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German Pages 500 [499] Year 2014
Manfred Knauer Hundert Jahre Aluminiumindustrie in Deutschland (1886–1986)
JAHRBUCH FÜR WIRTSCHAFTSGESCHICHTE BEIHEFT 17
Im Auftrag der Herausgeber des Jahrbuchs für Wirtschaftsgeschichte herausgegeben von Reinhard Spree
Manfred Knauer
Hundert Jahre Aluminiumindustrie in Deutschland (1886–1986) Die Geschichte einer dynamischen Branche
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil I: Turbulente Jugendjahre – von der Erfindung der Schmelzflusselektrolyse bis zur Weltwirtschaftskrise (1886–1933) 1. Kapitel: Die Erfindung der Schmelzflusselektrolyse und ihre Bedeutung für die Entstehung der Aluminiumindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Kapitel: Die Anfänge der deutschen Aluminiumindustrie in der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Aluminium-Industrie-Aktien-Gesellschaft Neuhausen – eine DeutschSchweizerische Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Hüttenprojekte des Metallbank-Griesheim-Konsortiums und der Firma Gebr. Guilini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Schwierige Markteinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Die ersten Aluminiumverarbeiter in Deutschland . . . . . . . . . . . . . .
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3. Kapitel: Die deutsche Aluminiumhüttenindustrie – ein Kind des Ersten Weltkrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Sofortprogramm zur Beseitigung der akuten Versorgungskrise . . . 3.2 Der Bau der Kriegshütten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Aufbau einer nationalen Hüttenaluminiumindustrie . . . . . . . . 3.4 Neuordnung der Aluminiumhüttenindustrie nach dem Krieg . . .
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4. Kapitel: Bewährungsprobe – Die deutsche Aluminiumhüttenindustrie in den 20er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die schwierige Nachkriegs- und Inflationszeit . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Kurze Zeit der Blüte – der Aufschwung der Jahre 1924 bis 1929 . . . . . 4.3 Tonerdeproduktion und Bauxitversorgung . . . . . . . . . . . . . . . .
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23 23
. 85 . 85 . 92 . 101
5. Kapitel: Die Aluminium verarbeitende Industrie in der Nachkriegszeit . . . . 111 5.1 Technologischer Fortschritt und Produktentwicklung . . . . . . . . . . . 111
6 5.2 Die Entstehung der großen Verarbeitungsgruppen . . . . . . . . . . . . . 118 5.3 Die Aluminiumverarbeitung im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 6. Kapitel: Die Aluminiumindustrie in der Zeit der Weltwirtschaftskrise . . . . . 139 6.1 Krisenmanagement: Die Gründung der Alliance Aluminium Company . . 139 6.2 Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die deutsche Aluminiumindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
Teil II: Aufstieg und tiefer Fall: Die deutsche Aluminiumindustrie im Dritten Reich (1933–1945) 7. Kapitel: Die Rolle der Aluminiumindustrie in der Rüstungs- und Autarkiepolitik der Nazis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 7.1 Aluminium wird zum strategischen Rohstoff . . . . . . . . . . . . . . . . 155 7.2 Sprunghafter Anstieg des Aluminiumbedarfs . . . . . . . . . . . . . . . . 162 8. Kapitel: Der Ausbau der Kapazitäten . . . . . . . 8.1 Aluminiumhütten und Umschmelzwerke . . . 8.2 Die Rohstoffversorgung der Hütten . . . . . . 8.3 Halbzeugwerke und Gießereien . . . . . . . .
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171 171 180 186
9. Kapitel: Der Krieg und das bittere Ende . . . . 9.1 Die Versorgungskrise der ersten Kriegsjahre 9.2 Utopische Pläne . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Die Aluminiumindustrie im totalen Krieg . 9.4 Das Strafgericht der Alliierten . . . . . . . .
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203 203 210 216 222
10. Kapitel: Vom Kriegsmetall zum Gebrauchsmetall – die Eroberung der zivilen Absatzmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Der Aluminiumboom der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Gründe für das spektakuläre Wachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Die wichtigsten Endverbrauchsmärkte im Überblick . . . . . . . . . . .
235 235 240 246
11. Kapitel: Ein schwieriger Neubeginn. Die Aufholjagd der deutschen Aluminiumindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Allmähliche Lockerung der alliierten Restriktionen . . . . . 11.2 Die deutsche Aluminiumindustrie zu Beginn der 50er Jahre . 11.3 Aufbruch in das neue Aluminiumzeitalter . . . . . . . . . .
257 257 262 269
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Teil III: Das goldene Zeitalter der Aluminiumindustrie (1945–1974)
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7 12. Kapitel: Die Aluminiumwalzwerksindustrie in der Nachkriegszeit 12.1 Technischer Fortschritt und Strukturwandel . . . . . . . . . 12.2 Die wichtigsten Walzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Das Großwalzwerk in Norf . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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279 279 284 294
13. Kapitel: Presser, Gießer und Folienhersteller 13.1 Presser . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Aluminiumgießer . . . . . . . . . . . . 13.3 Folienhersteller und Folienveredler . .
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305 305 312 317
14. Kapitel: Die Rohstoffversorgung der deutschen Aluminiumindustrie . 14.1 Der Ausbau der Hüttenkapazitäten . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2 Die Umschmelzwerke und ihr Beitrag zur Aluminiumversorgung 14.3 Importe schließen die Deckungslücke . . . . . . . . . . . . . . 14.4 Tonerde- und Bauxitversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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327 327 332 338 344
15. Kapitel: Der Hüttenboom am Ende der 60er Jahre . . . . . . . . . 15.1 Aufbruchstimmung in der Aluminiumindustrie . . . . . . . 15.2 Der Weg wird frei für den Hüttenbau in der Bundesrepublik 15.3 Die neuen Hütten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4 Die Oxydversorgung der neuen Hütten . . . . . . . . . . .
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351 351 356 363 375
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383 383 389 397 403
17. Kapitel: Die Aluminiumindustrie im Wandel . . . . . . . . . . . . . 17.1 Grenzen des Wachstums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2 Strukturwandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3 Verschärfte Anforderungen an Umwelt- und Ressourcenschutz 17.4 Antworten der Industrie auf die neuen Herausforderungen . .
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413 413 417 422 429
18. Kapitel: Bewährung in einer veränderten Welt . . . . . . . . . 18.1 Die deutsche Aluminiumindustrie in den 80er Jahren . . 18.2 Aluminiumhütten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.3 Aluminiumwalzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.4 Presswerke, Gießereien und Hersteller von Endprodukten
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439 439 443 451 461
Teil IV: Zeit der Reife (1970–1986) 16. Kapitel: Die schwierigen 70er Jahre . . . . 16.1 Chronologie der Krise . . . . . . . . 16.2 Enttäuschte Erwartungen . . . . . . 16.3 Die VAW in der Krise . . . . . . . . 16.4 Die Industrie am Ende der 70er Jahre
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8 Anhang: Die Aluminiumindustrie in der ehemaligen DDR (1945–1990)
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Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 Bildquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 Personenregister
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491
Firmen- und Organisationsregister
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493
Vorwort
Thema dieses Buches ist die faszinierende Geschichte einer noch jungen Branche, die sich in wenigen Jahrzehnten aus bescheidenen Anfängen zu einer der bedeutendsten Grundstoffindustrien entwickelt hat. Das Buch schildert die Entwicklung der Aluminiumindustrie in Deutschland während der ersten hundert Jahre ihres Bestehens, beginnend mit dem Jahr 1886, in dem der Franzose Paul T. Héroult und der Amerikaner Charles M. Hall fast gleichzeitig und völlig unabhängig voneinander ein Verfahren zur Herstellung des Aluminiums im Wege der Schmelzflusselektrolyse entdeckten und damit die Voraussetzung für die Produktion des neuen Metalls im industriellen Maßstab schufen. Das nach den beiden Erfindern benannte Hall-Héroult-Verfahren wird bis heute in den Aluminiumhütten der ganzen Welt angewandt. Die Darstellung folgt dem chronologischen Ablauf der Ereignisse und ist in vier Abschnitte untergliedert, in denen die wichtigsten Epochen der Branchengeschichte behandelt werden: Teil I berichtet über die Anfänge der Industrie vor und während des Ersten Weltkrieges und ihre weitere Entwicklung bis zur Weltwirtschaftskrise. Teil II handelt vom kometenhaften Aufstieg der Aluminiumindustrie im Dritten Reich und ihrem tiefen Fall nach dessen Zusammenbruch. Teil III schildert den schwierigen Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg und die Aufholjagd der Aluminiumindustrie in der Bundesrepublik in den 50er und 60er Jahren, die man auch als die „goldenen Jahre“ bezeichnet hat. Teil IV schließlich beschreibt den Übergang der Aluminiumindustrie in die Reifephase nach den Erdölkrisen der 70er Jahre. Ein kurzes Kapitel am Ende des Buches ist der Geschichte der Aluminiumindustrie in der früheren DDR gewidmet. Das Buch will eine umfassende Darstellung der Branchengeschichte geben, in der alle Sparten der Aluminiumindustrie zu Worte kommen. Während frühere Publikationen vor allem über die Geschichte der Hüttenindustrie berichteten, habe ich in meinem Buch auch der Geschichte der Aluminium verarbeitenden Industrie einen breiten Raum gewidmet. Auch wichtige Aktivitäten der Industrie auf dem Endproduktesektor sind Gegenstand der Darstellung. Die Entwicklung der Industrie wird unter allen relevanten betriebs- und volkswirtschaftlichen Aspekten betrachtet, wobei der technische Fortschritt auf dem Hütten- und Verarbeitungssektor, die Markt- und Produktent-
10 wicklung, strukturelle Veränderungen der Industrie sowie der Einfluss externer Faktoren die wichtigsten Themen sind. Obwohl der Fokus der Untersuchung auf die Geschichte der Industrie im Ganzen gerichtet ist, beschäftigt sich mein Buch auch ausführlich mit der Entwicklung der wichtigsten Unternehmen, die der Aluminiumindustrie in Deutschland das Gepräge gegeben haben. Dabei spielt die Geschichte des ehemaligen Branchenführers VAW naturgemäß eine herausgehobene Rolle. Aber auch über die Aktivitäten der ausländischen Konkurrenz war zu berichten, die seit jeher eine wichtige Rolle auf dem deutschen Aluminiummarkt spielte. Weltweite Veränderungen auf dem Aluminiumsektor wurden in die Darstellung einbezogen, soweit dies für das Verständnis der Entwicklung der Industrie in Deutschland erforderlich ist. Dies trifft vor allem für die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu, in der die nationalen Märkte zu einem globalen Markt für Hüttenaluminium zusammengewachsen sind. Das Buch ist das Ergebnis langjähriger Recherchen in Archiven und einschlägigen Publikationen. Eine wichtige Quelle waren die Firmengeschichten, die von vielen Unternehmen der Branche zumeist aus Anlass von Firmenjubiläen verfasst worden sind. Besonders zu erwähnen ist die Firmengeschichte der VAW, die den Zeitraum von der Gründung der Gesellschaft im Jahr 1917 bis zum Beginn der 1980er Jahre umfasst. Bei der Auswertung dieser Quellen kamen mir meine persönlichen Erfahrungen in der Aluminiumindustrie zugute, in der ich den größten Teil meines Berufslebens verbracht habe und der ich auch nach meiner Pensionierung noch fast zwei Jahrzehnte lang als Mitglied des Aufsichtrates meines früheren Arbeitgebers verbunden blieb. Das Buch ist aus der Perspektive eines Insiders geschrieben, bemüht sich aber auch dort um eine objektive Darstellung, wo politisch sensible Themen wie die Verstrickung der Industrie im Dritten Reich oder die moderne Umweltproblematik behandelt werden. Meine Zielsetzung war es, eine systematische Darstellung der Geschichte der Branche in Deutschland zu präsentieren, die wissenschaftlichen Standards genügt, zugleich aber auch interessant und gut lesbar ist. Mein Buch wendet sich an Leser, die sich für die Industrie- und Wirtschaftsgeschichte interessieren und über ausreichende technische und wirtschaftliche Kenntnisse verfügen, um sich mit den Gegebenheiten einer technisch ausgerichteten Industrie vertraut zu machen. Als Interessenten stelle ich mir vor allem Historiker der Fachrichtung Technik- und Wirtschaftsgeschichte aber auch Angehörige der Aluminiumbranche und verwandter Branchen vor. Beim Schreiben des Buches habe ich mir zur Richtschnur gemacht, dass meine Ausführungen auch den Ansprüchen meiner früheren Kollegen aus der Industrie genügen sollten. Einigen von ihnen habe ich den Rohtext zur Durchsicht gegeben. Zu besonderem Dank bin ich Hans Georg Seebauer für viele sachdienliche Hinweise verpflichtet. Das Buch schließt mit der Darstellung der 80er Jahre ab. In den folgenden zwei Jahrzehnten hat sich in der Aluminiumindustrie ein tief greifender Wandel vollzogen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Öffnung des Eisernen Vorhangs drängte Russland mit seinen riesigen Hüttenkapazitäten auf die westlichen Alumi-
11 niummärkte. Seit der Jahrhundertwende ist China zum weltweit größten Hersteller und Verbraucher von Aluminium aufgestiegen. Ein großer Teil der Firmen, über die in diesem Buch berichtet wird, existiert heute nicht mehr. Von den sechs Konzernen, die als so genannte „Big Six“ die Aluminiumindustrie lange Zeit beherrscht haben, ist nur die amerikanische Alcoa als großes, selbstständiges Unternehmen übrig geblieben. Auch die VAW hat die Fusionswelle nicht überlebt. Ungeachtet aller Veränderungen zählt die Bundesrepublik Deutschland aber nach wie vor zu den führenden Aluminiumnationen der Welt. Mit rund 600 Unternehmen und 74.000 Mitarbeitern stellt die deutsche Aluminiumindustrie auch für die heimische Wirtschaft einen bedeutenden Faktor dar. Zum Schluss noch ein kurzes Wort, wie es zu diesem Buch gekommen ist: Nach meiner Pensionierung im Jahr 1991 wurde ich, wie andere ehemalige Manager europäischer Aluminiumunternehmen, von dem Institut pour l’ histoire de l’ aluminium in Paris zur Mitarbeit eingeladen. Man wollte die Arbeit des Instituts, das sich bis dahin nur mit der Geschichte der französischen Aluminiumindustrie beschäftigt hatte, auf ganz Europa ausweiten. Das Projekt einer Geschichte der europäischen Aluminiumindustrie blieb freilich schon im Anfangsstadium stecken. Ich habe mich daher Ende der 90er Jahre entschlossen, den mir zugedachten Teil der Untersuchung, nämlich die Geschichte der Aluminiumindustrie in Deutschland, in eigener Regie zu schreiben. Bei diesem mühevollen Unternehmen war mir Ernst Rauch ein Vorbild, auch er ein Ehemaliger der Aluminiumindustrie, der noch im fortgeschrittenen Alter sein 1962 erschienenes Buch über die Geschichte der Aluminiumhüttenindustrie der westlichen Welt verfasst hat, das bis heute das Standardwerk zur Branchengeschichte für die Zeit bis 1945 geblieben ist. Düsseldorf im Februar 2014
Manfred Knauer
Teil I
Turbulente Jugendjahre – von der Erfindung der Schmelzflusselektrolyse bis zur Weltwirtschaftskrise (1886–1933)
1. Kapitel Die Erfindung der Schmelzflusselektrolyse und ihre Bedeutung für die Entstehung der Aluminiumindustrie Aluminium ist am Aufbau der äußeren Erdkruste mit einem Anteil von etwa acht Prozent beteiligt. Es kommt häufiger vor als Eisen und alle Nichteisenmetalle zusammengenommen und ist nach Sauerstoff und Silizium das dritthäufigste Element überhaupt. Trotz seiner weiten Verbreitung wurde das „leichte Metall“ aber erst spät für den menschlichen Gebrauch nutzbar gemacht. Während Eisen und andere Metalle von unseren Vorfahren schon vor Jahrtausenden gewonnen wurden, um daraus Werkzeuge, Waffen und andere Gebrauchsgegenstände zu fertigen, dauerte es beim Aluminium bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, bevor es dem Franzosen Henri Sainte-Claire Delville (1818–1881) im Jahr 1854 als Erstem gelang, mit Hilfe eines aufwendigen chemischen Verfahrens kleine Mengen des Metalls für kommerzielle Zwecke herzustellen. Damit war zwar ein erster wichtiger Schritt für die Nutzbarmachung des Aluminiums gemacht. Für eine Produktion des neuen Metalls im großtechnischen Maßstab war das Verfahren Delvilles aber nicht geeignet. Diese wurde erst möglich, nachdem der Franzose Paul T. Héroult (1863–1914) und der Amerikaner Charles M. Hall (1863–1914) im Jahr 1886 fast gleichzeitig und völlig unabhängig voneinander mit der Schmelzflusselektrolyse ein wirtschaftliches Verfahren zur Herstellung des Aluminiums entwickelten. Mit ihrer bahnbrechenden Erfindung haben Héroult und Hall die Voraussetzung dafür geschaffen, dass das Aluminium zu einem der am weitesten verbreiteten Gebrauchsmetalle geworden ist. Noch heute – mehr als hundert Jahre nach der Erfindung – wird Aluminium in allen Aluminiumhütten der Welt nach dem von ihnen entdeckten Verfahren hergestellt. Das Jahr 1886 wird daher gemeinhin als das Geburtsjahr der Aluminiumindustrie angesehen. Auch unsere Darstellung der Geschichte der Aluminiumindustrie in Deutschland beginnt mit diesem Jahr. Wegen seiner starken Affinität zum Sauerstoff kommt Aluminium in der Natur in metallischem Zustand nicht vor. In seinen Verbindungen mit Silizium und Sauerstoff ist es aber Bestandteil vieler Gesteinsarten und ihrer Mineralien, wie zum Beispiel Ton, Lehm und Mergel. Als Rohstoff für die Aluminiumgewinnung spielen praktisch nur die Bauxitmineralien eine Rolle, in denen das Aluminiumoxid (das man auch als Tonerde bezeichnet) in besonders hoher Konzentration enthalten ist1. Die Bemühungen von Wissenschaftlern und Technikern, das Aluminium aus seiner Verbindung mit dem
16 Sauerstoff zu trennen und ein wirtschaftliches Verfahren für seine Gewinnung zu entwickeln, stellen eines der faszinierendsten Kapitel der Wissenschafts- und Technikgeschichte dar, das wir hier nur kurz berühren können2. Der erste der sich mit der Isolierung des Aluminiums aus der Tonerde befasste, war der englische Forscher Humphrey Davy (1778–1829) zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Nachdem es ihm gelungen war, die Metalle Natrium und Kalium auf elektrolytischem Weg aus Soda bzw. Pottasche zu isolieren, machte er sich daran, auf demselben Weg auch die Tonerde in ihre Bestandteile zu zerlegen. Schon vor ihm hatten Wissenschaftler vermutet, dass sich auch in der Tonerde, wie in anderen „Erden“, ein Metall verbarg. Davy blieb zwar bei seinen Versuchen der Erfolg versagt. Er hat aber dem Metall, dem er als Erster auf die Spur kam, einen Namen gegeben: Nachdem sich für die Tonerde schon früher der Name „Alumina“ eingebürgert hatte, nannte Davy das in ihr gebundene Metall „Alumium“. Daraus wurde später die heute gebräuchliche Bezeichnung Aluminium3. Erfolgreicher als Davy war der dänische Chemiker Christian Oerstedt (1771–1851), der sich in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts dem Problem der Zerlegung der erdischen Stoffe in ihre metallischen Bestandteile zuwandte. Ihm gelang es 1825, das Aluminium mit Hilfe eines komplizierten chemischen Verfahrens zu isolieren. Als Ausgangsmaterial wählte er Aluminium-Chlorid, das er durch Einwirkung von Chlorgas auf die Tonerde gewonnen hatte. Aus dieser Verbindung reduzierte er das Aluminium mittels Kaliumamalgam, wobei er allerdings nur kleinste Mengen des stark verunreinigten Metalls erhielt. Oerstedts Versuche wurden von dem deutschen Chemiker Friedrich Wöhler (1800–1882) fortgesetzt, den Oerstedt über seine Experimente unterrichtet hatte. Wöhler reduzierte das Aluminium-Chlorid mit reinem Kalium, wobei sich Chlor-Kalium und ein graues Pulver bildeten, „das bei näherer Betrachtung, insbesondere im Sonnenschein, als aus lauter kleinen Metallflittern bestehend erscheint“. In seiner berühmt gewordenen Veröffentlichung „Über das Aluminium“, die in den „Annalen der Physik und Chemie“ des Jahres 1827 erschien, berichtete er über das Ergebnis seiner Experimente, die freilich zunächst ohne Konsequenzen blieben. In den 30er und 40er Jahren beschäftigte sich Wöhler erneut mit dem Aluminium und entwickelte ein verbessertes Verfahren, das die Darstellung des Metalls in größerer Menge ermöglichte. Obwohl er auch jetzt nur Aluminiumkügelchen von der Größe eines Stecknagelkopfes erhielt, reichte die gewonnene Menge doch zur Feststellung der wichtigsten Eigenschaften des neuen Metalls aus, über die er 1845 in einem Beitrag in „Liebigs Annalen der Chemie und Pharmazie“ berichtete. Wöhler war der Erste, der auf die erstaunliche Leichtigkeit des neuen Metalls hinwies, dessen spezifisches Gewicht nur ein Drittel des Gewichts von Eisen und Kupfer ausmacht 4. Einen anderen Weg zur Isolierung des Aluminiums schlugen der Deutsche Robert Bunsen (1811–1899) und der bereits erwähnte Franzose Delville wenige Jahre nach der Veröffentlichung Wöhlers in Liebigs Annalen ein. Unabhängig voneinander führten die beiden Forscher Laborversuche mit einem elektrolytischen Verfahren zur Gewinnung von Aluminium durch. Es gelang ihnen, kleine Mengen Aluminium herzustellen,
17 indem sie geschmolzenes Aluminium-Natrium-Doppelchlorid dem Strom aussetzten. Den Weg für die erfolgreichen Versuche hatte Bunsen mit seinen einige Jahre zuvor durchgeführten Experimenten mit wasserfreiem geschmolzenem Magnesium-Chlorid gewiesen, mit denen ihm die elektrolytische Darstellung des Magnesiums gelungen war. Auf der Suche nach einem geeigneten Elektrolyten waren beide Forscher auf das Doppelchlorid des Aluminiums und des Natriums gestoßen, das bei 185 Grad Celcius schmilzt und auch bei einer genügend hohen Temperatur noch beständig ist. Für eine elektrolytische Gewinnung des Aluminiums in großem Maßstab war der von Bunsen und Delville gewählte Elektrolyt allerdings nicht geeignet. Durch ihre Versuche war aber der Nachweis erbracht, dass Aluminium auch auf elektrolytischem Wege gewonnen werden konnte, wie Davy schon zu Beginn des Jahrhunderts vermutet hatte5. Dass es trotzdem noch mehr als dreißig Jahre dauerte, bis Héroult und Hall ein für die industrielle Fertigung von Aluminium geeignetes Verfahren entwickelten, hat seine Ursache vor allem darin, dass damals die Möglichkeit fehlte, größere Mengen Strom zu erzeugen, wie sie für elektrometallurgische Prozesse benötigt werden. Bunsen und Delville standen für ihre Experimente nur wenig leistungsfähige galvanische Batterien als Stromspender zur Verfügung. Erst seit der Erfindung des dynamo-elektrischen Prinzips durch Werner von Siemens (1816–1892) im Jahr 1866 und der Konstruktion einer ersten industriell brauchbaren Dynamomaschine durch den Belgier Zenobe Gramme (1826–1901) im Jahr 1869 ist es möglich, elektrischen Strom billig und in großen Mengen zu erzeugen. Als Bunsen und Delville im Jahr 1854 ihre Versuche mit der Aluminiumelektrolyse machten, konnten sie diese Entwicklung nicht vorhersehen. Delville, der seine Suche nach einem wirtschaftlichen Verfahren zur Aluminiumherstellung mit großer Zähigkeit fortsetzte, erschien es Erfolg versprechender, das von Oerstedt entdeckte und von Wöhler verbesserte chemische Verfahren weiterzuentwickeln6. Nach mehrjährigen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten, deren wichtigstes Ergebnis die Verwendung von Natrium als Reduktionsmittel anstelle des viel teueren Kaliums war, konnte Delville das verbesserte Verfahren 1855 erstmals in einer industriellen Versuchsanlage praktisch erproben. Noch im selben Jahr präsentierte er auf der Weltausstellung in Paris zwölf kleine Barren des neuen Metalls, die beim Publikum auf großes Interesse stießen. Delville konnte indessen die hochgespannten Erwartungen der Öffentlichkeit in das „Silber aus Lehm“ nicht erfüllen. Auch der französische Kaiser Napoleon III, der Interesse an Delvilles Arbeiten genommen hatte, zeigte sich enttäuscht darüber, dass das neue Metall, das doch in so reichem Masse in der Natur vorkomme, nur in kleinsten Mengen hergestellt werden konnte. Die 1860 zur Verwertung des Delville-Verfahrens in Salindres errichtete Anlage produzierte im ersten Jahr ihres Bestehens ganze 505 Kilogramm Aluminium! Erst allmählich konnte die Produktionsleistung auf maximal 3.000 Kilogramm pro Jahr gesteigert werden. In den dreißig Jahren ihres Bestehens wurden in der Fabrik in Salindres, die seit 1877 unter der Leitung von Alfred R. Pechiney (1838–1916) stand, insgesamt nur etwa fünfzig Tonnen Aluminium erzeugt. Bei Gestehungskosten von zuletzt sechzig Francs pro Kilo (teurer
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Abb. 1: Paul T. Héroult (1863–1914)
Abb. 2: Charles M. Hall (1863–1914)
als Silber!) kam eine Verwendung des Metalls nur in der Schmuckindustrie und für Luxusgüter in Betracht. Es fehlte nicht an Bemühungen, auf der Grundlage des Delvillschen Verfahrens verbesserte Methoden für die Herstellung von Aluminium auf chemischem Wege zu enwickeln. Keinem der zahlreichen Versuche war ein dauerhafter Erfolg beschieden. Delvilles Vision vom Aluminium als einem vielseitig verwendbaren Gebrauchsmetall konnte sich erst erfüllen, nachdem Hall und Heroult einen Weg gefunden hatten, der es erlaubte, Aluminium billig und in großen Mengen zu erzeugen. Das Interesse an der Aluminiumelektrolyse hatte nach der Erfindung des Dynamos neuen Auftrieb erhalten. Mit der Elektrometallurgie war ein neuer Industriezweig entstanden, der die jetzt in großer Menge zur Verfügung stehende billige elektrische Energie für die Metallerzeugung nutzbar machen wollte. In den 1880er Jahren hatten die ersten industriellen Anlagen für die Kupfer- und Zinkelektrolyse ihren Betrieb aufgenommen. Schon vor der Erfindung von Hall und Héroult waren zahlreiche Vorschläge für die elektrolytische Herstellung von Aluminium zum Patent angemeldet worden, von denen sich jedoch keiner als brauchbar erwies. Das Prinzip der Aluminiumelektrolyse war ja durch die Veröffentlichungen von Bunsen und Delville allgemein bekannt. Dass es Bunsen und Delville nicht gelungen war, ihre Entdeckung zu einem praktisch verwertbaren Verfahren weiter zu entwickeln, lag letztlich an dem von ihnen gewählten Elektrolyten, der sich für eine großtechnische Herstellung von Aluminium nicht eignete.
19 Das Neue an den Versuchen von Hall und Héroult war, dass sie auf die Verwendung der leicht flüchtigen und relativ teuren Aluminium Chloride verzichteten, mit denen Bunsen und Delville experimentiert hatten, und sich wieder auf die Elektrolyse der Tonerde konzentrierten, die Davy zu Beginn des Jahrhunderts vergeblich versucht hatte. Die hauptsächliche Schwierigkeit bestand in dem hohen Schmelzpunkt der Tonerde, die erst bei Temperaturen von über 2.000 Grad Celsius in den flüssigen Zustand übergeht. Es ging also darum (um mit Halls Worten zu sprechen), ein beständiges Lösungsmittel zu finden, welches bei mäßigen, praktisch aufrechtzuerhaltenden Temperaturen das Aluminiumoxyd lösen und die Elektrolyse desselben ermöglichen würde, ohne dass es selbst angegriffen werden könnte7. Es ist ein bemerkenswerter Zufall, dass sich Héroult und Hall in Frankreich und in den USA fast gleichzeitig mit diesem Problem befassten und völlig unabhängig voneinander dieselbe Lösung fanden. Beide machten bei ihren Versuchen die Beobachtung, dass sich die Tonerde in einem Bad aus geschmolzenem Kryolith bei Temperaturen von ca. 950 Grad Celsius löste und durch den galvanischen Strom in ihre Bestandteile Aluminium und Sauerstoff zerlegt wurde. Héroult meldete seine Entdeckung am 23. April 1886 in Frankreich zum Patent an. In der Anmeldung wird das Prinzip der Aluminiumelektrolyse mit folgenden Worten beschrieben: „Ich beanspruche die Erfindung des oben beschriebenen Verfahrens zur Darstellung von Aluminium, welches in der Elektrolyse der im geschmolzenen Kryolith gelösten Tonerde besteht, wobei die Stromzuführung durch beliebige Elektroden erfolgt, z.B. durch Kohleanoden, die in das geschmolzene Kryolith-Bad eintauchen, während die Kathode das Bad umschließt. Auf diese Weise wird der an der Anode frei werdende Sauerstoff diese verbrennen, während das auf der Kathode abgeschiedene Metall sich allmählich auf dem Boden des Tiegels ansammelt. Dabei wird der Kryolith nicht verbraucht und es genügt – um eine kontinuierliche Metallabscheidung zu erhalten – die durch die Elektrolyse zersetzte Tonerde zu ersetzen“. In einer weiteren Patentanmeldung vom 15. April 1887 verwies Héroult darauf, dass der elektrische Strom genüge, um das Aluminiumoxid in geschmolzenem Zustand zu halten, sodass auf eine Außenheizung des Ofens verzichtet werden könne. Halls Patentanmeldung in den USA datiert vom 9. Juli 1886. Als ihm die ältere Anmeldung Héroults entgegengehalten wurde, berief er sich auf eine Bestimmung des amerikanischen Patentrechtes, die es erlaubt, die Priorität der Anmeldung auf den Zeitpunkt der ersten Ausübung des Verfahrens in den USA zurückzudatieren. Er konnte durch Vorlage eines Briefes an seinen Bruder nachweisen, dass er am 23. Februar 1886, also kurz vor der Patentanmeldung von Héroult in Frankreich, erstmals Aluminium auf dem im Patent beschriebenen Weg dargestellt hatte. Dass Héroult seine Versuche schon im Winter 1885/1886 erfolgreich abgeschlossen hatte, spielte nach amerikanischem Patentrecht keine Rolle, da diese Versuche nicht in den USA durchgeführt worden waren. Dies erklärt, warum das amerikanische Patent für die Schmelzflusselektrolyse Hall zugesprochen wurde, während in allen anderen Ländern Héroult die Patente erhielt. Während Héroults französisches Patent bereits mit der Anmeldung
20 am 23. April 1886 wirksam wurde, musste Hall noch bis zum Abschluss des Prüfungsverfahrens durch das amerikanische Patentamt warten, bis endlich auch er am 2. April 1889 sein Patent in Händen hielt. Die beiden noch jugendlichen Erfinder hatten einige Mühe, Kapitalgeber zu finden, die es ihnen ermöglichten, das neue Verfahren zu erproben und industriell zu verwerten. Hall fand im Juli 1888 nach einem ersten fehlgeschlagenen Versuch in dem Metallurgen Alfred Hunt einen kongenialen Partner, der über genügend Weitsicht verfügte, um die Bedeutung der Hallschen Erfindung zu erkennen. Hunt und einige seiner Freunde brachten das notwendige Kapital zusammen, um in Pittsburgh im US-Staat Pennsylvania zunächst eine Versuchsanlage und nach erfolgreichem Abschluss der Versuche eine erste Aluminiumfabrik zu bauen. Die am 18. September 1888 zur Verwirklichung des Vorhabens mit einem Kapital von 20.000 US-Dollar gegründete Pittsburgh Reduction Company (seit 1912: Aluminum Company of America) stieg aus kleinsten Anfängen zu einem der großen Weltunternehmen auf, das über viele Jahrzehnte unangefochten an der Spitze der Aluminiumbranche stand. Bis in die späten 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts war Alcoa, unter welchem Namen die Gesellschaft bis heute bekannt ist, der einzige Aluminiumproduzent in den USA8. Auf dem langen Weg zum Erfolg fehlte es allerdings nicht an Rückschlägen und Enttäuschungen. Schon wenige Jahre nach der Aufnahme des Elektrolysebetriebs in einem kleinen Werk in der Smallman Street in Pittsburgh sah sich die Pittsburgh Reduction, auf die Hall seine Rechte übertragen hatte, in einen langwierigen Patentstreit mit der Cowles Company verwickelt, die dem Hall-Patent die früheren Rechte des amerikanischen Erfinders Bradley entgegenhielt. Als das Berufungsgericht im Jahr 1903 eine Verletzung des Bradley-Patentes bejahte, blieb der Pittsburgh Reduction nichts anderes übrig als sich mit der Cowles Company auf einen Kompromiss zu einigen. Die Gesellschaft verpflichtete sich zur Zahlung einer Abfindung für die bisherige Benutzung des Bradley-Patents und einer Lizenzgebühr für die ausschließliche Nutzung des Patents bis zu dessen Erlöschen im Jahr 1909. Im Ergebnis führte dies dazu, dass sich der Patentschutz der Pittsburgh Reduction in den USA bis zum Ablauf des Bradley-Patents im Jahr 1909 verlängerte9. Was für die Gesellschaft damals auf dem Spiele stand, lässt sich ermessen, wenn man bedenkt, dass die Pittsburgh Reduction im Urteilsjahr mit einer Produktion von ca. 4.000 Tonnen in ihren Hütten in Niagara Falls und Shawinigan Falls (Quebec) weltweit der größte Hersteller von Aluminium war und im Begriffe stand, ihre Kapazitäten durch den Bau einer Elektrolyse in Massena (New York) weiter auszubauen. Auch Héroult blieben herbe Enttäuschungen nicht erspart. Er bot seine Erfindung dem französischen Industriellen Alfred R. Pechiney an, der die von Delville gebaute Aluminiumfabrik in Salindres übernommen hatte. Pechiney verarbeitete das nach dem Delvillschen Verfahren hergestellte Aluminium zu Aluminiumbronze (einer KupferAluminium-Legierung mit einem Aluminiumanteil von 10 bis 20 Prozent), das sich leichter vermarkten ließ als Reinaluminium. An einer Zusammenarbeit mit Héroult
21 war er nicht interessiert, da er für Reinaluminium keine ausreichenden Marktchancen sah. Auch der Versuch Héroults, sein Verfahren mit Hilfe der Banque Rothschild selbst zu verwerten, führte zu keinem Ergebnis, da der von der Bank zugezogene Experte ein ungünstiges Votum abgab10. Mehr Glück hatte Héroult mit einer Gruppe von Schweizer Industriellen, mit denen er durch Zufall in Kontakt gekommen war. Zu ihnen gehörte Peter Emil Huber-Werdmüller (1836–1915), der Gründer und Leiter der Maschinenfabrik Oerlikon, dessen Firma kurz zuvor die Anlagen für eine Kupferelektrolyse nach Italien geliefert hatte und der von der großen Zukunft der Elektrometallurgie überzeugt war. Zusammen mit Gustav L. Naville (1848–1929), dem Chef und Mitinhaber der Züricher Maschinenfabrik Escher Wyss & Cie., die gleichfalls auf dem Gebiet der Elektrotechnik tätig war, ergriff Huber-Werdmüller die Initiative zur Gründung der Schweizerischen Metallurgischen Gesellschaft. Diese Gesellschaft sollte die Héroultschen Patente erwerben und am Standort des stillgelegten Neherschen Eisenwerkes in Neuhausen am Rheinfall unter Ausnutzung der dortigen Wasserkräfte Aluminiumbronze und Reinaluminium auf elektrolytischem Wege herstellen11. Der Eigentümer des stillgelegten Werkes hatte sich schon zuvor vergeblich bemüht, die wasserrechtliche Konzession für den Bau und Betrieb einer kleinen Aluminiumelektrolyse zu erlangen, die nach dem Verfahren des Schweizer Erfinders Dr. Fiertz-Kleiner arbeiten sollte. Huber und Naville waren bei ihren Demarchen erfolgreicher und konnten die zuständigen Behörden davon überzeugen, dass die geplanten Anlagen für die Nutzung der Wasserkräfte des Rheinfalls das landschaftliche Bild nicht beeinträchtigen würden. Nachdem Héroult in einer kleinen Versuchsanlage nachgewiesen hatte, dass sein Verfahren befriedigend funktionierte, wurde die „Metallurgische“ am 31. Oktober 1887 endgültig konstituiert und der Startschuss für die Errichtung einer kleinen Produktionsanlage gegeben, die im Sommer 1888 die Produktion von Aluminiumbronze aufnahm. Mit der Herstellung von Reinaluminium wollte man erst beginnen, wenn ein sicherer Absatz gewährleistet war.
Anmerkungen zum 1. Kapitel 1 Bauxit ist der Sammelname für steinige Gemenge, die neben 60–70 % wasserhaltiger Tonerde (Aluminiumhydroxid) auch Eisenoxid, Siliziumoxid (Kieselsäure), Titan und andere Stoffe enthalten. Der von dem französischen Geologen Pierre Berthier (1782–1861) im Jahr 1821 entdeckte Bauxit erhielt seinen Namen von dem Ort Les Baux bei Aix en Provence, wo das Erz seit den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts abgebaut wurde. 2 Zur Entdeckungsgeschichte siehe Elisabeth Ch. Vaupel in „Aluminium: Das Metall der Moderne“ (1991), Seite 9 ff. 3 Im amerikanischen Sprachgebrauch wird das Metall als „aluminum“ bezeichnet. 4 Die von Wöhler bei seinem Versuch im Jahr 1845 erhaltenen Aluminiumkügelchen wurden lange Zeit im Chemischen Laboratorium der Universität Göttingen aufbewahrt, bis sie 1942 dem Deutschen Museum in München übergeben wurden, wo sie noch heute zu sehen sind.
22 5 Zu den Versuchen Bunsens und Delvilles mit der Aluminiumelektrolyse: „Robert Bunsen, der deutsche Entdecker der Aluminium-Elektrolyse“ in ALUMINIUM 1936.172 ff. 6 Siehe Rauch, Seite 9 ff. Das Doppelheft 32/33 der Cahiers aus dem Jahr 2004 ist Delville gewidmet. 7 Vortrag Halls bei der Verleihung der Perkin Medal im Jahr 1911, der bei Debar, „Aluminiumindustrie“, Seite 26, wiedergegeben wird. Siehe auch Smith, Seite 14 (Fußnote 22). 8 Zu den Anfängen der Alcoa: Carr, Seite 23 ff. 9 Die Bradley-Patente betrafen nicht die für Hall geschützte Verwendung von Kryolith als Lösungsmittel für die Tonerde. Ihr sehr weit gefasster Anspruch lautete auf „das Schmelzen von Erzen vermittels eines Lichtbogens und Durchleitung von elektrischem Strom durch das geschmolzene Erz mit dem Ziel es zu zerlegen und im geschmolzenen Zustand zu erhalten“. Siehe Carr, Seite 51. 10 Zu Héroults Verwertungsversuchen in Frankreich: Rauch, Seite 31 ff. 11 AIAG-Geschichte I, Seite 63 ff (Ein französischer Erfinder im Dienste Schweizerischer Unternehmer).
2. Kapitel Die Anfänge der deutschen Aluminiumindustrie in der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg
2.1 Die Aluminium-Industrie-Aktien-Gesellschaft Neuhausen – eine Deutsch-Schweizerische Kooperation Nachdem die Erfindung des Dynamos die Voraussetzungen für eine industrielle Nutzung der elektrischen Energie geschaffen hatte, wurden auch in Deutschland die Bemühungen wieder aufgenommen, Aluminium auf elektrolytischem Wege herzustellen. Den ersten praktischen Versuch unternahm die Aluminium- und Magnesiumfabrik AG in Hemelingen bei Bremen, die im April 1885, also noch vor Bekanntwerden der Erfindung von Hall und Heroult, gegründet worden war1. Die Gesellschaft wollte in ihrer Hütte Aluminium und Magnesium nach einem elektrolytischen Verfahren herstellen, das 1883 für den deutschen Erfinder Grätzel patentiert worden war. Das Verfahren erwies sich zwar für die Herstellung von Magnesium als brauchbar, versagte aber völlig für die Gewinnung von Aluminium. Nachdem auch Versuche mit der Produktionsmethode von Delville nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatten, wurde die Produktion auf ein chemisches Verfahren umgestellt, bei dem man Aluminium-Natrium-Fluorid durch Magnesium zu Aluminium reduzierte. Mit Hilfe dieses Verfahrens erreichte die Aluminiumproduktion in Hemelingen 1889 die für die damalige Zeit beachtliche Menge von 18.000 Kilogramm. Mit dem Aufkommen der Schmelzflusselektrolyse war jedoch das Ende dieser ersten Aluminiumhütte auf deutschem Boden besiegelt. Bei Gestehungskosten von über 30 Mark pro Kilogramm konnte die Fabrik in Hemelingen mit der neuen Technologie nicht konkurrieren. Nachdem 1888 noch fast 50 Mark pro Kilogramm Aluminium erlöst worden waren, ging der Aluminiumpreis nach dem Anlaufen der ersten Aluminiumelektrolysen in der Schweiz und in Frankreich schnell zurück und erreichte 1890 mit 20 Mark ein Niveau, bei dem man auch bei Ausschöpfen aller Rationalisierungsmöglichkeiten nicht mehr kostendeckend produzieren konnte 2. Mitte 1890 wurde die Aluminiumfabrikation in Hemelingen eingestellt. Auch Fabriken in Frankreich und England, in denen Aluminium nach dem Delville-Verfahren oder anderen chemischem Verfahren hergestellt worden war, mussten der neuen Technologie weichen.
24 Dauerhaftere Folgen hatte die Beschäftigung der Deutschen Edison-Gesellschaft mit dem neuen Metall. Diese Gesellschaft war 1883 in Berlin von einer Investorengruppe um Emil Rathenau (1838–1915) zu dem Zweck gegründet worden, die von dem Amerikaner Thomas A. Edison erfundene Glühlampe auf dem deutschen Markt einzuführen 3. Unter der tatkräftigen Leitung Rathenaus war die Deutsche Edison schon bald zu einem der bedeutendsten Unternehmen der neuen Elektroindustrie aufgestiegen. Als Hersteller von elektrischen Anlagen aller Art galt das Interesse der 1887 in Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft AG (kurz AEG) umbenannten Gesellschaft auch dem neuen Feld der Elektrometallurgie, das attraktive Absatzmöglichkeiten für ihre Produkte versprach. Zur selben Zeit, als die Schweizerische Metallurgische Gesellschaft in Neuhausen am Rhein ihre ersten Versuche mit der Heroultschen Erfindung durchführte, experimentierte man auch in Berlin mit einem Verfahren zur elektrolytischen Herstellung von Aluminium. Die Versuche mit der Aluminiumelektrolyse hatte Rathenau einem jungen Metallurgen, Dr. Martin Kiliani (1859–1895), übertragen, der sich zuvor schon mit der Zinkelektrolyse beschäftigt hatte. Zum Stand der Entwicklungsarbeiten der AEG heißt es in der Geschichte der AIAG (Band I, Seite 75): „Dr. Kiliani, der Fachmann der deutschen Gruppe, war mit seinen Versuchen noch nicht so weit, dass sich daraus ein industrielles Verfahren ergeben hätte. Angesichts der technischen und finanziellen Unterstützung indessen, die ihm die AEG gewährte, schien es nicht zweifelhaft, dass es ihm mit der Zeit gelingen würde, die Grundlagen für eine deutsche Aluminiumhütte zu schaffen“. Die Schweizer müssen von den Versuchen Kilianis Kenntnis bekommen haben. Angesichts der großen Bedeutung des deutschen Marktes als dem wichtigsten zukünftigen Absatzgebiet der Hütte in Neuhausen, hatten sie allen Grund, die drohende Entstehung eines Konkurrenzunternehmens in Deutschland ernst zu nehmen. Es überrascht daher nicht, dass es zwischen den beiden Gruppen schon bald zu Gesprächen über eine Kooperation kam. Huber und Naville, die beiden Initiatoren des Schweizer Projektes, zählten ja wie Rathenau zu den Pionieren der jungen Elektroindustrie und kannten sich als führende Vertreter ihrer Branche. Man wurde nach kurzen Verhandlungen handelseinig und gründete am 12. November 1888 eine gemeinsame Aktiengesellschaft, der die exklusive Verwertung der Héroultschen Patentrechte in Deutschland und in der Schweiz übertragen wurde. Allen Beteiligten erschien ein Zusammengehen vorteilhafter als das Ausfechten eines sonst unvermeidlich erscheinenden Konkurrenzkampfes (AIAG I, Seite 71). Die AEG beteiligte sich mit einer kleinen Quote am Kapital der neuen Gesellschaft, der man den Namen „Aluminium-Industrie-Aktien-Gesellschaft Neuhausen“ (AIAG) gab4. Die Aktienmehrheit wurde von der Schweizerischen Metallurgischen Gesellschaft übernommen, an der neben Oerlikon und Escher Wyss auch Héroult mit einer Quote von zehn Prozent beteiligt war. Ein Teil der Aktien wurde durch die Berliner Handels-Gesellschaft und andere der AEG nahe stehenden Berliner Bankinstitute auf dem deutschen Kapitalmarkt platziert. Es war von vornherein geplant, die Schweizerische Metallurgische Gesellschaft mit der AIAG zu ver-
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Abb. 3: Dr. Martin Kiliani (1858–1895)
Abb. 4: Martin Schindler (1858–1927)
schmelzen, sobald man sich mit Héroult definitiv auseinandergesetzt hatte. Mit der 1893 vollzogenen Fusion gingen auch die zunächst noch bei der „Metallurgischen“ verbliebenen Patentrechte in Drittländern auf die AIAG über, die somit seit diesem Zeitpunkt Inhaberin sämtlicher Patente Héroults war, ausgenommen nur die französischen und englischen Patentrechte, deren Verwertung sich der Erfinder vorbehalten hatte 5. Bei der Besetzung der wichtigsten Führungspositionen bewies der Verwaltungsrat der neuen Gesellschaft eine glückliche Hand. Die kaufmännische Leitung des Unternehmens wurde dem Schweizer Martin Schindler (1858–1927) übertragen. Er hat die Geschäfte der Gesellschaft in den nächsten drei Jahrzehnten mit großem Geschick geleitet. Als technischer Leiter wurde ihm Dr. Kiliani (1858–1895) an die Seite gestellt, der sich durch seine Versuche bei der AEG als Fachmann ausgewiesen hatte. Kiliani spielte bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1895 eine wichtige Rolle bei der Weiterentwicklung des Héroultschen Verfahrens. Héroult selbst, der in der Anfangszeit als Berater und technischer Leiter des Schweizer Unternehmens tätig war, kehrte 1889 nach Frankreich zurück, um dort die technische Leitung der Société ElectroMétallurgique Française in Froges (Isère) zu übernehmen, auf die er seine französischen Patentrechte übertragen hatte. Im Verwaltungsrat der AIAG waren die wichtigsten Aktionäre durch ihre Spitzenleute vertreten: Oerlikon und Escher Wyss durch
26 Huber und Naville, die AEG durch Rathenau. Sitz und Stimme hatten auch Vertreter deutscher Banken, darunter der legendäre Bankier Carl Fürstenberg (1850–1933), der als Geschäftsinhaber der Berliner Handels-Gesellschaft in der deutschen und europäischen Bankenwelt eine bedeutende Rolle spielte. Huber wurde zum Präsidenten und Naville zum Vizepräsidenten des Verwaltungsrates gewählt. Zusammen mit Rathenau und Fürstenberg (seit 1893) bildeten sie den engeren Ausschuss des neunköpfigen Verwaltungsrates, der in unveränderter Zusammensetzung bis in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg die Geschäftspolitik des Unternehmens bestimmte. Die langjährige, harmonische Zusammenarbeit dieser vier außergewöhnlichen Persönlichkeiten im obersten Lenkungsgremium der Gesellschaft hat entscheidend zum Erfolg des Unternehmens beigetragen6. Schon kurz nach der Gründung der neuen Gesellschaft wurde mit dem Bau einer Aluminiumelektrolyse begonnen, die die behelfsmäßigen Produktionsanlagen der „Metallurgischen“ ersetzen sollte. Auch die neue Hütte wurde auf dem Werksgelände des stillgelegten Neherschen Eisenwerkes unmittelbar neben den Rheinfällen errichtet. Um die Stromversorgung der Hütte sicherzustellen, musste das vorhandene Wasserkraftwerk ausgebaut werden. Zwei von Oerlikon gelieferte Gleichstromgeneratoren mit einer Leistung von je 600 PS – die damals größten Dynamomaschinen der Welt – brachten die Gesamtleistung des Kraftwerkes auf 1.900 PS. Mitte des Jahres 1890 waren die neuen Anlagen betriebsbereit. In der Ofenhalle waren acht Elektrolyseöfen des von Heroult entwickelten Ofentyps aufgestellt, die man wegen ihrer runden Form als „marmites“ bezeichnete. Diese erste Ofengeneration war für eine Belastung mit 4.000 Ampere ausgelegt7. In Neuhausen wurde zunächst nur Aluminiumbronze mit einem Aluminiumanteil von zehn bis zwanzig Prozent hergestellt. Erst nach einigen Monaten ging man zur Produktion von Reinaluminium über, dessen Marktchancen man anfänglich mit Zurückhaltung beurteilt hatte. Die AIAG folgte damit dem Beispiel von Froges, wo Héroult schon kurz nach seiner Rückkehr aus der Schweiz im September 1889 die Produktion von Reinaluminium aufgenommen hatte8. In den folgenden Jahren konnte die Produktion der Hütte in Neuhausen rasch ausgeweitet werden. Im Jahr 1900 produzierte die AIAG im Stammwerk Neuhausen und in den beiden Tochterwerken in Rheinfelden/Baden und Lend/Österreich, die sie 1898/1899 errichtet hatte, insgesamt 1.890 Tonnen Hüttenaluminium und bestritt damit knapp dreissig Prozent der damaligen Weltproduktion. Nach dem Anlaufen der Hütte in Chippis (Wallis), die im Jahr 1908 als weitere Produktionsstätte hinzugekommen war, stieg die Aluminiumproduktion bis zum Jahr 1913, dem letzten Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, auf 11.240 Tonnen und erreichte während des Krieges einen Spitzenwert von 16.770 Tonnen9. An heutigen Maßstäben gemessen erscheinen diese Produktionszahlen als äußerst bescheiden. Vergleicht man sie jedoch mit der Produktion der Betriebe, die nach dem Delvillschen Verfahren gearbeitet hatten, wird deutlich, welche enormen Fortschritte in den wenigen Jahren seit der Entdeckung der Schmelzflusselektrolyse erreicht worden waren.
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Abb. 5: Ofenhalle in Rheinfelden mit 8 000 Ampere-Öfen
Mit ihren Hütten in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland war die AIAG bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs der mit Abstand größte Hersteller von Aluminium in Europa. Der weitaus wichtigste Absatzmarkt der Gesellschaft war Deutschland, da in der Schweiz selbst nur ein bescheidener Bedarf bestand und die Märkte in Frankreich und den USA der AIAG durch prohibitive Einfuhrzölle praktisch verschlossen waren. Schon Anfang der 1890er Jahre wurde in Berlin ein Verkaufsbüro eingerichtet, das von der AEG betreut wurde, die für Deutschland und Russland das Alleinverkaufsrecht besaß. Seit Mitte der 90er Jahre machte sich zunehmend die amerikanische, französische und englische Konkurrenz bemerkbar, die ihre Produktionsüberschüsse ungehindert auf dem deutschen Markt absetzen konnte, der durch keine Einfuhrzölle geschützt war. Im Jahr 1895 kam es zu einem Abkommen mit den Amerikanern, in dem ein gegenseitiger Gebietsschutz vereinbart wurde, der den Schweizern Deutschland, Österreich und die Schweiz als exklusives Verkaufsgebiet reservierte, und im Gegenzug Verkäufe der AIAG auf dem amerikanischen Markt untersagte. Das zunächst für ein Jahr geschlossenen Abkommen wurde nach seinem Ablauf nicht erneuert, da es den Schweizern nicht gelungen war, auch ihre englischen und französischen Konkurrenten zum Beitritt zu bewegen. Gegenüber Froges konnte sich die AIAG zwar auf die Lizenzvereinbarung mit Héroult berufen, die ihm und seinen
28 Rechtsnachfolgern jeglichen Verkauf von Aluminium im Lizenzgebiet der AIAG untersagte. Trotz eines in Deutschland erstrittenen Urteils erwies es sich in der Praxis jedoch als schwierig, die eindeutige rechtliche Position durchzusetzen10. Erst das 1901 auf Initiative der AIAG zustande gekommene Kartell der Aluminiumproduzenten führte zu einer Stabilisierung des hart umkämpften Marktes. Die in der „Aluminium Association“ zusammengeschlossenen Produzenten teilten den Weltmarkt untereinander auf: Die Märkte der USA und Frankreichs blieben den nationalen Produzenten vorbehalten. Alle anderen Länder (darunter auch Deutschland) bildeten den so genannten „offenen Markt“, an dessen Belieferung jede der fünf beteiligten Firmen mit einer bestimmten Quote partizipierte. Die AIAG sicherte sich eine Quote von 48.4 Prozent und übernahm als alleiniger Verteiler auch für die anderen Produzenten den Verkauf auf dem offenen Markt11. Die Pittsburgh Reduction war durch ihre kanadische Tochtergesellschaft Northern Aluminium Co. (die spätere Alcan) vertreten, die die Verantwortung dafür übernahm, dass die amerikanische Muttergesellschaft die Abmachung strikt beachtete, „gerade so als wenn sie selbst zum Syndikat gehörte“. Der Sicherung des für die AIAG lebensnotwendigen deutschen Marktes diente auch der Bau der Aluminiumhütte in Rheinfelden, zu dem sich die AIAG Mitte der 1890er Jahre entschloss. Nach dem deutschen Patentgesetz konnten Dritte beim Reichspatentamt die Rücknahme eines Patentes verlangen, wenn es der Patentinhaber nach Ablauf von drei Jahren unterließ, „die Erfindung in angemessenem Umfang zur Ausführung zu bringen“. Von dieser Möglichkeit machte die Firma Schuckert (später mit Siemens zu den Siemens-Schuckert-Werken zusammengeschlossen) Gebrauch und beantragte 1895 die Aufhebung des Héroultschen Patentes wegen unterlassener Ausübung. Das Patentamt wies das Verlangen zurück, da die AIAG nachweisen konnte, dass sie sich um eine Ausübung der Erfindung bemüht und bereits entsprechende Maßnahmen eingeleitet hatte12. In der Tat trug sich die AIAG schon seit 1892 mit dem Gedanken, in Rheinfelden auf dem nördlichen Ufer des Rheins eine Aluminiumhütte und ein Karbidwerk zu bauen. Ihren Strom sollten diese Anlagen aus einem Flusskraftwerk beziehen, dessen Bau seit 1889 zwischen dem Kanton Aargau und dem Großherzogtum Baden in der Diskussion war. Nachdem die wasserrechtliche Konzession erteilt worden war, konnte 1895 mit dem Bau des Kraftwerkes begonnen werden, das 1898/99 mit einer Leistung von maximal 24.000 PS den Betrieb aufnahm. Träger des für die damaligen Verhältnisse riesigen Unternehmens waren die Kraftübertragungswerke Rheinfelden, die 1894 unter maßgeblicher Beteiligung der AEG gegründet worden waren. Die Rheinzentrale in Rheinfelden war das erste große Flusskraftwerk in Europa und diente als Vorbild für die vielen in Flüsse eingebauten Laufkraftwerke, die in späteren Jahren errichtet wurden. Ein etwa tausend Meter langer Wehrkanal leitete das Wasser des Rheins auf der deutschen Seite des Stromes dem Turbinenhaus zu, in dem zwanzig von Escher-Wyss gelieferte Turbinen eine gleiche Zahl von Generatoren der Firma Oerlikon betrieben. Die Hälfte dieser Turbinen und Generatoren standen im Besitz der Betreiberin der Anlage. Sechs Einheiten gehörten der AIAG und
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Abb. 6: Schema einer Elektrolyse-Zelle
lieferten den Strom für deren Aluminiumhütte und Karbidwerk 13. Die restlichen vier Gruppen hatte die 1893 von der AEG gegründeten Elektrochemischen Werke Bitterfeld (damaliger Geschäftsführer: Walther Rathenau) übernommen, die in Rheinfelden eine Chlorkali-Elektrolyse errichtete, die später auf die Chemische Fabrik GriesheimElektron überging. Mit dem Bau der Aluminiumhütte und der Karbidfabrik wurde im Herbst 1896 begonnen, sodass die Produktion in den beiden Betrieben schon kurz nach Fertigstellung des Kraftwerkes im Frühjahr 1898 aufgenommen werden konnte. Die Aluminiumhütte in Rheinfelden war für eine Kapazität von etwa 1.000 Tonnen pro Jahr ausgelegt und entsprach damit der damals üblichen Betriebsgröße von Aluminiumelektrolysen. Die volle Kapazitätsleistung wurde erst nach einer mehrjährigen Anlaufsphase erreicht. In den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges schwankte die Produktion der Anlage in Abhängigkeit von der Wasserführung des Rheins zwischen 1.100 und 1.400 Tonnen im Jahr 14. Die in Rheinfelden installierten Rundöfen wurden mit einer Stromstärke von 8.000 Ampere und einer Spannung von sechs bis sieben Volt betrieben. Dieser Ofentyp wurde einige Jahre später auch beim Bau des Hüttenwerks der AIAG in Chippis/Wallis verwendet und war bei der AIAG bis zum Ende des Ersten Weltkrieges ausschließlich im Einsatz. Während in Frankreich schon frühzeitig das Bestreben nach einer Vergrößerung der Badeinheiten zu erkennen war, „trachtete man in der Schweiz danach, durch sorgfältige Abstimmung aller Dimensionen und Konstruktionseinzelheiten die 8.000 A.-Zelle zu optimalem Wirkungsgrad zu entwickeln. Trotz der allgemeinen Regel, dass größere Badeinheiten stets einen besseren Wirkungsgrad besitzen, gelang es auf diese Weise auch bei der 8.000 A.-Zelle auf einen Stromverbrauch von etwa 25 Kilowattstunden je Kilogramm erzeugten Aluminiums ab Maschinenklemme zu kommen“15. Gegenüber den in Neuhausen und Froges verwendeten 4.000 Ampere-Zellen, deren anfänglicher Stromverbrauch bei über 40 kWh/kg gelegen hatte, bedeutete dies einen
30 gewaltigen Fortschritt. Allerdings hatte man auch in Neuhausen und Froges den Stromverbrauch schon zu Beginn der 1890er Jahre deutlich reduzieren können, nachdem der Zusammenhang zwischen Stromdichte und Stromverbrauch erkannt worden war. Die „Urzellen“ hatte man mit einer Stromdichte von über sechs Ampere je Quadratzentimeter Anodenquerschnitt und einer Spannung von 8 bis 10 Volt betrieben. Bei der Einführung eines neuen Anodensystems fand Héroult in Froges heraus, dass die Vergrößerung des Anodenquerschnitts eine beträchtliche Verbesserung des Wirkungsgrades zur Folge hatte. Durch die Verwendung größerer Anoden konnte die Stromdichte auf 1,6 Ampere/qcm und die Betriebsspannung auf 6 bis 7 Volt gesenkt werden. Eine weitere Ursache für den unbefriedigenden Wirkungsgrad der ersten Zellen war das Fehlen jeglicher Wärmeisolation. Die Wärmeverluste konnten erheblich verringert werden, nachdem man zwischen dem eisernen Ofenmantel und der Kohleauskleidung eine isolierende Steinschicht angebracht hatte 16. Die ständige Verbesserung des Elektrolyseverfahrens und der Ofenkonstruktion ist bis heute ein zentrales Anliegen der Aluminiumhüttenindustrie geblieben. Als wichtigster Parameter für die Optimierung des Hall-Heroult-Verfahrens erwies sich dabei die Dimensionierung der Bäder. Schon vor dem Ersten Weltkrieg wurde erkannt, dass man durch die Vergrößerung der Badeinheiten mit entsprechend steigenden Stromstärken einen besseren Wirkungsgrad der Zelle sowie Einsparungen bei Platzbedarf und Bedienungspersonal erreichen konnte. Die Ofenentwicklung in den folgenden Jahrzehnten ist durch den Trend zu immer größeren Badeinheiten mit immer höheren Stromstärken gekennzeichnet. Die Zusammenarbeit zwischen den Schweizer Firmengründern und ihren deutschen Partnern in der AIAG ist ein eindrucksvolles Beispiel einer erfolgreichen industriellen Partnerschaft über die nationalen Grenzen hinweg, von der beide Seiten profitierten. Für die deutsche Industrie war die AIAG bis in die Zeit des ersten Weltkrieges hinein der mit Abstand wichtigste Lieferant von Hüttenaluminium, der eine sichere und kostengünstige Rohstoffversorgung gewährleistete. Für die Schweizer sicherte die enge Zusammenarbeit mit Deutschland den ungehinderten Zugang zum deutschen Markt, dem wichtigsten Absatzgebiet für Aluminium in Europa, ohne den der Aufstieg der AIAG zum führenden Unternehmen der jungen Aluminiumbranche im Vorkriegseuropa nicht denkbar gewesen wäre. Die Beteiligung deutscher Interessen erleichterte auch die Beschaffung des notwendigen Kapitals für den Ausbau der Hüttenkapazitäten der AIAG in der Schweiz und im benachbarten Ausland. Nachteilig für die AIAG sollte sich die enge Verbindung zu Deutschland allerdings im Ersten Weltkrieg auswirken. Die Beteiligung deutschen Kapitals und die Mitwirkung deutscher und österreichischer Staatsangehöriger im Verwaltungsrat der AIAG gaben der französischen Regierung eine Handhabe, die Gesellschaft kurz nach Ausbruch des Krieges als feindliches Unternehmen einzustufen und ihre Vermögenswerte in Frankreich unter Sequester zu stellen. Nach dem Ende des Krieges zogen sich die deutschen und österreichischen Mitglieder des Verwaltungsrates aus dem Gremium zurück, um die Verhandlungen mit der französischen Regierung über eine Rückgabe des beschlagnahm-
31 ten Vermögens nicht zu gefährden17. Mit der Entstehung einer nationalen deutschen Aluminiumindustrie während des Krieges war die wichtigste Voraussetzung für die langjährige Zusammenarbeit ohnehin entfallen.
2.2 Die Hüttenprojekte des Metallbank-GriesheimKonsortiums und der Firma Gebr. Guilini Nach der Inbetriebnahme der Aluminiumhütte in Neuhausen, das man zu Recht als die Wiege der europäischen Aluminiumindustrie bezeichnet hat, dauerte es nicht lange, bevor die Erfindung von Héroult und Hall auch in anderen europäischen Ländern genutzt wurde. Am 21. April 1889, ein knappes Jahr nach dem Produktionsbeginn in Neuhausen, nahm die Société Electro-Métallurgique Française, auf die Héroult seine französischen Rechte übertragen hatte, in ihrer Hütte in Froges (Isère) den Betrieb auf. Früher als in Neuhausen, nämlich schon im September 1889, ging man in Froges unter der technischen Leitung Héroults zur Herstellung von Reinaluminium über. Da in Froges nur geringe Wasserkräfte zur Verfügung standen, entschloss sich die Gesellschaft zum Bau einer größeren Hütte in La Praz (Savoie), nach deren Inbetriebnahme im Jahr 1893 die Hütte in Froges stillgelegt wurde. Froges blieb aber Firmensitz und diente auch weiterhin als Kurzbezeichnung für die Gesellschaft, wie sich ja auch für die AIAG der Name „Neuhausen“ eingebürgert hatte18. In England ging 1896 in Foyers am Loch Ness eine Elektrolyse der British Aluminium Company Ltd. (Baco) in Betrieb, die sich die englischen Rechte für das Héroult-Verfahren gesichert hatte. Eine im Jahr 1890 auf Initiative der Pittsburgh Reduction errichtete Demonstrationsanlage in Manchester, die einer Verwertung der Hall-Patente in England den Weg bahnen sollte, hatte wegen des englischen Patentes von Héroult schon im selben Jahr wieder geschlossen werden müssen19. In Frankreich entstand in den 90er Jahren eine zweite Aluminiumelektrolyse in Calypso in Savoyen, die 1897 von Alfred R. Pechiney übernommen und unter der Firma Compagnie des Produits Chimiques d’Alais et de la Camarque weitergeführt wurde. Pechiney hatte die Aluminiumproduktion in Salindres wenige Jahre zuvor aufgeben müssen, da das von ihm praktizierte Delville-Verfahren nicht mehr wettbewerbsfähig war20. Zu einem regelrechten Hüttenboom kam es, nachdem die Schutzfrist für die Héroult-Patente in den wichtigsten europäischen Ländern, darunter Frankreich, England und Deutschland, abgelaufen war. Die Nachfrage nach dem leichten Metall hatte nach einer kurzen Atempause während der internationalen Wirtschaftskrise von 1900/ 1901 wieder angezogen. Das hatten die Mitglieder der Aluminium Association für kräftige Preiserhöhungen genutzt. Für potentielle Investoren fehlte es daher nicht an Anreizen, sich in der profitablen neuen Branche zu engagieren. Da die Hüttentechnik in den Anfangsjahren der Industrie noch relativ einfach zu beherrschen war und auch
32 die Kosten für den Bau einer Aluminiumhütte bei der damals üblichen Betriebsgröße keine unüberwindliche Zutrittsschranke bildeten, kam es für die „Machbarkeit“ eines Hüttenprojektes vor allem darauf an, dass der potentielle Betreiber Zugang zu einer ausreichenden Wasserkraft hatte. Die Erschließung der Hydroenergie stand zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch am Anfang. Daher war es für Interessenten in Frankreich, Italien, England und Norwegen nicht allzu schwierig, sich die erforderlichen Konzessionen zu beschaffen und mit deren Hilfe ihre Hüttenpläne zu verwirklichen. In den Jahren zwischen 1905 und 1908 entstanden in den genannten Ländern mehrere neue Hütten, die die Produktionskapazitäten der Aluminiumindustrie in Europa sprunghaft ansteigen ließ. Tabelle 1: Weltproduktion von Hüttenaluminium 1900–1913 21 Tonnen Alcoa (USA) AIAG (Schweiz) Baco (Großbritannien) Froges (Frankreich) Pechiney (Frankreich) Andere Gesamt
1900
1909
1913
2.500 1.900 400 800 100
13.200 5.400 2.800 3.100 2.200 4.500
28.400 11.200 7.500 7.700 4.500 6.700
5.700
31.200
66.000
Träger der neuen Hüttenprojekte waren überwiegend kleinere Unternehmen, die nicht bereit waren, sich dem Kartell der etablierten Aluminiumproduzenten anzuschließen oder auch nur sich deren Preisdiktat zu unterwerfen. Die unkontrollierte Ausweitung der Hüttenkapazitäten stürzte die junge Industrie in den Jahren 1908 bis 1911 in ihre erste schwere Absatzkrise, zu deren Opfern auch die 1901 gegründete Aluminium Association zählte. Da sich die Mitgliedsfirmen auf keine gemeinsame Preispolitik gegenüber den Außenseitern einigen konnten, wurde das Syndikat durch Urteil des von Pechiney angerufenen Schiedsgerichts zum 1. Oktober 1908 aufgelöst. Es hatte bis zum Ausbruch der Krise zur Zufriedenheit aller Beteiligten funktioniert und war noch 1906 bis zum 31. Dezember 1911 verlängert worden. Zu einer Neuauflage der Abmachung unter den Aluminiumproduzenten kam es im Jahr 1912, nachdem die Krise auf dem Aluminiummarkt überwunden war. Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin von 1901 war die so genannte Zweite Aluminium Association ein reines Preis- und Quotenkartell ohne zentrale Verkaufsorganisation22. Die Alcoa war an dem Kartell wieder indirekt über ihre kanadische Tochtergesellschaft Northern Aluminum Company beteiligt. In Deutschland war es vor allem die Metallgesellschaft, die sich mit Plänen für die Errichtung einer Aluminiumelektrolyse beschäftigte. Als das führende Unternehmen auf dem Gebiet der Nichteisenmetalle hatte die Metallgesellschaft schon in den 1890er Jahren Kontakte mit der AIAG geknüpft und Aluminium in ihr Handelsprogramm
33 aufgenommen. Unter der Leitung des weitsichtigen Firmengründers Dr. Wilhelm Merton (1848–1916) hatte sich das ursprünglich als reines Handelsunternehmen gegründete Unternehmen auch industriellen Aktivitäten zugewandt und schon vor der Jahrhundertwende durch ihre Tochtergesellschaft „Metallurgische Gesellschaft“ Produktionsbetriebe für die Verhüttung und Verarbeitung von Kupfer, Zink und Blei errichtet oder erworben23. Nach dem Wegfall der patentrechtlichen Hindernisse lag es nahe, dass sich die Metallgesellschaft auch auf dem neuen Gebiet der Aluminiumerzeugung engagierte. Zur Verwirklichung ihrer Pläne schloss sich die Gesellschaft mit der Chemischen Fabrik Griesheim-Elektron (kurz „Griesheim-Elektron“) zusammen, die zu den führenden Unternehmen der Elektrochemie gehörte und 1894 in Bitterfeld die erste großtechnische Anlage für die Chloralkali-Elektrolyse in Betrieb genommen hatte 24. Griesheim-Elektron hatte sich in den 1890er Jahren auch dem neuen Arbeitsgebiet der Elektrometallurgie zugewandt und in Bitterfeld eine Fabrik für die Herstellung von Magnesium errichtet, in der das „leichteste aller Metalle“ auf elektrolytischem Wege aus geschmolzenem Karnalit gewonnen wurde 25. Die Metallgesellschaft durfte daher davon ausgehen, dass man bei Griesheim-Elektron auf Interesse stoßen würde, wenn man der Firma eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Aluminiumerzeugung anbot. Auf Anregung der Metallgesellschaft nahm Griesheim-Elektron im Sommer 1905 die Arbeiten zur Entwicklung der erforderlichen Verfahren auf, deren Ergebnisse in dem so genannten „Aluminium-Buch“ niedergelegt wurden26. Geplant war der Bau einer Elektrolyse mit einer Anfangskapazität von 1.250 Tonnen im Kölner Braunkohlerevier, die später durch eine eigene Tonerdefabrik mit Oxid versorgt werden sollte. Zur Durchführung des Vorhabens wurde ein Konsortium gegründet, an dem GriesheimElektron und die kurz zuvor von der Metallgesellschaft gegründete Berg- und Metallbank AG zu gleichen Teilen beteiligt waren. Das Projekt des „Metallbank-GriesheimKonsortiums“ blieb jedoch im Planungsstadium stecken. Der Ausbruch der Aluminiumkrise von 1908 ließ es den beiden Partnerunternehmen geraten erscheinen, den Bau der geplanten Hütte zurückzustellen. Zu einer Wiederbelebung des Projekts kam es während des Ersten Weltkrieges, als das Metallbank-Griesheim-Konsortium der wichtigste Partner des Reiches beim Aufbau einer nationalen deutschen Aluminiumhüttenindustrie wurde. Das Interesse der Metallgesellschaft am Aluminium blieb auch nach dem Scheitern des Hüttenprojektes unvermindert bestehen. Dafür gab schon das umfangreiche Handelsgeschäft mit Aluminium Anlass, das die Metallgesellschaft seit dem Ende der 1890er Jahre in Deutschland aufgebaut hatte. Als Agent des französischen Produzenten Froges verkaufte die Gesellschaft zu Beginn des Jahrhunderts jährlich etwa 300 bis 400 Tonnen Aluminium auf dem deutschen Markt. Auch nach der Gründung der Aluminium Association im Jahr 1901 wollte die Metallgesellschaft auf dieses Geschäft nicht verzichten. Nach schwierigen Verhandlungen gestand ihr die AIAG (die als Konsortialführerin alle Verkäufe des Kartells in Deutschland abwickelte) eine Kommission
34 für den Verkauf von 450 Tonnen pro Jahr zu und garantierte diese Kommission auch für den Fall, dass in einem Jahr weniger als die genannte Menge verkauft würde. Offenbar hatte es die Metallgesellschaft verstanden, ihrer Forderung mit der Drohung Nachdruck zu verschaffen, dass sie notfalls selbst die Produktion von Aluminium aufnehme werde. Nach der Gründung der Aluminium Français, einem Syndikat der französischen Aluminiumhütten, das im Jahr 1910 zur Bewältigung der Aluminiumkrise geschaffen worden war, wurde der Metallgesellschaft der Alleinverkauf der französischen Aluminiumproduktion für Deutschland und eine Reihe anderer Länder übertragen27. Die enge Zusammenarbeit mit der französischen Aluminiumindustrie führte 1912 zu einer Beteiligung der Metallgesellschaft an der Southern Aluminium Co, einer Tochtergesellschaft der Aluminium Français, die im amerikanischen Bundesstaat North Carolina eine große Aluminiumhütte auf Wasserkraftbasis errichten wollte. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhinderte die Realisierung des kühnen Projektes, dessen Nutznießer letztendlich die Alcoa war, die im August 1915 die unfertigen Bauten und Wasserkraftanlagen zu einem günstigen Preis erwarb und im Jahr 1917 die Hütte unter dem Namen Badin Reduction Works in Betrieb nahm28. Pläne für den Bau einer Aluminiumelektrolyse verfolgte auch die Gebr. Guilini GmbH in Ludwigshafen. Das 1823 gegründete Familienunternehmen hatte schon in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts die Produktion von Tonerde aufgenommen, lange bevor die ersten Aluminiumelektrolysen errichtet wurden29. Die Tonerde diente damals wie heute als Vormaterial für die Herstellung der verschiedensten Industriechemikalien. Die Firma Guilini spezialisierte sich auf die Produktion schwefelsaurer Tonerde (Aluminiumsulfat), die in Färbereien und in der Papierindustrie eingesetzt wurde. Es wurde französischer Bauxit verarbeitet, den man aus den Abbaugebieten in der Provence bezog. Einer Statistik des Jahres 1887 ist zu entnehmen, dass Guilini zu diesem Zeitpunkt – ein Jahr vor Inbetriebnahme der ersten Aluminiumelektrolysen – der bedeutendste Abnehmer von französischem Bauxit war. Die damals gelieferten Mengen waren freilich verschwindend gering, wenn man sie mit den heutigen Abbauzahlen vergleicht. 1890 erreichte die weltweite Förderung von Bauxit gerade erst 21.000 Tonnen, wovon fast neunzig Prozent auf Frankreich entfielen. Zur Sicherung des rasch wachsenden Bauxitbedarfs erwarb Guilini eigene Schürfrechte in den Abbaugebieten der Provence. Langfristig war auch der Bau einer Tonerdefabrik in Frankreich geplant. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhinderte jedoch die Verwirklichung dieser Pläne. Der Besitz der Guilinis wurde 1914 als feindliches Eigentum unter Sequester gestellt und später enteignet. Treibende Kraft des Unternehmens war zu diesem Zeitpunkt Dr. Georg Guilini (1858–1954), der 1894 nach dem frühen Tod seiner beiden Brüder die alleinige Firmenleitung übernommen hatte und das Unternehmen bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts mit starker Hand durch die Höhen und Tiefen einer an Krisen reichen Zeit führte30. Seine Geschäftspolitik war vor allem von dem Wunsch bestimmt, seinem Unternehmen eine führende Position in der jungen Aluminiumindustrie zu sichern,
35
Abb. 7: Dr. Georg Guilini (1858–1954)
Abb. 8: Dr. Wilhelm Merton (1848–1919)
deren Chancen er frühzeitig erkannt hatte. Um sich auf seine späteren Aufgaben in der Geschäftsleitung des Familienunternehmens vorzubereiten, hatte Georg Guilini in den 1870er Jahren ein Chemiestudium absolviert. An der Universität Heidelberg war er Schüler des berühmten Chemikers Robert Bunsen, den wir in einem früheren Kapitel als einen der Väter der Aluminiumelektrolyse kennen gelernt haben. Es ist nicht überliefert, ob die Begeisterung Georg Guilinis für das Aluminium, die ihn ein langes Leben lang nicht verlassen hat, im Kontakt mit seinem Lehrer Bunsen entstanden ist. Der Optimismus des jungen Guilini wurde durch die günstige geschäftliche Entwicklung seiner Firma in den Jahren um die Jahrhundertwende bestätigt. Die Betreiber der ersten Aluminiumelektrolysen waren auf die Belieferung durch die wenigen unabhängigen Tonerdewerke angewiesen, da sie selbst damals noch nicht über das zum Bau und Betrieb eigener Tonerdewerke notwendige Kapital und Know-how verfügten. In den 1890er Jahre gehörte die gesamte damalige Aluminiumindustrie zu den Kunden der Firma Gebr. Guilini, die dank der vorzüglichen Qualität ihrer Tonerde ihre Stellung als führendes Tonerdewerk weiter ausbauen konnte. Selbst die amerikanische Pittsburgh Reduction sah sich aus Qualitätsgründen gezwungen, einen Teil ihres Tonerdebedarfs bei Guilini zu decken. Doch schon bald gingen die Aluminiumproduzenten dazu über, eigene Tonerdewerke zu errichten oder bestehende Fabriken zu erwerben, um bei der Versorgung mit
36 Tonerde ganz oder doch zum Teil von fremden Lieferungen unabhängig zu sein. Die AIAG erwarb 1893 die Chemische Fabrik Bergius in Goldschmieden bei Breslau, den einzigen ernsthaften Konkurrenten der Firma Guilini in Deutschland, nachdem Guilini selbst eine Übernahmeofferte der Schweizer zurückgewiesen hatte. In Frankreich errichtete Froges im Jahr 1894 eine Tonerdefabrik in Gardannes, während Pechiney, der seit 1897 als zweiter französischer Produzent die Aluminiumelektrolyse in Calypso betrieb, die Werksanlagen in Salindres reaktivierte, wo schon in den 1850er Jahren Tonerde produziert worden war. Auch British Aluminium und Pittsburgh Reduction entschlossen sich zum Bau eigener Tonerdewerke und fielen damit langfristig als Kunden für Guilini aus31. Es war somit nur eine Frage der Zeit, wann die Firma Guilini völlig aus dem Markt für kalzinierte Tonerde verdrängt werden würde. Georg Guilini entschloss sich in dieser Situation zu einem ungewöhnlichen Schritt: Im Herbst 1904 trat er an die Aluminium Association heran, in der seit 1901 alle damaligen Produzenten von Aluminium mit Ausnahme der Pittsburgh Reduction zusammengeschlossen waren. Sein Vorschlag lautete: Die Mitglieder des Kartells sollten für mindestens fünf Jahre einen bedeutenden Teil ihres Tonerdebedarfs bei Guilini decken, wofür er sich im Gegenzug verpflichten wollte, sich weder direkt noch indirekt an Aluminiumhütten zu beteiligen. Die Aluminium Association willigte in den Vorschlag Guilinis ein, machte aber schon bald von ihrem Recht Gebrauch, den Vertrag vorzeitig zum Ende des Jahres 1906 zu beenden32. Durch die Kündigung entstand für Guilini eine äußerst prekäre Situation. Im Vertrauen auf den Aufschwung der Aluminiumindustrie seit Anfang des Jahrhunderts hatte die Firma 1902 ihre Werksanlagen vom Stadtzentrum Ludwigshafen in den Vorort Mundenheim verlegt und dabei die Kapazitäten kräftig erweitert. Nicht genug damit, hatte man 1906 ein zweites Tonerdewerk in Laibach in dem damals zu Österreich gehörenden Slowenien errichtet, das Elektrolysen in Österreich und in der Schweiz beliefern sollte. Durch den Bau dieses Werkes hatte sich die Kapazität der Gesellschaft auf insgesamt 12.000 Tonnen Tonerde pro Jahr erhöht 33. Die Beendigung des Vertrages mit der Aluminium Association stellte den Absatz eines beträchtlichen Teiles der Tonerdeproduktion in Frage. Als einzigen Ausweg sah Guilini die Flucht nach vorn. Ein Engagement in der damals noch lukrativen Aluminiumerzeugung erschien ihm die beste Strategie, um die Zukunft des Unternehmens zu sichern 34. Bei der Verwirklichung seiner neuen Strategie arbeitete Guilini mit zwei französischen Außenseitern zusammen, die sich nach dem Auslaufen der Héroult-Patente zur Errichtung von Aluminiumelektrolysen entschlossen hatten. Im Herbst 1906 schloss Guilini einen A Meta Vertrag mit der Société des Forces Motrices et Usines de l’Arve, die in Chedde im Département Haute Savoie eine Chemiefabrik betrieb und im Begriffe stand, am selben Standort eine Aluminiumelektrolyse mit angeschlossenem Tonerdewerk zu errichten. Guilini sollte die benötigte Tonerde liefern – auf den Bau einer eigenen Tonerdefabrik konnte deswegen verzichtet werden – und die Produktion des Werkes auf Kommissionsbasis verkaufen. Der Gewinn sollte geteilt werden. Nur wenig später kam
37 ein zweites Abkommen mit der Société d’Electrochimie zustande, diesmal in der Form einer Association en Participation. Guilini beteiligte sich mit einer Kapitaleinlage am Bau einer Elektrolyse in Prémont (Savoie) und übernahm den Verkauf der Hüttenproduktion. Anders als im Falle von Chedde, das in einem Zollfreigebiet lag, war eine Belieferung der Hütte in Prémont mit Tonerde aus Ludwigshafen wegen des hohen französischen Einfuhrzolles nicht vorgesehen. Für Guilini war die Beteiligung an den beiden französischen Unternehmen ein erster Schritt auf dem Weg zur eigenen Hütte, dem weitere Schritte bald folgen sollten. Dazu ist es freilich nicht mehr gekommen. Noch bevor die neuen Hütten ihren Betrieb aufnehmen konnten, hatte sich der Aluminiummarkt schon merklich abgekühlt. Die im Herbst 1908 mit voller Wucht einsetzende Aluminiumkrise brachte vor allem die Neuankömmlinge auf dem Hüttenmarkt in Bedrängnis. Die beiden französischen Partnerfirmen beendeten die Zusammenarbeit mit Guilini und suchten Schutz unter dem Dach der Aluminium Français, einem Zusammenschluss der französischen Produzenten, der von Froges und Pechiney kontrolliert wurde. Dauerhaft geblieben ist Guilini aus seinem Engagement in Frankreich nur eine kleine Aluminiumelektrolyse in Martigny in der benachbarten Schweiz, die er ursprünglich gemeinsam mit der Société d’Electrochimie bauen wollte. Wegen der sich verschlechternden Marktsituation war die französische Gesellschaft von diesem Teil des Abkommens zurückgetreten, hatte sich aber bereit erklärt, eine von Guilini errichtete Elektrolyse mit der notwendigen Wasserkraft zu versorgen. Guilini betrachtete die Hütte in Martigny, die 1909 den Betrieb aufnahm und bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts Aluminium produzierte, als eine Art „Versuchsanlage“, in der man die in Ludwigshafen produzierte Tonerde erproben und Erfahrungen beim Bau und Betrieb einer Aluminiumelektrolyse sammeln konnte, die dem Unternehmen bei der späteren Errichtung einer Großelektrolyse zu Gute kommen sollte 35. Nachdem der Versuch, durch Kooperation mit französischen Partnern in der Aluminiumerzeugung Fuß zu fassen, gescheitert war, konzentrierte Guilini seine weiteren Bemühungen auf Deutschland. Dort war seit Anfang des Jahrhunderts eine leistungsfähige Aluminium verarbeitende Industrie entstanden, die zum wichtigsten Abnehmer der Aluminiumproduzenten in Europa geworden war. Auch Guilini beteiligte sich an dieser Entwicklung und errichtete in Wutöschingen in Baden ein Aluminiumwalzwerk, das später eines der bedeutendsten Unternehmen der Branche werden sollte. Es fehlte also nicht an einem aufnahmefähigen Markt für eine deutsche Aluminiumhütte. Nachdem sich die Aluminiumkrise 1911 ihrem Ende näherte, machte sich Guilini erneut mit großer Energie an die Verwirklichung seiner Hüttenpläne. Seit 1912 verhandelte er mit der bayrischen Landesregierung über den Erwerb einer Konzession für den Bau und Betrieb eines Wasserkraftwerkes in Töging am Inn, das die elektrische Energie für eine am selben Standort geplante Aluminiumhütte liefern sollte. Gleichzeitig führte er Gespräche mit der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk AG in Essen (RWE) über die Errichtung einer Aluminiumelektrolyse in Grevenbroich bei Köln, die von
38 den Braunkohlekraftwerken des RWE im Kölner Becken mit thermischer Energie versorgt werden sollte. Guilini war sich darüber im Klaren, dass die Realisierung dieser Vorhaben die finanziellen Kräfte seines Unternehmens übersteigen würde. Er wurde daher bei den Regierungsstellen in Berlin vorstellig und suchte diese für seine Pläne zu gewinnen, deren strategische Bedeutung er besonders herausstrich. Die Reichsregierung zeigte sich jedoch uninteressiert und lehnte jegliche Förderung ab. In seiner Stellungsnahme zu den Plänen Guilinis erklärte das preußische Kriegsministerium, auch unter kriegswirtschaftlichen Gesichtspunkten sei eine deutsche Aluminiumerzeugung nicht erforderlich, da der Bedarf im Kriegsfall durch die Produktion der AIAG-Hütte in Rheinfelden und durch Lieferungen aus der Schweiz ausreichend gedeckt werden könne 36. Diese Auffassung erwies sich freilich nach Ausbruch des ersten Weltkrieges als eine arge Fehleinschätzung. Wie sich schon bald herausstellte, stand das Reich bei Aluminium und anderen Nichteisenmetallen vor kaum lösbaren Versorgungsproblemen. Um die Versorgung der deutschen Kriegswirtschaft mit dem immer wichtiger werdenden Rohstoff Aluminium sicherzustellen, beschloss die Reichsregierung im Jahr 1916 den Aufbau einer nationalen deutschen Aluminiumindustrie. In diesem Zusammenhang erinnerte man sich auch an die Hüttenprojekte der Firma Guilini, die so zu späten Ehren kamen. Wie schon zuvor die Metallgesellschaft und die Chemische Fabrik Griesheim, beteiligte sich nun auch Guilini als privatwirtschaftlicher Partner des Reiches an der Errichtung mehrerer Aluminiumhütten.
2.3 Schwierige Markteinführung 37 Die Vermarktung des Aluminiums stellte die Aluminiumproduzenten in der Anfangszeit der Industrie vor erhebliche Probleme. Trotz des großen Interesses, das das Publikum dem neuen Metall entgegenbrachte, musste dem Aluminium Schritt für Schritt der Markt erkämpft werden. Als großes Hindernis für eine rasche Ausbreitung des neuen Werkstoffes erwies sich der noch immer hohe Aluminiumpreis, der den Anwendern geringe Anreize bot, herkömmliche Werkstoffe wie Stahl, Kupfer, Messing, Eisenguss, Holz und Glas, durch Aluminium zu ersetzen. Obwohl die Herstellkosten durch das Héroult-Hallsche Verfahren drastisch gesenkt worden waren, war der Preis für Hüttenaluminium Anfang der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts noch immer so hoch, dass „erhebliche Verkaufsanstrengungen erforderlich waren, um überhaupt einen Abnehmer zu bewegen, das neue Metall für irgendeinen Zweck zu verwenden“, wie Arthur V. Davis, der langjährige Präsident der Alcoa, im Rückblick die damalige Situation beschrieb 38. Die Reduzierung der Produktionskosten durch ständige Verbesserungen des Herstellungsverfahrens sowie kräftig steigende Produktionsmengen ermöglichten es der Industrie, den Aluminiumpreis im Laufe der 90er Jahre stufenweise
39 von fünf Mark je Kilogramm im Jahr 1892 auf etwa zwei Mark am Ende des Jahrhunderts zu senken. Die deutlich verbesserte Wettbewerbsfähigkeit des Aluminiums gegenüber anderen Werkstoffen führte zu einer raschen Ausweitung des Aluminiumverbrauchs, der von einigen Hundert Tonnen zu Beginn der 1890er Jahre auf weltweit fast 6.000 Tonnen im Jahr 1900 anstieg. Der weiteren Ausbreitung des neuen Metalls war es gewiss nicht förderlich, dass sich die Aluminiumproduzenten 1901 zu einem internationalen Kartell zusammenschlossen, das sich die Aufteilung der Märkte und die Festlegung „auskömmlicher“ Preise zum Ziel setzte. Die Kartellabsprachen führten zu einem starken Anstieg des Aluminiumpreises, der bis zum Jahr 1904 auf über drei Mark pro Kilogramm kletterte und im folgenden Jahr, als der russisch-japanische Krieg die Nachfrage weiter anheizte, sich sogar der Marke von vier Mark näherte 39. Wie wir gesehen haben, führte das künstlich hochgehaltene Preisniveau nach dem Auslaufen der Héroult-Hallschen Patente zu einem regelrechten „run“ in die Aluminiumerzeugung, der die junge Industrie in eine schwere Absatzkrise stürzte und mit dem Zusammenbruch des überhöhten Preisniveaus endete. Der drastische Rückgang der Preise führte dann ab 1909 wieder zu einer deutlichen Belebung der Nachfrage. Die Aluminiumindustrie hat damals die schmerzliche Erfahrung gemacht, dass die Kunden die Vorzüge des Aluminiums nur dann honorieren, wenn ihnen auch preislich ein attraktives Angebot gemacht wird, eine Erfahrung, die die Industrie auch später immer wieder machen musste. Die Industrie tat sich freilich in den Anfangsjahren schwer damit, ihre potentiellen Kunden von den Vorzügen des Aluminiums zu überzeugen. Über die Eigenschaften des neuen Metalls lagen weder ausreichende theoretische Kenntnisse vor noch hatte man praktische Erfahrungen, die es den Verarbeitern ermöglicht hätten, sich auf gesicherter Basis für die Verwendung von Aluminium zu entscheiden. Im Zweifel blieben die Verbraucher daher lieber bei den bewährten herkömmlichen Werkstoffen. Unvermeidliche Pannen trugen dazu bei, die Vorbehalte der Abnehmer gegenüber dem neuen Metall zu verstärken. Als ein besonders spektakulärer Fehlschlag erwies sich die Verwendung von Aluminium für den Bau von Torpedobooten und Segelyachten, zu der man sich in den 90er Jahren des 19.Jahrhunderts in mehreren Ländern entschloss. Die Schiffe mussten nach wenigen Jahren außer Dienst gestellt werden, nachdem sich herausgestellt hatte, dass die für den Schiffskörper verwendeten Legierungen gegen Seewasser nicht beständig waren 40. Erst nach dem Krieg fand das Aluminium im Schiffsbau in größerem Umfang Verwendung, nachdem inzwischen Legierungen entwickelt worden waren, die vom Meereswasser nicht angegriffen werden. Die Industrie lernte aus solchen Fehlern und Rückschlägen. Häufig gaben sie den Anstoß zu Untersuchungen über die Fehlerursachen und eröffneten dadurch den Weg für die Entwicklung neuer Legierungen oder verbesserter Verfahren 41. Zu einer systematischen Erforschung der physikalischen und chemischen Eigenschaften des Aluminiums kam es freilich erst später. In den Anfangszeiten der Industrie
40 (und zum Teil noch lange danach) verfuhr man vor allem nach der „trial and error“ Methode. Neuland musste die Industrie auch bei der Verarbeitung des neuen Metalls zu Blechen, Bändern, Stangen, Rohren, Profilen und Gussstücken betreten. An unverarbeitetem Aluminium war damals nur die Stahlindustrie interessiert, die sich die Affinität des Aluminiums zum Sauerstoff zunutze machte und bei der Stahlerzeugung Aluminiumsplitter als Desoxidationsmaterial einsetzte 42. Für alle anderen Verwendungszwecke musste das Hüttenaluminium zu Halbzeugen oder Gussstücken verarbeitet werden, aus denen man dann die verschiedensten Endprodukte herstellen konnte. Während die Verarbeiter von Eisen, Kupfer und anderen Nichteisenmetallen auf eine Jahrhunderte lange industrielle Tradition zurückblicken konnten, musste man für das Aluminium erst geeignete Methoden entwickeln, die das Giessen, Walzen, Pressen, Schmieden, Ziehen, Treiben und Drücken des neuen Werkstoffes im großtechnischen Maßstab ermöglichten. Dabei machte man sich die Erfahrungen der Stahlindustrie und der Verarbeiter anderer Nichteisenmetalle zunutze und verwendete zum Teil deren Walzwerke und sonstigen Anlagen zur Herstellung von Aluminiumhalbzeug. Die allzu kritiklose Übernahme der Erfahrungen anderer Industrien führte freilich gelegentlich zu Rückschlägen, die dem Ansehen des Aluminiums nicht förderlich waren. Die Markteinführung des neuen Metalls erforderte ein aktives Engagement der Aluminiumproduzenten. Die AIAG errichtete schon 1892 in Neuhausen ein kleines Walzwerk für Demonstrationszwecke, in dem den Kunden gezeigt werden sollte, dass sich das Aluminium und seine Legierungen auch gut zu Blechen verarbeiten ließen. Bald wurden dem Walzwerk Anlagen für die Herstellung von Rohren und das Ziehen von Drähten angegliedert. Außerdem richtete man in Neuhausen eine Lehranstalt ein, in der Fachleute ausgebildet wurden, die man den Abnehmern zur Verfügung stellte oder die als reisende Experten die Kunden über die Eigenschaften des Aluminiums und seine Verarbeitung berieten. Einen anderen Weg schlug die amerikanischen Pittburgh Reduction (die spätere Alcoa) ein, indem sie sich schon frühzeitig entschloss, eigene Verarbeitungswerke zu errichten, in denen sie den größten Teil ihrer Aluminiumproduktion zu Halbzeug, Gussstücken oder Fertigprodukten verarbeitete. In diesen Werken wurde auch Produktentwicklung betrieben und die Entwicklung und praktische Erprobung neuer Verarbeitungsverfahren vorangetrieben. Carr zitiert in seiner Firmengeschichte den ehemaligen Verkaufsleiter der Gesellschaft mit den Worten: “Alcoa had to integrate in the early days because there were no markets unless the company developped them” 43. Die europäischen Produzenten haben das Konzept des „integrierten Aluminiumkonzerns“ erst nach dem Zweiten Weltkrieg übernommen. Sie verstanden sich als reine Rohstofffabrikanten und überließen es den in großer Zahl vorhandenen Metallverarbeitern, aus dem von ihnen gelieferten Hüttenaluminium Halbzeuge und Fertigprodukte herzustellen. Eine Ausnahme bildete in Europa nur die British Aluminium Company (Baco), die wie die Pittsburg Reduction von
41 Anfang an eigene Verarbeitungswerke betrieb und über eine eigene Rohstoffbasis verfügte. Im Laufe der 1890er Jahre wurde die Verarbeitungstechnik so weit entwickelt, dass man Reinaluminium und die wenigen damals verwendeten Aluminiumlegierungen im industriellen Maßstab zu Blechen, Drähten und Rohren, sowie zu Schmiedestücken verarbeiten konnte. Gemessen an heutigen Maßstäben war die Leistungsfähigkeit der damaligen Produktionsanlagen äußerst gering. Die zur Jahrhundertwende üblichen Duo-Walzwerke wurden noch von Dampfmaschinen angetrieben. Erst in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg setzte sich der elektrische Einzelantrieb für die Walzgerüste durch (wobei nur die untere Walze angetrieben und die Oberwalze zum Schleppen gebracht wurde). Bleche stellte man ausschließlich im Stückwalzbetrieb her. Auf den bis zu drei Meter breiten Walzanlagen konnten auch großformatige Bleche für den Apparatebau gewalzt werden. Für die Herstellung von Bändern mussten die Bleche zu langen Streifen ausgewalzt werden, die man nach dem Walzen auf separaten Wickelmaschinen aufwickelte 44. Ein Verfahren zur Herstellung von Aluminiumfolien wurde 1905 für den Schweizer Alfred Gautschi patentiert. Das von ihm erfundene Paket- oder Buchwalzverfahren bestand darin, dass man ein dünnes Aluminiumblech walzte, dann in zwei Hälften teilte, aufeinander legte und erneut walzte und diesen Vorgang solange wiederholte, bis man ein Paket von 64 Folienblättern erreicht hatte. Einem anderen Schweizer, Robert Victor Neher (1885–1918), gelang es wenige Jahre später, so genannte „endlose Bänder“ aus Aluminium herzustellen, wie dies bereits bei Zinn praktiziert wurde. Sein Herstellverfahren wurde 1910 patentiert und setzte sich in den 20er Jahren in der Folienherstellung gegen das Gautschi-Verfahren durch 45. Der Formguss aus Reinaluminium und Aluminiumlegierungen spielte seit Anfang der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts eine rasch wachsende Rolle. Zu den besonderen Eigenschaften des Aluminiums gehört ja auch seine leichte Gießbarkeit. Zu den frühesten Aluminiumgussstücken gehört die 1893 aufgestellte Eros-Figur auf dem Picadilly Circus in London. Gusstücke aus Aluminium wurden anfänglich im Sandgießverfahren hergestellt, wobei die Erfahrungen der Gießereien mit der Verarbeitung von Messing und anderen Buntmetallen den Einstieg in den Aluminiumguss erleichterten. Nach der Jahrhundertwende gewann das Kokillengießverfahren immer mehr an Bedeutung 46. Vorrichtungen zum Ziehen von Drähten und Rohren aus Aluminium waren ebenfalls seit den 90er Jahren im Einsatz. Auch das Schmieden von Aluminiumwerkstücken wurde schon vor der Jahrhundertwende beherrscht. Aluminiumprofile wurden anfänglich durch die Umformung von gewalzten Blechen hergestellt. Das heute übliche Strangpressverfahren wurde von dem Deutsch-Engländer Alexander Dick erfunden, der anfangs der 1890er Jahre eine Presse konstruierte, auf der Stangen aus Messing und Deltametall im Warmumformverfahren hergestellt werden konnten. Dick ließ die Konstruktion einer Strangpresse 1894 in Deutschland und England patentieren. Nach der Jahrhundertwende wurde auf derartigen Pressen auch Aluminium verar-
42 beitet. Die Pittsburgh Reduction führte 1905 erste Versuche mit der neuen Produktionstechnik durch, wobei man zunächst mit vertikalen Pressen experimentierte 47. In Deutschland setzten sich die heute gebräuchlichen horizontalen Pressen schon vor dem Ersten Weltkrieg durch. Der weltweit bedeutendste Hersteller von Strangpressen war damals die Krupp-Tochter Krupp-Gruson in Magdeburg. Bedeutende Fortschritte wurden auf dem Gebiet der Legierungstechnik erzielt. Wie schon erwähnt, spielte in den Anfangsjahren der Aluminiumindustrie die AluminiumBronze eine wichtige Rolle, eine Kupferlegierung mit einem Aluminiumanteil von zehn bis zwanzig Prozent. Seit den 1890er Jahren wurden zahlreiche Aluminiumlegierungen entwickelt, indem man dem Reinaluminium kleine Mengen von Kupfer, Magnesium, Mangan, Zink und anderen Metallen beigab und so die mechanischen oder chemischen Eigenschaften des Reinaluminiums veränderte. Je nach ihrer Zusammensetzung unterscheiden sich diese Legierungen vom Reinaluminium durch größere Härte und Festigkeit, durch eine erhöhte Dehnbarkeit und Elastizität oder durch verbesserte Bearbeitungsfähigkeit. Die meisten der neuen Legierungen waren für den Gusssektor bestimmt, auf dem von Anfang an fast nur legiertes Material verwendet wurde. Bei der Herstellung von Halbzeug überwog dagegen noch bis in die 30er Jahre die Verarbeitung von Reinaluminium.48 Einen Durchbruch auf dem Gebiet der Legierungsforschung verdankte die Industrie dem Leiter der metallurgischen Abteilung an der „Centralstelle für wissenschaftlich-technische Untersuchungen“ in Neubabelsberg bei Berlin, Alfred Wilm (1869–1937), der bei seinen Versuchen im Jahr 1905 eher zufällig die Entdeckung machte, dass die Festigkeit einer Aluminium-Magnesium-Legierung erheblich gesteigert werden kann, wenn man das auf 450 bis 500 Grad erwärmte Metall nach dem Abschrecken einige Zeit bei Raumtemperaturen „altern“ lässt 49. Die unter dem Namen „Duralumin“ auf den Markt gebrachte Legierung eröffnete dem Werkstoff Aluminium viele neue Anwendungsmöglichkeiten, vor allem im konstruktiven Bereich, der bis dahin die Domäne des Stahls gewesen war. Es verging allerdings noch einige Zeit, bevor die Bedeutung der Entdeckung Wilms allgemein erkannt wurde und aushärtbare Legierungen vom Typ des Duralumin in der industriellen Praxis eine größere Rolle spielten. Mit dem Aufkommen der Luftfahrt boten sich diese neuen Legierungen als idealer Werkstoff für den Bau von Luftschiffen und Flugzeugen an. Eine von der amerikanische Fachzeitschrift “The Aluminum World” im Jahr 1900 veröffentlichte Übersicht über die wichtigsten Anwendungsgebiete des neuen Metalls nannte an erster Stelle Küchengeschirr und andere Haushaltswaren50. Um die Jahrhundertwende dürfte mehr als ein Drittel der damaligen Aluminiumproduktion in diesen Anwendungsbereich geflossen sein, was zur Folge hatte, dass Aluminium in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit vor allem mit Kochtöpfen, Teekesseln und anderen Haushaltsgegenständen in Verbindung gebracht wurde. Bei der Markteinführung von Küchengeschirr aus Aluminium spielte die in Westfalen ansässige deutsche Eisenwarenindustrie eine wichtige Rolle. Der Export ihrer Produkte in die USA, einem
43 wichtigen Absatzgebiet für Küchengeschirr und andere Eisenwaren, drohte zum Erliegen zu kommen, nachdem der amerikanische Kongress 1890 hohe Schutzzölle eingeführt hatte. Auf Anregung der AIAG entschloss sich einer der betroffenen Unternehmer, der Lüdenscheider Fabrikant Wilhelm Berg, Küchengeschirr aus Aluminium herzustellen und in die USA zu exportieren. Die Einfuhr von Leichtmetallgeschirr in die USA war zollfrei geblieben, vermutlich weil niemand an die Möglichkeit einer Substitution von Eisen durch Aluminium gedacht hatte 51. Beim amerikanischen Publikum stieß das aus Deutschland importierte Aluminiumgeschirr auf eine so große Nachfrage, dass sich auch die Pittsburgh Reduction, die zuvor schon Teekessel aus gegossenem Aluminium vertrieben hatte, für das neue Produkt interessierte und aus Aluminiumblechen angefertigte Kochtöpfe auf den Markt brachte 52. Für die deutsche Aluminiumindustrie hatte die Entscheidung der Geschirrhersteller weitreichende Folgen. Die Umstellung der Geschirrproduktion auf den neuen Werkstoff Aluminium führte in den 1890er Jahren zur Entstehung einer bedeutenden Aluminiumwalzwerksindustrie mit Schwerpunkt in Westfalen, die vor allem mit dem Namen von Carl Berg (dem Bruder von Wilhelm Berg) und den Firmen Julius & August Erbslöh und Basse & Selve verbunden ist, deren Bedeutung als Pioniere der neuen Branche wir im nächsten Kapitel würdigen werden. Ein wichtiger Absatzmarkt für Aluminium war von Anfang an der Automobilbau. In den USA, wo Automobile seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts in immer größeren Serien produziert wurden, verdrängte die Automobilindustrie die Hersteller von Aluminiumgeschirr schon bald von ihrem Platz als wichtigster Abnehmer der Aluminiumindustrie 53. Wegen seines geringeren Gewichts wurde Aluminium damals auch im Karosseriebau eingesetzt, zunächst als Gussplatte, später auch als gewalztes Blech. Auch das berühmte Modell T der Firma Ford aus dem Jahr 1909 verwendete Aluminiumteile für die Karosserie. Wie wir noch sehen werden, verlor die Aluminiumindustrie den Markt für Karosseriebleche in den 20er Jahren an die Stahlindustrie, da deren Bleche preiswerter waren und sich leichter verarbeiten ließen. Ein dauerhafter Erfolg war dem Aluminium dagegen bei der Substitution von Eisenguss im Motorenbau beschieden. Einzelne Motorenteile, wie Motorengehäuse, Ventilatoren und Ölpumpen wurden schon vor Beginn des Ersten Weltkrieges aus Aluminiumguss gefertigt. Der Flugapparat, mit dem die Gebrüder Orville und Wilbur Wright 1903 die Ära der motorisierten Luftfahrt eröffneten, wurde von einem Automotor angetrieben, der aus Gründen der Masseeinsparung Aluminiumkolben und andere Teile aus Aluminium verwendete 54. Während des Krieges setzte sich im Flugzeugmotorenbau überall der Aluminiumkolben durch. Im Automobilbau dauerte es dagegen noch bis zur Mitte der 20er Jahre, bis das Aluminium den Grauguss endgültig als Kolbenwerkstoff verdrängte. Dies wurde erst möglich, nachdem die Aluminiumindustrie geeignete Legierungen und Gussverfahren entwickelt hatte, die den hohen Anforderungen der Automobilindustrie an Lebensdauer und Betriebssicherheit der Kolben gerecht wurde.
44 Als ein Markt mit großem Absatzpotential für Aluminium erwies sich die Elektroindustrie, die seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts einen stürmischen Aufschwung erlebte. Im Zuge der Elektrifizierung eines immer größeren Teiles der Welt mussten riesige Leitungsnetze errichtet werden, durch die die elektrische Energie über oft große Distanzen von den Kraftwerken zu den Verbraucherzentren transportiert werden konnte. Beim Bau der Starkstromleitungen verwendete man zunächst fast ausschließlich Freileitungsseile aus Kupfer. Die erste größere Starkstromleitung aus Aluminiumseilen wurde 1898 für die Stromversorgung der Städte Stockton (Kalifornien) und Seattle (Washington) aus nahe gelegenen Wasserkraftwerken gebaut. Pittsburgh Reduction war es gelungen, die Stromversorger davon zu überzeugen, dass Aluminium kostengünstiger als Kupfer ist. Es ist diesem zwar in Bezug auf die Leitfähigkeit unterlegen, macht diesen Nachteil aber durch sein geringeres spezifisches Gewicht mehr als wett. Da die Hersteller von Kupferdrähten es ablehnten, Aluminiumbarren zu verarbeiten, blieb Pittsburgh nichts anderes übrig, als eine eigene Drahtzieherei und Verseilanlage zu bauen. Eine Schwierigkeit ergab sich, als sich herausstellte, dass die aus Reinaluminium hergestellten Seile nicht die erforderliche Zerreißfestigkeit hatten, um der hohen Belastung durch Wind und Eis zu widerstehen. Zur Lösung dieses Problems verfiel man auf die Idee, die aus sechs Aluminiumdrähten bestehenden Seile durch einen Kern aus Stahldraht (auch „Seele“ genannt) zu verstärken. Das Stahl-Aluminium-Seil (aluminium cable steel reinforced, kurz ACSR) setzte sich in der ganzen Welt durch und eröffnete dem Aluminium in dem rasch expandierenden Freileitungsbau ein attraktives Anwendungsfeld. In großem Umfang setzte die Verwendung von Aluminium auf dem Gebiet des Freileitungsbaus etwa um 1910 ein, vor allem in den USA und in Frankreich. Eine besondere Bedeutung für die junge Aluminiumindustrie hatte der Markt für militärische Ausrüstungsgegenstände. Nach gründlicher Erprobung führte das Militär in vielen Ländern Feldflaschen, Kessel und Essbestecke aus Aluminium ein 55. Bei der AIAG sollen 1892 etwa drei Fünftel aller eingelaufenen Bestellungen Militäraufträge gewesen sein, wobei preußische und russische Beschaffungsämter die wichtigsten Auftraggeber waren. Eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten eröffnete sich für den neuen Werkstoff bei der Herstellung von Instrumenten, wo Aluminium die auf diesem Gebiet dominierenden Schwermetalle ersetzte. Die Maschinenbauindustrie setzte den neuen Werkstoff für Bauteile ein, bei denen es weniger auf Festigkeit als auf die Gewichtsreduzierung ankam. In der chemischen Industrie ersetzten seit der Jahrhundertwende vielerorts Behälter aus Aluminium die bisher verwendeten Kupferkessel. Auch die Verwendung von Aluminium in der Verpackungsindustrie geht auf die Anfangszeit der Aluminiumindustrie zurück. Die American Seal Corporation, eine Tochtergesellschaft der Pittsburg Reduction, nahm schon 1898 die Produktion von Deckeln für Marmeladegläser und Flaschenkapseln aus Aluminium auf. Wenige Jahre später, nachdem Gautschi und Neher ihre Verfahren entwickelt hatten, mit denen man Aluminium zu einer hauchdünnen Folie auswalzen konnte, entschloss sich die Firma Tobler
45 in Bern, ihre Schokolade nicht mehr in der bisher üblichen Stanniolfolie (Zinnfolie) zu verpacken sondern die neue Aluminiumfolie zu verwenden. Andere Schokoladenhersteller folgten ihrem Beispiel und gingen ebenfalls zur Aluminiumverpackung über. Damit hatte das Aluminium seine Feuerprobe auch auf dem Verpackungssektor bestanden und sich den Einstieg in einen wichtigen Absatzmarkt gesichert. Außer den bisher genannten Anwendungsgebieten ist als wichtiger Absatzmarkt auch die Stahlindustrie zu nennen, die – wie bereits erwähnt – bei der Stahlherstellung Aluminiumsplitter als Desoxidationsmaterial zur Erzielung eines blasen- und oxidfreien Gusses einsetzte. Bei dieser Verwendung von Aluminium ist es bis heute geblieben, wenn auch die dafür eingesetzten Mengen eine wesentlich geringere Bedeutung für den Aluminiumabsatz haben als zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Damals soll ein großer Teil der Aluminiumproduktion der Pittsburgh Reduction in den Hochöfen der amerikanischen Stahlindustrie gelandet sein.
2.4 Die ersten Aluminiumverarbeiter in Deutschland Die Wiege der deutschen Aluminiumverarbeitung liegt in Westfalen in den Tälern des märkischen Sauerlandes zwischen Ruhr und Sieg, wo im Laufe des 19. Jahrhunderts ein bedeutendes Zentrum der Metall verarbeitenden Industrie entstanden war 56. Dort hatten weitsichtige Unternehmer wie Carl Berg, Gustav Selve und die Inhaber der Firma Julius & August Erbslöh schon frühzeitig die Vorzüge des leichten Metalls erkannt und noch in den 1890er Jahren als erste in Deutschland die Verarbeitung von Aluminium aufgenommen. Ihrem Beispiel folgte eine wachsende Zahl von Unternehmen auch in anderen Teilen des Deutschen Reichs, die die Chancen des neuen Werkstoffes zu nutzen suchten. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges verfügte Deutschland über die leistungsfähigste Aluminium verarbeitende Industrie in Europa. Im Jahr 1913, dem letzten Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, wurden in deutschen Betrieben ca. 14.000 Tonnen Aluminium verarbeitet, mehr als in jedem anderen Land außer den USA. Etwa zwanzig Prozent des damaligen weltweiten Aluminiumverbrauchs entfielen auf das Deutsche Reich. Auf den ersten Blick mag es überraschen, dass sich die Aluminium verarbeitende Industrie gerade in Deutschland zu hoher Blüte entwickelte, obwohl es dort keine nennenswerte eigene Hüttenproduktion gab. Aber wichtiger als die Verfügbarkeit einer nationalen Rohstoffquelle war eben die Tatsache, dass es in Deutschland eine hoch entwickelte Metallindustrie gab, die in ihren Betrieben neben Eisen und Stahl auch Kupfer, Messing und andere Buntmetalle verarbeitete und mit allen Aspekten der industriellen Metallverarbeitung vertraut war. Die Pioniere der Aluminiumverarbeitung in Deutschland, die wir im Folgenden in Kurzportraits vorstellen wollen, hatten fast alle langjährige Erfahrungen mit der Herstellung von Produkten aus Buntmetallen gesammelt, bevor sie sich dem neuen Werkstoff Aluminium zuwandten57.
