Häuser für die Ewigkeit: Gräber und Mythologie im alten Ägypten 3805352611, 9783805352611

Im altägyptischen Leben spielte die Auseinandersetzung mit dem Tod eine große Rolle und war immer und überall präsent. D

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German Pages 112 [134] Year 2020

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TITEL
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INHALT
VORWORT
EINLEITUNG
DIE GRABANLAGEN DES ALTEN REICHES
Einführung: Die Bedeutung der Grabanlage für den Pharao
Lokalisierung: Die «Unvergänglichen Sterne» – das stellare Jenseits
Jenseitstexte: Die Pyramidentexte
Grabarchitektur: Auf in den Himmel – von den Mastabas zu den Pyramiden
Exkurs: Die Himmelsfahrt des Pharao
DIE GRABANLAGEN DES MITTLERENREICHES
Einführung: Die neue Liberalität des Jenseits
Lokalisierung: Der «schöne Westen» – das solare Jenseits
Jenseitstexte: Die Sargtexte
Grabarchitektur: Den Göttern so nah – das Grab als Tempel und dieWeiterentwicklung der Pyramide
Exkurs: Das Zweiwegebuch
DIE GRABANLAGEN DES NEUEN REICHES
Einführung: Fortschritt und Tradition – das Tal der Könige
Lokalisierung: Die Nachtfahrt der Sonne – das chthonische Jenseits
Jenseitstexte: Die Unterweltsbücher
Grabarchitektur: In die Tiefe der Unterwelt – die Felsgräberals Abbild der jenseitigen Topographie
Exkurs: Grabanlage, -dekoration und Mythologie in der Amarna-Zeit
DAS GRAB ALS ZUHAUSE – DIE NEGIERUNG DER VERGÄNGLICHKEIT?
ANHANG
Zeitstrahl
Glossar
Bibliographie
Bildnachweis
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Häuser für die Ewigkeit: Gräber und Mythologie im alten Ägypten
 3805352611, 9783805352611

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HÄUSER FÜR DIE EWIGKEIT

Gräber und Mythologie im alten Ägypten Katrin Laatsch

Katrin Laatsch

HÄUSER FÜR DIE EWIGKEIT Gräber und Mythologie im alten Ägypten



132 Seiten mit 117 Farb- und 16 s/w-Abbildungen

Titelbilder: Buchhandelsausgabe: Grab des Sethos’ I., Tal der Könige (Foto: akg-images / James Morris). ANTIKE WELT-Sonderheft: Eingang eines Grabes in der Nekropole der Handwerkersiedlung, 18.– 20. Dynastie (Theben-West; Foto: akg-images / François Guénet).

Umschlag Rückseite: Buchhandelsausgabe: Ausschnitt aus dem «Pfortenbuch» (Foto: akg-images / James Morris). ANTIKE WELT-Sonderheft: Grab des Sethos’ I., Tal der Könige (Foto: akg-images / James Morris).

Frontispiz: Der ägyptische Gott Thot, 26. Dynastie, um 600 v. Chr. (New York, Schultz Collection; Foto: akg-images /  Werner Forman).

Weitere Publikationen finden Sie unter: www.wbg-wissenverbindet.de Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliogra­fische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Der Verlag Philipp von Zabern ist ein Imprint der wbg.

Gestaltung: Melanie Jungels, TYPOREICH – Layout- und Satzwerkstatt, Nierstein Herstellungsbetreuung: Ilka Schmidt, wbg, Darmstadt Redaktion: Anna Ockert, Holger Kieburg, wbg, Darmstadt Repros: Helmut Ludwig, Layout l Satz l Bild, Gensingen Druck: Appl Druck GmbH, Wemding

© 2020 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Buchhandelsausgabe: 978-3-8053-5261-1 ANTIKE WELT-Sonderheft: 978-3-8053-5271-0 Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

INHALT 7

VORWORT

8 EINLEITUNG

71

DIE GRABANLAGEN DES NEUEN REICHES

71

Einführung: Fortschritt und Tradition – das Tal der Könige Lokalisierung: Die Nachtfahrt der Sonne – das chthonische Jenseits Jenseitstexte: Die Unterweltsbücher Grabarchitektur: In die Tiefe der Unterwelt – die Fels­gräber als Abbild der jenseitigen Topographie Exkurs: Grabanlage, -dekoration und Mythologie in der Amarna-Zeit

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DIE GRABANLAGEN DES ALTEN REICHES

18

Einführung: Die Bedeutung der Grabanlage für den Pharao Lokalisierung: Die «Unvergänglichen Sterne» – das stellare Jenseits Jenseitstexte: Die Pyramidentexte Grabarchitektur: Auf in den Himmel – von den Mastabas zu den Pyramiden Exkurs: Die Himmelsfahrt des Pharao

22 27 33 42

47

DIE GRABANLAGEN DES MITTLEREN REICHES

47 50

Einführung: Die neue Liberalität des Jenseits Lokalisierung: Der «schöne Westen» – das solare Jenseits Jenseitstexte: Die Sargtexte Grabarchitektur: Den Göttern so nah – das Grab als Tempel und die Weiterentwicklung der Pyramide Exkurs: Das Zweiwegebuch

54 60

66

82 84

98

107 DAS GRAB ALS ZUHAUSE – DIE NEGIERUNG DER VERGÄNGLICHKEIT?

126 ANHANG 126 Zeitstrahl 128 Glossar 130 Bibliographie 131 Bildnachweis 131 Dank

V ORWORT

6

VORWORT

I

m altägyptischen Leben spielte die Aus­ einandersetzung mit dem Tod eine große Rolle und war immer und überall präsent. Dem lag jedoch keineswegs eine morbide Faszination für das Sterben zugrunde. Die al­ ten Ägypter waren ganz im Gegenteil an der Natur des Todes als Übergangsstadium von einem Zustand des Lebens in einen ande­ ren interessiert, in anderen Worten: an dem Übergang vom Diesseits ins Jenseits. Ihre mythologischen Konzepte, ihre Riten und Kulte, die Mumifizierung der Verstorbenen, die sakralen Bauwerke wie Tempel und vor allem die sorgsam ausgestalteten Grabanla­ gen sind Zeugnis der Hingabe der altägypti­ schen Kultur an das Leben, das im Jenseits seine erstrebte Vollendung und an die Ewig­ keit grenzende zeitliche Erfüllung fand. Dieses Buch nimmt Sie mit auf eine Zeit­ reise durch mehr als 3000 Jahre altägypti­ scher Grabkultur und Jenseitstexte, und Sie können beobachten, wie sich die religiösen und vor allem die mythologischen Ideen ent­ wickelten, die das Pharaonenreich in all sei­ nen Facetten prägten. Nirgendwo tritt uns dies so deutlich entgegen wie in den könig­ lichen Grabanlagen des Alten, Mittleren und

Neuen Reiches. Die Jenseitstexte, welche die Gräber der jeweiligen Epochen schmücken, zeugen von einer eindrucksvollen, einfühl­ samen Einsicht in die menschliche Verstan­ deskraft, die mit immer neuen Bildern das Geheimnis des Todes zu ergründen sucht. Dabei folgt die Grabarchitektur den mytho­ logischen Konzepten mit großer bautech­ nischer Kreativität und einem technischen und handwerklichem Geschick, das seiner Zeit stets weit voraus war und bis heute Rätsel aufgibt. Kühne architektonische For­ men verliehen der in den Texten formulier­ ten Topographie des Jenseits auch räumlich Ausdruck, sodass Mythologie, Grabarchitek­ tur und Grabdekoration zu einer Sinneinheit verschmelzen. Die Gräber der alten Ägypter erzählen uns nicht nur von der Überzeugung dieser frühen Hochkultur, im Tod das wahre Leben zu finden, sondern auch von dem ewi­ gen menschlichen Wunsch, einen Blick in das – wie Shakespeare es Tausende Jahre später treffend formulierte – «unentdeckte Land» zu werfen, «von dessen Grenzen kein Wanderer zurückkehrt». Katrin Laatsch, im April 2020

ß 1737–1741 besuchte der anglikanische Bischoff und Reiseschriftsteller Richard Pococke Ägyp­ ten. Er erstellte einen noch sehr schematischen Lageplan vom heute berühmten Tal der Könige, dem Begräbnisort der Pharaonen des Neuen Reiches (Foto: The History Collection / Alamy Stock Photo).

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EINLEITUNG

D Abb. 1 Der widderköpfige Skara­ bäus (unten) vereint die morgendliche Käferund die widderköpfige Nachtgestalt des Schöpfer­ gottes. Seitlich bejubeln Götter das Wunder der Re­ generation (Grab der Tausret, Tal der Könige).

ie Beobachtung der scheinbaren Bewe­ gung der Sonne über den Taghimmel, ihr Aufstieg im Osten und ihr Untergang im Wes­ ten, ließen im alten Ägypten früh die Idee ei­ nes täglich vom Kind zum Greise alternden Gottes entstehen, der in den Nachtstunden eine geheimnisvolle Verjüngung erfährt und in einem zyklischen Rhythmus die Schöp­ fung erhält und sich dabei immer wieder er­ neuert (Abb. 1). Wissenschaftliche Naturbe­ obachtung und religiöser Glaube bilde­ten im alten Ägypten eine untrennbare Einheit und fanden in den Jenseitstexten des Alten, Mitt­ leren und Neuen Reiches eine detaillierte und zunehmend auch bildgewaltige Ausge­ staltung, die tiefe Einblicke in das mythische

8

Denken und die religiösen Grundprinzipien der alten Ägypter erlaubt. Ihre mythologi­ schen Überzeugungen übersetzten die alten Ägypter kongenial in architektonische Formen. Über die Jahrtausende, die das Phara­onen­ reich existierte, wandelten sich die könig­ lichen – und ihnen folgend auch die priva­ ten – Grabanlagen gemäß ihrer ebenfalls evolvierenden mythologischen Vorbilder. Da­ bei blieben sie jedoch stets einem Prinzip treu: Sie waren «Häuser für die Ewigkeit». Gemeinsam ist den Vorstellungen aller Epo­ chen des alten Ägypten, dass das Jenseits stets in den Abendstunden zugänglich wird, wenn der Sonnengott am Westhorizont in das Totenreich eingeht. Die folgende Nacht

Einleitung

Altes Reich (~ 2707–2170 v. Chr.)

Mittleres Reich (~ 2119–1794 v. Chr.)

Neues Reich (~ 1550–1069 v. Chr.)

Stichwort

stellar

solar

chthonisch

Lokalisierung

Sternenhimmel à bei den Zirkumpolarsternen, den «Un­vergänglichen Sternen»

«der schöne Westen» à hinter den Bergen am westlichen Horizont

Unterwelt à Totenreich des Osiris

Quellen

Pyramidentexte

Sargtexte

Unterweltsbücher und Totenbuch

Jenseitsvorstellung

Klare Trennung von königlichem und nicht-königlichem Jenseits. Der König steigt zu den Sternen auf, das Ziel nicht-königlicher Verstorbene liegt in der westlichen Wüste.

Die verstärkte Anbindung an den Sonnenlauf bedingt die Verlagerung des königlichen Totenreiches an den Westhorizont.

Transponierung in die Unterwelt, die Fahrt des Sonnengottes wird nun endgültig als Kreislauf vorgestellt. Das Osiris-Schicksal wird zur bestimmenden mythologischen Vorlage.

ist die Zeit seiner Regeneration, in der er die jenseitigen Gefilde durchquert und auf dem Wege zu seiner eigenen Verjüngung zu­ gleich auch den Verstorbenen neues Leben bringt. Das Geheimnis dieser immer wieder neuen zyklischen Regeneration bildet den Kern der altägyptischen Mythologie. Allen mythologischen Motiven ist gemein, dass sie sich nur im Jenseits vollziehen kann – das Le­ ben erneuert sich nur in der unmittelbaren Nähe des Todes. Obwohl die Pyramidentexte des Alten Reiches, die Sargtexte des Mittle­ ren Reiches und die Unterweltsbücher des Neuen Reiches unentwegt um dieses größte Wunder der altägyptischen Religion krei­ sen, bleibt der Moment der Erneuerung des Schöpfergottes, ohne den das altägyptische Weltbild undenkbar ist, letztlich doch stets im Dunkel verborgen. Der nächtliche Himmel über uns, die Weite des westlichen Horizonts und die Tiefe der Unterwelt fungierten im alten Ägypten alle als Verortungen der Jenseitswelt (s. Tabelle). Sie verhielten sich zueinander wie Zerrspie­ gel: Sie sind gleich und doch verschieden, er­ füllen gleiche inhaltliche Funktionen, nutzen aber unterschiedliche mythologische Bilder, um diese zu beschreiben: Am Himmel spannt sich einem Mythos zufolge der Körper der Himmelsgöttin Nut wie ein Bogen über die Erde. Es ist ihr Leib, an dem die Sonnenbarke des Schöpfergottes am Tag entlangfährt. Am Abend verschlingt die Göttin ihn und sein ge­ samtes Gefolge im Westen, um ihn, nachdem er ihren Leib in der Nacht durchwandert hat, am nächsten Morgen im Osten aus ihrem

Schoß neu zu gebären (Abb. 2). Sie nimmt so die Funktion einer Muttergöttin an, die auch den Verstorbenen (in sich) aufnimmt und ihm neues Leben schenkt. Am nächtli­ chen Himmel funkeln auch die «Unvergängli­ chen Sterne», die im Alten Reich das Ziel der Jenseitsreise des verstorbenen Pharao wa­ ren und die heute astronomisch als Zirkum­ polarsterne identifiziert werden. Sie sinken niemals unter den Horizont, sondern bleiben stets sichtbar, wodurch sie zu einem idealen Bild der Unvergänglichkeit der jenseitigen Existenz des Pharao wurden (s. S. 22 ff.). Der Aufstieg zu ihnen ist mit uneingeschränkt positiven Konnotationen versehen. Der Ein­ tritt in die Gemeinschaft der Götter, die sich in den Sternen manifestieren, wurde mit der Rückkehr in den Schoß und die Geborgen­ heit der Familie assoziiert. Im westlichen Horizont wartete im Mittleren Reich die lieb­ liche Westgöttin auf den Verstorbenen, um ihn im Jenseits willkommen zu heißen. Der Horizont war der Teil der geschaffenen Welt, in der Himmel und Erde einander berührten und der später zum Eingang in das unter­ weltliche Jenseits des Neuen Reiches wurde. Dort begegnete dem Verstorbenen ein ganz anderes Szenario: Er musste sich auf einem detailreich topographierten Weg zur Ruhe­ stätte des Totengottes Osiris begeben, da­ bei diverse Gefahren meistern und immer wieder sein Wissen über die jenseitigen Re­ gionen und ihre Bewohner unter Beweis stellen. Der Abstieg in die Unterwelt war pri­ mär mit einem Empfinden des Grauens und der Furcht belegt, das erst durch die positiv 9

Tabelle Lokalisierung und Charak­ teristika des altägyp­ tischen Jenseits im Alten, Mittleren und Neuen Reich.

Einleitung

Abb. 2 a.b Gewölbedecke in der Grabkammer Ramses’ VI. im Tal der Könige (Neues Reich). In der unteren Bildhälfte verschlingt die Himmelgöttin Nut die Sonne, die in der Nacht ihren Körper durch­ wandert und am Morgen wiedergeboren wird.

durchwirkten Jenseitstexte des Neuen Rei­ ches aufgelöst wurde, die auf die geheimnis­ volle Regeneration fokussierten, dank derer der Sonnengott am nächsten Morgen ver­ jüngt wiedergeboren wurde (s. S. 82 ff.). Es ist bemerkenswert zu beobachten, wie Beständigkeit und Wandel sich in den altä­ gyptischen Jenseitsvorstellungen über einen Zeitraum von rund 3500 Jahren begegnen. Denn obwohl die Lokalisierung des Toten­ reiches weitreichenden Veränderungen un­ terworfen war, blieben die Mechanismen und Bilder, mit deren Hilfe die alten Ägypter den Lebenden die Welt der Toten nahebrach­ ten und verständlich machten, überraschend konstant und generieren den heute verbrei­ teten Eindruck der großen kulturellen und v. a. religiösen Kontinuität des Pharaonen­ reiches. Ein Hauptgrund dafür ist, dass äl­ tere Vorstellungen beim Aufkommen neuer Jenseitskonzepte nicht verworfen wurden, sondern einander durchdrangen und immer Teil des mythologischen Weltverständnisses blieben. Sie bereicherten und komplettierten sich, auch dann, wenn ihre Aussagen nach un­ serem heutigen Verständnis widersprüchlich sind. Der Ägyptologe Henri Frankfort (1897– 1957) hat dafür den Begriff der multiplicity of approaches geprägt, der auf eine einfache Formel bringt, was das mythische und spezi­ ell das altägyptische Denken ausmacht: Wi­ dersprüche nicht auflösen zu müssen, son­ dern sie als Natur der betrachteten Sache zu akzeptieren und die wachsende Zahl der my­ 10

thologischen Motive als Bereicherung zu er­ fahren, anstatt um ihre Vereindeutigung zu ringen. Erik Hornung hat dafür den Begriff der «komplementären Logik» entwickelt, der ebenfalls das konfliktfreie Nebenein­ ander scheinbar unvereinbarer Bilder und Konzepte beschreibt. Anders als unser mo­ dernes, reduktionistisches Weltverständnis, dem die gleichzeitige Gültigkeit widerspre­ chender Auffassungen fremd ist, heißt das altägyptische Denken diese Sichtweise will­ kommen und begreift die Vielgestaltigkeit als Gewinn und nicht als Schärfeverlust des betrachteten Gegenstandes. In jeder dieser unterschiedlichen Vorstel­ lungen stellt sich die Frage nach der Quelle der Erneuerung des Sonnengottes, und es scheint stets dieselbe Antwort darauf gefun­ den worden zu sein: Es ist die Berührung mit dem uranfänglichen Chaos, deren genaue Natur jedoch immer verklausuliert bleibt. Der ungeordnete Urgrund der Schöpfung, der am Anfang der altägyptischen Kosmo­ gonien steht, ist ein homogenes, ungeform­ tes, aber omnipotentes Konglomerat aller Möglichkeiten, die sich noch nicht verwirk­ licht haben. Erst durch den ordnenden Ein­ griff des Schöpfers entsteht der heterogene, organisierte Ist-Zustand der Welt. Diesen verstanden die alten Ägypter jedoch nicht als Selbstverständlichkeit. Er musste tagtäg­ lich durch das Wirken des Schöpfergottes in Gang gehalten und erneuert werden, vor al­ lem musste er gegen das Chaos, das die ge­

Einleitung

schaffene Welt an allen Seiten umgab, vertei­ digt werden. Leben – diesseitiges ebenso wie jenseitiges – war für die alten Ägypter nur innerhalb der geordneten Schöpfung mög­ lich, die nach dem Prinzip der Ma’at gestaltet war, einem der Schöpfung selbst innewoh­ nenden Ordnungsprinzip, das moralisch-ethi­ sche Prinzipien festschrieb, die das alltägliche menschliche Miteinander bestimmten. Es war die Aufgabe des Pharao, den Erhalt der Ma’at im ganzen Land sicherzustellen. Götter- und Menschenwelt, Diesseits und Jenseits waren alle gleichermaßen nach den Richtlinien der Ma’at gestaltet. Hatte der Mensch ein Ma’at-gerechtes Leben geführt, so wurde er nach seinem Tod ein Ach, ein Verklärter, ein gerechtfertigter Ahnengeist, der in das paradiesische Jenseits eingehen durfte. Hier erwachte er allnächtlich auf den Ruf und die Gegenwart des Sonnengottes hin zu einem jenseitigen Dasein, das einem gan­ zen Leben im Diesseits entsprach. Das Leben als Ach stellten sich die Ägypter, vor allem in der Zeit des Neuen Reiches, als einen Spiegel des diesseitigen Lebens vor, doch bereinigt von allen Mühen und Schmerzen. Nach altägyptischer Vorstellung konsti­ tuierte sich jeder Mensch aus dem Zusam­ menspiel fünf verschiedener Komponenten, die ihn erst in Summe zu einem vollständi­ gen Individuum machten: Ka, Ba und Ach werden im Deutschen manchmal als «See­ lenbestandteile» bezeichnet. Sie umfassen die als eine Art geisterhaften Doppelgänger perso­nifizierte Lebenskraft Ka, außerdem die häufig in Vogelgestalt mit einem mensch­ lichen Kopf abgebildete «Seele» Ba, die sich im Diesseits und im Jenseits frei bewegen konnte, und den verklärten Ahnengeist Ach, der sich nach dem Tod des Menschen im Jenseits manifestierte, wenn dieser die Prü­ fung vor dem Totengericht bestanden hatte. Hinzu traten Shuyet, der Schatten, und Ren, der Name. Ka und Ren bedurften zu ihrem Erhalt der Erinnerung unter den Lebenden. Ihnen galt daher in erster Linie der Toten­ kult, der zum einen die konkrete Versorgung des Verstorbenen im Jenseits gewährleisten, aber eben auch die Erinnerung an ihn wach halten sollte. Shuyet, der Schatten, entstand als Abbild des Menschen als Ergebnis einfal­

lender Sonnenstrahlen. Da seine Existenz so eindeutig von der Sonne und damit von der Gegenwart des Sonnengottes abhängig war, stand er unmittelbar mit dem Gedanken der Wiedergeburt in Verbindung. Die ältesten Gräber im alten Ägypten wa­ ren flache Gruben im Wüstensand, bekrönt von einer Anhäufung aus Sand oder kleintei­ ligem Gestein. Zunächst ist aus ihnen keine soziale Hierarchisierung der Verstorbenen abzuleiten, mit der Zeit erlauben jedoch die Qualität und Quantität der Grabbeiga­ ben entsprechende Schlüsse. Im weiteren Verlauf wurden die Gräber der Herrscher und anderer hochrangiger Personen z. T. mit Lehmziegelmauern ausgekleidet. So bil­ dete sich eine erste, architektonische Unter­ scheidung der Grabtypen heraus. Seit dem Übergang zur frühdynastischen Zeit im 32. oder 31. Jh. v. Chr. lassen sich royale und pri­ vate Grabanlagen klar voneinander unter­ scheiden. Die königliche Nekropole dieser Zeit lag in Abydos, einem ab dem Mittleren Reich bedeutenden Kultzentrum des Toten­ gottes Osiris. Die Gräber sind unterirdisch in mehrere Kammern unterteilt, während sie oberirdisch von einem größeren Hügel bedeckt wurden. Dieser stellte den Urhügel dar, von dem aus der Sonnengott in mythi­ scher Vorzeit sein Schöpfungswerk begon­ nen hatte. Im Rahmen der Nachtfahrt des Sonnengot­ tes wurden die Verstorbenen in dessen zyk­ lische Regeneration eingebunden und par­ tizipierten an seinem Schicksal ebenso wie an dem des Gottes Osiris, von dem der Osi­ ris-Mythos erzählt, wie er nach seinem Tod zum Herrschers des Totenreiches berufen wird. Sein Schicksal, in dem Tod und Wieder­ geburt unmittelbar miteinander verbunden und aufeinander bezogen waren, nachzuemp­ finden war die Jenseitshoffnung eines jeden Ägypters. Ab dem Mittleren Reich wird die Idee des Totengerichts greifbar, die sich im Neuen Reich zum Dreh- und Angelpunkt des Jenseitsschicksals entwickelt (s. S. 81). Nur wer vor Osiris und den 42 Richtergottheiten bestand und bei der Wägung seines Herzens nachweisen konnte, ein gutes, Ma’at-gerech­ tes Leben geführt zu haben, durfte die elysi­ schen Gefilde des Jenseits betreten (Abb. 3). 11

Einleitung

Abb. 3 Die Göttin Ma’at, die Ver­ körperung der gerechten Weltordnung, breitet ihre schützenden Schwingen über dem Eingang zur Grabkammer der Königin Nefertari aus (Neues Reich, Tal der Königinnen).

Während im Alten Reich noch die ­göttliche Herkunft des Pharao quasi ein Garant für seine Aufnahme in die Götterwelt war, rückte mit der Einführung des Totengerichts die moralische Würdigkeit des Verstorbenen in den Vordergrund. Wer die Prüfung nicht bestand, dem drohte die schlimmste Strafe, die die alten Ägypter sich vorstellen konn­ ten: der zweite, endgültige Tod, der den Men­ schen vollständig auslöschte. Für die Gerecht­ fertigten hingegen war der irdische Tod nicht das Ende, sondern ein notwendiger Teil des zyklischen Weltbildes, der die Erneuerung erst ermöglichte. Er war kein Endpunkt, son­ dern vielmehr eine rite de passage, die den Verstorbenen zum eigentlich erstrebten Le­ ben führte, dessen kurzer, unvollkommener Vorläufer die diesseitige Existenz war. Ent­ sprechend wenig Wert legten die alten Ägyp­ ter auf die Bauwerke der Lebenden, inklusive der Paläste der Pharaonen: Sie wurden aus getrockneten Lehmziegeln errichtet und hat­ ten oft nicht lange Bestand. Doch der Baustoff für Gräber und Tempel war Stein – der dau­ erhafteste und stärkste Baustoff, den man damals kannte. «Häuser für die Ewigkeit» hießen die Gräber, die man aus Stein errich­ tete oder in den Fels hineintrieb. Im Neuen Reich zeigen die Grabanlagen – obwohl noch zu Lebzeiten des Auftraggebers erstellt – dessen Leben bereits im Zustand der Vollen­ 12

dung. Wichtige Stationen seines Lebens wur­ den in Wort und Bild festgehalten, und die Inschriften komplettierten diese in der Re­ gel sicher idealisierte Biografie. Für die alten Ägypter bedeutete die Verschriftlichung und Verbildlichung einer Idee deren Realitäts­ werdung. Wurde also der Grabeigner an der Seite seines Ka im elysischen Jenseits gezeigt, in der Begegnung mit dem Totengott Osiris, der ihm die Hände zur Umarmung entgegen­ streckt, so wurde diese Darstellung auf ma­ gische Weise Wirklichkeit (Abb. 4). Gleiches gilt für die bildgewaltigen Unterweltsbücher, welche die Nachtfahrt des Sonnengottes be­ schreiben und die königlichen Grabanlagen im Tal der Könige im Neuen Reich zieren: Indem sie auf die Wände gebracht wurden, wurde sichergestellt, dass die Nachtfahrt des Sonnengottes erfolgreich sein würde, dass er jede Nacht seinen Erzfeind, den Schlangen­ dämon Apophis, besiegen und am Morgen verjüngt und neu erstarkt am östlichen Hori­ zont emporsteigen würde. Die Architektur ebenso wie die Dekoration der Grabanlagen veränderte sich im Laufe des Pharaonenreiches. Deutlich lässt sich an ihnen ablesen, wie sich Form und Ausgestal­ tung den sich ebenfalls immer wieder wan­ delnden mythologischen Vorstellungen an­ passten: Die Architektur folgt dem Mythos, könnte man verkürzt sagen. So leiten die zum

Einleitung

Himmel aufstrebenden Pyramiden des Al­ ten und Mittleren Reiches den verstorbenen Pharao hinauf zum nächtlichen Sternenhim­ mel und an die Seite des Sonnengottes. Die Tempelgräber des Mittleren Reiches kombi­ nieren architektonische Bauformen der Tem­ pel- und Grabarchitektur und betonen den solaren Aspekt der Jenseitsreise. Sie nehmen damit eine Entwicklung vorweg, die sich in der 21. und 22. Dynastie (11–8. Jh. v. Chr.) als «Grab im Tempelhof» herausbildet und bei der die königlichen Gräber in bestehende Tempelanlagen integriert wurden (s. S. 73).

Die Felsgräber des Neuen Reiches schließlich bilden den Abstieg hinab in die Unterwelt ab und empfinden die gewundenen Pfade des Jenseits nach, die der Verstorbene auf sei­ nem Weg in das ersehnte elysische Paradies beschreiten muss (Abb. 5). All diese auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Baufor­ men verfolgen dabei das gleiche Ziel. Es geht ihnen um die Einbindung des verstorbenen Königs in die Götterwelt, genauer gesagt um seine unmittelbare Teilhabe an den beiden definierenden Mythen des alten Ägypten: dem Sonnenmythos und dem Osiris-Mythos.

Abb. 4 Im Jenseits begegnet der verstorbene König (Mitte) in Begleitung seines Ka (rechts) dem Toten­ gott Osiris (links), der ihn mit einer Umarmung begrüßt (Grab des Tutanch­ amun, Tal der Könige).

13

Einleitung

Abb. 5 Effektvoll ahmt die Grabarchitektur des Neuen Reiches den Abstieg in das unterirdische Totenreich nach (Grab Ramses’ III., Tal der Könige)

Abb. 6 Jede Nacht bedroht der Schlangendämon Apophis den Sonnengott. Gefesselt und von strafenden Göttern bewacht ist er besiegt.

14

Einleitung

Der Sonnenmythos ist ein einfach zu er­ zählender Mythos: Der Schöpfergott, der sich zu Anbeginn der Zeit aus dem Urozean Nun erhebt und auf dem Urhügel erscheint, um von dort aus sein Schöpfungswerk zu begin­ nen, manifestiert sich in Gestalt des Sonnen­ gottes Atum. Er erschafft die Welt und ist der Ursprung aller anderen Götter. Seine Schöp­ fungstätigkeit endet jedoch nicht mit diesem uranfänglichen, einmaligen Werk, sondern wurde von den alten Ägyptern als ein andau­ ernder Prozess verstanden. Jeden Tag musste der Schöpfer seine Welt aufs Neue mit Leben füllen, er musste die Schöpfung im wahrsten Sinne des Wortes in Gang halten, denn sie bestand nur, solange der Sonnengott seinen Weg über den Taghimmel und seine Nacht­ fahrt durch die jenseitigen Gefilde erfolg­ reich absolvierte – würde er scheitern, so würde die Welt in das Chaos des Anfangs zu­ rücksinken und alles Leben – das der Men­ schen ebenso wie das der Götter – würde enden. Aus diesem Grund bezeichneten die alten Ägypter die uranfängliche Schöpfung als «das Erste Mal» und betrachteten ihre Riten und Kulte nicht nur als Ausdruck ih­ rer Verehrung der Götter, sondern sie gal­ ten ihnen auch als Beitrag zur Erhaltung der geschaffenen Welt, indem sie den Erfolg des Sonnengottes gegen seine Feinde – allen vo­ ran den Schlangendämon Apophis – aktiv beförderten (Abb. 6). Im Tod wünschte der verstorbene Pharao, sich dem Gefolge des Sonnengottes anzuschließen, manchmal so­ gar, mit diesem zu verschmelzen. Das Wirken des Sonnengottes ist ein Ausdruck der zyk­ lischen Zeitvorstellung der alten Ägypter, in der sich das «Erste Mal» der ursprünglichen Schöpfung tagtäglich wiederholte und die geschaffene Welt erneuert wurde. Der Osiris-Mythos ist eine ungleich kom­ plexere Geschichte und Osiris selbst der Gott mit der wohl detailreichsten Vita des alt­ägyp­tischen Pantheons. Osiris, nach der Schöpfungsgeschichte von Heliopolis ein Ur­ enkel des Schöpfergottes Atum, herrschte in mythischer Vorzeit als König über Ägypten. Er war ein weiser und gerechter Herrscher, der häufig die Funktion eines Kulturbrin­ gers innehat. Seine Geschichte wird in kei­ ner bislang bekannten altägyptischen Quelle

kohärent erzählt, sondern sie setzt sich aus verstreuten Fragmenten zusammen, die erst dank der Zusammenstellung durch den grie­ chischen Geschichtsschreiber Plutarch, der im 1. und 2. Jh. n. Chr. Ägypten bereiste, für uns als eine geschlossene Erzählung zu­ gänglich ist. Der Mythos berichtet, dass Osi­ ris von seinem von Neid erfüllten Bruder Seth getötet wird, der daraufhin die Krone an sich reißt und König Ägyptens wird. Osi­ ris’ Schwestergemahlin Isis betrauert ihren Gatten und lässt nichts unversucht, seinen Leichnam aufzufinden, den Seth in einem hölzernen Sarg den Nil hat hinabtreiben las­ sen. Nach langem Suchen ist sie erfolgreich, doch Seth bringt den Körper seines ermor­ deten Bruders erneut in seinen Besitz, zer­ reißt ihn in – je nach Variante des Mythos – 14 oder 42 Teile und verstreut diese über ganz Ägypten. Doch Isis gibt nicht auf, und es gelingt ihr, fast alle Körperteile wiederzu­ finden  – nur Osiris’ Phallus bleibt verloren und muss durch ein Substitut ersetzt wer­ den. Mit Hilfe ihrer Schwester Nephthys und dem Totengott Anubis fügt sie die Körper­ teile wieder zusammen und erschafft so die erste Mumie. Es gelingt Isis, postum von ih­ rem Gatten den Sohn Horus zu empfangen, den sie im Geheimen aufzieht (Abb. 7). Zum Mann geworden, fordert Horus die Krone von seinem Onkel Seth zurück. In einer Art Fortsetzung des Osiris-Mythos wird der Wi­ derstreit der beiden Götter geschildert: «Der Streit von Horus und Seth» wird mal mit Zauberkraft, mal mit Testosteron geschwän­ gerten Wettkämpfen, mal mit unverhohlener Brutalität, wie sie nur Mythen und Märchen verwenden dürfen, geführt. Am Ende muss ein Göttertribunal entscheiden, wem die Krone zusteht: dem machtvollen, wenn auch moralisch fragwürdigen Kämpfer Seth, oder dem genealogisch gerechtfertigten, aber jun­ gen und unerfahrenen Horus. Sie entschei­ den sich schließlich für letzteren und legen damit den mythologischen Grundstein für die Herrscherfolge im Pharaonenreich. Es ist stets der Sohn, der auf den Vater folgt. Dies galt aus kultischer Sicht auch dann, wenn – was immer wieder vorkam – der alte und der neue Herrscher gar nicht blutsverwandt wa­ ren. Osiris wird am Ende zum Herrscher der 15

Einleitung

Abb. 7 In Gestalt eines Milans schwebt die Göttin Isis über dem Körper des er­ mordeten Osiris, der ithyphallisch auf einem Totenbett liegend dar­ gestellt ist. Gleichzeitig be­ trauert sie ihren Gatten links kniend in Gestalt der Hathor-Isis (Tempel von Dendera).

Dat berufen, des altägyptischen Jenseits. Er ist mit dem resultativen Aspekt der Zeit ver­ bunden, in dem die kontinuierliche Erneue­ rung zur Ruhe kommt und ein Zustand der Vollendung erreicht ist. Osiris’ Sohn Horus, als dessen Inkarnation sich jeder regierende Pharao betrachtete, erbte seinen irdischen Königsthron und blieb in dieser Funktion in die Zyklizität der Zeit eingebunden. Der Wunsch des Verstorbenen, nach sei­ nem Tod sowohl in den Sonnen- als auch in den Osiris-Mythos eingebunden zu werden, um in die zyklische ebenso wie in die resul­ tative Ewigkeit einzugehen, bestimmt für die Dauer des gesamten Pharaonenreiches die Architektur und Dekoration der Grab­ anlagen der Könige, zeitverzögert auch der Privatpersonen. Die in diesem Kontext ent­ standenen, eindrucksvollen Bauwerke ver­ anschaulichen, zu welch außerordentlichen kulturellen und baulichen Leitungen das harmonische Zusammenspiel dieser beiden Mythenkreise und dahinterstehend das Pri­ mat des Jenseits über das Diesseits im alten

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Ägypten geführt hat. Die gewaltigen Bildund Textkompositionen, welche die Phara­ onen auf geheimen Wegen durch das Jen­ seits führten, und ihre steinernen Abbilder in Form der Gräber erweisen sich bis heute als Herausforderung für die Ägyptologie, denn auch fast 200 Jahre nach der Entziffe­ rung der Hieroglyphen durch Jean-François Champollion haben Texte und Bauwerke noch lange nicht alle ihre Geheimnisse preis­ gegeben. Die potenzielle Mehrdeutigkeit der Jenseitstexte sowie der beigefügten Bilder und Motive stellen moderne Interpreten im­ mer wieder vor neue Rätsel. Gleiches gilt für die Frage, wie die alten Ägypter in der Lage waren, Bauwerke wie die Pyramiden von Gi­ zeh zu errichten, die als einziges der antiken sieben Weltwunder noch immer erhalten sind, sowie auch für die intendierte Aussage, die hinter manchem architektonischen De­ tail verborgen ist, wie z. B. dem Ritualbrun­ nen, einem Standardelement der Königsgrä­ ber des Neuen Reiches. Die Grabmäler der Pharaonen sind in allen Epochen die Orte, an denen sich das altägyp­ tische Denken in all seiner Tiefgründigkeit und Vielschichtigkeit in besonderer Klarheit manifestiert. Auf diesen Punkt war das irdi­ sche Streben der alten Ägypter ausgerich­ tet: den gesicherten, erfolgreichen Übergang in die Dat, das altägyptische Totenreich. Das Grab ist die Grenze, der Übergangsbereich zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Innen und Außen. Es verbindet Himmel, Ho­ rizont und Unterwelt. Deshalb haben die al­ ten Ägypter besonderen Wert auf die archi­ tektonische Ausgestaltung gelegt, an der sich wie in einem Spiegel die jeweils aktuellen mythologischen Vorstellungen ablesen las­ sen – man kann sogar noch weiter gehen: Die Gräber der Könige sind Stein gewordene My­ then. Sie sind der Ort, an dem der Tote in das Jenseits eingeht und an dem er ggf. auch in die Welt der Lebenden zurückkehrt.

Einleitung

Die nachfolgenden drei Hauptkapitel, die sich detaillierter mit der Grabarchitektur, -dekoration und Mythologie des Alten, Mitt­ leren und Neuen Reiches beschäftigen, be­ stehen zur besseren Orientierung und Ver­ gleichbarkeit aus den thematisch stets identischen fünf Unterkapiteln: Das erste Unterkapitel («Einführung») bietet einen Überblick über die jeweilige Epoche und führt in die für die Grablegung relevanten Entwicklungen ein. Das zweite Unterkapitel («Lokalisierung») vertieft die mythologisch motivierte örtliche Verankerung der jeweils vorherrschen Jenseitsvorstellung (stellar, so­

lar, chthonisch). Diese leitet sich, wie das dritte Unterkapitel («Jenseitstexte») zeigt, aus den dominierenden funerären Texten der betrachteten Epoche ab (Pyramidenund Sargtexte sowie die Unterweltsbücher). Im vierten Unterkapitel («Grabarchitek­ tur») wird gezeigt, wie sich aus den voran­ gegangenen Aspekten die Grabbauformen der einzelnen Zeitabschnitte ableiten. Das fünfte und letzte Unterkapitel («Exkurs») widmet sich einem spezifischen Thema, das jeweils für das Alte, Mittlere bzw. Neue Reich von besonderer, sinnstiftender Be­ deutung ist.

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DIE GRABANLAGEN DES ALTEN REICHES Einführung: Die Bedeutung der Grabanlage für den Pharao

Abb. 8 Die Milchstraße über den Pyramiden von Gizeh.

D

ie Pyramide war im Alten Reich (3.– 8. Dynastie, ca. 2707–2170 v. Chr.) die wichtigste architektonische Bauform. Sie wurde von dem Baumeister Imhotep für Kö­ nig Djoser erfunden, den zweiten Herrscher der 3. Dynastie, und setzte ab sofort den

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räumlichen Rahmen nicht nur für dessen Beisetzung, sondern die aller Könige nach ihm bis ins Mittlere Reich hinein (Vorläufer der Pyramiden war die in der 1. und 2. Dy­ nastie verbreitete Bauform der Mastaba, s. S. 33 ff.). Die Architektur und ab einem ge­ wissen Zeitpunkt die Dekoration der Anlage waren zusammen mit der Begräbniszeremo­ nie sowie den mit ihr verbundenen Riten in­ klusive des sich anschließenden Totenkultes von entscheidender, sinnstiftender Bedeu­ tung und fußten auf den aktuellen mytholo­ gischen Konzepten. In einer Kultur, die sich in ihrer religiösen ebenso wie ihrer weltan­ schaulichen Ausrichtung ganz auf das jen­ seitige Leben konzentrierte, musste diesen Bereichen zwangsläufig besondere Aufmerk­ samkeit zukommen, denn sie formulieren die Rahmenbedingungen der rite de passage, wel­ che der Tod für die alten Ägypter darstellte. Die Pyramide ist das vielleicht bekannteste und bedeutendste Sinnbild des alten Ägyp­ ten, Synonym nicht nur für die hohe kultu­ relle Entwicklungsstufe dieser frühen Kultur, sondern auch für den erfolgreichen Versuch, sich dem Wirken der Zeit und dem Vergessen zu entziehen. Napoleon Bonaparte, der 1798 mit seinem Heer und einem Team von rund 150 Wissenschaftlern nach Ägypten zog, soll gesagt haben: «Der Mensch fürchtet die Zeit, aber die Zeit fürchtet die Pyramiden». Die Ägypter des Alten Reiches glaubten, dass ihre Könige nach ihrem Tod zum Nacht­ himmel emporsteigen und sich dort in ei­ nen Stern verwandeln würden. Der Zielort für diese Verwandlung waren die heute als Zirkumpolarsterne bezeichneten Sterne des nördlichen Nachthimmels, die auf ihren Kreis­ bahnen niemals unter den Horizont sinken. Die alten Ägypter nannten sie die «Unver­ gänglichen Sterne». Die Pyramide diente dem König dabei als eine Himmelsleiter, die ihn

Die Grabanlagen des Alten Reiches

hinauf in das Sternenreich führte (Abb. 8). Mit ihrer nach oben gerichteten Spitze ver­ weist sie auf den Himmel, doch es sind nicht nur die Sterne, nach denen der Pharao strebte, sondern auch die Vereinigung mit dem Sonnengott. So sollte er in gleich beide Ewigkeitsformen, die das altägyptische Den­ ken kannte, Eingang finden (s. S.  121). Die eine Form umschrieb die Idee eines Rei­ ches der unwandelbaren Dauer, das im Alten Reich bei den «Unvergänglichen Sternen» lokalisiert war und allmählich (auch) mit dem unterirdischen Reich des Totengottes Osiris identifiziert wurde. Die zweite Form bezog sich auf die Vorstellung eines konti­ nuierlichen Kreislaufes aus Entstehen, Wer­ den, Vergehen und Wiederentstehen. Diese war mit dem Sonnengott verknüpft, dessen morgendliche Geburt, abendliches Sterben und nächstmorgendliche Wiedergeburt die Menschen tagtäglich beobachteten. In diese beiden Ewigkeiten, die einander scheinbar widersprechen, aber nach den Regeln des mythischen Denkens ohne Schwierigkeiten vereinbar waren (s. S. 10), wollte der Pharao nach seinem Tod eingehen. Die Pyramide bil­ dete dieses Szenario architektonisch ab. Mit der Form der Pyramide gelang den al­ ten Ägyptern eine eindrucksvolle bauliche Umsetzung der Anknüpfung an die beiden Ewigkeitssphären. Einerseits verfügten die Monumentalbauten über ein innenliegen­ des Gang- und Kammersystem, das z. T. un­ terirdisch angelegt war und auf das chthoni­ sche, dunkle Totenreich des Osiris verwies (s.  S.  74 ff.). Andererseits deutete die äußere Form mit ihrer nach oben, in den Himmel wei­ sende Pyramidenspitze ebenso auf das Reich der Sterne wie auf das des Sonnengottes. Die Pyramide war ursprünglich von einem Pyra­ midion gekrönt, einer Art vergoldeter Minia­ turpyramide, welche den oberen Abschluss des Bauwerks bildete. Die aufgehende Mor­ gensonne, in der sich der in den Nachtstunden verjüngte Schöpfergott verkörperte, beleuch­ tete die Spitzen der Pyramiden lange bevor ihre Strahlen das Niltal erhellten. Die Pyrami­ dia entsandten dadurch aufgrund ihrer Goldoder Elektronoberfläche selbst goldene Strah­ len über das Land, sodass es aussah, als ob die Sonne sich auf der Pyramidenspitze niederge­

lassen hätte (Elektron ist eine natürlich vor­ kommende Legierung aus Gold und Silber; auch die Obelisken in den Tempeln trugen auf ihrer Spitze eine entsprechend kleinere Ver­ sion des Pyramidions, welche das Sonnenlicht reflektierte). Die weiße Außenfassade aus po­ liertem Kalkstein verstärkte diesen Eindruck der Pyramide als einem irdischen Sitz des Sonnengottes. Dass die frühesten Jenseitsvorstellungen der alten Ägypter in Verbindung mit dem Nachthimmel standen, lässt sich an der hiero­ glyphischen Schreibweise des altägyptischen Wortes für «Jenseits» ableiten: Der Ausdruck Dat (oder Duat), welcher in allen Epochen des Pharaonenreiches die Bezeichnung für das Jenseits ist, wird häufig mit einem Determina­ tiv (einem Deutzeichen, dass nicht lautlich ge­ sprochen wird) in Form eines Sterns geschrie­ ben, das diese Verbindung eindeutig herstellt. dw3t Determinative dienen in der Hieroglyphen­ schrift als eine Art Lesehilfe, die es dem Le­ ser des Textes ermöglicht, das Wort schneller in einen Sinnzusammenhang einzuordnen. Dies ist insbesondere hilfreich, wenn es an­ dere, ähnlich geschriebene Wörter gibt, die ggf. mit dem eigentlich gemeinten verwech­ selt werden könnten. Die oben gezeigte Schreibweise bleibt bis zum Ende der Pha­ raonenzeit erhalten, obwohl die Lokalisie­ rung der Dat bis zu diesem Zeitpunkt zwei­ mal eine nachhaltige Veränderung erfahren hat und dabei in den Westhorizont bzw. die Unterwelt verlegt worden war. Der Titel des ältesten Unterweltsbuches des Neuen Rei­ ches, des Amduat (s. S. 74 ff.), bedeutet wört­ lich «Buch, von dem, was in der Dat ist» und wird hieroglyphisch wie folgt umgesetzt. t 3 mḏ 3 t jmjt dw 3 t Auch hier taucht das Sternendetermina­ tiv wieder auf und schafft die Verbindung zu dem im Vergleich zur Entstehungszeit des 19

Einführung: Die Bedeutung der Grabanlage für den Pharao

Abb. 9 Die Pyramiden von Gizeh, von links nach rechts die des Mykerinos, des Chephren und des Cheops.

