vergangenheit in der Erinnerung „realpräsent“. Vergangenheit schlage um in Gegenwart und rage in die Zukunft. Erinnerung sei zum Lebensnerv des jüdischen Volkes und zum Leitfaden jüdischer Geschichtsschreibung geworden, schreibt Verena Lenzen.76 Die Erinnerung, ­welche auch Ilya Kabakov in seinem Werk vorantreibt, ist der Nerv der Zeit seit Moses; seine Vergangenheit wird zur (ständigen) Gegenwart. Das jüdische „Ich“ ist ein Glied in der Kette der Genera­tionen. Das zeigt sich auch in einem alterna­ tiven Zeitverständnis: Während für uns die Vergangenheit zurückliegt, steht sie einem im Judentum stets vor Augen, und die Zukunft liegt im Nacken: „Was in der Vergangenheit gesucht wurde, war nicht die Historizität, sondern ihre ewige Gegenwärtigkeit.“77 So sei jüdische Geschichte, so nachzulesen in Peter von der Osten-­Sackens Buch „Das Ostjudentum“, weniger eine vertikale Bewegung durch die Zeiten als vielmehr eine horizontale Gleichzeitigkeit gewesen.78 Diese jüdische Erinnerungskultur schildert Walter Benjamin (1892 – 1940) exemplarisch 1940 in „Über den Begriff der Geschichte“ mit seiner 9. These über den Engel der Geschichte, zu dessen Erklärung Benjamin das Bild Angelus Novus von Paul Klee heranzieht: „Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns [sic] erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte

74 Vgl. Yerushalmi 1988; Assmann 1992; Yerushalmi 1993; Ariès 1994; Funkenstein 1995; Weinrich 1997; Assmann 1999; Greve 1999; Assmann 2000; Lenzen 2002. 75 Buber 1963, 747. Diesen Hinweis verdanke ich Verena Lenzen. 76 Lenzen 2002c, 177, 181. Lenzen weist auch darauf hin, dass „Zechor – Erinnere Dich“ der ethische Imperativ des alten wie des modernen Israels sei. Er behaupte sich ungebrochen als Grundtenor der Torah […] In der Hebräischen Bibel komme das Verb zachar (erinnern) 169-mal vor. Jizkor, in der dritten Person Singular Gott als Subjekt anrufend, sei zur litur­gischen Segensformel des Gedenkens an die Toten und die Katastrophen der Vergangenheit, vor allem der Schoah geworden. Die Imperativform zechor! (gedenke! erinnere Dich!) werde bib­lisch 46-mal gebildet. Wo sie auftauche, fordere sie nicht zu kontemplativer Nabelschau, sondern zum Handeln und zur Umkehr auf. In: Ebd., 179. 77 Ehrenfreud 2003, 39. 78 Von der Osten-­Sacken 1981, 15.

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wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“79

Ilya Kabakov formuliert es noch prägnanter, indem er sagt, er fahre weiter, aber in die Vergangenheit.80 Er rollt sein vergangenes Leben in der Gegenwart mit Hilfe der Erinnerung immer wieder neu auf und begründet damit sein Dasein stets von Neuem.81 5.2.3 Beseelte Gegenstände Kabakov pflegt ein besonderes Verhältnis zum Müll und zu Gegenständen aller Art: „Dadurch, dass der Müll immer mein eigener ist, schaffe ich einen besonderen Helden, den Müllmenschen, der allen Müll sammelt und mit Kärtchen mit Erinnerungen versieht.“82 Der Müll ist für Kabakov lebendig, er spricht von einem energetischen und vitalen Müllhaufen: „Das Bild des Müllhaufens als visuelles Resultat jeg­licher Produk­tion geht mir nicht aus dem Sinn. […] Es war nicht ein Haufen von irgendwelchen abgestorbenen, vertrockneten Dingen. Dieser Haufen glühte gleichsam, war voller Vitalität und Energie. Es war gewissermassen das Leben selbst, und ­dieses Leben war die Fortsetzung jenes bewegten, vor Kraft und Feuer zuckenden Abfallhaufens der 60er Jahre […] Es ist der mächtige Atem seines früheren Lebens, und alles ist erfüllt von einem zuckenden Flackern, das dem Leuchten von

79 Benjamin 2007, 133. Vgl. auch Lenzen 2008. 80 Kabakov im Gespräch mit Ulrich Krempel, Juni 2011, in: KB139, 14. 81 Vgl. dazu Kapitel 4.3.2.1. An dieser Stelle scheint es mir allerdings wichtig, im Hinblick auf Kabakovs dialo­gisches System auf die „Gedächtniskultur“ Bachtins hinzuweisen. Im Gegensatz zum abgeschlossenen, in sich verharrenden und erstarrten Monolog wird im unabgeschlossenen Dialog Gesagtes immer weiter tradiert und eröffnet dabei einen Gedächtnisraum. Vergangenes wird mit Zukünftigem verknüpft, der Dialog wird zum „lebendigen Gedächtnis“. Vgl. Lachmann 1990; Haverkamp/ Lachmann 1991; Haverkamp/Lachmann 1993. Dass Bachtin, artikuliert Sylvia Sasse, sich selbst nie mit seiner Gegenwart beschäftigt habe, weder mit Gegenwartsliteratur noch mit Gegenwartskultur, sei ein paradoxer Nebeneffekt seiner Gegenwartsemphase in der ­Theorie des Romans. So lasse sich seine Beschäftigung mit dem antiken Roman, mit Rabelais, Goethe und Dostoevskij einerseits als Affront lesen gegen die totalitäre Ästhetik und ihre Gedächtnisauslöschung und -umwertung, aber auch als Hinweis auf eine Vergangenheit, der eine Gegenwärtigkeit und Zukünftigkeit eigen sei, die auch durch totalitäre, monologisierende, zentripetale Kräfte nicht auszulöschen sei. In: Sasse 2010, 130. 82 KB47, 106.

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Sternen gleicht – Sternen, allerdings, im kulturellen Sinn: […] Das heisst, hinter all diesen Kisten, Gefässen, Säcken, verschiedensten Arten von Verpackungen, die irgendwann einmal von jemandem gebraucht wurden, steht eine immense Vergangenheit. Vieles davon hat seine Form nicht verloren […] es berichtet uns von ‚jenem‘ Leben, bewahrt d ­ ieses in sich.“83

Dabei erhalten die Dinge eine Geschichte, sie werden dadurch „beseelt“ und reihen sich in einen Kontext ein. Alle gefundenen Gegenstände, selbst das „kleinste Fitzelchen“84, beschriftet der Künstler in „buchhalterischer Akribie“ mit kleinen Zettelchen wie in den Werken Der Mann, der nie etwas wegwarf (Der Müllmensch) (1988) oder Kiste mit Müll (1986)85, worauf fragmentarische Kommentare wie „Von einer Zitrone“, „Schnitt die Zeitung aus“, „Leg es sofort hin, du fiese Ratte“ oder „Stell’s wieder hin, du Blödmann“ zu lesen sind.86 Oder Kabakov hängt verschiedenste Müllgegenstände, die mit Zetteln und Kommentaren gekennzeichnet sind, an Seile wie in den Werken 16 Seile, Das Seil des Lebens oder Das Seil am Rand entlang. In der jüdischen Mystik und im chassidischen Denken gelten die Gegenstände als beseelt, da sich in ihnen die Gegenwart Gottes zeigt. Überhaupt ist Gott überall zugegen. Martin Buber erläutert: „Gott, so lehrt der Baalschem [der „Baal-­schem-­tow“ bedeutet „Meister des guten Namens“ und bezeichnet den Begründer des Chassidismus Israel aus Mesibž], ist in jedem Ding als dessen Urwesen.“87 Und weiter ist zu lesen: „In allen Dingen, auch in den scheinbar völlig toten, wohnen Funken des Lebens, die in die bereite Seele fallen.“88 Im Zusammenhang mit dem „ewigen Müll“ und den mit beschrifteten Zetteln versehenen Gegenständen ist auch über den (ost-)jüdischen Begriff Kvitel („kleine Notiz“) nachzudenken. 5.2.4 Aphorismen Ilya Kabakov bedient sich gewissermaßen der aphoristischen Sprachmittel, wenn er beispielsweise seine Gegenstände mit k­ urzen Sätzen auf Zetteln versieht oder prägnante Kommentare von fiktiven Betrachtern in seine Werke einfügt. Er bemüht sich aber auch, diese einzelnen sprach­lichen Fragmente zu einer sinnreichen Kette zusammenzufügen wie in den Installa­tionen 16 Seile, Das Seil des Lebens oder Das Seil am Rand entlang, wo die beschrifteten Zettelchen zusammen mit Müllgegenständen an Schnüren befestigt sind.

83 KB116, 282 ff. 84 KB123 (Bd. 1), 175. 85 Ilya Kabakov, Der Mann, der nie etwas wegwarf (Der Müllmensch), 1988, KB123 (Bd. 1), 174 – 181; Ilya Kabakov, Kiste mit Müll, 1986, KB123 (Bd. 1), 120 – 125. 86 Vgl. KB123 (Bd. 1), Nr. 13, 21. 87 Buber 1963, 16. 88 Ebd.

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Die jüdische Sprachauffassung des Fragmentarischen ist bis auf die Tempelzerstörung im 1. Jahrhundert. n. Chr. zurückzuführen. Im Zuge der Tempelzerstörung zieht sich Gott den Überlieferungen zufolge aus der akustischen Sphäre zurück.89 Gershom ­Scholem publiziert 1958 zehn aphoristische Sätze, worin seine vorangegangenen Reflexio­nen zur jüdischen Tradi­tion, deren Überlieferung und Sprachauffassung kondensiert sind. So schreibt er im ersten seiner „Zehn unhistorische[n] Sätze über Kabbala“, gerade auch im obigen Zusammenhang mit der Tempelzerstörung und dem Namen Gottes, reflektierend, dass echte Tradi­tion verborgen bleibe; erst die verfallende Tradi­tion verfalle auf einen Gegenstand und werde im Verfall erst in ihrer Größe sichtbar.90 Im neunten seiner zehn Sätze hält er schließ­lich fest: „Ganzheiten sind nur okkult tradierbar. Der Name Gottes ist ansprechbar, aber nicht aussprechbar. Denn nur das Fragmentarische an ihr macht die Sprache sprechbar. Die ‚wahre‘ Sprache kann nicht gesprochen werden, sowenig wie das absolut Konkrete vollzogen werden kann.“91

Deshalb auch die ewige Suche nach Ganzheit, und doch wird man nie fündig oder kommt nie an, wie das die Legende vom ewigen Juden erzählt oder es Franz Kafka in seinem unvollendet gebliebenen Roman „Das Schloss“ (1922) darstellt, worin der Landvermesser K. sich dem Schloss vergeb­lich anzunähern versucht.92 Für Detlev Schöttker ist die Darstellungsweise der Schriften und Ideen Walter ­Benjamins „konstruktiver Fragmentarismus“. Mit dieser Bezeichnung fasst er zusammen, dass Benjamin in Fragmenten geschrieben und größere Texte aus selbstständigen, meist aphoristisch geprägten Bruchstücken zusammengesetzt habe, die wiederum interpretierbar, ergänzungsfähig und kombinierbar, also in mehrfacher Hinsicht erweiterbar ­seien: „Die Rezep­tion orientiert sich damit an der fragmentarischen Struktur der Texte: das Rätselhafte wird gedeutet, das Unausgeführte ergänzt und das Zersprengte zusammengefügt.“93

89 Vgl. Scholem 1973a, 15; Lenzen 2002a, 24. 90 Scholem 1973b, 264. 91 Ebd., 270 – 271. 92 Kafka 1983. 93 Schöttker 1999, 7. Diese tradierte jüdische Sprachauffassung des Fragmentarischen kann auch mit der literarischen Ästhetik des 20. Jahrhunderts, besonders aber in den Zeiten der Schoah, als Ästhetik der Nega­tion mit dem Aufblühen der Aphorismen in Verbindung gebracht werden, vgl. Lenzen 2002b.