46 Carl Berg (1851–1906) Carl Berg entstammte einer Familie, die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in Lüdenscheid eine kleine Metallwarenfabrik betrieb, in der vor allem Knöpfe, aber auch Haken, Drähte und andere Metallwaren hergestellt wurden. Die Knöpfe wurden aus Messingblechen gestanzt, die man seit 1814 im eigenen Blechwalzwerk herstellte. Aus Platzmangel musste das Walzwerk 1853 in das benachbarte Eveking verlegt werden, während im Stammwerk in Lüdenscheid die Herstellung von Fertigwaren konzentriert wurde. Carl Berg trat nach dem Studium des Maschinenbaus 1873 in die Firma ein und übernahm 1879 nach dem Tod des Vaters gemeinsam mit seinem Bruder Rudolf Berg die Leitung des Familienbetriebes. Ihm verdankt das Unternehmen seinen Aufstieg zu einem der bedeutendsten Betriebe der rheinisch-westfälischen Metallindustrie. Carl Berg widmete sich vor allem dem Ausbau des Werkes in Eveking, dessen Belegschaft unter seiner Leitung bis zum Ende des Jahrhunderts auf über 600 Beschäftigte wuchs. Er ersetzte die veralteten Walzanlagen durch ein modernes Blechwalzwerk mit Vor- und Fertigwalzstraßen und installierte ein Drahtwalzwerk für die Herstellung von Kupfer- und Messingdrähten. Völliges Neuland betrat Carl Berg, als er im Jahr 1890 in Eveking die Verarbeitung des neuen Werkstoffes Aluminium aufnahm, den er ein Jahr zuvor auf der Pariser Weltausstellung kennen gelernt hatte. Er war von den Zukunftsaussichten des Aluminiums überzeugt und scheute keine Kosten und Mühen, um dem neuen Werkstoff zum Erfolg zu verhelfen. Da das Aluminium im Reinzustand wegen seiner geringen Festigkeit nur begrenzte Verwendungsmöglichkeiten bot, führte Berg Versuche mit Aluminiumlegierungen durch, die zur Erteilung mehrerer Patente führten. Unter anderem wurde Carl Berg 1894 ein Patent für eine Aluminiumlegierung erteilt, die außer Kupfer auch Chrom enthielt und eine besondere Festigkeit, Härte und Schmiedbarkeit besaß. Aus „Berg’s Luftschiffmetall“ wurden im Walzwerk Eveking die Bleche hergestellt, die beim Bau der ersten Luftschiffe Verwendung fanden. Die Firma Carl Berg war wohl auch das erste Unternehmen in Deutschland, das Aluminium nach dem neuen Strangpressverfahren auf hydraulischen Pressen zu Profilen verarbeitete 58. Die ersten Aufträge für Produkte aus Aluminium erhielt Carl Berg von der Heeresverwaltung, die er davon überzeugen konnte, dass sich Aluminium wegen seines leichten Gewichts für viele militärische Ausrüstungsgegenstände besser eignete als das bisher verwendete Schwermetall. Im Jahr 1891 entschied das preußische Kriegsministerium, dass die Beschläge der Mannschaftszelte des deutschen Heeres in Zukunft aus Aluminium gefertigt werden sollten und erteilte der Firma Berg einen Großauftrag über eine Million Garnituren. Wenige Jahre später führte die Heeresverwaltung Aluminiumfeldflaschen und Kochgeschirre nach Bergschen Mustern ein, nachdem eingehende Untersuchungen gesundheitliche Bedenken ausgeräumt hatten. Damit war der Weg frei für die Einführung von Koch- und Haushaltsgeschirren aus Aluminium auch für den zivilen Gebrauch. Den Durchbruch auf diesem Anwendungsgebiet brachte
47
Abb. 9: Carl Berg (1851–1906)
Abb. 10: Gustav Selve (1842–1909)
Mitte der 90er Jahre der bereits erwähnte Export von Kochtöpfen und anderen Haushaltsgeschirren aus Aluminium in die USA, an dem Carl Berg maßgeblichen Anteil hatte. Sein Erfolg ermutigte auch andere Hersteller von Haushaltswaren, die Produktion von Aluminiumgeschirr aufzunehmen, das schon bald zum wichtigsten Anwendungsgebiet für das junge Metall wurde. Einen Namen hat sich Carl Berg auch als einer der Pioniere der Luftschifffahrt gemacht 59. Er baute 1895 nach den Ideen des österreichischen Erfinders David Schwarz das erste lenkbare Luftschiff. Das 24 Meter lange Luftschiff bestand aus einer Gitterkonstruktion aus Aluminiumprofilen, mit der die Gondel mit den beiden Motoren fest verbunden war. Als äußere Hülle dienten Aluminiumbleche, die auf dem Gerüst aufgenietet waren. Den notwendigen Auftrieb erhielt es durch Wasserstoffgas, das in Säcke abgefüllt wurde, die man in den Zwischenräumen der Aluminiumkonstruktion unterbrachte. Bei seinem Jungfernflug am 6. November 1897 erreichte das Luftschiff eine Höhe von mehreren Hundert Metern und konnte auch seine Manövrierfähigkeit unter Beweis stellen. Es musste jedoch nach kurzem Flug notlanden, nachdem eines der Triebwerke ausgefallen und das Schiff steuerlos geworden war. Bei der Landung wurde das Luftschiff so schwer beschädigt, dass es abgewrackt und in Eveking eingeschmolzen werden musste. Unter den Zuschauern des glücklosen Jungfernfluges war auch Ferdinand Graf Zeppelin (1838–1917), der sich seit vielen Jahren mit dem Problem der Lenkbarkeit von Luftschiffen befasste und Mitte der 90er Jahre eine eigene Konstruk-
48 tion zum Patent angemeldet hatte. Diese unterschied sich von dem Schwarzschen Modell vor allem dadurch, dass das Aluminiumgerippe des Luftschiffes von einer luftdichten Stoffhülle umspannt war, wodurch es möglich wurde, den in Zellen aufgeteilten Innenraum des Luftschiffes wie einen Ballon mit Gas zu füllen. Bei einer Zusammenkunft in Lüdenscheid kurz nach dem gescheiterten Experiment mit dem Schwarzschen Luftschiff vereinbarten Berg und Zeppelin eine enge Zusammenarbeit, die erst mit dem Tod Bergs im Jahr 1906 endete. Die für die Innenkonstruktion des ersten Zeppelins benötigten Aluminiumteile wurden in Eveking aus dem Bergschen Luftschiffmetall hergestellt und im Schwesterwerk Lüdenscheid zusammengebaut. Nach mehreren erfolgreichen Flügen, bei denen der Nachweis der Lenkbarkeit erbracht wurde, fiel auch dieses Luftschiff einem Unfall zum Opfer. Es dauerte mehrere Jahre, bevor neue und verbesserte Modelle die Eignung der Zeppeline als neues Lufttransportmittel endgültig unter Beweis stellen konnten.
Gustav Selve (1842–1909) Ebenfalls zu den Pionieren der Aluminiumverarbeitung zählt die Firma Basse & Selve, die 1862 in Lüdenscheid gegründet wurde, ihren Sitz aber später in das benachbarte Altena verlegte. Die Firma errichtete in Bärenstein bei Lüdenscheid ein Messingwalzwerk, das die im Lüdenscheider Raum ansässige Knopfindustrie mit Messingblechen belieferte. Später wurden auch Bleche für die Anfertigung von Patronen und fertige Patronenhülsen hergestellt. Das schnell expandierende Unternehmen erwarb oder errichtete Zweigwerke in Schwarzenstein, Hemer und Linscheid und zählte Ende der 1880er Jahre zu den größten Herstellern von Walzhalbzeug aus Messing und anderen Buntmetallen in Deutschland. An der Spitze des inzwischen ganz der Familie Selve gehörenden Unternehmens stand Geheimrat Gustav Selve, der wie sein Freund und Konkurrent Carl Berg schon früh die Bedeutung des neuen Werkstoffes Aluminium erkannte. 1890 erwarb Selve die Lüdenscheider Firma Basse & Fischer, die über ein modernes Messingwalzwerk verfügte und Kessel und andere Metallwaren aus Messing, Kupfer, Zinn und Britannia-Metall produzierte. Mitte der 90er Jahre nahm diese Firma auch die Verarbeitung von Aluminium auf. Hergestellt wurden Bestecke, Kochgeschirre, Feldflaschen und andere Waren aus Aluminium für den Haus- und Heeresbedarf. Die hierfür benötigten Aluminiumbleche wurden auf einem umfunktionierten Messingwalzwerk hergestellt. Gustave Selve belieferte auch andere Unternehmen mit Aluminiumblechen und wurde einer der wichtigsten Lieferanten der Lüdenscheider Kochgeschirrindustrie. Nachdem es nach vielen Versuchen gelungen war, Aluminiumbleche durch Schweißen bzw. Löten dauerhaft miteinander zu verbinden, ging man zur Herstellung von großen Behältern über, die zum Beispiel als Gärbottiche in Bierbrauereien oder Käsewannen und Milchbassins in Molkereien Verwendung fanden. Bis zum Beginn des ersten Weltkrieges stieg die Belegschaft in Lüdenscheid auf etwa 600 Mitarbeiter an.
49 Einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der Verarbeitungstechnik des Aluminiums leistete Selve auf dem Gebiet des Aluminiumgusses. Im Jahr 1905 richtete er eine große Aluminiumformgießerei ein, in der Zylindergehäuse, Ölkästen und andere Motorenbestandteile aus Aluminiumguss hergestellt wurden. Bahnbrechend waren die Arbeiten Selves auf dem Gebiet der Kolbenentwicklung. Selve war einer der ersten, der einen einsatzfähigen Aluminiumkolben für Flugmotoren auf den Markt brachte. Diese ersten Kolben wurden allerdings nicht gegossen sondern im Pressverfahren hergestellt, wie Walther von Selve (der Sohn Gustav Selves) in einem nach dem Krieg erschienenen Artikel berichtet: „Zwar hatte ich schon mehrere Jahre vor dem Krieg Aluminiumkolben im Sandguss gegossen und mit wechselndem Erfolg hergestellt, aber bei den weit größeren Abmessungen für Flugmotoren … glaubte (ich) nur durch das Pressverfahren hinreichend widerstandsfähige Aluminiumkolben erzielen zu können“60. Wie bereits erwähnt, setzte sich der Aluminiumkolben im Flugmotorenbau während des Krieges gegen den Graugusskolben durch, während es im Automobilbau noch bis zur Mitte der 20er Jahre dauerte, bevor das Aluminium als Kolbenwerkstoff allgemein akzeptiert wurde. Trotz der rasch wachsenden Bedeutung des Aluminiums lag der Schwerpunkt des Unternehmens auch weiterhin auf der Verarbeitung von Messing und anderen Schwermetallen. Auf diesem Arbeitsgebiet zählte die Selve-Gruppe zu den führenden Herstellern in Europa. Seit der Jahrhundertwende wurden vermehrt auch industrielle Fertiggüter hergestellt. Vor allem wollte man in der Automobilindustrie und in der rasch an Bedeutung gewinnenden Luftfahrtindustrie Fuß fassen. Das Produktionsprogramm der Selvschen Werke umfasste Luftschiffgondeln und andere Konstruktionsteile für die Luftschifffahrt aus speziellen Aluminiumlegierungen. Für Automobil- und Ballonmotoren wurde der so genannten Selve-Kühler aus Aluminium eingeführt, der nur halb so viel wog, wie ein konventioneller Kühler. Aus einer eigens hierfür entwickelten Legierung wurden Aluminiumfelgen hergestellt, die wegen ihres geringen Gewichts vor allem im Flugzeugbau Verwendung fanden. Das Unternehmen stellte auch Verbrennungsmotoren her, die als Selve-Motoren an die Hersteller von Automobilen und Flugzeugen geliefert wurden. In den Jahren bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges wuchs das weit verzweigte Firmenimperium Selves zu einer der bedeutendsten industriellen Gruppen in Deutschland heran.
Julius & August Erbslöh Carl Berg und Gustav Selve waren nicht die Ersten, die sich in Deutschland der Verarbeitung des neuen Werkstoffes zuwandten. Noch vor ihnen führte die in Wuppertal ansässige Firma Julius & August Erbslöh erste Walzversuche mit Aluminium durch. Die Firma Wolff & Erbslöh war 1842 durch Julius Erbslöh und Carl E. Wolff in Wupperfeld, einem Ortsteil der damaligen Stadt Barmen, heute Teil von Wuppertal, gegründet
50 worden 61. Mit acht Arbeitern stellte der Betrieb in seinem kleinen Walzwerk plattierte Kupferbleche her, die durch Aufwalzen eines dünnen Überzuges aus Gold oder Silber veredelt und durch Dessinieren mit den verschiedensten Mustern versehen wurden. Die Abnehmer der Dessinbleche im In- und Ausland fertigten daraus unter anderem Knöpfe in Talergröße (damals ein beliebter Modeartikel), Beschläge für Pferdegeschirr und andere Zierteile für Equipagen. Die Antriebskraft für die Walzen lieferten ein Pferdegoppel und ein Wasserrad. Die erste Dampfmaschine wurde 1854 in Betrieb genommen. Noch vor der Erfindung der Schmelzflusselektrolyse durch Héroult und Hall begann man bei Erbslöh 1885 mit den ersten Versuchen, das helle, silberfarbige Aluminium an Stelle der Silberauflage als Plattiermaterial zu verwenden. Schon bald erkannten die Firmeninhaber, dass sich der neue Werkstoff, der nach der Inbetriebnahme der Elektrolysen in Neuhausen und Froges erschwinglich geworden war, auch für vielfältige andere Zwecke eignete. Im Jahr 1889 trafen sie eine weitreichende Entscheidung: Sie beschlossen, in ihrem Walzwerk in Wupperfeld auch Aluminiumbleche herzustellen. Erbslöh war damit eines der ersten Unternehmen in Deutschland (wenn nicht sogar das erste überhaupt), das die Verarbeitung von Aluminium im industriellen Maßstab aufnahm. Da das Stammwerk im dicht besiedelten Wupperfeld schon bald aus den Nähten platzte, wurde 1893 das Betriebsgelände Kupferhammer erworben, wo in den folgenden Jahren ein mit modernsten Maschinen ausgestattetes Walzwerk für Messing- und Aluminiumerzeugnisse entstand. Wichtigste Abnehmer der Aluminiumbleche blieben auf Jahre die Hersteller von Kochgeschirren und anderer Aluminiumwaren, die vorwiegend im Sauerland ansässig waren. Seit der Jahrhundertwende gewann die Verarbeitung von gewalzten Aluminiumstreifen zu Drähten und Profilen immer mehr an Bedeutung. Nachdem sich das Strangpressverfahren durchgesetzt hatte, war Erbslöh eines der ersten Unternehmen in Deutschland, das sich der neuen Fertigungstechnik zuwandte. 1911 wurde im Werk Kupferhammer eine hydraulische Presse mit einer Presskraft von 1.000 Tonnen in Betrieb genommen. Dieser Schritt leitete die Entwicklung des Unternehmens zu einem der bedeutendsten Hersteller von Aluminiumprofilen ein. Bei Kriegsausbruch 1914 waren in den beiden Werken in Wupperfeld und Kupferhammer etwa 400 Mitarbeiter beschäftigt, die Aluminium und andere NE-Metalle wie Messing und Zink zu Halbzeug und Fertigprodukten verarbeiteten. Die Dessinbleche, mit denen das Unternehmen seinen Anfang genommen hatte, gehörten auch damals noch zu den Spezialitäten der Firma und sind es bis heute geblieben.
Aluminiumwalzwerk Wutöschingen Der wachsende Erfolg des Aluminiums veranlasste auch Unternehmer außerhalb des westfälischen Industriegebiets, sich dem neuen Werkstoff zuzuwenden. Besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang das Aluminiumwalzwerk Wutöschingen.
51 Gründer des Unternehmens war ein junger Ingenieur namens Fritz Burr, der zuvor bei dem Grafen Zeppelin in Friedrichshafen und anschließend (auf Wunsch Zeppelins) bei dessen Geschäftspartner Carl Berg in Eveking tätig war und bei dieser Tätigkeit das Aluminium kennen gelernt hatte. Er richtete im Jahr 1902 in Wutöschingen eine Formgießerei ein, in der zunächst Messing- und Rotgussteile und ab 1904 auch Aluminiumguss hergestellt wurden. Burr wollte seinen Betrieb ausweiten. Auf Anregung des Grafen Zeppelin plante er die Herstellung von Aluminiumprofilen für den Luftschiffbau. Die Profile sollten aus Aluminiumbändern gezogen und später vielleicht auch gepresst werden (das Strangpressverfahren steckte noch in den Kinderschuhen). Wegen der Lieferung der erforderlichen Bänder setzte sich Burr mit verschiedenen Lieferanten in Verbindung, unter anderem auch mit der Firma Gebr. Guilini in Ludwigshafen. Dort stieß er mit seinen Plänen auf offene Ohren. Dr. Georg Guilini, den wir als einen der Pioniere der Aluminiumindustrie kennen gelernt haben, hatte seinem Tonerdewerk in Ludwigshafen 1908 eine kleine Aluminiumelektrolyse in Martigny in der Schweiz angegliedert und war bestrebt für diese und geplante weitere Hütten einen gesicherten Absatzmarkt zu schaffen. Guilini schlug Burr die gemeinsame Errichtung eines Aluminiumwalzwerkes vor, dessen maschinelle Einrichtungen er selbst beisteuern wollte, während Burr den Grund und Boden sowie die Gebäude zur Verfügung stellen sollte. Nach außen sollte der Betrieb weiterhin unter der Firma Fritz Burr geführt werden, da Guilini es vermeiden wollte, mit seinen Walzwerkskunden offen in Wettbewerb zu treten. Die maschinelle Erstausstattung des Werkes, das im Frühjahr 1910 mit einer Belegschaft von siebzig Mann den Betrieb aufnahm, bestand aus einer Blockwalze, einer Vorwalze und einer Fertigwalze sowie einem Glühofen, Scheren, Rondenstanzen und anderen Hilfseinrichtungen. Die ersten Walzblöcke hatten ein Stückgewicht von dreißig Kilogramm. Im Jahr 1912 folgte eine zweite elektrische Walzenstraße mit vier Walzgerüsten und 1913 vier mit Rohöl beheizte Barrengießöfen. Die Walzwerke wurden durch Strom aus eigener Wasserkraft angetrieben. Als der selbst erzeugte Strom nicht mehr ausreichte, ließ Guilini im Jahr 1912 auf eigene Kosten eine Stromleitung von Waldshut nach Wutöschingen bauen (eine der ersten Stromtrassen aus Aluminiumseilen). Im kontinuierlichen Betrieb mit zwei Schichten von je zwölf Stunden (bei zwei Stunden Pause) erzielte das Werk eine Jahresproduktion von etwa sechzig Tonnen Bleche und Ronden aus Reinaluminium. Daneben stellte man auch Essbestecke, Geschirrarmaturen und Gehäuseteile für die Elektroindustrie aus Aluminiumformguss her. Den Bedarf an Hüttenaluminium deckte die Guilini-Elektrolyse in Martigny. 1914 ging das Werk durch Kauf ganz auf Guilini über, der schon bisher einen maßgeblichen Einfluss auf das Unternehmen ausgeübt hatte. Dabei hatte es nicht in der ursprünglichen Absicht von Georg Guilini gelegen, ein größeres Walzwerk auf Dauer in Wutöschingen entstehen zu lassen. In der Tat ließ die Verkehrsanbindung des Werkes sehr zu wünschen übrig. Mangels eines eigenen Gleisanschlusses musste die Produktion anfangs mit Fuhrwerken zu der zwei Kilometer entfernten Bahnstation
52 gebracht werden. Der personelle und maschinelle Aufbau des Werkes in Wutöschingen schritt jedoch so schnell voran, dass die beabsichtigte Verlegung nach Ludwigshafen nicht mehr sinnvoll erschien. So blieb es bei dem Standort Wutöschingen, der im Laufe der folgenden Jahrzehnte zu einem der größten deutschen Aluminiumwalzbetriebe ausgebaut wurde. Wutöschingen war bis in die 20er Jahre der einzige Verarbeitungsbetrieb in Deutschland, der sich ausschließlich mit der Herstellung von Aluminiumhalbzeug befasste.
Dürener Metallwerke Zu den Pionieren der Aluminiumverarbeitung gehören auch die im Rheinland ansässigen Dürener Metallwerke, deren Geschichte untrennbar mit der Entwicklung der als „Duralumin“ bekannt gewordenen hochfesten Aluminiumlegierung verbunden ist, über die wir im vorigen Kapitel berichtet haben. Das Unternehmen wurde 1885 in Düren gegründet und betrieb zunächst eine Metallgießerei, die sich auf die Herstellung von hochwertigen Kupferlegierungen spezialisierte. Eine von dem Firmengründer Hupertz entwickelte und von der Firma unter dem Namen „Durana“ vertriebene Eisen-BronzeLegierung fand bei Heer und Marine guten Absatz. Schon bald ging man auch zur Herstellung von Kupfer- und Messinghalbzeug in eigenen Drahtziehereien, Stangenpressen und Walzwerken über. Eines der wichtigsten Produkte war Patronenmaterial, das an die Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken AG, (die spätere Industrie-Werke Karlsruhe) geliefert wurde. Am 1. Januar 1901 wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft unter der Firma „Dürener Metallwerke AG“ überführt, an der die Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken AG mehrheitlich beteiligt war. Durch Vermittlung des neuen Großaktionärs kam auch die Verbindung der Dürener Metallwerke zu der metallurgischen Abteilung der Centralstelle für wissenschaftlich-technische Untersuchungen in Neubabelsberg zustande, deren Leiter der im vorigen Kapitel erwähnte Alfred Wilm war. Auf Anregung der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken AG arbeitete Wilm seit längerer Zeit an der Entwicklung einer Aluminiumlegierung für die Herstellung von Patronenhülsen, die sich in ihren Eigenschaften nicht wesentlich von dem damals verwendeten Patronenmessing unterscheiden durfte. Mit den Dürener Metallwerken wurde vereinbart, dass größere Materialproben in Düren gewalzt und gezogen werden sollten. Konkrete Gestalt nahm die Zusammenarbeit im Frühjahr 1908 an, als die Centralstelle die Dürener Metallwerke über ihre Forschungsergebnisse informierte und in Düren aus wärmebehandelten Aluminiumblechen Rondelle herstellen und diese zu Geschosshülsen verarbeiten ließ. Im Herbst 1908 traten die Dürener Metallwerke mit der Centralstelle wegen des Erwerbs der Herstellrechte in Verhandlungen. Man war in Düren der Ansicht, dass sich die neu gefundene Gruppe von Legierungen eher für konstruktive Anwendungen als für die Munitionsfabrikation eigne. Dabei dachte man vor allem an eine Verwendung
53 im Luftfahrzeugbau und bei der Herstellung von Militärfahrzeugen und anderen Ausrüstungsgegenständen für die Heeresverwaltung. Auch die Centralstelle war an einem Verkauf der Patentrechte interessiert. Alfred Wilm schied Ende 1908 aus der Centralstelle aus und bekundete ebenfalls Interesse an dem Erwerb der Rechte an seiner Erfindung. Im Mai 1909 kam es zu einer Einigung zwischen den drei Beteiligten: Wilm erwarb die Patentrechte von der Centralstelle und schloss mit den Dürener Metallwerken einen Lizenzvertrag, in dem er diesen die ausschließliche Verwertung der geschützten Erfindung für das Deutsche Reich, Skandinavien, Holland, Belgien und die Schweiz einräumte. Die englischen Firma Vickers erwarb die Rechte für England. Die Anmeldung des Patents in Deutschland erfolgte am 9. März 1909 und führte drei Jahre später zur Erteilung des Schutzrechtes. 1909 wurde gemeinsam mit Wilm über ein prägnantes Wortzeichen beraten, unter dem die Fabrikate in den Handel gebracht werden sollten. Zuerst wurde das Wort „Hartaluminium“ ins Auge gefasst, mit dem die größere Festigkeit der neuen Legierung zum Ausdruck gebracht werden sollte. Mit Rücksicht auf das Ausland zog man dann aber das auch in anderen Sprachen verwendbare „Duralumin“ vor. Die Dürener Metallwerke ließen sich das Wortzeichen für Deutschland, Wilm für alle Auslandsstaaten schützen, in denen Patente bestanden. In Deutschland behielten die Dürener Metallwerke ihre Alleinstellung bis zum März 1932. Im zweiten Halbjahr 1909 begann in Düren die Herstellung von Duralumin, wobei zunächst nur Probestücke hergestellt wurden, die man größtenteils kostenlos an potentielle Kunden in der Metallindustrie lieferte. Viele Abnehmer begegneten dem neuen Material mit Zurückhaltung, wenn nicht sogar offenem Misstrauen, was auf die unseriöse Anpreisung von Eigenschaften neuer Speziallegierungen durch andere Anbieter zurückzuführen war. Das Kriegsministerium interessierte sich für leichte Kriegsfahrzeuge aus Duralumin und ließ verschiedene Wagen für den Munitionstransport herstellen und im Manöver erproben. Auch mehrere Sturmbrücken wurden aus Duralumin hergestellt und erprobt. Wichtig für den Markterfolg der neuen Legierung war eine Bestellung der Vickers-Werke in Birmingham, die beim Bau des Luftschiffes „Mayflower“ fast zehn Tonnen Duralumin verarbeiteten. Dieses Luftschiff stürzte allerdings bei seinem ersten Aufstieg ab und die englische Presse konnte es sich nicht verkneifen, dafür das Material „Made in Germany“ verantwortlich zu machen. Die Vickers-Werke waren jedoch ehrlich genug, zuzugeben, dass konstruktive Mängel den Misserfolg verursacht hatten. Selbstverständlich hatte man in Düren versucht, auch mit der Firma des Grafen Zeppelin ins Geschäft zu kommen. Es kam jedoch zu keinem Abschluss, weil Zeppelin sich verpflichtet fühlte, seinem alten Lieferanten Carl Berg treu zu bleiben, der ihm schon zu einer Zeit, als niemand an das Gelingen seines Werkes glaubte, Aluminium geliefert hatte. Erst durch eine Verfügung des Reichsmarineamtes im Februar 1914, in der der Firma Zeppelin die ausschließliche Verwendung von Duralumin für die Marineluftschiffe vorgeschrieben wurde, fand das Duralumin Eingang in den deutschen Luftschiffbau. Bald darauf folgte eine entsprechende Anweisung der Heeresleitung für die in ihrem Auftrag gebauten Luftschiffe.
54 Robert Victor Neher (1885–1918) Wir sind den beiden Pionieren der Aluminiumfolienherstellung, den Schweizern Alfred Gautschi und Robert Victor Neher, schon in einem früheren Kapitel begegnet. Die von ihnen entwickelten Verfahren zur Herstellung von Aluminiumfolie, mit deren Hilfe man Aluminiumbleche bis zu einer Stärke von 0,04 Millimeter herunterwalzen konnte, standen noch auf Jahre hinaus in Konkurrenz zueinander, bis sich Nehers Verfahren zur Herstellung endloser Bänder in den 20er Jahren endgültig gegen das Paketwalzverfahren von Gautschi durchsetzte. Die ersten Folienwalzmaschinen für die Herstellung von endlosen Bändern wurden 1910 von der Maschinenfabrik August Schmitz in Düsseldorf nach den Ideen des Erfinders gebaut. Die Firma Schmitz stellte Neher mehrere solcher Walzwerke mietweise für seine Versuche zur Verfügung. Auch sie profitierte von der gemeinsamen Entwicklung und blieb auf Jahrzehnte hinaus wichtigster Lieferant der Aluminiumindustrie für Folienwalzanlagen. Zur Verwertung seiner im Jahr 1910 patentierten Erfindung gründete Neher gemeinsam mit Freunden die Dr. Lauber, Neher & Cie. und errichtete in Emmishofen in der Schweiz eine erste Produktionsstätte für die Folienherstellung. Anfangs 1912 folgte die Gründung einer zweiten Produktionsgesellschaft in Singen/Hohentwiel unter der Firma Dr. Lauber, Neher & Co GmbH, Singen. Diese musste im deutschen Markt mit der heftigen Konkurrenz der Aluminium GmbH in Teningen bei Freiburg im Breisgau rechnen, die Aluminiumfolien nach dem Paketwalzverfahren von Alfred Gautschi herstellte. „Um einen Kräfte zehrenden Kampf zu vermeiden“ (wie es in der Geschichte der AIAG heißt) entschlossen sich die Konkurrenten kurzerhand, ihre Unternehmen in einer gemeinsamen Holdinggesellschaft zusammenzuschließen. Noch vor Betriebsaufnahme des neuen Folienwerkes in Singen im August 1912 wurden die Anteile der drei beteiligten Gesellschaften auf die Aluminiumwalzwerke AG, Schaffhausen/Schweiz (AWAG) übertragen, unter deren Dach sie als rechtlich selbstständige Konzerngesellschaften einer einheitlichen Leitung unterstanden. Die erfreuliche Geschäftsentwicklung der AWAG wurde jedoch durch den ersten Weltkrieg unterbrochen, als in Singen die Folienherstellung eingestellt werden musste. Robert Victor Neher starb im November 1918 im Alter von dreiunddreißig Jahren an den Folgen der Grippe, die damals in ganz Europa Millionen Opfer forderte. Wie wir in einem späteren Kapitel sehen werden, führte die Uneinigkeit seiner Mitgesellschafter dazu, dass die AWAG anfangs der 20er Jahre unter die Kontrolle der AIAG geriet.
Anmerkungen zum 2. Kapitel 1 W. Kirchner in ALUMINIUM 1936.33 ff: „Herstellungsverfahren für Aluminium und Aluminiumbronze, wie es in der ersten Aluminiumhütte Deutschlands in Hemelingen von Oktober 1887 ab ausgeübt wurde“ (abgedruckt bei Joliet, Seite 110 ff). 2 MG-Statistik 20. Jg., Seite 89: Durchschnittspreise in Mark pro kg ab Werk für die Jahre 1855 bis 1913.
55 3 Felix Pinner: „Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter“, Leipzig 1918. 4 Die AEG beteiligte sich mit einer Quote von 15 Prozent an dem auf 10 Millionen Franken festgesetzten Aktienkapital der AIAG, auf welches zunächst 20 Prozent eingezahlt wurden (Pinner a.a.O., Seite 173). 5 Die Patentfrist betrug in Frankreich damals 15 Jahre, gerechnet vom Tag der Erteilung. Nach dem deutschem Patentgesetz von 1877 betrug die Schutzdauer ebenfalls 15 Jahre, gerechnet vom Tag der Anmeldung. Die Schutzdauer wurde 1923 auf 18 Jahre und nach dem Zweiten Weltkrieg auf 20 Jahre verlängert. 6 Von den deutschen Mitgliedern des Aufsichtsrates hatte wohl Fürstenberg den größten Einfluss auf die AIAG. Seine Korrespondenz mit dem Verwaltungsratspräsidenten Huber hat Karl Erich Born für sein Buch „Internationale Kartellierung einer neuen Industrie: Die Aluminium-Association 1901–1915“ ausgewertet. 7 Das Schema einer solchen 4000 Ampere-Zelle ist in dem Artikel von Zerleeder in ALUMINIUM 1936, Seite 163 ff. abgebildet. 8 In der deutschen Fachliteratur der 20er Jahre wurde behauptet, das Héroultsche Verfahren habe sich nur für die Herstellung von Aluminium-Bronze geeignet und erst Kiliani habe die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass man in Neuhausen auch Reinaluminium produzieren konnte (So Debar in „Aluminium-Industrie“, Seite 23). Dafür gibt es indessen keine Beweise. 9 Die Produktionszahlen der AIAG sind der Übersicht in Band II der Firmengeschichte, Seite 260 ff, entnommen. 10 Zum Rechtsstreit mit Froges: Rauch, Seite 48. 11 Zur Aluminium Association siehe Born: „Internationale Kartellierung“, Seite 22 ff, und Marlio: „Aluminium Cartel“, Seite 9–14. Die Quoten wurden 1903 und danach jährlich neu festgesetzt. Die Quote der AIAG ging von Jahr zu Jahr zurück und betrug 1905 nur noch 43,1 Prozent. 12 Zum Patentstreit mit Schuckert: AIAG-Geschichte I, Seite 106. 13 Das Karbidwerk sollte überschüssige Energie verwenden, wenn die Hütte wegen Absatzmangel zurückgefahren werden musste. Auch in Neuhausen und in Lend installierte die AIAG Karbidöfen. 14 Siehe Herttrich: „56 Jahre deutsche Aluminium-Hüttenproduktion“ in METALL 1954.219 ff. Der Verfasser war Leiter der Fachgruppe NE-Metalle bei der Bundesstelle für den Warenverkehr der gewerblichen Wirtschaft. Er hat mit Hilfe von VAW und AIAG eine lückenlose Produktionsstatistik seit 1898 erstellt, die die zum Teil auf Schätzungen beruhenden Zahlen der MG-Statistik berichtigte. 15 Zitat aus dem Artikel von Zerleeder: „50 Jahre Aluminium-Elektrolyse“ in ALUMINIUM 1936.163 ff. 16 Zur Urzelle und zu den Verbesserungen in Froges und Neuhausen siehe Fulda-Ginsberg, Aluminium, Seite 10 ff. Ferner den Artikel von Ginsberg in ALUMINIUM 1967.349: „Praxis und Theorie der Schmelzflusselektrolyse des Aluminiums“. 17 Die AIAG musste 28 Prozent der Anteile ihrer französischen Tochtergesellschaften und Guthaben in Frankreich an die französischen Regierung abtreten, die diese Werte dem Deutschen Reich als geleistete Kriegsentschädigung gutschrieb (AIAG-Geschichte Band II, Seite 12). Die Anteile wurden öffentlich versteigert und von einer der AIAG nahestehenden französischen Gruppe erworben. 18 Zu den Hütten in Froges und La Praz: Rauch, Seite 34 ff. 19 Zur Baco-Hütte und zur Hall-Versuchsanlage in England: Rauch, Seite 60 f. 20 Bemerkenswert ist, dass die Hütte in Calypso mit einer von der Pittsburgh Reduction erteilten Lizenz nach dem Hall-Verfahren arbeitete. Es ist nicht bekannt, warum weder Froges noch Héroult gegen den Konkurrenten vorgingen, obwohl dieser nach französischem Recht eindeutig gegen das Héroult-Patent verstieß (Boquentin, Seite 48).
56 21 Quellen zu Tabelle 1: AIAG-Geschichte Band II, Seite 260 ff. Für Froges und Pechiney: Boquentin, Seiten 58, 76. Für Alcoa: Smith, Seite 88. Die Zahlen in der MG-Statistik sind für beide Jahre zu hoch. 22 Zur Auflösung der ersten Aluminium Association und zur Gründung der zweiten Aluminium Association: AIAG-Geschichte I, Seite 112 ff. – Born a.a.O., Seite 48 ff. – Marlio, Seite 16 ff. 23 Dr. Walter Däbritz: „Fünfzig Jahre Metallgesellschaft 1881–1931“. 24 Zu Griesheim-Elektron siehe Gustav Pistor: „100 Jahre Griesheim 1856 – 1956“. – Ferner „Bitterfelder Chronik, 100 Jahre Chemiestandort Bitterfeld-Wolfen“, 1993. Der Zusatz zum Namen der Firma Griesheim wurde schon in den 1880er Jahren verwendet. Er weist auf die elektrochemischen Aktivitäten der Firma hin. 25 Zur Magnesiumproduktion in Bitterfeld siehe Pistor, a.a.O., Seite 134 ff und Bitterfelder Chronik, Seite 150 ff. Griesheim-Elektron übernahm 1896 das in Hemelingen entwickelte Herstellverfahren und setzte es in ihrer neuen Fabrik in Bitterfeld ein. Elektron-Legierungen machten dem Aluminium insbesondere auf dem Gusssektor Konkurrenz. 26 Detaillierte Angaben zu den Entwicklungsarbeiten 1906–1908 enthält das unveröffentlichte Manuskript von Gustav Pistor: „Zum fünfzigjährigen Bestehen des Werk Süd-Bitterfeld (Werk II) der I.G. Farbenindustrie AG am 16. Oktober 1944“, Seite 148 ff, Archiv der Hoechst AG, Nachlass Pistor 2/21-4 („Pistor-Manuskript“). 27 Zu den Verkaufsaktivitäten der Metallgesellschaft: Born, Seite 28. 28 Boquentin, Seite 64 ff (L’aventure américaine 1912–1915). Die für die Hütte in USA bestimmten Öfen und elektrischen Ausrüstungsgegenstände wurden nach Norwegen geliefert und in einem neuen Werk in Thyssedal installiert, das 1916 mit einer Kapazität von 9.500 Tonnen den Betrieb aufnahm. 29 Die wichtigste Quelle zur Geschichte der Gebr. Guilini GmbH ist eine Firmenchronik, die die Historikerin Viktoria Fischer Anfang der 70er Jahre aus Anlass des 150-jährigen Firmenjubiläums im Auftrag der Eignerfamilien verfasste. Für die Zeit von 1900 bis 1918 stützt sich die Chronik vor allem auf die Erinnerungen von Ernst Rauch, den Dr. Georg Guilini im Jahr 1907 zum Aufbau einer Aluminiumabteilung als Prokurist eingestellt hatte. Ein (unvollständiges) Exemplar der Chronik befindet sich im Archiv der Stadt Ludwigshafen. Eine weitere wichtige Quelle ist die von Ernst Rauch verfasste Geschichte der Aluminiumhüttenindustrie, in der er auch seine persönlichen Erinnerungen als engster Mitarbeiter von Dr. Georg Guilini verarbeitet hat. 30 Zu Dr. Georg Guilini (1858–1954) siehe Helmut Backelin: „Guilini“ in Deutsche Biografien (herausgegeben von der historischen Kommission bei der bayrischen Akademie der Wissenschaft), Berlin 1964. – Krosigk: „Die große Zeit des Feuers. Der Weg der deutschen Industrie“, Band 3, Seite 210 ff. – Udo Guilini: „Georg Guilini“ in „Ludwigshafener Chemiker“, Herausgeber Kurt Oberdorffer, Düsseldorf 1958. 31 Pittsburgh Reduction baute 1902 eine Tonerdefabrik in East St. Louis (Illinois), die erst nach mehrjähriger Anlaufszeit zu einer befriedigenden Produktion kam. Der Präsident von Pittsburgh, Arthur Davis, soll Guilini angeblich 1899 eine Million Dollar für technische Unterstützung angeboten haben. Guilini habe abgelehnt, weil er seine Fachkräfte nicht entbehren könne (Rauch, Seite 88). 32 Zu dem Vertrag mit der Association: Born, Seite 39 ff. 33 Das Werk in Laibach arbeitete nach einem von Guilini entwickelten Nassverfahren, das das Bayer-Verfahren vorwegnahm. Bayer soll die Priorität der Entwicklung von Guilini anerkannt und daher auch keine Lizenzzahlung gefordert haben (Guilini-Chronik, Seite 295 f). 34 So sahen es auch die Zeitgenossen. Rauch zitiert einen französischen Industriellen mit den Worten: “Monsieur Guilini, incontestable roi de l’alumine en 1906 risque maintenant d’être détroné par les membres du Syndicat devenus indépendants de son alumine, s’il ne se décide pas au plus vite á leur tenir tête sur leur propre terrain” (Rauch, Seite 75).
57 35 Zum Bau der Hütte in Martigny: Dominic Ruch: „Der schwierige Weg zum leichten Metall. 100 Jahre Aluminium Martigny SA“, Zürich 2009. 36 Siehe Rauch, der an den Verhandlungen mit den Regierungsstellen als Mitarbeiter von Dr. Guilini beteiligt war (Seite 107). 37 Quellen für dieses Kapitel: AIAG-Geschichte I, Seite 87 ff (Das Wachsen des Aluminiumverbrauchs und der Kampf um die Absatzmärkte). – Rauch, Seite 65 ff (Die Entwicklung der Aluminiumanwendung in den Jahren 1890 bis 1914). – Carr, Seite 109 ff (Early markets) und Seite 128 ff (Anfänge der Verarbeitungstechnik). – Smith, Seite 78 ff (Developping the market). 38 Zitat Davis bei Carr, Seite 109. “… it took a lot of selling to get anybody to use aluminum for anything”. 39 Zur Preisentwicklung nach 1900 siehe Born, Seite 38. 40 Edwards-Frary, Seite 8 ff, berichtet über den Bau einer Rennyacht aus Aluminium: “Almost from the day the Defender was launched sensational stories of the failure of aluminum appeared in the daily press. US-Governement officials condemned the metal and the builders and other experts were drawn into the controversy. … There was no actual failure until long after the races were won, but salt water eventually took its toll. Galvanic corrosion between bronce rivets and aluminum plates and in joints ultimately put the Defender on the junk pile”. Zum Schiffsbaudebakel siehe auch AIAG-Geschichte I, Seite 87. 41 Die bei der Verarbeitung von Aluminium anfänglich auftretenden Schwierigkeiten waren zum Teil darauf zurückzuführen, dass das von den Hütten gelieferte Metall durch seinen hohen Gehalt an Eisen und Silizium verunreinigt war. Einen positiven Nebeneffekt hatten die Verunreinigungen, weil das verunreinigte Aluminium fester war als das heute übliche Reinaluminium, was sich vor allem beim Luftschiffbau als vorteilhaft erwies. 42 Zur Verwendung von Aluminium als Deox-Material: Carr, Seite 39: “In fact, the bulk of the early output went to steel companies who used it to prevent ‘blow holes’, the curse of early steelmakers”. 43 Carr, Seite 133. Ausführlich zur Strategie der Alcoa auch Smith, Seite 94 ff (vertical integration). 44 Über den Stand der Walzwerkstechnik vor dem Ersten Weltkrieg gibt ein Bericht des Betriebsleiters der Carl Berg AG Auskunft: Das Bandwalzwerk in Kupferhammer erhielt 1909 einen elektrischen Antrieb. 1910/1911 wurde ein neues Blockwalzwerk mit Walzenabmessungen von 850 mm Durchmesser und 3.000 mm Ballenlänge installiert. Dazu kamen drei Blechwalzgerüste und Vorwärme- und Glühöfen. Das Blockwalzwerk war mit einer Blocküberhebevorrichtung und Oberwalzenantrieb versehen. Als Kraftquelle dienten zwei Wasserturbinen mit angekuppeltem Walzenzugmotor von 250 PS. Nach dem ersten Weltkrieg stellte man auf der drei Meter breiten Walze große Bleche für Brauereitanks her (Aktenkonvolut Carl Berg im Westfälischen Wirtschaftsarchiv Dortmund, F 25 Nr. 4). 45 Zum Folienwalzen: AIAG-Geschichte II, Seite 23 ff. 46 Wolfgang Büchen: „Werdegang der Gießerei 1909–1959“ in Zeitschrift Gießerei 1959.687 ff. 47 Laut Carr (Seite 130) bestand das ursprüngliche Verfahren darin, den Zylinder einer vertikalen Presse mit geschmolzenem Aluminium zu füllen und das erstarrte Metall wie die Zahnpasta aus der Tube durch das am unteren Ende des Zylinders angebrachte Werkzeug zu pressen. 48 Wie Carr in seiner Firmengeschichte der Alcoa berichtet, kam die Gesellschaft auf dem Halbzeugsektor noch im Jahr 1915 mit drei Legierungen aus (Seite 141). Zur Entwicklung der Aluminiumlegierungen siehe auch Rauch, Seite 158 ff. 49 AIAG-Geschichte I, Seite 165 f zu der Erfindung Wilms: „Durch Zufall kam er zu einer bedeutenden Entdeckung. Eine eben geglühte und abgeschreckte Legierungsprobe blieb über das Wochenende liegen. Kontrollmessung am Montag ergab, dass die Härte des Metalls stark gestiegen war. Wilm ging der Beobachtung wissenschaftlich nach und entdeckte das Phänomen der Nachhärtung des Metalls durch Lagerung“. 50 Liste der wichtigsten Anwendungen bei Carr, Seite 110.
58 51 Zum Export von Aluminiumgeschirr nach Amerika: Fritz Grüber: „Die Entwicklung der Lüdenscheider Aluminiumwaren-Industrie“, Dissertation 1925, Seite 32. – AIAG-Geschichte I, Seite 89 f. 52 Ursprünglich hatte Pittsburgh mit einer Firma zusammengearbeitet, die die Kochgeschirre aus den von ihr gelieferten Blechen herstellte. Nachdem diese Firma in Zahlungschwierigkeiten geraten war, gründete Pittsburgh 1901 die „Aluminum Cooking Utensil Company“, die das von ihr hergestellte Küchengeschirr unter dem Warenzeichen „Wear-Ever“ mit großem Erfolg durch junge College-Studenten im Direktvertrieb von Haus zu Haus vertrieb (Carr, Seite 114). 53 Laut Carr (Seite 149) gingen in den USA vor Ausbruch des ersten Weltkrieges etwa 15.000 Tonnen Aluminium an die Automobilindustrie, 12.000 Tonnen an die Geschirrindustrie und 5.000 Tonnen als Deox-Material an die Stahlindustrie. 54 Zum Flugzeug der Gebrüder Orville und Wilbur Wright: Artikel in Schweizer Aluminium Rundschau 36 (1986), Seiten 22–24: „Das Aluminium in den USA“. 55 Carr, Seite 111: “In 1896 the army was using aluminum for pickets and tent pins and for canteens. Teddy Roosevelt carried an aluminum canteen as he led his men up San Juan Hill two years later”. 56 Dr. Walter Hostert: „Die Entwicklung der Lüdenscheider Industrie vornehmlich im 19. Jahrhundert“, Dissertation, Lüdenscheid 1960. 57 Die nachstehenden Darstellung stützt sich auf die in der Literaturübersicht genannten Firmengeschichten und anderen Quellen. 58 Bei der Carl Berg AG wurde bereits 1904 eine hydraulische Metallstrangpresse der Gruson-Werke mit einer Presskraft von 650 Tonnen mit Pumpe installiert. 1915/1916 folgte eine 2000-TonnenPresse und 1924 zwei weitere hydraulische Pressen (WWA Dortmund F 25 Nr. 4) 59 Siehe dazu auch Dr. Carl Berg (Sohn von Carl Berg): „David Schwarz – Carl Berg – Graf Zeppelin – Ein Beitrag zur Geschichte der Luftschifffahrt“, München 1926, Neudruck 1953. 60 Walter von Selve: „Bisherige Erfahrungen mit Leichtmetall bei Verbrennungsmotoren und im Automobilbau“, abgedruckt bei Joliet, Seite 24 ff ohne Quellenangabe. 61 Nachdem Wolff 1873 aus dem Unternehmen ausgeschieden war, wurde die Firma in Julius & August Erbslöh umbenannt (August war der Bruder des Firmengründers Julius).
3. Kapitel Die deutsche Aluminiumhüttenindustrie – ein Kind des Ersten Weltkrieges
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3.1 Sofortprogramm zur Beseitigung der akuten Versorgungskrise Schon bald nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges zeigte sich, dass das Deutsche Reich völlig unzureichende Vorkehrungen für die Rohstoffversorgung im Kriegsfall getroffen hatte. Man hatte weder Vorräte für kriegswichtige Rohstoffe angelegt noch die organisatorischen Maßnahmen vorbereitet, die für eine Sicherstellung der Rohstoffversorgung der Wirtschaft unter den Bedingungen des Krieges dringend notwendig waren. Versorgungsengpässe traten insbesondere bei den Nichteisenmetallen auf, bei denen Deutschland in hohem Masse auf Importe angewiesen war. Äußerst kritisch war die Versorgungslage bei Kupfer, das vor dem Krieg zu achtzig bis neunzig Prozent aus dem Ausland (vor allem den USA) importiert worden war. Aber auch bei der Versorgung mit Aluminium, dessen Bedeutung für die moderne Kriegsführung im Laufe des Krieges immer deutlicher zu Tage trat, ergaben sich bald Schwierigkeiten. Der Mangel an Aluminium war umso gravierender, als dieses Metall das noch knappere Kupfer auf vielen Anwendungsgebieten ersetzen sollte. Eine Erfassung der Aluminiumbestände im Frühjahr 1915 führte den zuständigen Stellen das ganze Ausmaß der Versorgungskrise vor Augen. Bei dieser Aktion, die sämtliche Bestände bei den Hütten und Verarbeitern, beim Handel und sogar bei Privaten erfasste, kamen gerade einmal 4.000 Tonnen Aluminium zusammen. Es rächte sich jetzt, dass Deutschland auf eine eigene Aluminiumerzeugung verzichtet hatte und den Aluminiumbedarf seiner Verarbeitungsindustrie fast ausschließlich durch Einfuhren deckte. Die einzige Produktionsstätte für Hüttenaluminium auf deutschem Boden, die von der AIAG betriebene Hütte in Rheinfelden, machte mit ihrer Produktion von 1.300 bis 1.400 Tonnen nicht einmal zehn Prozent des deutschen Aluminiumbedarfs in Friedenszeiten aus. Dem direkten Zugriff der deutsch-österreichischen Behörden unterlag auch das österreichische Hüttenwerk der AIAG in LendRauri bei Salzburg, das bei Kriegsausbruch eine Kapazität von knapp 2.000 Tonnen hatte. Weitere 800 Tonnen pro Jahr standen aus der Guilini-Hütte in Martigny in der
60 Schweiz zur Verfügung. Nur ein kleiner Teil des schnell wachsenden Kriegsbedarfs des Deutschen Reiches und seines österreichisch-ungarischen Verbündeten konnte durch die Produktion dieser Werke gedeckt werden. Da die Aluminiumlieferungen aus Frankreich und anderen Ländern der Entente nach Ausbruch des Krieges sofort eingestellt wurden, waren die Zentralmächte für die Versorgung ihrer Kriegswirtschaft in hohem Maße auf Lieferungen der AIAG aus ihren beiden Schweizer Hütten angewiesen2. Nachdem sich der Krieg im Westen nach der Marneschlacht im September 1914 festgefahren hatte, setzte sich bei der deutschen Kriegsführung die Erkenntnis durch, dass man sich auf eine längere Kriegsdauer einrichten musste und dass der alle Erwartungen übersteigende Materialverbrauch eine systematische Umstellung der Wirtschaft auf die Erfordernisse des Krieges unumgänglich machte. Im Oktober 1914 wurde im preußischen Kriegsministerium die so genannte „Kriegsrohstoffabteilung“ gebildet, die die Versorgung der deutschen Kriegswirtschaft mit Rohstoffen sicherstellen sollte3. Als erster Leiter der neuen Behörde wurde Walther Rathenau (1867–1924) berufen, der Sohn des AEG-Gründers Emil Rathenau und spätere deutsche Außenminister, von dem auch die Anregung zur Schaffung einer zentralen Rohstoffverwaltung ausgegangen war. Die Kriegsrohstoffabteilung war nach Rohstoffbereichen in Sektionen gegliedert. Zur Durchführung ihrer Lenkungs- und Kontrollaufgaben bediente sie sich privater Aktiengesellschaften, die als halbstaatliche Selbstverwaltungskörperschaften hoheitliche Befugnisse wahrnahmen aber auch selbst am Geschäftsverkehr teilnahmen. Aktionäre dieser Gesellschaften waren die wichtigsten Unternehmen der jeweiligen Branche, aus deren Reihen sich auch die Mitglieder der Vorstände und Aufsichtsräte rekrutierten. Die staatliche Aufsicht wurde durch einen oder mehrere Kommissare ausgeübt, die vom preußischen Kriegsministerium ernannt wurden. Für die Beschaffung, Verteilung und Verwertung von Nichteisenmetallen war die so genannte „Kriegsmetall AG“ zuständig, die im Frühjahr 1915 mit einem Aktienkapital von sechs Millionen Mark von 22 Unternehmen der NE-Metallbranche in Berlin gegründet wurde. Als staatliche Kommissare fungierten Walther Rathenau, Richard Tröger (Leiter der Metallsektion im preußischen Kriegsministerium) und der spätere langjährige Vorstandsvorsitzende der VAW, Max von der Porten, der schon bald zum de facto Leiter der Gesellschaft avancierte. Die mit umfassenden Befugnissen ausgestattete Kriegsmetall AG erfüllte ihre Aufgabe in enger Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft, scheute aber auch vor massiven Eingriffen in die Dispositionen der ihrer Kontrolle unterliegenden Unternehmen nicht zurück, wenn sie es für die Durchsetzung ihrer Ziele für erforderlich hielt (Rauch, Seite 130). Auf dem Aluminiumsektor konzentrierten sich die Aktivitäten der Kriegsrohstoffabteilung und der aus ihr hervorgegangenen Kriegsmetall AG zunächst auf die AIAG, deren Bedeutung als wichtigste Lieferquelle für Aluminium rasch erkannt worden war. Indessen waren auch die Lieferungen aus der Schweiz gefährdet, da die französische Regierung unmittelbar nach dem Ausbruch des Krieges die Bauxitgruben der AIAG im Departement Var und das
61 nahe gelegene Tonerdewerk der Gesellschaft in Saint Louis-Les-Ayglades bei Marseille beschlagnahmte und jegliche Lieferung von Bauxit, Tonerde oder Aluminium in die neutrale Schweiz verbot. Begründet wurden diese Maßnahmen damit, dass die AIAG von deutschem Kapital beherrscht werde und somit als feindliche Gesellschaft zu betrachten sei. Auch eine Intervention der Schweizer Bundesregierung führte nicht zur Aufhebung der Beschlagnahme. In derselben Lage befand sich auch die Gebr. Guilini GmbH in Ludwigshafen, die für die Bauxitversorgung ihrer Tonerdewerke in Mundenheim und Laibach/Slowenien auf die Förderung ihrer Bauxitgruben in Südfrankreich angewiesen war. Auch diese Gruben wurden von den französischen Behörden nach Kriegsausbruch unter Sequester gestellt und später als Feindvermögen enteignet 4. Für die Zentralmächte entstand dadurch eine äußerst kritische Lage. Die Bauxitvorräte bei der Firma Guilini und im Tonerdewerk der AIAG in Goldschmieden reichten für weniger als ein Jahr. Der drohende Zusammenbruch der Aluminiumversorgung konnte nur verhindert werden, wenn es gelang, in kürzester Zeit neue Bauxitquellen zu erschließen und die Produktion der Tonerdewerke von dem bisher verwendeten französischen Bauxit auf das neue Vormaterial umzustellen. Schürfungen nach Bauxit am Vogelsberg bei Gießen führten zu keinem befriedigenden Ergebnis. Erfolgreicher war eine Untersuchung, die die AIAG mit Unterstützung der österreichisch-ungarischen Behörden Ende 1914 bei Bihar in Siebenbürgen im damaligen Ungarn durchführte. Dort wurden ergiebige Vorkommen eines an Tonerde reichen Bauxits festgestellt, der allerdings härter und weniger leicht aufzuschließen war als der französische Bauxit. Für den Abbau dieser Vorkommen gründete die AIAG Anfang 1915 die „Ungarische Bauxit AG“, an der auch ungarische Interessen beteiligt waren. Schon nach wenigen Wochen konnte eine erste Lieferung von Bauxit mit der Bahn an die Tonerdefabrik der AIAG in Goldschmieden versandt werden. Eine weitere wichtige Quelle für die Bauxitversorgung der Zentralmächte waren die Vorkommen in Dalmatien und Istrien, die die Firma Guilini bereits vor dem Krieg in diesen damals zu Österreich-Ungarn gehörenden Gebieten erschlossen hatte. Zur Ausbeutung der dortigen Bauxitvorkommen gründete Guilini die „Bauxit AG“ mit Sitz in Fiume, die anfangs 1915 mit dem Abbau der Vorkommen begann. Da ein Seetransport wegen der alliierten Blockade nicht in Betracht kam, mussten die Bauxiterze mit mehrmaliger Umladung per Bahn und Binnenschiffen nach Ludwigshafen transportiert werden. Angesichts der schwierigen Versorgungslage spielten die Kosten in der Kriegszeit keine Rolle. Für die Verarbeitung des Bauxits standen das bereits erwähnte Tonerdewerk der AIAG-Tochter Bergius in Goldschmieden sowie die Produktionsanlagen der Gebr. Guilini in Mundenheim bei Ludwigshafen und in Laibach im österreichisch-ungarischen Slowenien zur Verfügung. Die AIAG erweiterte die Produktionskapazität in Goldschmieden mit höchster Priorität auf das maximal mögliche Niveau von 11.000 Tonnen, um den Verlust der französischen Rohstoffbasis wenigstens zum Teil auszugleichen. Als weitere wichtige Produktionsstätte für Tonerde kam Ende 1915 das Martinswerk der AIAG in Bergheim
62 bei Köln hinzu. Die AIAG hatte im Frühjahr 1914 mit der Errichtung dieser nach ihrem langjährigen Generaldirektor Martin Schindler benannten Tonerdefabrik begonnen, die Bauarbeiten aber nach Kriegsbeginn zunächst eingestellt. Im Einvernehmen mit der Kriegsmetall AG, in deren Planung das Werk eine wichtige Rolle spielte, wurden die Arbeiten Anfang 1915 wieder aufgenommen und zügig zu Ende geführt. Schon kurz nach der Aufnahme des Betriebes wurde in Bergheim eine erste Kapazitätserweiterung in Angriff genommen, der anfangs 1917 eine zweite Erweiterung folgte. Die Ende 1917 erreichte Endkapazität lag bei etwa 22.000 Tonnen. Mit Guilini schloss die Kriegsmetall AG anfangs 1915 einen ersten Liefervertrag, der die Firma verpflichtete, in den Monaten April bis September 1915 6.000 Tonnen Tonerde (teilweise aus Beständen) in die Schweiz zu liefern, wo sie in den Werken der AIAG zu Aluminium umgearbeitet werden sollte. Guilini übernahm es, ihre Produktion in Mundenheim baldmöglichst auf monatlich 1.000 Tonnen zu bringen und auf ihre Kosten die notwendigen Anlagen zu installieren. Bei dieser ersten Kapazitätserweiterung ist es nicht geblieben. Um den ständig wachsenden Bedarf an Tonerde decken zu können, hat Guilini seine Produktionskapazität im weiteren Verlauf des Krieges auf etwa 30.000 Jato ausgeweitet. Durch den zügigen Ausbau der Kapazitäten in Bergheim und Mundenheim konnte sichergestellt werden, dass die Hütten im deutsch-österreichischen Machtbereich (einschließlich der Schweizer Hütten der AIAG) ausreichend mit Tonerde versorgt wurden. Über Versorgungsengpässe wird jedenfalls nicht berichtet. Wegen der Beschlagnahme ihrer französischen Betriebstätten war die AIAG in eine weitgehende Abhängigkeit von den Zentralmächten geraten, die die Verfügungsmacht über die deutschen und österreichischen Hütten und Tonerdewerke der Gesellschaft besaßen und darüber hinaus auch die Rohstoffversorgung ihrer beiden Schweizer Hütten kontrollierten. Wenn die AIAG ihren Betrieb aufrechterhalten wollte, blieb ihr keine andere Wahl, als sich den Forderungen der deutschen und österreichischen Regierungen zu fügen. Die mit der Kriegsmetall AG und deren österreichischem Gegenstück Metallzentrale geschlossenen Verträge führten im Ergebnis dazu, dass die AIAG auch mit ihren Schweizer Hütten in die Kriegswirtschaft der Zentralmächte einbezogen wurde. Maximal zwanzig Prozent der Schweizer Hüttenproduktion durfte die AIAG für ihre eigenen Verarbeitungswerke in der Schweiz und für ihre Schweizer Kunden zurückbehalten. Die übrige Produktion musste an die Zentralmächte abgeliefert werden. Die Vereinbarungen zwischen AIAG und Kriegsmetall AG fanden auch die Billigung der offiziellen Stellen der Schweiz, die auf das Wohlwollen der Zentralmächte angewiesen waren, wenn sie die Versorgung der Schweiz mit Kohle und anderen lebensnotwendigen Rohstoffen sicherstellen und einen wirtschaftlichen Kollaps des Landes verhindern wollten5. In den vier Kriegsjahren 1915 bis 1918 hat die AIAG in ihren Werken in der Schweiz und im Ausland insgesamt 61.354 Tonnen Aluminium hergestellt und davon ca. 50.000 Tonnen an die Zentralmächte abgeliefert 6. Bis zum Jahr 1916 kam beinahe jede Tonne Aluminium, die im Gebiet der Zentralmächte verarbeitet wurde, aus den
63 Werken der AIAG. Die für die damalige Zeit beachtlichen Liefermengen waren nur möglich, weil die AIAG ihre Hüttenkapazitäten während des Krieges stark ausgeweitet hat. Die Aluminiumproduktion der Hüttenwerke der AIAG stieg von 11.243 Tonnen im Jahr 1913 auf 16.773 Tonnen im Jahr 1918. Den größten Anteil an dieser Produktionssteigerung hatte das Hüttenwerk Chippis im Kanton Wallis, das die AIAG auf der Basis neu erschlossener Wasserkräfte errichtet und 1908 in Betrieb genommen hatte. Bei Kriegsausbruch war das Werk in Chippis die größte Aluminiumhütte in Europa. Während des Krieges wurden die Produktionsanlagen mit höchster Priorität weiter ausgebaut. 1918 entfielen auf Chippis mit 12.500 Tonnen etwa drei Viertel der Gesamtproduktion der AIAG 7. Auch die Kapazität des Werkes in Lend wurde auf Verlangen der österreichisch-ungarischen Behörden während des Krieges von etwa 2.000 Tonnen auf 3.000 Tonnen im Jahr erweitert. Die Lieferungen der AIAG gingen ausschließlich an die Kriegsmetall AG und die österreichische Metallzentrale, die ihrerseits die Verteilung des Metalls an die Verarbeitungswerke vornahmen. Wegen der auf Kostenbasis kalkulierten Lieferpreise kam es immer wieder zu unerfreulichen Kontroversen über die Angemessenheit der in Rechnung gestellten Preise. Im Jahr 1917 setzte die AIAG eine Änderung des Vertrages durch, die ihr ab sofort Zahlung in Schweizer Franken zusicherte – angesichts der zunehmenden Schwäche der Reichsmark ein wichtiges Zugeständnis der deutschen Seite. Ein Teil der Rechnungsbeträge – etwa in Höhe der Selbstkosten – wurde weiterhin in bar bezahlt, der Restbetrag blieb bis ein Jahr nach Kriegsende gestundet. Zur Sicherstellung dieses ständig wachsenden Guthabens, das bei Kriegsende dreißig Millionen Franken erreichte, mussten Wertschriften bei Schweizer Banken hinterlegt werden. Als die deutsche Währung gegen Ende des Krieges immer mehr an Wert verlor, wurde das Depot auf Verlangen der AIAG laufend durch Nachschüsse aufgestockt. Nach Kriegsende hat das Deutsche Reich die von der Kriegsmetall AG eingegangenen Verpflichtungen in voller Höhe eingelöst, wenn auch mit einer Verzögerung von einem Jahr. Für die AIAG und ihre Aktionäre haben sich die Lieferungen an die Zentralmächte gelohnt. Der Reingewinn der Gesellschaft, der im letzten Friedensjahr 1914 6,6 Millionen Franken betragen hatte, erreichte im Durchschnitt der vier Kriegsjahre 14,3 Millionen Franken, was einer Kapitalrendite von etwa 27 Prozent entsprach. Im Spitzenjahr 1917 machte der Gewinn mit 19,4 Millionen Franken sogar mehr als fünfzig Prozent des eingezahlten Aktienkapitals aus 8. Ergebnisse in dieser Höhe hat die AIAG weder vor dem Krieg noch in den Jahren bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges je wieder erzielt. Auch die Aktionäre der Gesellschaft (darunter deutsche Unternehmen und Privatpersonen!) kamen auf ihre Kosten. Die AIAG zahlte in den Jahren 1914– 1917 bei einer jährlichen Dividende von zwanzig Prozent und hoch dotierten Abschreibungen und Rückstellungen die noch ausstehenden vierzig Prozent des Aktienkapitals von 35 Millionen Franken aus eigenen Mitteln ein und gewährte 1918 zusätzlich zu der Dividende Gratisaktien im Verhältnis fünf zu eins 9.
64
3.2 Der Bau der Kriegshütten Es war schon bald abzusehen, dass die Lieferungen der AIAG nicht annähernd ausreichen würden, um den rasch wachsenden Aluminiumbedarf der deutschen und österreichischen Kriegswirtschaft zu decken. Um der akuten Mangellage abzuhelfen, beschloss die deutsche Heeresleitung im Frühjahr 1915 ein mit höchster Dringlichkeit ausgestattetes Notprogramm, das den Bau von zwei (später drei) kleinen Aluminiumhütten mit einer Gesamtkapazität von etwa 9.000 Tonnen pro Jahr vorsah10. Mit der Durchführung dieses Programms wurde die Kriegsmetall AG beauftragt. Sie sollte die geplanten Hütten in Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft in der kürzest möglichen Zeit errichten. Die Kriegsmetall AG vergab den Bauauftrag an ein von der Metallgesellschaft und der Chemischen Fabrik Griesheim-Elektron für diesen Zweck gebildetes Konsortium. Wie in einem früheren Kapitel berichtet, hatten diese beiden Firmen in den Jahren 1906 bis 1908 Pläne für den gemeinsamen Bau einer Aluminiumelektrolyse ausgearbeitet, sie aber wegen der damals einsetzenden weltweiten Aluminiumkrise zunächst nicht verwirklichen können. Kurz vor Ausbruch des Krieges hatten sie ihr Projekt auch den staatlichen Stellen vorgelegt, waren aber dort auf kein Interesse gestoßen11. An diese Gespräche erinnerte man sich jetzt im preußischen Kriegsministerium, als man nach geeigneten Partnern in der Privatwirtschaft Umschau hielt. Die anfangs Juni 1915 mit dem MG-Griesheim-Konsortium aufgenommenen Verhandlungen führten schon nach kurzer Zeit zum Abschluss eines vorläufigen Vertrags. Seine endgültige Fassung erhielt der so genannte Bauvertrag erst im September 1916, als die Aluminiumerzeugung in den neuen Hütten schon längst im Gange war. Das Konsortium verpflichtete sich zunächst zum Bau von zwei Aluminiumhütten, von denen die eine in Rummelsburg bei Berlin und die andere in Horrem im Kölner Braunkohlenrevier errichtet werden sollte12. Noch vor Fertigstellung der beiden Hütten erteilte die Kriegsmetall AG dem Konsortium den Auftrag zur Errichtung einer weiteren Hütte. Diese sollte auf dem Werksgelände der Firma Griesheim-Elektron in Bitterfeld bei Leipzig gebaut werden, wo die reichlich vorhandene Braunkohle auch langfristig eine sichere Energieversorgung gewährleistete. An den Baukosten der drei Hütten (von denen Rummelsburg dem Reich gehörte, während die Hütten in Horrem und Bitterfeld im Eigentum des Konsortiums standen) beteiligte sich das Reich mit einem verlorenen Zuschuss. Dadurch sollte der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Rummelsburg von vornherein nur als Provisorium für die Kriegsdauer gedacht war und auch für die beiden anderen „Kriegshütten“ wegen der kriegsbedingten Verteuerung der Anlagen und ihrer ungewissen Lebensdauer beträchtliche Risiken und Erschwernisse bestanden. Für den Bau der Elektrolysen in Horrem und Bitterfeld konnte man auf die Pläne zurückgreifen, die die Konsortialfirmen den staatlichen Stellen kurz vor Kriegsausbruch unterbreitet hatten. Darin hatten sie die Verwendung einer verbesserten Version
65
Abb. 11: Ofenhalle im Werk Rummelsburg (1915)
des Elektrolyseofens vorgeschlagen, den die Ingenieure und Techniker von GriesheimElektron in den Jahren 1906–1908 in der Versuchsanlage in Bitterfeld entwickelt hatten. Dieser für eine Belastung mit 12.000 Ampere ausgelegte Ofentyp kam in allen drei Kriegshütten zum Einsatz und wurde später auch in der vom Konsortium errichteten Elektrolyse in Lauta verwendet. Im Werk Rummelsburg wurden zwei Ofensysteme mit je 80 Öfen dieses Typs installiert, mit denen eine Jahresproduktion von 3.000 Tonnen erreicht werden sollte. Die Hütte in Bitterfeld war mit vier Systemen mit je 40 Ofeneinheiten ausgerüstet, mit denen man ebenfalls 3.000 Tonnen pro Jahr produzieren wollte. Die etwas kleinere Hütte in Horrem verfügte über drei Systeme von je 40 Öfen mit einer Nennkapazität von 2.400 Jato. Die rechteckigen, etwa zwei Meter mal einem Meter großen Elektrolysewannen waren mit zehn Blockanoden bestückt, die in zwei Reihen eingesetzt waren13. Der Griesheim-Elektron-Ofen hat sich in der Kriegs- und Nachkriegszeit gut bewährt und blieb mit gewissen Modifikationen bis in die 30er Jahre die Standardausrüstung der deutschen Aluminiumhütten. Die Höchstverbrauchszahlen für Rohstoffe und elektrische Energie, die das Konsortium in dem Vertrag mit der Kriegsmetall AG garantieren musste, konnten trotz der erschwerten Produktionsbedingungen im Krieg deutlich unterschritten werden, insbesondere blieb der spezifische Stromverbrauch
66 „um mehreren Kilowattstunden“ unter dem garantierten Höchstwert von 30 kWh pro Kilogramm erzeugten Aluminiums14. Die Anlage in Bitterfeld erhielt ihren Strom aus einem Braunkohlekraftwerk, das die Firma Griesheim-Elektron am selben Ort für andere Zwecke errichtet hatte und jetzt durch die Aufstellung einer zusätzlichen 12.500 KW-Turbine erweiterte. Auch das Hüttenwerk in Horrem konnte aus bereits vorhandenen Stromerzeugungskapazitäten versorgt werden. Schwieriger gestaltete sich die Versorgung der Hütte in Rummelsburg, wo man auf Stromlieferungen aus dem Netz der Berliner Elektrizitäts-Werke angewiesen war, was zu erheblichen Einschränkungen in der zivilen Stromversorgung im Großraum Berlin führte. Erst 1918 übernahm das im Krieg erbaute Großkraftwerk Zschornewitz im Lausitzer Braunkohlerevier über eine 130 km lange Aluminiumleitung die Versorgung der Hütte. Die Hütten in Rummelsburg und Horrem wurden in der Rekordzeit von weniger als sechs Monaten fertig gestellt und nahmen Ende 1915 bzw. Anfang 1916 den Betrieb auf. Mitte 1916 konnte auch die Hütte in Bitterfeld angefahren werden. Beim Bau und bei der Inbetriebnahme der neuen Hütten blieben Pannen nicht aus, deren Überwindung hohe Anforderungen an die Improvisationskunst der Ingenieure und des Betriebspersonals stellte. In Rummelsburg gelang es nicht, die benötigten Anlagen für die Umformung des vom Kraftwerk gelieferten Wechselstroms kurzfristig zu beschaffen. Das um Hilfe angegangene Kriegsministerium beschlagnahmte darauf kurzerhand Gleichstromanlagen der Berliner Straßenbahn sowie weitere Anlagen in den Städten Göttingen, Hagen und Strassburg und stellte sie der Hütte für die Dauer des Krieges zur Verfügung. Es dauerte geraume Zeit, bevor es der Werksleitung gelang, die aus Maschinen unterschiedlicher Bauart und Größe zusammen gewürfelte Anlage zur vollen Leistung zu bringen. Über Anlaufprobleme in der Hütte in Horrem berichtet die Firmengeschichte der VAW: „Der Start der Anlage schien unter einem ungünstigen Stern zu stehen. Kurze Zeit nach der Aufnahme des Betriebes wurde ein Hochspannungskabel defekt, am folgenden Tag auch das Reservekabel. Hierdurch kam die ganze Anlage zum Stillstand, die Elektrolysebäder erkalteten. Aber es gelang den Schaden in wenigen Tagen zu beheben und auch die Bäder ohne größeren Materialverlust wieder in Gang zu bringen“ (VAW-Geschichte I, Seite 20). Ungeachtet aller Probleme und Schwierigkeiten erreichte die Produktion der drei neuen Hütten im ersten Produktionsjahr 1916 bereits etwa 5.000 Tonnen. In den beiden folgenden Jahren lag sie mit 10.270 Tonnen (1917) und 9.450 Tonnen (1918) deutlich über der ursprünglichen Zielkapazität, die mit 8.400 Jato offensichtlich zu niedrig angesetzt worden war. Wie die Produktionszahlen der Jahre 1917 und 1918 belegen, betrug die tatsächliche Kapazität der drei Hütten fast 11.000 Tonnen. Einziger Abnehmer war die Kriegsmetall AG, die ihrerseits für die Belieferung mit den benötigten Rohstoffen sorgte. Die Tonerde stammte überwiegend aus dem Ludwigshafener Werk der Gebrüder Guilini, das gleichfalls mit finanzieller Hilfe des Reiches ausgebaut wurde. Schwierig war die Beschaffung von hochwertigem Kohlestoff, der für die Herstellung der Anoden und Kathoden unverzichtbar war. Als Ersatz für den vor dem Krieg ver-
67 wendeten amerikanischen Petrolkoks diente der so genannte Pechkoks, der bei der Verkokung von Pech als Rückstand anfiel. Die Anoden wurden zum Teil in der Griesheimer Elektroden-Fabrik selbst gefertigt, zum Teil von Fremdfirmen bezogen. Nach der Errichtung der Aluminiumhütte in Grevenbroich trug auch die dortige Anodenfabrik zur Versorgung der Kriegshütten mit Anoden bei. Als Badmaterial wurde anstelle des grönländischen Kryoliths, dessen Einfuhr durch die Alliierten unterbunden wurde, synthetischer Kryolith verwendet, der von der chemischen Industrie geliefert wurde. Durch den Bau der Hütten in Rummelsburg, Horrem und Bitterfeld ist es der deutschen Führung gelungen, den drohenden Zusammenbruch der Aluminiumversorgung abzuwenden. Nach der Fertigstellung dieser Hütten verfügten die Zentralmächte über eine Produktionskapazität von 15.000 bis 16.000 Tonnen Aluminium pro Jahr. Davon entfielen knapp 11.000 Tonnen auf die drei neuen Hütten, etwa 1.500 Tonnen auf die AIAG-Hütte in Rheinfelden und weitere 3.000 Tonnen auf die Aluminiumhütte der AIAG in Lend. Die tatsächliche Produktion blieb allerdings hinter den genannten Kapazitätszahlen zurück. Sie betrug in den beiden letzten Kriegsjahren etwa 14.000 Tonnen pro Jahr. 1918 kam noch die Produktion der neuen Hütte in Grevenbroich hinzu, über die wir später berichten werden. Dieses Werk nahm Ende 1917 mit einem Teil der Öfen den Betrieb auf und produzierte bis zum Ende des Krieges insgesamt 3.450 Tonnen Aluminium. Einige hundert Tonnen steuerte eine in den Jahren 1916/ 1917 von der Firma Stern & Hafferl in Steeg bei Gmunden in Österreich errichtete Hütte zur Aluminiumversorgung der Zentralmächte bei15. Aus der Schweiz flossen der deutsch-österreichischen Kriegswirtschaft in den beiden letzten Kriegsjahren 11.000 bis 12.000 Tonnen Aluminium pro Jahr zu, sodass ab dem Jahr 1917 mit einem jährlichen Gesamtaufkommen von 25.000 bis 28.000 Tonnen gerechnet werden konnte. Tabelle 2: Aluminiumproduktion der Zentralmächte 1917/1918 16 Tonnen
1917
1918
Rummelsburg Horrem Bitterfeld
3.740 2.940 3.590
3.200 2.500 3.750
10.270
9.450
1.500
1.360 3.450 200
11.770
14.460
2.500 200
2.500 700
2.700
3.200
14.470
17.660
Kriegshütten Rheinfelden Erftwerk Lautawerk Deutsches Reich Lend Steeg Österreich-Ungarn Zentralmächte insgesamt
68 Wenn auch mit dieser Menge für den dringendsten Bedarf gesorgt war, blieb Aluminium für die Rüstungswirtschaft der Zentralmächte bis zuletzt ein äußerst knappes Gut. Durch die Kontrolle über die Rohmetallversorgung und durch Verwendungsverbote sorgte die Kriegsmetall AG dafür, dass Aluminium nur noch für kriegswichtige militärische Zwecke verwendet wurde. Die Folienwalzwerke der AWAG in Singen und Teningen mussten schon kurz nach Kriegsausbruch den Betrieb einstellen, da für Aluminiumfolien in der Kriegswirtschaft kein Bedarf bestand. Andere Verarbeiter mussten auf Anordnung der Behörden ihre Produktion auf Rüstungsprodukte umstellen. So produzierte die Lüdenscheider Geschirrindustrie im Krieg Zünder und andere Geschossteile aus Aluminium sowie Halbfabrikate für den Flugzeugund Luftschiffbau. Als das Aluminium im Laufe des Krieges immer knapper wurde, ersetzte man es in vielen Anwendungsbereichen durch andere Metalle. Zuletzt durfte Aluminium fast nur noch in der Luftfahrt- und Automobilindustrie und für die Herstellung von Drähten und elektrischen Leitungen verwendet werden17. Große Anstrengungen wurden unternommen, um alles verfügbare Altmetall zu erfassen und wieder einzuschmelzen. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, private Gegenstände aus Aluminium und anderen Sparmetallen zum Umschmelzen abzuliefern. Aus der Not geboren, entstanden so im Krieg die ersten Aluminiumumschmelzwerke. Die Anfänge der Sekundäraluminiumindustrie sind mit den Namen Fritz Honsel und Karl Schmidt verbunden, die in ihren Schmelzwerken in Meschede bzw. Heilbronn erstmals in Deutschland Schrotte im industriellen Maßstab zu Aluminiumlegierungen verarbeiteten. Das Umschmelzwerk in Meschede erzeugte ab September 1917 monatlich 300 Tonnen Legierungen nach vorgeschriebenen Analysen. Abnehmer waren vor allem die Rüstungsbetriebe, in denen das Umschmelzaluminium zu Granatzündern verarbeitet wurde18. Es war der Kriegsgott Mars, der das Recycling in Deutschland aus der Taufe hob! Seit dem Frühjahr 1916 wurde in der deutschen Heeresleitung über einen weiteren Ausbau der Aluminiumindustrie nachgedacht. Ausgelöst wurden diese Überlegungen durch den enttäuschenden Verlauf des Krieges. Die Hoffnung auf eine baldige siegreiche Beendigung der Auseinandersetzung hatte man längst aufgegeben. Im Westen waren die Fronten zum Stellungskrieg erstarrt. Die Zermürbungsschlacht vor Verdun, wo die deutsche Führung seit Januar 1916 die Entscheidung durch Abnutzung der gegnerischen Kräfte erzwingen wollte, und demnächst die Schlacht an der Somme, die von beiden Seiten mit einem beispiellosen Einsatz von Material ausgetragen wurde, ließen den Bedarf an Rüstungsgütern aller Art ins Unermessliche wachsen. Mit der zunehmenden Technisierung der Kriegsführung und dem ungeheuren Materialverschleiß schoss auch der Bedarf an Aluminium in die Höhe. Schon vor dem Krieg hatten die Heeresverwaltungen zu den wichtigsten Kunden der Aluminiumindustrie gezählt. Feldflaschen, Töpfe und Zeltgarnituren aus Aluminium gehörten zur Standardausrüstung der meisten Armeen. Diese Ausrüstungsgegenstände mussten jetzt in Mengen hergestellt werden, die ein Vielfaches der Friedensproduktion betrugen. Die Entwick-
69 lung neuer Legierungen und Verarbeitungstechniken in den Jahren vor Ausbruch des großen Krieges hatte neue Anwendungsgebiete für das Aluminium eröffnet, die auch für die Kriegsführung von größter Bedeutung waren. Aluminium benötigte man im Krieg vor allem für die Herstellung von Flugzeugen, Luftschiffen und Automobilen, die von den Rüstungsbetrieben der am Krieg beteiligten Länder in immer größeren Serien für den militärischen Bedarf produziert wurden. Die deutsche Flugzeugindustrie, die erst während des Krieges aus kleinsten Anfängen entstanden war, produzierte im Laufe des Krieges rund 48.000 Flugzeuge und Luftschiffe19. Für Flugzeugmotoren wurden schon damals Kolben aus Aluminiumguss verwendet, die zwar eine kürzere Lebensdauer als Kolben aus Eisenguss hatten, diesen Nachteil aber durch ihr geringeres Gewicht mehr als kompensierten. Aus Aluminiumguss wurden auch Kurbelgehäuse, Ölwannen und Ölpumpen hergestellt. Aluminiumteile machten etwa ein Drittel des Gesamtgewichts eines Flugzeugmotors aus. Aluminiumbleche kamen für Benzintanks und Einzelteile des Flugzeugrumpfes und der Kabine zum Einsatz20. Seitdem mit Duralumin eine Legierung zur Verfügung stand, die die notwendige Festigkeit hatte, konnte Aluminium auch im konstruktiven Bereich eingesetzt werden. Auf diesem Gebiet war das Deutsche Reich den Alliierten, die die Verwendungsmöglichkeiten der neuen Legierungen erst spät erkannten, weit voraus. Wichtigstes Anwendungsgebiet im Krieg waren die in der Zeppelinwerft in Friedrichshafen für Marine und Heer gebauten Luftschiffe, die man zunächst für Beobachtungszwecke, im weiteren Verlauf des Krieges aber vor allem für Bombenangriffe auf englische Städte einsetzte. Für jedes der 130 während des Krieges gebauten Luftschiffe wurden etwa dreißig Tonnen Duralumin verarbeitet. Im Flugzeugbau hielt man dagegen an der herkömmlichen Holzbauweise fest. Erst in den letzten Kriegsjahren wurde das Holzgerüst bei einzelnen Modellen durch ein Gestell aus Stahlrohren oder Aluminiumrohren ersetzt. Für die Außenhaut der Flugzeuge blieb es fast ausnahmslos bei der Stoffbespannung. Obwohl Hugo Junkers schon im Jahr 1915 ein aus Stahlblechen konstruiertes Flugzeug erprobt und 1917 mit der Junkers J 9 ein erstes Ganzaluminiumflugzeug serienmäßig hergestellt hatte, setzte sich diese Bauweise erst nach dem Ende des Krieges durch. Nur wenige Exemplare des neuen Flugzeugtyps kamen 1918 noch zum Einsatz 21.
3.3 Aufbau einer nationalen Hüttenaluminiumindustrie In einer Denkschrift vom März 1916 unterbreitete der damalige Leiter der Metallsektion im preußischen Kriegsministerium den Vorschlag, es nicht bei dem Provisorium der Kriegshütten zu belassen, sondern weitere Maßnahmen einzuleiten, die dem Ziel dienten, eine nationale deutsche Aluminiumhüttenindustrie aufzubauen. Der Verfasser begründete seinen Vorschlag nicht nur mit den militärischen Notwendigkeiten des Augenblicks sondern verwies auch auf die volkswirtschaftliche Bedeutung einer eige-
70 nen deutschen Aluminiumerzeugung in Friedenszeiten. Dabei ging es ihm vor allem um die weitest mögliche Ersetzung des importierten Kupfers durch Aluminium und andere Metalle 22. Wie die weiteren Ereignisse beweisen, fielen seine Anregungen auf fruchtbaren Boden. Schon wenige Wochen nach Vorlage der Denkschrift beschloss die Reichsleitung den Bau einer großen Aluminiumelektrolyse in der Nähe von Grevenbroich im linksrheinischen Braunkohlerevier. Die neue Hütte sollte eine Kapazität von zunächst 6.000 Tonnen pro Jahr haben. Ein eigenes Braunkohlekraftwerk in unmittelbarer Nähe der Hütte sollte eine sichere und kostengünstige Stromversorgung gewährleisten. Am selben Standort sollte eine Tonerdefabrik und eine Anlage zur Herstellung von Anoden errichtet werden, um die Elektrolyse auch bei der Rohstoffversorgung von Zulieferungen unabhängig zu machen. Wie schon beim Bau der drei Kriegshütten war das Reich auch bei der Realisierung dieses Vorhabens auf die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft angewiesen. Nachdem Sondierunggespräche mit der AIAG zu keinem Ergebnis geführt hatten23, wandte man sich an die Firma Gebr. Guilini, die damals neben den Mitgliedern des MG-Griesheim-Konsortiums das einzige deutsche Unternehmen war, das über einschlägige Kenntnisse und Erfahrungen verfügte. Es war ja nur wenige Jahre her, dass die Firma Guilini bei den Reichsbehörden vorstellig geworden war und Pläne für zwei Aluminiumelektrolysen vorgelegt hatte, die sie mit Hilfe des Reiches in Grevenbroich und in Töging am Inn errichten wollte. Auf diese Pläne und anderen Vorarbeiten konnte man jetzt zurückgreifen. Die Firma Guilini sollte das für den Bau und den Betrieb der Hütte benötigte technische Know-how liefern und auch für die Errichtung der Tonerdefabrik und der Anodenanlage verantwortlich sein. Der Bau des Kraftwerkes wurde dem RWE übertragen, das im Raume Grevenbroich bereits mehrere eigene Kraftwerke betrieb24. Während in den drei Kriegshütten (und später auch in Lauta) von vornherein Elektrolyseöfen von rechteckigem Grundriss zum Einsatz kamen, entschied sich Guilini beim Bau des Erftwerks für eine weiterentwickelte Version des in der konzerneigenen Hütte in Martigny installierten Rundofens, der sich dort nach anfänglichen Schwierigkeiten gut bewährt hatte. In einem Eisenkessel von 265 cm Durchmesser mit 86 cm hohen senkrechten Wänden waren zwölf Anoden in drei Reihen angeordnet, die eine Belastung des Ofens mit 12.000 Ampere zuließen. Geplant waren sechs Serien (später erhöht auf 12 Serien) dieses Zellentyps mit einer Systemspannung von 250 Volt 25. Den ursprünglichen Gedanken, die Tonerdeversorgung der neuen Hütte durch eine eigene Tonerdefabrik sicher zu stellen, ließ man schon bald fallen. Stattdessen sollte der Tonerdebedarf durch Lieferungen der Firma Guilini gedeckt werden, die sich verpflichtete, ihre Werksanlagen in Mundenheim im erforderlichen Umfang zu erweitern. Das Reich wollte mit Darlehen und Zuschüssen zur Finanzierung des Kapazitätsausbaus beitragen. Auch der Bau eines eigenen Kraftwerkes wurde auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Um Kosten zu sparen und auch im Interesse einer zügigen Durchführung des Projektes wurde mit dem RWE vereinbart, dass dieses seine Kraft-
71
Abb. 12: Tonerdefabrik und Aluminiumhütte in Lauta
werkskapazitäten im Raume Grevenbroich erweitern und die Hütte solange mit Strom beliefern sollte, bis ein eigenes Kraftwerk die Versorgung übernehmen würde. Eine weitere wichtige Änderung der ursprünglichen Planung betraf die Kapazität der Hütte. Wegen der unverändert schwierigen Versorgungslage bei Aluminium hielten die Reichsbehörden die ursprünglich geplante Kapazität von 6.000 Jato für unzureichend. Noch ehe die Bauarbeiten an der Elektrolyse begonnen hatten, wurde Ende 1916 beschlossen, die Kapazität der Anlage auf 12.000 Jato zu verdoppeln. Für die Bauzeit der Hütte war ein Zeitraum von knapp neun Monaten angesetzt worden, was eine Inbetriebnahme Mitte März 1917 bedeutet hätte. Unter den schwierigen Bedingungen des sich in die Länge ziehenden Krieges erwies sich diese überaus ehrgeizige Planung jedoch als unrealistisch. Erst in den letzten Tagen des Jahres 1917 konnte die erste Ofenreihe angefahren werden. Bis zur Beendigung des Krieges am 11. November 1918 produzierte die neue Hütte ganze 3.450 Tonnen Aluminium. Die Fertigstellung der Gesamtanlage einschließlich der Nebenbetriebe zog sich noch mehrere Jahre nach dem Ende des Krieges hin26. Es stand von vornherein fest, dass das Reich die Hauptlast der Finanzierung des Hüttenbaus in Grevenbroich tragen würde. Eine Finanzierung durch die beiden Privatfirmen kam schon deshalb nicht in Betracht, weil man kriegsbedingt mit stark überhöhten Baukosten rechnen musste und bei den ständig steigenden Arbeits- und Materialkosten eine auch nur einigermaßen zuverlässige Kalkulation nicht möglich war.
72 Das Reich war aber nicht bereit, die notwendigen Mittel in Form von verlorenen Zuschüssen zur Verfügung zu stellen, wie dies im Falle der Kriegshütten praktiziert worden war. Wenn man schon den größten Teil des finanziellen Risikos übernehmen sollte, wollte man auch an den Chancen einer Gewinn bringenden Entwicklung partizipieren, die für die Friedenszeit zu erwarten war. Dies sollte durch eine Beteiligung des Reiches am Kapital der Trägergesellschaft erreicht werden. Am 16. September 1916 gründete das Reich – vertreten durch das Reichsschatzamt – gemeinsam mit dem RWE und der Firma Guilini die Erftwerk AG mit Sitz in Grevenbroich. Da das Reich nach außen nicht in Erscheinung treten wollte, wählte man einen neutralen Namen und benannte die neue Gesellschaft nach dem Erft-Flüßchen, das an Grevenbroich vorbei in den Rhein fließt. Die Gesellschaft wurde mit einem Aktienkapital von 25 Millionen Mark ausgestattet. Davon entfielen neun Millionen Mark auf Vorzugsaktien, die von den drei Partnern zu gleichen Teilen übernommen wurden. Der Restbetrag von sechzehn Millionen Mark wurde durch so genannte Stammaktien repräsentiert, die sämtlich vom Reich gezeichnet wurden. Die Stammaktien waren zwar stimmberechtigt, nahmen aber am Gewinn nur mit maximal fünf Prozent teil und sollten über einen Zeitraum von fünfzig Jahren zurückgezahlt werden. Trotz seiner großen Mehrheit am Aktienkapital hatte das Reich keine beherrschende Stellung im Unternehmen. Im Gesellschaftsvertrag war vereinbart, dass das Reich die privaten Beteiligten nicht überstimmen konnte. Zusätzlich zu seinem Anteil am Aktienkapital stellte das Reich weitere 44 Millionen Mark für die Finanzierung des Vorhabens zur Verfügung, die größtenteils als Darlehen, zum kleineren Teil auch als so genannte Teuerungszuschüsse gewährt wurden. Weiteren Auftrieb bekamen die Pläne für den Aufbau einer nationalen deutschen Aluminiumhüttenindustrie, nachdem General von Hindenburg und sein Generalstabschef Ludendorff Mitte 1916 in die Oberste Heeresleitung berufen worden waren. Das besondere Interesse der neuen Heeresleitung galt den Problemen der wirtschaftlichen Kriegsführung. Mit dem so genannten „Hindenburg-Plan“ sollte die deutsche Wirtschaft stärker als bisher auf die Bedürfnisse des Krieges ausgerichtet werden, damit eine ausreichende Versorgung des Heeres mit Waffen, Munition und anderem kriegswichtigem Material sichergestellt werden konnte. Dem Aluminium wurde im Hindenburg-Plan ein wichtiger Platz eingeräumt. Seiner wachsenden Bedeutung als strategisches Material für die Kriegsführung und für die Versorgung der Wirtschaft in Friedenszeiten wollte man durch ein umfangreiches Investitionsprogramm Rechnung tragen27. Damit die deutsche Wirtschaft in Zukunft nicht mehr auf Aluminiumimporte aus dem Ausland angewiesen war, sollten drei Hütten mit einer Kapazität von jeweils 10.000 bis 12.000 Tonnen pro Jahr errichtet werden. Um eine sichere und möglichst kostengünstige Stromversorgung zu gewährleisten, sollte jede Hütte über ihr eigenes Kraftwerk verfügen. Die Rohstoffversorgung sollte durch den Bau neuer und die Erweiterung vorhandener Tonerdefabriken und Anlagen für die Herstellung von Anoden sichergestellt werden. Als ersten Schritt zur Verwirklichung dieses Programms be-
73 trachtete man den bereits vor der Verabschiedung des Hindenburg-Planes beschlossenen Bau der Aluminiumhütte in Grevenbroich, der zügig vorangetrieben werden sollte. Bei der Entscheidung zugunsten des Standorts Grevenbroich hatte den Ausschlag gegeben, dass im rheinischen Braunkohlerevier eine kostengünstige Stromversorgung für lange Zeit sichergestellt war. Auch bei der Standortwahl für die beiden anderen Hütten war die langfristige Verfügbarkeit billiger Energie das entscheidende Kriterium. Die eine der beiden Hütten sollte entsprechend den von Guilini unterbreiteten Vorschlägen in Töging am Inn auf der Basis von Wasserstrom errichtet werden. Für die andere Hütte suchte man einen geeigneten Standort im mitteldeutschen Braunkohlerevier. Nach dem Vorbild des Erftwerkes sollten beide Hütten unter Beteiligung privatwirtschaftlicher Partner in der Form eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens errichtet und betrieben werden. Oberste Priorität wurde dem Hüttenprojekt in Mitteldeutschland eingeräumt. Während man bei dem Bau der Hütten in Grevenbroich und Töging auf die Pläne und Vorarbeiten der Firma Guilini zurückgreifen konnte, betrat man mit dem mitteldeutschen Vorhaben völliges Neuland. Für diese Hütte wurden als privatwirtschaftliche Partner die Metallgesellschaft und die Firma Griesheim-Elektron ausgewählt, die ihre Kompetenz beim Bau und Betrieb der Kriegshütten bewiesen hatten. Die Verhandlungen zwischen dem Reich und dem aus diesen beiden Firmen gebildeten Konsortium wurden im Juli 1916 aufgenommen. Sie erwiesen sich als äußerst schwierig und zogen sich bis in das Frühjahr 1917 hin. Man einigte sich zwar schnell darauf, dass sich Reich und Konsortium zu gleichen Teilen am Kapital der neuen Gesellschaft beteiligen würden. Einigkeit bestand auch darüber, dass das Konsortium seine Hütten in Horrem und Bitterfeld samt den für diese Werke abgeschlossenen Stromverträgen in die gemeinsame Gesellschaft einbringen würde und ferner, dass auch die Hütte in Rummelsburg, die dem Reich gehörte, auf die neue Gesellschaft übergehen solle. Unterschiedliche Auffassungen gab es vor allem in der Frage, wer in dem gemeinsamen Unternehmen die Führungsrolle übernehmen solle. Die Vertreter des Konsortiums lehnten den Wunsch des Reiches nach paritätischer Besetzung der Gesellschaftsorgane ab, da sie eine bürokratische Behinderung der Geschäftsführung befürchteten. Man verständigte sich schließlich auf einen Kompromiss: Das Reich übertrug dem Konsortium die alleinige Verantwortung für die Führung des Unternehmens, behielt sich aber ein Vetorecht in allen wichtigen Angelegenheiten vor. Auf den Widerstand des Konsortiums stieß auch die Forderung der Verhandlungsführer des Reiches nach Einräumung einer Option, die es dem Reich ermöglicht hätte, die Anteile des Konsortiums nach Ablauf von fünfzehn Jahren zu übernehmen. In diesem Punkt blieben die Vertreter des Reiches hart, konzedierten aber schließlich eine Verlängerung der Frist auf dreißig Jahre. Nach Abschluss der schwierigen Verhandlungen wurde am 20. April 1917 die Vereinigte Aluminium-Werke AG mit Sitz in Lauta gegründet 28. Die von den Gründern gewählte Firmenbezeichnung sollte zum Ausdruck bringen, dass die neue Gesellschaft nach ihren Vorstellungen der Kristallisationspunkt der entstehenden deut-
74 schen Aluminiumindustrie werden sollte. Am Aktienkapital von 50 Millionen Mark waren das Reich zur Hälfte und die beiden Mitglieder des Konsortiums zu je einem Viertel beteiligt. Die Sacheinlage des Konsortiums wurde mit 14,5 Millionen Mark bewertet, womit neben den beiden Hütten in Horrem und Bitterfeld auch das von ihnen eingebrachte Know-how abgegolten war. Zur Finanzierung des Vorhabens stellte das Reich weitere 75 Millionen Mark in Form eines Genussscheinkapitals zur Verfügung und erklärte sich bereit, auch einen darüber hinausgehenden Finanzbedarf zu decken, falls es zu Budgetüberschreitungen kommen sollte. Im Herbst 1917 hatte man in Lauta im Braunkohlerevier in der Lausitz ein geeignetes Fabrikgelände gefunden. Für diesen Standort sprach vor allem die Tatsache, dass die bisher kaum erschlossenen Braunkohlevorkommen der Lausitz eine sichere und kostengünstige Energieversorgung der geplanten Hütte für viele Jahrzehnte gewährleisteten29. Man nahm in Kauf, dass in dem abgelegenen Gelände fast jede Infrastruktur fehlte und man gezwungen war, die Hütte und ihre umfangreichen Nebenbetriebe „auf der grünen Wiese“ zu errichten. Mit tatkräftiger Unterstützung der Ilse Bergbau AG, die die Abbaurechte in dem Lausitzer Braunkohlegebiet besaß, machte man sich an die Erschließung des Geländes, um die Bauarbeiten vorzubereiten. Für damalige Verhältnisse hatte das Bauvorhaben wahrhaft gigantische Ausmaße. Es umfasste die Errichtung einer großen Aluminiumhütte (geplante Kapazität 12.000 Jato), einer Tonerdefabrik mit einer Kapazität von 36.000 Jato, die auch den Bedarf der Kriegshütten decken sollte, sowie eines eigenen Braunkohlekraftwerkes, zu dessen Versorgung ein langfristiger Kohleliefervertrag mit der Ilse Bergbau abgeschlossen wurde. Außerdem mussten für die Unterbringung der Arbeiter und Angestellten Wohnkolonien samt Schulen, Krankenhäusern und Kirchen gebaut werden. Dazu kamen der Bau von Straßen, Pumpanlagen, Kanalisationen, Eisenbahnanschlüssen und weitere Infrastrukturmaßnahmen. Die Bauarbeiten begannen noch vor Unterzeichnung der Verträge im März 1917. Für die Durchführung des Vorhabens hatte man sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Kraftwerk, Hütte und Tonerdefabrik sollten fünfzehn Monate nach Baubeginn am 1. Juli 1918 den Betrieb aufnehmen. Dabei hatte man freilich die Schwierigkeiten unterschätzt, die bei der Beschaffung von Material und Arbeitskräften mitten im Krieg in einer extremen Mangelsituation zu überwinden waren. Auch die Einräumung höchster Priorität durch die zuständigen Stellen des Reiches konnte diesen Schwierigkeiten nicht abhelfen. Zu Verzögerungen führte vor allem der Mangel an Facharbeitern, den auch ein Massenaufgebot an meist schlecht qualifizierten und unmotivierten Kriegsgefangenen und anderen Zwangsarbeitern nicht wettmachen konnte. Angesichts dieser schwierigen Bedingungen war es schon ein beachtlicher Erfolg, dass die Überschreitung des Zeitplanes in engen Grenzen gehalten wurden konnte. Anfang Oktober 1918 lief das Kraftwerk an und am 17. Oktober 1918 wurde in der Elektrolyse das erste Aluminium geschöpft. Bis zum Kriegsende am 11. November 1918 wurden etwa 200 Tonnen Aluminium produziert. Wie wir noch sehen werden, zog sich die
75 Fertigstellung der Hütte und des dazugehörenden Tonerdewerks bis in die 20er Jahre hin 30. Von den drei Hüttenprojekten, die im Rahmen des Hindenburg-Planes verwirklicht werden sollten, war das Innwerkprojekt dasjenige, das die längste Bauzeit erforderte31. Für die Errichtung des Wasserkraftwerkes musste mit einer Bauzeit von mehreren Jahren gerechnet werden. Andere Stromquellen, aus denen die geplante Hütte bis zur Fertigstellung des Wasserkraftwerkes gespeist werden konnte, standen nicht zur Verfügung. Das war ja auch der Grund, weshalb die staatlichen Behörden den erneuten Vorstoß Guilinis zugunsten des Innwerk-Projektes Ende 1914 zurückgewiesen hatten. Nach der damaligen Einschätzung der Kriegslage bestand keine Aussicht, dass die geplante Hütte ihren Betrieb vor Kriegsende würde aufnehmen können. Warum sollte man die knappen Ressourcen für ein Projekt vergeuden, das mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr zum erfolgreichen Abschluss des Krieges beitragen konnte. Umso bemerkenswerter war der Sinneswandel der zuständigen Stellen, nachdem die Reichsleitung Mitte 1916 den Aufbau einer deutschen Aluminiumhüttenindustrie beschlossen hatte. Als Guilini im Spätherbst 1916 einen weiteren Versuch unternahm, die Reichsbehörden für seinen Plan zu gewinnen, stieß er überall auf offene Türen. Unterstützt wurde sein Vorschlag auch von der bayrischen Landesregierung, die am Ausbau der Wasserkraft des Inns interessiert war und sich Hoffnungen auf eine finanzielle Beteiligung des Reiches machte, wenn der Bau des Wasserkraftwerkes mit der Errichtung einer Aluminiumhütte am selben Standort verbunden sein würde. Die Kontakte zwischen der bayrischen Regierung und dem Reichsschatzamt trugen wesentlich dazu bei, dass sich das Reich Ende 1916 endgültig für den Standort Töging entschied. Wie schon die beiden Vorgängerprojekte in Grevenbroich und Lauta sollte das Innwerk-Projekt von einem gemischtwirtschaftlichen Unternehmen realisiert werden, an dem sich auch Bayern mit einer bescheidenen Kapitalquote beteiligen wollte. Auf Seiten der Privatwirtschaft war eine Beteiligung der Firma Guilini und der Elektrokonzerne AEG und Siemens-Schuckert vorgesehen. Die Elektrokonzerne waren an der Belieferung mit Aluminium interessiert, das seit Ausbruch des Krieges das Kupfer aus seiner traditionellen Position in der Elektroindustrie zurückdrängte. Die Firma Guilini sollte das technische Know-how für den Elektrolysebetrieb beisteuern und die Verantwortung für den Bau und späteren Betrieb der Hütte übernehmen. Sie war auch als Tonerdelieferant vorgesehen, nachdem man aus Gründen der Kostenersparnis auf den Bau einer eigenen Tonerdefabrik verzichtet hatte. Die neue Gesellschaft wurde am 27. April 1917 unter der Firma „Innwerk Bayerische Aluminium AG“ in München gegründet. Von dem Aktienkapital von 13,2 Millionen Mark übernahmen das Reich und Guilini je vier Millionen, AEG und Siemens-Schuckert je zwei Millionen und Bayern den Restbetrag von 1,2 Millionen Mark. Bayern leistete seine Einlage durch Erteilung der wasserrechtlichen Konzession. Für die Aufbringung der notwendigen Mittel war auch hier in erster Linie das Reich verantwortlich.
76 Mitte 1917 wurde eine Projektgruppe eingesetzt, die die umfangreichen Bauarbeiten vorbereiten sollte. Absoluten Vorrang hatte die Errichtung des Wasserkraftwerkes, für das man eine Bauzeit von vier Jahren ansetzte. Den Planungen lag eine Projektstudie zugrunde, die Guilini noch vor Gründung der neuen Gesellschaft in Auftrag gegeben hatte. Danach sollte flussaufwärts bei Jettenbach eine Staustufe eingerichtet werden und das dort abgezweigte Wasser des Inns über einen etwa 28 Kilometer langen Kanal zum Wasserschloss in Töging geleitet werden, wo man mit fünfzehn Maschinenaggregaten (Turbinen und Generatoren) eine Leistung von 70.000 PS erzeugen wollte. Für die Durchführung dieser Arbeiten benötigte man eine große Zahl von Arbeitskräften, deren Rekrutierung bei dem allgemeinen Arbeitskräftemangel erhebliche Schwierigkeiten bereitete. Auch die Beschaffung der benötigten Maschinen und Einrichtungen erwies sich als äußerst schwierig. Der Baubeginn verzögerte sich daher von Monat zu Monat und konnte erst Ende September 1918 mit fast einjähriger Verspätung beschlossen werden. Ehe der Beschluss in die Tat umgesetzt werden konnte, ging der Krieg zu Ende. In den Wirren der ersten Nachkriegszeit war an eine Inangriffnahme der Bauarbeiten nicht zu denken, zumal inzwischen Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des Vorhabens aufgekommen waren. Erst Ende 1919 wurden die Arbeiten am Wasserkraftwerk aufgenommen. Bis zur Inbetriebnahme der Hütte im Jahr 1924 vergingen noch einmal fünf Jahre. Die drei im Rahmen des so genannten Hindenburg-Planes beschlossenen Aluminiumhütten in Grevenbroich, Lauta und Töging bildeten nach dem Krieg den Grundstock der deutschen Hüttenaluminiumindustrie. Zur Versorgung der deutschen Kriegswirtschaft haben sie fast keinen Beitrag geleistet, obgleich dies doch das erklärte Ziel des Hindenburg-Planes war. Es fällt schwer, die Überlegungen nachzuvollziehen, welche die zuständigen deutschen Stellen veranlasst haben, einem Vorhaben höchste Priorität einzuräumen, das auch nach der damaligen Einschätzung höchst wahrscheinlich keinen nennenswerten Beitrag zum erfolgreichen Abschluss des Krieges leisten konnte. Dies gilt in ganz besonderem Maß für die Entscheidung, Arbeitskräfte und andere knappe Ressourcen für den Bau des Innwerkes einzusetzen, für dessen Realisierung man mit einer Bauzeit von mehr als vier Jahren rechnen musste. Insgesamt hat das Deutsche Reich für den Bau der Kriegshütten und der im Rahmen des Hindenburg-Planes beschlossenen Werke etwa 210 Millionen Mark ausgegeben, weitere 40 Millionen Mark brachten die beteiligten Privatfirmen auf. Die für die damaligen Verhältnisse astronomischen Ausgaben erklären sich vor allem durch die kriegsbedingte Verteuerung der Baukosten, die bis zum Kriegsende etwa 220 Prozent betrug32. Aus kriegswirtschaftlicher Sicht hat sich der enorme Aufwand nicht gelohnt. Mit einer Gesamtproduktion von 28.350 Tonnen trugen die im Krieg erbauten Hütten in den Jahren 1915–1918 weniger als vierzig Prozent des Aluminiumaufkommens des Deutschen Reichs und seiner Verbündeten bei. Ihren höchsten Stand erreichte die Produktion der deutschen und österreichischen Hütten im letzten Kriegsjahr mit knapp 18.000 Tonnen. Ohne die Lieferungen aus der Schweiz hätte nicht einmal der not-
77 dürftigste Aluminiumbedarf der deutsch-österreichischen Kriegswirtschaft sichergestellt werden können. Das Deutsche Reich und seine Verbündeten mussten mit einem Bruchteil des Aluminiums auskommen, das den Westmächten zur Verfügung stand, deren erdrückende materielle Überlegenheit sich auch auf dem Gebiet der Aluminiumversorgung zeigte. 1918 verwendeten die Alliierten allein für den Bau von Flugzeugen, einschließlich deren Motoren, 90.000 Tonnen Aluminium33. Ein großer Teil dieses Aluminiums kam aus den Hüttenwerken der Alcoa, die ihre Kapazität während des Kriegs auf über 80.000 Tonnen Jahresleistung erhöhte 34. Versorgungsprobleme bei Aluminium gab es für die Alliierten nicht.
3.4 Die Neuordnung der Aluminiumhüttenindustrie nach dem Krieg Mit der Beendigung der militärischen Auseinandersetzungen durch den Waffenstillstand vom 11. November 1918 begann für das Deutsche Reich eine Zeit der politischen Wirren und der wirtschaftlichen Unsicherheit. Der militärischen Niederlage folgte alsbald der Zusammenbruch der alten politischen Ordnung. Nach der Abdankung des Kaisers rief der Sozialdemokrat Scheidemann am 9. November 1918 in Berlin die Republik aus. Er kam damit nur knapp einem Putschversuch des kommunistischen Spartakusbundes zuvor, der eine Räterepublik nach sowjetischem Muster installieren wollte. In vielen Unternehmen übernahmen Soldaten- und Arbeiterräte die Leitung der Betriebe. Streiks lähmten die Wirtschaft, die unter Versorgungsmängeln und unter der beginnenden Inflation zu leiden hatte. Auch die junge Aluminiumindustrie bekam die Folgen der politischen Unruhen zu spüren35. Am stärksten war das Werk Bitterfeld im mitteldeutschen Industrierevier betroffen, wo sich die Arbeiterschaft für die Agitation linksradikaler Kräfte besonders empfänglich zeigte. Die Belegschaft des Werkes schloss sich im November 1918 dem vom Spartakusbund ausgerufenen Generalstreik an und war nicht einmal bereit, der Einrichtung eines Notdienstes zur Aufrechterhaltung des Elektrolysebetriebes zuzustimmen. Die Folge war, dass die Elektrolyseöfen einfroren und der Betrieb der Hütte erst im Frühjahr 1919 wieder aufgenommen werden konnte. Auch das Werk Rummelsburg bei Berlin wurde durch den Generalstreik lahm gelegt. Da keine Aussicht auf Wiederaufnahme der Stromlieferungen durch die Berliner Elektrizitätswerke bestand, bedeutete dies das endgültige „Aus“ für diese Hütte, die ja von vornherein nur als Provisorium für die Dauer des Krieges errichtet worden war. Glimpflicher kam das Lautawerk davon. Zwar kam es auch dort bis in das Frühjahr 1919 hinein immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen der Werksleitung und den unter dem Einfluss radikaler Ideen stehenden Teilen der Belegschaft. Aber wenigstens konnte in Lauta der
78 Elektrolysebetrieb ohne Unterbrechung fortgeführt werden. In Westdeutschland war das Erftwerk wegen der französischen Besetzung des linksrheinischen Gebietes im Dezember 1918 gezwungen, den Betrieb vorübergehend einzustellen. Die Produktion konnte erst im Juli 1919 wieder aufgenommen werden. Auch die Hütte in Horrem bei Köln musste vorübergehend stillgelegt werden. Probleme mit der Stromversorgung durch das RWE führten 1920 zur endgültigen Einstellung des dortigen Betriebes. Als der Aufsichtsrat der VAW am 27. Februar 1919 zu seiner ersten Sitzung nach dem Ende des Krieges zusammenkam, bot sich ihm ein wenig erfreuliches Bild36. Ein großer Teil der Hüttenkapazität der Gesellschaft war durch Streiks lahm gelegt. Der Absatz der Gesellschaft war zusammengebrochen, nachdem die Kriegsmetall AG ihre Bezüge unmittelbar nach Beendigung der Feindseligkeiten eingestellt hatte. Angesichts der verworrenen Lage in Deutschland war an einen raschen und geordneten Übergang von der Kriegswirtschaft zur Friedenswirtschaft nicht zu denken. Die ohnehin prekäre Lage der Hütten wurde zusätzlich durch massive Preisforderungen der Stromlieferanten erschwert, die nach Freigabe der Strompreise durch die neue Regierung bestrebt waren, ihre gestiegenen Kosten an die Abnehmer weiterzugeben. Die ungewisse Zukunft der Aluminiumhütten in Deutschland veranlasste den Aufsichtsrat der VAW, den weiteren Ausbau des Hüttenkomplexes in Lauta zu stoppen. Nur das Kraftwerk sollte im ursprünglichen Umfange fertig gestellt werden. Die Elektrolyse und das Tonerdewerk sollten dagegen auf dem Stand von etwa zwei Drittel der ursprünglich geplanten Produktionskapazität eingefroren werden, den das Vorhaben bei Kriegsende erreicht hatte. Ein Teil der Mitglieder des Aufsichtsrates war der Auffassung, dass der Betrieb der Hütte in Lauta ohnehin nur solange zu rechtfertigen sei, bis die auf Wasserkraftbasis betriebene Anlage in Töging die Produktion aufnehmen könne. Dabei war zu diesem Zeitpunkt keinesfalls sicher, ob die geplante Aluminiumhütte in Töging überhaupt zustande kommen würde. Die Unruhen bei Kriegsende hatten die Aufnahme der Arbeiten an dem erst im September 1918 beschlossenen Ausbau der Wasserkraft verhindert. Es verging noch mehr als ein halbes Jahr, bis die Arbeiten an Wehr- und Oberwasserkanal beginnen konnten. Im Aufsichtsrat der Innwerk Bayerische Aluminium AG gab es unterschiedliche Auffassungen über die Fortführung des Vorhabens. AEG und Siemens hatten schon während des Krieges erkennen lassen, dass sie am Aluminium nur solange interessiert waren, bis Kupfer wieder in ausreichenden Mengen zur Verfügung stand. Nach ihrer Auffassung konnte Aluminium das Kupfer in der elektrischen Industrie auf die Dauer nicht ersetzen. Sie machten jetzt, nachdem sich der Kupfermarkt zu normalisieren begann, massive Bedenken gegen den Bau der Aluminiumhütte geltend, deren Wettbewerbsfähigkeit wegen der inflationären Entwicklung der Baukosten äußerst zweifelhaft sei. Ihr Interesse beschränkte sich auf den Bau des Wasserkraftwerkes, dessen Durchführung sie mit Nachdruck forderten. Die Vertreter der Firma Guilini reagierten auf diesen Vorschlag mit der Forderung, AEG und Siemens sollten aus dem Konsortium ausscheiden. Guilini wolle die Hütte gemeinsam mit dem Reich und dem Freistaat Bayern bauen und sei notfalls auch bereit, das Vor-
79 haben allein durchzuführen, wenn das Reich finanzielle Hilfe leiste. Darauf wollten sich freilich weder die Vertreter des Reichs noch die anderen Beteiligten einlassen37. Die Vorschläge der Firma Guilini waren auch aus politischen Gründen zum Scheitern verurteilt. Das Reich war nicht bereit, die im Krieg begonnene Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft in den gemischtwirtschaftlichen Unternehmen fortzusetzen. In der sozialdemokratisch geführten Reichsregierung und der seit dem 6. Februar 1919 in Weimar tagenden Nationalversammlung führten die Befürworter einer Vergesellschaftung bestimmter Schlüsselindustrien das Wort. Als eine ihrer ersten gesetzgeberischen Maßnahmen verabschiedete die Weimarer Nationalversammlung das Sozialisierungsgesetz vom 23. März 1919, das die Kohlewirtschaft und andere Unternehmen, die Bodenschätze oder Naturkräfte ausbeuteten, in die Gemeinwirtschaft überführte. Am 31. Dezember 1919 wurde ein weiteres Gesetz zur Sozialisierung der Elektrizitätswirtschaft beschlossen. Für die Aluminiumindustrie bedeutete dies, dass die Kraftwerke in Lauta und Töging aus dem Verbund mit den an diesen Standorten gebauten bzw. geplanten Aluminiumhütten herausgelöst und auf gemeinwirtschaftliche Trägergesellschaften übertragen werden mussten. Damit war das Konzept des Hindenburg-Planes aufgegeben, wonach jede Hütte ihr eigenes Kraftwerk haben sollte, wie dies damals im Ausland fast durchweg der Fall war. Doch die Pläne der Reichsregierung gingen noch weiter. Nach ihrem Willen sollten auch die unter maßgeblicher Beteiligung des Reiches errichteten Industrieunternehmen in Staatseigentum überführt werden. Das besondere Interesse der Reichsregierung galt der im Krieg aufgebauten Aluminiumhüttenindustrie, die auf Initiative des Reiches ins Leben gerufen worden war und zu deren Schaffung das Reich den größten Teil der erforderlichen Finanzmittel aufgebracht hatte. Schon kurz nach der Aufsichtsratssitzung vom 27. Februar 1919 forderte das Reichschatzministerium die VAW auf, die Arbeiten an Hütte und Tonerdewerk in Lauta vorläufig ganz einzustellen. In Gesprächen mit Vertretern von Metallgesellschaft und Griesheim-Elektron gab das Ministerium zu erkennen, dass das Reich die Beteiligungen der beiden Konsortialfirmen an der VAW erwerben wolle. Sollte das Konsortium sich dem Wunsch des Reiches verschließen, sei eine Einschränkung oder sogar Stilllegung des Betriebes der VAW unvermeidlich. An der Ernsthaftigkeit dieser Drohung war nicht zu zweifeln, nachdem die Reichsregierung wenig später den Bau einer Starkstromleitung von Lauta nach Dresden beschloss, was nach Lage der Dinge nur bedeuten konnte, dass sich das Reich die Möglichkeit einer alternativen Nutzung der Kapazität des Kraftwerkes in Lauta offen halten wollte 38. Im August 1919 wurden die Vertreter des Konsortiums zu einer Besprechung in das Reichsschatzministerium in Weimar geladen und offiziell von den Wünschen des Reiches unterrichtet. Das Reich habe sich bei der Gründung der VAW im Jahr 1917 das Recht ausbedungen, die Anteile der privatwirtschaftlichen Beteiligten zu einem späteren Zeitpunkt zu übernehmen. Von diesem Recht wolle man jetzt Gebrauch machen und die Beteiligung des Konsortiums gegen Erstattung der von diesem gemachten Ein-
80 lage erwerben. Der Einfluss des Reiches stehe in krassem Widerspruch zu seinem Kapitaleinsatz und zu den vom Reich zu tragenden Risiken. Die Nationalversammlung lehne es ab, die zur Fertigstellung und Weiterführung des Lautawerkes benötigten Mittel zu bewilligen, solange die Eigentümerstruktur nicht geändert werde. Die Regierung sei entschlossen, ihr Verlangen mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln durchzusetzen, ziehe es aber vor, sich mit dem Konsortium zu verständigen. Die Drohung mit dem Entzug der finanziellen Unterstützung durch das Reich verfehlte ihre Wirkung auf die Vertreter des Konsortiums nicht. Da weder die Metallgesellschaft noch Griesheim-Elektron damals in der Lage gewesen wären, die erforderlichen Mittel aus eigener Kraft aufzubringen, blieb ihnen keine andere Wahl, als dem Verkauf ihrer Beteiligungen an das Reich zuzustimmen. Den Vertretern des Konsortiums gelang es aber, der Regierung ein wichtiges Zugeständnis abzugewinnen. Das Reich erklärte sich bereit, die vom Konsortium in die VAW eingebrachten Werke Bitterfeld und Horrem an das Konsortium zurückzugeben. Die Hütte in Bitterfeld sollte allerdings noch für einen Zeitraum von drei Jahren (später auf fünf Jahre verlängert) von der VAW als Pachtwerk für eigene Rechnung betrieben werden. Wie wir noch sehen werden, wurde die Fabrik vereinbarungsgemäß Ende 1925 an das Konsortium zurückgegeben und von da an von der Aluminiumwerk Bitterfeld GmbH betrieben, an der Metallgesellschaft und Griesheim-Elektron (später IG Farben) zu je 50 Prozent beteiligt waren. Nach dem Erwerb der Beteiligung des Konsortiums an der VAW nahm das Reichsschatzministerium Verhandlungen mit den privaten Aktionären der Erftwerk AG und der Innwerk AG auf. Auch sie konnten sich dem Argument nicht verschließen, dass bei einem Verbleib der privaten Aktionäre in den Gesellschaften weitere öffentliche Mittel für die Finanzierung des Vorhabens nicht zur Verfügung stünden. Bei AEG und Siemens war das Interesse an der Beteiligung an einem Aluminiumwerk ohnehin geschwunden. Schwieriger gestalteten sich die Verhandlungen mit der Firma Guilini, die sowohl an der Erftwerk AG als auch an der Innwerk AG beteiligt war. Sie hatte schon vor dem Krieg erhebliche Vorleistungen für das Projekt Töging erbracht und sah sich jetzt um den Lohn ihrer Anstrengungen geprellt. Doch auch sie musste sich schließlich den Fakten beugen. Am 27. April 1920 gingen die Beteiligungen der Gebr. Guilini an den beiden Gesellschaften auf das Reich über. Wenig später erwarb das Reich auch die Beteiligung der Stinnes-Gruppe/RWE an der Erftwerk AG, sodass VAW, Innwerk AG und Erftwerk AG nunmehr zu hundert Prozent im Eigentum des Reiches standen. Bei den Verhandlungen mit dem Reichsschatzministerium erreichte die Firma Guilini, dass ihr für die Tonerdeversorgung der in Töging geplanten Hütte ein Vorzugslieferrecht zugestanden wurde. Die Innwerke sollten ihren Tonerdebedarf in den ersten fünf Jahren nach der Inbetriebnahme der Hütte bis zu einer Höchstmenge von 10.000 Tonnen pro Jahr bei Guilini decken. Außerdem sollte Guilini berechtigt sein, während desselben Zeitraumes jährlich bis zu 2.000 Tonnen Aluminium aus der Produktion der Hütte zum günstigsten Abnehmerpreis zu beziehen39. Trotz dieser Zugeständnisse stimmte Georg Guilini dem Verkauf seiner Beteiligungen an Innwerk und
81 Erftwerk nur höchst widerstrebend zu. Er empfand das Vorgehen der Reichsregierung als grob unbillig, zumal die vom Reich gezahlte Geldentschädigung durch die Inflation rasch aufgezehrt wurde. Guilini hat einige Jahre später versucht, den „Zwangsverkauf“ durch das deutsch-italienische Schiedsgericht in Rom, das er als italienischer Staatsangehöriger anrufen konnte, annullieren zu lassen. Nachdem die VAW den Abschluss des Tonerdevertrages für das Innwerk in Frage stellte, falls die juristischen Auseinandersetzungen nicht zu einem Ende kämen, zog Guilini seine Klage zurück 40.