Textes sehr viel älteren Motiv des Nachthim­ mels als Jenseitsraum. Pyramiden erhielten in der Regel einen individuellen Eigennamen, der einen weite­ ren Einblick in ihre Bedeutung für die Bau­ geschichte des alten Ägypten und speziell für den Pharao als jeweiligen Bauherrn erlaubt. Viele dieser Pyramidennamen, und damit auch die Bauwerke selbst, dienten der Ver­

Abb. 10 Überreste der Pyramide des Teti (6. Dynastie) in Sakkara.

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herrlichung des Pharao. In der 4. Dynastie erhielt die Pyramide des Chephren auf dem Plateau von Gizeh den Namen wr ḫ3=f rˁ, «Che­ phren ist groß». Die seines Nachfolgers My­ kerinos wurde nṯrj mn-k3.w-rˁw, «Mykerinos ist göttlich», genannt. Zu Beginn der 6. Dy­ nastie wurde der Pyramide von König Teti Beständigkeit vorausgesagt, denn ihr Name lautet ḏd-swt-ttj, «Von Dauer sind die Stät­

Die Grabanlagen des Alten Reiches

ten des Teti». Gleiches gilt für die Pyramide Pepis I., die den Namen mn-nfr ppj, «Dau­ ernd und vollkommen ist [die Pyramide des] Pepi», trägt (Abb. 9. 10). Eine Ausnahme bil­ det die Pyramide des Pharao Cheops, die wie die seines Sohnes Chephren und seines En­ kelsohnes Mykerinos auf dem Gizeh-Plateau steht (gemeinsam werden diese drei Bau­ werke als «die großen Pyramiden» bezeich­ net). Sie heißt im Altägyptischen 3ḫt ḫwfw (sprich: ’achet ’chufu) was so viel bedeutet wie «Horizont des Cheops». Dieser Name ist aus zwei Gründen bemerkenswert: Ers­ tens ist er nicht dem unmittelbaren Lobpreis des Pharao gewidmet, zweitens beschwört er auch nicht die Haltbarkeit des Bauwerks. Stattdessen handelt es sich um eine Be­ schreibung der Pyramide selbst, die mit dem Horizont gleichgesetzt wird. Der Name der Cheops-Pyramide wird wie folgt in Hierogly­ phenschrift gefasst.

Während links die Kartusche den Namen des Königs (Khufu, gräzisiert Cheops) um­ schließt, fällt auf, dass der rechte Teil des Py­ ramidennamens, 3ḫt, abschließend mit dem

Zeichen für «Pyramide», , versehen ist. Bei diesem Schriftzeichen handelt es sich einmal mehr um ein Determinativ, welches das vor­ ausgehende Wort für den Leser in einen Sinn­ zusammenhang stellen und die Lesbarkeit des Textes erhöhen soll. Üblicherweise würde man für das Wort Achet, Horizont, jedoch ein anderes Determinativ erwarten, nämlich  , das die zwischen den Westbergen unterge­ hende Sonne zeigt und damit unmittelbar den Horizont verbildlicht. Der im Namen der Che­ ops-Pyramide zu beobachtende Austausch des Determinativs lässt vermuten, dass – min­ destens unter Cheops – beide Symbole eine vergleichbare inhaltliche Aussage hatten. Bei der Einordnung des Pyramidennamens «Horizont des Cheops» ist zu bedenken, dass die alten Ägypter sich den Horizont nicht als eine imaginäre Linie vorstellten, die Himmel und Erde voneinander trennt, sondern darin eine eigene Örtlichkeit erkannten, entweder das Totenreich selbst oder eine Art Schwellen­ bereich, den der Sonnengott am Abend durch­ querte, bevor er in die Unterwelt bzw. den nächtlichen Himmel eintrat. Es war ein Raum, keine Linie, und von zentraler Bedeutung für den altägyptischen Jenseitsglauben, nicht nur im Alten Reich, sondern auch in den kommen­ den Jahrtausenden bis zum Ende des Pharao­

Abb. 11 Die Pyramiden des Che­ phren (vorne) und des Cheops überragen die im Vergleich winzig wirken­ den Bauten eines Stadtteils von Kairo.

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Lokalisierung: Die «Unvergänglichen Sterne» – das stellare Jenseits

Abb. 12 Hieroglyphische Schreib­ weise des Geburtsna­ mens Ramses’ I. «Ra-messu». Der umgebenden Kartusche sind die Hiero­ glyphen einer Gans und der Sonnenscheibe vorangestellt. Sie be­ deuten «Sohn des Re».

nenreiches. Die Verwendung des PyramidenDeterminativs legt nahe, dass die Pyramide eben diese Übergangsregion verkörpert. Sie präsentiert sich damit als architektonischer Ausdruck der Verknüpfung von Erde und Him­ mel, Diesseits und Jenseits, und überragt da­ bei – bis heute – jegliche andere sakralen oder profanen Bauformen neben sich (Abb. 11). Die Grablegung bedeutete für den Pharao die Herauslösung aus dem Diesseits und die Aufnahme in die Schar der Götter. Die Jen­ seitstexte, die sich ab König Unas, dem letz­ ten Herrscher der 5. Dynastie, auf den In­ nenwänden der Pyramiden finden, zeichnen diesen Übergang als eine Heimkehr nach, eine Rückkehr in die göttliche Familie des Kö­

nigs. Nicht umsonst betiteln die Pyramiden­ texte, die königlichen Jenseitstexte des Alten Reiches, die Götter als «Brüder» des Königs (s. S. 43). Obwohl der Pharao auf Erden ein Leben im Überfluss führen und sich aller An­ nehmlichkeiten erfreuen konnte, stellte auch für ihn der Tod den Übergang in das eigent­ lich erstrebte Leben dar. Eine weitere familiäre Anbindung des Pha­ rao an die Götterwelt erfolgt seit der 4. Dy­ nastie durch den Titel «Sohn des Re», der ihn als – auch genealogischen – Nachfolger des Sonnen- und Schöpfergottes auf Erden definiert (Abb.  12). Interessant ist, dass an dieser Stelle der Sonnenmythos eine unmit­ telbare Verbindung mit dem vermutlich jün­ geren Osiris-Mythos eingeht, der schildert, wie der Gott Osiris zum Herrscher des To­ tenreiches wird und sein Sohn Horus den ir­ dischen Pharaonenthron besteigt (s. S. 15). Jeder regierende Pharao wurde von den al­ ten Ägyptern daher als «lebender Horus» be­ trachtet, als Reinkarnation des Osiris-Sohns. Der Pharao füllte folglich gleich zwei Soh­ nesrollen aus: Er war der Sohn des Sonngot­ tes, aber auch der des Totenherrschers Osi­ ris. Bei seinem Tod wurde der Pharao sogar selbst zu Osiris. Die Pyramide bildet diese multiplen Rollen architektonisch ab, indem sie mit ihrem äußeren Erscheinungsbild den Pharao zum Sonnengott leitet und mit ih­ rem inneren bzw. unterirdischen Gang- und Kammersystem das chthonische Reich des Osiris nachbildet. Während der Körper des Verstorbenen, der für seine Fortdauer von größter Bedeutung war, in der meist unterir­ disch gelegenen Grabkammer (also im Reich des Osiris) verblieb, stieg der König im Alten Reich zugleich am Himmel empor, zum Son­ nengott und zu den «Unvergänglichen Ster­ nen».

Lokalisierung: Die «Unvergänglichen Sterne» – das stellare Jenseits

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ie wohl früheste Jenseitsvorstellung in der mehr als 3000jährigen Geschichte des alten Ägypten beruhte auf dem Glauben, 22

dass der Pharao nach seinem Tod zu den Sternen des Nachthimmels aufsteigen und sich dort mit seinem Vater, dem Sonnengott

Die Grabanlagen des Alten Reiches

vereinen und zugleich in die Reihe der «Un­ vergänglichen Sterne» aufgenommen würde – heute nennen Astronomen diese Zirkumpo­ larsterne. Es handelt sich dabei um die Sterne, die innerhalb eines bestimmten Winkels um den Himmelspol angeordnet sind, sodass sie auf ihrer scheinbaren Kreisbahn, die eigent­ lich Ergebnis der Erdrotation ist, niemals un­ ter den Horizont sinken. Sie bleiben folglich immer sichtbar und haben auf die alten Ägyp­ ter offenbar eine besondere Faszination aus­ geübt, die ihnen auch den Namen «Die, welche nicht untergehen/zerstört werden können» einbrachte. Da Ägypten vergleichsweise nahe am Äquator liegt, gibt es dort im Verhält­ nis weniger Zirkumpolarsterne als beispiels­ weise in Mitteleuropa. Die außerhalb dieses Bereiches liegenden Sternen, die sich regel­ mäßig dem Auge des Betrachters entziehen – und auch der sich in der Sonnenscheibe ver­ körpernde Schöpfergott Re, der allabendlich am Westhorizont in das Totenreich einging – schienen einem unaufhörlichen Rhythmus aus Geburt, Leben und Tod zu folgen, dem die «Unvergänglichen Sterne» nicht unterworfen waren (Abb. 13). Sie schienen vielmehr un­ wandelbar im himmlischen Jenseits zu stehen und repräsentierten die Stabilität und Kon­ tinuität des Todes, das Versprechen ewiger Dauer. Die Vorstellung, dass der König nach seinem Tod zu den Sternen emporsteigt, um sich dort den «Unvergänglichen» anzuschlie­ ßen oder gar zu ihrem Führer zu werden, ist im Jenseitsglauben der alten Ägypter tief ver­ ankert. Sie blieb unterschwellig auch dann er­ halten, als sich im Mittleren und Neuen Reich die Vorstellungen von der Verortung der Dat nachhaltig veränderten (Abb. 14). Wie andere Kulturen auch kannten die al­ ten Ägypter die Zusammenfassung bestimmter Sterne zu Sternbildern. Das heutige Sternbild Orion beispielsweise entspricht im altägypti­ schen Kontext dem Gott Osiris. Das Sternbild des Großen Bären deuteten die alten Ägyp­ ter als einen Haken oder Dechsel, ein Inst­ rument, das im zum Begräbniskontext gehö­ renden Ritual der Mundöffnung verwendet wurde. Später erfolgte eine Umdeutung, die in dem gleichen Sternbild einen Rinder­ schenkel erkannte, der wiederum mit dem ambivalenten Gott Seth in Verbindung steht,

von dem der Mythos berichtet, dass er sei­ nen Bruder Osiris aus Neid und Missgunst getötet habe (Abb. 15). Erst durch diese Ge­ walttat konnte Osiris jedoch zum Totengott aufsteigen und erlangte im Kontext des To­ tengerichtes (s. S. 81) eine so überragende Bedeutung, dass sich der verstorbene Pha­ rao wünschte, auch mit ihm eine Verbindung einzugehen. Die Pyramidentexte berichten, dass der Verstorbene in das Gefolge des Osi­ ris eintritt, das in dieser Deutung nichts an­ deres ist als die Schar der «Unvergänglichen Sterne» (in dem folgenden Zitat steht «N.» als Platzhalter für den Namen des Verstorbenen): «N. reist über den Himmel zum Binsengefilde, er lässt sich nieder im Opfergefilde inmitten der Unvergänglichen Sterne im Gefolge des Osiris». Das Binsen- und das Opfergefilde so­ wie der «Feuersee», der für die Verdammten ein Ort der Peinigung durch Flammen ist, für die Gerechtfertigten aber erfrischendes, küh­ les Wasser spendet, sind wichtige Elemente des himmlischen Jenseits im alten Ägypten und bedeutende Stationen auf der Jenseits­ reise des verstorbenen Königs. Nachdem in der Ägyptologie lange diskutiert wurde, ob die

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Abb. 13 Um 2800 v. Chr. repräsen­ tierte der Stern Thuban (Alpha Draconis) aus dem Sternbild Drache den Himmelspol. Aufgrund der Präzession nimmt heute unser zum Sternbild Kleiner Bär gehörender Polar­ stern (Alpha Ursae Mino­ ris) diese Position ein.

Lokalisierung: Die «Unvergänglichen Sterne» – das stellare Jenseits

Abb. 14 Teilansicht der «Astrono­ mischen Decke» in der Grabkammer Sethos’ I. (Tal der Könige), unten Darstellungen von Stern­ bildern des Nordhimmels.

beiden ersten möglicherweise identisch sind, wird mittlerweile von tatsächlich zwei ver­ schiedenen Orten ausgegangen, die sich an­ hand astronomischer Beobachtungen recht konkret lokalisieren lassen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der «Gewundene Kanal», der ver­ mutlich auf der Beobachtung eines astronomi­ schen Phänomens beruht, der Ekliptik. Das Binsengefilde ist ein Ort des Überflus­ ses. Hoch wogt das Getreide, der Verstorbene bekommt ein eigenes Anwesen zugewiesen, dessen Grund er bewirtschaften und von des­ sen reichen Erträgen er ein gutes Leben im Jenseits führen kann. Das Opfergefilde steht in stärkerer Verbindung zur diesseitigen Welt und gewährt dem Verstorbenen Zugang zu den Speisen und Trankopfern, die ihm auf Er­ den im Rahmen des Totenkultes dargebracht werden. Noch im Totenbuch des Neuen Rei­ ches findet sich der Wunsch des Verstor­ benen, er möge «im Opfergefilde wandern gleich diesem Re im Innern des Himmels». Die Ägypter beobachteten auch die Sterne, die außerhalb des Bereiches der «Unvergäng­ lichen» standen. Sie verschwinden jeweils eine Zeitlang vom Firmament, wenn sie un­ ter den Horizont sinken. Es sind die Sterne, 24

«Welche nicht müde werden können». Die altägyptischen Quellen berichten von ihnen, dass sie in den Phasen ihrer Unsichtbarkeit 70 Tage lang im «Haus des Geb» ruhen wür­ den (Abb. 16). Das «Haus des Geb», des Erd­ gottes, ist eine Umschreibung für den Erd­ boden selbst und verdeutlicht, dass auch am Sternenhimmel eine dem sozial-hierarchi­ schen Gefüge auf Erden vergleichbare Situa­ tion zu beobachten war und die Unterschei­ dung zwischen König und ägyptischem Volk eine Entsprechung im stellaren Jenseits fand: Der verstorbene König stieg zum Himmel auf, um dort, selbst zu einem «Unvergängli­ chen Stern» geworden, hoch über dem Land seiner Vorfahren zu stehen und sich zugleich mit seinem Vater, dem Sonnengott zu ver­ binden. Die aber, «Welche nicht müde wer­ den können», entsprachen seinen Unterta­ nen und gingen – zumindest zeitweilig – in die Erde zu seinen Füßen ein. Zu diesen Sternen, die die alten Ägypter auch die «Unermüdlichen» oder «die arbei­ tenden Sterne» nannten, zählten v. a. die Pla­ neten und die Dekansterne, die sich in zykli­ schen Bahnen über den nächtlichen Himmel bewegen. Die Ägypter teilten den Himmels­

Die Grabanlagen des Alten Reiches

Abb. 15 Der Tierkreis von Dendera (hier ein Stahlstich aus dem 19. Jh.). Kurz unter­ halb des Mittelpunkts ist ein horizontal gekippter Rinderschenkel zu sehen, der unserem Sternbild Gro­ ßer Bär entspricht und mit dem Gott Seth in Ver­ bindung stand.

Abb. 16 Nachthimmel über der Sahara, Langzeitbelich­ tung. Die Sterne bewegen sich auf konzentrischen Kreisen um den Himmels­ pol. Manche sinken dabei unter den Horizont, andere bleiben durch­ gehend sichtbar.

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Lokalisierung: Die «Unvergänglichen Sterne» – das stellare Jenseits

Abb. 17 Teilansicht der «Astrono­ mischen Decke» in der Grabkammer Sethos’ I. (Tal der Könige) mit Darstellungen der Dekane. Zweiter und dritter von links: Sothis (Isis) und Orion (Osiris).

kreis aufgrund ihrer astronomischen Beob­ achtungen in 36 Abschnitte ein, von denen jeder von einem bestimmten Stern bzw. ei­ ner Sternengruppe beherrscht wurde. Die Dauer jedes Abschnittes umfasste zehn Tage (dies entspricht einer ägyptischen Woche), da die Priester beobachtet hatten, dass alle zehn Tage eine neue Dekangruppe auf- und eine andere unterging (Abb. 17). Diese Grup­ pen wurden in Form von Sternbildern vor­ gestellt, welche menschliche bzw. göttliche Gestalt annehmen oder in Form von Tieren auftreten konnten. Das Dekansystem ist be­ reits für das Alte Reich belegt, möglicher­ weise ist es sogar noch älter. Die Verknüp­ fung von auf- und untergehenden Sternen und Sternbildern mit den Kalenderwochen macht die Dekane zu Symbolfiguren der Zeit­ messung. Sie summieren sich auf 360 Tage (36 Dekane á 10 Tage). Die umfangreichen astronomischen Kennt­ nisse der alten Ägypter ließen sie die Not­ wendigkeit weiterer Tage zur Komplettie­ rung des Sonnenjahres erkennen. Diese sind heute unter der griechischen Bezeichnung Epagomenen («die hinzukommenden Tage») bekannt, im alten Ägypten hießen sie Heriurenpet, was so viel bedeutet wie «(Tage,) die über dem Jahr sind». Der griechische Schrift­ steller Plutarch berichtet vom mythologi­ schen Hintergrund der insgesamt fünf «zu­ sätzlichen Tage», durch die sich die Dauer 26

eines Jahres im alten Ägypten auf 365 er­ höhte. Hauptakteur ist der weise Gott Thot. Der Mythos berichtet, dass Thot die Tage bei einem Brettspiel von dem Mondgott Chons gewonnen und sie anschließend der Him­ melsgöttin Nut zum Geschenk gemacht habe, die ihn zuvor bei einem persönlichen Prob­ lem um Hilfe gebeten hatte. Hintergrund war, dass der Sonnengott der schwangeren Nut untersagt hatte, an irgendeinem Tag des Jah­ res ihre Kinder zur Welt zu bringen. Dank des Geschenks des Thot konnte Nut ihre Kin­ der bekommen, ohne die Anordnung des Schöpfers zu missachten: Osiris, Seth, Isis und Neph­thys entwickelten sich zu Leitfigu­ ren des altägyptischen Jenseits- und Toten­ glaubens (das fünfte Kind, Horus der Ältere, spielte in anderen mythologischen Kontex­ ten wichtige Rollen, so z. B. in den Sagen um die Augen des Sonnengottes Re). Die sprachlichen Motive der Pyramiden­ texte konzentrieren sich auf die Aufnahme des verstorbenen Königs in die Schar der «Unvergänglichen Sterne». Erst die Sarg­ texte des Mittleren Reiches (s. S.  54 ff.) und die Unterweltsbücher des Neuen Reiches (s. S.  82 ff.) verlagern ihr Hauptaugenmerk auf das solare bzw. chthonische Jenseits (am Westhorizont bzw. in der Unterwelt). Mögli­ cherweise waren die trotz ihres hellen Fun­ kelns stets mit der Dunkelheit assoziierten Sterne, gleichbedeutend mit der Abwesen­

Die Grabanlagen des Alten Reiches

heit des Sonnengottes, am Ende zu wenig vertrauenserweckend für eine Kultur, in de­ ren Zentrum die Verehrung der Sonne stand. Verweise auf das stellare Jenseits blieben hin­ gegen in allen neuen Jenseitsvorstellungen bis an Ende des Pharaonenreiches präsent (s. S. 10). Die konkurrenzfreie Zusammenstel­ lung so unterschiedlicher Jenseitsvorstellun­ gen wird durch das mythische Denken mög­ lich: Es erreicht die Schärfung der Konturen des betrachteten Objekts nicht durch ein im­ mer tieferes Hineinarbeiten in eine einzelne

gedankliche Perspektive, sondern im Gegen­ teil durch die immer wieder neue Annähe­ rung aus unterschiedlichen Blickwinkeln, die es erlaubt, Aspekte wahrzunehmen, die ansonsten verborgen bleiben (multiplicity of approaches, s. S. 10). Die mythologischen Bilder des Alten Reiches sind von großer Strahlkraft, die – Verwandlungen unterwor­ fen – auch die Jenseitstexte des Mittleren und Neuen Reiches nachhaltig prägten und die ihren ersten Ausdruck in den Pyramidentex­ ten des Alten Reiches fanden.

Jenseitstexte: Die Pyramidentexte

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ie Pyramidentexte sind die frühesten uns bekannten Jenseitstexte der alten Ägyp­ ter und gelten als älteste religiöse Texte der Menschheit. Sie sind benannt nach dem Ort ihrer Anbringung: in den Pyramiden des Alten Reiches. Erstmals belegt sind sie in der Pyramide des Pharao Unas, dem letz­ ten Herrscher der 5. Dynastie, der im 24. Jh. v. Chr. die Geschicke Ägyptens lenkte (ange­ nommen wird eine Regierungszeit von rund 20 Jahren zwischen 2367 und 2297 v. Chr.; Abb. 18). Anders als bei den späteren Jen­ seitstexten des Mittleren und Neuen Reiches geht es in den Pyramidentexten nicht um eine

möglichst exakte Ausarbeitung der jenseiti­ gen Topographie, sondern um die Zurverfü­ gungstellung magischer Fähigkeiten, die dem verstorbenen Herrscher Macht über andere Bewohner des Jenseits verleihen, seine Ver­ sorgung mit Nahrung, den Erhalt seines Na­ mens und seine generelle Sicherheit gewähr­ leisten sollten. Bemerkenswert ist, dass die Pyramidentexte noch ohne Bildbegleitung auskommen (Abb. 19). Dies ändert sich im Mittleren Reich und gipfelt in der durchge­ henden Bebilderung der Unterweltsbücher des Neuen Reiches. Die Pyramidentexte wur­ den im Alten Reich ausschließlich in Königs­ 27

Jenseitstexte: Die Pyramidentexte

Abb. 18 Die Außenfassade der Unas-Pyramide bei Sakkara ist heute weitge­ hend verfallen. Die Kammern des Unterbaus sind jedoch gut erhalten. Links im Hintergrund ist die Stufenpyramide von Pharao Djoser zu sehen (s. S. 35).

gräbern verwendet. Entdeckt wurden sie 1880/1 von dem französischen Ägyptologen Gaston Maspero. Die kulturwissenschaftli­ che Bedeutung der Texte wurde von dama­ ligen Ägyptologen unmittelbar erkannt. Be­ ginnend 1882 veröffentlichte Maspero über einen Zeitraum von rund zehn Jahren die bis dahin entdeckten Texte, wobei er sie nach den Pyramiden ordnete, in denen sie ge­ funden wurden. 1899 begann der deutsche Ägyptologe Kurt Sethe mit der Übersetzung der Pyramidentexte, die inzwischen ein Vo­ lumen von 714 Sprüchen umfassten. Sethes Arbeit blieb unvollendet und wurde erst nach seinem Tod veröffentlicht. Auf seine An­ ordnung der Texte geht die bis heute gültige Zitierweise zurück, die den einzelnen Spruch mit dem Kürzel PT (für Pyramidentext) und einer nachfolgenden Nummer erfasst (das ebenfalls gebräuchliche Kürzel «Pyr. §» steht für längere Textabschnitte). In den vergange­ nen rund 120 Jahren ist das Textkorpus wei­ ter angewachsen, und die Zahl der bekann­ ten Sprüche der Pyramidentexte beläuft sich mittlerweile auf 759. Es ist schwer einzuschätzen, wie alt die Inhalte der Pyramidentexte tatsächlich sind. Vergleichsweise Einigkeit herrscht in der Forschung, dass ihr Ursprung mindestens eine gewisse Zeit vor ihrer ersten Notation in der Pyramide des Unas liegen muss. Se­ the ging davon aus, dass sie bereits aus prä­ 28

dynastischer Zeit stammen. Interessanter­ weise bilden die Pyramidentexte eine recht heterogene Vorstellungswelt von der jensei­ tigen Existenz des Pharao ab. Während das zum Zeitpunkt der ersten Niederschrift bei Unas bereits recht umfangreiche und ela­ borierte Textkorpus eher für eine deutlich frühere Entstehungszeit spricht, weisen Be­ züge auf den Totengott Osiris, dessen Kult sich erst im Laufe des Alten Reiches etab­ lierte, eher auf eine Entstehungszeit in der Nähe der Anbringung in Unas’ Grabmal hin. Das unterirdische Totenreich, das im Neuen Reich zum vielschichtigen und hoffnungs­ tragenden Handlungsort der Nachtfahrt des Sonnengottes wird, ist in den Pyramidentex­ ten häufig noch weitgehend negativ konno­ tiert. Einige Sprüche formulieren dies ganz deutlich, wenn sie erklären, dass «sein [des Verstorbenen, d. V.] Abscheu […] die Erde [ist]» (PT 258). Grundsätzlich lässt sich je­ doch beobachten, dass je jünger die Pyrami­ dentexte sind, desto häufiger und deutlicher die Referenzen auf den Totengott Osiris wer­ den, der als Herrscher über das chthonische Totenreich gilt. Bereits bei König Unas heißt es in PT 134: «O Unas, du bist nicht gestor­ ben, du bist zum Leben erwacht, um auf dem Thron des Osiris zu sitzen.» Die unterschiedlichen Sichtweisen auf das jenseitige Leben des Pharao lassen sich gut mit unterschiedlichen Entstehungszeitpunk­

Die Grabanlagen des Alten Reiches

ten vor und innerhalb des Alten Reiches, ggf. aber auch verschiedenen Entstehungsorten der Pyramidentexte erklären. Deshalb wird überwiegend davon ausgegangen, dass sie tatsächlich ein Konglomerat von Texten unter­ schiedlicher Herkunft darstellen, das erst in den Pyramidentexten systematisiert wurde. Da die Pyramidentexte zunächst ausschließ­ lich im königlich-funerären Kontext genutzt wurden, ergibt sich eine relativ überschau­

bare Quellenlage. Die Textfunde stammen aus den Pyramiden der Könige Unas, Teti, Pepi I., Merenre und Pepi II. Sie alle stammen aus der 5. und 6. Dynastie, d. h. aus den Jah­ ren ~2504 bis ~2216 v. Chr. Gegen Ende der 6. Dynastie finden sich Pyramidentexte auch in den ebenfalls pyramidenförmigen Grab­ bauten der königlichen Gemahlinnen von Pepi II. Darüber hinaus sind sie in einer wei­ teren Pyramide aus der 8. Dynastie belegt,

Abb. 19 Unterbau der Unas-Pyra­ mide, Blick von der Vorkammer in die Sarg­ kammer. Die Wand­ flächen sind mit Pyrami­ dentexten bedeckt, die Giebeldecke ziert ein stili­ sierter Sternenhimmel.

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Jenseitstexte: Die Pyramidentexte

die für König Qakare Ibi errichtet wurde. Die Textauswahl für die einzelnen Herrscher und ihre Grabstätten ist sehr individuell, keine der Pyramiden liefert eine komplette Samm­ lung aller Texte. Ablesbar ist allerdings, dass offenbar bestimmte Spruchfolgen zu Se­ quenzen zusammengefasst wurden und da­ her in der Regel stets in dieser Komposition auftreten. Die Pyramidentexte werden aufgrund von stilistischen, sprachlichen und inhaltlichen Merkmalen üblicherweise in fünf Textgrup­ pen zusammengefasst. 1. «Dramatische Texte», die in Dialogform abgefasst sind und – ähnlich einem The­ aterstück – Szenenanweisungen und Rol­ lenvorgaben enthalten. Sie weisen z. B. dem regierenden König die Rolle des Got­ tes Horus zu, seinem gerade zu Grabe ge­ tragenen Vater die des Osiris. Es lässt sich daraus schließen, dass sie einem kulti­ schen Kontext entstammen. Im nachfol­ genden Beispiel geht es um ein Trank­ opfer, das dem verstorbenen König Unas dargebracht wird (Abb.  20). Die Versor­ gung mit Speise und Trank ist ein wich­ tiges Thema der Pyramidentexte und il­ lustriert die Bedeutung der Überzeugung, dass der Verstorbene für sein Weiterleben im Jenseits des diesseitigen Totenkultes bedarf, der die entsprechende Bereitstel­ lung der Opfergaben sicherstellt (Szenen­ anweisung kursiv): «Dies ist dein Trank­ opfer, Osiris. Dies ist dein Trankopfer, oh Unas, es kommt – Trankopfer und zwei Kugeln Natron reichen – von deinem Sohn, es kommt von Horus» (PT 22). 2. Die «Hymnen mit der Namensformel», die in der Regel eine mythische Ausdeutung vollzogener Rituale beinhalten und in denen der Verstorbene mit verschiede­ nen mythischen Wesen identifiziert wird. «Gehe in es [das Horus-Auge, d. V.] ein, nimm es in deinen Besitz, in diesem dei­ nem Namen ‹Er mit dem Schmuck des göttlichen Herrschers›, sodass du dich ihm nähern kannst in diesem deinem Na­ men Re» (PT 452). Der Verstorbene wird hier u. a. mit dem Sonnengott identifiziert, damit er in der Lage ist, das Horus-Auge zu ergreifen, ohne von diesem verletzt zu 30

werden. Von dem Horus-Auge Besitz zu ergreifen bedeutet den Gewinn großer Macht. 3. Die «Litaneien», die Namen, Epitheta und Gegenstände aufzählen, die für den Ver­ storbenen bedeutsam sind und ihm im Jen­ seits nützlich sein sollen. «Er ist zu dir ge­ kommen, Krone, er ist zu dir gekommen, flammender Uräus, er ist zu dir gekommen, Große, er ist zu dir gekommen, Zauber­ reiche, gereinigt für dich» (PT 194). Hin­ ter dem Personalpronomen «er» verbirgt sich der verstorbene König. Von dem an­ gesprochenen Gegenstand, dem Tier und der Person (die «Zauberreiche» ist die Göttin Isis) erhoffte man sich, dass sie dem verstorbenen König behilflich und ihm wohlgesonnen seien mögen. 4. «Verklärungen», die den größten Teil der Pyramidentexte ausmachen. Ihr inhalt­ licher und formaler Aufbau ist vielfältig. Es eint sie jedoch, dass sie wahlweise di­ rekte Ansprachen des verstorbenen Kö­ nigs durch seinen Sohn (identifiziert mit Horus) sind oder von einem Vorlese­ priester rezitiert werden und sich auf den zum Nachthimmel aufsteigenden Ba, die «Seele» des Verstorbenen, beziehen. Ihr Ziel ist es, den Toten mit magischen Kräf­ ten auszustatten, ihn zu einem Ach, ei­ nem mächtigen und gerechtfertigten Ah­ nengeist zu machen, damit er im Jenseits seinen ihm angestammten Platz als Gott unter den Göttern einnehmen kann. Um dies zu erreichen, kann der Verstorbene verschiedene Gestalten annehmen, Na­ turkräfte wie Wind oder Sturm zu seinen Gunsten einsetzen oder eine Leiter bzw. Treppe emporsteigen. Auch hier sollen die Götter unterstützend wirken: «Du Freun­ din Thots, die an den beiden Seiten der Leiter steht, öffne den Weg für Unas, so dass er passieren kann!» (PT 468). 5. Die letzte Gruppe bilden die «Zaubersprü­ che», die den Verstorbenen vor Feinden und jedwedem Schaden bewahren sollen. «Worte zu sprechen: ‹Der Kopf des gro­ ßen schwarzen Bullen ist abgeschnitten, Schlange, dies sage ich dir, Skorpion, dies sage ich dir: Wende dich um, verschwinde im Boden!›» (PT 227). Deutlich zeigt sich

Die Grabanlagen des Alten Reiches

Abb. 20 Im Amun-Tempel von Luxor bringt Pharao Amenophis III. (18. Dynastie) ein Trankopfer (Libation) dar. Es wird aus drei Krügen über weiteren Gaben auf dem vor dem Pharao stehenden Opfertisch ausgeschüttet.

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Jenseitstexte: Die Pyramidentexte

darin der altägyptische Glaube an die Ma­ gie der Worte – gleiches gilt später auch für die Magie des Bildes. Die Verbalisie­ rung bzw. Verschriftlichung sowie die Er­ schaffung des Abbildes einer Sache ver­ leihen dieser Realität, in diesem Fall zieht sich das entsprechend angesprochene ge­ fährliche Tier zurück und verschont den Verstorbenen. Die Pyramidentexte sollen den verstorbe­ nen König mit allem nötigen Wissen und al­ len erforderlichen Sprüchen ausstatten, um sein Ziel zu erreichen: aufzusteigen an den Nachthimmel und dort zu einem Gott un­ ter Göttern zu werden. Die Texte stellen da­ bei jedoch keine kohärente Erzählung dar, sondern nehmen nur Bezug auf mythische Erzählungen und Zusammenhänge, die von den alten Ägyptern offenbar als bekannt vo­ rausgesetzt und daher nicht weiter ausge­ führt wurden. Die Pyramidentexte beziehen sich dabei z. T. auf sehr unterschiedliche Vor­ stellungen von den im Jenseits anzutreffen­ den Göttern und Dämonen sowie Ideen über das Aussehen der jenseitigen Landschaft selbst. Diese Ideen wurden den Grundprin­ zipien des altägyptischen Denkens folgend gleichberechtigt nebeneinander gestellt und von den alten Ägyptern offensichtlich nicht als Widerspruch empfunden. Beispielsweise steht die wohl älteste Vorstellung, dass der König zu den «Unvergänglichen Sternen» (s. S. 22 ff.) aufsteigt, neben der Idee, dass er sich mit dem Sonnengott verbindet. Gleichzei­ tig begegnet aber auch der im Vergleich jün­ gere Glaubensinhalt, der den verstorbenen Herrscher mit dem Totengott Osiris identifi­ ziert. Interessanterweise werden diese unter­ schiedlichen Ansätze z. T. auch miteinander verwoben. Diese Offenheit des Glaubenssys­ tems bleibt bis in die Unterweltsbücher des Neuen Reiches und die folgende Spätzeit er­ halten. Unklarheit besteht teilweise noch über die Bedeutung der räumlichen Anordnung der Texte in den Pyramiden. Während manche Forscher von einer willkürlichen Platzierung ausgehen, bei der die Sprüche schlicht in Summe ihre magische Wirkung entfalten, er­ kennen andere eine geordnete Abfolge, die ein reales Ritualgeschehen abbildet. Eine 32

Idee, die sich im Mittleren und Neuen Reich fortsetzt, ist die enge Verknüpfung von archi­ tektonischen Aspekten einerseits und text­ lich-inhaltlichen Aussagen andererseits. Für die Unas-Pyramide ließe sich auf der Basis der angenommenen Spruchsequenzen die nachstehende Abfolge rekonstruieren: In der Sargkammer erfolgt die Identifizierung des toten Königs mit Osiris in der Unterwelt. In der Vorkammer  – der nächsten Station des zum jenseitigen Leben erwachten Königs – schließt sich der Aufstieg des Ba (der «Seele») an den östlichen Horizont an, wo der Son­ nengott regeneriert aus der dunklen Nacht hervorgeht und auf die der Aufstieg am Morgen­himmel folgt. Die Texte bilden also eine Bewegung aus dem Grab heraus ab. Während die Pyramidentexte ihre Bedeu­ tung als royale funeräre Texte in der Ersten Zwischenzeit mindestens noch teilweise be­ halten, verschwinden sie im Mittleren Reich aus dem königlichen Kanon. Stattdessen tau­ chen die Texte in hochrangigen privaten Be­ gräbnissen wieder auf, so z. B. in der Mastaba des Sesostris-Anch in Lischt aus der 12. Dy­ nastie. Sesostris-Anch war ein Hohepriester des Gottes Ptah und möglicherweise der Ar­ chitekt der Pyramide von Sesostris I. Die in seinem Grab verwendeten Sprüche sind na­ hezu deckungsgleich mit den in der Unas-Py­ ramide gefundenen. Zwar bleiben die Pyramidentexte grund­ sätzlich als eigenständige Texte erhalten, doch sie gehen gleichzeitig in den neu entstehen­ den Sargtexten auf, welche das dominierende funeräre Textkorpus des Mittleren Reiches sind (s. S.  54 ff.). Vor allem in den Beamten­ gräbern des Neuen Reiches sowie in spätzeit­ lichen Gräbern treten die Pyramiden­texte er­ neut in Erscheinung, wo sie sich weitgehend aus dem Bestand der Sprüche aus der Pyra­ mide des Unas speisen. In diesen vergleichs­ weise jungen Begräbnisstätten finden sich allerdings auch Texte, die bislang aus keinen Quellen des Alten Reiches bekannt sind. Es ist daher davon auszugehen, dass möglicher­ weise noch nicht der gesamte Textkorpus der Pyramidensprüche gefunden wurde, sondern dass – sofern er die Zeiten überdauert hat – ein Fundus unbekannten Ausmaßes noch im­ mer seiner Entdeckung harrt.

Die Grabanlagen des Alten Reiches

Grabarchitektur: Auf in den Himmel – von den Mastabas zu den Pyramiden

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er Begriff «Mastaba» bezeichnet einen altägyptischen Grabbautypus, dessen Anfänge in die Frühdynastische Zeit fallen, also in die auf die Reichseinigung am Ende des 4. Jts. v. Chr. folgende 1. und 2. Dynastie. Das Wort ist aus dem ägyptisch-arabischen Wortschatz entlehnt und bedeutet so viel wie «Bank» – eine passende Bezeichnung, wel­ che einen guten Eindruck von der äußeren Erscheinungsform dieser Grabbauform ver­ mittelt (Abb. 21). Mit Blick auf die Grabarchi­ tekturgeschichte des alten Ägypten sind die Mastabas als Elite-Gräber einzustufen, die im Alten Reich im Bereich des königlichen Grab­ baus in die Pyramidenform evolvieren. Bei den Privatgräbern bleibt die Mastaba noch bis zum Ende der 12. Dynastie die häufigste Bauform. Mastabas verfügen über einen rechteckigen Grundriss. Sie besitzen angeschrägte Seiten­ wände, durch die sie Ähnlichkeit mit einem Pyramidenstumpf haben. Ihre Höhe bleibt vergleichsweise gering. Die Mastaba-Grä­ ber bestehen aus zwei Bauabschnitten: Ers­ tens einem unterirdisch gelegenen Bereich, in dem über einen steil abfallenden Schacht die einfach gehaltene Grabkammer erreicht werden konnte (Abb. 22). Schacht und Kam­

mer wurden in den früheren Mastabas nach der Grablegung des Verstorbenen mit – zwei­ tens – dem oberirdisch gelegenen Teil der Grabanlage überbaut. Die frühesten Mas­ taba-Oberbauten waren rundum geschlos­ sene Blöcke, während in der nächsten Ent­ wicklungsstufe Zugänge geschaffen und Kammern im Inneren angelegt wurden, in denen der Totenkult abgehalten und Opfer dargebracht werden konnten. Die Außen­ hülle ist umlaufend häufig als Nischenfas­ sade gestaltet, deren Erscheinungsbild an

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Abb. 21 Die Mastaba el-Faraun in Sakkara-Süd wurde als Grabstätte für König Schepseskaf, den letzten Herrscher der 4. Dy­ nastie, errichtet.

Abb. 22 Aufriss einer typischen Mastaba des Alten Reiches. Durch die senk­ recht nach unten ver­ laufenden Schächte waren die kleinen, meist un­ dekorierten Grabkammern zugänglich.