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5.2.5 Bilderverbot Ilya Kabakov gibt im Gespräch mit Boris Groys sein Unbehagen gegenüber Abbildungen preis. Bilder würden ihn nervös machen, und er fühle sich allein mit dem Text am wohlsten.94 Das Wort könne gemäß Kabakov zudem die scheinbare Existenz einer Person herstellen; auf diese Weise könne das Geschriebene den materiellen Gegenstand ersetzen.95 In Ilya Kabakovs permanenter Installa­tion Blickst du hinauf und liest die Worte…, 1997, in Münster finden sich in 13 Meter Höhe anstelle eines Bildes himmelwärts gerichtete Wörter, die zu einem poetischen Bild zusammenführen. An der ovalen Antennenkonstruk­tion des Sendemasts sind Wörter angebracht, die bei längerer Betrachtung ein sinnreiches Ganzes ergeben: „Mein Lieber! Du liegst im Gras, den Kopf im Nacken, um dich herum keine Menschenseele, du hörst nur den Wind und schaust hinauf in den offenen Himmel – in das Blau dort oben, wo die Wolken ziehen – das ist vielleicht das Schönste, was du im Leben getan und gesehen hast.“96

Kabakovs textbezogene Kunst und sein narratives Verfahren, vor allem seine theoretische Schrift „Der Text als Grundlage des Visuellen“ (2000), unterstützen die obigen Aussagen des Künstlers noch und bringen das (ehemalige), immer wieder kontrovers diskutierte jüdische Bilderverbot – auch im Rahmen der amerikanischen Konzeptkunst der jüdischen Vertreter wie Sol Lewitt oder des Abstrakten (Amerikanischen) Expressio­nismus wie Barnett Newman oder Mark Rothko – zur Sprache.97 5.2.6 Luftmenschen „Wenn man aufmerksam ist, kann man feststellen, dass die Mehrheit der Menschen fliegt.“98 Ilya Kabakov, 1970er-­Jahre

Das Sujet der „fliegenden Menschen“ ist immer wieder Gegenstand künstlerischer Auseinandersetzung in Kabakovs Œuvre.99 Es taucht in all seinen künstlerischen

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KB47, 126 – 127. KB116, 53 – 55. KB123 (Bd. 2), 213. Für weiterführende Diskussionen um ­dieses Thema vgl. z. B. Dohmen 1987; Dohmen 2012; Dohmen/ Wagner 2012. 98 Kabakov III, o. S. 99 Vgl. Kapitel 3.2.3.4.

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­ ggre­gatzuständen auf, sei es in den Kinderbüchern, den Alben, Gemälden oder in den A Installa­tionen. Das Thema des Fliegens und des Schwebens in der Luft verarbeitet er vielfältig. Einige seiner Darstellungen von Fliegenden erinnern an die jüdische Metapher der Luftmenschen. Der Typus des Luftmenschen etabliert sich in der ostjüdischen Literatur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, bevor er ab 1900 für „wissenschaft­liche und politische Zwecke“ (um)genutzt wird.100 Gemeint sind mit den Luftmenschen ehemals ostjüdische, in großer Armut lebende Personen. Menschen, die im übertragenen Sinn nur „von der Luft leben“ und sich als Tagelöhner, Hausierer, Bettler, Trödler oder Kleinhändler größtenteils im Milieu des Štetls durchschlagen müssen: „Sie sind keine besonders tüchtigen Leute, sie leisten in der Welt nichts Weises. Kläg­lich genug, wie sie leben und sich mit Luft begnügen […]“101 So beginnt die 1865 erschienene Erzählung „Der Wunschring“ von Mendele Mojcher Sforim, als er die Bewohner eines Štetls vorzustellen beginnt. Sforim zählt mit den Schriftstellern Itzhok Lejb Perez und Scholem Alejchem zu den großen Erneuerern jiddischer Literatur jener Zeit – trotz der Reformen Moses ­Mendelssohns (1729 – 1786) und Vertretern der Haskala, w ­ elche die jiddische Sprache als „mauschelnde Ghettosprache“ abschaffen wollen.102 Alejchem ist 1859 in der Ukraine geboren. Er ist Herausgeber des Jahrbuchs „Die jiddische Folksbibliothek“ in Kiew. Nach dem großen Kiewer Pogrom 1905 emigriert er in die USA, wo er 1916 in New York stirbt. Sein Grab findet sich auf dem Friedhof in Brooklyn, wo er nach seinem testamentarischen Willen „inmitten einfacher jüdischer Arbeiter, unter dem schlichten Volk“103 begraben liegt. Alejchems Erzählung „Wandernde Sterne“ illustriert Kabakov in seiner Diplomarbeit an der Kunsthochschule in Moskau 1957 – in Bezug auf die damalige politische Lage und die Situa­tion der Juden in der Sowjetunion ist das ein mutiger Entscheid für den noch jungen Illustrator.104 Das Dreigestirn Mendele Mojcher Sforim, Itzhok Lejb Perez und Scholem Alejchem prägt den Begriff der „Luftmenschen“ literarisch und markiert „in der Tat den Versuch, 100 Vgl. Jendrusch 1996; Schwara 2000; Berg 2008; Haumann 2008a. 101 Sforim 1961, 163. Auch Desanka Schwara und Heiko Haumann weisen in ihren Erläuterungen auf diese Textstelle hin (Schwara 2000; Haumann 2008a). 102 Mendele Mojcher Sforim ist das Pseudonym von Scholem Jakov Abramovič, ehemals Jakob Broyde; Scholem Alejchem (hebräisch „Friede sei mit euch“) ist das Pseudonym von Schalom Yakov R ­ abinovič. Vgl. Gelhard 2005, 138. 103 Scholem Alejchem: „Wo immer ich sterben sollte, ich wünsche nicht unter den Vornehmen, Leuten von hoher Abstammung begraben zu werden, auch nicht bei den reichen Leuten, sondern inmitten einfacher jüdischer Arbeiter, unter dem schlichten Volk; so dass der Grabstein, den man mir setzt, den schlichten Gräbern rings um ihn und die schlichten Gräber meinem Grabstein zur Ehre gereichen, ganz so wie das einfache ehr­liche Volk seinen Volksdichter zu Lebzeiten geehrt hat.“ In: Alejchem 1964, 160 – 161. 104 KB116, 20.

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s­ozia­le Fragen und jüdische Antworten auf den Begriff zu bringen“105. Ihr Schreibstil zeichnet sich durch einen großen Realismus aus. Zur natür­lichen Nachzeichnung des Štetljuden werden Stilmittel wie Alogien, Aphasien, Stottern, Redundanzen oder Verstummen eingesetzt. Das bewusste unliterarische Sprechen, der „defekte Stil“, der auch „skaz’“ genannt wird, werde gemäß Dorothee Gelhard paradoxerweise mit den Mitteln des unnatür­lichen Sprechens erzeugt.106 Dabei wird auf Gogol’s Prosa verwiesen, die als Vorbild dieser natür­lichen Schreibweise betrachtet wird. In Perez’ autobiografischen Aufzeichnungen „Erlebnisse eines jüdischen Statistikers in Polen“ findet sich der folgende, für diese Schreibweise charakteristische Dialog: „‚Und was habt ihr jetzt für ein Geschäft?‘ ‚Wer hat ein Geschäft?‘ ‚Wovon lebt ihr?‘ ‚Ach, das meint ihr… Man lebt so.‘ ‚Aber wovon?‘ ‚Von Gott, gelobt sei er! Wenn er gibt, so hat man.‘ ‚Er wirft’s doch nicht vom Himmel herunter!‘ ‚Doch, er wirft wirk­lich! Weiss ich, wovon ich leb’?‘ […] ‚Ihr seid also ein Makler?‘ ‚Weiss ich’s? Mitunter fällt’s mir ein, dann kauf ’ ich ein Mass Getreide.‘ ‚Mitunter?‘ ‚Was mitunter heisst? Wenn ich den Rubel hab’, kauf ich.‘ ‚Und wenn nicht?‘ ‚Verschaff’ ich mir den Rubel!‘ ‚Aber wie?‘ ‚Was heisst wie?‘ Und es dauert eine Stunde, bis ich erfahre, dass Lewi-­Jizchok Bärenpelz mitunter Dajan ist und in Schiedsgerichten sitzt, zum Teil Makler, hin und wieder auch Händler ist, und so ganz klein wenig Heiratsvermittler, und manchmal, wenn es ihm einfällt, besorgt er gar Botengänge. Und von all diesen erwähnten und nicht erwähnten ‚Berufen‘ verdient er, wenn auch mit Mühe und Not, sein Brot für Weib und Kind und sogar für die verheiratete Tochter, weil ihr Schwiegervater ein armer Schlucker ist!“107

105 Berg 2008, 26. 106 Gelhard 2005, 146. 107 Perez 1981, 69 – 71, hier zit. nach: Berg 2008, 27.

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Dieses Gespräch zeichnet nicht nur den Begriff des „Luftmenschen“ und seine vielseitigen beruf­lichen Tätigkeiten nach, sondern verweist auch auf den religiösen Aspekt, welcher dem Begriff innewohnt. „Von der Luft leben“ meint auch, dass man auf Gott vertraut und auf seine hilfreichen Gaben wartet.108 Auf Ähn­liches vertrauen auch Ilya Kabakov und andere Künstler im Moskauer Untergrund. Auch wenn sie nicht von ihrer Kunst hätten leben können und quasi von der Luft hätten leben müssen, hätten sie dennoch „von irgendwo“ gewusst, was sie wollten – so Kabakov in seinen Berichterstattungen aus den 1960er- und 1970er-­ Jahren, womit der Künstler den Begriff der „Luftmenschen“ indirekt nachzeichnet.109 Auch sie hätte ein gewisser Glaube an das zukünftig Gute, an die Erlösung ihrer Randexistenz geleitet, w ­ elche sie vorab mit geistigen Phantasien und utopischen Konstrukten künstlerisch umgesetzt hätten.110 Kabakov spricht aber auch von einem totalen Realitätsverlust: „Bei denjenigen, die es nicht wagten, der Angst ins Auge zu blicken, und das war die Mehrheit, bewirkte dies die Flucht in andere – irreale – Sphären, eine Beschäftigung mit dem, was man als metaphy­sisches Bewusstsein bezeichnen kann, ein Abdriften in irgendwelche Bereiche, die weit über unserer Erde liegen, weit über jenem furchtbaren Ort, an dem die Furcht regiert, in ferne Gebiete, Höhen, Abgründe etc.“111

Kabakov und seine zahlreichen „Personagen“ begeben sich immer wieder in den schwere­ losen Zustand oder versuchen es zumindest. Das großformatige weiße Gemälde Er fliegt (1978) mit einer Darstellung einer winzigen Person auf der linken Seite wird zur utopischen Projek­tionsfläche für das (Ent-)Fliehen in einen „riesigen strahlenden Raum, durchdrungen von einem gleichmässig flutenden Licht“112. Das Licht schwebe und ströme zugleich sanft aus unend­licher Ferne, aus irgendeiner glückseligen und wunderbaren Quelle. Das Bild wird 1988 Teil der Installa­tion Der Mann, der ins Bild flog und gehört zu den „Zehn Personagen“ des Künstlers, die zusammen in einer Kommunalka leben. Dieser Mann versucht, in das Bild zu entschwinden, doch scheitert er kläg­lich. Ein weiterer Bewohner (Der Mann, der aus seinem Zimmer in den Kosmos flog) der genannten Gemeinschaftswohnung ist hingegen erfolgreich in den Kosmos geflogen, sucht man ihn doch vergeb­lich im Zimmer. Nur das Loch in der Zimmerdecke und das selbst gebaute Katapult zeugen von der Tat:

108 Vgl. Berg 2008. 109 KB116, 189. 110 Ebd. 111 Ebd., 269. 112 KB123 (Bd. 1), 147.

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„Der Held hat sich die Aufgabe gestellt, eine technische Lösung für die Flucht aus der Gemeinschaftswohnung zu finden, und zwar nicht irgendwohin, sondern gleich ins Paradies. Unter diesen Bedingungen kann man näm­lich nicht leben, doch dafür kann man sich einen Mechanismus ausdenken, mit dessen Hilfe die Rettung mög­lich wird.“113

Den Grund dafür sieht Kabakov darin, dass in jenem (Luft-)Raum völlige Mobilität herrsche, niemand und nichts behindere einen, weder Menschen noch Häuser noch Bäume. Auf der Erde s­ eien die Menschen durch Staaten, Städte und Wohnungen getrennt, der Kosmos aber sei transna­tional. Alle würden dort wie eine große Familie leben.114 Hier schwingt der Wunsch Kabakovs nach Freiheit, Anerkennung, sozia­ler Gleichberech­tigung und besserem Leben mit, auch wenn er seinen Wunsch in „Personagen“ verpackt, die für ihn aus seinem Körper entfliehen. Im Dialog mit Boris Groys erklärt der Künstler sein Verhältnis zum Fliegen: „Ich bin nirgendwo hingeflogen aus meinem Land, ich hänge gleichsam über ihm in einem fremden Raum, den ich als wunderschöne, lichte Welt begreife.“115 Diese Aussage zeichnet den Begriff der Luftmenschen wiederum nach und erinnert auch an Marc Chagalls Darstellungen von Fliegenden wie in dem großformatigen Gemälde Über der Stadt, 1924 (Abb. 14).116 Kabakov sagt weiter, man könne in dieser Welt nicht leben. Man müsse aus ihr davonfliegen.117 Für ihn sei das Fliegen oder Schweben über der Erde überhaupt die höchste vorstellbare Form der Glückseligkeit,118 ganz nach den Worten des ausgedienten Beamten in Dostoevskijs „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“: „Ich habe mir Abenteuer ausgedacht und das Leben selbst zurecht gedichtet, um wenigstens auf irgendeine Weise zu leben.“119 Der Begriff der „Luftmenschen“ ist hingegen auch mit dem Aufkommen und der Etablierung der Luftfahrt um 1900 in Verbindung zu bringen.120 Kabakovs fliegende Menschen finden ihre Vorlage wohl auch in den technischen Errungenschaften der sowjetischen Luft- und Raumfahrtbehörde mit dem ersten Sputnik (1957) und dem ersten Kosmonautenflug von Jurij Gagarin (1961), womit das Fliegen überhaupt zum Hauptmotiv in der sowjetischen Kultur aufsteigt. Sie entstammen aber auch der sowjetischen Science-­ Fic­tion-­Literatur der Gebrüder Arkadij und Boris Strugackij (1925 – 1991/1933 – 2012) oder 113 KB123 (Bd. 1), 101. 114 Ebd. 115 KB47, 125. 116 Vgl. die „individuelle Angelologie“ bei Chagall, in: Ingold 1978, 333. 117 KB47, 124. 118 Groys 1992a, 13. 119 Dostoevskij 2006, 22. 120 Vgl. Ingold 1978; Schwara 2000; Berg 2008.