Anmerkungen zum 3. Kapitel 1 Quellen zu diesem Kapitel: AIAG-Geschichte I, Seite 147 ff. – Rauch, Seite 103 ff. – Guilini-Chronik, Seite 387 ff. 2 Die Gesamtkapazität der AIAG bei Kriegsbeginn dürfte ca. 12.000 Jato betragen haben. Davon entfielen zwei Drittel auf das neue Werk in Chippis, das seit seiner Inbetriebnahme 1908 in raschem Tempo ausgebaut wurde. Der Anteil von Neuhausen war bescheiden. 3 Siehe hierzu Alfred Müller: „Die Kriegsrohstoffbewirtschaftung im Dienste des deutschen Monopolkapitals“, Berlin (DDR) 1955 (vor allem Seiten 30–66). 4 Gegen Dr. Georg Guilini und Dr. Eric Mermod (den Leiter der französischen Guilini-Gesellschaft) wurde nach Kriegsausbruch ein kriegsgerichtliches Verfahren wegen Einvernehmen mit dem Feind eröffnet. Dr. Guilini wurde „en contumace“ zu lebenslänglicher Festungshaft verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, versucht zu haben, Bauxit und Aluminium nach Kriegsausbruch entgegen den französischen Verboten nach Deutschland geschafft zu haben. 5 Laut Alfred Gautschi: „Die Aluminium-Industrie“, Zürich 1925, Seite 94, waren AIAG und Guilini/Martigny durch staatsvertragliche Abmachungen verpflichtet, mindestens 80 % ihrer Erzeugung nach Deutschland zu liefern. 6 So Rauch, Seite 106. Abweichende Zahlenangaben in Guilini-Chronik, Seite 402 (42.000 Tonnen) und Alfred Müller, Seite 62 (39.600 Tonnen). Die Lieferungen aus der Guilini-Hütte in Martigny sind in diesen Zahlen nicht enthalten. Sie dürften etwa 700 bis 800 Tonnen pro Jahr erreicht haben. 7 AIAG-Geschichte II, Seite 134. 8 Siehe „Abschlussziffern der AIAG in den Jahren 1914–1938“ im Anhang der AIAG-Geschichte Band II, Seite 262. 9 Zu den Dividendenzahlungen und zur Ausgabe von Gratisaktien siehe Georg Günther: „Die Deutsche Rohaluminiumindustrie“, Dissertation Leipzig 1931, Seiten 21 und 53. 10 Zum Bau der Kriegshütten: VAW-Geschichte I, Seite 12 ff. – Rauch, Seite 108 ff. – Guilini-Chronik, Seite 395 ff. – Pistor-Manuskript, Seite 148 ff. – Falk-Schwarz: „Aluminium – Metall der Moderne“, Köln 1991, Seite 37 ff. 11 So Rauch in seinem Brief an Tröger vom 6. Oktober 1960 (Archiv des GDA). 12 Der Vertrag zwischen der Kriegsmetall AG und dem Konsortium ist im Jahrbuch der Metallgesellschaft abgedruckt (Hessisches Wirtschaftsarchiv in Darmstadt). 13 Zur technischen Beschreibung der drei Kriegshütten: Pistor-Manuskript, Seite 149 ff. – FuldaGinsberg, Aluminium, Seite 56. 14 Pistor-Manuskript, Seite 149: „Da der Stromverbrauch … wesentlich niedriger als 30 kWh ist, gibt die Anlage (in Rummelsburg) weit mehr (als 3.000 Jato), gut 4.000 Jato“. 15 Zu der Hütte in Steeg siehe die Dissertation von Martina König: „Die Geschichte der Aluminiumindustrie in Österreich“, Seite 28 ff. Die Kapazität der im Juni 1917 in Betrieb gehenden Hütte betrug 2.000 Jato, die der Tonerdefabrik 4.000 Jato.
82 16 Quellen zur Tabelle 2: Produktion der Kriegshütten bei Rauch, Seite 109. Die Produktion der beiden österreichischen Hütten in Lend und Steeg habe ich geschätzt. 17 Zur Versorgungssituation der Zentralmächte siehe auch: Fritz Grüber: „Die Entwicklung der Lüdenscheider Aluminium-Warenindustrie“, Dissertation, Köln 1925, Seite 35. 18 Zu den ersten Schmelzhütten: „Fünfzig Jahre Honsel-Werke AG“, 1958, (WWA Dortmund F 1312). – „Karl Schmidt. Eine kleine Chronik zum 50-jährigen Bestehen des Werkes“, Neckarsulm 1960. 19 Zur Flugzeugproduktion im Krieg siehe Hans J. Ebert: „Messerschmitt Bölkow Blohm“, Stuttgart, 5. Auflage 1980, Seite 10. 20 Zur Verwendung von Aluminium beim Bau von Militärflugzeugen im Ersten Weltkrieg: Carr, Seite 158 ff. 21 Beschreibung und Abbildung der J 9 bei Ebert a.a.O., Seite 32. Laut Ebert wurden im Krieg 321 Junkers-Metallflugzeuge und einige wenige Dornier-Prototypen aus Metall gebaut. 22 Eine Abschrift der von Richard Tröger im März 1916 vorgelegten Denkschrift befindet sich im Archiv des GDA. 23 Die AIAG sollte in Köln neben dem Martinswerk eine Aluminiumhütte auf der Basis von Kohleelektrizität errichten. Die AIAG widersetzte sich dem Wunsch der deutschen Behörden vor allem, weil sie negative Auswirkungen auf ihre Position in Frankreich befürchtete (AIAG-Geschichte I, Seite 167 f). 24 Zum Bau des Erftwerkes: VAW-Geschichte I, Seite 109 ff. – Guilini-Chronik, Seite 400 ff. – Rauch, Seite 109 ff. 25 Zum Erftwerk-Ofen: Fulda-Ginsberg, Aluminium, Seite 56 und Seite 60 f. 26 1921 betrug die Kapazität des Erftwerks ca. 7.000 Jato. So Wrigge: „50 Jahre VAW 1917–1967. Die Entwicklung unserer Betriebe“ in VAW-Werkszeitschrift Vereint am Werk, 1967 (Heft 2). Die Produktion erreichte 1929 mit 7.577 Tonnen ihren höchsten Stand in den 20er Jahren. Die ursprünglich angestrebte Kapazität von 12.000 Jato wurde erst 1933/1934 erreicht und danach bald überschritten. 27 Zum Ausbau der Aluminiumindustrie im Rahmen des Hindenburg-Plans: VAW-Geschichte I, Seite 25 ff. 28 Zur Gründung der VAW: VAW-Geschichte I, Seite 35 ff. 29 Zum Hüttenprojekt Lauta: VAW-Geschichte I, Seite 85 ff. 30 Wie beim Erftwerk blieb auch die Kapazität der Hütte in Lauta hinter der Plangröße von 12.000 Jato zurück. 1921 waren drei Ofensysteme mit einer Kapazität von 9.000 Jato betriebsbereit. Zu einem weiteren Ausbau der Hütte kam es erst nach 1933 (Wrigge a.a.O.). 31 Zu der Errichtung der Hütte in Töging: VAW–Geschichte I, 123 ff. – Rauch, Seite 111 ff. – GuiliniChronik, Seite 401, 412 ff. 32 Rauch in seinem Brief an Tröger vom 6. 10. 1960: „So verstrichen die Vorkriegsjahre ungenutzt und was folgte war „Krampf“, der trotz einer Ausgabe von nahezu 250 Millionen Mark – wenn auch zum Teil Kriegsmark – nur ein „Kriegsgebilde“ lieferte, das erst nach dem Krieg mit nochmaligem Kostenaufwand zu wettbewerbsfähigen Werken ausgestaltet werden konnte“. 33 So der ehemalige Mitarbeiter im staatlichen „Bureau of Aircraft Production“ Robert L. Anderson in seinem bei Carr, Seite 161, zitierten Buch „The Metallurgy of Aluminium and Aluminium Alloys“ 1925. 34 Zum Kapazitätsausbau der Alcoa: Campbell: „Global Mission“, Band I, Seite 73. Insgesamt standen den Westmächten im letzten Kriegsjahr in ihren Hütten in den USA, England, Frankreich und Norwegen Aluminiumkapazitäten von etwa 100.000–130.000 Tonnen Aluminium zur Verfügung. 35 Zur Situation der deutschen Aluminiumhütten nach dem Ende des Krieges: VAW-Geschichte I, Seite 151 ff. – Rauch Seite 120 f.
83 36 Zur Aufsichtsratssitzung vom 27. 2.1919: VAW-Geschichte I, Seite 157. 37 Unterschiedliche Auffassungen über die Fortführung des Hüttenprojektes in Töging: Rauch, Seite 113 ff. 38 Zur Verstaatlichung der VAW: VAW-Geschichte I, Seite 159 ff. 39 Zu den Verhandlungen mit den Aktionären von Erftwerk und Innwerk: Rauch, Seite 113 ff. und 124 f. – VAW-Geschichte I, Seite 165 f. – Guilini-Chronik, Seite 418 ff. 40 Zum Schiedsverfahren: Guilini-Chronik, Seite 421 ff.
4. Kapitel Bewährungsprobe – Die deutsche Aluminiumhüttenindustrie in den 20er Jahren
4.1 Die schwierige Nachkriegs- und Inflationszeit Instabile, ja zeitweise geradezu chaotische Verhältnisse bestimmten in den ersten Nachkriegsjahren das politische und wirtschaftliche Umfeld, in dem sich die deutsche Aluminiumindustrie ihren Platz in der Friedenswirtschaft sichern musste. Politisch kam die junge deutsche Republik nicht zur Ruhe. Umsturzversuche von links und rechts erschütterten die neue politische Ordnung, die auf dem schmalen Fundament der demokratischen Mitte ruhte. Nach dem Spartakus-Aufstand in Berlin im November 1918 und der Ausrufung der Räterepublik in München im Januar 1919 versuchten im März 1920 rechtsgerichtete Kräfte mit Unterstützung von Teilen der Reichswehr die Macht an sich zu reißen. Der nach dem Anführer der Putschisten benannte KappPutsch scheiterte am Widerstand der Arbeiterschaft, die in ganz Deutschland in den Streik trat und sich den Putschisten entgegenstellte1. Im Jahr 1923 kam es erneut zu einem kommunistischen Aufstand in Mitteldeutschland und im November desselben Jahres putschte Hitler in München. Trotz der ungünstigen politischen Rahmenbedingungen verlief die wirtschaftliche Entwicklung zunächst durchaus positiv. Die Produktionsleistung der deutschen Industrie, die 1919 auf weniger als die Hälfte des Vorkriegswertes eingebrochen war, stieg seit 1920 wieder kontinuierlich an und erreichte im Jahr 1922 etwa achtzig Prozent des Niveaus von 1913. Die deutsche Exportindustrie profitierte von der Schwäche der Mark, die ihr auf den Auslandsmärkten einen kurzfristigen Wettbewerbsvorteil verschaffte. In Deutschland herrschte praktisch Vollbeschäftigung bei rasch steigenden Löhnen. Dass es sich um eine wirtschaftliche Scheinblüte handelte, trat erst relativ spät in das allgemeine Bewusstsein. Die Seifenblase platzte, als französische und belgische Truppen anfangs 1923 ins Ruhrgebiet einrückten, um Kohlelieferungen und andere Reparationsleistungen einzutreiben, mit denen das Deutsche Reich in Rückstand geraten war. Die Besetzung des damals wichtigsten Industriegebietes Deutschlands führte das Land an den Rand des wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruches. Der Verfall des Geldwertes beschleunigte sich rapide und nahm zuletzt geradezu astronomische Ausmaße an. Im Oktober 1923,
86 als die Einführung der Rentenmark dem Spuk endlich ein Ende machte, war die Mark nur noch ein Billionstel ihres Vorkriegswertes wert 2. Der Übergang von der Kriegswirtschaft zur Friedenswirtschaft stellte die Aluminiumindustrie nicht nur im besiegten Deutschland vor schwierige Probleme. Während des Krieges waren die Aluminiumkapazitäten unter dem Druck der militärischen Notwendigkeiten vor allem in den USA und Kanada stark erweitert worden. In Deutschland war eine völlig neue Aluminiumhüttenindustrie entstanden und auch die Schweiz und Norwegen hatten ihre Hüttenkapazitäten ausgebaut. Mit dem Ende der Kampfhandlungen war der militärische Bedarf, der im Krieg den ganz überwiegenden Teil des Aluminiumverbrauchs ausgemacht hatte, fast über Nacht weitgehend weggefallen. Zur Verschärfung der Lage trugen die Regierungen der am Krieg beteiligten Staaten bei, indem sie ihre in den Kriegsjahren angesammelten Aluminiumbestände ohne Rücksicht auf Bedarf und Nachfrage auf den Markt warfen. Ihren Höhepunkt erreichten die wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Jahr 1921, als eine weltweite Rezession die Volkswirtschaften der wichtigsten Industrienationen erschütterte. Wie schon während der Absatzkrise von 1908 (und wie in späteren Krisen) reagierte die Aluminiumindustrie auch jetzt erst sehr spät auf die veränderte Marktlage. Die meisten Produzenten versuchten zunächst, ihre Kapazitäten weiter zu beschäftigen und durch massive Preiszugeständnisse für den Absatz ihrer Produktion zu sorgen. Bevorzugtes Absatzziel der europäischen Produzenten waren die USA, wo die im Krieg entstandenen unabhängigen Verarbeiter die Chance nutzten, sich dem Monopol der Alcoa zu entziehen. Auch die VAW hat Anfang der 20er Jahre größere Mengen Aluminium nach Amerika geliefert, wobei sie von dem Valutavorteil der schwachen Mark profitierte. Der ruinöse Wettbewerb auf den Aluminiummärkten führte zum Verfall der Aluminiumpreise, die innerhalb kürzester Zeit von dem im Krieg erreichten Höchststand von 5,60 SF/Kg auf ein Niveau von 2,00 SF/Kg abstürzten und damit trotz der zwischenzeitlichen Kostensteigerungen wieder den Vorkriegsstand erreichten. Einschneidende Produktionskürzungen ließen sich schließlich nicht mehr vermeiden3. Tabelle 3: Aluminiumweltproduktion 1920–1929 (MG-Statistik) 1.000 t Europa Nordamerika Weltproduktion
1920
1921
1922
1923
1925
1927
1928
1929
52 75
45 33
49 44
69 69
104 77
109 111
121 135
137 145
127
78
93
138
181
220
256
282
Die VAW litt weit weniger unter den Auswirkungen der weltweiten Überkapazitäten als ihre Konkurrenten im Ausland, von denen vor allem die Alcoa betroffen war. Die Produktion der Gesellschaft ging 1921 nur leicht zurück und verzeichnete 1922 sogar eine beachtliche Steigerung gegenüber den Vorjahren. Die VAW verdankte diese Sonderstellung den Einfuhrbeschränkungen, die der deutsche Gesetzgeber im Jahr 1917 zum Schutz der neugeschaffenen deutschen Aluminiumindustrie beschlossen hatte. Die
87 Bundesratsverordnung vom 16. Mai 1917 machte die Einfuhr von Hüttenaluminium von der Genehmigung einer Reichsstelle abhängig, die nur erteilt werden durfte, wenn die VAW als reichseigenes Unternehmen es ablehnte, in das Einfuhrgeschäft einzutreten. Da die VAW von ihrem Eintrittsrecht regelmäßig Gebrauch machte, wirkte die Genehmigungspflicht in der Praxis wie ein Einfuhrverbot4. Die VAW besaß somit ein Quasimonopol auf dem deutschen Markt, das sie weitgehend vor der ausländischen Konkurrenz schützte. Die Konkurrenz der AIAG-Hütte in Rheinfelden brauchte sie nicht zu fürchten. Rheinfelden war nicht einmal in der Lage, den gesamten Aluminiumbedarf der deutschen Verarbeitungswerke der AIAG in Singen und Teningen zu decken. Da die Bundesratsverordnung von 1917 auch den Bau neuer Hütten und die Erweiterung bestehender Hütten unter den staatlichen Genehmigungsvorbehalt stellte, drohte der VAW auch von dieser Seite keine zusätzliche Konkurrenz. Die deutschen Aluminiumverarbeiter fanden sich nur widerwillig mit der Monopolstellung der VAW ab, die für sie ein ständiger Stein des Anstoßes blieb, bis das „verklausulierte Einfuhrverbot“ im Jahr 1930 durch einen Einfuhrzoll für Aluminium ersetzt wurde5. Die deutschen Walzwerke befürchteten vor allem eine Benachteiligung auf den hart umkämpften Auslandsmärkten, wo sie auf ausländische Konkurrenten trafen, die bei ihren Metalldispositionen keinerlei Beschränkungen unterlagen. Erst nach schwierigen Verhandlungen kam 1921 ein Bezugsabkommen zwischen der VAW und den deutschen Aluminiumwalzwerken zustande, in dem sich die Walzer verpflichteten, 75 Prozent ihres Aluminiumbedarfs bei der VAW zu decken. Im Gegenzug erklärte sich die VAW damit einverstanden, dass die Walzwerke ihren Aluminiumbedarf für das Exportgeschäft aus dem Ausland bezogen. In späteren Vereinbarungen räumten VAW und AIAG den Walzwerken auch Sonderkonditionen für das besonders wichtige Exportgeschäft nach Indien ein6. Die hauptsächliche Leidtragende des deutschen Einfuhrverbotes für Hüttenaluminium war die AIAG. Sie verlor fast über Nacht ihr wichtigstes Absatzgebiet, in dem sie seit ihrer Gründung fast drei Jahrzehnte lang den größten Teil ihrer Produktion abgesetzt hatte. Es nützte ihr auch nichts, dass sie im Krieg ihre Lieferverpflichtungen gegenüber dem Deutschen Reich stets loyal erfüllt und Deutschland vor dem Zusammenbruch seiner Aluminiumversorgung bewahrt hatte. Die Aussperrung aus dem deutschen Markt ließ der AIAG keine andere Wahl, als sich um Absatzmöglichkeiten in anderen Märkten zu bemühen. Durch intensive Verkaufsanstrengungen gelang es ihr relativ schnell, die bisher in Deutschland verkauften Mengen vor allem in den USA, aber auch in Japan, England und anderen europäischen Ländern zu platzieren7. Erfolg hatte die AIAG auch mit ihren hartnäckigen Bemühungen, die deutsche Seite doch noch zu einem gewissen Entgegenkommen zu veranlassen. Schon 1920 hatten die deutschen Behörden einen Veredlungsverkehr für Singen und Teningen genehmigt, der es der AIAG generell gestattete, Hüttenaluminium zur Deckung des Exportbedarfes der beiden Werke nach Deutschland einzuführen, ohne im Einzelfall eine Genehmigung nach der Bundesratsverordnung von 1917 einholen zu müssen. Nach schwierigen
88 Verhandlungen kam 1923 ein Abkommen mit der VAW zustande, das der AIAG das Recht zugestand, einige ihrer traditionellen deutschen Metallkunden, darunter die Firmen Basse & Selve in Altena, Carl Berg in Werdohl und die Heddernheimer Kupferwerke mit bis zu 25 Prozent ihres Aluminiumbedarfes zu beliefern. In demselben Abkommen grenzten die beiden Unternehmen auch ihre Exportinteressen gegeneinander ab. Man kam überein, dass die europäischen Märkte außer Holland der AIAG vorbehalten bleiben sollten. Trotz der erreichten Zugeständnisse war Deutschland für die AIAG zu einem „Absatzland untergeordneter Bedeutung“ geworden8. Gemessen am Gesamtabsatz der AIAG handelte es sich bei den Aluminiumlieferungen nach Deutschland um relativ bescheidene Tonnagen, die bis zur Mitte der 20er Jahre zwischen 1.500 und 2.700 Tonnen im Jahr betrugen und erst in der zweiten Hälfte der 20er Jahre allmählich auf jährliche Liefermengen von 4.000 bis 5.000 Tonnen anstiegen. Der größte Teil des nach Deutschland exportierten Hüttenaluminiums dürfte im Rahmen des Veredlungsverkehrs an den AIAG-Betrieb in Singen geflossen sein 9. Bei den zuständigen Reichsbehörden setzte sich schon bald nach dem Ausscheiden der privaten Aktionäre eine optimistischere Einschätzung der Zukunftschancen der reichseigenen VAW durch. Grundsätzliche Zweifel an der Existenzberechtigung einer deutschen Hüttenindustrie scheint es nicht mehr gegeben zu haben. Ungeklärt blieb aber weiterhin das zukünftige Schicksal der Elektrolyse in Lauta. Noch im Sommer 1920 wurde in einer Besprechung im Reichsschatzministerium ernsthaft die sofortige Einstellung der Aluminiumerzeugung in Lauta erwogen. Der damalige Aufsichtsratsvorsitzende der VAW, Staatssekretär Goldkuhle, glaubte nicht, dass sich eine Produktion auf Kohlebasis gegenüber der Erzeugung mit billiger Wasserkraft auf die Dauer behaupten könne. Auch der VAW-Vorstand scheint diese Einschätzung geteilt zu haben. Arbeitsmarktpolitische Gründe gaben schließlich den Ausschlag dafür, dass man sich doch für eine Fortsetzung des Betriebes entschied10. Bei einer Stilllegung wären mehrere Tausend im Betrieb und auf der Baustelle beschäftigte Mitarbeiter von heute auf morgen brotlos geworden. Das glaubte man angesichts der schwierigen Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht verantworten zu können. Die Hütte in Lauta sollte daher vorläufig weiter betrieben werden, mindestens bis zur Inbetriebnahme der Fabrik am Inn, wohin dann gegebenenfalls die Aluminiumerzeugung verlegt werden konnte. Bis zur Fertigstellung des Kraftwerkes und der Hütte in Töging rechnete man damals mit einem Zeitraum von höchstens drei Jahren. Nur bis zum Ablauf dieses Zeitraumes war die Weiterführung der Produktion in Lauta daher gesichert. Es lässt sich nicht mehr rekonstruieren, wie lange das Damokles-Schwert der Schließung noch über der Hütte schwebte. Als das Innwerk Anfang 1926 den Betrieb aufnahm, muss die Entscheidung schon lange zugunsten eines Dauerbetriebes in Lauta gefallen sein. Von einer Produktionsverlagerung an den Inn war jedenfalls nicht mehr die Rede. Lauta war inzwischen zum zentralen Produktionsstandort der Gesellschaft geworden, was auch durch die Tatsache unterstrichen wird, dass die Mitglieder des Vorstandes der
89
Abb. 13: Aluminiumhütte und Wasserkraftwerk in Töging
VAW (mit Ausnahme des in Berlin verbleibenden Vorstandsvorsitzenden) seit 1921 ihren Dienstsitz in Lauta hatten. Nach dem Abschluss der Bauarbeiten im Herbst 1920 verfügte das Hüttenwerk in Lauta über drei Elektrolysesysteme mit einer Nennkapazität von zusammen 9.000 Jato. Die tatsächliche Leistung der Anlage blieb freilich noch auf Jahre beträchtlich hinter der Nennleistung zurück. Im Spitzenjahr 1928 wurden in Lauta 7.812 Tonnen Aluminium erzeugt. Die Reichsregierung muss sich darüber im Klaren gewesen sein, dass ein Engagement auf dem Aluminiumsektor mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden sein würde. Das galt vor allem im Hinblick auf das Hüttenprojekt in Töging, das bis zum Kriegsende über das Planungsstadium nicht hinausgekommen war. Für den Bau des Wasserkraftwerkes am Inn und der mit einer Anfangskapazität von 10.000 bis 12.000 Tonnen geplanten Aluminiumhütte wurden beträchtliche Summen benötigt, die nach Lage der Dinge nur durch das Reich aufgebracht werden konnten. Ein Verzicht auf die Hütte in Töging hätte aber das ganze Konzept der Reichsregierung in Frage gestellt. Als größte und modernste deutsche Hütte, die zudem als einzige der staatlichen Hütten über billige Wasserkraft verfügte, sollte Töging das Rückgrat des reichseigenen Aluminiumunternehmens bilden. Als die Reichsregierung 1923 grünes Licht für den Bau der Hütte erteilte, hatte ihre Entscheidung Signalwirkung. Sie bekundete damit ihre feste Entschlossenheit, den geplanten Ausbau der deutschen Hüttenindustrie konsequent voranzutreiben. Schon 1922, also noch mitten in der Aluminiumkrise,
90 hatte die Reichsregierung durch die Ablehnung eines Übernahmeangebots der Alcoa für die VAW zu erkennen gegeben, dass sie trotz aller momentanen Schwierigkeiten an der staatlichen Aluminiumindustrie festhalten wollte. Wenn die Reichsregierung sich ihres kostspieligen Engagements auf dem Aluminiumsektor hätte entledigen wollen, wäre dies eine günstige Gelegenheit gewesen11. Als Alleinaktionär der VAW musste das Reich beträchtliche Mittel aufbringen, um die Gesellschaft auf ein gesundes finanzielles Fundament zu stellen. Schon 1920 hatte das Reich auf die Rückzahlung der Darlehen verzichtet, die der VAW während des Krieges für den Bau des Lautawerkes gewährt worden waren. Aber auch danach blieb die VAW noch geraume Zeit auf die finanzielle Unterstützung durch das Reich angewiesen. Die prekäre Finanzlage der Gesellschaft zwang das Reich immer wieder, kurzfristig mit Krediten und Vorschüssen einzuspringen. Eine gewisse Entlastung brachte der Verkauf des Kraftwerkes in Lauta an die reichseigene Elektrowerke AG, unter deren Dach die Reichsregierung zahlreiche Betriebe der Stromerzeugung im mitteldeutschen Raum zusammenführte. Zu einer Konsolidierung der Finanzlage kam es erst, nachdem das Reich der VAW 1922 und 1923 im Wege der Kapitalerhöhung zusätzliche Eigenmittel in beträchtlichem Umfange zur Verfügung gestellt hatte 12. Im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung von 1922 brachte das Reich auch seine Anteile an der Erftwerk AG als Sacheinlage in die VAW ein. Nach den Vorstellungen des Reichsschatzministeriums sollten die Aluminiuminteressen des Reiches rechtlich und organisatorisch unter dem Dach der VAW zusammengefasst werden. Die Erftwerk AG blieb aber zunächst als selbständige Gesellschaft bestehen; erst nach der Fusion der beiden Gesellschaften im Jahr 1932 wurde ihr Betrieb auch organisatorisch in die VAW eingegliedert 13. Die Hütte in Töging ging nach ihrer Fertigstellung ebenfalls auf die VAW über. Auf Veranlassung des Reichschatzministeriums übertrug die Innwerk Bayerische Aluminium AG, in deren Eigentum die Hütte stand, am 9. Dezember 1925 das gesamte Hüttenvermögen gegen Aktien auf die VAW 14. Zu diesem Zeitpunkt war die VAW bereits eine Tochtergesellschaft der Vereinigte Industrie-Unternehmungen AG (kurz: VIAG), die das Reich am 9. März 1923 als Dachgesellschaft für seinen zumeist aus der Kriegszeit stammenden Industriebesitz gegründet hatte15. Zu den in der VIAG zusammengefassten Industrieunternehmen des Reiches gehörten neben der VAW eine Reihe von bedeutenden Unternehmen der Elektrizitätswirtschaft und der Stickstoffindustrie. Tochterunternehmen der VIAG waren unter anderem die bereits erwähnte Elektrowerke AG, auf die das Kraftwerk in Lauta übergegangen war, sowie das Bayernwerk und die Innwerk, Bayerische Aluminium AG, von der die Hütte in Töging ihren Strom bezog. Durch die Übertragung der Verwaltung auf eine privatrechtliche Holdinggesellschaft sollte erreicht werden, dass die Industrieunternehmen des Reiches frei von bürokratischen Einflüssen nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen geführt wurden. Dass der VIAG dabei auch eine unternehmerische Rolle zugedacht war, kommt in der Denkschrift zum Ausdruck, die das Schatzministerium dem Haushaltsausschuss des Reichstages zuleitete: „Es wird Auf-
91
Abb. 14: Max von der Porten (1879–1943) Vorsitzender des Vorstandes der VAW 1920–1933
Abb. 15: Dr. Gustav Pistor (1872–1960) Leiter des Werkes Bitterfeld der Chemischen Fabrik Griesheim seit 1910
gabe der VIAG sein, die genannten Schlüsselindustrien, von denen die Stickstoffindustrie wegen der Ernährungswirtschaft, die Aluminiumindustrie zum Ersatz ausländischen Kupfers und die Elektroindustrie als Stromerzeugerin für die vorgenannten Industrien und zur allgemeinen Stromversorgung des Reiches von größter volkswirtschaftlicher Bedeutung sind, wirtschaftlich fortzuentwickeln“. Zur Wahrung der staatlichen Interessen in der neuen Gesellschaft entsandte das Reich Vertreter der Ministerialbürokratie und Reichtagsabgeordnete in die Aufsichtsräte der VIAG und ihrer wichtigsten Tochtergesellschaften. Erster Aufsichtsratsvorsitzender der VIAG wurde der damalige Reichsschatzminister Albert, der auch im Aufsichtsrat der VAW den Vorsitz übernahm. Nach der Auflösung des Schatzministeriums betraute man leitende Beamte des Finanzministeriums mit der Wahrnehmung der Interessen des Reiches in den Aufsichtsräten. Die Privatwirtschaft war im Aufsichtsrat der VAW durch Dr. Alfred Merton und ein weiteres Vorstandsmitglied der Metallgesellschaft sowie durch Dr. Theodor Plieninger und Dr. Gustav Pistor von der I.G. Farben AG (Rechtsnachfolgerin von Griesheim-Elektron) vertreten 16. Auch die wichtigsten Führungspositionen im Konzern der VIAG waren mit ehemaligen Beamten besetzt. In den Vorstand der VIAG berief man mit Edgar Landauer und Wilhelm Lenzmann zwei Beamte des Reichsschatzministeriums, die diese Aufgabe
92 bis in die 30er Jahre hinein wahrnahmen. Der Vorsitz im Vorstand der VAW war schon 1920 mit Max von der Porten (1879–1943) besetzt worden, der sich im Krieg in der Kriegsrohstoffverwaltung bewährt hatte und über ausgezeichnete Verbindungen zur Reichsregierung verfügte. Vor dem Krieg war von der Porten in der Privatwirtschaft tätig gewesen und hatte bei der Otavi Minen- und Eisenbahngesellschaft, einer Kolonialgesellschaft mit Interessen in Südafrika, kaufmännische und technische Erfahrungen erworben. Nach der Auflösung der Kriegsmetall AG hatte er als Reichsbevollmächtigter die Leitung des Metallwirtschaftsbundes übernommen, eines im Mai 1919 gegründeten Selbstverwaltungskörpers für das Gebiet der Nichteisenmetalle, das im Auftrag des Reichswirtschaftsministeriums auch Aufgaben der Außenhandelskontrolle wahrzunehmen hatte17. Auch der langjährige Vorsitzende des Vorstandes der Erftwerk AG, Geheimrat Gustav Lueck, stammte aus der staatlichen Verwaltung. Von den übrigen Mitgliedern des Vorstandes der VAW ist vor allem der für das kaufmännische Ressort verantwortliche Ernst Rauch (1878–1965) zu erwähnen18. Rauch hatte schon vor dem Krieg bei der Firma Guilini praktische Erfahrungen mit dem Aluminium gesammelt und war 1913 als enger Mitarbeiter von Dr. Georg Guilini an den Verhandlungen mit den staatlichen Behörden beteiligt, die Guilini über den Bau einer Hütte am Inn führte. Neben von der Porten war es vor allem Rauch, der die erfolgreiche Entwicklung der VAW in den Jahren bis 1933 geprägt hat. Nach der Machtübernahme der Nazi verloren beide aus politischen Gründen ihre Ämter.
4.2 Kurze Zeit der Blüte – der Aufschwung der Jahre 1925 bis 1929 Nach den chaotischen Nachkriegsjahren erlebte Deutschland ab 1924 eine kurze Phase relativer politischer und wirtschaftlicher Stabilität. Inzwischen hatten auch die schärfsten Kriegsgegner des Deutschen Reiches eingesehen, dass ein wirtschaftlich ruiniertes Deutschland außerstande sein würde, die ihm im Friedensvertrag von Versailles auferlegten Reparationsverpflichtungen zu erfüllen. Mit amerikanischer und englischer Hilfe kam es zu einer Neuregelung des Reparationsabkommens, die Deutschland eine kurze Atempause gewährte, die es für die Wiederherstellung seiner finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dringend benötigte. Mit der Einführung der in Gold oder Devisen einlösbaren Reichsmark im August 1924 und der Verabschiedung des Dawes-Plans am 9. September 1924 begann für das von Krisen geschüttelte Nachkriegsdeutschland eine neue Epoche. Nun konnten sich auch in der deutschen Volkswirtschaft allmählich die Auftriebskräfte durchsetzen, die zuvor schon in den USA und anderen Industriestaaten für einen Aufschwung auf breiter Front gesorgt hatten. In der zweiten Hälfte der 20er Jahre nahm die Industrieproduktion in Deutschland kräftig zu. 1928 wurden 114 Prozent des Niveaus von 1913 erreicht (nach 92 Prozent
93 im Jahr 1925). Auch das Volkseinkommen überschritt um die Jahreswende 1928/1929 erstmals das Vorkriegsniveau19. Die wirtschaftliche Erholung wäre nicht möglich gewesen ohne den massiven Zustrom ausländischen Kapitals, das nach der Wiederherstellung der deutschen Zahlungsfähigkeit in unerwarteter Höhe seinen Weg nach Deutschland fand. Der hohe Anteil kurzfristiger Auslandsschulden barg freilich auch beträchtliche Gefahren für die deutsche Volkswirtschaft, wie sich nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 erweisen sollte. Auch Rückschläge blieben in dieser Periode nicht aus. Von Mitte 1925 bis Mitte 1926 kam es zu einer ernsten Stabilisierungskrise, in deren Verlauf eine große Zahl von Unternehmen, vor allem solche, die in der Inflationszeit entstanden waren, durch Konkurs oder freiwillige Liquidierung aus dem Wirtschaftsprozess ausschieden. Für die Aluminiumindustrie brachte der weltweite Konjunkturaufschwung eine kurze Zeit der Blüte, von der auch die junge deutsche Aluminiumindustrie profitierte. In Europa und in den USA kam es zu einem kräftigen Anstieg des Aluminiumverbrauchs. In Fernost gewann Japan als neues Absatzgebiet rasch an Bedeutung. Auch Britisch-Indien und die Sowjetunion entwickelten sich zu interessanten Märkten für die Aluminiumindustrie. Im Jahr 1929 wurde mit 269.000 Tonnen weltweit mehr als doppelt so viel Hüttenaluminium verbraucht wie zu Beginn der Dekade – trotz des tiefen Einbruchs in den Jahren 1921/1922. In Deutschland stieg der Verbrauch an Hüttenaluminium von 17.000 Tonnen im Jahr 1920 auf 33.000 Tonnen im Jahr 1929. Wenn man den Einfuhrüberschuss bei Aluminiumabfällen hinzurechnet, ergibt sich für 1929 ein Rohaluminiumverbrauch von fast 40.000 Tonnen. Nur in den USA wurde damals mehr Aluminium verbraucht20. Da die deutschen Behörden eine Einfuhr von Hüttenaluminium aus dem Ausland nur in beschränktem Umfang zuließen, kam der Verbrauchszuwachs vor allem den inländischen Produzenten zugute. Von diesen profitierte am meisten die VAW, die ihre Hüttenproduktion von knapp 7.000 Tonnen zu Beginn der 20er Jahre auf 26.000 Tonnen im Jahr 1929 ausweiten konnte. Bis Ende 1925 stand der VAW auch die Produktion der Hütte in Bitterfeld zur Verfügung, die ihr beim Ausscheiden der privaten Aktionäre im Jahr 1920 von dem MGGriesheim-Konsortium pachtweise für fünf Jahre überlassen worden war. Im letzten
Tabelle 4: Produktion der deutschen Aluminiumhütten 1920–1929 21 1.000 t
1920
1922
1924
1926
1928
1929
4,7 2,0 –
6,7 4,4 –
7,0 6,0 –
7,6 5,9 10,1
7,8 6,3 10,7
7,7 7,6 10,7
VAW
6,7
11,1
13,0
23,6
24,8
26,0
Bitterfeld Rheinfelden
2,7 1,1
2,6 1,5
4,6 1,5
4,7 1,7
4,6 2,2
4,5 2,3
10,5
15,2
19,1
30,0
31,6
32,8
Lauta Grevenbroich Töging
Gesamt
94 Jahr ihrer Zugehörigkeit zur VAW-Gruppe trug die Hütte in Bitterfeld 4.650 Tonnen zur Gesamtproduktion der VAW bei. Die Produktionslücke, die durch die Rückgabe des Werkes an die beiden Eigentümerfirmen entstand, konnte die VAW durch das Innwerk in Töging schließen, das den Betrieb zu Beginn des Jahres 1925 aufgenommen hatte und dessen Produktion schon nach wenigen Jahren die Nennkapazität von 10.000 Jato überschritt. Möglichkeiten für eine Erhöhung der Produktion hatte die VAW auch beim Lautawerk und beim Erftwerk. Die Produktion dieser Hütten blieb am Ende der 20er Jahre noch beträchtlich hinter der ursprünglich geplanten Leistung zurück. Voll ausgefahren wurde nur die Hütte in Töging, die mit ihrem billigen Wasserstrom die günstigsten Produktionskosten der drei VAW-Hütten hatte, während sich die Hütte in Lauta und das Erftwerk den wechselnden Gegebenheiten des Marktes anpassen mussten. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 machte alle Pläne für eine weitere Produktionssteigerung zunichte. Zu einer vollen Nutzung der Kapazitäten in Lauta und Grevenbroich kam es erst nach 1933. Die beiden kleineren Hüttenproduzenten in Deutschland, das MG-Griesheim-Konsortium mit der Hütte in Bitterfeld und die AIAG mit ihrem deutschen Tochterwerk Rheinfelden, waren an der Ausweitung der Hüttenproduktion in den 20er Jahren kaum beteiligt. Bitterfeld produzierte seit 1924 mit einer Jahresleistung von rund 4.600 Tonnen an der Kapazitätsgrenze. Auch in Rheinfelden stagnierte die Produktion bis zur Mitte der Dekade bei etwa 1.500 Tonnen. Durch technische Verbesserungen konnte die Leistungsfähigkeit der Hütte ab 1926 schrittweise auf ein Niveau von 2.400 Tonnen gebracht werden. Dazu baute die AIAG im Rheinkraftwerk zwei ihr gehörende Turbinen zur besseren Anpassung an die Wasserverhältnisse um und erhöhte dadurch die aus Eigenerzeugung zur Verfügung stehende Strommenge 22. Ein Ausbau der Elektrolyse wäre nur mit Zustimmung der Reichsregierung möglich gewesen. Diese lehnte indessen alle diesbezüglichen Anträge der AIAG ab 23. Man darf wohl davon ausgehen, dass dies auf Betreiben der VAW geschah, die in der AIAG unverändert ihre Hauptkonkurrentin sah. Zwar bestand keine akute Bedrohung, solange die Verordnung von 1917 Gültigkeit hatte und auch Einfuhren aus der Schweiz und Österreich nur in beschränktem Umfang zugelassen wurden. Die VAW musste jedoch damit rechnen, dass das deutsche Einfuhrverbot früher oder später aufgehoben würde. In diesem Falle drohte ihr die größte Gefahr von der AIAG, die sich noch immer eines hohen Ansehens bei der deutschen Aluminium verarbeitenden Industrie erfreute, deren Hauptlieferant sie bis zum Kriegsende gewesen war. Die von der VAW befürchtete Öffnung des deutschen Marktes wurde Tatsache, nachdem sich Deutschland auf der Welthandelskonferenz von 1927 verpflichtet hatte, die Einfuhrverbote für Waren aller Art bis zum 30. Juni 1930 aufzuheben. Auf Betreiben der VAW wurde im August 1930 ein Einfuhrzoll für Hüttenaluminium und Aluminiumabfälle eingeführt, der an die Stelle des bisher geltenden Einfuhrverbotes trat und mit dessen Hilfe man eine Überflutung des deutschen Marktes mit billigem Metall unterbinden wollte. Mit 250 Reichsmark pro Tonne lag der deutsche Zoll für Hütten-
95 aluminium deutlich unter den Sätzen der anderen Erzeugerländer. Bei den damals erzielten Preisen machte er knapp vierzehn Prozent ad valorem aus24. Mit der Aufhebung des deutschen Einfuhrverbotes war ein wichtiges Anliegen der AIAG erfüllt. Die damals einsetzende Weltwirtschaftskrise machte es ihr freilich schwer, den freien Zugang zum deutschen Markt auch tatsächlich zu nutzen. Die krisenhafte Zuspitzung der Lage auf den Aluminiummärkten zwang die Aluminiumproduzenten schon bald zur Einführung eines Quotensystems und anderer Maßnahmen, die den freien Wettbewerb weitgehend beseitigten. Die Ersetzung des deutschen Einfuhrverbotes für Hüttenaluminium durch einen Aluminiumzoll hatte aber noch eine weitere, völlig unerwartete Auswirkung. Sie verhalf der AIAG im Jahr 1930 zu der bisher vergeblich beantragten Genehmigung für den Ausbau ihrer Hütte in Rheinfelden. Die deutschen Behörden hatten offenbar übersehen, dass der deutsch-schweizerische Handelsvertrag den Einfuhrzoll auf Hüttenaluminium aus der Schweiz auf fünf Franken pro 100 Kilogramm beschränkte. Ohne ein Entgegenkommen der Schweiz wäre die Einführung des geplanten Zolltarifs gescheitert. Der Schweizer Bundesrat stimmte nach längeren Verhandlungen einer Änderung des Handelsvertrages zu, erreichte aber im Gegenzug, dass die deutsche Seite ihren Widerstand gegen eine Erweiterung der Hütte in Rheinfelden aufgab. Anfangs 1930 erteilte das Reichswirtschaftsministerium die Genehmigung für eine Erhöhung der Produktionskapazität in Rheinfelden um 2.000 Tonnen25. Obwohl sich die Marktsituation inzwischen drastisch verschlechtert hatte, nahm die AIAG den Ausbau unverzüglich in Angriff. Den für die zusätzliche Produktion benötigten Strom lieferte das Badenwerk aus dem benachbarten Kraftwerk Ryburg-Schwörstadt über eine eigens für die Versorgung der Hütte errichtete Leitungstrasse. Schon im April 1931 war die erweiterte Hütte in vollem Betrieb. Die VAW war nicht bereit, diese Veränderung der Wettbewerbsverhältnisse ohne Gegenwehr hinzunehmen. Durch die Aufhebung des Einfuhrverbotes hatte sie ihr Quasimonopol auf dem deutschen Markt eingebüsst. Jetzt musste sie auch noch erleben, dass ihr wichtigster Konkurrent seine Position im Inland durch die Erweiterung der Hütte in Rheinfelden ausbauen konnte. Es kam zu einem erbitterten Streit über die zukünftige Rolle der Schweizer auf dem deutschen Markt, über den wir in einem späteren Kapitel berichten werden. Weitgehend spannungsfrei war das Verhältnis zwischen der VAW und den Eigentümern des Hüttenwerkes in Bitterfeld. Mit dem Konsortium verband die VAW seit Anfang der 20er Jahre ein enges Geflecht von Beziehungen, das keine der beiden Seiten durch einen Streit über den Ausbau der Hütte in Bitterfeld in Frage stellen wollte. Enge Beziehungen bestanden vor allem zur Metallgesellschaft. Schon 1920, nach dem Ausscheiden des Konsortiums aus der VAW, hatte man vereinbart, dass die Metallgesellschaft während einer Übergangszeit die Verantwortung für den Verkauf der Hüttenproduktion der VAW und der Erftwerk AG behalten sollte. Ausgenommen waren nur die Metallverkäufe an staatliche und kommunale Elektrizitätswerke und an andere staatliche Stellen. Der zunächst befristete Kommissionsvertrag wurde mehrmals ver-
96 längert und galt schließlich bis in die 30er Jahre. Die VAW zog es vor, auf eine eigene Verkaufsorganisation zu verzichten und stattdessen die Erfahrungen der Metallgesellschaft zu nutzen, die den Verkauf von Hüttenaluminium schon seit Beginn des Jahrhunderts betrieben hatte. Dabei blieb es auch, nachdem die Hütte in Bitterfeld Ende 1925 an das Konsortium zurückgefallen war, in dem inzwischen die IG Farben AG als Rechtsnachfolgerin der Firma Griesheim deren Platz eingenommen hatte. Um zu verhindern, dass es auf dem Markt für Hüttenaluminium zu einem nicht gewünschten Wettbewerb zwischen der VAW und dem Konsortium kommen würde, beschlossen die beiden Gruppen, ihre gesamte Hüttenproduktion gemeinsam zu vermarkten. In Zukunft sollte die Metallgesellschaft auch für die Aluminiumwerke Bitterfeld GmbH, die das Werk Bitterfeld seit Anfang 1926 betrieb, den Alleinverkauf übernehmen. Das Verhältnis der Produktionsmengen der beiden Gruppen sowie ein System des Preisausgleiches und Fragen der Verkaufspolitik wurden in einem Syndikatsvertrag geregelt. Der Verkauf erfolgte über die „Aluminium-Verkaufsgesellschaft m.b.H“ in Berlin 26. Auch bei der Produktion und dem Verkauf der Gusslegierung „Silumin“ kam es zu einer engen Zusammenarbeit zwischen VAW und Metallgesellschaft, worüber noch zu berichten sein wird. Das Bestehen einer „spezial relationship“ zwischen diesen beiden Gesellschaften liefert wohl auch die Erklärung dafür, dass das MG/IG Farben Konsortium im Jahr 1928 die Genehmigung für den Ausbau der Hütte in Bitterfeld erhielt. Ohne die Zustimmung oder wenigstens wohlwollende Duldung durch die VAW hätten die zuständigen Reichsbehörden dem Antrag kaum zugestimmt. Durch den Bau einer zweiten Ofenhalle wurde die Kapazität der Elektrolyse in Bitterfeld auf 8.400 Jato verdoppelt. Dabei kam zum ersten Mal in Deutschland ein großer Elektrolyseofen für Belastungen mit 30.000 Ampere zum Einsatz, den man in Bitterfeld selbst entwickelt hatte. In der neuen Ofenhalle waren 48 Bäder dieses Typs installiert, die den aus der Kriegszeit stammenden 12.000 Ampere-Zellen im alten Ofenhaus in Bezug auf Energieverbrauch, Arbeitskosten und Haltbarkeit der Ofenböden deutlich überlegen waren. Im Zuge der Erweiterung der Elektrolyse wurde auch die schwere Arbeit des Schöpfens der Öfen durch die pneumatische Entnahme des Metalls ersetzt. Diese Maßnahme und weitere Verfahrensverbesserungen machten Bitterfeld zu der damals modernsten Aluminiumhütte in Deutschland. Ungeachtet der inzwischen ausgebrochenen Weltwirtschaftskrise wurde die neue Halle am 30. November 1929 in Betrieb genommen. Wegen der massiven Verschlechterung der Marktlage sah man sich jedoch gezwungen, die alten Ofenanlagen zeitweise stillzulegen, da eine Auslastung der Gesamtanlage nicht mehr gewährleistet war. Erst 1933 konnte die erhöhte Kapazität voll genutzt werden 27. Die Zusammenarbeit der Industrie in der 1912 gegründeten 2. Aluminium Association war kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges beendet worden, nachdem die Franzosen und Engländer den Kontakt zu der AIAG abgebrochen hatten, deren Präsident Emil Huber den Vorsitz im Komitee der Vereinigung führte. Die AIAG war es auch, die anfangs der 20er Jahre die Initiative zur Wiederbelebung des internationalen
97 Aluminiumkartells ergriff. 1922 kam es zu ersten Preisabsprachen zwischen der AIAG, der Aluminium Française und der englischen Baco, die vor allem den hart umkämpften Exportmarkt betrafen. Die drei Unternehmen waren sich darin einig, dass derartige Absprachen nur begrenzte Wirkung entfalten konnten, solange die deutsche Aluminiumindustrie abseits stand. Man mochte die Deutschen auch weiterhin als unbequeme Konkurrenz mit scheelen Augen betrachten, ignorieren durfte man sie nicht. Durch Vermittlung der AIAG kam es zu Gesprächen mit den deutschen Produzenten, die sich einer Zusammenarbeit nicht abgeneigt zeigten. Am 10. Oktober 1923 wurde eine Preiskonvention unterzeichnet, an der sich neben den Schweizern, Franzosen und Engländern auch die beiden deutschen Hüttengesellschaften VAW und Erftwerk AG beteiligten 28. Knapp drei Jahre später gründeten diese Unternehmen die 3. Aluminium Association, die sich eine umfassende Regelung des Wettbewerbs auf dem Aluminiummarkt zum Ziel setzte. Die Erreichung dieses Zieles war allerdings von vornherein in Frage gestellt, da die amerikanische Alcoa weder direkt noch über ihre für das internationale Geschäft zuständige kanadische Tochtergesellschaft an den Absprachen beteiligt war. In Form und Inhalt lehnte sich der Kartellvertrag vom 10. September 1926 stark an den Gründungsvertrag der zweiten Association an. Wie ihre Vorgängerin war auch die dritte Association ein Preis- und Mengenkartell, das es den Mitgliedsfirmen freistellte, im Rahmen ihrer Quote zu verkaufen an wen und wo sie wollten. Auf eine gemeinsame Verkaufsorganisation, wie die AIAG sie gewünscht hatte, konnte man sich nicht einigen. Die Kartellpreise wurden durch ein Komitee festgesetzt, in das jedes Mitglied einen Vertreter entsandte. Für die Festlegung der Absatzquoten waren die Ablieferungen der Mitglieder im Jahr 1925 maßgebend. Die höchste Quote erhielt die Aluminium Français mit 33,1 Prozent, ihr folgten die Deutsche Gruppe mit 27,1 Prozent, die AIAG mit 23,8 Prozent und die Baco mit 16,0 Prozent. Mehr- und Minderlieferungen sollten durch die Übertragung von Aufträgen zwischen den Mitgliedern ausgeglichen werden. Die jeweils gültigen Mindestpreise waren von den beteiligten Unternehmen auch im Inlandsgeschäft zu beachten. Zu dem von den Verbrauchern befürchteten Preisanstieg führte dies aber nicht. In den Jahren 1925 bis 1930 zeigten die Kartellpreise für Hüttenaluminium sogar eine rückläufige Tendenz. Sie lagen während der ganzen Periode unter den Verkaufspreisen der Alcoa im amerikanischen Markt, der seit 1922 durch einen drastisch erhöhten Einfuhrzoll auf Hüttenaluminium wirksamer geschützt war als in den ersten Nachkriegsjahren 29. Seit Mitte der 20er Jahre nahm Deutschland in der Rangliste der Aluminium erzeugenden Länder hinter den USA und Kanada den dritten Platz ein. In der Produktionsstatistik von 1929 lag Deutschland mit einer Hüttenproduktion von 32.700 Tonnen knapp vor Frankreich und Norwegen, die beide auf eine Produktion von 29.000 Tonnen kamen. Norwegen hatte seine Aluminiumerzeugung in den 20er Jahren stark ausgebaut und die traditionellen Aluminiumländer Schweiz (21.000 Tonnen) und Großbritannien (14.000 Tonnen) hinter sich gelassen. Spitzenreiter waren unangefochten die
98 USA: Dort hatte die Alcoa das in den Jahren 1921/1922 verlorene Terrain wieder wettgemacht und erzeugte 1929 mit 103.000 Tonnen mehr als ein Drittel der gesamten Weltproduktion. Auch in Kanada hatte die Aluminium Ltd. (auf die 1928 der frühere Auslandsbesitz der Alcoa übergegangen war) ihre Kapazitäten stark erweitert und überflügelte am Ende der Dekade mit 42.000 Tonnen sämtliche europäischen Erzeugerländer 30. Auf das Deutsche Reich entfielen 1928/1929 etwa zwölf Prozent der Weltproduktion an Hüttenaluminium. Wie diese Zahlen zeigen, gehörte die im Krieg entstandene und in den 20er Jahren systematisch ausgebaute deutsche Hüttenindustrie inzwischen auch im weltweiten Maßstab zu den bedeutendsten Mitgliedern der Branche. Wie aber war es mit der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hütten bestellt? In den ersten Nachkriegsjahren hatten ja sogar hohe Beamte des Reichschatzministeriums Zweifel an der Lebensfähigkeit der deutschen Hüttenindustrie geäußert. Und auch der Vorstand der VAW war anfangs davon ausgegangen, dass die Aluminiumerzeugung in Lauta nur solange zu rechtfertigen sei, bis das mit Wasserkraft betriebene Werk in Töging den Betrieb aufnehmen werde. Noch kritischer wurde die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hütten von den ausländischen Konkurrenten beurteilt. Sie bestritten rundweg, dass die auf Braunkohlestrom angewiesenen Hütten in der Lage sein würden, unter den Bedingungen des freien Wettbewerbs mit ihren Hütten zu konkurrieren, die durchweg mit billiger Wasserkraft betrieben wurden. Sogar die Konkurrenzfähigkeit des damals noch im Planungsstadium befindlichen Innwerkes hatte man in Zweifel gezogen. Auch in Töging würden die Stromkosten über denen der Konkurrenz liegen, da das Laufkraftwerk am Inn wegen seiner hohen Baukosten nicht mit den in Frankreich und in der Schweiz üblichen alpinen Hochdruckkraftanlagen konkurrieren könne, die überdies zum größten Teil abgeschrieben seien. Nicht ganz uneigennützig hatte man der Reichsregierung empfohlen, die unwirtschaftlichen Kriegshütten stillzulegen und auch auf den Bau der Hütte in Töging zu verzichten. Volkswirtschaftlich stelle sich Deutschland besser, wenn es seinen Aluminiumbedarf, wie vor dem Krieg, von den Ländern beziehe, in denen günstigere Bedingungen für die Aluminiumerzeugung herrschten31. Die Reichsregierung hatte sich von diesen Argumenten nicht beeindrucken lassen und unbeirrt an ihren Plänen festgehalten. Seit 1924 erwirtschaftete die VAW einen (wenn auch bescheidenen) Gewinn und erbrachte damit den Nachweis, dass sie unter normalen wirtschaftlichen Bedingungen rentabel arbeiten konnte 32. Der Einwand der Kritiker, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hütten werde sich erst dann erweisen, wenn das Einfuhrverbot aufgehoben und der deutsche Markt für die ausländische Konkurrenz geöffnet werde, galt nur mit Einschränkungen. Trotz ihrer Vorzugsstellung auf dem Inlandsmarkt konnten die deutschen Produzenten ihre Preise nicht nach Belieben festsetzen. Ihre Preispolitik musste sich am internationalen Preisniveau orientieren, da sie jederzeit bereit sein mussten, in das Angebot eines ausländischen Wettbewerbers einzutreten. Seit 1923 waren die deutschen Produzenten zudem an die Kartellabsprachen mit den anderen europäischen Produzenten gebunden, die eine
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Abb. 16: Arbeiter beim Metallschöpfen im Innwerk (1925)
autonome Preisfestsetzung weitgehend unterbanden. Mit dem Innwerk in Töging verfügte die VAW seit 1925 über die modernste Aluminiumhütte in Europa. Mit einer Produktionsleistung von über 10.000 Tonnen war sie das zweitgrößte Hüttenwerk in Europa nach der AIAG-Hütte in Chippis. Auch die Hütten in Lauta und Grevenbroich zählten zur Spitzengruppe der europäischen Hüttenindustrie, zumindest was die Betriebsgröße angeht. Von den rund dreißig Hütten, die Ende der 20er Jahre in Europa Aluminium erzeugten, erreichten 1929 nur sechs eine Jahresproduktion von 7.000 Tonnen und mehr: Neben Chippis und den drei VAW-Hütten waren dies die Hütte der norwegischen Det Norske Nitrid Aktieselskab in Tyssedal und die BacoHütte in Kinlochleven. Auf die elf Hütten in Frankreich entfiel 1929 eine durchschnittliche Produktion von nur 2.600 Tonnen. Die Kapazität der beiden größten französischen Hütten, St. Auban und St. Jean de Maurienne, lag bei oder knapp über 6.000 Jato 33. Für die deutschen Aluminiumhütten ergaben sich gegenüber den kleineren Betrieben der Konkurrenz deutliche Skaleneffekte, die die höheren Stromkosten wenigstens zum Teil kompensierten. Das Hüttenwerk in Töging war mit modernen 13.000 Ampere-Öfen ausgerüstet, die schon bald nach der Inbetriebnahme des Werkes mit Stromstärken von bis zu 15.000 Ampere gefahren wurden. Auch die Elektrolysetechnologie der im Krieg gebauten Werke in Grevenbroich, Lauta und Bitterfeld entsprach noch dem damaligen Stand
100 der Technik. Mit ihren 12.000 Ampere-Zellen waren diese Hütten der europäischen Konkurrenz mindestens ebenbürtig. Diese verwendete in ihren Betrieben zum Teil noch die alten 8.000 Ampere-Zellen, die sich Anfang des Jahrhunderts als optimaler Zellentyp durchgesetzt hatten. Die AIAG führte nach dem Krieg in Chippis erstmalig 16.000 Ampere-Zellen ein, wobei von der runden Ofenform zur ovalen übergegangen wurde. In Frankreich hatte man schon vor dem Krieg mit höheren Stromstärken experimentiert. 1922 ging in Saint Jean de Maurienne eine erste Serie mit 20.000 AmpereÖfen des Typs „bateau“ in Betrieb. Jedoch dominierte damals auch in Frankreich noch der 10.000 Ampere-Ofen. Der Durchbruch zu größeren Zellenkonstruktionen erfolgte erst gegen Ende der 20er Jahre. Wie wir noch sehen werden, ging man auch in Deutschland in den 30er Jahren bei allen Neubauten zu größeren Zellen über. Als neuer Standard setzten sich die 30.000 Ampere-Zellen durch, die erstmals bei der Erweiterung der Hütte in Bitterfeld im Jahr 1928 zum Einsatz kamen 34. Mitte der 20er Jahre wurden in einer effizienten Elektrolyse etwa 25 bis 28 kWh Gleichstrom benötigt, um ein Kilogramm Aluminium zu erzeugen 35. Durch verbesserte Wärmeisolation konnte der spezifische Stromverbrauch im Laufe der folgenden Jahre weiter reduziert werden. Als besonders wirksame Maßnahmen erwies sich der Übergang zu dem so genannten Schienenofen, bei dem der Stromanschluss durch Flusseisenschienen erfolgt, die in den Kohleboden der Zellen eingestampft wurden. Bis zur Einführung dieser Neuerung hatte der Stromanschluss aus einer schweren gusseisernen Bodenplatte bestanden, die die Wärme abstrahlte und dadurch maßgeblich zu den hohen Wärmeverlusten beitrug 36. Von den deutschen Hütten kam Bitterfeld schon Anfang der 20er Jahre auf einen Stromverbrauch von 24,5 kWh/kg Aluminium. In Lauta lag der spezifische Stromverbrauch 1921 noch bei fast 30 kWh/kg und erreichte den Normbereich erst nach Überwindung beträchtlicher Anlaufsschwierigkeiten. Die Hütte in Töging dürfte schon bald nach ihrer Inbetriebnahme im Jahr 1926 den Wert von 25 kWh/kg unterschritten haben37. Trotz vergleichbarer Effizienz hatten Lauta, Bitterfeld und Grevenbroich aber gegenüber den mit Wasserkraft betriebenen Hütten der ausländischen Konkurrenz einen nicht zu bestreitenden Kostennachteil 38. Allerdings relativierte sich der Kostenvorteil der Wasserkraft, wenn man in Betracht zieht, dass die thermische Kraft jahrein jahraus rund um die Uhr zur Verfügung stand, während die alpinen Wasserkraftwerke der Konkurrenz im Winter wegen der abgesunkenen Wasserführung meist nur einen Teil der benötigten Energie liefern konnten. Wenn man eine Teilstilllegung der Hütte im Winter vermeiden wollte, musste man teuren Winterstrom zukaufen, sofern solcher überhaupt zur Verfügung stand. Dies ließ den Wettbewerbsvorteil der Konkurrenten zusammenschmelzen. In dieser Beziehung unterschied sich übrigens das Laufkraftwerk in Töging vorteilhaft von vielen Wasserkraftwerken der Konkurrenz. Von den sechs Serien der Hütte in Töging mussten im Winter wegen Niederwasser in der Regel nur eine, maximal aber zwei Serien abgeschaltet werden, während bei den alpinen Wasserkraftwerken das Verhältnis von konstanter zu inkonstanter Energie häufig 1 : 1 oder noch ungünstiger war39.
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4.3 Tonerdeproduktion und Bauxitversorgung Für die Oxidversorgung der deutschen Aluminiumhütten standen in den 20er Jahren drei leistungsfähige Tonerdewerke zur Verfügung. Zu der schon 1906 entstandenen und im Krieg stark erweiterten Fabrik der Gebr. Guilini in Ludwigshafen-Mundenheim waren während des Krieges das Tonerdewerk der AIAG in Bergheim/Erft und die Oxidfabrik der VAW in Lauta hinzugekommen. In dem veralteten Werk der AIAG in Goldschmieden wurde 1925 die Herstellung von kalzinierter Tonerde aufgegeben und die Produktion auf die Weiterverarbeitung von Tonerdehydrat aus dem Martinswerk zu schwefelsaurer Tonerde umgestellt. Die drei Werke in Ludwigshafen, Bergheim und Lauta hatten eine Kapazität von zusammen 110.000 bis 120.000 Tonnen kalzinierter Tonerde pro Jahr. Das war weit mehr als man für die Versorgung der deutschen Hütten benötigte. Deren Bedarf lag in der ersten Hälfte der 20er Jahre bei 30.000 bis 40.000 Tonnen pro Jahr und erreichte 1929 mit 65.000 bis 70.000 Tonnen seinen höchsten Stand, bevor er im Verlauf der Weltwirtschaftskrise wieder auf das Niveau von Anfang der 20er Jahre zurückfiel. Ein großer Teil der deutschen Oxidproduktion ging daher als Tonerde oder Tonerdehydrat in den Export. Neben Pechiney waren AIAG und Guilini die wichtigsten Lieferanten auf dem damals entstehenden freien Markt für Tonerde, auf dem sich vor allem die unabhängigen Produzenten versorgten. Den Markt für Tonerdehydrat und Tonerdesulfat teilten die drei Firmen Ende 1933 in einer so genannten „Weltverständigung“ unter sich auf 40. Ganz anders sah es bei der Bauxitversorgung aus. Da es in Deutschland keine abbauwürdigen Bauxitvorkommen gab, war man bei der Rohstoffversorgung der deutschen Tonerdefabriken ganz auf Importe angewiesen. Auf Drängen der politischen Instanzen hatte die VAW nach dem Krieg Versuche mit Bauxit aus dem Gebiet des Vogelsberges in Hessen durchgeführt und in Laborversuchen auch den Aufschluss von Ton geprüft. Die Ergebnisse dieser Versuche waren so eindeutig, dass auch die hartnäckigsten Vertreter einer „nationalen Lösung des Rohstoffproblems“ einsehen mussten, dass für eine wirtschaftliche Herstellung von Tonerde auf ausländischen Bauxit nicht verzichtet werden konnte 41. Es erwies sich jedoch als äußerst schwierig, die erforderlichen Mengen an qualitativ hochwertigem Bauxit im Ausland zu beschaffen. Die Bauxitgruben in Siebenbürgen, die während des Krieges einen großen Teil des deutschen Bauxitbedarfes gedeckt hatten, waren in den Wirren der Nachkriegszeit geschlossen worden. Frankreich, damals größter Bauxitproduzent in Europa, schied für VAW und Guilini aus politischen Gründen als sichere Bezugsquelle aus. Auch waren die französischen Bauxitvorkommen größtenteils in den Händen der französischen, englischen und Schweizer Aluminiumproduzenten, die sie in erster Linie für ihren eigenen Bedarf ausbeuteten. Nur ausnahmsweise waren für VAW und Guilini Bauxitkäufe in Frankreich möglich. So war man zunächst vor allem auf Bauxitlieferungen aus dem damals zu Italien gehörenden Istrien angewiesen. Dazu kamen kleinere Mengen aus dem jugoslawischen Dalmatien. Ungünstige Abbauverhältnisse und der umständliche
102 Transport nach Deutschland mit mehrmaliger Umladung machten den istrischen Bauxit zu einem relativ teuren Rohstoff, der sich auch qualitativ nicht mit dem französischen Erz messen konnte. Auf die Dauer konnte die Bauxitversorgung aus Istrien daher nicht befriedigen, zumal das politische Schicksal des zwischen Italien und Jugoslawien umstrittenen Gebietes ungeklärt war 42.
Vereinigte Aluminium-Werke AG Die Tonerdefabrik der VAW in Lauta war für eine Produktionskapazität von 36.000 Jato ausgelegt, erreichte dieses Produktionsniveau aber erst nach einer langen Anlaufphase in den Jahren 1926/1927 43. Beim Bau des Tonerdewerkes im Krieg hatte man sich für das Pyrogen-Verfahren entschieden, das sich für die Verarbeitung der schwer aufschließbaren Bauxiterze aus Siebenbürgen besser eignete als das von dem Österreicher Dr. Josef Bayer (1847–1904) entwickelte und nach ihm benannte Bayer-Verfahren. Beim Pyrogen- oder Trockenverfahren wird der fein gemahlene Bauxit in Drehrohröfen bei hohen Temperaturen mit Soda gesintert. Das Bayer-Verfahren verwendet zum Aufschluss des Bauxits Natronlauge, mit der das Erz in Druckbehältern unter hohem Druck versetzt wird.44 In Lauta kam eine modifizierte Version des PyrogenVerfahrens zum Einsatz, das die Techniker der Firma Griesheim-Elektron in langjährigen Versuchsarbeiten entwickelt hatten und mit dessen Hilfe man notfalls auch deutschen Ton verarbeiten wollte. Die Ingangsetzung des neuen Tonerdewerkes erforderte jahrelange Anstrengungen der Chemiker und Techniker, bis der Produktionsprozess so weit verbessert war, dass er sowohl hinsichtlich der Kosten wie auch der Oxidqualität einigermaßen befriedigte. VAW und Guilini gehörten damals zu den wenigen Unternehmen, die noch das Pyrogen-Verfahren verwendeten, während sich im Ausland fast überall das Bayer-Verfahren durchgesetzt hatte. Mitte der 20er Jahre wurde auch bei der VAW die Umstellung auf das Bayer-Verfahren erwogen, das sich für die inzwischen auch in Deutschland verfügbaren Bauxiterze besser geeignet hätte. Wegen der mit der Umstellung verbundenen Kosten konnte man sich jedoch nicht zu diesem Schritt entschließen 45. Seit Mitte der 20er Jahre reichte die Tonerdeproduktion in Lauta nicht mehr aus, um den gesamten Bedarf der VAW-Hütten zu decken, deren Verbrauch inzwischen auf etwa 45.000 Tonnen pro Jahr angestiegen war. Die Fehlmenge wurde von der Firma Guilini bezogen. Wie wir uns erinnern, hatte Guilini bei den Verhandlungen mit der Reichsregierung über den Zwangsverkauf ihrer Beteiligungen am Erftwerk und an dem Hüttenprojekt in Töging durchgesetzt, dass ihr ein Lieferrecht für einen Teil des Tonerdebedarfs der VAW eingeräumt wurde. Die Vertreter des Reiches hatten sich dem Argument nicht verschließen können, dass Guilini während des Krieges auf Veranlassung der staatlichen Behörden und im Vertrauen auf eine dauerhafte Beteiligung an den neuen Aluminiumhütten die Produktionskapazität des Tonerdewerkes in Munden-
103 heim beträchtlich ausgeweitet hatte. Schon 1923, also geraume Zeit vor der Fertigstellung der Hütte in Töging, war es dann zu einer Vereinbarung mit der VAW gekommen, die sogar noch über das hinausging, wozu sich das Reich verpflichtet hatte 46. Der Vertrag von 1923, ergänzt durch eine Nachtragsvereinbarung von 1925, verpflichtete die VAW für die Dauer von zehn Jahren, ihren gesamten Tonerdbedarf, soweit er nicht durch die Eigenproduktion in Lauta gedeckt wurde, von Guilini zu beziehen. Als monatliche Mindestmenge wurden für die ersten fünf Jahre 1.300 Tonnen und für die zweite Vertragshälfte 800 Tonnen festgesetzt. Diese Mindesttonnage war ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Bedarf abzunehmen, also auch dann, wenn die VAW dadurch genötigt sein sollte, die eigene Tonerdefabrikation einzuschränken. So hieß es ausdrücklich im Vertrag. Die VAW hatte sich auf diese sehr weitgehende Festlegung im Vertrauen auf eine stetige Aufwärtsentwicklung der Aluminiumindustrie eingelassen. Mit einem tiefen Einbruch der Aluminiumnachfrage, wie er wenige Jahre später als Folge der Weltwirtschaftskrise eintreten sollte, rechnete man damals nicht. Wie wir noch sehen werden, hatte die Abnahmeverpflichtung in den Krisenjahren von 1930 bis 1933 fatale Folgen für die VAW. Die Hauptsorge der VAW in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg galt der Schaffung einer verlässlichen Bauxitbasis, die das Unternehmen von Drittbezügen unabhängig machen sollte. Die VAW war damals der einzige große Aluminiumproduzent in der Welt, der zur Deckung seines Bauxitbedarfs völlig auf Zukäufe von Dritten angewiesen war. Um diesem Übelstand abzuhelfen, entschloss sich die Führung der VAW, im Bauxitbergbau Fuß zu fassen und eine eigene Bauxitversorgung aufzubauen. Auf der Suche nach einer geeigneten Beteiligung stieß man auf den ungarischen Unternehmer Dr. Hiller, der sich in Istrien, Ungarn und Rumänien Schürfrechte gesichert und zu deren Ausbeutung lokale Gesellschaften gegründet hatte, die in einer Schweizer Holdinggesellschaft, der Bauxit Trust AG mit Sitz in Zürich, zusammengefasst waren. Hiller war an einer Zusammenarbeit mit der VAW sehr interessiert, versprach sie doch einen gesicherten Absatz und erleichterten Zugang zu Finanzmitteln, die er für die Erschließung der Vorkommen dringend benötigte. Nachdem sich ein erstes gemeinsames Projekt in Istrien zerschlagen hatte, entschloss sich die VAW 1925 zu einer Kapitalbeteiligung an der Bauxit Trust AG 47. Ihr Interesse galt vor allem den Vorkommen bei Gant im Vertes-Gebirge westlich von Budapest, wo die Bauxit Trust AG über ihre Konzerntochter Aluerz bedeutende Abbaugebiete besaß. Erste geologische Untersuchungen hatten dort Lagerstätten von großer Mächtigkeit ergeben. Da die VAW die erforderlichen Finanzmittel nicht allein aufbringen konnte, schloss sie sich mit der Otavi Bergbau und Eisenbahngesellschaft zu einem Konsortium zusammen. Die Otavi war vor dem Krieg als so genannte Kolonialgesellschaft zur Ausbeutung von Kupfervorkommen in Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) gegründet worden und suchte nach dem Verlust ihres früheren Tätigkeitsgebietes neue Aufgaben. Neben einschlägigen Erfahrungen auf dem Gebiet des Bergbaus verfügte sie reichlich über flüssige Mittel, für die sie interessante Anlagemöglichkeiten suchte.
104 Obgleich VAW und Otavi nur eine Minderheitsbeteiligung an der Bauxit Trust AG erwarben, die weniger als dreißig Prozent des Aktienkapitals ausmachte, beherrschten die beiden deutschen Aktionäre die Gesellschaft. Um eine Majorisierung durch die übrigen Aktionäre zu verhindern, setzten sie den Abschluss eines Syndikatsvertrages durch, in dem sich die wichtigsten Aktionärsgruppen unter ihrer Führung zur einheitlichen Ausübung ihrer Stimmrechte in der Generalversammlung verpflichteten. Auch die technische Leitung und Überwachung der Grubenbetriebe lag in ihren Händen. Das Vorkommen bei Gant, auf das sich die Aktivitäten der Gesellschaft konzentrierten, erwies sich als eine der ergiebigsten Bauxitlagerstätten. Geologische Untersuchungen in den Jahren 1925/1926 ergaben nachweisbare Reserven von 22 Millionen Tonnen, wahrscheinliche Reserven von 50 Millionen Tonnen und geschätzte Reserven von weiteren 80 Millionen Tonnen. Mit einem Tonerdeanteil von 56/57 Prozent und einem Kieselsäureanteil von 3,5 Prozent entsprach die Qualität des in Gant im Tagbau geförderten Bauxits weitgehend dem als Standardqualität geltenden französischen Bauxit. Die im Lautawerk verarbeiteten Probelieferungen bestätigten die ausgezeichnete Qualität und Verarbeitbarkeit des Erzes. Nach der Eröffnung des Grubenbetriebs im Jahr 1927 rollten bald regelmäßig riesige Güterzüge mit einem Ladegewicht von 800 Tonnen in Richtung Deutschland. Im ersten Jahr nach der Aufnahme des Grubenbetriebs wurden bereits 200.000 Tonnen Bauxit nach Deutschland geliefert. Ende der 20er Jahre nahm Ungarn nach Frankreich den zweiten Platz der Bauxit fördernden Länder in Europa ein, noch vor Italien und Jugoslawien. Durch ihre Beteiligung an der Bauxit Trust AG hat sich die VAW eine Bauxitbasis geschaffen, die eine sichere Versorgung mit hochwertigem Erz auf Jahre hinaus gewährleistete. Ungarn blieb für die deutsche Aluminiumindustrie bis zum Einmarsch der Roten Armee im Sommer 1944 die wichtigste Bezugsquelle für Bauxit.
AIAG Das Martinswerk in Bergheim/Erft war in den ersten Nachkriegsjahren praktisch die einzige Produktionsstätte für Tonerde, die der AIAG für die Versorgung ihrer Hütten in Neuhausen, Chippis, Rheinfelden und Lend zur Verfügung stand. Die bei Kriegsausbruch von den französischen Behörden beschlagnahmte Tonerdefabrik in St. Louis des Ayglades in Südfrankreich wurde erst 1921 freigegeben. Es bedurfte umfangreicher Aufräumungs- und Instandsetzungsarbeiten bevor das Werk im August 1922 den Betrieb wieder aufnehmen konnte. Versorgungsengpässe entstanden dadurch nicht, da die AIAG ihre Hüttenproduktion von 1919 bis 1922 wegen der schwierigen Marktverhältnisse auf weniger als die Hälfte des im Krieg erreichten Niveaus zurücknehmen musste und entsprechend weniger Tonerde benötigte 48. Knapp wurde die vorhandene Tonerdekapazität erst, als die AIAG ihre Hüttenproduktion in der zweiten Hälfte der 20er Jahre stark ausweitete und immer größere Mengen an Tonerde und Tonerde-
105 hydrat auf dem freien Markt verkaufte. Jetzt wäre ein Ausbau des Martinswerkes sehr gelegen gekommen. Mit seinen modernen, nach dem Bayer-Verfahren arbeitenden Anlagen und der auf billiger Braunkohle basierenden Energieversorgung gehörte das Werk in Bergheim zu den kostengünstigsten Produktionsstätten für Tonerde. Einer Erweiterung des Werkes stand jedoch die noch immer geltende Bundesratsverordnung aus dem Jahr 1917 entgegen, die ja auch die Errichtung und Erweiterung von Tonerdefabriken unter den staatlichen Genehmigungsvorbehalt gestellt hatte. Allen Bemühungen zum Trotz gelang es nicht, die für den Ausbau erforderliche Genehmigung der deutschen Behörden zu erhalten. Die AIAG erreichte lediglich, dass man einer Übertragung der Produktionsquote der stillgelegten Anlage in Goldschmieden auf das Martinswerk zustimmte, was im Jahr 1928 eine bescheidene Erweiterung der Anlagen ermöglichte. Dadurch und durch technische Verbesserungen konnte die AIAG die Produktionsleistung des Martinswerkes von 22.000 Tonnen bei Kriegsende auf 36.000 Tonnen am Ende der 20er Jahre steigern 49. Für die Bauxitversorgung des Martinswerkes stand nach der Freigabe des französischen Besitzes der AIAG im Jahr 1921 wieder hochwertiger französischer Bauxit aus den Gruben des Konzerns in Südfrankreich zur Verfügung. In größerem Umfang konnten die Lieferungen nach Deutschland allerdings erst aufgenommen werden, nachdem es mit Hilfe der Schweizer Regierung gelungen war, den von Frankreich eingeführten Ausfuhrzoll für Bauxit auf ein erträgliches Maß zurückzuführen 50. Der größte Teil der Produktion in Bergheim wurde auf dem freien Markt abgesetzt. Da die Hütte in Chippis seit 1923 wieder von dem Tonerdewerk in St. Louis des Ayglades versorgt wurde und Neuhausen, Rheinfelden und Lend nur ein knappes Drittel der Produktion des Martinswerkes benötigten, standen beträchtliche Mengen für das Drittgeschäft zur Verfügung. Wichtigster Abnehmer war seit Anfang der 30er Jahre die Bitterfeld Aluminium GmbH, die den größten Teil ihres Tonerdebedarfes beim Martinswerk deckte. Auch auf dem Exportmarkt für Tonerde und Tonerdehydrat, den sich die AIAG mit Aluminium Français und Guilini teilte, wurden bedeutende Mengen abgesetzt.
Gebr. Guilini GmbH Für die Gebr. Guilini GmbH stellte sich nach dem Krieg erneut die Überlebensfrage. Mit dem zwangsweisen Verkauf der Beteiligungen am Erftwerk und an dem Hüttenprojekt in Töging war der Traum von der eigenen Hütte geplatzt. Der gesicherte Absatz der Tonerdeproduktion an die Kriegsmetall AG war über Nacht weggefallen. Nur ein unbedeutender Teil der im Krieg stark ausgeweiteten Tonerdeproduktion konnte weiterhin bei der konzerneigenen Hütte in Martigny untergebracht werden. Ein knappes Drittel der Produktionskapazitäten fand Beschäftigung in den traditionellen Produktionsbereichen Hydrat- und Sulfat-Herstellung, bei denen Guilini im Laufe der
106 20er Jahre allerdings zunehmend auf die Konkurrenz der AIAG stieß. Für die kalzinierte Tonerde verblieb eine Kapazität von 35.000 bis 40.000 Tonnen, für die Abnehmer gefunden werden mussten51. In dieser äußerst schwierigen Lage erwies sich der Vertrag mit der VAW als Rettung in der Not. Nach Aufnahme der Oxidlieferungen an die VAW, die im Schnitt rund 10.000 Tonnen pro Jahr betrugen, war zumindest die Grundlast des Werkes in Ludwigshafen gesichert. Von einer befriedigenden Auslastung der Anlagen war man jedoch noch weit entfernt. Weitere Lieferverträge kamen mit der Aluminiumwerke Bitterfeld GmbH und mit Hüttenunternehmen in Norwegen und Österreich sowie mit der konzerneigenen Hütte in Martigny zustande. Die an die VAW und andere Abnehmer gelieferte Tonerde ließ sich Guilini zum Teil in Form von Hüttenaluminium bezahlen, das er gewinnbringend auf dem Aluminiummarkt absetzen konnte. Auf diesem Wege gelang es dem Unternehmen, auch ohne kostspielige Investitionen in eine eigene Hütte wieder im Aluminiumgeschäft Fuß zu fassen. Wie nicht anders zu erwarten, geriet Guilini dadurch mit dem Kartell der Aluminiumproduzenten aneinander. Die Aluminium Association erreichte zwar, dass sich die Guilini-Tochter Martigny als vertraglich gebundener Outsider zur Einhaltung der Kartellpreise verpflichtete, Guilini selbst zog es jedoch vor, seine Handlungsfreiheit in „splendid isolation“ zu bewahren. Zum offenen Konflikt kam es, als Guilini Mitte der 20er Jahre einen weiteren Versuch unternahm, seine Jahrzehnte alten Hüttenpläne zu verwirklichen. Diesmal ging es um eine Beteiligung an der norwegischen A/S Haugvik Smelteverk, die in Haugvik am Glomenfjord in Nordnorwegen eine große Aluminiumelektrolyse errichtete. Die Hütte war für eine Kapazität von 8.000 bis 9.000 Jato ausgelegt und sollte von dem lokalen Wasserkraftwerk mit billiger Energie versorgt werden. Die Aktien der A/S Haugvik waren im Besitz der englischen International Aluminium Company Ltd. (IAC), die in Hebburn on Tyne eine kleine Tonerdefabrik betrieb. Guilini nahm den Kontakt zu den Engländern auf, deren Tonerdeproduktion den Bedarf der norwegischen Hütte nur zum kleinsten Teil deckte, und bot ihnen den Abschluss eines langfristigen Tonerdevertrages an. Man wurde rasch handelseinig. Nach der Inbetriebnahme der Hütte im Jahr 1927 war Guilini der wichtigste Tonerdelieferant und Metallkunde des neuen Unternehmens. Zur Absicherung seiner Position beteiligte sich Guilini mit einer kleinen Quote am Aktienkapital der englischen Gesellschaft und sicherte sich einen Sitz in deren Aufsichtsrat. Im Jahr 1931 wurde die Zusammenarbeit zwischen den beiden Unternehmen intensiviert und für zehn Jahre vertraglich fortgeschrieben. Durch weitere Aktienkäufe erhöhte Guilini seine Beteiligung an der IAC auf mehr als ein Viertel des Gesellschaftskapitals 52. Die in der Aluminium Association zusammengeschlossenen Produzenten verfolgten die Annäherung zwischen Guilini und IAC/Haugvik mit äußerstem Argwohn. Durch Konzessionen auf dem Tonerdesektor hatten sie 1929 erreicht, dass sich Guilini zur Einhaltung der vom Kartell festgelegten Verkaufspreise für Hüttenaluminium verpflichtete. Im Gegenzug garantierten sie Guilini einen jährlichen Absatz von 21.000 Tonnen kalzinierter Tonerde. Eine etwaige Fehlmenge sollte die AIAG übernehmen. Außer den
107 „geschützten Kunden“ (VAW, Bitterfeld, Haugvik, Martigny und Stern & Hafferl/ Steeg) durfte Guilini keine anderen Hütten mit kalzinierter Tonerderde beliefern. Damit glaubte man, den lästigen Außenseiter unter die Kontrolle der Association gebracht zu haben53. Doch schon Anfang 1931 nahm Guilini einen Auslegungsstreit zum Anlass, um den Vertrag vorzeitig zu kündigen und seine Handlungsfreiheit zurück zu gewinnen. Wie wir in einem späteren Kapitel sehen werden, dauerte es nicht lange, bevor die von Guilini herausgeforderten Produzenten zu einem Gegenschlag ausholten, mit dem man den unbotmäßigen Außenseiter endgültig zur Raison bringen wollte.
Anmerkungen zum 4. Kapitel 1 An der Niederschlagung des Putsches beteiligten sich auch Belegschaftsmitglieder des Lautawerkes, wobei mehrere Todesopfer zu beklagen waren (VAW-Geschichte II, Seite 76). 2 Zur wirtschaftlichen Situation in den Nachkriegsjahren: Hardach, Seite 23 ff. 3 Zu den Auswirkungen der Wirtschaftskrise von 1921/22 auf die Aluminiumindustrie: AIAG-Geschichte II, Seite 16 ff. – Carr, Seite 166 f. – VAW-Geschichte II, Seite 80 f. 4 Zum Schutz der VAW durch die Bundesratsverordnung vom 16. Mai 1917: VAW-Geschichte I, Seite 140 ff. – Rauch, Seiten 122 und 167. Genehmigungsstelle war der 1919 gegründete Metallwirtschaftsbund, dessen Leitung Max von der Porten anvertraut wurde. Dieser halbamtlichen Einrichtung wurden vom Reichswirtschaftsminister die Aufgaben der Außenhandelskontrolle übertragen. 5 Zum Protest der Verarbeiter gegen das de facto Monopol der VAW: Dr. v. Schoenebeck: „Aluminiumzollprobleme. Zollstudien der Metallwirtschaft“, Berlin 1929, Seite 50. Scharfe Worte auch bei Fritz Grüber in „Die Entwicklung der Lüdenscheider Aluminiumwaren-Industrie“, Seite 46. 6 Beteiligt waren VAW und AIAG als Produzenten und die wichtigsten deutschen Walzwerke, aber auch R. V. Neher und die Schweizer Metallwerke Selve & Co in Thun (WWA Dortmund: Aktenbestand Deutsche Nickel – WWA F 62 Nr. 435 und Nr. 497). 7 AIAG-Geschichte II, Seite 16 ff: „Erneuter Kampf um den Absatz“. 8 Zitat aus AIAG-Geschichte II, Seite 20. Zum Abkommen zwischen AIAG und VAW siehe auch VAW-Geschichte II, Seite 81 f. 9 Die Importe aus der Schweiz erreichten 1928 mit 5.517 Tonnen ihren höchsten Stand in den 20er Jahren (Aufstellung in der VAW-Hauszeitschrift von 1930, Seite 165). 10 Zum Weiterbetrieb der Hütte in Lauta: VAW-Geschichte II, Seite 27 ff (Entschließung über die Fortsetzung der Aluminiumerzeugung), Seite 35 f (Aufsichtsratssitzung im Reichschatzministerium), Seite 55 (Skepsis des Vorstandes). 11 Zum Übernahmeangebot der Alcoa: VAW-Geschichte II, Seite 81. 12 Siehe hierzu VAW-Geschichte II, Seite 51 ff (Finanzlage der VAW zu Beginn der 20er Jahre) und Seite 69 ff (Erlass der Forderungen des Reichs). 13 Zum Erwerb der Erftwerk-Aktien durch die VAW: VAW-Geschichte II, Seite 66 ff. 14 Die Innwerk Bayerische Aluminium AG erwarb auf diesem Wege eine Beteiligung von 13 1/3 Prozent an der VAW. Durch seine 10 %ige Beteiligung an der Innwerk Bayrische Aluminium AG war der bayrische Staat mittelbar mit einer Quote von 1,333 Prozent an der VAW beteiligt (VAWGeschichte II, Seite 83 ff). 15 Zum Übergang der VAW-Aktien auf die VIAG: VAW-Geschichte II, Seite 72 f. Siehe auch die Firmengeschichte der VIAG von Pohl.
108 16 Zu den Führungspositionen im VIAG Konzern: VAW-Geschichte II, Seite 90 ff. 17 Zu Max von der Porten: VAW-Geschichte I, Seite 14 (Tätigkeit bei Otavi und später Kriegsmetall) und VAW-Geschichte II, Seite 31 ff. 18 Zu Ernst Rauch: VAW-Geschichte II, Seite 33. – ALUMINIUM 1953.276: „Ernst Rauch 75 Jahre alt“. – Nachruf in ALUMINIUM 1965.731. 19 Zur wirtschaftlichen Entwicklung in der 2. Hälfte der 20er Jahre: Hardach, Seite 39 ff (Das Talmigold der „goldenen Jahre“). 20 In den USA betrug der Verbrauch an Hüttenaluminium im Jahr 1929 130.000 Tonnen, in Großbritannien 30.000 Tonnen und in Frankreich 25.000 Tonnen (MG-Statistik). 21 Quellen zu Tabelle 4: Deutsche Hüttenproduktion nach Herttrich in METALL 1954.220. Zur Produktion der einzelnen Hütten: Rauch, Seiten 121, 123, 312/313. – VAW-Geschichte III Seiten 134, 139. – Die Produktion von Rheinfelden ergibt sich als Restmenge nach Abzug der Produktion von VAW und Bitterfeld von der Gesamtproduktion. 22 Siehe hierzu die von Belegschaftsmitgliedern verfasste Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Aluminiumhütte Rheinfelden, die 1948 in mehreren Fortsetzungen in der Singener Werkszeitschrift „Der Arbeits-Kamerad“ veröffentlicht wurde. Über die 20er Jahre wird in Heft 8 berichtet. 23 Rauch (Seite 224) spricht von einem jahrelangen Kampf um die Vergrößerung der Aluminiumproduktion in Rheinfelden. 24 Zur Aufhebung des Einfuhrverbots und der Einführung eines Einfuhrzolls für Aluminium: Rauch, Seite 166 ff. – Schoenebeck, Zollprobleme, Seite 71 ff. – VAW-Geschichte III, Seite 134 ff. – Günther, Rohaluminiumindustrie, Seite 74. Die Einführung des Zolls stieß auf den heftigen Widerstand der deutschen Aluminiumverarbeiter, die der VAW vorwarfen, sie nutze ihre fiskalische Monopolstellung als „Reichswerk“ aus. Sie fanden jedoch mit ihrer Forderung, Aluminium müsse in gleicher Weise wie alle anderen NE-Metalle zollfrei bleiben, kein Gehör. 25 Zur Erweiterung von Rheinfelden mit Unterstützung der Schweizer Regierung: AIAG-Geschichte II, Seite 53 f und Seite 87. 26 Zum Kommissionsvertrag mit der Metallgesellschaft: VAW-Geschichte III, Seite 136 f. – Günther, Rohaluminiumindustrie, Seite 28, spricht von der „mustergültigen Verkaufsorganisation“ der Metallgesellschaft, die im Krisenjahr 1926 eine besonders wichtige Rolle spielte, als ein Drittel der deutschen Hüttenproduktion auf den fremden Märkten untergebracht werden musste. 27 Zum Ausbau der Hütte in Bitterfeld 1929: Pistor-Manuskript, Seite 232 f. – Jubiläumsschrift „50 Jahre Bitterfeld“, Seite 13 f. 28 Zur Beteiligung der VAW an internationalen Absprachen und zur Gründung der 3. Aluminium Association: Rauch, Seite 131 ff. – VAW-Geschichte III, Seite 138 ff. – AIAG-Geschichte II, Seite 78 ff. 29 Zur Preisentwicklung seit Gründung der 2. Aluminium Association: Schoenebeck, Zollprobleme, Seite 103. 30 MG-Statistik 40. Jahrgang 1929–1938. 31 Zur Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hütten: Rauch, Seite 146 ff. 32 Über die finanziellen Ergebnisse von VAW und Erftwerk berichtet Günther, Rohaluminiumindustrie, Seite 25 ff. 33 Zur Betriebsgröße der europäischen Hütten: Rauch, Seite 286 ff und Seite 312/313 (Weltproduktion 1926–1932). Die weltweit größten Hütten wurden von Alcoa in Massena und von Alcan in Arvida (1927: 27.000 Jato) betrieben. 34 Zur Entwicklung der Zellengröße siehe Campbell, Global Mission, Band I, Seite 66 f. – Zerleeder: „Fünfzig Jahre Aluminiumelektrolyse“ in ALUMINIUM 1936.163. – Bocquentin: „La fabrication de l’aluminium par électrolyse“, Seite 59 ff. – Edwards-Frary, Band 1 (1929), Seite 302. 35 Zum spezifischen Stromverbrauch siehe Morel: “Les changements techniques dans la production d’aluminium. Le cas français, Pechiney 1928–1980” in Cahier 34 (2005), Seite 34: “A cette époque
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la consommation spécifique n’était rarement inferieure á 25.000 kWh/t, mais le plus souvent voisine de 30.000 kWh/t”. – Smith, Seite 171: “But a single pound of aluminum still required some twelve kilowatthours of electricity …”. Übergang zum Schienenofen: Fulda-Ginsberg, Aluminium, Seite 60 ff. – Ginsberg: „Praxis und Theorie der Schmelzflusselektrolyse des Aluminiums“ in ALUMINIUM 1967.349 ff. Zum Stromverbrauch der deutschen Hütten: VAW-Geschichte II, Seite 79 (Lauta und Bitterfeld). Rauch (Seite 151) beziffert die Kosten einer Kilowattstunde Kohlestrom in Lauta mit 1,5 Pfennig. In Töging war die Kilowattstunde mit 0,85 Pfennig nur halb so teuer. Rauch, Seite 147. Zum Tonerdemarkt: AIAG-Geschichte II, Seite 105 f. – Guilini-Chronik, Seite 489 ff. Zu den Versuchen mit deutschem Ton und zum Hessenbauxit: VAW-Geschichte III, Seite 143. – Übersicht über die deutsche Bauxitgewinnung 1917–1928 bei Günther, Rohaluminiumindustrie, Seite 36. Zur Bauxitversorgung nach dem Krieg: Rauch, Seite 152 f. – VAW-Geschichte III, Seite 98. Zur Tonerdefabrik Lauta: VAW-Geschichte III, Seite 119 f. und Seite 142. – Wrigge in VAW-Werkszeitschrift (Vereint am Werk) 2/1967: „Fünfzig Jahre VAW 1917–1967. Die Entwicklung unserer Betriebe“. Bei beiden Verfahren entsteht als Zwischenprodukt eine wasserlösliche Tonerdeverbindung, aus der man nach Abtrennung der unbrauchbaren Rückstände (Rotschlamm) reines Tonerdehydrat gewinnt. Dieses wird in einem weiteren Produktionsschritt bei hohen Temperaturen entwässert und zu dem pulverförmigen Aluminiumoxid verarbeitet, das in der Elektrolyse eingesetzt werden kann. Völlig neue Wege bei der Oxidgewinnung beschritt die VAW mit der erstmaligen Anwendung des Haglund-Verfahrens, für das sie Mitte der 20er Jahre die Exklusivrechte für Europa erworben hatte. Das von dem schwedischen Erfinder Haglund entwickelte Verfahren gelangte auf elektrothermischem Wege zum reinen Aluminiumoxid. Nach aussichtsreichen Versuchen in Lauta errichtete die VAW 1928 gemeinsam mit dem italienischen Chemieunternehmen Montecatini eine Oxidfabrik in Porto Marghera, die nach dem neuen Verfahren betrieben wurde. Das Experiment endete mit einem Fiasko. Trotz erheblicher Bemühungen gelang es nicht, die technischen Probleme in den Griff zu bekommen. Misshelligkeiten zwischen den Partnern führten 1932 zu einem Rückzug von Montecatini aus dem gemeinsamen Unternehmen, das in den 30er Jahren schrittweise liquidiert wurde (VAW-Geschichte III, Seite 156. – Rauch, Seite 172 ff.). Zum Tonerdevertrag mit Guilini: VAW-Geschichte III, Seite 113 ff. – Guilini-Chronik, Seite 504 ff. Zum Aufbau einer Bauxitbasis in Ungarn: VAW-Geschichte III, Seite 98 ff. – Rauch, Seite 152 ff. Zur Tonerdeversorgung der AIAG nach 1918: AIAG-Geschichte II, Seite 11 ff. Zu Martinswerk und Goldschmieden: AIAG-Geschichte II, Seite 48 ff. – Rauch, Seite 143. Zur Bauxitversorgung des Martinswerkes: AIAG-Geschichte II, Seite 13 ff. Während des „Ruhrkampfes“ verhängten die französischen Besatzungsbehörden eine Liefersperre, die Ende 1923 auf Betreiben der französischen Bauxitindustrie aufgehoben wurde. Guilini-Chronik, Seite 530: „Dr. Georg Guilini gab die Kapazität Mundenheim mit 4–4.500 t an, davon würde 1/3 auf Hydrat und Sulfat entfallen, so dass rd. 3.000 t = 36.000 t jährlich für die Metallerzeugung zur Verfügung stehen, wozu noch rd. 4.000 t aus Laibach kommen, also insgesamt 40.000 t“. Zur Zusammenarbeit Guilini/Haugvik: Guilini-Chronik, Seite 515 ff. Zum Abkommen zwischen Guilini und der Aluminium Association von 1929: Guilini-Chronik, Seite 524 ff.
5. Kapitel Die Aluminium verarbeitende Industrie in der Nachkriegszeit
5.1 Technologischer Fortschritt und Produktentwicklung Die Aluminiumindustrie stand nach dem Krieg vor der zwingenden Notwendigkeit, in möglichst kurzer Zeit neue Absatzmöglichkeiten für ihre Erzeugnisse zu erschließen. Wenn man die im Krieg aufgebauten Kapazitäten auch nach dem Übergang zur Friedenswirtschaft weiter beschäftigen wollte, musste für den weggefallenen militärischen Bedarf Ausgleich auf dem zivilen Sektor geschaffen werden. Diese Aufgabe ging Produzenten und Verarbeiter gleichermaßen an. Während des Krieges war ja nicht nur eine bedeutende Hüttenindustrie entstanden. Auch die Aluminium verarbeitende Industrie hatte ihre Kapazitäten im Krieg beträchtlich ausgeweitet, um die Nachfrage der Rüstungsindustrie nach Halbzeug und Gussprodukten befriedigen zu können. Zu den schon vor dem Krieg tätigen Betrieben waren weitere Anbieter von Aluminiumerzeugnissen hinzugekommen. Vor allem auf dem Gusssektor war die Zahl der Produzenten während des Krieges stark gestiegen. Bei der Erschließung neuer Anwendungsgebiete für das Aluminium kam der Industrie zustatten, dass sich viele Betriebe der Metallbranche während des Krieges mit dem neuen Werkstoff vertraut gemacht und seine Vorzüge schätzen gelernt hatten. Die in Kriegszeiten gesammelten Erfahrungen mit dem Aluminium waren jetzt bei der Entwicklung von Produkten für den zivilen Gebrauch von großem Nutzen. Nachteilig wirkte sich aus, dass dem Aluminium in Deutschland aus der Kriegszeit das Image eines Ersatzstoffes anhaftete, das es erst im Laufe der Jahre ablegte. In anderen Ländern, vor allem in den USA, hatte es die Aluminiumindustrie in dieser Hinsicht leichter, da man dort dem neuen Metall ohne Vorbehalte begegnete. Allenthalben setzte sich auch die Erkenntnis durch, dass verstärkte Anstrengungen auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung erforderlich waren, wenn man dem Aluminium neue Anwendungsgebiete erschließen wollte. Bisher war die systematische Erforschung des Aluminiums und seiner Legierungen eher stiefmütterlich behandelt worden. Das sollte sich jetzt ändern. Nach dem Krieg richteten die Aluminiumproduzenten Forschungslabore ein, in denen sie erstmals Forschung und Entwicklung auf wissenschaftlicher Basis betrieben1. Die Entwicklung neuer Legierungen hatte dabei
112 überall Vorrang. Das Forschungsinstitut der AIAG in Neuhausen, im Jahr 1920 aus bescheidenen Anfängen entstanden, widmete sich vor allem dieser Aufgabe. In Deutschland legte die VAW den Schwerpunkt ihrer Forschungstätigkeit gleichfalls auf die Entwicklung neuer Legierungen. 1924 richtete sie für dieses Forschungsgebiet in Lauta das „Forschungs-Labor für Aluminiumguss- und Knetlegierungen“ ein. Auch die Metallgesellschaft beschäftigte sich in ihrem Frankfurter Metalllaboratorium vorwiegend mit der Legierungsentwicklung und konzentrierte sich dabei auf das Gebiet der Gusslegierungen. Es war vor allem die epochale Erfindung Alfred Wilms, über die wir in einem früheren Kapitel berichtet haben, die die Aluminiumforscher in der ganzen Welt zur Weiterentwicklung des von ihm entdeckten Wärmebehandlungsverfahrens anregte. Während des Krieges hatte Alcoa in den USA auf der Grundlage der Wilmschen Patente eine aushärtbare Aluminium-Kupfer-Magnesium-Legierung entwickelt, die beim Bau von Luftschiffen für die US-Navy Verwendung fand. Auch in Frankreich und England waren während des Krieges aushärtbare Legierungen nach dem Vorbild des Duralumin eingeführt worden. Nach dem Krieg wurden die Entwicklungsarbeiten mit hoher Priorität fortgeführt. Durch Veränderung der Legierungsbestandteile oder durch eine Modifikation des Vergütungsverfahrens entstanden neue Legierungen, die gegenüber dem Duralumin verbesserte Eigenschaften aufwiesen oder sich besser als dieses für bestimmte Anwendungen eigneten2. Die Einführung des Duralumin und anderer Legierungen des aushärtbaren Typs eröffneten dem Aluminium viele neue Anwendungsmöglichkeiten, die bisher anderen Werkstoffen vorbehalten waren. Aluminium konnte jetzt auch für die Herstellung von Produkten verwendet werden, die besondere Anforderungen an die Härte und Festigkeit des Werkstoffes stellten, die das Reinaluminium und die bisher verfügbaren Aluminiumlegierungen nicht erfüllen konnten. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Verwendung des Aluminiums für den Flugzeugbau zu erwähnen, dem die Aluminiumindustrie mehr als allem anderen ihren kometenhaften Aufstieg in den 30er und 40er Jahren verdankt. Das Aluminium setzte sich in den 20er Jahren endgültig als Werkstoff für Rumpf, Flügel und Leitwerk der Flugzeuge durch und erlangte auf diesem Gebiet ein praktisches Monopol, das es (wenn auch zunehmend durch Kunststoff und andere Werkstoffe angefochten) bis in das 21. Jahrhundert hinein behalten hat 3. Zwischen Luftfahrt und Aluminiumindustrie bestand eine enge Symbiose. Ohne das Aluminium wäre die Entwicklung der modernen Luftfahrt nicht möglich gewesen und nur dank der Luftfahrt ist die junge Aluminiumindustrie innerhalb weniger Jahre zu einer wichtigen Schlüsselindustrie geworden. Die besonderen Eigenschaften des leichten Metalls, das geringe Masse mit hoher Festigkeit verbindet, machten das Aluminium zu einem idealen Werkstoff für die Luftfahrtindustrie. Wie bereits erwähnt, wurde der Flugapparat der Gebrüder Orville und Wilbur Wright von einem Motor angetrieben, dessen Kolben und wesentliche andere Teile aus Aluminium bestanden. Es dauerte freilich noch bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, bevor das erste Flugzeug zum Flug abhob, dessen Außenhaut und konstruktive Teile ganz aus Aluminium
113 hergestellt waren 4. Bis in die 20er Jahre wurden Rumpf und Flügel der meisten Flugzeuge aus Holz und Stahlrohren konstruiert. Das Gerüst aus Holzspanten oder Stahlrohr wurde mit Stoff bespannt oder mit Sperrholz beplankt 5. Das „Ganzmetallflugzeug“ setzte sich erst nach dem Krieg durch. Dabei hatte man in Deutschland und auch in Frankreich schon vor dem Krieg Flugzeugmodelle entwickelt, deren Rumpf und Flügel mit Metallblechen verkleidet waren. Hugo Junkers nahm diese Überlegungen im Krieg wieder auf und baute 1915 in seinen Dessauer Flugzeugwerken das erste wirklich flugfähige Ganzmetallflugzeug der Welt. Mit der Junkers J 1 begann eine neue Ära des Flugzeugbaus. Der aus Stahlrohren und Eisenblechen konstruierte Eindecker war auch das erste verspannungslose Flugzeug mit freitragenden Flügeln. Bei Probeflügen Anfang 1916 erreichte er eine Geschwindigkeit von 170 Km/h und war damit das schnellste deutsche Flugzeug der damaligen Zeit 6. Die deutschen Militärbehörden zeigten sich indessen von dem neuen Flugzeugtyp wenig beeindruckt, da Wendigkeit und Steigfähigkeit der Maschine zu wünschen übrig ließen. Dies veranlasste Junkers, bei der Entwicklung weiterer Flugzeugtypen an Stelle der Eisenkonstruktion Bauteile aus Duralumin zu verwenden, das sich beim Bau der Zeppeline bewährt hatte. Das erste Ganzaluminiumflugzeug entstand 1917 mit dem Jagdeinsitzer Junkers J 9, der gegen Ende des Krieges in einer kleinen Serie gebaut wurde. Zu spät, um der Metallbauweise noch im Krieg zum Durchbruch zu verhelfen. Was Junkers mit seinen Kriegsflugzeugen nicht schaffte, gelang ihm schon kurz nach Ende des Krieges mit einem sechssitzigen Verkehrsflugzeug, das Anfang 1919 mit der Typenbezeichnung Junkers J 13 auf den Markt kam und sich in kurzer Zeit auf der ganzen Welt durchsetzte. Der robuste Eindecker aus Duralumin flog auf allen Kontinenten und wurde als als Post-, Verkehrs- oder Rettungsflugzeug eingesetzt. Größere und leistungsfähigere Modelle folgten, wie die W 33, mit der 1928 die erste Ost-WestÜberquerung des Atlantik gelang, und schließlich die dreimotorige Junkers Ju 52, die seit 1932 als erfolgreichstes Verkehrsflugzeug der 30er Jahre von der Lufthansa und vielen anderen Fluggesellschaften geflogen wurde. Die Metallbauweise hatte sich zu diesem Zeitpunkt in der ganzen Welt durchgesetzt. Dem Flugzeug aus Aluminium gehörte die Zukunft. Weniger erfolgreich verliefen die Bemühungen der Aluminiumindustrie, dem Aluminium mit Hilfe der neuen Legierungen auch im PKW-Karosseriebau einen dauerhaften Platz zu sichern. Dabei hatte die Zusammenarbeit zwischen der Aluminiumindustrie und der fast gleichaltrigen Automobilindustrie auf diesem Sektor viel versprechend begonnen. Schon vor dem Krieg hatten die amerikanischen Automobilhersteller für einzelne Modelle Karosserieteile aus Aluminium verwendet. Nach der Einführung der neuen Werkstoffe aus aushärtbaren Aluminiumlegierungen nahm das Geschäft mit Karosserieblechen zunächst eine äußerst günstige Entwicklung. In den USA war die Automobilindustrie anfangs der 20er Jahre der wichtigste Abnehmer von Aluminiumwalzhalbzeug, wichtiger noch als die Hersteller von Küchengeschirr. Da die Automobilproduktion unaufhaltsam wuchs, durften die Walzwerke beim Absatz
114 von Karosserieblechen mit hohen Zuwachsraten rechnen. Die weitere Entwicklung verlief freilich in eine andere Richtung. Nachdem es der Stahlindustrie gelungen war, ein verbessertes Tiefziehverfahren für die Verformung von Stahlblechen zu entwickeln, verwendeten die Automobilhersteller seit der Mitte der 20er Jahre fast nur noch Karosseriebleche aus Stahl, die wesentlich billiger als Aluminiumbleche waren. Für die Aluminiumindustrie war dies ein empfindlicher Rückschlag, den sie nie ganz verwunden hat. Es fehlte nicht an späteren Versuchen, dem Aluminium doch noch einen gebührenden Platz im Karosseriebau zu verschaffen. In den 30er Jahren wurden einzelne Wagentypen mit einer Karosserie aus Aluminium gebaut. Wirtschaftliche Bedeutung hatten diese Modellversuche nicht. Für die Masse der PKW’s blieb es bis in die jüngste Zeit bei der Stahlkarosserie. Nur für unbeanspruchte Karosserieteile wie Kofferraumdeckel oder Motorenhauben wurden aus Gründen der Gewichtsverringerung Aluminiumbleche verwendet. In den 80er Jahre hat die Aluminiumindustrie einen erneuten Anlauf zur Einführung einer Ganzaluminiumkarosserie gestartet, über den wir in einem späteren Kapitel dieses Buches berichten werden. Bisher war die Rede von den so genannten Aluminium-Knetlegierungen, die durch Walzen, Pressen oder Schmieden zu Aluminiumhalbzeug verarbeitet werden. Nicht weniger bedeutend waren die Fortschritte auf dem Gebiet der Gusslegierungen, mit denen Gießereibetriebe schon seit den 1890er Jahren Gussteile aus Aluminium im Sandgussverfahren und später auch im Kokillenverfahren herstellten7. Im Motorenbau beschränkte sich die Verwendung von Aluminium anfangs auf unbeanspruchte Teile wie Kurbelgehäuse, Getriebekästen und Kühlermäntel, für deren Herstellung die damals zur Verfügung stehenden Kupferlegierungen oder Zinklegierungen ausreichten. Nach dem Krieg wurde erkannt, dass auch Gusslegierungen bei genügend langer Wärmebehandlung aushärtbar sind. Mit der Einführung derartiger Legierungen eröffneten sich dem Aluminium im Automobilbau und anderen Bereichen des Verkehrswesens viele neue Anwendungsgebiete, die bisher eine Domäne des Graugusses waren. Eine wichtige Weiterentwicklung der Legierungstechnik war der Übergang zu Gusslegierungen mit einem hohen Siliziumgehalt. Der ungarische Forscher Aladar Pacz (1870–1938) machte 1920 die Entdeckung, dass sich die Vergießbarkeit von Gusslegierungen mit einem Siliziumgehalt von etwa dreizehn Prozent durch den Zusatz kleiner Mengen metallischen Natriums wesentlich verbessern lässt. Die „Veredelung“ der Schmelze mit Natrium führte zu einer bis dahin unerreichten Feinkörnigkeit der Legierung. Die Metallgesellschaft erwarb das Pacz-Patent und ergänzte es durch eine Reihe von Zusatzpatenten. Die neuen Legierungen wurden unter dem Namen „Silumin“ im Markt eingeführt und fanden vor allem für Motorenteile und im Apparatebau guten Absatz. Zur Herstellung von Silumin errichtete die Metallgesellschaft in Horrem am Standort der früheren Aluminiumelektrolyse eine Produktionsanlage, in der sie auf elektrothermischem Wege eine Silumin-Vorlegierung mit etwa vierzig Prozent Silizium gewann, die man anschließend durch Zusatz von Hüttenaluminium zu der marktgängigen Legierung auflegierte 8. 1928 bildete die Metallgesellschaft mit der VAW eine
115 Produktions- und Vertriebsgemeinschaft zum gemeinsamen Betrieb der Anlage in Horrem, wobei die Metallgesellschaft weiterhin für den Vertrieb der Produktion verantwortlich blieb 9. In der Zeit des Dritten Reiches wurden die Silumin-Legierungen zum wichtigsten Vormaterial der deutschen Aluminiumgießer. Äußerst erfolgreich war die Aluminiumindustrie auch bei der Entwicklung geeigneter Kolbenwerkstoffe, die dem Aluminiumkolben in den 20er Jahren auf breiter Front zum Durchbruch verhalfen. Wie wir uns erinnern, war man bei Flugzeugmotoren schon im Krieg dazu übergegangen, die Graugusskolben durch Aluminiumkolben zu ersetzen. Die Vorteile des Aluminiumkolbens liegen auf der Hand: Bei einer Masse, die in der Minute mehrere tausendmal auf und ab bewegt wird, bewirkt ein Gewichtsunterschied von einigen Kilos eine ganz erhebliche Energieeinsparung. Dass die Leichtmetallkolben eine geringere Lebensdauer und Betriebssicherheit hatten, hatte man in Kauf genommen, da es den Flugzeugkonstrukteuren vor allem auf Gewichtseinsparung und Leistungssteigerung ankam. Nach dem Krieg arbeitete man in Deutschland und anderen Ländern systematisch daran, einen Aluminiumkolben zu entwickeln, der sich auch für den Dauerbetrieb in den Verbrennungsmotoren von Personen- und Nutzfahrzeugen eignete. Probleme bereitete den Konstrukteuren vor allem die hohe Wärmeausdehnung des Aluminiums: Wenn der Abstand zwischen Kolben und Zylinder zu knapp bemessen war, riskierte man das berüchtigte „Kolbenfressen“. War das Einbauspiel zu groß, konnte dies bei kaltem Motor zu unruhigem Lauf und vernehmlichem Klappern führen. Auch in diesem Anwendungsbereich spielten Aluminium-Silizium-Legierungen eine wichtige Rolle, da sie eine geringere Wärmeausdehnung als die bis dahin verwendeten Aluminium-Kupfer-Legierungen und eine höhere Verschleißfestigkeit haben. Mit ihrer Hilfe konnte das Problem gelöst werden10. 1935 konnte Ernst Mahle, schon damals einer der bedeutendsten Hersteller von Aluminiumkolben, den Sieg des Leichtmetallkolben verkünden: „Vom kleinsten Fahrrad-Hilfsmotor über den Personenwagen und Nutzwagen einschließlich des Fahrzeug-Diesel, zum Flug-Motor, zum Marine-Motor, zum großen stationären Motor mit vielen Tausend PS beherrscht der Leichtmetall-Kolben das Feld … Die Gesamterzeugung von Leichtmetall-Kolben in Europa im Jahr 1935 ist mit zehn Millionen Kolben, entsprechend einem Aluminiumverbrauch von 6.000 tons, sicher nicht zu hoch gegriffen“11. In den 20er und 30er Jahren setzte sich das Aluminium auf der ganzen Welt als Werkstoff für Starkstromleitungen durch, wobei die USA die Vorreiterrolle übernahmen. Das 220-KV-Verbundnetz zwischen den USA und Kanada, das größte und älteste Netz dieser Art, war nach einer im Jahr 1932 durchgeführten Erhebung damals schon zu achtzig Prozent der Streckenlänge in Aluminium ausgeführt. Auch in Frankreich, Italien und England waren die Hochspannungsnetze zu Beginn der 30er Jahre zu einem großen Teil in Aluminium verlegt. Frankreich hatte schon vor dem Krieg viele tausend Kilometer solcher Leitungen gebaut und nach dem Krieg beim Wiederaufbau seiner verwüsteten Ostgebiete das neue Leitungsnetz durchgehend in Aluminium ausgeführt 12. Die deutsche Elektrizitätswirtschaft folgte diesem Trend eher zögerlich. Bis
116 1933 wurde in Deutschland beim Freileitungsbau überwiegend Kupfer verwendet. Sogar die im Krieg errichteten Aluminium- und Zinkleitungen wurden nach Kriegsende größtenteils wieder durch Kupferleitungen ersetzt. Dabei hatten die VDE-Vorschriften Aluminium schon 1913 als zulässigen Leiterwerkstoff neben Kupfer erklärt 13. Bei einer 1921 unter den Mitgliedern der Vereinigung der deutschen Elektrizitätswerke durchgeführten Umfrage hielten die befragten Unternehmen das Aluminium zwar grundsätzlich für geeignet, den traditionellen Werkstoff Kupfer in vielen Bereichen der Elektrotechnik zu ersetzen. Ein abschließendes Urteil hielten sie aber für verfrüht, da keine ausreichenden praktischen Erfahrungen vorlägen. In technischer Hinsicht müsse vor allem durch die Entwicklung von geeigneten Armaturen eine einwandfreie Verbindung von Leitungen sichergestellt werden. Das letzte Wort habe dann der Preis14. Das Ergebnis dieser Befragung zeigt, mit welcher Zurückhaltung die deutschen EVUs dem neuen Werkstoff noch in den 20er Jahren begegneten. Das änderte sich erst nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, als die Verwendung von Aluminium im Leitungsbau obligatorisch wurde. Viele EVU’s äußerten damals die Befürchtung, eine derartig erzwungene Anwendung des Aluminiums werde zu ernsten Rückschlägen führen. Wie die weitere Entwicklung zeigt, war die Skepsis unbegründet: Nach dem zweiten Weltkrieg hat das Aluminium das Kupfer völlig aus dem Freileitungsbau verdrängt und sich zunehmend auch als Leitmaterial bei den isolierten Leitern durchgesetzt. Produkte aus Reinaluminium machten auch nach dem Krieg den größten Teil der Halbzeugproduktion aus. Der Anteil der Legierungsfabrikate erreichte noch Ende der 20er Jahre nur etwa fünfzehn Prozent der Gesamtproduktion der deutschen Halbzeugwerke. In Deutschland dürfte bis in die 30er Jahre hinein der Bereich Haushaltswaren der größte Einzelmarkt für Aluminium gewesen sein15. Bleche und Ronden für die Herstellung von Kochtöpfen und anderem Küchengeschirr waren das wichtigste Produkt der zahlreichen Walzbetriebe, die sich auf die Herstellung von Walzprodukten aus Reinaluminium verlegt hatten. Aluminiumgeschirr verdrängte die bisher üblichen Haushaltswaren aus Kupfer, Weißblech, Gusseisen und emailliertem Eisenblech. Ronden für die Herstellung von Aluminiumtöpfen waren ein wichtiger Exportartikel. Zum zweitwichtigsten Verbraucher von Aluminium rückte im Laufe der 20er Jahre die Verpackungsindustrie auf. Das war vor allem auf die Markterfolge der Aluminiumfolie zurückzuführen, die in den 20er Jahre die viel teurere Zinnfolie als Verpackungsmittel für Nahrungsmittel und Genussmittel fast ganz verdrängte. Wichtigste Abnehmer waren die Hersteller von Zigaretten und die Schokoladenindustrie, die damals von der Hand- zur Maschinenverpackung übergingen und mit der Aluminiumfolie einen auf den neuen Verpackungsmaschinen gut laufenden Packstoff fand. Auch die pharmazeutische Industrie entdeckte die Vorzüge der Aluminiumfolie, die eine sterile Verpackung der Medikamente ermöglichte. Außerhalb des Verpackungsmarktes fand die Aluminiumfolie neue Anwendungsgebiete in der Kabelindustrie, wo sie die bisher verwendete Bleifolie für die Kabelummantelung ersetzte. In der Elektroindustrie wurden Aluminiumfolien bei der Herstellung von Kondensatoren für Radiogeräte
117 verwendet. In der Bauindustrie fanden sie als Dichtungs- und Isolierbahnen Verwendung 16. Fortschritte bei der Weiterentwicklung der Produktionsverfahren führten auf allen Produktionsstufen zu beträchtlichen Kostensenkungen, ohne die es der Industrie nicht möglich gewesen wäre, die Preise für ihre Produkte von Jahr zu Jahr abzusenken oder wenigstens stabil zu halten und so die Wettbewerbsfähigkeit des Aluminiums gegenüber anderen Werkstoffen zu verbessern. Auf dem Walzwerkssektor standen jetzt schnellere und leistungsfähigere Maschinen zur Verfügung, mit denen man Aluminiumbleche und Bänder kostengünstiger und in besserer Qualität herstellen konnte. Einen großen Fortschritt bedeutete die Einführung des Haspels, mit dessen Hilfe die gewalzten Aluminiumstreifen nach jedem Walzstich aufgewickelt werden konnten17. In Deutschland ging die erste kontinuierliche Bandwalzstraße 1932 im Walzwerk Singen in Betrieb18. Die Mehrzahl der Walzer stellte freilich weiterhin Bleche im Stückwalzbetrieb her. Erst nach dem zweiten Weltkrieg ging man in Europa generell dazu über, Blechformate aus der Bandfabrikation zu schneiden. Das Einsatzgewicht der Walzblöcke lag in der Regel unter hundert Kilogramm, was die aus heutiger Sicht geringe Leistung der damaligen Walzanlagen erklärt 19. Eine deutliche Leistungssteigerung war erst nach der Einführung des Stranggießverfahrens in den späten 30er Jahren möglich, mit dessen Hilfe größere Walzblöcke von einwandfreier Qualität gegossen werden konnten20. Eine wichtige technische Entwicklung betraf das Strangpressverfahren, das zwar schon kurz vor der Jahrhundertwende erfunden worden war aber erst jetzt die industrielle Reife erreichte. Die in den 20er Jahren verfügbaren Pressen hatten noch eine relativ bescheidene Presskraft, sodass man auf ihnen zunächst nur Reinaluminium und leicht pressbare Legierungen zu einfachen Profilen verformen konnte. Schwere Profile aus aushärtbaren Legierungen mussten bis in die 30er Jahre auf speziellen Walzwerken hergestellt werden 21. Neue Anwendungsmöglichkeiten wurden dem Aluminium auch durch Fortschritte auf dem Gebiet der Schmiedetechnik eröffnet. In den 20er Jahren entwickelte die Industrie hochfeste Aluminiumlegierungen, die sich zu Schmiedestücken verformen ließen. Ein wichtiges Anwendungsfeld für die neue Technologie war die Herstellung von Flugzeugpropellern aus geschmiedetem Aluminium, die schon bald die bisher gebräuchlichen Holzpropeller verdrängten 22. Bedeutende Fortschritte wurden in den 20er Jahren schließlich auch bei der Entwicklung neuer und verbesserter Methoden für die Ver- und Bearbeitung des Aluminiums erzielt, durch die es häufig überhaupt erst möglich wurde, Aluminium für einen bestimmten Verwendungszweck einzusetzen. Verbesserte Verfahren zum Schweißen und Löten von Aluminium erleichterten zum Beispiel die Verarbeitung des Metalls im Maschinenbau und in der Elektrotechnik 23. Auf dem Gebiet der Oberflächenveredlung entwickelte die Industrie ein elektrolytisches Oxidationsverfahren, durch das Aluminiumbleche und andere Werkstücke mit einer Schutzschicht aus oxidiertem Aluminium versehen werden. Die in Deutschland unter dem Namen Eloxal-Verfahren bekannt gewordene Oberflächenbehandlung hat dem Aluminium vor allem in der Architektur
118
Abb. 17: Warmwalz-Duo in den 20er Jahren
neue Anwendungsgebiete erschlossen 24. Dem Oberflächenschutz dient auch die in den 20er Jahren entwickelte Plattierung von Aluminiumblechen. Dabei wird der hochlegierte Kernwerkstoff im Sandwich-Verfahren beidseitig mit einer dünnen Schicht aus Reinaluminium versehen, die sich beim Walzen untrennbar mit dem Legierungskern verbindet und diesem eine höhere Korrosionsbeständigkeit verleiht. Das Plattierungsverfahren spielt vor allem bei der Herstellung von Aluminiumblechen für die Luftfahrt eine Rolle 25. Wir wollen es bei diesen Beispielen bewenden lassen. Sie sollten zeigen, dass die Voraussetzungen für die rasche Ausbreitung des Aluminiums nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem guten Teil bereits in der Zwischenkriegszeit geschaffen wurden.