Grabarchitektur: Auf in den Himmel – von den Mastabas zu den Pyramiden

Abb. 23 Mastaba des Nefermaat in Meidum, 4. Dynas­ tie, an deren Außenwand noch deutlich die Palast­ fassade erkennbar ist (vgl. Abb. 24).

einen Tempel oder einen Königspalast erin­ nert (Abb. 23. 24). Seit der Mitte der 1. Dy­ nastie blieb die Grabkammer auch nach der Überbauung über einen verschließbaren Treppenabgang zugänglich. Auf die architek­ tonische Aufgabe der Nischenfassade folgte ein glatter Wandabschluss, der lediglich auf der Ostseite der Mastaba für die Integration zweier offen zugänglicher Kultstellen geöff­ net wurde. Die Weiterentwicklung der Mastaba zum Baukonzept der Pyramide drückt die For­ derung nach der Betonung der vertikalen Achse aus. Das Bauwerk strebt nach oben,

Abb. 24 Rekonstruktionszeichnung einer Mastaba aus der 1. Dynastie (Frühdynastik), erbaut um 3000 v. Chr. in Sakkara. Die Außenseite war umlaufend als Palast­ fassade gearbeitet.

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nähert sich dem Himmel und verweist mit seiner aufwärts gerichteten Spitze auf ihn. Um diesen Plan architektonisch umsetzen zu können, beschritt Imhotep, der Baumeister der Pyramide des Pharao Djoser, in der 3. Dy­ nastie Mitte des 27. Jhs. v. Chr. einen einfalls­ reichen Weg zwischen Tradition und Inno­ vation: Die Form der Mastaba blieb als eine Art Baustein erhalten, indem mehrere dieser, nach oben kleiner werdenden Formen über­ einandergesetzt wurden (Abb. 25). Gleich­ zeitig verwirft Imhotep den rechteckigen Grundriss zugunsten der Spezialform einer quadratischen Grundfläche. Auf diese Weise

Die Grabanlagen des Alten Reiches

erhält die Pyramide von allen Seiten ein gleichförmiges Aussehen und die nach oben ausgerichtete Spitze des Bauwerkes wird in besonderer Weise inszeniert und betont. Die ursprüngliche Rechteckform wird von Im­ hotep nicht vollständig aufgegeben, sondern in der Umfassungsmauer des Pyramidenbe­ zirkes neu aufgenommen. Die Pyramide, die der später vergöttlichte Imhotep für seinen König errichtete, wird heute sinnfällig «Stufenpyramide» genannt. Die ihr zugrundliegende Bauform der Mas­ taba ist in den einzelnen Stufen noch deut­ lich zu erkennen (Abb. 26). Sie kann daher als erster, noch nicht perfektionierter Bau­ ansatz für die Grabarchitektur der Pyramide gelten. Ihre getreppte Außenform bringt zu­ gleich die Idee der Pyramide als Himmelslei­ ter, die dem verstorbenen Pharao den Auf­ stieg in das Reich der Sterne ermöglichen soll, besonders eindrucksvoll zur Geltung. Dies müssen auch die alten Ägypter so emp­ funden haben, denn die Hieroglyphe für das Verb «aufsteigen» wird manchmal von ei­ nem Determinativ mit der Umrissform der Stufenpyramide begleitet. Ein Beispiel da­ für findet sich in Sakkara im Mastaba-Grab des hochrangigen Wesirs Mehu. Die Stufen­

Abb. 25 Stufenpyramide des Kö­ nigs Djoser. Während die Bauphasen M2 und M3 Vergrößerungen der ursprünglichen Mas­ taba (M1) sind, erweitern die Bauphasen P1 und P2 das Gebäude vertikal zu einer Pyramide.

pyramide wird formal von den sogenannten  «echten Pyramiden» unterschieden, deren Außenwände mit einer glatten Kalksteinfas­ sade versehen waren (s. u.). König Snofru, der erste König der 4. Dy­ nastie, herrschte ca. 25 bis 35 Jahre, seine Re­ gierungszeit lag – je nach befragter Quelle – irgendwann zwischen 2639 und 2554 v. Chr. Snofru ließ die unter König Djoser erstmals umgesetzte Bauform der Pyramide weiter­ entwickeln. So wurden sowohl der Pyramiden­ bezirk als auch die unmittelbare Umgebung neu arrangiert. Die kultische Begegnung zwi­ schen Göttern und König wurde in den neu

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Abb. 26 An der ursprünglich ca. 58 m hohen Stufen­ pyramide sind im unteren Bereich die Er­ weite­rungen des ori­ ginären Mastababaus (vgl. Abb. 25) noch gut zu erkennen.

Grabarchitektur: Auf in den Himmel – von den Mastabas zu den Pyramiden

Abb. 27 Künstlerische Darstellung des ursprünglichen Er­ scheinungsbildes der drei großen Pyramiden von Gizeh, inklusive Aufwegen und Taltempeln am Wasser.

erschaffenen Taltempel verlegt (Abb. 27). Dieser lag am Nil bzw. einem Nilkanal und war mit Kultstätten und Kapellen ausgestat­ tet, in denen Statuen des verstorbenen Kö­ nigs aufgestellt wurden. Ein Aufweg schuf eine in der Regel lineare Verbindung zwi­ schen dem Tal- und dem der Pyramide vor­

Abb. 28 Rekonstruiertes Segment des umbauten Aufwegs zur Pyramide des Unas, Sakkara. In der Decke ist der schmale, lineare Lichtschlitz zu erkennen.

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gelagerten Totentempel. Die ersten Aufwege unter Snofru waren als schmale umbaute Korridore konstruiert, die nur durch einen mittig in der Decke verlaufenden Lichtschlitz schwach erhellt waren. Je nach Lage der Py­ ramide variiert die Länge der Aufwege in­ klusive der später erbauten Pyramiden zum Teil beträchtlich (zwischen rund 180 und 1500 m). Ihre Bauweise, die auch bei strah­ lendem Tageslicht eine erhebliche Verdunk­ lung des inneren Aufwegs erreichte, imitiert dabei vermutlich den Weg, den der verstor­ bene König auf seiner Jenseitsreise zurück­ legen musste. Beginnend mit der 5. Dynastie wurden Reliefs an den Wänden der Auf­ wege angebracht und zeigen u. a. die Dar­ bringung von Tributen sowie den Bildtopos vom Sieg des Pharao über die Feinde Ägyp­ tens (Abb. 28). Die prächtigen Totentempel, die unter dem wachsenden Einfluss des sola­ ren Kultes unter Snofru von der Nord- auf die Ostseite der Pyramide verschoben wurden, dienten dem Kult des verstorbenen Pharao, der eine Verbindung zwischen dem Reich der Götter und dem der Menschen schuf. Snofru war der einzige altägyptische Herr­ scher, der den Bau von gleich drei monumen­ talen Pyramiden beauftragte und vollendete. Es handelt sich um die Meidum-Pyramide so­

Die Grabanlagen des Alten Reiches

wie die Knick-Pyramide und die Rote Pyra­ mide, wobei die beiden letzten in Dahschur liegen (Abb. 29. 30. 31). Es sind diese drei Bauten, die den Übergang von der Stufen­ pyramide hin zu der echten Pyramide mit glatt verkleideten Seitenwänden markieren und veranschaulichen. Die Meidum-Pyra­ mide war ursprünglich als Stufenpyramide geplant, wurde im Laufe zweier Erweiterun­ gen jedoch zu einer echten Pyramide umge­ formt und möglicherweis als letzter der drei Bauten fertiggestellt. Die Knick-Pyramide, die vermutlich von Anfang an als echte Py­ ramide angelegt war, sollte ursprünglich mit einem – ungewöhnlich steilen – Neigungs­ winkel von rund 60° errichtet werden. Dies erwies sich als baulich nicht umsetzbar, sodass die Grundfläche der Pyramide verbrei­ tert und so der Neigungswinkel auf 54° ver­ ringert wurde. Auf einer Bauhöhe von etwa 45 m erfolgt eine sichtbar gebliebene, er­ neute Änderung der Schräge. Alle noch kom­ menden Steinreihen weisen nur noch einen Neigungswinkel von 43° auf. Diese Abwand­ lung verleiht der Pyramide ihr unverwech­

selbares Aussehen und ist der Grund für ihre heutige Bezeichnung als «Knick-Pyramide». Die dritte und letzte monumentale Pyramide Snofrus, die Rote Pyramide, ist von Beginn an mit einem reduzierten Neigungswinkel von etwa 45° angelegt. Trotz einer 36 m län­ geren Seitenlänge unterscheidet sich die Ge­ samthöhe dieser Pyramide mit 105 m daher praktisch nicht von der der Knick-Pyramide (104,70 m). Snofrus Sohn Chufu (griechisch Cheops), sein Enkelsohn Chafre (griechisch Chephren) und sein Urenkel Menkaure (griechisch My­ kerinos) waren jeweils der zweite, vierte und sechste Pharao der 4. Dynastie. Sie errichte­ ten die heute bekanntesten und berühmtes­ ten drei Pyramiden des alten Ägypten auf dem Plateau von Gizeh am Westufer des Nil, knapp 20 km südwestlich der Innenstadt des heutigen Kairo. Sie sind das einzige der an­ tiken siebten Weltwunder, das bis heute Be­ stand hat. Die drei Pyramiden können als die klassische Bauform und zugleich Höhepunkt der Pyramidenära des alten Ägypten angese­ hen werden. Sie waren mit hellem, fein be­

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Abb. 29 Das heutige Erscheinungs­ bild der MeidumPyramide König Snofrus ist Folge eines Abrutschens der Außenfassade. Sie war ursprünglich als echte Pyramide voll­ endet worden.

Grabarchitektur: Auf in den Himmel – von den Mastabas zu den Pyramiden

Abb. 30 Die ungewöhnliche Form der Knick-Pyramide könnte nach Ansicht mancher Forscher beabsichtigt gewesen sein und die Einheit von Ober- und Unterägypten repräsentieren.

Abb. 31 Die Rote Pyramide verdankt ihren modernen Namen der Farbe des bei ihrem Bau verwendeten Kalksteins. Darüber war sie ursprünglich mit weißem Tura-Kalkstein verkleidet.

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Die Grabanlagen des Alten Reiches

hauenem Kalkstein verkleidet, der in der ägyptischen Sonne die Pyramiden hat weiß erstrahlen lassen. Durch die Glättung der Flächen wurde die Pyramidenform zu einer Entsprechung der sich auffächernden Son­ nenstrahlen. Der König bedurfte nun keiner architektonisch sichtbaren Treppe mehr, die ihn in den Himmel hinaufführte, sondern es stand jetzt die Verbindung im Vordergrund, die er als Mittler zwischen dem Reich der Götter und dem der Erde schuf und die durch die Pyramidenform eindrucksvoll inszeniert wurde. Pyramide, Nebenpyramiden und To­ tentempel waren von einer Umfassungsmauer umgeben, die den innen liegenden Raum als eine Schwellenregion schützte und begrenzte. Die zur Grabanlage gehörenden architek­ tonischen Elemente, namentlich der am Nil (bzw. einem Nilkanal) gelegene Taltempel, der Aufweg, die Umfassung, der Totentem­ pel und die Pyramide selbst waren damit in eine zwingende Abfolge gebracht, welche die Schritte und Blicke des Pyramidenbesu­ chers lenkte: Die Fahrt über den Nil und die Anlandung am Taltempel gemahnte auf my­ thologischer Ebene an die Barkenfahrt des Sonnengottes. Dessen Weg stellte man sich häufig über einen in den Himmel gespiegel­ ten, celestialen Nil führend vor, wodurch zu­ gleich die Bedeutung des Nil als Lebensader des alt­ägyptischen Reiches betont wurde. Der Aufweg imitierte den Weg durch das Jenseits, im Totentempel fand der Kult für den verstor­ benen Herrscher statt. Im verschlossen blei­ benden Inneren der Pyramide war die osiria­ nische Unterwelt nachempfunden und in der äußeren Pyramidenform der Aufstieg zum Himmel vorgezeichnet. Bekrönt waren diese «echten Pyramiden» von einem mit Gold oder Elektron überzogenen Pyramidion (s. S. 19. 36), welches das Sonnenlicht reflektierte. Obwohl das äußere Erscheinungsbild der echten Pyramiden – abgesehen von den un­ terschiedlichen Höhen – recht einheitlich ist, ist die Ausarbeitung der innenliegenden Gang- und Kammersysteme unterschiedlich, was sich in besondere Weise an den Höhen­ unterschieden bezüglich der Verteilung und Positionierung der Kammern erkennen lässt. Näher betrachtet werden soll nachfolgend die Cheops-Pyramide, die einige interessante

architektonische Besonderheiten aufweist. Ob die Pyramide tatsächlich je für die Grab­ legung des Pharao genutzt wurde, ist nicht bekannt. Die Cheops-Pyramide, auch Große Pyramide genannt, bedeckt eine Fläche von 5,3 ha, be­ sitzt eine Seitenlänge von 230,33 m und eine ursprüngliche Höhe von 146,59 m (auf­ grund der fehlenden Außenverkleidung sind es aktuell nur 137 m). Sie besteht aus rund 2,3 Millionen Steinböcken mit einem durchschnittlichen Gewicht von 2,5 t (Abb. 32). Im Inneren verfügt sie über drei durch ein Gangsystem verbundene Kammern, die heute als Felsenkammer, Königinnenkammer und Königskammer bezeichnet werden. Die gut 30 m unter Bodenniveau liegende Felsen­ kammer blieb unvollendet. Ihre Funktion konnte bislang nicht genau ermittelt wer­ den, möglicherweise sollte sie eine sym­ bolische Entsprechung des chthonischen Herrschaftsbereiches der Unterweltsgötter Sokar, Ptah oder Osiris sein, wobei die bei­ den ersteren quasi alternative Rollenvorla­ 39

Abb. 32 Die steil aufragenden Kanten der Cheops-Pyra­ mide mit den heute freiliegenden Steinblöcken vermitteln einen Eindruck von der gewaltigen Bauleistung, die den Pyramiden zugrundeliegt.

Grabarchitektur: Auf in den Himmel – von den Mastabas zu den Pyramiden

gen für den ansonsten mit dem Sonnengott und Osiris identifizierten Pharao wären. Blickt man von der Felsenkammer den so­ genannten Absteigenden Korridor hinauf, so fällt der Blick des Nachts auf die Zirkum­ polarsterne (s. S.  22 ff.). Auch die als Luft­ schächte betitelten engen Gänge, die von der Königinnen- und der Königskammer nach außen streben, wiesen im Alten Reich auf der Nordseite der Pyramide in Richtung des Sternes Alpha Draconis (vgl. Abb. 13), der zur Zeit der Pyramidenbauer der Himmels­ pol war, eine Position die heute unser Po­ larstern einnimmt (dieser Wechsel ist eine Folge der als Präzession bezeichneten kon­ tinuierlichen Richtungsänderung der Erd­ achse). Auf der Südseite zeigten die entspre­ chenden Schächte in Richtung des mit Osiris identifizierten Sternbildes Orion und dem mit Isis in Verbindung gebrachten Sirius. Die Königinnenkammer war nach heuti­ gem Kenntnisstand nicht etwa für die Bei­ setzung einer Königin vorgesehen (diese erhielten eigene, kleine Pyramiden in unmit­ telbarer Nähe der Cheops-Pyramide). Das Vorhandensein einer mehr als 4 m hohen ge­ kragten Nische spricht vielmehr dafür, dass an dieser Stelle eine rund 4 m hohe Statue des Cheops aufgestellt und die Kammer so­ mit als Serdab genutzt werden sollte. Ser­ dabs sind komplett verschlossene Kammern, in denen Statuen der Verstorbenen aufge­ stellt wurden. Diese standen mit dem Ka in Verbindung, der als einer Art seelischem Dop­ pelgänger personifizierten Lebenskraft des Verstorbenen. Die Königinnenkammer hatte daher wohl keine Funktion als Grabkammer, sondern besaß mythologisch-religiöse Bedeu­ tung (Abb. 33). Die Königskammer liegt rund 40 m über dem Bodenniveau des Plateaus und besticht durch ihre elegante Schlichtheit (Abb. 34). Sie misst 10,49 m mal 5,24 m und weist eine Höhe von 5,84 m auf. Sie ist passgenau mit polierten Rosengranitblöcken ausgekleidet. Der Sarkophag des Pharao besteht aus dem­ selben Material. Er steht an der Westseite der Kammer, genau auf der Nord-Süd-Mittel­ linie der Pyramide. Die Kammer verfügt über eine besondere Akustik, die jedes Geräusch stark verstärkt. Da die alten Ägypter sich das

Abb. 33 Die gekragte Nische in der Königinnenkammer sollte vermutlich eine überlebensgroße Statue des verstorbenen Herr­ schers aufnehmen.

Abb. 34 Die Königskammer der Cheops-Pyramide be­ sticht durch ihre Schlicht­ heit und die leicht glän­ zenden, polierten Blöcke aus Rosengranit.

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Die Grabanlagen des Alten Reiches

Totenreich als «Land des Schweigens» vor­ stellten, greift die architektonische Gestal­ tung der Kammer diesen Gedanken mögli­ cherweise mit ihrer auditiven Wirkung auf, indem auch leichte Störungen dieser natürli­ chen Stille bereits aufschrecken und als «sa­ krileghafter» Frevel erscheinen. Um die Cheops-Pyramide herum wurden insgesamt fünf Bootsgruben gefunden (zwei weitere bei den Königinnenpyramiden). Zwei der Gruben waren noch ungeöffnet, und es konnten daraus vollständige, zerlegte Barken geborgen werden. Eine dieser Barken wurde aufgebaut und restauriert und wird seitdem in einem eigens geschaffenen Museum nahe der Pyramide ausgestellt (Abb. 35). Die Be­ deutung der voll funktionsfähigen Schiffe ist nicht abschließend geklärt. Zu vermuten ist, dass sie im Zusammenhang mit der Jenseits­ reise des Pharao stehen und ihm dazu dienen sollten, im Gefolge des Sonnengottes über die himmlischen Gewässer zu fahren. Mo­ dellboote mit diesem Zweck finden sich auch noch im Neuen Reich, so z. B. im Grabschatz des Tutanchamun (Abb. 36). Die Cheops-Pyramide weist die drei ty­ pischen, mythologisch motivierten Achsen auf, die für die Pyramidenarchitektur kenn­ zeichnend sind: erstens die vertikale Achse. Sie durchläuft die Pyramidenspitze und ver­ weist auf den Himmel, der im Alten Reich das Jenseits beherbergte. Zweitens die NordSüd-Achse, die den Verlauf des lebensspen­ denden Nil nachzeichnet und im Pyramiden­ bau durch den an der Nordseite gelegenen Eingang, der sich südwärts Richtung Grab­

kammer erstreckt, umgesetzt ist. Dieselbe Achse verweist außerdem im Norden auf die Zirkumpolarsterne und im Süden auf Orion und Sirius. Drittens die Ost-West-Achse, die parallel zur scheinbaren Bewegung der Sonne über den Himmel verläuft. Passend dazu wurde bereits bei den Pyramiden des

Abb. 35 Die bei der Cheops-Pyra­ mide gefundene 43 m lange Barke aus Zedernholz wurde aus 1224 Einzel­ teilen rekonstruiert.

Abb. 36 Das im Grab des Tutanch­ amun gefundene Modell einer Sonnenbarke ist 155 cm lang und besteht aus stuckiertem und vergoldetem Holz.

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Exkurs: Die Himmelsfahrt des Pharao

Snofru (s. o.) der Totentempel von seinem ursprünglichen Platz auf der Nordseite auf die Ostseite der Pyramide verlegt. Die großen Pyramiden von Gizeh markie­ ren den Höhepunkt der Pyramidenarchitek­ tur. Spätere Pyramiden sind weniger hoch, und es ist eine Abnahme in der Kunstfertig­ keit der Ausführung der verschiedenen Arbei­ ten zu beobachten. Nichtsdestoweniger blieb die Form der Pyramide dauerhaft im Toten­ kult der alten Ägypter verankert. Im Neuen Reich legten die Könige ihre Begräbnisstätten in dem von einer natürlichen Felspyramide überragten Tal der Könige (s. S. 71 f.) an, ver­ mutlich eine Rückbesinnung auf die Bautra­ ditionen des Alten Reiches. Zugleich hielt das Pyramidenmotiv in die Privatgräber hochge­

stellter Beamter in Theben-West Einzug, wo sich kleine Pyramiden auf den Totenopferka­ pellen finden. Häufig sind in diese ­Pyramiden Nischen eingearbeitet, in die kleine Statuetten (Stelophore) des Grabeigners eingestellt wur­ den. Diese halten Inschriftentafeln mit Lob­ preisungen des Sonnengottes. Sie jubilieren über den Wiederaufgang des Schöpfers und seine immer wiederkehrende Erneuerung in den Jenseitsgefilden. Die Pyramide bewahrte ihre herausragende Bedeutung für den altä­ gyptischen Jenseitsglauben also bis weit über die klassischerweise als Zeit der Pyramiden­ bauer gesetzten zeitlichen Grenzen des Alten Reiches hinaus und fungierte weiterhin als ein Mittler zwischen beiden Sphären – der der Le­ benden und der der Toten.

Exkurs: Die Himmelsfahrt des Pharao

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ie Pyramidentexte gewähren Einblick in das Jenseitsschicksal eines Einzelnen – des Pharao. Wenn der König stirbt, beginnt sein Aufstieg in die himmlische Sphäre, die Heimstatt der Götter. Es eröffnen sich ihm verschiedene Wege und Möglichkeiten, durch die er an sein Ziel gelangen kann. Eines da­ von ist die Formwandlung: Dazu verwandelt sich der verstorbene König in Tiere, wie z. B. Vögel, die den alten Ägyptern aufgrund ihrer Flugfähigkeit besonders geeignet schienen, diese Herausforderung zu meistern. Alterna­ tiv konnte sich der Verstorbene unterschiedli­ cher Naturgewalten bedienen und beispiels­ weise den Sturmwind für sich nutzen. Der folgende Pyramidenspruch verdichtet den Himmelsaufstieg des Unas zu einem raschen Siegeszug – den dieser auch den Tieren und Wetterphänomenen zu verdanken hat, die er als Transportmittel nutzt: «Die Erde wird für ihn [Unas, d. V.] in Treppenstufen hinauf zum Himmel geschlagen, sodass er auf ihnen zum Himmel hinaufschreiten kann, und er steigt auf einer großen Wolke auf. Er fliegt fort, die­ ser Unas, als eine Gans, er leuchtet auf als ein Skarabäus auf dem leeren Thron, der in dei­ nem Boot steht, oh Re» (PT 365 f.; Abb. 37). 42

Auch Götterfiguren standen zur Identifi­ kation bereit und konnten den Aufstieg des Königs befördern, sofern er nicht – dann wohl im Wesentlichen in seiner menschli­ chen Gestalt – den Weg über eine Treppe oder eine Leiter wählte. PT 390 erklärt kurz und pragmatisch: «Unas steigt die Leiter hi­ nauf, die sein Vater Re für ihn gemacht hat». Die wortwörtliche «Erhöhung» des verstor­ benen Herrschers wird dabei auch für eine sozial-hierarchische Aussage genutzt, indem verdeutlicht wird, dass er im Tod selbst zu einem Gott wird, sein bereits göttliches Amt auf Erden damit also noch einmal eine Stei­ gerung erfährt. Interessant ist, dass trotz der Fremdartigkeit der jenseitigen Sphäre dies­ seitige soziale Umgangsformen und Struktu­ ren in sie hineinprojiziert werden. So huldigt die Göttin Nephthys dem verstorbenen König, nachdem er sich seinen Feinden gestellt hat und als Sieger hervorgegangen ist, als «größ­ ter Herrscher in seinem großen Königreich» (PT 203). PT 582 beschreibt eine himmli­ sche Audienz, in der das Verhalten der Anwe­ senden dem derer auf Erden ähnelt: Auf ei­ nen Wink des Herrschers hin, der auf seinem Thron sitzt, erheben oder setzen sie sich.

Die Grabanlagen des Alten Reiches

Abb. 37 Der die Sonnenscheibe vor sich herschiebende Skarabäus verkörpert die Morgenform des Sonnen­ gottes, hier eine Darstellung am Horus-Tempel von Edfu (Ptolemäerzeit).

«Er [Pharao Unas, d. V.] wird mehr den beiden Neunheiten vorstehen als der, der den beiden Neunheiten vorsteht, er sitzt auf seinem sicheren Thron, sein Zepter glitzert in seiner Hand. Wenn Unas seine Hand in Richtung der Kinder ihrer Väter [= Ges­amtheit der Vorfahren des Königs, d. V.] erhebt, so stehen sie für ihn auf. Wenn er seine Hand in ihre Richtung absenkt, so setzen sie sich nieder».

Szenen wie diese unterstreichen, dass der verstorbene König seine Herrscherrolle un­ eingeschränkt auch im Jenseits ausüben will. Zugleich erfährt Unas mit seinem Himmels­ aufstieg auch eine tiefgreifende Verwand­ lung. PT 221 berichtet: «Wie angenehm ist Dein Zustand! Du wirst zu einem Ach-Geist, o Unas, inmitten Deiner Brüder, der Götter. Wie verändert, wie verändert Dein Zustand ist!». Unas ist heimgekehrt, so suggeriert dieser Text, heimgekehrt in die Gemeinschaft der Götter, deren oberster er ist. «Die Herrlich­ keit des Unas ist im Himmel, seine Macht ist im Horizont wie die seines Vaters Atum, der ihn geschaffen hat. Er hat ihn aber geschaf­ fen, so dass er mächtiger ist als er» (PT 395), berichten die Pyramidentexte (Abb. 38). Doch die freudige Atmosphäre trügt, wie ein an­

derer Spruch lehrt, der unter dem program­ matischen (modernen) Namen «Kannibalen­ spruch» bekannt geworden ist (nachfolgend Auszüge aus PT 273 f.) Er schildert, wie der verstorbene König auf seinem Weg Men­ schen wie Götter tötet und verschlingt, um sich ihre Kräfte einzuverleiben. «Der Himmel ist bewölkt, die Sterne ver­ dunkelt, die (Himmels­)Bögen wanken, die Knochen des Erdgottes Aker zittern, [dann] schweigen die Bewegungen, wenn sie Unas erscheinen sehen, machtvoll wie ein Gott, der von seinen Vätern lebt und der sich von seinen Müttern ernährt. [....] Unas ist der, der Menschen frisst und der von Göttern lebt […]. Unas ist es, der ihre Zauber­kräfte frisst, der ihre Geister­ kräfte verschlingt. [....] Wer von ihm ge­ funden wird auf seinem Weg, den frisst er auf Stück für Stück. Der Platz des Unas ist an der Spitze aller Edlen, die im Hori­ zont sind. Unas ist der Gott, der älter ist als die Ältesten. [....] Die Lebenszeit des Unas ist die Ewigkeit, seine Grenze ist die Unendlichkeit […].»

Der viel diskutierte Spruch beinhaltet über dieses Zitat hinaus eine Fülle z. T. drastischer 43

Exkurs: Die Himmelsfahrt des Pharao

Abb. 38 Pharao Sesostris I. (12. Dy­ nastie; links) umarmt den Gott Atum (rechts). Beide sehen bei flüch­ tigem Hinsehen fast iden­ tisch aus, wodurch ihre Gleichstellung betont wird.

Formulierungen, in denen die Tötung der Menschen bzw. Götter detailliert beschrie­ ben wird. Anders als manchmal gemutmaßt handelt es sich nicht um eine Schilderung re­ aler Kannibalismusriten im alten Ägypten. Stattdessen sollen metaphorische Überhö­ hungen das Ausmaß dessen ausdrücken, was durch den überlebensgroßen Akt der Wand­ lung des verstorbenen Pharao geschieht. Dies konnte in den Augen der alten Ägypter möglicherweise nur durch in ihrer Brutalität archaisch anmutende Bilder zum Ausdruck gebracht werden. Diese Vermutung lässt sich dadurch untermauern, dass im Anschluss an die Schilderung des Verschlingens der Göt­

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ter im gleichen Tonfall berichtet wird, dass der Verstorbene auch «die Rote Krone geges­ sen [und] […] die Papyrusfarbe [Krone, d. V.] verschlungen» habe. Es geht daher offen­ sichtlich weniger um das tatsächliche phy­ sische Verspeisen als um die metaphysische Übernahme der mentalen Kräfte des Gegen­ übers. Dies bestätigen die Texte, in denen es heißt, dem Verstorbenen könne seine im Jen­ seits erreichte Position nun nicht mehr ge­ nommen werden, «nachdem er die Erkenntniskraft eines jeden Gottes verschlungen hat [Hervorhebung durch d. V.]». Die zum Himmel aufstrebende Pyramide ist mit ihrer monumentalen Erscheinung, ihrer Unnahbarkeit und Verschlossenheit in die flache Landschaft der Wüste gestellt und nicht zu übersehen, was sie zu einem angemessenen architektonischen Ausdruck des Himmelsaufstiegs des bereits zu Leb­ zeiten überlebensgroßen Herrschers macht. Nie wieder ist die Macht des Pharao im al­ ten Ägypten so umfassend, so vollständig auf den König konzentriert wie zur Zeit des Al­ ten Reiches. Die Lokalisierung der jenseiti­ gen Regionen am und im Himmelsgewölbe ist kennzeichnend für diese Epoche. Dabei können der Tag- und auch Nachthimmel ei­ nerseits als Körper der Göttin Nut verstan­ den werden, an bzw. in dem die Fahrtroute des Sonnengottes entlang führt (Abb. 39), andererseits ist in gleichem Maße die Vor­ stellung des Himmels als einem Gewässer präsent, einem Gegenstück des irdischen Nil oder einem Abbild des Urozeans Nun. Beide Motive erklären, warum der Sonnengott sich auf seiner Himmelsfahrt auf einer Barke fort­ bewegen kann. Unter dem immer stärker werdenden Ein­ fluss der heliopolitanischen Mythologie um den Sonnengott Atum bzw. Re rückt das so­ lare Jenseits verstärkt in den Blickwinkel der Pyramidentexte, wenn auch zunächst der Os­ ten als Ort der morgendlichen Wiedergeburt des Gottes von größerem Interesse ist als die im Westen befindliche Region des Sonnen­ untergangs. Die Orientierung hin zu den so­ laren Aspekten der Nachtfahrt drängt die ältere Vorstellung vom Himmelsaufstieg zu den «Unvergänglichen Sternen» allmählich in den Hintergrund, ohne dass dieses Motiv

Die Grabanlagen des Alten Reiches

Abb. 39 Die Tag- und die Nacht­ barke des Sonnengottes fahren am Leib der Himmelsgöttin Nut entlang, die sich über den am Boden liegenden Erdgott Geb beugt (Neues Reich).

jemals ganz aufgegeben wird. Die mythologi­ sche Neuorientierung wird auch architekto­ nisch nachvollzogen, indem der ursprünglich auf der Nordseite der Pyramide befindliche – und damit auf die Zirkumpolarsterne ausge­ richtete – Totentempel auf die Ostseite, Rich­ tung Sonnenaufgang, verschoben wird. Der seit der 4. Dynastie bezeugte Titel des Königs als «Sohn des Re» (s. S. 22) baut seine Anbindung an den Sonnenmythos nachhaltig aus. Das Wirken des Sonnengottes erstreckt sich auf das Diesseits, wo er den Lebenden Licht und Leben spendet, ebenso wie auf das Jenseits, wo er dieselbe Funktion erfüllt und die Verstorbenen allnächtlich aus ihrer Mu­ mienstarre erweckt und ihnen neues Leben schenkt. Die Figur des Gottes Re ist in der alt­ ägyptischen Mythologie vielleicht mehr als alle anderen Götter nach dem Vorbild pha­ raonischer Herrschaft gestaltet und somit eine ideale Identifikationsfigur für den ver­ storbenen König. So tritt neben den Aufstieg zu den Sternen die Aufnahme in die Entou­ rage des Re (im folgenden Zitat steht «N.» als Platzhalter für den Namen des Verstorbe­ nen): «N. steigt in den Himmel auf, um Leben und Freude zu finden. N. steigt in die Barke

des Re ein, um Leben und Freude zu finden. N. befehligt für ihn [Re, d. V.] die Götter, die ihn transportieren. Jeder Gott soll beim An­ blick N.s in Jubel ausbrechen, genauso, als wenn Re erscheint, wenn er an der Ostseite des Himmel hervortritt, in Frieden, in Frie­ den» (PT 922-23). Neben dieser Stellvertre­ terfunktion ist auch die vollkommene Iden­ tifizierung mit dem Sonnengott denkbar. «Du [gemeint ist der verstorbene König, d. V.] sollst dich selbst auf diesen Thron des Re setzen, sodass du die Götter befehligen mö­ gest, denn du bist wahrlich Re, der aus Nut hervorkommt, die Re jeden Tag aufs Neue ge­ biert» (PT 1688). Auf dieser Grundlage ist nachvollziehbar, warum sich die Beziehung des verstorbenen Königs zum Sonnengott in verschiedenen Abschnitten der Pyramidentexte so unter­ schiedlich darstellt. Stets steht dabei jedoch sein Wunsch im Mittelpunkt, sich in den täg­ lichen Sonnenlauf einzureihen, um so am Wunder der Erneuerung zu partizipieren. Wie in den Jenseitstexten der nachfolgen­ den Epochen wird bereits in den Pyramiden­ texten der Übergang in das Jenseits als ein zurückzulegender Weg verstanden. Eine aus­ 45

Exkurs: Die Himmelsfahrt des Pharao

gibt keinen Ankläger gegen Unas unter den Lebenden, es gibt keinen Ankläger ge­ gen Unas unter den Toten. [....] Wenn du Unas nicht übersetzt, so wird er aufsprin­ gen und sich auf den Flügel Thots setzen. Es ist Thot, der ihn dann auf die andere Seite übersetzen wird›» (PT 383-87; Abb. 40).

Abb. 40 Ibis und Pavian wurden dem Gott Thot als Tiere zugeordnet. In den Pyramidentexten ist der sonst v. a. als Gott der Weisheit und der Schrei­ ber verehrte Thot auch ein Gott des Westens und damit des Totenreiches.

gearbeitete Topographie, wie sie in den Unter­ weltsbüchern des Neuen Reiches perfektio­ niert ist (s. S. 82 ff.), liegt allerdings noch nicht vor. Der Verstorbenen muss jedoch – wie auch in den späteren Jenseitstexten des Mittleren und Neuen Reiches – immer wieder Aufgaben lösen, in denen sein Wissen über die jensei­ tigen Regionen und ihre Bewohner auf dem Prüfstand stehen. Diese Prüfungen dienen dazu, seine Würdigkeit unter Beweis zu stel­ len. Freies Geleit auf den gefahrvollen Wegen der Dat ist dabei ein zentrales Thema. Auch Pharao Unas muss manchmal Überredungs­ kunst walten lassen, um voranzukommen. Doch er hat auch ein Ass in Form eines «Zau­ berspruches» aus den Pyramidentexten im Ärmel, falls er z. B. den offenbar eher unwil­ ligen Fährmann, der ihn ins Jenseits überset­ zen soll, nicht zur Kooperation bewegen kann. «Worte zu sprechen: ‹Erwache in Frieden, du dessen Gesicht nach hinten gewandt ist, in Frieden, Rückwärtsschauer, in Frie­ den, Fährmann des Himmels, in Frieden, Fährmann der Nut, in Frieden, Fährmann der Götter, in Frieden. Unas kommt zu dir, so dass du ihn in dem Fährboot übersetzt, mit dem du die Götter übersetzt. [....] Es

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Die Freiheiten des verstorbenen Königs im Jenseits sind potenziell grenzenlos. Er steht an der Spitze der Götter, alles ist ihm zu Wil­ len. In PT 217 werden die Götter der vier Him­ melsrichtungen angerufen, die Ankunft des Unas zu verkünden. Hier herrscht ein fried­ volles Miteinander, der «Kannibalenspruch» scheint weit entfernt. In der für das altägyp­ tische Weltverständnis typischen Vater-SohnKonstellation treten der Schöpfergott und der Pharao einvernehmlich Seite an Seite auf. Vollkommener als dort könnte der Machtan­ spruch des Verstorbenen im Jenseits kaum formuliert sein. «Osiris und Isis, eilt euch! Verkündet den Göttern des Nordens und ihren Geistern: Er kommt wahrhaftig, dieser Unas, ein Unvergänglicher, wie der Verehrte (Stern) über dem Nil, sodass die Geister des Was­ sers ihm Ehre erweisen. Von dem, dass er will, dass er stirbt, der stirbt. Von dem, dass er wünscht, dass er lebt, der lebt. Re-Atum, dieser Unas kommt zu dir […]. Dein Sohn kommt zu dir, dieser Unas kommt zu dir, sodass ihr den Himmel, durchwandern könnt, vereint in der Dun­ kelheit, und dass ihr euch erheben könnt am Horizont an dem Ort, der euch gefällt» (PT 155-56).

Die in den Pyramidentexten formulierten mytho­logischen Gedanken entwickelt das Mitt­ lere Reich weiter und baut auf ihnen ein neues Jenseitskonzept auf, in dem sich das Totenreich auch für nicht-königliche Personen öffnet und das in neuen Texten und neuen architektoni­ schen Formen seinen Ausdruck findet.

DIE GRABANLAGEN DES MIT TLEREN REICHES Einführung: Die neue Liberalität des Jenseits

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ie wichtigste Weiterentwicklung des alt­ ägyptischen Toten- und Jenseitsglau­ bens findet im Mittleren Reich nicht in den königlichen Grabanlagen statt, sondern in den Gräbern der Privatleute, zu denen auch Priester und hohe Beamte, also die Ober­ schicht der altägyptischen Bevölkerung, zäh­ len. Die Texte, in denen diese neuen Konzepte und Ideen ihren Ausdruck finden, werden nach ihrem Anbringungsort summarisch als Sargtexte (s. S.  54 ff.) bezeichnet. Die Texte etablieren sich im Mittleren Reich schnell als dominierende Jenseitsliteratur. Ein wichtiger Unterschied zu den Pyramidentexten besteht in der Betonung der unterirdisch-westlichen Regionen des Totenreiches im Gegensatz zu den himmlisch-nördlichen und östlichen Sphären des royalen Jenseits im Alten Reich. Auch eine inhaltliche Verschiebung hin zu dem Totengott Osiris, dessen Kult sich in der 5. Dynastie auszubreiten beginnt und rasch an Bedeutung gewinnt, gehört zu den we­ sentlichen Neuerungen der Jenseitstexte des Mittleren Reiches. Bedeutsamer noch als diese Veränderun­ gen ist jedoch eine ethische Neuausrichtung, die nachfolgend prägend für das gesamte alt­ägyptische Verständnis von Tod und Re­ generation der Verstorbenen, von diesseiti­ ger und jenseitiger Lebensführung wird und diese Bedeutung bis an das Ende des Pha­ raonenreiches behält: Es findet eine Mora­ lisierung des Totenreiches statt. Die Unter­ scheidung zwischen Gut und Böse, zwischen einem Ma’at-gerecht geführten Leben und einem, dem es an Ma’at mangelte, wird zum entscheidenden Aspekt bei der Frage, ob ein Verstorbener in das paradiesische Jenseits eingehen durfte oder ob er dem zweiten, endgültigen Tod überantwortet wurde, bei dem sein Selbst endgültig ausgelöscht wurde (s. S. 81). Dieser jenseitige Rechtsfertigungs­

prozess der Toten wurde von den alten Ägyp­ tern kongenial in einem einzelnen Bild ver­ dichtet: dem des Totengerichts des Osiris. Diese hochkomplexe Darstellung, in gewis­ ser Weise ein Kondensat der altägyptischen Weisheitslehren und Totentexte, erklärt, wa­ rum es in den Sargtexten sehr viel mehr als in den vorausgegangenen Pyramidentexten um den Wunsch des Verstorbenen geht, zu einem Ach, einem Verklärten, zu werden: Der Ach hatte vor dem Totengericht Rechtferti­ gung erfahren und durfte sich auf ein sor­ genfreies Leben im paradiesischen Jenseits freuen. Die zunehmende Liberalisierung des Jen­ seits findet ihren Ausdruck darin, dass der Eingang in das Totenreich nicht mehr allein dem Pharao vorbehalten war. Unabhängig von ihrem sozialen Status mussten alle Ver­ storbenen vor das Totengericht treten und hatten damit die Chance auf ein glückseli­ ges Weiterleben im Jenseits – doch der Weg in dieses Elysium öffnete sich nur für den, der die moralische Prüfung vor den Rich­ tern und dem Herrscher des Totenreiches bestand (Abb. 41). Für die, die den Anforde­ rungen an ein Ma’at-gerechtes Leben nicht gerecht wurden, ersannen die alten Ägyp­ ter drastische, höllisch anmutende Straforte und -methoden, durch die die Identität des Verstorbenen aufgelöst und er so zum NichtSein verdammt wurde. Die Jenseitsliteratur des Mittleren Reiches erwies sich dabei als inhaltlich stilbildend für alle nachfolgenden Texte dieser Gattung. Im Mittleren Reich stand nun für alle Ver­ storbenen die Idee des Todes als einer rite de passage im Vordergrund. Den aus den priva­ ten Grabanlagen heraus entstehenden neuen Jenseitsglauben hat Jan Assmann zu Recht als einen Weltbildwandel bezeichnet. Die Gräber des Mittleren Reiches etablieren darüber hi­ 47

Einführung: Die neue Liberalität des Jenseits

Abb. 41 Darstellung des Toten­ gerichts aus dem Toten­ buch des Ani (links, in Begleitung seiner Frau). Sein Herz (linke Waag­ schale) wird gegen die Feder der Ma’at (rechte Waagschale) aufgewogen (19. Dynastie).

naus eine vorher nicht gekannte Möglichkeit der Verbindung zwischen den Sphären der Lebenden und der Toten. Die nicht-königli­ chen Verstorbenen waren mit Blick auf ihren Aufenthaltsort nicht mehr auf den umgrenz­ ten Bereich ihrer Grabanlage beschränkt, sondern konnten diesen überschreiten und stärker an diesseitigen Ereignissen teilha­ ben. Dies trifft in besonderem Maße auf reli­ giöse Feste zu, in deren Kontext sich nach alt­ ägyptischer Vorstellung die diesseitige und die jenseitige Sphäre durchdrangen und die Grenze zwischen beiden Bereichen fließend war (Abb. 42). Religiöse Festtage waren von alters her die Zeiten, in denen allen Ägyptern eine außergewöhnliche Form der Gottes­ nähe möglich war. An diesen Tagen offenbar­ ten sich die Götter den Menschen in Gestalt ihrer Statuen, denen sie auf dem Festzug ein­ wohnten. Nun erweiterte sich diese Begeg­ nung auch auf die Verstorbenen: In der heili­ gen Zeit des Festes konnten die Toten wieder an der Welt der Lebenden teilhaben. Entsprechend dieses neuen Verständnis­ ses der jenseitigen Existenz veränderten sich die in den Grabinschriften verwendeten Formulierungen. Sowohl in der Ersten Zwi­ schenzeit als auch im Mittleren Reich spre­ chen die Texte häufig von «jenem Ort, an

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dem ich bin» oder «in jenem heiligen Land, in dem er sich befindet». Sie deuten an, dass der Verstorbene sein Grab unter bestimmten Voraussetzungen verlassen konnte (im To­ tenbuch des Neuen Reiches, das passend den altägyptischen Titel «Buch vom Herausgehen am Tage» trägt, wird dieser Gedanken für die frei bewegliche Ba-Seele weiter ausgearbei­ tet; s. S. 111). Das Reich der Toten findet auf diese Weise Zugang zur Welt der Lebenden und entwickelt sich in gewisser Weise zu ei­ ner fast nahtlosen Fortsetzung des irdischen Daseins, in dessen Rahmen die Verstorbenen in Form der Festakte aktiv in das diesseitige Geschehen integriert sind. Man geht üblicherweise davon aus, dass es sich bei der Aufweitung des Zugangs zum Jenseits tatsächlich primär um eine Demokra­ tisierung (oder Demotisierung) des Jenseits­ glaubens handelte. In der Folge des durch die Erste Zwischenzeit verursachten Umbruchs und dem Absinken der königlichen Autorität erhielt ein größerer Personenkreis Zugang zu den jenseitigen Gefilden bzw. zu den Texten, die auf dem Weg dorthin leiten. Die Sargtexte (s. S.  54 ff.), die in nicht-königlichen Särgen des Mittleren Reiches gefunden wurden, sind dafür ein klar greifbares Beispiel. Es ist hin­ gegen nicht gesichert, welche Texte in dieser

Die Grabanlagen des Mittleren Reiches

Abb. 42 Auszug des Gottes Amun in seinem Barkenschrein während des Opet-Festes im Tempel von Karnak, Theben (künstlerische Darstellung).