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der Comic-­Kultur – deren Begründer Joseph „Joe“ Shuster und Jerome „Jerry“ Siegel interessanterweise jüdischer Herkunft sind – wie etwa dem „Superman“, welcher entgegen der Zensur in der Sowjetunion inoffiziell gelesen wird. Ferner greift Ilya Kabakov den Begriff der „Noosphäre“121 auf, der auf Pierre ­Teilhard de Chardin (1881 – 1955) und Vladimir Vernadskij (1863 – 1945) zurückzuführen ist und ebenfalls mit den „fliegenden Menschen“ in Verbindung gebracht werden kann. Nach ­diesem Begriff wird die die Erde umgebende Luft als kreativer, geistiger Schöpfungsraum, gleichzeitig aber auch als fried­licher Raum der Koexistenz gedeutet. Dabei werden Erinnerungen an den suprematistischen Flug in die „immaterielle, irra­tionale Welt“122 wachgerufen. 5.2.7 Humor Kabakovs Werk ist trotz der oftmals dargestellten Tragik durchdrungen von Witz und Humor. Hin und wieder kann man sich als Rezipient seines Werks ein Lächeln nicht verkneifen, klingen doch seine Erzählungen manchmal derart absurd und komisch, etwa wenn einer verrückt wird, sich auszieht und nackt davonrennt, sich jemand in den Kosmos katapultiert oder jemand ins Bild verschwindet – um hier nur die prominentesten Beispiele zu nennen. Ähn­lich wie Hersch Ostropoler, der als ostjüdischer Till Eulenspiegel des 18. Jahrhunderts gilt, führt uns Kabakov mit seinen realen und fiktiven Geschichten und Personen an der Nase herum. Folgender Witz über Ostropoler erinnert an Ilya Kabakovs fiktive Gemäldeserien (Rosenthal, Spivak, Koshelev usw.), mit denen er dem Rezipienten Echtheit vortäuscht: „Eines Tages beschloss Herschel Ostropoler, seinen Lebensunterhalt im Antiquitätenhandel zu verdienen. Unter den Objekten, die er anbot, befand sich ein Bilderrahmen mit einer unbemalten Leinwand. ‚Das ist ein sehr altes und berühmtes Gemälde‘, sagte er zu einem Passanten. ‚Aber auf der Leinwand ist ja gar nichts zu sehen!‘

121 „Der rus­sische Wissenschaftler Alexander [Vladimir] Vernadskij stellte die ­Theorie der ‚Noosphäre‘ auf. Dieser ­Theorie zufolge gibt es kein spurloses Verschwinden der Ideen, Konzepte und Kenntnisse, die von einzelnen Menschen und ganzen Kulturen in der Menschheitsgeschichte erarbeitet wurden. Sie bleiben vielmehr in Gestalt einer Hülle um den Erdball erhalten, die Vernadskij ‚Noosphäre‘ genannt hat. Damit haben wir die ganze menschliche Gestalt von Ideen und Bildern über uns. Jeder Mensch, der die ‚feinen Energien‘ wahrzunehmen vermag, kann in Kontakt zur ‚Noosphäre‘ treten und aus ­diesem gewaltigen Wissens- und Erfahrungsreservoir schöpfen.“ In: KB 126, 35 – 37. 122 Vgl. Slavická 1995.

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‚Der Eindruck täuscht. Ich werde es Ihnen erklären. Das Bild stellt die Durchquerung des Roten Meers dar und wurde zur Zeit Mose gemalt, darum ist es so wertvoll.‘ ‚Aber wo sind denn die Israeliten auf ­diesem Bild?‘ ‚Sie haben bereits das Meer durchquert.‘ ‚Und die Ägypter?’ ‚Sie sind noch nicht eingetroffen.‘ ‚Und das Wasser? Wo ist denn das Wasser?‘ ‚Was, das wissen Sie nicht? Es hat sich zurückgezogen.‘“123

Einerseits dienen Kabakov Humor und Witz, das Lachen überhaupt als Überlebensstrategie und Lebenshilfe im täg­lichen sowjetischen Leben, welches wie Gogol’ sagt, ein „Lachen unter Tränen“ sei, durch welches wir den Unterschied und den Zusammenhang von Wirk­lichkeit und Ideal spüren würden und das sicher­lich auch an die Tradi­tion der rus­sischen Lachgemeinschaften anknüpft.124 Andererseits ist der spezifisch jüdische Humor und Witz ein bekanntes, globales Phänomen des Judentums. Für den Außenstehenden ist es aber in seiner Schonungslosigkeit und Heftigkeit nicht immer leicht nachvollziehbar, zumal dem Rezipienten oftmals der Kontext und das Hintergrundwissen dazu fehlen. Jüdischer Humor ist selbstreflexiv, identitätsstiftend, dem Gemeinschaftssinn verpflichtet und kennzeichnet sich durch eine Mischung von Mystik und Realismus.125 Primär lachen die Juden über sich selbst, über ihr Schicksal, über ihre Glaubensgenossen oder ihre Armut. So lebe der jüdische Humor fast nie von Schadenfreude und Destruk­tion des anderen, fasst Desanka Schwara in ihrem Buch „Humor und Toleranz. Ostjüdische Anekdoten als historische Quellen“ (2001) zusammen.126 Der spezifisch jüdische Humor gilt vor allem auch als Ausdruck von Protest, als Mittel der Abwehr und als eine Überlebensstrategie mit therapeutischer Wirkung. Jüdischer Humor, so Joseph Klatzmann im Vorwort zu „Jüdischer Witz und Humor“ (2011), sei oft „lachen, um nicht zu weinen“127. Trotz des Schicksals der Protagonisten sind jüdische Erzählungen von einer Por­tion Humor, wenn nicht sogar von einem gewissen „Galgenhumor“ begleitet, wie das die folgende chassidische Erzählung exemplarisch darstellt: „Itzig der Schneider war stadtbekannt, weniger wegen der Hosen, die er meisterhaft zu flicken wusste, als wegen seiner lautstarken Kinderschar – elf an der Zahl, die die ganze Umgebung

123 Hier zit. nach: Klatzmann 2011, 24. 124 Städtke 2009, 1047. Vgl. Milne 2004; Schahadat 2004a. 125 Vgl. Rajower 1959; Hochwald 1994; Schwara 2001; Klatzmann 2011. 126 Schwara 2001, 16. 127 Klatzmann 2011, 10.

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verunsicherten. Wie er mit all den Kindern samt Frau, Schwiegermutter und alter Tante in einer baufälligen Hütte stets zufrieden war, war ein Geheimnis, das niemand zu lüften wusste. Niemand – ausser dem Rabbi, der ihm dazu verholfen hatte. Und der war zuverlässig verschwiegen. Doch mit der Zufriedenheit war es nicht immer so gewesen. Bereits als das zehnte Kind zur Welt kam, drohte das Eheglück zu zerbrechen. Das Geschrei der Kinder, das Gezeter der drei Frauen und das Meckern der Ziege, die im Garten vor dem Haus angebunden war, all dies genügte, um aus der Haut zu fahren. Als dann gar Miriam als elftes Kind sich zur Familie gesellte, war die Grenze des Leidvermögens erreicht. Was tun? Itzig ging zum Rabbi um Rat. ‚Rabbi, wir sind 15 Seelen in zwei Zimmern. Wir kommen nicht mehr aus miteinander. Hilf uns weiter!‘ ‚Seid ihr gesund und habt ihr zu essen?‘ ‚Zu Brot und Suppe reicht es schon‘, gab der Schneider zu. ‚Was fehlt dir eigent­lich dann?‘, fragte der Rabbi erstaunt. ‚Eng ist es mir‘, seufzte Itzig, ‚so eng, dass ich unsere Ziege fast beneide, die allein den ganzen Garten hat.‘ ‚Eine Ziege habt ihr sogar?‘, staunte der Rabbi nachdenk­lich. ‚Ja‘, sprach Itzig, ‚das ist wegen der Milch für die Kleinen.‘ Der Rabbi kräuselte sich den langen Bart und sprach: ‚Hol die Ziege sofort zu euch ins Haus hinein, Itzig!‘ Itzig wurde blass vor Entsetzen: Ob der Rabbi wohl von Sinnen war? ‚Zi-­Zi-­Ziege hinein?‘, stotterte er vor Aufregung. Doch es war kein Missverständnis. Und so geschah das Undenkbare: Als 16. Seele bezog die Ziege als Untermieterin das Schneiderhaus. Eine Woche lang hielt Itzig die Hölle auf Erden aus: das bisherige Leid wurde durch das Gemecker und den Gestank der Ziege gekrönt. Dann platzte ihm die Geduld. Gleich nach dem Morgengebet rannte er zum Rabbi und schrie: ‚So kann es nicht weitergehen, Rabbi!‘ ‚Gut‘, sagte dieser – ‚Geh und bring die Ziege wieder in ihren Garten.‘ Gesagt, getan und gegen Mittag schien alles wieder beim Alten zu sein. Doch nein! Plötz­ lich war eitel Freude und Einvernehmen in die Hütte eingekehrt, die nun doppelt so geräumig anmutete. Am Sabbat erkundigte sich der Rabbi bei Itzig nach seinem und der Familie Wohlbefinden. Itzig strahlte von einem Ohr zum anderen und berichtete vom Glück aller 15 Familienmitglieder und der Ziege. Der Rabbi und Itzig zwinkerten einander verständnisvoll zu: ‚Nun hat sie also dich den Frieden gestiftet, eure Ziege, nicht wahr‘, sagt der Rabbi! ‚Ja‘, meinte Itzig, ‚gelegent­lich braucht halt jeder einmal eine Ziege, um sich seines Glückes bewusst zu werden.‘“128

128 Hier zit. nach: Lapide 1996, 22.

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Solche alltagsheilenden Wendungen finden sich auch in Kabakovs Geschichten wieder, wenn beispielsweise in leidvollen Erzählungen aus dem sowjetischen Kinderheim­alltag vor dem Fenster einer sowjetischen Schule plötz­lich ein im Sterben liegend geglaubter Schüler als „Engel“ erscheint, sich in Wahrheit aber bei bester Gesundheit auf einer „Hebebühne“ entlang der Schulhausmauer in die Luft schwenken lässt und für seine Klasse vor dem Fenster Engelsbewegungen mit seinen Armen vorführt. Daraufhin verliert die Lehrerin den Verstand. Oder wenn man den Projekten aus dem Palast der Projekte (1998) folgt, einer humorvollen Anleitung zur Verbesserung des Alltags und der Welt.129 Schließ­lich aber macht Desanka Schwara in ihrem Buch „Humor und Toleranz. Ostjüdische Anekdoten als historische Quellen“ (2001) auf einen Punkt aufmerksam, welcher im Zusammenhang mit Kabakov und seinem künstlerischen Programm der „gesprochenen Stimmen“ in seinen Zeichnungen, Alben, Gemälden und Installa­tionen wichtig erscheint. Schwara bedenkt, dass die besondere humoristische Begabung des jüdischen Volkes in dessen einzigartiger Verbindung mit dem Wort zu suchen sei, die es dazu befähige, Stimmen zu sehen (man denke hier an die Offenbarung am Sinai) und die prophetische Vision in eine Audi­tion zu verwandeln, das Gesehene in ein Gehörtes.130 Kabakovs Werke offenbaren sich ebenfalls über das Sehen, indem seine Texte gelesen werden, doch im eigent­lichen künstlerischen Sinn Stimmen darstellen, die er in seinen Räumen versammelt.

129 Lena Smetanina, 16-jährig, schreibt von „Sascha, de[m] Engel, der sich einen Lausbubenstreich ausdenkt. Weil Sascha Brykins Bruder auf einem Lastwagen mit Kran zum Auswechseln der Straßen­ lampen arbeitet, feuert Sascha ihn an, den Kran vor das Schulgebäude zu fahren und ihn auf der Hebebühne auf die Höhe des sich im dritten Stock befindenden Klassenzimmers hochfahren zu lassen. Die Schüler klären ihre Literatur-­Lehrerin vorgängig über das Fehlen Saschas auf. Sie berichten ihr, dass ihr Mitschüler schwer krank sei und im Sterben liege. Es ist abgemacht, dass eine andere Schülerin darauf die Lehrerin frage, was Engel s­ eien und ob es stimme, dass die Seele nach dem Tod aus dem Körper davonfliege. In d ­ iesem Moment erscheint Sascha vor dem Fenster. Dabei macht er Armbewegungen, als würde er fliegen. Wobei man nicht ausmachen kann, worauf er steht. Im Klassenzimmer schreien alle, das sei Sascha, der in den Himmel fliege. Die Lehrerin erschrickt dermaßen, dass sie das Bewusstsein verliert.“ In: Ilya Kabakov, Die Schulbibliothek, 1995, KB 123 (Bd. 2), 95. 130 Schwara 2001, 30.