5.2 Die Entstehung der großen Verarbeitungsgruppen Am Ende des Ersten Weltkrieges gab es in Deutschland etwa zwei Dutzend Firmen, die sich mit der Herstellung von Aluminiumhalbzeug befassten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen stellten diese Unternehmen außer Aluminiumfabrikaten auch Halbzeug und Fertigprodukte aus Kupfer, Messing und anderen Schwermetallen her. Für die meisten von ihnen spielte das Aluminium nur eine Nebenrolle. Leicht- und Schwermetall wur-
119 den häufig in denselben Hallen, teilweise sogar auf denselben Maschinen verarbeitet. Dasselbe Bild bot sich auch auf dem Gusssektor dar, wo sich ebenfalls nur wenige Betriebe auf den Aluminiumguss spezialisiert hatten. Für die große Mehrzahl der Gießer war Aluminium ein Werkstoff unter vielen. Im Laufe der 20er Jahre hat sich die Struktur der Metall verarbeitenden Industrie in Deutschland allmählich verändert. Die Aluminiumverarbeitung entwickelte sich zu einem eigenständigen Zweig der Nichteisenmetallindustrie, der innerhalb der Branche rasch an Bedeutung gewann. Den Anstoß zu diesen Veränderungen gaben die beiden Hüttenproduzenten AIAG und VAW, die sich anfangs der 20er Jahre entschlossen, ihre Aktivitäten auf den Verarbeitungssektor auszudehnen. Sie folgten damit dem Beispiel der Alcoa in den USA und der Baco in England, die ihren Hütten von vornherein Walzwerke und andere Verarbeitungsbetriebe angegliedert hatten, um den Absatz ihrer Hüttenproduktion sicherzustellen und einen stärkeren Einfluss auf die Verwendung des Aluminiums nehmen zu können. Diese Gründe veranlassten jetzt auch AIAG und VAW, sich auf dem Gebiet der Aluminiumverarbeitung zu engagieren. Durch Neugründungen und Akquisitionen legten die beiden Unternehmen in den 20er Jahren den Grundstein für den Aufbau einer eigenen Verarbeitungsbasis, deren Schwerpunkt die Folienherstellung bildete. Eine wichtige Rolle bei der Entstehung neuer Strukturen auf dem Gebiet der Aluminium verarbeitenden Industrie spielte auch die Metallgesellschaft, deren Verarbeitungstochter Heddernheimer Kupferwerk seit dem Krieg zu den führenden deutschen Herstellern von Aluminiumhalbzeug gehörte. Durch die Zusammenführung des Heddernheimer Unternehmens mit der westfälischen Berg-Heckmann-Selve-Gruppe entstand 1930 die Vereinigte Deutsche Metallwerke AG, die als größtes deutsches Unternehmen der NE-Metall-Branche auch auf dem Gebiet der Aluminiumverarbeitung eine bedeutende Stellung einnahm. In der Berg-Heckmann-Selve AG hatten sich erst wenige Jahre zuvor mit den Firmen Carl Berg (Wehrdohl), Basse & Selve (Altena) und C. Heckmann (Duisburg) drei große deutsche NE-Metallverarbeiter zusammengeschlossen, von denen die beiden Erstgenannten zu den wichtigsten Verarbeitern von Aluminium in Deutschland gehörten. In diesem Kapitel wollen wir uns mit den von AIAG, VAW und Metallgesellschaft in den 20er Jahren aufgebauten Verarbeitungsgruppen beschäftigen. Dem soll im nächsten Kapitel ein allgemeiner Überblick über die Aluminium verarbeitende Industrie folgen, in dessen Rahmen wir auch die wichtigsten unabhängigen (das heißt nicht Konzern gebundenen) Hersteller von Halbzeug und Gussprodukten vorstellen werden. Tabelle 5: Halbzeugerzeugung in Deutschland 1925–1929 (Quelle: Archiv des GDA) 1.000 t Reinaluminium Alu-Legierungen Gesamt
1925
1926
1927
1928
1929
20,8 2,7
15,8 1,5
25,4 2,9
25,4 4,0
27,6 4,2
23,5
17,3
28,3
29,4
31,8
120 AIAG: Aluminium-Walzwerke Singen GmbH26 Bis zum Ende des ersten Weltkriegs hatte es die AIAG strikt vermieden, eigene Verarbeitungswerke zu betreiben und dadurch mit ihren Metallkunden in Konkurrenz zu treten. Nach dem Verlust des deutschen Absatzmarktes änderte die Gesellschaft ihre Strategie und baute in den 20er Jahren ein weit verzweigtes Netz von Verarbeitungswerken auf, dessen Kernstück die bereits erwähnte AWAG-Gruppe in Schaffhausen war. Die Gelegenheit zum Erwerb der AWAG bot sich, nachdem der Firmengründer Robert Victor Neher 1918 im Alter von 33 Jahren an den Folgen einer Grippe gestorben war und die Mehrzahl der anderen Teilhaber bereit war, sich von ihren Anteilen zu trennen27. Als Mehrheitsaktionär der Holdinggesellschaft in Schaffhausen kontrollierte die AIAG auch die AWAG-Töchter in Emmishofen (Schweiz) und Singen. Der Erwerb der AWAG war ein erster Schritt auf dem Weg zum Aufbau eines vertikalen Aluminiumkonzerns, dessen Produktpalette vom Rohstoff bis zum Fertigprodukt reichte. Ihm folgten in den 20er Jahren weitere Akquisitionen und Firmengründungen in der Schweiz, Frankreich, Belgien und England 28. Produktionsschwerpunkt der AWAG-Betriebe war die Herstellung und Veredelung von Aluminiumfolien, die in den 20er Jahren weltweit einen großen Aufschwung erlebten. Unter dem neuen Eigentümer wurden die beiden Folienwalzwerke in Singen und Emmishofen systematisch ausgebaut. Mitte der 20er Jahre übernahm ein von der AIAG in Neuhausen (am Standort der ersten Hütte des Konzerns) errichtetes weiteres Block- und Bandwalzwerk die Versorgung des Folienwerkes in Emmishofen, das bisher von Singen mit Vorwalzband beliefert worden war. Im Jahr 1926 erwarb die AWAG auch das Konkurrenzunternehmen der Breisgau-Aluminium-Walzwerk GmbH in Teningen und beauftragte Singen mit der Verwaltung des Betriebes (der 1931 mit Singen fusionierte). Die Herstellung der „weißen Folie“ wurde in Singen konzentriert, das Färben, Drucken und Kaschieren der Folie nach Teningen verlegt. Durch den Erwerb einer Beteiligung an dem Hamburger Folienveredler Kluge & Winter GmbH im Jahr 1930 wurden die Veredlungsaktivitäten weiter ausgebaut. Innerhalb weniger Jahren entwickelten sich die in der AWAG zusammen geschlossenen Betriebe aus bescheidenen Anfängen zu dem damals größten Folienunternehmen der Welt. Noch vor der Übernahme durch die AIAG hatte die AWAG in Singen eine Blockwalzeinrichtung installiert, die das Unternehmen weitgehend unabhängig von Vorlieferanten machte. Das Vormaterial wurde nunmehr in Form von Masseln bezogen, nicht mehr in Form von Bändern. Nach der Inbetriebnahme des von der Firma Achenbach gelieferten Blockwalzwerkes verfügte Singen über eine Produktionskapazität von etwa 50 Tonnen im Monat 29. Damit war auch die Voraussetzung für eine Erweiterung des Lieferprogramms geschaffen. Seit 1919 stellte Singen neben Folien auch Bänder, Bleche und Ronden aus Reinaluminium her, die man vor allem an die Geschirrindustrie lieferte. Die Produktion von Walzhalbzeug aus Aluminiumlegierungen wurde Anfang der 30er Jahre aufgenommen. Eine erste Strangpresse mit einer Presskraft von 1.000 Ton-
121 nen wurde 1920 installiert. Auf ihr wurden zunächst Aluminiumdraht, später auch Profile und Stangen aus Aluminiumlegierungen hergestellt. Eine weitere Presse von 1.500 Tonnen Presskraft folgte 1931. Im selben Jahr wurde eine Gesenkschmiede mit drei Schmiedepressen in Betrieb genommen. Eine Gießerei hatte man bereits 1926 in den Räumen der Aluminium GmbH in Teningen eingerichtet, deren Folienwalzbetrieb stillgelegt worden war. Der Gießereibetrieb wurde einige Jahre später von Teningen nach Villingen verlegt und mit einer dort ansässigen Gießerei zusammengelegt, die sich unter der Firma Vereinigte Aluminium-Gießereien Singen-Teningen GmbH zu einem der bedeutendsten Unternehmen auf dem Gebiet des Aluminiumgusses entwickelte. Anfang der 30er Jahre gehörte die Aluminium-Walzwerke Singen GmbH, wie das Unternehmen seit 1931 firmierte, zu den wichtigsten Betrieben der Aluminiumverarbeitung in Deutschland und Europa. Singen nahm nicht nur eine Spitzenposition auf dem Gebiet der Folienherstellung und Folienveredlung ein sondern zählte auf fast allen Gebieten der Aluminiumverarbeitung zu den führenden Anbietern. Ende der 20er Jahre wurden mehr als tausend Mitarbeiter beschäftigt. Ihren steilen Aufstieg zum Grossunternehmen verdankte die Gesellschaft zu einem guten Teil der umsichtigen Leitung durch ihren Generaldirektor Hans Constantin Paulssen (1892–1984), der nach dem Krieg als Verkäufer und Personalberater eingestellt und schon nach wenigen Jahren von der Konzernzentrale in der Schweiz an die Spitze des Unternehmens berufen worden war30. VAW: Vereinigte Leichtmetall-Werke GmbH31 Einen ersten Versuch, in der Aluminiumverarbeitung Fuß zu fassen, machte die VAW schon kurz nach ihrer Gründung im letzten Kriegsjahr. Gemeinsam mit der Erftwerk AG (damals noch selbstständige Schwestergesellschaft der VAW) erwarb sie im Juli 1918 eine Mehrheitsbeteiligung an der Rheinisch-Westfälischen Kupferwerk AG in Olpe, die neben Kupfer auch Aluminium verarbeiten sollte. Es gelang jedoch nicht, das Unternehmen zum Erfolg zu führen. Nach mehreren Verlustjahren musste die Gesellschaft liquidiert werden. Ein weiterer Schritt auf dem Wege zu einer eigenen Verarbeitungsaktivität war der Erwerb der Eisenindustrie GmbH in Bonn durch die Erftwerk AG im Jahr 1921. Die Gesellschaft, die ihr Eisenwalzwerk in Bonn-Nord kurz zuvor stillgelegt hatte, wurde in „Eisen- und Metallindustrie GmbH“ umbenannt und mit einem kleinen Blechwalzwerk für Bleche und Bänder aus Aluminium ausgestattet. Bei einer Monatsproduktion von 15 bis 20 Tonnen hatte das Werk einige Mühe, die nachfolgenden Jahre zu überstehen. Größere Bedeutung gewann das Bonner Walzwerk erst ab 1925, nachdem sich die VAW entschlossen hatte, in Bonn eine Produktionsstätte für Legierungshalbzeug einzurichten. Die VAW hatte in ihrem Forschungslabor in Lauta eine aushärtbare Knetlegierung der Gattung AlCuSi entwickelt, die im Bonner Werk praktisch erprobt und unter der Bezeichnung „Lautal“ im Markt eingeführt werden sollte. Um die besondere Bedeutung der neuen Legierung zu unterstreichen, änderte
122 man den Namen der Gesellschaft in „Lautal Walzwerk GmbH“. Für die Fertigung des Legierungshalbzeuges wurde ein leistungsfähiges Blockwalzwerk der Firma Achenbach installiert. Die Markteinführung der neuen Legierung erwies sich indessen als schwierig. Neben der Luftfahrtindustrie gab es damals nur wenige Abnehmer von Halbzeug aus Aluminiumlegierungen und der Bedarf der noch in den Kinderschuhen steckenden Flugzeugindustrie war äußerst gering. Auch fehlte es nicht an Konkurrenten. Der mit Abstand wichtigste Hersteller von Legierungshalbzeug waren die Dürener Metallwerke, die als Inhaber des bis 1932 gültigen Duralumin-Patentes eine Vorzugsstellung auf diesem Gebiet besaßen. Eine Reihe weiterer Unternehmen, darunter die Metallgesellschaft, die Carl Berg AG, die Selve AG und die Th. Goldschmidt AG, hatten sich ebenfalls auf dem Legierungssektor engagiert und versuchten, die von ihnen entwickelten aushärtbaren Knetlegierungen im Markt einzuführen. Um ihre Wettbewerbsposition gegenüber den Dürener Metallwerken zu verbessern, schlossen sich die VAW und die zuletzt genannten Unternehmen im Jahr 1927 zu einem Interessenverbund zusammen, der sich die gemeinsame Entwicklung und Einführung von AluminiumKnetlegierungen zum Ziel setzte. Träger der gemeinschaftlichen Aktivitäten wurde die Bonner Halbzeugtochter der VAW, die nunmehr den Namen „Vereinigte LeichtmetallWerke GmbH“ (Kurzform: VLW) erhielt. An der VLW waren die Erftwerk AG und die Metallgesellschaft mit je einem Drittel beteiligt, während die Berg-HeckmannSelve AG (die kurz zuvor durch den Zusammenschluss der drei Gesellschaften entstanden war) und die Th. Goldschmidt AG je ein Sechstel der Anteile übernahmen 32. In einem Rahmenvertrag verpflichteten sich die Partnerfirmen, alle vorhandenen und künftigen Patentrechte und Erfahrungen auf dem Gebiet der knetbaren Aluminiumlegierungen in die gemeinsame Gesellschaft einzubringen und dieser zur ausschließlichen Verwertung zu überlassen. Sie verzichteten auf eine eigene Erzeugung von Halbfabrikaten aus solchen Legierungen. Durch die Bündelung der Kräfte, so hoffte man, würde man dem übermächtigen Marktführer Paroli bieten können. Es verging jedoch noch geraume Zeit, bevor sich die in den Zusammenschluss gesetzten Erwartungen erfüllten. Noch auf Jahre hinaus hielt sich der Absatz von Legierungshalbzeug in äußerst bescheidenen Grenzen. Das änderte sich erst, nachdem die deutsche Luftfahrtindustrie nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Zuge der Aufrüstung den Ausstoß an Flugzeugen innerhalb weniger Jahre vervielfachte. Jetzt setzte ein alle Erwartungen sprengender Nachfrageboom nach Legierungsfabrikaten ein, der mit den vorhandenen Kapazitäten nicht befriedigt werden konnte. Trotz rascher Ausweitung der Produktion hatten die deutschen Halbzeugwerke Mühe, die Nachfrage nach Blechen, Profilen und Schmiedeteilen aus aushärtbaren Legierungen zu befriedigen. Auch das Bonner Walzwerk der VLW stieß schon bald an die Kapazitätsgrenzen.
123 VAW: Rheinische Blattmetall AG 33 Der Markterfolg der Aluminiumfolie, die nach dem Krieg als Verpackungsmaterial und auch für technische Verwendungszwecke guten Absatz fand, veranlasste die VAW dem Vorbild der AIAG zu folgen und sich ebenfalls auf diesem Gebiet zu engagieren. Da man über keine einschlägigen Erfahrungen verfügte, tat man sich mit der Handelsfirma Wolf Netter zusammen, die sich vor dem Krieg am Aufbau eines Folienwerkes in Süddeutschland beteiligt hatte und auf Grund ihrer Handelstätigkeit über gute Marktverbindungen verfügte. An der 1922 gegründeten Rheinischen Blattmetall AG (Kurzform: Rebag) waren VAW und Wolf Netter je zur Hälfte beteiligt. Die Führung des Unternehmens lag bei der VAW, die mit ihrem Vorstandsvorsitzenden von der Porten auch den Vorsitzenden des Aufsichtsrats stellte. Die neue Gesellschaft errichtete in Grevenbroich auf einem von der Erftwerk AG erworbenen Gelände ein Folienwalzwerk, das im Januar 1923 die Produktion aufnahm. Der Alleinvertrieb wurde der Firma Wolf Netter übertragen. Das Geschäft entwickelte sich so gut, dass die Produktionskapazität des Werkes laufend erweitert werden musste. Im Geschäftsjahr 1928/ 1929 erreichte der Absatz 1.340 Tonnen. Mehr als die Hälfte der Produktion ging in den Export. In der Rangfolge der deutschen Folienwalzwerke nahm Rebag damals hinter Alusingen den zweiten Platz ein. Den Bedarf an Folienvorwalzbändern deckte in den ersten Jahren das Halbzeugwerk der VLW in Bonn, zum Teil auch die Firma Erbslöh in Wuppertal. Seit 1925 erfolgte die Versorgung durch ein eigenes Block- und Bandwalzwerk, das die Erftwerk AG auf dem Gelände zwischen der Hütte und dem Folienwalzwerk errichtet hatte und das im Zuge einer konzerninternen Umorganisation später in den Besitz der Rebag überging34. Das in den 20er Jahren aufgebaute Foliengeschäft der Rebag war die Grundlage für die Aktivitäten der VAW auf dem Verpackungssektor, der sich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der wichtigsten Geschäftsfelder des Konzerns entwickelte.
MG: Vereinigte Deutsche Metallwerke AG 35 Unter dem programmatischen Namen „Vereinigte Deutsche Metallwerke AG“ schlossen sich im August 1930 zwei traditionsreiche Unternehmensgruppen zusammen, deren Anfänge bis weit in das 19. Jahrhundert zurückreichten. Beteiligt an dieser „Elefantenhochzeit“ waren die zum Konzern der Metallgesellschaft gehörende Heddernheimer Kupferwerke und Süddeutsche Kabelwerk AG („Frankfurter Gruppe“) sowie die Berg-Heckmann-Selve AG („Westfälische Gruppe“), die erst wenige Jahre zuvor durch den Zusammenschluss der drei westfälischen Unternehmen Carl Berg AG, Selve AG und Heckmann AG entstanden war. Den Anstoß zur Gründung der VDM gab die Weltwirtschaftskrise, unter deren Folgen die Metallbranche besonders stark zu leiden hatte. Die an der Fusion beteiligten Unternehmen hatten bislang mit weitgehend identischen Produktpaletten miteinander konkurriert und hofften als fusioniertes Unter-
124 nehmen besser mit der schwierigen Lage fertig zu werden, in die sie durch den Zusammenbruch der Metallmärkte geraten waren. In seiner Ansprache aus Anlass des 50jährigen Geburtstages der VDM im Jahr 1980 beschrieb der Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft, Dr. Horst Karus, die damalige Situation mit den Worten: „Die VDM ist kein Wunschkind gewesen, sondern ein Kind der Not, ein großes Kind großer Not in der damaligen Weltwirtschaftskrise“ 36. An der fusionierten Gesellschaft war die Metallgesellschaft mit etwa fünfzig Prozent beteiligt. Die restlichen Anteile gingen an die Aktionäre der früheren Berg-Heckmann-Selve AG, zu denen auch die VAW gehörte, die im Jahr 1926 eine Minderheitsbeteiligung an der Carl Berg AG erworben hatte 37. 1942 übernahm die Metallgesellschaft die Anteile der VAW im Tausch gegen ihre Beteiligung an der VLW. Durch weitere Aktienkäufe erhöhte sich die Beteiligungsquote der Metallgesellschaft an der VDM in den 60er und 70er Jahren auf fast hundert Prozent. Die unternehmerische Führung hatte von vornherein bei der Metallgesellschaft gelegen. Die Heddernheimer Kupferwerk und Süddeutsche Kabelwerk AG war 1909 durch den Zusammenschluss der beiden Namen gebenden Gesellschaften entstanden. Die Heddernheimer Kupferwerk vorm. F.A.Hesse Söhne AG betrieb seit ihrer Gründung als Familienunternehmen im Jahr 1854 ein Verarbeitungswerk in Heddernheim bei Frankfurt, in dem Halbfabrikate und Fertigprodukte aus Kupfer, Messing und anderen NE-Metallen hergestellt wurden. 1893 erwarb die Metallgesellschaft eine Minderheitsbeteiligung an dem Unternehmen, dessen wichtigster Kupferlieferant sie war. 1896 wurde in Gustavsburg bei Mainz ein Draht- und Kabelwerk errichtet, das die Elektroindustrie mit Kupferdraht und Hochspannungsleitungen belieferte. Auf demselben Geschäftsfeld war auch die erst 1898 gegründete Süddeutsche Kabelwerk AG im benachbarten Mannheim tätig. Sie expandierte vor allem im süddeutschen Raum und gliederte sich mehrere andere Kabelwerke ein, bis sie 1909 selbst in der Heddernheimer Kupferwerk und Süddeutsche Kabelwerk AG aufging. Durch den Zusammenschluss entstand das bedeutendste Kabelwerk Deutschlands, das auch nach der Fusion durch Akquisitionen und inneres Wachstum weiter expandierte. Die Verarbeitung von Aluminium wurde in Heddernheim 1908 aufgenommen. Das Produktionsprogramm umfasste Platten, Bleche, Stangen und Rohre. 1912 war die Gesellschaft mit etwa fünfzehn Prozent an der Verarbeitung des in Deutschland eingeführten Aluminiums beteiligt. Feinbleche wurden vor allem für die Geschirrindustrie hergestellt. Eine Spezialität waren schwere Aluminiumplatten mit bis zu sechs Meter Länge und drei Meter Breite, die im Apparatebau für die chemische Industrie und für die Herstellung von Gärbottichen für die Brauereiindustrie Verwendung fanden. Im Krieg wurde auch die Herstellung von Aluminiumseilen für die Elektroindustrie aufgenommen, die wegen der Kupferknappheit zunehmend an die Stelle von Kupferseilen traten38. Zu den bedeutendsten Herstellern von Halbfabrikaten und Fertigprodukten aus NE-Metallen zählten auch die drei westfälischen Unternehmen, die sich 1927 zu der Berg-Heckmann-Selve AG zusammengeschlossen hatten. Zwei der genannten Unter-
125 nehmen, nämlich der Carl Berg AG (Wehrdohl) und der Selve AG (Altena), sind wir in einem früheren Kapitel begegnet, in dem wir die Pioniere der Aluminiumverarbeitung vorgestellt haben. Beide Firmen gehörten auch in den 20er Jahren zu den wichtigsten Unternehmen der Aluminiumverarbeitung. Die Carl Berg AG betrieb Aluminiumwalzwerke in Eveking und Kupferhammer und stellte am Standort Werdohl Strangpress- und Gießereierzeugnisse her 39. Die Selve AG war ein führender Hersteller von Aluminiumkolben und anderen Gussteilen aus Aluminium 40. Die Produktpalette des durch die Fusion entstandenen Konzerns umfasste Halb- und Fertigfabrikate aus allen wichtigen NE-Metallen, wobei Kupfer und andere Schwermetalle dominierten. Auch Fertigprodukte wie zum Beispiel Benzinmotoren gehörten zu dem breit gefächerten Produktionsprogramm. Die von der Carl Berg AG und der Selve AG übernommenen Betriebsstätten für die Aluminiumverarbeitung machten die Berg-Heckmann-Selve AG in der kurzen Zeit ihres Bestehens zum größten Hersteller von Aluminiumfabrikaten in Deutschland. Mit einer Produktion von ca. 3.000 Tonnen entfielen 1928/1929 etwa fünfzehn Prozent der deutschen Halbzeugproduktion auf die Gesellschaft. Auf dem Gebiet der Aluminiumverarbeitung konnte das fusionierte Unternehmen auch einige Rationalisierungserfolge verbuchen. Die Herstellung von Walzprodukten aus Aluminium wurde in dem ehemals Bergschen Walzwerk in Eveking konzentriert. Im Gegenzug wurde die Formgießerei des Werkes Eveking von dem Selveschen Werk in Linscheid übernommen, das schon bisher eine führende Position bei der Produktion von Aluminiumkolben und anderen Gussteilen aus Aluminium eingenommen hatte 41. Der tiefere Grund für den Zusammenschluss der drei westfälischen Unternehmen im Jahr 1927 wie auch für die Gründung der VDM im Jahr 1930 waren die ungelösten Strukturprobleme der beteiligten Unternehmen, die ihre Ursache in der extremen Zersplitterung ihrer geschäftlichen Aktivitäten hatten. Das galt vor allem für die BergSelve-Heckmann AG, die von den Gründungsunternehmen zehn Werke übernommen hatte, die alle in derselben Region lagen und auf vielen Gebieten die gleichen oder ähnliche Produkte herstellten. Für eine umfassende Rationalisierung und Modernisierung der Betriebe waren beträchtliche Mittel erforderlich. Nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise mussten die Gründungsfirmen ihre Hoffnung begraben, durch die Fusion werde ein leistungsfähiges Unternehmen entstehen, das über genügend Kapitalkraft verfüge, um die anstehenden Investitionen zu finanzieren. Der drohende Zusammenbruch zwang die neue Gesellschaft, sich durch die Fusion mit dem Heddernheimer Kupferwerk, dem einzigen bedeutenden Wettbewerber, unter das schützende Dach der VDM zu flüchten. Wie wir noch sehen werden, ist es auch der VDM nicht gelungen, die notwendige Straffung des Produktionsprogramms und die Konzentration der Fertigung an wenigen leistungsfähigen Standorten zu erreichen. Bis in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg hat sich die Zahl der Standorte seit der Gründung der VDM im Jahr 1930 kaum verändert. In der Vielzahl der Betriebe und der extremen Vielfalt der Produkte lagen die entscheidenden strukturellen Schwächen, die schließlich zum Niedergang der VDM in den 1970er Jahren führte 42.
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5.3 Die Aluminiumverarbeitung im Überblick Die wachsende Bedeutung der Aluminiumverarbeitung führte nach dem Krieg zur Gründung neuer Verbände und Branchenorganisationen, in denen sich die Hersteller von Aluminiumprodukten zur Wahrung ihrer Interessen zusammenschlossen. Den Anfang machten die wichtigsten deutschen Halbzeugwerke im Jahr 1919 mit der Gründung eines Verkaufssyndikats für Aluminiumwalzhalbzeug. Mitglieder des Syndikats waren die uns bekannten Unternehmen Carl Berg (Werdohl), Basse & Selve (Altena), Julius & August Erbslöh (Wuppertal) und Heddernheimer Kupferwerke sowie einige weitere Metallverarbeiter aus dem westfälischen Raum. Als Geschäftsstelle fungierte die Firma Carl Berg, über die der gemeinsame Verkauf der Aluminiumwalzprodukte abgewickelt wurde 43. Auch bei der Beschaffung von Rohaluminium traten die Mitglieder des Syndikats gemeinsam auf. Als so genannte „Aluminium-Vereinigung“ schlossen sie 1921 das bereits erwähnte Abkommen mit der VAW, in dem sie sich verpflichteten, 75 Prozent ihres Aluminiumbedarfs von der VAW zu beziehen. Zu einer förmlichen Verbandsgründung kam es im Herbst 1925, als der AluminiumWalzwerksverband e.V. mit Sitz in Köln aus der Taufe gehoben wurde. Der neue Verband war eine Unterorganisation des 1919 gegründeten Zentralverbands der deutschen Metallwalzwerke und Hüttenindustrie e.V. mit Sitz in Berlin, in dem die gesamte Nichteisenmetallindustrie organisiert war. Bei seiner Gründung zählte der AluminiumWalzwerksverband 28 Mitglieder, eine Zahl, die sich bis Ende der 20er Jahre nur wenig verändert haben dürfte. Im Rahmen des neuen Verbands wurde auch das 1919 vereinbarte Verkaufssyndikat wieder belebt44. Der Vereinbarung über den gemeinschaftlichen Verkauf von Walzhalbzeug aus Reinaluminium traten jetzt auch diejenigen Verbandsmitglieder bei, die bisher abseits gestanden hatten. In dem Vertrag wurde jedem Mitglied eine bestimmte Verkaufsquote zugewiesen. Die Verkaufspreise legte der Verband fest. Für die Abwicklung der Verkäufe war eine am Verbandssitz in Köln eingerichtete Verkaufsstelle verantwortlich. Der Versuch der Industrie, den Wettbewerb auf dem hart umkämpften Halbzeugmarkt durch eine „Syndizierung“ des Verkaufs zu beseitigen, scheiterte jedoch schon nach kurzer Zeit. Das Verkaufssyndikat hat den Absatzeinbruch während des Krisenjahres 1926 nicht überstanden. Auch die Aluminiumgießer, Folienwalzer und Folienveredler sowie die Hersteller von Aluminiumgeschirr und anderen Aluminiumwaren gründeten in den 20er Jahren eigene Verbände und Branchenorganisationen, um ihre speziellen Interessen wirksamer wahren zu können. Die wichtigsten Aluminiumgießereien waren im AluminiumGussverband mit Sitz in Hagen zusammengeschlossen, der als Fachverband für die Hersteller von schweren Aluminiumgussteilen Mitglied im Reichsverband der Metallgießer war, in dem Gießereibetriebe aus allen Zweigen der NE-Metallindustrie vertreten waren. Die Hersteller von Aluminiumgeschirr und anderen Waren aus Aluminium hatten sich schon 1921 im Reichsverband der Deutschen Aluminiumwarenindustrie organisiert. Als Fachverband für Aluminiumwaren gehörte dieser Verband dem eben-
127 falls in Berlin ansässigen Reichsbund der Deutschen Metallwaren-Industrie e.V. an. Ende 1926 gab es in Deutschland etwa zweihundert Werke mit insgesamt zweitausend Beschäftigten, in denen Aluminiumgeschirr, Blattaluminium (Folie), Aluminiumbestecke, sowie technische Bedarfsartikel, fertige Gussstücke oder andere gedrückte, gestanzte und gegossenen Waren aus Aluminium hergestellt wurden. Etwa siebzig Unternehmen, von denen die meisten im Raum Lüdenscheid ansässig waren, stellten Aluminiumgeschirr her. Die Folienproduzenten waren im Reichsbund durch eigene Fachverbände für weiße Folie, bunte Folie und dünne Bänder vertreten 45. Im Rahmen des nachfolgenden Überblicks werden wir uns nur mit den Verarbeitungsbetrieben beschäftigen, die keiner der drei großen Gruppen angehörten, über die im vorigen Kapitel berichtet wurde. Dabei müssen wir uns auf eine kurze Darstellung der wichtigsten Unternehmen beschränken 46.
Halbzeugwerke Die bei der Gründung des Verkaufssyndikats von 1925 getroffene Quotenvereinbarung erlaubt interessante Rückschlüsse auf die damalige Bedeutung der einzelnen Unternehmen. Die Quoten reichten von 11,94 Prozent für den größten Hersteller (die Firma Carl Berg) bis zu weniger als ein Prozent für kleine und kleinste Anbieter. Den zweiten Platz hinter dem Branchenführer nahmen die Aluminiumwalzwerke Wutöschingen mit einer Quote von 9,34 Prozent ein. Das zur Guilini-Gruppe gehörende Unternehmen war unmittelbar nach dem Ende des Krieges durch die Anschaffung von sechs neuen Bandwalzwerken zu einem der leistungsfähigsten Aluminiumwalzwerke in Europa ausgebaut worden. 1929 produzierte das Werk in Wutöschingen 3.200 Tonnen Walzprodukte, was etwa zehn Prozent der damaligen deutschen Halbzeugproduktion entsprach. Die Produktion bestand ganz überwiegend aus Blechen, Bändern und Ronden aus Reinaluminium, die größtenteils an die Geschirrindustrie und an Folienwerke im In- und Ausland geliefert wurden. Zur Spitzengruppe der Walzhalbzeughersteller gehörte auch die Firma Erbslöh in Wupperfeld, auf die bei der Gründung des Aluminiumwalzwerksverbands eine Quote von 6,34 Prozent entfiel. Trotz Inflation und Wirtschaftskrisen hatte die Firma auch in der Nachkriegszeit ihre Verarbeitungskapazitäten ausgeweitet. Durch die Aufstellung mehrerer Aluminiumstrangpressen im Werk Wuppertal wurde ein neuer Produktionsschwerpunkt gebildet und die Entwicklung des Unternehmens zu einem der führenden Hersteller von Pressprodukten aus Aluminium eingeleitet. Auf den weiteren Plätzen folgten die VAW-Tochter Lautal Walzwerke GmbH in Bonn (Quote: 6,16 Prozent), die zur Auslastung ihrer Kapazitäten auf das Geschäft mit Reinaluminium nicht verzichten konnte, ferner die Selve AG (Quote: 5,17 Prozent), deren Aluminiumwalzaktivitäten nach der Fusion von 1927 auf das ehemalige Bergsche Walzwerk in Eveking übergingen, sowie das der Metallgesellschaft gehörende Werk in Heddernheim (Quote:
128 4,99 Prozent). Zur Gruppe der mittelgroßen Walzbetriebe zählte schließlich auch die Firma Fritz Honsel, die das Walzgeschäft 1919 aufgenommen hatte (Quote: 4,9 Prozent). Wie bereits erwähnt, hatte Honsel im Krieg in Meschede ein Aluminiumumschmelzwerk errichtet, aus dem jetzt auch Walzbarren für das eigene Walzwerk geliefert wurden. Der einzige Walzbetrieb von Bedeutung, der dem Aluminiumwalzverband nicht angehörte, waren die Dürener Metallwerke, die offenbar kein oder nur wenig Reinaluminium verarbeiteten. Auf Grund ihrer langjährigen Erfahrungen mit der Entwicklung und Herstellung von Duralumin-Legierungen hatte die Gesellschaft auf dem Legierungssektor einen beachtlichen Vorsprung vor ihren inländischen und ausländischen Konkurrenten. Nach dem Krieg eröffnete sich für das Duralumin durch den Übergang der Flugzeugindustrie zur Metallbauweise ein viel versprechendes neues Absatzgebiet. Neben Walzprodukten für die Flugzeugzelle und Gussteilen für den Motorenbau umfasste das Produktionsprogramm in Düren auch Schmiedestücke aus Duralumin, aus denen man Flugzeugpropeller und andere Konstruktionsteile fertigte, die höchsten Belastungsanforderungen genügen mussten. Auch im Automobilbau und anderen Bereichen des Verkehrswesens fanden Duralumin und seine weiterentwickelten Varianten zunehmend Einsatz. Dem guten Absatz ihrer Duralumin-Produkte verdankten es die Dürener Metallwerke, dass sie in den 20er Jahren in die Spitzengruppe der Metallverarbeiter aufstiegen. Ein Großauftrag der sowjetischen Luftfahrtindustrie, den die Gesellschaft kurz nach Beginn der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1930 hereinnahm, sicherte die Beschäftigung des Betriebes für mehr als zwei Jahre. Nach 1933 profitierte das Unternehmen von dem Aufbau der deutschen Luftwaffe. Neben der VLW waren die Dürener Metallwerke in der Zeit des Dritten Reiches der wichtigste Lieferant der deutschen Luftfahrtindustrie. Zu einem der bedeutendsten Halbzeughersteller entwickelte sich in den 20er Jahren die Firma Eduard Hueck in Lüdenscheid, deren Aktivitäten auf dem Gebiet der Aluminiumverarbeitung bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückreichen. Die 1814 gegründete Firma „Gebrüder Hueck“ (seit 1864 „Eduard Hueck“) produzierte Knöpfe und andere Kurzwaren aus Messing. 1879 wurde ein Messingwalzwerk mit drei von einer Dampfmaschine angetriebenen Walzwerken errichtet, in dem man Bleche für den eigenen Bedarf herstellte. Mit der Verarbeitung des Aluminiums begann man nach der Jahrhundertwende. Wie andere Metallwarenhersteller in Lüdenscheid interessierte sich auch die Firma Eduard Hueck für das neue Metall und begann mit der Herstellung von Haushaltsgeschirren aus selbst gewalzten Aluminiumblechen. Von großer Tragweite für die weitere Entwicklung des Unternehmens war die Anschaffung einer hydraulischen Presse im Jahr 1908, auf der man zunächst Messing zu Profilen und Stangen verarbeitete, seit 1914 aber auch stranggepresste Profile und Rohre aus Aluminium herstellte. Dass sich die Firma auf das Gebiet der Aluminiumverarbeitung spezialisierte, ist vor allem das Werk von Oskar Eduard Hueck (1886– 1966), der nach Lehrjahren in Amerika im Jahr 1909 in das Familienunternehmen ein-
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Abb. 18: Fritz Honsel (1888–1964)
Abb. 19: Oskar Eduard Hueck (1886–1966)
trat und seit dem Ende des Ersten Weltkrieges den Kurs der Firma bis in die 50er Jahre bestimmte 47. Während man bisher eine Vielzahl von Fertig- und Halbfertigwaren aus den unterschiedlichsten Metallen hergestellt hatte, wandte sich das Unternehmen unter seiner Führung vor allem der industriellen Herstellung von Walz- und Pressprodukten zu. Dabei spielte das Aluminium eine immer bedeutendere Rolle und wurde neben Messing zum wichtigsten Rohstoff für die Metallverarbeitung, die vor allem auf den neuen Wachstumsmarkt der Automobilindustrie ausgerichtet war. Der Schwerpunkt der Halbzeugaktivitäten lag schon damals bei den Strangpressprofilen. Zu den schon seit der Vorkriegs- oder Kriegszeit bestehenden Halbzeugwerken traten nach dem Krieg neue Unternehmen hinzu, die durch die steigende Nachfrage nach Aluminiumprodukten ermutigt wurden, sich auf dem zukunftsträchtigen Gebiet der Aluminiumverarbeitung zu engagieren. Über die Errichtung eines Aluminiumwalzwerkes durch die Firma Fritz Honsel kurz nach dem Ende des Krieges wurde bereits berichtet. Neu im Kreis der Aluminium verarbeitenden Unternehmen waren auch die Wieland-Werke in Neu-Ulm, die 1919 mit der Herstellung von Aluminiumhalbzeug begannen. Der Leichtmetallsektor wurde in den folgenden Jahrzehnten zu einem weiteren geschäftlichen Schwerpunkt des Unternehmens, der neben das traditionelle
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Abb. 20: Blockwalze im Werk Göttingen (1924)
Geschäft mit dem Schwermetall trat. Eine ähnliche Entwicklung nahmen die Kreidler Metall- und Drahtwerke in Stuttgart, die schon vor dem Krieg als eine der ersten Firmen in Deutschland Freileitungsseile aus Reinaluminium hergestellt hatten. Seit 1930 wurden auf den Strangpressen des Unternehmens, auf denen bisher ausschließlich Kupfer und Messing verarbeitet worden war, auch Stangen und Profile aus Aluminium hergestellt. Im Dritten Reich wurde Kreidler zu einem wichtigen Zulieferer für die Luftfahrtindustrie. Zu den Unternehmen, die sich nach dem Krieg erstmalig oder verstärkt auf dem Gebiet der Aluminiumverarbeitung betätigten, zählten ferner die Osnabrücker Kupfer- und Drahtwerke (OKD) sowie die Kabel- und Metallwerke Neumeyer in Nürnberg. Auch die Firma Otto Fuchs in Meinerzhagen, die sich als Hersteller von Guss- und Pressteilen aus Messing einen Namen gemacht hatte, begann 1931 mit der Verarbeitung von Aluminium. Dass der Einstieg in die kapitalintensive Halbzeugproduktion mit beträchtlichen Risiken verbunden war, musste die Carl Albrecht Aluminium GmbH in Göttingen erfahren. Der Firmengründer Carl Albrecht hatte vor dem Krieg die Produktion von Haus- und Küchengeschirr aus Reinaluminium aufgenommen. Ermutigt durch den günstigen Geschäftsverlauf in den ersten Nachkriegsjahren entschloss sich Albrecht 1923, ein eigenes Walzwerk zu errichten, das ihn von Zulieferungen unabhängig machen und ihm den Einstieg in das lukrative Geschäft mit Aluminiumhalbzeug ermöglichen sollte. Die Anlage in Göttingen war typisch für ein Walzwerk der damaligen Zeit. Sie bestand aus einer Blockwalze für das Warmwalzen, einem Vorwalzgerüst sowie zwei Blechgerüsten. Die 50 Kilogramm schweren Walzbarren wurden in einer luftgekühlten Kokille gegossen und kamen ohne Vorwärmung auf die Walze. Im Zweischichtbetrieb konnten etwa 70 Tonnen Bleche und Ronden aus Reinaluminium pro Monat produziert werden. Mit einer Jahresproduktion von ca. 900 Tonnen dürfte das Göttinger Werk Ende der 20er Jahre einen mittleren Platz unter den deutschen Walzbetrieben eingenommen haben. Für Carl Albrecht endete die Investi-
131 tion in das Walzwerk mit dem Verlust der geschäftlichen Existenz. Die hohen Anlaufkosten des neuen Werkes sowie Preiskämpfe und Absatzprobleme überstiegen die finanzielle Kraft seiner Firma, die 1926 den Konkurs anmelden musste. Die von Banken und anderen Interessenten gegründete Auffanggesellschaft wurde 1930 an die kanadische Aluminium Ltd. (die spätere Alcan) verkauft. Diese baute das Werk in Göttingen nach dem zweiten Weltkrieg zu einem der bedeutendsten deutschen Walzbetriebe aus 48. Folienwalzer Ende der 20er Jahre wurde in Deutschland fast soviel Aluminiumfolie produziert wie in der gesamten übrigen Welt. Mit einer Produktion von etwa 4.000 Tonnen übertrafen die deutschen Folienhersteller ihre amerikanischen Konkurrenten um mehr als das Doppelte. Ein großer Teil der deutschen Folienproduktion wurde in den europäischen Nachbarländern, in den Vereinigten Staaten und in Ostasien (dort vor allem an die Tee- und Zigarettenindustrie) abgesetzt. Unbestrittener Marktführer war die AIAGTochter Aluminium-Walzwerke Singen, die Ende der 20er Jahre etwa vierzig Prozent der deutschen Produktionskapazität für Aluminiumfolien und dünne Bänder auf sich vereinigte. Die VAW-Tochter Rebag folgte mit deutlichem Abstand auf dem zweiten Platz 49. Den übrigen Markt teilten sich damals die beiden nicht Konzern gebundenen Folienhersteller Hueck & Büren (Lüdenscheid) und Tscheulin (Teningen), die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen. Oskar Eduard Hueck hatte schon früh das Potential der Aluminiumfolie erkannt, deren industrielle Herstellung durch die Erfindungen der Schweizer Gautschi und Robert Victor Neher möglich geworden war. Gemeinsam mit seinem Partner Büren errichtete er 1913 unter der Firma Hueck & Büren ein kleines Aluminiumfolienwalzwerk in Lüdenscheid, das aber erst nach dem Ende des Ersten Weltkrieges den Betrieb aufnehmen konnte. Mit vier Walzduos der Firma Schmitz in Düsseldorf erreichte das Werk eine Anfangsproduktion von zwanzig Tonnen im Jahr. Zur Versorgung des Folienwalzwerkes mit Vormaterial gründete Hueck 1921 gemeinsam mit seinem Partner Röpke die Firma Hueck & Röpke, die in unmittelbarer Nachbarschaft („jenseits der Strasse“) ein Aluminiumwalzwerk mit einem eigenem Warmwalzwerk errichtete, das Vorwalzbänder mit Bundgewichten von bis zu 80 Kilogramm produzierte. Hueck & Röpke betrieben eine kleine Gießerei, in der die Abfälle des Folienwerkes zusammen mit zugekauften Masseln zu Walzbarren umgeschmolzen wurden, die dann im Walzwerk wieder zu Bändern verarbeitet wurden. Für die Veredelung der in Lüdenscheid gewalzten weißen Folie gründete Hueck 1922 in Pirkmühle bei Weiden eine weitere Gesellschaft, die unter der Firma Hueck & Cie bedruckte oder sonst veredelte Aluminiumfolien herstellte. Mit einer Produktionskapazität von etwa 700 Jato nahm Hueck & Büren am Ende der 20er Jahre den vierten Platz in der Rangliste der deutschen Folienproduzenten ein.
132 Die erst 1926 gegründete Aluminiumwerk Tscheulin GmbH, erreichte gegen Ende der 20er Jahre eine Folienkapazität von knapp 1.000 Jato. Die beiden Firmengründer Emil Tscheulin und Wilhelm Ingold waren zuvor an der Breisgau–Walzwerke GmbH beteiligt gewesen und hatten ihre Anteile an dieser Gesellschaft wegen finanzieller Schwierigkeiten an die AWAG veräußern müssen. Wegen eines mit der AWAG vereinbarten Konkurrenzverbotes waren sie in das württembergische Deißlingen ausgewichen aber nach Ablauf der Sperrfrist 1929 wieder nach Teningen zurückgekehrt. Innerhalb weniger Jahre gelang es ihnen, eine führende Position auf dem stark umkämpften Folienmarkt zu erobern. Am Standort Teningen verfügte Tscheulin über eine Schmelzerei und ein eigenes Block- und Bandwalzwerk, das die Folienwalzerei mit Vorwalzbändern versorgte. In Teningen wurde auch die Weiterverarbeitung der Folie aufgenommen. 1932 gründeten Tscheulin und Ingold zusammen mit Frederic Meyer die „Société Alsacienne d’Aluminium“ in Schlettstadt im Elsass, die sich nach dem zweiten Weltkrieg zu einem der führenden Folienhersteller und Folienveredler in Europa entwickelte und später in den Besitz der VAW überging. In der Anfangszeit der Folienindustrie gab es keine klare Trennung zwischen Folienwalzern und Folienveredlern. Die Folienproduzenten waren darauf angewiesen, der Aluminiumfolie durch ihre Entwicklungsarbeit im Markt zum Erfolg zu verhelfen, was nach Lage der Dinge nur möglich war, wenn sie selbst in die Folienveredlung investierten. So stellte Alusingen schon 1921 einige Färbmaschinen, Flachdruckpressen und Kaschiermaschinen auf, mit denen die „weiße Folie“ gefärbt, bedruckt und mit Papier kaschiert werden konnte. Durch den Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung an der Kluge & Winter GmbH in Hamburg, einem der wenigen unabhängigen Folienveredlungsunternehmen, baute Alusingen im Jahr 1930 seine Position auf dem Veredlungssektor weiter aus. Durch diese Akquisition wollte man den Folienabsatz sichern und zugleich Einfluss auf die noch in den Kinderschuhen steckende Folienveredlung gewinnen. Demselben Ziel diente die Beteiligung der VAW-Folientochter Rebag an der Vereinigte Stanniolfabrik Friedr. Supf und C. F. Bauerreis & Müller GmbH in Roth bei Nürnberg. Die Rebag, die die Veredlerfirma 1930 durch einen Folienliefervertrag an sich gebunden hatte, erwarb 1932 drei Viertel der Geschäftsanteile der Gesellschaft, nachdem diese in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Später gingen auch die restlichen Anteile auf die Rebag über, die das Unternehmen in Roth nach dem zweiten Weltkrieg zu einem bedeutenden Folienveredlungsbetrieb ausbaute 50. Aluminiumgießereien In der Nachkriegszeit entstanden neue Aluminiumgießereien, die den bisher auf diesem Sektor führenden Unternehmen bald den Rang abliefen. Die Branchenneulinge machten sich vor allem den wachsenden Bedarf der Automobilindustrie zunutze, die sich nach dem Krieg zum wichtigsten Abnehmermarkt für den Aluminiumguss entwickelte. Zu den erfolgreichsten Neugründungen der 20er Jahre gehört die Karl
133 Schmidt GmbH in Neckarsulm. Der Firmengründer Karl Schmidt hatte im Krieg ein Umschmelzwerk zum Einschmelzen von Aluminiumschrott errichtet, über das wir in einem früheren Kapitel berichteten. Nach dem Krieg richtete er auf dem Neckarsulmer Gelände eine Sand- und Kokillengießerei ein, in der er das im Schmelzwerk erzeugte Umschmelzaluminium zu Gießereiprodukten verarbeitete. Die junge Firma spezialisierte sich auf die Herstellung von Aluminiumkolben für Verbrennungsmotoren. Bei einem 1921 vom Reichsministerium für Verkehr ausgerichteten Wettbewerb erhielten die Aluminiumkolben aus Neckarsulm den zweiten und dritten Preis 51. Eine Spezialität der Firma waren Großkolben für stationäre Motorenanlagen und für Schiffsmotoren. Da Karl Schmidt das für die Weiterentwicklung des Betriebs erforderliche Kapital fehlte, beteiligte er 1924 die Metallgesellschaft an seinem Unternehmen. Wenige Jahre später übernahm die Metallgesellschaft auch die restlichen Anteile. Unter ihrer Führung entwickelte sich das Unternehmen in der Folgezeit zu einem der bedeutendsten Hersteller von Kolben und anderen Gussteilen für den Motorenbau. Wichtigstes Produkt der Firma blieben die Aluminiumkolben, was auch in der Firmenbezeichnung „Kolbenschmidt Karl Schmidt GmbH“ seinen Niederschlag fand. Auch andere Gießer spezialisierten sich auf die Herstellung von Aluminiumkolben für die aufstrebende Automobilindustrie. Dies gilt vor allem für die Gebrüder Mahle in Bad Cannstatt, deren Unternehmen sich in den 20er und 30er Jahren aus kleinsten Anfängen zu einem der bedeutendsten Gießereibetriebe entwickelte. Die von dem Flugpionier Hellmuth Hirt gegründete Firma nahm 1921 als erster Betrieb in Europa die serienmäßige Herstellung von Aluminiumkolben auf. Unter der tatkräftigen Leitung von Hermann Mahle, der 1920 als kaufmännischer Geschäftsführer in die kleine Firma eingetreten war, und seines jüngeren Bruders Ernst Mahle, der ihm 1922 als technischer Geschäftsführer folgte, nahm das Unternehmen trotz Inflation und Wirtschaftskrise eine erfreuliche Entwicklung. 1925 wurden fast 100.000 Kolben ausgeliefert. Einer weiteren Expansion standen aber die bereits erwähnten technischen Probleme des Aluminiumkolbens („Kolbenklappern“ und „Kolbenfressen“) entgegen. Der Durchbruch kam erst, nachdem es mit Hilfe der neuen Aluminium-Silizium-Legierungen gelungen war, die Kolben laufruhiger und langlebiger zu machen.52 Weiter steigende Absatzzahlen zeigten, dass das Unternehmen auf dem richtigen Weg war. 1929 erreichte man mit fast 500.000 Kolben einen neuen Absatzrekord. Der Firmeninhaber Hirt hatte schon 1924 die Firma Griesheim-Elektron an seinem Unternehmen beteiligt und sich 1927 auch von den restlichen Firmenanteilen durch Verkauf an die IG-Farbenindustrie getrennt, in der Griesheim-Elektron inzwischen aufgegangen war. Von dieser erwarben die Mahle-Brüder im Jahr 1932 das Unternehmen. Seit 1924 wurde in Bad Cannstatt auch das von Griesheim-Elektron hergestellte Elektron-Metall (eine Magnesiumlegierung mit etwa acht Prozent Aluminium) verarbeitet 53. Wichtigstes Produkt waren Flugzeugräder, die erstmals im Wege des Druckgussverfahrens aus Elektron-Legierungen hergestellt wurden und weltweit große Verbreitung fanden. Als Kolbenwerkstoff hat sich
134 das Elektron-Metall trotz seiner Gewichtsvorteile gegenüber Aluminium nicht durchsetzen können, da es nicht die für eine Dauerbeanspruchung erforderliche Verschleißfestigkeit besaß. Zur Spitzengruppe der deutschen Aluminiumgießereien zählte in den 20er Jahren auch die Firma Fritz Honsel in Meschede, deren Anfänge in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückreichen. Fritz Honsel (1888–1964) gründete 1908 die Fritz Honsel Gravieranstalt und Formenmacherei in Werdohl, die Gussformen für die damals aufkommenden Aluminiumgießereien herstellte. Wenig später errichtete er seine eigene Aluminiumgießerei, die sich auf die Herstellung der damals beliebten Bestecke aus Aluminiumguss spezialisierte. Honsel erkannte schon früh die Vorteile des Kokillengusses gegenüber dem bis dahin ganz überwiegend verwendeten Sandguss und trug wesentlich zur Perfektionierung des Kokillengießverfahrens bei, mit dem erstmals die Serienfertigung von Gusstücken aus Aluminium möglich wurde. Bei Ausbruch des ersten Weltkrieges beschäftigte die Firma Honsel etwa hundert Mitarbeiter. Über die weitere Entwicklung des Unternehmens wurde bereits berichtet: 1917 entstand in Meschede das erste größere Umschmelzwerk für Aluminiumschrotte in Deutschland. Zwei Jahre später errichtete Honsel am selben Standort auch ein Aluminiumwalzwerk. Gleichzeitig wurde der Gießereibetrieb ausgebaut und Einrichtungen für die Weiterverarbeitung geschaffen oder erweitert. Offenbar hat sich Honsel mit der raschen Expansion seines Unternehmens finanziell übernommen. Das Unternehmen machte Verluste und geriet in eine Existenz bedrohende Krise. Als Auffanggesellschaft wurde 1922 die Honsel-Werke AG gegründet, an deren Kapital die finanzierenden Banken mit vierzig Prozent beteiligt waren 54. Wegen der schwierigen Geschäftslage mussten drei der fünf damals bestehenden Werke geschlossen werden. Am erfolgreichsten war Fritz Honsel auf dem Gebiet des Aluminiumgusses. Mitte der 20er Jahre belieferten die Honsel-Werke die gesamte damalige deutsche Automobilindustrie mit ihren Erzeugnissen. 1925 erhielt die Firma den Auftrag, die Garnituren für den beliebten „Opel-Laubfrosch“ zu fertigen. Kurbelgehäuse für die Vier- und Sechs-Zylinder-Motoren von Opel wurden in Großserien mit monatlichen Mengen von bis zu 150 Tonnen gegossen. Während der Weltwirtschaftskrise musste die Produktion auf nahezu die Hälfte zurückgenommen werden. Trotz der schwierigen Situation richtete Honsel in Meschede eine Druckgießerei ein, die in den kommenden Jahren für die Fertigung von Großserien große Bedeutung gewann. Die wachsende Nachfrage nach Serienartikeln führte zur Entwicklung neuer Gießverfahren, die sich besonders für die Herstellung großer Stückzahlen eigneten. Anfangs der 20er Jahre wurde das so genannte Spritzgussverfahren eingeführt, bei dem die Schmelze unter hohem Druck in die stählerne Gießform „eingespritzt“ wird. Heute bezeichnet man dieses in den USA entwickelte Gießverfahren als Druckgießverfahren. Nur kapitalstarke Gießereien waren in der Lage, die dafür erforderlichen Investitionen vorzunehmen. Der erste Gießereibetrieb in Deutschland, der Aluminium nach dem neuen Gießverfahren verarbeitete, war die 1924 in Nürnberg gegründete Aluminium
135 Spritzgusswerk GmbH55. Gesellschafter waren die Carl Berg AG und die DeutschLuxemburgische Bergwerks- und Hütten AG. Die Spritzgussmaschinen wurden anfänglich aus den USA eingeführt, bald aber durch werkseigene Konstruktionen ersetzt. Die Gießmaschinen wurden wasserhydraulisch angetrieben und hatten einen Schließdruck von 60 bis 120 Tonnen. Die Produktion bestand aus Gussteilen für Staubsauger, Motorengehäuse, Saugköpfe und andere Serienartikel, die im Spritzgussverfahren wegen der wiederholt einsetzbaren Gießform viel kostengünstiger hergestellt werden konnten als im konventionellen Sand- und Kokillengussverfahren. 1927 erwarb die Alcoa eine Mehrheitsbeteiligung an der Gesellschaft, die sie im folgenden Jahr zusammen mit dem größten Teil ihrer Auslandsbeteiligungen im Wege des „spin-off“ auf die kanadische Aluminium Ltd. (seit 1966: Alcan) übertrug. 1929 kaufte die Aluminium Ltd. auch die restlichen Anteile der Gesellschaft, die seit 1930 als Aluminiumwerke Nürnberg GmbH firmierte. Nach der Übernahme durch die Aluminium Ltd. verlagerte sich der Produktionsschwerpunkt auf die Herstellung von Aluminiumkolben. 1928 lieferte das Werk die ersten in Kokille gegossenen Kolbenrohlinge aus Aluminium an die Ford-Werke in Deutschland.
Anmerkungen zum 5. Kapitel 1 Zu den Anfängen der wissenschaftlichen R & D-Arbeit: AIAG-Geschichte II, Seite 67 ff. – VAWGeschichte III, Seite 144 ff. – Rauch, Seite 158 ff. – Smith, Seite 163 ff. – Carr, Seite 137 ff. 2 Zur Weiterentwicklung von Duralumin und anderer Knetlegierungen: Edwards-Frary Band 2, Seite 232 ff. – Sachs: „Entwicklung und technische Bedeutung des Duralumins“ in Zeitschrift für Metallkunde 1935.691ff. 3 Neben Aluminium spielte das noch leichtere Magnesium eine wichtige Rolle im Flugzeugbau. Eine ernsthafte Bedrohung des Aluminiums stellen aber nur die Plastikverbundstoffe dar, die in den letzten Jahrzehnten zunehmend für Einzelteile des Flugzeugs verwendet werden und bei der kürzlich in Dienst gestellten Boeing 787 („Dreamliner“) erstmals das Aluminium als wichtigsten Bauwerkstoff verdrängt haben. 4 Zur Entwicklung der Metallbauweise im Flugzeugbau: C. W. Erich Mayer: „Entwicklung und gegenwärtiger Stand des Metallflugzeuges“, Dresden, 1925 (abgedruckt bei Joliet, Seite 180 ff). – Lutz Budraß: „Flugzeugindustrie und Luftrüstung in Deutschland 1918–1945“ (Seite 21 ff). 5 Einige Modelle (wie der bei Grinberg: „Aluminum – Light at Heart“, auf Seite 58 erwähnte Doppeldecker vom Typ Breguet XIV) hatten ein Gerüst aus Aluminiumrohren, die aus Duralumin hergestellt wurden. Für die Außenhaut dieses in Frankreich von 1916 an in großer Stückzahl gebauten Flugzeuges blieb es jedoch bei den konventionellen Werkstoffen Holz und Leinwand. 6 Dieser Urahn aller Junkers-Metallflugzeuge kam 1926 ins Deutsche Museum nach München, wo er im Zweiten Weltkrieg einem Bombenangriff zum Opfer fiel. 7 Zur Entwicklung auf dem Gebiet der Gusslegierungen: Edwards-Frary, Band 2, Seite 194 ff. – Rauch, Seite 163 ff. – Wolfgang Büchen: „100 Jahre Aluminium und Aluminiumformguss“ in Gießerei 1986. 390 ff und 528 ff. 8 Zur Herstellung von Silumin: VAW-Geschichte V, Seite 21. Bei dem für die Metallgesellschaft geschützten Verfahren wurde ein Gemisch aus Tonerde und Kaolin im elektrischen Lichtbogenofen mit Holzkohle und eisenarmem Koks unter Zusatz von Quarz reduziert. Die Herstellung von
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Silumin im Lichtbogen-Ofen hatte sich schon früh gegenüber dem anfänglich versuchten Verfahren durchgesetzt, das Silumin unmittelbar durch Einsatz von Silizium in den Elektrolyseöfen zu gewinnen. Zur Zusammenarbeit VAW/MG: VAW-Geschichte III, Seite 137 f. – VAW-Geschichte V, Seite 21. Zur Einführung des Aluminiumkolbens: Walter von Selve: „Bisherige Erfahrungen mit Leichtmetallen bei Verbrennungsmotoren und im Automobilbau“, Altena 1922 (abgedruckt bei Joliet, Seite 228 ff). – Falk-Schwarz: „Aluminium – Metall der Moderne“, Seite 55 ff. – Ernst Mahle: „Der Leichtmetallkolben und seine Bedeutung für die Aluminiumindustrie“ in ALUMINIUM 1955.70 ff. Vortrag Ernst Mahle an der ETH Zürich am 29. April 1935 (abgedruckt bei Joliet, 246 ff.): „Fünfundzwanzig Jahre Leichtmetall-Kolben: 1910 bis 1935“. Aluminium in der Elektrotechnik: Edwards-Frary, Band 2, Seite 11 ff. Bax: „Aluminium, der wirtschaftliche Werkstoff für die elektrischen Verteilungsnetze“ in ALUMINIUM 1970.475 ff. Zur Umfrage unter den EVUs siehe Gautschi, Aluminiumindustrie, Seite 34. Eine Übersicht über die wichtigsten Anwendungsgebiete von Aluminium gibt Melchior in „Aluminium. Die Leichtmetalle und ihre Legierungen“, Berlin 1929, Seite 190 ff (abgedruckt bei Joliet, Seite 119 ff.). Siehe auch Görnandt: „Die Aluminium-Fertigwarenindustrie in Deutschland“ in Zeitschrift für Metallkunde 1927.48 ff. Danach wurden 1926 3.720 Tonnen Aluminium von der Geschirrindustrie verwendet. Verlässliche Zahlen über andere Endverbrauchsmärkte liegen aus der damaligen Zeit nicht vor. Siehe hierzu Züblin: „Aluminiumfolie“ in Hauszeitschrift der VAW 1929.219 ff. – Joliet: „Aluminium-Verpackungen: Hundert Jahre Vielseitigkeit“, in Joliet, Seite 317 ff. Zur Erfindung des Haspels: „550 Jahre Achenbach-Buschhütten“, Seite 32. „Fünfzig Jahre Singen“ (1962), Seite 12: „1932 Erste kontinuierliche Bandwalzstrasse läuft an, ein entscheidender Fortschritt auf dem Gebiet des Walzens von Aluminiumbändern“. Zur Entwicklung der Walzwerkstechnik von den 20er Jahren bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg siehe Marcel Lamourdedieu: „Carnet de route ou l’histoire d’un alliage: le duralumin“ in Cahier Nr. 6 (1990), Seite 60 ff. Das Stranggießverfahren wurde Mitte der 30er Jahre im Werk Hannover der VLW von Dr. Walter Roth erfunden. Nach diesem bis heute praktizierten Verfahren werden Walzblöcke und Pressbolzen in einer wassergekühlten Kokille mit absenkbarem Boden gegossen. Als die VLW die Erfindung 1937 in den USA zum Patent anmeldete, stellte sich heraus, dass Alcoa ein identisches Verfahren zum Patent angemeldet hatte, allerdings sechs Monate später. Da Alcoa nachweisen konnte, dass sie das Verfahren bereits längere Zeit vor der VLW-Anmeldung genutzt hatte, wurde ihr das Patent in den USA zugesprochen (Brenner: „Herstellung und Verwendung von Leichtmetall-Halbzeug in den USA“ in ALUMINIUM 1951.12 ff.). Zum „direct chill ingot casting process“ in den USA: Carr, Seite 143. Alcoa installierte 1928 eine große „blooming mill“, auf der 1.500 Kilogramm schwere Barren zu Stangen und Profilen verarbeitet wurden (Edwards-Frary, Band 2, Seite 344). Nolden: „Die Aufgaben der deutschen Leichtmetalle in der Gegenwart“ in Zeitschrift für Metallkunde 1935.704. – Carr, Seite 140. Melchior, a.a.O., Seite 177 ff. (Verbindungstechnik). VAW-Geschichte V, Seite 33 ff. – H. Schmitt u.a.: „Das Eloxalverfahren“ in Zeitschrift des VDI 1934, Seite 1499 ff (bei Joliet abgedruckt auf Seite 129 ff.). In Deutschland wurde das Plattieren von Blechen und Bändern von der VLW erfunden. Die ersten brauchbaren plattierten Bleche wurden aber in den USA unter dem Namen „ALCLAD“ hergestellt (Sachs in Zeitschrift für Metallkunde 1935.692). Für das Plattieren war Metall hoher Reinheit erforderlich, das erst nach dem Ersten Weltkrieg zur Verfügung stand.
137 26 Die nachfolgende Darstellung stützt sich auf die Jubiläumsschriften zum 50-jährigen, 60-jährigen und 70-jährigen Bestehen des Werkes. Breiter Raum wird dem Singener Werk auch in der Firmengeschichte der AIAG gewidmet, vor allem in Band II in dem Kapitel „Förderung der weiterverarbeitenden Industrie“, Seite 21 ff. Wichtige Hinweise verdankt der Verfasser der in Buchform veröffentlichten Habilitationsschrift von Cornelia Rauh: „Schweizer Aluminium für Hitlers Krieg? Zur Geschichte der Alusuisse 1918–1950“, erschienen bei C.H. Beck (München) 2009 in der Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte Band 19. 27 Die Übernahme der Aktienmehrheit durch die AIAG fand nicht die Billigung aller Teilhaber. Einige von ihnen gründeten in Rohrschach ein Konkurrenzunternehmen, das später in den Besitz der Alcan überging. 28 Zu den ursprünglichen AWAG-Betrieben kamen im Laufe der 20er und 30er Jahren noch folgende Tochter- und Beteiligungsgesellschaften hinzu: Star Aluminium Works (Wolverhampton/England), Etablissements Coquillard (Froges/Frankreich), Aluminium Belge (Liege/Belgien), Lavorazione Leghe Leggere (Porto Marghera/Italien), Aluminium-Gießerei Villingen, Breisgau Aluminium Walzwerk (Teningen), Kluge & Winter (Hamburg) und Aluminiumwarenfabrik Gontschenwil (Menziken). 29 „75 Jahre Singen“, Seite 11. Das Walzgerüst hatte man schon 1914 bei Achenbach bestellt. Wegen des Kriegsausbruchs musste der Auftrag storniert und die Investition auf die Nachkriegszeit verschoben werden (Auskunft der Firma Achenbach). 30 Cornelia Rauh-Kühne: „Hans-Constantin Paulssen: Sozialpartnerschaft aus dem Geiste der Kriegskameradschaft“ in Erker und Pierenkemper (Hrsg): Studien zur Erfahrungsbildung von Industrie-Eliten, Seite 109–192, München 1999. 31 Zu den Anfängen der VLW: VAW-Geschichte III, Seite 147 ff. 32 Die Zusammensetzung der Gesellschafter der VLW änderte sich in den folgenden Jahren mehrfach. Nach der Gründung der Vereinigte Deutsche Metallwerke AG (VDM) im Jahr 1930 waren Metallgesellschaft und VAW (die inzwischen an die Stelle der Erftwerk AG getreten war), mit je 37,5 Prozent am Gesellschaftskapital beteiligt. Das restliche Viertel der Anteile lag bei der Th. Goldschmidt AG, die in den späten 30er Jahren ebenfalls aus dem Kreis der Gesellschafter ausschied. Im Jahr 1942 übernahm die VAW die Beteiligung der Metallgesellschaft im Austausch gegen ihre Beteiligung an der VDM. Seit diesem Zeitpunkt war die VLW eine 100 %ige Tochtergesellschaft der VAW. 33 Zur Geschichte der Rebag: „50 Jahre Rheinische Blattmetall AG (VAW Folien AG) Grevenbroich 1922–1972“ (verfasst von Dr. Kurt Richter). Ferner VAW-Geschichte III, Seite 149 ff. 34 Auch das in Grevenbroich installierte Block- und Bandwalzwerk wurde von der Firma Achenbach-Buschhausen gebaut. Die Folienwalzwerke stammten von der Firma Schmitz in Düsseldorf. 35 Eine kurze Unternehmensgeschichte der VDM hat die Mitarbeiterin im Hessischen Wirtschaftsarchiv in Darmstadt Ute Mayer 2005 an Hand der Aktenbestände verfasst, die als Teil des Metallgesellschaft-Archivs seit 1994 in Darmstadt verwahrt werden. Weitere Quellen: „25 Jahre VDM“, Festschrift zum 25-jährigen Bestehen der Gesellschaft 1955 (WWA Dortmund F 772). – „50 Jahre VDM“ in Mitarbeiterzeitung für den Unternehmensbereich Verarbeitung der Metallgesellschaft, 1980 (WWA Dortmund F 4513/902). 36 „50 Jahre VDM“ a.a.O., Seite 12. 37 Der Erwerb der Minderheitsbeteiligung war Ausfluss der neuen Strategie der VAW, durch Beteiligungen an Unternehmen der verarbeitenden Industrie den Absatz ihrer Hütten zu sichern. 38 „Festschrift zur Feier des 25-jährigen Bestehens der Heddernheimer Kupferwerk und Süddeutsche Kabelwerke AG und des 65-jährigen Bestehens des Unternehmens 1853–1893–1918“ (WWA F 3342). 39 Aktenbestand Carl Berg im Westfälischen Wirtschaftsarchiv Dortmund: WWA F 25 Nr. 4 (Mitarbeiterberichte). – WWA F 25 Nr. 7 (Aluminium-Walzwerk der Carl Berg AG). – WWA F 5950 (100 Jahre Carl Berg VDM Zweigniederlassung CB Werdohl).
138 40 Zur Selve AG: „75 Jahre VDM Zweigwerk Altena 1861–1936“ (WWA F 413 und F 4513/1247). 41 Technischer Bericht der Berg-Heckmann-Selve AG 1927/28 in Aktenbestand Carl Berg (WWA F 25 Nr. 59–60). 42 Zum Niedergang der VDM siehe Dr. Walter Siess: „Geschichte der Metallgesellschaft. Wiedereingliederung in die Weltmetallwirtschaft. Die Zeit von 1956 bis 1981“. Unveröffentlichtes Manuskript. 43 Ein Exemplar des Abkommens über den gemeinsamen Verkauf von Aluminiumfabrikaten vom 1. Mai 1919 wird im Westfälischen Wirtschaftsarchiv in Dortmund verwahrt: Aktenbestand „Vereinigte Deutsche Nickel AG“ – WWA F 62 Nr. 435. 44 Zum Verkaufssyndikat von 1925: Aktenbestand „Vereinigte Deutsche Nickel AG“ – WWA F 62 Nr. 497. 45 Zu den Verbänden: Schoenebeck, Zollprobleme, Seite 47. – Dr. Rudolf Görnandt: „Die Aluminium-Fertigindustrie in Deutschland“ in Zeitschrift für Metallkunde 1927.48 ff. (der Verfasser des Artikels war Syndikus des Metallwaren-Verbands). Als Dachverband der Industrieverbände fungierte der Reichsverband der Deutschen Industrie mit Sitz in Berlin, der nicht weniger als 29 Fachgruppen mit fast 6.000 Fachverbänden umfasste. 46 Als Quelle für die nachstehende Darstellung dienten die in der Bibliographie aufgeführten Jubiläumsschriften, Firmengeschichten und Chroniken. 47 „Oskar Eduard Hueck 70 Jahre“ in ALUMINIUM 1956.740. Unter seiner Ägide beteiligte sich die Familie Hueck 1923 an der Westfälische Metallindustrie AG in Lippstadt, einem der bedeutendsten Hersteller von Automobilzubehör. Als Hella KG Hueck & Co. wurde diese Gesellschaft später zur Führungsgesellschaft der Hueck-Gruppe. 48 Zur Geschichte der Firma Carl Albrecht: „Chronik Alcan Deutschland 1928–1985“. hrsg. von Alcan Aluminiumwerk GmbH (Verfasser: Siegfried Huether), Eschborn/Ts. 1987. 49 In der VAW-Hauszeitschrift, 1927 (Heft 24) Seite 6, wird die Kapazität der vier wichtigsten Folienwalzer in Deutschland wie folgt angegeben: Singen (mit Teningen): 180 Moto; Blattmetall: 100 Moto; Tscheulin: 80 Moto; Hueck & Büren: 60 Moto. 50 Rebag-Geschichte, Seite 29 ff. 51 Gewinner des Wettbewerbs war ein geschmiedeter Kolben aus der Magnesium-Legierung Elektron, ein Produkt der Firma Griesheim-Elektron in Bitterfeld (Falk-Schwarz, Aluminium – Metall der Moderne, Seite 55 ff). 52 Einen wichtigen Beitrag zur Lösung des Problems der Wärmeausdehnung leisteten auch neue Kolbenkonstruktionen, von denen in diesem Zusammenhang der „Nelson-Bohnalite-Kolben“ zu erwähnen ist, für den sich die Firma Mahle eine Lizenz der amerikanischen Patentinhaberin verschaffte. Bei dieser Kolbenkonstruktion wurden so genannten Invarstreifen aus einer EisenNickel-Legierung mit besonders geringer Ausdehnung in den Kolben eingegossen, um die unterschiedliche Ausdehnung von Kolben und Kolbenschaft zu kompensieren. 53 Seit 1924 wurde die Firma unter dem Namen Elektronwerk GmbH betrieben. Erst 1937 nach der Umwandlung in eine Kommanditgesellschaft wurde der Firmenname in Mahle KG abgeändert. Die bisherige Firmenbezeichnung wurde weiterhin für die Tochtergesellschaft verwendet, in der die Magnesiumaktivitäten der Mahle-Gruppe zusammengefasst wurden. 54 Eine Abhängigkeit bestand auch gegenüber der Erftwerk AG, die als Aluminiumlieferant neben den Banken der größte Kreditgeber war und zur Absicherung ihrer Position darauf bestand, dass Geheimrat Lueck, der Generaldirektor der Erftwerke, den Vorsitz im Aufsichtsrat der HonselWerke übernahm. In der Firmengeschichte heißt es dazu, dass ein „freieres unternehmerisches Schaffen“ erst wieder möglich war, nachdem es gelungen war, die Verbindlichkeiten gegenüber der VAW durch einen Kredit der Reichs-Kredit-Anstalt abzulösen. 55 „Chronik Alcan Deutschland 1928–1985“, Seite 14 f.
6. Kapitel Die Aluminiumindustrie in der Zeit der Weltwirtschaftskrise
6.1 Krisenmanagement: Die Gründung der Alliance Aluminium Company 1 Der wirtschaftliche Aufschwung in der zweiten Hälfte der 20er Jahre, die man auch die „goldenen Jahre von Weimar“ genannt hat, war von kurzer Dauer. Schon Anfang 1929 konnte man in Deutschland eine merkliche Abschwächung der wirtschaftlichen Dynamik feststellen, die sich im weiteren Verlauf des Jahres immer mehr verstärkte. Die Talfahrt der deutschen Volkswirtschaft begann also schon fast ein Jahr vor dem New Yorker Börsenkrach vom 25. Oktober 1929, der die eigentliche Weltwirtschaftskrise einleitete. Nach einem jährlichen Wachstums von durchschnittlich fast fünf Prozent in den Jahren 1924/1928 kam es 1929 erstmals zu einem Rückgang des Bruttosozialprodukts. Besorgniserregend waren vor allem die rückläufigen Anlageinvestitionen, die 1929 nur noch 83 Prozent des Niveaus von 1928 erreichten. Auch der Zustrom des ausländischen Kapitals, der den Aufschwung in Deutschland überhaupt erst ermöglicht hatte, schwächte sich im Laufe des Jahres 1929 immer mehr ab um schließlich ganz zu verebben. Nach dem „schwarzen Freitag“ an der New Yorker Börse griff der Konjunkturabschwung auf die USA und die übrigen Industriestaaten über und weitete sich im Laufe des Jahres 1930 zu einer weltweiten Wirtschaftskrise von katastrophalen Ausmaßen aus, die ihren tiefsten Punkt erst im Sommer 1932 erreichte. Am härtesten von der Krise getroffen wurden die Vereinigten Staaten, deren Bruttosozialprodukt von 1929 bis 1933 um fast 40 Prozent zurückging. Auch in Deutschland hatte die Weltwirtschaftskrise verheerende Auswirkungen. Die wichtigsten Wirtschaftsindikatoren fielen ins Bodenlose. Verglichen mit den Zahlen für 1928 lag die industrielle Produktion im Jahr 1932 bei 60 Prozent, die Anlageninvestitionen waren auf 30 Prozent des Ausgangswertes gefallen und der Export betrug nur noch 50 Prozent des Vergleichswertes. Die Arbeitslosenquote erreichte im Sommer 1932 ihren höchsten Stand mit über 30 Prozent. Den etwa zwölf Millionen Beschäftigten standen in Deutschland mehr als sechs Millionen Arbeitslose gegenüber 2. Der Zusammenbruch der Wirtschaft in den wichtigsten Ländern der westlichen Welt stürzte die junge Aluminiumindustrie in eine schwere Krise, deren Folgen noch
140 bis weit in die 30er Jahre hinein zu spüren waren. Innerhalb von drei Jahren ging der Verbrauch an Hüttenaluminium weltweit um fast die Hälfte zurück: Nach einem Höchststand von 270.000 Tonnen im Jahr 1929 konnten im Jahr 1932 nur noch 139.000 Tonnen Hüttenaluminium abgesetzt werden3. Einen Absatzrückgang ähnlichen Ausmaßes hatte die Industrie zu Beginn der 20er Jahre erlebt, als der Aluminiumverbrauch nach dem Ende des Krieges fast über Nacht um die Hälfte geschrumpft war. Damals war dem Einbruch aber schon nach kurzer Zeit eine Phase der Markterholung gefolgt. Demgegenüber zog sich die jetzige Krise in die Länge und verschärfte sich von Jahr zu Jahr, bis Mitte 1932 der Tiefpunkt erreicht war. Es verging geraume Zeit, bevor die Industrie den Ernst der Lage erkannte und auf die immer bedrohlicher werdende Situation mit energischen Gegenmaßnahmen reagierte. Trotz rückläufiger Nachfrage und wachsender Bestände wurde 1930 fast soviel Aluminium produziert wie im Spitzenjahr 1929. Die Hüttenproduktion der Alcoa lag 1930 sogar noch geringfügig über der des Vorjahres. Nur die kanadische Aluminium Ltd. entschloss sich schon im Sommer 1930 zu einer Produktionskürzung, was allerdings nicht verhindern konnte, dass sich in Nordamerika wie in Europa riesige Metallvorräte ansammelten, die immer stärker auf den Markt drückten. Unter dem Eindruck der sich ständig verschärfenden Absatzkrise mehrten sich in der Industrie die Stimmen, die ein koordiniertes Vorgehen der großen Aluminiumproduzenten forderten, um der immer bedrohlicher werdenden Situation Herr zu werden. Die entscheidende Schwäche der 1926 vereinbarten und 1928 verlängerten 3. Aluminium Association war, dass sich die beiden nordamerikanischen Produzenten, auf die mehr als die Hälfte der damaligen Weltproduktion von Aluminium entfiel, dem Kartell der Europäer nicht angeschlossen hatten. Eine Beteiligung der Alcoa war schon aus Gründen des US-amerikanischen Kartellrechts außer Betracht geblieben. Aber auch die kanadische Tochtergesellschaft der Alcoa, die Aluminium Company of Canada (bis 1925: Northern Aluminum Company), die der 2. Aluminium Association von 1912 noch als Vollmitglied angehört hatte, lehnte eine Mitgliedschaft ab und war auch nicht bereit, sich von Fall zu Fall mit den Europäern über Preise und Quoten zu verständigen. Als internationaler Arm der Alcoa nahm sie die Interessen der Amerikaner außerhalb des amerikanischen Binnenmarktes wahr und war so zum Gegenspieler der Europäer auf den Weltmärkten geworden. Daran änderte sich auch nichts, nachdem die Alcoa im Juni 1928 ihre Auslandsaktivitäten im Wege eines „spin off“ auf die Aluminium Ltd. übertragen hatte, die von nun an außerhalb des Konzernverbunds der Alcoa deren frühere Aktivitäten in Kanada und Übersee als selbständiges Unternehmen weiterführte. Am heftigsten waren die Absatzmärkte in Japan, Britisch-Indien und der Sowjetunion umstritten, alles Länder, die damals noch über keine eigenen Hüttenbetriebe verfügten und mit ihrem schnell wachsenden Aluminiumbedarf interessante Absatzmöglichkeiten für die etablierten Produzenten boten 4. In der zweiten Hälfte der 20er Jahre verlagerte sich der Wettbewerb zunehmend auch nach Europa. Alcoa hatte nach dem Krieg systematisch Beteiligungen an europäischen Verarbeitungsbetrieben und Hüt-
141 tenwerken erworben, die im Zuge der Ausgliederung ihrer Auslandsinteressen im Jahr 1928 auf die Aluminium Ltd. übergingen 5. Hüttenbeteiligungen in Norwegen und Spanien mit einer Gesamtkapazität von etwa 10.000 Jato gaben der Alcoa und (nach 1928) der Aluminium Ltd. die Möglichkeit, die europäische Konkurrenz in Europa selbst zu bekämpfen und wichtige Aluminiumabnehmer dauerhaft als Kunden zu gewinnen6. Die Aluminium Association war nicht in der Lage, der doppelten Bedrohung durch die Nordamerikaner auf den Weltmärkten und im eigenen Hinterhof wirksam zu begegnen. Leidtragende war vor allem die AIAG, die über keinen aufnahmefähigen Heimatmarkt verfügte und darauf angewiesen war, einen großen Teil ihrer Produktion auf den Weltmärkten abzusetzen. Aber auch in Deutschland wurde das Vordringen des Mellon Trusts (wie die Alcoa damals genannt wurde) als bedrohlich empfunden 7. Als die Aluminium Association im Jahr 1928 zur Verlängerung anstand, machten die Schweizer keinen Hehl aus ihrer Unzufriedenheit. Sie stimmten einer Verlängerung der Vereinbarung um drei Jahre zu, behielten sich aber ausdrücklich das Recht vor, die Association vorzeitig zu verlassen, wenn es nicht gelingen sollte, zu einer Verständigung mit den Kanadiern zu kommen, ohne deren Beteiligung eine wirksame Bekämpfung des ruinösen Wettbewerbs nach ihrer Auffassung nicht möglich war. Unter dem Eindruck der sich seit 1930 dramatisch zuspitzenden Krise schlossen sich jetzt auch die anderen Mitglieder der Association dieser Meinung an. Man war sich darin einig, dass die Probleme nur durch ein umfassendes, die ganze Welt umspannendes System gelöst werden konnten, an dem sich auch die Kanadier beteiligten. Auf eine Mitwirkung der Alcoa glaubte man verzichten zu können, da die Amerikaner, so hoffte man, sich auch weiterhin auf den amerikanischen Markt beschränken würden. Bei dem Chairman der Aluminium Ltd., Edward K. Davis, stießen die Vorschläge der Europäer auf offene Ohren. Auch er war inzwischen zu der Einsicht gelangt, dass nur eine gemeinsame Aktion aller wichtigen Produzenten den drohenden Zusammenbruch des Aluminiummarktes abwenden konnte. Aber anders als die Europäer, die ihre Hoffnungen auf die Bildung eines Verkaufssyndikates setzten, wollte er das Übel an der Wurzel angehen und vor allem dem Problem der Überkapazitäten zu Leibe rücken, das er als die hauptsächliche Ursache für die Schwierigkeiten ansah. Unter weitgehendem Verzicht auf ihre unternehmerische Selbstständigkeit sollten die beteiligten Produzenten die Entscheidung über die Höhe der Produktion ihrer Hütten einem gemeinschaftlichen Gremium übertragen. Davis schlug zu diesem Zweck die Gründung einer Aktiengesellschaft vor, an der sich alle Produzenten mit einer ihrer Produktionskapazität entsprechenden Quote beteiligen sollten. Das Leitungsgremium der Gesellschaft, in das die großen Produzenten ihre Vertreter entsenden würden, sollte befugt sein, die erforderlichen Produktionsbeschränkungen durch Mehrheitsbeschlüsse anzuordnen, die auch für die überstimmten Mitglieder verbindlich sein würden. Außerdem sollte die Gesellschaft berechtigt und verpflichtet sein, Überbestände der Mitglieder anzukaufen und dieses Metall bei Bedarf an die Mitgliedsfirmen abzugeben. Von einer Festlegung der Preise sollte
142 Abstand genommen werden. Auch sollten die Mitgliedsfirmen in ihrer Entscheidung frei sein, an wen und wie viel Aluminium sie verkaufen wollten. Davis ging davon aus (zu Recht, wie sich in der Folge erweisen sollte), dass eine wirksame Steuerung der Produktion und der Vorräte ausreichen würde, um auch die Preise zu kontrollieren. Nach schwierigen Verhandlungen einigte man sich Mitte 1931 in Paris auf das von Davis vorgeschlagene Konzept – trotz der Vorbehalte der Europäer, die der Ansicht waren, dass sich die Kanadier zu große Vorteile verschafft hatten. Am 21. Oktober 1931 wurde die „Alliance Aluminium Company“ (abgekürzt AAC) mit dem Sitz in Basel gegründet. Ihr gehörten außer den vier europäischen Produzenten AIAG, Aluminium Français, Baco und VAW, die schon bisher in der 3. Association zusammengearbeitet hatten, auch die kanadische Aluminium Ltd. an, die mit einer Quote von 28,57 Prozent größter Aktionär der neuen Gesellschaft wurde. Weitergehende Forderungen der Kanadier, die die Mehrheit der Produktionsrechte für sich beanspruchten, hatten die Europäer abwehren können. Auf die anderen Aktionäre entfielen folgende Quoten: Auf Aluminium Français (für Pechiney und Ugine) 21,36 Prozent, auf die Deutsche Gruppe (VAW und Bitterfeld) 19,64 Prozent, auf die AIAG 15,43 Prozent und auf Baco 15 Prozent. Wichtigstes Organ der AAC war der „Board of Governors“, in dem die Kanadier mit drei Mitgliedern und die europäischen Produzenten mit je zwei Mitgliedern vertreten waren. Die VAW entsandte ihren Vorstandsvorsitzenden von der Porten und das Vorstandsmitglied Rauch in dieses Gremium, in dem über die Produktionsquoten und die An- und Verkaufspreise der AAC entschieden wurde. Zum Präsidenten des Board of Governors wurde der Franzose Louis Marlio von der Aluminium Français gewählt, der schon der 3. Association als Präsident gedient hatte. Die Geschäftsführung wurde dem Deutschen Ludwig Braas übertragen, der als einer der drei Vertreter der Aluminium Ltd. auch dem Board of Governors angehörte. Die vordringlichste Aufgabe, der sich die AAC noch vor der formellen Gründung der Gesellschaft zuwandte, bestand darin, die Mitgliedsfirmen von der schweren Bürde ihrer Metallvorräte zu entlasten, von denen ein großer Teil bei der damaligen Marktlage unverkäuflich war. Bis zum Ende des Jahres 1931 waren die Lagerbestände der AAC-Mitglieder (ohne normale Werksvorräte) auf ca. 112.000 Tonnen angewachsen. Gemessen an den Verkaufszahlen des laufenden Jahres entsprach dies der Liefermenge von dreizehn Monaten8. Nach dem Gesellschaftsvertrag war das Aktienkapital der Alliance Aluminium Company von 1,4 Millionen Pfund zu 75 Prozent in so genannten „aluminium warrants“ einzubringen. Bei den damaligen Preisen bedeutete dies, dass etwa 20.000 Tonnen Aluminium auf die AAC übergingen, die dafür mit Aktien bezahlte. Das brachte zwar für die Mitgliedsfirmen keine finanzielle Entlastung, verminderte aber den Druck auf den Markt, da das Metall insoweit der Verfügungsmacht der Produzenten entzogen war. Weitere 15.000 Tonnen wurden der AAC im zweiten Halbjahr 1931 von den Mitgliedern als so genannter „excess stock“ zum Kauf angedient. Nach den getroffenen Vereinbarungen war die AAC verpflichtet, diejenigen Vorratsmengen eines Mitgliedes zu dem jeweils maßgebenden Ankaufspreis zu überneh-
143 men, die vierzig Prozent seiner Jahresproduktion überstieg. Die Ankaufsoperation erforderte 21 Millionen Schweizer Franken, die bei Schweizer und amerikanischen Banken unter Verpfändung der Bestände aufgenommen wurden. Später gaben auch AIAG und Aluminium Français, die offenbar trotz der Krise überschüssige Liquidität hatten, Darlehen an die AAC, um diese in die Lage zu versetzen, ihrer Ankaufspflicht zu genügen. Die von der AAC gehaltenen Bestände erreichten Mitte 1932, auf dem Höhepunkt der Krise, mit 44.000 Tonnen ihren höchsten Stand. Sie wurden in den folgenden Jahren langsam abgebaut und fielen 1936 erstmals unter 20.000 Tonnen. Da der größere Teil der Überbestände weiterhin von den Mitgliedern selbst gehalten wurde, geben diese Zahlen freilich nur ein unvollständiges Bild der damaligen Situation. Das Davissche Konzept ging davon aus, dass die Situation auf den Aluminiummärkten nur dann wieder in den Griff zu bekommen war, wenn die Industrie einen Teil ihrer Produktionskapazität vorübergehend stilllegte, und zwar solange, bis auf dem Markt das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wieder hergestellt war. Diesem Ziel dienten die Beschlüsse des Board of Governors, die die jeweils zulässige Produktionsquote festlegten. Im Juli 1931 hatte man vereinbart, dass die Produktion im zweiten Halbjahr 1931 eine Quote von 80 Prozent des Grundkontingentes nicht überschreiten dürfe. Indessen wurde schon bald klar, dass eine noch weit einschneidendere Beschränkung der Produktion erforderlich war. In rascher Folge beschloss der Board of Governors weitere Absenkungen der Produktionsquoten zuerst auf 70 Prozent, dann auf 57 Prozent und schließlich für das zweite Halbjahr 1932 auf 50 Prozent der Ausgangswerte. Dieser Satz galt auch für das Jahr 1933. Nachdem sich der Aluminiummarkt allmählich wieder erholte, wurde die Quote ab 1934 in mehreren Schritten angehoben, bis Ende 1936 die völlige Freigabe der Produktion erfolgte. Die Tochtergesellschaften der beteiligten Unternehmen waren in die Regelung mit der auf die Hauptaktionäre entfallenden Quote einbezogen. Mit den übrigen „Außenseitern“ kam es zu Sondervereinbarungen, die diese Gesellschaften auf die Ziele der AAC festlegten, auch ohne dass sie den Status eines Mitgliedes hatten. Ihren deutschen Mitgliedern räumte die AAC wegen des raschen Verbrauchsanstiegs in Deutschland für das Jahr 1934 eine Sonderquote ein, die sich freilich schon bald als unzureichend erwies. Am 26. September 1934 gab die AAC der Deutschen Gruppe die gewünschte „Produktionsfreiheit“ gegen die Zusicherung, dass der deutsche Export auf die Menge des Jahres 1933 beschränkt bleibe. Seitdem hat sich die deutsche Industrie nicht mehr an die Produktionsvorgaben der AAC gehalten 9. Tabelle 6: Aluminiumweltproduktion 1929–1938 (MG-Statistik) 1.000 t
1929
1930
1931
1932
1933
1934
1936
1938
Europa Nordamerika Asien (Japan)
137 145 –
131 139 –
108 112 –
88 66 –
87 55 –
121 49 1
230 128 7
368 195 17
282
270
220
154
142
171
365
580
Weltproduktion
144 Eine weitere wichtige Aufgabe der AAC bestand darin, durch eine aktive Marktpolitik zur Stabilisierung des Marktes beizutragen. Dabei dienten ihr die von den Mitgliedern übernommenen Bestände als Manövriermasse. Die An- und Verkaufspreise, zu denen die AAC das ihr angediente Überschussmetall (excess stock) übernahm bzw. Metall aus ihren Beständen an die Mitglieder verkaufte, wurden vom Board of Governors von Zeit zu Zeit festgesetzt. Durch diese Preise konnte die AAC die Produktions- und Verkaufspolitik ihrer Mitglieder beeinflussen: Wenn der Ankaufspreis in Relation zu den erzielbaren Marktpreisen attraktiv war, veranlasste dies die Mitglieder, ihre Überschussmengen der AAC anzudienen anstatt sie zu Kampfpreisen auf den Markt zu werfen. Und umgekehrt war ein attraktiver Verkaufspreis der AAC ein Anreiz für die Mitglieder, unter Verzicht auf eine volle Ausschöpfung ihrer Produktionsquote Metall von der AAC zu kaufen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hat sich das System der Marktregulierung bewährt und wesentlich zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Aluminiummarkt beigetragen. Mit Hilfe dieses Systems konnten die auf den Markt drückenden Überbestände kontinuierlich zurückgeführt und auch die eigenen Bestände der AAC systematisch abgebaut werden. Die von der AAC festgelegten An- und Verkaufspreise galten zwar nur für den internen Verkehr zwischen den Mitgliedern, beeinflussten indirekt aber auch die Preispolitik der Mitglieder gegenüber ihren Abnehmern, die nach dem System der AAC Sache eines jeden Produzenten war. Im Übrigen blieb es den Mitgliedsfirmen unbenommen, im Verhältnis zueinander oder zu Dritten weitergehende Absprachen zu treffen, die für alle oder einen Teil der Mitglieder galten. Davon haben die europäischen Mitglieder Gebrauch gemacht, indem sie auch nach der Gründung der AAC an den Preisabsprachen der 3. Association festhielten. Daneben gab es so genannte „special agreements“ für Metallverkäufe in bestimmte Länder, von denen wir die Vereinbarungen über Metallverkäufe nach Japan bereits erwähnt haben. Die Einführung des neuen Systems durch die AAC verlief nicht ohne Anlaufsschwierigkeiten. Der Ankauf der „excess stocks“, die von den Mitgliedern in unerwarteter Höhe angedient wurden, brachte die AAC schon bald an die Grenzen ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit. Um die Liquidität der Gesellschaft wieder herzustellen, mussten die Mitglieder einen Teil der Bestände zurückkaufen. Nach diesen anfänglichen Schwierigkeiten hat sich das neue System jedoch gut eingespielt. Die AAC hat die von den Beteiligten in sie gesetzten Erwartungen im Wesentlichen erfüllt10. Der drohende Zusammenbruch des Aluminiummarktes konnte vermieden werden. Durch die einschneidenden Produktionsbeschränkungen gelang es, Verbrauch und Produktion wieder in ein vernünftiges Verhältnis zueinander zu bringen. Dadurch, dass die in der Krise angesammelten Überbestände vorübergehend aus dem Markt genommen wurden, wurde ein völliger Verfall der Preise verhindert, wie er bei anderen NE-Metallen (vor allem beim Kupfer) eingetreten ist. Die Preise für Hüttenaluminium gingen zwar in allen Ländern deutlich zurück, scheinen aber noch immer auskömmlich gewesen zu sein. Weniger erfolgreich war die AAC bei ihren Bemühungen, den teilweise
145 recht erbitterten Wettbewerb auf dem Halbzeugmarkt in vernünftige Bahnen zu lenken. Schon vor der Gründung der AAC waren die Preisabsprachen für Hüttenaluminium häufig dadurch umgangen worden, dass die Hütten ihren Halbzeugkunden so genannte Exportvergütungen einräumten. Wie wir noch sehen werden, bediente sich auch die VAW dieser Methoden, um weitere Absatzeinbussen zu vermeiden. Da sich auch die anderen Mitglieder der Association das Recht herausnahmen, die Kartellabsprachen nach ihrem Ermessen anzuwenden, standen diese bald nur noch auf dem Papier. Auch unter der Ägide der AAC scheint sich daran nicht viel geändert zu haben.