Zeit für königliche Bestattungen genutzt wur­ den, da es aus diesem Kontext kaum erhalte­ nes Quellenmaterial gibt. Der Begriff «Demokratisierung» ist trotz seiner häufigen Verwendung in diesem Kon­ text mit Vorsicht zu gebrauchen, da er ein Ausmaß der Aufweitung der Textnutzung und -verfügbarkeit suggeriert, die kaum der Wirklichkeit entsprochen haben dürfte. Die aufwendigen und mit hoher Kunstfertigkeit beschrifteten und dekorierten Särge konn­ ten sich sicherlich nur die Angehörigen der neuen Oberschicht der altägyptischen Ge­ sellschaft leisten, also eine vergleichsweise kleine, elitäre Gruppe. Eine weitere Beschrän­ kung besteht darin, dass nur etwa 1 % der damaligen altägyptischen Bevölkerung al­ phabetisiert war, denn nur dieser Personen­ kreis hätte die auf die Innenseiten der Särge geschriebenen Texte lesen und so im Jenseits für sich nutzen können. Daher bleibt der Zu­ gang zu den Sargtexten letztlich einschränkt und ist in der praktischen Verfügbarkeit tat­ sächlich weiterhin nur einem exklusiven Per­ sonenkreis zugänglich. Andere Überlegungen gehen davon aus, dass die zu beobachtende inhaltliche Wei­ terentwicklung der zugrundeliegenden reli­ giösen Vorstellungen nur zufällig mit einer eigentlich entscheidenden anderen Entwick­

lung zusammenfällt: dem Übergang von ei­ ner vergänglichen zu einer dauerhaften Prä­ servierung privater Totentexte. Die These beruht auf der Annahme, dass der private Jenseitsglauben bereits parallel zu den Py­ ramidentexten vorhanden, aber anders als diese nicht dauerhaft schriftlich belegt war. Sie geht weiter davon aus, dass erst mit der Aufzeichnung in den Särgen des Mittleren Reiches eine Notierungsform genutzt wurde, die die Jahrtausende überdauerte und ar­ chäologisch greifbar wird. Vor diesem Hin­ tergrund wäre die Fragestellung an den Ur­ sprung der Sargtexte eine andere: Statt davon auszugehen, dass diese Ergebnis einer teil­ weisen Übernahme bzw. Überarbeitung der älteren, royalen Pyramidentexte seien, die am Ende der Ersten Zwischenzeit in Folge eines Status- bzw. Autoritätsverlustes des Pharao auch von Privatleuten für sich bean­ sprucht wurden, könnten sie auch Ausdruck gewachsener privat-religiöser Inhalte sein, die erst durch ihre Anbringung auf den Sär­ gen des Mittleren Reiches für uns sichtbar werden (und vorher ggf. nur mündlich über­ liefert worden waren). Aufgrund des identi­ schen mythologisch-kulturellen Ursprungs wären ihre bestehenden inhaltlichen Kon­ gruenzen mit den Pyramidentexten nicht verwunderlich. 49

Lokalisierung: Der «schöne Westen» – das solare Jenseits

Die gesellschaftlichen Umwälzungen der Ersten Zwischenzeit mit ihren zerstöreri­ schen Folgen – machtpolitischer ebenso wie ethischer und religiöser Natur – gingen auch an der Nekropolenanlage auf dem Gizeh-Pla­ teau nicht spurlos vorbei, die mit den drei gro­ ßen Pyramiden bis heute den Inbegriff der alt­ ägyptisch-funerären Architektur des Alten Reiches darstellt. Der Totenkult, der dort wie überall in Ägypten bis in alle Ewigkeit vollzo­ gen werden sollte, brach zusammen – und mit ihm die herrschenden Jenseitsvorstellungen. Zu Beginn des Mittleren Reiches treten diese mit ähnlichen, aber doch neu akzentuierten Inhalten und neuen Rahmenbedingungen in den Sargtexten wieder hervor. Das grundsätz­ liche Bemühen um eine Annäherung an die königliche Vorstellungswelt als Ideal der Jen­ seitsreise ist nachvollziehbar in den Texten zu finden. Es spiegelt sich auch in der Grabarchi­ tektur wieder, die Privatpersonen ebenfalls erst zeitverzögert Zugang zu königlich-fune­ rären Bauformen gestattete, wenn diese von den Herrschern aufgrund der Entwicklung und Bevorzugung neuer Bauformen aufgege­

ben wurden (dies gilt z. B. für die Pyramiden­ form, s. S. 54). Die Triebfeder und Richtung der Entwicklung für die Privatgrabarchitektur lässt sich aus dieser Beobachtung unmittelbar ableiten: Sie strebt dem nach, was zu Beginn der Pharaonenzeit den Königen vorbehalten war – die Einbindung in die Götterwelt. So kommt es, dass sich – obwohl die Bauform der Pyramide auch im Mittleren Reich noch exklusiv für die königliche Grabarchitektur reserviert ist – die Sargtexte als formal und in­ haltlich den Pyramidentexten vergleichbare und sogar zum Teil identische Textsammlung plötzlich auf den Innen- und Außenwänden der Särge wohlhabender Privatpersonen wie­ derfinden. Die entscheidende Veränderung in der Jenseitsmythologie und damit einhergehend der Jenseitstexte des Mittleren Reiches ist eine topographische Neuorientierung des Jenseits, die wiederum auf einer Neubewer­ tung der himmlischen und horizontischen Regionen im Zusammenhang mit der Fahrt des Sonnengottes und dem Reich des Toten­ gottes Osiris beruhte.

Lokalisierung: Der «schöne Westen» – das solare Jenseits

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er Westen ist schon in den frühesten Jenseitstexten als Land der Toten greif­ bar. Aus diesem Grund liegen die großen Be­ gräbnisstätten auf der Westseite des Nil und darum finden sich in diversen prähistori­ schen Gräbern die Körper der Verstorbenen mit dem Gesicht Richtung Westen gewandt zur Ruhe gebettet. Mit dem Beginn der dy­ nastischen Zeit zeichnet sich die Hinwen­ dung zum Osten als Ort des Wiederaufgangs der Sonne und damit Ausdruck der jenseiti­ gen Auferstehungshoffnung der alten Ägyp­ ter ab. Die Toten wurden nun überwiegend mit Kopf und Gesicht in Richtung Osten nie­ dergelegt. In den Pyramidentexten ist ent­ sprechend eine gewisse Skepsis dem Wes­ ten gegenüber zu bemerken, PT 2175 warnt den Verstorbenen sogar vor den dort liegen­ den Gewässern: «Gehe nicht an den Wasser­ läufen des Westens entlang, die, welche dort­ 50

hin gehen, sie kehren nicht wieder. Gehe du entlang dieser Wasserläufe des Ostens, un­ ter den Gefolgsleuten des Re, der seinen Arm im Osten erhebt». In den Privatgräbern je­ ner Zeit wird der Westen hingegen bereits als «schöner Westen» bezeichnet, auf dessen «schönen Wegen» der Verstorbene zu wan­ deln wünschte. Während der Begriff «Westen» vermutlich zunächst im engeren Sinne die Grabanlage meinte, weitet er sich schon bald auf und be­ schreibt eine nicht schärfer umrissene Re­ gion im Westhorizont, wo der Sonnengott jeden Abend seine Nachtfahrt beginnt und die sich zur neuen Verortung des Totenrei­ ches entwickelt (Abb. 43). Zwar spielt auch im Mittleren Reich der Osthorizont noch eine zentrale Rolle, doch stellt das Jenseits­ konzept dieser Zeit gewissermaßen ein Bin­ deglied zu den späteren Vorstellungen des

Die Grabanlagen des Mittleren Reiches

Neuen Reiches dar, in denen eine Aufwertung des Westens und ein Anstieg der Aufmerk­ samkeit und Bedeutung, die diesen Gefilden beigemessen werden, stattgefunden hat. Die­ ser Wandel beruht auf dem zunehmenden Einfluss des Osiris-Kultes, der den Westen und nachfolgend die Unterwelt allmählich zur wichtigsten Jenseitsregion macht. Im Mittleren Reich erfährt der «schöne Westen» eine Personifizierung in Gestalt der Westgöttin, die den Verstorbenen als ihren Sohn im Jenseits willkommen heißt (CT 32, wobei CT für Coffin Text steht, «N.» ist der Platzhalter für den Namen des Verstorbenen; Abb. 44). «Willkommen in Frieden, vollbringe eine gute Reise, damit ich dich in mich aufnehme!» sagt sie, die schöne Westgöttin zu diesem Osiris N. hier.

Wie um sicherzustellen, dass die freundliche Aufnahme des Verstorbenen durch die West­ göttin auch tatsächlich gelingt, wendet sich zuvor der Totenpriester direkt an Osiris und bringt den folgenden Wunsch zum Ausdruck (CT 32). «Mögest du [Osiris, d. V.] die schöne Westgöttin wissen lassen, dass er [der Verstorbene, d. V.] dein Sohn ist, den sie dir geboren hat, den sie in sich aufgenommen und geliebt hat, dein Sohn, dein Spross deiner Lenden, den du selbst geschaffen hast.»

Die wichtigste Aufgabe der Westgöttin ist – neben dem Moment der Aufnahme des Ver­ storbenen in das Totenreich  – seine Versor­ gung mit Speise und Trank. In dieser Funktion begegnet sie häufig in Gestalt der Baumgöt­ tin, die den vor ihr stehenden oder knienden Toten versorgt (Abb. 45). Ursprünglich stellt die Baumgöttin möglicherweise die Perso­ nifizierung der an das Jenseits gerichteten Wunschvorstellung ewiger, kontinuierlicher Versorgung dar, doch sie verschmilzt schon bald mit den Göttinnen Hathor und Isis, de­ ren eigene Merkmale die Figur der Baum­

göttin erweitern. Die zusätzlich zu beobach­ tende Identifizierung mit der Himmelsgöttin Nut, die zu dem Verstorbenen (in seiner Rolle als Osiris) ebenfalls in ein Mutter-Sohn-Ver­ hältnis tritt, trägt zum einen weiter zur Kon­ tur der Baum- bzw. Westgöttin bei und zeigt zum anderen die anhaltende Bedeutung der himmlischen Sphären für das neue Jenseits­ bild. Diese Verschmelzungen projizieren die Identität der Westgöttin in der anderen Rich­ tung auch auf die mit ihr zusammengeführ­ ten Göttinnen. Am häufigsten wird Hathor selbst als Westgöttin angesprochen und ist daher die dominierende Figur hinter dieser Totengottheit. Hathor entwickelte sich aus einer seit der 1. Dynastie belegten, kuhgestaltigen Göttin, die jedoch zunächst nur von lokaler Bedeu­ tung war. Ihre bereits im Alten Reich belegte Bezeichnung als «Herrin der Sykomore» stellt schon früh eine Verbindung zur Baum­ göttin dar (die Sykomore ist eine von den al­ ten Ägyptern z. B. zur Herstellung von Särgen genutzte Baumfeigenart, deren Früchte auch verzehrt wurden). Dieses Attribut nimmt 51

Abb. 43 Sonnenuntergang über dem Amun-Tempel in Karnak, Theben. Der Hori­ zont entwickelte sich im Mittleren Reich zum eigentlichen Totenreich.

Lokalisierung: Der «schöne Westen» – das solare Jenseits

Abb. 44 Die Westgöttin (rechts) empfängt den verstorbenen Herrscher im Totenreich. Darstellung aus dem Grab des Haremhab, Tal der Könige (Neues Reich, 18. Dynastie).

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Die Grabanlagen des Mittleren Reiches

Abb. 45 Wandmalerei aus dem Privatgrab des Senned­ jem, Deir el-Medina (TT 1). Der Grabeigner und seine Frau erhalten von der Baumgöttin Wasser und Lotosblüten.

Hathors folgende, vielseitige Genese vor­ weg: Sie entwickelt sich zu einer allumfas­ senden Muttergottheit, Totengöttin, Göttin der Liebe und der Schönheit und war darü­ ber hinaus attributiv mit musisch-künstle­ rischen Ausdrucksformen wie dem Tanz, der bildenden Kunst und der Musik verbun­ den. Von besonderer Bedeutung ist aber ihre Funktion als Westgöttin. Ihre ikonografische Darstellung ähnelt der der Göttin Bat (weib­ liche Form des altägyptischen Wortes Ba, das grob mit dem Begriff «Seele» übersetzt wer­ den kann), die bereits in frühdynastischer Zeit belegt ist. Nachdem Hathor und Bat ab Beginn des Mittleren Reiches vollständig miteinander verschmolzen waren, ist später ein gegenläufiger Trend zu beobachten, der die beiden Göttinnen z. T. wieder getrennt verehrt. Weitere Verschmelzungen schärfen und verschleiern zugleich das Bild der Ha­ thor weiter: So verbindet sie sich mit Isis und Amentet, die seit dem Alten Reich als Ver­ körperung des im Westen gelegenen Toten­ reiches galt. Amentet wird seit dem Neuen

Reich als Frau mit der Hieroglyphe für «Wes­ ten» auf dem Kopf abgebildet. Ihr Erschei­ nungsbild ist – abgesehen von der Hierogly­ phe auf ihrem Kopf – mit dem der Isis oder der Hathor identisch, sodass sie in der Regel als eine spezifische Erscheinungsform dieser Göttinnen angesehen wird. Isis und Hathor wiederum können beide den Titel «Herrin des schönen Westens» (nebet-imentet-nefer) tragen, der den Eigennamen der Amentet (auch Imentet) beinhaltet. In den Sargtexten wurde Amentet mit Isis gleichgesetzt. Die Verkörperung des Totenreiches als eine den Verstorbenen liebevoll empfan­ gende Muttergöttin war ein derart attrakti­ ves Motiv, dass es das gesamte Pharaonen­ reich hindurch Bestand hat. Der Tod wurde in diesem Kontext als Heimkehr inszeniert, als Rückkehr in den Schoß der Familie. Die­ ser Gedanke ist in anderer Form bereits aus dem Alten Reich bekannt, in dem der ver­ storbene Pharao als Bruder der in den Ster­ nen verkörperten Götter bezeichnet wird (s. S. 43). Darüber hinaus veranschaulicht 53

Jenseitstexte: Die Sargtexte

das emotionale Bild der Mutter-Sohn-Ver­ bindung auch die Idee der Verjüngung und Regeneration (Neugeburt aus dem mütter­ lichen Schoß), die für das altägyptische Ver­ ständnis des Jenseits zu jeder Zeit prägend ist. In gewisser Weise wird hier eine Paral­ lele zur Himmelsgöttin Nut geschaffen, die den Sonnengott am Abend verschlingt und ihn dann ihren Körper durchwandern lässt (s. S. 9). Das Nutbild endet damit, dass sie den verjüngten Sonnengott am Morgen neu gebiert, und auf dasselbe Schicksal hofft auch der Verstorbene, wenn er von der müt­ terlichen Westgöttin in die Arme geschlos­

sen wird. Wie den Sonnengott muss das so­ lare Totenreich auch ihn umfangen, um ihn zu erneuern. Trotz aller lauernden Gefahren, denen sich der Verstorbene auf seinem Weg durch das Jenseits stellen muss, ist es für ihn «schön» heimzukehren. Mit der Zeit entwickelt sich der «schöne Westen», der zunächst nur eine Bezeichnung für den Eingangsbereich des Jenseits war, daher zum umfassenden Syn­ onym für das gesamte Totenreich, dessen neue Gestalt in den Sargtexten, den dominie­ rende Jenseitstexten des Mittleren Reiches, beschrieben wird.

Jenseitstexte: Die Sargtexte

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ie summarische Bezeichnung «Sargtexte» ist ein moderner Gattungsbegriff, für den es keine altägyptische Entsprechung gibt. Sie umfasst pragmatisch die in der Zeit des Mittleren Reiches auf bzw. in den Särgen notierten Jenseitstexte, die sich insgesamt als die bestimmende funeräre Literatur die­ ser Epoche präsentieren. Die Texte wurden üblicherweise auf den Innenseiten der meist hölzernen Särge notiert, die im Mittleren Reich meist in Kastenform gestaltet waren (Abb. 46. 47). Aus dieser Platzierung ist ab­ lesbar, dass diese Texte tatsächlich für den Verstorbenen angebracht wurden, denn nur er konnte diese nach dem Verschließen des Sarges betrachten. Gleiches gilt für das häufig zu findende, am Kopfende des Sar­ ges angebrachte Augenpaar, dass es dem To­ ten er­möglichen sollte, aus dem Sarg heraus­ zuschauen (Abb. 48). Da die Dekoration der Särge – je nach Ausführung – ein kostspie­ liges Ausstattungsmerkmal war, blieben die Sargtexte weitgehend eine Entwicklung im Rahmen der Beisetzung hierarchisch hoch­ stehender Persönlichkeiten wie hohen Be­ amten und Priestern. Zu Beginn des Mitt­ leren Reiches wurden die Texte auch von weiblichen Angehörigen des Königshauses für ihre Bestattung genutzt. Das Textkorpus ist weniger inhaltlich abge­ grenzt, sondern die Bezeichnung eines Textes 54

als «Sargtext» leitet sich tatsächlich primär aus dem Ort und der Zeit seiner Anbringung ab (s. o.). Der Ägyptologe Adriaan de Buck (1892–1959), der Mitte des 20. Jhs. die da­ mals bekannten Sprüche dieser Gruppe in einer siebenbändigen Buchreihe veröffent­ lichte, schärfte mit seiner Textauswahl den Gattungsbegriff und schuf den bis heute gül­ tigen Kernkanon der Sargtexte. De Bucks Sammlung umfasst 1185 Texte; 2006 wurde die Reihe um einen achten Band erweitert. Die Entwicklung der altägyptischen To­ ten- und Jenseitsliteratur sowie die damit eng verbundene Evolution der Grabanlagen ist von einer zeitverzögerten Übernahme kö­ niglicher Texte und königlicher Architektur­ formen in den privaten Nutzungsbereich ge­ kennzeichnet. Erst wenn eine Bauform oder ein Textkorpus im königlichen Raum nicht mehr genutzt wurde, wurde ihre Verwen­ dung offenbar für den Privatgebrauch zuläs­ sig. Dies ist besonders auffällig bei der Grab­ form der Pyramide, gilt aber auch für die Textnutzung: Im Mittleren Reich ist zu beob­ achten, dass die bis einschließlich der Ersten Zwischenzeit (9.–10. Dynastie) exklusiv kö­ niglichen Pyramidentexte nun auch im priva­ ten Bestattungskontext genutzt werden und dabei in den Sargtexten aufgehen. Vor allem jüngere Sargtexte sind häufig um Glossen erweitert, die mit der Formulierung

Die Grabanlagen des Mittleren Reiches

á  Abb. 46 Sarg des Chnumhotep, 12. Dynastie. Der Holzsarg ist umlaufend mit dem Motiv der Palastfassade geschmückt. Es ahmt vermutlich die Gestaltung der Umfas­ sungsmauer des Pyramidenkomplexes Kö­ nig Djosers (3. Dynastie, s. S. 34 f.) nach.

ß    Abb. 47 Sarg des Chnumhotep, 12. Dynastie. Die Palastfassade auf dem Sarkophag wird auf allen vier Seiten umgesetzt (vgl. Abb. 46) und nur von waagerechten und senk­ rechten Bändern mit hieroglyphischen In­ schriften durchbrochen.

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Jenseitstexte: Die Sargtexte

ptr rf sw («Was bedeutet das?») eingeleitet werden. Ihre Aufgabe besteht darin, das zuvor Gesagte näher auszuführen bzw. zu erläutern und es in einen erweiterten religiösen Kon­ text zu stellen (ein ähnliches System wurde rund 3600 Jahre später von Martin Luther in seinem Kleinen Katechismus verwendet). Um diese Einschübe vom in schwarz geschrieben eigentlichen Text des Spruches abzuheben, wurden sie häufig in roter Farbe notiert (glei­ ches gilt für Überschriften oder Nachschrif­ ten). Die Sargtexte präsentieren sich damit – anders als die Pyramidentexte – als Sprüche, die von dem Verstorbenen lesend als Lektüre rezipiert werden sollen, denn nur durch die Betrachtung der Schrift können die Farbun­ terschiede wahrgenommen werden (die Pyra­ midentexte bilden dagegen gesprochene Sprache ab, die auch als solche wahrgenommen werden sollte, weshalb der Verstorbene häu­ fig dialogisch als «du» angesprochen wird). Ein häufig verwendeter Spruch, CT 335, ist nach diesem Schema aufgebaut (nachfolgend ein Auszug, Übersetzung nach Erik Hornung; schwarz: Fließtext, rot: Glosse). Ich bin der große Gott, der von selbst entstand.

Abb. 48 Sarg des Senbi, 12. Dyna­s­ tie, stuckiertes und bemaltes Zedernholz. Die vorne rechts am Kopf­ ende aufgemalten Augen erlaubten dem Verstor­ benen auf magische Weise, aus seinem Sarg herauszublicken.

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Was bedeutet das? «Der große Gott, der von selbst entstand» – Das (Ur-)Wasser ist der Urozean (Nun), der Vater der Götter. Andere Lesart: Re ist es. Der seinen Namen schuf, der Herr der Neunheit.

Was bedeutet das? Re ist das, der die Namen seiner Glieder schuf; da entstanden diese Götter, die in seinem Gefolge sind. Ich bin der, dem man nicht entgegentritt unter den Göttern.

Was bedeutet das? Atum ist das, der in seiner Sonnenscheibe ist. Andere Lesart: Re ist das, wenn er im Osthorizont des Himmels aufgeht. Ich bin das Gestern. Ich kenne das Morgen.

Was bedeutet das? Was Gestern betrifft – Osiris ist es. Was Morgen betrifft – Re ist es. Das Morgen: Das ist Re, an jenem Tage, an welchem

Die Grabanlagen des Mittleren Reiches

Abb. 49 Blick in den Sarg des Seni, Deir el-Bersha, 12. Dy­ nastie. Während im obe­ ren Teil kunstvoll aus­ gemalte Hieroglyphen zu sehen sind, findet sich unten ein Text in Kursiv­ hieroglyphen.

die Feinde des Allherrn vernichtet werden und man seinen Sohn Horus als Herrscher einsetzt. Andere Lesart: Das ist der Tag des (Festes) «Wir bleiben», es ist die Auszeichnung der Osiris-Grablege durch seinen Vater Re.

Die Sargtexte bestehen aus drei verschiede­ nen Textsorten. Es handelt sich dabei ers­ tens um Texte, die eins zu eins aus dem Kor­ pus der Pyramidentexte übernommen sind. Zweitens treten Texte auf, die als Überarbei­ tungen bzw. inhaltliche Weiterentwicklun­ gen der Pyramidentexte aufzufassen sind, und drittens lassen sich Texte ausmachen, die keine (bislang bekannten) früheren Par­ allelen haben und die daher als originär neue Texte eingestuft werden. Daran wird erkenn­ bar, dass die Unterscheidung in Pyramidenund Sargtexte eher eine akademische ist, die

sich an dem Ort der Anbringung orientiert, aber nur eingeschränkt inhaltlich fassbar ist. Die Zahl der Texte scheint sich über ihren ge­ samten Verwendungszeitraum kontinuierlich erweitert zu haben, sodass dem heutigen Re­ zipienten ein inhaltlich und stilistisch wenig kohärenter und kaum homogener Textkor­ pus entgegentritt. Für die Niederschrift der Texte wurde die sogenannte Kursivhierogly­ phe genutzt. Diese ist in ihrem Erscheinungs­ bild noch eng an die hieroglyphischen Zeichen angelehnt, die Zeichen sind aber unterschied­ lich stark vereinfacht oder verschliffen, so­dass die Kursivhieroglyphe ein stärker flie­ ßendes Schriftbild ergibt (Abb. 49). Abseits dieser eher formalen Kriterien las­ sen sich die Sargtexte durchaus inhaltlich differenzieren: Während es sich bei einigen Sprüchen klar um Ritualtexte handelt, die vermutlich während des Mumifizierungs­ 57

Jenseitstexte: Die Sargtexte

Abb. 50 Die ausschreitende Fuß­ haltung zeigt an, dass Osiris sich im Moment der Vereinigung mit seinem Ba-Vogel von sei­ nem Totenbett erhebt (Opet-Tempel, Karnak). Dies wünschte sich auch der Verstorbene.

prozesses oder während der eigentlichen Be­ stattung rezitiert wurden, geht es in anderen um den Erhalt des Körpers oder den Schutz des Verstorbenen im Jenseits. Wieder an­ dere stellen eine Art Wegbeschreibung dar, mit deren Hilfe es dem Verstorbenen ermög­ licht werden sollte, sicher durch die mitun­ ter gefahrvollen Regionen des Totenreiches zu gelangen. Immer wieder werden einzelne Sprüche dabei zu «Büchern» zusammenge­ fasst. Beispiele sind CT 464–468, die sich mit dem paradiesischen Opfergefilde befas­ sen, in dem der Verstorbenen u. a. Speise und Trank erhält, oder CT 1029–1130, die als das «Zweiwegebuch» (s. S. 66 ff.) bekannt sind. Wie den Pyramidentexten so liegt auch den Sargtexten der Gedanke zugrunde, dass die Verstorbenen nach ihrem Tod eine rite de passage bewältigen mussten, bevor sie als Verklärte in das elysische Jenseits einge­ hen konnten. Entsprechend motivieren ei­ nige Sargtexte den Verstorbenen geradezu, sich aufzurichten und diesen Weg anzutreten (CT 44): «Steh auf zum Leben! Du bist nicht gestorben. Erhebe Dich! Du bist nicht gestor­ ben.» (Abb. 50. 51) Die topographischen Jenseitsschilderun­ gen des Mittleren Reiches sind ambivalent. 58

Tatsächlich treten zwei ganz unterschiedli­ che Räume auf, die je nach betrachtetem Text das Ziel der Reise des Verstorbenen sind. Auf der einen Seite steht ein himmlisches Jenseits, das ein Echo der Vorstellungen des Alten Reiches ist und in das der Tote – ganz in der Tradition der königlichen Pyra­ midentexte – mit diversen Hilfsmitteln, wie z. B. Leitern, oder in Tiergestalt aufsteigen möchte. Die Bedeutung der nächtlichen Him­ melskörper ist in den Sargtexten nicht mehr so dominierend. Zunehmend werden Stern­ bilder mit göttlichen Wesen identifiziert, so v. a. das Sternbild Orion mit dem Totengott Osiris, mit dem sich der Verstorbene identi­ fizieren möchte. Auf der anderen Seite steht ein erdgebundenes Jenseits, das per se sehr viel stärker mit dem unterirdischen Reich des Osiris verbunden ist. Dies ist nicht mehr mit negativen Konnotationen verknüpft, wie es noch in den Pyramidentexten der Fall war, sondern im Gegenteil sind es die dem Him­ mel zugehörigen Sterne, die den Verstorbe­ nen zu diesem «schönen Westen» geleiten. Tiefer in die Unterwelt dringen die Sargtexte allerdings kaum vor  – diese Vorstellung er­ fährt erst in den Jenseitstexten des Neuen Reiches seine volle Entfaltung (s. S. 82 ff.).

Die Grabanlagen des Mittleren Reiches

Die neue Bedeutsamkeit des Osiris-Kultes lässt sich in den Sargtexten gut beobachten. Während die Pyramidentexte nur sehr zöger­ lich auf Osiris als Heilsbringer zugreifen, scheuen sich die Sargtexte nicht, die Hoffnung des Verstorbenen auf ein Weiterleben im Jen­ seits direkt mit dem Totengott zu verknüpfen. CT 330 bedient sich der Stimme des Verstorbe­ nen und lässt ihn ausrufen: «Ich sterbe und ich lebe, (denn) ich bin Osiris.» Das Osiris-Schick­ sal (s. S. 15) entwickelt sich in den Sargtexten zu einem mythischen Präzedenzfall, von dem der Verstorbene hofft, dass er zur Vorlage für sein eigenes Jenseitsschicksal wird. Ebenso wie der Tote in die Entourage des Re eintreten kann, kann er auch zum Gefolgsmann des Osi­ ris werden. Dass dieses Zusammenspiel – ge­ nau wie beim Sonnengott – bis zum Stadium der Identifizierung des Verstorbenen mit Osi­ ris ausgestaltet werden kann, zeigt sich u. a. in der Bezeichnung des Toten als «Osiris N.» (wo­ bei der Buchstabe «N.» als Platzhalter für den Namen des Verstorbenen fungiert). Mit Blick auf das himmlische Jenseits lässt sich eine Verschiebung in der Bedeutung der nächtlichen und der nicht-nächtlichen Tages­ hälfte erkennen. Die Tagfahrt des Sonnen­

gottes erfährt eine enorme Aufwertung, Re wird zur zentralen Göttergestalt der Sarg­ texte. Die Teilnahme am Sonnenlauf hat sich zum erstrebten Ziel des Toten entwickelt, sie ist nicht mehr nur dem verstorbenen Pha­ rao vorbehalten. Damit gewinnt er Anteil an dem sich jeden Tag zyklisch wiederholenden Kreislauf aus Geburt, Heranwachsen, Tod und nächtlicher Wiedergeburt. Sogar die Rolle des Sonnengottes selbst kann der Verstor­ bene annehmen. Der Weg des Sonnengottes ist allerdings von Gefahren gesäumt, v. a. der Sonnenfeind par excellence, der Schlangen­ dämon Apophis, stellt sich dem Gott und sei­ nem Gefolge immer wieder in den Weg. Ein wichtiges Etappenziel der Jenseitsreise ist in den Sargtexten die «Feuerinsel», wo der Son­ nengott und die Verstorbenen sich erneu­ ern. Zuvor wird jedoch das Jenseitsgericht (s. S. 47) abgehalten. Nachdem die Überschrift beruhigend feststellt, dass der nachfolgende Spruch CT 566 dazu diene, dass das Herz des Verstorbenen sich im Totenreich nicht ge­ gen ihn wende, versichert der Spruch in der 1. Person Singular, dass der Verstorbene auf­ recht auf der Feuer­insel stehe, um gerecht­ fertigt zu werden.

Abb. 51 Das Motiv des Sicherhe­ bens vom Totenbett (vgl. Abb. 50) blieb bis in die graeco-romanische Epoche erhalten. Hier eine weibliche Mumien­ maske aus dem 1. Jh. v. Chr.

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Grabarchitektur: Den Göttern so nah – das Grab als Tempel und die Weiterentwicklung der Pyramide

«Ich bin der, der tut, was richtig ist, und was ich verabscheue sind Fehlverhal­ ten gegenüber Atum. Da ist niemand, der mich aufhält, um mir zu schaden, da ist niemand, der mich aufhält, um mich zu verfolgen» .

Ein weiterer wichtiger Anlaufpunkt sind das Binsen- und Opfergefilde, die schon aus den Pyramidentexten des Alten Reich bekannt sind (s. S. 23). Sie gelten auch in den Sarg­ texten als Region, in der Speis und Trank im Überfluss vorhanden sind und sind als die zentralen elysischen Räume innerhalb einer gefahrvollen jenseitigen Umgebung erkenn­ bar. Die sich um die zentralen Figuren Re und Osiris rankenden Aspekte sind in den Sarg­ texten noch zu keinem kohärenten Erzähl­ strang miteinander verwoben, dies erfolgt erst in den Unterweltsbüchern des Neuen Reiches (s. S. 82 ff.). Lediglich subtile Andeu­ tungen lassen sich retrospektiv als erste An­ zeichen der späteren Verschmelzung dieser beiden Hauptgötter Ägyptens deuten. Auch die Bedeutung von Wissen wird in den Sarg­ texten vertieft, da es immer wieder benötigt wird, um auf dem Weg zu Osiris gefährliche Punkte passieren zu können Diese hier an­

gelegte Funktion entfaltet sich später v. a. im Pfortenbuch des Neuen Reiches. Bis in die bereits zur Zweiten Zwischenzeit gehörende 13. Dynastie (~1794–1645 v. Chr.) bleiben die Sargtexte die bestimmende fu­ neräre Literatur des alten Ägypten. In einem schleichenden Prozess werden sie anschlie­ ßend durch das neu entstehende Totenbuch abgelöst, das sich inhaltlich und stilistisch als eine Fortführung der Sargtexte verstehen lässt. Diverse Sprüche, die in den Sargtexten erstmals überliefert sind, bleiben bis an das Ende des Pharaonenreiches in der Jenseits­ literatur von Bedeutung. Aufgrund unzurei­ chender archäologischer Belege lässt sich die Evolution der königlichen Jenseitstexte im Mittleren Reich leider nicht nachvollziehen. Es stellt sich daher die Frage, ob hier eine ähnli­ che textliche Evolution wie im privaten Be­ reich stattfand oder ob die königlichen Jen­ seitstexte des Neuen Reiches «nur» auf die privaten Entwicklungen des Mittleren Reiches zugreifen und diese selbständig fortführen. Anders als bei den Texten lässt sich in der königlichen Grabarchitektur des Mittleren Reiches ein Wandel beobachten, der archäo­ logisch greifbar eine Brücke zwischen den Grabanlagen des Alten und des Neuen Rei­ ches schlägt.

Grabarchitektur: Den Göttern so nah – das Grab als Tempel und die Weiterentwicklung der Pyramide

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ie royalen Grabbauten des Mittleren Rei­ ches zeigen zwei interessante Entwick­ lungslinien, die sich später einerseits in ver­ änderter Form in den Felsgräbern des Neuen Reiches und andererseits in den Gräbern im Tempelhof aus der Spätzeit wiederfinden (s. S. 73). Bei ersterem wird die innere Gestaltung der bereits etablierten Bauform der Pyramide abgewandelt und der neuen Vorstellung von der Topographie des Jenseits angepasst. Bei letzterem handelt es sich um einen Baustil, der die Grabanlage den räumlichen Gegeben­ heiten eines Tempelbaus annähert. Die 11. Dynastie (~2119–1976 v. Chr.), mit der das Mittlere Reich beginnt und die ihren 60

Regierungssitz in Theben hatte, wurde für mehrere Jahrzehnte noch von einer aus der Ersten Zwischenzeit herrührenden Parallel­ herrschaft in Herakleopolis im südlichen Fa­ yum überlagert. Mehr als 70 Jahre lang gab es immer wieder kriegerische Auseinander­ setzungen zwischen den Herrscherhäusern, die beide nach der Vormachtstellung im Land strebten. Erst unter dem vierten thebanischen Herrscher Mentuhotep II. (2046–1995 v. Chr.) erfolgt eine erneute, beständige Reichseini­ gung, die das Mittlere Reich konsolidierte. Der Totentempel Mentuhoteps II. liegt, ebenso wie die heute sehr viel bekanntere Anlage der Königin Hatschepsut aus dem

Die Grabanlagen des Mittleren Reiches

Neuen Reich, im Talkessel von Deir el-Ba­ hari auf dem Westufer des Nil bei Theben (Abb. 52). Mentuhoteps Bau ist von beson­ derem Interesse, da er architektonische For­ men des vorausgegangenen Alten Reiches und des nachfolgenden Neuen Reiches mit­ einander verbindet bzw. vorwegnimmt: Es handelt sich dabei einerseits um die Pyra­ miden, andererseits um die Felsgräber im Tal der Könige und die sie ergänzenden To­ tentempel am Rand des Fruchtlandes des Nil, die als «Millionenjahrhäuser» bezeich­ net werden. Das Tempelgrab Mentuhoteps II. befindet sich heute in einem schlechten Er­ haltungszustand, was primär auf einen Fels­ rutsch zur Zeit der 20. Dynastie zurückzu­ führen ist, durch den die Anlage komplett unter Schutt und Gestein begraben wurde und erheblichen Schaden genommen hat. Die Wiederentdeckung ist einem glücklichen Zufall zu verdanken, der 1898 dazu führte, dass der Ägyptologe Howard Carter bei ei­ nem Ausritt mit seinem Pferd im Boden ein­ brach und in dem entstandenen Loch ver­ schüttete Steinstufen entdeckte. Dies war der Zugang zu der heute als Bab el-Hosan («Tor des Pferdes») bezeichneten unterirdi­ schen Anlage, die zu einem Scheingrab führt,

in dem Carter eine eindrucksvolle Sitzsta­ tue des Herrschers entdeckte, die diesen mit überkreuzten Armen und dunkler Hautfarbe vermutlich als Osiris zeigt (Abb. 53). Heute wird die Anlage zumeist als Osiris-Grab in­ terpretiert, also als ein mythologisch moti­ viertes, symbolisches Grab für den Toten­ gott, dessen Ruheplatz eigentlich am tiefsten Punkt der Unterwelt liegt. Möglicherweise war diese Kammer in einer ersten Bauphase tatsächlich als Herrschergrab geplant. Von dem durch Carter entdeckten Eingang, der ein Stück von der eigentlichen Tempelanlage entfernt liegt, führt ein mehr als 140 m lan­ ger Korridor 40 m tief in den Fels hinein, be­ vor er in der Grabkammer endet (Abb. 54). Der zunächst gerade Verlauf des Korridors wurde insgesamt dreimal korrigiert, um die Kammer und den darin befindlichen, selbst noch einmal mehr als 31 m tiefen Schacht na­ hezu exakt unterhalb des Kernbaus der An­ lage zu platzieren. Bei diesem handelte es sich um einen dem Gott Month-Re gewidme­ ten Tempel. Ziel dieses architektonischen Be­ mühens war offenbar, einen unmittelbaren Bezug zwischen der Grabkammer und dem Tempel herzustellen, indem die Kammer im wahrsten Sinne des Wortes zum Urgrund des 61

Abb. 52 Totentempel der Hatschep­ sut (18. Dynastie) und dahinter der kleinere, ältere Bau Mentuhoteps II. Die Felspyramide am oberen Bildrand überschirmt auch das hinter dem Berggrad liegende Tal der Könige.

Grabarchitektur: Den Göttern so nah – das Grab als Tempel und die Weiterentwicklung der Pyramide

Abb. 53 Sitzstatue Mentuhoteps II. Die dunkle Hautfarbe könnte auf eine Identifizie­ rung mit Osiris als unterirdischem Totengott sowie auf dessen weitere Funk­ tion als Fruchtbarkeits­ gott hinweisen, der auch das dunkle Nilschwemm­ land symbolisiert.

Tempels wurde. Der tief in den Untergrund hineingreifende Schacht symbolisiert mög­ licherweise genauso wie die späteren Ritu­ albrunnenschächte in den Grabanlagen des Neuen Reiches (s. S. 86) eine symbolische Anbindung an den Urozean Nun und damit die chaotische, noch ungeordnete Welt vor der Schöpfung, aus der heraus sich die ge­ schaffene Welt jede Nacht erneuert. Die Sitzstatue des Herrschers, die ihn durch das weiße, eng anliegende Gewand sowie die dunkle Hautfarbe an Darstellun­ gen des Totengottes Osiris annähern, un­ terstreicht ebenso wie der ebenfalls in der Grabkammer gefundene Holzsarg die Um­

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widmung in ein Osiris-Grab, denn in dem Mythos, der die Geschichte des Totengot­ tes erzählt, spielt ein Holzsarg eine wichtige Rolle auf Osiris’ Weg zum Herrn des unterir­ disch gelegenen Jenseits (s. S. 15). In Anlehnung an die Pyramidenanlagen des Alten Reiches verfügte die Anlage Men­ tuhoteps II. über einen Taltempel mit Anbin­ dung an den Nil sowie einen Aufweg, der die­ sen mit dem Totentempel verband und die stattliche Länge von gut 1 km besaß. Anders als die Aufwege der Pyramidenzeit war er vermutlich nicht geschlossen, sondern ledig­ lich von einer Umfassungsmauer begrenzt. Die Tempel- und Begräbnisanlage, die ter­ rassiert gestaltet ist, besteht aus zwei klar voneinander zu unterscheidenden architek­ tonischen Einheiten: Den vorderen Teil bil­ det der Tempel für den Gott Month-Re. Month war ein Kriegsgott, dem in der 11. Dynastie umfangreiche Verehrung entgegengebracht und durch die Verschmelzung mit dem Son­ nengott Re zusätzliche Bedeutung verliehen wurde. Er war außerdem der Namenspatron des Pharao: Mentuhotep bedeutet «Month ist zufrieden». Beide Terrassen wiesen Pfeiler­ fassaden auf und nähern sich damit der Optik der Grabbauten von Mentuhoteps Vorgängern an, die als Saff-Gräber bezeichnet werden (von dem arabischen Wort Ṣaff für «Reihe»). Über die genaue Gestaltung des sich ehe­ mals auf der ersten Terrasse erhebenden Hauptbaus mit einer Seitenlänge von 22 m herrscht Unklarheit. Es fehlt sowohl an aus­ sagekräftigen Fragmenten, als auch an ver­ gleichbaren Bauten, die Aufschluss über die genaue Form und Funktion dieses Kernbaus der Anlage geben könnten. Manche Forscher gehen davon aus, dass er von einer Pyramide bekrönt war, andere halten ihn für ein Abbild des Urhügels, von dem aus in den altägypti­ schen Schöpfungsgeschichten der Sonnengott sein Werk beginnt. In beiden Fällen ist von ei­ nem massiven, tragfähigen Basisbau auszuge­ hen, auf den im ersten Fall eine Pyramide auf­ gesetzt gewesen wäre. Im zweiten Fall hätte es vermutlich eine flache Dachterrasse gegeben, die ggf. von einem aufgeschütteten Sandhügel bedeckt war, der die Illusion des sich aus dem uranfänglichen Chaos bzw. dem Urozean Nun erhebenden Urhügels erzeugen sollte.