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5.3 Die jüdische Pr a xis des Kommentier ens „Interessanterweise imponiert mir diese Dialoghaftigkeit der Existenzform – ‚Ich und Du‘ (fast wie bei Buber) – ausserordent­lich.“131 Ilya Kabakov, 1988

Ilya Kabakovs Praxis des Kommentierens ist Grundbestandteil seines Œuvres. Dieses ist durchdrungen von Kommentaren, und zwar in Form von Gesprächen, Interpreta­tionen oder Theoriebildungen, die ihrerseits wiederum neu kommentiert werden, sei dies vom Künstler selbst oder von „Personagen“, Künstlerfreunden, Wissenschaftlern etc. Bei Kabakov und anderen seiner Weggefährten des Moskauer Konzeptualistenkreises wird auch von einem „unend­lichen Textmeer“ gesprochen, das sie produzieren. Denn ihre Texte würden sich ausschließ­lich an andere Texte wenden, und ein jeder Text sei zugleich ein Text, der einen vorangehenden Text überschreibe, um Kabakovs Worte an dieser Stelle nochmals zu wiederholen.132 Selbst die vorliegende Arbeit reiht sich in diesen Kommentierungsstrang ein und ist Teil von Kabakovs dialo­gischem Konzept. Mit dem andauernden Prozess des Kommentierens wird der momentane Standpunkt bei Kabakov immer wieder relativiert, in ein neues Verhältnis gesetzt und dadurch stets im Hier und Jetzt verortet. Das Momentane ist bei Kabakov ebenso Gesamtwerk wie das Vergangene und Zukünftige und unterstreicht einmal mehr die Offenheit seiner dialo­gischen Werkstruktur. Im Judentum ist die Praxis des Kommentierens fest verankert, allen voran im Talmud mit den hebräischen Kommentaren, den „Be’ur“, im allgemeinen Sprachjargon immer wieder bezeichnet als „Modell dialo­gischer Strukturen“. Die ständige Fortentwicklung der Tradi­tion durch Diskussionen, Ergänzungen, Kommentare und Analysen prägt den durchgängig dialektischen Stil des Talmuds, denn wo diese Tradi­tionskette ein Ende nehme, höre auch das Judentum auf.133 Der jüdische Dialog ist unabgeschlossen, offen und setzt sich in immer wieder neuen Überlieferungen und Übersetzungen fort.134 Die Offenheit des Textes ist dem Text immanent, denn er „ist“ erst, wenn er gelesen wird. Die exegetische Tradi­tion setzt sich mit jeder weiteren Genera­tion fort. Dementsprechend gilt die Sprache als Schöpfungsprinzip; sie wird immer wieder neu ausgelegt. „Am Anfang war der Logos, und der Logos war bei Gott, und Gott war 131 Ausst.Kat. Bern 1988, 70. 132 KB116, 151. Vgl. Kapitel 2.3. 133 Schubert 1983 (Bd. 1), 7. 134 Vgl. Schäfer 1995.

Die jüdische Praxis des Kommentierens  |

der Logos“ und „der Logos wurde Fleisch“ wie es zu Beginn im Johannesevangelium nachzulesen ist.135 Der Aufbau des babylonischen Talmuds, insbesondere der einer Talmudseite, veranschau­licht indes, warum und weshalb dem Kommentieren, dem Auslegen eines Textes eine zentrale Bedeutung in der jüdischen Tradi­tion innewohnt: Bei der Beschreibung einer Talmudseite wird nicht ­zwischen links und rechts unterschieden, sondern z­ wischen innen und außen, ­zwischen Zentrum und Peripherie.136 In der Mitte einer Talmudseite befindet sich die Textsäule, w ­ elche aus der Mischna und Gemara besteht. Es folgt der wichtigste Kommentar zum Talmud, der Raschi-­ Kommentar auf dem inneren Rand. Außen folgen die Subkommentare der ­Tosafisten, der Schüler von Raschi. Ilya Kabakov seinerseits misst dem Zentrum eine sehr wichtige Bedeutung zu, wenn er beispielsweise von seiner Serie Die „weissen“ Bilder (1977/78) spricht: „Man sollte beim Anblick dieser Tafeln an eine Leinwand denken, die das Licht aus einer unend­lichen transzendenten Ferne auffängt und reflektiert. Dabei strahlt das Zentrum der Tafel ­dieses Licht gleichsam aus, während die Ränder ihm gegenüber relativ indifferent, ding­lich, peripher sind.“137

Diese Beschreibung passt auch zu Kabakovs Bildserie Am Rande (1974), worin sich die Figuren um die große, weiße Fläche am Rand entlang bewegen. So als ob sie durch irgendeine immaterielle, metaphy­sische Kraft daran gehindert würden. An dieser Stelle ist auch nochmals an die Installa­tion NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten (1993) mit ihrem hell beleuchteten, leeren Zentrum zu erinnern (Abb. 15). Diese Leerstelle wird von Kabakov in seiner Installa­tionsbeschreibung kommentiert: „Im Zentrum befindet sich nichts, es ist beleuchtete Leere.“138 Die Mitglieder der NOMA werden von Kabakov rund um die mittige Leere in den einzelnen Kreissektoren platziert. Die Skizze zur Ak­tion Zehn Erscheinungen der Kollektiven Ak­tionen nimmt ­dieses kreisförmige Schema wieder auf, wobei sich hier die zehn Beteiligten am Rande, in der strahlenförmigen Peripherie wiederfinden, währenddessen das ovale Zentrum ebenfalls leer bleibt.139 135 AT, Joh 1, 1/AT, Joh 1, 14. 136 Die folgenden Erläuterungen beziehen sich auf den babylonischen und nicht auf den palästinischen Talmud. Vgl. Krupp 1995. 137 KB47, 95. Der Künstler betont jedoch, dass das Licht mit den „metaphy­sischen Tendenzen“ in den inoffiziellen künstlerischen Kreisen Moskaus Ende der 1960er- und in den 1970er-­Jahren zusammenhänge: „Es tauchten so genannte ‚geistige‘ Philosophen auf, weise Privatgelehrte und Schriftsteller, die über den Begriff des ‚heiligen Lichts‘ nachdachten.“ In: KB116, 47. 138 KB62, 187. 139 Kollektive Ak­tionen 1998, 131, hier zit. nach: Sasse 2003, 184.

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I. Pivovarova A. Žigalov

N. Kozlov

V. Skersis Ju. Al’bert L. Taločkin I. Čujkov O. Vasil’ev

V. Nekrasov I. Kabakov 139

Kollektive Ak­tionen, Skizze zur Ak­tion Zehn Erscheinungen (orig. in kyrillischer Schrift).

Mit den nach außen gerichteten Pfeilen wird hier die Kommentierungsrichtung von innen nach außen sogar noch zusätz­lich betont.140 Die (jüdische) Eigenschaft des Kommentierens kennzeichnet nicht nur Ilya K ­ abakovs Werk, sondern auch den Kreis der Moskauer Konzeptualisten und wird von Ilya Kabakov wie auch von Pavel Pepperštejn beschrieben. So sagt Kabakov über NOMA: „Dieses Offenhalten von allem für alles und das Fehlen irgendeiner metaphy­sischen Starrheit und Unbeweg­lichkeit kennzeichnet praktisch alle an NOMA Beteiligten, von denen wir sprechen. Das bedeutet, kein Begriff ist mehr heilig und glänzt unbeweg­lich wie eine ewige Wahrheit – das gilt auch für die Malerei, die Kunst, die Literatur, die Sprache u. ä., sondern alles wird Teil eines Ganzen, in dem alles ­diesem ununterbrochenen Diskurs unterworfen ist.“141

Und, um die Aussage nochmals zu wiederholen, Pavel Pepperštejn bezeichnet NOMA als einen „Kreis von Diskussionen“.142 Um die narrativen, diskursiven und dialo­gischen Aspekte der talmudischen Literatur jedoch auch im Rahmen von Ilya Kabakovs Aussagen und seiner dialo­gischen Werkstruktur sichtbar zu machen, werden im Folgenden vor allem die philosophischen Schriften 140 http://conceptualism.letov.ru/KD-actions-16.html (20. 7. 2016). 141 Ilya Kabakov im Gespräch mit Boris Groys zum Thema NOMA, in: KB91, 140 – 147. 142 Pepperštejn 1994, 9. Vgl. Kapitel 2.2.

Die jüdische Praxis des Kommentierens  |

von Martin Buber (1878 – 1965) berücksichtigt.143 Dies insbesondere, weil Ilya Kabakov den jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber als Vergleich zu seiner dialo­gischen Werkstruktur heranzieht.144 Mit Martin Bubers Schrift „Ich und Du“ (1923) ist das „dialo­gische Prinzip“ zum Schlüsselbegriff geworden, obwohl Hermann Cohens „Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums“ (1917/18), Franz Rosenzweigs „Stern der Erlösung“ (1921) und Ferdinand Ebners „Das Wort und die geistigen Realitäten – Pneumatolo­gische Fragmente“ (1921) früher erschienen sind, die Buber aber in Auszügen gekannt hat.145 Buber argumentiert in „Ich und Du“, dass die Distanzierung vom Du die Voraussetzung für die Ich-­Es-­Beziehung sei. Erst in der Entfernung und Abgrenzung zum Du könne man auf die Ich-­Es-­Beziehung, auf das eigene Ich, auf die eigene Identität eingehen. Und in der Begegnung des Anderen und durch die Teilnahme werde das Ich Wirk­lichkeit, gegenwärtig und existent: „Wer in der Beziehung steht, nimmt an einer Wirk­lichkeit teil, das heisst: an einem Sein, das nicht bloss an ihm und nicht bloss ausser ihm ist. Alle Wirk­lichkeit ist ein Wirken, an dem ich teilnehme, ohne es mir eignen zu können. Wo keine Teilnahme ist, ist keine Wirk­lichkeit.“146 Allerdings unterscheidet Buber z­ wischen zwei „Grundworten“, den Grundworten „Ich-­Du“ und „Ich-­Es“. So gehöre „die Welt als Erfahrung“ dem Grundwort „Ich-­Es“ an, und das Grundwort „Ich-­Du“ stifte „die Welt der Beziehung“.147 Aus der Begegnung ­zwischen Ich-­Du wird Erfahrung und das Gegenwärtige zur fortlaufenden Geschichte. „Die Eswelt hat Zusammenhang im Raum und in der Zeit. Die Duwelt hat in Raum und Zeit keinen Zusammenhang.“148 So müsse das einzelne Du, nach Ablauf des 143 Hermann Cohen (1842 – 1918), Ferdinand Ebner (1882 – 1931), Franz Rosenzweig (1886 – 1929), aber auch Georg Simmel (1858 – 1918) sind Vorläufer des dialo­gischen Denkens. Sie prägen die Rezep­tion Anfang des 20. Jahrhunderts entscheidend mit. 144 Ausst.Kat. Bern 1988, 70. 145 Vgl. Casper 2002, 261. Ferdinand Ebner formuliert bereits 1912: „Das ‚Ich‘ ist unmittelbar in sich selbst erlebte Tatsache. Nicht aber das ‚Du‘. Hier liegt das für die Ethik schwierigste Problem: – die Anerkennung des ‚Ich‘ im Anderen, wodurch eben das ‚Du‘ ist, die Setzung des ‚Du‘ als ethische Forde­rung.“ Und 1913 schreibt Ebner dazu weiter: „Eine Objektivierung des ‚Ich‘ wäre frei­lich in der ethischen Setzung des ‚Du‘ zu suchen.“ In: Ebner 1963, 94, 103. Ebner argumentiert in „Das Wort und die geistigen Realitäten – Pneumatolo­gische Fragmente“ vor allem im Bereich der Sprache und bezieht sich in seinen dialo­gischen Gedanken auch auf Kierkegaard und Dostoevskij. In: Ebner 1921, 18. Seine Auseinandersetzung mit Kierkegaard und Dostoevskij bringt ihn auch in Verbindung mit Bachtin. Auch Hermann Cohen stellt bereits früher als Buber fest, dass das Ich erst durch das Gegenüber des Du zur „Persön­lichkeit“ werde. Cohen spricht aber auch von der „Korrela­tion“ ­zwischen Mensch und Gott, die „nicht in Vollzug treten“ könne, wenn die „Korrela­tion von Mensch und Mensch“ nicht Voraussetzung sei. Vgl. Cohen 1919, 17. 146 Buber 1962a, 120. 147 Ebd., 81. 148 Ebd., 101.