6.2 Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die deutsche Aluminiumindustrie In keinem anderen europäischen Land wurde die Aluminiumindustrie so hart von der Weltwirtschaftskrise getroffen wie in Deutschland. Nach einem Höchststand von 32.600 Tonnen am Ende der „goldenen Jahre von Weimar“ erreichte der Aluminiumabsatz im Jahr 1932 auf dem Tiefpunkt der Krise nur noch 18.100 Tonnen11. Obwohl die Anzeichen für eine heraufziehende Wirtschaftskrise schon Anfang 1929 – also fast ein Jahr vor Ausbruch der allgemeinen Krise – erkennbar waren, hielt sich die deutsche Hüttenproduktion bis weit in das Jahr 1930 hinein auf hohem Niveau. In Erwartung einer baldigen Besserung der Marktsituation wollte man einen möglichst großen Teil der Kapazitäten zur Deckung der Fixkosten weiter beschäftigen. Zu einem deutlichen Rückgang der Produktion kam es erst im Spätherbst 1930, nachdem die VAW damit begonnen hatte, ihre Hütten in Grevenbroich und Lauta zurückzufahren. Trotz dieser Produktionskürzungen wurde in Deutschland auch in den Jahren 1930 und 1931 mehr Aluminium erzeugt, als auf dem immer weiter schrumpfenden Markt abgesetzt werden konnte. Die unvermeidliche Folge war ein rascher und kontinuierlicher Anstieg der Bestände. Die Lage stabilisierte sich erst 1932, nachdem sich die Produktionskürzungen der VAW voll auszuwirken begannen. Inzwischen hatten sich bei den deutschen Produzenten große Aluminiumbestände angesammelt, die Ende 1932 ca. 25.000 Tonnen betragen haben dürften. Davon entfielen 21.700 Tonnen auf die VAW, deren Bestände fast 200 Prozent der Produktion des Jahres 1932 ausmachten12. Aus eigener Kraft wäre die Gesellschaft nicht imstande gewesen, Lagervorräte dieses Ausmaßes zu finanzieren. Einen Teil davon hätte die VAW als so genannten „excess stock“ der AAC andienen können, deren Mitglied sie seit Juli 1931 war. Davon machte sie allerdings keinen Gebrauch, da ihr die zum VIAG-Konzern gehörende Reichs-Kredit-Gesellschaft AG, Berlin, die notwendigen Mittel zu „erträglichen Konditionen“ zur Verfügung stellte. Auf Grund ihrer Mitgliedschaft in der AAC waren auch die beiden deutschen Hüttenproduzenten VAW und Aluminiumwerke Bitterfeld GmbH verpflichtet, ihre Pro-
146 duktion auf die vom Board of Governors der AAC vorgeschriebene Quote zurück zu nehmen. Auf der Basis der Aluminiumverkäufe des Jahres 1930 stand den beiden Gesellschaften (die die so genannte „Deutsche Gruppe“ bildeten) ein Grundkontingent von zusammen 27.496 Tonnen zu. Davon entfielen 23.296 Tonnen auf die VAW und 4.200 Tonnen auf Bitterfeld. Für das zweite Halbjahr 1931 hatte die AAC eine Produktionskürzung auf achtzig Prozent des Grundkontingentes beschlossen. Schon bald folgten weitere Beschlüsse, durch die die Produktionsquote in mehreren Schritten bis auf fünfzig Prozent des Grundkontingentes herabgesetzt wurde. Dieser Satz galt für das zweite Halbjahr 1932 und das ganze Jahr 1933. Für VAW und Bitterfeld hieß dies, dass sie mit ihrem Kontingent von 27.496 Tonnen auf dem Höhepunkt der Krise nur noch maximal 13.748 Tonnen Hüttenaluminium pro Jahr herstellen durften. Zwischen der VAW und den beiden Eigentümern der Hütte in Bitterfeld, Metallgesellschaft und IG Farben, bestand jedoch eine Quotenregelung, die der VAW siebzig Prozent und Bitterfeld dreißig Prozent der Kapazität zuwies. Aufgrund dieser Vereinbarung nahm die VAW einen Teil der eigentlich auf Bitterfeld entfallenden Produktionskürzung auf sich13. Ihre Hüttenproduktion fiel in den Krisenjahren von 23.500 Tonnen im Jahr 1930 über 19.600 im Jahr 1931 und 12.000 Tonnen im Jahr 1932 auf 11.000 Tonnen im Jahr 1933 und betrug zuletzt nur noch 47 Prozent ihres Grundkontingentes. Die Produktion der Hütte in Bitterfeld lag dagegen in der ganzen Zeit über der jeweils maßgebenden Quote und überschritt noch im Jahr 1932 die der Gesellschaft zustehende Menge von 2.100 Tonnen um 700 Tonnen. Keinerlei Kürzung erfolgte in der Hütte der AIAG in Rheinfelden, deren Produktion auf das Kontingent der Schweizer Muttergesellschaft angerechnet wurde. Wie bereits berichtet, weitete Rheinfelden seine Kapazität sogar mitten in der Krise aus und produzierte 1932 mit ca. 4.400 Tonnen doppelt soviel Aluminium wie vor der Krise. Dies löste die heftige Gegenwehr der VAW aus, die durch das Verhalten der AIAG ihre traditionelle Marktposition in Deutschland gefährdet sah. Als die deutschen Zollbehörden kurze Zeit nach der Einführung des Aluminiumzolls den seit mehr als einem Jahrzehnt bestehenden Veredelungsverkehr für das Halbzeugwerk in Singen aufhoben, vermuteten die Schweizer wohl nicht ohne Grund, dass die VAW im Hintergrund die Fäden gezogen hatte. Der Wegfall des Veredlungsverkehrs hatte zur Folge, dass die Aluminiumeinfuhren auch dann dem deutschen Zoll unterlagen, wenn das Metall für Exportlieferungen bestimmt war, also nicht im Inland blieb. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen VAW und AIAG eskalierten zu einem erbitterten Streit, der als „Aluminiumkrieg“ in die Geschichte der Industrie eingegangen ist. In den so genannten „Dessauer Abkommen“ von 1931 und 1932, die Ihren Namen von dem als Vermittler tätigen Professor Dessauer erhielten, wurden die streitigen Fragen durch einen Kompromiss geregelt: Rheinfelden durfte seine volle Kapazität weiter nutzen und sowohl Singen als auch die alten Metallkunden der AIAG in Deutschland beliefern. Soweit die Produktion in Rheinfelden nicht ausreichte, um auch den Bedarf für das Exportgeschäft von Singen zu decken, musste die AIAG die Hälfte des Mehr-
147 Tabelle 7: Produktion der deutschen Aluminiumhütten 1929–1933 14 1.000 t
1929
1930
1931
1932
1933
Lauta Grevenbroich Töging
7,7 7,6 10,7
7,1 5,9 10,5
5,5 3,5 10,7
3,5 1,0 7,5
2,6 0,3 8,1
VAW
26,0
23,5
19,7
12,0
11,0
Bitterfeld Rheinfelden
4,5 2,2
4,4 2,2
3,6 3,7
2,8 4,4
3,6 4,4
32,7
30,1
27,0
19,2
19,0
Gesamt
bedarfs von der VAW kaufen. Für die andere Hälfte des Mehrbedarfs konnte die VAW zwischen zwei Möglichkeiten wählen: Entweder lieferte sie dieses Metall an Singen im Tausch gegen Metall der AIAG in der Schweiz oder sie stimmte einer zollfreien Einfuhr des in Singen benötigten Metalls zu15. Die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen in Deutschland nach 1933 haben die Dessauer Verträge schon bald zur Makulatur gemacht. Im Jahr 1934 genehmigten die deutschen Behörden die Veredlungseinfuhr nach Singen wieder ohne Einschränkungen. Sie war jetzt willkommen, weil dadurch Aluminium für die inländische Verwendung frei wurde. Von den Hütten der VAW waren das Erftwerk und die Elektrolyse in Lauta, die beide mit dem relativ teuren Braunkohlestrom betrieben wurden, am stärksten von den Abschaltungen betroffen. Im Erftwerk kam die Aluminiumproduktion nach stufenweiser Teilstilllegung Anfang 1933 ganz zum Erliegen. Nur in der Anodenfabrik und der Gießerei wurde der Betrieb aufrechterhalten. In der Hütte in Lauta waren auf dem Tiefpunkt der Krise zwei Drittel der Öfen abgeschaltet. Dagegen kam die Hütte in Töging, wo billiger Wasserstrom zur Verfügung stand, weitgehend ungeschoren über die Krisen.16 Die Rücknahme der Hüttenproduktion führte zu Massenentlassungen in den stillgelegten Werken und Werksteilen. Im Stammwerk in Lauta waren außer der Belegschaft der Hütte auch viele Mitarbeiter des Tonerdewerkes von Entlassungen betroffen, da ein großer Teil der Oxidproduktion ebenfalls stillgelegt werden musste. Wie wir in einem früheren Kapitel berichtet haben, hatte sich die VAW in dem Tonerdevertrag mit der Firma Guilini verpflichtet, eine Vertragsmenge von jährlich 10.000 Tonnen auch dann abzunehmen, wenn ein Zukaufsbedarf in dieser Höhe nicht bestand und die VAW dadurch genötigt war, ihre eigene Oxidfertigung einzuschränken. Diese Situation, mit der die Verhandlungsführer der VAW beim Abschluss des Vertrages 1925 natürlich nicht gerechnet hatten, trat jetzt ein. Für die reduzierte Aluminiumproduktion der VAW hätte die Eigenerzeugung im Oxidwerk in Lauta völlig ausgereicht. Guilini bestand jedoch auf Lieferung der vertraglich festgelegten Mengen. Der VAW blieb keine andere Wahl, als die Tonerdeproduktion zu drosseln und einen Teil der Oxidfabrik in Lauta vorübergehend stillzulegen. Bei der Belegschaft stieß diese Entscheidung auf entschiedene Ablehnung. Es kam zu massiven Protesten, die sich auf Betriebsversammlungen und öffentlichen Umzügen Luft machte. Das
148 Vertrauensverhältnis zwischen Belegschaft und Unternehmensführung war auf Jahre hinaus gestört. Tabelle 8: Halbzeugerzeugung in Deutschland 1929–1934 (Archiv des GDA) 1929
1930
1931
1932
1933
1934
Reinaluminium Al-Legierungen
1000 t
27,6 4,2
20,9 2,7
18,3 1,9
12,7 1,4
17,2 1,6
26,5 4,0
Gesamt
31,8
23,6
20,2
14,1
18,8
30,5
Gravierende Folgen hatte die Weltwirtschaftskrise auch für die Halbzeugwerke und Gießereien. Trotz der Konjunkturabschwächung im Jahr 1926 hatten die Aluminiumverarbeiter in der zweiten Hälfte der 20er Jahre Produktion und Absatz kräftig ausweiten können. Die Erzeugung von Aluminiumhalbzeug hatte 1929 mit 32.000 Tonnen ihren bisher höchsten Stand erreicht. Diese Aufwärtsentwicklung wurde nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise jäh unterbrochen. In den Jahren 1930 bis 1932 musste die Halbzeugproduktion Schritt für Schritt zurückgenommen werden, bis sie 1932 auf einem Tiefstand von 14.000 Tonnen angelangt war. Ein erheblicher Teil der Walzwerksanlagen musste in der Krise stillgelegt werden. Entlassungen in großem Umfang waren auch hier die unvermeidliche Folge17. Während der Krisenjahre verschärfte sich der Kampf um Marktanteile auf den nationalen und internationalen Halbzeugmärkten und artete zum Teil in ruinösen Wettbewerb aus. Immer häufiger stießen die deutschen Halbzeugwerke auch im Inlandsmarkt auf ausländische Konkurrenten, denen sie bisher vor allem auf den Auslandsmärkten begegnet waren. Die VAW sah sich daher gezwungen, ihren Walzwerkskunden von Fall zu Fall Sonderrabatte einzuräumen, um ihnen Kampfpreise zur Abwehr ausländischer Anbieter zu ermöglichen. Seit 1931 subventionierte die VAW auch die Exportlieferungen ihrer Kunden, die durch die Pfundabwertung verteuert und durch Zoll- und Einfuhrerschwernisse in vielen Absatzmärkten behindert wurden18. Erfolgreicher als die Halbzeughersteller waren die Folienwalzer bei ihren Bemühungen, den Folienmarkt zu stabilisieren. Ihnen kam zugute, dass der Absatzrückgang bei Aluminiumfolien deutlich geringer war als bei Aluminiumhalbzeug. Für den deutschen Inlandsmarkt einigten sich die vier deutschen Folienhersteller Singen, Rebag, Hueck und Tscheulin 1929 auf die Bildung eines Quoten-Verbands, der jedem der vier Werke eine Verkaufsquote zuwies, deren Einhaltung durch Ausgleichszahlungen gesichert wurde. Durch Vereinbarungen mit den Aluminiumverbänden in der Schweiz, in Österreich, Frankreich und Großbritannien wurde die Preis- und Marktregelung auch auf die dortigen Märkte ausgedehnt19. Trotz der dramatischen Verschlechterung der Marktlage in den Jahren 1931/1932 konnte die Industrie auch in Deutschland verhindern, dass die Aluminiumpreise ins Bodenlose abstürzten, wie dies bei anderen NE-Metallen geschehen ist. Verglichen mit der Preisentwicklung beim Kupfer nimmt sich der Rückgang des internen deutschen
149 Aluminiumpreises von 2,00 RM/Kg im Jahr 1928 auf 1,60 RM/Kg auf dem Tiefpunkt der Krise im Jahr 1932 eher bescheiden aus. Dass es nicht schlimmer gekommen ist, war nicht zuletzt den Maßnahmen der AAC zu verdanken. Ohne die von ihr durchgesetzten Produktionskürzungen wäre es zu ruinösen Preiskämpfen auf dem internationalen Aluminiummarkt gekommen, die auch auf Deutschland übergegriffen hätten, das seine Grenzen bekanntlich Mitte 1930 für Aluminiumimporte geöffnet hatte. Wie in den anderen Industrieländern gingen die Aluminiumpreise übrigens auch in Deutschland nach Überwindung der Krise weiter zurück und erreichten 1938 mit 1,33 RM/Kg ihr niedrigstes Niveau. Die enorme Ausweitung der Produktion in den 30er Jahren und die damit verbundene Degression der Produktionskosten eröffnete Spielräume für Preissenkungen, die die Industrie im Interesse der Absatzförderung nutzte. Dass die Aluminiumpreise in Deutschland vor Ausbruch der Krise auskömmlich waren und auch während der Krise zumindest kostendeckend gewesen sein müssen, beweist die Tatsache, dass die VAW auch in den Krisenjahren 1930 bis 1933 ein positives Geschäftsergebnis erwirtschaftete. Die bis 1930 gezahlte Dividende von neun Prozent wurde allerdings 1931 auf sechs Prozent reduziert und in den Jahren 1932/1933 ganz ausgesetzt. Auch die wichtigste Beteiligungsgesellschaft der VAW, die Vereinigte Leichtmetall-Werke GmbH in Bonn, trug trotz Produktionseinschränkungen und Entlassungen mit einem – wenn auch nur bescheidenen – Gewinn zum positiven Gesamtergebnis bei 20. Am Schluss dieses Kapitels kommen wir noch einmal auf die Firma Gebr. Guilini zu sprechen, über deren Rolle als Außenseiter und Gegenspieler des Aluminiumkartells wir im letzten Kapitel berichtet haben. Wie dort bereits erwähnt, kündigte Guilini anfangs 1931 die Vereinbarung mit der Aluminium Association aus dem Jahr 1929, in der sich die Gesellschaft zur Einhaltung der Kartellpreise verpflichtet und im Gegenzug eine Abnahmegarantie für Tonerde erhalten hatte. Guilini wollte für die Verhandlungen mit seinem englischen Partner IAC über eine engere Zusammenarbeit in der Haugvik-Hütte in Norwegen freie Hand haben. Im März 1931 kam es zum Abschluss eines neuen Vertrags mit der IAC, der eine Laufzeit von zehn Jahren hatte und Guilini das alleinige Belieferungsrecht für Tonerde und ein Optionsrecht auf vierzig Prozent der Metallproduktion der Hütte einräumte. Gleichzeitig erhöhte Guilini seine Beteiligung am Kapital der IAC auf rund 27 Prozent 21. Die Mitglieder der AAC betrachteten die Zusammenarbeit der beiden Outsider als eine Provokation, die man nicht untätig hinnehmen wollte. Die IAC hatte sich den Zorn der etablierten Produzenten zugezogen, weil sie nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise in ihrer norwegischen Hütte unvermindert weiterproduzierte und es den anderen Produzenten überließ, die notwendigen Produktionskürzungen vorzunehmen. Die neuen Vereinbarungen zwischen IAC und Guilini haben das Fass wohl zum Überlaufen gebracht. Unbemerkt von Guilini und seinen Partnern bei der IAC verschaffte sich die AAC Ende 1931 einen großen Teil der Aktien der Gesellschaft, die in der Hand von privaten Kapitalgebern lagen. Als Mehrheitsaktionär der IAC sorgte die AAC dafür, dass Haugvik auf
150 die gemeinsame Linie einschwenkte und seine Produktion entsprechend den gemeinsamen Beschlüssen drosselte. Die von Haugvik angesammelten Bestände von fast 4.000 Tonnen verkaufte die AAC nach Russland 22. Für Georg Guilini muss diese Entwicklung eine herbe Enttäuschung gewesen sein. Das Manöver der AAC durchkreuzte nicht nur seine Expansionspläne in Norwegen sondern führte auch kurzfristig zu empfindlichen Einbussen im Tonerde- und Metallgeschäft. Die Schlappe in der Auseinandersetzung um Haugvik muss ihm vor Augen geführt haben, dass er doch zu schwach war, um dem mächtigen Kartell der etablierten Produzenten die Stirn zu bieten. Unter dem Druck der Verhältnisse gab Guilini seine Rolle als Außenseiter auf und beugte sich den Forderungen der AAC. In langen und schwierigen Verhandlungen einigten sich die Parteien im November 1932 auf eine vorläufige Regelung für das Jahr 1933, der im Februar 1934 ein Fünfjahresvertrag für die Jahre 1934 bis 1938 folgte. In den wichtigsten Punkten setzte sich das Kartell durch: Guilini musste praktisch auf einen eigenen Metallverkauf verzichten und seine Expansionspläne auf dem Hüttensektor aufgeben. Im Gegenzug erneuerte die AAC die bereits 1929 zugesagte Abnahmegarantie für jährlich 21.600 Tonnen Tonerde und gestand Guilini das Recht zu, in Martigny und/oder Steeg bis zu 1.500 Tonnen Metall für eigene Rechnung herzustellen oder herstellen zu lassen. Guilini versprach, die „AAC Rules“ zu beachten, auch ohne Mitglied der Alliance zu sein. Die Vereinbarung von 1934 setzte den Schlusspunkt unter ein weiteres Kapitel in dem zähen Ringen der Firma Guilini um die eigene Hütte 23.
Anmerkungen zum 6. Kapitel 1
2 3 4
5 6
7
Siehe hierzu Louis Marlio: „The Aluminum Cartel“. In seinem 1950 in den USA veröffentlichten Buch beschreibt Marlio ausführlich Vorgeschichte, Organisation und Aufgaben der Alliance Aluminium Company, deren Präsident er von 1931 bis 1939 war. Weitere Quellen zur AAC: Rauch, Seite 183 ff. – Campbell, Global Mission I, Seite 235 ff. – AIAG-Geschichte II, Seite 116 ff. Hardach, Seite 50 ff. MG-Statistik 40. Jg. 1929–1938. 1930 gelang es der Aluminium Association, sich mit der Aluminium Ltd. über eine Aufteilung des japanischen Marktes zu einigen. In dem so genannten „Japanese agreement“ wurden die Lieferungen nach Japan im Verhältnis von 52 Prozent für die Kanadier und 48 Prozent für die Europäer aufgeteilt. Der Verkauf der gesamten Menge wurde den Kanadiern übertragen, die den europäischen Anteil als Kommissionär abwickelten (AIAG-Geschichte II, Seite 84). In Deutschland gehörten der Aluminium Ltd. der Gießereibetrieb in Nürnberg und das kleine Aluminiumwalzwerk in Göttingen, über die wir in einem früheren Kapitel berichtet haben. Campbell, Global Mission I, Seite 17 ff. In Norwegen war Alcoa an den Hüttengesellschaften A/S Norsk Aluminium (50 %) und Det Norsk Nitridaktieselskap (33 %) beteiligt. Dazu kamen Beteiligungen an kleinen Hütten in Spanien und Italien. Außerdem verfügte Alcoa über Bauxitbeteiligungen in Frankreich und Jugoslawien. Schoenebeck, Zollprobleme, Seite 8: „Das Vordringen des bekannten Mellon Trusts, der jetzt schon reichlich die Hälfte der Weltaluminiumproduktion stellt und der bald zwei Drittel derselben kontrollieren wird, scheint unaufhaltsam. Wir werden Beute amerikanischer Kapitalübermacht“.
151 8 Siehe die Übersicht über die Entwicklung der Bestände von 1931 bis 1939 bei Marlio, Seite 42. 9 Zum Sonderkontingent der Deutschen Gruppe: Gottfried Plumpe, „Die IG-Farbenindustrie AG – Wirtschaft, Technik und Politik 1904–1945“, Berlin 1990, Seite 411. – Rauch, Seite 219. 10 Zur Würdigung der AAC: Marlio, Seite 60 ff. (Benefits of the Co-Operating Companies) und Seite 82 ff (Effects upon consuming industries). Marlio äußert sich auch ausführlich zu dem in den USA erhobenen Vorwurf, das Aluminiumkartell habe den Nazis bei der Aufrüstung Deutschlands geholfen. 11 MG-Statistik 40. Jg. 1929–1938. Die Nettoeinfuhr von Aluminiumschrott (der vor allem für die Versorgung der Gießereien unverzichtbar war) betrug 1932 nur noch 1.000 Tonnen nach 6.400 Tonnen in den Jahren vor Ausbruch der Krise. In den USA ging der Verbrauch an Hüttenaluminium von 130.000 Tonnen im Jahr 1929 auf 48.000 Tonnen im Jahr 1932 zurück und blieb auch in den folgenden Jahren beträchtlich hinter dem 1929 erreichten Niveau zurück. 12 VAW-Geschichte IV, Seite 6. Die Gesamtbestände in Deutschland habe ich geschätzt. 13 Zur Quote der „Deutschen Gruppe“: Rauch, Seite 186. Zur Quoten-Regelung zwischen VAW und dem Konsortium siehe Plumpe, „IG-Farben-Industrie“, Seite 411, der als Beleg die „Verständigung über Erzeugung, Erwerb und Absatz von Aluminium“ zwischen den beiden Gruppen nennt. 14 Zur Tabelle 7: Deutsche Hüttenproduktion laut Herttrich in METALL 1954.220. Zur Produktion der einzelnen Hütten: Rauch, Seiten 312/313 und VAW-Geschichte IV, Seite 4. Die Produktion von Rheinfelden ergibt sich als Restmenge nach Abzug der Produktion von VAW und Bitterfeld von der Gesamtproduktion. 15 Zum „Aluminiumkrieg“ zwischen VAW und AIAG: Rauch, Seite 224. – AIAG-Geschichte II, Seite 128 f. – Rauh, Seite 55. 16 VAW-Geschichte IV, Seiten 4, 14. Nach Ausbruch der Krise wurde die Erzeugung der Anoden für alle VAW-Hütten in Grevenbroich konzentriert und die dortige Anlage ausgebaut. 17 Am härtesten wurden die Betriebe der früheren Berg-Heckmann-Selve AG getroffen. Schon wenige Wochen nach der Gründung der Vereinigten Deutschen Metallwerke am 8. August 1930 wurden die Aluminiumwalzwerke in Eveking und Kupferhammer sowie das Werk Linscheid stillgelegt und die Produktionen der drei Betriebe nach Heddernheim und Gustavsburg verlagert (Aktenbestand Carl Berg in WWA Dortmund, F 25 Nr. 7: Aluminiumwalzwerk Eveking). 18 Zur Subventionierung der Walzwerke: VAW-Geschichte IV, Seite 7. 19 Nach damaliger Rechtslage waren Kartellabsprachen nicht verboten. Nur im Falle eines Missbrauches konnte gegen Kartelle vorgegangen werden. Laut Hardach, Seite 43, gab es Mitte der 20er Jahre in Deutschland etwa 2.500 Kartelle 20 VAW-Geschichte IV, Seite 8 f (VAW) und Seite 16 (VLW). 21 Zu den Guilini-Plänen in Norwegen: Guilini-Chronik, Seite 518 ff. – Espen Storil: “The Norwegian Aluminium Industry 1908–1940” in Cahier, Special Issue 2 (2007), Seite 15 ff. 22 Zum Gegenschlag der AAC: Rauch, Seite 195 ff. 23 Zu den Abmachungen von 1932/1934: Guilini-Chronik, Seite 524 ff. – Rauch, Seite 195 ff. – AIAG-Geschichte II, Seite 123 f.
Teil II
Aufstieg und tiefer Fall: Die deutsche Aluminiumindustrie im Dritten Reich (1933–1945)
7. Kapitel Die Rolle der Aluminiumindustrie in der Rüstungs- und Autarkiepolitik des Naziregimes
7.1 Aluminium wird zum strategischen Rohstoff Die Aluminiumindustrie gehörte zu den Wirtschaftszweigen, die am stärksten von der Politik des nationalsozialistischen Regimes betroffen waren und – wie man hinzufügen muss – auch am meisten von dieser Politik profitiert haben. Die Industrie erlebte in den Jahren nach 1933 einen geradezu kometenhaften Aufstieg, dem freilich nach dem Zusammenbruch des „Tausendjährigen Reiches“ ein jäher Sturz ins Bodenlose folgte. Aluminium spielte in den Plänen der neuen Machthaber eine zentrale Rolle. Aus Aluminium sollte die Waffe geschmiedet werden, mit deren Hilfe die Wehrmacht in den kommenden Auseinandersetzungen ihre Gegner mit raschen Schlägen niederwerfen würde. Früher als ihre Gegenspieler in den westlichen Demokratien hatte die deutsche Führung die entscheidende Bedeutung der Luftstreitkräfte für die moderne Kriegsführung erkannt, ohne deren massiven Einsatz zukünftige Kriege nicht mehr erfolgreich geführt werden konnten. Der Aufbau einer schlagkräftigen Luftwaffe setzte voraus, dass Deutschland in der Lage war, den für die Flugzeugproduktion unverzichtbaren Werkstoff Aluminium in großen Mengen zu erzeugen und in Walz- und Presswerken und Gießereien zu den benötigten Fabrikaten zu verarbeiten. Der spektakuläre Aufbau der deutschen Aluminiumindustrie in den Jahren nach 1933 muss daher vor allem im Zusammenhang mit der Luftrüstung gesehen werden, der die Naziführung höchste Priorität einräumte. Im letzten Jahr vor dem Ausbruch des Krieges wurde fast die Hälfte des in Deutschland erzeugten Aluminiums in der Rüstungsindustrie verbraucht. Während des Krieges flossen mehr als neunzig Prozent des verfügbaren Aluminiums in die Rüstung, wobei der Löwenanteil auf die Flugzeugindustrie entfiel. Die Massenproduktion von Flugzeugen verschlang riesige Mengen des leichten Metalls, das so zum Kriegsmetall par excellence wurde. In den anderen Krieg führenden Ländern kam es zu einer ähnlichen Entwicklung, nachdem auch dort die Rüstungsanstrengungen angelaufen waren. Die bei Kriegsausbruch bestehenden qualitativen und quantitativen Vorteile der deutschen Luftstreitkräfte waren nur von kurzer Dauer. Der Ausstoß der englischen und amerikanischen Flugzeugwerke ließ die Produktion der Achsenmächte schon bald weit hin-
156 ter sich. Unter Fachleuten ist nicht streitig, dass die Luftüberlegenheit der Alliierten entscheidend zur militärischen Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg beigetragen hat. Mit gutem Grund hat der französische Autor Robert Pitaval das Aluminium im Untertitel seiner 1946 erschienen Geschichte der Aluminiumindustrie als das „métal de la victoire“ bezeichnet 1. Es gab noch einen weiteren Grund, warum die neuen Machthaber in Deutschland dem Aluminium und der Aluminiumindustrie ihre besondere Aufmerksamkeit zuwandten. Hitler und seine Berater hatten aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges gelernt: In dem kommenden Krieg, auf den sie das Land systematisch vorbereiteten, sollte es den Feinden nicht gelingen, Deutschland mit den Mitteln der wirtschaftlichen Kriegsführung in die Knie zu zwingen. Der auf dem Reichsparteitag vom 14. September 1936 verkündete Vierjahresplan sollte Deutschland nach dem Willen des Führers „in vier Jahren in allen jenen Stoffen vom Ausland gänzlich unabhängig machen, die irgendwie durch die deutsche Fähigkeit, durch unsere Chemie und Maschinenindustrie sowie durch unseren Bergbau selbst beschafft werden können“ 2. Auf diese Weise sollte zumindest eine vorübergehende Entlastung bei der Rohstoffversorgung des Reichs erreicht werden. Die endgültige Lösung des Rohstoffproblems sah Hitler in der Erweiterung des Lebensraumes bzw. der Rohstoff- und Ernährungsbasis Deutschlands durch die geplanten Eroberungskriege. Bei den Autarkiebestrebungen der neuen Machthaber spielten die beiden Leichtmetalle Aluminium und Magnesium eine wichtige Rolle. Ihnen war vor allem die Rolle zugedacht, das Kupfer, bei dem Deutschland weitgehend von Importen abhängig war, auf den verschiedensten Anwendungsgebieten zu ersetzen. Substitution und Eigenerzeugung wurden Zauberbegriffe der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik. Dass auch die deutsche Aluminiumindustrie auf die Einfuhr von Bauxit aus dem Ausland angewiesen war, da es in Deutschland keine abbauwürdigen Bauxitvorkommen gab, wurde hingenommen, zumal die Devisenkosten für Bauxit weniger als zehn Prozent der Gesamtkosten des Aluminiums ausmachten. Notfalls sollte auf deutschen Ton als Rohstoff für die Tonerdeerzeugung zurückgegriffen werden 3. Nach der Machtübernahme machte sich die Naziführung unverzüglich daran, ihre machtpolitischen Pläne in die Tat umzusetzen. Hitler wies schon wenige Wochen nach seiner Bestellung zum Reichskanzler die Führung der Reichswehr an, den Aufbau einer schlagkräftigen Wehrmacht vorzubereiten und bis zum 31. Oktober 1934 die Effektivstärke des deutschen Heeres auf 300.000 Mann zu erhöhen. Diese ersten Schritte auf dem Wege der Aufrüstung erfolgten noch unter strikter Geheimhaltung. Spätestens mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht am 16. März 1935 ließ Hitler die Maske fallen und zeigte der Welt, dass er sich an die militärischen Bestimmungen des Versailler Vertrages nicht mehr gebunden fühlte. Um die Jahreswende 1935/ 1936 trat die Aufrüstung in ihre „heiße Phase“. Die Rüstungsausgaben des Deutschen Reiches, die sich bis dahin auf einem international vergleichbaren Niveau gehalten hatten, stiegen von nun an unaufhaltsam in die Höhe. Im Haushaltsjahr 1938/1939 machten die Ausgaben für die Streitkräfte fast sechzig Prozent der Gesamtausgaben
157 des Haushaltes aus 4. Die Ziele seiner Aufrüstungspolitik brachte Hitler im September 1936 in einem geheimen Memorandum an Hermann Göring, den neu ernannten „Beauftragten für den Vierjahresplan“ auf den folgenden Nenner: In vier Jahren müsse die Wehrmacht kriegsbereit und die deutsche Wirtschaft in der Lage sein, sie in einem Krieg mit den notwendigen Rüstungsgütern zu versorgen5. Höchste Priorität in der Rüstungsplanung hatten die Luftstreitkräfte sowie die Panzertruppen und andere motorisierte Verbände. Als Speerspitzen der Wehrmacht sollten sie dem strategischen Konzept der beweglichen Kriegsführung zum Erfolg verhelfen, mit dem Hitler die Gegner in Blitzkriegsfeldzügen bezwingen wollte. Die Vorbereitungen für den Aufbau der Luftwaffe begannen unmittelbar nach dem Regierungsantritt Hitlers in einer Nacht- und Nebelaktion. In seiner Eigenschaft als Reichskommissar für die Luftfahrt – angeblich für das zivile Luftwesen – ließ Göring unter Verstoß gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrages Konstruktionspläne für Kriegsflugzeuge entwerfen und militärische Piloten unter dem Deckmantel eines Luftsportverbandes ausbilden 6. Als ehemaliger Kriegsflieger betrachtete Göring (der im ersten Weltkrieg nach dem Tod Manfred von Richthofens Kommandeur des legendären Jagdgeschwaders Nr. 1 geworden war) den Aufbau der Luftwaffe als sein persönliches Anliegen. Unter Einsatz seines beträchtlichen Prestiges in der nationalsozialistischen Führung sorgte er dafür, dass die Flugzeughersteller, wie auch deren wichtigste Zulieferindustrie, die Aluminiumbranche, nach Kräften gefördert wurden. In einer gewaltigen Kraftanstrengung gelang es dem Regime in den wenigen Jahren bis zum Ausbruch des Krieges eine moderne Luftstreitmacht von einigen Tausend Maschinen aus dem Boden zu stampfen7. Die von der deutschen Führung angestrebte Überlegenheit in der Luft ging freilich schon bald an die Alliierten verloren. Großbritannien und Frankreich hatten nach der Sudetenkrise im Herbst 1938 ihre Kriegsvorbereitungen verstärkt und große Anstrengungen unternommen, um den Vorsprung Deutschlands auf dem Gebiet der Luftrüstung einzuholen. Großbritannien erreichte bei der Produktion von Kriegsflugzeugen schon 1939 den Gleichstand mit dem Deutschen Reich und produzierte 1940 und in den Folgejahren mehr Kriegsflugzeuge als Deutschland 8. In der Luftschlacht um England im Herbst 1940 brachte die Royal Air Force den deutschen Bomber- und Jagdverbänden eine schwere Niederlage bei, von der sich die Luftwaffe nie mehr ganz erholt hat. Seit 1941 hatte es Deutschland auch mit dem industriellen Potential der Vereinigten Staaten von Amerika zu tun, die ihre riesigen Ressourcen für eine Rüstungsanstrengung mobilisierten, wie sie die Welt bisher noch nicht gesehen hatte. Der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt hatte schon 1940 eine Flugzeugproduktion von jährlich 50.000 Maschinen gefordert, um dem nationalsozialistischen Deutschland in der bevorstehenden Auseinandersetzung die Stirn bieten zu können. Die tatsächlich erreichte Produktionsleistung der amerikanischen Flugzeugindustrie während des Krieges übertraf seine Forderung bei weitem 9. Auch die enorme Ausweitung der deutschen Flugzeugproduktion ab 1943 konnte nichts daran ändern, dass die alliierten Streitkräfte der Wehrmacht in der Luft
158 hoch überlegen waren und ihre Überlegenheit im weiteren Verlauf des Krieges zu einer totalen Beherrschung des Luftraumes ausbauen konnten. Nachdem Hitler im März 1935 mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht den offiziellen Startschuss für die Aufrüstung gegeben hatte, sah sich das Regime schon bald gezwungen, die Schrauben des staatlichen Kontroll- und Lenkungssystem anzuziehen. Mit Rücksicht auf die Stimmung der Bevölkerung wollte man die rüstungspolitischen Vorhaben nach Möglichkeit ohne tiefe Einschnitte in den Konsum verwirklichen. Dies konnte nur bei optimalem Einsatz der verfügbaren wirtschaftlichen Ressourcen gelingen, wofür eine verstärkte staatliche Planung und Steuerung sorgen sollte. Schon im September 1934 hatte die Naziführung in dem so genannten „Neuen Plan“ auf die wachsenden Devisennöte des Regimes mit einer schärferen Reglementierung des Außenhandels geantwortet und die Einfuhr von Rohstoffen einer staatlichen Genehmigungspflicht unterworfen. Mit dem in Nürnberg proklamierten Zweiten Vierjahresplan trat die nationalsozialistische Planwirtschaft in eine neue Phase10. Wichtigstes Ziel des Vierjahresplans von 1936 war es, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Aufrüstung zu schaffen, vor allem die dafür erforderlichen Rohstoffe bereitzustellen. Der Plan konzentrierte sich dabei auf einige wenige, strategisch besonders wichtige Wirtschaftszweige, die mit allen verfügbaren Mitteln gefördert werden sollten. Neben der Kohlehydrierung zur Gewinnung von synthetischem Benzin und der Bunasynthese zur Ersetzung von importiertem Kautschuk gehörte hierzu auch die Aluminiumerzeugung. Für die Durchführung der geplanten Maßnahmen wurde eine Mammutbehörde geschaffen, an deren Spitze Hermann Göring stand, der als „Beauftragter für den Vierjahresplan“ schon bald zum wichtigsten Wirtschaftsfunktionär des Dritten Reiches avancierte. Die zentrale Instanz des Vierjahresplans war das „Amt für Deutsche Roh- und Werkstoffe“, dem die Planung der Rohstoffwirtschaft oblag. Der Aluminiumindustrie galt Görings besonderes Interesse, da ihre Leistungsfähigkeit das Tempo des Aufbaus der ihm unterstellten Luftwaffe maßgeblich bestimmte. Nach den Vorstellungen der Nazi-Machthaber sollte die Aluminiumerzeugung in Deutschland bis zum 1. Januar 1940 auf ein Niveau von 256.800 Jahrestonnen gebracht werden11. Gemessen an dem bis 1936 erreichten Stand bedeutete dies, dass die Aluminiumkapazitäten innerhalb von vier Jahren um das Zweieinhalbfache, gemessen an den Kapazitäten des Jahres 1933 sogar um mehr als das Sechsfache erweitert werden sollten. Um dieses Ziel zu erreichen, waren riesige Investitionen nicht nur in den Bereich der Aluminiumerzeugung selbst sondern auch in den dem Hüttensektor vorund nachgelagerten Bereichen der Energie- und Rohstoffversorgung und der Aluminiumverarbeitung erforderlich. Seit 1935/1936 bestimmte die Aufrüstung das Tempo der wirtschaftlichen Expansion. Für die Aluminiumindustrie ging es jetzt vor allem darum, den rasch wachsenden Bedarf der Flugzeug- und Rüstungsindustrie an Blechen, Profilen, Gussteilen und Schmiedestücken aus Aluminium zu decken. Neue Hüttenwerke, Oxidfabriken, Halbzeugwerke und Gießereien mussten aus dem Boden ge-
159 stampft werden. Wirtschaftliche Überlegungen spielten in dieser Phase der Entwicklung nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Rüstung hatte absoluten Vorrang. Den führenden Männern der deutschen Aluminiumindustrie dürfte es damals nicht an der Einsicht gefehlt haben, dass der von ihnen verlangte Kapazitätsausbau weit über das hinausging, was man unter den Bedingungen einer Friedenswirtschaft hätte rechtfertigen können. Wie die meisten Wirtschaftsführer im Dritten Reich haben auch sie die ihnen gestellten Aufgaben erfüllt, ohne viele Fragen zu stellen. Bei der Einführung der nationalsozialistischen Wirtschaftsordnung hatten die Nazis bewusst auf Eingriffe in die Eigentumsverhältnisse verzichtet und es auch vermieden, die Unternehmen völlig an das Gängelband der staatlichen Bürokratie zu legen. Stattdessen setzten sie auf die freiwillige Mitarbeit der Unternehmer, ohne deren Kooperation sie ihre gigantomanen Rüstungspläne nicht hätten verwirklichen können. Auch der Ausbau der Aluminiumindustrie in den Jahren nach 1933, der in technischer und organisatorischer Hinsicht zweifellos eine glänzende Leistung darstellt, war nur möglich, weil sich die führenden Persönlichkeiten der Industrie ohne Vorbehalte in den Dienst der neuen Sache stellten12. Das trifft nicht nur für das Führungspersonal der reichseigenen VAW und anderer großer Konzerne zu sondern gilt ebenso für die Repräsentanten der mittelständischen Wirtschaft, von denen viele an prominenter Stelle in den Führungsgremien der nationalsozialistischen Wirtschaft mitwirkten. Bei der Gleichschaltung der Wirtschaft kam den Nazis zustatten, dass die deutsche Wirtschaft in einem dichten Netz von Verbänden und Vereinigungen organisiert war, die sich leicht in das neue System eingliedern ließen. Durch das Gesetz zur Vorbereitung des organischen Aufbaus der deutschen Wirtschaft vom 27. Februar 1934 wurde die gesamte Industrie (wie auch die übrige Wirtschaft) in so genannten Wirtschaftsgruppen zusammengefasst, die sämtliche zu dem jeweiligen Gruppenbereich zählenden Unternehmen umfassten und nach Fachbereichen in Untergruppen (oder Fachgruppen) gegliedert waren. Die Gruppen und Untergruppen waren nach dem Führerprinzip einem Leiter unterstellt, dem sehr weitgehende Befugnisse übertragen wurden. Die Aluminiumindustrie gehörte zur Wirtschaftsgruppe Nichteisenmetall-Industrie (später Wirtschaftsgruppe Metallindustrie) mit Fachgruppen für die Metall erzeugende Industrie, die Metallhalbzeugindustrie und den Metallerzbau. Wegen der besonderen Bedeutung der beiden Leichtmetalle Aluminium und Magnesium wurde innerhalb der Fachgruppe Metallhalbzeugindustrie eine Untergruppe Leichtmetall-Halbzeugindustrie gebildet. Die Aluminiumgießereien wurden der Wirtschaftsgruppe Gießereiindustrie zugeordnet und bildeten innerhalb der Fachgruppe Metallgießereien eine besondere Fachabteilung. Wie wir noch sehen werden, bediente sich das Regime der Wirtschaftsgruppen und ihrer Unterorganisationen bei der Umsetzung und Durchsetzung der staatlichen Direktiven. Die neue Wirtschaftsordnung sollte die so genannte „verantwortliche wirtschaftliche Selbstverwaltung“ mit der allgemeinen staatlichen Lenkung verbinden. Neben den halbstaatlichen und zum Teil mit hoheitlichen Aufgaben betrauten Wirtschaftsgruppen gab es auch im Dritten Reich eine Vielzahl von so genannten
160 „marktregelnden Verbänden“, in denen das zwischen 1919 und 1933 entstandene Verbandswesen weiterlebte. Aus dem Nebeneinander von neuen und alten Organisationsformen entstand ein kompliziertes Gebilde, das wohl auch für die damals Beteiligten nur schwer überschaubar war 13. Bei der Planung und Durchführung des Ausbaus der deutschen Aluminiumindustrie im Dritten Reich spielte die im Besitz des Reiches befindliche VAW naturgemäß eine zentrale Rolle. Als der mit Abstand größte deutsche Aluminiumproduzent, auf den 1933 mehr als siebzig Prozent der deutschen Hüttenkapazität entfielen, trug die VAW bei der Erweiterung der Tonerde- und Hüttenproduktion die Hauptlast. Auf dem Verarbeitungssektor, auf dem sich eine große Zahl von größeren und kleineren Unternehmen tummelte, verteilte sich die Last dagegen auf viele Schultern. Durch ihre Beteiligungen an der Vereinigten Leichtmetall-Werke GmbH (VLW) und an der Rheinischen Blattmetall AG (Rebag) spielte die VAW aber auch auf diesem Gebiet eine wichtige Rolle. Beide Unternehmen wurden in der Zeit des Dritten Reiches 100 %ige Tochtergesellschaften der VAW, die VLW im Jahr 1942 durch den bereits erwähnten Anteilstausch mit der Metallgesellschaft, die Rebag schon 1934 durch die Übernahme der Beteiligung der Firma Wolf Netter, die sich der von den Nazis geforderten „Arisierung“ der Gesellschaft nicht widersetzen konnte14. Im Zuge der nationalsozialistischen Gleichschaltung der deutschen Wirtschaft entfernten die Nazis kurz nach der Machtergreifung rassisch und politisch missliebige Führungspersönlichkeiten der VAW aus ihren Ämtern. Das prominenteste Opfer der politischen Säuberung war der langjährige Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft, Max von der Porten, der als Jude in den Augen der Nazi auf diesem Posten untragbar war. Ihm folgten 1934 die beiden Vorstandsmitglieder Ernst Rauch und Ernst Roth, die als politisch unzuverlässig galten. Neuer Vorstandsvorsitzender wurde im Juli 1933 Karl Schirner, der dieses Amt bis 1939 innehatte. Ihm folgte Dr. Ludger Westrick (1894–1990), der die Geschicke der VAW bis weit in die Nachkriegszeit hinein bestimmte und später den Posten eines Staatssekretärs im Bundeswirtschaftsministerium unter Ludwig Ehrhard bekleidete. Schirner und Westrick waren typische Vertreter der damaligen deutschen Wirtschaftselite, die sich, ohne überzeugte Nationalsozialisten zu sein, dem Regime zur Verfügung stellten, mit dessen wirtschaftspolitischem Kurs sie zumindest in den Anfangsjahren des Regimes weitgehend konform gingen. Bedenken wegen des allzu forschen Ausbautempos der Naziplaner haben sie nur im engsten Kreis geäußert 15. Ohne massive staatliche Unterstützung wäre die enorme Aufbauleistung der deutschen Aluminiumindustrie in den Jahren nach 1933 nicht möglich gewesen. Staatliche Zuschüsse und Kredite halfen bei der Finanzierung der riesigen Investitionen, die die finanzielle Leistungsfähigkeit der Unternehmen überstiegen16. Nicht weniger wichtig war die Zuweisung knapper Ressourcen, die von den staatlichen Stellen bevorzugt für die so genannten „Vierjahresplan-Betriebe“ bereitgestellt wurden. Besonders kritisch war die Stromversorgung der neuen Aluminiumhütten, die die Elektrizitätswirtschaft immer wieder vor beträchtliche Probleme stellte. Das RWE kam zum Beispiel im Win-
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Abb. 21: Karl Schirner Vorsitzender des Vorstandes der VAW 1933–1939
Abb. 22: Dr. Ludger Westrick Vorsitzender des Vorstandes der VAW 1939–1955
ter 1937/1938 durch die vorrangige Belieferung der neuen Elektrolyseanlagen des Erftwerkes an die Grenzen seiner Kapazität17. Seit 1937 traten bei der Versorgung mit Baustahl und maschinellen Einrichtungen sowie bei der Verfügbarkeit von Arbeitskräften zunehmend Engpässe auf, die auch durch immer strengere staatliche Lenkungsmaßnahmen nicht beseitigt werden konnten. Ein wichtiges Steuerungsinstrument der Nazi-Wirtschaft war die Eisenbewirtschaftung, die Mitte 1937 eingeführt und nach Kriegsausbruch drastisch verschärft wurde. Ohne ausreichende Versorgung mit Maschineneisen und Baueisen konnten die gigantischen Ausbauvorhaben auf dem Leichtmetallsektor nicht durchgeführt werden. Häufig stand die Aluminiumindustrie dabei in Konkurrenz zu anderen Bereichen der Wirtschaft, die ebenfalls den besonderen Status eines Vierjahresplan-Sektors hatten. Mangelnde Koordination durch die zuständigen Behörden sowie die Rivalität der verschiedenen Bereiche und kurzfristige Änderungen der Zielsetzung und Schwerpunkte erschwerten die Umsetzung der Planvorhaben. Der Ausbau der Aluminiumindustrie wurde auch nach Kriegsbeginn zunächst noch als höchste Dringlichkeitsstufe anerkannt, verlor diesen Status aber im Spätherbst 1942, als ihm andere Wehrmachtsprogramme vorgezogen wurden.
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7.2 Sprunghafter Anstieg des Aluminiumverbrauchs Hitler war mit dem Versprechen angetreten, die Deutschen wieder in Brot und Arbeit zu setzen. Nachdem er am 30. Januar 1933 von Reichspräsident von Hindenburg mit der Regierungsverantwortung betraut worden war, betrachtete er den schnellen Abbau der Massenarbeitslosigkeit als das vordringlichste Anliegen seiner Wirtschaftspolitik. Staatliche Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung sowie Steuererleichterungen und Beihilfen für die privaten Unternehmen sollten der daniederliegenden Wirtschaft wieder auf die Beine helfen. Die im Frühsommer 1933 verabschiedeten Beschäftigungsprogramme konzentrierten sich auf arbeitsintensive Landeskulturarbeiten (Hochwasserschutz, Flurbereinigung und Melioration), auf den Bau von Arbeitersiedlungen und auf Investitionen im Verkehrsbereich. Die spektakulärste Maßnahme war zweifellos der mit großem propagandistischem Aufwand begonnene Bau der Reichsautobahnen18. Die Erfolge der Beschäftigungsprogramme stellten sich schon bald ein und versetzten Anhänger und Gegner des Regimes gleichermaßen in Erstaunen. Als Hitler an die Macht kam, waren bei den Arbeitsämtern mehr als sechs Millionen Arbeitslose registriert. Dazu kamen schätzungsweise weitere anderthalb Millionen nicht gemeldete Arbeitssuchende. Bis Ende 1936 verringerte sich die Zahl der registrierten Arbeitslosen auf weniger als drei Millionen; seit 1938 herrschte in Deutschland praktisch Vollbeschäftigung. In den Augen vieler Deutscher hatten die Nationalsozialisten ein wirtschaftliches Wunder vollbracht. Dabei wurde freilich übersehen, dass sich die weltwirtschaftliche Lage schon seit Mitte 1932 deutlich gebessert hatte und dass auch in Deutschland im zweiten Halbjahr 1932 erste Zeichen einer wirtschaftlichen Erholung zu erkennen waren. Es steht jedoch außer Zweifel, dass die neue Regierung das Tempo der wirtschaftlichen Erholung durch ihre Beschäftigungsprogramme wesentlich beschleunigt hat. Die von diesen Programmen ausgehenden Impulse und eine deutliche Verbesserung des wirtschaftlichen Klimas in Deutschland führten im Laufe des Jahres 1934 zu einem wirtschaftlichen Aufschwung auf breiter Front. Davon profitierte auch die deutsche Aluminiumindustrie. Sie verzeichnete ab Mitte 1933 eine deutliche Auftragsbelebung, die sich schon bald zu einem regelrechten Nachfrageboom verstärkte. Der Aluminiumverbrauch der deutschen Wirtschaft, der auf dem Tiefstand der Krise im Jahr 1932 nur noch 18.000 Tonnen betragen hatte, begann nun seinen unaufhaltsamen Anstieg. Schon 1934 wurde der bisherige Höchststand von 1929 mit einem Verbrauch von 49.000 Tonnen weit übertroffen. Das Jahr 1935 brachte einen nochmaligen sprunghaften Anstieg des Aluminiumverbrauchs auf 84.000 Tonnen und 1936 wurde erstmals die 100.000 Tonnen Marke überschritten19. Die enorme Verbrauchsausweitung war nur möglich, weil Deutschland nach 1933 große Mengen an Hüttenaluminium und Aluminiumschrott aus dem Ausland beziehen konnte. Einer der wichtigsten Lieferanten war die Alliance Aluminium Company, die damals noch über beträchtliche Stocks verfügte. Auch die schweizerische AIAG war mit einem Metall-
163 darlehen von 8.000 Tonnen an den Importen beteiligt. Insgesamt wurden in den Jahren 1933 bis 1938 fast 60.000 Tonnen Aluminium nach Deutschland eingeführt, davon allein 18.000 Tonnen im Jahr 1935 und weitere 19.000 Tonnen im Jahr 1938. Zu etwa einem Viertel bestanden die Einfuhren aus Alt- und Abfallmetall 20. In den letzten Monaten vor Ausbruch des Krieges kamen die Aluminiumimporte praktisch zum Erliegen, weil sich inzwischen auch Großbritannien, Frankreich und andere Länder auf dem internationalen Aluminiummarkt eindeckten. Die wachsende Devisenknappheit des Deutschen Reiches hätte Metallkäufe in größerem Umfang ohnehin nicht mehr gestattet. Da die Aufrüstung das wirtschaftliche Geschehen in Deutschland erst seit der Jahreswende 1935/1936 maßgeblich bestimmt hat, lässt sich der spektakuläre Anstieg des Aluminiumverbrauchs in den ersten Jahren des NS-Regimes nur durch den verstärkten Einsatz von Aluminium im zivilen Bereich erklären. Die Belebung der Nachfrage nach Aluminium war in erster Linie eine Folge der rasch voranschreitenden wirtschaftlichen Erholung. Daneben spielten aber auch die staatlichen Lenkungs- und Förderungsmaßnahmen des neuen Regimes eine wichtige Rolle. Einer der Hauptansatzpunkte der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik war der Außenhandel, den die NS-Regierung durch ein Kontrollsystem für Ein- und Ausfuhren und durch schärfere Bestimmungen zur Devisenbewirtschaftung an die Kandare nahm. Die äußerst angespannte Devisenlage zwang zur sparsamsten Verwendung von ausländischen Rohstoffen. Den Rahmen für die Bewirtschaftung knapper Rohstoffe setzte das „Gesetz über den Verkehr mit industriellen Rohstoffen und Halbfabrikaten vom 22. März 1934“. Aufgrund dieses Gesetzes wurden so genannte Überwachungsstellen eingerichtet, die unter Leitung eines Reichsbeauftragten die Beschaffung, Verteilung und Lagerung von bestimmten Rohstoffen regeln und überwachen sollten. Für Aluminium und andere NEMetalle war die „Überwachungsstelle für unedle Metalle“ zuständig, die schon wenige Wochen nach ihrer Errichtung weitreichende Einfuhrbeschränkungen und Verwendungsverbote für eine Reihe von Buntmetallen, vor allem Kupfer, aber auch Blei, Zinn und Zink erließ, die soweit wie möglich durch so genannte Austauschstoffe ersetzt werden sollten21. Dies eröffnete gute Chancen für das Aluminium, das mit einem relativ geringen Devisenaufwand für den Vorstoff Bauxit im Inland hergestellt werden konnte und den neuen Machthabern als vollwertiger Austauschstoff galt – ohne den Beigeschmack des billigen Ersatzmaterials, der ihm aus der Zeit des ersten Weltkrieges in Teilen der verarbeitenden Industrie noch immer anhaftete. Die systematische Förderung und Bevorzugung von Aluminium durch die staatlichen Stellen führte dazu, dass die Industrie ihre bisherige Zurückhaltung aufgab und in vielen Fällen auch ohne gesetzliche oder behördliche Vorgaben zum Einsatz von Aluminium überging. Dabei war es zunächst vor allem der zivile Sektor, auf dem die Verwendung von Aluminium in Deutschland auf breiter Front rasche Fortschritte machte. Nach einer vom „Amt für Deutsche Rohund Werkstoffe“ durchgeführten Analyse des Aluminiumverbrauchs für das Jahr 1936
164 entfielen sechzehn Prozent des verbrauchten Aluminiums auf den Flugzeugbau (inklusive Flugmotoren), jeweils fünfzehn Prozent auf den Elektromarkt und den Maschinenbau sowie acht Prozent auf die Kraftfahrzeugindustrie. Der Rest verteilte sich auf eine Vielzahl von weiteren Anwendungsgebieten 22. Erst in der zweiten Hälfte der 30er Jahre entwickelte sich die Rüstungsindustrie zum wichtigsten Verbraucher von Aluminium. Greifbare Erfolge konnten die staatlichen Lenkungsmaßnahmen vor allem auf dem Gebiet der Stromleiter verbuchen, wo die konservative Einstellung der deutschen Versorgungsunternehmen bisher einer weitergehenden Substitution von Kupfer durch Aluminium entgegengestanden hatte. Ab 1934 wurden neue Überlandleitungen ganz überwiegend unter Verwendung von Aluminiumseilen gebaut 23. Auch auf dem Gebiet der isolierten Leitungen trat Aluminium auf Anordnung der Überwachungsstelle bei bestimmten Kabeltypen an die Stelle von Kupfer, ohne freilich dessen beherrschende Stellung gefährden zu können24. Zu den wichtigsten Verarbeitern von Aluminium zählten damals die Elektrokonzerne Siemens und AEG sowie Kabelhersteller wie Felten & Guillaume, Osnabrücker Kupfer- und Drahtwerk (OKD) und das VDM-Werk in Gustavsburg, die auf ihren Walzanlagen und Drahtpressen beträchtliche Mengen an Aluminium für Leitzwecke zu Kabel und Draht verarbeiteten. Auch auf anderen Anwendungsgebieten kam die Aluminiumindustrie in den Genuss von Förderungs- und Lenkungsmaßnahmen des Regimes. Dies galt vor allem für das Exportgeschäft mit Aluminiumhalbzeug und Aluminiumfertigwaren, das seit Oktober 1933 als „Devisenbringer“ staatlich gefördert wurde. Davon profitierten insbesondere die deutschen Folienwalzwerke, deren Produkte schon vor 1933 in alle Welt geliefert worden waren 25. Begehrte Exportartikel waren auch Legierungshalbzeuge für die Flugzeugindustrie, die bis zum Ausbruch des Krieges (und teilweise auch noch während des Krieges) nach Japan, Italien und Osteuropa exportiert wurden. Im Rahmen des Stalin-Hitler-Paktes von 1939 lieferten VLW und Dürener Metallwerke noch in den Jahren 1940/1941 eine größere Menge Flugzeugbleche an die Sowjetunion26. Die Devisenerlöse aus den Exporten erreichten ein beträchtliches Ausmaß. Im Jahr 1936 überstiegen sie den Aufwand für sämtliche Bauxitimporte um das Vierfache. Die Kosten der Exportförderung mussten allerdings von der Industrie durch Zahlung einer 5 %igen Umsatzabgabe selbst aufgebracht werden. Seit Mitte der 30er Jahre stand die zivile Wirtschaft immer mehr in Konkurrenz zu der Rüstungsindustrie, die einen ständig wachsenden Teil des verfügbaren Aluminiums für sich beanspruchte. Vor allem der Bedarf der Flugzeugindustrie bestimmte jetzt den weiteren Anstieg des Aluminiumverbrauchs. Mit der Einführung der Ganzaluminiumbauweise in den 20er Jahren war Aluminium zum wichtigsten Rohmaterial für den Flugzeugbau geworden. Für das einzelne Flugzeug wurden zwar nur relativ geringe Mengen an Aluminiumprodukten benötigt, wobei der Bedarf im Einzelnen von der Größe und Ausstattung des Flugzeugtyps abhängig war. Es sind die großen Stückzahlen der für die Luftwaffe hergestellten Flugzeuge, die den schnell wachsenden Alumini-
165 umbedarf der Flugzeugindustrie seit Beginn der Aufrüstung erklären. Wegen der im Versailler Vertrag auferlegten Beschränkungen hatte sich in Deutschland nach dem Krieg keine leistungsfähige Flugzeugindustrie entwickeln können. Auch die Weltwirtschaftskrise war nicht spurlos an der Branche vorübergegangen und hatte einige der wenigen Flugzeughersteller zur Aufgabe gezwungen. So war es eine Handvoll relativ kleiner und finanziell schwacher Firmen, denen nach der Machtergreifung Hitlers die Aufgabe zufiel, praktisch über Nacht die Prototypen für Jagdflugzeuge, Bomber und andere Kriegsflugzeuge zu entwickeln und demnächst in Großserien für die neue Luftwaffe herzustellen27. Diese Unternehmen waren schon bald die wichtigsten Kunden der deutschen Aluminiumindustrie. Im Zuge der Aufrüstung entwickelte sich die Flugzeugindustrie innerhalb weniger Jahre zu einem bedeutenden Industriezweig, der mehr Mitarbeiter beschäftigte als die deutsche Automobilindustrie. Im internationalen Vergleich nahmen die deutschen Flugzeughersteller 1937 nach der UdSSR (und vor Großbritannien, USA und Frankreich) den zweiten Platz ein, was Beschäftigtenzahl und die Zahl der produzierten Maschinen angeht. Während der Kriegsjahre entwickelte sich die Flugzeugindustrie zum größten Zweig des deutschen Rüstungsapparats. Auf dem Höhepunkt des Krieges waren auf deutscher Seite zwei Millionen Menschen mit der Entwicklung und Produktion von Kriegsflugzeugen beschäftigt. 1943 machte die Luftrüstung über vierzig Prozent der Gesamtrüstung aus 28. Die 1934 angelaufene Produktion von Kriegsflugzeugen erreichte bereits 1936 ein Niveau von etwa vierhundert Maschinen pro Monat. Trotz der von Göring zum Jahresende 1936 vollmundig verkündeten „Mobilmachung der deutschen Luftfahrtindustrie“ gelang es aber nicht, die Flugzeugproduktion in den folgenden Jahren wesentlich über dieses Niveau hinaus zu steigern. Das lag nicht zuletzt an den Versorgungsschwierigkeiten bei Aluminium und anderen NE-Metallen, die sich seit Frühjahr 1937 immer drängender bemerkbar machten. Ungeachtet dieser Schwierigkeiten wurde im April 1939 ein gigantische Ausbauvorhaben für die Luftwaffe beschlossen: Innerhalb von drei Jahren sollten 29.000 moderne Kriegsflugzeuge gebaut und die deutschen Flugzeugwerke in die Lage versetzt werden, monatlich 1.500 Maschinen als Nachschub zu liefern. Woher das Aluminium für dieses Beschaffungsprogramm kommen sollte (das die Flugzeugwerke gezwungen hätte, ihren Ausstoß in kürzester Zeit zu verdoppeln und zu verdreifachen) blieb völlig offen. Die deutschen Aluminiumhütten hatten ja schon Mühe, den aktuellen Bedarf der Luftfahrtindustrie zu decken. Eine Ausweitung der Produktion in dem erforderlichen Ausmaß war in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten. Wegen der angespannten Versorgungslage sah sich das Regime im Frühjahr 1937 gezwungen, die Verteilung des verfügbaren Aluminiums zwischen Wehrmacht und ziviler Wirtschaft neu zu regeln. Die oberste Verantwortung für die Festsetzung der Quoten lag beim Reichswirtschaftsministerium, das die zur Verfügung stehende Gesamtmenge in monatlichen Kontingenten auf Wehrmacht, Export und zivilen Inlandsbedarf aufteilte. Für die Verteilung des Wehrmachtskontingentes auf die drei Wehr-
166 machtsteile Heer, Marine und Luftwaffe war das Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt beim Reichskriegsministerium (seit 1938 beim Oberkommando der Wehrmacht) zuständig 29. Obwohl die Versorgungsschwierigkeiten ständig zunahmen, konnte sich die Naziführung damals noch nicht zu einer umfassenden staatlichen Aluminiumbewirtschaftung durchringen, wie sie seit 1934 für die Schwermetalle bestand. Man überließ es vielmehr der Wirtschaftsgruppe Metallindustrie und den marktregelnden Verbänden, das nach Abzug der Wehrmachtsquote verbleibende Aluminium auf die Bedarfsträger der zivilen Wirtschaft zu verteilen30. Über die Anforderungen der Wehrmacht kam es immer wieder zu scharfen Kontroversen zwischen dem OKW und dem Reichswirtschaftsminister, dem an einer ausreichenden Rohstoffversorgung der zivilen Wirtschaft gelegen war. Bis in die letzten Monate vor Kriegsausbruch machten die Zuteilungen an die zivile Wirtschaft einschließlich Ausfuhr noch immer mehr als die Hälfte des damaligen Aluminiumaufkommens aus. Die Wehrmacht musste sich mit einer aus ihrer Sicht völlig unzureichenden Quote zufrieden geben, was zur Folge hatte, dass wichtige Rüstungsvorhaben, wie der im April 1939 beschlossene Ausbau der Luftwaffe, nicht im geplanten Umfang durchgeführt werden konnten. Nach Ausbruch des Krieges gingen die Auseinandersetzungen zwischen zivilen und militärischen Stellen über die Festsetzung der Kontingente weiter. Erst mit dem Übergang zu einer konsequenten Kriegswirtschaft in den Jahren 1941/1942 setzte sich der absolute Vorrang der Rüstung durch. Der rapid wachsende Aluminiumbedarf der Luftfahrt- und Rüstungsindustrie führte dazu, dass sich der Anstieg des Aluminiumverbrauchs auch in der zweiten Hälfte der 30er Jahre mit unvermindertem Tempo fortsetzte: Nach 130.000 Tonnen im Jahr 1937 und 172.000 Tonnen im Jahr 1938 wurden 1939 erstmals mehr als 200.000 Tonnen Hüttenaluminium verarbeitet, was einer Verdoppelung des Aluminiumverbrauchs in drei Jahren entsprach. Dazu kamen beträchtliche Mengen an Sekundäraluminium aus eingeschmolzenem Schrott, das für die Aluminiumversorgung der verarbeitenden Industrie immer mehr an Bedeutung gewann. Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges entfiel etwa ein Drittel des Weltverbrauchs an Hüttenaluminium auf das Deutsche Reich, das sich an die Spitze der Aluminium verbrauchenden Länder gesetzt und sogar die USA hinter sich gelassen hatte 31. Während des Krieges trieben die verstärkten Rüstungsanstrengungen den Aluminiumverbrauch weiter in die Höhe. Im Jahr 1944, als die deutsche Flugzeug- und Rüstungsproduktion ihren Höhepunkt erreichte, wurden in Deutschland und den zum deutschen Machtbereich gehörenden Ländern insgesamt 330.000 Tonnen Aluminium zu Halbzeug verarbeitet (siehe Tabelle 11). Der gesamte Rohaluminiumverbrauch unter Einschluss der Gießereibetriebe verfehlte nur knapp eine halbe Million Tonnen. Inzwischen hatten Deutschlands Kriegsgegner ihren anfänglichen Rückstand längst aufgeholt und die Achsenmächte auch auf diesem Gebiet weit hinter sich gelassen. Laut MG-Statistik wurden 1944 weltweit etwa anderthalb Millionen Tonnen Hüttenaluminium verbraucht, wovon ca. 800.000 Tonnen auf die westlichen Alliierten und
167 200.000 Tonnen auf die UDSSR entfielen. Die riesigen Mengen an Aluminium, die für den Bau der alliierten Luftarmada und die Herstellung anderer Kriegsgüter benötigt wurden, kamen zum größten Teil aus den amerikanischen und kanadischen Aluminiumhütten. Die Aluminium Ltd. (Alcan) hatte schon 1938 mit dem Ausbau ihrer Aluminiumhütten in Kanada begonnen. Alcoa folgte 1940 mit einem groß angelegten Expansionsprogramm, das sämtliche Stufen der Aluminiumerzeugung und Aluminiumverarbeitung einschließlich der Bauxitförderung umfasste. Zusätzlich zu den mit eigenen Mitteln finanzierten Vorhaben errichtete Alcoa seit 1941 im Auftrag der amerikanischen Regierung weitere Aluminiumhütten samt den dazugehörenden Oxidfabriken und Verarbeitungswerken mit staatlichen Geldern. Durch diese Maßnahmen konnte die Hüttenproduktion von 1939 bis 1943 in den USA von 148.000 auf 834.000 Tonnen und in Kanada von 75.000 auf 450.000 Tonnen gesteigert werden32. Die deutsche Rüstungswirtschaft hatte der gigantischen Kriegsmaschine der Alliierten nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen.
Anmerkungen zum 7. Kapitel 1 Robert Pitaval: „Histoire de l’Aluminium – Métal de la Victoire“. 2 Zitiert nach Werner Soergel: „Metallindustrie und Nationalsozialismus“, Seite 76. 3 Die VAW hat Versuche in dieser Richtung schon kurz nach der Machtergreifung wieder aufgenommen und bis in die Kriegszeit hinein fortgesetzt. Sie arbeitete dabei mit der Th. Goldschmied AG zusammen, die ein patentiertes Verfahren zur Herstellung von Al2O3 aus Ton entwickelt hatte. Trotz beträchtlicher Anstrengungen gelang es nicht, ein Verfahren zu entwickeln, das mit dem Aufschluss von Bauxit hätte in Wettbewerb treten können (VAW-Geschichte V, Seite 18 f). 4 Hans Roeper/Wolfram Weimar: „Die D-Mark. Eine deutsche Wirtschaftsgeschichte“ Frankfurt/ Main 1996, Seite 17. 5 Der Text der Denkschrift von August 1936 ist in „Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte“ 3 (1955), Seiten 184–200, abgedruckt. Das Dokument schließt mit der programmatischen Forderung: „Ich stelle damit folgende Aufgabe: 1. Die deutsche Armee muss in vier Jahren einsatzfähig sein. 2. Die deutsche Wirtschaft muss in vier Jahren kriegsfähig sein“ An anderer Stelle heißt es: „Die endgültige Lösung liegt in einer Erweiterung des Lebensraumes bzw. der Rohstoff- und Ernährungsbasis unseres Volkes. Es ist eine Aufgabe der politischen Führung, diese Frage dereinst zu lösen“. 6 Die deutschen Flugzeughersteller konnten dabei auf Entwicklungsarbeiten zurückgreifen, die in den 20er Jahren auf Grund eines geheimen Zusatzprotokolls zum Vertrag von Rapallo in der Sowjetunion durchgeführt worden waren. 7 Die bei Baumbach: „Zu spät“, Seite 48, wiedergegebene offizielle Meldung des Generalquartiermeisters der Luftwaffe vom September 1939 verzeichnet 4.333 einsatzfähige Flugzeuge, darunter 1.180 Kampfflugzeuge, 771 Jagdflugzeuge, 336 Sturzkampfflugzeuge und 408 Zerstörerflugzeuge. 8 Laut Klein-Burton: „Germany’s Economic Preparations for War“, Cambridge 1959, Seite 99, betrug die Flugzeugproduktion in den beiden Ländern: 1940 1941 1942 Deutschland 10.825 10.775 15.550 Großbritannien 15.050 20.100 23.670 9 In den fünfeinhalb Jahren von 1940 bis zum Ende des Krieges gegen Japan im August 1945 wurden in den USA 304.000 Kriegsflugzeuge aller Typen hergestellt, darunter eine große Zahl
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von viermotorigen „fliegenden Festungen“. Die Flugzeugproduktion erreichte 1943 mit 86.000 Maschinen ihren höchsten Stand (Carr, Seite 257). Zum Vierjahresplan und seiner Vorgeschichte siehe Dieter Petzina: „Autarkiepolitik im Dritten Reich. Der nationalsozialistische Vierjahresplan“, Stuttgart 1969. Eberhard Neukirch, „Die Entwicklung des Leichtmetallausbaus unter besonderer Berücksichtigung der Zeit des großdeutschen Freiheitskampfes ab 1939“, Seite 63. Neukirchs Manuskript aus dem Jahr 1943 ist die wichtigste Quelle für die historische Forschung über die Aluminiumindustrie im Dritten Reich. Es ist zum größten Teil erhalten und wird im Bundesarchiv in Berlin verwahrt (R 3112 – Reichsamt für Wirtschaftsausbau). Aufschlussreich ist die Argumentation des Vorstandsvorsitzenden der VAW, Dr. Ludger Westrick, in seinem Schreiben vom 4. 9. 40 an das Reichswirtschaftsministerium, mit der er seine Forderung nach einer Beteiligung der VAW am Ausbau der norwegischen Aluminiumindustrie begründete: „Die deutsche Aluminiumindustrie hat seit 1933 die Durchführung aller von den zuständigen Stellen vorgelegten Ausbaupläne ohne jegliches Zögern übernommen, und zwar auch dann, wenn die Aufgaben wirtschaftlich keinen Anreiz boten. Infolgedessen hoffen die deutschen Aluminiumhütten aber auch, auf ihre Einschaltung rechnen zu dürfen, wenn es sich darum handelt, Aufgaben zu übernehmen, die wirtschaftlich interessant sind“ (zitiert nach Petrick, „Leichtmetallausbau Norwegen“, Seite 82). Einen Überblick gibt Engelbert Klein in seinem Artikel: „Die gewerblichen und marktregelnden Organisationen der deutschen Metallindustrie“ im Jahrbuch der Metalle 1942, Seite 307 ff. Zur Neuordnung des industriellen Organisationswesens siehe auch Werner Sörgel, a.a.O., Seite 26 ff. Die Familie Netter hatte das Aktienpaket und andere Vermögenswerte schon 1932 auf eine Schweizer Gesellschaft übertragen. Die VAW soll für die 50 %ige Beteiligung an der Rebag einen Kaufpreis von 800.000 Schweizer Franken gezahlt haben, der auf ein Bankkonto der Verkäufer in der Schweiz überwiesen wurde. In einem separaten Abkommen verzichtete die Firma Wolf Netter auch auf das ihr zustehende Alleinverkaufsrecht für die Erzeugnisse der Rebag (Rebag-Geschichte, Seite 55). Rauh, Seite 214, Fußnote 718, berichtet über ein Gespräch Westricks mit der AIAG im Juli 1941 über Abmachungen, „wie bei Eintritt des Friedenszustandes die enorme Metallmenge, die das kontinentale Europa erzeugt, untergebracht werden könne, ohne dass ein Kampf der Großproduzenten entsteht“ (AIAG Dir.Prot. v. 17. 7. 1941). Zur Finanzierung der Investitionen siehe VAW-Geschichte V, Seite 50 ff und VI, Seite 37 f. VAW forderte die Staatshilfe für den Ausbau von Lauta und Schwandorf mit dem Argument, man werde vom Staat gezwungen, wirtschaftlich unrentable „Schattenfabriken“ zu errichten (Neukirch, Seite 140). Auch die Erweiterung des Tonerdewerkes der Gebr. Guilini in Ludwigshafen in den Jahren 1940/1941 wurde durch einen staatlich verbürgten Kredit finanziert. Die im Familienbesitz stehende Gesellschaft wäre nicht in der Lage gewesen, den von den Reichstellen geforderten Bau einer neuen Tonerdefabrik nach dem Bayer-Verfahren aus eigener Kraft zu finanzieren (Guilini-Chronik, Seite 731 ff). „Der gläserne Riese. RWE – ein Konzern wird transparent“, Seite 123. Zu den Engpässen bei der Energieversorgung siehe auch Neukirch, Seite 130 ff. Zur Ankurbelung der Wirtschaft nach 1933: Hardach, Seite 68 ff. MG-Statistik, 40. Jg. (1929–1938). Angaben zu den Aluminiumimporten bei Neukirch, Seite 43 und Seite 52. Neukirchs Zahlen weichen von denen der MG-Statistik ab, die sich nur auf Hüttenaluminium beziehen, während Neukirch auch Bruchmetall einbezieht. Die Zeitschrift ALUMINIUM 1935, Seite 20 ff, gibt eine Übersicht über die von der Überwachungsstelle erlassenen Verwendungsverbote, Ausfuhr- und Einfuhrkontrollen und anderen Maßnahmen.
169 22 Siehe Neukirch, Seite 44 ff. 23 Ende 1934 bestanden etwa ein Drittel der Hochspannungsleitungen im Deutschen Reich aus Aluminiumseilen, wobei als Leiterwerkstoff ganz überwiegend Reinaluminium verwendet wurde, während Stahl-Aluminium-Seile und Seile aus der von der AIAG entwickelten Aldrey-Legierung damals erst vereinzelt zur Anwendung kamen (ALUMINIUM 1935. 707). 24 Siehe den historischen Rückblick bei H. Sunderhauf: „Die Verwendung von Aluminium in der Kabeltechnik“ in ALUMINIUM 1969.111. 25 Rebag-Geschichte, Seite 27 f. Die Exportförderung löste Proteste der AAC aus und brachte den deutschen Folienunternehmen in den USA ein Zollstrafverfahren wegen Dumping ein. 26 Zum Export von Flugzeugblechen: Rudolf Afflerbach: „Hargita“, Biographie im Eigenverlag, Seite 81 ff. Afflerbach wurde 1939 bei den Dürener Metallwerken als Exportleiter eingestellt. 27 Zu den damals schon existierenden Flugzeugwerken (unter ihnen so klangvolle Namen wie Junkers, Messerschmitt, Dornier und Heinkel) traten nach 1933 neue Hersteller wie Blohm & Voss, Henschel, Weser und Siebel hinzu. 28 Zur Entwicklung der deutschen Flugzeugindustrie nach dem Ersten Weltkrieg siehe das grundlegende Buch von Lutz Budrass: „Flugzeugindustrie und Luftrüstung in Deutschland 1918– 1945“, Düsseldorf 1998. Ihm folgt die nachstehende Darstellung. 29 Zur Wehrmachtsquote und ihre Verteilung: Georg Thomas, „Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft 1918–1943/45“. Thomas war bis zu seiner Ablösung im Jahr 1943 Chef des Rüstungsamtes beim OKW. Sein Manuskript wurde 1966 von Wolfgang Birkenfeld herausgegeben. 30 Siehe hierzu die Artikel von Wegner: „Zur Entwicklung der Aluminiumbewirtschaftung“ und Schultes: „Das Verfahren der Leichtmetallverteilung“ im Jahrbuch der Metalle 1942, Seite 329 ff. 31 Laut MG-Statistik wurden 1938 weltweit 505.000 Tonnen Hüttenaluminium verbraucht. Davon entfielen 172.500 Tonnen = 34 % auf Deutschland. 1939 betrug der deutsche Anteil noch 30 %. 32 Zum Ausbau der Aluminiumindustrie in den USA und in Kanada: Carr, Seite 257. – Campbell, Global Mission I, Seite 249 ff.
8. Kapitel Der Ausbau der Kapazitäten
8.1 Aluminiumhütten und Umschmelzwerke Die VAW hatte während der Weltwirtschaftskrise ihre Hüttenproduktion schrittweise zurückgefahren und die Kapazitätsausnutzung auf dem Tiefpunkt der Krise sogar noch unter die von der AAC für 1933 festgelegte Produktionsquote von fünfzig Prozent reduziert. Das gab ihr jetzt die Möglichkeit, schnell auf die veränderte Marktlage zu reagieren und ihre Produktion kurzfristig durch Zuschaltung der während der Krise stillgelegten Elektrolyseanlagen zu erhöhen. Innwerk und Lautawerk produzierten schon zu Beginn des Jahres 1934 mit voller Kapazität. Das auf dem Höhepunkt der Krise völlig abgeschaltete Erftwerk in Grevenbroich wurde 1934 wieder in Betrieb genommen und erreichte die Vollauslastung im folgenden Jahr. Für Lautawerk und Erftwerk war es das erste Mal seit ihrer Errichtung im Ersten Weltkrieg, dass die ursprünglich geplante Zielkapazität von 9.000 bzw. 12.000 Jato in vollem Umfange genutzt werden konnte. Spätestens zur Jahreswende 1933/1934 war abzusehen, dass die vorhandenen Kapazitäten nicht ausreichen würden, um den sprunghaft steigenden Bedarf zu befriedigen. Für die VAW bot sich an, als erstes die Elektrolysen in Grevenbroich und Lauta auszubauen, da an diesen beiden Standorten der benötigte Strom relativ kurzfristig von den benachbarten Braunkohlewerken des RWE bzw. der Mitteldeutschen Kraftwerke bezogen werden konnte. Durch die stufenweise Erweiterung der beiden Werke konnten die Kapazitäten im Erftwerk von 12.000 auf 23.000 Jato fast verdoppelt, im Lautawerk von 9.000 auf 32.000 Jato sogar mehr als verdreifacht werden. Dazu kam das Innwerk mit einer Kapazität von 12.000 Jato, so dass die VAW Anfang 1936 in ihren drei Werken über eine Gesamtkapazität von 68.000 Tonnen pro Jahr verfügte. Damit war man freilich noch weit von dem Kapazitätsniveau entfernt, das die NaziFührung für die Gesellschaft vorgesehen hatte. Man entschloss sich daher zu einem weiteren Ausbau des Lautawerkes, dessen Kapazität bis 1938 nochmals um 20.000 Tonnen auf nunmehr 52.000 Jato erweitert wurde. Das Stammwerk der VAW wurde damit zur größten Aluminiumhütte in Europa, die für sich allein fast so viel Aluminium erzeugen konnte, wie sämtliche französische Hütten zusammen genommen. Damit
172 nicht genug, machte sich die VAW jetzt auch an den Ausbau des Innwerkes, den man wegen der damit verbundenen Großinvestition in die Wasserkraft zunächst zurückgestellt hatte. Das Innwerk wurde bis 1939 in mehreren Stufen von 12.000 auf 45.000 Tonnen Jahresleistung ausgebaut 1. Die bisher geschilderten Erweiterungsmaßnahmen an den Standorten Lauta, Grevenbroich und Töging reichten indessen nicht aus, um die ehrgeizigen Ziele des Vierjahresplanes von 1936 zu erfüllen. Vor die Entscheidung gestellt, entweder eines oder mehrere der bestehenden Werke weiter auszubauen oder zusätzliche Kapazitäten an einem anderen Standort zu errichten, entschied sich die VAW für den Bau einer Hütte „auf der grünen Wiese“. Als Standort wurde Lünen in Westfalen ausgewählt, wo die Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen ein großes Steinkohlekraftwerk errichteten, das die Stromversorgung der Hütte übernehmen sollte. Den Ausschlag zugunsten von Lünen gab die staatliche Forderung, neue Hüttenkapazitäten aus Gründen der Risikostreuung außerhalb der bestehenden industriellen Ballungsgebiete zu errichten. Dass der Steinkohlestrom, der hier erstmals in der Geschichte der Aluminiumindustrie zur Energieversorgung einer Großelektrolyse eingesetzt wurde, wesentlich teurer sein würde als Braunkohlestrom oder gar Wasserkraft, wurde bewusst in Kauf genommen. Das „Lippewerk“ – nach dem unweit von Lünen verlaufenden Lippefluss benannt – wurde für eine Produktionsleistung von 22.000 Jato ausgelegt. Die Kapazität sollte in absehbarer Zeit verdoppelt werden. Nach einjähriger Bauzeit wurde die Elektrolyse im September 1938 angefahren. Dem Bau der VAW-Hütte in Lünen waren Verhandlungen zwischen den deutschen Hüttenproduzenten über die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens vorausgegangen, das eine Aluminiumhütte samt angeschlossener Tonerdefabrik mit einer Anfangskapazität von 20.000 Jato Aluminium und 50.000 Jato Tonerde errichten sollte. An der Gesellschaft sollten die VAW mit 69 Prozent, das MG/IG Farben-Konsortium mit 17 Prozent und die AIAG mit 14 Prozent beteiligt werden. Das von den staatlichen Behörden initiierte Projekt zerschlug sich jedoch, da weder die AIAG noch das Konsortium bereit waren, sich auf die Rolle von bloßen Kapitalgebern beschränken zu lassen 2. Nach der Fertigstellung der Elektrolyse in Lünen verfügte die VAW über vier Hüttenwerke mit einer Nennkapazität von insgesamt 142.000 Jato (Stand Ende 1939). Sie war jetzt mit Abstand der größte Hüttenproduzent in Europa und wurde in ihrer Produktionsleistung nur von der Alcoa in den USA übertroffen. Die technische Ausrüstung der VAW-Hütten entsprach weitgehend den Anforderungen moderner Elektrolysetechnik3. Nur die aus der Zeit vor 1933 stammenden Elektrolyseanlagen waren noch mit Kleinöfen ausgerüstet, die eine Stromstärke von maximal 13.000 bis 15.000 Ampere zuließen. Bei den nach 1933 errichteten Anlagen ging man generell zu 30.000 Ampere-Öfen über, die einen geringeren Stromverbrauch und Bedienungsaufwand hatten. In allen Erweiterungsbauten wurden Quecksilberdampfgleichrichter installiert, nachdem sich diese Neuentwicklung im Erftwerk bewährt hatte. Bisher war die Gleichrichtung des Stroms über Motorgeneratoren erfolgt. Einen völlig neuen Weg
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Abb. 23: Söderberg-Öfen im Werk Ranshofen (Nachkriegsbild)
beschritt man beim Bau des Lippewerkes in Lünen. Hier wurde erstmals das bisherige System der offenen Elektrolyseöfen mit vorgebrannten Einzelanoden verlassen und stattdessen das Söderberg-System mit geschlossenen Öfen und selbstbackenden Anoden eingeführt 4. Auch das Ofenhaus III im Innwerk wurde 1938 mit SöderbergÖfen ausgestattet. Von der neuen Ofentechnologie versprach man sich eine deutliche Verringerung des spezifischen Stromverbrauchs und eine höhere Metallausbringung. Außerdem herrschten im Ofenhaus wegen des geschlossenen Baus der Söderberg-Öfen bessere Arbeitsbedingungen (weniger Hitze und Rauch). Die Berechtigung zur Nutzung des patentrechtlich geschützten Söderberg-Systems hatte die VAW 1937 von der Patentinhaberin „Det Norske Aktieselskab for Elektrokemisk Industri“ in Oslo erworben. Mit der AIAG, die in ihren Hütten bereits praktische Erfahrungen mit dem neuen System gesammelt hatte, wurde im Februar 1938 ein Vertrag über technische Unterstützung geschlossen. Auch die beiden kleineren deutschen Produzenten beteiligten sich mit ihren Anlagen am Ausbau der deutschen Aluminiumerzeugung. In der Hütte des MG/IG FarbenKonsortiums in Bitterfeld wurden kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zwei weitere Ofenhallen mit einer Kapazität von je 4.200 Jato errichtet. Auch diese Hallen waren mit dem in Bitterfeld entwickelten 30.000 Ampere-Ofen ausgerüstet, der erstmals 1929 in der Ofenhalle 2 zum Einsatz gekommen war und sich dort
174 gut bewährt hatte. Die auf 17.000 Jato erhöhte Produktionskapazität des Werkes war bereits 1936 voll ausgelastet. Nach dem Inkrafttreten des Vierjahresplans im September 1936 ging der Ausbau mit unvermindertem Tempo weiter. Die Anforderungen der staatlichen Planungsinstanzen führte zur Errichtung eines zweiten Aluminiumwerkes am Standort Bitterfeld mit weiteren vier Ofenhallen, die in den Jahren 1937 bis 1939 sukzessive den Betrieb aufnahmen. Ende 1939 erreichte die Gesamtkapazität der beiden Teilbetriebe 38.000 Jato. Während die Elektrolyse im alten Werk I noch mit offenen Blockzellen ausgerüstet war, bestand die Anlage im Werk II aus geschlossenen Öfen mit kontinuierlich arbeitenden Söderberg-Elektroden, die mit einer Belastung von über 30.000 Ampere gefahren wurden. In einer Jubiläumsschrift aus dem Jahr 1966 anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Hütte wird berichtet, dass die Söderberg-Anlage 1943 bei einer Stromausbeute von 85,6 Prozent einen spezifischen Energieverbrauch von 18,4 kWh/kg Aluminium erreichte. Damit dürfte das Werk zu den damals leistungsfähigsten Elektrolysebetrieben in Europa gehört haben5. Die AIAG nutzte die Gunst der Stunde, um den schon lange geplanten Ausbau ihrer Hütte in Rheinfelden zu verwirklichen. Wie wir uns erinnern, war die Erweiterung der Elektrolyse über viele Jahre an der starren Haltung der deutschen Behörden gescheitert, die auf Veranlassung der VAW die erforderliche staatliche Genehmigung verweigerten. Erst 1930 war es der AIAG nach langen Bemühungen gelungen, mit Hilfe der Schweizer Bundesregierung die behördliche Zustimmung zu einer Kapazitätserweiterung auf 4.400 Jato zu erhalten. Nach dem Regierungsantritt Hitlers im Januar 1933 trat ein völliger Umschwung der bisherigen Lage ein. Die neuen Machthaber erwarteten von der AIAG einen substantiellen Beitrag zu ihrem Ausbauprogramm. Den Schweizern scheint es nicht schwer gefallen zu sein, sich auf die neue Situation einzustellen. Bedenken hatte man allenfalls in Bezug auf das Tempo der Expansion, das angesichts der weltweit noch immer bestehenden Überkapazitäten riskant erschien6. Später hat die AIAG selbst das Tempo forciert. Wie sie in ihrer Unternehmensgeschichte schreibt, erhielt sie 1935 innerhalb von sieben Tagen die Genehmigung der deutschen Behörden, die Produktionskapazität der Hütte in Rheinfelden von 6.500 Jato (die 1934 erreicht worden waren) auf 13.000 Jato zu verdoppeln. Mitte 1936 konnten die drei neuen Ofenhallen nach achtmonatiger Bauzeit in Betrieb genommen werden (Werk II). Noch im Herbst desselben Jahres wurde auf einem weiter östlich liegenden Teil des Fabrikgeländes mit dem Bau des Werkes III begonnen, dessen erste Ausbaustufe mit einer Kapazität von ca. 10.000 Tonnen am 9. Juli 1938 fertig gestellt wurde. Werk II und Werk III waren mit modernsten Söderberg-Öfen ausgerüstet, die mit einer Stromstärke von maximal 44.000 Ampere gefahren werden konnten. In weniger als acht Jahren hatte sich die Produktionskapazität der Hütte in Rheinfelden von 2.400 auf 23.000 Jato fast verzehnfacht. Dieses rasche Wachstum ging allerdings auf Kosten der industriellen Unabhängigkeit. 1939 stammten nur noch dreizehn Prozent des benötigten Stroms aus den konzerneigenen Turbinen der Rheinzentrale. Die restliche Energie lieferte das Badenwerk.
175 Mit dem Herannahen des Krieges verstärkte sich der staatliche Druck auf die Industrie, ihre Kapazitäten noch schneller und noch stärker als bisher geplant zu erweitern. Eine wichtige Rolle beim weiteren Ausbau der Hüttenkapazitäten spielte die neue „Reichsstelle für Wirtschaftsausbau“, die im Frühjahr 1938 die Aufgaben des Amtes für deutsche Roh- und Werkstoffe übernahm, mit dessen Arbeit Göring nicht zufrieden war. Zu den führenden Persönlichkeiten der neuen Behörde zählte der Vorstandsvorsitzende des IG-Farben-Konzerns, Prof. Dr. Carl Krauch, der in seiner Eigenschaft als „Generalbevollmächtigter für Sonderfragen der chemischen Erzeugung“ für eine Reihe von wehrwirtschaftlich besonders wichtigen Bereichen der chemischen Erzeugung verantwortlich war. Neben Pulver und Sprengstoffen, Treibstoffen und Buna fielen auch die Leichtmetalle Aluminium und Magnesium in seinen Zuständigkeitsbereich. Zum Leiter der Abteilung Leichtmetalle in der Reichstelle (später Reichsamt) für Wirtschaftsausbau wurde der ebenfalls aus dem IG-Farben-Konzern stammende Eberhard Neukirch ernannt, den wir in einem früheren Kapitel als Autor der Abhandlung „Die Entwicklung des Leichtmetallausbaus unter besonderer Berücksichtigung der Zeit des großdeutschen Freiheitskampfes ab 1939“ kennen gelernt haben. Krauch und seine Mitarbeiter waren nur für den Ausbau des Hüttenbereiches und die Versorgung der Hütten mit den erforderlichen Vorstoffen zuständig, die man nach dem damaligen Sprachgebrauch der Chemie zuordnete. Der Ausbau der Verarbeitungskapazitäten oblag dagegen dem Reichswirtschaftsministerium in Zusammenarbeit mit der Wehrmacht und der Wirtschaftsgruppe NE-Metall-Industrie. Wie aus einem Bericht Neukirchs hervorgeht, fehlte es noch bis kurz vor Kriegsbeginn an einer engen Koordination zwischen diesen Stellen und der für die Aluminiumerzeugung zuständigen Vierjahresplan-Behörde. Die neu geschaffene Reichsstelle für den Wirtschaftsausbau übernahm vom Amt für Deutsche Roh- und Werkstoffe den 1936/1937 aufgestellten und seither mehrfach fortgeschriebenen Ausbauplan für die deutsche Aluminiumindustrie, in dem eine Erweiterung der Hüttenkapazität bis Ende 1940 auf 256.800 Tonnen Aluminium pro Jahr vorgesehen war 7. Der bis 1938 erreichte Stand des Kapazitätsausbaus blieb nicht unerheblich hinter dieser Planung zurück. Außer der Erweiterung der bestehenden Werke und dem Neubau in Lünen hatte man die Errichtung von zwei völlig neuen Aluminiumhütten mit einer Kapazität von je 25.000 Jato geplant, die bisher nur auf dem Papier standen. Ohne die als „Werk I“ und „Werk II“ bezeichneten neuen Hütten konnte bis 1940 bestenfalls mit einer Produktionskapazität von rund 200.000 Jato gerechnet werden. Bei einer Analyse des Wehrmachtsbedarfes im Sommer 1938 stellte sich überdies heraus, dass der Mobilisierungsfall bisher nicht ausreichend berücksichtigt worden war. Nach den Berechnungen der Wehrmacht belief sich der so genannte Mob-Bedarf auf 312.000 Tonnen Hütten- und Umschmelzaluminium pro Jahr. Davon waren 268.000 Tonnen für den Bedarf der Wehrmacht und 44.000 Tonnen für den gedrosselten Bedarf der zivilen Wirtschaft einschließlich des Exports vorgesehen. Bei der Bedarfsdeckung ging man davon aus, dass zwischen 30.000 und 55.000 Tonnen
176 Umschmelzaluminium aus dem Schrottrücklauf zur Verfügung stehen würden. Für den Ausbau der Hüttenaluminiumerzeugung wurde daher als neues Ziel eine Produktionskapazität von 260.000 bis 280.000 Jato ins Auge gefasst, die bis zum Jahr 1942 bereitstehen sollte. Die Produktion von Magnesium sollte im selben Zeitraum auf 36.000 Jato erhöht werden. wovon man sich eine Verringerung des Aluminiumbedarfs versprach. Die neuen Planungsüberlegungen fanden ihren Niederschlag in dem „Wehrwirtschaftlichen neuen Erzeugungsplan“ vom 12. Juli 1938, der nun zur Richtschnur für den weiteren Ausbau der Aluminium- und Magnesiumerzeugung wurde 8. Unmittelbar nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 stellte das Reichswirtschaftsministerium erste Ermittlungen zur Aufstellung eines Vierjahresplans für das „Land Österreich“ an. Als eine der vordringlichsten Maßnahmen wurde der Bau von zwei Aluminiumhütten mit einer Kapazität von 15.000 bzw. 25.000 Jato auf der Basis von Wasserkraft empfohlen. Eine Tonerdefabrik mit ca. 100.000 Jato Kapazität sollte in der Nähe von Wien an der Donau errichtet werden. Wie wir noch sehen werden, wurden diese zunächst nicht weiter verfolgten Pläne während des Krieges wieder aufgenommen. Dem sofortigen Zugriff der nationalsozialistischen Wirtschaftsplaner unterlagen das österreichische Zweigwerk der AIAG in Lend und die Aluminiumhütte der Österreichischen Kraftwerk AG (vormals Stern & Hafferl) in Steeg. Von den beiden Elektrolysen kam nur Lend für eine Erweiterung in Betracht. Im Wehrwirtschaftlichen Erzeugungsplan war die Hütte an der Salzach mit einer Kapazität von 5.000 Jato eingeplant. Tatsächlich hat die AIAG durch den Einsatz beträchtlicher Mittel in den Ausbau der Elektrolyse und der Kraftwerksanlagen die Kapazität des Werkes in den Jahren 1939/1940 von etwa 3.000 Jato auf fast 8.000 Jato gesteigert. Für die Werkserweiterung wurden Söderberg-Öfen verwendet, die mit einer Stromstärke von maximal 20.000 Ampere belastet werden konnten 9. Die Hütte in Steeg erreichte 1940 mit einer Produktion von 2.100 Tonnen die Kapazitätsgrenze. Im Juni 1943 wurde die unwirtschaftlich arbeitende Anlage auf Weisung der Reichsstellen stillgelegt 10. Von größerer Bedeutung für die nationalsozialistische Wirtschaftsplanung war der Neubau eines Hüttenwerkes am Inn, mit dem die staatlichen Stellen die VAW beauftragten. Unter Ausnutzung der Wasserkraft des Inns sollte auf dem Gelände des Schlossgutes Ranshofen bei Braunau auf der österreichischen Seite des Inns eine für damalige Verhältnisse riesige Elektrolyse entstehen. In der Endstufe sollte die Hütte eine Kapazität von über 100.000 Jato erreichen, womit sie sogar die Aluminiumhütten der Alcoa in den USA überflügelt hätte. Der Wehrwirtschaftliche Erzeugungsplan setzte allerdings bescheidenere Ziele. Die Produktion der Hütte in Ranshofen (die wegen ihrer Lage am Ausgang des Mattigtales die VAW-interne Bezeichnung „Mattigwerk“ erhielt) sollte danach im Jahr 1941 ca. 22.000 Tonnen erreichen und im folgenden Jahr auf rund 33.000 Tonnen gesteigert werden11. Mit dem Bau der ersten Ausbaustufe des Hüttenwerkes wurde im Frühjahr 1939 begonnen. Nach Kriegsausbruch wurde das für die deutsche Kriegswirtschaft wichtige Bauvorhaben mit höchster
177 Dringlichkeit vorangetrieben. Nach knapp zweijähriger Bauzeit konnten die beiden ersten Ofenhäuser mit einer Kapazität von je 10.800 Jato Ende 1940/Anfang 1941 in Betrieb genommen werden. Weitere drei Ofenhäuser mit derselben Kapazität folgten in den Jahren 1942 und 1943. Ihre Inbetriebnahme verzögerte sich um jeweils sieben bis zehn Monate, da nicht genügend Tonerde zur Verfügung stand. Auch die Stromversorgung der neuen Hütte bereitete anfangs Probleme. Das Wasserkraftwerk in Ering, das eigens für die Versorgung der Elektrolyse in Ranshofen errichtet wurde, kam verspätet in Betrieb und konnte die Hütte erst ab 1942 mit kostengünstigem Wasserstrom beliefern. Zur Überbrückung musste die Hütte zunächst über die Nord-Süd-Leitung mit Kohlestrom aus den mitteldeutschen Dampfkraftwerken versorgt werden. Bei Kriegsende war im Werk Ranshofen eine Aluminiumkapazität von 53.500 Jato installiert. Die höchste Produktion wurde 1944 mit 45.000 Tonnen erreicht. Zum Bau der zweiten Ausbaustufe kam es erst nach dem Ende des Krieges, nachdem die Hütte auf den österreichischen Staat übergegangen war. Im alten Reichsgebiet ging der Ausbau der Hüttenkapazitäten nach Kriegsausbruch zunächst in unvermindertem Tempo weiter. Die VAW nahm in Lauta und im Lippewerk (Lünen) in den ersten Kriegsjahren weitere Ofenhäuser in Betrieb und erhöhte dadurch die Kapazitäten der dortigen Hütten um jeweils 10.800 Jato auf 62.000 Jato bzw. 33.500 Jato. Einen Kapazitätszuwachs von ca. 11.000 Jato brachte die Inbetriebnahme des neuen Zweigwerkes des MG/IG Farben-Konsortiums in Aken an der Elbe, das wie das Stammwerk in Bitterfeld von der Aluminiumwerke Bitterfeld GmbH betrieben wurde. Da ein weiterer Ausbau am Standort Bitterfeld aus räumlichen Gründen nicht möglich war, hatte man sich für einen Neubau in dem nahe gelegenen Aken Tabelle 9: Ausbau der deutschen Aluminium-Hüttenkapazitäten 1933–194412 1.000 t
1933
1936
1939
1941
1944
9 12 12 – –
32 23 13 – –
52 23 45 22 –
62 23 45 22 22
62 20 45 33 53
33
68
142
174
213
8 –
17 –
34 –
38 –
38 11
8
17
34
38
49
Rheinfelden Lend
5 3
14 3
23 3
25 8
34 8
AIAG
8
17
26
33
42
1 –
2 –
2 5
2 8
– 8
50
104
209
255
312
Lauta Grevenbroich Töging Lünen Ranshofen VAW Bitterfeld Aken MG/IG Farben
Steeg Silumin Gesamt
178 entschieden. Die Hütte in Aken – mit einer Nennkapazität von nur 11.000 Jato die kleinste deutsche Aluminiumelektrolyse – nahm 1942 den Betrieb auf und produzierte bis zum Kriegsende bei voller Kapazitätsauslastung13. Auch die AIAG wollte sich den Anforderungen der deutschen Stellen nicht verweigern, die auf einem weiteren Ausbau der Hütte in Rheinfelden bestanden. Aus Sorge vor Nachteilen in der Zeit nach dem Krieg wollte man sich nicht dem Vorwurf aussetzen, man habe die Kriegsanstrengungen der deutschen Wirtschaft nicht ausreichend unterstützt. Mit Billigung der Schweizer Zentrale wurde die Kapazität von Rheinfelden nach Kriegsbeginn von 23.000 auf 29.000 Jahrestonnen erweitert. Wegen Energie- und Tonerdemangels konnte die zusätzliche Kapazität allerdings erst 1944 voll genutzt werden. Ein weiterer Schritt folgte in den Jahren 1942 bis 1944 mit dem Ausbau der Hütte auf eine vorläufige Endkapazität von 34.000 Jato, die aber in den Wirren der letzten Kriegszeit nicht mehr zum Tragen kam14. Mit rund 300.000 Tonnen erreichte die Produktionskapazität der deutschen Aluminiumhütten 1943/1944 ihren höchsten Stand. Einem weiteren Ausbau der Hüttenkapazitäten im Reichsgebiet stand vor allem das unzureichende Angebot an Energie entgegen. Einen Ausweg aus dieser Lage sah die deutsche Führung in der Errichtung neuer Hütten in den von Deutschland besetzten Gebieten und im befreundeten Ausland, über die wir in einem der nächsten Kapitel berichten werden. Eine wachsende Bedeutung für die Aluminiumversorgung gewannen im Laufe des Krieges die Umschmelzwerke, die den in immer größeren Mengen anfallenden Aluminiumschrott aufarbeiteten15. Auf dem Umschmelzsektor hatte sich bisher eine Vielzahl von meist kleineren Betrieben betätigt, die die Anforderungen der Verbraucher an die Qualität der Legierungen nicht durchweg erfüllten, wodurch das Sekundäraluminium zunehmend in Misskredit geraten war. Das änderte sich erst, nachdem sich die Schmelzbetriebe 1940 unter dem Druck des Reichswirtschaftsministeriums zu der „Vereinigung der deutschen Aluminium-Schmelzwerke e.V.“ zusammenschlossen, unter deren Ägide die Zahl der zugelassenen Umschmelzlegierungen drastisch reduziert wurde. Für die verbliebenen Legierungen wurden verbindliche Qualitätsstandards eingeführt16. Auf Veranlassung der staatlichen Stellen gaben auch VAW und Bitterfeld ihre bisherige Zurückhaltung auf dem Gebiet der Schrottverarbeitung auf. In Lauta, Grevenbroich und Bitterfeld entstanden große Umschmelzwerke, die hauptsächlich für die Verarbeitung von Flugzeugschrott bestimmt waren. Das 1943 in Grevenbroich errichtete Umschmelzwerk der VAW hatte eine Anfangskapazität von 4.000 Jato, die bereits im folgenden Jahr auf 12.000 Jato erweitert wurde. In Lauta hatte die VAW schon kurz nach Kriegsbeginn ein Umschmelzwerk mit einer Kapazität von 7.200 Tonnen errichtet. Die größte Schrottregenerierungsanlage auf deutschem Boden entstand in Bitterfeld, deren Kapazität in der ersten Ausbaustufe auf 18.000 Jato ausgelegt war. Ein weiterer Ausbau der Anlage auf 36.000 Jato war bis 1944 geplant, kam aber nicht mehr zustande. Auch Halbzeughersteller beteiligten sich am Aufbau der Sekundärindustrie. Das galt vor allem für die Dürener Metallwerke, die in ihren Konzernbetrieben Wuppermetall (Barmen), Havelschmelze (Berlin) und Elbtalschmelze (Dresden)
179 etwa 20.000 Tonnen Umschmelzaluminium pro Jahr produzierten. Auch in Rackwitz wurde neben dem dortigen Halbzeugwerk ein großer Umschmelzbetrieb errichtet. Nach der Planung des Reichsamtes für Wirtschaftsausbau sollten 1944 Umschmelzkapazitäten von 180.000 bis 190.000 Tonnen zur Verfügung stehen17. Die Ist-Kapazität dürfte nicht unwesentlich hinter dieser Planzahl zurückgeblieben sein. Mit knapp 150.000 Tonnen erreichte die Produktion der deutschen Umschmelzwerke 1944 ihren höchsten Stand 18. Während des Krieges wurden neue Verfahren und Anlagen entwickelt, die die Schrottverarbeitung revolutionierten. Dabei ging es hauptsächlich um die Aufbereitung von Flugzeugschrott, der nach Kriegsausbruch immer reichlicher zur Verfügung stand. Die Luftwaffe hatte schon 1940 damit begonnen, veraltete Flugzeuge zu verschrotten. Mit der Intensivierung des Luftkriegs nahm die Zahl der über dem Reichsgebiet abgestürzten Flugzeuge im Laufe des Krieges rapide zu. In den letzten Kriegsjahren fielen bis zu 60.000 Tonnen Flugzeugschrott pro Jahr an, der wieder eingeschmolzen und zu Halbzeug und Gussprodukten verarbeitet werden konnte. Sortierter Flugzeugschrott konnte von den Halbzeugwerken auch ohne Einschaltung der Umschmelzhütten direkt zur Herstellung von Pressbarren verwendet werden. Für die Verarbeitung anderer Schrotte wurden so genannte Schrottauffanglegierungen entwickelt, die eine höhere „Latitude“ in Bezug auf den Fremdmetallgehalt aufwiesen 19. In den Labors von VAW und Bitterfeld wurde an Verfahren gearbeitet, die die Gewinnung von verhältnismäßig reinem Aluminium erlaubte, ohne dass der Schrott zuvor sortiert werden musste. Versuche der VAW mit dem so genannten Dreischichtverfahren zur Reinstelektrolyse von Hüttenaluminium führten zu keinem befriedigenden Ergebnis20. Erfolgreicher waren die Versuche in Bitterfeld, wo es einer Arbeitsgruppe gelang, Sekundärlegierungen aus Flugzeugschrott herzustellen, die den damals verfügbaren Primärlegierungen an Qualität nicht nachstanden. Bei dem nach dem Leiter der Arbeitsgruppe benannten Beck-Prozess wurde der geschmolzene, unsortierte Aluminiumschrott mit einer Schmelze aus Magnesiumschrott raffiniert. Das neue Verfahren brachte einen Grundstoff für eine Reihe von Werkstoffen hervor, die sich auch für den Flugzeugbau eigneten 21. Ein Sondergebiet der Aluminiumerzeugung betrifft die Herstellung von Silumin, das nach 1933 große Bedeutung erlangte. In einem früheren Kapitel haben wir über die Zusammenarbeit zwischen VAW und Metallgesellschaft bei Produktion und Vertrieb dieser Al-Si-Legierung berichtet. Nach dem Beginn der Aufrüstung stieg die Nachfrage nach Silumin sprunghaft an. Silumin wurde zum unverzichtbaren Vormaterial der deutschen Gießereiindustrie, die daraus vor allem Gussteile für die Luftfahrt- und Automobilindustrie fertigte. Da die Produktion in Horrem schon bald an die Kapazitätsgrenzen stieß, errichtete die VAW 1936 eine eigene Produktionsanlage im Lautawerk, deren Kapazität von zunächst 1.000 Jato schon 1938 auf 3.000 Jato und 1941 nochmals auf 6.400 Jato erweitert werden musste 22. Nach Kriegsausbruch schoss der Bedarf an Silumin-Fabrikaten weiter in die Höhe. Mit der Fertigstellung der zweiten
180 Ausbaustufe in Lauta standen in den beiden Werken Kapazitäten für die Herstellung von insgesamt etwa 9.500 Tonnen Vorlegierung zur Verfügung. Das entsprach einer Silumin-Produktion von knapp 30.000 Tonnen. Die Planungsbehörden gingen von einem weiteren Anstieg des Silumin-Bedarfs auf 45.000 Tonnen aus, wovon allein 30.000 Tonnen für die Luftwaffe vorgesehen waren23. Auf Veranlassung der Reichstellen begann die VAW Ende 1942 mit der Errichtung einer neuen Silumin-Fabrik in Pocking (Oberbayern) mit einer Kapazität von 3.600 Jato Vorlegierung in der ersten und weiteren 1.800 Jato in der zweiten Ausbaustufe. In Pocking sollte auch eine Silumin-Gießerei eingerichtet werden. Obwohl der Bau der Fabrik als kriegswichtiges Vorhaben eingestuft wurde, ging der Aufbau wegen Belieferungsschwierigkeiten mit Baumaterial und maschinellen Anlagen nur schleppend voran. Eine Produktion konnte bis zum Kriegsende nicht aufgenommen werden24. Offenbar hatte man auch den tatsächlichen Bedarf an Silumin weit überschätzt. Dieser erreichte 1943 mit 27.600 Tonnen seinen höchsten Stand im Krieg.
8.2 Die Rohstoffversorgung der Hütten Bei Beginn des Dritten Reiches gab es in Deutschland drei Tonerdewerke mit einer Gesamtkapazität von etwa 120.000 Tonnen: Die Oxidfabrik der VAW in Lauta (42.000 Jato), das Martinswerk der AIAG in Bensheim bei Köln (36.000 Jato) und die Anlage der Gebr. Guilini in Ludwigshafen (40.000 Jato). Der inländische Bedarf an Tonerde blieb zu diesem Zeitpunkt weit hinter der Kapazität dieser drei Werke zurück. Er hatte im Spitzenjahr 1929 etwa 70.000 Tonnen betragen und war in den Jahren der Weltwirtschaftskrise bis auf weniger als 40.000 Tonnen zurückgefallen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der deutschen Tonerdeproduktion ging daher in den Export. Nach der Machtübernahme durch die Nazis schlug die Überschusssituation jedoch schon bald in ihr Gegenteil um. Die Einfuhr von Tonerde aus dem Ausland war nach dem Willen der neuen Machthaber unerwünscht, wäre wohl auch daran gescheitert, dass die ausländische Konkurrenz weder bereit noch in der Lage gewesen wäre, den schnell wachsenden Bedarf der deutschen Hütten zu befriedigen. Für die deutsche Aluminiumindustrie ergab sich daraus die Notwendigkeit, parallel zum Ausbau der Aluminiumerzeugung auch die Tonerdekapazitäten so zu erweitern, dass eine vollständige Versorgung der deutschen Hütten aus heimischen Quellen sichergestellt war. Nach der Vierjahresplanung von 1936 sollte die Hüttenkapazität bis zum Jahr 1940 auf ein Niveau von 257.000 Jato gebracht werden. Um diese Kapazität nutzen zu können, wurden etwa 500.000 Tonnen Tonerde pro Jahr benötigt, die ebenfalls bis 1940 zur Verfügung stehen mussten. Dazu kam der Tonerdebedarf der Chemie, den man mit 45.000 Tonnen ansetzte (im Krieg auf 30.000 Tonnen reduziert), und eine kleinere Menge für die Herstellung von Silumin. Durch den Ausbau der bestehenden Tonerdewerke war das Ziel einer vollständigen Bedarfsdeckung nicht zu erreichen. Der Aus-
181 bauplan für die Aluminiumindustrie sah daher die Errichtung mehrerer neuer Oxidwerke vor, deren Standort bei der Verabschiedung des Planes im Jahr 1936 allerdings noch nicht bestimmt war 25. Die Hauptlast der Erweiterung trug auch hier die VAW, auf deren Hütten fast zwei Drittel des Gesamtbedarfs an Tonerde entfielen26. Die Gesellschaft hatte schon 1934 mit der Erweiterung ihrer Tonerdefabrik in Lauta begonnen, deren Kapazität bis zum Ende des Jahres 1937 in mehreren Schritten auf 95.000 Jato gebracht wurde. Beim Bau des Werkes in Lauta während des Ersten Weltkrieges hatte man sich für das PyrogenVerfahren entschieden, das sich besser für den Aufschluss der Bauxite minderer Qualität eignete, die der deutschen Industrie damals zur Verfügung standen. Da die VAW seit Anfang der 30er Jahre fast nur noch hochwertigen Bauxit aus Ungarn und Jugoslawien verarbeitete, entschied man sich bei der Erweiterung des Lautawerkes für das modernere Bayer-Verfahren. Da abzusehen war, dass die zusätzliche Oxidkapazität in Lauta allenfalls den Bedarf der Hütte am selben Standort decken würde, entschloss sich die VAW zum Bau eines neuen Tonerdewerkes in Schwandorf in Niederbayern. Für die Wahl des Standorts Schwandorf gab den Ausschlag, dass das lokale Braunkohlekraftwerk in der Lage war, die Energieversorgung der Tonerdefabrik zu übernehmen, sodass man auf den kostspieligen und zeitraubenden Bau eines eigenen Dampfkraftwerkes verzichten konnte. Ein weiterer Vorteil des Standorts Schwandorf war seine Anbindung an das Wasserstraßennetz, das eine Anlieferung des jugoslawischen und ungarischen Bauxits über die Donau ermöglichte. Das Tonerdewerk in Schwandorf, das VAW-intern unter der Bezeichnung „Nabwerk“ geführt wurde, hatte eine Kapazität von 65.000 Tonnen pro Jahr, die ab Frühjahr 1937 stufenweise in Betrieb genommen wurde. Wie bei der Erweiterung der Tonerdefabrik in Lauta entschied sich die VAW auch beim Bau der Anlage in Schwandorf für das Bayer-Verfahren. Eine weitere Tonerdefabrik wurde in Lünen als Teil des dortigen Hüttenkomplexes errichtet. Mit einer Kapazität von 42.000 Jato sollte dieses Werk den Bedarf der Hütte am selben Standort decken und mit einem Teil seiner Produktion das Erftwerk beliefern. Für die Energieversorgung der Fabrik stand ein eigenes Dampfkraftwerk auf Steinkohlebasis zur Verfügung. In Lünen wurde der größere Teil der Anlagen nach dem BayerVerfahren betrieben, für einen kleineren Teil verwendete man das Pyrogen-Verfahren. Mit der Fertigstellung des Tonerdewerkes in Lünen verfügte die VAW bei Kriegsausbruch über Tonerdekapazitäten von rund 200.000 Jato, womit der damalige Oxidbedarf der VAW-Hütten zu etwa siebzig Prozent gedeckt werden konnte. Für den restlichen Bedarf war die VAW auf Lieferungen der Gebr. Guilini und der AIAG angewiesen, deren Anlagen in Ludwigshafen und Bergheim/Erft nach 1933 ebenfalls ausgebaut wurden. Die AIAG hatte schon 1935 die Genehmigung für die Erweiterung des Martinswerkes auf 80.000 Jato erhalten, der in den folgenden Jahren weitere Erhöhungen bis auf eine Endstufe von 130.000 Jato folgten. Da die Produktion des Martinswerkes den Bedarf der konzerneigenen Hütte in Rheinfelden weit übertraf, standen beträchtliche Mengen für die Belieferung anderer deutscher Hütten zur Verfü-
182 gung. Mit der Erweiterung des Martinswerkes hat die AIAG wesentlich dazu beigetragen, dass die damals drohende Versorgungslücke bei Tonerde geschlossen werden konnte 27. Einen wichtigen Beitrag zur Oxidversorgung der deutschen Hütten leistete auch die Firma Guilini, die bei Kriegsausbruch mit einer Kapazität von 95.000 Jato fast ein Viertel der damaligen deutschen Tonerdekapazität repräsentierte28. Auch die neu errichteten Anlagen in Ludwigshafen wurden nach dem Pyrogen-Verfahren betrieben. Die Produktion des Werkes ging fast völlig an die VAW und an das MG/IG Farben-Konsortium für deren Werk Bitterfeld. Guilini hatte gehofft, dass man auch am Aufbau der deutschen Hüttenindustrie teilnehmen und endlich den seit Jahrzehnten gehegten Traum von der eigenen Hütte verwirklichen könne. Das Reichswirtschaftsministerium lehnte indessen alle diebezüglichen Anträge ab – vermutlich auf Betreiben der VAW, die sich einen unbequemen Wettbewerber vom Hals halten wollte 29. Für Guilini war es ein schwacher Trost, dass man sich wenigstens wegen des Absatzes der Tonerdeproduktion keine Sorgen zu machen brauchte. Im August 1939 verfügte die deutsche Aluminiumindustrie in den drei Tonerdewerken der VAW in Lauta, Lünen und Schwandorf und in den beiden Werken von AIAG und Guilini in Bergheim/Erft und Ludwigshafen über Produktionskapazitäten von insgesamt 425.000 Jato. Diese Kapazitäten wurden voll ausgefahren und reichten gerade aus, um den damaligen Oxidbedarf der deutschen Hütten zu decken30. Nach Kriegsbeginn musste allerdings ein großer Teil der Produktion des Martinswerkes vorübergehend für die Versorgung der AIAG-Hütten in der Schweiz abgezweigt werden, da diese erst nach Abschluss des Frankreichfeldzuges im Sommer 1940 wieder aus dem AIAG-Werk in St. Louis Aygladen in Südfrankreich beliefert werden konnten. Während des Krieges ging der Ausbau der deutschen Tonerdekapazitäten mit höchster Priorität weiter. In Ludwigshafen errichtete Guilini in den Jahren 1940/1941 auf Veranlassung der Reichsstellen eine neue Tonerdefabrik, deren Kapazität zunächst mit 25.000 Jato geplant war, später aber auf 50.000 Jato verdoppelt wurde. Während die alte Anlage in Ludwigshafen nach dem Pyrogen-Verfahren arbeitete, wurde für den Neubau das modernere Bayer-Verfahren übernommen. Nicht verwirklicht wurde die ebenfalls geplante Erweiterung des Martinswerkes um 50.000 Jato 31. Die VAW leistete ihren Beitrag zur Schaffung zusätzlicher Tonerdekapazitäten durch den Ausbau der Tabelle 10: Ausbau der deutschen Oxid-Kapazitäten 1933–194332 1933
1936
1939
1941
1943
Lauta Lünen Schwandorf
1.000 t
42 – –
74 – –
95 42 65
135 80 65
135 105 110
VAW
42
74
202
280
350
36 36
90 62
130 90
130 90
120 140
114
226
422
500
610
AIAG Bergheim Giulini Ludwigshafen Gesamt
183 Werke in Lauta, Schwandorf und Lünen, deren Kapazität bis Ende 1942 auf 135.000 Jato (Lautawerk), 110.000 Jato (Nabwerk) und 105.000 Jato (Lippewerk) erweitert wurde. Durch die genannten Erweiterungsmaßnahmen konnte die Gesamtkapazität der fünf deutschen Oxydwerke bis 1943 auf etwa 610.000 Jato gesteigert werden. Davon entfielen 350.000 Jato auf die drei Werke der VAW, den Rest teilten sich Guilini mit 140.000 Jato und das Martinswerk der AIAG mit 130.000 Jato. Trotz des forcierten Ausbaus der Tonerdekapazitäten kam es im Laufe des Krieges immer wieder zu Versorgungsengpässen bei der Oxidversorgung der Hütten. Die bei der Inbetriebnahme der neuen Hütte in Ranshofen aufgetretenen Probleme, über die wir im letzten Kapitel berichtet haben, blieben kein Einzelfall. Selbst wenn es gelungen wäre, die vorhandenen Kapazitäten in vollem Umfange zu nutzen, hätte die Produktion nicht ausgereicht, um den Tonerdebedarf der Hütten im deutschen Machtbereich vollständig zu decken. Zusätzlich zu den deutschen Hüttenwerken (deren Tonerdebedarf bei voller Auslastung ca. 600.000 Tonnen betrug) mussten ja auch die Hütten der AIAG in der Schweiz und seit der Besetzung Norwegens auch die norwegischen Hütten versorgt werden. Tatsächlich blieb die Tonerdeproduktion vor allem in den letzten Kriegsjahren weit hinter der Nennkapazität der Werke zurück. Dafür waren vor allem Transportprobleme verantwortlich, die schon zu Beginn des Krieges auftraten und sich wegen der alliierten Bombenangriffe auf das deutsche Verkehrsnetz im weiteren Verlauf des Krieges ständig verschärften. In den späteren Kriegsjahren spielte auch die nachlassende Qualität des angelieferten Bauxits eine Rolle. Nach der Erschöpfung der guten Gruben musste man auf Erze minderer Qualität zurückgreifen, die sich schwerer verarbeiten ließen und zu einer schlechteren Ausbeute führten33. Die Beschädigung von Werksanlagen durch alliierte Bombenangriffe führte 1943 bei Guilini in Ludwigshafen und in der Schlussphase des Krieges beim Lautawerk zu erheblichen Produktionseinbussen. Die Tonerdeversorgung der Hütten blieb daher ein ständiges Problem, das immer wieder zum Stillstand von Hüttenkapazitäten führte. Daran konnten auch die Tonerdelieferungen aus Frankreich nichts ändern, die nach dem Frankreich-Feldzug anliefen und in den vier Jahren der Besetzung Frankreichs durch deutsche Truppen eine Gesamtmenge von fast 200.000 Tonnen erreichten 34. Der deutschen Führung gelang es auch nicht, die Versorgungsengpässe durch den von ihr geplanten Bau von Tonerdewerken im besetzten Ausland zu beseitigen. Wie wir noch sehen werden, kamen die meisten Projekte über das Planungsstadium nicht hinaus. Die wenigen in Angriff genommenen Vorhaben blieben am Ende des Krieges als Bauruinen zurück. Bei der Bauxitversorgung waren die deutschen Tonerdewerke völlig auf Bezüge aus dem Ausland angewiesen. Im Jahr 1937 beliefen sich die Bauxitimporte nach Deutschland erstmals auf mehr als eine Million Tonnen. Ein Teil des importierten Bauxits musste auf Anordnung der Behörden für den Aufbau eines Vorrats für den Kriegfall abgezweigt werden. Im September 1939 erreichte der Vorrat 1,3 Millionen Tonnen, was etwa dem Anderthalbfachen des damaligen Jahresbedarfs entsprach. Die wichtigsten Lieferländer waren Ungarn und Jugoslawien. Wie wir in einem früheren Kapitel darge-
184 legt haben, war die VAW seit den 20er Jahren an der Bauxit Trust AG in Zürich beteiligt, die über ihre Tochtergesellschaften Aluerz und Komintalco ausgedehnte Abbaugebiete in Ungarn und dem heutigen Kroatien besaß. Die Vorkommen erwiesen sich als so ergiebig, dass die Versorgung der VAW trotz des enorm gestiegenen Bedarfs bis in die letzte Kriegszeit gesichert war 35. Guilini bezog den größten Teil seines Bauxitbedarfs aus Jugoslawien, wo die Firma seit dem ersten Weltkrieg eigene Abbaurechte besaß 36. Schwieriger war die Versorgungslage für das Martinswerk der AIAG. Bis zur Mitte der 30er Jahre wurde das Werk vor allem aus den Bauxitgruben der Schweizer Muttergesellschaft in Südfrankreich beliefert. Im April 1935 machte die französische Regierung die Ausfuhr von Bauxit, Tonerde und Aluminium von einer staatlichen Ausfuhrgenehmigung abhängig, die bei Ausfuhren nach Deutschland nur von Monat zu Monat erteilt werden durfte. Die Genehmigungen für Bauxitlieferungen an das Martinswerk wurden zwar bis zum Kriegsausbruch großzügig erteilt, sodass in den Jahren 1936 bis 1939 immerhin etwa 250.000 Tonnen Bauxit aus Frankreich importiert werden konnten. Da aber langfristig eine verlässliche Versorgung auf dieser Grundlage nicht gewährleistet war, ging die AIAG seit 1936 verstärkt dazu über, Bauxit aus Niederländisch-Indien (dem heutigen Indonesien) zu verarbeiten, den man von der niederländischen Bergbaugesellschaft Billiton bezog 37. Auch während des Krieges blieb das mit Deutschland verbündete Ungarn der wichtigste Bauxitlieferant der deutschen Aluminiumindustrie. Die Förderung der ungarischen Gruben hielt mit dem rapide wachsenden Bedarf der Tonerdewerke im deutschen Machtbereich Schritt. Größter ungarischer Bauxitproduzent war die Aluerz, die im Jahr 1940 eine Förderleistung von 600.000 Tonnen Bauxit erzielte. Das war dreimal so viel wie 1935. Mit einem Darlehen der VAW wurde der weitere Ausbau der Förderung auf eine Million Tonnen finanziert38. Die Bauxitexporte aus Ungarn erreichten 1942/1943 mit jährlichen Lieferungen von über 900.000 Tonnen ihren höchsten Stand. Offenbar funktionierte der Transport zu den Abnehmerwerken in Lauta und Schwandorf bis zum Einmarsch der Roten Armee in Ungarn im Herbst 1944 weitgehend reibungslos. Schwieriger lagen die Verhältnisse in Jugoslawien, dem zweitwichtigsten Lieferland, von dem Deutschland bis zum Ausbruch des Krieges etwa ein Drittel seines Bauxitbedarfs bezogen hatte. Nach der Eroberung Jugoslawiens durch die Wehrmacht im Frühjahr 1941 verstärkte die deutsche Aluminiumindustrie ihre Bemühungen, die Bauxitvorkommen in Dalmatien und Bosnien für ihre Zwecke zu nutzen. Die VAW eröffnete ein Büro in Mostar, um Einfluss auf die Bauxitförderung in dem dortigen Gebiet nehmen zu können. Nach der Ausrufung eines kroatischen Staates durch den Führer der Ustascha-Bewegung Ante Pavelic kam es 1942 zur Gründung der „Kroatischen Aluminium AG“ in Zagreb, an der sich die VAW und der kroatische Staat je zur Hälfte beteiligten. Schon vor der Besetzung Jugoslawiens hatten die VAW und die im italienischen Exil wirkende Ustascha-Partei Pavelics ein Geheimabkommen geschlossen, das der VAW nach einer eventuellen Machtübernahme durch Pavelic bedeutende Sonderrechte bei der Ausbeutung der kroatischen Bauxitvorkommen zu-
185 sicherte. Die neue Gesellschaft sollte nach Durchführung der Schürfarbeiten Bauxitvorkommen bei Mostar und in Dalmatien ausbeuten und später eine Oxidfabrik und eine Aluminiumhütte errichten39. An den Bau der beiden Fabriken war freilich wegen der sich schon bald verschlechternden Sicherheitslage in Jugoslawien nicht zu denken. Auch die Bauxitlieferungen aus den Abbaugebieten bei Mostar blieben wegen der schwierigen Transportsituation und zunehmend auch wegen verstärkter Partisanenaktivitäten weit hinter den geplanten Mengen zurück. Eine wichtige Rolle für die Bauxitversorgung der deutschen Aluminiumindustrie spielten ab 1941 die Lieferungen aus den südfranzösischen Abbaugebieten 40. Frankreich war vor dem Krieg der größte Bauxitproduzent in Europa und hatte im Jahr 1938 mit einer Förderung von knapp 700.000 Tonnen sogar die USA übertroffen. Bei den deutschfranzösischen Waffenstillstandsverhandlungen im Herbst 1940 forderte die deutsche Seite Bauxitlieferungen im Umfang von mehreren Hunderttausend Tonnen pro Jahr. Die Vichy-Regierung wurde aufgefordert, durch geeignete Maßnahmen für eine Ausweitung der Bauxitproduktion auf anderthalb Millionen Tonnen zu sorgen. Die im unbesetzten Südfrankreich liegenden Bauxitgruben wurden mit deutscher finanzieller und technischer Hilfe modernisiert und ausgebaut. Die Produktionsleistung der französischen Gruben, die 1940 nur noch 275.000 Tonnen betragen hatte, stieg bis zum Jahr 1944 auf fast eine Million Tonnen pro Jahr an und übertraf damit sogar die Vorkriegsproduktion. Mit 484.000 Tonnen Bauxit erreichten die Lieferungen aus Frankreich im Jahr 1943 ihren höchsten Stand. Noch im ersten Halbjahr 1944 gelangten 240.000 Tonnen Bauxit über den Rhein-Rhone-Kanal und auf dem Bahnweg nach Deutschland, bis die Landung alliierter Truppen in Südfrankreich und die Räumung des Landes durch die deutschen Truppen weitere Lieferungen unterbanden. Insgesamt wurden in den vier Jahren der deutschen Besetzung Frankreichs etwa 1.200.000 Tonnen hochwertigen französischen Bauxits nach Deutschland exportiert. Hauptabnehmer war die VAW, die damals auch Chancen für ein dauerhaftes Engagement im südfranzösischen Bauxitrevier sah. Der Erwerb einer Beteiligung an einer der dort tätigen Fördergesellschaften war ein erster Schritt in diese Richtung 41. Ein unverzichtbarer Hilfsstoff für die Aluminiumgewinnung sind die Kohlenstoffprodukte, aus denen die Anoden- und Kathodenblöcke hergestellt werden, über die der elektrische Strom durch das Elektrolysebad geleitet wird. In Friedenszeiten hatte man dafür hauptsächlich Petrolkoks verwendet, der aus den USA bezogen wurde. Auch die so genannte Söderberg-Masse, die bei den Söderberg-Öfen an die Stelle der Anoden trat, bestand aus diesem Material. Nachdem die USA als Lieferquelle ausgeschieden waren, ging man nach Ausbruch des Krieges zur Verwendung von Pechkoks über, der aus Steinkohleteer oder aus entaschter Kohle gewonnen wurde und schon im Ersten Weltkrieg als Ersatz für den Petrolkoks gedient hatte 42. Die Produktionskapazität der im Ruhrgebiet konzentrierten Pechkoksanlagen reichte offenbar aus, um den bisher aus dem Ausland importierten Petrolkoks problemlos zu ersetzen. Zu Versorgungsengpässen kam es aber im weiteren Verlauf des Krieges, als die Expansion des deutschen
186 Machtbereiches dazu führte, dass auch die Aluminiumhütten in den befreundeten und besetzten Ländern weitgehend von Deutschland aus mit Elektrodenkoks versorgt werden mussten 43. Zu Ausfällen bei der Aluminiumerzeugung scheint es aber deswegen nicht gekommen zu sein. Unverzichtbare Hilfsstoffe für die Aluminiumerzeugung sind auch die beiden Aluminium-Fluor-Verbindungen Kryolith und Aluminium-Fluorid, die seit der Entdeckung Halls und Heroults bei der Aluminiumelektrolyse als Flussmittel Verwendung finden. Als Naturprodukt kam Kryolith in abbauwürdigen Mengen nur in Grönland vor und auch dort gab es nur ein einziges großes Vorkommen im Süden der Insel. Obwohl das Mineral seit Beginn des 20. Jahrhunderts in größerem Maßstab auf synthetischem Weg hergestellt wurde, blieb grönländischer Kryolith auch in der Zeit zwischen den Weltkriegen das bevorzugte Badmaterial. Bei Kriegsausbruch verfügte die deutsche Aluminiumindustrie noch über einen Vorrat an grönländischem Kryolith, der wegen seiner gleichmäßigen Beschaffenheit vor allem für das „Anfahren“ der Öfen eingesetzt wurde und in Restbeständen noch 1944 verfügbar war. Der weitaus größte Teil des benötigten Badmaterials stammte aber aus den Fabriken der deutschen Chemieindustrie, die die Erweiterung der synthetischen Kryolith- und Fluoriderzeugung nach Kriegsbeginn sofort in Angriff nahm 44.