Die Grabanlagen des Mittleren Reiches

Abb. 54 Totentempel Mentuhoteps II. (links). Im Vordergrund ist deutlich der großflächige Eingang des Bab el-Hosan zu sehen, der unter dem Hauptgebäude in einer ersten Grabkammer endet (vgl. Abb. 55).

Abb. 55 Die Totentempel von Deir el-Bahari (rechts) und die südöstlichen Grabanlagen im Tal der Könige (links, vgl. Abb. 82). Deutlich ist die solitäre Lage der Grabkammer Mentuhoteps II. zu erkennen. Rot markiert die erste Grabkammer.

Deir el-Bahari und das Tal der Könige Prinz Montuherchepschef (KV 19)

Thutmosis I./Hatschepsut (KV 20)

Thutmosis IV. (KV 43)

Totentempel der Hatschepsut

Grabkammer

Totentempel Mentuhoteps II.

Pflanzgruben Bab el-Hosan

0

20

40

60

80

100 m

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Grabarchitektur: Den Göttern so nah – das Grab als Tempel und die Weiterentwicklung der Pyramide

Abb. 56 Pharao Sesostris II. blieb in der 12. Dynastie der Bauform der Pyramide treu, führte aber wegwei­ sende Änderungen ein. Oberer Teil einer Granit­ statue.

Der zweite, hintere Bauabschnitt der An­ lage diente dem Totenkult des zu einem Gott erhobenen Königs. Er ist teilweise vor den Berghang gebaut, geht im hinteren Teil je­ doch in das Felsmassiv über. Das Sanktuar war mit Bildern und Inschriften im arbeits­ aufwendigen Hochrelief versehen, bei dem das überflüssige Felsmaterial um die Figuren und Hieroglyphen herum weggemeißelt und die Flächen anschließend geglättet werden, anstatt nur die Zeichen selbst in den Fels hin­ einzutreiben. Bemerkenswert ist, dass Men­ tuhotep II. als Gott unter Göttern dargestellt wird, d. h., er ist nicht derjenige, der den Göt­ tern huldigt, sondern ist wie diese Empfän­ ger der im Tempel vollzogenen Kulthandlun­ gen. Zu diesem hinteren Teil der Anlage ge­ hört eine zweite königliche Grabkammer. Sie wird über einen 150 m langen Korridor er­

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reicht, der schräg nach unten in den Fels hin­ einführt. Das Dach der Grabkammer ist als Spitzdach ausgearbeitet. Die Grabbeigaben der offenbar mehrfach geplünderten An­ lage lassen sich nur aus Bruchstücken er­ schließen. Neben diversen Fragmenten von Miniaturmodellen wie Kornspeichern und Bäckereien, welche die Versorgung des Ver­ storbenen mit Speisen sicherstellen sollten, fanden sich auch Kultgegenstände, Zepter und Waffen. Schiffsmodelle belegen den an­ haltenden Wunsch des verstorbenen Herr­ schers, sich dem Sonnengott auf seiner Fahrt über den Tag- und Nachthimmel anzuschlie­ ßen. Während jedoch bei der ersten Graban­ lage (Bab el-Hosan) offensichtlich die Idee im Mittelpunkt stand, das Grab und den mög­ licherweise mit einer Pyramide oder dem Ur­ hügel bekrönten zentralen Tempelbau aufei­ nander zu beziehen, scheint bei der zweiten Anlage eher der Gedanke der räumlichen Di­ stanz im Vordergrund zu stehen. Die Grab­ kammer befindet sich als alleinige archi­ tektonische Form 150 m tief im Massiv des Westgebirges und gehört damit bereits zu dem Teil der Felsenlandschaft, die heute als Tal der Könige bekannt ist (Abb. 55). Tem­ pel und Grabanlage sollten hier also offen­ sichtlich räumlich differenziert und separat verortet werden. Diese neue architektoni­ sche Anordnung einer königlichen Graban­ lage nimmt die im Neuen Reich stattfindende Entwicklung voraus, in der Grab und Toten­ tempel unverkennbar getrennt werden, in­ dem die eigentliche Grabanlage verborgen in den Felsen des Tals der Könige gestaltet wurde, während die dem Totenkult gewid­ meten «Millionenjahrhäuser» an den Bänken bzw. Kanalarmen des Nil errichtet wurden. Die heute aufgrund neuer archäologischer Funde wieder erstarkte Ansicht, dass der Kernbau der Grab- und Tempelanlage Men­ tuhoteps II. von einer Pyramide bekrönt war, unterstreicht die bewusste Verbindung al­ ter und neuer Bauformen in der Architektur der Anlage. Sie weist sie neben ihrer politi­ schen Funktion, die in einer bewussten, «öf­ fentlichkeitswirksamen» Anbindung an das glanzvolle Alte Reich bestand, auch als Ab­ bild sich verändernder mythologischer Vor­ stellungen aus, die sich deutlich in der so

Die Grabanlagen des Mittleren Reiches

unterschiedlichen Anlage der beiden Königs­ gräber ausdrückt. Einen ganz anderen Weg beschreitet knapp 150 Jahre später Pharao Sesostris II. (1882– 1872 v. Chr.) in der 12. Dynastie (Abb. 56). Er ließ sich am östlichen Rand des FayumBeckens eine klassische Pyramide errichten

(Abb. 57). Doch auch seine Grabanlage ist ein Vorverweis auf Entwicklungen, die erst im Neuen Reich zu voller Blüte gelangen. Bei­ spielsweise wird hier erstmals eine mehrfach gewinkelte Hauptachse des Grabzugangs re­ alisiert. Sesostris’ Baumeister setzten damit die mythologische Idee von den gewundenen

Abb. 57 Pyramide Sesostris’ II. Der Kern besteht aus einem mit Lehmziegeln verfüllten Kalksteingerüst. Nach dem Verlust der Kalkstein­ verkleidung verfiel der Bau witterungsbedingt.

Abb. 58 Längsschnitt und Grund­ riss der Pyramide Se­ sostris’ II. Das Prinzessin­ nengrab am Boden des 1. Schachtes sollte vermut­ lich den Zugang zur kö­ niglichen Grabanlage ver­ decken.

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Exkurs: Das Zweiwegebuch

Wegen des Jenseits um, indem sie diese Vor­ stellung der jenseitigen Topographie in der innenliegenden Struktur des zur Grabkam­ mer führenden Gangsystems nachempfanden (Abb. 58). Der Hauptgang weist vor der Grab­ kammer einen annähernd rechtwinkligen Knick auf. Darüber hinaus ist die Grabkammer von einem umlaufenden Gang umgeben, der seinen Anfang zwischen der Vorkammer und der Grabkammer nimmt, die Grabkammer dann umrundet und schließlich am Kopfende des aus Rosengranit gefertigten Sarkophages des Pharao in die Grabkammer einmündet. Die Bedeutung dieser redundanten architekto­ nischen Form ist bis heute nicht abschließend verstanden und lässt sich als weitere Dar­ stellung der verschlungenen und ineinander übergehenden Wege des Jenseits nur bedingt zufriedenstellend erklären. Die Grabkammer ebenso wie das beschriebene Gangsystem lie­ gen unterhalb des Bodenniveaus, woran sich die zunehmende Bedeutung des Osiris-Kul­ tes ablesen lässt, in deren Folge diese archi­ tektonischen Formen vollständig in die Subs­ truktur der Pyramide und damit mythologisch in die osirianische Unterwelt verlegt wurden (Abb. 58, oben). Der Oberbau – also die ei­ gentliche, sichtbare Pyramide – bleibt als ar­

chitektonisches Verbindungselement in die himmlischen Bereiche erhalten, welche den Sonnenlauf ebenso wie den Sternenhimmel umfassen. Der zugehörige Taltempel stellt die Anbindung an die diesseitige Sphäre dar. Es lässt sich folglich eine Dreiteilung in der ver­ tikalen Achse nachvollziehen: Erstens der den Himmel symbolisierende bzw. auf ihn verweisende Oberbau, zweitens die das Dies­ seits und die Erde verkörpernden Bauele­ mente des Pyramidenbezirkes inklusive des Taltempels und drittens die unterirdische An­ lage, welche die Anbindung an das Totenreich des Osiris vollzieht. Gesetzen der Symmetrie folgend findet sich auch in der horizontalen Aufteilung eine Dreiteiligkeit, die erstens aus dem Taltempel, zweitens aus dem Aufweg und drittens aus der Pyramide und ihren Ne­ bengebäuden besteht. Die Betonung der chthonischen Elemente in der baulichen Struktur der Pyramide Se­ sostris’ II. ist eine typische Entwicklung des Mittleren Reiches und macht die verstärkte Hinwendung nicht nur zu Osiris als Toten­ gott deutlich, sondern zeigt auch, mit welch großem Interesse sich die alten Ägypter Fra­ gen der konkreten Topographie des Jenseits anzunehmen begannen.

Exkurs: Das Zweiwegebuch

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as Mittlere Reich bemüht sich um eine zunehmende Ergründung der jenseiti­ gen Topographie. Das Zweiwegebuch, das sich den damit verbundenen Fragestellun­ gen widmet, gilt als das aus grafischer Sicht aufwendigste und detaillierteste Werk die­ ser Epoche. Während die übrigen Sarg­ texte üblicherweise noch nicht von einem Bildprogramm begleitet sind, setzt sich das Zweiwegbuch von dieser Gestaltungsweise ab. Die Sprüche umrahmen eine großzügig angelegte Landkarte des Jenseits, weisen auf Gefahren hin und bieten dem Verstor­ benen reichhaltige Informationen für einen sicheren Weg durch das schwer zu durch­ querende Zwischenreich, das ihn zur Ge­ richtshalle des Osiris und anschließend zu 66

den elysischen Sphären des Jenseits führen soll (Abb. 59). Das Zweiwegebuch ist fast ausschließ­ lich auf Särgen aus der Region des heutigen Deir el-Bersha zu finden, nur ein Exemplar ist aus dem westlichen Nildelta bekannt. Es stellt die erste «Landkarte» des altägypti­ schen Jenseits dar und versucht sich in die­ ser Form erstmals an einer umfänglichen topographischen Darstellung des Totenrei­ ches. Das Zweiwegebuch erweist sich damit inhaltlich als Vorgänger der Unterweltsbü­ cher des Neuen Reiches, die zwar nicht mehr das Motiv einer Landkarte verwenden, da­ für aber mit einer eindrucksvollen Verzah­ nung von Text und Bild den Weg durch das Jenseits gestalten (s. S.  82 ff.). Das ebenfalls

Die Grabanlagen des Mittleren Reiches

im Neuen Reich entstehende Totenbuch geht in dieser Hinsicht weniger weit, da es nicht eine kohärente Handlungsfolge abbildet, sondern vielmehr Einzelszenen und Situati­ onen vor Augen führt, die der Verstorbene mit Hilfe individuell zusammengestellter Sprüche bewältigen kann und bei deren Ver­ ständnis die begleitenden Vignetten hilfreich sind (Abb. 60). Das Zweiwegebuch umfasst die Sprüche CT 1029–1130 bzw. 1185 und ist auch unter dem Titel «Führer zu den Wegen von Rose­ tau» bekannt, womit der Aufenthaltsort des Osiris gemeint ist. Es besteht aus neun Sek­ tionen, die heute mit römischen Ziffern be­ zeichnet werden, und zeigt das Jenseits als einen Ort voller Gefahren – eine Sichtweise, bei der es sich möglicherweise um eine Re­ aktion auf die Unruhen der Ersten Zwischen­ zeit handelt. Dies wird mit einer figürlichen Konkretisierung (vielfältige Dämonen) in die Gefilde des Jenseits übersetzt, die mit einer quantitativen Steigerung der Gefahren ein­ hergeht, die auch stärker in den Vordergrund gerückt werden. Auffällig ist, dass die mit dem Zweiwegebuch dekorierten Särge diese Darstellung in der Regel auf dem Boden des Sarges angebracht haben, während die In­ nenseiten der Sargdeckel oft Darstellungen á    Abb. 59 Sarg des Gua, Deir el-Ber­ sha, 12. Dynastie. Das auf dem Boden angebrachte Zweiwegebuch zeigt rechts die beiden typi­ schen, kurvigen Wegdar­ stellungen in blauer und dunkler Farbe.

ß    Abb. 60 Totenbuch des Ani (19. Dynastie). Vignetten illustrieren die niederge­ schriebenen Inhalte und verleihen den darge­ stellten Szenen Realität (Bildmagie).

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Exkurs: Das Zweiwegebuch

Abb. 61 Sargboden mit einer Dar­ stellung des Zweiwege­ buches. Wie üblich sind der blaue und der dunkle Weg (unten rechts) durch den dazwischen­ liegenden Feuersee von­ einander getrennt.

der Himmelsgöttin Nut zeigen. Es ist davon auszugehen, dass diese Art der Anbringung von den alten Ägyptern als eine Wirkverstär­ kung für die notierten Sprüche und Bilder verstanden wurde, denn die Himmelsgöttin ist sinnfällig einem Himmelsdach gleich über dem im Sarg liegenden Verstorbenen plat­ ziert, während die Landkarte des Zweiwege­ buches, deren Wege er erlaufen muss, unter seinem Körper angeordnet ist. Die namensgebenden zwei Wege finden in Bild und Text ihre Entsprechung (Abb. 61). Sie sind als zwei Pfade erkennbar, die sich in unregelmäßigen Linien über die Landkarte winden und nach Rosetau, dem Reich des To­ tengottes Osiris, führen. Fallen und Dämo­ nen bedrohen den Toten auf seinem Weg, das Reich selbst ist von Dunkelheit umhüllt und von einem Feuerring umschlossen. In Rosetau ruht der Körper des Osiris. Ihn zu schauen, bedeutet ewiges Leben zu erhal­ ten und das ist das Ziel des Verstorbenen. Er möchte im Opfergefilde mit Osiris speisen und ein sorgloses Leben führen, in dem für all seine Bedürfnisse gesorgt ist. Doch nicht alle Wegstrecken führen in das Reich des Osiris: Sie sind ineinander verwunden, über­ kreuzen sich und manche von ihnen enden im Nirgendwo. Nur mithilfe der Sprüche des Zweiwegebuches kann der Verstorbene den

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richtigen Weg finden, der ihn nach Rosetau führt. Zwischen den beiden Pfaden liegt der Feuersee, der für die Gerechtfertigten eine Quelle der Erfrischung und Erneuerung ist, für die Verdammten jedoch zerstörerische Wirkung besitzt. In der Ägyptologie werden die verschie­ denen Versionen des Zweiwegebuches in zwei Gruppen aufgeteilt, die sich auf forma­ ler Ebene im Wesentlichen durch ihre Text­ länge voneinander unterscheiden. Diese geht v. a. auf die unterschiedlichen textlichen Ein­ stiege und Endpunkte zurück. Die längere Textfassung zeichnet sich darüber hinaus durch eine verstärkte Bezugnahme auf den Mond- und Weisheitsgott Thot aus, dessen Hauptkultort die oberägyptische Stadt Her­ mopolis war. Die Analyse legt nahe, dass es eine Beeinflussung des Textkorpus des Zwei­ wegebuches aus dieser Richtung gab, wes­ halb von manchen Ägyptologen vermutet wird, dass die längere zugleich auch die jün­ gere Textfassung ist. Diese These ist nicht ohne Widerspruch geblieben, denn anders­ herum ist denkbar, dass die Bezüge auf Thot in einem Bemühen um die lokale, von Her­ mopolis unabhängige Verankerung des Tex­ tes in Deir el-Bersha bewusst entfernt wur­ den und somit die kürzere Textfassung die tatsächlich jüngere ist.

Die Grabanlagen des Mittleren Reiches

Die längere Textfassung beginnt mit dem Sonnenaufgang am östlichen Horizont (wäh­ rend im Zweiwegebuch der Osthorizont am Anfang steht, ist er in den Unterweltsbü­ chern des Neuen Reiches das Ziel der Reise). Der Verstorbene ruft nach der Barke des Re und spricht dabei den göttlichen Fährmann Mahaf an. Ein interessantes Detail ist, dass Mahaf, bevor er eine Seele übersetzen kann, zunächst den meist am Ruder schlafenden Gott Aken aufwecken muss, in dessen Schutz und Obhut sich das Boot befindet. Entspre­ chend bittet der Verstorbene: «O Mahaf, we­ cke Aken für mich, denn du bist beschenkt mit Leben. Siehe, ich bin gekommen.» Ma­ haf selbst ist eine Himmelsgottheit, deren Name sich als «der Rückwärtsschauende» übersetzen lässt. Er wird deswegen häufig mit dem Mond identifiziert, dessen Sichel als Mahafs Gesicht interpretiert wird, das je nach Fahrtrichtung in die eine oder an­ dere Richtung gewandt ist. Sein Boot ist ein Papyrusnachen, mit dem er die Verstorbe­ nen in das Totenreich bringt. Die Verbildli­ chung des Übergangs vom Leben in den Tod als Überquerung eines Gewässers mit Hilfe eines Fährbootes ist auch in der teilweise gleichzeitigen altbabylonischen sowie der späteren griechischen Mythologie anzutref­ fen. In allen Fällen wird das Motiv des Todes

als Reise genutzt. Der Verstorbene selbst wird im altägyptischen Kontext der Anru­ fung des Fährmanns als «Zauberer» und als «einer, den mein Vater liebt, den mein Va­ ter sehr liebt» bezeichnet. Trotz dieser At­ tribute muss er, bevor der unwillige Mahaf bereit ist, ihn überzusetzen, diverse Bauteile des Bootes korrekt benennen. Erneut wird deutlich, von welch großer Bedeutung Wis­ sen für die unbeschadete Durchquerung des Jenseits ist. Ähnlich muss der Verstorbene im Pfortenbuch des Neuen Reiches diverse Wissensprüfungen bestehen, bevor er die namensgebenden Pforten passieren darf. Bei Mahaf darf der Verstorbene schließlich selbst die Barke steuern. Weitere Sprüche unterstützen ihn bei der Überwindung des Feuerrings und bieten immer wieder Orien­ tierung auf dem Weg nach Rosetau. Die kürzere Textfassung nimmt ihren An­ fang in einer Art Palast oder vielleicht auch einem Schrein, der hohe Wände besitzt, die entweder aus Dunkelheit oder Flammen be­ stehen. Passend zu dieser anderen Umge­ bung erklärt der Verstorbene: «Ich bin ein Baumeister, und ich verfüge über Wissen. Ich bin ein Baumeister, und ich erhebe meinen Vater.» Von diesen jeweiligen Anfängen ausge­ hend beschreiben beide Textfassungen nach­ folgend die namensgebenden zwei Wege. Der obere ist in blau dargestellt, vermutlich handelt es sich um einen Wasserweg. Der untere ist in einer dunklen Farbe gezeichnet, vermutlich soll er einen Pfad über Land dar­ stellen. Die beiden Wege sind durch den Feu­ ersee (s. S. 68), der in roter Farbe gehalten ist, voneinander getrennt. Während die Ver­ storbenen auf den Pfaden entlanggehen, tref­ fen sie auf unterschiedliche Wächterfiguren, die nur diejenigen passieren lassen, die sich als würdig erweisen, also über das jeweils benötigte Wissen verfügen. Wie meistens in den mythologischen Texten der alten Ägyp­ ter verraten die Namen der Götter und Dä­ monen bereits etwas über ihr Wesen. So be­ gegnet den Verstorbenen z. B. «Der mit der traurigen Stimme» oder – schon etwas un­ heimlicher – «Der mit dem verdeckten Ge­ sicht». Während demgegenüber «Der mit dem heißen Gesicht» an einen möglicher­ 69

Exkurs: Das Zweiwegebuch

weise zum Cholerischen neigenden Wächter denken lässt, zeugen Namen wie «Der des­ sen Gesicht schrecklich ist», «Monster» oder «Die vom Messer» von der Ernsthaftigkeit und existenziellen Bedeutung der zu beant­ wortenden Fragen. Besonders detailreiche Darstellungen zeigen auch Abbildungen der Wächter und Dämonen, die den Verstorbe­ nen auf seinem Weg erwarten. In manchen Fassungen beschränkt sich die Anzahl der Wege nicht auf zwei, sondern es ziehen sich noch weitere Pfade über die Landschaft. Sowohl die lange als auch die kurze Text­ fassung liefert Beschreibungen besonderer geografischer Landmarken wie Städte und Felder. Im Opfergefilde darf der Verstorbene eine kurze Pause einlegen, es wird gerade ein Festmahl für Osiris vorbereitet. Schließ­ lich erreicht der Tote das Ende der Pfade. Ihm werden feine Leinengewänder überreicht, die für alle sichtbar machen, dass ihr Trä­ ger den Übergang erfolgreich gemeistert hat. Doch die vielleicht größte Herausforderung steht ihm noch bevor: Der Verstorbene muss sich ins Herz von Rosetau vorwagen. Nach­ dem er eine Halle mit brennenden Wänden durchquert hat, muss er durch ein verwir­ rendes Labyrinth blau gezeichneter Pfade ge­ hen, die entweder weitere Wasserwege oder aber Wege durch himmlische Sphären sind. Diverse Götter und Dämonen drohen dem Verstorbenen den Weg zu versperren, doch mit Hilfe weiterer Sprüche und des in ihnen gesammelten Wissens erreicht er schließ­ lich Sicherheit und ewiges Leben in der Ge­ genwart des Osiris. Die kürzere Fassung en­ det an diesem Punkt, der dem klassischen glücklichen Ausgang der Heldenreise gleicht.

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Die längere Textfassung führt den Verstorbe­ nen nach einer Audienz bei Thot weiter über neue Pfade, die ihn zur heiligen Barke des Re führen. Nun muss der Verstorbene sein irdi­ sches Leben rechtfertigen und v. a. vernei­ nen, verschiedenste Freveltaten begangen zu haben (dieser letzte Teil findet sich in ähnli­ cher Form als berühmter Spruch 125 im To­ tenbuch des Neuen Reiches als «negatives Sündenbekenntnis» wieder, s. S. 81). Erst nun wird er in die Barke aufgenommen und muss diese durch eine Abfolge von Toren navi­ gieren (eine Szenerie, die erneut an das spä­ tere Pfortenbuch erinnert). Am Ende trifft die Barkenbesatzung auf Osiris und Thot, und es steht einem glücklichen Ausgang nichts mehr im Wege. Dies bestätigt CT 1130, der berich­ tet, dass «ein jeder, der diesen Spruch kennt, wie Re im Osten des Himmels sein wird, wie Osiris in der Unterwelt, und er wird hinab­ steigen zum Kreis des Feuers. Niemals wird sich eine Flamme gegen ihn richten.» Die Reise des Verstorbenen in das Toten­ reich, die das Zweiwegebuch so anschaulich in Form einer nahezu kontinuierlichen Weg­ beschreibung vorlegt, stellt die Verbindung zwischen den royalen Pyramidentexten des Alten Reiches und den elaborierten Unter­ weltsbüchern des Neuen Reiches dar, die textund bildgewaltig die Fahrt des Sonnengottes durch die dunklen (Zeit-)Räume des unter­ irdischen Jenseits verfolgen. Das Zweiwege­ buch leitet die (nicht mehr nur königlichen) Verstorbenen erstmals über konkret topogra­ phierte Wege des Jenseits und schafft damit eine neue räumliche Vorstellungswelt, welche die nachfolgenden Jenseitstexte bis zum Ende des Pharaonenreiches maßgeblich prägt.

DIE GRABANLAGEN DES NEUEN REICHES Einführung: Fortschritt und Tradition – das Tal der Könige

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as Neue Reich (1550–1069 v. Chr.) bringt die vielleicht deutlichste Veränderung in der altägyptischen Grabarchitektur mit sich. Die Bauform der Pyramide wird aufge­ geben, und stattdessen lassen sich die Pha­ raonen fortan in dem heute berühmtesten Großfriedhof der Welt beisetzen, der damals nur ein staubiges Wadi in den thebanischen Bergen am Westufer des Nil war: das Tal der Könige. Motiviert und begleitet wird dieser Wandel von einer ebenso tiefgreifenden my­ thologischen Neuorientierung. Das bislang am Sternenhimmel bzw. im westlichen Hori­ zont verortete Jenseits wird in die Unterwelt verlegt, sodass sich die Fahrt des Sonnengot­ tes auch optisch zu einer Kreisbahn schließt. Die tief in den felsigen Untergrund des Tals der Könige getriebenen Gang- und Kammer­ anlagen der neuen Königsgräber werden zu Abbildern der Reise des Re durch die Gefilde des unterirdischen Jenseits. Das Tal der Könige liegt etwa 2 km nörd­ lich der oberägyptischen Stadt Luxor auf der Westseite des Nil. Es befindet sich gegenüber von Karnak, dem berühmten Heiligtum des Gottes Amun, in Theben-West am Rand der Wüste. Die Westseite des Flusses bietet an dieser Stelle eine eindrucksvolle landschaft­ liche Staffelung, beginnend mit dem üppig grünen Streifen Fruchtland, an dessen west­ lichem Rand die Totentempel der Herrscher der 18. bis 20. Dynastie liegen (vgl. Abb. 117). Dahinter erheben sich die Umrisse des Wüs­ tengebirges, in dessen Hängen verdiente Be­ amte ihre Ruhestätte fanden. Hinter der Linie der ersten Höhenzüge liegt, einst verborgen, heute dem Massentourismus erschlossen, das Tal der Könige. Es beherbergt mehr als 60 Gräber der 18. bis 20. Dynastie, in denen einige der bekanntesten Pharaonen des al­ ten Ägypten bestattet wurden, unter ihnen Ramses II., Amenophis III., Thutmosis III.,

Merenptah, Sethos I. und Tutanchamun. Fast alle Gräber sind im Östlichen Tal zu fin­ den, lediglich die Pharaonen Eje und Ameno­ phis III. ließen ihre Häuser für die Ewigkeit im Westlichen Tal anlegen. Die moderne Be­ zeichnung der Grabanlagen mit dem Akro­ nym «KV» (für Kings’ Valley) und einer Num­ mer stammt von dem britischen Ägyptologen John Gardner Wilkinson. Von ihm wird be­ richtet, dass er eines Abends das Tal mit ei­ nem Farbeimer und einem Pinsel in der Hand abschritt und alle erkennbaren Grabzugänge mit einer roten Zahl beschriftete. Er mar­ kierte auf diese Weise 21 Gräber, die seitdem die Nummern KV 1 bis KV 21 tragen. Wilkin­ sons Ordnungssystem wird unverändert bis heute verwendet und lediglich um neu ent­ deckte Anlagen nummerisch erweitert, d. h., die Nummerierung folgt der Chronologie der Entdeckung der Gräber. Die Wahl des Tals der Könige als neuer Begräbnisort fiel mit dem erneuten Aufstieg Thebens zur Hauptstadt des Pharaonenrei­ ches zu Beginn der 18. Dynastie zusammen. Zuvor hatte Ägypten mehr als 200 Jahre lang, in der Zweiten Zwischenzeit, eine weitere

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Abb. 62 Das Tal der Könige auf der Westseite des Nil liegt zu Füßen einer natürlichen Felspyramide. Fast 500 Jahre lang ließen die altägyptischen Könige sich hier bestatten.

Einführung: Fortschritt und Tradition – das Tal der Könige

Abb. 63 Der einst prächtige Toten­ tempel Ramses’ II. ver­ fügte über eine Anlande­ stelle für Boote und diente dem Totenkult des verstorbenen Pharao. Das Grab des Herrschers liegt im Tal der Könige.

Phase des Umbruchs erlebt. Eine schnelle Folge schwacher Könige hatte das Land am Ende des Mittleren Reiches destabilisiert. Die Hyksos, Angehörige einer westsemiti­ schen Volksgruppe, waren in das nordöstli­ che Nildelta eingewandert und hatten dort allmählich die Macht übernommen, während im Süden des Landes von Theben aus weiter­ hin ägyptische Könige regierten. Im 16. Jh. v. Chr. eskalierte die Rivalität zwischen den beiden Herrscherhäusern, und es gelang den Thebanern schließlich, die Hyksos aus dem Delta zu vertreiben und Ägypten wieder zu vereinen. Das Neue Reich war geboren. Nachdem die Erfahrung gezeigt hatte, dass weder die Gesteinsmassen der Pyramiden noch die auf Plünderei ausgesetzten Strafen Grabräuber hatten fernhalten können, ent­ sprachen das entlegene Tal und die tief in den Fels getriebenen Anlagen im Tal der Könige dem wachsenden Sicherheitsbedürfnis ihrer Erbauer. Ein wichtiger Grund dafür, dass die Pharaonen des Neuen Reiches gerade diesen Ort als Begräbnisstätte auswählten, ist wahr­ scheinlich außerdem, dass das Tal von einer gewaltigen natürlichen Pyramide, dem 489 m hohen Felsmassiv el-Qurn («das Horn»), über­ ragt wird (Abb. 62). Die außergewöhnliche Form des Berges wurde wahrscheinlich als Anknüpfung an das «goldene Pyramidenzeit­ 72

alter» des Alten Reiches verstanden, sodass auf diese Weise ein unverkennbarer Bezug zum stellaren und solaren Jenseits des Alten und Mittleren Reiches erhalten blieb. Geheimhaltung war nun die oberste Pri­ orität bei der Anlage der Grabstätten. Dies bestätigt u. a. die Inschrift auf einer Stele im Grab des hohen Beamten Ineni aus der Zeit der frühen 18. Dynastie. Darin berichtet der Grabherr, der sich neben weiteren Titeln «Bürgermeister von Theben» nennen durfte und der diverse königliche Bauprojekte be­ aufsichtigt hatte: «Ich sah, wie man das Fels­ grab Seiner Majestät [Thutmosis I., d. V.] grub in der Einsamkeit, niemand sah es, niemand hörte es.» Die Verborgenheit der Grabstät­ ten stand über der imposanten Außenwir­ kung, auf die die Pharaonen trotzdem nicht gänzlich verzichten wollten. War der Aufbau königlicher Grabanlagen seit der 4. Dynastie weitgehend dem Schema Taltempel – Auf­ weg – Totentempel – Pyramide gefolgt (vgl. Abb. 27), so wurden Grab und Totentempel nun voneinander getrennt. Die imposanten Totentempel («Häuser der Millionen Jahre»), in denen der Totenkult für den verstorbe­ nen Herrscher vollzogen wurde, entstanden am Nil bzw. den Nilkanälen. Sie entsprachen nach wie vor dem Anspruch der Pharaonen nach nach außen gerichteter Prachtentfal­

Die Grabanlagen des Neuen Reiches

tung (Abb. 63). Die Grablegung inklusive der wertvollen Grabbeigaben erfolgte hingegen unabhängig davon im Tal der Könige. Das Hauptaugenmerk bei der Gestaltung der Grä­ ber lag nun auf der Innendekoration. Der Wunsch nach Abgeschiedenheit und Verborgenheit fiel mit einer erneuten Wand­ lung des Jenseitsglaubens zusammen, die das Totenreich – nach der Tiefe des Himmels (s.  S.  22 ff.) und des westlichen Horizonts (s. S. 50 ff.) – in die Tiefe der Unterwelt ver­ legte. Diese neue Lokalisierung ließ sich durch die neu gewählte Nekropolenlandschaft ideal abbilden, indem die Gräber tief in den Fels hineingetrieben wurden. Sie führte einmal mehr zu einer eindrucksvollen Verschmel­ zung mythologischer Vorstellungen und ar­ chitektonischer Formen (s. S. 84 ff.). Nachdem sich das Tal der Könige in der Anfangszeit als scheinbar leicht abzusichern­ der Begräbnisort erwiesen hatte, wurde das Bemühen um ein Verbergen der Zugänge allmählich aufgegeben, und die Pharaonen der 20. Dynastie ließen z. T. prunkvolle Ein­ gangsbereiche gestalten. Etwa zeitgleich kam es zu verstärkten Grabräuberaktivitäten im Tal, die z. T. detailliert dokumentiert sind und aus denen hervorgeht, dass auch die Nekro­ polenwächter in die Raubzüge verstrickt wa­ ren. Das letzte Begräbnis im Tal der Könige

fand 1069 v. Chr. statt. Es war Ramses XI., der zu Grabe getragen wurde. Mit ihm endeten die 20. Dynastie, das Neue Reich und die Zeit der Begräbnisse im Tal der Könige. Mit der Dritten Zwischenzeit und der 21. Dy­ nastie verlagerten sich das Machtzentrum und mit ihm auch der Begräbnisort in das unterägyptische Delta nach Tanis, wo sich in der Spätzeit eine neue Form der Grablegung entwickelte, die als «Grab im Tempelhof» be­ zeichnet wird. Sie verlegte die königliche Ru­ hestätte in den Vorhof eines großen Gottes­ tempels, wo sie neben einem dem Totenkult dienenden oberirdischen Bauabschnitt auch über einen unterirdisch gelegenen für die ei­ gentliche Grablegung verfügte (Abb. 64). Mit der Islamisierung Ägyptens ab etwa 640 n. Chr. sank die thebanische Nekropole für mehr als 1000 Jahre in einen tiefen Dorn­ röschenschlaf. Erst in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. berichteten moderne Reisende wie­ der vom Tal der Könige. Eine erste wissen­ schaftliche Aufnahme des Tals erfolgte 1738 durch den anglikanischen Bischoff und Rei­ seschriftsteller Richard Pococke. Die Napo­ leonische Ägypten-Expedition (1798–1801) legte schließlich den Grundstein für die Ägyp­ tologie als eine eigenständige Wissenschaft, deren Bedeutsamkeit 1822 mit der Entschlüs­ selung der Hieroglyphenschrift durch den französischen Sprachwissenschaftler Jean-

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Abb. 64 In der Dritten Zwischen­ zeit fungierte Tanis als Regierungssitz. Bislang wurden im Bezirk des dortigen Amuntempels sieben royale Bestat­ tungen gefunden (NRT = Nécropole Royal Tanis).

Lokalisierung: Die Nachtfahrt der Sonne – das chthonische Jenseits

François Champollion bestätigt und gefes­ tigt wurde. Seine Arbeit revolutionierte das Verständnis des Pharaonenreiches und stieß die Türen zur Gedankenwelt der alten Ägyp­ ter auf, die sich dem modernen Betrachter nach und nach als ein ebenso bildgewaltiges wie psychologisch feinsinniges Weltverständ­ nis offenbarte, in dem Wissenschaft und Ma­ gie, menschliches Alltagsleben und mythi­ sche Götterwelt eng beieinander liegen und oftmals unmittelbar ineinander übergehen. Champollions Arbeit verwandelte die Deko­ rationen und Inschriften im Tal der Könige sowie überall in Ägypten von eindrucksvol­ len Kunstwerken in Bild- und Textgeschich­ ten, die komplexe Inhalte in beiden Aus­ drucksformen vermitteln und einen Einblick in die Vorstellungswelt der alten Ägypter ge­ währen. Dieser half, mythologische Konzepte zu verstehen und nachzuvollziehen, wie sie die Architektur und Dekoration der Pharao­ nengräber geprägt hatten. In den Gräbern des Neuen Reiches im Tal der Könige begegnen sich Fortschritt und Tradition auf besonders anschauliche Weise. Die Architektur und Dekoration der Graban­ lagen weisen eine Vielzahl von Referenzen auf frühere Bauformen und mythologische

Konzepte auf. Erstens bilden die tief in den Fels hineingebauten Gräber anschaulich die neue Vorstellung des unterirdischen Jenseits ab. Das Dekorationsprogramm führt bis zur Grabkammer hinab, die dem tiefsten Punkt der Unterwelt entspricht, wo der Körper des Osiris ruht. Sie zeigt auch den glücklichen Ausgang der gefährlichen Nachtfahrt des Sonnengottes. Zweitens verweist die räum­ liche Trennung von Totentempel und Grab­ anlage auf die Zeit der Pyramiden im Alten Reich (s. S. 35 f.). Drittens zeigt ein Vergleich der Gräber aus der Zeit des Neuen Reiches vor und nach der Amarna-Zeit (s. S.  98 ff.), dass das in dieser Zeit vorübergehend um­ gesetzte monotheistische Gottesbild trotz seiner anschließenden Verwerfung erhebli­ chen Einfluss auf die religiösen, kultischen und funerären Ausdrucksformen des a­ lten Ägypten hatte. Anders als während der ganz auf das Diesseits ausgerichteten, nur rund 20 Jahre andauernden Amarna-Episode in der Mitte der 18. Dynastie war die Grundlage der neuen Bauformen und Dekorationspro­ gramme des Neuen Reiches stets eindeutig die Nachtfahrt des Sonnen- und Schöpfer­ gottes Re durch das unterirdische Jenseits und seine dortige allnächtliche Verjüngung.

Lokalisierung: Die Nachtfahrt der Sonne – das chthonische Jenseits

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m Neuen Reich erfuhr die Dat nochmals eine räumliche Veränderung. Nach dem nördlichen Nachthimmel im Alten Reich und dem «schönen Westen» im Mittleren Reich wurde sie nun in der Unterwelt lokalisiert und ergänzte auf diese Weise die Tagfahrt des Sonnengottes über den blauen Himmel um ein gespiegeltes Gegenstück: Die Nacht­ fahrt stellt sich primär als die zweite, un­ tere Hälfte einer Kreisbahn dar, die den Son­ nengott am Tag über den sichtbaren Himmel und in der Nacht durch das in der Unter­ welt verborgene Jenseits führt, in dem er sich verjüngt, um am nächsten Morgen am Osthorizont wieder den Himmelsteil sei­ ner zyklischen Reise zu beginnen. Der Son­ 74

nengott fährt auf einer Barke, begleitet von einer Entourage von Göttern (Abb. 65). Die dieser neuen Route der Nachtfahrt beigefüg­ ten, überraschend detaillierten und konkre­ ten Aussagen über die Topographie des altä­ gyptischen Jenseits nähern sich dem Herzen der altägyptischen Religion textlich und bild­ lich weiter an als all ihre Vorläufer. Sie führen bis an den tiefsten Punkt der Nacht, wo das Wunder der Verjüngung und Erneuerung des Sonnengottes stattfindet. Das Amduat («Das Buch von dem, was in der Unterwelt ist») ist das älteste Werk ei­ ner neuen Gattung von Jenseitstexten, die im Neuen Reich entstanden: den Unterweltsbü­ chern. Ihre Text- und Bildkompositionen wa­

Die Grabanlagen des Neuen Reiches

Abb. 65 Papyrus mit einer Dar­ stellung der Sonnenbarke des Re. Der Sonnengott reist umringelt von einer schützenden Schlange und begleitet von diver­ sen Göttern, vorne am Bug z. B. Ma’at.

ren graphisch und inhaltlich wegweisend für alle weiteren Werke dieser Kategorie (s. S.  82 ff.). Das Amduat gliedert die Nachtfahrt des Sonnengottes in zwölf Abschnitte entspre­ chend den zwölf Stunden der Nacht. Es zeigt in jeder Stunde sowohl Ereignisse, die nur die­ sem einen Stundenbereich zugeordnet sind (z. B. das Zusammentreffen mit Osiris in der sechsten Nachtstunde), als auch Handlungen

des Sonnengottes, die vermutlich eigentlich in jeder Nachtstunde stattfinden (Erweckung der Verstorbenen, Zuweisung von Ackerflä­ chen, Versorgung mit Speise, Trank, Kleidung, Rettung der Ertrunkenen u. a.). Sie werden ex­ emplarisch in nur einer Stunde gezeigt, um das Bildprogramm nicht zu überfrachten. Nachfolgend soll das Amduat als Leitfaden für eine zusammenfassende Beschreibung

Abb. 66 Sonnenuntergang, Blick von Luxor aus über den Nil. Im Wind flattern die Wimpel der kleinen Schiffe, von denen einige noch im Abendlicht über den Fluss kreuzen.

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Lokalisierung: Die Nachtfahrt der Sonne – das chthonische Jenseits

Abb. 67 Darstellung des jenseitigen Lebens aus dem Grab des Sennedjem, Deir el-Medina. Der Grabeigner und seine Frau vereh­ ren die Götter (oben) und gehen der stets ertragreichen Landwirtschaft nach.

Abb. 68 Die 5. Stunde des Amduat. Außergewöhnlich ist die Aufgabe der sonst strengen Aufteilung in drei waagerechte Register zugunsten einer mittigen vertikalen Achse, die auf die Bewegung des Sonnengottes über die Höhle des Sokar (unten) fokussiert.

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Die Grabanlagen des Neuen Reiches

der Nachtstunden dienen, um zu verdeutli­ chen, wie sich die Nachtfahrt des Sonnengot­ tes im Neuen Reich zu einer kohärenten, auf­ einander aufbauenden Erzählung wandelte, die den Verstorbenen Schritt für Schritt durch die gefahrvollen Gefilde der Unterwelt führt. Wenn die Sonnenscheibe hinter dem west­ lichen Horizont versinkt, ist ihr orangerotes Leuchten damals wie heute noch eine Weile zu sehen, bevor sich die nächtliche Finster­ nis über das Land senkt (Abb. 66). Die alten Ägypter stellten sich vor, dass der Sonnengott sich in dieser ersten Nachtstunde in einer Art Zwischenreich befindet, die es den Lebenden erlaubt, seinen Nachschein noch eine Weile wahrzunehmen. Er reist auf einer Barke, die über ein jenseitiges Gewässer gleitet, das ein Gegenstück des diesseitigen Nil ist. Erst beim Eintritt des Sonnengottes in die zweite Nacht­ stunde schließen sich die Tore zur Unterwelt hinter ihm und die irdische Welt wird gänzlich von Dunkelheit umfangen. Die lieblichen Wernesgefilde, die exempla­ risch in der zweiten Nachtstunde dargestellt sind, sind gleichbedeutend mit dem elysi­ schen Jenseits der alten Ägypter und knüpfen an die frühere Idee des Binsen- und Opferge­ fildes an (s. S.  23 f.). Der Verstorbene führt hier eine Existenz, die als Spiegel der positi­ ven Aspekte des diesseitigen Lebens konzi­

piert ist. Es ist ein Leben im Überfluss und ohne Versorgungsängste, in dem die immer wiederkehrende Gegenwart des Sonnengot­ tes die Verstorbenen belebt und erneuert (Abb. 67). Die Zeit vergeht dabei anders als auf Erden, und so ist eine Nachtstunde für den Verstorbenen wie ein ganzes Leben im Diesseits. Wenn der Sonnengott den Nacht­ stundenbereich verlässt, sinken die Verstor­ benen in ihren Totenschlaf zurück, um bei seiner Rückkehr in der kommenden Nacht erneut zu erwachen. In der dritten bis fünften Nachtstunde steigt der Sonnengott in die Tiefe der Unterwelt hi­ nab, die sich zunehmend als ebenso gefahrwie geheimnisvoll präsentiert. In der vier­ ten und fünften Nachtstunde durchquert der Sonnengott mit seinem Gefolge einen beson­ deren Abschnitt der Unterwelt: das Reich des falkengestaltigen Gottes Sokar. Sokar zählt zu den ältesten Totengottheiten der alten Ägyp­ ter. Sein Reich ist eine von unzähligen Schlan­ gen bevölkerte Wüstenlandschaft, welche die Mannschaft der Sonnenbarke zwingt, diese zu treideln bzw. über Land zu ziehen. Die Nacht­ fahrt des Re erfährt in diesen beiden Nacht­ stunden einen dramaturgischen Höhepunkt, denn der Sonnengott ist mittlerweile stark geschwächt und sein Licht fast ganz erlo­ schen. Beide Nachtstunden bleiben daher

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Abb. 69 Aus dem Totenbuch des Ani, 19. Dynastie. In der mittleren Szene ver­ sinkt die Sonne im Westgebirge und ist von Löwen flankiert, die «Gestern» und «Morgen» repräsentieren.