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­ eziehungsvorgangs, zu einem Es werden. Hingegen könne das einzelne Es, so Martin B Buber weiter, durch Eintritt in den Beziehungsvorgang, zu einem Du werden. Dieses dialo­gische Prinzip setzt sich unermüd­lich fort und gehört zur grundlegenden Existenz des Seins.149 Ilya Kabakov sagt, dass ihm „diese Dialoghaftigkeit der Existenzform“ 150 außerordent­ lich imponiere. Für den Künstler ist der „Ausschluss aus der Kommunika­tion“151 mit dem Tod gleichgesetzt. In einem Gespräch könne es sich ergeben, so der Künstler weiter, dass bei jedem von den Gesprächspartnern im Augenblick des Treffens, im Augenblick des Dialogs, die Seinsfrage auftauche: „Auf diese Weise entsteht ein Diskurs, ähn­lich den Dialogen in der Synagoge, wo beide Seiten Fragen zum Sinn des Lebens stellen. Aber beide Seiten tun das, nicht nur eine.“152 Damit ist das Grundprinzip „Sein als Beziehung“ von Martin Buber auch von Ilya Kabakov umrissen: „Alles wirk­liche Leben ist Begegnung.“153 So gebe es nur insofern Gegenwart, artikuliert Buber weiter, als es Gegenwärtigkeit, Begegnung, Beziehung gebe. Nur dadurch, dass das Du gegenwärtig werde, entstehe Gegenwart.154 „Dass die unmittelbare Beziehung ein Wirken am Gegenüber einschliesst“, erläutert Buber an den drei folgenden Beispielen: „Die Wesenstat der Kunst bestimmt den Vorgang, in dem die Gestalt zum Werk wird. Das Gegenüber erfüllt sich durch die Begegnung, es tritt durch sie in die Welt der Dinge ein, unend­lich fortzuwirken, unend­lich Es, aber auch unend­lich wieder Du zu werden, ­beglückend und befeuernd. Es ‚verkörpert‘ sich: sein Leib steigt aus der Flut der raum- und zeitlosen Gegenwart an das Ufer des Bestands.“155

Die Welt, in den Worten Bernhard Caspers, könne nie in sich, sondern immer nur in Beziehung zu mir, dem Erkennenden, Erfahrenden oder Begegnenden gedacht werden. Das sei die im Gefolge Kants und Diltheys von Buber vorausgesetzte Grundstellung, „in der Sein verstanden“156 werde. Dieses (jüdische) Prinzip des „In-­Beziehung-­Sein“ spiegelt sich auch in der dialo­gischen Werkstruktur Ilya Kabakovs wider.157

149 Buber 1962a, 101. 150 Ausst.Kat. Bern 1988, 70. 151 KB47, 10. 152 Ausst.Kat. Bern 1988, 70. 153 Buber 1962a, 85. 154 Ebd., 86. 155 Ebd., 87. 156 Casper 2002, 267. 157 Vgl. Kapitel 2.2.

Zusammenfassung |

5.4 Zusa mmenfassung Der jüdische Exkurs spaltet sich zwar von der literarischen Annäherung an Kabakovs Werk ab, doch reflektieren sich darin einige Motive und ­Themen, die davor im Zusammenhang mit dem Dialo­gischen und den intertextuellen Bezügen diskutiert worden sind. Im Spiegel der jüdischen „Personage“ Kabakovs erhält sein dialo­gisches Konzept nochmals eine ganz andere Bedeutung, auch im Kontext der jüdischen Kultur in der Sowjetunion und vor dem jüdischen Hintergrund einiger Moskauer Konzeptualisten. Ilya Kabakovs „Personage“ des kleinen Manns ist nicht nur eine literarische, sondern auch eine Bezeichnung für den chassidischen Juden, der aus der Sicht der Froschperspektive die rus­sische Welt beschreibt und künstlerisch verarbeitet. Ilya Kabakovs (autobiografische) Geschichten aus dem sowjetischen Alltag gewinnen durch die jüdische „Personage“ einen erweiterten Sinngehalt und reichen weit über die sowjetische Zeit hinaus. Die jüdischen Phänomene wie die Luftmenschen, der spezi­ fische Humor oder die eigene Geschichtsschreibung erklären Ilya Kabakovs konzeptuelles Werk nochmals aus einer ganz anderen Perspektive und lesen sich auch als ein erweiterter Dialog. Vormals besprochene Motive wie fliegende Menschen und Objekte weisen Parallelen zur jüdischen Bezeichnung der Luftmenschen auf, in jenem der Fragmente klingt die jüdische Sprachauffassung des Fragmentarischen, der Aphorismen an. Auch erhält die Vorliebe Kabakovs für das Buch, für die literarische Tradi­tion und das Lesen im Kontext der vielzitierten Bezeichnung für die Juden als Volk des Buches eine andere, nicht weniger gewichtige Lesart. Ebenso auch Kabakovs Präferenz für den Text anstelle des Bildes im Zusammenhang mit dem jüdischen, immer wieder gegensätz­lich diskutierten Bilderverbot. In diesen ­Themen kündigt sich das jüdische Universum an, welches sich nicht nur auf Russland bezieht, sondern von globaler Bedeutung ist. Von viel größerer Brisanz ist jedoch der Zusammenhang z­ wischen Kabakovs dialo­ gischer Werkstruktur und der jüdischen Praxis des Kommentierens. Hier findet sich neben der literaturwissenschaft­lichen Dialogizitätstheorie Bachtins und der Intertextua­ lität eine weitere Referenz für seine dialo­gische Struktur. Genauso wie bei Bachtin der Dialog nicht abgeschlossen werden kann, ist auch in der jüdischen Tradi­tion der Dialog unabschließbar. Merkmale wie kontinuier­liche Veränderung und immanente Offenheit des Textes finden sich sowohl im dialo­gischen Modell von Bachtin als auch in der jüdischen Tradi­tion des Dialo­gischen. So ist im Jüdischen der Text erst, wenn er gelesen wird, was sich auch in Kabakovs Konzeptkunst manifestiert. Erst durch den Dialog, die beziehungsreichen Bezüge wird ein Werk zum eigent­lichen Kunstwerk. Der Dialog gilt als voraussetzende Form für seine künstlerische Existenz. Kabakov zieht Martin Buber, der den Dialog als Grundbestandteil für die Existenz des Seins in seinen philosophischen Schriften konkretisiert, als Vergleich für seine dialo­gische Werkstruktur heran.

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Damit schließt sich der Kreis wiederum zu Bachtin, der das Dialo­gische ebenfalls als existentielle Grundform versteht. Sowohl bei Buber wie auch bei Bachtin gehören im Minimum zwei Stimmen zum Leben wie auch zum Sein – auch wenn diese zwei Lehren gänz­lich unabhängig voneinander betrachtet werden müssen. Buber und Bachtin haben das Dialo­gische wohl zeitgleich entwickelt, jedoch unabhängig voneinander ausgearbeitet und sind – wohlgemerkt – Vertreter unterschied­licher Religionen gewesen.

6 Epilog „Und es gibt kein sogenanntes ‚Resümee‘, ein letztes Wort über eine Arbeit. Es gibt nur verschiedene Sprünge, nähere und weitere, jeg­liche Meinungen bleiben immer ­fragmentarisch. Eine seriöse Erklärung ist unmög­lich. Nur verschiedene ­Versuche von verschiedenen Seiten sind mög­lich. Im Prinzip kann es keinen Schuss in die Mitte der Zielscheibe geben!“1 Ilya Kabakov, 2009

2008 wird Ilya Kabakov vom rus­sischen Präsidenten Vladimir Putin mit einem Orden ausgezeichnet. Putin adelt den Künstler damit zwar, indem er ihn in seinem Status als erfolgreicher Künstler auf einen ehrenvollen Sockel setzt. Gleichzeitig aber tadelt Putin Kabakov, indem er ihn als „besten ausländischen Künstler“ auf diese Plattform stellt. Von Rehabilitierung im Jahr seiner großen Moskauer Retrospektive ist keine Rede. Eher holt Kabakov im heutigen Russland seine schizophrene sowjetische Vergangenheit ­zwischen offizieller Anerkennung und Lobpreisung als Kinderbuchillustrator einerseits und als inoffizieller Künstler im Moskauer Untergrund andererseits auf eine weitere perfide Art ein, auch in Bezug auf seine ukrainische Herkunft. Angesichts der zunehmenden Restrik­tionen und Beschneidungen demokratischer Grundrechte unter der aggressiv führenden und lenkenden Hand Putins erstaunt dies heute wenig, und es fragt sich, wohin der rus­sische Präsident sein Land noch (zurück) führen wird. Kabakovs offenes, dialo­gisches Werk wird dabei unweiger­lich zum zweiten Mal zum künstlerischen Gegenentwurf eines politischen und kulturellen Systems, das sich immer mehr in einen totalitären und diktatorisch finsteren Machtapparat verwandelt, indem nur noch das eine Wort, die eine Losung ihre Gültigkeit hat.

1 KB139, 58.

7 Anhang

7.1 A bbildungsnachweis Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15:

Guido Baselgia. © Guido Baselgia KB137 (Bd. I), 59. © VG Bild-­Kunst, Bonn 2016 KB137 (Bd. I), 251. © VG Bild-­Kunst, Bonn 2016 KB137 (Bd. I), 79. © VG Bild-­Kunst, Bonn 2016 Fotoarchiv Nicole Seeberger. © VG Bild-­Kunst, Bonn 2016 KB100, 82. © VG Bild-­Kunst, Bonn 2016 KB137 (Bd. I), 94. © VG Bild-­Kunst, Bonn 2016 KB100, 34. © VG Bild-­Kunst, Bonn 2016 KB137 (Bd. I), 75. © VG Bild-­Kunst, Bonn 2016 KB68, 111 und 128. © VG Bild-­Kunst, Bonn 2016 KB137 (Bd. I), 147. © VG Bild-­Kunst, Bonn 2016 KB139, 155. © VG Bild-­Kunst, Bonn 2016 Suckale/Wundram/Prater 2002, S. 316. Chagall 2006, 116. © Staat­liche Tret’jakov-­Galerie, Moskau KB123 (Bd. 1), 490. © VG Bild-­Kunst, Bonn 2016

7.2 Quellen- und Liter aturver zeichnis 7.2.1 Ilya Kabakovs Künstlerbücher Es gelten die folgenden Aufnahmekriterien: „Es sind alle die Publikationen aufgenommen, bei denen der Künstler direkt an der Gestaltung beteiligt war; dabei ist zu unterscheiden zwischen Idee, Konzept und Layout. Verzeichnet sind auch jene Bücher, deren Textautor Ilya Kabakov ist, selbst wenn er bei der Gestaltung nicht mitwirkte. Ein weiteres Kriterium ist eine Mindest­ auflage von zwei Exemplaren.“1 KB1 Ilya Kabakov: Ein Meer von Gedanken. Moskau 1958 (orig. Russ.). KB2 Ilya Kabakov: Heute ist der 4. Juli 1977…. Moskau 1977 (orig. Russ.). KB3 Ilya Kabakov: ZEHN Charaktere (Text der Alben). Moskau 1978 (orig. Russ.). 1 Matthias Haldemann/Nicole Seeberger, Erläuterungen zum Werkverzeichnis der Künstlerbücher, in: KB138, 89.