8.3 Halbzeugwerke und Gießereien Deutschland verfügte bei Beginn des Dritten Reiches über Verarbeitungskapazitäten von schätzungsweise 40.000 bis 50.000 Jato, von denen der weitaus größte Teil auf die Hersteller von Halbzeug und Leitmaterial entfiel. Der Anteil der Gießereien dürfte zwanzig Prozent der Gesamtkapazität nicht überschritten haben. In den Jahren nach 1933 haben die deutschen Aluminiumverarbeiter ihre Kapazitäten in einer gewaltigen Kraftanstrengung auf ein Vielfaches der Ausgangsbasis erweitert. Beim Halbzeug wurde die Kapazität bis zum Ausbruch des Krieges auf ca. 200.000 Jato gesteigert und während des Krieges noch einmal fast verdoppelt. Mit einer Jahresleistung von 360.000 Tonnen erreichte die Halbzeugproduktion im dritten Quartal 1944 ihren höchsten Stand, obwohl zu diesem Zeitpunkt einige Werke infolge von Kriegseinwirkung bereits ganz oder teilweise ausgefallen waren. Einen noch steileren Anstieg erlebte der Aluminiumguss, der sich in der Zeit des Dritten Reiches aus bescheidenen Anfängen zu einem bedeutenden Zweig der Aluminiumverarbeitung entwickelte. Gegen Ende des Krieges dürfte die Kapazität der Aluminiumgießer 160.000 bis 180.000 Jato betragen haben. Für Kapazitätserweiterungen dieses Ausmaßes waren riesige Investitionen in neue Walz- und Presswerke, Gießereien, Schmiedebetriebe und Anlagen für die Herstellung von Draht- und Kabelprodukten erforderlich, die unter extremem Zeitdruck durchgeführt werden mussten. Ein großer Teil der Erweiterungsbauten entstand an neuen Fabrikstandorten, die aus strategischen Gründen weit entfernt von der bedrohten Westgrenze im Zentrum des Reiches lagen.
187 Es waren die uns schon bekannten großen Unternehmen der Branche, die die Hauptlast der Erweiterung trugen: Die Vereinigten Leichtmetall-Werke in Bonn, die Dürener Metallwerke, die Vereinigten Deutsche Metallwerke, die Aluminium-Walzwerke Singen und das Aluminiumwalzwerk Wutöschingen. Auf dem Walzwerkssektor entfielen 1944 mehr als die Hälfte der Gesamtproduktion auf diese Firmen. Die restliche Walzproduktion verteilte sich auf eine große Zahl von kleinen und mittleren Unternehmen, von denen manche eine Jahresproduktion von weniger als tausend Tonnen erreichten. Noch größer war die Zersplitterung bei den Gießereien, wo die vielen kleinen, meist mittelständischen Unternehmen auch noch im Krieg der Industrie das Gepräge gaben. 1936 gab es in Deutschland etwa fünfzig Hersteller von Aluminiumhalbzeug. In den folgenden Jahren kamen zahlreiche neue Unternehmen hinzu, die die Gunst der Stunde nutzten, um sich auf dem zukunftsträchtigen Gebiet der Aluminiumverarbeitung zu engagieren. Dies war ganz im Sinne der staatlichen Planungsbehörden, die den Ausbau des Leichtmetallsektors systematisch förderten und auch Schwermetallbetriebe zur Umstellung auf Aluminium ermutigten. In einer Aufstellung aus dem vierten Quartal 1944 sind 112 Firmen und Firmenfilialen aufgeführt, die Halbzeug aus Aluminium herstellten, unter ihnen auch mehrere ehemalige Verarbeiter von Schwermetallen45. Die Zahl der Hersteller von Produkten aus Aluminiumguss dürfte inzwischen auf mehrere Hundert gestiegen sein. Im Rahmen des nachfolgenden Überblicks werden wir uns mit der Entwicklung der wichtigsten Verarbeiter von Aluminium in der Zeit nach 1933 beschäftigen46. Vereinigte Leichtmetall-Werke GmbH 47 Für die VLW markierte der politische Umbruch des Jahres 1933 den Beginn einer steilen Karriere, die die Gesellschaft innerhalb weniger Jahre an die Spitze der deutschen Halbzeugindustrie führte. Der von den Nazis beschlossene Aufbau der Luftwaffe ließ den Bedarf an Blechen, Profilen, Stangen und Schmiedeteilen aus aushärtbaren Legierungen in die Höhe schnellen. Als einziger namhafter Hersteller von Legierungshalbzeug neben den Dürener Metallwerken partizipierte die VLW mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten an der boomartigen Entwicklung. Im November 1933 pachtete die Gesellschaft das in der Weltwirtschaftskrise stillgelegt Walzwerk der VDM in Eveking und betrieb es bis 1935 für eigene Rechnung. Anfang 1934 wurde die VLW vom Reichsluftfahrtministerium aufgefordert, ihre Fertigungskapazitäten für die Luftfahrt kurzfristig zu erweitern. Aus Gründen der Risikoverteilung sollten die neuen Kapazitäten schwerpunktmäßig nicht am Standort Bonn errichtet werden. Noch im selben Jahr entstand auf dem Gelände einer alten Waggonfabrik in Hannover-Linden ein neues Halbzeugwerk für die Herstellung von Walz- und Strangpressprodukten. Im folgenden Jahr wurden Sitz und Verwaltung der VLW von Bonn nach Hannover verlegt und auch die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten des Unternehmens in Hannover zusammengefasst.
188 1936 produzierte die VLW in den Werken Bonn und Hannover-Linden etwa 10.000 Tonnen Aluminiumhalbzeug, davon 8.200 Tonnen Legierungsmaterial. Die Gesellschaft dürfte damals weltweit den Spitzenplatz unter den Herstellern von Aluminiumhalbzeug aus aushärtbaren Legierungen eingenommen haben. Der ständig steigende Bedarf der deutschen Flugzeugindustrie führte zur Errichtung eines weiteren Werkes in Laatz bei Hannover, das speziell für die Fertigung von Flugzeugmaterial vorgesehen war. Bei Ausbruch des Krieges beschäftigte die VLW in den Werken Bonn, HannoverLinden und Hannover-Laatz viertausend Mitarbeiter, fast zehnmal soviel wie bei Beginn des Dritten Reichs. Während des Krieges wurden die Kapazitäten an allen drei Standorten weiter ausgebaut. In Spitzenmonaten erreichte die Produktion 4.000 bis 4.500 Tonnen. Trotz eines durch Bombenschäden verursachten 50 %igen Ausfalls im Werk Bonn verfügte die VLW im November 1944 noch über eine Gesamtkapazität von etwa 40.000 Jato. Etwas mehr als die Hälfte der Produktion entfiel auf Walzprodukte, der Rest verteilte sich auf Pressprodukte, Rohre und Schmiedeteile. Dürener Metallwerke AG Die Dürener Metallwerke mussten sich mit der Tatsache abfinden, dass ihnen in der VLW ein ebenbürtiger Konkurrent entstanden war, der ihnen die bisherige Führungsrolle auf dem Gebiet der Flugwerkstoffe streitig machte. Die Rivalität zwischen den beiden Unternehmen blieb während der ganzen Zeit des Dritten Reiches bestehen. Die zum Quandt-Konzern gehörende Gesellschaft ließ es nicht an Bemühungen fehlen, ihre Position als führender Lieferant der deutschen Luftfahrtindustrie zu behaupten 48. Durch ein ehrgeiziges Investitionsprogramm konnte der zeitweilige Rückstand gegenüber der VLW zum Teil wieder wettgemacht werden. Schon kurz nach der Machtergreifung der Nazi wurde der Ausbau des Stammwerkes in Düren eingeleitet, das bei Ausbruch des Krieges eine Kapazität von ca. 10.000 Tonnen erreicht haben dürfte. Der Schwerpunkt der Kapazitätserweiterung lag jedoch bei den neuen Werken, die die Dürener Metallwerke im Raum Berlin errichteten. Einer Konzentration der Produktion im Stammwerk Düren stand die exponierte Lage dieses Standorts in unmittelbarer Nähe der deutschen Westgrenze entgegen. Die Gesellschaft entschloss sich daher, ein Halbzeugwerk in Berlin-Borsigwalde zu errichten, das vor allem die Flugzeugwerke in Mitteldeutschland beliefern sollte. Nach knapp halbjähriger Bauzeit konnte im Dezember 1934 die erste Lieferung das neue Werk verlassen, das ausschließlich Halbzeug aus Legierungsmaterial herstellte und mit modernen Band- und Blechwalzgerüsten, Profil- und Rohrpressen ausgerüstet war. Das Werk Borsigwalde wurde im Laufe der folgenden Jahre zum größten deutschen Halbzeugwerk ausgebaut. In der Aufstellung aus dem Jahr 1944 wird die Kapazität des Werkes mit 18.000 Jato angegeben. Kurz vor Kriegsausbruch war auch die Hauptverwaltung der Gesellschaft aus Düren nach Borsigwalde umgezogen. Während des Krieges entstand im mecklenburgischen Waren ein weiteres Halbzeugwerk, das über
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Abb. 24: Dr. Curt Frh. v. Salmuth
Abb. 25: Hans Joachim Fuchs
Frh. von Salmuth (1895–1981) wurde 1932 Teilhaber und Geschäftsführer der Guilini GmbH und der Aluminiumwalzwerk Wutöschingen GmbH. H. J. Fuchs (1903–1992) übernahm die Firma Otto Fuchs 1932 nach dem Tod des Firmengründers.
eine Kapazität von etwa 12.000 Jato verfügte. Ein viertes Werk wurde in den letzten Kriegsjahren in Stade bei Berlin gebaut, konnte aber vor Kriegsende nicht mehr in Betrieb genommen werden. Die Dürener Metallwerke stellten neben Walzhalbzeug auch Press- und Schmiedefabrikate her, wobei fast ausschließlich aushärtbare Legierungen verarbeitet wurden. Ende 1944 verfügte die Gesellschaft trotz des Verlustes ihres Stammwerkes in Düren, das inzwischen im Frontgebiet lag, noch über eine Verarbeitungskapazität von ca. 30.000 Tonnen. Vereinigte Deutsche Metallwerke AG Die VDM hatte das ehemals Bergsche Aluminiumwalzwerk in Eveking während der Weltwirtschaftskrise stillgelegt und die verbleibenden Walzaktivitäten der Gruppe im Stammwerk Heddernheim konzentriert. In den Jahren 1933 bis 1935 wurde die Werksanlagen in Eveking, wie oben erwähnt, von der VLW im Rahmen eines Pachtvertrags betrieben. Nach der Rückübertragung auf die VDM entstand in Eveking ein modernes
190 Legierungswalzwerk mittlerer Größe, das fast ausschließlich Bleche aus Duralumin für die Flugzeugindustrie herstellte (49). Das technisch überholte Blechwalzwerk aus dem Jahr 1908 wurde 1940 durch eine moderne Anlage mit mehreren Walzstrassen ersetzt. 1941/1942 folgte die Installation eines neuen Bandwalzwerkes, das mit einem der ersten Reversier-Quarto-Gerüste ausgerüstet war, die damals zum Einsatz kamen. Auch im Zweigwerk Kupferhammer wurden die aus der Zeit des ersten Weltkrieges stammenden Walzanlagen modernisiert. In der Kapazitätsübersicht aus dem Jahr 1944 wird die Leistungsfähigkeit der Werke Eveking und Kupferhammer mit 9.000 Jato angegeben. Weitere 11.000 Jato standen im Heddernheimer Stammwerk zur Verfügung. Davon entfielen etwa 6.000 Jato auf Walzprodukte, der Rest verteilte sich auf Profile, Rohre und Schmiedestücke. Der Schwerpunkt des Werkes Heddernheim lag unverändert bei der Herstellung von Halbzeug aus Schwermetallen. Aluminiumhalbzeug produzierte die VDM auch in mehreren anderen Werken, die in der Kapazitätsübersicht von 1944 mit folgenden Tonnagen aufgeführt sind: Werdohl: 3.400 Tonnen, Nürnberg: 4.900 Tonnen, Gustavsburg: 3.300 Tonnen, Aschaffenburg: 2.500 Tonnen und Duisburg: 1.500 Tonnen. In diesen Werken wurden Pressprodukte, Drähte und Schmiedeteile produziert; nur am Standort Aschaffenburg existierte auch ein kleines Walzwerk. Seit 1934/1935 betrieb die VDM in Hildesheim und Hamburg zwei große Zulieferbetriebe für die Flugzeugindustrie, in denen der von ihr entwickelte „VDM-Verstellpropeller“ aus Aluminium hergestellt wurde. In Hildesheim entstand auch eine Anlage für Leichtmetallformguss, die 1935 den Betrieb aufnahm. Der Luftfahrtbereich der VDM wurde 1942 in die VDM-Luftfahrt GmbH ausgegliedert, an deren Kapital sich die im Reichsbesitz befindliche Bank der Deutschen Luftfahrt mit einem Anteil von 75 Prozent beteiligte. In der Rangliste der Hersteller von Aluminiumhalbzeug vom November 1944 belegte der VDM-Konzern mit einer Verarbeitungskapazität von ca. 36.000 Jato hinter der VLW und vor den Dürener Metallwerken den zweiten Platz. Aluminiumwalzwerk Wutöschingen GmbH 50 Das zur Guilini-Gruppe gehörende Werk in Wutöschingen war schon in den 20er Jahren in die vorderste Reihe der deutschen Halbzeugwerke vorgerückt. Noch während der Weltwirtschaftskrise hatte sich das Unternehmen als Hersteller von Flugzeugblechen aus der konzerneigenen Legierung „Aludur“ qualifiziert, die man im Guilini-Forschungslabor in Münchenstein/Schweiz entwickelt und in Wutöschingen praktisch erprobt hatte. In einer Produktionsstatistik aus dem Jahr 1936 nimmt Wutöschingen mit einer Gesamtproduktion von ca. 8.700 Tonnen in der Rangliste der deutschen Halbzeugwerke den dritten Platz hinter Alusingen und der VLW ein. Die Produktion von Legierungsfabrikaten hielt sich aber mit knapp 1.000 Tonnen noch in einem sehr bescheidenen Rahmen und stieg auch in den folgenden Jahren nur langsam an. Einen Kapazitätsschub brachte erst der im Jahr 1943/1944 abgeschlossene Bau des neuen Legierungswalzwerkes. Diese Investition machte Wutöschingen zu einem der technisch
191 modernsten Walzwerke in Europa. Nach dem Bau des neuen Walzwerkes entfielen zwei Drittel der Produktion auf Legierungshalbzeug. In dem erweiterten Werk wurden 1.700 Mitarbeiter beschäftigt, die fast ausschließlich Walzhalbzeug herstellten. Die Walzwerksanlagen in Wutöschingen wurden 1945 durch die französische Besatzungsmacht komplett demontiert. Aus der erhalten gebliebenen Demontageliste ist die maschinelle Ausstattung des Werkes bei Kriegsende ersichtlich, die für moderne Walzwerke im damaligen Deutschland repräsentativ gewesen sein dürfte (Chronik, Seite 36 f). Für den Warmwalzbetrieb standen zwei Trio-Warmwalzwerke und zwei Duo-Warmwalzwerke zur Verfügung. Das Kaltwalzen von Blechen und Bändern erfolgte auf zwei Quarto-Walzwerken, zwei Trio-Walzwerken und fünfundzwanzig Duo-Kaltwalzwerken. Dazu kamen vierzig Glüh- und Wärmeöfen, zahlreiche Schmelzöfen, mehrere Masselgieß- und Stranggussmaschinen, Scheren, Richtmaschinen und Hilfseinrichtungen aller Art. Die Leistungsfähigkeit der in der Kriegszeit zur Verfügung stehenden Anlagen lässt keinen Vergleich mit der heutigen Walzwerkstechnik zu. Auf den damaligen Warmwalzanlagen wurden Walzblöcke mit einem Einsatzgewicht von 150 Kilogramm bei Walzgeschwindigkeiten von maximal hundert Meter/Minute verarbeitet. Die theoretische Kapazität eines Warmwalz-Duos lag im Dreischichtbetrieb bei etwa 1.000 Moto. Dies erklärt, warum in Wutöschingen mehrere Warmwalzgerüste benötigt wurden, um die erforderliche Menge an warm gewalztem Material für eine Fertigproduktion von ca. 15.000 Tonnen zu produzieren51. Aluminium-Walzwerke Singen GmbH 52 Eine Sonderstellung innerhalb der deutschen Halbzeugwerke nahmen die AluminiumWalzwerke Singen ein, die als Filialbetrieb eines ausländischen Konzerns von den neuen Machthabern zunächst mit Misstrauen betrachtet und in den ersten Jahren des Regimes bei der Vergabe von Wehrmachtsaufträgen und bei der Zuteilung von Metall benachteiligt wurden. Unter der Führung seines Generaldirektors Hans Constantin Paulssen machte das Singener Werk große Anstrengungen, um sich gegenüber den staatlichen Stellen als vollwertiger Zulieferer der Rüstungsindustrie zu qualifizieren, was nach Kriegsbeginn auch in der offiziellen Anerkennung als Rüstungsbetrieb seinen Niederschlag fand. Während des Krieges waren Alusingen und die anderen Betriebe der AIAG in Deutschland wie alle Unternehmen der Aluminiumbranche in die nationalsozialistische Kriegswirtschaft eingebunden. Eine Einflussnahme durch die Schweizer Zentrale, die schon in Friedenszeiten nur noch in beschränktem Umfang möglich gewesen war, wurde nach Kriegsausbruch gänzlich unterbunden53. In den ersten Jahren nach 1933 profitierte Singen von der staatlichen Exportförderung, über die wir in einem früheren Kapitel berichtet haben. Wichtigster Exportartikel blieben die Aluminiumfolien, die dank der staatlichen Subventionen in steigenden Mengen und mit gutem Gewinn im Ausland abgesetzt werden konnten. Offenbar hat man in Singen nicht damit gerechnet, dass der staatlich geförderte Exportboom von
192 kurzer Dauer sein würde und dass die Herstellung und der Verbrauch von Folien schon bald durch staatliche Maßnahmen eingeschränkt und im Krieg weitgehend unterbunden würden. Das während des Booms erweiterte Folienwalzwerk konnte seit 1936 nur noch zum Teil genutzt werden und musste im Krieg fast ganz stillgelegt werden. Inzwischen hatte man auch in Singen die Umstellung des Produktionsprogramms auf die Bedürfnisse der Rüstungswirtschaft eingeleitet. Den Anfang machte im Jahr 1934 die Aufstellung einer weiteren Strangpresse mit einer Presskraft von 1.500 Tonnen, auf der aushärtbare Legierungen verarbeitet werden konnten. Weitere Strangpressen mit 2.500 und 5.000 Tonnen Presskraft folgten 1937 und 1941. Eine neue Fertigung wurde 1936 mit der Errichtung einer Gesenkschmiede aufgenommen, die mit drei Schmiedepressen Fabrikate für die Luftfahrtindustrie fertigte. Auf dem Walzsektor schuf eine Reihe von Investitionen die Voraussetzungen für die Ausweitung der Produktion von Legierungshalbzeug, das bis dahin in Singen nur in unbedeutenden Mengen hergestellt worden war. 1937 lief ein modernes Trio-Warmwalzgerüst für Legierungsmaterial an. Im folgenden Jahr konnte ein neues Umschmelzwerk für das Grobwalzwerk in Betrieb genommen werden. Weitere Walzgerüste wurden während des Krieges aufgestellt. Mit dem Ausbau der Produktionsanlagen wuchs auch die Belegschaft: Gegenüber 1933 verdoppelte sich die Zahl der Beschäftigten bis 1937 auf 1.300 Mitarbeiter und erreicht 1944 mit 2.300 Arbeitern und Angestellten den höchsten Stand. In der Kapazitätsaufstellung von November 1944 erscheint Singen mit einer Gesamttonnage von 17.000 Tonnen. Davon entfielen etwa 14.000 Tonnen auf das Walzwerk, 2.500 Tonnen auf das Presswerk und 500 Tonnen auf die Schmiede. Der Anteil der Legierungsprodukte blieb mit weniger als fünfzig Prozent weit hinter dem Durchschnitt der deutschen Halbzeugwerke zurück. Das aus Reinaluminium gefertigte Halbzeug nahm im Produktionsprogramm der Gesellschaft auch noch im letzten Kriegsjahr einen wichtigen Platz ein: Im Juni 1944 produzierte Singen fast ein Viertel des damals in Deutschland hergestellten Walzhalbzeuges aus Reinaluminium. Andere Halbzeughersteller Zur Spitzengruppe der Halbzeughersteller zählte auch die je zur Hälfte dem IGFarben-Konzern und der Metallgesellschaft gehörende Aluminiumwerke Bitterfeld GmbH. Das erst nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Bitterfeld errichtete Aluminiumhalbzeugwerk entwickelte sich zum führenden Hersteller von Schmiedestücken und Presshalbzeug aus Aluminium54. Eine erste Schmiedepresse mit einer Presskraft von 7.000 Tonnen wurde im Jahr 1937 mit Unterstützung des Reichsluftfahrtministeriums errichtet. 1938 folgte die Inbetriebnahme einer weiteren Presse mit 15.000 Tonnen Presskraft, die vor allem für die Herstellung von Propellern und Motorenträgern für die Flugzeugindustrie eingesetzt wurde. Kurz vor Ausbruch des Krieges erhielt das Bitterfelder Werk die staatliche Finanzierungszusage für eine Schmiedepresse
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Abb. 26: 30.000 t-Schmiedepresse im Werk Bitterfeld
194 von bis dahin nicht gekannten Ausmaßen. Die von der Firma Schloemann gebaute 30.000-Tonnen-Presse ging im Herbst 1943 in Betrieb. Auf ihr konnten bis zu zehn Meter lange Holmgurtprofile hergestellt werden. Im Krieg wurde auch im Zweigwerk Aken (wo die Gesellschaft eine zweite Hütte errichtet hatte) die Verarbeitung von Aluminium aufgenommen. Laut Kapazitätsübersicht 1944 konnten in Bitterfeld und Aken etwa 14.000 Tonnen Aluminium zu Schmiedestücken und Pressprodukten verarbeitet werden. Mit einer Schmiedekapazität von über 8.000 Jato war das Werk in Bitterfeld die mit Abstand größte Fertigungsstätte für geschmiedete Aluminiumfabrikate in Deutschland. Ebenfalls in Mitteldeutschland ansässig war die Leipziger Leichtmetall-Werke Rackwitz GmbH, die sich in der Zeit des Dritten Reichs zu einem bedeutenden Hersteller von Aluminiumhalbzeug entwickelte. Die in der Nähe von Leipzig ansässige Firma betrieb seit 1926 ein kleines Walzwerk für die Herstellung von Magnesiumblechen aus dem von der Chemischen Fabrik Griesheim-Elektron (später IG Farben) entwickelten Elektron-Metall, das dem Aluminium im Flugzeugbau und als Kolbenwerkstoff Konkurrenz machte. Von 1933 bis 1938 wurde am Standort Rackwitz ein Walzwerk für die Herstellung von Blechen und Bändern aus Aluminium installiert. In den folgenden Jahren kam ein Presswerk mit angeschlossener Barrengießerei hinzu. In der Übersicht aus dem Jahr 1944 wird die Kapazität der Gesellschaft für die Herstellung von Aluminiumhalbzeug mit 14.000 Jato angegeben, davon entfiel je etwa die Hälfte auf Walzund auf Pressprodukte. Die Produktion bestand ausschließlich aus Legierungshalbzeug. Ein großes Umschmelzwerk am selben Standort trug zur Metallversorgung des Unternehmens bei. Seit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 gehörten die Enzesfelder Metallwerke in Leobersdorf zu den größten Aluminiumverarbeitern im deutschen Machtbereich. In der Übersicht für das zweite Halbjahr 1944 wird die Produktionskapazität von Enzesfeld mit 14.500 Tonnen angegeben, wovon etwa 7.000 Tonnen auf Walzprodukte und der Rest auf Press- und Schmiedeprodukte entfielen. Die Gesellschaft spielte eine wichtige Rolle bei der Belieferung der im Raum Wien ansässigen Flugzeugindustrie. Ungefähr dieselbe Verarbeitungskapazität wie Enzesfeld hatte die Wieland-Werke AG in Ulm. Das Ulmer Unternehmen, das auf eine lange Tradition als Kupfer- und Messingverarbeiter zurückschauen konnte, hatte die Herstellung von Aluminiumhalbzeug nach dem ersten Weltkrieg aufgenommen und seine Aktivitäten auf diesem Gebiet während des Dritten Reiches stark ausgeweitet. Laut Kapazitätsübersicht 1944 betrug die Leichtmetallkapazität der Wieland-Werke (die auch ein kleines Werk in Villingen betrieben) etwa 13.000 Tonnen. Die Produktion bestand ganz überwiegend aus Legierungsfabrikaten. Mehr als die Hälfte der Produktionskapazität entfiel auf Strangpressprodukte. Auch die Kreidler Metall- und Drahtwerke in Stuttgart und die Firma Heinrich Diehl in Nürnberg spezialisierten sich auf Strangpressprodukte. Die Halbzeugkapazität dieser beiden Firmen wird in der Übersicht für das zweite Halbjahr 1944 mit jeweils ca. 9.000 Jato angegeben. Die Firma
195 Kreidler hatte schon vor dem ersten Weltkrieg als eines der ersten Unternehmen in Deutschland Freileitungsseile aus Aluminium produziert. Nach 1933 engagierte sich die Stuttgarter Firma auch auf dem Gebiet der Halbzeugfertigung, vor allem für die Luftfahrtindustrie. Diehl begann 1936 mit der Produktion von Press- und Schmiedeprodukten aus Aluminium. Die 1941 im Werk Röthenbach bei Nürnberg installierte 5.000 Tonnen Presse zählte zu den leistungsfähigsten Anlagen ihrer Art. Außer Pressprodukten und Schmiedestücken für die Luftfahrtindustrie produzierte das Nürnberger Unternehmen bedeutende Mengen an Munition und Zünder für die Wehrmacht. Zu einem der wichtigsten Zulieferbetriebe für die Luftfahrtindustrie wurde die Firma Otto Fuchs in Meinerzhagen. Das Unternehmen verarbeitete seit 1931 neben Schwermetallen auch Aluminium und spezialisierte sich auf die Herstellung von Profilen und Schmiedeteile. Das hierfür erforderliche Know-how wurde im Rahmen eines Lizenzvertrages 1938 von der Bitterfeld Aluminium zur Verfügung gestellt, mit deren Hilfe Meinerzhagen zum „Ausweichwerk“ für die Herstellung von Großprofilen ausgebaut wurde. Während des Krieges stellte Otto Fuchs auf Spezialpressen große Pressteile für den Flugzeugbau in Serienfertigung her. Die Belegschaft wuchs innerhalb kürzester Zeit auf über 2.000 Mitarbeiter. In der Kapazitätsübersicht für das zweite Halbjahr 1944 erscheint Otto Fuchs mit einer Kapazität von 6.240 Tonnen. Gegen Ende des Krieges wurde das Werk in Meinerzhagen durch Bombenangriffe noch stark in Mitleidenschaft gezogen. Auf dem Rüstungssektor engagierten sich auch die uns schon bekannten Halbzeughersteller Eduard Hueck in Lüdenscheid und Julius & August Erbslöh in Wupperfeld. Hueck erwarb kurz vor Beginn des Krieges ein ehemaliges Stahlwerk in Elspe, in dem modernste Walzgerüste für die Herstellung großformatiger Bleche für die Flugzeugindustrie aufgestellt wurden. Auf zwei Trio-KaltwalzWerken konnten in Elspe Legierungsbleche in Breiten bis zu 2.300 mm hergestellt werden. Laut Kapazitätsübersicht von 1944 hatte die Firma eine Kapazität von ca. 4.700 Tonnen. Die Werke der Firma Erbslöh in Wuppertal und Kupferhammer waren schon 1943 durch Luftangriffe stark beschädigt worden. Für das Jahr 1944 weist die Statistik nur noch eine Kapazität von 2.600 Tonnen aus. Vor den Angriffen hatte Erbslöh im Jahr 1942 eine Spitzenproduktion von 5.300 Tonnen erzielt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Unternehmen der Branche hat die Firma Erbslöh ihre Produktionskapazitäten nach 1933 nicht wesentlich erweitert. Die Firmen Mansfeld AG, Osnabrücker Kupfer- und Drahtwerk AG und Finow Kupfer- und Messingwerke AG gehörten zu den Schwermetallverarbeitern, die in den späten 30er Jahren zur Verarbeitung von Aluminium herangezogen wurden und sich zu wichtigen Herstellern von Aluminiumhalbzeug entwickelten. Die Kapazität dieser Firmen auf dem Leichtmetallsektor lag in der Endphase des Dritten Reichs zwischen 6.000 und 8.000 Jato. Neu auf dem Halbzeugsektor war auch die Westfälische Leichtmetallwerke GmbH, die kurz vor dem Krieg von der IG Farben AG und den Vereinigten Stahlwerken AG gegründet wurde und in Nachrodt in den Gebäuden eines stillgelegten Stahlwerkes ein Leichtmetallverarbeitungswerk errichten sollte. Über eine
196 erste Ausbaustufe mit einer Walzkapazität von etwa 4.500 Tonnen kam das Projekt allerdings im Krieg nicht hinaus. Federführend bei dem Vorhaben war die IG Farben AG, die sich seit 1933 verstärkt für die Aluminiumindustrie interessierte 55.
Kabelwerke Auf die wachsende Bedeutung des Aluminiums für die Draht- und Kabelfertigung in der Zeit nach 1933 wurde bereits in einem früheren Kapitel hingewiesen. Wie wir gesehen haben, waren dafür vor allem die Verwendungsverbote und -gebote der neuen Machthaber verantwortlich, die eine weitgehende Substitution des Kupfers auf diesem Gebiet durch Aluminium erzwangen. In den ersten Jahren des Dritten Reiches entfiel etwa ein Viertel des Aluminiumverbrauchs auf die Drahtherstellung. Der größte Teil der Drahtproduktion war für Leitzwecke bestimmt, ein kleinerer Teil wurde für diverse industrielle Zwecke verwendet. Die wichtigsten Hersteller von Aluminiumdraht waren die großen Elektrokonzerne und Kabelhersteller, die ihren Drahtbedarf für die Herstellung von blanken Seilen und isolierten Leitungen auf eigenen Drahtpressen und Walzanlagen zum größten Teil selbst deckten. Die Rangliste wurde von AEG und Siemens angeführt, die noch im letzten Kriegsjahr 8.800 bzw. 7.400 Tonnen Aluminium zu Draht- und Kabelprodukten verarbeiteten. Es folgten Felten & Guillaume mit 4.500 Tonnen, VDM mit 4.400 Tonnen und die Mansfeld-Tochter Hettstedt mit 4.200 Tonnen, um nur die bedeutendsten Hersteller zu nennen. In den letzten Kriegsjahren lag die Drahtproduktion bei etwa 4.500 Tonnen im Monat und machte damit vierzehn Prozent der Gesamtproduktion an Halbzeug aus.
Aluminiumgießereien Von den zahlreichen Gießereien, die an dem enormen Aufschwung des Aluminiumgusses nach 1933 beteiligt waren, können hier nur einige besonders wichtige Unternehmen erwähnt werden. Zu ihnen gehörten die uns schon bekannten Honsel-Werke in Meschede, deren hauptsächliches Arbeitsgebiet auch nach 1933 der Leichtmetallguss war. Neben Aluminium verarbeitete Honsel das noch leichtere Magnesium und leistete auf diesem Gebiet ebenfalls Pionierarbeit. Wichtigster Auftraggeber war das Volkswagenwerk, für das in Meschede Getriebegehäuse und Motorenbauteile aus Magnesium gefertigt wurden. Während des Krieges gelang es Honsel, Flugzeugmotorengehäuse mit einem Gewicht von 150 Kilogramm serienmäßig im Kokillenguss herzustellen und damit der Großkokille im Aluminiumguss zum Erfolg zu verhelfen. Neben Gussprodukten produzierte Honsel in geringerem Umfang auch Walzhalbzeug. Auch der zum Konzern der Metallgesellschaft gehörenden Firma Karl Schmidt in Neckarsulm sind wir in einem früheren Kapitel begegnet. Die Spezialität des Unternehmens waren Kol-
197 ben für Flugzeugmotoren sowie Großkolben für schnell laufende Dieselmotoren, die vor allem für Unterseeboote verwendet wurden. Um die starke Nachfrage nach ihren Produkten befriedigen zu können, baute die Firma 1935 ein zweites Werk in HamburgAltona, in dem vor allem Kolben für Flugzeugmotoren hergestellt wurden. Im Zweigwerk Hamburg wurde 1941 ein großer Neubau errichtet, in dem der Werkzeugbau und die Kolbenbearbeitung für Flugmotoren untergebracht wurden. Da das Stammwerk in Neckarsulm wiederholt Ziel alliierter Bombenangriffe war, wurden Teile der dortigen Produktion nach Hamburg-Altona verlagert, das im Krieg von größeren Zerstörungen verschont blieb. Die der kanadischen Aluminium Ltd. (der späteren Alcan) gehörende AluminiumWerke Nürnberg GmbH wurde 1941 der Kriegsverwaltung durch eine reichseigene Treuhandgesellschaft unterstellt. Schon 1939 war die Gesellschaft vom Reichsluftfahrtministerium aufgefordert worden, neben dem Stammwerk neue Gießereihallen und Bearbeitungswerkstätten für Rechnung der staatseigenen Luftfahrtanlagen GmbH zu errichten. Hauptabnehmer des Nürnberger Betriebs war die Luftfahrtindustrie. In Nürnberg hatte man 1934 die ersten Zylinderköpfe aus Aluminium gegossen. Sie waren für luftgekühlte Flugzeugmotoren der Bayerischen Motoren Werke bestimmt, die in vielen Flugzeugtypen eingebaut wurden, darunter auch dem in großer Stückzahl gebauten Transportflugzeug Ju 52. Als einer der größten Rüstungsbetriebe beschäftigte Nürnberg Ende 1943 4.700 Mitarbeiter, fast dreimal soviel wie bei Kriegsbeginn. Auch der Betrieb der Brüder Mahle in Bad Cannstatt entwickelte sich nach 1933 in kürzester Zeit zu einem Großunternehmen, das 1944 an mehreren Standorten mehr als 6.000 Mitarbeiter beschäftigte. Die Firma Mahle zählte im Krieg zu den bedeutendsten Herstellern von Aluminiumkolben für die Rüstungsindustrie. Neben Erzeugnissen aus Aluminiumguss umfasste das Produktionsprogramm auch Flugzeugräder und Fahrwerke aus der Magnesiumlegierung Elektron, die in großen Mengen an die Flugzeugindustrie geliefert wurden. Während des Krieges hat sich auch die VAW auf dem Gießereisektor betätigt. Auf sie gingen 1940 die Anteile der Vereinigte Wiener Metallwerke AG über, die nach dem Anschluss Österreichs unter die Kontrolle der VIAG geraten war. Die Produktion der Gesellschaft, die Motorenteile aus Grauguss herstellte, wurde auf die Fertigung von Gussteilen aus Leichtmetall (Aluminium und Elektron) umgestellt. Auf Veranlassung des Reichswirtschaftsministeriums wurde 1943 zum Betrieb einer Flugmotorengießerei eine besondere Gesellschaft unter dem Namen „Wiener Leichtmetall-Werke GmbH“ gegründet, an deren Kapital die VAW, die Firma Rudolf Rautenbach (ebenfalls führender Hersteller von Aluminiumguss) und die Bank der Deutschen Luftfahrt AG mit je einem Drittel beteiligt waren 56.
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Anmerkungen zum 8. Kapitel 1 Zum Ausbau der VAW-Hütten: VAW-Geschichte Teil V, Seite 7 ff (bis 1939) und Teil VI, Seite 7 (im Krieg). 2 Zum Plan eines Gemeinschaftswerks: Plumpe, Seite 412 f. – Rauh, Seite 160 ff. 3 Zur technischen Ausrüstung der VAW-Hütten: VAW-Geschichte V, Seite 11 ff. 4 Der norwegische Ingenieur Carl Wilhelm Söderberg (1876-1955) hatte in den 20er Jahren eine kontinuierlich arbeitende Anode entwickelt, die aus einem Stahlrohr von einem halben bis ein Meter Durchmesser bestand, in das ein Gemisch aus Koks, Teer und Pech eingestampft wurde. Während des Elektrolysebetriebs wurde die Anodenmasse mit der gleichen Geschwindigkeit nachgedrückt, mit der die Anode unten im Bad abbrannte. 5 Zum Ausbau der Hütte in Bitterfeld: Jubiläumsschrift „50 Jahre Bitterfelder Aluminiumwerk 1916–1966“. – Pistor Manuskript, Seite 234 ff. 6 Zur Erweiterung der Hütte in Rheinfelden: AIAG-Geschichte II, Seite 139 ff. – Jubiläumsschrift „90 Jahre Rheinfelden“ – Rauh, Seite 147 ff. Wie sich aus den von Cornelia Rauh ausgewerteten Quellen ergibt, hat die AIAG-Leitung der raschen Expansion anfänglich nur widerstrebend zugestimmt. Dabei spielte die unbefriedigende Energieversorgung eine Rolle. Der Zukaufstrom vom Badenwerk war teuer und drohte die Produktion unter Friedensbedingungen unrentabel zu machen. Andererseits wollte man die Stellung auf dem deutschen Markt wahren. So heißt es in einem Bericht der Direktion an den Verwaltungsrat: „Wenn wir nicht riskieren wollen, das Resultat unserer seit 15 Jahren in Deutschland verfolgten Politik wesentlich zu schädigen, so können wir die Erweiterung von Rheinfelden und das Metalldarlehen nicht ablehnen“ (Rauh, Seite 153). 7 Zum Ausbauplan für die deutsche Hüttenindustrie: Neukirch, Seite 63/64. 8 Zum Wehrwirtschaftlichen neuen Erzeugungsplan vom 12. Juli 1938: Neukirch, Seite 66 ff. Offenbar nannte man eine fortgeschriebene Version des Planes aus dem Jahr 1940/41 den „Wehrwirtschaftlichen neuen Erzeugungsplan im Krieg“. Diese Planversion umfasste auch den Plan für den Leichtmetallausbau Norwegen. 9 Zum Ausbau der Hütte in Lend: AIAG-Geschichte II, Seite 142 ff. – Martina König, Geschichte der Aluminium-Industrie in Österreich, Seite 22 ff. 10 Zu der Hütte in Steeg: Martina König a.a.O., Seite 28 ff. 11 Zum Bau der Hütte in Ranshofen: VAW-Geschichte V, Seite 9 und VAW-Geschichte VI, Seite 6. – Martina König a.a.O., Seite 63 ff. – Neukirch, Seite 131. 12 Zur Tabelle 9: Kapazität der VAW-Hütten laut VAW-Geschichte Teil V, Seite 10 (1933–1939) und Teil VI, Seite 11 (1939–1944). Die Angaben zu den anderen Hütten entstammen dem Bericht Neukirch, Seite 119/120, und anderen Quellen. Die Silumin-Kapazität berücksichtigt nur den Aluminiumanteil der hüttenmäßig hergestellten Silumin-Vorlegierung. 13 Zu der neuen Hütte in Aken: Pistor Manuskript, Seite 237. 14 Zum Ausbau von Rheinfelden im Krieg: Jubiläumsschrift „90 Jahre Rheinfelden“. – Rauh, Seite 257 ff. – Neukirch, Seite 120. Eine wichtige Rolle spielte im Denken der AIAG auch bis zuletzt die für den deutschen Markt vereinbarte Kartellquote, an der man unbedingt festhalten wollte. 15 Zum Ausbau der Sekundärindustrie: Neukirch, Seite 108 ff. – VAW-Geschichte VI, Seite 7 f. – Pistor Manuskript, Seite 236 ff. 16 Zur Einführung von Qualitätsstandards für Umschmelzaluminium siehe Dr. Schultes: „Das Verfahren der Leichtmetallverteilung“ in Jahrbuch der Metalle 1942. 334 ff. 17 Zur Entwicklung und Planung der Umschmelzkapazitäten siehe die Übersicht bei Neukirch, Seite 111 (Stand 1. August 1942). 18 Laut MG-Statistik, 40. Jg. (1938–1952), wurden 1944 148.600 Tonnen Umschmelzaluminium
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produziert. Abweichende Zahlen finden sich bei den von Petrick, Seite 20/21, Fußnote 20, zitierten Autoren. Zu den Auffanglegierungen: Neukirch, Seite 112. – Budrass, Seite 826. Der VAW gelang es zwar, das Raffinationsverfahren durch Veränderung der Anoden so umzustellen, dass es auch für die Schrottaufbereitung genutzt werden konnte. Die im Erftwerk produzierten Mengen waren aber unbedeutend (VAW-Geschichte V, Seite 22 f). Zum Beck-Prozess: Jubiläumsschrift „50 Jahre Bitterfeld“, Seite 15 – Budrass, Seite 826 (mit Quellenhinweis). VAW-Geschichte Band V, Seite 21. Zur Bedarfsplanung: Neukirch, Seite 102. Zum Bau des Werkes in Pocking: VAW-Geschichte VI, Seite 9. – Neukirch, Seite 104. Zur Vierjahresplanung für die Tonerdeproduktion: Neukirch, Seite 63 f. Zum Ausbau der Tonerdekapazitäten der VAW: VAW-Geschichte Teil V, Seite 14 ff (bis 1939) und Teil VI, Seite 4 f (1939–1943). Zur Erweiterung des Martinswerks: AIAG-Geschichte II, Seite 144 f. – Rauh, Seite 141. Zum Ausbau des Tonerdewerks in Ludwigshafen: Guilini-Chronik, Seite 720 ff (bis 1939) und Seite 724 ff. Als Guilini 1934 ohne staatliche Genehmigung eine kleine Versuchselektrolyse errichtete, reagierten die zuständigen Behörden mit äußerster Schärfe. Die Anlage wurde konfisziert und während des Krieges im Auftrag und für Rechnung der Dürener Metallwerke betrieben. Ein gegen die geschäftsführenden Gesellschafter Freiherr von Salmuth, Dr. Edgar Guilini und Dr. Renzo Guilini eingeleitetes Strafverfahren wurde später wieder eingestellt (Guilini-Chronik, Seite 554 ff). Neukirch, Seite 138. Außer den fünf großen Tonerdewerken werden in der Übersicht von Neukirch auch zwei kleinere Werke anderer Hersteller mit einer Kapazität von zusammen ca. 8.000 Jato erwähnt. Die im Winter 1942 aufgenommenen Bauarbeiten wurden nach wenigen Monaten auf Anordnung von Rüstungsminister Speer wieder eingestellt, nachdem die staatlichen Planungsbehörden Bedenken wegen der gefährdeten Lage des Werkes im Westen des Reiches erhoben hatten und überdies auch die Bauxitversorgung der erweiterten Anlage in Bensheim nicht mehr gesichert war (siehe Rauh, Seite 235 ff). Quellen zur Tabelle 10: VAW-Geschichte Teil V, Seite 16 (1933–1939) und Teil VI, Seite 10 (1939– 1944). Ferner Neukirch, Seite 138. Zum Engpass Tonerdeversorgung und ihren Gründen: VAW-Geschichte VI, Seite 10. – Neukirch, Seiten 139 und 163. – Guilini-Chronik, Seite 724 ff. – Petrick, Seite 122, mit Nachweisen. Rosemarie Denzel: „Die chemische Industrie Frankreichs unter der deutschen Besetzung“ (1959). In der Anlage V werden die Tonerdeexporte in den Jahren 1940 bis 1944 (1. Hj.) aufgeführt. Die Exporte gingen auf deutsche Veranlassung zum Teil in die Schweiz (Lieferungen des AIAGTonerdewerks in Aygladen) und zum Teil nach Norwegen. Insgesamt betrugen die Lieferungen 194.637 Tonnen. Siehe ferner den „Tätigkeitsbericht der deutsch-französischen gemischten Kommission“, der Neukirch als deutsches Mitglied angehörte (im Manuskript Neukirch abgedruckt auf den Seiten 477–507). Zur Bauxitversorgung der Tonerdewerke der VAW aus Ungarn: VAW-Geschichte Teil V, Seite 29 f für die Zeit bis 1939 und Teil VI, Seite 13 ff für die Kriegszeit. – Rauch, Seite 222. Guilini-Chronik, Seite 440 ff. Zur Versorgung des Martinswerkes: AIAG-Geschichte II, Seite 157. – Rauh, Seite 143 ff. – Neukirch, Seite 164 (Tabelle). Zum Ausbau der ungarischen Gruben in Krieg: VAW-Geschichte VI, Seite 13 f. Laut Neukirch, Seite 164, waren für 1943 und 1944 Bauxitimporte aus Ungarn von jeweils 1.000.000 Tonnen geplant, die aber nicht mehr erreicht wurden.
200 39 Zu den Plänen für die Errichtung eines Aluminiumkomplexes in Kroatien siehe VAW-Geschichte VI, Seite 14, und Neukirch, Seite 145. 40 Zur Rolle Frankreichs als Bauxitlieferant: Rosemarie Denzel a.a.O., Übersicht in Anlage V über Lieferungen von Bauxit, Tonerde und Aluminium während der Besetzung. In der von Denzel genannten Menge sind auch die Lieferungen aus den AIAG-Gruben enthalten, die zur Verarbeitung an die deutschen Tonerdewerke geliefert werden mussten. Nicht enthalten sind die Bauxitmengen, die in Aygladen zu Tonerde verarbeitet wurden. Siehe auch Alan Milward, „The New Order and the French Economy“, Oxford 1970, Seite 235 ff. 41 1941/1942 verhandelten VAW und Hansa Leichtmetall mit den beiden französischen Aluminiumproduzenten Pechiney und Ugine über den Bau eines großen Tonerdewerkes. Das Vorhaben scheiterte letztlich an der Weigerung der Vichy-Regierung, einer deutschen Beteiligung am Kapital der Betreibergesellschaft zuzustimmen, die von deutscher Seite zur Bedingung gemacht worden war (Neukirch, Seite 145). 42 Neukirch, Seite 170 ff. Auch aus Rumänien, dem einzigen Erdöl fördernden Land im deutschen Machtbereich, konnte kein Petrolkoks bezogen werden, da dort nur Heizöl erzeugt wurde. Versuche mit der Herstellung von Koks aus den bei der Kohlehydrierung anfallenden Rückständen waren offenbar nicht erfolgreich. 43 Neukirch, Seite 179 ff. Zu den Anodenfabriken und Söderberganlagen der VAW: VAW-Geschichte Teil V, Seite 20 und Teil VI, Seite 9. Im Krieg wurde in Lauta eine zweite Anodenfabrik mit gleichfalls 30.000 Jato Kapazität errichtet und die Söderberg-Anlage in Lünen erweitert. 44 Zur Versorgung mit Kryolith und Aluminiumfluorid: Neukirch, Seite 186. 45 In der Aufstellung von November 1944 sind 112 Firmen und Firmenfilialen erfasst, die regional auf neun so genannte „Kreise“ aufgeteilt sind (Rheinisch-Westfälischer Kreis, Norddeutscher Kreis, Main-Kreis usw.). Für jeden Betrieb ist die Kapazität in Monatstonnen (Moto) angegeben. Durch den Vermerk „Fliegerschäden“ wird auf Kapazitätsausfälle hingewiesen. Das damals bereits im Frontgebiet liegende Werk in Düren fehlt in der Aufstellung ganz. Zur Übersicht gehört eine Karte des Großdeutschen Reichs, in der die Standorte eingetragen sind. Der Bericht trägt den Stempel „streng geheim“. Eine Kopie ist im Besitz des GDA Düsseldorf. 46 Die Darstellung stützt sich auf die in der Bibliographie aufgeführten Jubiläumsschriften, Chroniken und Firmengeschichten. Die Kapazitätsangaben wurden der oben erwähnten Aufstellung aus dem Jahr 1944 entnommen. Dem Verfasser standen auch Berichte und Statistiken der Fachvereinigung Metallhalbzeug aus den Kriegsjahren oder der unmittelbaren Nachkriegszeit als Quelle zur Verfügung. Die Fachvereinigung hatte diese Unterlagen zur Vorbereitung einer Denkschrift zusammengestellt, mit der die deutschen Behörden bei den Besatzungsmächten eine Beschränkung der Demontagen erreichen wollten: Dr. Victor Conrad: „The German Light Metal Industry in the three Western Zones“ vom 30. April 1948. Kopie beim GDA. 47 Zur Entwicklung der VLW: VAW-Geschichte Teil V, Seite 46 (1933–1939) und Teil VI, Seite 27 ff. (Kriegszeit). 48 Die Dürener Metallwerke gehörten der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken AG, einem der größten Rüstungskonzerne der Kaiserzeit. 1922 erhielt die Gesellschaft den Namen Berlin-Karlsruher Industriewerke AG. Günther Quandt erwarb 1928 die Aktienmehrheit. 49 Zum Walzwerk Eveking: Beschreibung der Aluminiumwalzwerke der Carl Berg AG im Aktenbestand des WWA Dortmund (F 25 Nr. 7). 50 Chronik der Aluminium-Walzwerk Wutöschingen GmbH, Seite 20 ff. – Guilini-Geschichte, Seite 598 ff. 51 Zum damaligen Stand der Walzwerkstechnik siehe auch das Sitzungsprotokoll des Sonderrings Aluminiumhalbzeug vom 14. Februar 1942 (Archiv des GDA). 52 Zur Entwicklung der Aluminium-Walzwerke Singen im Dritten Reich siehe auch Rauh, Seite 166 ff und Seite 259 ff. – Rauh-Kühne, „Hans-Constantin Paulssen“, Seite 153 ff.
201 53 Die veränderten Machtverhältnisse fanden ihren Niederschlag in einer neuen Rechtsstruktur der AIAG-Betriebe in Deutschland. Auf Verlangen der deutschen Behörden gründete die AIAG kurz vor Ausbruch des Krieges die Aluminium-Industrie-Gemeinschaft mit Sitz in Konstanz (ALIG), der die Verwaltung der deutschen AIAG-Gesellschaften übertragen wurde. Im Sommer 1940 wurde die Interessengemeinschaft in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien umgewandelt. Persönlich haftende Gesellschafter waren Dr. Hans Constantin Paulssen und der Leiter der österreichischen Betriebe der AIAG, Dr. Heinrich Boschan. Kommanditistin der Gesellschaft war die AIAG. Auf diese Weise sollte auch rechtlich sichergestellt werden, dass die für die Geschäftsführung verantwortlichen „Betriebsführer“ ihren Sitz im Inland hatten, wo sie dem Zugriff des Staates unmittelbar ausgesetzt waren. Siehe dazu Rauh, Seite 139 ff. 54 Zu den Verarbeitungsaktivitäten der Bitterfeld Aluminium GmbH: Bitterfelder Chronik, Seite 160 ff. – Budrass, Seiten 378 und 629 (mit Literaturnachweisen). 55 1934 soll die IG Farben AG sogar die Übernahme der VAW erwogen haben (Plumpe, Seite 411). 56 Dazu VAW-Geschichte VI, Seite 34.
9. Kapitel Der Krieg und das bittere Ende
9.1 Die Versorgungskrise der ersten Kriegsjahre 1 Die schon seit Jahren bestehende Versorgungskrise bei Aluminium und anderen NEMetallen spitzte sich nach dem Ausbruch des Krieges weiter zu. Mit dem Beginn der Kampfhandlungen in Polen schoss der Bedarf an diesen für die Rüstungswirtschaft unverzichtbaren Rohstoffen in die Höhe, ohne dass dem erhöhten Verbrauch eine nennenswerte Steigerung der Produktion gegenüber gestanden hätte. In den letzten Friedensmonaten hatte der Aluminiumverbrauch der deutschen Wirtschaft bei etwa 19.500 Tonnen im Monat gelegen. Von dieser Menge, die fast ganz aus der Produktion der inländischen Hütten und Umschmelzwerke aufgebracht werden konnte, entfielen 11.200 Tonnen auf die zivile Wirtschaft einschließlich Ausfuhr und 8.300 Tonnen auf die Wehrmacht (davon etwa die Hälfte auf die Luftrüstung). Nach Kriegsbeginn wurden die Rohstoffkontingente im Rahmen des so genannten Mob-Planes neu festgesetzt. Zur Sicherstellung der kriegswichtigen Produktion wurde die Aluminiumzuteilung für die zivile Wirtschaft auf etwa fünfzig Prozent der bisherigen Menge gekürzt. Die Verwendung von Aluminium für zivile Zwecke bedurfte nun einer behördlichen Genehmigung, die von der Reichsstelle für Metalle nur für besonders wichtige Produktgruppen und meist nur auf befristeter Basis erteilt wurde. Wichtigster Anwendungsbereich blieb das Gebiet der Elektrotechnik, auf dem die fortschreitende Umstellung von Kupfer auf Aluminium den Bedarf an Leitaluminium weiter ansteigen ließ. Der Export von Aluminiumprodukten wurde fast ganz unterbunden, sofern er nicht im unmittelbaren Interesse der deutschen Kriegswirtschaft lag. Die schon in Friedenszeiten beschränkte Zuteilung von Aluminium an die Folienwerke wurde bei Kriegausbruch sofort gestoppt und ein Teil der Belegschaften abgezogen und zu anderen kriegswichtigen Betrieben dienstverpflichtet, soweit sie nicht zur Wehrmacht einberufen wurden2. Die drastische Kürzung der Zuteilungen für den Export und den zivilen Inlandsbedarf ermöglichte es, die Aluminiumzuteilung an die Wehrmacht für die Monate November und Dezember 1939 auf 14.000 Moto und für die ersten beiden Quartale des Jahres 1940 auf 15.000 Moto bzw. 17.000 Moto zu erhöhen. Auch diese Mengen blieben jedoch erheblich hinter den Anforderungen der
204 Wehrmacht zurück, die für das erste Halbjahr einen Bedarf von über 20.000 Tonnen pro Monat angemeldet hatte, der nur zu Lasten des zivilen Kontingentes hätte erfüllt werden können. In organisatorischer Hinsicht blieb es bei dem bisherigen Verfahren, wonach das Reichswirtschaftsministerium die insgesamt zur Verfügung stehende Menge in monatlichen Kontingenten auf Wehrmacht, Export und den zivilen Inlandsbedarf aufteilte. Das Kontingent der Wehrmacht wurde durch das Rüstungsamt beim OKW auf die drei Wehrmachtsteile Heer, Marine und Luftwaffe und einige andere kriegswichtige Kontingentsträger verteilt, zu denen auch die Kraftfahrzeugindustrie und der Maschinenbau zählten. Für die Verteilung des für den zivilen Sektor verbleibenden Aluminiums war weiterhin die Wirtschaftsgruppe Metall im Rahmen der staatlichen Vorgaben verantwortlich3. Auch jetzt kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen dem Rüstungsamt und dem Reichswirtschaftsminister, der sich gegen eine weitere Kürzung der zivilen Kontingente wehrte, da man die Versorgung der Bevölkerung mit Gebrauchsgütern nicht mehr als unbedingt erforderlich einschränken wollte. Anders als in England, wo die Wirtschaft nach Kriegsbeginn konsequent auf die Bedürfnisse eines langen Krieges ausgerichtet wurde, scheute die Nazi-Führung vor einer radikalen Umstellung der Wirtschaft zurück. Man rechnete nicht mit einer längeren Kriegsdauer und wollte die volkswirtschaftlichen Ressourcen nur insoweit mobilisieren, als sie für die kurzen Feldzüge benötigt würden, mit denen man die Gegner in Ost und West niederkämpfen wollte. Verteilungskämpfe wurden auch zwischen den drei Wehrmachtsteilen Heer, Marine und Luftwaffe ausgetragen. Die Luftwaffe beanspruchte bei der Verteilung des Aluminiums eine Sonderrolle und fügte sich nur widerstrebend den Vorgaben des Rüstungsamtes. Zu einer scharfen Kontroverse war es schon einige Monate vor Ausbruch des Krieges gekommen, als das Rüstungsamt die von der Luftwaffe geforderte Erhöhung der Materialzuweisung für die Flugzeugherstellung ablehnte, was zu der bereits erwähnten Kürzung des Beschaffungsprogramms für die Jahre 1939–1942 führte. Es bedurfte einer Intervention Hitlers, um den absoluten Vorrang der Flugzeugproduktion durchzusetzen. Wenige Tage nach Kriegsbeginn wurde das Aluminiumkontingent der Luftwaffe von zuletzt 4.700 Tonnen pro Monat auf 8.150 Tonnen im September und 7.450 Tonnen im Oktober 1939 erhöht. Damit stand der Luftwaffe etwa die Hälfte der deutschen Aluminiumproduktion zur Verfügung 4. Die Erhöhung der Luftwaffenquote konnte freilich nicht verhindern, dass es im Frühjahr 1940 erneut zu ernsthaften Schwierigkeiten bei der Aluminiumversorgung der deutschen Flugzeugindustrie kam, da die Flugzeugproduktion schneller zunahm als das verfügbare Aluminium5. Die Eroberung Norwegens im April 1940 und der rasche Sieg über Frankreich im Juni 1940 brachten eine spürbare Entlastung der angespannten Versorgungslage, ohne freilich die Engpässe bei Aluminium und anderen Nichteisenmetallen ganz zu beseitigen. Im Gefolge der deutschen Truppen waren auch die Inspekteure des Wehrwirtschaftsstabes und anderer Reichsstellen in die eroberten Gebiete gekommen, um die
205 dort vorhandenen Rohstoffvorräte zu erfassen und der deutschen Kriegswirtschaft zuzuführen. In Frankreich fielen ihnen etwa 9.000 Tonnen Aluminium in die Hände, in Norwegen waren es knapp 2.500 Tonnen. Angesichts des riesigen Bedarfs der deutschen Rüstungsindustrie war dies freilich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wichtiger für die deutsche Kriegswirtschaft war die Tatsache, dass in Norwegen und in Frankreich leistungsfähige Aluminiumindustrien existierten, deren Produktionskapazität für die Rohstoffversorgung der deutschen Kriegswirtschaft herangezogen werden konnte. Der Göring-Erlass vom 26. August 1940 „über die planmäßige Ausnutzung der Wirtschaft in den besetzten Westgebieten“ forderte daher ausdrücklich, dass neben der Verwertung vorhandener Rohstoffe auch die industriellen Kapazitäten Frankreichs zur Entlastung der deutschen Rüstungsfertigung und zur Erhöhung des deutschen Rüstungspotentials einzusetzen seien. Unmittelbar nach der Besetzung Norwegens durch die deutschen Truppen betraute Göring den Vorstandsvorsitzenden der Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG, Dr. Heinrich Koppenberg, mit der Wahrnehmung der Leichtmetallinteressen des Reiches im besetzten Norwegen. Nach Abschluss des Westfeldzuges wurden die Befugnisse Koppenbergs auf Frankreich und die Beneluxländer ausgedehnt und ihm auch die Wahrnehmung der deutschen Leichtmetallinteressen gegenüber der Schweiz übertragen. Ausgenommen von dem Auftrag Koppenbergs war nur die Beschaffung von Bauxit in Frankreich, für die die VAW verantwortlich sein sollte. Göring legte besonderen Wert darauf, dass der „Deutsche Beauftragte für Leichtmetalle für die besetzten Gebiete und die Schweiz (BdL)“, wie Koppenbergs offizieller Titel lautete, nicht aus den Reihen der VAW rekrutiert wurde, deren Monopolstellung auf dem Aluminiumsektor er beseitigen wollte. Mit umfassenden Vollmachten ausgestattet, sollte Koppenberg dafür sorgen, dass die Luftwaffe in Zukunft ausreichend mit Aluminium versorgt werden würde 6. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Westfeldzuges beschloss die deutsche Führung im Juli 1940 ein „Umsteuern der Rüstung“ zur Vorbereitung der unter dem Codewort „Seelöwe“ geplanten Invasion Englands. Ein größerer Teil der verfügbaren Ressourcen als bisher sollte in die Flugzeugproduktion gelenkt werden, um das steckengebliebene Beschaffungsprogramm der Luftwaffe doch noch zum Erfolg zu führen. Höchste Dringlichkeit hatte die 1939 angelaufene Fertigung der neuen Kampflugzeuge vom Typ Ju 88, die das Rückgrat der deutschen Bomberflotten bilden sollten, mit deren massiven Einsatz man die englische Luftwaffe am Boden zerstören und England für die Invasion reif bomben wollte. Die hochfliegenden Pläne der Luftwaffenführung erhielten jedoch schon bald einen schweren Dämpfer, als die deutschen Luftstreitkräfte in der „Schlacht um England“ im Herbst 1940 eine empfindliche Niederlage einstecken mussten, die zu großen Verlusten an Menschen und Material führte. Ende 1940 war das Deutsche Reich weiter von dem Ziel der absoluten Luftüberlegenheit entfernt als zu Beginn des Krieges. Damit die dezimierten Bestände der Luftwaffe wieder aufgefüllt werden konnten, musste die Flugzeugproduktion weit über das bisherige Niveau
206 hinaus gesteigert werden. Eine wesentliche Voraussetzung dafür war die ausreichende Versorgung der Flugzeugindustrie mit Aluminium und anderen Nichteisenmetallen. Obwohl Hitler und Göring mehrfach persönlich eingriffen, um die Belange der Luftwaffe gegenüber den anderen Waffenteilen und den zivilen Instanzen durchzusetzen, wäre ein Zusammenbruch der Aluminiumversorgung damals wohl kaum zu vermeiden gewesen, wenn sich das Reich nicht durch die Eroberung Norwegens und Frankreichs den Zugriff auf die dortige Aluminiumproduktion verschafft hätte. Dank der im Herbst 1940 einsetzenden Lieferungen aus Norwegen und Frankreich konnten die Aluminiumzuteilungen an die Wehrmacht im zweiten Halbjahr 1940 auf 25.200 Moto aufgestockt werden. Auch in den folgenden Jahren haben die Aluminiumimporte aus Frankreich und Norwegen wesentlich zur Versorgung der deutschen Kriegswirtschaft beigetragen, wenn auch die gelieferten Mengen weit hinter den Erwartungen der deutschen Führung zurückblieben. Eine wichtige Rolle als Aluminiumlieferant spielte seit dem Sommer 1940 auch die neutrale Schweiz, die sich durch die militärische Entwicklung gezwungen sah, ihre bisherige Zurückhaltung bei der Lieferung von kriegswichtigen Gütern nach Deutschland aufzugeben. Im Folgenden wollen wir die Bedeutung der genannten Länder für die Aluminiumversorgung der deutschen Kriegswirtschaft kurz würdigen.
Norwegen 7 Norwegen galt das besondere Interesse der Nazi-Führung, weil dieses Land über ein riesiges Potential an Wasserkräften verfügte, das für die „Großdeutsche Wirtschaft“ nutzbar gemacht werden sollte. Dabei war vor allem an den Ausbau der Aluminiumerzeugung gedacht, die von den extrem günstigen Energiekosten in Norwegen profitieren sollte. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, ist es der deutschen Führung nicht gelungen, den mit großem Aufwand ins Werk gesetzten „Leichtmetallausbau Norwegen“ zum Erfolg zu führen. Dessen ungeachtet spielte Norwegen aber in den Jahren von 1940 bis 1945 als Lieferant von Aluminium eine wichtige Rolle. Die Lieferungen aus Norwegen blieben nur wenig hinter denen aus Frankreich zurück, das im Krieg zum Hauptlieferanten des Deutschen Reiches für Aluminium geworden war. Bei Kriegsausbruch verfügte Norwegen über sechs Aluminiumhütten mit einer Gesamtkapazität von etwa 35.000 Jato, die bis dahin allerdings noch nie voll genutzt worden war. Im Jahr 1939 erreichte die norwegische Hüttenproduktion mit 31.130 Tonnen ihren höchsten Stand vor der Besetzung des Landes durch deutsche Truppen im April 1940. Die modernste Aluminiumhütte Norwegens am Glomfjord in Nordnorwegen gehörte der A/S Haugvik Smelteverk. Wie wir uns erinnern, war diese von englischen Investoren gegründete Gesellschaft während der Weltwirtschaftskrise unter die Kontrolle der Alliance Aluminium Company geraten, die 1932 die Anteile der englischen Obergesellschaft erworben hatte, um einer Übernahme durch die Firma Guilini zuvor-
207 zukommen. Die Anteile der anderen norwegischen Hüttengesellschaften lagen mehrheitlich bei den internationalen Aluminiumkonzernen Aluminium Ltd. (Kanada), Baco (Großbritannien) und Pechiney (Frankreich). Über eine eigene Tonerdeversorgung verfügte nur eine der sechs norwegischen Hütten. In den fünf Jahren der deutschen Besetzung produzierten die norwegischen Hütten insgesamt 104.000 Tonnen Aluminium, von denen 83.000 Tonnen an das Deutsche Reich und seine Verbündeten abgeliefert wurden. Die Aluminiumlieferungen aus Norwegen blieben damit freilich weit hinter der deutschen Planung zurück. Obgleich die Erwartungen inzwischen stark zurückgeschraubt worden waren, rechneten die zuständigen Stellen noch Ende 1942 mit Liefermengen von 25.000 Tonnen im Jahr 1943 und 43.000 Tonnen im folgenden Jahr 8. Diese Planzahlen erwiesen sich als völlig illusorisch. Während der deutschen Besetzung gelang es zu keinem Zeitpunkt, die vorhandenen Kapazitäten voll auszulasten. Mit ca. 20.700 Tonnen erreichte die Produktion der norwegischen Hütten 1942 ihren höchsten Stand im Krieg. Eine effiziente Nutzung der Kapazitäten scheiterte vor allem daran, dass nicht genügend Tonerde zur Verfügung stand. Da nur ein kleiner Teil des Tonerdebedarfs in Norwegen selbst produziert wurde, war man auf Zulieferungen vor allem aus dem besetzten Frankreich angewiesen. Auch Energiemangel und vereinzelte Sabotageakte führten zu Produktionskürzungen. Gegen Ende des Krieges machte der knapp gewordene Schiffsraum die Anlieferung der Rohstoffe und den Abtransport des Aluminiums immer schwieriger. Die letzte Aluminiumlieferung aus Norwegen erreichte Deutschland im Januar 1945.
Frankreich 9 Die französische Aluminiumindustrie lieferte von Herbst 1940 bis zum Abzug der deutschen Truppen im August 1944 107.000 Tonnen Aluminium an Deutschland und andere Länder im deutschen Machtbereich. Diese Lieferungen machten etwas mehr als die Hälfte der Aluminiumproduktion der französischen Hütten in den Jahren der deutschen Besetzung aus 10. Die beiden französischen Aluminiumproduzenten Pechiney und Ugine hatten kurz vor Ausbruch des Krieges den Ausbau ihrer Hüttenkapazitäten eingeleitet und dafür hohe staatliche Finanzzuwendungen erhalten. Die Ausbauarbeiten waren im Zeitpunkt des deutschen Einmarsches im Sommer 1940 noch in vollem Gange und wurden ungeachtet der veränderten politischen Lage auch nach dem Waffenstillstand fortgesetzt. 1943 betrug die französische Hüttenkapazität knapp 70.000 Jato (gegenüber 43.000 Jato im Jahr 1938). Mit 63.900 Tonnen erreichte die französische Aluminiumproduktion 1941 ihren höchsten Stand im Krieg11. Der Produktionsrückgang in den folgenden Jahren war vor allem auf Transportprobleme und den Mangel an Energie zurückzuführen, der die französischen Behörden veranlasste, Strom für die Versorgung der großen Städte abzuziehen. Ein Teil des in Frankreich verbliebenen Hüttenaluminiums wurde von französischen Firmen im Auftrag der deut-
208 schen Rüstungsindustrie zu Endprodukten verarbeitet, darunter auch Flugzeuge und andere Wirtschaftsgüter für den militärischen Bedarf 12. Wie bereits berichtet, lieferte Frankreich außer Aluminium auch große Mengen an Bauxit und Tonerde, die für die Rohstoffversorgung der Aluminiumhütten im deutschen Machtbereich unverzichtbar waren. In den Waffenstillstandsverhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und der Vichy-Regierung hatten diese Lieferungen eine wichtige Rolle gespielt. Die rechtliche Grundlage für die französischen Lieferungen bildeten privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den deutschen Abnehmerfirmen und der französischen Industrie, die unter Beteiligung der beiderseitigen staatlichen Stellen ausgehandelt wurden13. Da die französischen Bauxitgruben, Oxidwerke und Aluminiumhütten durchweg im unbesetzten Teil Frankreichs lagen, war die deutsche Seite für die Umsetzung dieser Vereinbarungen auf die Kooperation der französischen Behörden und Unternehmen angewiesen. Anfängliche Probleme mit der Vertragserfüllung durch die französische Seite wurden ausgeräumt, nachdem im Mai 1941 eine „Gemischte Kommission“ aus Vertretern des Reichsamtes für Wirtschaftsausbau und der beiden französischen Gesellschaften Pechiney und Ugine gebildet worden war14. Für dringend notwendige Reparaturen und für den von den deutschen Behörden geforderten Ausbau der französischen Werke mussten größere Mengen Eisen aus deutschen Beständen zur Verfügung gestellt werden. Auch bei der Versorgung mit Pechkoks zur Anodenherstellung war die französische Seite auf Lieferung aus Deutschland angewiesen15. Frankreich war vor allem an den Kohlelieferungen interessiert, zu denen sich Deutschland als Gegenleistung verpflichtete. Für die französischen Aluminiumunternehmen sicherten die Verträge die Beschäftigung ihrer Werke bei attraktiven Preisen (wobei ein Teil der Erlöse an den französischen Staat abgeführt werden musste). Passiver Widerstand und aktive Sabotage spielten erst in der letzten Phase des Krieges in Frankreich eine Rolle16. Schweiz 17 Eine weitere Lieferquelle für Aluminium erschloss sich für die deutsche Kriegswirtschaft im Spätsommer 1940, als sich die Schweizer Regierung unter dem massiven Druck des Reichs bereit erklärte, Rüstungsgüter und anderes kriegswichtiges Material in größerem Umfang als bisher nach Deutschland zu liefern. Nachdem das Land durch die Besetzung Frankreichs zu einer Enklave der Achsenmächte geworden war, hatten die Schweizer wohl auch keine andere Wahl. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, hatte die deutsche Führung im Juni 1940 vorübergehend die lebenswichtigen Kohlelieferungen in die Schweiz gestoppt. Nach langem Tauziehen kam am 9. August 1940 ein erstes Handelsabkommen zwischen den beiden Ländern zustande, dem weitere Abkommen in den nächsten Jahren folgten. Auf der Forderungsliste der deutschen Verhandlungsdelegation standen Aluminiumlieferungen aus den AIAG-Hütten obenan18. Das deckte sich mit den Interessen der Schweizer Seite, die davon aus-
209 gehen musste, dass die Lieferbeziehungen mit England und Frankreich, wohin der größte Teil der Schweizer Aluminiumexporte bisher geflossen war, auf längere Zeit unterbrochen bleiben würden. Zudem waren die Schweizer für die Tonerdeversorgung ihrer Hütten auf das Wohlwollen der Deutschen angewiesen, die sich in den Vereinbarungen mit der Vichy-Regierung auch die Kontrolle über das Tonerdewerk der AIAG in St. Louis Aygladen in Südfrankreich vorbehalten hatten, aus dem die Schweizerwerke einen großen Teil ihres Tonerdebedarfs bezogen. Ein Teil der benötigten Tonerde kam auch aus dem Oxidwerk der AIAG in Italien. Zwischen 1940 und 1944 lieferte die Schweiz etwa 50.000 Tonnen Aluminium und Aluminiumfabrikate an Deutschland und seinen italienischen Bundesgenossen, mit dem gleichfalls zwischenstaatliche Abkommen vereinbart wurden. Im Gegenzug lieferten die Deutschen Kohle, Eisen und andere lebenswichtige Güter an die Schweiz und sorgten dafür, dass die Schweizer Hütten mit Tonerde und Pechkoks beliefert wurden. Ihren Höhepunkt erreichten die Aluminiumexporte nach Deutschland und Italien in den Jahren 1941 und 1942 mit einer jährlichen Liefermenge von knapp 15.000 Tonnen. Das entsprach einem Anteil von mehr als zwei Drittel der damaligen Aluminiumproduktion der Schweiz. In den folgenden Jahren gingen die Schweizer Aluminiumlieferungen stark zurück, hauptsächlich weil die deutsche Seite nicht mehr in der Lage war, die erforderlichen Mengen an Tonerde bereitzustellen. Seitdem sich Ende 1942/Anfang 1943 mit den Niederlagen der Wehrmacht in Nordafrika und Stalingrad eine Wende im Kriegsverlauf abzeichnete, war die Schweiz auch immer weniger bereit, sich den Pressionen der deutschen Unterhändler bei den alljährlichen Verhandlungen über das deutsch-schweizerische Handelsabkommen zu fügen. Im Januar 1943 ließ man es sogar bewusst auf ein Scheitern der Verhandlungen ankommen. Bis zum Abschluss eines neuen Handelsabkommens mit stark reduziertem Volumen und ohne Einräumung von Krediten durch die Schweiz herrschte bis Oktober 1943 mehrere Monate lang ein vertragsloser Zustand. Im Herbst 1944 wurden die Aluminiumlieferungen ganz eingestellt, nachdem die Befreiung Frankreichs durch alliierte Truppen weitere Tonerdelieferungen aus dem südfranzösischen Tonerdewerk der AIAG unmöglich machten. Die Metalllieferungen aus der Schweiz stellten freilich nur einen kleinen Teil der Leistungen dar, die die neutrale Schweiz während des Krieges auf dem Aluminiumsektor für die Kriegswirtschaft des mächtigen Nachbarn im Norden und seines italienischen Bundesgenossen erbracht hat. Wie wir gesehen haben, waren die deutschen Werke der AIAG völlig in die Kriegswirtschaft des Reiches eingebunden. Gleiches gilt für die italienischen Tochtergesellschaften des Konzerns, deren Fabriken bis zur Kapitulation Italiens im Jahr 1943 für die italienische Rüstungsindustrie und später, soweit sie nicht inzwischen durch alliierte Luftangriffe zerstört worden waren, für die Deutschen arbeiteten. Trotz aller Ausbaubemühungen in Deutschland und trotz wachsender Zufuhren aus Norwegen, Frankreich und der Schweiz blieben die verfügbaren Mengen an Alumi-
210 nium auch 1941 deutlich hinter dem Bedarf der deutschen Rüstungsindustrie zurück. Wegen der ständig steigenden Anforderungen der Wehrmacht (insbesondere der Luftwaffe) war in den folgenden Jahren mit einer weiteren Verschärfung der Versorgungslage zu rechnen. Das für die Kapazitätsplanung zuständige Reichsamt für Wirtschaftsausbau (das den Bedarfsmeldungen der Luftwaffe offenbar mit Zweifeln begegnete) führte Mitte 1941 Gespräche mit Vertretern des Reichsluftfahrtministeriums und des Rüstungsamtes beim OKW sowie mit dem Generalbevollmächtigten Görings für die Aluminiumversorgung der Luftwaffe, Dr. Heinrich Koppenberg, um sich ein zuverlässiges Bild von der zukünftigen Bedarfsentwicklung zu verschaffen. Eine Gegenüberstellung von Bedarf und Deckungsmöglichkeiten für das III. Quartal 1941 ergab für diesen Zeitraum eine Unterdeckung von zwanzig Prozent. Dem Gesamtbedarf von Wehrmacht und ziviler Wirtschaft von 37.900 Moto stand eine Zuteilung von nur 31.200 Moto gegenüber. Die Fehlmenge ging zu Lasten der Luftwaffe, die für das III. Quartal 1941 einen Bedarf von 20.500 Moto angemeldet hatte, tatsächlich aber nur ca. 13.000 Moto erhielt. Noch krasser fielen Bedarf und Deckungsmöglichkeiten in den folgenden Jahren auseinander. Für das Jahr 1942 wurde ein Bedarf von 55.500 Moto prognostiziert, der 1943 weiter auf 61.000 Moto steigen sollte. Die enorme Zunahme war hauptsächlich auf die höheren Anforderungen der Luftwaffe zurückzuführen, die zwischen 1941 und 1943 eine Verdoppelung ihres Aluminiumbedarfs erwartete19. Um derartige Bedarfsmengen aufzubringen, hätte die Aluminiumerzeugung im deutschen Machtbereich innerhalb kürzester Zeit auf über 700.000 Tonnen pro Jahr gesteigert werden müssen. Daran war auch bei optimistischer Beurteilung der Erweiterungsmöglichkeiten nicht zu denken. Im weiteren Verlauf stellte sich freilich heraus, dass die Luftwaffenführung von einer völlig unrealistischen Einschätzung der Produktionsmöglichkeiten der deutschen Flugzeugindustrie ausgegangen war und viel zu hohe Bedarfszahlen genannt hatte. Bevor Göring und seine Leute sich bereit fanden, den harten Tatsachen ins Auge zu sehen, sollte noch geraume Zeit verstreichen.
9.2 Utopische Pläne Nach der Eroberung Norwegens durch die deutsche Wehrmacht hielten Göring und seine Berater den Zeitpunkt für gekommen, die Aluminiumversorgung der Luftwaffe „in die eigene Regie zu übernehmen“. Nach ihren Vorstellungen sollte die Luftwaffe über eine eigene Rohstoffbasis verfügen, die sie bei der Versorgung mit Aluminium von Zulieferungen weitgehend unabhängig machen würde. Nur so glaubte man, die ehrgeizigen Ausbaupläne der Luftstreitkräfte realisieren zu können, die bisher nicht zuletzt wegen des Mangels an Rohstoffen gescheitert waren. Im energiereichen Norwegen, wo bereits eine bedeutende Aluminiumindustrie existierte und genügend Potential für einen großzügigen Kapazitätsausbau vorhanden war, schienen alle Voraussetzungen erfüllt, um die Autarkiepläne der Luftwaffenführung zu verwirklichen. Am
211 8. Mai 1940 verfügte Göring unter Berufung auf einen angeblichen Befehl Hitlers, dass die in Norwegen vorgefundenen Aluminiumvorräte und die zukünftig von der norwegischen Aluminiumindustrie erzeugten Aluminiummengen ausschließlich der Luftwaffe zu übergeben seien. Er war nicht bereit, die norwegische Beute mit Heer und Marine zu teilen und betrachtete die norwegische Aluminiumindustrie als eine Art „Hausindustrie“ der Luftwaffe 20. Mit der Durchführung des Göring-Erlasses wurde der Vorstandsvorsitzende der Junkers-Werke, Dr. Heinrich Koppenberg betraut. Koppenberg war schon wenige Tage nach dem Beginn der deutschen Invasion als Mitglied einer offiziellen deutschen Delegation nach Oslo gereist, um erste Kontakte mit den norwegischen Hütten aufzunehmen. Nach seiner Rückkehr wurde er von Generalluftzeugmeister Udet zum „Treuhänder und Vermögensverwalter für die norwegische Aluminiumindustrie“ bestellt 21. In dieser Eigenschaft legte Koppenberg am 11. Oktober 1940 einen mehrstufigen Plan für den Ausbau der norwegischen Aluminiumproduktion vor, dem Göring mit dem handschriftlichen Vermerk zustimmte: „Diese Pläne genehmige ich und erwarte rascheste Verwirklichung“. Nach dem Koppenberg-Plan sollte in dem besetzten Norwegen eine riesige Aluminiumhüttenindustrie aus dem Boden gestampft werden, mit deren Hilfe man die Versorgungsprobleme der deutschen Flugzeugwerke ein für allemal lösen wollte. Durch den Ausbau der vorhandenen Hütten und die Errichtung neuer Hütten an mehreren Standorten sollte die Kapazität der norwegischen Aluminiumindustrie im Rahmen eines Sofortprogramms binnen Jahresfrist auf 108.000 Jato und bis Ende 1942 auf 156.000 Jato ausgebaut werden. In einer revidierten Fassung des Plans von Mitte 1941 wurden die Zielkapazitäten auf 117.000 Jato für das Sofortprogramm und 247.000 Jato für die Endausbaustufe erhöht, die bis Ende 1944 bereitstehen sollten 22. Für die Stromversorgung der neu geschaffenen Hüttenkapazitäten (einschließlich einer Magnesiumerzeugung von 15.000 Jato) war der Bau von acht Wasserkraftwerken mit einer Leistung von rund 650 MW vorgesehen23. Auch die Errichtung von Tonerdefabriken war geplant, um wenigstens einen Teil des Tonerdebedarfs aus lokalen Quellen decken zu können. In der Endausbaustufe sollten Tonerdekapazitäten von 178.000 Jato zur Verfügung stehen. Insgesamt wollte man mehr als eine Milliarde Reichsmark in das Vorhaben stecken, eine für die damaligen Verhältnisse gigantische Summe, an deren Aufbringung sich auch Norwegen beteiligen sollte. Träger des unter der Bezeichnung „Leichtmetallausbau Norwegen“ laufenden Vorhabens war eine am 16. November 1940 in Berlin gegründete Aktiengesellschaft, die zunächst den Namen „Nordische Aluminium AG“ (kurz: Nordag) erhielt, später aber in „Hansa Leichtmetall AG“ umgetauft wurde. Der Nordag/Hansa oblag auch die treuhänderische Verwaltung der bereits vorhandenen Werke in Norwegen, deren Produktion in größtmöglichem Umfang für die Versorgung der deutschen Luftfahrtindustrie herangezogen werden sollte. Zur Durchführung ihrer Aufgaben in Norwegen gründete die Hansa eine norwegische Tochtergesellschaft unter dem Namen „A/S Nordag“ mit Sitz in Oslo. Über eine zweite Tochtergesellschaft mit Namen „A/S Nordisk Lett-
212 metall“, an der neben der Hansa auch der IG-Farben-Konzern und die norwegische Norsk Hydro mit je einem Drittel beteiligt waren, sollte der gleichfalls geplante Bau eines Magnesiumwerks in Heroen in Südnorwegen abgewickelt werden. Den Vorsitz im Aufsichtsrat der Hansa übernahm Koppenberg, der seine Tätigkeit für die JunkersWerke zeitgleich beendete. Die Führungspositionen bei der Hansa und ihrer norwegischen Tochtergesellschaft A/S Nordag wurden mit Männern seines Vertrauens besetzt, die vor allem im IG Farben-Konzern, in den Junkers-Werken und in den Dürener Metallwerken rekrutiert wurden. Die Aktien der Gesellschaft übernahm die dem Reichsluftfahrtministerium unterstehende staatliche Bank der Deutschen Luftfahrt AG. Die von Reichsfinanzminister von Krosigk unterstützte Forderung der VAW nach einer Beteiligung an der Hansa scheiterte am Widerspruch Görings, der eine Einschaltung der VAW in den Leichtmetallausbau Norwegen strikt ablehnte 24. Erfolglos blieb auch der IG Farben-Konzern mit dem von Koppenberg unterstützten Versuch, über eine Beteiligung an der Hansa Einfluss auf die norwegische Aluminiumerzeugung zu gewinnen. Ebenso wenig kam die ursprünglich ins Auge gefasste Beteiligung norwegischer Interessen an der A/S Nordag zustande. Über die endgültige Zuordnung der norwegischen Aluminiumindustrie sollte erst nach dem Kriege entschieden werden. Zwischen der „Gruppe Koppenberg“ und der VAW kam es in der Folgezeit immer wieder zu heftigen Kontroversen über die Expansionspläne der Hansa, die sich nicht auf den Leichtmetallausbau in Norwegen beschränken lassen wollte. Stein des Anstoßes war zunächst vor allem die Tonerdeversorgung der norwegischen Hütten, die Koppenberg an den zuständigen Behörden vorbei und häufig zu Lasten der VAW auf eigene Faust sicherzustellen versuchte. Koppenbergs Interesse galt in erster Linie den von Deutschland okkupierten Ländern in Südosteuropa, die er zur Versorgung der norwegischen Aluminiumindustrie heranziehen wollte. Im Sommer 1941 griff Göring persönlich ein, um den Streit zwischen den beiden Gruppen zu schlichten25. Dabei kam es auch zu einer Aufteilung der Bauxitlagerstätten in den besetzten Gebieten: In Jugoslawien, das grundsätzlich der VAW vorbehalten bleiben sollte, fiel der Hansa nur das Braunkohle- und Bauxitgebiet Imotski-Livno zu, das für die Errichtung einer Tonerdefabrik besonders geeignet war. In Griechenland behielt sie die beiden griechischen Bauxitgesellschaften, die sie zuvor an sich gebracht hatte. Die im Norden Russlands gelegenen Vorkommen und die dazugehörigen Tonerdewerke, die man in Kürze zu erobern gedachte, sollten in erster Linie für die Deckung des Oxydbedarfs der Hansa in Norwegen herangezogen werden26. Das Aluminiumkombinat Saporoshje in der von den deutschen Truppen besetzten Ukraine wurde hingegen der VAW zugesprochen. Sie erhielt den Auftrag, das von den Sowjets vor ihrem Abzug bis auf die Gebäudemauern demontierte Werk wieder aufzubauen und in Gang zu bringen27. In Südfrankreich sollten VAW und Hansa von nun an gemeinsam vorgehen und unter Beteiligung von Pechiney und Ugine Tonerdefabriken errichten28. Die Interessengegensätze zwischen VAW und Hansa verschärften sich indessen weiter, nachdem die Luftwaffenführung im Sommer 1941 ein gigantisches Beschaffungs-
213 programm beschlossen hatte und zu seiner Realisierung eine nicht weniger gigantische Expansion der Aluminiumerzeugung forderte. Durch das so genannten „GöringProgramm“ sollte die Stärke der Luftwaffe innerhalb von zwei bis zweieinhalb Jahren vervierfacht und die Leichtmetallproduktion im großdeutschen Machtbereich – unter Einbeziehung der noch zu erobernden sowjetischen Gebiete – auf über eine Million Tonnen Aluminium und 60.000 Tonnen Magnesium pro Jahr gesteigert werden29. Auf diese Weise wollte man auf dem Gebiet der Luftrüstung den Gleichstand mit den Amerikanern und Engländern erreichen, über deren Ausbaupläne die deutsche Führung bestens informiert war. Die Forderungen der Luftwaffe lösten bei den beteiligten Firmen und Behörden hektische Planungsaktivitäten aus, mit deren Koordination die Leichtmetallabteilung des Reichsamtes für Wirtschaftsausbau unter der Leitung von Eberhard Neukirch betraut wurde. Der Hansa war eine wichtige Rolle bei dem geplanten Ausbau der Hütten- und Tonerdekapazitäten zugedacht30. Sie sollte in Krems an der Donau eine Aluminiumhütte mit einer Kapazität von 36.000 Jato errichten, die bis zur Fertigstellung eines Wasserkraftwerkes über eine Fernleitung aus Oberschlesien und dem Protektorat Böhmen und Mähren mit Kohlestrom versorgt werden sollte. Zwei weitere Hütten mit einer Kapazität von zusammen 84.000 Jato sollten von der Hansa an Standorten bei Ratibor im oberschlesischen Industrierevier auf der Basis von Kohlestrom errichtet werden. Als Teil des Hüttenprojektes in Krems war auch der Bau eines Tonerdewerkes vorgesehen. Auch die Dürener Metallwerke und die Leipziger Leichtmetallwerke Rackwitz sollten an dem Ausbau der Hüttenindustrie beteiligt werden. Für die beiden Halbzeughersteller eröffnete sich damit die Möglichkeit, ihre lang gehegten Hüttenpläne zu verwirklichen und sich von den Aluminiumlieferungen der etablierten Hüttenproduzenten unabhängig zu machen. Die bereits in Ungarn engagierten Dürener Metallwerke beantragten beim Reichswirtschaftsministerium die Genehmigung für den Bau einer Aluminiumhütte in Fischamend bei Wien, die bis zur Fertigstellung der Wasserkraftanlagen ebenfalls mit Kohlestrom aus Oberschlesien betrieben werden sollte. Auch die Leipziger Leichtmetallwerke wollten sich die Wasserkraft der Donau zunutze machen und in Engerau (Petrzalka bei Bratislava), das 1939 der Ostmark angegliedert worden war, die Erzeugung von Aluminium aufnehmen. Bis zur Fertigstellung des Wasserkraftwerkes sollte auch diese Hütte ihren Strom aus Oberschlesien und aus dem Protektorat erhalten, wo Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von über 700 MW geplant waren31. Die VAW opponierte vergeblich gegen eine Beteiligung der beiden Halbzeugfirmen an dem Ausbauprogramm, die zu einer weiteren Aushöhlung ihres Quasi-Monopols für Hüttenaluminium führen musste, das bereits durch die Ausbaupläne der Hansa ernsthaft bedroht war. Die von Westrick als Alternative ins Gespräch gebrachte Gemeinschaftshütte der etablierten Produzenten unter Einschluss der Hansa stieß bei den Planungsbehörden auf wenig Gegenliebe 32. Immerhin ging auch die VAW bei der Verteilung der Standorte nicht leer aus. Zusätzlich zu dem bereits erwähnten Wiederaufbau des Hüttenkombinats in Sapo-
214 roshje wurde ihr auch die Durchführung eines Projektes in Pettau (slowenisch: Ptnj) an der Drau in einem Gebiet von Slowenien übertragen, das seit dem Einmarsch der deutschen Truppen unter deutscher Verwaltung stand. An diesem Standort war der Bau einer Aluminiumelektrolyse mit einer Kapazität von 40.000 Jato vorgesehen, die ihren Strom aus der Wasserkraft der Drau beziehen sollte. Außerdem sollte die VAW in unmittelbarer Nachbarschaft zu der geplanten Hütte ein großes Tonerdewerk mit einer Kapazität von 100.000 Jato errichten. Wegen seiner Nähe zu den jugoslawischen Bauxitvorkommen und der Verfügbarkeit von billiger Braunkohle in der benachbarten Steiermark bot sich Pettau als Standort für ein Tonerdewerk an. Ein weiteres Bauvorhaben der VAW war in dem mit Deutschland verbündeten Rumänien vorgesehen. Die mit einer Anfangskapazität von 50.000 Jato geplante Hütte am Eisernen Tor sollte auf Wasserkraftbasis betrieben werden und ebenfalls über eine eigene Tonerdefertigung verfügen33. Einschließlich des Hüttenkombinats in Saporoshje, dessen Kapazität mit 40.000 Tonnen angesetzt wurde, repräsentierten die genannten Hüttenprojekte eine Kapazität von fast 300.000 Jato. Weitere 330.000 Jato sollten in den Hütten in Großdeutschland produziert werden, deren Kapazität man durch Erweiterungsbauten in Ranshofen und Rheinfelden um ca. 40.000 Jato über das zuletzt geplante Niveau von 288.900 Jato steigern wollte. Die norwegische Aluminiumerzeugung schlug nur noch mit 108.000 Jato zu Buch, nachdem die staatlichen Planungsstellen den „Leichtmetallausbau Norwegen“ schon Ende 1941 auf das Sofortprogramm zurückgestutzt hatten und der weitere Ausbau der Hüttenkapazitäten auf die ursprünglich geplanten 247.000 Jato in die ferne Zukunft gerückt war. Von den westeuropäischen Ländern waren Italien mit 100.000 Jato (plus 45.000 Tonnen) und Frankreich mit 95.000 Jato (plus 30.000 Tonnen) eingeplant. Die übrigen europäischen Ländern im deutschen Machtbereich (zu denen vor allem Ungarn und die Schweiz zählten) sollten 60.000 bis 70.000 Tonnen zu der von Göring geforderten gesamteuropäischen Aluminiumkapazität von einer Million Tonnen beisteuern. Der Ausbau der Hütten einschließlich der erforderlichen Erweiterung der Tonerdekapazitäten und der Energieerzeugung sollte bis 1944/45 abgeschlossen sein34. Auf dem Papier war damit der Forderung des Reichsmarschalls Genüge getan. Die Wirklichkeit sah freilich völlig anders aus. Wie die vorhergehenden Pläne der Luftwaffe war auch das Göring-Programm vom Wunschdenken der Luftwaffenführung diktiert. Es wurde zur Makulatur, nachdem die Blitzkriegsstrategie gegen die Sowjetunion im November 1941 vor Moskau gescheitert war. Unter dem Eindruck der schweren Verluste der deutschen Truppen an der Ostfront im Winter 1941/1942 ordnete Hitler eine erneute Umsteuerung der Rüstung mit dem Ziel einer Wiederherstellung der Schlagkraft des Heeres an. Für die Durchführung des Göring-Programms fehlte es an den erforderlichen Ressourcen, die jetzt in andere Rüstungsbereiche flossen35. Dessen ungeachtet geisterten Görings utopische Pläne noch einige Zeit durch die Diskussionen der Planungsstellen, bis sie nach der Katastrophe von Stalingrad und der Räumung von Saporoshje endgültig in der Versenkung verschwanden. Noch im Frühjahr 1942, als das Göring-Programm auf höchs-
215 ter Ebene diskutiert wurde, hielt die Luftwaffenführung an den ursprünglichen Forderungen fest, war aber jetzt bereit, einer zeitlichen Streckung des Ausbauprogramms zuzustimmen. Der im Mai 1942 beschlossene Stufenplan unterteilte die Hüttenprojekte in drei Dringlichkeitsstufen, von denen zunächst nur die ersten zwei Stufen realisiert werden sollten. Wegen der ständig zunehmenden Engpässe bei Material und Arbeitskräften konnten aber nicht einmal alle Projekte der höchsten Dringlichkeitsstufe in Angriff genommen, geschweige denn verwirklicht werden36. Als erstes mussten die hochtrabenden Expansionspläne in den Ländern Südosteuropas aufgegeben werden. Die meisten der geplanten Hütten und Tonerdewerke im Donauraum kamen über das Planungsstadium nicht hinaus. Eines der wenigen Projekte, das tatsächlich in Angriff genommen wurde, war das Tonerdewerk in Pettau, mit dessen Bau die VAW im Jahr 1942 begann. Wegen des Mangels an Material und Arbeitskräften gelang es aber nicht, das Vorhaben bis zum Kriegsende fertig zu stellen. Den Hüttenbau in Pettau hatte man schon im Mai 1942 auf unbestimmte Zeit verschieben müssen. Die von der VAW hinterlassene „Bauruine“ wurde nach dem Krieg der Ausgangspunkt der Aluminiumindustrie in Jugoslawien37. Eine weitere Bauruine hinterließ die VAW in Ungarn, wo sie 1942 mit dem Bau einer Tonerdefabrik in Almasfüzito in den ungarischen Bauxitabbaugebieten begann. Träger des Vorhabens war die „Donautaler Tonerde Industrie AG“, an der die VAW unmittelbar und über ihre Tochtergesellschaft Bauxit Trust zu zwei Dritteln beteiligt war. Das restliche Drittel entfiel auf die ungarische Regierung, von der die Initiative zu dem Vorhaben ausgegangen war. In Form einer Sacheinlage lieferte die VAW einen großen Teil der Betriebsanlagen für das Werk, das aber bis zum Kriegsende nicht mehr fertig gestellt werden konnte38. Auch in Saporoshje/Ukraine kam die VAW über Aufräumungsarbeiten nicht hinaus, da die benötigten Ersatzanlagen infolge fehlenden Transportraumes und wegen unzureichender Beschaffungsmöglichkeiten ausblieben. Alle diese im Höhenrausch der Jahre 1941/1942 entstandenen Projekte haben knappe wirtschaftliche Ressourcen verschlungen aber letztlich nichts zur Aluminiumversorgung der deutschen Kriegswirtschaft beigetragen. Mit einem totalen Fiasko endete schließlich auch das unausgegorene und völlig überdimensionierte Norwegenprojekt. Nachdem es trotz massiven Einsatzes von Menschen und Material bis Anfang 1943 nicht gelungen war, an irgendeiner Stelle die Stromerzeugung oder Tonerde- und Aluminiumproduktion in Gang zu setzen, konnte sich auch Göring und das von ihm geführte Reichsluftfahrtministerium nicht mehr vor der Erkenntnis verschließen, dass das Projekt in der ursprünglich konzipierten Form undurchführbar war. Koppenberg war schon im Herbst 1942 seiner Ämter enthoben worden. Seine Kritiker im Reichsamt für Wirtschaftsausbau, das an der Planung des Norwegenprojektes nicht beteiligt war, warfen Koppenberg vor allem vor, dass er sich für ein gigantisches Neubauprogramm entschieden habe, anstatt sich auf den Ausbau der vorhandenen Hütten zu konzentrieren, was schneller zum Erfolg geführt hätte 39. Anstelle Koppenbergs wurde der für die Aufgabe besser qualifizierte Vorsitzende des
216 Vorstandes der VAW, Dr. Ludger Westrick, zum Beauftragten für das Leichtmetall (BdL) bestellt 40. Die Hansa-Leichtmetall wurde am 31. Mai 1943 liquidiert. Westrick erreichte bei den deutschen Planungsstellen, dass die Montagearbeiten in Norwegen auf die am weitesten fortgeschrittenen Baustellen konzentriert wurden. Er sorgte dafür, dass der Mitarbeiterstab der Nordag durch bewährte Fach- und Führungskräfte der VAW verstärkt wurde. Durch diese Maßnahmen gelang es trotz zunehmender Erschwerung der Beschaffung und Heranführung von Material, wenigstens die erste Ausbaustufe des Oxydwerkes in Sauda mit einer Kapazität von 18.000 Jato Anfang 1944 in Betrieb zu nehmen. Auch Teile der Kraftwerksanlagen in Tyin konnten bis Kriegsende fertig gestellt werden. Die schon weit vorangeschrittenen Bauarbeiten an der Aluminiumhütte in Aardal mussten auf Grund einer Anweisung von Rüstungsminister Speer vom 6. September 1944 eingestellt werden, „da mit einer Fertigstellung vor Kriegsende nicht mehr zu rechnen sei“ 41. Nach Beendigung des Krieges gingen die Hütte in Aardal und das Oxidwerk im nahe gelegenen Aardalstangen in den Besitz der staatseigenen A.S. Aardal og Sundal über 42.
9.3 Die Aluminiumindustrie im totalen Krieg Obwohl die deutsche Führung noch in Friedenszeiten den Übergang zur Kriegswirtschaft systematisch vorbereitet hatte, stellte sich nach Beginn des Krieges heraus, dass es an einer effizienten Steuerung und Kontrolle der Wirtschaft in vielen Bereichen fehlte. Die zum Teil chaotischen Zustände hatten zur Folge, dass die Produktion von wichtigen Rüstungsgütern weit hinter der Planung zurückblieb und knappe Ressourcen sinnlos vergeudet wurden. Das galt insbesondere auch für das für die Kriegsführung so bedeutende Gebiet der Luftrüstung. Die Versorgungsprobleme der ersten beiden Kriegsjahre waren zu einem guten Teil auf die Ineffizienz der Rüstungs- und Flugzeugindustrie zurückzuführen, die erst im Laufe des Krieges ein funktionierendes Ressourcenmanagement einführte. Nach dem Scheitern der Blitzkriegsstrategie vor Moskau im Herbst 1941 unterzog die deutsche Führung den Rüstungssektor einer radikalen Umorganisation, mit der man sich auf den jetzt unvermeidlich gewordenen langen Krieg einstellen wollte. Der Übergang zu einer konsequenten Kriegswirtschaft ist vor allem mit dem Namen Albert Speer verbunden, den Hitler am 9. Februar 1942 als Nachfolger des tödlich verunglückten Fritz Todt zum neuen Minister für Bewaffnung und Munition ernannte. Mit umfassenden Vollmachten ausgestattet, zog Speer in der Folgezeit Schritt für Schritt die Führung der gesamten deutschen Wirtschaft an sich. Das Rüstungsamt im OKW wurde 1942 in das Speersche Ministerium überführt und 1943 ganz aufgelöst. Die Wehrmachtsführung wurde systematisch in allen Fragen der Wehrwirtschaft und Rüstung ausgeschaltet. Seit dem 2. September 1943 war Speer als Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion auch für die zivile Wirtschaft verantwortlich 43.