Lokalisierung: Die Nachtfahrt der Sonne – das chthonische Jenseits

Abb. 70 Der vereinigte Re-Osiris aus dem Grab der Nefer­ tari im Tal der Königinnen (19. Dynastie). In keiner anderen bisher bekann­ ten Bildkomposition wird die Verschmelzung der beiden Götter deutlicher gemacht.

weitgehend in Dunkelheit gehüllt, nur die Flammenstrahlen der Schlangen, die aus ih­ ren Mündern Feuer speien, erhellen Teile der Finsternis. Die fünfte Nachtstunde ist die visuell viel­ leicht eindrucksvollste des Amduat (Abb. 68). Sie steht ganz im Zeichen der Vorwärtsbewe­ gung der Sonnenbarke. Zugleich ist der Son­ nengott so geschwächt und verletzlich wie an keinem anderen Punkt seiner Reise. Alles ist darauf ausgerichtet, ihn sicher die letzte Wegstrecke bis zur Vereinigung mit Osiris in der folgenden, sechsten Nachtstunde zu ge­ leiten, in der sich allnächtlich das Wunder der Erneuerung vollzieht. Zuvor ist jedoch in der fünften Stunde die Szene der Überque­ rung der Höhle des Sokar eine der stärksten Bildkompositionen des Amduat. Im Inneren

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der Höhle befindet sich ein separater ova­ ler Raum, in dem eine vierköpfige geflügelte Schlange am Boden liegt, deren Flügel von dem Gott Sokar festgehalten werden. Sieg­ fried Schott postuliert, dass der Innenraum des Ovals als Teil des uranfänglichen Chaos zu verstehen sei. Das Oval ruht zwischen den Rücken zweier menschenköpfiger Sphingen. Die Komposition erinnert an Darstellungen des Erdgottes Aker, der im Alten Reich als schmaler Landstreifen mit an den Rändern aufragenden menschlichen Köpfen darge­ stellt wurde. Das Motiv wurde später um die Vorderpranken von Löwen ergänzt und zu ei­ nem Doppelsphinx erweitert, dessen Figuren in entgegengesetzte Richtungen blicken und deren Namen «Gestern» bzw. «Morgen» be­ deuten (Abb. 69). Zurecht wird diese Szene aus der fünften Nachtstunde von manchen Ägyptologen als eine Doppelung des eigentlich in der sechs­ ten Stunde angesiedelten Erneuerungsmoti­ ves verstanden, das allerdings ohne die Figur des Osiris auskommt und deswegen mögli­ cherweise in die fünfte vorverlegt wurde, um Re und Osiris als den dominierenden Göttern des Pantheons die sechste Stunde vorzube­ halten. Beim Eintritt in die sechste Nachtstunde ist das Licht des Sonnengottes erloschen. Hier ereignet sich das größte Geheimnis, das die altägyptische Mythologie kennt: die Erneue­ rung des Schöpfers. Sie vollzieht sich durch seine Vereinigung/Berührung mit dem Totengott Osiris. Durch die Vereinigung die­ ser beiden Götter an diesem tiefsten und dunkelsten Punkt der Nacht werden der Sonnengott und mit ihm seine Schöpfung er­ neuert und verjüngt. Während das Amduat in der Darstellung dieser bedeutungsvollen Szene textlich und bildlich im Bereich von Andeutungen verbleibt, ist eine Bildszene im ausgezeichnet erhaltenen, prunkvollen Grab der Nefertari im Tal der Königinnen sehr viel expliziter und zeigt die vorüberge­ hende Verschmelzung beider Götter im Bild (Abb. 70). Das Pfortenbuch ist nach dem Amduat das zweite Unterweltsbuch des Neuen Rei­ ches und setzt hinter diesen entscheidenden Nachtstundenbereich die Gerichtshalle des

Die Grabanlagen des Neuen Reiches

    Abb. 71 Unvollendete Darstellung des Totengerichts aus dem Grab des Haremhab (Tal der Könige, 18. Dynastie). Die Szene ist gegenüber späteren Darstellungen noch wenig erzählerisch struk­turiert (vgl. Abb. 73).

    Abb. 72 Oberkörper der Göttin Ma’at mit der sie kenn­ zeichnenden Straußenfeder als Kopfschmuck.

79

Lokalisierung: Die Nachtfahrt der Sonne – das chthonische Jenseits

Abb. 73 Totengerichtsszene aus dem Totenbuch des Hunefer (19. Dynastie). Oben rezitiert Hunefer das Negative Sündenbe­ kenntnis, damit die Herzwägung (unten) zu seinen Gunsten ausfällt.

Osiris (s. S. 47 f.), wo auf Grundlage der irdi­ schen Lebensführung des Verstorbenen über sein jenseitiges Schicksal entschieden wird. Die komplexe Bildszene ist im Tal der Könige erstmals (unvollendet) im Grab des Harem­ hab (KV 57, Anfang des 13. Jh. v. Chr.) belegt (Abb.  71). Voraussetzung für das Bestehen vor dem Totengericht ist, dass das Herz des Verstorbenen sich im Gleichgewicht mit der Ma’at befindet, der der Schöpfung immanen­ ten gerechten Weltordnung, die das Leben der alten Ägypter im Diesseits wie im Jenseits bestimmte (Abb.  72). Dazu muss der Ver­ storbene sich vor 42 Richtergottheiten und dem Totengott Osiris rechtfertigen, indem er in Form des Negativen Sündenbekennt­ nisses (Totenbuchspruch 125) versichert, di­ verse Fehlverhalten nicht begangen zu haben (Abb. 73). Der Spruch ist bereits seit dem frü­ hen Neuen Reich belegt. Auch hier greift die Idee der durch Verbildlichung und Verschrift­ lichung auf magische Weise entstehenden Realität: Konnte der Verstorbene das Nega­ tive Sündenbekenntnis fehlerfrei rezitieren, war dies gleichbedeutend mit seiner tatsäch­ lichen Sündlosigkeit (der formal gehaltene Spruch könnte möglicherweise auf priesterli­ che Reinheitsbeteuerungen aufbauen, die vor der Ausführung kultischer Handlungen zu sprechen waren). Im selben Kontext wurde das Herz des Verstorbenen auf einer Waage 80

gegen die Feder der Ma’at aufgewogen. War das Gleichgewicht gestört, so fiel der Verstor­ bene dem zweiten, endgültigen Tod anheim. Die Totengerichtsszene hat bis zum Ende des Pharaonenreiches zahlreiche Variationen er­ fahren, wobei die Hauptmotive jedoch unver­ ändert blieben. Nach der erfolgreichen Verjüngung des Sonnengottes in der sechsten Nachtstunde widmen sich die verbliebenen Stunden bis zum Morgengrauen der Rückkehr und des Aufstiegs aus der Tiefe und Finsternis der Unterwelt. Die siebte Stunde zeigt den Sieg über den Sonnenfeind Apophis, der gefesselt und zerstückelt wird, um den Sonnengott

Die Grabanlagen des Neuen Reiches

Abb. 74 Apophis liegt gefesselt vor der Sonnenbarke (Am­ duat, 7. Stunde, Mittleres Register). Die eigentlich riesige Schlange wird im Bild klein dargestellt, um ihr Gefahrenpotenzial zu mindern.

nicht mehr bedrohen zu können (Abb. 74). Als Verkörperung des uranfänglichen Chaos scheint er jedoch über ein unerschöpfliches Regenerationspotenzial zu verfügen, das ihn befähigt, sich Re jede Nacht erneut in den Weg zu stellen. In der achten und neunten Nachtstunde wird die Versorgung der Ver­ storbenen thematisiert (Abb. 75). Die zehnte Nachtstunde thematisiert die Rettung Er­ trunkener in die Unterwelt, während die elfte Stunde sich der Bestrafung der Verdammten widmet (Abb. 76). Die zwölfte und letzte Nachtstunde steht schließlich im Zeichen der Neugeburt. Un­ terschiedliche Jenseitsbilder werden hier be­

reits im einleitenden Text noch einmal ex­ plizit miteinander verschmolzen, z. B. wenn gewünscht wird, der Sonnengott möge auf­ gehen «aus den Schenkeln der [Himmelsgöt­ tin] Nut» – ein Bild, das die Nachtfahrt als Reise durch den Körper der Himmelsgöttin und die morgendliche Wiedergeburt aus ih­ rem Schoß wachruft und zugleich die bereits aus dem Alten Reich stammende Idee der Fahrt entlang des sternengesäumten Nacht­ himmels aufgreift (s. S. 9). Diese motivische multiplicity of approaches (s. S. 10) ist typisch für das mythische und speziell das altägypti­ sche Denken und stellt in der Vorstellungs­ welt der alten Ägypter wie üblich keines­

81

Abb. 75 In der 8. Stunde des Am­ duat geht es um die Versorgung der Toten mit Kleidung. Im oberen und unteren Register sit­ zen Götter auf dem , das «Stoff» Symbol bedeutet.

Jenseitstexte: Die Unterweltsbücher

wegs einen Widerspruch, sondern vielmehr eine Bereicherung der beschreibenden Spra­ che und Gedankenwelt dar. Die Nachtfahrt endet schließlich mit dem strahlenden Neu­ aufgang des Sonnengottes am östlichen Ho­ rizont. á    Abb. 76 Unter der Aufsicht von Horus (ganz links) werden in der 11. Stunde des Amduat die «Osiris-Feinde» bestraft. Ihre Körper, Seelen (Bau) und Schat­ ten werden in Feuer­ gruben vernichtet.

Abb. 77 Grabkammer Thutmo­ sis’ III. im Tal der Könige. Die umlaufende Wand­ dekoration bietet eine eindrucksvolle, fast voll­ ständige Wiedergabe des Amduat.

Jenseitstexte: Die Unterweltsbücher

D

ie Unterweltsbücher sind die bestim­ menden religiösen Texte des Neuen Rei­ ches, die Bild und Text in vorher nicht gekann­ ter Detailtiefe effektvoll kombinieren. Wie die Pyramidentexte des Alten Reiches gelten sie als streng königliche Totentexte. Erst ge­ gen Ende des Neuen Reiches erfolgt auch bei ihnen eine Demokratisierung (s. S. 48 f.). Die Unterweltsbücher stellen den solaren Aspekt der Nachtfahrt in den Mittelpunkt und versu­ chen, die Frage nach dem genauen Verbleib des Sonnengottes in den Nachtstunden zu ergründen. Dies ist verknüpft mit der Frage nach seiner allnächtlichen Erneuerung, wel­ che gleichbedeutend ist mit der Erneuerung seiner Schöpfung. Sie ist Voraussetzung für

82

alles Leben, des jenseitigen ebenso wie des diesseitigen. Die Ursprünge der in den Un­ terweltsbüchern verarbeiteten sprachlichen und bildlichen Motive lassen sich bis ins Mitt­ lere Reich zurückverfolgen. Ihre detaillierte Ausgestaltung, Strukturierung und erzähle­ rische Anordnung verankern ihre konkrete Entstehung jedoch mit großer Wahrschein­ lichkeit im Neuen Reich. Die Unterweltsbücher explorieren akri­ bisch die Details der jenseitigen Gefilde in dem Bemühen, den Weg und die sich dem Sonnengott stellenden Herausforderungen möglichst genau zu beschreiben. Zugleich sollen sie den verstorbenen Pharao mit al­ lem Wissen auszustatten, das er benötigt,

Die Grabanlagen des Neuen Reiches

um die Nachtfahrt an der Seite des Sonnen­ gottes zu bestreiten. Diese Idee ist ähnlich bereits aus dem Zweiwegebuch (s. S.  66 ff.) bekannt, wird im Amduat und im jüngeren Pfortenbuch (erstmals belegt im Grab des Ha­ remhab, 1319–1292 v.  Chr.) jedoch grafisch strenger formalisiert umgesetzt, wie z. B. in der kontinuierlichen Aufteilung des Gesche­ hens auf drei übereinander stehende Regis­ ter deutlich wird (vgl. Abb. 74). Das Amduat ist der älteste Text der litera­ rischen Gattung der Unterweltsbücher und erstmals im Grab Thutmosis’ I. (1504–1492 v.  Chr.) im Tal der Könige (KV  20) belegt. Die eindrucksvollste Fassung findet sich im Grab KV  34 von Thutmosis  III. (1479–1425 v. Chr.; Abb. 77). Der altägyptische Titel die­ ses heute als Amduat angesprochenen ältes­ ten Bild-Text-Korpus lautete «Schrift des Verborgenen Raumes» (der Begriff Amduat war ursprünglich eigentlich die altägypti­ sche Gattungsbezeichnung aller Unterwelts­ bücher und bedeutet zu Deutsch etwa «Buch von dem, was in der Dat ist»). Die Bezeich­ nung des Jenseits als «Verborgenem Raum» verweist auf die die Verjüngung des Son­ nengottes umgebende Aura des Geheimnis­ ses. Trotz aller Genauigkeit in der Schilde­ rung des Jenseits nähern sich Text und Bild diesem bedeutendsten Moment der altägyp­ tischen Mythologie nur an und lassen ihn dann – vermutlich, um ihn zu schützen – vor­ überziehen, ohne bei dem Augenblick der Er­ neuerung zu verweilen. Die bekannten Unterweltsbücher werden in zwei Gruppen aufgeteilt (in der Reihen­ folge ihrer Entstehung): Ältere Unterweltsbücher Amduat Pfortenbuch

Jüngere Unterweltsbücher Höhlenbuch Buch von der Erde Änigmatisches Unterweltsbuch (Abb. 78)

Im Amduat finden sich die Grundlagen der Jenseitsvorstellungen des Neuen Reiches in außergewöhnlich vollständiger und detail­ lierter Form dargestellt, die Bild-Text-Kom­

positionen erlauben außerdem Rückschlüsse auf ältere mythologische Konzepte. Sie beför­ dern das Verständnis von Texten aus dem Al­ ten und Mittleren Reich, aus denen im Amduat immer wieder Elemente aufgegriffen werden. Auch die besondere tiefenpsychologische Be­ deutung der Texte wurde mittlerweile erkannt und spielt eine zunehmende Rolle in der Be­ schäftigung sowohl mit dem Amduat selbst als auch mit anderen originalen Quellen. Das Amduat erzählt davon, wie der Son­ nengott sich (und damit gleichzeitig seine Schöpfung) durch den – nicht ungefährli­ chen – Kontakt mit dem uranfänglichen cha­ otischen Urgrund, der die geschaffene Welt umgibt und teilweise durchdringt, erneuert. Eine personifizierte Form dieses Chaos ist der mächtige Wasserdrachen Apophis, den Re mithilfe seines Gefolges erst unschädlich machen muss, bevor er seine Fahrt Richtung Neubeginn fortsetzen kann. Das Jenseits ist nach altägyptischer Vorstellung Teil der ge­ schaffenen Welt, doch ist es stärker als das Diesseits mit Berührungspunkten zur pri­ mordialen Zeit durchsetzt. Der irdische Tod, der den Eintritt in die Dat erst möglich macht, wurde daher als notwendiger Teil des zykli­ schen Weltbildes verstanden, der die Verjün­ gung des Sonnengottes – und in seiner Nach­ folge die der Verstorbenen – erst ermöglicht. Es ging den alten Ägyptern in ihrem religiö­ sen Verständnis also nicht so sehr um eine Überwindung des Todes, sondern er wurde eher als eine rite de passage aufgefasst. Die 83

Abb. 78 Detail aus dem Änigmati­ schen Unterweltsbuch von einem der Gold­ schreine des Tutanchamun mit der ersten bekannten Darstellung des Welt­ umringlers Ouroboros.

Grabarchitektur: In die Tiefe der Unterwelt – die Fels­gräber als Abbild der jenseitigen Topographie

Vorwärtsbewegung des Sonnengottes durch den Raum – vorgestellt als eine Barkenfahrt auf einem dem Nil vergleichbaren Gewäs­ ser – generiert dabei die Zeit. Der Stillstand der Sonnenbarke, den Apophis herbeizufüh­ ren sucht, wäre gleichbedeutend nicht nur mit dem Ende der Zeit, sondern auch dem Ende der Schöpfung. Immer wieder wird auf dem langen Weg durch die Unterwelt die Ambivalenz des uranfänglichen Chaos deut­ lich, das die geschaffene Welt auf der einen Seite mit Vernichtung bedroht, auf der an­ deren Seite Ursprung ihrer kontinuierlichen Erneuerung ist. Die Aufteilung des Amduat in zwölf Nacht­ stundenbereiche, die wiederum in jeweils drei Register mit unterschiedlichen Anzah­ len von Szenen aufgeteilt sind, wirkte sich stilbildend auf die nachfolgenden Unterwelts­ bücher aus. Gleiches gilt für die enge Verzah­ nung von Text und Bild. Im Fokus des priesterlichen Interesses, das sich im Neuen Reich erstmals im Amduat dokumentiert findet, stand die Erlan­ gung von Kenntnissen über die Dat, die zur Erstellung hilfreicher Sprüche und einer de­

taillierten Topographie des Totenreiches ver­ wendet wurden. Dieses Bestreben führte zu für uns in ihrem Bemühen um Exaktheit so verblüffenden Aussagen wie der, dass der erste Nachtstundenbereich, den der Sonnen­ gott zu Beginn der insgesamt zwölf Nacht­ stunden durchfährt, 193 km lang ist. Ins­ gesamt sind im Amduat rund 900 göttliche Wesen am nächtlichen Geschehen beteiligt, viele von ihnen werden im Text namentlich genannt. Trotz dieser z. T. so überraschend präzisen Angaben stellen die Text-Bild-Kom­ binationen der Unterweltsbücher bis heute aufgrund ihrer potenziellen Mehrdeutigkeit eine große Herausforderung für die Ägypto­ logie dar. Viele der dargestellten Szenen sind nach wie vor nicht vollständig verstanden. Den Unterweltsbüchern inhaltlich ver­ wandt sind das Nutbuch, das Buch vom Tage und das Buch von der Nacht, das Buch von der Himmelskuh und die Sonnenlitanei, die jedoch die Nachtfahrt in den Leib der Himmelsgöttin Nut verlegen. Auch diese Bücher gehören im Neuen Reich zum Dekorationsprogramm der Königsgräber, deren Architektur einmal mehr den mythologischen Vorgaben folgt.

Grabarchitektur: In die Tiefe der Unterwelt – die Fels­gräber als Abbild der jenseitigen Topographie

Z

u Beginn des Neuen Reiches (18.–20. Dy­ nastie) verschwindet die Pyramide, da­ mals und bis heute die Signaturbauform des alten Ägypten, aus dem königlichen Grab­ baukanon. Thutmosis I. (1504–1492 v. Chr.), der dritte Herrscher der 18. Dynastie, ist ver­ mutlich der erste, der das Tal der Könige als Bestattungsort wählte (wo die ersten bei­ den Herrscher der 18. Dynastie ihre Grab­ anlagen errichteten, ist ungewiss, es wird aber wohl bereits in der Umgebung von The­ ben gewesen sein). Die frühesten Anlagen im Tal sind architektonisch ebenso wie gestal­ terisch noch vergleichsweise einfach ausge­ führt. Die Anzahl der Korridore und Kammern ist gegenüber späteren Gräbern geringer. Vor allem gilt dies jedoch mit Blick auf die De­ koration der Gräber, die zunächst im We­ 84

sentlichen auf die Grabkammer beschränkt bleibt. Vor allem die späteren Grabanlagen sind als eine in den Fels hinabsteigende, lange Folge von Treppen, Korridoren und Kammern angelegt und ahmen damit den allabendlichen Abstieg des Sonnengottes in die Unterwelt nach. Insgesamt lassen sich im Wesentlichen drei Bautypen unterscheiden: Erstens, kleinere Gräber, deren Hauptachse eine leichte Krümmung aufweist. Zweitens, Gräber, deren Längsachse ein bis zwei annä­ hernd rechtwinklige Knicke aufweist. Inter­ essanterweise sind alle diese Gräber vor der Amarna-Zeit (s. S.  98 ff.) entstanden, wäh­ rend die dritte Gruppe überwiegend nach der Amarna-Zeit angelegt wurde: In diesen verläuft die Hauptachse gerade (einzige Aus­ nahme ist KV 7, das Grab Ramses’ II., das un­

Die Grabanlagen des Neuen Reiches

ã    Abb. 79 (li.) Grabanlage Amenophis’ II., 18. Dynastie (KV 35). Deutlich ist der nahezu rechtwinklige Knick der Hauptachse zu sehen.

á    Abb. 80 (re.) Die Anlage des Meren­ ptah (KV 8) zeigt den geradlinigen Achsenverlauf, der für die NachAmarna-Zeit typisch ist.

ß    Abb. 81 In der 4. Stunde des Am­ duat werden die ver­ schlungenen Wege des Jenseits registerüber­ greifend als gewinkelter Sandweg dargestellt.

85

Grabarchitektur: In die Tiefe der Unterwelt – die Fels­gräber als Abbild der jenseitigen Topographie

mittelbar vor der Grabkammer abknickt). Es handelt sich dabei mit knapp 25 Grab­ anlagen um den häufigsten Bautyp im Tal (Abb.  79. 80). Der nicht-lineare Verlauf der früheren Bauform erinnert an die gewunde­ nen Wege des Jenseits, die im Amduat in der vierten und fünften Nachtstunde (Abb. 81) visuell umgesetzt sind und die ihren Ur­ sprung in den Darstellungen des Zweiwe­ gebuches des Mittleren Reiches haben (s. S. 66 ff.). Der in den meisten Gräbern auftre­ tende Ritualbrunnenschacht diente vermut­ lich der Abwehr von Grabräubern und auch der Aufnahme der Wassermassen gelegent­ lich auftretender Sturzfluten im Tal der Kö­ nige. Darüber hinaus darf darin aber wohl auch eine Reminiszenz an die Anbindung an das Urgewässer zu erkennen sein, das mit seiner kreativen Energie eine der Quellen der nächtlichen Erneuerung des Schöpfer­ gottes ist. Die Sargkammer schließlich be­ Tal der Könige Tal der Könige

findet sich am tiefsten Punkt der Grabanlage bzw. des unterirdischen Jenseits, dort also, wo der Sonnengott sich auf seiner Nacht­ fahrt mit dem Totengott Osiris vereinigt und so sich selbst und seine Schöpfung erneuert. Zum ersten Bautyp gehören die Gräber KV  20 und KV  38 (Abb.  82). KV  20 wurde 1903/04 von Howard Carter entdeckt, dem knapp 20 Jahre später, ebenfalls im Tal der Kö­ nige, der Sensationsfund des Grabes des Tu­ tanchamun (KV  62) gelang. Carter erkannte richtig, dass in KV 20 – was sehr ungewöhn­ lich war – gleich zwei Herrscher bestattet worden waren: Thutmosis I. und seine Toch­ ter Hatschepsut, die für einen Zeitraum von rund 20 Jahren selbst als Pharaonin über das Land am Nil geherrscht hatte (~1479–1458 v. Chr.; Abb. 83). Carter nahm an, dass der Körper Thutmosis’ I. aus seinem eigentlichen Grab, dem kleineren und einfacher gehalte­ nen KV 38, in das der Hatschepsut umgebet­ Ramses VII. (KV 1)

N

Ramses VII. (KV 1)

N S S

Ramses IV. (KV 2) Ramses IV. (KV 2)

Ramses II. (KV 7)

Ramses II. Merenptah (KV 8)

(KV 7)

Merenptah (KV 8)

Ramses XI. (KV 4)

Ramses V./Ramses VI.

Ramses XI.

(KV 9)

(KV 4)

Ramses V./Ramses VI. (KV 9)

Amenophis II.

Tutanchamun (KV 62)

(KV 35)

Haremhab

(KV 35)

Haremhab

Amenophis II.

Tutanchamun (KV 62)

(KV 57) (KV 57)

Söhne Ramses’ II. (KV 5)

Söhne Ramses’ II. (KV 5)

Ramses III (KV 11)

Ramses III (KV 11)

Tausret/Sethnacht (KV 14) Tausret/Sethnacht (KV 14) Thutmosis I. (KV 38)

Siptah

(KV 47)

Sethos I. (KV 17)

(KV 47)

Sethos I. (KV 17)

Siptah

Thutmosis I.

Thutmosis IV.

(KV 38)

Abb. 82 Übersichtsplan des Tals der Könige. Die nach­ folgend in diesem Buch besprochenen Gräber sind durch rote Schrift hervorgehoben.

Thutmosis I./ Hatschepsut (KV 20) Thutmosis I./ Hatschepsut (KV 20)

Sethos II.

(KV 43)

Sethos II.

(KV 43)

Thutmosis IV.

(KV 15) (KV 15)

Thutmosis III. (KV 34)

Thutmosis III. (KV 34)

86

0

20

40

60

80 100 m

0

20

40

60

80 100 m

Die Grabanlagen des Neuen Reiches

 Abb. 83 Statue der Königin Hatschepsut, die in dem typischen, männlichen Königsornat porträtiert wird. Gleich­ zeitig zeigt ihre Statue eindeutig weibliche Gesichts- und Brustformen.

â Abb. 84 (li.) Die vermutlich Thutmosis I. gehörende Grabanlage KV 38 ist in ihrer Kam­ mer- und Gangzahl noch sehr einfach gehalten.

87

â Abb. 85 (re.) Die primär Hatschepsut zugeschrie­ bene Anlage KV 20 besitzt mit dem langen, gebogenen Hauptgang eine im Tal einmalige Bauform.

Grabarchitektur: In die Tiefe der Unterwelt – die Fels­gräber als Abbild der jenseitigen Topographie

A F

E

B–D

G

Abb. 86 KV 34 ist die Grabanlage Thutmosis’ III. In ihr wurde zum letzten Mal die Bauform der kar­ tuschenförmigen Grab­ kammer für einen Pharao verwendet.

tet worden sei (Abb. 84). Aufgrund diverser Indizien setzte sich später die Ansicht durch, dass in Wirklichkeit KV 20 die ältere der bei­ den Anlagen und ursprünglich für Thutmo­ sis I. angelegt worden sei. Jüngste Forschungs­ ergebnisse haben diese Überzeugung jedoch wieder in Frage gestellt und erneut KV  38 als die ältere, Thutmosis I. zugeeignete An­ lage postuliert. Neue Untersuchungen bele­ gen außerdem Bild- und Textfragmente auf Lehmputzbruchstücken, die im Grab gefun­ den wurden. Das Bildprogramm stammt aus dem Amduat. Es handelt sich um die erste be­ kannte Belegstelle für dieses älteste Unter­ weltsbuch. Stilistisch ähneln die Darstellun­ gen den Strichzeichnungen aus dem späteren Grab Thutmosis’ III. 88

KV  20 liegt im östlichsten Arm des Tals der Könige. Das Grab weist einen unge­ wöhnlichen Grundriss auf, der sich ähnlich – wenn auch deutlich kleiner skaliert – nur in KV  38 findet (Abb.  85). Die Hauptachse weist eine kontinuierliche, annähernd U-för­ mige Krümmung auf, die sich von dem nach Osten gerichteten Eingang zunächst in süd­ licher Richtung und dann nach Westen er­ streckt. Mythologisch wird also vermutlich die Nachtfahrt des Sonnengottes nachvollzo­ gen. Die Grabkammer ist nach Norden orien­ tiert. Die gekrümmte Achse weist eine Länge von rund 213 m auf, die Grabkammer befin­ det sich etwa 97 m unter dem Talboden. Mög­ licherweise war ursprünglich die nahezu oval geformte Vorkammer als Grabkammer vorge­ sehen, wie es bereits in KV 38 umgesetzt war. Dieselbe Kammerform findet sich auch später wieder, z. B. im Grab von Thutmosis III. (s. u.). Wie in allen Königsgräbern der 18. Dynastie blieben die Korridore und Treppenfluchten undekoriert. Aufgrund des weichen Gesteins im unteren Teil der Anlage konnte das Deko­ rationsprogramm in der Grabkammer nicht direkt auf den Wänden aufgebracht werden. Die Texte wurden daher in schwarzer und ro­ ter Tinte auf Kalksteinblöcken angebracht, die vermutlich entlang der Wände aufgestellt wurden. Thutmosis III. war der sechste Herrscher der 18. Dynastie und regierte von 1479– 1425 v. Chr. (in den ersten gut zwei Jahr­ zehnten vertreten durch seine Stiefmut­ ter Hatschepsut). Der Pharao wurde im Tal der Könige in dem Grab mit der Nummer KV 34 beigesetzt (vgl. Abb. 82). Der Grund­ riss des Grabs zeigt den zeittypischen Knick der Hauptachse. Eine architektonische Neu­ erung ist der Ritualbrunnen, der in späteren Grabanlagen übernommen und zu einem festen Bestandteil der königlichen Grabar­ chitektur wird. KV 34 setzt sich von den an­ deren Königsgräbern durch die ovale Form der Grabkammer ab, die an eine Kartusche erinnert und in der Tradition von KV  38 und KV 20 steht (Abb. 86; s. o.). Lediglich in KV  42, geschaffen für die Hauptfrau Thut­ mosis’ III., die Große Königliche Gemahlin Meritre Hatschepsut, taucht die Form noch einmal auf. Das Grab blieb jedoch unvollen­

Die Grabanlagen des Neuen Reiches

det und wurde möglicherweise nie für eine Beisetzung genutzt. Die Grabanlage Thutmosis’ III. weist einen steil abfallenden Eingangsbereich auf (A), der durch mehrere Korridore und Treppen­ fluchten (B–D) zum Ritualbrunnenschacht führt (E). Die leicht asymmetrische Vorkam­ mer (F) auf der anderen Seite besitzt zwei Pfeiler und ist umlaufend einzigartig mit Dar­ stellungen von 741 Götterfiguren des Amduat dekoriert. Ein Treppenabgang führt in die Grabkammer hinab (G), die über vier Ne­ benkammern verfügt. Sie ist ein gestrecktes Rechteck mit abgerundeten Ecken, wodurch ihre Form an eine Kartusche erinnert. Beide Kammern, die Vorkammer und die Grabkam­ mer, sind an der Decke mit einem Sternen­ himmel geschmückt und verweisen so auf das stellare Jenseits des Alten Reiches. Das Dekorationsprogramm der Grabkammer be­

steht aus einer nahezu kompletten Fassung des Amduat und der bislang frühesten be­ kannten Version der Litanei des Re (auch: Sonnenlitanei), die der Identifizierung des verstorbenen Pharao mit Re dient und auf den Pfeilern angebracht ist (Abb. 87). Das Amduat bildet die komplette Wanddekora­ tion. Die geschickte Wahl der Hintergrund­ farbe vermittelt den Eindruck, als sei ein überdimensionierter Papyrus entlang der Wand ausgerollt (Abb. 88). Gegenüber der ins Grab hinunterführenden Treppe, hinter dem Sarkophag des Königs, befinden sich die drei finalen Stunden des Amduat, die vom er­ folgreichen Ende der Nachtfahrt und dem be­ ginnenden Wiederaufstieg des Sonnengottes am Osthimmel berichten (Abb. 89). Die An­ ordnung der Nachtstundenbereiche auf der Wand orientiert sich an Vermerken, die sich im Text des Amduat finden: Die Stunden 1–4

Abb. 87 Detail der auf den bei­ den Pfeilern in der Grab­ kammer Thutmosis’ III. angebrachten Litanei des Re, in der mehr als 70 Er­ scheinungsformen des Gottes aufgezählt werden (vgl. Abb. 88).

89

Grabarchitektur: In die Tiefe der Unterwelt – die Fels­gräber als Abbild der jenseitigen Topographie

á    Abb. 88 Diese exakte Replik der Grabkammer Thutmosis’ III. zeigt unverstellt durch Glastrennwände den einzigartigen Raumeindruck und den umlaufenden «Papyrus». Die Decke ist, den Jenseitsvorstellungen des Alten Reiches verbunden, als Sternenhimmel gestaltet.

ß    Abb. 89 Hinter dem Sarkophag Thutmosis’ III. sind sinnfällig die drei letzten Stunden des Amduat angebracht, die Bilder der Regeneration und der morgend­ lichen Wiedergeburt zeigen; im Bild die 12. und letzte Stunde des Unterwelts­ buches. Sie endet mit dem Durchgang des Cheprikäfers mit der Sonnen­ scheibe durch die Begrenzung der Dat (rechts).

90

Die Grabanlagen des Neuen Reiches

gehören auf die Westwand, 5 und 6 auf die Südwand, 7 und 8 auf die Nordwand, 9–12 schließlich auf die Ostwand. Diese «ideale» Ausrichtung konnte jedoch nicht ohne Ab­ striche umgesetzt werden, was u. a. auf die fünf Türdurchgänge (vgl. Abb. 86) zurück­ zuführen ist. An mehreren Stellen sind Um­ stellungen oder Auslassungen zu beobach­ ten, die den Gesamteindruck einer (nahezu) vollständigen Abbildung des Amduat jedoch nicht schmälern. KV  17, gelegen im südöstlichen Wadi des Tals der Könige, wurde für Pharao Sethos I. (1290–1279 v. Chr.) errichtet. Er war der Vater Ramses’  II., und sein Grab gilt als das längste und tiefste im ganzen Tal (vgl. Abb. 82. 90). Wie die nachfolgenden Anlagen weist es eine Aufteilung in einen oberen und ei­ nen unteren Grabbereich auf, die jeweils in einem Pfeilersaal bzw. in der Grabkam­ mer gipfeln. Die Hauptachse des Grabes ver­ springt leicht (von F nach G, Abb. 90), ist insgesamt jedoch geradlinig, wie es für die Nach-Amarna-Zeit typisch ist. Die Anlage Sethos’ I. stellt einen Höhepunkt der altägyp­ tischen funerären Architektur dar und er­ streckt sich über eine Länge von gut 137 m. Es markiert auch einen wichtigen Entwick­ lungsschritt in der Dekoration der königli­ chen Gräber: Während die früheren Anlagen lediglich im Bereich des Brunnenschach­ tes, der Vor- und der Sargkammer Dekora­ tionen aufweisen, ist KV 17 vollständig vom Eingang bis an die Rückwand der Sargkam­ mer dekoriert. Manche Abschnitte blieben zwar unvollendet, doch die Vorzeichnungen und teilweise begonnenen Arbeiten am Re­ lief zeigen, dass auch diese Bereiche mit re­ ligiösen Texten versehen werden sollten. Die außerordentlich hohe Qualität der Dekora­ tion in bemaltem und erhabenem Relief ver­ deutlicht, dass das Grab in einer Blütezeit der Kunstfertigkeit im Umgang mit Propor­ tionen, Farben und Formen entstanden ist. Zugleich wird die Jenseitsreise des Pharao in zuvor unbekannter Ausführlichkeit geschil­ dert. Die Auswahl der Bilder und Texte ist weniger stringent organisiert als z. B. in der Grabanlage Thutmosis’ III. Während dort die Nachtfahrt chronologisch entlang der Schil­ derungen des Amduat gestaltet und in einem

einzigen Raum (der Grabkammer) verdich­ tet ist, wird bei Sethos I. eine eher lockere, nicht immer direkt aufeinander aufbauende Szenenfolge umgesetzt. Sie schöpft aus den Text- und Bildszenen der verschiedenen Jen­ seitstexte und bildet dabei den Eingang und Ausgang aus dem Totenreich ab. Die Auswahl veranschaulicht die große Komplexität der Jenseitstexte des Neuen Reiches und unter­ streicht den auch hier vorliegenden Ansatz der multiplicity of approaches (s. S. 10). Das für das Grab Sethos’ I. entwickelte Dekora­

Fa J I H G

91

Abb. 90 Die Grabanlage Sethos’ I. (KV 17) gilt als eines der größten, aufwendigs­ ten und schönsten Gräber im Tal der Könige.

F E D

C

B

Grabarchitektur: In die Tiefe der Unterwelt – die Fels­gräber als Abbild der jenseitigen Topographie

Abb. 91 Sethos I. in königlichem Ornat vor einem Opfer­ tisch. Diese Kopie des originalen Bildes im Grab stammt von dem briti­ schen Maler Henry Wil­ liam Beechey (~ 1818).

tionsprogramm fungiert stilbildend für alle nachfolgenden Königsgräber bis einschließ­ lich dem Ramses’ III. knapp 140 Jahre später. Die vollständige Ausschmückung des Grabes erlaubt eine bewusste räumliche Verteilung der verwendeten Texte. Das Dekorationsprogramm eröffnet von Korridor B bis Treppenschacht C mit der Sonnenlitanei, die sich der Identifizierung des Pharao mit Re widmet und nachfolgend zum Standardprogramm fast aller Königs­ gräber im Tal wird. Weiter in Treppen­ schacht C folgen Szenen aus dem Totenbuch und dem Amduat (letztere erstrecken sich bis in Korridor D). Auch in allen nachfolgen­ den Pharaonengräbern bis zu Ramses III. ist der dritte Korridor der vierten und fünften Nachtstunde des Amduat vorbehalten, in de­ nen der Sonnengott das Wüstenreich des So­ kar durchqueren muss. Der Brunnenschacht E zeigt Sethos vor den Göttern, ein passen­ der Ort, denn hier, nahe dem Urgewässer, be­ findet sich der Verstorbene in unmittelbarer Nähe der Gottesmächte. Das Motiv setzt sich in der Vier-Säulen-Kammer F fort, die außer­ dem Szenen aus dem Pfortenbuch zeigt. Ab 92

hier beginnt der untere Teil der Grabanlage. Korridor G widmet sich dem Mundöffnungs­ ritual, einer Kulthandlung, die vor der Grable­ gung an der Mumie vollzogen wurde. Ihr Ziel war es, die Sinnes- und Körperfunktionen des Verstorbenen wiederherzustellen, eine un­ verzichtbare Notwendigkeit für das Fortle­ ben im Jenseits. Das Thema wird in Korridor H fortgesetzt. Passend dazu ist auf der gegen­ überliegenden Wand Sethos I. zu sehen, wie er vor einem Opfertisch sitzt, auf dem stili­ sierte Brothälften dargestellt sind (Abb. 91). Kammer I zeigt den verstorbenen Pharao er­ neut vor verschiedenen Göttern. In der Ne­ benkammer Fa wird zusätzlich das Amduat wieder aufgegriffen. Die Dekoration der mit sechs Pfeilern ausgestatteten Grabkammer J und ihren Nebenkammern umfasst Szenen aus den beiden großen Unterweltsbüchern Amduat (Abb. 92) und Pfortenbuch sowie dem Buch von der Himmelskuh (Abb. 93). Mit der Abwendung von der Grabkammer als ei­ nem von einem gigantischen Papyrus umrun­ deten Raum tritt auch die Technik der Strich­ zeichnung wieder zurück, und die sonst aus dem alten Ägypten gewohnten ausgefüllten

Die Grabanlagen des Neuen Reiches

Formen und die Farbigkeit halten in die Aus­ gestaltung der älteren Unterweltsbücher wie dem Amduat Einzug. Der mit goldenen Ster­ nen geschmückte, dunkelblaue Nachthim­

mel, der in den vorausgegangenen Gräbern die standardisierte Deckengestaltung war, fehlt bei Sethos I. Stattdessen wird in seinem Grab das Dach der Grabkammer erstmals als

á    Abb. 92 In der 2. Stunde des Am­ duat (hier die beiden oberen Register) geht es u. a. um Zeitmessung und das Kalenderwesen.

Abb. 93 Das Buch von der Him­ melskuh beschreibt ebenso wie das Nutbuch das Himmelsgewölbe als den Leib einer riesigen Kuh (hier in einer Neben­ kammer der Grabkammer Sethos’ I.).

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Grabarchitektur: In die Tiefe der Unterwelt – die Fels­gräber als Abbild der jenseitigen Topographie

Abb. 94 Die Grabkammer Sethos’ I. mit der eindrucksvollen astronomischen Decke.

Abb. 95 Innenseite des Alabastersarges Sethos’ I., Kopfende. Dargestellt ist das Schlussbild des Pfortenbuches (vgl. Abb. 96).

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Die Grabanlagen des Neuen Reiches

Gewölbedecke ausgearbeitet (Abb. 94). Ast­ ronomische Szenen öffnen die Grabkammer zusätzlich für das stellare Jenseits des Al­ ten Reiches (vgl. Abb. 14). Auf Bodenniveau setzt hinter dem ursprünglich in der Kam­ mer stehenden Sarkophag (Abb. 95. 96), der sich jetzt im Londoner Sir John Soane’s Mu­ seum befindet, ein steil abfallender Gang an, der etwa 1 m breit und 1,50 m hoch ist. Die Länge des Ganges beträgt 174 m, die Wände sind mit Skizzen für aufwendige Reliefs und Wandmalereien versehen. Auf den letzten gut 25 m verbreitert sich der Gang auf 2,60 m. Zwei Treppenabgänge enden im Nichts. Auf einer Scheintür findet sich eine hieratische Inschrift, die offenbar eine Anweisung für die Steinmetze war: «Mach den Türrahmen hö­ her und den Eingang weiter». Es bleibt un­ klar, ob die Anlage des Ganges primär my­ thologisch motiviert war (Anbindung an das Urgewässer Nun) oder praktischer Na­ tur war (Verbergen der eigentlich geplan­ ten, «geheimen» Grabkammer, Einlagerung des Grabschatzes). Was immer Sethos I. und seine Architekten mit diesem Gang geplant haben mögen, kam nicht mehr zur Ausfüh­ rung. Vermutlich wurden die Arbeiten beim Tod des Pharao eingestellt. Das Grab Ramses’ V. (ca. 1145–1142 v. Chr.) und Ramses’ VI. (1142–1132 v. Chr.) trägt die

Abb. 96 Umzeichnung des Schlussbildes des Pforten­ buches (Sarkophag Sethos’ I., vgl. Abb. 95), das den gesamten täg­ lichen Sonnenlauf umfasst (von unten nach oben): Der Gott Nun hebt die Sonnenbarke aus dem Urgewässer empor, die von der Himmelsgöttin Nut (schwarz) empfangen wird, die auf dem Kopf des Osiris steht, dessen gekrümmter Körper die Dat umschließt. Das Bild ist in beide Richtun­ gen lesbar.