Quellen- und Literaturverzeichnis  |

KB4 Ilya Kabakov: Rhombus. Moskau 1980 (orig. Russ.). KB5 Ilya Kabakov: In unserer Wohnungsverwaltung. Moskau 1981 (orig. Russ.). KB6 Ilya Kabakov: Es geht nur ums Blättern. Moskau 1981 (orig. Russ.). KB7 Ilya Kabakov: Geprüft!. Moskau 1981 (orig. Russ.). KB8 Ilya Kabakov: Über die lokale Sprache. Moskau 1982 (orig. Russ.). KB9 Ilya Kabakov: Fliege mit Flügeln. Moskau 1982 (orig. Russ.). KB10 Ilya Kabakov: Neuer Rhombus. Moskau 1983 (orig. Russ.). KB11 Ilya Kabakov: Ohne Kultur. Moskau 1983 (orig. Russ.). KB12 Ilya Kabakov: Gesamtübersicht über die Arbeit. Moskau 1984 (orig. Russ.). KB13 Ilya Kabakov: Schaufel. Moskau 1984 (orig. Russ.). KB14 Ilya Kabakov: Die 70er Jahre. Moskau 1984 (orig. Russ.). KB15 Ilya Kabakov: Drei „russische“ Bilder. Moskau 1984 (orig. Russ.). KB16 Ilya Kabakov: Das Fenster. Der aus dem Fenster schauende Archipov. Bern 1985. KB17 Ilya Kabakov: Staub. Schmutz. Müll. Moskau 1985 (orig. Russ.). KB18 Ilya Kabakov: Nikolaj Petrovič. Moskau 1985 (orig. Russ.). KB19 Ilya Kabakov. Leinen. Moskau 1985 (orig. Russ.). KB20 Ilya Kabakov: Der Künstler als handelnde Figur. Moskau 1985 (orig. Russ.). KB21 Ilya Kabakov. 10 Alben. Portikus Frankfurt a. M. 8.10. – 6. 11. 1988. Hg. v. Ders. Frankfurt a. M. 1988. KB22 Ilya Kabakov. Ten characters. Galerie Ronald Feldman Fine Arts 30.4. – 4. 6. 1988. Hg. v. Ilya Kabakov. New York 1988. KB23 Ilya Kabakov. Vor dem Abendessen. Foyer der Grazer Oper 20.3. – 8. 4. 1988. Hg. v. Grazer Kunstverein. Graz 1988. KB24 Ilya Kabakov. Que sont ces petits hommes?. Galerie de France 19.1. – 4. 3. 1989. Hg. v. Ders. Paris 1989. KB25 Ilya Kabakov. Die Kommunalwohnung. Kunsthalle Zürich 2.6. – 30. 7. 1989. Hg. v. Dies. Zürich 1989. KB26 Ilya Kabakov. Das Schiff. Kunsthalle Zürich 2.6. – 30. 7. 1989. Hg. v. Dies. Zürich 1989. KB27 Ilya Kabakov. Ausstellung eines Buches. DAAD-Galerie, Berliner Künstlerprogramm des DAAD 9. 12. 1989 – 28. 1. 1990. Hg. v. DAAD. Berlin 1989. KB28 Ilya Kabakov. He lost his mind, undressed, and ran away naked. Ronald Feldman Fine Arts Gallery 6.1. – 3. 2. 1990. Hg. v. Ilya Kabakov. New York 1990. KB29 Ilya Kabakov. He lost his mind, undressed, and ran away naked. Ronald Feldman Fine Arts Gallery 6.1. – 3. 2. 1990. Hg. v. Ilya Kabakov. New York 1990. KB30 Ilya Kabakov. The rope of life and other installations. Fred Hoffman Gallery 13.1. – 10. 2. 1990. Hg. v. Ilya Kabakov. New York 1990. KB31 Ilya Kabakov. The rope of life and other installations. Fred Hoffman Gallery 13.1. – 10. 2. 1990. Hg. v. Ders. Santa Monica 1990.

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KB32

Ilya Kabakov. Sieben Ausstellungen eines Bildes. Kasseler Kunstverein 13.5. – 24. 6. 1990. Hg. v. Ders. Kassel 1990. KB33 Ilya Kabakov. The fly with the wings. Orchard Gallery 1. – 29. 9. 1990. Hg. v. Ders. Londonderry 1990. KB34 Ilya Kabakov: 16 ropes. New York 1991. KB35 Ilya Kabakov. Meine Heimat (Die Fliegen). Wewerka & Weiss Galerie 4.2. – 23. 3. 1991. Hg. v. Ilya Kabakov. Berlin 1991. KB36 Ilya und Emilia Kabakov: My homeland (The flies). New York 1991. KB37 Ilya Kabakov. Fliege mit Flügeln. Kunstverein Hannover 22.6. – 25. 8. 1991. Hg. v. Ilya Kabakov. New York 1991. KB38 Ilya Kabakov. Fliege mit Flügeln. Kunstverein Hannover 22.6. – 25. 8. 1991. Hg. v. Ilya Kabakov. New York 1991. KB39 Ilya Kabakov: In the communal kitchen. Paris 1991. KB40 Ilya Kabakov. Community kitchen and labyrinth (My mother’s album). Sezon Museum of Modern Art 13.7. – 6. 10. 1991. Hg. v. Ders. Karuizawa 1991. KB41 Ilya Kabakov. Mental institution or institute of creative research. Rooseum, Center for Contemporary Art 27.8. – 27. 10. 1991. Hg. v. Ders. Malmö 1991. KB42 Ilya Kabakov. 52 entretiens dans la cuisine communautaire. Ateliers Municipaux ­d’­Artistes 20. 12. 1991 – 25. 1. 1992, La Criée, Halle d’Art Contemporain 4.7. – 26. 9. 1992. Hg. v. Dens. Marseille/Rennes 1991. KB43 Ilya Kabakov: The ant. New York 1991. KB44 Ilya Kabakov: The ant. New York 1991. KB45 Ilya Kabakov: A rope – A life. New York 1991. KB46 Ilya Kabakov: Rope along the edge. New York 1991. KB47 Ilya Kabakov, Boris Groys. Die Kunst des Fliehens. Dialoge über Angst, das ­heilige Weiss und den sowjetischen Müll. Hg. v. Michael Krüger. München/Wien 1991/2007 (Edition Akzente). KB48 Ilya Kabakov. The man who flew into his picture. Institute of Contemporary Art, University of Pennsylvania 4. 10. 1990 – 5. 1. 1991. Hg. v. Ders. Philadelphia 1991. KB49 Ilya Kabakov: The ripped off landscape. New York 1991. KB50 Ilya Kabakov. Das Leben der Fliegen. Kölnischer Kunstverein 2.2. – 29. 3. 1992. Hg. v. Ders. Ostfildern 1992. KB51 Ilya Kabakov. Illustration as a way to survive. Kanaal Art Foundation 10.10. – 20. 12. 1992, Ikon Gallery 14.4. – 15. 5. 1993. Hg. v. Dens. Kortrijk/Birmingham 1992. KB52 Ilya Kabakov. Galleria Sprovieri 21. 11. 1992 – 21. 1. 1993. Hg. v. Ders. Rom 1992 (Edizione Galleria Sprovieri 6). KB53 Ilya und Emilia Kabakov: The man who flew into his picture. New York 1992. KB54 Ilya und Emilia Kabakov: The man who flew into his picture. New York 1992. KB55 Ilya und Emilia Kabakov: The red wagon. New York 1992.

Quellen- und Literaturverzeichnis  |

KB56 KB57

Ilya und Emilia Kabakov: The fly with the wings. New York 1992. Ilya und Emilia Kabakov: Mental institution of institute of creative research. New York 1992. KB58 Ilya und Emilia Kabakov: We are leaving here forever!. New York 1992. KB59 Ilya Kabakov. Het grote archief. Stedelijk Museum 29.1. – 28. 3. 1993. Hg. v. Ders. Amsterdam 1993. KB60 Ilya Kabakov. The red pavilion. 45. Biennale di Venezia 14.6. – 14. 9. 1993. Hg. v. Ilya Kabakov. New York 1993. KB61 Ilya Kabakov. Incident at the museum or water music (with Vladimir Tarasov) (2 Bde.). Museum of Contemporary Art Chicago 10.7. – 21. 9. 1993. Hg. v. Stepan Jakovlevič Koshelev. Chicago 1993. KB62 Ilya Kabakov. NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten. Hamburger Kunst­ halle 10. 12. 1993 – 6. 2. 1994. Hg. v. Dies. Ostfildern 1993. KB63 Ilya und Emilia Kabakov: The man who flew into space. New York 1993. KB64 Ilya und Emilia Kabakov: Targets. New York 1993. KB65 Ilya und Emilia Kabakov: The bridge. New York 1993. KB66 Ilya Kabakov. Dans la cuisine communautaire. Nouveaux documents et matériaux. Hg. v. Luc Derycke. Paris 1993. KB67 Ilya und Emilia Kabakov: The toilet. New York 1993. KB68 Ilya Kabakov. 5 albums. Hg. v. Kiasma Nykytaiteen Museo/Museet for Samtidskunst. Helsinki 1994. KB69 Ilya Kabakov. Die Verzweiflung des Künstlers oder die Verschwörung der Untalentierten. Wewerka & Weiss Galerie 2.3. – 22. 4. 1994. Hg. v. Ilya Kabakov. Berlin 1994. KB70 Ilya Kabakov. Le bateau de ma vie. L’album de ma mère. La rivière souterraine dorée. Magasin, Centre National d’Art Contemporain 17.4. – 17. 7. 1994. Hg. v. Ilya Kabakov. Grenoble 1994. KB71 Ilya Kabakov. Unrealized projects. Second Floor Exhibition Space 4.6. – 31. 7. 1994. Hg. v. Ilya Kabakov. Reykjavik 1994. KB72 Ilya Kabakov: Erzählung von einem kulturell Verschleppten. New York 1994 (orig. Russ.). KB73 Ilya Kabakov: A story about a culturally relocated person. New York 1994. KB74 Ilya Kabakov. ŽĖK No. 8, Baumann-Bezirk, Stadt Moskau. Hg. v. Günter Hirt/Sascha Wonders. Leipzig 1994 (1489). KB75 Ilya und Emilia Kabakov: The communal kitchen. New York 1994. KB76 Ilya und Emilia Kabakov: 10 characters. New York 1994. KB77 Ilya und Emilia Kabakov: The unhung painting. New York 1994. KB78 Ilya und Emilia Kabakov: The red pavilion. New York 1994. KB79 Ilya und Emilia Kabakov: The boat of my life. New York 1994.

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Ilya Kabakov. Installations 1983 – 1995. Centre national d’art et de culture Georges ­Pompidou 17.5. – 4. 9. 1995. Hg. v. Ders. Paris 1995. KB81 Ilya Kabakov. Das Seil des Lebens und andere Installationen. Museum für Moderne Kunst 23. 6. 1995 – 14. 1. 1996. Hg. v. Ders. Frankfurt a. M. 1995. KB82 Ilya Kabakov: Flys (In the communal kitchen): a musical phantasmagoria (with Vladimir Tarasov). New York 1995. KB83 Ilya Kabakov: Über die „totale“ Installation. Ostfildern 1995. KB84 Ilya Kabakov: L’album de ma mère. Paris 1995. KB85 Ilya und Emilia Kabakov: Unrealized projects. New York 1995. KB86 Ilya Kabakov. Der Lesesaal. Deichtorhallen 19.4. – 28. 7. 1996. Hg. v. Ders. Hamburg 1996. KB87 Ilya Kabakov. Op het dak. Paleis voor Schone Kunsten 7.6. – 8. 9. 1996. Hg. v. Ders. Brüssel 1996. KB88 Ilya Kabakov. 1964 – 1983. Le navire. Hg v. Musée d’Art Contemporain. Lyon 1996 (un livre/une œuvre). KB89 Ilya Kabakov. Søppelmannen. Hg. v. Museet for Samtidskunst. Oslo 1996 (1). KB90 Ilya Kabakov. Musik auf dem Wasser (mit Vladimir Tarasov). Park des Landeskultur­ zentrums Salzau. Hg. v. Rainer Haarmann. Köln 1996. KB91 Ilya Kabakov, Boris Groys. Die Kunst der Installation. Hg. v. Michael Krüger. München/ Wien 1996 (Edition Akzente). KB92 Ilya Kabakov: Ülo Soosteri piltidest. Tallinn 1996. KB93 Ilya Kabakov. Auf dem Dach. Hg. v. Catherine Robberechts. Düsseldorf 1997. KB94 Ilya Kabakov, Pavel Pepperštejn. Tennisottelu. Porin Taidemuseo 9.6. – 1. 9. 1996. Hg. v. Jari-Pekka Vanhala. Pori 1997 (Porin Taidemuseo Publications 36). KB95 Ilya Kabakov. The palace of projects: 1995 – 1998. Roundhouse London 24.3. – 10. 5. 1998, Upper Campfield Market Manchester 23.5. – 16. 8. 1998, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Palacio de Cristal Madrid 10. 12. 1998 – 30. 4. 1999. Hg. v. Artangel/ Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía. London 1998. KB96 Ilya Kabakov. 16 Installaties. MUHKA Museum van Hedendaagse Kunst ­Antwerpen 17.4. – 23. 8. 1998. Hg. v. Ders. Antwerpen 1998. KB97 Ilya Kabakov. Behandlung mit Erinnerungen. Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart 15.5. – 30. 8. 1998. Hg. v. Friedegund Weidemann. Berlin 1998. KB98 Ilya Kabakov. El palacio de los proyectos: 1995 – 1998. Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Palacio de Cristal 10. 12. 1998 – 30. 4. 1999. Hg. v. Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía/Artangel London. Madrid/London 1998. KB99 Ilya Kabakov. The hospital: five confessions. Capp Street Project, CCA Wattis Institute for Contemporary Arts 30. 10. 1997 – 31. 1. 1998. Hg. v. Ilya und Emilia Kabakov. New York 1997.