217 Schon kurz nach seiner Ernennung zum Minister für Bewaffnung und Munition ordnete Speer die Einrichtung eines zentralen Planungssystems für die Rüstungswirtschaft und die Aufstellung von Bilanzen für die wichtigsten Rohstoffe an, zu denen auch das für den Flugzeugbau unverzichtbare Aluminium gehörte. Diese Aufgabe wurde der „Zentralen Planung im Vierjahresplan“ übertragen, die von Speer als oberste Regulierungsinstanz ins Leben gerufen wurde 44. Die Luftrüstung blieb der einzige Bereich der deutschen Volkswirtschaft, der nominell noch nicht von Speer verwaltet wurde. Die von ihm eingeführte zentrale Rohstoffplanung gab ihm aber auch in diesem größten Sektor der deutschen Kriegswirtschaft, auf den 1943 etwa vierzig Prozent der gesamten Rüstungsleistung entfielen, ein wichtiges Mitspracherecht. Endgültig wurde die wehrwirtschaftliche Sonderrolle der Luftwaffe erst im März 1944 beseitigt, als das für die Luftrüstung zuständige Technische Amt der Luftwaffe Speer unterstellt und kurze Zeit danach endgültig aufgelöst wurde 45. Der besondere Augenmerk Speers galt dem Ausbau des schon in Friedenszeiten eingeführten Systems der industriellen Selbstverantwortung, von dem er sich eine weniger bürokratische Umsetzung der staatlichen Planungsvorgaben versprach als sie von den bisher zuständigen staatlichen und militärischen Behörden zu erwarten war. Die schon unter Fritz Todt gebildeten „Hauptringe“ und „Hauptausschüsse“ wurden in der Ära Speer zu einem zentralen Steuerungsinstrument für die Rüstungsproduktion ausgebaut. In den Hauptringen waren Unternehmen der Grundstofferzeugung und der Grundstoffverarbeitung zusammengefasst, deren Produkte in den verschiedenen Zweigen der Rüstungsindustrie benötigt wurden. Hauptringe wurden für die Bereiche Eisenerzeugung, Eisenverarbeitung, Metalle, Metallverarbeitung, elektrotechnische Erzeugnisse sowie Maschinen und andere Produktionsmittel gebildet. Die Hauptausschüsse waren Zusammenschlüsse von so genannten Rüstungsendfertigern, die bestimmte Rüstungsgüter oder Teile davon herstellten, wie zum Beispiel Panzer, Triebwerke oder Flugzeugzellen Die Hauptringe und Hauptausschüsse zerfielen in eine große Zahl von Sonderringen und Sonderausschüssen, von denen es im Juni 1942 fast zweihundert gab 46. Für die Aluminiumerzeugung wurde im Rahmen des Hauptringes „Metalle“ der „Sonderring Leichtmetall – Vorstoffe und Erzeugung“ gebildet. Als „Ringführer“ wurde der Vorstandsvorsitzende der VAW, Ludger Westrick, berufen, der unter Speer zur beherrschenden Figur auf dem Aluminiumsektor aufstieg. Die Hersteller von Walzhalbzeug, Pressprodukten und Schmiedefabrikaten aus Aluminium waren in einer Unterorganisation des Hauptringes „Metallverarbeitung“ zusammengeschlossen, zu dessen Aufgaben die zentrale Verteilung der Rohstoffe, die Auftragssteuerung und ein weitgehender Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen den Herstellern gleicher Produkte gehörte. Die Ringführung für den Bereich Aluminiumhalbzeug wurde den Dürener Metallwerken übertragen. Die Vertreter der wichtigsten Halbzeugwerke kamen am 12. Februar 1942 im Reichsluftfahrtministerium in Berlin zu einer ersten Sitzung des Sonderringes Aluminiumhalbzeug zusammen. Im Sitzungsprotokoll wird auf die Versorgungsprobleme bei Rohaluminium und anderen
218 Rohstoffen hingewiesen, die es unmöglich machten, die vorhandenen Kapazitäten voll zu nutzen. Auch der Energiemangel und die Knappheit an Arbeitskräften zwängen die Ringfirmen zur Drosselung der Produktion. An einen Ausbau der Kapazitäten sei unter diesen Umständen nicht zu denken. Mit erkennbarer Skepsis heißt es in dem Protokoll, die zuständigen Stellen hätten der Ringführung „eine Ansteigung des Aluminiumaufkommens in Aussicht gestellt, die, wenn sie zutreffen wird, ab Mitte 1942 eine volle Zuteilung erhoffen lässt“47. Tatsächlich hielt der Aluminiummangel noch während des ganzen Jahres 1942 an. Statt der von der Luftwaffe geforderten Produktionssteigerung blieb die Halbzeugproduktion im Jahr 1942 sogar hinter der des Vorjahres zurück. Tabelle 11: Halbzeugproduktion 1938, 1941–1944 (Quelle: Archiv des GDA) 48 1.000 t Walzhalbzeug Stangen, Rohre, Profile Leitmaterial Schmiedeteile Gesamt
1938
1941
1942
1943
1944
71 43 40 8
78 75 55 28
65 82 55 27
101 82 48 31
148 98 47 40
162
236
229
262
333
Die Versorgungslage entspannte sich erst um die Jahreswende 1942/1943, nachdem die höhere Hüttenproduktion in Deutschland und verstärkte Aluminiumeinfuhren aus dem besetzten Ausland und aus der Schweiz ihre Wirkung zeigten. 1943 übertraf das Aufkommen an Rohaluminium zeitweise sogar den Bedarf, obwohl die Produktion von Halbzeug und Gussprodukten inzwischen kräftig gestiegen war. Von den im Jahr 1943 aufgebauten Reserven zehrte die Industrie im folgenden Jahr, als der weiter wachsende Aluminiumbedarf nur noch zum Teil aus der laufenden Produktion der Hütten gedeckt werden konnte 49. Die veränderte Versorgungssituation schlug sich in den Produktionszahlen der Halbzeugwerke nieder: Nach Jahren der Stagnation verzeichnete die Erzeugung von Halbzeug in den letzten Kriegsjahren einen steilen Anstieg, der 1944 geradezu dramatische Ausmaße annahm. 1941/1942 hatte die Produktion der Halbzeugwerke durchschnittlich 19.400 Tonnen pro Monat betragen. 1943 wurden bereits 21.800 Tonnen pro Monat produziert. 1944 stieg der Ausstoß weiter an und erreichte in den ersten drei Quartalen des Jahres mit 29.000 Monatstonnen ein Niveau, das die Produktionsleistung der Jahre 1941/1942 um fast die Hälfte übertraf. Selbst im letzten Quartal des Jahres 1944 betrug die Halbzeugproduktion noch fast 23.000 Tonnen pro Monat, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Halbzeugwerke durch Kriegseinwirkung ganz oder teilweise ausgefallen waren. Spätestens Ende 1942 war auch deutlich geworden, dass die Versorgungsprobleme bei Aluminium durch die überzogenen Anforderungen der Luftwaffe künstlich aufgebläht worden waren. Aufschlussreich ist der Bericht Eberhard Neukirchs über die Sitzung im Reichsluftfahrtministerium am 16. Dezember 1942, in der die Aluminium-
219 planung für 1943 mit dem für die Luftrüstung zuständigen Generalluftzeugmeister Erhard Milch besprochen wurde. Die Luftwaffe hatte beim Reichswirtschaftsministerium einen Bedarf von 470.000 Tonnen angemeldet, was unter Berücksichtigung des Bedarfs der anderen Wehrmachteile und der zivilen Wirtschaft zu einem Gesamtbedarf an Aluminium von über 700.000 Tonnen geführt hätte, der die verfügbaren Mengen bei weitem überstieg. Als Krauch die Bedarfszahlen der Luftwaffe hinterfragte, musste Milch kleinlaut eingestehen, dass der tatsächliche Bedarf im Jahr 1943 nur 300.000 Tonnen betrage und dass auch diese Menge durch gezielte Sparmaßnahmen weiter reduziert werden könne. In derselben Sitzung machte Westrick die für die anderen Sitzungsteilnehmer überraschende Mitteilung, dass sich bei den Aluminiumhütten eine Vorratsbildung abzuzeichnen beginne, die bereits eine beachtliche Höhe erreicht habe. Es handele sich um Mengen, die schon zugeteilt aber nicht abgerufen worden seien. Auch in einer weiteren Besprechung im Reichswirtschaftsministerium am 4. Mai 1943 wiesen Vertreter der Aluminiumindustrie auf die steigenden Aluminiumvorräte bei den Hütten und Umschmelzwerken hin, die zu diesem Zeitpunkt etwa 36.000 Tonnen Hüttenaluminium und 20.000 Tonnen Umschmelzaluminium betrugen. Um die Hütten finanziell zu entlasten, erklärte sich das Rüstungsministerium zu einer Bevorschussung der Vorräte bereit, die bis August 1943 auf 70.000 Tonnen Hütten- und Umschmelzaluminium anstiegen und – wie bereits erwähnt – wesentlich dazu beitrugen, dass die Bedarfslücke im folgenden Jahr geschlossen werden konnte 50. Wenn es der deutschen Führung trotz aller Schwierigkeiten gelungen ist, die Versorgung der Kriegwirtschaft mit Aluminium fast bis zum Ende des Krieges einigermaßen sicherzustellen, so ist dies in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Aluminiumhütten im Reichsgebiet das 1942 erreichte Produktionsniveau auch in den beiden letzten Kriegsjahren ohne tiefe Einbrüche aufrechterhalten konnten. Mit 264.000 Tonnen verzeichnete die deutsche Hüttenaluminiumproduktion im Jahr 1942 ihren höchsten Stand im Krieg. Trotz zunehmender Produktionserschwernisse erreichte die Erzeugung auch in den beiden folgenden Jahren mit 250.000 Tonnen im Jahr 1943 und 244.000 Tonnen im Jahr 1944 ein beachtliches Niveau. Die deutschen Aluminiumhütten standen offenbar nicht auf der Liste der Industrieanlagen, die seit dem Herbst 1942 das Ziel systematischer Angriffe der alliierten Bombergeschwader waren 51. Jedenfalls hielten sich die Produktionsverluste durch alliierte Bombenangriffe bis in die Spätphase des Krieges in engen Grenzen. Gravierender waren die Produktionseinbußen, die durch die unzureichende Versorgung der Hütten mit Tonerde entstanden. Trotz beträchtlicher Anstrengungen ist es der deutschen Aluminiumindustrie nicht gelungen, die Tonerdeproduktion so zu steigern, dass sie mit dem rasch wachsenden Bedarf der Hütten Schritt halten konnte. Die Tonerdelieferungen aus Frankreich konnten die Minderleistung der deutschen Werke nur zum Teil ausgleichen. Die Pläne zur Errichtung neuer Oxidwerke in Frankreich, Jugoslawien und anderen Ländern Südosteuropas kamen fast durchweg über das Planungsstadium nicht hinaus. So blieb die Tonerdeversorgung bis zum Schluß ein ungelöstes Problem, das in erster Linie
220 dafür verantwortlich war, dass die mit großem Aufwand errichteten Hüttenkapazitäten während des ganzen Krieges nicht voll genutzt werden konnten. Dazu kam die zunehmende Verknappung des Stroms, die vor allem in den letzten Kriegsjahren ebenfalls zu erheblichen Produktionsausfällen führte52. Tabelle 12: Deutsche Hüttenproduktion 1939–1944 53 1939
1940
1941
1942
1943
1944
VAW AIAG MG/IG Farben Andere
1.000 t
137 24 33 6
142 25 38 6
156 31 39 7
174 33 48 9
172 31 40 7
167 35 38 4
Gesamt
200
211
233
264
250
244
Neben der Hüttenproduktion im Reichsgebiet standen der deutschen Kriegswirtschaft beträchtliche Mengen an Hüttenaluminium aus Frankreich, Norwegen und der Schweiz zur Verfügung. In den Jahren 1940–1944 summierten sich die Lieferungen aus diesen Ländern auf ca. 250.000 Tonnen54. Das entsprach etwa einem Sechstel des deutschen Gesamtaufkommens an Hüttenaluminium in dieser Zeit. In der genannten Menge sind 35.000 bis 40.000 Tonnen Aluminiumhalbzeug enthalten, die vor allem aus Frankreich, aber auch aus der Schweiz, Belgien und Holland nach Deutschland importiert wurden. Die dortigen Halbzeugwerke verarbeiteten Aluminium im Auftrag der deutschen Aluminiumindustrie zu Blechen und anderen Fabrikaten. In den Jahren 1943 und 1944 beliefen sich die Halbzeugimporte aus diesen Ländern auf 12.000 Tonnen bzw. 14.000 Tonnen 55. Große Bedeutung für die Aluminiumversorgung gewann im Laufe des Krieges auch das Umschmelzaluminium, das in ständig wachsenden Mengen produziert wurde. Der wichtigste Rohstoff für die Umschmelzwerke war Flugzeugschrott, der vor allem in den letzten Kriegsjahren reichlich zur Verfügung stand. Die Produktion der Umschmelzwerke erreichte 1944 fast 150.000 Tonnen 56. Insgesamt standen in den beiden letzten Kriegsjahren zwischen 430.000 und 450.000 Tonnen Rohaluminium pro Jahr zur Verfügung, wovon etwa ein Drittel auf das Umschmelzaluminium entfiel. Diese Mengen reichten aus, um den dringendsten Bedarf der deutschen Rüstungswirtschaft zu decken, für deren Zwecke Aluminium seit 1943 fast ausschließlich verwendet wurde. Versorgungsengpässe, wie sie in den ersten Kriegsjahren bis in das Jahr 1942 hinein aufgetreten waren, haben sich bis in die letzten Kriegsmonate nicht mehr wiederholt. Die gewaltige Ausweitung der Flugzeugproduktion in den Jahren 1943 und 1944 wäre undenkbar gewesen, wenn es an dem für die Luftrüstung unverzichtbaren Rohstoff Aluminium gefehlt hätte. Hauptengpass war seit der Jahreswende 1942/1943 nicht mehr das verfügbare Aluminium sondern der Flugzeugmotorenbau 57. Auch die Luftwaffenführung hat ihren Beitrag zur Überwindung der „Aluminiumnot in der Flugzeugindustrie“ geleistet, die sie durch ihre Planungsfehler und Organisationsmängel zu einem guten Teil selbst verschuldet hatte 58. Das Bild der deutschen
221 Flugzeugindustrie war bis in die ersten Kriegsjahre von einer großen Zahl untereinander rivalisierender Unternehmen geprägt, die eine verwirrende Vielfalt von Flugzeugtypen unter Anwendung von zum Teil ineffizienten Fertigungsmethoden herstellten. Erst 1942 ging die Industrie systematisch zur Massenfertigung einiger weniger Modelle über und begegnete der Materialvergeudung durch eine effizientere Nutzung der knappen Ressourcen. Als energischer „Rationalisierer“ erwies sich Erhard Milch, der nach dem Tod Udets am 17. November 1941 die Aufgaben des für die Luftrüstung verantwortlichen Generalluftzeugmeisters übernahm. Im Februar 1942 setzte Milch einen Sparkommissar für den Materialverbrauch ein, der berechtigt war, in den Flugzeugfabriken überschüssige Lagerbestände zu beschlagnahmen. Auf technischem Gebiet galten die Bemühungen vor allem dem Ziel, durch konstruktive Veränderungen des Flugzeugbaus einen effektiveren Materialeinsatz zu erreichen. Wichtige Konstruktionsteile für die Flugzeugzelle, wie zum Beispiel Motorenträger und Holmgurte, wurden auf den immer leistungsfähigeren Schmiedepressen hergestellt. Auch Strangpressprofile fanden vermehrt im Flugzeugzellenbau Verwendung. Der Trend ging zu einbaufertigen Werkstücken, die Typen gebunden konstruiert waren und mit möglichst geringer Nacharbeit in die Montage einfließen konnten. Schmiedestücke und Profile ersetzten Konstruktionsteile, die bisher im Span abhebenden Verfahren aus Aluminiumplatten gefräst worden waren und trugen dadurch zur Materialersparnis und zur Rationalisierung des Flugzeugbaus bei. In den letzten Kriegsjahren entfielen fast fünfzig Prozent der gesamten Halbzeugproduktion auf Strangpresshalbzeug und Schmiedestücke. Auch die spanlose Blechverformung und die verstärkte Verwendung von Gussteilen dienten dem Ziel einer Optimierung des Materialeinsatzes. In den zweieinhalb Jahren seit der Ernennung Speers zum Rüstungsminister konnte die deutsche Rüstungswirtschaft ihren Ausstoß bis Mitte 1944 auf das Dreifache der Ausgangsbasis steigern. In bestimmten Schwerpunktbereichen, zu denen auch die Luftrüstung gehörte, wurden noch höhere Steigerungsraten erzielt. Die Produktion von Kriegsflugzeugen aller Kategorien erhöhte sich von 11.030 Maschinen im Jahr 1941 auf 37.950 Maschinen im letzten Kriegsjahr. Bei diesem Vergleich ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich der Schwerpunkt der deutschen Flugzeugproduktion seit Mitte 1943 von Kampfflugzeugen (wichtigstes Baumuster war die Ju 88) immer mehr auf Jagdflugzeuge vor allem der Typen Me 109 und FW 190 verlagert hat, deren Bau einen wesentlich geringeren Aufwand an Material und Arbeitsleistung erforderte. Im Juni 1944 wurde sogar ein Produktionsstop für den Bau von Bombern verfügt. Im selben Monat erreichte der Ausstoß an so genannten „Verteidigungsflugzeugen“ mit 2.000 Maschinen seinen Höhepunkt 59. Die Erfolge der deutschen Rüstungswirtschaft in der Ära Speer haben zweifellos den militärischen Zusammenbruch hinausgeschoben und so zur Verlängerung des Krieges beigetragen. Verhindern konnten sie die unvermeidliche Niederlage nicht. Wenig Wirkung zeigte auch die verstärkte Luftrüstung in den beiden letzten Kriegsjahren. Trotz der enormen Steigerung der Flugzeugproduktion nahm die Kampfkraft der deutschen Jagdwaffe nicht zu. Die schlecht ausgebilde-
222 ten Nachwuchspiloten der Luftwaffe hatten den an Zahl und Qualität weit überlegenen alliierten Luftstreitkräften nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Die Luftwaffe erlitt ungeheure Verluste an Menschen und Material. Die alliierten Luftflotten hatten die absolute Luftherrschaft über dem Reichsgebiet und flogen zuletzt fast nach Belieben Angriffe auf militärische und zivile Ziele. Auf kaum einem anderen Gebiet war die ungeheure materielle Überlegenheit der Alliierten so augenfällig wie auf dem der Luftkriegsführung. Gegen Ende des Krieges richteten sich die alliierten Luftangriffe immer häufiger auch gegen Betriebe der Aluminiumindustrie. Schwere Zerstörungen entstanden vor allem im Lautawerk, das im Spätherbst 1944 Ziel alliierter Luftangriffe war. Im Tonerdewerk der Firma Guilini in Ludwigshafen hatte ein Bombeangriff schon im August 1943 beträchtliche Schäden an den Betriebseinrichtungen verursacht, die nur zum Teil wieder repariert werden konnten. Auch Verarbeitungsbetriebe gerieten jetzt zunehmend ins Visier der alliierten Luftstreitkräfte. Das Stammwerk der Dürener Metallwerke in Düren, das seit dem Spätherbst 1944 im Kampfgebiet der Westfront lag, trug bei den Erdkämpfen schwere Schäden davon. Zu leiden hatte die Aluminiumindustrie auch unter den Auswirkungen der Angriffe alliierter Jagdbomber gegen das deutsche Verkehrsnetz, die zuletzt einen ungehinderten Transport von Menschen und Gütern im deutschen Reichsgebiet weitgehend unterbanden. Trotz aller Kriegsschäden und Produktionserschwernisse blieb die deutsche Aluminiumindustrie fast bis zum bitteren Ende in weiten Teilen funktionsfähig, wenn auch die Aluminiumversorgung der Verarbeitungswerke zuletzt nur noch mit Mühe sichergestellt werden konnte. Am 9. September 1944 musste Rüstungsminister Speer Hitler mitteilen, dass die Aluminiumvorräte erschöpft seien und die Vorräte an Tonerde nur noch für die Herstellung von 160.000 Tonnen Aluminium ausreichten 60. Geradezu gespenstisch mutet vor diesem Hintergrund ein Bericht des Hauptringes Metallhalbzeug vom 10. Februar 1945 an, in dem Angaben über die verbleibende Kapazität der Aluminiumhalbzeugwerke „… a) im Gebiet westlich der Oder bis zum Ruhrgebiet östlich Minden b) im Gebiet Württemberg, Bayern und Südostbaden c) im Gebiet Ostmark …“ gemacht werden 61. Unter Berücksichtigung der „derzeitigen Energieversorgung“ kommt der Bericht zu einer erreichbaren Monatsproduktion von 11.935 Tonnen, was etwa vierzig Prozent der Halbzeugproduktion von August 1944 entsprach. Als dieser Bericht abgesetzt wurde, waren im Osten und Westen große Teile des Reiches von den alliierten Truppen besetzt. Der Zusammenbruch des Dritten Reiches stand unmittelbar bevor.
9.4 Das Strafgericht der Alliierten Mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 ging die Staatsgewalt im Deutschen Reich, das faktisch (wenn auch nicht de jure) aufgehört hatte zu bestehen, auf die Siegermächte über. Schon im Februar 1945 hatten Roosevelt,
223 Churchill und Stalin in Jalta die Aufteilung des deutschen Staatsgebiets in drei Besatzungszonen vereinbart, in denen die militärischen Oberbefehlshaber der Siegermächte die unbeschränkte Vollzugsgewalt und alleinige Verantwortlichkeit haben sollten. Zu den drei ursprünglichen Zonen trat später noch eine französische Besatzungszone hinzu, die aus Teilen der amerikanischen Zone gebildet wurde. Als oberstes Regierungsund Kontrollorgan für das besetzte Deutschland wurde ein Alliierter Kontrollrat eingesetzt, in dem jede der drei bzw. vier Besatzungsmächte durch ihren Zonenbefehlshaber vertreten war. Der Kontrollrat war für alle Deutschland als Ganzes betreffende Fragen zuständig. Die staatliche Gewalt in den vier Besatzungszonen wurde von Militärregierungen ausgeübt, an deren Spitze der jeweilige Zonenbefehlshaber stand. Die ihnen unterstellten deutschen Behörden hatten lediglich ausführende Funktionen. Als Ergebnis der Dreimächtekonferenz in Potsdam im Sommer 1945 wurde am 2. August 1945 das so genannte Potsdamer Abkommen unterzeichnet, in dem sich die Siegermächte auf die Grundsätze einer gemeinsamen Deutschlandpolitik verständigt hatten. Die „Wirtschaftlichen Grundsätze“ des Potsdamer Abkommens sahen die völlige Beseitigung der deutschen Rüstungsindustrie vor sowie eine drastische Reduzierung des deutschen Industriepotentials und die Zerschlagung der Konzentration wirtschaftlicher Macht in der Hand weniger. In dem Vertragskapitel über Reparationen wurde Deutschland die Verpflichtung auferlegt, überschüssige Industrieanlagen für Reparationszwecke an die Signatarmächte und deren Verbündete auszuliefern und andere Sachleistungen zu erbringen, wobei der Sowjetunion ein Vorrang eingeräumt wurde 62. Auf der Grundlage der Wirtschaftlichen Grundsätze des Potsdamer Abkommens arbeitete eine Expertenkommission der Siegermächte den so genannten „Industrieplan“ für Deutschland aus, der am 26. März 1946 bekannt gegeben wurde. Der Industrieplan präzisierte die industriepolitischen Festlegungen des Potsdamer Abkommens und setzte dessen Vorgaben in konkrete Richtlinien und Maßnahmen um. Die deutsche Industrieproduktion sollte hiernach auf etwa 55 Prozent des Standes von 1938 begrenzt werden. Für eine Reihe von Schlüsselindustrien vor allem im Bereich der Schwerindustrie sah der Plan noch weitergehende Beschränkungen vor 63. Bestimmte Industrieproduktionen wurden gänzlich verboten. Zu diesen gehörten auch die Herstellung von Hüttenaluminium und die Herstellung von Tonerde, soweit sie für die Verhüttung zu Aluminium bestimmt war. Nicht genug damit, legte der Industrieplan auch eine Obergrenze für den Verbrauch von Aluminium fest: Im gesamten deutsche Wirtschaftsgebiet sollten maximal 30.000 Tonnen Aluminium im Jahr verbraucht werden dürfen, wobei der Verbrauch von Umschmelzaluminium mit eingerechnet war. Dies entsprach etwa dreißig Prozent des zivilen Aluminiumverbrauchs in Deutschland vor dem Krieg. Vielfältige Verwendungsverbote galten für die verarbeitende Industrie, die man im Wesentlichen auf die Herstellung von Aluminiumprodukten für den Ernährungs- und Leitmaterialsektor beschränken wollte 64. So wie die Dinge damals lagen, schien die deutsche Aluminiumindustrie zur völligen Bedeutungslosigkeit verur-
224 teilt. Wegen ihrer überragenden Rolle im Dritten Reich bekam sie jetzt das „Wehe den Besiegten“ mit besonderer Schwere zu verspüren. Die Siegermächte betrachteten die Aluminiumindustrie als einen wesentlichen Bestandteil des deutschen Rüstungsapparates, ohne den es den Nazi-Machthabern nicht gelungen wäre, ihre Eroberungspläne in die Tat umzusetzen und ganz Europa mit Krieg zu überziehen. Das von den Alliierten ausgesprochene Verbot einer deutschen Hüttenaluminiumproduktion war die logische Konsequenz dieser Betrachtungsweise, diente es doch dem erklärten Ziel, das militärische Potential des besiegten Deutschland ein für allemal zu beseitigen. Aluminium galt den Alliierten als das Kriegsmetall par excellence. Die im Industrieplan festgelegten Obergrenzen für die zukünftige Industrieproduktion in Deutschland dienten zugleich als Grundlage für die Durchführung der im Potsdamer Abkommen vereinbarten Demontage überschüssiger Industriekapazitäten. Die zur Demontage vorgesehenen Industrieanlagen sollten in jeder Besatzungszone in so genannten Demontagelisten erfasst und einer zentralen Kommission der vier Besatzungsmächte gemeldet werden, die über ihre Verteilung zu befinden hatte 65. Angesichts des drastischen Kapazitätsabbaus, den der Industrieplan für die deutsche Aluminiumindustrie festgelegt hatte, musste die Industrie damit rechnen, dass nicht nur sämtliche Aluminiumhütten und Tonerdewerke sondern auch der größte Teil der deutschen Halbzeugwerke und Gießereien demontiert und zu Reparationszwecken herangezogen würde. Um die von den Alliierten zugelassene Produktionsmenge von maximal 30.000 Tonnen pro Jahr herzustellen, wurde nur ein kleiner Teil der bei Kriegsende noch vorhandenen Verarbeitungskapazitäten benötigt. Die Befürchtungen der Industrie haben sich vor allem in der sowjetischen Besatzungszone als begründet erwiesen, wo die Sowjets schon kurz nach dem Ende der Feindseligkeiten mit der Demontage und dem Abtransport von Industrieanlagen aller Art begannen. Der Demontage fielen nicht nur die Hütten- und Tonerdewerke in Lauta, Bitterfeld und Aken zum Opfer sondern auch ein großer Teil der mitteldeutschen Verarbeitungsbetriebe. Eine ähnlich harte Linie verfolgten die Franzosen in ihrer Besatzungszone, zu der neben Südwürttemberg-Hohenzollern, Südbaden und Rheinland-Pfalz auch der französische Besatzungssektor von Berlin gehörte. In den Jahren 1946/1947 wurde das Aluminiumwalzwerk der Gebr. Guilini in Wutöschingen auf Befehl der französischen Besatzungsbehörden komplett demontiert. Das mit modernsten Anlagen ausgerüstete Legierungswalzwerk samt Nebenaggregaten und die Einrichtung des Umschmelzwerkes wurden nach Frankreich verbracht und in einem Pechiney-Werk installiert. Als einzige Produktionsstätte blieb die Kokillengießerei von der Demontage verschont 66. Auch das Folienwalzwerk der Firma Tscheulin in Teningen in Südbaden und die Einrichtung der Aluminiumgießerei der AIAG in Villingen fielen der Totaldemontage zum Opfer. Die Tatsache, dass das Werk in Villingen einer Schweizer Gesellschaft gehörte, hat es nicht vor diesem Schicksal bewahrt. Auch das in Borsigwalde im französischen Sektor von Berlin gelegene Walzwerk der Dürener Metallwerke wurde bis Mitte 1947 größtenteils demontiert. Nur der Einspruch der Amerikaner und Engländer hat die Franzosen
225 daran gehindert, die Aluminiumhütte der AIAG in Rheinfelden und das Tonerdewerk von Guilini in Ludwigshafen zu demontieren67. In den amerikanischen und britischen Besatzungszonen blieben Totaldemontagen von Betrieben der Aluminiumindustrie eher die Ausnahme. Aber auch dort kam es in vielen Betrieben zur Demontage wichtiger Einzelaggregate. In der britischen Besatzungszone waren vor allem das Erftwerk der VAW und die beiden Aluminiumwalzwerke der VAW-Tochter VLW in HannoverLaatz und Hannover-Linden von den Demontagen betroffen. Das modernere der beiden Werke in Hannover-Laatz wurde komplett demontiert; in dem Werk in HannoverLinden beschränkten sich die Engländer auf die Entnahme wichtiger Aggregate 68. Die Elektrolyseöfen und die zugehörigen Gleichrichter und Umformer des Erftwerkes wurden 1949/1950 demontiert und an Jugoslawien ausgeliefert, wo sie in Kidricevo bei dem früheren Pettau mit Unterstützung der VAW installiert und in Betrieb genommen wurden 69. Der Folienwalzbetrieb der VAW-Tochter Rebag in Grevenbroich entging nur deswegen der Demontage, weil der trostlose Anblick des Werkes offenbar die Interessenten abschreckte 70. Einen schweren Aderlass erlitt die Aluminiumindustrie durch die Enteignung des deutschen Auslandsvermögens, das auf Anordnung des Alliierten Kontrollrats beschlagnahmt und zu Reparationszwecken herangezogen wurde. Betroffen war vor allem die VAW: Das 1941 fertig gestellte Hüttenwerk im österreichischen Ranshofen (Mattigwerk) verfiel ebenso der Beschlagnahme und späteren entschädigungslosen Enteignung wie die Bauxitabbaugesellschaften in Ungarn und Jugoslawien und das bei Kriegsende fast betriebsfertige Tonerdewerk in Pettau in dem von Deutschland annektierten Teil von Slowenien (Drauwerk). Die endgültige Enteignung des in Österreich gelegenen Vermögens der VAW (das außer der Hütte in Ranshofen auch die Beteiligung an den Vereinigten Wiener Metallwerken sowie eine zur Versorgung des Innwerkes auf österreichischem Gebiet gebaute Stromleitung umfasste) erfolgte durch das österreichische Verstaatlichungsgesetz vom 26. Juli 1946. Das Mattigwerk wurde auf die staatliche Ranshofen-Berndorf AG übertragen, die Vereinigten Wiener Metallwerke wurden Teil einer staatlichen Industrieholding. Eine Entschädigung war in dem Verstaatlichungsgesetz nicht vorgesehen71. Am weitestgehenden waren die Vermögensverluste der deutschen Aluminiumindustrie in der sowjetischen Besatzungszone. Die sowjetischen Besatzungsbehörden beschlagnahmten das Vermögen sämtlicher Kapitalgesellschaften, das ihrem Zugriff unterlag. Ein großer Teil der beschlagnahmten Werke wurde zu Reparationszwecken demontiert und in die Sowjetunion überführt. Soweit die Betriebe trotz Kriegszerstörungen und Demontagen weiter bestanden, wurden sie später in so genannte Volkseigene Betriebe (VEB) überführt oder auf sowjetische Gesellschaften übertragen, die auf dem Gebiet der DDR tätig waren. Entschädigungen wurden in keinem Fall gezahlt 72. Die Alliierten hatten in den Potsdamer Beschlüssen ihre Entschlossenheit bekundet, die Nationalsozialisten aus allen verantwortlichen Positionen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu entfernen. Näheres wurde in der Direktive Nr. 24 des Alliierten
226 Kontrollrates vom 8. Januar 1946 geregelt, die unter anderem auch die Abberufung von Mitgliedern der NSDAP aus den Aufsichtsräten und Vorständen großer Wirtschaftsunternehmen anordnete. Bei der VAW blieben nur vier Mitglieder des Vorstandes im Amt, darunter der Vorstandsvorsitzende Dr. Ludger Westrick, der trotz seiner führenden Position in der Wirtschaftsverwaltung des Dritten Reiches als unbelastet galt und schon bald das Vertrauen der Besatzungsbehörden wie auch der von diesen eingesetzten deutschen Verwaltung erwarb73. Hans Joachim Fuchs, der seit dem Tod des Firmengründers 1931 an der Spitze der Firma Otto Fuchs gestanden hatte, blieb trotz seiner Ernennung zum Wehrwirtschaftsführer Mitglied der Unternehmensleitung unter dem von den Engländern eingesetzten Treuhänder. Härter traf es den Seniorchef der Honsel-Werke, Fritz Honsel, der von den Besatzungsbehörden ein Aufenthaltsverbot erhielt, das für Meschede und einen Umkreis von 60 Kilometer galt und erst 1946 aufgehoben wurde. Auch der Vorsitzende der Geschäftsführung der Aluminium-Walzwerke Singen, Dr. Hans Constantin Paulssen, durfte auf Anordnung der französischen Besatzungsbehörden seine Tätigkeit in der Geschäftsführung mehrere Jahre lang nicht ausüben74. Über Jahre hinweg ungeklärt war der rechtliche Status der VAW: Als Tochtergesellschaft der reichseigenen VIAG unterlag sie in den drei westlichen Besatzungszonen dem Militärgesetz Nr. 52, das sämtliches Vermögen des Reiches beschlagnahmte und der Aufsicht und Verwaltung durch die alliierten Besatzungsbehörden unterstellte. Anfänglich war sogar der Fortbestand der VAW als einheitliches Unternehmen in Frage gestellt. Offiziell endete die Treuhänderschaft über die VAW mit den damit verbundenen Verfügungsbeschränkungen erst im Jahr 195175. Die Wiedergutmachung erlittenen Unrechts hatte ein Verfahren zum Ziel, das die Erben von Wolf Netter im Jahr 1950 wegen des Zwangsverkaufs ihrer Beteiligung an der Rheinischen Blattmetall AG gegen die VAW anstrengten. Wie wir uns erinnern, hatte die Familie Netter die 50 %ige Beteiligung an der Foliengesellschaft 1934 im Zuge der „Arisierung der deutschen Wirtschaft“ an die VAW verkauft. Verkäufer war eine Schweizer Gesellschaft, auf die Wolf Netter die Aktien noch vor der Machtübernahme der Nazi übertragen hatte. Gleichzeitig verzichtete die Familie Netter auch auf das ihr zustehende Alleinverkaufsrecht für die Erzeugnisse der Rebag. Für die Übertragung der Beteiligung und den Verzicht auf das Alleinverkaufsrecht zahlte die VAW damals einen Betrag von 800.000 Schweizer Franken, der auf ein Bankkonto der Verkäufer in der Schweiz überwiesen wurde. In dem Verfahren vor dem Wiedergutmachungsamt beim Landgericht Düsseldorf forderten die Erben Netter eine Entschädigung in Millionenhöhe, weil der von der VAW gezahlte Kaufpreis zu niedrig gewesen sei. Nach langwierigen Verhandlungen einigten sich die Parteien auf einen Vergleich, in dem sich die VAW zur Zahlung einer Entschädigung von 250.000 D-Mark verpflichtete. Aus heutiger Sicht fällt es schwer, die damals vereinbarte Zahlung als eine angemessene Wiedergutmachung zu betrachten76. Einige Jahrzehnte später mussten sich die VAW und andere Unternehmen der Aluminiumindustrie noch einmal ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit stellen. Im
227 Jahr 2000 gründete der Deutsche Bundestag die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, mit deren Hilfe den noch lebenden Zwangsarbeitern des NS-Regimes eine finanzielle Entschädigung gewährt werden sollte. Die Industrie wurde aufgefordert, einen Beitrag zur Wiedergutmachung des damals begangenen Unrechts zu leisten. Wie in der gesamten deutschen Kriegswirtschaft waren auch in den Betrieben der Aluminiumindustrie Tausende von Kriegsgefangenen und so genannten „Fremdarbeiter“ eingesetzt, um die zum Kriegsdienst eingezogenen deutschen Arbeitskräfte zu ersetzen. Im Hüttenwerk Lauta wurden in den sechs Kriegsjahren über 5.000 Zwangsarbeiter aus Polen, der UDSSR, dem Baltikum, aber auch aus Italien, Frankreich und Belgien registriert77. In den deutschen Betrieben der AIAG machten die Kriegsgefangenen und ausländischen Zivilarbeiter mehr als ein Drittel der Gesambelegschaft aus78. Viele dieser Zwangsarbeiter, die zum Teil unter menschenunwürdigen Arbeitsund Lebensbedingungen zu Schwerstarbeit herangezogen wurden, haben die Deportation nach Deutschland nicht überlebt. Zu den über 6.000 deutschen Unternehmen, die im Rahmen der Stiftungsinitiative Beiträge an den Entschädigungsfond geleistet haben, gehören auch solche aus der Aluminiumindustrie.
Anmerkungen zum 9. Kapitel 1 Wichtige Quellen für die nachstehende Darstellung waren die Bücher von Georg Thomas: „Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft“, und Lutz Budrass: „Flugzeugindustrie und Luftrüstung in Deutschland“. 2 Diese Maßnahmen wurden freilich schon Ende 1939 teilweise wieder rückgängig gemacht, nachdem man sich entschlossen hatte, gehäckselte Aluminiumfolien als Vormaterial für die Herstellung von Aluminiumpulver zu verwenden, das in den Sprengsätzen von Seeminen und anderen großen Sprengkörpern zum Einsatz kam. In einer späteren Kriegsphase mussten die Folienwalzwerke Störfolien herstellen, die im Luftkrieg zur Ausschaltung der gegnerischen Radargeräte eingesetzt wurden (Rebag-Geschichte, Seite 34 f). 3 Zur Organisation der Aluminiumbewirtschaftung im Krieg: Dr. H. Wegener, „Die Leichtmetallbewirtschaftung“ in Jahrbuch der Metalle 1942, Seite 329 ff. 4 Zur Entwicklung des Luftwaffenkontingents: Budrass, Seite 585 (Tabelle 42) und 591. 5 Zur Verschärfung der Lage trug auch die so genannte „Munitionskrise“ nach dem Polenfeldzug bei, als ein Teil des Luftwaffenkontingents für die Wiederauffüllung der bei den Kampfeinsätzen in Polen verbrauchten Munitionsvorräte abgezweigt werden musste und daher nicht mehr für den Flugzeugzellenbau zur Verfügung stand. 6 Dr. Heinrich Koppenberg (geboren 1880) hatte Ende 1933 den Vorsitz im Aufsichtsrat der Junkers Flugzeugwerke AG und ein Jahr später auch den Vorsitz im Vorstand des Unternehmens übernommen, das sich unter seiner Führung innerhalb weniger Jahre zum führenden deutschen Flugzeughersteller entwickelte. Den Firmengründer Hugo Junkers hatten die Nazis zum Verkauf gezwungen und praktisch enteignet. Für die ihm jetzt übertragene Aufgabe hatte Koppenberg sich durch seine Publikation „Die Aluminiumnot in der Luftfahrtindustrie und Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung“ empfohlen. 7 Siehe hierzu vor allem die Monographie von Fritz Petrick: „Der Leichtmetallausbau in Norwegen 1940–1945. Eine Studie zur deutschen Expansions- und Okkupationspolitik in Nordeuropa“, Frankfurt/Main 1992. Petricks wichtigste Quelle war das Manuskript von Eberhard Neukirch
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(Seiten 87 ff und 400 ff). Daneben wurden zahlreiche weitere Quellen aus deutschen und norwegischen Archiven ausgewertet. Planzahlen für 1942 und 1943 bei Neukirch, Seite 99. Siehe hierzu Eberhard Neukirchs Bericht über die Tätigkeit der deutsch-französischen Kommission. Im Manuskript abgedruckt auf den Seiten 477–507. – Ferner Rosemarie Denzel: „Die chemische Industrie Frankreichs unter der deutschen Besetzung“, erschienen 1959 in Tübingen. – Harald Winkel: „Die Ausbeutung des besetzten Frankreich“ in „Kriegswirtschaft und Rüstung 1939–1945“ (Seite 333 ff). – Alan Milward: „The new order and the French economy“ Oxford 1970. Zu den Metalllieferungen nach Deutschland: Rosemarie Denzel, Anlage V. MG-Statistik 41. Jg. Zur Lieferung von Flugzeugen aus französischen Flugzeugwerken: Alan Milward, Seite 86. – Harald Winkel, Seite 372. Zu den Verträgen zwischen französischen und deutschen Unternehmen der Aluminiumindustrie siehe Michel Margairaz: „L’État, les finances et l’économie, Histoire d’une conversion 1932–1952“ (thèse de doctorat 1989), Seite 613 ff: „Les grands contrats“. Zum Leiter der deutsch-französischen „Gemischten Kommission“ wurde Eberhard Neukirch bestellt, der im Mai 1941 mit umfassenden Vollmachten ausgestattet eine Inspektionsreise zu den südfranzösischen Werken durchführte. Die französischen Vertreter in der Kommission waren Jean Matter (Pechiney) und Gall (Ugine). Die Kommission stellte im August 1942 ihre Tätigkeit ein, nachdem die deutsche Militärverwaltung die Zuständigkeit für die Verhandlungen mit den französischen Unternehmen an sich gezogen hatte. Neukirch stellte bei seiner Inspektionsreise im Mai 1941 den schlechten Zustand der Tonerdewerke fest. 1942 erklärte der deutsche Militärbefehlshaber in Frankreich, dass ohne die deutsche Eisenhilfe die französische Leichtmetallindustrie schon während des Jahres 1941 zum Erliegen gekommen wäre (Manuskript, Seite 484). Die französische Industrie ging nach der Niederlage Frankreichs im Sommer 1940 von einem raschen Endsieg der Deutschen aus und richtete sich auf eine lange Zeit in einem von Deutschland geführten Europa ein. Nach dem Krieg verschanzten sich die Unternehmen hinter der VichyRegierung, durch die sie zur Zusammenarbeit mit den Deutschen gezwungen worden seien (Harald Winkel, Seite 359 ff). Zu den Aluminiumlieferungen aus der Schweiz ausführlich Rauh, Seiten 206 ff, 218 ff und 243 ff. Neben Chippis produzierte die alte Hütte in Schaffhausen kleine Mengen an Aluminium. Sie wurde 1954 demontiert. Zur Versorgungssituation im III. Quartal 1941 und die Prognose für 1942 und 1943: Neukirch, Seite 92. Von den damals verfügbaren Mengen stammten 19.500 Moto aus der deutschen Aluminiumerzeugung, 6.300 Moto entfielen auf Lieferungen aus Norwegen, Frankreich und der Schweiz und weitere 5.400 Moto auf den Schrottrücklauf. Zum Göring-Erlass vom 8. Mai 1940: Petrick, Seite 77 f. – Budrass, Seite 608 f. Zur Ernennung Koppenbergs: Petrick, Seite 71 ff. – Rauh, Seite 213 ff. Ausführliche Darstellung des Koppenberg-Plans in der Monographie von Petrick, Seite 86 ff. Zur Stromversorgung der norwegischen Hütten: Neukirch, Seite 136. – Der Gedanke, Strom aus Norwegen nach Deutschland zu transferieren scheiterte an den Kosten. Er sollte nach dem Ende des Krieges wieder aufgegriffen werden. Koppenberg hatte die beiden Vertreter der VAW, die kurz nach der Eroberung Norwegens an einer Inspektionsreise zu den norwegischen Aluminiumhütten teilnahmen, davon informiert, dass er über eine Sondervollmacht verfüge und eine weitere Beteiligung der Herren der VAW nicht mehr benötige (Petrick, Seite 77). Zu den Kontroversen zwischen Hansa und VAW: Petrick, Seite 81 f, 119, 123.
229 26 Petrick, Seite 124. Auch Neukirch, Seite 434 ff, erwähnt die russischen Tonerdewerke bei Kandalakscha auf der Halbinsel Kola und bei Tichwin, die für die zukünftige Versorgung der norwegischen Hütten genutzt werden sollten. 27 Zum Wiederaufbau von Saporoshje durch VAW: VAW-Geschichte VI, Seite 21. 28 Zur gemeinsamen Errichtung eines Tonerdewerks in Frankreich: Michel Margairaz a.a.O., Seite 652 ff: „Projet de fabrique d’alumine“. 29 Zum Göring-Programm: Neukirch, Seiten 92 ff. – Petrick, Seiten 121 ff. – Budrass, Seiten 715 ff. – Thomas, Seiten 448 ff (Notiz über Besprechung bei Staatssekretär Milch). 30 Zu den Projekten von Hansa, Dürener Metall und Rackwitz: Neukirch, Seite 94. – Petrick, Seite 125 f. – Die Hansa plante offenbar auch ein großes Tonerdewerk bei Saloniki. 31 Zur Stromversorgung der neuen Hütte aus Oberschlesien: Neukirch, Seite 134. 32 Zu der von Westrick ins Gespräch gebrachten Gemeinschaftshütte: Neukirch, Seite 94. – Rauh, Seite 235. 33 Zu den VAW-Projekten: Petrick, Seite 126. – Neukirch, Seiten 97, 137, 147 und 149. 34 Planzahlen nach Neukirch, Seite 93 f. In der ursprünglichen Fassung des Planes war Norwegen noch mit 240.000 Jato eingeplant. Später wurde entschieden, dass ein Teil der norwegischen Projekte „wegen Änderung der wirtschaftspolitischen und militärischen Lage nach Deutschland verlegt werden“ solle. Ersatzprojekte waren die der Hansa zugewiesenen Hüttenbauten in Ratibor (zwei Werke mit 36.000 und 48.000 Jato) und Krems (36.000 Jato). In dem Milch am 16. Februar 1942 vorgelegten Plan war Norwegen nur noch mit 108.000 Jato enthalten. Zum Ausbau der Kraftwerksleistung Neukirch, Seite 135 ff (mit Schaubildern). 35 Zum erneuten Umsteuern der deutschen Rüstung nach dem Scheitern der Blitzkriegsstrategie: Thomas, Seite 289. 36 Zur Streckung des Ausbauplanes: Neukirch, Seite 96/97 und 460 ff. – Petrick, Seite 152 f. 37 Zu Pettau siehe VAW-Geschichte VI, Seite 5 f. In den 50er Jahren errichteten die Jugoslawen in Pettau unter Verwendung der Vorarbeiten der VAW und weitgehend auch nach deren Plänen ein Tonerdewerk mit einer Kapazität von 100.000 Jato. Als Teil desselben Komplexes entstand kurze Zeit später auch eine kleine Elektrolyse, deren Kapazität von zunächst 6.000 Jato Anfang der 60er Jahre auf 42.000 Jato ausgebaut wurde. Die Elektrolyseöfen der ersten Ausbaustufe des Hüttenwerkes in Kidricevo stammten aus dem Erftwerk der VAW, wo sie 1950 auf Befehl der Alliierten demontiert worden waren. 38 Zur Donautaler Tonerde Industrie AG: VAW-Geschichte VI, Seite 33. – Neukirch, Seite 147. 39 In seiner Würdigung des Ausbauplanes Norwegen weist Neukirch vor allem auf die ungenutzten Wasserkräfte in Glomfjord hin, wo einer installierten Maschinenleistung von 45 MW ein Bedarf der Hütte von nur 27 MW gegenüberstand. Weitere 45 MW hätten durch die Installation einer einzigen Rohrleitung und einer geringen Wasserregulierungseinrichtung erschlossen werden können (Manuskript, Seite 432/35). 40 VAW-Geschichte IV, Seite 18 f. 41 VAW-Geschichte IV, Seite 20 f. – Neukirch, Seite 104. – Petrick, Seiten 167 und 172. 42 Bei der Fertigstellung der Anlagen wurden Mitarbeiter der VAW beschäftigt. Darunter auch das spätere Vorstandsmitglied der VAW Hans Ginsberg. 43 Zur Umorganisation der Rüstungswirtschaft und zur Rolle des neuen Rüstungsministers Speer: Dr. Rolf Wagenführ, „Die deutsche Industrie im Krieg 1939–1945“. Das 1963 in 2. Auflage erschienene Buch von Wagenführ beruht auf einem aus der Kriegszeit erhalten gebliebenen Manuskript. Es ist eine der wichtigsten Quellen für die historische Forschung über die deutsche Wirtschaft im Zweiten Weltkrieg. Die „Ära Speer“ wird auf den Seiten 39 ff behandelt. Siehe ferner Thomas, Seiten 308 und 351 ff. 44 Zur Einrichtung der Zentralen Planung im Vierjahresplan: Thomas, Seite 310, 354. – Budrass, Seite 747.
230 45 Zur Sonderrolle der Luftrüstungsindustrie: Wagenführ, Seite 73 ff. – Budrass, Seite 866 ff. 46 Zum System der Ringe und Ausschüsse: Wagenführ, Seiten 40 ff. – Thomas, Seite 354. – Budrass, Seiten 713, 743/44. 47 Eine Kopie des Sitzungsprotokolls vom 12.2.42 liegt beim GDA in Düsseldorf vor. 48 Zur Halbzeugproduktion liegen beim GDA detaillierte Statistiken vor, die teilweise im Krieg (Geheimbericht von November 1944), teilweise in den ersten Jahren nach dem Krieg erstellt worden sind. Beim Aluminiumguss ist der Verfasser auf Schätzungen angewiesen. 1944 dürften 150.000 bis 160.000 Tonnen Aluminiumgussprodukte hergestellt worden sein. 49 Siehe hierzu die Angaben von Wagenführ, Seite 169, Tabelle 11: Im Jahr 1943 übertraf das Rohaluminiumaufkommen den Verbrauch im Monatsdurchschnitt um 4.000 Tonnen (36.000 Moto gegen 32.000 Moto). Im folgenden Jahr kehrte sich das Verhältnis um. Dem Verbrauch von 41.000 Moto stand ein Aufkommen von 37.000 Moto gegenüber. 50 Zur Aluminiumplanung für 1943: Neukirch, Seite 98 ff, 105. 51 Man hat dies nach dem Krieg damit zu erklären versucht, dass freistehende Werke nur bei Tag und unter Inkaufnahme schwerer Verluste hätten angegriffen werden können. Das galt freilich auch für andere so genannte Punktziele, wie etwa die Kugellagerfabriken in Schweinfurt oder die Hydrierwerke in Bitterfeld und im Ruhrgebiet, die auch bei Tag bombardiert und zum Teil schwer getroffen wurden. Wie verwundbar gerade die Aluminiumelektrolysen waren, zeigt das Beispiel des Erftwerkes in Grevenbroich, das Ende 1942 von einer verirrten Bombe getroffen wurde. Dabei wurde eine Ofenserie so stark beschädigt, dass sie bis Kriegsende nicht wieder aufgebaut werden konnte. Auch ein großer Teil der intakt gebliebenen Kapazität musste wegen der Schäden im Stromleitungssystem stillgelegt werden (VAW-Geschichte VI, Seite 11 f.). 52 Oxidmangel und Energieverknappung verhinderten die Vollauslastung der Elektrolysekapazität: VAW-Geschichte VI, Seite 10 f. – Neukirch, Seite 121. – Rauh, Seite 258 (Rheinfelden). 53 Die Zahlen in Tabelle 12 wurden von Rauch übernommen (Tabelle auf Seite 225). In der Zeile „Andere“ sind die Produktionen der Hütte in Steeg und der Versuchselektrolyse in Ludwigshafen (Dürener Metall) sowie der Aluminiuminhalt der in Lauta und Horrem hüttenmäßig hergestellten Silumin-Vorlegierungen zusammengefasst. 54 Übersicht über Einfuhren und Ausfuhren in den Jahren 1936 bis 1942 bei Neukirch, Seite 124. Für die drei Jahre 1940 bis 1942 kommt er auf Einfuhren von insgesamt 173.000 Tonnen. 55 Zu den Halbzeugimporten: Geheimbericht von November 1944 mit den Zahlen für 1943 und 1944. 56 MG-Statistik 41. Jg. 1938–1952. 57 So Budrass, Seite 747. 58 Zum Beitrag der Luftwaffenführung und der Luftfahrtindustrie zu einem effektiveren Umgang mit Aluminium siehe Budrass, der hierüber an vielen Stellen mit Quellenangaben berichtet. 59 Zur Steigerung der Flugzeugproduktion siehe Budrass, Seite 705 ff, Tabelle 80 (Seite 836) und Tabelle 86 (Seite 868). 60 Das Schreiben Speers an Hitler vom 5. September 1944 wird bei Petrick, Seite 179, Fußnote 8, zitiert. 61 Kopie im Archiv des GDA Düsseldorf. 62 Zum Potsdamer Abkommen und zum Industrieplan von März 1946: Hardach, Seite 107 ff. 63 So sollte die Stahlerzeugung 30 % und die Erzeugung bestimmter Grundchemikalien (wie Schwefelsäure, Chlor und Stickstoff) 32 % des Vorkriegsstandes nicht überschreiten. Die Produktion von Automobilen war auf ein Fünftel des Vorkriegsniveaus beschränkt (FAZ vom 13. April 1995, Seite 17). 64 Zum Industrieplan von März 1946: METALL 1949.350. Am 26. August 1947 gaben die Westmächte einen revidierten Industrieplan bekannt, der die Produktionsquoten für Stahl und andere wichtige Industrieprodukte deutlich anhob. Die Erzeugung von Aluminium blieb weiterhin untersagt, es wurde aber die Möglichkeit einer Überprüfung des Verbots in Aussicht gestellt. Siehe hierzu auch Kapitel 11.1.
231 65 Die Zeitschrift METALL veröffentlichte im November 1947 (Heft 5/6, Seite 69 ff) eine „Liste der in der britisch-amerikanischen Besatzungszone zu demontierenden Industrienanlagen oder Teile von Industrieanlagen, die für die Metallindustrie von besonderer Bedeutung sind“. Grundlage dieser Liste war der revidierte Industrieplan von August 1947. Im gleichen Heft werden auch die Werke der Metallerzeugung und der ersten Verarbeitungsstufe in der französischen Besatzungszone aufgelistet, deren Demontage vorgesehen war oder die bereits demontiert worden waren. 66 Siehe hierzu Guilini-Chronik IV, Seite 608 und Chronik des Werkes Wutöschingen, Seite 31 ff. 67 Die beiden Hüttenwerke waren noch in der Demontageliste der französischen Besatzungsmacht von November 1947 aufgeführt. Demgegenüber hatten die Amerikaner und Briten auf eine Erwähnung der Hütten und Tonerdewerke in ihrer Demontageliste verzichtet. Schon unmittelbar nach der Besetzung hatten die französischen Besatzungstruppen in Rheinfelden sechs Gleichrichter „requiriert“, die später in Hütten von Pechiney und Ugine auftauchten (Rauh, Seite 341 f.). 68 VAW-Geschichte VII, Seite 20 f (Hannover). 69 Zur Demontage des Erftwerks: VAW-Geschichte VII, Seite 14. Die im März 1950 begonnene Demontage des Ofenhaus III im Innwerk konnte dagegen gestoppt werden. 70 VAW-Geschichte VII, Seite 23 (Rebag). 71 Zur Enteignung des VAW-Vermögens im Ausland: VAW-Geschichte VII, Seite 12 ff. 72 Bezeichnend für die damaligen Verhältnisse in der Ostzone war die Begründung, mit der man die konfiskatorischen Beschlagnahmen rechtfertigte: „Der Betrieb der V.A.W. Lautawerk ist als herrenlos zu bezeichnen, da es sich bei dem Unternehmen um eine Aktiengesellschaft handelt und Aktiengesellschaften nach allgemein herrschender Auffassung, die insbesondere auch von der russischen Besatzungsmacht geteilt wird, als herrenlose Unternehmen anzusehen sind“ (VAW-Geschichte VII, Seite 13). 73 Zur Entnazifizierung der VAW-Gesellschaftsorgane: VAW-Geschichte VII, Seite 10 ff. 74 Zur Entnazifizierung von Dr. Paulssen ausführlich Cornelia Rauh-Kühne in „Hans-Constantin Paulssen: Sozialpartnerschaft aus dem Geiste der Kriegskameradschaft“, Seite 172 ff. Paulssen wurde ursprünglich als „Belasteter“ eingestuft, obwohl er nicht Mitglied der NSDAP gewesen war. Er konnte erst im April 1948 die Leitung des Singener Werkes wieder übernehmen, nachdem ihn die Spruchkammer Freiburg im Revisionsverfahren zum „Mitläufer“ erklärt hatte. 75 Zum rechtlichen Status der VAW: VAW-Geschichte VII, Seite 6 ff. 76 Zum Restitutionsverfahren Netter siehe Rebag-Geschichte, Seite 55 f. 77 Siehe Peter Belli in Die Zeit vom 25. November 1999. Belli hatte sich in seiner Dissertation mit der Geschichte des Lautawerks befasst. 78 Ausführlich Rauh, Seite 274 ff (Zwangsarbeit in den ALIG-Betrieben).
Teil III
Das goldene Zeitalter der Aluminiumindustrie (1945–1974)
10. Kapitel Vom Kriegsmetall zum Gebrauchsmetall – die Eroberung der zivilen Absatzmärkte
10.1 Der Aluminiumboom der Nachkriegszeit Man hat die Zeitspanne vom Ende des zweiten Weltkrieges bis zum Erdölembargo der OPEC 1973/1974 zu Recht als das goldene Zeitalter der Aluminiumindustrie bezeichnet. Die Aluminiumbranche erlebte in dieser Periode einen beispiellosen Aufschwung, dem sie zu einem guten Teil ihre heutige Stellung als eine der bedeutendsten Grundstoffindustrien verdankt. In knapp drei Jahrzehnten stieg der Aluminiumverbrauch in den Ländern der westlichen Welt von 800.000 Tonnen im Jahr 1946 auf über elf Millionen Tonnen im Jahr 1974. Die Aluminiumindustrie wuchs in diesem Zeitraum fast doppelt so schnell wie die Wirtschaft insgesamt. Allen pessimistischen Prognosen zum Trotz kam es nach 1945 zu keinem massiven Einbruch der Nachfrage nach Aluminium, wie man dies nach dem Ende des Ersten Weltkriegs erlebt hatte. In den USA übertraf der Aluminiumverbrauch schon 1950 den im Krieg erreichten Höchststand. Der Übergang von der Kriegsproduktion zur Friedenswirtschaft wurde relativ schnell und ohne größere Probleme bewältigt. An die Stelle von Kriegsflugzeugen und sonstigem Militärgerät traten in den Nachkriegsjahren Automobile und andere zivile Konsumgüter als wichtigste Bedarfsträger. Das Aluminium entwickelte sich vom Spezialwerkstoff für die Luftfahrtindustrie zu einem vielseitigen Gebrauchsmetall, das schon bald alle anderen Nichteisenmetalle überflügelte und nach Stahl (wenn auch mit großem Abstand) den zweiten Platz in der Rangordnung der Metalle einnahm 1. Die Aluminiumindustrie wurde zur Wachstumsbranche par excellence, der die Experten eine glänzende Zukunft voraussagten. Die großen Aluminiumkonzerne strotzten vor Selbstbewusstsein und investierten trotz mancher Rückschläge in immer neue Produktionsanlagen in der festen Erwartung, dass ihre Produkte von der unaufhaltsam wachsenden Wirtschaft aufgenommen würden (Smith, Seite 308). Bei dem beispiellosen Aufbruch der Aluminiumindustrie in ein neues Zeitalter der Massenfertigung und des Massenverbrauchs fiel den nordamerikanischen Aluminiumproduzenten die Vorreiterrolle zu. Sie bestimmten maßgeblich Tempo und Ausmaß der Ausbreitung des Werkstoffes Aluminium in den ersten Nachkriegsjahrzehnten, die man recht eigentlich auch als das amerikanische Zeitalter des Aluminiums bezeichnen
236 könnte. Während des Krieges war in den USA und Kanada eine riesige Aluminiumindustrie entstanden, die Ende 1943, als die alliierten Rüstungsanstrengungen ihren Höhepunkt erreichten, über Hüttenkapazitäten von anderthalb Million Tonnen verfügte. Obwohl ein großer Teil der amerikanischen und kanadischen „Kriegshütten“ ab 1944 eingemottet oder definitiv geschlossen wurde, entfielen noch Mitte der 60er Jahre etwa zwei Drittel der Aluminiumerzeugung der westlichen Welt auf Nordamerika. Die nordamerikanischen Produzenten, deren Kreis sich durch Reynolds Metals Company und Kaiser Aluminum & Chemicals Corporation erweitert hatte 2, haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die Umstellung der Produktion auf Güter des zivilen Bedarfs ohne größere Probleme vonstatten ging. Auch bei der Entwicklung neuer Produkte und der Erschließung neuer Märkte für das Aluminium übernahmen die amerikanischen Aluminiumproduzenten die Führungsrolle. Ihrer Innovationskraft und ihrem einfallsreichen Marketing verdankt die Aluminiumindustrie zu einem wesentlichen Teil die Erfolge, die sie in den ersten Nachkriegsjahrzehnten bei der Eroberung der zivilen Absatzmärkte erzielen konnte. Die Aluminiumkonzerne in den USA und Kanada waren es auch, die als Erste moderne Methoden der Massenfertigung praktizierten, wie sie bis dahin nur von der Stahlindustrie angewendet worden waren, und auf diese Weise dafür sorgten, dass Aluminium auch in preislicher Hinsicht wettbewerbsfähig war. Die amerikanischen und kanadischen Produzenten spielten schließlich auch bei der Versorgung der westlichen Welt mit Hüttenaluminium bis in die 70er Jahre hinein eine unverzichtbare Rolle. Mit Hilfe ihrer Produktionsüberschüsse konnte die Deckungslücke der europäischen Industrieländer und Japans geschlossen werden, deren Bedarf die heimische Produktion weit übertraf. Tabelle 13: Hüttenaluminiumverbrauch der westlichen Welt 1946–1974 (MG-Statistik) 1.000 t Europa Amerika Afrika Asien Ozeanien Gesamt
1946
1949
1954
1959
1964
1969
1974
250 561 – 14 2
368 645 1 19 8
652 1.370 5 61 11
1.038 1.978 10 151 33
1.536 2.787 29 369 72
2.407 4.128 62 1.025 118
3.390 5.881 116 1.704 203
827
1.041
2.099
3.210
4.793
7.740 11.294
In Westeuropa setzte der Aufschwung der Aluminiumindustrie erst zu Beginn der 50er Jahre ein, nachdem die dortigen Volkswirtschaften sich allmählich von den Folgen des Krieges erholt hatten. Der von Deutschland ausgehende Krieg hatte ja nicht nur das deutsche Staatsgebiet in Schutt und Asche gelegt, sondern auch in England, Frankreich, Italien und anderen europäischen Ländern große Verwüstungen hinterlassen. Die durch Mangel und Not geprägte wirtschaftliche Situation der europäischen Länder nach dem Ende des Krieges stand in krassem Gegensatz zu der blühenden
237 Wirtschaft der Vereinigten Staaten und Kanadas. Die von der amerikanischen Regierung im Jahr 1947 beschlossene Wirtschaftshilfe für die Not leidenden Länder Europas hat wesentlich zu deren wirtschaftlichen Erholung beigetragen. Die nach dem damaligen amerikanischen Außenminister George Marshall (1880–1959) benannte Hilfsaktion bestand im Kern darin, dass die Vereinigten Staaten den europäischen Empfängerländern die benötigten Devisen für den Kauf von Rohstoffen, Lebensmitteln und Industrieanlagen in der Form eines nicht rückzahlbaren Zuschusses zur Verfügung stellten. Über vier Jahre verteilt erhielten die sechzehn beteiligten Länder 13,3 Milliarden Dollar, eine gigantische Summe, etwa 70 Milliarden Dollar in heutiger Währung. Die drei westlichen Besatzungszonen in Deutschland und nach ihrer Gründung 1949 die Bundesrepublik Deutschland gehörten zu den wichtigsten Nutznießern des so genannten „European Recovery Program“ (ERP) 3. Als Initialzündung löste die ERPHilfe schon nach kurzer Zeit einen sich selbst tragenden wirtschaftlichen Aufschwung aus, der in Westeuropa zu wirtschaftlichem Wachstum und Wohlstand führte. Dreieinhalb Jahre nach Beginn der Hilfe war die Industrieproduktion in den Empfängerländern um fast zwei Drittel gestiegen4. Auch dringend benötigte Importe von Hüttenaluminium wurden mit Mitteln des Marshall-Planes finanziert. Für die Ermittlung des Aluminiumbedarfes der Empfängerländer und die Verteilung der hierfür zur Verfügung stehenden Mittel war der NE-Metall-Ausschuss der „Organisation for European Economic Cooperation“ (OEEC) verantwortlich, die 1948 zur Koordinierung der ERP-Hilfe mit Sitz in Paris gegründet worden war. Auch deutsche Vertreter hatten in diesem Ausschuss Sitz und Stimme. Im Gefolge des wirtschaftlichen Aufschwunges war ab 1950 in den westeuropäischen Ländern ein rascher Anstieg des Aluminiumverbrauches zu verzeichnen, wenn auch der Abstand zu Amerika bis in die 70er Jahre beträchtlich blieb. Japan unternahm nach dem Krieg große Anstrengungen, um auf dem Gebiet der Aluminiumerzeugung und Aluminiumverarbeitung mit den USA, Kanada und den westeuropäischen Ländern gleichzuziehen. Das Land entwickelte sich in den 60er Jahren zu einem der größten Aluminiumverbraucher der westlichen Welt, dessen Aluminiumbedarf nur noch von dem der USA übertroffen wurde. Sein Anteil am weltweiten Verbrauch von Hüttenaluminium stieg von 3,6 Prozent im Jahr 1960 auf über acht Prozent am Ende der Dekade. In dieser Entwicklung spiegelte sich der beispiellose Aufstieg Japans zu einer der führenden Industrienationen wider. Um die wachsende Abhängigkeit von Aluminiumimporten zu verringern, entschloss man sich anfangs der 60er Jahre zu einem großzügigen Ausbau der japanischen Hüttenindustrie, die mit dem stürmisch wachsenden Bedarf nicht mehr Schritt gehalten hatte. Da Japan weder über nennenswerte Wasserkraft noch über billige Kohle verfügte, waren die neuen Hütten auf teuren Strom aus größtenteils mit Erdöl betriebenen Wärmekraftwerken angewiesen. Die Abhängigkeit von importiertem Erdöl wurde ihnen schon wenige Jahre nach ihrer Errichtung zum Verhängnis, als der Ölpreis Mitte der 70er Jahre wegen des Boy-
238 kotts der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) in die Höhe schoss. Der größte Teil der japanischen Hütten musste geschlossen werden, da sie bei den drastisch gestiegenen Energiepreisen nicht mehr rentabel betrieben werden konnten. Dessen ungeachtet blieb Japan eine der führenden Aluminiumnationen der westlichen Welt, die ihren Hüttenaluminiumbedarf seit dem großen „Hüttensterben“ zum größten Teil aus dem Ausland importiert. Eine völlig andere Entwicklung nahm die Aluminiumindustrie in den Ländern des Ostblocks. In der kommunistischen Welt war die Aluminiumindustrie vor allem Teil des militärisch-industriellen Komplexes und diente überwiegend der Versorgung der Rüstungs- und Luftfahrtindustrien. Der zivile Verbrauch von Aluminium spielte eine untergeordnete Rolle. Dessen ungeachtet erreichte der Anteil der Ostblockstaaten am weltweiten Verbrauch von Hüttenaluminium Anfang der 70er Jahre beachtliche zwanzig Prozent. Der mit Abstand wichtigste Produzent und Verbraucher von Aluminium im Ostblock war die Sowjetunion, die mit ihren riesigen und zum großen Teil noch unerschlossenen Wasserkraftvorkommen über die besten Voraussetzungen für den Aufbau einer leistungsfähigen Aluminiumindustrie verfügte. Trotz der Handelsbeschränkungen zwischen dem Ostblock und der westlichen Welt, exportierten die Sowjetunion und Rumänien in den 60er Jahre größere Mengen an Hüttenaluminium in den Westen. Für die Lieferländer ging es dabei vor allem um den Erwerb von Devisen. Die spektakuläre Entwicklung der Aluminiumindustrie in den Jahren nach 1945 hat alle Prognosen und Erwartungen der Experten übertroffen. Selbst in den USA überwogen anfänglich Skepsis und Zurückhaltung. Man bezweifelte, dass die Aluminiumindustrie unter den Bedingungen der Friedenswirtschaft genügend Absatzmöglichkeiten auf dem zivilen Sektor finden werde, um die im Krieg aufgebauten Kapazitäten zu beschäftigen. Als Henry J. Kaiser sich im Jahr 1946 entschloss, von dem Privatisierungsangebot der amerikanischen Regierung Gebrauch zu machen und mit der Übernahme von zwei Hüttenwerken, einer Tonerdefabrik und eines Walzwerkes nach Alcoa und Reynolds als drittes Aluminiumunternehmen in den USA das Aluminiumgeschäft im großen Stile aufzunehmen, handelte er gegen die Empfehlung der meisten seiner Ratgeber und erntete bei einigen Kritikern kaum verhüllten Spott 5. Auch nachdem die Aluminiumindustrie ihre Feuerprobe auf den Nachkriegsmärkten erfolgreich bestanden hatte und schon längst auf Expansionskurs war, blieben die Zukunftsprognosen der Experten durchweg hinter der tatsächlichen Entwicklung zurück. So auch der 1952 veröffentlichte Bericht der Paley-Kommission, die im Auftrag des amerikanischen Präsidenten untersuchte, wie der Bedarf der freien Welt an Lebensmitteln, industriellen Rohstoffen und Energie in den nächsten 25 Jahren gedeckt werden könnte. Der PaleyReport ging davon aus, dass sich der Aluminiumbedarf der USA und der übrigen freien Welt in dem Zeitraum von 1950 bis 1975 etwa verfünffachen werde 6. Die tatsächliche Entwicklung ließ die Prognose der Paley-Kommission weit hinter sich. Der für 1975 erwartete Bedarf an Hüttenaluminium von etwa sechs Millionen Tonnen wurde bereits 1968 überschritten. Als zu vorsichtig erwies sich auch die Prognose des NE-
239 Metall-Ausschusses der OEEC aus dem Jahr 1954, die für den Zehnjahreszeitraum von 1952/1953 bis 1962 eine durchschnittliche Steigerungsrate von sechs Prozent zugrunde legte und bis 1962 einen Aluminiumverbrauch der westeuropäischen Länder von 960.000 Tonnen errechnete. Tatsächlich lag der Aluminiumverbrauch in Westeuropa im Jahr 1962 bei 1.255.000 Tonnen 7. Ein Blick in die Verbrauchsstatistik für die Zeit nach 1946 zeigt, dass das Wachstum des Aluminiumverbrauchs während der „goldenen Nachkriegsjahre“ keineswegs in einer stetigen Aufwärtsbewegung verlaufen ist. Vielmehr sind starke Ausschläge nach beiden Seiten zu erkennen, die weit über das konjunkturelle Auf- und Ab der wirtschaftlichen Entwicklung hinausgehen. Auf Perioden überdurchschnittlichen Wachstums folgten solche mit geringen Steigerungsraten. Die Schwankungsbreite ist erheblich. Schon damals zeigte sich der zyklische Charakter des Aluminiumgeschäfts, der uns vor allem bei der Schilderung der Entwicklung der Industrie in der Zeit nach 1970 beschäftigen wird. Hauptsächliche Ursache für die starken Absatzschwankungen ist das Nachfrageverhalten der industriellen Verbraucher und des Lager haltenden Handels, die sich bei ihren Dispositionen stark von Zukunftserwartungen leiten lassen. Die Abnehmer stocken ihre Läger auf, wenn sich das Geschäft belebt und höhere Preise zu erwarten sind, und bauen umgekehrt ihre Läger ab, wenn der Markt rückläufig ist und mit niedrigeren Preisen zu rechnen ist. Dieser so genannte „Pipeline-Effekt“ kann zu extremen Ausschlägen der Nachfrage führen, die den konjunkturbedingten Mehr- oder Minderverbrauch von Aluminium häufig um ein Mehrfaches übersteigen. Der sprunghafte Anstieg des Aluminiumverbrauchs zu Beginn der 50er Jahre findet seine Erklärung allerdings weniger in der wirtschaftlichen Aufwärtsbewegung dieser Jahre als in dem im Juni 1950 ausgebrochenen Korea-Krieg, der in den USA eine gewaltige Rüstungsanstrengung auslöste und zu einer weltweiten Übernachfrage nach Aluminium führte. Neben dem stark gewachsenen Bedarf der Rüstungsindustrie spielte dabei auch das so genannte Stockpile-Programm der amerikanischen Regierung eine Rolle, die im Hinblick auf die wachsenden Spannungen zwischen Ost und West eine strategische Aluminiumreserve aufbaute, die bis zu 2,5 Millionen Tonnen Hüttenaluminium umfassen sollte 8. Die amerikanische Aluminiumindustrie antwortete auf die Verknappung des Aluminiums mit einem umfangreichen Ausbauprogramm, das von der amerikanischen Regierung durch steuerliche Sonderabschreibungen und durch Abnahmegarantien für die erhöhte Produktion gefördert wurde. Angelockt von der günstigen Marktverfassung und den Fördermaßnahmen der US-Regierung nahmen neue Produzenten wie Harvey, Anaconda und Ormet die Herstellung von Hüttenaluminium auf. Der forcierte Ausbau der amerikanischen Hüttenkapazitäten (die sich in den Jahren von 1951 bis 1956 fast verdoppelten) führte in der zweiten Hälfte der 50er Jahre zu der ersten schweren Aluminiumkrise der Nachkriegszeit, die vor allem die amerikanischen Produzenten in größte Bedrängnis brachte, mit ihren Schockwellen aber auch die europäische Aluminiumindustrie erschütterte. Die Rezession der amerikanischen Wirtschaft in den Jahren 1957/1958, mit der der zehn Jahre dauernde Nach-
240 kriegsboom in den USA endete, hatte erstmals seit 1946 einen weltweiten Rückgang des Aluminiumverbrauchs zur Folge, dem allerdings schon bald ein erneuter Aufschwung folgte 9.
10.2 Gründe für das spektakuläre Wachstum 10 Die Aluminiumindustrie verdankt ihren spektakulären Aufstieg in den 50er und 60er Jahren vor allem dem lang anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung, der nach dem Ende des Krieges zuerst in den USA und im weiteren Verlauf auch in den Industrieländern Europas und Asiens das Zeitalter des Massenwohlstandes herbeiführte. Neben den Investitionsgütern sind es vor allem die Konsumgüter des gehobenen Bedarfs, für deren Herstellung Aluminium verwendet wird. Bei allen Unterschieden in den Verbrauchergewohnheiten von Land zu Land, besteht doch ein deutlich erkennbarer Zusammenhang zwischen dem Lebensstandard eines Landes und dem Aluminiumverbrauch pro Kopf der Bevölkerung. Man hat den Prokopf-Verbrauch an Aluminium daher auch als Gradmesser für den Entwicklungsstand einer Volkswirtschaft bezeichnet. Tabelle 14: Prokopf-Verbrauch von Aluminium 11 Kilogramm
1950
1960
1970
1980
1987
USA Deutschland Großbritannien Frankreich Japan
5,3 0,8 2,8 1,2 –
10,8 7,2 7,8 4,9 2,0
20,4 13,7 11,1 8,8 11,2
27,0 22,0 9,1 13,6 20,8
27,4 25,9 11,5 14,2 22,3
Anders als in den Ländern des Ostblocks, in denen die Aluminiumindustrie vor allem militärischen Zwecken diente, floss Aluminium in der westlichen Welt ganz überwiegend in den zivilen Sektor. Trotz des hohen Rüstungsniveaus der USA in den Jahren des Kalten Krieges entfielen auf Militärflugzeuge und andere Güter des militärischen Bedarfs in den 60er Jahre nur noch etwa zehn Prozent der Ablieferungen der amerikanischen Aluminiumindustrie 12. Nur während des Korea-Krieges schnellte der Anteil des Rüstungssektors am Aluminiumverbrauch vorübergehend auf ein Mehrfaches dieses Prozentsatzes hoch. Auch die europäische Aluminiumindustrie profitierte von der Verknappung des Metalls, die als Folge des Korea-Krieges in der ersten Hälfte der 50er Jahre weltweit zu spüren war. Die von den USA ausgehende zusätzliche Nachfrage hat zweifellos zu dem weltweiten Aluminiumboom der Nachkriegsjahre beigetragen und den gerade erst angelaufenen Erholungsprozess der Aluminiumindustrie in Europa beschleunigt. Die Bedeutung des Korea-Krieges für die Nachkriegsentwicklung der Aluminiumindustrie darf aber auch nicht überbewertet werden. Es war nicht der Bedarf der Rüstungsindustrie sondern die zivile Nachfrage, die die weitere Ent-
241 wicklung der Industrie in der westlichen Welt bestimmt hat. Die Metamorphose des Aluminiums vom Kriegsmetall zum Wohlstandsmetall war der entscheidende Grund für die enorme Zunahme des Aluminiumverbrauchs in der Nachkriegszeit. Mit dem kräftigen Wirtschaftswachstum in den Industrieländern der westlichen Welt allein ist der rasante Anstieg des Aluminiumverbrauchs in den ersten Nachkriegsjahrzehnten freilich nicht zu erklären. Bis in die 70er Jahre galt in diesen Ländern die Faustregel, dass der Aluminiumverbrauch etwa doppelt so schnell wachse wie die Wirtschaft insgesamt. Ohne die großen Anstrengungen der Aluminiumindustrie auf dem Gebiet der Produktentwicklung und des Marketing wäre der überdurchschnittliche Anstieg des Aluminiumverbrauchs nicht möglich gewesen. Die Aluminiumindustrie stand von Anfang an vor der Notwendigkeit, dem Aluminium durch die Erschließung immer neuer Anwendungsmöglichkeiten einen angemessenen Platz unter den Metallen und anderen Werkstoffen zu sichern. In den meisten Fällen ging die Verwendung von Aluminium zu Lasten eines anderen Werkstoffes, der durch das Aluminium aus seinem angestammten Anwendungsgebiet verdrängt wurde. Von der Substitution durch das Aluminium war vor allem der Stahl betroffen, der sein Monopol als Werkstoff für konstruktive Zwecke in vielen Bereichen zugunsten von Aluminium einbüßte. Betroffen waren aber auch andere NE-Metalle wie Kupfer, Blei und Zink, die gegenüber Aluminium relativ an Bedeutung verloren. Man hat das Aluminium daher auch als „Verdrängungsmetall“ bezeichnet. Substitution und Produktentwicklung waren von Anfang an die treibenden Kräfte hinter der Ausbreitung des Aluminiums als neuer Werkstoff. Die Aluminiumindustrie hat keine Mühen und Kosten gescheut, wenn es darum ging, in ihren eigenen Labors oder in enger Zusammenarbeit mit ihren Kunden die Werkstoffeigenschaften des Aluminiums zu verbessern oder verbesserte Verarbeitungsmethoden zu entwickeln. In den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg waren es vor allem die amerikanischen Konzerne, die dem Aluminium durch die Entwicklung neuer Produkte und durch ihr innovatives Marketing erweiterte Absatzmöglichkeiten erschlossen. Mit einem geradezu missionarischen Eifer stießen sie in immer neue Marktbereiche vor, um ihrem Werkstoff zum Erfolg zu verhelfen13. Bis zum Ende des zweiten Weltkriegs hatte eine klare Arbeitsteilung zwischen der Aluminiumindustrie und den nachgelagerten Stufen der verarbeitenden Industrie bestanden. Nur vereinzelt und eher widerstrebend hatten sich die Aluminiumproduzenten in der Anfangszeit der Industrie auf das für sie ungewohnte Terrain der Weiterverarbeitung vorgewagt und selbst Endprodukte aus Aluminium hergestellt. In diesem Zusammenhang sei an die Kochtöpfe und Teekessel erinnert, zu deren Herstellung sich die Alcoa veranlasst sah, weil sich kein anderer Hersteller für die neuen Produkte fand. In den Nachkriegsjahren setzte sich bei den großen Konzernen (vor allem in den USA) die Überzeugung durch, dass die Industrie sich selbst um die Entwicklung und Markteinführung von neuen Produkten kümmern müsse, wenn man dem Aluminium einen angemessenen Platz auf den zivilen Absatzmärkten verschaffen wollte. Viele Unternehmen der nachgeordneten Verarbeitungsstufe verfügten nicht über die technischen
242 und finanziellen Mittel, die für eine erfolgreiche Markteinführung neuer Produkte erforderlich sind. In anderen Fällen drohte die Markteinführung daran zu scheitern, dass die etablierten Hersteller nicht bereit waren, ihre Fertigung auf Aluminium umzustellen. Dafür liefert die Entwicklung auf dem Getränkedosenmarkt ein eindrucksvolles Beispiel. Erst nachdem Reynolds und Kaiser in den 60er Jahren eigene Dosenfabriken bauten und den Markt mit Aluminiumdosen belieferten, konnte sich das Aluminium im Wettstreit der Werkstoffe gegen Stahl durchsetzen. Das Engagement der Konzerne in der Weiterverarbeitung war freilich nicht ohne Risiken und führte gelegentlich zu Rückschlägen und Enttäuschungen. Im Wettbewerb mit anderen Werkstoffen kam es der Aluminiumindustrie zustatten, dass sie schon in der Zeit zwischen den beiden Kriegen eine große Zahl von neuen Anwendungsmöglichkeiten für das Aluminium erschlossen hatte. Viele Produkte, die in der Nachkriegszeit zu den wichtigsten Bedarfsträgern der Aluminiumindustrie gehörten, waren schon vor dem Krieg entwickelt worden. Nur fehlte es damals noch an einem aufnahmebereiten Markt. Jetzt wurden diese Produkte (oft in verbesserter Qualität) in großen Serien hergestellt und vertrieben. Es zahlte sich auch aus, dass die Industrie in der Zwischenkriegszeit große Anstrengungen gemacht hatte, um die Kenntnisse über den Werkstoff Aluminium und seine Legierungen zu vertiefen und verbesserte Methoden für die Herstellung und Verarbeitung des Metalls zu entwickeln. Die wissenschaftlichen und technischen Voraussetzungen für den Siegeszug des Aluminiums nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zu einem wesentlichen Teil durch die Forschungs- und Entwicklungsarbeit in den 20er und 30er Jahren geschaffen, über die wir in einem früheren Kapitel berichtet haben. Zum Erfolg des Aluminiums haben auch die Informations- und Beratungskampagnen beigetragen, mit denen die Industrie ihren Werkstoff einer breiten Öffentlichkeit näher brachte. In Deutschland wurde zu diesem Zweck im Jahr 1935 die Aluminium-Zentrale e.V. in Berlin gegründet, deren Aufgabe es war, die Kenntnisse über das Aluminium und seine Legierungen zu verbreiten und die aktuellen und potentiellen Verarbeiter von Aluminium zu beraten. In den USA und anderen Industrieländern wurden ähnliche Einrichtungen ins Leben gerufen. Von großer Bedeutung für den Bekanntheitsgrad des Aluminiums war auch die Tatsache, dass während des Zweiten Weltkrieges Zehntausende von Ingenieuren, Werkmeistern und Arbeitern in den Rüstungsfabriken der am Krieg beteiligten Nationen den Werkstoff Aluminium kennen gelernt und praktische Erfahrungen mit seiner Verwendung gemacht hatten. Dies hat zweifellos dazu beigetragen, dass die Umstellung der Aluminiumindustrie von der Rüstungsproduktion auf die Herstellung ziviler Güter nach dem Krieg relativ reibungslos verlief. Übrigens hatte Aluminium in keinem der anderen Länder den Beigeschmack des „Kriegsmetalls“, der ihm in Deutschland noch einige Zeit nach Kriegsende anhaftete. Die wirtschaftlichen, technischen und sozialen Veränderungen in der westlichen Wohlstandsgesellschaft seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben maßgeblich zum Markterfolg des Aluminiums beigetragen. Das gilt vor allem für die Entstehung des
243 modernen Verkehrswesens, das in den Nachkriegsjahren zum wichtigsten Absatzmarkt für die Aluminiumindustrie wurde. Mit der zunehmenden Mobilisierung der Bevölkerung in den Industrieländern und den rapide wachsenden Anforderungen an einen schnellen und sicheren Transport immer größerer Menschenmassen und ständig wachsender Gütermengen zu Wasser, in der Luft und auf der Erde entwickelte der Markt für Transportmittel eine ungeheure Dynamik, die sich die Aluminiumindustrie zunutze machte. Das Aluminium eignet sich wegen seines geringen spezifischen Gewichts bei gleichzeitiger hoher Festigkeit in idealer Weise für eine Verwendung im Verkehrsbereich. Bei der Konstruktion von Verkehrsmitteln jeder Art kommt es darauf an, ein möglichst günstiges Verhältnis von Nutzlast zu Totlast zu erreichen. Die Konstrukteure von Flugzeugen, Automobilen und Schienenfahrzeugen haben die Vorzüge des leichten Metalls schon früh erkannt und für ihre Konstruktionen genutzt. In großem Stil hat sich das Aluminium auf diesen Anwendungsgebieten aber erst nach dem Krieg durchgesetzt. Vor allem die Massenproduktion von Personenkraftwagen erschloss dem Aluminium immer neue Anwendungsgebiete und ließ den Aluminiumverbrauch auf diesem Sektor in die Höhe schnellen. Auch im Bauwesen hat das Aluminium erst nach dem Zweiten Weltkrieg den Durchbruch erzielt, wobei ihm der beispiellose Bauboom der Nachkriegszeit zugute kam. Aluminium verdankte seinen verstärkten Einsatz auf diesem Gebiet nicht zuletzt der modernen Skelettbauweise für den Hochhausbau, die ohne Aluminiumfassaden und Aluminiumfenster undenkbar wäre. Es war vor allem die hohe Korrosionsbeständigkeit und der geringe Pflegeaufwand des Aluminiums, die es zu einem attraktiven Baustoff werden ließen, der Holz und andere traditionelle Baumaterialien aus vielen Anwendungsbereichen verdrängte. Je höher die Löhne in den entwickelten Volkswirtschaften stiegen, desto stärker beeinflussten diese Faktoren die Entscheidung von Bauherren und Architekten14. Auf dem Gebiet der Verpackung profitierte das Aluminium von den veränderten Konsum- und Lebensgewohnheiten in der modernen Wohlstandsgesellschaft, die mit einem dramatischen Anstieg der Nachfrage nach verpackten Lebensmitteln verbunden war. An die Stelle der traditionellen Tante-Emma-Läden traten moderne Selbstbedienungsgeschäfte, in denen dem Verbraucher ein breites Sortiment von abgepackten Waren angeboten wird. Die so genannte „convenience“ wurde zu einem das Einkaufsverhalten der Verbraucher bestimmenden Faktor. Vorgefertigte Nahrung, Konserven oder Tiefkühlkost erfreuten sich zunehmender Beliebtheit. InnerTabelle 15: Westeuropa: Versorgung mit Hüttenaluminium 1951–1969 (MG-Statistik) 1.000 t Verbrauch Produktion Defizit
1951
1955
1960
1965
1969
523 362
815 544
1.281 860
1.568 1.278
2.406 1.863
161 31 %
271 33 %
421 33 %
290 18 %
543 23 %
244 halb weniger Jahrzehnte wurde die Aluminiumfolie für die Verpackung von Lebensmitteln und anderen leicht verderblichen Gütern zu einem wichtigen und in vielen Fällen sogar unverzichtbaren Packstoff. Auf dem Markt für abgefüllte Getränke trat die Aluminiumdose in den 60er Jahren ihren Siegeszug an, der sie in den folgenden Jahrzehnten zum weltweit wichtigsten Bedarfsträger der Aluminiumindustrie werden ließ. Die rasche Ausbreitung des Aluminiums in den Ländern der westlichen Welt setzte voraus, dass der neue Werkstoff überall in ausreichenden Mengen und zu günstigen Kosten verfügbar war. Dafür sorgten in der ersten Nachkriegszeit vor allem die Aluminiumlieferungen aus den beiden Überschussländern USA und Kanada, die eine Versorgung der Defizitländer in Europa und Asien sicherstellten. Zu einer Verknappung des Metalls kam es nur kurzfristig in der Zeit des Korea-Krieges, als in den USA ein großer Teil der Aluminiumproduktion für die Rüstungsindustrie und für den Aufbau einer strategischen „Stock pile“ abgezweigt wurde. In den 60er Jahren führte der Abbau der Zollschranken auf beiden Seiten des Atlantiks zur Bildung eines internationalen Marktes für Hüttenaluminium, von dem nur die Staaten des Ostblocks ausgeschlossen blieben. Bis zum Ende der 60er Jahre waren die Aluminiummärkte der westlichen Welt, zu der außer Nordamerika und Westeuropa neuerdings auch Japan gehörte, soweit zusammengewachsen, dass man von einem weitgehend einheitlichen Weltmarkt für Hüttenaluminium reden konnte, auf dem ständig steigende Mengen von Aluminium im grenzüberschreitenden Verkehr gehandelt wurden. Der internationale Handel mit Hüttenaluminium sorgte für einen Ausgleich zwischen den Ländern mit Produktionsüberschüssen und solchen Ländern, die auf Importe angewiesen sind, wie die Mehrzahl der chronisch defizitären westeuropäischen Staaten, die trotz gestiegener eigener Produktion Ende der 60er Jahre noch immer mehr als zwanzig Prozent ihres Bedarfs aus Übersee importierten. Das Zusammenwachsen der nationalen Märkte zu einem globalen Markt für Hüttenaluminium führte zwangsläufig dazu, dass sich in den Ländern der westlichen Welt allmählich ein einheitliches Preisniveau herausbildete. Noch bis in die 50er Jahre wiesen die Aluminiumpreise von Land zu Land erhebliche Unterschiede auf. Der deutsche Aluminiumpreis lag zeitweise um mehr als zehn Prozent über dem nordamerikanischen Marktpreis, was die deutschen Hüttenproduzenten mit den höheren Produktionskosten in der Bundesrepublik rechtfertigten15. In Frankreich und Italien, wo prohibitive Zölle eine Aluminiumeinfuhr praktisch unterbanden, wurden sogar noch höhere Preise praktiziert. Der Schutz durch Zölle und andere Handelsschranken erwies sich jedoch als wenig wirkungsvoll, als die amerikanischen Konzerne Ende der 50er Jahre mit massiven Preisunterbietungen auf die europäischen Märkte drängten. Unter dem Druck des Wettbewerbs blieb den europäischen Produzenten nichts anderes übrig, als ihre Preise zurückzunehmen und sich der Preispolitik der amerikanischen Konkurrenz anzupassen. Die Zeit der autonomen Preisfestsetzung durch die nationalen Produzenten war unwiderruflich vorüber. Seit Anfang der 60er Jahre orientierten sich die Produzenten in der Bundesrepublik und den meisten anderen europäischen
245 Ländern an dem so genannten „international price“ des kanadischen Produzenten Alcan, der regelmäßig in der Fachzeitschrift „Metal Bulletin“ veröffentlicht wurde. Die Preispolitik der Kanadier wurde ihrerseits maßgeblich durch die Preisentscheidungen der Alcoa bestimmt, die auf dem amerikanischen Markt die Rolle des Markt- und Preisführers spielte. Das Übergewicht der nordamerikanischen Aluminiumproduzenten zwang den Rest der Aluminiumindustrie, sich bei ihren Preisfestsetzungen nach den Vorgaben aus Amerika zu richten. Die Bindung an die Preise des amerikanischen Marktführers wurde im Laufe der Jahre immer enger. Seit den 60er Jahren führten Änderungen des „international price“ fast automatisch zu einer Anpassung des Listenpreises der VAW, wobei der Dollarpreis der Amerikaner zum jeweiligen Wechselkurs in einen D-Markpreis umgerechnet wurde. Dem Einsatz des Werkstoffes Aluminium standen häufig auch dort, wo er auf Grund seiner spezifischen Eigenschaften für eine Verwendung prädestiniert schien, Preiserwägungen entgegen. Erst die moderne Massenfertigung und die damit verbundene Senkung der Stückkosten hat die Aluminiumindustrie in die Lage versetzt, auch in Massenmärkten preislich mit den traditionellen Werkstoffen Glas, Holz, Kupfer und Stahl zu konkurrieren. Die Herstellung und Verarbeitung von Aluminium in immer größeren Produktionseinheiten, wie sie sich zuerst in den USA und im weiteren Verlauf auch in Europa und Japan durchgesetzt haben, sowie die ständige Verbesserung der Produktionsmethoden führten zu bedeutenden Produktivitätsfortschritten, die die Industrie in Form von niedrigeren Preisen an ihre Kunden weitergab. Die Preissteigerungen bei Aluminium blieben beträchtlich hinter der allgemeinen Geldentwertungsrate und der Preisentwicklung bei konkurrierenden Werkstoffen zurück16. Der Aluminiumpreis zeigte auch ein hohes Maß an Stabilität und unterschied sich dadurch vorteilhaft von den stark fluktuierenden Preisen anderer Werkstoffe. Die Stabilität des Aluminiumpreises war besonders dort ein wichtiges Verkaufsargument, wo das Aluminium mit dem Kupfer konkurrierte, dessen „Preisvolatilität“ eine langfristige Planung für die Kunden erschwerte. Die oligopolistische Struktur der Aluminiumindustrie ist von den Vertretern eines unbehinderten Wettbewerbs heftig kritisiert worden17. Es lässt sich indessen kaum bestreiten, dass die maßvolle und an langfristigen Wachstumszielen orientierte Preispolitik des Oligopols der Aluminiumindustrie (zu dem neben den nordamerikanischen Herstellern auch Pechiney und Alusuisse und weitere europäische Produzenten gehörten) maßgeblich zu der bemerkenswerten Expansion des Aluminiumverbrauchs in den 50er und 60er Jahren beigetragen hat. Die Preispolitik der großen Aluminiumkonzerne war auf maximales Marktwachstum ausgerichtet. Unter teilweisem Verzicht auf gegenwärtige Gewinne wurden die Ressourcen in den Ausbau der Kapazitäten und die Entwicklung der Märkte gesteckt. Darunter litt allerdings die Rentabilität der Industrie, die seit den 60er Jahren eine deutlich geringere Kapitalverzinsung erzielte als andere kapitalintensiven Industrien, wie etwa die chemische Industrie, was sich in einer enttäuschenden Entwicklung der Börsenkurse niederschlug18.
246
10.3 Die wichtigsten Endverbrauchsmärkte im Überblick In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich der Verkehrsbereich, das Bauwesen und die Verpackung zu den wichtigsten Absatzgebieten für die Aluminiumindustrie in der westlichen Welt. Diese Märkte haben ihre zentrale Bedeutung für den Aluminiumabsatz bis heute behalten und den Abstand zu anderen Absatzgebieten in den letzten Jahren eher noch ausgebaut. Allerdings bestanden (und bestehen) von Land zu Land Unterschiede in der Rangfolge und Bedeutung der einzelnen Endverbrauchsmärkte. Auch haben sich diese Märkte in den verschiedenen Ländern mit unterschiedlichem Tempo entwickelt. Bis in die 70er Jahre gehörte auch der Elektromarkt zu den wichtigsten Absatzgebieten für die Aluminiumindustrie. Inzwischen hat er, wie zuvor schon der Markt für Haushaltswaren stark an Bedeutung eingebüßt, wenn auch nach wie vor große Mengen an Aluminium in diesen Bereich fließen. An Bedeutung gewonnen hat der Maschinenbau, der in den 80er und 90er Jahren auf den vierten Platz in der Absatzstatistik der Aluminiumindustrie in den entwickelten Industrieländern vorgerückt ist19. Einige besonders wichtige Submärkte aus den genannten Bereichen wollen wir hier kurz darstellen 20.
Automobilbau In den westlichen Industrieländern hat der Automobilbau nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Flugzeugindustrie von ihrem traditionellen Platz als wichtigster Absatzmarkt für Aluminium verdrängt. Die rasche Ausweitung der Verwendung von Aluminium im Fahrzeugbau lässt sich nur zum Teil durch die dramatisch gestiegenen Produktionszahlen der Automobilbranche erklären. Nicht weniger bedeutsam war die Tatsache, dass die Aluminiumindustrie ihren Anteil am Materialeinsatz pro Fahrzeug durch die Entwicklung immer neuer Verwendungsmöglichkeiten für das Aluminium im Laufe der Jahre steigern konnte. Bei Personenkraftwagen lag der durchschnittliche Einsatz von Aluminium je Fahrzeug in den 60er Jahren noch bei etwa 20 bis 30 Kilogramm. In einem heute in Deutschland hergestellten PKW sind mehr als 150 Kilogramm Aluminium enthalten. Der zunehmende Einsatz von Aluminium im Automobilbau ging in erster Linie zu Lasten des Eisen- oder Graugusses, der im Laufe der Jahrzehnte auf vielen Anwendungsgebieten dem Aluminiumguss Platz machen musste. Kolben aus Aluminium hatten sich in Deutschland schon in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen weitgehend durchgesetzt. Sie waren noch Anfang der 60er Jahre mit rund einem Drittel des damaligen Aluminiumverbrauchs pro Auto der wichtigste Bedarfsträger für Aluminium im Automobilbau. Auch im Bereich der Baugruppen Fahrwerk, Motor und Getriebe wur-
247 den dem Aluminiumguss Schritt für Schritt neue Anwendungsgebiete erschlossen. Einen bedeutenden Fortschritt brachte die Entwicklung größerer und leistungsfähigerer Druckgussmaschinen in den 50er Jahren, mit denen man auch große Gusstücke (wie zum Beispiel Kupplungsgehäuse) im Druckgießverfahren aus Aluminium herstellen konnte. Es verging allerdings noch geraume Zeit, bevor sich der Aluminiumguss auch auf dem mengenmäßig besonders wichtigen Anwendungsbereich der Motorblöcke durchsetzen konnte 21. Zu erwähnen ist auch die Markteinführung von Aluminiumrädern für PKW’s, die sich wegen ihres niedrigen Gewichts, vor allem aber wegen der vielfältigen stilistischen Gestaltungsmöglichkeiten einen bedeutenden Marktanteil erobert haben22. Trotz dieser unbestreitbaren Erfolge war die Rolle des Stahls als dominierender Werkstoff im Automobilbau zu keinem Zeitpunkt ernsthaft gefährdet. Insbesondere blieb der Aluminiumindustrie ein durchschlagender Erfolg bei der Ersetzung von Stahlblechen im Karosseriebau versagt. Die Automobilindustrie war auch nach der dramatischen Verteuerung des Treibstoffes im Gefolge der Erdölkrisen der 70er Jahre nicht davon zu überzeugen, dass die Gewichtseinsparungen durch den Einsatz von Aluminiumblechen die höheren Material- und Verarbeitungskosten rechtfertigen würden. Die Verwendung von Aluminiumblechen blieb daher im Wesentlichen auf bewegliche Karosserieteile wie Hauben und Türen beschränkt. Eine selbsttragende Karosserie aus Aluminiumblechen haben bis heute nur wenige Wagentypen der Luxusklasse 23. Den erhofften Durchbruch hat auch das in den 80er Jahre entwickelte Space-FrameKonzept nicht gebracht. Bei dieser Konstruktionsweise wird ein stabiler Rahmen aus Aluminiumprofilen und Druckgussteilen hergestellt, in den die Außenverkleidung aus Aluminiumblechen „eingehängt“ wird. Die Space-Frame-Technologie kam erstmals 1994 beim Bau des Audi 8 zum Einsatz, eignet sich aber nicht für die Herstellung von Karosserien in der Großserie 24. Größere Erfolge waren der Aluminiumindustrie bei der Einführung von OmnibusKarosserien und Aufbauten für Lastkraftwagen beschieden. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg waren Busse mit Aluminiumkarosserien in der Schweiz im Einsatz gewesen. Nach dem Krieg wurde diese Entwicklung vor allem in den USA vorangetrieben. Der Durchbruch gelang, als die Firma Greyhound Anfang der 50er Jahre erstmals Überlandbusse mit einer Karosserie aus Aluminium verwendete, bei deren Konstruktion man auf die Erfahrungen des Flugzeugbaus zurückgegriffen hatte. Auch bei LKW-Aufbauten ging die Entwicklung zur vermehrten Verwendung von Aluminium von den USA aus, wo wegen der riesigen Entfernungen im LKW-Fernverkehr ein besonders starkes Interesse an Gewichtseinsparungen bestand. In der Bundesrepublik setzten sich Aluminiumaufbauten nur zögerlich durch. Erst in den 60er Jahren begann die Substitution von Stahl und Holz bei Muldenkippern, Kastenwagen und Tankwagen.
248 Schienenfahrzeuge 25 Die Technik des Leichtmetallbaus für Schienenfahrzeuge war schon in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg über das Versuchsstadium hinausgekommen. In Deutschland kam zum Beispiel Ende der 20er Jahre bei der Halberstadt-Blankenburg-Bahn ein Triebwagen mit einem selbst tragenden Aluminiumkasten in genieteter Schalenbauweise zum Einsatz, wobei gewalzte Aluminiumprofile aus vergütbaren Legierungen für das Kasten- und Dachgerippe verwendet wurden. Trotz technischer Bewährung hatten solche Konstruktionen wegen der hohen Material- und Herstellkosten im Wettbewerb gegen Stahl keine Chance. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es dem Aluminium, in größerem Umfang im Schienenfahrzeugbau Fuß zu fassen. Dabei machte sich die Industrie die Fortschritte zunutze, die die Flugzeughersteller während des Krieges bei der Konstruktion von Flugzeugzellen gemacht hatten. Für die ersten Aluminiumzüge der Bundesbahn, die seit Mitte der 50er Jahre unter der Bezeichnung Trans-EuropaExpress (TEE) im Fernverkehr zwischen den europäischen Hauptstädten eingesetzt wurden, wählte man eine Mischbauweise, bei der man für die besonders beanspruchten Hauptquerträger Profile aus Stahl verwendete, die in die Aluminiumstruktur eingenietet waren. Den beträchtlichen Gewichtseinsparungen dieser Konstruktion gegenüber der herkömmlichen Stahlbauweise standen hohe Kosten gegenüber, die vor allem durch die arbeitsaufwendige Niettechnik verursacht wurden26. In den 60er Jahren gelang der Übergang zu einer vollständig geschweißten Wagenkonstruktion mit Querträgern aus breiten Aluminiumprofilen, für die eine neue Legierung von besonders hoher Festigkeit entwickelt worden war. Die neue Konstruktion ließ den Kostennachteil gegenüber vergleichbaren Stahlwagen schrumpfen. Vor allem im Personennahverkehr, wo Gewichtseinsparungen wegen des häufigen Anfahrens und Bremsens besonders stark zu Buche schlugen, war der Aluminiumkastenwagen damit auch unter betriebswirtschaftlichen Aspekten zu einer attraktiven Alternative zur herkömmlichen Stahlbauweise geworden. Die Untergrundbahnen in Berlin und München, die Ende der 60er Jahre in Betrieb genommen wurden, verwendeten die neue Technik. Der eigentliche Durchbruch gelang aber erst in den 70er Jahren, als die Aluminiumindustrie mit der so genannten Großprofiltechnik eine völlig neue Bauweise entwickelte, mit der man Wagenkästen aus Aluminium sogar kostengünstiger herstellen konnte als vergleichbare Stahlkästen. Bei dieser Technik werden großformatige Aluminiumprofile mit einer Breite von über 600 Millimeter in Wagenlängsrichtung über die gesamte Wagonlänge angeordnet und mit Schweißautomaten zu einer selbst tragenden Wagenröhre verbunden. Erstmals wurde die Großprofiltechnik beim ICE, dem Paradestück der Bundesbahn, angewendet. Sie ist jetzt Stand der Technik.
249 Flugzeugbau Obwohl der Flugzeugbau nach dem Krieg seine frühere zentrale Bedeutung für die Aluminiumindustrie verloren hat, blieb er auch nach 1945 ein wichtiges Anwendungsgebiet für Aluminium. Die rasch wachsende Nachfrage der Flugzeugindustrie nach Platten und Blechen, Schmiedeteilen, Profilen und Gussteilen aus vergütetem Aluminium spiegeln die rasante Entwicklung der zivilen Luftfahrt seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wider. Immer größere Flugzeugflotten mit immer leistungsfähigeren Maschinen waren erforderlich, um das von Jahr zu Jahr wachsende Passagier- und Luftfrachtaufkommen zu bewältigen. Trotz dieser eindrucksvollen Entwicklung ging der Anteil der Luftfahrt am Aluminiumverbrauch in der Nachkriegszeit von Jahr zu Jahr zurück. Selbst in den Vereinigten Staaten, die in den ersten Nachkriegsjahrzehnten den militärischen und zivilen Flugzeugbau beherrschten, lagen die Lieferungen an die Flugzeugindustrie nur während des Korea-Krieges über zehn Prozent des Gesamtverbrauches an Aluminium. Ungeachtet der relativ bescheidenen Absatzmengen spielen Aluminiumwerkstoffe für den Flugzeugbau eine wichtige Rolle bei der Weiterentwicklung der Aluminiumtechnologie. Sie gehören zu den anspruchvollsten Erzeugnissen der Industrie, die höchsten Qualitätsansprüchen genügen müssen. Für ihre Herstellung sind aufwendige Spezialanlagen erforderlich. Strenge Qualitätskontrollen sorgen für die Einhaltung der vorgeschriebenen Spezifikationen. Die Entwicklung neuer Legierungen und Produktionsverfahren erfordern einen hohen Forschungs- und Entwicklungsaufwand, der auch anderen Produktionsbereichen zugute kommt. Der Markt für Luftfahrthalbzeug ist daher die Domäne einer kleinen Zahl von Unternehmen, denen auch auf der Abnehmerseite nur wenige Großunternehmen gegenüberstehen. Eine enge technische Zusammenarbeit zwischen Lieferanten und Abnehmern ist charakteristisch für diesen Zweig der Aluminiumindustrie. In Deutschland war die Herstellung von Flugzeugen auf Grund der Potsdamer Beschlüsse der Siegermächte bis zur Mitte der 50er Jahre verboten. Auch nach der Aufhebung des Verbotes durch das Petersberg-Abkommen von 1955 lief der Flugzeugbau in der Bundesrepublik nur langsam wieder an, wobei Lizenznachbauten und die Teilnahme an Gemeinschaftsproduktionen der NATO zunächst die wichtigste Rolle spielten. Erst mit der Beteiligung der deutschen Luftfahrtindustrie an dem 1967 zwischen der Bundesrepublik, Frankreich und England (und später auch Spanien und Holland) verabredeten Airbus-Projekt kam der zivile Luftfahrtbau allmählich wieder in Gang. Angesichts der späten und eher zögerlichen Rückkehr Deutschlands in den Kreis der maßgebenden Flugzeughersteller kann es nicht verwundern, dass der Flugzeugmarkt in der Bundesrepublik bis weit in die 70er und 80er Jahre für die deutsche Aluminiumindustrie eine untergeordnete Rolle spielte. Von den deutschen Halbzeugwerken war nur das Walzwerk Hannover der VAW in der Lage, Aluminiumplatten und (in eingeschränktem Umfang) Bleche nach den besonderen Spezifikationen der Flugzeugindustrie zu liefern. Für die Lieferung von Schmiede-
250 teilen und Profilen aus Luftfahrtlegierungen war außerdem die Firma Otto Fuchs in Meinerzhagen qualifiziert. Ein beträchtlicher Teil des Bedarfs der deutschen Luftfahrtindustrie musste daher im Ausland, vor allem bei französischen und englischen Lieferanten, teilweise auch aus den USA, bezogen werden. Nachdem die VAW im Jahr 1975 das Walzwerk Hannover geschlossen hatte, bestand für Platten und Bleche eine vollständige Abhängigkeit der deutschen Luftfahrtindustrie von ausländischen Importen, bis sich Anfang der 80er Jahre das Koblenzer Walzwerk von Kaiser Aluminium als neuer Lieferant der deutschen und später europäischen Luftfahrtindustrie qualifizierte.
Aluminiumfenster und Aluminiumfassaden Das Aluminiumfenster war eine der ersten Anwendungen von Aluminium im Baubereich. Schon 1892 wurde in der Schweiz ein Patent für eine Fensterkonstruktion aus gewalzten Aluminiumprofilen erteilt. Aber erst mit der Einführung der Strangpresstechnik in den 20er Jahren wurde es möglich, maßgenaue Profile von großer Formenvielfalt herzustellen, aus denen man marktgängige Aluminiumfenster entwickeln und herstellen konnte. Ende der 20er Jahre konstruierte die Alcoa in ihrem Labor in Pittsburgh erstmals einen Fenstertyp aus stranggepressten Aluminiumprofilen, der vor allem im Gewerbebau Verwendung fand. In großem Stil setzte sich das Aluminiumfenster freilich erst nach dem Zweiten Weltkrieg im Markt durch, wobei auch hier die amerikanische Aluminiumindustrie die Führungsrolle übernahm. Ende der 50er Jahre war in den USA bei gewerblichen Neubauten mehr als die Hälfte und bei neuen Wohnhäusern etwa ein Viertel der Fensterrahmen aus Aluminium. Gegenüber den herkömmlichen Fensterkonstruktionen aus Holz und vereinzelt aus Stahl war der entscheidende Vorteil des Aluminiumfensters, dass praktisch keine Wartungskosten anfielen, ein Vorteil, der in dem Hochlohnland USA stark zu Buche schlug. Auch als Fassadenmaterial wurde Aluminium schon vor dem Zweiten Weltkrieg verwendet. Beim Bau des Empire State Building in New York entschied man sich für eine Fassade aus Aluminiumgussplatten, die gegenüber den herkömmlichen Steinwänden den Vorzug des geringeren Gewichts hatte und wegen ihrer Korrosionsbeständigkeit leichter zu pflegen war. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich im Hochhausbau in den USA die Skelettbauweise durch, bei der die Stahlkonstruktion des Gebäudes mit einer so genannten Vorhangwand (curtain wall) verkleidet wird, für die seit den 50er Jahren bevorzugt Aluminium-Glas-Fassaden verwendet wurden. Bahnbrechend war das 1952 errichtete 30-geschossige Hochhaus der Alcoa in Pittsburgh/Pennsylvania, das in der Folgezeit zahlreiche Nachahmer fand. Das zur Einfassung der Glasscheiben und zur Aufnahme der Windkräfte dienende Gerippe der Fassadenverkleidung bestand aus Aluminiumprofilen, während für die nicht verglasten Teile der Außenhaut Aluminiumbleche zum Einsatz kamen27.
251 Obwohl Aluminium auch in blankem Zustand gegenüber Witterungseinflüssen beständig ist, werden im Fassadenbau aus dekorativen Gründen fast ausschließlich eloxierte Bleche und Profile verwendet, deren Oberfläche mittels anodischer Oxidation mit einer künstlichen Oxidationsschicht versehen ist, die dem Aluminium ein farbiges Aussehen verleiht. Nachdem es der Industrie gelungen war, auch bunte Eloxalfarben herzustellen, die von Neusilber über Hellbronze und Dunkelbronze und von grau bis schwarz reichen, standen den Architekten vielfältige farbige Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung. Wenngleich ästhetisch-gestalterische Beweggründe eine wichtige Rolle für die Entscheidung der Architekten und Bauherren spielten, waren es letztlich doch ganz handfeste wirtschaftliche Gründe, die den Siegeszug der Aluminiumfassade in der modernen Hochhausarchitektur erklären. Für die Verwendung von Aluminium als Fassadenmaterial sprachen nicht nur die Gewichtsersparnisse gegenüber konkurrierenden Werkstoffen wie Natursteinen oder Stahlblechen sondern vor allem auch die geringeren Montagekosten und die Langlebigkeit und Wartungsfreiheit der Aluminiumfassade.
Flexible Verpackungen Die Aluminiumfolie verdankt ihre besondere Eignung als Packstoff vor allem der Barrierewirkung des Aluminiums, die das Füllgut gegen qualitätsmindernde Umwelteinflüsse jeder Art abschirmt. Gleichzeitig verhindert die Aluminiumsperrschicht den Austritt von Aromen und anderen flüchtigen Bestandteilen aus dem Füllgut. Dass sich das Aluminium wegen seines weitgehend chemisch neutralen Verhaltens auch unter hygienischen Gesichtspunkten für die Aufbewahrung von Lebensmittel eignet, hatten schon Untersuchungen in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts ergeben, bei denen man die Brauchbarkeit von Feldflaschen und Kochgeschirren aus Aluminium für das Militär prüfte. Trotz der unbestreitbaren Erfolge der Aluminiumfolie in der Zwischenkriegszeit blieb die Verwendung des Aluminiums in der Verpackung aber zunächst auf einige wenige Konsumgüter beschränkt (vor allem Schokolade, Zigaretten und Käse). In großem Stil setzten sich Aluminiumverpackungen erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg durch. Dabei profitierte die Aluminiumindustrie von den veränderten Lebens- und Konsumgewohnheiten der Menschen in der modernen Wohlstandsgesellschaft, die zu einem enormen Anstieg des Bedarfs an Verpackungsmaterial führte. Das Aluminium brachte gute Voraussetzungen mit, um an diesem Verpackungsboom zu partizipieren. Zu der bereits genannten Barrierewirkung des Aluminiums kamen seine gute Verformbarkeit bei gleichzeitiger Formbeständigkeit und vor allem sein geringes Gewicht, das beim Transport von Gütern über immer weitere Entfernungen zu einem wichtigen Kostenfaktor wurde. Von Vorteil erwies sich auch, dass sich die Aluminiumfolie gut bedrucken lässt und damit dem Wunsch der verpackenden Industrie nach werbewirksamer Verpackung ihrer Produkte entgegenkommt. Mit Hilfe moderner Druckverfahren kann die Folie heute mit Bildern und anderen Dessins be-
252 druckt werden, die hohen ästhetischen Ansprüchen genügen. In den letzten Jahrzehnten gewann schließlich auch die Recycling-Fähigkeit des Aluminiums eine immer größere Bedeutung. Seit den 60er Jahren standen die Hersteller von Aluminiumfolien zunehmend im Wettbewerb mit der kapitalkräftigen Kunststoffindustrie, die ihrerseits keine Kosten und Mühe scheute, um ihre Produkte gegen die Konkurrenz anderer Werkstoffe im Markt durchzusetzen. Um sich auf dem hart umkämpften Verpackungsmarkt zu behaupten, genügte es nicht, die Produkte mit dem Hinweis auf ihre besonderen Eigenschaften im Markt anzubieten. Gefragt waren vielmehr Problemlösungen, die in Zusammenarbeit mit den Abnehmern für einzelne Füllgüter erarbeitet werden mussten und der Aluminiumindustrie einen hohen Aufwand für Forschung und Entwicklung abverlangten. In vielen Fällen erwies sich eine Kombination von mehreren Materialien als optimale Lösung, bei der die Eigenschaften der verschiedenen Materialien sich ergänzen. Der Aluminiumindustrie kam dabei zugute, dass man schon vor dem Ersten Weltkrieg damit begonnen hatte, die blanke Folie mit Papier zu kaschieren oder sie mit einer Lack- oder Wachsbeschichtung zu versehen. Diese Techniken wurden in der Zeit zwischen den Kriegen und nach dem Zweiten Weltkrieg zu immer größerer Perfektion entwickelt. Höchste Qualitätsansprüche erfüllen die so genannten Verbundbeutel für die Verpackung von Tee, Kaffee und Trockennahrung, die aus einer Kombination von Aluminium mit Kunststoff und Papier bestehen und durch ihre absolute Dichtigkeit die lange Haltbarkeit des verpackten Gutes gewährleisten. Ein weiteres Beispiel für die Kombination mehrerer Packstoffe sind die so genannten Tetrapack-Behälter, die seit den 70er und 80er Jahren für die Verpackung von Frischmilch und Erfrischungsgetränken eine wichtige Rolle spielen. Diese Getränkekartons sind zum Schutz des Füllgutes mit einem „Liner“ aus Aluminiumfolie versehen.
Aluminiumgetränkedose28 Am Ende dieses Kapitels kommen wir auf ein Produkt zu sprechen, das die Welt des Aluminiums seit den 60er Jahre zuerst in den USA und mit einiger Verzögerung auch in vielen anderen Ländern von Grund auf verändert hat. Wir sprechen von der Aluminiumdose für die Getränkeindustrie, die inzwischen zu einem der wichtigsten Bedarfsträger der Aluminiumindustrie geworden ist. Mit ihr hat sich das Aluminium einen enorm aufnahmefähigen Massenmarkt erschlossen, der von Konjunkturschwankungen weniger stark betroffen ist als der Markt für Investitionsgüter und auf dem bis heute überdurchschnittliche Wachstumsraten erzielt werden. Mit der Getränkedose hat die Industrie ein Produkt entwickelt, das sich wie kein anderes für eine Massenproduktion in großen Produktionsläufen eignet. Die Geschichte der Aluminiumgetränkedose beginnt, wie die vieler anderer Produkte unserer Industrie, in den USA, wo Reynolds, Kaiser und Alcoa den Kampf mit
253 der Stahlindustrie um diesen schnell wachsenden und äußerst zukunftsträchtigen Markt aufnahmen. Bierdosen aus Weißblech gab es in den USA schon seit den 1930er Jahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Verwendung von Metalldosen als Getränkebehälter einen ungeheuren Aufschwung. Mitte der 60er Jahre wurden schon mehr als vierzig Prozent des gesamten Bierausstoßes in den USA in Dosen abgefüllt. Die jährlichen Zuwachsraten der Getränkedosenindustrie lagen zwischen 20 und 25 Prozent. Auch die Aluminiumindustrie partizipierte an dem Dosenboom, da ein ständig wachsender Teil der Weißblechdosen mit Aufreißdeckeln aus Aluminium versehen war. Bevor sich das Aluminium auch als Werkstoff für die Herstellung des Dosenkörpers durchsetzte, waren aber noch lange und aufwendige Vorarbeiten erforderlich. Als erster der großen Produzenten erkannte Kaiser die Bedeutung des Getränkemarktes für das Aluminium. In den 50er Jahren erwarb die Gesellschaft die Erfindung eines Schweizer Ingenieurs, der eine Anlage entwickelt hatte, mit der man aus gestanzten und zu Näpfen gezogenen Ronden in einem Arbeitsgang dünnwandige Dosenkörper herstellen konnte. Jahrelange Forschungs- und Entwicklungsarbeiten waren nötig, bevor der „body-maker“ einsatzbereit war und die kommerzielle Produktion von Aluminiumdosen nach dem so genannten Tiefziehverfahren aufgenommen werden konnte 29. Wichtige Pionierarbeit bei der Entwicklung des neuen Produktionsverfahrens und bei der Markteinführung der Aluminiumdose leistete die Großbrauerei Adolph Coors in Denver, die die Lizenzrechte von Kaiser erwarb und ab 1966 ihre gesamte Dosenproduktion auf die Herstellung von Aluminiumdosen nach dem Tiefziehverfahren umstellte. Die qualitativen Vorzüge der Aluminiumdose gegenüber der damals verwendeten dreiteiligen Weißblechdose lagen auf der Hand. Bei der Weißblechdose musste die Dosenwand gelötet und Boden und Deckel aufgefalzt werden, was die Dichtigkeit des Behälters im Bereich der Lötnaht und des Bördelrandes am Dosenboden beeinträchtigte. Demgegenüber hatte die nahtlose Aluminiumdose nur eine Verschlussebene: Boden und Dosenwand des Dosenkörpers bestanden aus einem Stück, der Deckel ließ sich problemlos auffalzen. Auch in Bezug auf ihre Stabilität stand die aus einer AlMnMg-Legierung hergestellte Aluminiumdose der Weißblechdose nicht nach. Der Magnesiumgehalt der Legierung bewirkt, dass beim Tiefziehen und Abstrecken eine Kaltverfestigung des Materials eintritt. Nachdem es der Aluminiumindustrie gelungen war, durch die Entwicklung neuer, noch festerer Legierungen, den Metallverbrauch bei der Dosenfertigung drastisch zu reduzieren, konnte die Aluminiumdose auch bei den Herstellkosten mit der Weißblechdose gleichziehen. Trotz dieser unbestreitbaren Vorzüge erwies sich die Markteinführung der Aluminiumdose als äußerst schwierig. Die amerikanischen Dosenhersteller waren wegen ihrer engen Geschäftsbeziehungen zu der Stahlindustrie zunächst nicht bereit, das neue Verfahren zu übernehmen und ihre Produktion auf Aluminiumdosen umzustellen. Dies veranlasste Reynolds und Kaiser eigene Dosenwerke zu errichten und die Produktion von Aluminiumdosen in großem Stil aufzunehmen. Eine wachsende Zahl von amerikanischen Brauereien folgte dem
254 Beispiel von Coors und verkaufte ihr Bier in Aluminiumdosen, die nach Marktumfragen von den Konsumenten der Weißblechdose vorgezogen wurden. Schließlich sahen sich auch die Dosenhersteller gezwungen, dem Trend zur Aluminiumdose zu folgen und wenigstens einen Teil ihrer Dosenproduktion auf Aluminium umzustellen. Nachdem sich Coca-Cola und andere Softdrinkhersteller für die Aluminiumdose entschieden hatten, war deren Siegeszug nicht mehr aufzuhalten. 1977 wurden in Amerika erstmals mehr Aluminiumdosen als Weißblechdosen an die Getränkeindustrie abgesetzt. In den folgenden Jahren verdrängte das Aluminium in den USA das Weißblech bei kohlesäurehaltigen Getränken fast völlig vom Markt 30.