Nummer KV 9 (vgl. Abb. 82). Es liegt in un­ mittelbar Nähe des wohl bekanntesten Gra­ bes des Tals, KV  62  – dem Grab des Tutan­ chamun. KV 9 besitzt die für die 20. Dynastie typische gerade Achse und bietet mit seinen großzügig angelegten Korridoren und hohen Decken ein außerordentliches Raumerleb­

Abb. 97 Deckengemälde in der Grabanlage von Ramses V./ VI. (KV 9). Die bis heute leuchtenden Farben ver­ mitteln einen Eindruck von der einstigen Strahl­ kraft der Grabdekora­ tionen.

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Grabarchitektur: In die Tiefe der Unterwelt – die Fels­gräber als Abbild der jenseitigen Topographie

Abb. 98 Grabanlage Ramses’ V. und Ramses’ VI. (KV 9) im Tal der Könige.

Abb. 99 Hieroglyphen und Bildkompositionen sind in KV 9 detailreich und ins­ besondere farblich eindrucksvoll gestaltet. Es entsteht ein ganz anderer Eindruck als z. B. in KV 17 (vgl. Abb. 92).

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nis, das anderen Anlagen im Tal der Könige fehlt. Die hochwertige Ausführung sowie die leuchtenden Farben verleihen dem Grab eine besondere Lebendigkeit (Abb. 97). Die An­ lage wurde unter Ramses V. in traditioneller Bauweise etwa halb fertiggestellt, nach sei­ nem Tod jedoch von seinem Nachfolger Ram­ ses VI. usurpiert und erweitert (Abb. 98). Die Dekoration des Grabes wurde dabei vollkom­ men umgestaltet und um diverse neue Ele­ mente ergänzt, die eine weitreichende Neu­ orientierung in der Grabgestaltung erkennen lassen. Zwar bleibt die Unterteilung in einen oberen und einen unteren Grabbereich – wie sie seit Sethos I. bestand – erhalten, doch das Bildprogramm wurde neu arrangiert. Die Be­ tonung liegt nun auf der Tag- und Nachtfahrt des Sonnengottes, während der Totengott Osiris in seiner Bedeutung zurücktritt. Bei dieser Neuausrichtung handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um eine späte Nachwirkung der Amarna-Zeit, die im Grab Sethos’ I. noch nicht zum Tragen kommt und der vermutlich auch die schon in früheren Anlagen umgesetzte gerade Hauptachse ge­ schuldet ist (s. S. 103). Die dezenten Farbtöne der Amduat- und Pfortenbuch-Szenen aus früheren Gräbern weichen einer heiter anmutenden Farbig­ keit (Abb. 99). Erstmals wird das Höhlenbuch mit seinen sechs Abschnitten in einer Grab­

Die Grabanlagen des Neuen Reiches

  Abb. 100 Die Grabkammer Ramses’ VI. zeigt Motive aus dem Buch von der Erde, einer Szenensammlung, die sich mit der Nachtfahrt des Sonnengottes beschäftigt.

ß  Abb. 101 Die Decke in der Grabkammer Ramses’ VI. ist wie bei Sethos I. als Gewölbedecke gearbeitet. Sie besitzt auch eine ähnliche Farbigkeit (vgl. Abb. 94), zeigt aber das Buch vom Tag (links) und das Buch von der Nacht (rechts), welche zusammen die Reise des Son­ nengottes entlang und durch den Körper der Himmelsgöttin Nut beschreiben (vgl. Abb. 2 a.b).

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Exkurs: Grabanlage, -dekoration und Mythologie in der Amarna-Zeit

anlage verwendet, ebenso wie das Buch vom Tage und das Buch von der Nacht (beide in der Sargkammer). Die Seitenwände der Grab­ kammer bedeckt das Buch von der Erde (Abb. 100. 101). Wie bei Sethos I. ist die De­ cke der Grabkammer als Gewölbedecke aus­ geführt. Ihre Gestaltung weist eine neue, sys­ tematische Links-Rechts-Aufteilung auf, die sich jeweils auf die Tag- und Nachtfahrt des Sonnengottes bezieht und auch bereits in an­ deren Korridoren und Kammern angedeutet wird. Die Längsachse des Deckengewölbes der Sargkammer trennt den unterweltlichen, jenseitigen Bereich vom diesseitigen, sodass in gewisser Weise zwei in unterschiedlicher Richtung zu bereisende «Fahrbahnen» ent­ stehen: Eine führt in das Grab und die Unter­ welt hinein, die andere hinaus. Geschickt ist die Sonnengeburt in Richtung des Grabaus­ ganges orientiert, der passenderweise tat­ sächlich im realen Osten liegt (vgl. Abb. 2). Dieser «Leitfaden» ermöglicht Ramses  VI. das «Hinausgehen am Tage». Dieses Konzept

ist die bestimmende Idee des Totenglaubens in der zweiten Hälfte des Neuen Reiches und hat seinen Ursprung in der Amarna-Zeit (s. S.  102). Es soll dem Verstorbenen ermögli­ chen, in ihm beliebiger Form sein Grab am Tage zu verlassen, um unter den Lebenden zu weilen und an den zahlreichen Festen des Jahres teilzunehmen, mit denen die Göt­ ter gefeiert werden. Die Grabarchitektur und -dekoration des Neuen Reiches zeichnet sich einerseits durch eine klare Entwicklungslinie ab, welche die allmähliche räumliche Aufweitung und die zu beobachtende Erweiterung der Text-BildProgramme in Form der verschiedenen Un­ terweltsbücher umfasst. Andererseits ist sie aber auch von einer deutlichen Zäsur in die­ ser Entwicklung geprägt, z. B. beim Verlauf der Hauptachse oder der Neuorientierung des Bildprogramms, die ihren Ursprung in der Amarna-Zeit hat und nach deren Ende die weitere Evolution der Grabanlagen ent­ scheidend mit beeinflusst hat.

Exkurs: Grabanlage, -dekoration und Mythologie in der Amarna-Zeit

M

itte des 14. Jhs. v. Chr., rund 200 Jahre nach Beginn des Neuen Reiches und knapp 300 Jahre vor seinem Ende, tat Pharao Echnaton (1351–1334 v. Chr.) das Undenk­ bare: Er ersetzte die Pluralität der altägypti­ schen Götter durch Aton, die Sonnenscheibe, den er zum alleinigen Gott erhob (Abb. 102). Im Rahmen dieses weitreichenden religiö­ sen und gesellschaftlichen Umbruchs, der die bisherige Götterwelt aus ihren Angeln hob und durch eine monotheistische Stifter­ religion ersetzte, erdachte der visionäre Pha­ rao auch ein vollkommen neues Tempel- und Grabkonzept, das der jahrtausendealten sa­ kralen und funerären Baukunst des alten Ägypten ein jähes, wenn auch nur vorüber­ gehendes Ende setzte. Echnaton brach durch die Negation des al­ ten Pantheons nicht nur mit den religiösen Traditionen und gedanklichen Grundfesten der alten Ägypter, sondern auch mit der eta­

Abb. 102 Fragment einer Kolossal­ statue des Echnaton aus dem Aton-Tempel in Karnak. Es zeigt die typi­ sche elongierte Gesichts­ form des Herrschers.

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Die Grabanlagen des Neuen Reiches

blierten Führungselite des Landes. Der Um­ bruch erforderte für den jungen Pharao da­ her auch einen räumlichen Wechsel: Um sich nicht nur inhaltlich, sondern auch geogra­ phisch von den alten Kulten zu entfernen, suchte Echnaton auf unberührtem Boden ei­ nen Neuanfang. Unweit des heutigen Tell el‐ Amarna entstand in Mittelägypten die neue Hauptstadt Achet-Aton, der «Horizont des Aton». Mit der Deklaration Atons zum allei­ nigen Gott ging die landesweite Schließung der Tempel der alten Götter einher. Auch die bisherigen Grabkulte wurden offiziell nicht weiter vollzogen, denn in und mit ihnen wa­ ren die alten Götter verehrt worden. «Es gibt keinen anderen [Gott] außer ihm», ließ Ech­ naton über Aton verkünden und schuf mit dieser Aussage die erste monotheistische Re­ ligion der Menschheitsgeschichte. Bereits kurz nach seinem Tod im Jahr 1334 v. Chr. wurde Echnaton dafür als Ketzerkönig ver­ femt (Abb. 103). Doch seine geistig-kultu­ relle Revolution überdauerte im kulturellen Gedächtnis und war, obwohl oberflächlich verdrängt, möglicherweise ein Wegbereiter für die großen monotheistischen Weltreligi­ onen unserer Zeit. Echnatons neue Religion verlangte nach einer neuen Form der Grabarchitektur und der Grabdekoration. Die alten Bauformen, die den Weg hinab in das Totenreich nachzu­ ahmen gesucht hatten, und die alten Bilder und Texte, die von der Nachtfahrt des Son­ nengottes und zahllosen anderen Göttern berichtet hatten, waren für den neuen Pha­ rao nicht mehr von Bedeutung. Zwangsläufig verschwanden damit die bisherigen Gottes­ szenen aus den Tempeln und dem funerären Dekorationsprogramm – sie wurden durch Darstellungen des Königs und seiner Familie ersetzt, die mit Aton im Zentrum des neuen Kultes standen (Abb. 104). Der Aton-Kult konzentrierte sich ganz auf das Diesseits und das tägliche gütige Wir­ ken Atons in seiner Schöpfung. Sein Verbleib während der finsteren Nachtstunden blieb in den neuen religiösen Texten unerklärt. Aton manifestierte sich ausschließlich im Sonnen­ licht, das auf die Welt und seine Geschöpfe herabschien, und besaß keine Kultfiguren oder Statuen. Im Relief wurde Aton als Son­

nenscheibe dargestellt, deren Strahlen in Händen enden, die dem Königspaar Echna­ ton und Nofretete das Anch-Zeichen spenden, das Symbol des Lebens. Im «Großen Sonnen­ gesang», einem programmatischen religiö­ sen Hymnus, dessen Urheberschaft Echna­ ton selbst zugeschrieben wird, beschreibt dieser Atons lebensspendende Kraft, die am Tag die Welt erweckt, sie in der Konsequenz jedoch in der Nacht dem Tod preisgibt (zitiert nach Erik Hornung). Schön erscheinst du im Horizont des Himmels, du lebendige Sonne, die das Leben bestimmt! [....] Deine Strahlen säugen alle Felder – wenn du aufgehst leben und wachsen sie für dich. [....] 99

Abb. 103 Teilrestaurierte Büste des Echnaton, die noch deutlich die Spuren mut­ williger Zerstörung zeigt. Das Ausschlagen der Nase sollte die Existenz des Verstorbenen im Jenseits auslöschen.

Exkurs: Grabanlage, -dekoration und Mythologie in der Amarna-Zeit

Die Welt entsteht auf deinen Wink, wie du sie geschaffen hast. Bist du aufgegangen, so leben sie, gehst du unter, so sterben sie [....].

Hinweise auf ein in seiner Komplexität dem Diesseits vergleichbares Leben im Jen­ seits entfielen, denn die Nacht bedeutet im Aton-Kult einfach nur die Abwesenheit des Schöpfers – sie wurde durch keine tröstli­ che Jenseitsutopie kompensiert. Möglicher­ weise war dies ein entscheidendes Versäum­ nis der neuen Lehre, die keine Rücksicht auf die Jahrtausende gewachsene mythische Welt­ sicht nahm. Die Grabanlagen sollten den neuen Inhal­ ten des Aton-Kultes auch architektonisch Aus­ druck verleihen. Eine ebenso grundlegende wie wesentliche Änderung betrifft dabei be­ reits die Standortwahl: Hatten die Gräber bis­ lang auf der traditionell mit dem Totenreich assoziierten Westseite des Nil gelegen, so wurden sie nun auf dessen Ostseite angelegt. Die als Felsgräber ausgeführten Grabanlagen befinden sich in dem östlich von Achet-Aton liegenden Gebirgszug, mit einem schmalen

Abb. 104 Hausaltar: Echnaton (links) und Nofretete (rechts) mit drei ihrer Töchter un­ ter den lebensspenden­ den Strahlen Atons, des alleinigen Gottes des monotheistischen AmarnaKultes.

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Wüstenstreifen zwischen dem Bergmassiv und dem Siedlungsraum (Abb. 105). Als machtvollste Gegenfiguren zu seinem Gott Aton hatte Echnaton im alten Pantheon den Schöpfergott Amun und den viel verehr­ ten Totengott Osiris ausgemacht, der dem jen­ seitigen Totengericht vorsaß und entschied, welcher Verstorbene in das selige Totenreich eingehen durfte. Kurzerhand usurpierte Ech­ naton diese Rolle, indem der Aton-Kult vor­ sah, dass nur der Verstorbene ins Totenreich gelangen konnte, der die «Gnade des Königs» besaß, quasi die Erlaubnis des Pharao, in das atonische Paradies einzutreten. War diese Gnade gewährt, so konnte der Verstorbene sich am Morgen von seinem Totenlager erhe­ ben und im Großen Aton-Tempel an den Kult­ handlungen für Aton teilnehmen und an den Speiseopfern partizipieren. Das Jenseits des Aton-Kultes war damit in den diesseitigen Raum verlegt: in den Tempelbezirk des Gro­ ßen Aton-Tempels von Achet-Aton. Darüber hinaus gab es – soweit uns heute bekannt – keine weiteren Aussagen über das jenseitige Schicksal der Verstorbenen, sodass dieses sich möglicherweise in dem Aufenthalt im

Die Grabanlagen des Neuen Reiches

Tempelbezirk erschöpfte und somit deutlich weniger vielschichtig war als frühere Jen­ seitsvorstellungen. Echnatons eigenes Grab (TA 26, wobei TA für Tell el-Amarna steht) liegt in einem schmalen Seitenarm des sogenannten König­ lichen Wadis, über dem sich von Achet-Aton aus gesehen die Sonne am Morgen über den östlichen Horizont erhebt. Die ungewöhnli­ che Lage des Königsgrabes fernab der ande­ ren Friedhofsanlagen verrät viel über Ech­ natons Selbstwahrnehmung. Die Lage des Grabes legt nahe, dass er sich nicht nur als Sohn Atons verstand, sondern sich mit die­ sem identifizierte. Von Achet-Aton aus ge­ sehen überlagert sich die Position der Grab­ stätte geschickt mit dem morgendlichen Sonnenaufgang, sodass der Eindruck ent­ steht, die Sonnenscheibe steige am Morgen aus Echnatons Grab hinauf an den Himmel. Da in den Gräbern und Tempeln durch die Abschaffung des alten Pantheons die übli­ chen Götterbilder und mythologischen Sze­ nen entfielen, schmücken auch in Echnatons Anlage Darstellungen der königlichen Fami­ lie die Wände. Es handelt sich um Szenen des königlichen Familienlebens und der Vereh­ rung Atons durch den Pharao und seine An­ gehörigen (Abb. 106. 107).

Trotz erkennbarer Veränderungen gegen­ über den zuvor und danach im Tal der Kö­ nige entstandenen Anlagen scheint sich das Grab des Echnaton auf den ersten Blick gar nicht so sehr von diesen zu unterscheiden: Es gibt eine Aneinanderreihung absteigen­ der Korridore, Seitenkammern, einen Brun­ nenschacht und schließlich die Grabkam­ mer selbst. Im Detail offenbaren sich jedoch diverse Besonderheiten, die TA 26 von den vergleichbaren Anlagen im Tal der Könige anhebt. Auffällig ist zunächst, dass Echnaton für sein Grab den bis dahin üblichen Knick in dem absteigenden Hauptkorridor aufgibt und durch eine in gerader Linie abfallende Flucht ersetzt, die vom Eingang des Grabes direkt in die am Ende liegende Grabkammer führt. Dies ergibt sich vermutlich aus der im Aton-Kult verankerten Idee des «Hinausge­ hens am Tage», die unmittelbares Ergebnis der Diesseitsbezogenheit der neuen Religion ist. Das Grab musste nicht mehr die gewun­ denen Pfade des unterirdischen Jenseits ab­ bilden, sondern sollte vielmehr einen gerad­ linigen Aufstieg ans Licht ermöglichen. Ein abfallender Gang verbindet die erste mit einer zweiten Treppe, an deren Fuß sich recht unvermittelt der Ritualbrunnen öffnet. Dieser befindet sich direkt vor dem Eingang 101

Abb. 105 Fragmentarischer Stadt­ plan von Achet-Aton: 1. Nordfriedhof 2. Südfriedhof 3. Wüstenheiligtümer 4. Nordstadt 5. Nordpalast 6. Maru-Aton 7. Südstadt 8. Großer Aton-Tempel 9. Kom el-Nana 10. Arbeitersiedlung 11. Arbeiterfriedhof 12. Königliches Wadi 13. Grab des Echnaton V Grenzstele «V» U Grenzstele «U».

Exkurs: Grabanlage, -dekoration und Mythologie in der Amarna-Zeit

Abb. 106 Wie im Grab des Echna­ ton ersetzten auch in den Privatgräbern Darstel­ lungen der Königsfamilie die alten Götterszenen. Hier Echnaton mit Nofre­ tete und zwei Töchtern vor einem Opfertisch für Aton (Privatgrab des Merire I., Nordfriedhof).

zur Grabkammer, ohne dass weitere Pfei­ lersäle beide Bauelemente voneinander ab­ setzen würden. Ebenfalls ungewöhnlich ist, dass die Anlage offensichtlich für die Beiset­ zung weiterer Angehöriger der königlichen

Abb. 107 Ein beliebtes Bildmotiv der Amarna-Zeit sind Aus­ fahrten der Königsfami­ lie mit dem Pferdewagen (Privatgrab des Merire I., Nordfriedhof).

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Familie genutzt werden sollte, nämlich Ech­ natons Gemahlin Nofretete und der ältesten Tochter Meritaton. Damit plante der Pharao, die wichtigsten Personen des Aton-Kultes in einer gemeinsamen Grabanlage zusammen­

Die Grabanlagen des Neuen Reiches

Abb. 108 Grenzstele «U». Am Fuß der Stele sind links und rechts die Überreste von Statuen des Echnaton und der Nofretete zu er­ kennen.

zufassen statt wie üblich jeder dieser Perso­ nen ein eigenes Grabmal zu schaffen. Auf ei­ ner der bislang entdeckten 15 Grenzstelen, die das Stadtgebiet ein wenig wie moderne Ortsschilder begrenzen, formuliert Echna­ ton dieses Vorhaben (zitiert nach Hermann A. Schlögl; Abb. 108): «Man baue mir ein Grab im Berg von Achet-Aton, wo die Sonne aufgeht, in wel­ chem meine Bestattung erfolgen soll nach Millionen von Regierungsjubiläen … Man bestatte darin nach Millionen von Jahren die Große Königliche Gemahlin Nofretete … und man bestatte darin nach Millionen von Jahren die königliche Tochter Meritaton.»

nigs im Nachgang der Amarna-Zeit. Die am besten erhaltenen Szenen finden sich in den für Meritaton vorgesehenen Kammern. In Raum α finden sich Darstellungen von Ver­ tretern fremder Völker, die in Anbetungshal­ tung ihre Arme zu Aton erhoben haben – ein neuer Gedanke in der altägyptischen Religi­

Aufgrund der schlechten Gesteinsqualität wurden die Wände in Echnatons Grab groß­ flächig mit einer Gipsschicht überzogen, sodass die Dekoration darauf angebracht wer­ den konnte. Viele Szenen sind heute verlo­ ren oder zumindest stark beschädigt. Dies beruht zu einem großen Teil auf der bewuss­ ten Zerstörung der Darstellungen im Rah­ men der Verfolgung des Andenkens des Kö­ 103

Abb. 109 Die 5. Stunde des Pforten­ buches zeigt die den alten Ägyptern bekannten Völ­ ker (von links nach rechts): Libyer, Nubier, Asiaten und Ägypter (künstlerische Darstellung nach einer Szene im Grab Sethos’ I.).

Exkurs: Grabanlage, -dekoration und Mythologie in der Amarna-Zeit

osität, der in den Jenseitstexten der NachAmarna-Zeit nachwirkt (Abb. 109) und ein Verweis auf die Universalität von Echna­ tons Gott ist, die der Pharao in seinem Gro­ ßen Sonnengesang verkündet (Übersetzung nach Erik Hornung). «Die Fremdländer von Syrien und Nubien und das Land von Ägypten: du stellst jedermann an seinen Platz und sorgst für ihren Bedarf […]. Du Herr eines jeden Landes, der aufgeht für sie, du Sonne des Tages, gewaltig an Hoheit! Alle fernen Länder, du schaffst ihren Lebensunter­ halt».

Abb. 110 Mit einer sonst in der altägyptischen Kunst unbekannten Direktheit lässt Echnaton die Trauer über den Tod einer seiner Töchter darstellen (links: Nofretete und Echnaton über den Leich­ nam gebeugt).

Aton ist – anders als andere ägyptische Göt­ ter – ein Weltenherrscher, der seine Gunstbe­ zeugungen nicht auf das Pharaonenreich be­ schränkt, sondern auch den Fremdländern angedeihen lässt. Möglicherweise wurde Echnatons Absicht, seine Grabstätte als Familiengruft zu nut­ zen, durch den überraschend frühen Tod der zweitältesten Tochter Maketaton zunichte gemacht. Sie wurde in den eigentlich ihrer älteren Schwester zugedachten Nebenkam­ mern beigesetzt. An den Wänden finden sich berührende Darstellungen der Trauer der Kö­ nigsfamilie (Abb. 110). Dieser tiefe Einblick in die emotionale Intimsphäre des Königs­ paars und ihrer Töchter fügt sich schlüssig in das grundsätzlich sehr privat erscheinende, aber dennoch im öffentlichen Raum genutzte

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Bildprogramm der Amarna-Zeit ein. Dieses zeigt in großformatigen Darstellungen in Grä­ bern, auf Tempelwänden und Hausaltären den körperbetonten, zärtlichen Umgang der Familienmitglieder miteinander, die stets unter den schützenden Händen Atons zu se­ hen sind (Abb. 111. 112). Darstellungen wie diese sind typisch für die Amarna-Zeit und zugleich einmalig in der altägyptischen Bild­ geschichte. Die Intimität, mit der im Grab des Pharao die Trauer der Familie um die früh verstorbene Tochter zum Ausdruck ge­ bracht wird, übertrifft diese jedoch mit Blick auf ihre emotionale Wucht noch bei Weitem. Zwar sind Darstellungen der Trauer grund­ sätzlich in altägyptischen Gräbern nicht un­ üblich, doch sie treten üblicherweise stark formalisiert auf. Beispielsweise werden Kla­ gefrauen abgebildet (ihre Anzahl fungiert da­ bei auch als ein Statussymbol des Verstorbe­ nen) oder die emotionale Befindlichkeit der Trauergäste wird durch Details der Beklei­ dung vermittelt (Abb. 113. 114). Die Offen­ heit und Unverschleiertheit, mit der Echna­ ton die Emotionen ins Bild umsetzen lässt, berühren bis auf den heutigen Tag. Echnatons neue Religion ging mit seinem Tod im Jahr 1334 v. Chr. unter. Seine Nachfol­ ger bemühten sich noch kurze Zeit um die Be­ wahrung der neuen Lehre, doch schon mit Tut­ anchamun kam ab 1332 v. Chr. die Rückkehr zum alten Glauben. Die nachfolgenden Pha­ raonen zerstörten Echnatons Tempel, seine neue Stadt und tilgten die Erinnerung an ihn aus den Annalen. Vermutlich war es die Ra­ dikalität der Veränderung und die geforderte Abkehr von den jahrtausendealten, tradier­ ten Jenseitshoffnungen, die ein so wichti­ ger, inhärenter Teil der altägyptischen Kul­ tur waren, die zum Scheitern des Aton-Kultes führten. Rund 20 Jahre lang war Achet-Aton Hauptstadt des Pharaonenreiches und Zent­ rum einer beispiellosen neuen künstlerischen Schaffenskraft, bevor dieser außergewöhnli­ che Abschnitt der altägyptischen Geschichte schon wieder endete und für Jahrtausende in Vergessenheit geriet. Die Spuren in den Grä­ bern von Achet-Aton erlauben heute jedoch noch immer einen Einblick in das Streben ih­ rer Erbauer, einer neuen Form des Göttlichen eine Heimstatt auf Erden zu geben.

Die Grabanlagen des Neuen Reiches

Abb. 111 Intim anmutende königli­ che Familienszenen wie diese schmückten Hausaltäre zur Verehrung Atons und der Königs­ familie in den Häusern der Bewohner von AchetAton.

Abb. 112 Mitglieder der Königs­ familie werden häufig in inniger Umarmung oder – so wie hier – beim Austausch eines Kusses gezeigt (Nofretete küsst eine ihrer Töchter).

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Exkurs: Grabanlage, -dekoration und Mythologie in der Amarna-Zeit

Abb. 113 Klagefrauen in einer Darstellung des Begräbniszuges im Grab des Ramose, eines Wesirs unter Amenophis III. und Echnaton (18. Dynastie, Sheikh Abd el-Qurna).

Abb. 114 Darstellung des Begräbniszuges im Grab des Tutanchamun (18. Dynastie, Tal der Könige). Die Grabschlittenzieher bringen ihre Trauer durch ihre weißen Stirnbänder zum Ausdruck.

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DAS GRAB ALS ZUHAUSE – DIE NEGIERUNG DER VERGÄNGLICHKEIT?

I

m Laufe seiner mehr als 3000jährigen Ge­ schichte hat das alte Ägypten ein mehrere hundert Götter umfassendes Pantheon und eine Vielzahl mythologischer Konzepte ent­ wickelt (Abb. 115). Auffällig ist, dass letztere fast ausnahmslos um die Themen Tod und Wiedergeburt bzw. Erneuerung kreisen. Man kann diese beiden Aspekte als die kulturbe­ stimmenden des alten Ägypten bezeichnen. Sie erklärten nicht nur Vorgänge des tägli­ chen Lebens wie die Aussaat, das Wachstum der Pflanzen und die Erntezeit vor diesem Hintergrund, sondern setzten vor allem im religiösen Kontext eine von keiner anderen Kultur übertroffene Kreativität in Gang, die sich der Exploration des Todes als Übergang vom irdischen zum ewigen Leben widmete, das die alten Ägypter im Jenseits zu finden überzeugt waren. Aus diesen Überlegungen

motiviert wurde bereits in der Frühzeit das Grab als «Wohnhaus» des Verstorbenen an­ gesehen, das dazu diente, seinen Körper und den ihm für die Nutzung im Jenseits mitgege­ benen Besitz für die Ewigkeit zu bewahren. Der Bau der eigenen Grabanlage war für die alten Ägypter die wichtigste Aufgabe in ihrem diesseitigen Leben, die darauf ab­ zielte, die jenseitige Existenz so angenehm wie möglich zu gestalten. Die Gräber waren – anders als in anderen Kulturen – keine nach­ träglich von den Hinterbliebenen errichte­ ten Gedenkstätten, sondern bewusst von den zukünftigen Verstorbenen gestaltete Räume, deren Größe und Ausstattung in unmittelba­ rer Relation zu Vermögen und Einfluss des Grabeigners standen. Gut situierte Perso­ nen, allen voran die Pharaonen, hofften, mit Hilfe einer aufwendigen Grabgestaltung und

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Abb. 115 «Zug der Götter», Darstel­ lung aus dem Grab des Petosiris (graeco-romani­ sche Epoche, Musawaqa, Oase Dachla).

Das Grab als Zuhause – die Negierung der Vergänglichkeit?

Abb. 116 Lebensgroße Ka-Statue des Königs Auibre Hor, 13. Dynastie. Die Augen bestehen aus Bergkristall und weißem Quarz. Das erhobene Armpaar auf dem Kopf ist eine Hieroglyphe mit dem Lautwert ka.

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-ausstattung ihre diesseitige soziale Stel­ lung auch im Jenseits zu erhalten. Ein quali­ tativ und künstlerisch hochwertig erstelltes Grab sollte nicht nur sicherstellen, dass der Verstorbene den mitunter gefahrvollen Weg durch das Jenseits meisterte, sondern auch seine gesellschaftliche Position widerspie­ geln und sicherstellen, dass sein Andenken im Diesseits bewahrt blieb. Sein Name sollte weiter genannt und sein Totenkult vollzogen werden, denn dies waren elementare Vor­ aussetzungen für die Sicherung seiner jen­ seitigen Existenz: Sein Ka, der vor allem die Lebenskraft und das soziale Selbst des Ver­ storbenen verkörperte, war von diesen Fak­ toren abhängig (Abb. 116). Besonders deutlich werden diese Ziele bei der Betrachtung der Grabanlagen der Könige. Bei ihrer Errichtung gab es kaum fi­ nanzielle oder materielle Beschränkungen, vielmehr konnte die Anlage bis ins Detail so ausgeführt werden, wie es dem Wunsch des Herrschers und den jeweiligen mythologi­ schen und baulichen Konzepten entsprach. Die Entwicklung der altägyptischen roya­ len Gräber ist also vor allem auch eine Do­ kumentation der sich wandelnden religiösen Überzeugungen, die im Laufe der Zeit unter­ schiedliche Schwerpunkte setzten, jedoch stets dem Ideal der sicheren Passage des Ver­ storbenen in das elysische Jenseits und sei­ ner erfolgreichen Einführung in die Welt der Götter dienten. Nach den einfachen frühen Gruben- und Mastaba-Gräbern standen am Anfang des Al­ ten Reiches die Pyramiden – monumentaler Ausdruck des königlichen Selbstverständ­ nisses, Repräsentation der pharaonischen Macht und zugleich, ganz pragmatisch, eine monumentale Leiter, die den verstorbenen Pharao zum Himmel hinaufführen sollte. Dort vereinigte er sich mit dem Sonnengott und wurde Teil der «Unvergänglichen Sterne», die des Nachts am Himmel standen und nie­ mals unter den Horizont sanken. Da diese Art der Grabanlage in Verbindung mit den wohl unermesslichen Schätzen, die den König in das Jenseits begleiteten, sich trotz umfang­ reicher Abwehreinrichtungen als attraktives Ziel für Grabräuber etablierte, folgte begin­ nend im Mittleren Reich und fortgeführt im

Das Grab als Zuhause – die Negierung der Vergänglichkeit?

Neuen Reich eine Umbesinnung. Während im Mittleren Reich, aus dem kaum Belege erhalten sind, erste Spuren einer baulichen Neuorientierung zu finden sind, in Folge de­ rer die königlichen Gräber in Kombination mit Tempelanlagen für die Götter gestaltet wurden (s. S. 60 f.), erfolgte mit den Gräbern im Felsmassiv des Tals der Könige ein ver­ stärkter Rückzug aus dem öffentlichen Raum in die exklusive Abgeschiedenheit des heute so berühmten Taleinschnitts auf dem Westu­ fer des Nil gegenüber der Stadt Theben bzw. dem heutigen Luxor (Abb. 117). Im Mittel­ punkt stand nun nicht mehr der Aufstieg in die himmlischen Sphären, obwohl dieses Mo­ tiv auch in den Felsgräbern des Neuen Rei­ ches immer noch präsent ist, sondern der Abstieg in das chthonische Reich des Toten­ gottes Osiris, mit dem jeder Verstorbene, auch der Pharao, sich identifizierte. Ein weiterer Umbruch erfolgte mit dem Tod des letzten ramessidischen Herrschers Ramses XI. und dem mit ihm identischen Ende des Neuen Reiches um 1069 v. Chr. Die Glanzzeit des alten Ägypten war vorüber. Die nachfolgenden Könige der 21. und 22. Dy­ nastie errichteten im Vergleich sehr einfach gehaltene Gräber direkt innerhalb der Um­ fassungsmauern des großen Tempelbezirks

des Amun in Tanis. Es scheint, dass für den König hier allein die räumliche Nähe zu den Göttern die Fortexistenz in ihrer Mitte si­ cherstellte, sodass die zuvor architektonisch aufwendig – und kostspielig – nachempfun­ denen Wege in das Totenreich nicht mehr er­ forderlich waren. Im Mittelpunkt der geistig-religiösen Ent­ wicklung, die sich über das Alte, Mittlere und Neue Reich verfolgen lässt, stand die immer detailliertere Ausarbeitung des Übergangs vom diesseitigen in das jenseitige Leben, das den alten Ägyptern als die eigentlich ange­ strebte Existenzform erschien. Dieses Pri­ mat des Todes über das (diesseitige) Leben bedeutete für Ägypten einen katalysatori­ schen Effekt. Das Streben nach einer immer genaueren Nachbildung jenseitiger Bedin­ gungen in den Grabanlagen und eine an den jeweiligen Erfordernissen stets wachsende kunstvolle und bautechnisch außerordent­ lich anspruchsvolle Architektur förderten die intellektuelle und kulturelle Entwicklung in den verschiedensten Disziplinen, wie den Steinmetzarbeiten, den darstellenden Küns­ ten, der Astronomie, Architektur, Mathema­ tik sowie der Medizin und der Schrift. Sie versuchten sich in der Auslotung des Mach­ baren für ihre Zeit und blieben auch noch 109

Abb. 117 Blick über das Westufer des Nil, gegenüber der Tempelanlage von Luxor. Von rechts nach links: der Nil, (heute) landwirt­ schaftlich genutzte Flächen, Wüstenrand (mit dem Tempelkomplex Medinet Habu) und the­ banisches Gebirge.

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Abb. 118 Dieser Ausschnitt aus dem Totenbuch des Maiherperi (Papyrus, 18. Dynastie) zeigt links eine vereinfachte Szene des Totengerichts, rechts verlässt der vogelgestaltige Ba des Verstorbenen das Grab.

lange danach unerreicht. Die pharaonischen Großbauprojekte machten erhebliche logis­ tische, wirtschaftliche und organisatorische Leistungen erforderlich, die die Umsetzung von Projekten solchen Ausmaßes überhaupt erst möglich machten. Die Frage, wie die al­ ten Ägypter zu eindrucksvollen Bauleistun­ gen wie den Pyramiden zu einer Zeit in der Lage waren, in denen in Nord- und Mitteleu­ ropa endneolithische Kulturen (wie z. B. die Glockenbecherkultur) ihre Verstorbenen in einfachen Erdgräbern oder Steinkisten bei­ setzten, kann nach wie vor nicht zufrieden­ stellend beantwortet werden. Nicht zuletzt ist es bis heute nicht gelungen, überzeugend und konsensfähig nachzuvollziehen, auf wel­ che Weise die Pyramiden erbaut wurden. Der Bau der monumentalen Grabstätten und Tempelanlagen sowie die Heerschar der im Gottes- und Totenkult beschäftigten Pries­ ter mit ihrem durch königliche Schenkungen und anderer Bevorteilungen stetig wachsen­ 110

dem ökonomischen Einfluss waren neben ih­ rer religiös-kultischen Bedeutung auch ein immenser Wirtschaftsfaktor. Die Verschmel­ zung mythologischer Konzepte und einer heute als «wissenschaftlich» einzustufenden Naturbeobachtung, z. B. im Bereich der Ast­ ronomie oder der Medizin, erlaubten den al­ ten Ägyptern Erkenntnisse auf einem Niveau, das nach dem Ende des Pharaonenreiches z. T. erst viele Jahrhunderte später wiederer­ langt werden sollte. Es besitzt einen hohen Aussagewert, dass eine Kultur einer Grabanlage eine derart her­ ausgehobene Stellung einräumt. Dabei gilt zu bedenken, dass sich der Totenglaube der al­ ten Ägypter in einem entscheidenden Detail von den Anschauungen anderer zeitgleicher aber auch späterer Kulturen unterscheidet: In kaum einem anderen religiösen Konzept ist das jenseitige Leben eine so akkurate Fortführung der diesseitigen Existenz, da­ bei lediglich der irdischen Mühen und Trüb­

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nisse bereinigt. Wer im alten Ägypten in das elysische Jenseits gelangte, dem stand eine nach menschlichen Maßstäben unendliche Dauer glückseligen Lebens bevor, dessen Facetten aus dem Diesseits bereits bekannt waren. Alle drei großen Entwicklungsstufen des altägyptischen Jenseitsglaubens sehen dabei Kontaktmöglichkeiten zwischen dem Reich der Lebenden und dem der Toten vor, am ausgeprägtesten im Neuen Reich, in dem das Totenbuch ausführlich beschreibt, wie und in welchen Gestalten es dem Verstorbe­ nen möglich ist, am diesseitigen Leben Anteil zu nehmen. Nicht umsonst lautet der origi­ nale Titel dieser Spruchsammlung «Das Buch vom Hinausgehen am Tage» (Abb. 118). Dies nahm dem Tod die Schrecknisse, mit de­ nen er in anderen Kulturen behaftet ist, die ein eher trostloses Bild des Jenseits zeich­ nen und anders als die Ägypter auf das Dies­ seits fokussierten. Als Beispiel sei die griechi­ sche Mythologie angeführt, die den Hades, das griechische Totenreich, als einen düste­ ren, hoffnungslosen Ort zeichnet, von dem

es kein Entrinnen gibt (Abb. 119). Die alten Griechen glaubten, dass der Hades alle To­ ten aufnehmen würde, unabhängig von ihrer Stellung oder ihrem Wirken im Diesseits. Die

Abb. 119 Den Hades stellten sich die alten Griechen als trostlosen Ort vor, an dem die Verstorbenen nur noch als Schatten existieren (Fahrt über den Styx, Radierung von Gus­ tave Doré, 1861).

Abb. 120 Anders als bei den alten Griechen (vgl. Abb. 119) ist das altägyptische Jenseits ein Ort der Sinnes­ freuden und der vitalen Erfüllung. In der Grab­ kapelle des Nebamun (Theben-West) sieht man den Verstorbenen mit Frau und Tochter bei der Jagd im Papyrusdickicht.

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Abb. 121 Das Mundöffnungsritual, das am offenen Grab an der Mumie vollzogen wurde, sollte dem Ver­ storbenen im Jenseits seine Sinne wiedergeben und ihn so wieder zum Sehen, Hören, Schmecken usw. befähigen (Toten­ buch des Hunefer, 19. Dy­ nastie).

Existenz dort war kein Leben mehr, sondern reduzierte den Verstorbenen auf ein Dasein als flüchtiger Schatten. Nur wenige Auser­ wählte, wie der Halbgott Herakles, wurden nach ihrem Tod vergöttlicht und durften zum Olymp aufsteigen (erst später erwei­ terte sich der Jenseitsglauben mithilfe der Einführung eines Totengerichts, das den gerechten Seelen den Eingang in das pa­ radiesische Elysium ermöglichte). Es gibt folglich ganz unterschiedliche Auffassun­ gen davon, was das Totenreich ist und v. a., wie es um die dort eingegangenen Verstor­ benen bestellt ist. Während der Hades, um mit Jan Assmann zu sprechen, als ein «ver­ räumlichter Tod» verstanden werden kann, handelt es sich bei der Dat der alten Ägyp­ ter letztlich um eine Entfaltung des eigent­ lich erstrebten Lebens (Abb. 120). Diverse erhaltene Inschriften bestätigen diese Be­ obachtung. So heißt es im Grab des Wesirs Amun­-User (ca. 1515–1449 v. Chr.), der in der 18. Dynastie unter Pharao Thutmo­ sis III. diente

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«Ich stattete vorzüglich aus den Ort mei­ ner Felsgrabanlage in der Wüste der Ewigkeit. Möge mein Name dauern auf ihm im Munde der Lebenden, indem die Erinnerung an mich gut ist bei den Men­ schen nach den Jahren, die kommen wer­ den. Ein Weniges nur an Leben ist das Diesseits, die Ewigkeit (aber) ist im Toten­ reich.»

Eine weitere, auch kulturimmanent viel zitierte Lehre, wird einem Sohn des Pharao Cheops mit dem Namen Hordjedef zugeschrieben, was dem Text bereits ohne Kenntnis seiner inhaltlichen Aussagen eine gewisse Autori­ tät verleiht (die autorschaftliche Zuordnung ist möglicherweise nicht korrekt, sondern diente der Generierung von Bedeutsamkeit; Sprachduktus und Wortwahl sprechen eher für eine Datierung des Textes an das Ende der Ersten Zwischenzeit oder in das frühere Mittlere Reich). In ihr wird ein ganz ähnli­ ches Todesbild beschrieben wie bei AmunUser.

Das Grab als Zuhause – die Negierung der Vergänglichkeit?

«Mache dein Haus im Westen trefflich und statte reichlich aus deinen Sitz in der Nekropole. Nimm dies an, denn gering gilt uns der Tod, nimm dies an, denn hoch steht uns das Leben. Aber das Haus des Todes dient ja dem Leben!»