Quellen- und Literaturverzeichnis  |

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Ilya Kabakov. 5. albums. Second Book. Hg. v. Emilia Kabakov/Jaaretta Jaukkuri. Helsinki 1998. KB101 Ilya Kabakov: The palace of projects. 1995 – 1996. Part I. New York 1998. KB102 Ilya Kabakov: The palace of projects. 1995 – 1996. Part II. New York 1998. KB103 Ilya Kabakov: Old bridge. New York 1998. KB104 Ilya und Emilia Kabakov. Monumento alla civiltà perduta. Cantieri Culturali alla Zisa 16.4. – 27. 6. 1999. Hg. v. Chiara Bertola/Paolo Falcone. Mailand 1999. KB105 Ilya Kabakov. The old reading room. Bibliotheek van de Universiteit van Amsterdam, Universiteitsbibliotheek, Doelenzaal 8.7. – 6. 8. 1999. Hg. v. Ders. Amsterdam 1999. KB106 Ilya Kabakov. Life and creativity of Charles Rosenthal (1898 – 1933) (2 Bde.). Contem­ porary Art Center, Art Tower Mito 7.8. – 3. 11. 1999. Hg. v. Eriko Osaka. Mito 1999. KB107 Ilya Kabakov. Die 60er und 70er Jahre. Aufzeichnungen über das inoffizielle Leben in Moskau. Hg. v. Aage A. Hansen-Löve. Wien/München 1999 (Wiener Slawistischer Almanach 47) (orig. Russisch). KB108 Ilya Kabakov. 50 Installationen. Kunstmuseum Bern 7.4. – 25. 6. 2000. Hg. v. Ders. Bern 2000. KB109 Ilya und Emilia Kabakov. The rice fields. 1. Echigo-Tsumari Art Triennial 20.7. – 10. 9. 2000. Hg. v. Fram Kitagawa. Tokyo 2000. KB110 Ilya und Emilia Kabakov: School no. 6. New York 2000. KB111 Ilya Kabakov. Der Text als Grundlage des Visuellen. Hg. v. Zdenek Felix. Köln 2000. KB112 Ilya und Emilia Kabakov: We live here. New York 2000. KB113 Ilya Kabakov. 50 Installationen. Kunstsammlungen Chemnitz 23.3. – 4. 6. 2001. Hg. v. Kunstmuseum Bern. Bern 2001. KB114 Ilya Kabakov. Progetti di arte pubblica o lo spirito del luogo. Hg. v. Fondazione Antonio Ratti. Mailand 2001 (Advanced Course in Visual Arts Publications 5). KB115 Ilya und Emilia Kabakov. 20 ways to get an apple listening to the music of Mozart. Columbus Museum of Art. Columbus 2001. KB116 Ilya Kabakov. Die 60er und 70er Jahre. Aufzeichnungen über das inoffizielle Leben in Moskau. Hg. v. Peter Engelmann. Wien 2001. KB117 Ilya und Emilia Kabakov. Der Palast der Projekte, Salzlager, Kokerei Zollverein. Hg. v. Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur. Düsseldorf 2001. KB118 Ilya Kabakov. Universalsystem zur Darstellung von allem. Kunsthalle Göppingen 12.2.  –   3 1.  3.  2002. Hg. v. Werner Meyer/Kunsthalle Göppingen. Düsseldorf 2002. KB119 Ilya Kabakov. Not everyone will be taken into the future. Galerie im Traklhaus 8.8. – 14. 9. 2002, Galerie Thaddaeus Ropac 22. 11. 2002 – 7. 1. 2003. Hg. v. Dens./ Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg. Salzburg/ Paris 2002.

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Ilya und Emilia Kabakov: A utopian city or a monument inside a monument. New York 2002. KB121 Ilya und Emilia Kabakov. Center for cosmic energy. Clara Maria Sels Galerie 29.4. – 12. 7. 2003. Hg. v. Ilya und Emilia Kabakov. Düsseldorf 2003. KB122 Ilya und Emilia Kabakov. Where is our place?. Fondazione Querini Stampalia 12.6. – 7. 9. 2003 . Hg. v. Ders. Mailand 2003. KB123 Ilya Kabakov. Werkverzeichnis der Installationen 1983 – 2000 (2 Bde.: Bd. 1: Installationen 1983 – 1993/Bd. 2: Installationen 1994 – 2000). Hg. v. Toni Stoos. Düsseldorf 2003. KB124 Ilya und Emilia Kabakov. Incident in the museum and other installations. State Hermi­ tage Museum 22.6. – 29. 8. 2004. Hg. v. Thomas Kellein/Björn Egging/Kunsthalle Bielefeld. Bielefeld 2004. KB125 Ilya und Emilia Kabakov. An alternative history of art: Rosenthal – Kabakov – ­Spivak. Museum of Contemporary Art 10. 9. 2004 – 2. 1. 2005. Hg. v. Thomas Kellein/Björn Egging/Kunsthalle Bielefeld. Bielefeld 2004. KB126 Ilya und Emilia Kabakov. Die utopische Stadt und andere Projekte. Kunsthalle Bielefeld 12.9.–14. 11. 2004, Kunsthaus Zug, 27.2. – 5. 6. 2005, Albion London 22.10. – 22. 12. 2005. Hg. v. Thomas Kellein/Björn Egging. Bielefeld 2004. KB127 Ilya und Emilia Kabakov. „Morning, evening, night…“: Nikolaj, Copenhagen Contem­ porary Art Center 18.6. – 28. 8. 2005. Hg. v. Ann Lumbrye Sørensen. Kopenhagen 2005. KB128 Ilya und Emilia Kabakov. The thaw. Deweer Art Gallery 4.3. – 2. 4. 2006. Hg. v. Ders. Otegem 2006. KB129 Ilya Kabakov. Orbis pictus: children’s book illustrator as a social character (with Emilia Kabakov). Museum of Modern Art Kamakura 15.9. – 11. 11. 2007, Hiroshima City Museum of Contemporary Art 8. 12. 2007 – 27. 1. 2008 u. a. Hg. v. The Museum of Modern Art Kamakura, Hayama/Hiroshima City Museum of Contemporary Art/The Setagaya Art Museum/Ashikaga Museum of Art/The Tokyo Shimbun/Wakan Kono. Tokyo 2007. KB130 Ilya und Emilia Kabakov. Under the snow. Museum am Ostwall 21. 10. 2007 – 27. 1. 2008, Sara Hildén Art Museum Tampere 23.2. – 4. 5. 2008, Centro de Arte Contemporáneo Málaga 7. 11. 2008 – 15. 2. 2009. Hg. v. Fernando Francés/Riitta Valorinta/Kurt ­Wettengl. Köln 2007. KB131 Ilya Kabakov: Die 60er und 70er Jahre. Aufzeichnungen über das inoffizielle Leben in Moskau. Tokyo 2007 (orig. Japan.). KB132 Ilya und Emilia Kabakov. An alternative history of art. The Garage Center for Contem­ porary Culture Moscow 15.9. – 15. 10. 2008. Hg. v. Ilya und Emilia Kabakov. ­Bielefeld 2008 (orig. Russ.).

Quellen- und Literaturverzeichnis  |

KB133

Ilya und Emilia Kabakov. Über die „totale” Installation. Hg. v. Dens. Bielefeld 2008 (orig. Russ.). KB134 Ilya und Emilia Kabakov. Das Leben der Fliegen. Hg. v. Dens. Bielefeld 2008 (orig. Russ.). KB135 Ilya und Emilia Kabakov. Der rote Waggon. Die Toilette. Die Tore. Das Tennispiel. Hg. v. Dens. Bielefeld 2008 (orig. Russ.). KB136 Ilya Kabakov: Die 60er und 70er Jahre. Aufzeichnungen über das inoffizielle Leben in Moskau. Moskau 2007 (orig. Russ.). KB137 Ilya Kabakov. Paintings 1957 – 2008: Catalogue raisonné (2. Bde.: Bd. 1: Paintings 1957 – 1997/ Bd. 2: Paintings 1998 – 2008). Hg. v. Renate Petzinger/Museum Wiesbaden/Emilia Kabakov. Bielefeld 2008. KB138 Ilya Kabakov. Künstlerbücher 1958 – 2009. Hg. v. Matthias Haldemann. Bielefeld 2010. KB139 2 Ilya Kabakov. A return to painting. Eine Rückkehr zur Malerei. 1961 – 2011. Sprengel Museum Hannover 29.1. – 29. 4. 2012, Henie Onstad Art Centre 24.5. – 16. 9. 2012. Hg. v. Karin Hellandsjø/Ilya und Emilia Kabakov/Ulrich Krempel. Bielefeld 2012.

7.2.2 Literaturverzeichnis Alechjem, Scholem: Tewje, der Milchmann. Aus d. Jidd. v. Alexander Eliasberg. Frankfurt a. M./Hamburg 1964. Alpatov, Vladimir: Vološinov, Bachtin i lingvistika [Vološinov, Bachtin und die Linguistik]. Moskau 2005. Ariès, Philippe: Saint-Pierre oder die Süsse des Lebens. Versuche der Erinnerung. Berlin 1994. Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München 1999. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in Hochkulturen. München 1992. Assmann, Jan: Religion und kulturelles Gedächtnis. München 2000. Ausst.Kat. Aachen 1994: Fluchtpunkt Moskau. Werke der Sammlung Ludwig und Arbeiten für Aachen. Ludwig Forum für Internationale Kunst 24.2. – 12. 6. 1994. Hg. v. Boris Groys. Ostfildern 1994. Ausst.Kat. Amsterdam 1989: Ilya Kabakov. Witte schilderijen en witte mensjes. De Appel Foundation 6.10. – 4. 11. 1989. Amsterdam 1989. Ausst.Kat. Annandale-on-Hudson 2000: Ilya Kabakov. 1969 – 1998. Center for Curatorial Studies Bard College 25.6. – 3. 9. 2000. New York 2000.

2 Ab KB139 nicht mehr im Werkverzeichnis der Künstlerbücher verzeichnet.

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261

7.3 Dank Den folgenden Personen und Institu­tionen bin ich zu großem Dank verpflichtet. Sie alle ermög­lichten mir meine Studien: Ilya und Emilia Kabakov, Mattituck/Long Island; Dr. Matthias Haldemann, Direktor Kunsthaus Zug, der mir den Weg zu Ilya Kabakov öffnete und auch den dreiwöchigen Forschungsaufenthalt bei Ilya und Emilia Kabakov auf Long Island mög­lich machte, und Marco Obrist, Kunsthaus Zug, für die angenehme Zusammenarbeit; Stephan Kunz, Direktor Bündner Kunstmuseum Chur, und Dr. Beat Stutzer, ex Direktor Bündner Kunstmuseum Chur. Mein Dank gebührt meinem Doktorvater Prof. Dr. Philip Ursprung, Kunsthisto­ risches Institut Universität Zürich/gta Institut für Geschichte und ­Theorie der Architektur, ETH Zürich, der mir den nötigen Freiraum neben meiner Anstellung als wissenschaft­ liche Mitarbeiterin im Bündner Kunstmuseum Chur gab, sowie meiner Korreferentin Prof. Dr. Sylvia Sasse, Lehrstuhl Slavische Literaturwissenschaft, Universität Zürich, für ihr profundes (Sprach-)Wissen über die Moskauer Konzeptkunst und Michail Bachtin; Prof. Dr. Verena Lenzen, Institut für Jüdisch-­Christ­liche Forschung (IJCF), Universität Luzern, für ihre wertvollen Ratschläge und die kritische Begutachtung; Dr. Luzius Keller, emeritierter Professor (Universität Zürich) für Geschichte der Franzö­sischen Literatur von der Renaissance bis zur Gegenwart und ausgewiesener Kenner Marcel Prousts, für sein Interesse und seine Unterstützung – auch während meiner Zeit im Kunsthaus Zug. Für das Lektorat bedanke ich mich bestens bei Dr. Marc-­Joachim Wasmer und Dr. Heinz Greter – ihr beide habt mir die Augen geöffnet und mich mit euren langjährigen Erfahrungen wohlwollend und tatkräftig unterstützt; für das Korrektorat bei Verena Stauffacher für ihre speditive und unkomplizierte, kulante und freundschaft­liche Zusammenarbeit. Schließ­lich bin ich meinem privaten Umfeld unend­lich dankbar für die fortwährende Hilfe und Unterstützung über all die Zeit. Ihr habt mich getragen, ertragen, gestützt, unterstützt und motiviert: Gregori, Claude und Christian, Pascal und Martina, Dominic, Marie-­Theres†, Sibylle, Sereina, Cécile, Katja, Chrigie, Danusia, Kim, Bernd, Clara und Christian, Christa sowie alle nicht nament­lich erwähnten Personen.