Die Gräber der alten Ägypter und in beson­ derem Maße die der Pharaonen waren also keineswegs Orte der Vergänglichkeit und der Auflösung, sondern im Gegenteil Orte des Lebens. Sie waren nicht mit Gefühlen des Schauderns oder der Furcht behaftet, son­ dern zeigten in resultativer Form das dies­ seitige Leben. D. h., der noch lebende Grab­ eigner betrachtete sein Leben in Gestalt der Grabdekoration bereits aus der Retrospek­ tive, die wiederum als Blaupause für die jenseitige Existenz diente. Die Grabanla­ gen waren Ausdruck einer aufwendigen und sorgsamen Vorbereitung auf den Tod als ei­ ner rite de passage und das sich an ihn an­ schließende jenseitige Leben (Abb. 121). Im königlichen Grabbau entstanden – im­ mer bestimmt durch die mythologisch-reli­ giösen Grundlagen der jeweiligen Zeit – sehr unterschiedliche architektonische Formen: im Alten und Mittleren Reich die Pyramiden und das Grab als Tempel, im Neuen Reich das Felsgrab und der Totentempel. Dabei verfolg­ ten die Grabarchitektur und -dekoration in allen Epochen stets das gleiche Ziel, die Ein­ bindung des Verstorbenen in den Sonnenlauf und seine Teilnahme am Osiris-Schicksal. Auffällig ist, dass durch das gesamte Pha­ raonenreich hindurch die innovativen Ent­ wicklungsschübe in der Architektur des Kö­ nigsgrabes mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung auch die Entwicklung der Pri­ vatgrabarchitektur bestimmte. Niemals fin­ det sich in beiden Bereichen eine Gleich­ zeitigkeit der architektonischen Stilmittel, sondern stets bleibt eine strenge Trennung zwischen königlichen und privaten Archi­ tekturformen und den verwendeten Texten erhalten. Dabei umfasst das königliche Grab in jeder Entwicklungsstufe die gleichen drei Aspekte: Es geht erstens um das «Geheim­ nis» der Verjüngung im Jenseits, zweitens um die für die Fortexistenz erforderliche «Erinnerung» durch die Nachwelt, denn die­

ser sozialen Komponente bedarf der Ka des Verstorbenen, seine Lebenskraft. Die bei­ den Funktionen waren in den Bauformen des Alten und Mittleren Reiches (Pyrami­ den und Grab als Tempel) eng miteinander verknüpft und wurden erst im Neuen Reich räumlich voneinander getrennt: Das im Fel­ sen des Tals der Könige verborgene Grab er­ füllte nun ganz offenkundig den Aspekt des Geheimnisses, der am westlichen Rand des Fruchtlandes auf der Westseite des Nils ge­ legene Totentempel huldigte der Erinnerung des verstorbenen Pharao und sollte sicher­ stellen, dass sein Andenken ewig bewahrt wurde (daher die altägyptische Bezeichnung als «Häuser der Millionenjahre»). Die dritte Funktion war die Einbindung in die Götter­ welt, die z. T. Ergebnis der erfolgreichen Um­ setzung der beiden ersten Aspekte ist, doch zugleich weit darüber hinausging. Die Fels­ gräber des Neuen Reiches realisieren diesen Aspekt architektonisch und ikonographisch, indem sie in ihrer Bauweise und in den Jen­ seitstexten, welche die Wände der Anlagen schmücken, die Nachtfahrt des Sonnengot­ tes durch die Unterwelt und den Ort der Ver­ einigung des Schöpfers mit dem Totengott symbolisch nachbilden (Abb. 122). Auf diese Weise wird der verstorbene Pharao in den Sonnenlauf und auch in das Osiris-Schicksal integriert. Das mythische Denken hat dabei im Laufe der Zeit den Aufstieg des Verstor­ benen an den nächtlichen Himmel bzw. zum Sonnengott Re und seinen Eingang in den «schönen Westen» durch den Abstieg des Sonnengottes in die Unterwelt des Osiris er­ setzt – ohne eines dieser Motive jemals auf­ zugeben (Abb. 123 a.b). Der Sonnen- und der Osiris-Mythos, zwei auf den ersten Blick so unterschiedliche My­ thenkreise, sind in der Königsdogmatik des alten Ägypten aufs Engste miteinander ver­ bunden. Der Gott Horus ist nicht nur der Sohn des Osiris und als «lebender Horus» identisch mit dem jeweils regierenden Pha­ rao, sondern der Pharao ist als «Sohn des Re» auch in den Sonnenmythos eingebun­ den. Dies erklärt, wie es vor allem in den Jenseitstexten des Neuen Reiches zu einer derart engen Verbindung der beiden Götter Re (der ab der 6. Dynastie den ursprüngli­ 113

Das Grab als Zuhause – die Negierung der Vergänglichkeit?

Abb. 122 Im Grab Ramses’ IV. (20. Dynastie) im Tal der Könige bildet der Hauptgang den Weg hinab in die Tiefe des Jenseits ab, die Wände zieren Szenen aus dem Pfortenbuch.

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Abb. 123 a.b Der Sonnengott Re reist auf seiner Barke durch die Unterwelt, hier in einer Darstellung aus dem Pfortenbuch im Grab Ramses’ I. (19. Dynastie, Tal der Könige; Abb. 123 a). Die Jenseitsreise ist aber nur ein Teil seiner täglichen Fahrt (Abb. 123 b). Nach seinem Eingang in die Dat im Westen vereinigt sich Re am tiefsten Punkt der Nacht mit dem Totengott Osiris, wodurch sich das Wunder der Erneuerung vollzieht (gelber Stern). Der Aufstieg aus der Unter­ welt findet seinen Höhepunkt im morgendlichen Aufgang im Osten, wo der Sonnengott in sei­ ner Morgenform des Cheprikäfers erscheint. Zur Mittagszeit ist er in Gestalt des falkenköpfigen Re auf dem Höhepunkt seiner Macht, bevor er am Abend erneut in das Totenreich eingeht. b

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chen Schöpfergott Atum weitgehend ersetzt) und Osiris kommt. Osiris wurde als Körper/ Leichnam des Re und Re als Ba (~Seele) des Osiris verstanden. Es ist ihre Verschmelzung am tiefsten Punkt der Nachtfahrt, die das Wunder der Erneuerung erst möglich macht (s. S. 80). Zusammen überwinden und tran­ szendieren Re und Osiris als zwei Teile ei­ nes Ganzen die Angst vor der Sterblichkeit. Sie verwandeln den Tod von einem Schreck­ nis in das Geheimnis der Verjüngung mit be­ kanntem, weil im Licht der morgendlichen Sonne unübersehbarem positiven Ausgang. Damit machen sie den Tod nicht nur erstre­ benswert, sondern geradezu unwidersteh­ lich und versehen ihn mit einer Anziehungs­ kraft, die anderen Kulturen fremd ist. Der Tod im alten Ägypten bringt, und hierin bildet sich erneut das mythische Den­ ken ab, sowohl die Vorstellung einer kon­ tinuierlichen Fähigkeit zur zyklischen Er­ neuerung als auch das Versprechen einer unwandelbaren Fortdauer in absoluter Voll­ endung mit sich. Während ersteres an den Schöpfer- und Sonnengott Re geknüpft ist, verbindet sich letzteres mit dem Totengott Osiris (Abb.  124 a.b). Diese mythologischen Grundprinzipien bestimmen nicht nur den Umgang mit dem Leib des Verstorbenen so­ wie die Rituale der Begräbniszeremonie, sondern finden ihren Ausdruck in besonde­ rer Weise auch in der Grabarchitektur, die in jeder Epoche versucht, die scheinbar gegen­ sätzlichen Ziele von zyklischer Erneuerung einerseits und unveränderlicher Dauer ande­ rerseits zu vereinen. Sie versucht dies in der Regel durch eine Kombination von Reprä­ sentation und Verborgenheit zu erreichen. Diese wichtigste Anforderung an die Grab­ architektur manifestiert sich in der Regel in zwei verschiedenen Bauformen. Die der Ver­ borgenheit gewidmete Bauform war die un­ terirdisch gelegene Grabkammer, in der der Körper des Verstorbenen auf immer in Voll­ endung bewahrt sein sollte (und die nach dem Wunsch der alten Ägypter im Anschluss an die Grablegung und Versiegelung nie wie­ der hätte geöffnet werden sollen). Im Alten und Mittleren Reich schloss diese Form einen prunkvollen Oberbau mit ein, dessen Funk­ tion im Neuen Reich vom Grab getrennt und

gänzlich in den Totentempel verlegt wurde: Die andere, der Repräsentation gewidmete Bauform bestand in einem weithin sichtba­ ren, oberirdischen Totentempel, in dem im­ mer wiederkehrend der Totenkult für den verstorbenen König vollzogen werden sollte und in dem ein regelmäßiger Besucherstrom erwünscht war, damit das Andenken und der Name des Verstorbenen auf immer im Ge­ dächtnis der Menschen verankert bliebe. Die Grabdekoration offenbarte den Zu­ gang zu den jenseitigen Gefilden und besaß entsprechend dem altägyptischen Text- und Bildverständnis magische Fähigkeiten. Sie ermöglichte die sichere Passage des Verstor­ benen ebenso wie die der dargestellten Göt­ ter und half, die geschaffene Ordnung gegen das sie bedrohende Chaos zu beschützen. Sie zeigte den erfolgreichen Vollzug vor allem der gefahrvollen Nachtfahrt des Sonnengot­ tes im Zustand der Vollendung, verdeutlichte jedoch zugleich, dass dieser Prozess ein im­ mer wiederkehrender war, der sich bis ans Ende der Zeit in jeder kommenden Nacht wiederholen würde (Abb. 125. 126). Dem mythischen Denken getreu (s. S. 10) war der so scheinbar schon garantierte Erfolg der Nachtfahrt dennoch beständig in Gefahr und musste durch die Taten der Götter und Men­ schen (in Form des Kultes) jedes Mal wieder neu herbeigeführt werden. Die Götter wur­ den in Gestalt der Grabdekoration außerdem aufgerufen, den Verstorbenen freundlich in das Totenreich aufzunehmen und ihm so zu ermöglichen, an den Prinzipien der ewigen Dauer und der Regeneration teilzuhaben – auch dies wurde in Bild und Text bereits vor­ weggenommen und musste sich trotzdem erst noch erfüllen. Das Primat, das die alten Ägypter dem Tod gegenüber dem diesseitigen Leben ein­ räumten, leitet sich mythologisch vor allem aus der zyklischen Struktur der Zeit ab. Da der Mensch als Individuum erst nach seinem Tod in diesen Zeitverlauf der kontinuierli­ chen Erneuerung eintreten konnte, schmolz zwangsläufig die diesseitige Lebensdauer auf einen Lidschlag zusammen, während das jenseitige Leben in seiner Dauer an die Ewig­ keit grenzte. Folgerichtig wurden die Häuser der Lebenden aus relativ schnell vergängli­ 117

Das Grab als Zuhause – die Negierung der Vergänglichkeit?

Abb. 124 a.b Der Pharao (rechte Abb. 124 b, links, Darstellung aus dem Grab des Merenptah, Tal der Könige) steht mit seiner Person in einem Span­ nungsfeld zwischen den Göttern Osiris (linke Abb. 124 a, Darstellung aus dem Grab Ram­ ses’ I.) und Re (Abb. 124 b, rechts). Er strebt die Vereinigung mit beiden Göttern an, die jedoch unterschiedliche Aspekte des altägyptischen Zeitverständnisses verkörpern. Das mythische Denken erlaubt die Verschmelzung dieser beiden komplementären Vorstellungen zu ei­ nem widerspruchsfreien Ganzen. a

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à  Abb. 125 Diese Vignette aus dem Totenbuch (Lei­ den T2) verbindet den Sonnen- und Osirismythos in einer Darstellung des Sonnenlaufes: Unten der Djed-Pfeiler, Symbol des Osiris (mit Isis und Nephthys), darüber das Anch-Zeichen, Symbol des Lebens, das die Sonnenscheibe empor­ hebt. Das Passieren des Gottes wird von Pavianen bejubelt. Die Darstellung ist in beide Richtungen lesbar (als Sonnen­ auf- bzw. untergang).

  Abb. 126 Detail aus der 1. Stunde des Amduat (Grabkammer des Tutanchamun, 18. Dy­ nastie, Tal der Könige). Obwohl hier der Beginn der Nachtfahrt geschildert wird, ist der Sonnengott bereits in seiner Morgenform als Cheprikäfer zu se­ hen (oben). Damit wird der erfolgreiche Ausgang der Reise durch die Unterwelt schon vorausgenommen.

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Abb. 127 Titelbild der Sonnenlita­ nei aus dem Grab Sethos’ II. (19. Dynastie, Tal der Könige): Die Sonnenscheibe umfängt die Morgen- und Abendform des Re, den Cheprikäfer und den widderköpfigen Mann.

chen Lehmziegeln errichtet, die Grabanla­ gen und Tempel dagegen aus Stein. Die zykli­ sche Struktur der Zeit findet im Neuen Reich ihre gedankliche Umsetzung in Gestalt eines gewaltigen Kreisbogens, der Diesseits und Jenseits gleichermaßen umspannt. Wenn der Verstorbene nach seinem Tod in das chthoni­ sche Totenreich eintrat, wurde er Teil dieser zyklischen Struktur und erfuhr die Einbin­ dung seiner eigenen Existenz in den Sonnen­ mythos und speziell die Nachtfahrt des Son­ nengottes, aber auch in das Osiris-Schicksal und damit verbunden in die zyklische ebenso wie in die resultative Struktur der Zeit. Diese scheinbare Widersprüchlichkeit wird durch die «komplementäre Logik» (s. S. 10) des mythischen Denkens aufgelöst und erlaubt das gleichermaßen gültige Nebeneinander beider Vorstellungen. Die Zyklizität der Zeit steht in Verbin­ dung mit dem Sonnengott Re und findet ih­ ren Ausdruck aus altägyptischer Sicht in der nḥḥ-Zeit. Diese steht für den kontinuierli­ chen Wandel, wie bereits an der sich mehr­ fach am Tag wechselnden Erscheinungsform

des Sonnengottes ablesbar ist. Das altägyp­ tische Verb cheper bildet den Namen für die Morgenform des Sonnengottes und bedeu­ tet so viel wie «werden, (sich) verwandeln» (Abb. 127). Bereits die Pyramidentexte schil­ dern, wie der verstorbene König in vielen verschiedenen Formen und Gestalten zum Himmel aufsteigen will (s. S. 42). Den Ge­ genpol zu dieser Vorstellung bildet das Verb wenen, das sich mit «sein, währen, fortdau­ ern» übersetzen lässt. So wie cheper mit Re verknüpft ist, dem sich kontinuierlich wan­ delnden Gott, gehört wenen zu Osiris, der manchmal den Beinamen Wenennefer trägt,

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Abb. 128 a.b Hieroglyphische Schreib­ weise der Zeitbegriffe nḥḥ (drei Zeichen links) und ḏ.t (drei Zeichen rechts). Die Zeit des ewi­ gen Wandels, nḥḥ, wird passend mit dem Sonnen­ symbol (gelb) geschrieben, die Zeit der Vollendung, ḏ.t, mit der Wellenlinie (blau), die auf den Ur­ ozean verweist.

Das Grab als Zuhause – die Negierung der Vergänglichkeit?

was so viel wie «der in Vollendung Wäh­ rende» bedeutet. Er ist mit der ḏ.t-Zeit ver­ bunden, die Ausdruck des im linguistischen Sinn perfekten, «abgeschlossenen» Lebens ist (Abb. 128 a.b). Diese Idee der Abgeschlos­ senheit bildet einen Grundstein des altägyp­ tischen Totengerichts, indem der Verstorbene nicht nur mithilfe gesprochener Worte auf sein Leben zurückblickt und insbesondere in Form des Negativen Sündenbekenntnis­ ses (s. S. 81) dieses Revue passieren lässt, sondern in dessen Verlauf das Herz als ver­ meintlich unbestechliche Verkörperung der Summe der guten und schlechten Taten ei­ nes Menschen gegen die Feder der die ge­ rechte Weltordnung symbolisierenden Göt­ tin Ma’at aufgewogen wird. Der Tod als rite de passage offenbart sich an keiner Stelle des altägyptischen Jenseitsglaubens klarer als in der Gerichtshalle des Osiris als Prozess der Verwandlung, die den gerechtfertigten Ver­ storbenen in einen Ach transformiert, aber eben auch als Zäsur, die das irdische Leben resultativ beschließt und den Weg für eine glückselige Existenz im elysischen Jenseits freigibt. Wie auch an anderer Stelle berei­ tet das mythische Denken den Nährboden, auf dem dieser Ausdruck der komplementä­ ren Logik, die für das altägyptische Weltver­ ständnis so prägend ist, sich entfalten kann, ohne dass die dargestellten Inhalte miteinan­ der in Konflikt geraten. Das altägyptische Pantheon umfasst eine fast unüberschaubare Anzahl von Gotthei­ ten, die in den Grab- und Tempelanlagen der alten Ägypter bis heute lebendig geblieben sind. Bei einer näheren Beschäftigung mit den einzelnen Göttern und Göttergruppen wird deutlich, dass ihnen ein elaboriertes ge­ dankliches Weltgebäude zugrunde liegt, das mit geradezu wissenschaftlich anmutender Akribie die diesseitige und jenseitige Welt erklärt. Dabei waren nicht nur die Beziehun­ gen innerhalb der Göttergemeinschaft wech­ selseitig und vielschichtig, auch die Bezie­ hung zwischen Göttern und Menschen war in besonderer Weise von einem Gefüge aus ge­ genseitigen Bezugnahmen gekennzeichnet. Die Götter waren der Schöpfung unmittelbar immanent und konnten durch und mittels ih­ rer wirken, während die Menschen mithilfe 122

von Ritualen und Kulthandlungen dieses Wirken zu beeinflussen und v. a. den Fortbe­ stand der Schöpfung Tag für Tag aufs Neue zu stützen suchten (Abb. 129). Diese Idee der Einflussnahme kennzeichnet auch die Grab­ architektur des Pharaonenreiches, die nicht nur nach möglichst perfekter Imitation des Jenseits strebt, sondern dieses durch die je­ weilige Bauform tatsächlich unmittelbar ver­ körpern will: Die Vorzeichnung der erfolgrei­ chen Nachtfahrt des Sonnengottes in Form der Bild-Text-Kompositionen der Pyrami­ den- und Sargtexte sowie der Unterweltsbü­ cher galten den alten Ägyptern nicht nur als frommer Wunsch, sondern waren durch ihre Verschriftlichung auf magische Weise wirk­ lichkeitsgenerierend. In der Kombination aus architektonischen Formen und den sie ausschmückenden Jenseitstexten, welche ge­ meinsam die Topographie des Jenseits nach­ zubilden und im Moment der Betrachtung geradezu zu erschaffen suchten, ergibt sich eine stimmige, umfassende Wiedergabe der Jenseitsreise des Verstorbenen. Das mythische Denken, das auch als my­ thopoetisches Denken verstanden werden kann und dann eine besondere Form der Welterkenntnis ist, die auf der Erschaffung mythologischer Erklärungsmuster beruht, kennzeichnet das altägyptische Weltbild. Es deutet die Schöpfung und die tagtäglichen Ereignisse als das Wirken übermenschlicher Wesen und erlebt den Kosmos als beseelt und von der Gegenwart bzw. dem Wesen der Götter selbst durchdrungen. Mythisches Denken ist additives Denken, d. h., es er­ laubt kontinuierlich die Aufnahme neuer Vorstellungen und Ideen. Dies erklärt, wa­ rum es insbesondere im Kontext polytheis­ tischer Glaubensstrukturen anzutreffen ist. Diese sind in der Regel offene Religionssys­ teme, d. h., sie sind bereit, Impulse von au­ ßen aufzunehmen und zu integrieren anstatt sich abzuschotten. Eine unmittelbare Folge ist, dass sich das altägyptische Pantheon über die gesamte Zeit des Pharaonenreiches durch die Inkorporation fremdländischer Gottesvorstellungen und Götter erweiterte, die wahlweise synkretistisch verschmolzen oder aber als neue Gottheiten etabliert wur­ den. Das gleiche Prinzip wirkt auch inner­

Das Grab als Zuhause – die Negierung der Vergänglichkeit?

Abb. 129 Sethos I. (links) vor den Göttern Amun und Mut (Karnak-Tempel, Theben, 19. Dynastie). Durch Kulthand­ lungen und Opfer suchten die alten Ägypter den Fortbestand der Schöpfung zu befördern.

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halb der mythologischen Vorstellungswelt, in der neue Konzepte additiv aufgenommen werden, ohne ältere Konzepte zu verdrängen (Abb. 130). Entsprechend bleiben die Pyra­ miden mit den an sie geknüpften Vorstellun­ gen vom Himmelsaufstieg des verstorbenen Königs bis ans Ende des Pharaonenreiches von großer Bedeutung, wie sich an der das Tal der Könige überragenden natürlichen Felspyramide ablesen lässt, die vermutlich ein wesentlicher Grund für die Auswahl des neuen Begräbnisplatzes war (s. S. 72). In der Moderne wurde das mythische Den­ ken mit dem Siegeszug des rationalen, re­ duktionistischen Denkens weitgehend ver­ drängt. Der deutsche Soziologe und Ökonom Max Weber (1864–1920) spricht in seinem berühmten Vortrag «Wissenschaft als Beruf» aus dem Jahr 1917 pointiert von der «Entzau­ berung der Welt». Als Folge dieser Entwick­ lung laufen wir Gefahr, das vielschichtige Weltverständnis und die komplementären, komplexen (Jenseits-)Vorstellungen der al­ ten Ägypter aus heutiger Sicht als überkom­ men und unserem modernen Weltbild unter­ legen wahrzunehmen. Trotz aller Ausrichtung auf die jenseitige Ewigkeit beinhaltet das zyklische Zeitver­ ständnis der alten Ägypter per se auch den – vorübergehenden – Untergang der Schöp­ fung. Nichts weist deutlicher darauf hin als

Abb. 130 In der 4. Stunde des Am­ duat ist das Licht des Sonnengottes (Mittleres Register, links im Schrein der Barke) fast erloschen. An diesem gefahrvol­ len Punkt der Nachtfahrt zeigt sich unten rechts eine geflügelte Sonnen­ scheibe, die zusammen mit den dargestellten Sternen an die stellaren Jenseitsvorstellungen des Alten Reiches anknüpft. Sie öffnen in dieser dunk­ len Nachtstunde den Blick auf das sternenüber­ säte Jenseits früherer Zeiten.

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die Sterblichkeit ihrer Götter, allen voran des Osiris. Sein Schicksal ist jedoch gerade auch mit der Idee des Neubeginns verknüpft. Während der Tod des Osiris für die alten Ägypter mythologische Realität war, bleibt die Bedrohung der Nachtfahrt des Sonnen­ gottes durch Apophis in den Mythen immer Hypothese. Der Weltuntergang bedeutet die Rückkehr in den chaotischen Urgrund der Schöpfung. Realhistorische gesellschaft­ liche Unruhen wurden häufig retrospek­ tiv mit apokalyptischen Bildern beschrie­ ben und als überwundene Erschütterungen des Gefüges der Schöpfung interpretiert. Dies gilt z. B. für die Erste Zwischenzeit, die auf einen erbitterten Thronfolgestreit nach dem Tod von Pharao Pepi II. am Ende des Alten Reiches folgte. Aus diesen lange nach­ wirkenden anarchischen Zuständen ging im sich anschließenden Mittleren Reich die sogenannte Auseinandersetzungsliteratur hervor, die sich in der Tat mit den vorausge­ gangenen gesellschaftlichen Unruhen aus­ einandersetzt. Berühmte Textbeispiele sind «Die Mahnworte des Ipuwer» oder «Die Pro­ phezeiung des Neferti». Mit diesen kritischen Stimmen geht einher, dass die bisherige Be­ gräbniskultur, die sich ganz dem gesellschaft­ lichen Primat des Todes unterworfen hatte, infrage gestellt wurde. Statt diesen Zweifeln nachzugeben lässt sich in der Folge jedoch

Das Grab als Zuhause – die Negierung der Vergänglichkeit?

eine umso stärkere Rückbesinnung auf die alten Werte und Überzeugungen beobach­ ten, die sich u. a. in der verstärkten Ausar­ beitung der Topographie der Dat und ihrer architektonischen Umsetzung in den Grab­ anlagen ablesen lässt (Abb. 131). Das Ende der Schöpfung war in den my­ thologischen Konzepten durchaus präsent, aber aufgrund der Tatsache, dass Verschrift­ lichung und Verbildlichung im alten Ägypten immer mit der Gefahr der Realitätswerdung verbunden waren, sind echte apokalypti­ sche Texte außerordentlich selten. Sie waren darüber hinaus stets mit der Aussage ver­ knüpft, dass noch «Millionen und Abermilli­ onen» von Jahren vergehen würden, bis das beschriebene Weltende tatsächlich eintritt. Im Totenbuch, Spruch 175, sagt der Schöp­ fergott Atum Osiris voraus, dass nur dieser gemeinsam mit ihm selbst den Untergang der Schöpfung überdauern würde. Sie wür­ den sich in Schlangen verwandeln, welche

im alten Ägypten u. a. als Gestaltwerdungen des uranfänglichen Chaos galten, gleichzei­ tig aber – wie in den Unterweltsbüchern des Neuen Reiches wiederholt betont – Quellen der allnächtlichen Erneuerung des Schöpfers und seiner Welt waren. Für die gesamte Dauer des Pharaonenrei­ ches nahmen die Vorstellungen vom Tod als Übergang in ein vollkommenes, nahezu un­ begrenztes Leben im Jenseits in den Mythen der alten Ägypter Gestalt an. Sie erfuhren über die Jahrtausende immer wieder Verän­ derungen, ohne je ihre wichtigste Aussage zu verlieren: dass der Gedanke der Unsterb­ lichkeit für die alten Ägypter erst aus der Be­ rührung mit dem Tod erwuchs. Der monu­ mentale Ausdruck der damit verknüpften Hoffnungen waren ihre aus Stein erschaffe­ nen Grabanlagen mit den darin verwirklich­ ten kongenialen Dekorationen, die vom Weg des Verstorbenen durch die Dat berichten – ihre «Häuser für die Ewigkeit».

125

Abb. 131 Gräber und Tempel waren im alten Ägypten Schwel­ lenbereiche, in denen Dies­ seits und Jenseits, Men­ schen- und Götterwelt einander berührten. Aus dem gleißenden Sonnen­ licht tauchte man in die Dunkelheit der Anla­ gen ein und näherte sich mit jedem Schritt dem größten Geheimnis der altägyptischen Religion: der Erneuerung des Lich­ tes und der Schöpfung im Herzen der Finsternis.

Zeitstrahl

Prädynastik

ab 6. Jt. v. Chr.

Frühzeit Altes Reich

2707–2170 v. Chr.

≈ 3100 v. Chr. Reichseinigung

≈ 2650 v. Chr. Djoser-Pyramide ≈ 2600 v. Chr. erste echte Pyramide (Snofru)

berühmte Pharaonen: Djoser, Snofru, Cheops, Chephren, Mykerinos, Sahure, Unas

≈ 26. Jh. v. Chr. Pyramiden von Gizeh

dominierende Jenseitstexte: Pyramidentexte dominierendes Jenseitskonzept: stellar

≈ 2335 v. Chr. erste Pyramidentexte (Unas-Pyramide)

prägende Grabbauform: Pyramide

Erste Zwischenzeit

Anarchie in Folge des Untergangs des Alten Reiches

Mittleres Reich 2119–1794 v. Chr.

berühmte Pharaonen: Mentuhotep 11., Sesostris II.

≈ 2020 v. Chr. Tempelgrabanlage Mentuhoteps’ II.

dominierende Jenseitstexte: Sargtexte dominierendes Jenseitskonzept: solar

≈ 1880 v. Chr. Pyramide Sesostris’ II.

prägende Grabbauform: Pyramide/Tempelgrab

126

ANHANG

Zweite Zwischenzeit Fremdherrschaft der Hyksos Neues Reich

1550–1069 v. Chr. berühmte Pharaonen: Amose, Thutmosis I., Hatschepsut, Thutmosis III., Amenophis III., Echnaton, Tutanchamun, Sethos I., Ramses II. dominierende Jenseitstexte: Unterweltsbücher, Totenbuch

Thutmosis I.: erstes Grab im Tal der Könige mit erstem Beleg des Amduat

Echnaton: monotheistischer Amarna-Kult, Restauration unter Tutanchamun, Gottesstaat des Amun ≈ 1285 v. Chr. Grab Sethos’ I.: erstmals vollständig dekoriert, astronomische Decke

dominierendes Jenseitskonzept: chthonisch prägende Grabbauform: Felsgräber im Tal der Könige

Dritte Zwischenzeit berühmte Pharaonen: Psusennes, Schabaka, Taharqa

diverse Herrscherhäuser, inkl. Nubier und Kuschiten

prägende Grabbauform: Grab im Tempelhof

Spätzeit berühmte Pharaonen: Darius, Nektanebos I., Nektanebos II.

Perserherrschaft, Saitenzeit

graeco-romanische Epoche

332 v. Chr. Eroberung Ägyptens durch Alexander den Großen

berühmte Pharaonen: Alexander der Große, Ptolemaios I., Kleopatra VII.

127

Glossar Ach

Bezeichnung für die verklärten Verstorbenen sowie für überirdische Mächte von eher niederem Rang. Der Ach ist im Wesentlichen auf den jenseitigen Bereich begrenzt. Im Diesseits nimmt er Aspekte eines Geistes oder Gespenstes an. Siehe auch Ba und Ka.

Abendform des Sonnengottes

Eine der drei Erscheinungsformen des Sonnengottes Re. Verkörpert wird diese Erscheinungsform durch den widderköpfigen Gott Atum, der sich auf einen Stock gestützt auf den westlichen Horizont zubewegt, um sich nachts in der chthonischen Dat zu regenerieren. Morgens erscheint der Gott als Skarabäus, mittags als Sonnenscheibe.

Aker

Alter Erdgott und Hüter der Dat. Eine typische Darstellung zeigt Aker als zwei an ihren Hinterleibern zusammengefügte Sphingen, auf deren Rücken die Sonnenscheibe ruht.

Amduat

Apophis

In der altägyptischen Mythologie eine mit der Dunkelheit assoziierter Schlangen- oder Drachengestalt; Inbegriff des Sonnenfeindes und Erzfeind der Schöpfung, der sich in jeder Nacht der Sonnenbarke in den Weg stellt und so den Fortbestand der Schöpfung bedroht. Seine Verbindung zum Nicht-Sein zeigt sich in dem Fehlen jeglicher Sinnesorgane.

Atum

Schöpfergott der einflussreichen heliopolitanischen Kosmogonie. Der Stamm seines Namens findet sich in den Verben vollenden und auslöschen wieder. Atum wird schon früh dem Sonnengott Re angeglichen und verkörpert die Abendform des Sonnengottes mit Widderkopf und Gehstock. Darüber hinaus bleibt er aber auch als eigenständige Figur erhalten. Im 175. Spruch des Totenbuchs spricht Atum mit Osiris über das Ende der Schöpfung.

Ba

Das älteste ägyptische Unterweltsbuch, entstanden zu Beginn des Neuen Reiches. Das Amduat stellt eine Weiterentwicklung der Sargtexte des Mittleren Reiches dar. Typisch ist die in Text und Bild vollzogene Aufteilung der Nachtfahrt des Sonnengottes auf die zwölf Nachtstunden.

Der Ba zählt nach altägyptischer Vorstellung neben Ka und Ach zu den drei wichtigsten geistigen Entitäten. Von diesen steht der Ba dem christlichen Seelenbegriff am nächsten. Er wird als Vogel mit einem menschlichen Kopf dargestellt. Der Ba ist in Diesseits und Jenseits frei beweglich.

Amun

Chepre

Der «Verborgene», einer der Urgötter von Hermupolis und Lebensgott. Der Wind ist die eingängigste Metapher seines zugleich transzendenten und innerweltlichen Wesens. Er ist der Beleber, der die gesamte Schöpfung durchdringt und von dem alle Lebewesen, und auch die Götter, ihr Leben empfangen.

Anch

Hieroglyphe in Form eines Henkelkreuzes, Symbol des Lebens und machtvolles Amulett.

Anubis

Ein altägyptischer Totengott und Herr der Balsamierungskunst; in manchen Versionen des Osiris-Mythos hilft Anubis Isis bei der Mumifizierung und damit der Wiederbelebung des Osiris. Anubis wird in der Regel mit dem Kopf eines Schakals dargestellt.

Morgenform des Sonnengottes Re. In der Figur eines Mistkäfers schiebt Chepre die Sonnenscheibe am Osthorizont empor (Skarabäus).

Dat

Bezeichnung für das altägyptische Jenseits. Im Alten Reich wurde die Dat am Himmel bei den «unvergänglichen Sternen» lokalisiert (stellares Konzept, s. S. 22 ff.), im Mittleren Reich im «schönen Westen» (solares Konzept, s. S. 50 ff.) und im Neuen Reich in der Osirianischen Unterwelt (chthonisches Konzept, s. S. 74 ff.).

Geb

Erdgott, der in der Heliopolitanischen Neunheit der Gatte der Himmelsgöttin Nut und Vater von Osiris, Isis, Seth und Nephthys ist.

128

Heliopolis

Altägyptische Stadt in Unterägypten, die in der Pharaonenzeit der Hauptkultort des Sonnengottes war. Die Heliopolitanische Neunheit umfasst die neun Götter der heliopolitanischen Schöpfungsgeschichte.

Horus

Sohn der Isis und des Osiris. Horus verkörpert in der altägyptischen Mythologie den Prototyp des guten Sohnes, indem er den Mord an seinem Vater Osiris rächt und dessen Amt und Würden übernimmt. Dies schildert die mythologische Erzählung des «Streits von Horus und Seth». Horus inkarniert sich in jedem lebenden Pharao.

Isis

Schwestergemahlin des Osiris, die im Osiris-Mythos die zerstreuten Körperteile ihres ermordeten Bruders einsammelt und ihn mit ihren magischen Kräften wiederbelebt und von Osiris den gemeinsamen Sohn Horus empfängt. Den alten Ägyptern galt Isis als große Zauberin; mit Beginn der graeco-romanischen Epoche nimmt Isis Eigenschaften zahlreicher Göttinnen des mediterranen Raums in sich auf. Die sogenannten Isis-Mysterien verbreiten sich über ganz Europa.

Ka

Der Ka gehört mit Ba und Ach zu den wichtigsten geistigen Komponenten des Menschen. Der Ka fungiert als Bindeglied zwischen Diesseits und Jenseits und bedarf für seine Existenz der Erinnerung der Lebenden. Nach altägyptischer Vorstellung entsteht der Ka als eine Art Doppelgänger des Menschen bei dessen Geburt.

Kartusche

Verknotete Seilschleife, die in der Hieroglyphenschrift jeweils die beiden wichtigsten Namen des Pharao umschließt, den Geburts- und den Thronnamen.

Ma´at

Prinzip der gerechten Weltordnung und Name der dieses verkörpernden Göttin. Der Begriff lässt sich kaum eindeutig übersetzen, weitere wichtige Aspekte zu seinem Verständnis sind Wahrheit und Richtigkeit. Im Totengericht wird das

ANHANG

Herz des Verstorbenen gegen die Feder der Ma´at aufgewogen, um festzustellen, ob dieser ein Ma´at-gerechtes Leben geführt hat. Aufgabe des Pharao ist die Einsetzung und Wahrung der Ma´at im Diesseits.

multiplicity of approaches

Begriff des Ägyptologen Henri Frankfort, den dieser in seiner Arbeit The Intellectual Adventure of Ancient Man (Erstausgabe 1946) verwendet. Frankfort beschreibt mit diesem Begriff eine dem ägyptischen Denken zugehörige Eigenart, einen bestimmten Sachverhalt aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und unterschiedliche Bilder zu seiner Beschreibung zu verwenden, die mitunter widersprüchlich erscheinen können. Tatsächlich besitzt jedes dieser Bilder in seinem Kontext jedoch Gültigkeit und in ihrer Zahl ergänzen und komplettieren sie einander.

Nun

Der mythische Urozean, der Bestandteil jeder altägyptischen Kosmogonie ist. Der Nun existiert bereits vor der Schöpfung und bildet sozusagen deren Urmaterie. In der Unterwelt spielt der Nun eine wichtige Rolle bei der Regeneration des Sonnengottes.

Nut

Himmelsgöttin, die am Abend die Sonne verschlingt und am nächsten Morgen verjüngt neu gebiert. In dieser Funktion spielt sie eine wichtige Rolle in der Vorstellung von der Regeneration des Sonnengottes in der Nacht. Nut wurde in Gestalt einer sich über die Erde beugenden Frau vorgestellt. Sie tritt auch als Muttergöttin auf, die den Verstorbenen als ihren Sohn empfängt.

Osiris

Der ägyptische Totengott par excellence, Herrscher der unterweltlichen Dat und Vater des Horus. Osiris wird von seinem neidischen Bruder Seth ermordet und so um den Thron Ägyptens gebracht. Osiris hat unmittelbaren Anteil an der Regeneration des Sonnengottes während dessen Nachtfahrt, indem er in diesem Kontext als Sonnenleichnam vorgestellt wird. Mit ihm verbanden die alten Ägypter die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, der Verstorbene wurde im Tod zu «Osiris N.N.». Osiris stellt in der alt­ ägyptischen Vorstellung den Prototyp des Vaters dar.

Osiris-Mythos

Der Mythos schildert, wie der gute Herrscher Osiris von seinem Bruder Seth ermordet wird, indem dieser ihn in einen Sarg einschließt und in den Nil wirft. Osiris’ Schwestergemahlin Isis gelingt es, seinen Leichnam zu bergen und wiederzubeleben, sodass sie von ihm den Sohn Horus empfangen kann, der als Erwachsener den Tod seines Vaters rächt und neuer König von Ägypten wird.

Pfortenbuch

Unterweltsbuch, das auf den Grundlagen des Amduat aufbaut. Das Pfortenbuch übernimmt die Aufteilung der Nachtfahrt des Sonnengottes in die zwölf Nachtstunden, stellt zwischen jeden dieser Stundenbereiche aber ein Tor, das nur passieren kann, wer über spezielles Wissen verfügt.

Pyramidentexte

Totentexte des Alten Reiches, die seit Pharao Unas in den Grabkammern und zuführenden Gängen/Räumen der Pyramiden angebracht wurden. Wie später die Unterweltsbücher sind sie zunächst exklusiv royale Texte.

Re (auch: Ra)

ches Gegensatzpaar als positiv auch die Verkörperung der beiden Länder (Oberund Unterägypten). Im Kampf gegen den Sonnenfeind Apophis steht er dem Sonnengott als mächtiger Kämpfer hilfreich zur Seite.

Sonnenbarke

Das Schiff des Sonnengottes. In manchen Vorstellungen wechselt der Gott zwischen einer Tag- und einer Nachtbarke.

Sonnenleichnam

Am tiefsten Punkt der Unterwelt vereinigt sich der Sonnengott Re in der Nacht mit seinem Leichnam in Gestalt des Osiris. Aus dieser Verbindung resultiert die Erneuerung des Gottes und der Schöpfung. Die Vereinigung der beiden Götter zu Re-Osiris stellt das größte Geheimnis der altägyptischen Mythologie dar.

Thot

Herr des Wissens, Erfinder der Schrift und der Mathematik, Berechner der Zeit und Protokollant der Götter. Thot fungiert als rechte Hand des Schöpfergottes, den er während dessen Nachtfahrt in Gestalt des Mondes am Firmament vertritt.

Sonnen- und Schöpfergott. Re durchfährt am Tag den Himmel in seiner Barke und taucht in der Nacht in die Unterwelt hinab, um sich dort mit Osiris zu vereinigen und so zu verjüngen. Aus dieser Zusammenkunft resultiert die Belebung und Regeneration der gesamten Schöpfung, die sich am nächsten Morgen mit dem Aufgang des Sonnengottes aus der Dat vollzieht. Durch seine Bewegung über den Himmel und durch die Unterwelt erzeugt Re die Zeit.

Totengericht

Register

Horizontale Aufteilung des Amduat und des Pfortenbuches, die jeweils drei Re­ gister übereinanderstellen. Das mittlere Register ist dabei stets der Barke des Sonnengottes vorbehalten.

Bildlicher ist der englische Begriff der transfiguration. Bei der Verklärung handelt es sich um die rituelle Verwandlung des Verstorbenen in ein machtvolles Geistwesen (Ach), als das dieser im Jenseits weiterzuleben vermag.

Sargtexte

Verschlingerin (auch: Fresserin)

Totentexte des Mittleren Reiches, die  – wie ihre moderne Bezeichnung verrät – auf den Särgen der Verstorbenen angebracht wurden.

Seth

Bruder und Mörder des Osiris. Ein gewalttätiger und triebhafter Gott, der Verwirrung und Chaos stiftet. Zusammen mit Horus bildet er sowohl ein unversöhnli-

129

Seit der Zeit des Neuen Reiches musste jeder Verstorbene nach seinem Tod die Gerichtshalle des Osiris betreten und dort sein Herz gegen die Feder der Ma´at aufwiegen lassen. Nur wer diesen Test bestand, wurde zu einem verklärten Toten (Ach) und konnte an den Freuden des jenseitigen Lebens teilhaben. Wessen Herz den Test nicht bestand, fiel dem zweiten, endgültigen Tod anheim.

Verklärung

Chimäres Wesen mit dem Kopf eines Krokodils, dem Vorderleib eines Löwen und dem Hinterleib eines Nilpferdes. Die Verschlingerin sitzt in Darstellungen des Osirianischen Totengerichts unterhalb der Waage, um die Herzen derer, die die Wägung gegen die Feder der Ma´at nicht bestanden haben, zu verschlingen. Dies bedeutet für den Verstorbenen den zweiten, endgültigen Tod.

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ANHANG

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Dank Herrn Holger Kieburg danke ich sehr für das bereits langjährige Vertrauen in meine Arbeit und für sein Interesse an dem Thema dieses Buches – die wie immer verlässliche, unkomplizierte und jederzeit angenehme Zusammenarbeit mit ihm und seinem Verlagsteam haben es Wirklichkeit werden lassen. Mein besonderer

Dank gilt Herrn Prof. Hartwig Altenmüller, bei dem studieren zu dürfen ich das Glück hatte und der seitdem meinen beruflichen Projekten im Rahmen ägyptologischer Themen immer offen gegenübergestanden und sie jederzeit mit Gesprächsbereitschaft und hervorragenden Anregungen unterstützt und bereichert hat.

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dia CC BY-SA 4.0) | Abb. 79. 80. 84. 85. 86. 90. 98: © R. F. Morgan (wikipedia CC BY-SA 3.0) | Abb. 81: akg-images / André Held | Abb. 88: © Factum Foundation | Abb. 89: Thanatosimii~commons wiki |Abb. 91: Beechey, Henry William – The Yorck Project (2002) 10.000 Meister­ werke der Malerei | Abb. 96: E. A. Wallis Budge. Egyptian Ideas of the future Life (1908) | Abb. 102: Philippe Maillard / akgimages | Abb. 103: bpk / Ägyptisches Museum und Papyrussammlung, SMB / Sandra Steiß | Abb. 105: © Joan Ialucat i Adrià Turina (wikipedia CC BY-SA 3.0) | Abb. 106: Foto Olaf Tausch (CC BY 3.0) | Abb. 107: akg-images / De Agostini Picture Lib. / G. Sioen | Abb. 108: Foto Kurohito (wikipedia CC BY-SA 3.0) | Abb. 109: The Picture Art Collection / Alamy Stock Photo | Abb. 110: Urbain Bouriant/ Georges Legrain/Gustave Jéquier, Monuments pour servir à l‘étude du culte d‘Atonou en Egypte, MIFAO 8, 1903 | Abb. 115: Roger Lichtenberg / akg-images | Abb. 117: Peter Barritt / Alamy Stock Foto | Abb. 119: Radierung von Gustave Doré von 1861 | Abb. 123 b: komplette Grafik. Skarabäus: Katrin Laatsch; Khnum. Osiris: Jeff Dahl; Re: fi:Käyttäjä:kompak | Abb. 125: Quagga Media UG / akg-images | Abb. 128 a.b: Katrin Laatsch | Abb. 129: akg-images / Gerard Degeorge

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