Register A

Abalakova, Natalia  43 Achmatova, Anna  61 Albert, Jurij  43, 224 Alejchem, Scholem  214 Alekseev, Nikita  43, 62 Andersen, Hans Christian  102, 173 Andropov, Jurij V.  204 Anufriev, Sergej  43, 56, 58, 149 Archipov, Jefimovič  133 Auriti, Marino  110 B

Bachčanjan, Vagrič  43, 50 Bachtin, Michael M.  11, 12, 14, 15, 18, 19, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 32, 33, 34, 37, 38, 46, 77, 78, 80, 106, 117, 118, 119, 128,132, 133, 150, 151, 153, 155, 156, 167, 168, 182, 195, 227, 228 Bagrickij, Eduard  201 Bakštejn, Iosif  47, 59, 62, 85, 86, 89, 125, 190 Ball, Georgij Aleksandrovič  102 Balzac, Honoré de  20 Barrie, James Matthew  102 Barthes, Roland  15, 77, 156, 157, 194 Baudrillard, Jean  40, 77 Belyj, Andrej  137 Ben-Gurion, David  206 Benjamin, Walter  192, 193, 194, 203, 209, 212 Benyoëtz, Elazar  205 Berdjaev, Nikolaj  51 Bing, Zong  191 Bloch, Ernst  192 Bobrinskaja, Ekaterina  43, 57 Boltanski, Christian  208 Brežnev, Leonid  42, 158, 204 Bruskin, Griša  43 Brzechwa, Jan  97, 98 Buber, Martin  12, 15, 22, 24, 209, 211, 222, 225, 226, 227, 228 Bulatov, Ėrik  13, 43, 51, 54, 58, 59, 93, 135, 138, 202, 203 Bulgakov, Michail  51 Buonarroti, Michelangelo  133

C

Canetti, Elias  203 Carpaccio, Vittore  180 Casper, Bernhard  226 Čechonte, Antoša  172 Čechov, Anton  15, 21, 82, 133, 153, 161, 162, 170, 171, 172, 173, 174, 194, 195 Černenko, Konstantin U.  204 Chagall, Marc  198, 202, 207, 217 Charms, Daniil  21, 80, 133 Cheng’en, Wu  161 Chlebnikov, Velimir  80 Cholin, Igor  50, 207 Chruščëv, Nikita  41, 42, 203 Čujkov, Ivan  17, 43, 59, 224 Členov, Anatolij Filipovič  102 Cohen, Hermann  225 Comenius, Johann Amos  101 Čužak, Nikolaj  137 D

Da Vinci, Leonardo  179 Daozi, Wu  192 Delauney, Sonja  207 Deleuze, Gilles  14, 35, 146, 147, 149 Derrida, Jacques  39, 40, 77 Deumens, Johan  19 Dilthey, Wilhelm  226 Djogot, Ekaterina  45 Dongpo, Su  191 Donskoj, Gennadi  43 Dostoevskij, Fëdor  15, 18, 21, 22, 25, 26, 27, 77, 82, 87, 118, 134, 150, 153, 159, 161, 162, 167, 168, 169, 170, 172, 173, 174, 180, 194, 195, 217 Driz, Ovsej  207 Duchamp, Marcel  10 E

Ebner, Ferdinand  24, 225 Ėjzenštejn, Sergej  24, 28, 29, 115 Elagina, Elena  43 Ėrenburg, Il’ja  199, 208 Erofeev, Viktor  153 Eulenspiegel, Till  218 Evreinov, Nikolaj  137

264

| Register F

Fal’k, Robert  138, 207, 208 Faulkner, William  20 Filippov, Andrej  43 Fischer-Seidel, Therese  131 Florenskij, Pavel  51 Foucault, Michel  38, 77, 148, 156 Freud, Sigmund  25, 31 G

Gabler, Hans Walter  131 Gagarin, Jurij  217 Gelhard, Dorothee  215 Géricault, Théodore  139 Gerlovin, Valerij  43, 88 Gerlovina, Rimma  43, 88 Gitelman, Zvi  201 Glasmeier, Michael  141 Glezer, Sascha  59 Goepper, Roger  191 Goethe, Johann Wolfgang von  160 Gogol’, Nikolaj  15, 18, 19, 21, 22, 80, 82, 87, 153, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 172, 173, 174, 189, 194, 195, 215, 219 Golding, William  84 Gorochovskij, Eduard  43 Greiner, Bernhard  192, 193 Grossman, Vasilij  201, 208 Groys, Boris  15, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 32, 39, 42, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 56, 58, 59, 60, 62, 77, 83, 84, 89, 93, 95, 104, 125, 126, 127, 146, 159, 196, 202, 204, 205, 213, 217 Grünbein, Durs  173 Grüner, Frank  200, 201 Guattari, Félix  14, 35, 146, 147, 149 Gundlach, Sven  43 Gutenberg, Johannes  160 H

Haldemann, Matthias  182, 183, 187 Hamilton, Richard  178 Handke, Peter  192 Hansen-Löve, Aage A.  21, 22, 84, 85 Hänsgen, Sabine  21 Hardt, Michael  37 Harvey, Lucy  182 Helbling, Hanno  176 Henry, Anne  176 Hirt, Günter  21, 54, 144 Hitler, Adolf  199

Hoffmann, E.T.A.  160 Hölz, Karl  176 Hooghe, Romeyn de  145 Humboldt, Alexander von  160 I

Infante, Francisco  59 J

Jabès, Edmond  208 Jackson, Matthew Jesse  17, 95, 105 Jampol’skij, Boris Samojlovič  204 Jankilevskij, Vladimir  51, 202, 203 Jencks, Charles  40 Jolles, Paul R.  17, 48 Joyce, James  131, 176 K

Kafka, Franz  84, 212 Kant, Immanuel  226 Kataev, Valentin  208 Katz, Mane  207 Kaverin, Veniamin  173 Kierkegaard, Søren, 47, 193 Kircher, Athanasius  160 Kizeval’ter, Georgij  43 Klatzmann, Joseph  219 Klee, Paul  209 Kogan, Leonid  133 Kogan, M. und B.  133 Komar, Vitalij  13, 43, 48, 54, 135, 202 Komarov, Vladimir Michajlovič  133 Komenský, Jan Amos  101 Korinec, Jurij Iosifovič  97 Kornejčuk, V.  159 Koshelev, Nikolaj Andrevič  133 Koshelev, Stephan Jakovlevič  81, 133, 138, 164, 190, 218 Kosuth, Joseph  44, 45 Kovalëv, Sergej  61 Kreul, Andreas  22, 196 Kristeva, Julia  15, 156, 157, 194 Kropivnickaja, Valentina  50 Kropivnickij, Evgenij Leonidovič  50 Kuper, Jurij  125 Küpper, Stephan  19, 88, 93, 131, 155

Register | L

Lachmann, Renate  157 Lauer, Reinhard  170, 172 Lebedev, Vladimir  91 Lejderman, Jurij  43, 56, 58, 62 Lenzen, Verena  208, 209 Lermontov, Michail  57, 131, 173 Lesman, Jan Wiktor  97 Levy, Rudolf  207 LeWitt, Sol  45, 213 Liessmann, Konrad Paul  35 Lipchitz, Jacques  207 Lisickij, Ėl’ 90 Litvinov, Maksim M.  199 Livingstone, David  85, 86 Lyotard, Jean-François  35, 40, 77 M

Madonna 36 Makarevič, Igor  43 Malevič, Kazimir  17, 90, 139 Malygin, Stepan Gavrilovič  133 Mandelstam, Ossip  208 Mann, Thomas  161, 176 Mar, Petrovič Evgenij  98, 99 Markusha, Anatolij Markovič  102, 103 Maršak, Samuil  90 Mejerchol’d, Vsevolod  208 Melamid, Aleksandr  13, 43, 48, 54, 135, 202 Mendelssohn, Moses  214 Mersmann, Birgit  192, 193 Metha, Zubin  178 Meyer, Eva  192 Michoėls, Solomon M.  200 Mikhailov, Boris  43 Mikhailovna Pivovarova, Irina  102, 202, 203, 224 Milly, Jean  137, 178 Mironenko, Sergej  43 Mironenko, Vladimir  43 Misiano, Viktor  23, 202, 207 Močalova, Vika  142 Modigliani, Amadeo  207 Mokoš’ 60 Molotov, Vjačeslav M.  199 Monastyrskij, Andrej  16, 43, 56, 59, 60, 62, 85, 113, 129, 154, 161, 163 Monet, Claude  197 Musil, Robert  15, 153, 174, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 189, 195

N

Nabokov, Vladimir  20, 208 Negri, Antonio  37 Neizvestnyi, Ėrnst  202 Nekrasov, Vsevolod  50, 58, 59, 224 Newman, Barnett  213 Novalis 160 O

Oechslin, Werner  145 Olevskij, Boris Abramovič  91 Osiris, 49 Ostropoler, Hersch  218 P

Pakesch, Peter  205 Panitkov, Nikolaj  43 Papernij, Vladimir  59 Pascin, Jules  207 Pasternak, Boris  41, 201 Paustovskij, Konstantin  207 Pepperštejn, Pavel  13, 43, 49, 56, 58, 125, 149, 159, 161, 202, 224 Perec, Georges  182 Perez, Itzhok Lejb  214, 215 Permyak, Evgenij Andreevič  93, 95, 96 Peter I. des Großen  133 Petrovna, Anna  133 Piranesi, Giovanni Battista  147 Pivovarov, Viktor  43, 54, 58, 105, 119, 202, 203, 207 Polke, Sigmar  178 Popov, Evgenij  153 Poret, Alisa  91 Preußler, Otfried  97 Prigov, Dmitrij Aleksandrovič  43, 54, 57, 59, 62, 129, 135, 136, 142 Prišvin, Michail  208 Proust, Marcel  15, 20, 137, 153, 154, 157, 174, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 195 Prutkov, Koz’ma  84 Puškin, Aleksandr  57, 161, 173 Putin, Vladimir  229 R

Rabelais, François  77 Rabin, Oskar  50, 94, 202, 203 Raschi 223 Rimbaud, Arthur  183 Robert, Pierre-Edmond  137

265

266

| Register

Rodčenko, Aleksandr  139 Romaško, Sergej  43 Rošal’, Michail  43 Rosenthal, Charles  81, 94, 137, 138, 139, 140, 157, 161, 190, 197, 207, 218 Rosenzweig, Franz  24, 225 Rothko, Mark  213 Rowling, Joanne K.  97 Rubinštejn, Lev  19, 43, 48, 49, 54, 57, 58, 59, 62, 82, 135, 160 Rybakov, Anatolij Naumovič  137 S

Sant’Elia, Antonio  147 Sapgir, Genrikh  50, 98, 142 Sartre, Jean-Paul  84 Sasse, Sylvia  19, 24, 25, 27, 85, 129, 136, 155, 159, 173 Satunovskij, Jan  50 Saussure, Ferdinande de  39 Scharf, Julia  113 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph  160 Schlegel, August Wilhelm  160 Schlegel, Friedrich  160 Schneider, Irmela  37 Scholem, Gershom  212 Schöttker, Detlev  212 Schwara, Desanka  219, 221 Schwarzman, Michail  51 Schweinitz, Jörg  37 Šelkovskij, Igor  59 Šestov, Leo  51 Sevostyanov, I.  134 Sforim, Mendele Mojcher  214 Sherman, Cindy  36 Shin, Jiyoung  186 Shuster, Joseph  218 Siablov, A.  135 Sieburg, Friedrich  133 Siegel, Jerome  218 Simon, Gerhard  200 Sinyakova, I.  134 Sirin, Vladimir  208 Skersis, Viktor  43, 224 Šklovskij, Viktor  208 Soboljev, Jurij  51, 52, 53, 116, 128 Sokov, Leonid  43 Solodukhina, Bejla  93, 96, 196 Sooster, Ülo  51, 53, 88, 92, 93, 169

Sorokin, Vladimir  13, 57, 62, 130, 135, 138, 142, 153, 160, 173 Soutine, Chaim  198, 207 Spivak, Igor  81, 94, 138, 139, 140, 157, 164, 190, 207, 218 Städtke, Klaus  163, 166, 169, 170, 172 Stalin  17, 23, 31, 41, 42, 57, 91, 94, 127, 160, 198, 200, 201, 202, 207, 208 Štejnberg, Eduard  51, 202, 203 Strachovskij, E.  158 Strugackij, Arkadij  217 Strugackij, Boris  217 Surikov, Vasilij Ivanovič  133 Svetlov, Michail  201 T

Tatlin, Vladimir  110, 127, 139 Teilhard de Chardin, Pierre  218 Terpitz, Olaf  61, 137, 207 Theis, Jörg  183, 184, 189 Tolstoj, Lev  80, 173 Tong, Wen  191 Tumarkin Goodman, Susan  23 Turgenev, Ivan  173 Twain, Mark  173 Tyshler, Aleksandr  207 U

Utamaro, Kitagawa  106 Utkin, Iosif  201 V

Vaginov, Konstantin  21 Van Rijn, Rembrandt Harmensz.  179, 180, 181 Vasil’ev, Oleg  59, 93, 224 Vasnezov, Jurij  91 Vejsberg, Vladimir  202 Vernadskij, Vladimir  218 Vesnin, Aleksandr  127 Vesnin, Leonid  127 Vesnin, Victor  127 Vološinov, Valentin  25 Von der Osten-Sacken, Peter  209 Vvedenskij, Aleksandr  21

Register | W

Wallach, Amei  17 Warburg, Aby  174 Weber, Max  207 Wellershoff, Dieter  138, 192 Welsch, Wolfgang  36, 37, 38 Wittgenstein, Ludwig  57 Wonders, Sascha  16, 21, 54, 144 X

Xi, Guo  191 Xueqin, Cao  161

Z

Zabolockij, Nikolaj  21 Zakharov, Vadim  43, 61, 62 Zelinsky, Bodo  164 Žigalov, Anatolij  43, 224 Zittel, Andrea  182 Zoščenko, Michail  153 Zubkov, Boris Vasil’evič  100 Zumthor, Peter  178 Zverev, I.  134 Zvezdochetov, Konstantin  43 Zvezdochetova, Larisa  43 Zwirner, Dorothea  61

267

DAS ÖSTLICHE EUROPA KUNST- UND KULTURGESCHICHTE HERAUSGEGEBEN VON ROBERT BORN, MICHAELA MAREK UND ADA RAEV

BD. 1

BD. 3

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