Anmerkungen zum 10. Kapitel 1 1983 wurden in der westlichen Welt 15,9 Millionen Tonnen Hüttenaluminium, 9,8 Millionen Tonnen raffiniertes Kupfer, 6,5 Millionen Tonnen Hüttenzink und 5,4 Millionen Tonnen Hüttenblei verbraucht. 2 Reynolds und Kaiser (damals noch Permanente Metals Corporation), machten von dem Privatisierungsangebot der amerikanischen Regierung Gebrauch und erwarben Tonerdewerke, Hütten und Verarbeitungswerke aus dem Besitz der Federal Defense Corporation. Die Werke wurden zunächst im Rahmen von Pachtverträgen betrieben und später zu günstigen Bedingungen erworben. 3 Zusätzlich zu den Zahlungen im Rahmen des Marshall-Planes erhielten Westdeutschland und Westberlin weitere Hilfslieferungen der USA im Rahmen eines Sonderprogramms (so genannte GARIOA-Lieferungen) im Gegenwert von 1,7 Milliarden Dollar, so dass die Gesamthilfe der Vereinigten Staaten bis Ende 1952 mehr als drei Milliarden Dollar erreichte. 4 John Kenneth Galbraith, „A Journey through Economic Time“, 1994, Seite 147 (mit Quellenangabe). 5 Robert Sheehan in der Zeitschrift Fortune (Juli 1956 Seite 81/82): „Kaiser Aluminum – Henry J.’s Marvelous Mistake“. Zur weitverbreiteten Skepsis über die Zukunftsaussichten der Aluminiumindustrie siehe auch „The Kaiser Story“ (eine Publikation der Kaiser Industries Corporation aus dem Jahr 1986), Seite 38. 6 ALUMINIUM 1953.349: „Der Paley-Bericht unter besonderer Berücksichtigung der Aluminiumsituation“. 7 Zur OECD-Schätzung für 1962: Afflerbach in ALUMINIUM 1954.39. 8 Zum Stockpile-Programm der US-Regierung: Merton J. Peck, „Competition in the Aluminum Industry“, 1945–1958 (Cambridge, MA: Harvard Press, 1961), Seite 158. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre kaufte die Industrie das Stockpile-Metall zurück. 9 Zur Aluminiumkrise 1957/1958: Smith, Seite 311 und 316. 10 Zur Entwicklung der Aluminiumindustrie nach dem Krieg haben sich Vertreter der Industrie in Vorträgen und Artikeln geäußert, von denen einige hier genannt werden sollen: F.C. Frary (Alcoa) in ALUMINIUM 1956.741: „Die Leichtmetalle in der Wirtschaft der USA“. – Raoul de Vitry (Pechiney) in ALUMINIUM 1961.462: „Gegenwart und Zukunft der Aluminiumindustrie in Europa und Afrika“. – R. D. Hamer (Alcan) in ALUMINIUM 1961.466: „Die voraussichtliche Entwicklung des Aluminiumverbrauchs im europäischen Markt“. – J. Wohnlich (Alusuisse) in ALUMINIUM 1968.451 (Vortrag in Loeben 1968): „Die Aluminiumindustrie in Europa und Afrika“. – J. D. Harper (Alcoa) in ALUMINIUM 1968.515 (Vortrag in Loeben 1968): „Die Aluminiumindustrie auf dem amerikanischen Kontinent“.
255 11 Quelle: Aluminium-Zentrale Düsseldorf. 12 Zum Anteil der Rüstungsgüter am Aluminiumverbrauch der USA: Frary in ALUMINIUM 1956.741. 13 Smith, Seite 263: “After some six months of apprenticeship, young salemen stepped forth as evangelists for aluminum, fully indoctrinated in the gospel according to Alcoa”. 14 Die amerikanische Aluminiumindustrie zahlte 1957 einen mittleren Stundenlohn von 2.50 $. Dem standen Stundenlöhne von 0,62 $ in Großbritannien, 0,48 $ in Westdeutschland und 0,39 $ in Frankreich gegenüber (Frary in ALUMINIUM 1958.683). 15 Laut VAW-Geschäftsbericht für 1952 (ALUMINIUM 1953.449) lag der deutsche Aluminiumpreis mit 2.23 DM/kg ca. 33 Pfennige über dem US-Preis. 16 Zur Entwicklung des realen Marktpreises von Aluminium siehe Brand: „Strategische Bedingungen in der Aluminiumindustrie“ in ALUMINIUM 1982.753. 17 Zum Oligopol der Aluminiumindustrie: Merton J. Peck, “Competition in the Aluminum Industry”. – Smith, Seite 278 ff. 18 In seinem Vortrag auf der Leichtmetalltagung in Loeben 1968 zitiert M. B. de Sousa Pernes (Alcan) aus einer im April 1968 veröffentlichten Untersuchung: „Die Kapitalverzinsung der Aluminiumindustrie bleibt gering im Vergleich zu anderen Grundstoffindustrien. Das trifft auf das Geschäftsergebnis des Jahres 1966 zu, einem relativ guten Jahr für die Industrie, und stimmt erst recht heute. Von sieben Grundstoffgruppen stand die Aluminiumindustrie in Bezug auf Kapitalverzinsung an sechster Stelle“. 19 Endverbrauchermärkte in der BRD 2012: Verkehr 43 %; Bau 14 %; Verpackung 12 %; Elektromarkt 9 % und Andere 22 %. 20 Dabei stütze ich mich vor allem auf das von der früheren Aluminium-Zentrale e. V. herausgegebene Informationsmaterial, insbesondere die Broschüren: „Aluminium im Verkehr“, „Aluminium am Bau“ und „Verpacken mit Aluminium“. 21 Zum erstmaligen Einsatz eines im Druckgießverfahren hergestellten Motorblocks aus Aluminium durch die amerikanische Automobilindustrie in den 50er Jahren siehe Bauer: „Sechs-ZylinderMotorblock in Aluminiumdruckguss“ in ALUMINIUM 1956.398. 22 Historischer Rückblick bei Hielscher: „Aluminiumräder mit wachsendem Marktanteil“ in ALUMINIUM 1987.936. 23 Zur Ganzaluminium-Karosserie: Friedrich Ostermann, „Anwendungstechnologie für Aluminium“, 2. Auflage 2007, Kapitel 2.1.3. 24 Seit den 90er Jahren richtet sich das Interesse der Industrie wieder verstärkt der Blechbauweise zu, die deutlich kostengünstiger ist als die Space-Frame-Technologie. Dabei werden großflächig geformte Karosserieteile aus Aluminiumblech durch Kleben und Punktschweißen zu einer selbst tragenden Karosserie zusammengesetzt. 25 Zur geschichtlichen Entwicklung siehe den Artikel von J. Warner: „Leichte Schienenfahrzeuge für den Personenverkehr“ in ALUMINIUM 1991.544 ff. 26 Auf diese wollte man aus Sicherheitsgründen nicht verzichten, obwohl das Schutzgas-Schweißen von Aluminium und Stahl in jener Zeit schon bekannt und erprobt war. Allein der Motorwagen der TEE-Züge wies über 50.000 Nieten und ebenso viele Schweißpunkte auf. 27 Zum Alcoa-Hochhaus siehe den Artikel in ALUMINIUM 1953.24. 28 Zur Einführung der Aluminiumdose siehe den Artikel von Henning: „Aluminium-Getränkedose – neu in der Bundesrepublik“ in ALUMINIUM 1968.300. 29 Zur Entwicklung des Tiefziehverfahren für die Herstellung von nahtlosen Aluminium-Dosen: ALUMINIUM 1958.41. 30 1987 wurden in den USA fast 100 % aller Bierdosen und über 90 % der Dosen für CO2-haltige Erfrischungsgetränke aus Aluminium hergestellt (Wirtz in „Alcan informiert“ 1988.
11. Kapitel Ein schwieriger Neubeginn. Die Aufholjagd der deutschen Aluminiumindustrie
11.1 Allmähliche Lockerung der alliierten Restriktionen Die Alliierten hatten im Potsdamer Abkommen ausdrücklich vereinbart, dass Deutschland während der Dauer der Besetzung als wirtschaftliche Einheit zu behandeln sei. De facto verfolgte jedoch jede der vier Besatzungsmächte in ihrem Zonengebiet auch in wirtschaftlichen Fragen weitgehend eigene Ziele und Vorstellungen. Die Zonengrenzen wurden zunehmend zu Wirtschaftsgrenzen, die einer Wiederingangsetzung der daniederliegenden deutschen Wirtschaft im Wege standen. Als besonders schwierig erwies sich die Zusammenarbeit mit den Sowjets, die ihre wirtschaftlichen Interessen in ihrer Zone mit größter Härte durchsetzten, ohne dabei auf die Interessen Deutschlands als Ganzem oder auch nur auf die Interessen der ostdeutschen Bevölkerung Rücksicht zu nehmen. Um die als dringend notwendig erachtete wirtschaftliche Einheit wenigstens in großen Teilen Westdeutschlands zu erreichen, schlossen Amerikaner und Engländer am 1. Januar 1947 ihre Besatzungszonen zur so genannten Bizone zusammen. Nach anfänglichem Zögern schloss sich am 8. April 1948 auch Frankreich mit seinem Besatzungsgebiet dem „Vereinigten Wirtschaftsgebiet“ an, in dem nunmehr alle drei Westzonen unter einer einheitlichen Wirtschaftsverwaltung zusammengefasst waren. Die von den Besatzungsmächten eingesetzten deutschen Behörden, denen die Verantwortung in Fragen der Wirtschaft Schritt für Schritt zurückgegeben wurde, standen vor kaum lösbaren Problemen. Mangel und Not herrschten in dem vom Krieg verwüsteten Land. Die deutsche Bevölkerung, die durch die Aufnahme der Flüchtlinge und Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und den angrenzenden Staaten Ost- und Südosteuropas um mehr als zehn Millionen Menschen angeschwollen war, konnte noch Jahre nach dem Zusammenbruch nur notdürftig mit Lebensmitteln und anderen lebensnotwendigen Gütern versorgt werden. Die extreme Mangellage zwang zur Fortführung des unter der Nazi-Herrschaft eingeführten Systems der Zwangswirtschaft mit Bezugscheinen, Rohstoffkontingenten und staatlich festgesetzten Höchstpreisen. In der Praxis wurden die staatlichen Regelungen freilich vielfach umgangen. Wegen der Geldentwertung war in weiten Teilen der Wirtschaft der
258 Tauschhandel an die Stelle einer geordneten Geldwirtschaft getreten. Eine Normalisierung des Wirtschaftslebens trat erst ein, nachdem die Währungsreform vom 20. Juni 1948 die Stabilität der völlig zerrütteten Währung wiederhergestellt hatte 1. Die von den Westmächten angeordnete Neuordnung des Geldwesens in den drei westlichen Besatzungszonen und in den Berliner Westsektoren besiegelte freilich auch die wirtschaftliche Trennung von Ost und West. Mit der Bildung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik folgte ihr ein Jahr später die politische Spaltung Deutschlands in zwei Teile, die bis zur Wiedervereinigung am 3.Oktober 1990 eine völlig unterschiedliche politische und wirtschaftliche Entwicklung nehmen sollten. Der Neubeginn der deutschen Aluminiumindustrie nach dem Zusammenbruch stand unter denkbar ungünstigen Auspizien. Für die als Kriegsindustrie geächtete und von den harten Maßnahmen der Siegermächte in ihrer Existenz bedrohte Industrie boten sich in dem von Hunger und Not gebeutelten Nachkriegsdeutschland kaum irgendwelche positive Zukunftsperspektiven. Der Betrieb in den Werken war bei Kriegsende überall zum Erliegen gekommen. Viele Fabrikgebäude wurden von den alliierten Truppen besetzt und als Reparaturwerkstätten oder Lagerräume genutzt. Requisitionen, Plünderungen und andere Übergriffe waren an der Tagesordnung. Zum Teil vergingen Monate, bevor den Werksleitungen und Angehörigen der Belegschaften das Betreten der Werke gestattet wurde, um mit den Aufräumungsarbeiten oder der Beseitigung von Kriegsschäden zu beginnen. In vielen Betrieben dauerte es Jahre, bevor die Produktion wieder anlaufen konnte. Die Aluminiumhütten und Tonerdewerke waren durch das alliierte Produktionsverbot zum Stillstand verurteilt. Bei den Verarbeitungswerken waren es der Mangel an Rohstoffen und die desolate Lage der Wirtschaft, die für den Stillstand verantwortlich waren. Die von dem Aluminiumverbot betroffenen Unternehmen waren bemüht, die stillgelegten Hütten und Tonerdewerke so weit wie möglich für andere Produktionen zu nutzen. So dienten die Ofenhäuser des Lippewerkes jahrelang als Lagerräume für Getreide. Im Tonerdewerk Schwandorf produzierte die VAW Düngemittel, bis das Werk im Jahr 1952 wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt werden konnte. In der Hütte in Rheinfelden und in der Tonerdefabrik der Gebr. Guilini in Ludwigshafen wurden Güter- und Personenwagen für die Reichsbahn repariert. Die Hüttengießereien in Grevenbroich, Töging und Rheinfelden wurden als Umschmelzwerke zur Verarbeitung der aus dem Krieg zurückgebliebenen Schrottmengen genutzt. Zur besseren Auslastung der größtenteils brachliegenden Verarbeitungskapazitäten im Halbzeugwerk Hannover-Linden nahm die VAW 1948 in Zusammenarbeit mit der AEG-Gruppe die Erzeugung von Schwermetallhalbzeug auf, die erst 1961 wieder aufgegeben wurde 2. Alusingen dürfte das erste westdeutsche Aluminiumwerk gewesen sein, dem die Besatzungsbehörden die Genehmigung zur Wiederaufnahme der Produktion erteilten. Nur eine Woche nach der Besetzung Singens durch französische Truppen wurde die Arbeit am 2. Mai 1945 mit 247 Mitarbeitern wieder aufgenommen. Bis zum Jahres-
259 ende 1945 war die Belegschaft auf über 900 Mitarbeiter angestiegen3. Auch in den Walz- und Presswerken der VLW in Bonn und Hannover-Linden durften mit Genehmigung der britischen Behörden seit November/Dezember 1945 wieder kleine Mengen an Aluminiumhalbzeug hergestellt werden. Noch auf Jahre hinaus musste die Industrie wegen des akuten Aluminiummangels bei den Besatzungsbehörden um die Erteilung von Produktionslizenzen oder die Zuweisung von Metallkontingenten nachsuchen, die häufig erst nach schwierigen und langwierigen Verhandlungen bewilligt wurden. Hauptabnehmer der Halbzeugwerke war in den ersten Nachkriegsjahren die Geschirrindustrie, die den Nachholbedarf der Flüchtlinge und „Ausgebombten“ zu befriedigen hatte. Da die Produktion von Hüttenaluminium wegen des alliierten Verbotes eingestellt worden war und eine Einfuhr von Hüttenaluminium wegen des Devisenmangels nur in Sonderfällen in Betracht kam, waren die Verarbeiter auf die Vorräte aus der Kriegszeit angewiesen. Außer den beträchtlichen Beständen an Aluminiummasseln, die bei Kriegende noch vorhanden waren, standen große Mengen an Flugzeugschrott zur Verfügung. Schätzungen sprachen allein für die amerikanische Besatzungszone von über 100.000 Tonnen solcher Schrotte. Es handelte sich um ausgemusterte Flugzeuge der Luftwaffe, die auf den stillgelegten Feldflughäfen in ihre Bestandteile zerlegt und zusammen mit den Überresten der im Krieg über dem Reichsgebiet abgestürzten alliierten und deutschen Flugzeuge in den Umschmelzwerken eingeschmolzen wurden 4. Noch auf viele Jahre stellten Aluminiumschrotte die wichtigste Rohmetallquelle für die deutschen Verarbeiter dar. 1947 lag der Schrottanteil bei über siebzig Prozent und noch im Jahr 1950 machte das Umschmelzaluminium mehr als die Hälfte der Gesamtversorgung der Industrie mit Aluminium aus 5. Seit Mitte 1946 war bei den westlichen Besatzungsmächten, vor allem den Amerikanern und Engländern, ein allmählicher Sinneswandel gegenüber dem besiegten Deutschland zu erkennen. Wirtschaftliche Überlegungen, zum Teil aber auch humanitäre Gründe, gaben zunächst den Ausschlag. Angesichts des unbeschreiblichen Elends in Deutschland setzte sich bei den westlichen Alliierten die Erkenntnis durch, dass die Deutschen den Siegern auf unabsehbare Zeit zur Last fallen würden, wenn man ihnen die Möglichkeit nähme, sich selbst mit dem Nötigsten zu versorgen. Es kamen Zweifel auf, ob eine so weitgehende Deindustrialisierung, wie sie im Potsdamer Abkommen und dem darauf fußenden Industrieplan von 1946 beschlossen worden war, im wohlverstandenen eigenen Interesse der Siegermächte liege. Vor allem in den USA wiesen die Experten darauf hin, dass die unerlässliche amerikanische Wirtschaftshilfe für das daniederliegende Nachkriegseuropa von vornherein zum Scheitern verurteilt sei, wenn im Herzen Europas ein politisches und wirtschaftliches Vakuum entstehe 6. Neben diese wirtschaftlichen Überlegungen trat zunehmend auch die Befürchtung, dass ein in Not und Elend versinkendes Deutschland eine leichte Beute der Sowjets werden könnte. Die Gefahr einer solchen Entwicklung war nicht mehr von der Hand zu weisen, nachdem die Auseinandersetzungen zwischen den Westmächten und der Sowjetunion über das zukünftige Schicksal Deutschlands zu einem zentralen
260 Streitobjekt des Kalten Krieges geworden war. Während die Sowjetunion in ihrer Besatzungszone noch auf Jahre an ihrer Demontage- und Reparationspolitik festhielt, führte der allmähliche Kurswechsel der Westmächte in den westlichen Besatzungszonen zu einer schrittweisen Lockerung der im Potsdamer Abkommen beschlossenen wirtschaftlichen Beschränkungen. Am 26. August 1947 verkündeten die amerikanischen und britischen Besatzungsbehörden für ihre in der Bizone vereinigten Besatzungsgebiete einen revidierten Industrieplan, der für die betroffenen Industrien deutlich höhere Produktionslimits festlegte und bestimmte Beschränkungen ganz aufhob. Der neue Plan brachte auch für die Aluminiumindustrie Erleichterungen7. Die mengenmäßige Beschränkung des Aluminiumverbrauchs auf maximal 30.000 Tonnen jährlich, die wohl auch von den Alliierten als unrealistisch eingeschätzt worden war, wurde nicht mehr aufrechterhalten. Die Erzeugung von Hüttenaluminium blieb zwar weiterhin verboten. Es wurde aber eine Überprüfung des Produktionsverbots in Aussicht gestellt und zugestanden, dass vor einer endgültigen Entscheidung über das Verbot keine weiteren Hüttenanlagen für Reparationszwecke demontiert würden. Die am 16. Oktober 1947 veröffentlichte Demontageliste für die britisch-amerikanische Besatzungszone führte daher die Hütten- und Tonerdewerke nicht mehr auf 8. Auch auf dem Verarbeitungssektor bedeutete die Demontageliste vom 16.Oktober 1947 eine Verbesserung gegenüber der bisherigen Rechtslage. Für eine Totaldemontage waren aber weiterhin die Werke Hannover-Laatz (VLW), Rothenbach (Heinrich Diehl), Meschede (Honsel) und Solingen (Rautenbach) vorgesehen. Dazu kamen Teildemontagen bei VLW (Werk Hannover-Linden), Eduard Hueck (Werk Elspe), WielandWerke (Ulm-Vöhringen) und VDM (Heddernheim). Mittelbar war auch die Hütte in Töging durch die vorgesehene Demontage der Gleichstromgeneratoren im Kraftwerk Töging betroffen. Unverändert blieb die Situation in der französischen Besatzungszone, wo die Besatzungsbehörden eine ähnlich harte Linie verfolgten wie die Sowjets in ihrer Zone. In der Demontageliste für die französische Besatzungszone, waren neben den Verarbeitungsbetrieben in Teningen (Tscheulin), Wutöschingen (Guilini), Villingen (AIAG) und Borsigwalde (Dürener Metallwerke), die zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend demontiert worden waren, weiterhin auch die Aluminiumhütte der AIAG in Rheinfelden und der größte Teil des Tonerdewerkes der Gebr. Guilini in Ludwigshafen sowie die dortige Versuchselektrolyse aufgeführt. Mit Ausnahme des Halbzeugwerkes der AIAG in Singen, das zwei Strangpressen für Reparationszwecke abgeben sollte, war somit die gesamte Aluminiumindustrie der französischen Besatzungszone einschließlich des französischen Sektors von Berlin von den Totaldemontagen betroffen. Ein erster wichtiger Schritt auf dem Wege zu einer allmählichen Aufhebung des Produktionsverbots für Aluminium erfolgte im März 1948, als die amerikanischen und englischen Besatzungsbehörden der Industrie auf Drängen der deutschen Stellen eine vorübergehende Wiederaufnahme der Hüttenproduktion in der Bizone gestatteten, um die dort lagernden Bauxitbestände aufzuarbeiten 9. Die Entscheidung der Besatzungs-
261 behörden muss vor dem Hintergrund der äußerst angespannten Versorgungslage bei den deutschen Verarbeitungswerken gesehen werden. Die aus der Kriegszeit stammenden Vorräte an Hüttenaluminium waren inzwischen trotz schärfster Bewirtschaftung durch die Alliierten fast völlig aufgebraucht. Der noch immer reichlich vorhandene Flugzeugschrott war nur beschränkt verwendungsfähig. Um die Halbzeugwerke und Gießereien in Gang zu halten, sahen sich die amerikanischen und britischen Besatzungsbehörden im Sommer 1947 gezwungen, Einfuhrgenehmigung für Hüttenaluminium zu erteilen. Die dafür erforderlichen Devisen mussten von den Alliierten zur Verfügung gestellt werden, sodass letztendlich die amerikanischen und britischen Steuerzahler für die Folgen des Produktionsverbotes der Alliierten aufkamen. Dies hat wohl den Ausschlag dafür gegeben, dass die alliierten Kontrollgremien der Bizone einer vorübergehenden Aussetzung des Produktionsverbots zustimmten. In den Tonerdewerken der VAW in Schwandorf und Lünen und im Martinswerk der AIAG durften zunächst 100.000 Tonnen Tonerde hergestellt werden, wovon 40.000 Tonnen für die chemische Industrie vorgesehen waren. Die für die Hüttenproduktion verbleibende Menge war ausreichend, um den Bedarf der Hütten in Töging und Lünen bis weit in das Jahr 1949 hinein zu decken. Wegen des allgemeinen Energiemangels konnte zunächst nur die mit Wasserkraft betriebene Hütte in Töging anlaufen. Erst ein Jahr später, im Januar 1949, nahm auch die auf Kohlestrom angewiesene Hütte in Lünen den Betrieb auf. Die Produktionsleistung der beiden Hütten war freilich mit 7.500 Tonnen in 1948 und 24.100 Tonnen in 1949 noch äußerst bescheiden. Immerhin war ein Anfang gemacht. Wie die deutsche Seite gehofft hatte, durften die Hütten in Töging und Lünen auch nach der Aufarbeitung der aus der Kriegszeit verbliebenen Bauxitbestände weiterproduzieren. Im Herbst 1948 erwirkte die deutsche Wirtschaftsverwaltung bei den Besatzungsmächten die Genehmigung für die Einfuhr von 100.000 Tonnen Bauxit aus Osteuropa und Frankreich, wodurch die Weiterbeschäftigung der Tonerdewerke und Hütten zumindest für ein Jahr sichergestellt war. Nachdem auch die französischen Besatzungsbehörden einer Wiederinbetriebnahme der Hütte der AIAG in Rheinfelden zugestimmt hatten, war es fast nur noch eine Formalität, als die drei westlichen Besatzungsbehörden am 13. April 1949 das Produktionsverbot für Hüttenaluminium auch offiziell aufhoben. Die Produktion von Hüttenaluminium in den drei Westzonen wurde allerdings auf 85.000 Tonnen im Jahr beschränkt 10. Diese Menge entsprach der damaligen langfristigen Produktionsplanung Westdeutschlands im Rahmen des Marshall-Planes. Sie lag noch weit über den tatsächlichen Produktionsmöglichkeiten in den drei Aluminiumhütten in Lünen, Töging und Rheinfelden, die zwar eine theoretische Produktionskapazität von etwa 110.000 Tonnen hatten aber vor allem wegen des akuten Strommangels außerstande waren, ihre Anlagen voll auszufahren. Am 26. Juli 1951 hob die Alliierte Hohe Kommission, die seit Einführung des so genannten Besatzungsstatuts im Herbst 1949 die Rechte der drei westlichen Mächte wahrnahm, auch die mengenmäßige Beschränkung der Aluminiumproduktion in Deutschland auf. Bei die-
262 ser Entscheidung spielte zweifellos auch die Tatsache eine Rolle, dass sich Aluminium seit Ausbruch des Korea-Krieges am 26. Juni 1950 in der westlichen Welt drastisch verknappt hatte. Nach der Aufhebung des Produktionsverbotes durch das Dreimächteabkommen von Washington im Jahr 1949 hatte die deutsche Industrie erwartet, dass die Aluminiumhütten und Tonerdewerke damit endgültig dem Schicksal der Demontage entronnen seien. Wie sich schon bald herausstellte, hatte man sich falsche Hoffnungen gemacht. Für die Alliierten blieb es nämlich bei der grundsätzlichen Entscheidung, dass überschüssige Kapazitäten für Reparationszwecke demontiert werden mussten. Die Alliierten setzten die Kapazität der drei westdeutschen Hütten in Lünen, Töging und Rheinfelden mit 120.000 Tonnen an, wozu noch weitere 10.000 Tonnen für das Erftwerk in Grevenbroich kamen, das den Betrieb seit dem Kriegsende noch nicht wieder aufgenommen hatte. Demgemäß standen nach alliierter Auffassung mindestens 40.000 Tonnen Hüttenkapazität zur Demontage an. Die deutschen Stellen versuchten vergeblich die von den Alliierten angeordnete Demontage des Erftwerkes abzuwenden 11. In der Zeit von Juli 1949 bis Oktober 1950 wurden die Elektrolyseöfen der Hütte in Grevenbroich samt zugehöriger Gleichrichter und Umformeranlagen demontiert und an Jugoslawien ausgeliefert, wo sie mit technischer Unterstützung der VAW in dem neuen Hüttenwerk „Boris Kidric“ in Kidricevo (dem früheren Pettau) installiert und in Betrieb genommen wurden. Auch das Ofenhaus III in Töging, die modernste Elektrolyse des Innwerks der VAW, sollte auf Anweisung der Hohen Kommissare demontiert werden. Trotz der Intervention von Bundeskanzler Adenauer und des bayrischen Ministerpräsidenten Ehard begannen im März 1950 die Demontagearbeiten. Sie wurden im Dezember 1950 wieder eingestellt, nachdem die Washingtoner Außenministerkonferenz der Alliierten eine weitere Überprüfung der Demontagen beschlossen hatte und sich außerdem keine Interessenten für die Anlage gefunden hatten. Im März 1951 erfolgte die Freigabe der Anlage zum Wiederaufbau12. Das Kapitel „Demontagen“ war damit für die deutsche Aluminiumindustrie endgültig abgeschlossen.
11.2 Die deutsche Aluminiumindustrie zu Beginn der 50er Jahre Die Nachkriegsentwicklung der Aluminiumindustrie in den beiden auf deutschem Boden entstandenen Teilstaaten hätte unterschiedlicher nicht verlaufen können. Im Westen Deutschlands hat die Aluminiumindustrie nach der Aufhebung des Aluminiumverbotes und der Beendigung der Demontagen die Kriegsfolgen relativ schnell überwunden und schon bald wieder den Anschluss an die weltweite Entwicklung gefunden. Im Gegensatz dazu führte die Aluminiumindustrie in dem von den Sowjets besetzten Teil Deutschlands noch auf Jahre hinaus ein kümmerliches Schattendasein.
263 Der größte Teil der mitteldeutschen Aluminiumbetriebe war der Demontage durch die sowjetische Besatzungsmacht zum Opfer gefallen. Zum Wiederaufbau der Betriebe fehlten in der sozialistischen Staatswirtschaft der DDR der politische Wille und wohl auch die erforderlichen Mittel. Erst in den 60er und 70er Jahren unternahm die DDRFührung den Versuch, durch den Wiederaufbau demontierter Betriebe und den Bau neuer Fabriken eine leistungsfähige Aluminiumindustrie in der DDR aufzubauen. Das von ihr angestrebte „Weltniveau“ hat sie freilich auf dem Gebiet der Aluminiumindustrie so wenig erreicht wie auf den meisten anderen Industriesektoren. Nach der Wiedervereinigung zeigte sich, dass die Aluminiumbetriebe der DDR im freien Wettbewerb nicht überlebensfähig waren. In den folgenden Kapiteln werden wir uns auf die Darstellung der Entwicklung in den drei Westzonen und in der späteren Bundesrepublik beschränken. Der Geschichte der Aluminiumindustrie in der DDR ist am Ende dieses Buches ein besonderes Kapitel gewidmet. In Westdeutschland blieb die bundeseigene Vereinigte Aluminiumwerke AG auch nach dem Krieg das mit Abstand bedeutendste Unternehmen der Aluminiumbranche. Die entschädigungslose Enteignung des Stammwerkes in Lauta und des gesamten Auslandsvermögens sowie weitere Vermögensverluste durch Demontagen und direkte Kriegseinwirkungen hatten tiefe Wunden geschlagen und zum Verlust von mehr als der Hälfte des Gesellschaftsvermögens geführt. Andererseits waren die in der amerikanischen und in der britischen Besatzungszone gelegenen Werke zum größten Teil erhalten geblieben und standen jetzt für einen Neuanfang zur Verfügung. Mit Ausnahme des Erftwerks, das 1943 durch eine Fliegerbombe teilweise zerstört worden war, hatten die westdeutschen Hütten- und Tonerdewerke der VAW den Krieg ohne größere Schäden überstanden und konnten nach der Suspendierung des alliierten Aluminiumverbotes im Frühjahr 1948 die Produktion wieder aufnehmen. In den beiden Hütten in Töging und Lünen verfügte die VAW über eine Hüttenkapazität von rund 80.000 Tonnen. Damit war die Gesellschaft anfangs der 50er Jahre nach Pechiney der zweitgrößte Aluminiumproduzent in Europa. Die Versorgung der Hütten mit Tonerde war durch die Oxidfabriken in Lünen und Schwandorf gesichert, die über eine Produktionskapazität von über 200.000 Tonnen verfügten und genügend Ausbaupotential hatten, um auch das demnächst wieder aufgebaute Erftwerk in Grevenbroich mit Tonerde zu beliefern. Auf dem Verarbeitungssektor war der VAW-Konzern trotz des Verlustes von Hannover-Laatzen mit den Werken Bonn, Grevenbroich und Hannover-Linden der bedeutendste Hersteller von Aluminiumhalbzeug in der Bundesrepublik. Was an den Standorten Grevenbroich und Hannover-Linden an Maschinen und Einrichtungen durch Demontagen und andere Kriegsfolgen verloren gegangen war, konnte bis zum Beginn der 50er Jahre zu einem guten Teil durch modernere Anlagen ersetzt werden. Ende 1951 beschäftigte der VAW-Konzern 4.700 Arbeiter und Angestellte und erreichte damit fast wieder die Belegschaftsstärke der Vorkriegszeit. Im internationalen Vergleich lag die VAW damals noch gleichauf mit den europäischen Konkurrenten Pechiney, AIAG (Alusuisse) und Britisch Aluminium.
264 Die bisherigen Branchenzweiten, Metallgesellschaft und IG Farben AG, schieden mit dem Verlust ihrer Hütten in Bitterfeld und Aken aus dem Kreis der deutschen Aluminiumproduzenten aus. Die IG Farben AG wurde nach dem Krieg auf Veranlassung der Alliierten liquidiert. Keiner der aus ihr hervorgehenden Chemiekonzerne (Bayer, Hoechst und Badische Anilin) hat zu irgendeinem Zeitpunkt Ambitionen auf dem Aluminiumsektor erkennen lassen. Demgegenüber gehörte die Metallgesellschaft durch ihre Tochterunternehmen Vereinigte Deutsche Metallwerke AG und Karl Schmidt GmbH auch nach dem Krieg zu den bedeutendsten Herstellern von Halbzeug und Gussprodukten aus Aluminium. Die Werke dieser beiden Gesellschaften lagen sämtlich in Westdeutschland. Einige von ihnen waren von größeren Kriegsschäden verschont geblieben und konnten schon bald nach Kriegsende auf Friedensfertigung umgestellt werden. In der Hauptniederlassung der VDM in Heddernheim und im Stammwerk der Karl Schmidt GmbH in Neckarsulm hatten die alliierten Bombenangriffe allerdings schwere Schäden hinterlassen. Auch durch die Demontagen waren beträchtliche Vermögensverluste entstanden. Mit dem systematischen Wiederaufbau konnte erst 1948 begonnen werden, nachdem die Alliierten auf eine Demontage der verbliebenen Maschinen verzichtet hatten. In den 50er Jahren zählte die VDM wieder zu den größten Herstellern von Roh-, Halb- und Fertigprodukten aus Nichteisenmetallen in der westlichen Welt. Die Aufwärtsentwicklung kam jedoch in den 60er Jahren zum Stillstand. Das Unternehmen verlor kontinuierlich Marktanteile und wurde in der Folgezeit für den MG-Konzern immer mehr zu einer Belastung. Wie wir noch sehen werden, machte die Metallgesellschaft Mitte der 60er Jahre den erfolglosen Versuch, in Zusammenarbeit mit der Alusuisse (der früheren AIAG) wieder in der Aluminiumerzeugung Fuß zu fassen. Mit dem Scheitern dieser Bemühungen war auch das Schicksal der VDM besiegelt, der es nicht gelungen war, das rückläufige Geschäft mit dem Schwermetall durch ein verstärktes Engagement auf dem Leichtmetallsektor zu kompensieren. Nach der Schließung des VDM-Halbzeugwerkes in Heddernheim im Jahr 1981 zog sich die Metallgesellschaft endgültig aus dem Aluminiumsektor zurück, auf dem sie einst zu den bedeutendsten Anbietern in Deutschland und in Europa gehört hatte. Zu den Verlierern der Kriegs- und Nachkriegszeit gehörte auch die Dürener Metallwerke AG, die in der Zeit des Dritten Reichs neben VAW und Metallgesellschaft zu den bedeutendsten Herstellern von Aluminiumhalbzeug gezählt hatte. Durch den Krieg und durch Demontagen verlor die Gesellschaft den größten Teil ihres Betriebsvermögens. Das in den Jahren 1934/1935 errichtete Aluminiumwalzwerk in Berlin-Borsigwalde wurde kurz nach Kriegsende von der französischen Besatzungsmacht komplett demontiert. Das ebenfalls erst in der Zeit des Dritten Reichs entstandene Halbzeugwerk in Waren am Müritzsee und das bei Kriegsende noch im Bau befindlichen Halbzeugwerk in Stade bei Berlin fielen der Demontage durch die Sowjetische Besatzungsmacht zum Opfer. Auch die beiden Umschmelzwerke in Berlin (Havelschmelze) und Dresden (Elbtal-Schmelze) wurden von den Sowjets demontiert, während das Umschmelzwerk in
265 Wuppertal (Wuppermetall) von Kriegsschäden und Demontagen weitgehend verschont blieb. Das Stammwerk der Gesellschaft in Düren hatte durch Bombenangriffe und bei den Erdkämpfen in den letzten Kriegsmonaten schwere Schäden davongetragen. Einem Wiederaufbau des Walzwerkes in Borsigwalde stand vor allem die isolierte Lage des Betriebes im Nachkriegs-Berlin entgegen. Auch hatte die durch Krieg und Demontagen dezimierte Gesellschaft mit dem Aufbau des Stammwerkes in Düren alle Hände voll zu tun. In Berlin beschränkte man sich daher auf den Bau eines kleinen Folienwerkes. Obwohl es die kapitalkräftige Quandt-Gruppe, die seit den 20er Jahren mehrheitlich an den Dürener Metallwerken beteiligt war, an der notwendigen Unterstützung nicht fehlen ließ, gelang es nicht, das Unternehmen wieder in die erste Reihe der deutschen Halbzeughersteller zurückzuführen. Daran hat auch die Übernahme der Busch-Jaeger Metallwerke AG in Lüdenscheid im Jahr 1953 nichts ändern können. Die fusionierte Unternehmens-Gruppe (zu der außer den Werken in Düren und Lüdenscheid und dem Berliner Folienwerk auch das Umschmelzwerk in Wuppertal gehörte) fiel im Wettbewerb immer weiter zurück. Der jahrzehntelange Abstieg des einstmals renommierten Unternehmens endete 1976 mit seiner vollständigen Liquidierung. Nachdem die Metallgesellschaft und die Dürener Metallwerke durch Enteignung und Demontagen ihre bisherige Bedeutung weitgehend verloren hatten, rückte die AIAG (die 1963 in „Schweizerische Aluminiumgesellschaft AG“ oder kurz „Alusuisse“ umbenannt wurde) mit ihren deutschen Betrieben in der Rangordnung der deutschen Aluminiumindustrie an die zweite Stelle vor. Zum Branchenführer VAW bestand allerdings ein beträchtlicher Abstand. Mit ihrer Aluminiumhütte in Rheinfelden waren die Schweizer auf lange Jahre hinaus neben der VAW die einzigen Aluminiumproduzenten in der Bundesrepublik. Die Oxidversorgung der Rheinfeldener Hütte, die bei der Wiederaufnahme des Betriebs im Jahr 1949 über eine Kapazität von ca. 34.000 Tonnen verfügte, war durch das Martinswerk in Bergheim bei Köln gewährleistet, das mit einer Tonerdekapazität von 130.000 Tonnen auch zur Versorgung anderer Hüttenwerke des Alusuisse-Konzerns beitrug. Mit dem Folien- und Halbzeugwerk in Singen, das den Krieg und die Demontagen der Nachkriegszeit ohne nennenswerte Verluste überstanden hatte, verfügte die Alusuisse nach dem Ende des Krieges über die leistungsfähigste Produktionsstätte auf dem Verarbeitungssektor in Deutschland. Die Alusuisse hat ihre Position als zweitgrößtes deutsches Aluminiumunternehmen durch den systematischen Ausbau ihrer Aktivitäten in Deutschland auch in den folgenden Jahrzehnten halten können, bis ihr die kanadische Alcan mit ihren deutschen Betrieben allmählich den Rang ablief. Seit den 60er Jahren verloren die Bundesrepublik und der deutsche Markt für die Alusuisse immer mehr ihre frühere zentrale Bedeutung. Unter der Führung ihres Generaldirektors Emanuel Meyer entwickelte sich das bis dahin eher behäbige Unternehmen in den 60er und 70er Jahren zu einem großen weltweit tätigen Aluminiumkonzern, der sich vor allem auf dem Rohmaterial- und Hüttensektor engagierte und auf allen Kontinenten vertreten war. In gehörigem Abstand zu den nordamerikanischen Konzernen Alcoa, Alcan, Reynolds und Kaiser und der französischen Pechiney
266 zählte die Alusuisse zu den „großen Sechs“, die der Aluminiumindustrie damals das Gepräge gaben. Den deutschen Rivalen VAW hatten die Schweizer, was Umsatz, Absatz und Mitarbeiterzahl angehen, inzwischen weit hinter sich gelassen. Wie bereits berichtet, waren die deutschen Tochtergesellschaften der Alcan mit den Werken Göttingen und Nürnberg 1941 von den deutschen Behörden als Feindvermögen unter Treuhandverwaltung gestellt worden. Das im Krieg unversehrt gebliebene Werk Göttingen kehrte schon bald nach dem Zusammenbruch unter die Kontrolle der kanadischen Muttergesellschaft zurück und stellte seit Herbst 1945 wieder Haus- und Küchengeschirr her, für das nach dem Krieg ein großer Bedarf bestand. In den 50er und 60er Jahren verlagerte sich der Schwerpunkt des Produktionsprogramms von der Geschirrfertigung auf die Herstellung von Walzhalbzeug. Das kleine Göttinger Walzwerk, das bisher fast ausschließlich für den eigenen Bedarf produziert hatte, wurde zum Ausgangspunkt für den Aufstieg der Alcan zum führenden Hersteller von Walzhalbzeug in Deutschland und ganz Europa. Der Durchbruch gelang der Gesellschaft Ende der 60er Jahre mit der Inbetriebnahme des Großwalzwerkes in Norf, das sie gemeinsam mit der VAW errichtet hatte. Wir werden darüber in einem späteren Kapitel ausführlich berichten. Schwieriger gestaltete sich die Rückkehr des Gießereibetriebs in Nürnberg in den Alcan-Verbund. Dieses Unternehmen war während des Krieges unter der Treuhandverwaltung des Reiches zu einem bedeutenden Rüstungsbetrieb ausgebaut worden und hatte kurz vor Kriegsende noch schwere Zerstörungen durch Bombenangriffe erlitten. Durch den Rückübertragungsvertrag vom 31. Mai 1948 wurde das Stammwerk in Nürnberg an die Alcan zurückgegeben. Das während des Krieges mit staatlichen Mitteln in unmittelbarer Nachbarschaft des alten Werkes errichtete Werk II verblieb aber bei der bundeseigenen Treuhandgesellschaft, die das Unternehmen seit 1941 im Auftrag des Reiches verwaltet hatte und jetzt unter der Firma „Alumetall- und Schmelzwerke GmbH“ direkt vor der Tür des Alcan-Betriebes ein Konkurrenzunternehmen aufmachte. Beide Werke zählten in der Nachkriegszeit zu den bedeutendsten Herstellern von Aluminiumgussprodukten in der Bundesrepublik. In der ersten Nachkriegsausgabe des Handbuchs „Die Aluminiumindustrie der Welt“ von Dr. Curt Freiherr von Salmuth aus dem Jahr 1957 sind etwa zwei Dutzend unabhängige (das heißt nicht Konzern gebundene) Unternehmen aufgeführt, die damals in der Bundesrepublik wieder im Halbzeuggeschäft tätig waren13. Dazu kam ungefähr dieselbe Zahl von mittelständischen Aluminiumgießereien. Diese Unternehmen haben beim Wiederaufbau der deutschen Aluminiumindustrie nach dem Krieg einen unverzichtbaren Beitrag geleistet. Die meisten von ihnen hatten durch Kriegsschäden und Demontagen starke Einbußen erlitten. Über vielen Unternehmen der Branche schwebte noch jahrelang das Damokles-Schwert der Demontage, bis die Demontageanordnung 1948 für die meisten Betriebe endgültig aufgehoben wurde. Ungeachtet aller Schwierigkeiten, die sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit einer geschäftlichen Tätigkeit entgegenstellten, kehrten die meisten Unternehmen schon vor der Währungsreform in das Aluminiumgeschäft zurück und machten sich mit neuem
267
Abb. 27: Otto Erbslöh (1891–1980)
Abb. 28: Dr. Arnold Hueck (1922–1989)
Elan an den Wiederaufbau ihrer Betriebe. Dabei mussten schwierige Entscheidungen über die zukünftige Ausrichtung der Geschäftstätigkeit in einem völlig veränderten Umfeld getroffen werden. Die in der ersten Zeit nach der Währungsreform bestehende Unsicherheit über die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland hat diese Entscheidungen nicht erleichtert. Die Honsel-Werke setzten beim Neuanfang auf den Gießereisektor, auf dem das Unternehmen an die führende Stellung in der Vorkriegszeit anknüpfen konnte. Als zweites Standbein kam nach dem Krieg der Presswerkssektor hinzu. Außerdem investierte Honsel in Umschmelzwerke, die die Abhängigkeit des Unternehmens von Metallzukäufen vermindern sollten. Das im Krieg weitgehend zerstörte Walzwerk in Meschede wurde ebenfalls wieder aufgebaut. Erbslöh, Hueck und Otto Fuchs spezialisierten sich nach dem Krieg auf die Herstellung von Aluminiumprofilen, die schon seit den 30er Jahren einen wichtigen Platz in ihrem Produktionsprogramm eingenommen hatten. Erbslöh und Hueck blieben weiterhin auf dem Walzsektor tätig, wenngleich die Bedeutung dieses Bereiches im Laufe der Jahre allmählich zurückging. Durch Hueck & Büren war die Hueck-Gruppe auch nach dem Krieg wieder auf dem Foliensektor vertreten. Bei Erbslöh wurde 1948 der neue Produktionszweig „Veredelung“ geschaffen, der ein zweites Standbein neben der Herstellung von Aluminiumhalbzeug werden sollte.
268 Wichtigstes Produkt waren verformte Zierleisten für Automobile. Auch Hueck nahm in den 50er Jahren die Weiterverarbeitung der im eigenen Haus erzeugten Aluminiumprofile auf. Für Otto Fuchs in Meinerzhagen hatte die Herstellung von Schmiedeprodukten neben dem Geschäft mit Strangpresserzeugnissen unverändert höchste Priorität. Bereits Anfang der 50er Jahre belieferte man Flugzeughersteller in Schweden und Holland mit Schmiedeteilen, die auf den aus dem Krieg verbliebenen Großpressen hergestellt wurden. Bei den Wieland-Werken verlagerte sich der Produktionsschwerpunkt nach dem Krieg weiter zu den Strangpressprodukten, auf die schon in der Kriegszeit mehr als die Hälfte der Aluminiumhalbzeugproduktion entfallen war. Die Firma Karl Diehl nahm 1949 kurz nach der Demontage ihrer Anlagen im Werk Röthenbach eine neue 1.800-Tonnen-Presse in Betrieb. Große Schwierigkeiten stellten sich dem Wiederaufbau des vollständig demontierten Halbzeugwerkes in Wutöschingen entgegen. Nach dem Willen der französischen Besatzungsbehörden sollten die Werkshallen nicht mehr für eine Aluminiumproduktion genutzt werden. Die Firmenleitung ließ daher Vorbereitungen für den Bau einer Glashütte treffen. Erst nach der Aufhebung des Aluminiumverbots im Mai 1949 war der Weg frei für eine Rückkehr in das traditionelle Aluminiumgeschäft. Indessen reichte die Kapitalkraft der beiden Eigentümerfamilien Guilini und von Salmuth nicht aus, um die Investition in ein modernes Aluminiumwalzwerk zu finanzieren. Man entschloss sich daher zur Errichtung eines Aluminiumstrangpresswerkes, das sich in den folgenden Jahrzehnten zu einem der führenden Hersteller von Aluminiumprofilen entwickelte. Zu Beginn der 50er Jahre verfügte die deutsche Aluminiumindustrie über Hüttenkapazitäten von insgesamt 110.000 Tonnen, die freilich wegen Energiemangels und wegen des erst langsam ansteigenden Bedarfs nur zum Teil genutzt werden konnten. Noch größer war der Kapazitätsüberhang bei den Tonerdewerken. Die Kapazität der Halbzeugwerke und Gießereien dürfte etwa 100.000 Tonnen beim Aluminiumhalbzeug und 50.000 Tonnen bei den Gussprodukten betragen haben. Bei Hüttenaluminium lag die Bundesrepublik damals noch mit Frankreich gleichauf, bei der Aluminiumverarbeitung wurde sie nur von Großbritannien übertroffen, das seine Verarbeitungsindustrie im Krieg stark ausgebaut hatte. Wie aber war es mit der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Aluminiumindustrie bestellt? Auf dem Hüttensektor ergaben sich gravierende Wettbewerbsnachteile bei den Energiekosten. Die deutschen Hütten waren zum größten Teil auf teuren Kohlestrom angewiesen und hatten auch dort, wo die Stromversorgung auf Wasserkraftbasis erfolgte, deutlich höhere Stromkosten zu verkraften als ihre wichtigsten europäischen Wettbewerber – von der überseeischen Konkurrenz in den USA und Kanada ganz zu schweigen. Wettbewerbsnachteile hatten die deutschen Hüttenproduzenten auch insofern, als sie wegen der Enteignung ihrer ungarischen und jugoslawischen Bauxitminen über keine eigene Rohstoffbasis verfügten und gezwungen waren, ihren Bauxitbedarf bei der Konkurrenz zu decken14. Auch in technologischer Hinsicht war die deutsche Aluminiumindustrie gegenüber der internationalen Konkurrenz ins Hintertreffen geraten. Am größten war der Rückstand gegen-
269 über den amerikanischen Konzernen, die in den Nachkriegsjahrzehnten in der Aluminiumindustrie die Maßstäbe setzten. Aber auch gegenüber den wichtigsten Konkurrenten in Europa hatte man auf vielen Gebieten Terrain verloren 15.
11.3 Aufbruch in das neue Aluminiumzeitalter Nach der schrittweisen Lockerung der alliierten Beschränkungen seit 1948 und ihrer endgültigen Aufhebung im Jahr 1951 stand einer Rückkehr der deutschen Aluminiumindustrie zu normalen Verhältnissen nichts mehr im Wege. Mit der Einführung der Deutschen Mark im Juni 1948 und der mutigen Entscheidung des damaligen Direktors für Wirtschaft für die drei westlichen Besatzungszonen, Ludwig Erhard, zugunsten einer raschen Aufhebung der staatlichen Warenbewirtschaftung und Preiskontrollen waren wichtige Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Aufschwung in Westdeutschland geschaffen. Nach einer kurzen Schwächeperiode in den ersten Monaten nach der Währungsreform setzten sich ab Mitte 1949 die Auftriebskräfte in der deutschen Wirtschaft durch und lösten einen beispiellosen Aufschwung aus, der das vom Krieg verwüstete Land in einer relativ kurzen Zeitspanne zu wirtschaftlicher Blüte führte. Wie zuvor in den USA und anderen Ländern der westlichen Welt hat die Aluminiumindustrie auch in der Bundesrepublik mit weit überdurchschnittlichen Wachstumsraten am Wirtschaftsaufschwung partizipiert. Ein aussagefähiger Indikator für das Wachstum unserer Industrie ist die Entwicklung des Aluminiumverbrauchs auf der ersten Verarbeitungsstufe, die wir in Tabelle 16 dargestellt haben. Wie daraus ersichtlich, ist der so genannte Aluminiumendverbrauch in der Zeit von 1950 bis 1974 um das Elffache gestiegen16. In demselben Zeitraum hat sich das Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik etwa vervierfacht 17. Diese Zahlen machen die Dynamik der damaligen Entwicklung deutlich: In einer Periode stärksten Wirtschaftswachstums, die als die Zeit des Wirtschaftswunders in die Geschichte eingegangen ist, konnte die Aluminiumindustrie in Deutschland Zuwächse erzielen, die das allgemeine Wirtschaftswachstum um ein Mehrfaches übertrafen. Wenn man bedenkt, in welch desolater Verfassung sich die deutsche Aluminiumindustrie nach dem Ende des Krieges befunden hatte, ist man geneigt, von einem Aluminiumwunder innerhalb des Wirtschaftswunders zu sprechen. Tabelle 16 beantwortet auch die Frage, in welche Endverbrauchsmärkte das in der Bundesrepublik verarbeitete Aluminium geflossen ist. Angesichts der überragenden Bedeutung der Automobilindustrie für die deutsche Wirtschaft kann es nicht überraschen, dass das Verkehrswesen während der ganzen Nachkriegszeit unangefochten den ersten Platz unter den Absatzmärkten einnahm. Schon in den 50er und 60er Jahren ging etwa ein Viertel des in der Bundesrepublik verarbeiteten Aluminiums in diesen außerordentlich dynamischen Wirtschaftszweig. Seither ist die Bedeutung des Verkehrssektors weiter gestiegen18. Dagegen spielte das Bauwesen für den Aluminium-
270 absatz in Deutschland zunächst nur eine relativ bescheidene Rolle. Trotz des Baubooms in den ersten Nachkriegsjahrzehnten lag der Baumarkt noch im Jahr 1959 mit einem Absatzanteil von 5,9 Prozent weit abgeschlagen auf dem fünften Platz hinter den damals ungleich wichtigeren Absatzmärkten Verkehr (23,8 %), Elektrotechnik (12,8 %), Maschinenbau (11,6 %) und Verpackung (11,3 %). Dies ist umso bemerkenswerter, als das Bauwesen in der Endverbrauchsstatistik der USA nach dem Krieg die Position des Spitzenreiters einnahm, die es erst in den 60er Jahren an den Verkehrsbereich abgab. In Deutschland hat die Aluminiumindustrie auf diesem wichtigen Marktsektor erst relativ spät den Anschluss an die Entwicklung in den führenden Industrieländern gefunden. Die Zahlen der Tabelle machen auch deutlich, welche überragende Bedeutung der Export für die deutschen Aluminiumverarbeiter hatte. 1974 machten die Exportlieferungen bereits ein Viertel des Gesamtabsatzes der Industrie aus. In den folgenden Jahren stieg der Exportanteil weiter an. Mitte der 80er Jahre ging mehr als ein Drittel der Ablieferungen ins Ausland. Die Aluminiumindustrie der Bundesrepublik war zwar bei Bauxit und (seit Mitte der 50er Jahre) auch bei Hüttenaluminium von Importen abhängig, erzielte aber auf dem Verarbeitungssektor schon bald einen beträchtlichen Exportüberschuss. Tabelle 16: Aluminiumendverbrauch in der Bundesrepublik 1950–1984 (GDA) 1950
1960
1970
1974
1984
Verkehr Maschinenbau Elektrotechnik Bauwesen Verpackung Diverse Export
1.000 t
19 12 10 3 8 32 12
98 44 61 24 35 99 35
192 63 103 112 69 162 129
174 79 74 145 91 249 270
299 74 63 151 100 267 558
Gesamt
96
396
830
1.082
1.512
Die deutsche Aluminiumindustrie hat ihre Produktionskapazitäten in den 50er und 60er Jahren in einem geradezu atemberaubenden Tempo ausgebaut. Nur so konnte sie mit der stürmischen Entwicklung der Nachfrage Schritt halten. Ein Blick auf die Produktionsstatistik in Tabelle 17 zeigt, dass der Schwerpunkt des Kapazitätsausbaus zunächst auf dem Gebiet der Aluminiumverarbeitung lag. Erst gegen Ende der 60er Jahre kam es auch in der Bundesrepublik zu einem forcierten Ausbau der Aluminiumerzeugung, ohne dass dadurch der Rückstand gegenüber der Aluminiumverarbeitung wettgemacht werden konnte. Die Herausforderung für die deutsche Aluminiumindustrie bestand aber nicht nur in der quantitativen Steigerung der Produktion. Auch in technischer Hinsicht galt es, den Rückstand gegenüber der internationalen Konkurrenz wettzumachen. Ein Großteil der aus der Kriegszeit verbliebenen Ausrüstung entsprach nicht mehr dem Stand der Technik und musste durch modernere Anlagen
271 ersetzt werden. Für den Ausbau und die Modernisierung des Produktionsapparats waren gewaltige Investitionen erforderlich, die die finanziellen Kräfte der Unternehmen häufig bis an die äußerste Grenze ihrer Leistungsfähigkeit beanspruchten. Durch Kriegsschäden und Demontagen geschwächt, verfügten die meisten von ihnen nur über eine unzureichende Eigenkapitalausstattung und mussten daher die Expansion zum großen Teil mit Krediten finanzieren. Die Folge war eine hohe Verschuldung der Unternehmen, der ihre Rentabilität belastete und sie krisenanfällig machte. Dies gilt auch für den Branchenführer VAW, der trotz Zugehörigkeit zum bundeseigenen VIAG-Konzern nur über einen beschränkten finanziellen Spielraum verfügte. Neben dem Mangel an billiger Energie war es vor allem die dünne Kapitaldecke der VAW, die einem großzügigen Ausbau ihrer Hüttenkapazitäten in den ersten Nachkriegsjahrzehnten im Wege stand. Die knappen Ressourcen der VAW reichten nicht aus, um mit den wichtigsten amerikanischen und europäischen Konkurrenten gleichzuziehen. Bei der VAW musste man daher nach dem Krieg von der Vorstellung Abschied nehmen, einer der Grossen der Branche zu sein (Barzel, Seite VIII). Tabelle 17: Erzeugung und Verarbeitung von Aluminium in der Bundesrepublik 1950–1974 (Quelle: MG-Statistik) 1.000 t Hüttenaluminium Sekundäraluminium Erzeugung Halbzeug Formguss Verarbeitung
1950
1954
1959
1964
1969
1974
28 50
129 70
151 113
220 189
263 271
689 324
78
199
264
409
534
1.013
60 28
131 61
191 99
316 166
564 230
812 234
88
192
290
482
794
1.046
Die Expansion der deutschen Aluminiumindustrie in den ersten Nachkriegsjahrzehnten war von tief greifenden Veränderungen des politischen und wirtschaftlichen Umfeldes begleitet, die nachhaltige Auswirkungen auf die Struktur der Industrie hatten. Die Öffnung der Grenzen in Europa durch den Gemeinsamen Markt und der Abbau der Zölle und anderen Handelsschranken auch im Verhältnis zu den USA und Kanada führten zu einer raschen Internationalisierung der Aluminiumindustrie, für die das Zeitalter der Globalisierung schon in den 60er Jahren begann, lange bevor der Begriff geprägt wurde, der heute in aller Munde ist. Davon war vor allem der Markt für Hüttenaluminium betroffen, den die großen Aluminiumproduzenten bis zum Zweiten Weltkrieg praktisch untereinander aufgeteilt hatten. Den Anstoß gaben die nordamerikanischen Aluminiumkonzerne, die Ende der 50er Jahre mit ihrer Überschussproduktion den europäischen Markt überschwemmten und die europäischen Hüttenproduzenten mit Niedrigpreisen in Bedrängnis brachten. Die Bundesrepublik war ein bevorzugtes Ziel der amerikanischen Exportkampagne, da der deutsche Markt mangels ausreichender eigener Hüttenkapazitäten besonders aufnahmefähig war.
272 Der grenzüberschreitende Handel mit Halbzeug und anderen Produkten der Aluminium verarbeitenden Industrie gewann seit 1960 ebenfalls rasch an Bedeutung. Die deutsche Aluminiumindustrie hat die Chancen des durch die Römischen Verträge von 1957 geschaffenen Gemeinsamen Europäischen Marktes (EWG) schon früh erkannt und große Anstrengungen darauf gerichtet, ihre Exportlieferungen in die europäischen Nachbarländer auszuweiten. Dies galt vor allem für Folien- und Walzerzeugnisse, bei denen die deutschen Hersteller schon vor dem Krieg eine führende Rolle auf den Exportmärkten gespielt hatten. Mit Ausnahme der Jahre 1971/1972 übertrafen die Exporte der deutschen Aluminiumverarbeiter seit den frühen 50er Jahren Jahr für Jahr und mit steigender Tendenz die Importe von Halbzeug und anderen Erzeugnissen der Aluminium verarbeitenden Industrie aus dem Ausland. Auch die ausländische Konkurrenz machte sich die Öffnung der Märkte durch die Römischen Verträge zunutze. Vor allem der belgische Halbzeughersteller Sidal baute seine Kapazitäten ganz bewusst für den Export in die europäischen Nachbarländer und nach Amerika aus und trug mit seiner aggressiven Preispolitik zu einer Verschärfung des Wettbewerbs bei, was bei den etablierten Anbietern in Deutschland und anderen europäischen Ländern heftige Irritationen auslöste. Es dauerte geraume Zeit, bevor sich die Industrie von der traditionellen Vorstellung löste, dass die nationalen Anbieter in ihrem jeweiligen „home market“ eine privilegierte Stellung einnehmen, die auch der ausländische Importeur zu respektieren habe. Das im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 3. Juli 1957 verankerte und später auch in die Römischen Verträge übernommene Kartellverbot hat sich nur langsam und gegen den hinhaltenden Widerstand der durch alte Kartelltraditionen geprägten Aluminiumindustrie durchsetzen können. In eine neue Phase trat die Internationalisierung der Aluminiumindustrie, als die amerikanischen Aluminiumproduzenten Ende der 50er Jahre damit begannen, sich durch den Aufbau eigener Verarbeitungsaktivitäten im europäischen Markt zu etablieren. Dies geschah zunächst durch die Akquisition von Unternehmen der Verarbeitungsbranche, im weiteren Verlauf auch durch die Errichtung neuer Verarbeitungswerke. Gegenstand der Übernahmen waren vor allem die unabhängigen, das heißt nicht Konzern gebundene Unternehmen, die sich durch die zunehmende Konzentration auf dem Halbzeugsektor bedroht fühlten und rechtzeitig aus dem immer schwieriger werdenden Halbzeuggeschäft „aussteigen“ wollten. Die Amerikaner verfolgten mit ihrer Strategie vor allem das Ziel, für ihre Überschussproduktion auf dem Primäraluminiumsektor langfristige Absatzmöglichkeiten zu schaffen. Die Offensive richtete sich zunächst gegen Großbritannien. In den Konzernzentralen der europäischen Aluminiumproduzenten läuteten die Alarmglocken, als die Amerikaner Ende der 50er Jahre innerhalb weniger Monate einen großen Teil der englischen Halbzeugindustrie unter ihre Kontrolle brachten 19. Es folgten weitere Akquisitionen der Amerikaner in Italien, Spanien und anderen europäischen Ländern, an denen sich auch die kanadische Alcan beteiligte, die schon seit Jahrzehnten durch Tochtergesellschaften in England, Deutschland und der Schweiz auf dem europäischen Verarbeitungsmarkt vertreten war. In der
273
Abb. 29: Dr. Hans Ginsberg Vorsitzender des Vorstandes der VAW 1956–1962
Abb. 30: Dr. Karl Röhrs Vorsitzender des Vorstandes der VAW 1962–1968
Bundesrepublik blieben der Erwerb einer Flaschenverschlussfirma in Worms durch Alcoa und die Übernahme der Westfälischen Leichtmetallwerke GmbH in Nachrodt durch Reynolds im Jahr 1963 die einzigen Fälle, in denen amerikanische Konzerne bereits bestehende Betriebe erwarben. Gespräche zwischen Kaiser und der QuandtGruppe über einen Verkauf der Busch-Jäger Dürener Metallwerke AG scheiterten am Desinteresse der Amerikaner, die den Bau eines modernen Halbzeugwerkes in Koblenz dem Erwerb der veralteten Anlagen von Busch-Jäger in Lüdenscheid und Düren vorzogen. Auch für Reynolds war der Erwerb von Nachrodt nur ein erster Schritt zur Verwirklichung ihrer ehrgeizigen Pläne für den deutschen Markt, dem schon wenige Jahre später die Errichtung eines großen Hütten- und Walzwerkes in Hamburg folgte. Durch die expansive Geschäftspolitik der amerikanischen Konkurrenz sahen sich die europäischen Produzenten auf das Äußerste bedroht. In einer Pressekonferenz der VIAG im Juni 1965 wies Dr. Escherich vom Vorstand der VAW auf die „ungeheure wirtschaftliche Macht der nordamerikanischen Produzenten“ hin, der nur schwer zu begegnen sei. Die Alcoa verfüge über das 20-fache Eigenkapital der VAW und den 6-fachen Umsatz und auch die Aluminium Ltd. (Alcan) besitze noch immer ein 13-mal so hohes Eigenkapital als die VAW und erziele einen 4 1/2-mal größeren Umsatz. Wörtlich fuhr er fort: „Angesichts dieser Lage sieht die VAW in vernünftiger Selbstbe-
274 schränkung ihre Aufgabe nicht in erster Linie darin, ihre eigenen Hüttenkapazitäten zu vergrößern. Prestige und Autarkiedenken sind nicht im Spiel. Aber die VAW ist selbstverständlich daran interessiert, den Absatz ihrer gegenwärtigen Hüttenproduktion zu sichern“ 20. In einem 1967 in der Zeitschrift „Aluminium“ erschienen Artikel sprach Escherich sogar von einer „sehr ernsten, mitunter tödlichen Gefahr“, die der europäischen Industrie durch die kapitalkräftige Konkurrenz aus Amerika drohe. Man sehe sich einem „ungezügelten, rücksichtslosen … Wettbewerb“ ausgesetzt 21. VAW und die anderen europäischen Aluminiumproduzenten hatten allen Grund, um ihre traditionellen Absatzmärkte für Hüttenaluminium zu bangen. Wie sich in England und anderswo gezeigt hatte, waren viele „Unabhängige“ nur allzu gern bereit, ihre Unternehmen an die Amerikaner zu verkaufen. Diese zahlten großzügige Preise, wobei ihnen der hohe Dollarkurs zu Hilfe kam. Die europäischen Aluminiumkonzerne reagierten mit unterschiedlichen Strategien auf die Herausforderung. Pechiney verteidigte seinen französischen Heimatmarkt mit Zähnen und Klauen, wobei sie auf die Unterstützung durch den französischen Staat setzen konnte. Als Kaiser mit dem französischen Halbzeughersteller Tréfimetaux über eine Zusammenarbeit auf dem Aluminiumsektor verhandelte, schob die französische Regierung diesem Vorhaben einen Riegel vor. Sie half auch mit sanftem Druck nach, als Pechiney den Zusammenschluss der wichtigsten französischen Verarbeitungsunternehmen unter dem Dach des Konzerns betrieb. Für die Alusuisse ging es damals sogar um das Weiterbestehen als selbstständiges Unternehmen. Nachdem bekannt geworden war, dass einer der amerikanischen Konzerne an der Übernahme der Gesellschaft interessiert war, änderte man mit Hilfe befreundeter Schweizer Banken die Satzung durch die Einführung von Vorzugsaktien, was eine unfreundliche Übernahme praktisch unmöglich machte. Unter der Führung eines neuen Managements mauserte sich das Schweizer Unternehmen in den folgenden Jahren zu einem dynamischen, global operierenden Aluminiumkonzern. Neben einem verstärkten Engagement in Europa investierte die Alusuisse in großem Stil in den USA, Australien und Südafrika. Auch Pechiney antwortete auf den „défi américain“ mit einem ehrgeizigen Investitionsprogramm in den USA, wo die Franzosen den Halbzeughersteller Howmet Corporation übernahmen und im Alleingang bzw. gemeinsam mit einem amerikanischen Partner zwei große Aluminiumhütten errichteten. In Europa nahm Pechiney am Ausverkauf der italienischen Aluminiumindustrie teil und engagierte sich in Griechenland, Spanien und Großbritannien. Die VAW tat sich schwer in dieser neuen Welt des Aluminiums, in der die traditionellen Strukturen in kürzester Zeit durch eine neue Ordnung ersetzt worden waren. Die nordamerikanischen Konzerne und die beiden wichtigsten Konkurrenten der VAW in Europa, Pechiney und Alusuisse, konnten sich das erforderliche Risikokapital für ihre weltweite Expansion auf den Kapitalmärkten beschaffen. Demgegenüber war die VAW auf gelegentliche Kapitalzuweisungen durch die VIAG angewiesen, die keine großen Sprünge erlaubten. Dazu kam, dass die VAW als Bundesunternehmen bei ihren
275 strategischen Entscheidungen Rücksicht auf politische Vorgaben nehmen musste. Eine so weitgehende Konzentration der deutschen Halbzeugindustrie unter dem Dach der VAW, wie sie Pechiney in Frankreich mit tatkräftiger Unterstützung durch die französische Regierung durchgesetzt hat, wäre in Deutschland schon am Widerspruch des Wirtschaftsministeriums gescheitert. Dieses fühlte sich der Förderung des Mittelstands verpflichtet, dem die unabhängigen Verarbeiter ja zum größten Teil angehörten. Auch aus kartellrechtliche Gründen waren einer Politik des externen Wachstums durch Akquisitionen zumindest im Kernbereich des Aluminiumgeschäfts enge Grenzen gezogen, wie sich im Jahr 1974 zeigte, als der geplante Zusammenschluss der Verarbeitungsbetriebe der Kaiser-Preussag-Gruppe mit der VAW-Verarbeitungstochter VLW am Widerspruch des Bundeskartellamts scheiterte. Bei den von der VAW in den 60er und 70er Jahren erworbenen Unternehmen handelte es sich fast durchweg um Betriebe der zweiten Verarbeitungsstufe, die Aluminiumhalbzeug und Folien zu Endprodukten verarbeiteten. Der Erwerb des Presswerkes von Sorensen & Köster blieb ein Einzelfall, bei dem die staatlichen Stellen die Hand im Spiel hatten und die VAW sich als Nothelfer bei der Rettung eines vom Zusammenbruch bedrohten Unternehmens einsetzen musste. Ohne strategische Bedeutung für die VAW war auch der Erwerb des amerikanischen Aluminiumverarbeiters Channelmaster im Jahr 1965, der in Ellenville im Staat New York ein großes Presswerk betrieb. Für ein größeres Engagement in den USA oder in anderen ausländischen Märkten fehlten der VAW die finanziellen Mittel und wohl auch die für eine expansive Geschäftspolitik erforderliche Risikobereitschaft. Die VAW hat damals erkannt, dass sie ihre führende Position auf dem deutschen Markt gegen die in- und ausländische Konkurrenz nur dann mit Aussicht auf Erfolg verteidigen konnte, wenn sie ihre bisherige Zurückhaltung auf dem Verarbeitungssektor aufgab. Die nach Europa drängenden nordamerikanischen Aluminiumkonzerne waren ja durchweg „vertikal integrierte“ Unternehmen, die ihre Verarbeitungskapazitäten systematisch ausbauten und den größten Teil ihrer Hüttenproduktion in den konzerneigenen Walz- und Presswerken verarbeiteten. Demgegenüber verstand sich die VAW bis weit in die Nachkriegszeit hinein als eine Hüttengesellschaft, deren Aufgabe vor allem in der Belieferung des deutschen Marktes mit Hüttenaluminium bestand. Neben den Hütten- und Tonerdewerken und der Folientochter Rebag, die schon früh zum Gewinn des Konzerns beitrug, führten die in der VLW zusammengefassten Walzund Presswerke ein eher stiefmütterliches Dasein. Die Daseinsberechtigung der konzerneigenen Verarbeitungsaktivitäten wurde vor allem unter dem Aspekt der Absatzsicherung für die Hütten gesehen. Die Aluminiumverarbeitung hatte ein deutlich geringeres Prestige als die Aluminiumerzeugung, mit der der größte Teil des Unternehmensgewinnes erwirtschaftet wurde. Dies änderte sich erst in den 60er Jahren. Unter dem Druck der internationalen Konkurrenz machte sich die VAW jetzt an den systematischen Ausbau der bisher vernachlässigten Halbzeugsparte, wobei man die höchste Priorität dem Walzsektor einräumte 22. Gleichzeitig wurde die VAW-Gruppe zu einem
276 vertikal gegliederten Konzern umgebaut, in den die Verarbeitungsaktivitäten nach amerikanischem Vorbild als Sparten voll integriert waren. Der große Wurf gelang der VAW mit dem Bau des Großwalzwerkes Norf in Partnerschaft mit der Alcan. Das mit modernster Technik ausgestattete Walzwerk am Rheinbogen bei Norf und das ebenfalls mit großem Aufwand ausgebaute Folien- und Dünnbandwerk der VAW in dem benachbarten Grevenbroich bildeten das Tandem, mit dem die Gesellschaft ihre führende Position auf dem deutschen und später europäischen Markt für Walzprodukte begründete. Die Bilanz der deutschen Aluminiumindustrie in den ersten Nachkriegsjahrzehnten kann sich sehen lassen. Die deutschen Aluminiumproduzenten und Aluminiumverarbeiter haben die Chancen genutzt, die sich ihnen durch die günstigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Nachkriegsjahre boten. In einer eindrucksvollen Aufholjagd ist es ihnen nach der Aufhebung der alliierten Restriktionen in relativ kurzer Zeit gelungen, den Rückstand gegenüber der internationalen Konkurrenz wettzumachen. Spätestens seit den 60er Jahren gehörte Deutschland wieder zu den führenden Aluminiumnationen der westlichen Welt. Mit einem Hüttenaluminiumverbrauch von 870.000 Tonnen lag die Bundesrepublik 1970 weltweit auf dem dritten Platz hinter den USA (3.490.000 Tonnen) und Japan (912.000 Tonnen). In der Bundesrepublik wurden mehr Walzhalbzeuge, Strangpressprofile und Gussprodukte aus Aluminium erzeugt als in irgendeinem anderen europäischen Land 23. Nach dem Ausbau der deutschen Hüttenkapazitäten in den 70er Jahren nahm die Bundesrepublik auch bei Hüttenaluminium den Spitzenplatz in Europa ein, den bis dahin Norwegen innegehabt hatte. Erst in den 80er Jahren wurde die Bundesrepublik wieder von Norwegen überholt, das seine großen Reserven an Hydroenergie systematisch für den Ausbau seiner Hüttenindustrie nutzte. Auch der technische Rückstand, mit dem die deutsche Aluminiumindustrie in das neue Aluminiumzeitalter aufgebrochen war, konnte im Laufe der 50er und 60er Jahre wettgemacht werden. Am Ende der „Goldenen Jahre“ waren die deutschen Unternehmen technisch auf fast allen Gebieten der europäischen und nordamerikanischen Konkurrenz ebenbürtig. In vielen Bereichen nahmen sie Spitzenpositionen ein.
Anmerkungen zum 11. Kapitel 1 Zur wirtschaftlichen Lage in Deutschland nach 1945: Hardach, Seite 107 ff. 2 Zur Situation in den VAW-Werken siehe VAW-Geschichte VII, Seite 17 ff. Ein ähnlich trostloses Bild ergibt sich aus den Firmengeschichten anderer Unternehmen der Branche. 3 Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Singener Unternehmens (1962). 4 Aus der Not der Zeit heraus wurde kupferhaltiges Aluminium auch zu Haushaltswaren, Kesseln und Behältern verarbeitet, vereinzelt sogar für Bedachungszwecke verwendet. Die zu erwartenden Folgen durch Korrosion blieben nicht aus und erzeugten einen unerfreulichen Vertrauensschaden für die Industrie (Paulssen, „Zur Lage der Aluminiumindustrie“ in ALUMINIUM 1951.3). 5 Zur Bedeutung des Schrotts für die Rohstoffversorgung: Väth, „Die Produktion, Verarbeitung und Verwendung des Aluminiums im Bundesgebiet“ in ALUMINIUM 1953.229 ff.
277 6 Hardach, Seite 112, zitiert den ehemaligen amerikanischen Präsidenten Hoover mit den Worten, falls Deutschland wirtschaftlich in Ketten gehalten werde, werde Europa weiter in Lumpen leben (1947). Zum Sinneswandel der Alliierten siehe auch Galbraith, „A Journey through Economic Time“, Seite 138 ff. 7 Zum Neuen Industrieplan von August 1947 siehe den Artikel von Anonym in METALL 1949. 350: „Gefährdung der deutschen Aluminiumindustrie“. 8 Die Demontagelisten für die englisch-amerikanische Bizone und für die französische Besatzungszone sind in dem Doppelheft 5/6 von METALL (Oktober 1947) abgedruckt. 9 Zur temporären Aussetzung des Produktionsverbots: Afflerbach: „Wiederanlauf der Aluminiumindustrie in der Bizone“ in METALL 1948.165. 10 Afflerbach: „Aufhebung des Verbots zur Erzeugung von Hüttenaluminium in Westdeutschland“ in METALL 1949.195. 11 Siehe hierzu den Artikel in METALL 1949.350. 12 Zur Demontage des Erftwerks und des Ofenhaus III in Töging: VAW-Geschichte VII, Seite 14. 13 Außer den im Text erwähnten Unternehmen werden bei Salmuth folgende Aluminiumverarbeiter aufgeführt: Walzprodukte: H. D.Eichelberg, Metallwerk Kleinschwarzenlohe, Carl Schreiber, Messing-Werk Plettenberg, Vereinigte Deutsche Nickelwerke, Wieland-Werke, Westfälische Leichtmetallwerke, Westfälische Kupfer- und Messingwerke, Osnabrücker Kupfer- und Drahtwerk Pressprodukte: Drahtwerke Elisenthal, Felten & Guilaume, Messingwerk Plettenberg, Messingwerk Unna, Kabel- und Metallwerke Neumeyer, Osnabrücker Kupfer- und Drahtwerk, StandardWerke, Schmöle Metallwaren, Westfälische Kupfer- und Messingwerke. 14 Dies galt auch für die AIAG, die trotz der Neutralität der Schweiz ihre Bauxitunternehmen in den beiden kommunistisch regierten Ländern durch entschädigungslose Enteignung verloren hatte. 15 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Bericht einer britischen Expertengruppe, die kurz nach Kriegsende mehrere Aluminium verarbeitende Werke in Westdeutschland besichtigte, um sich ein Bild von dem Stand der Verarbeitungstechnik im besiegten Deutschland zu machen. Mit Ausnahme der großen Schmiedepressen in Bitterfeld, die im Krieg zur Herstellung von Flugzeugbauteilen gedient hatten, stießen die Experten auf keine technischen Einrichtungen, die denen der britischen Industrie überlegen gewesen wären. In der Tat hatte die deutsche Aluminiumindustrie bei dem forcierten Ausbau ihrer Kapazitäten während des Dritten Reichs nur wenig technisches Neuland betreten. Unter dem Druck der politischen Führung hatte man auf eine möglichst schnelle Erhöhung der Produktionsmengen gesetzt, unter weitgehendem Verzicht auf Neuentwicklungen (Revue de l’aluminium 1946.226). 16 Bei der Ermittlung des Aluminiumendverbrauchs werden die Ablieferungen der ersten Verarbeitungsstufe (Halbzeugwerke und Gießereien) sowie Direktlieferungen der Hütten erfasst. Über die Zuordnung zu den verschiedenen Endverbrauchsmärkten entscheidet der Verwendungszweck beim Kunden. 17 Laut Statistischem Jahrbuch 1993 stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Bundesrepublik von 368 Mrd. D-Mark im Jahr 1950 auf 1.492 Mrd. D-Mark im Jahr 1974 (gerechnet zu Preisen von 1985). 18 Ostermann, Anwendungstechnologie, Seite 9, beziffert den Anteil des Verkehrswesen im Jahr 2004 in Deutschland auf 43 %, für Europa auf 36 %. 19 Den Auftakt bildete der Streit um den englischen Aluminiumproduzenten British Aluminium Company Ltd. (Baco), um den sich Alcoa und Reynolds einen erbitterten Kampf lieferten. Nur wenig später erwarb die Alcoa, die im Streit um Baco unterlegen war, eine maßgebliche Beteiligung an der Imperial Aluminium Co. (Wales) Ltd., während sich Kaiser an der James Booth Aluminium Ltd. in Birmingham beteiligte.
278 20 Siehe den Bericht über die Pressekonferenz der VIAG in ALUMINIUM 1965.548. 21 Escherich: „Internationale Verflechtung der Aluminiumindustrie“ in ALUMINIUM 1967. 397 ff. 22 Zum Strategiewechsel der VAW in den 60er Jahren: Escherich, a. a. O. – Dr. Mainhard Barzel: „75 Jahre – aus dem Leben der VAW“. 23 In Europa lag Großbritannien bei der Halbzeugproduktion bis zur Mitte der 60er Jahre an erster Stelle, gefolgt von Deutschland, Frankreich, Benelux und Italien. Seit 1966 nimmt Deutschland den Spitzenplatz ein.
12. Kapitel Die Aluminiumwalzwerksindustrie in der Nachkriegszeit
12.1 Technischer Fortschritt und Strukturwandel In den USA waren im Krieg riesige Aluminiumwalzwerke entstanden, die mit einer Kapazität von 100.000 Jato und mehr die bisher üblichen Walzanlagen an Leistungsfähigkeit weit übertrafen. Eine Beschreibung eines derartigen Walzwerks findet sich im Besuchsbericht von Professor P. Brenner (VAW), der im Herbst 1950 im Rahmen einer von der OEED organisierten Besuchreise die Werksanlagen der Firma Reynolds in McCook/Illinois besichtigte1. Das während des Krieges im Auftrag der amerikanischen Regierung von Alcoa errichtete Werk war mit einer 2.800 mm breiten Warmwalzanlage ausgerüstet, auf der Walzbarren mit einem Gewicht von bis zu drei Tonnen verarbeitet werden konnten. Die Anlage bestand aus einem Reversier-Quarto-Vorgerüst gefolgt von fünf Quarto-Fertig-Gerüsten in Tandem-Anordnung, auf denen die Walzplatten in Konti-Betriebsweise auf die Enddicke von 6 mm heruntergewalzt wurden. Die Kaltwalzgerüste hatten eine Arbeitsbreite von 1.880 mm und erreichten Walzgeschwindigkeiten von bis zu 700 m/min. Ähnliche Walzanlagen wurden in Davenport/Iowa (Alcoa), Trentwood/Washington (Kaiser) und Listerhill/Alabama (Reynolds) betrieben. Diese Großwalzwerke setzten neue Maßstäbe auf dem Gebiet der Walzwerkstechnik und dienten in den 50er und 60er Jahren als Vorbild für die Modernisierung und den Ausbau der Aluminiumwalzwerksindustrie in Europa und anderen Teilen der Welt. Die Vorreiterrolle in Europa übernahm Großbritannien, das im Krieg eine leistungsfähige Halbzeugindustrie aufgebaut hatte und nach 1945 in Europa auf dem Gebiet der Aluminiumverarbeitung führend war. Das Halbzeugwerk der Alcan in Rogerstone war als erster europäischer Aluminiumbetrieb mit einem kontinuierlich arbeitenden Warmwalzwerk ausgestattet. Alcan hatte das Werk 1939 im Auftrag des englischen Luftfahrtministeriums errichtet und nach Kriegsende vom englischen Staat erworben. Die ursprüngliche Walzanlage bestand aus zwei Warmwalzgerüsten und einer größeren Zahl von Kaltwalzwerken des damals üblichen Typs, mit denen man pro Jahr maximal 24.000 Tonnen Bleche und Bänder für die Flugzeugindustrie produzieren konnte. Ab 1943 wurde am selben Standort ein zweites großes Walzwerk nach amerikanischem Muster errichtet, das aber bei Kriegsende noch nicht fertig gestellt
280 war. Kernstück der neuen Anlage waren ein 2.200 mm breites Quarto-Reversiergerüst und eine Tandemstraße mit drei Walzgerüsten, auf der man vor allem Bänder aus hochfesten Legierungen für die Flugzeugindustrie walzen wollte. Nach dem Ende des Krieges wurde die noch im Bau befindliche Anlage zu einer Bandwalzstraße umgebaut, die ein modernes dreigerüstiges Kaltwalzwerk mit Vorwalzband versorgte. Das Bandwalzwerk, damals das größte in Europa, hatte eine Kapazität von 150.000 Tonnen Warmband und 50.000 Tonnen kaltgewalzte Produkte und erreichte damit bereits amerikanische Dimensionen 2. Auch in Frankreich machte die Aluminiumindustrie nach dem Krieg große Anstrengungen, um den Rückstand gegenüber der amerikanischen Walzwerkstechnik aufzuholen. Dabei wurde ein Projekt aus dem Jahr 1939 aufgegriffen, das man wegen des Krieges nicht hatte verwirklichen können. Kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hatten maßgebliche französische Halbzeughersteller die Société Centrale des Alliages Légers (SCAL) gegründet, die in Issoire im Zentrum Frankreichs mit finanzieller Unterstützung des französischen Staats ein hochmodernes Halbzeugwerk für die Belieferung der französischen Flugzeugindustrie errichten wollte. Das neue Werk sollte mit einer kontinuierlichen Walzstraße ausgerüstet werden, die man im November 1939 bei dem amerikanischen Walzwerkshersteller United Engineering in Auftrag gab. Der Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich im Mai 1940 vereitelte die Realisierung des Vorhabens. Unmittelbar nach dem Ende des Krieges nahm SCAL die Pläne der „Grande Usine“ wieder auf. Im Oktober 1945 wurden die Walzwerksanlagen bei United Engineering bestellt. Das 1946/1947 gelieferte Warmwalzwerk hatte eine Walzenbreite von 2.840 mm, die größte damals für Stahlwalzwerke gebräuchliche Breite. Auch das dazugehörige Kaltwalzwerk (ein Tandemgerüst mit zwei Quartos) war für eine Walzbreite von 2.800 mm ausgelegt. Damit war man freilich den Anforderungen des Marktes weit vorausgeeilt, wie die lange und leidvolle Anlaufsgeschichte des Werkes beweist. Erst mit dem wachsenden Bedarf der Flugzeughersteller fand Issoire in den 60er Jahren seinen Platz in der Industrie 3. Amerikanischen Vorbildern folgte auch die 1946 von dem belgischen Industriellen Lucien Feron gemeinsam mit Pechiney gegründete Societe Industrielle de l’Aluminium N.V. (Sidal). Die Strategie des neuen Walzwerksunternehmens war von vornherein auf die Massenproduktion von Walzhalbzeug ausgerichtet, das man in den USA und in den europäischen Nachbarländern (vor allem in Deutschland) abzusetzen gedachte. Ende der 50er Jahren installierte Sidal in ihrem Werk in Duffel bei Antwerpen eine moderne 2.600 mm breite KontiWalzanlage, die über eine Anfangskapazität von über 100.000 Jato verfügte. Durch die Errichtung moderner Walzwerke in der Kriegs- und Nachkriegszeit verschafften sich die amerikanischen und europäischen Konkurrenten einen beachtlichen Vorsprung gegenüber der deutschen Industrie, die durch die Maßnahmen der Alliierten und die desolate politische und wirtschaftliche Situation in Deutschland nach dem Ende des Krieges jahrelang zum Stillstand verurteilt war. Hohe Einfuhrzölle auf Aluminiumprodukte aller Art unterbanden allerdings bis in die 60er Jahre einen ernst-
281 haften internationalen Wettbewerb auf dem Halbzeugmarkt, sodass sich die technische Überlegenheit des Auslands zunächst kaum auswirken konnte. Dass dies kein Dauerzustand sein würde und dass man schon bald dem rauhen Wind des internationalen Wettbewerbs ausgesetzt sein würde, darüber machten sich die deutschen Aluminiumwalzer keine Illusionen. Die aus der Kriegszeit stammenden Anlagen waren völlig veraltet und mussten durch moderne, dem Stand der Technik entsprechende Produktionseinrichtungen ersetzt werden. Dabei ging es zunächst vor allem darum, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Walzbetriebe gegenüber den europäischen Konkurrenten wieder herzustellen. An die Installation von Großwalzwerken, wie sie in den USA seit dem Krieg gebräuchlich waren, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu denken. Für derartige Anlagen fehlten in der Bundesrepublik (und in den meisten europäischen Ländern) noch auf Jahre hinaus die absatzmäßigen Voraussetzungen. In Europa gab es damals nur wenige Walzprodukte, die sich für eine Massenfertigung auf Großanlagen geeignet hätten. Auch die Zersplitterung der europäischen Industrie stand einem Gleichziehen mit der amerikanischen Konkurrenz entgegen. Die im Vergleich mit den USA noch immer bescheidenen Absatzmengen verteilten sich bis weit in die Nachkriegszeit hinein auf eine große Anzahl kleiner bis mittlerer Walzwerke, während sich in den USA die Walzhalbzeugproduktion seit jeher auf wenige leistungsfähige Betriebe konzentrierte. In den 60er Jahren lag die Produktionsleistung eines typischen europäischen Aluminiumwalzwerkes bei 20.000 bis 30.000 Tonnen Blech- und Bandprodukte im Jahr. Als Block- oder Warmwalzwerke wurden in den ersten Nachkriegsjahren in den meisten europäischen Walzbetrieben Duo-Reversiergerüste verwendet, auf denen man bis zu drei Tonnen schwere Walzbarren im Reversierbetrieb auf eine Fertigdicke von etwa 6 mm herunterwalzen konnte. Die Fertigungsbreite dieser neuen Generation von Walzwerken lag bei 1.500 bis 1.800 mm. Durch den Einsatz derartiger Anlagen, die in den 50er Jahren die aus dem Krieg stammenden Warmwalz-Duos und Trios ersetzten, konnte die Produktivität der Walzwerke enorm gesteigert werden. Ein einziges Gerüst des neuen Typs reichte aus, um ein Walzwerk durchschnittlicher Größe mit Warmband zu versorgen 4. In der Entwicklung der Warmwalztechnik der Nachkriegsjahre stellten sie freilich nur eine Zwischenstufe dar, der schon bald ein weiterer großer Entwicklungsschritt folgte. In den 60er und 70er Jahren setzten sich auch in Europa, wie schon zuvor in den USA, schwere Quarto-Warmwalzgerüste mit größeren Fertigungsbreiten durch, deren Leistungsfähigkeit die der bisher verwendeten Duo-Gerüste weit übertraf 5. Die neuen Warmwalzwerke hatten eine Kapazität von 100.000 Jato und mehr. Das war ein Mehrfaches dessen, was ein durchschnittliches Aluminiumwalzwerk in den 60er Jahren an warm gewalztem Material verarbeiten konnte. Die Installation einer solchen Großanlage war also eine Investition in die Zukunft, die sich nur auf lange Sicht rentierte. Die meisten der in den 60er oder 70er Jahren aufgestellten Großwalzwerke erreichten die Vollauslastung erst nach vielen Jahren, zum Teil erst nach Jahrzehnten. Den vorläufigen Schlusspunkt der technologischen Entwicklung
282
Abb. 31: Warmwalzgerüst in den 80er Jahren
auf dem Walzwerkssektor bildete das von VAW und Alcan gemeinschaftlich errichtete Großwalzwerk in Norf, das Ende der 60er Jahren den Betrieb aufnahm. Norf war das erste deutsche Aluminiumwalzwerk, das mit einer kontinuierlichen Warmwalzstraße ausgestattet war. Mit einer Anfangskapazität von 200.000 Jato Warmband war es das größte Aluminiumwalzwerk in Europa und wurde in seiner Leistungsfähigkeit nur von dem Walzwerk der Alcoa in Davenport übertroffen. Norf setzte die Maßstäbe, an denen sich die Konkurrenz von nun an messen lassen musste. Wir werden uns in einem späteren Kapitel eingehend mit dem Werk befassen. Als Alternative zum herkömmlichen Warmwalzprozess wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in England und in den USA mehrere Verfahren zur Verarbeitung von flüssigem Metall auf so genannten Bandgießanlagen entwickelt. Von den in Deutschland tätigen Unternehmen setzte vor allem die Alusuisse auf die neue Technologie, von der man sich erhebliche Einsparungen bei den Kapitalkosten und eine einfachere und kostengünstigere Herstellung von Warmwalzband versprach. Eine erste nach dem Gießwalzverfahren arbeitende Anlage wurde 1967 unter der Bezeichnung „Alusuisse Caster I“ in der Hütte in Rheinfelden in Betrieb genommen. Bei diesem Verfahren wird die Aluminiumschmelze durch eine Keramikdüse in den Spalt zwischen zwei wassergekühlten Walzen eingeführt und in einem kontinuierlichen Fertigungsprozess zu einem 6 bis 10 mm dicken Band verarbeitet, das anschließend auf einem Kaltwalzgerüst auf die gewünschte Enddicke heruntergewalzt wird. Bei Gießgeschwindig-
283 keiten von wenigen Metern in der Minute lag die Kapazität der Anlage bei höchstens 10.000 Jato. Auf ihr konnten nur einfache Produkte aus Reinaluminium und niedrig legierten Werkstoffen hergestellt werde 6. Seit Mitte der 60er Jahre arbeitete die Alusuisse an einer Weiterentwicklung der Bandgießtechnologie. Zielsetzung des mit großem Aufwand betriebenen R&D Projektes war es, eine Anlage zu entwickeln, auf der auch anspruchsvollere Produkte hergestellt werden konnten und deren Leistungsfähigkeit sich mit der eines modernen Großwalzwerkes herkömmlicher Bauweise messen konnte. Die als „Alusuisse Caster II“ bekannt gewordene Anlage war für eine Produktionskapazität von 100.000 bis 200.000 Jato ausgelegt und sollte vor allem für die Herstellung von Aluminiumdosenband eingesetzt werden7. Ein Prototyp des Caster II wurde ab 1978 in der Alusuisse-Hütte in Essen-Borbeck installiert. Das mit großen Erwartungen gestartete Vorhaben erwies sich jedoch als Fehlschlag. 1986 legte die Alusuisse die Anlage in Essen still und verkaufte die Rechte an der Caster II – Technologie an die Schweizer Ingenieurfirma Lauener Engineering AG, die die Anlage gebaut hatte 8. In der Bundesrepublik hat die Bandgießtechnologie bis heute nur wenige Anhänger gefunden 9. Auch auf dem Kaltwalzsektor setzte sich nach dem Krieg die Quarto-Bauweise durch. Die bis in den 50er Jahre üblichen Duos und Trios wurden nach und nach durch Quarto-Walzgerüste ersetzt, mit denen man wesentlich höhere Produktionsmengen erzielte und zugleich die Qualität der Bänder deutlich verbessern konnte 10. Bis in die 60er Jahre wurden die meisten Kaltwalzanlagen als Reversiergerüste betrieben, bei denen die Walzrichtung nach jedem Stich umgekehrt wird, bis die gewünschte Dicke erreicht ist. Eines der ersten Einweggerüste mit Bundumführung wurde 1968 in Norf in Dienst gestellt. Das 1.860 mm breite Gerüst war für Bundgewichte von bis zu zehn Tonnen ausgelegt und erreichte eine maximale Geschwindigkeit von 900 m/min. Das Walzen mit derartigen Geschwindigkeiten erforderte die Einführung leistungsfähiger Band- und Walzenkühlsysteme. Neuartige Einrichtungen für die Banddickenregelung sorgten für eine verbesserte Einhaltung der Dickentoleranzen. Die Produktionsleistung einer einzigen modernen Kaltwalzanlage ersetzte ganze Batterien von KaltwalzDuos und Trios, wie man sie noch im Krieg verwendet hatte. Die bis 1945 übliche Einzelfertigung von Blechen im Stückwalzbetrieb gehörte der Vergangenheit an. Bleche werden seit den 50er und 60er Jahren fast ausnahmslos durch „Ablängen vom Band“ gefertigt. Auch bei Glühöfen, Reckanlagen, Scheren, Sägen und anderen Hilfsaggregaten vollzog sich eine Entwicklung zu immer größeren und leistungsfähigeren Anlagen. Man brauchte kein Experte zu sein, um den radikalen Wandel zu erkennen, der seit dem Ende des Krieges in den Walzwerksbetrieben stattgefunden hatte. Es genügte, Werksaufnahmen aus der Zeit des Krieges mit solchen aus den 60er Jahren zu vergleichen. Wo sich früher dem Blick des Besuchers eine verwirrende Vielzahl von Einzelaggregaten bot, die auf engem Raum aufgestellt waren und von einer großen Zahl von Arbeitern bedient wurden, waren jetzt in riesigen, mehrere Hundert Meter langen Fabrikhallen nur noch wenige Großanlagen zu sehen, die in Fertigungsstraßen
284 zusammengefasst waren und mit einem Bruchteil der früheren Bedienungsmannschaft ein Vielfaches an Bändern und Blechen erzeugten. Der technische Fortschritt erforderte seinen Preis. Der Trend zu immer größeren und effizienteren Produktionseinheiten zwang einen großen Teil der kleineren und mittleren Walzbetriebe zur Aufgabe. Diese überwiegend mittelständischen Betriebe konnten mit ihren veralteten und wenig leistungsfähigen Anlagen mit der technischen Entwicklung nicht mehr Schritt halten. Die Installation moderner Anlagen hätte hohe Investitionsaufwendungen erfordert, die die finanziellen Kräfte der meisten mittelständischen Unternehmen überstiegen. Viele von ihnen legten in den 50er und 60er Jahren ihre oft altertümlichen Warmwalzwerke still und gingen dazu über, warm gewalzte Coils von VAW oder Alcan zu beziehen, die sie in den eigenen Kaltwalzwerken weiterverarbeiteten. Für die meisten Unternehmen war dies freilich nur der erste Schritt auf dem Wege zur vollständigen Aufgabe des Walzgeschäfts. Auch alte Traditionsunternehmen gehörten zu den Opfern des technologischen Fortschritts. Über den Todeskampf der VDM, der 1981 zur Schließung des Halbzeugwerks in Heddernheim führte, haben wir bereits berichtet. Nicht weniger dramatisch war das Ende der zur Quandt-Gruppe gehörenden Busch-Jaeger Dürener Metallwerke AG, die nach einer langen Serie von Verlustjahren 1976 den Konkurs anmelden musste 11. Das Stammwerk der Gesellschaft in Düren, wo nach dem Krieg ein neues Warmwalzwerk installiert worden war, hatte den Walzbetrieb schon in den 60er Jahren eingestellt. Das Walzwerk in Lüdenscheid, wohin die Walzaktivitäten der Gesellschaft nach der Fusion mit der Busch-Jaeger-Gruppe verlagert worden waren, wurde 1978 ebenfalls stillgelegt. Dasselbe Schicksal traf auch das technische veraltete Walzwerk der Westfälischen Leichtmetallwerke GmbH in Nachrodt, das nach der Übernahme durch Reynolds im Jahr 1964 nur noch wenige Jahre weiterproduzierte und nach der Inbetriebnahme des Reynolds-Walzwerkes in Hamburg demontiert wurde. In den 80er Jahren blieben neben VAW, Alcan, Alusuisse, Reynolds und Kaiser nur noch einige wenige kleinere Unternehmen übrig, die sich auf die Herstellung von Spezialitäten verlegt hatten. Das Walzgeschäft war fest in der Hand der integrierten Aluminiumkonzerne, die den deutschen Markt allerdings zunehmend mit ihren Konkurrenten aus dem Ausland teilen mussten.
12.2 Die wichtigsten Walzer Mit den Walzwerken in Grevenbroich, Bonn und Hannover-Linden war der VAWKonzern auch in der Zeit nach dem Krieg der größte deutsche Hersteller von Walzhalbzeug. Mit knappem Abstand folgte die Alusuisse mit ihrem Folien- und Halbzeugwerk in Singen. Abgeschlagen auf den weiteren Plätzen lagen VDM und Dürener Metallwerke, denen es aus unterschiedlichen Gründen nicht gelang, eine ihrer früheren Bedeutung entsprechende Stellung in der Industrie zurück zu gewinnen. Neu im Kreis der wichtigsten Walzhalbzeughersteller war die Alcan, die mit dem Ausbau des Werkes
285 Göttingen die Grundlage für ihre spätere Spitzenposition auf dem Walzhalbzeugsektor begründete. Neu in diesem Kreis waren auch die beiden amerikanischen Konzerne Kaiser und Reynolds, die im Zuge ihrer weltweiten Expansion in den 60er und 70er Jahren in der Bundesrepublik eigene Verarbeitungswerke errichteten. Neben den genannten Unternehmen gab es eine Anzahl von vorwiegend mittelständischen Halbzeugwerken, die in ihren Betrieben neben anderen Produkten auch kleinere Mengen an Walzhalbzeug herstellten. Wie wir gesehen haben, stellte sich für viele dieser Betriebe spätestens in den 60er Jahren die Überlebensfrage. Unter dem zunehmenden Druck des Wettbewerbs zogen sie sich aus dem Standardgeschäft zurück und verlegten sich auf das Walzen von Spezialitäten. Die meisten dieser Unternehmen gaben das Walzgeschäft im weiteren Verlauf ganz auf 12. Einige von ihnen, wie Honsel und Erbslöh, sind bis heute als Nischenproduzenten erfolgreich auf dem Walzsektor tätig13. In der folgenden Darstellung der Walzwerksindustrie werden wir uns nur mit den großen Herstellern von Walzhalbzeug beschäftigen. Tabelle 18: Produktion von Walzhalbzeug in der Bundesrepublik 1954–1972 (GDA) 1.000 t Bleche Bänder Scheiben/Butzen Walzfabrikate
1954
1958
1962
1966
1969
1972
29 33 13
37 46 17
47 88 24
69 120 31
105 190 38
116 200 36
75
100
159
220
333
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Grevenbroich (Rebag) Die Kräfte der VAW waren nach dem Krieg vor allem durch den Wiederaufbau der Hüttenproduktion beansprucht, die in der Strategie des Konzerns unverändert die höchste Priorität hatte. Die beiden Verarbeitungstöchter VLW und Rebag waren daher weitgehend auf sich selbst gestellt, als es nach der Währungsreform darum ging, die dringend notwendige Modernisierung und Erweiterung der Produktionsanlagen in Angriff zu nehmen. Die exportorientierte Rebag war dabei in der günstigeren Ausgangslage, da sich der Foliensektor nach dem Krieg schneller erholte als das Geschäft mit Walz- und Pressprodukten, das stärker von der erst langsam anlaufenden Inlandskonjunktur abhängig war. Über die erfolgreiche Entwicklung der Rebag zum weltweit führenden Folienhersteller werden wir in den Kapiteln über die Folienindustrie berichten. Hier wollen wir uns nur mit dem Ausbau des Block- und Bandwalzwerkes in Grevenbroich beschäftigen, das die Folienwalzerei der Rebag mit Vorwalzband versorgte. Eine erste große Investition in diesem Bereich erfolgte anfangs der 50er Jahre: Gleichzeitig mit der Installation neuer Folienwalzgerüste mit einer Fertigungsbreite von 1.000 mm wurden im Werk Grevenbroich neue Warm- und Kaltwalzanlagen
286 installiert, mit denen man das Vorwalzband in der erforderlichen Breite walzen konnte. Ein weiterer Investitionsschritt folgte Ende der 50er Jahre, nachdem sich die Rebag entschlossen hatte, Folienwalzwerke modernster Bauart aus den USA zu beziehen, die eine Fertigungsbreite von 1.250 mm hatten und für Bundgewichte von maximal 2.800 Kilogramm ausgelegt waren. Damit die größere Fertigungsbreite genutzt werden konnte, musste das Warmwalzwerk entsprechend verbreitert werden. Nach dem Umbau in den Jahren 1961/1962 konnten auf dem Reversier-Duo drei Tonnen schwere Walzbarren bis 1.520 mm Breite verarbeitet werden. Außerdem wurde ein neues 1.500 mm breites Bandwalzwerk installiert, das 1961 den Betrieb aufnahm14. Mit einer Endkapazität von ca. 45.000 Jato war das Block- und Bandwalzwerk in Grevenbroich schon Mitte der 60er Jahre nicht mehr in der Lage, den rapide steigenden Bedarf an Vorwalzband zu decken. 1970 wurden in der Folienwalzerei in Grevenbroich etwa 90.000 Tonnen Vorwalzband zu Folie und Dünnband verarbeitet. Ein großer Teil des Bedarfs kam zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem Ende 1967 angelaufenen Großwalzwerk in Norf, an dem die VAW zur Hälfte beteiligt war. 1974 wurde das Warmwalzwerk in Grevenbroich stillgelegt. Seitdem bezieht die Folienwalzerei in Grevenbroich ihren gesamten Bedarf an Vorwalzband aus Norf.
Hannover/Bonn (VLW) Die Erfolgstory der Rebag steht in krassem Gegensatz zu der enttäuschenden Nachkriegsentwicklung ihrer Schwestergesellschaft VLW, in der die Halbzeugaktivitäten des VAW-Konzerns zusammengefasst waren. Mit dem Werk in Hannover-Laatzen war der modernste und leistungsfähigste Betrieb der VLW den Demontagen der Alliierten zum Opfer gefallen. Das Werksgelände musste 1947 auf Weisung der Besatzungsmacht für Zwecke der Hannoverschen Messe zur Verfügung gestellt werden und wurde später an die Messegesellschaft verkauft. Auf die Dauer wäre es ohnehin nicht sinnvoll gewesen, zwei Halbzeugwerke im Raum Hannover nebeneinander zu betreiben, zumal der Standort Hannover wegen seiner Randlage in der damaligen Bundesrepublik eher nachteilig war. Die Rolle der beiden verbliebenen Halbzeugwerke in Bonn und Hannover-Linden musste nach der Wiederaufnahme der Aktivitäten neu definiert werden. An beiden Standorten standen Walzwerke und beide Werke verfügten auch über Strangpressanlagen. Es hätte nahe gelegen, die Walzaktivitäten der Gesellschaft an einem der beiden Standorte zu konzentrieren. Stattdessen wurden anfangs der 50er Jahre sowohl in Bonn als auch in Hannover-Linden mit beträchtlichem Aufwand komplette neue Walzwerke installiert, die über eine eigene Gießerei, ein Warmwalzwerk und mehrere Kaltwalzwerke verfügten. Politische Rücksichten spielten bei dieser Entscheidung eine wichtige Rolle. Jedes der beiden Werke war für eine Kapazität von ca. 30.000 Jato Blech- und Bandprodukte ausgelegt. Im Rahmen einer konzerninternen Arbeitsteilung war die Produktion von Platten und Bändern aus hochfesten Legierungen im Werk
287 Hannover-Linden konzentriert, das als einziges deutsches Walzwerk seit den späten 50er Jahren auch die zu neuem Leben erwachte deutsche Flugzeugindustrie mit Blechen aus Flugwerkstoffen beliefern konnte. Das Werk in Hannover verfügte außerdem über Schmiedepressen und Einrichtungen zur Herstellung von Aluminiumrohren. Die Auslastung der beiden Werke stellte die VLW vor beträchtliche Probleme. Bis 1960 wurde in Hannover-Linden ein Teil der Walzwerksanlagen für die Verarbeitung von Messing und Kupfer verwendet, da der Absatz von Aluminiumhalbzeug eine Vollauslastung der Kapazitäten nicht erlaubte. In den 60er Jahren zog sich die VLW zunehmend aus dem Geschäft mit Standardblechen zurück, nachdem ausländische Konkurrenten, vor allem die belgische Sidal, den Markt mit Billigimporten überschwemmten. Bei Massenprodukten war die Gesellschaft mit ihren damals schon antiquierten Walzwerken nicht mehr wettbewerbsfähig. Im weiteren Verlauf fiel die VLW im Wettbewerb immer stärker zurück und wurde schließlich zu einem ernsten Problem für den VAW-Konzern. Mit der Errichtung des Großwalzwerkes Norf Mitte der 60er Jahr war das Schicksal der Walzwerke in Bonn und Hannover endgültig besiegelt. Im Stammwerk der VAW in Bonn, von dem die Verarbeitungsaktivitäten des Konzerns in den 20er Jahren ihren Ausgang genommen hatten, wurde der Warmwalzbetrieb 1971 eingestellt. Die Bonner Kaltwalzanlagen blieben noch bis in die 80er Jahre im Betrieb, bis auch sie der konzerninternen Konzentration zum Opfer fielen. Sie dienten zuletzt vor allem der Versorgung der im Werk Bonn installierten Rollformer, auf denen Aluminiumband zu Profilblechen für Dach- und Wandverkleidungen verformt wurde. Nach der Schließung der Walzanlagen wurden in Bonn nur noch Strangpressprofile und Aluminiumpaneele hergestellt. Einen noch tieferen Einschnitt bedeutete die Schließung des Walzwerkes Hannover im Jahr 1975, über die wir in einem späteren Kapitel berichten werden. Mit der Stilllegung der Walzanlagen in Hannover zog sich der VAW-Konzern aus dem Markt für Legierungsbleche und andere Spezialitäten zurück, für deren Fertigung sich das Walzwerk in Norf nicht eignete. Am Standort Hannover blieben nur noch das Press- und Rohrwerk und ein Schmiedebetrieb zurück.
Singen (Alusuisse) Die Alusuisse hat es in den Nachkriegsjahren nicht an Unterstützung für ihre deutsche Tochtergesellschaft fehlen lassen. Da der Schweizer Markt dem Unternehmen nur geringe Entfaltungsmöglichkeiten bot, war die Bundesrepublik bis in die 60er Jahre hinein der wichtigste Absatzmarkt des Konzerns. Schon kurz nach der Währungsreform wurden in Singen erste größere Investitionsvorhaben durchgeführt. Die Investitionen im Walzbereich dienten vor allem dem Ausbau des Folien- und Dünnbandbereichs, der auch in der Nachkriegzeit einen Schwerpunkt des Werkes in Singen bildete. 1949 wurde das erste viergerüstige Folienvorwalzgerüst – eine Eigen-
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Abb. 32: Dr. Hans Constantin Paulssen Vorsitzender der Geschäftsführung Alusingen 1923–1963
Abb. 33: Rolf R. Herklotz Vorsitzender der Geschäftsführung Alusingen 1969–1974
konstruktion der Alusuisse – in Betrieb genommen. Bei der Umstellung der Folienwalzwerke auf kontinuierliche Fertigung konnte man an die Erfahrungen anknüpfen, die man in den 30er Jahre mit Konti-Walzwerken gemacht hatte. 1953 folgte die Installation eines modernen Quarto-Bandwalzwerkes. Weitere Walzgerüste kamen anfangs der 60er Jahre dazu. 1963 wurde mit der Einrichtung einer aus drei Gerüsten bestehenden Folienwalzstrasse ein mehrjähriges Ausbauprogramm im Folienbereich abgeschlossen. Den vorläufigen Abschluss bildete die Installation eines speziell für die Fertigung von dünnen Bändern bestimmten Quarto-Walzwerkes im Jahr 1969. Auf dem Warmwalzsektor blieb es nach dem Krieg zunächst bei den Anlagen aus der Kriegsund Vorkriegszeit (ein Warm-Duo und ein Warm-Trio)15. 1955 wurde ein dem damaligen Stand der Technik entsprechendes Reversier-Warmwalz-Duo der Firma Achenbach installiert, das bis zum Ende der 80er Jahre im Einsatz war. Die Anlage wurde im Laufe der Jahre mehrmals umgebaut und erreichte zuletzt eine Kapazität von ca. 150.000 Tonnen pro Jahr. Erst 1989 wurde das Gerüst durch ein modernes Warmwalzwerk ersetzt 16. Parallel zum Ausbau des Walzbereichs wurde in Singen auch in die Folienveredlung und in Aktivitäten zur Weiterverarbeitung des Walzhalbzeugs investiert. Unter dem Tradename ALUCOBOND brachte Singen ein leichtes Verbundmaterial auf den
289 Markt, das sich bei Architekten und anderen Abnehmern großer Beliebtheit erfreut. Die Sandwich-Konstruktion besteht aus zwei Aluminiumdeckschichten und einem Kunststoffkern und wird vor allem als Fassadenmaterial verwendet. Seit den 60er Jahren ist Alusingen weltweiter Marktführer bei derartigen Verbundplatten. Generell gilt die Aussage, dass das Produktionsprogramm in Singen auf Folien und andere hochwertige Spezialitäten ausgerichtet wurde, während man sich von standard- und standardähnlichen Produkten weitgehend ferngehalten hat.
Göttingen (Alcan) Im Alcan-Werk Göttingen hatte man bis zum Krieg vor allem Küchengeschirr aus Aluminium hergestellt. Das der Geschirrfabrik angeschlossene Walzwerk war fast ausschließlich für den eigenen Bedarf tätig. Auch nach dem Krieg wurde zunächst der größte Teil der Blech- und Bandproduktion im eigenen Werk zu Fertigprodukten verarbeitet: Im Geschirrwerk dienten Ronden als Ausgangsmaterial für die Herstellung von Haus- und Küchengeschirr, das bis in die 60er Jahre hinein das wichtigste Produkt des Göttinger Werkes war. In dem 1950 eingerichteten Fließpresswerk fertigte man aus Butzen Dosen, Hülsen und andere Massenverpackungen und in der Abteilung Behälterbau wurden Bleche zu Lagertanks und Transportkästen verarbeitet. Nur ein kleiner Teil der Walzproduktion, die 1959 erstmals die 4.000-Tonnen-Grenze überschritt, wurde als Vorwalzband oder Butzen an Drittkunden abgesetzt. Ein erster Schritt zur Modernisierung des Bandwalzwerkes erfolgte 1949 mit der Installation einer ReversierBandwalze der Firma Achenbach, auf der man Bänder mit einem Bundgewicht von 100 Kilogramm und einer Breite von 800 mm herstellen konnte. In den Jahren 1951 und 1953 folgten zwei weitere Kaltwalzwerke, die mit einer Fertigungsbreite von 1.500 mm und Bundgewichten von 250 bzw. 500 Kilogramm dem Stand der Walztechnik zu Beginn der 50er Jahre entsprachen. Trotz dieser Investitionen zeigte sich Ende der 50er Jahre, dass das Walzwerk in Göttingen nicht mehr mit dem Wettbewerb Schritt halten konnte. Der Markt verlangte höhere Bundgewichte, spezielle Legierungen und engere Dickentoleranzen, die man mit den bestehenden Einrichtungen nicht erreichen konnte. Das aus der Kriegszeit stammende Warmwalzwerk konnte Barren mit einem Gewicht von maximal 100 Kilogramm verarbeiten. Um der Kundenforderung nach höheren Bundgewichten entsprechen zu können, ging man 1953 dazu über, mehrere Warmwalzplatten zusammenzuschweißen. 1960 entschloss sich Alcan, die vorhandenen Anlagen durch ein modernes Walzwerk zu ersetzen. Kernstück der neuen Anlage war ein Duo-Reversier-Warmwalzgerüst mit einer Fertigungsbreite von 1.800 mm, das in der Mitte einer 165 Meter langen Warmwalzstraße aufgestellt war. Lieferant war die Firma Achenbach in Buschhütten. Das neue Gerüst konnte Walzbarren mit einem Gewicht von über drei Tonnen zu Vorwalzbändern von 800 bis 1.800 mm Breite verarbeiten. Das auf maximal 6 mm
290 Dicke herunter gewalzte Warmband wurde am Ende der Walzstraße auf einer Warmhaspel zu Bunden aufgewickelt, die man auf einem neu installierten Reversier-Kaltwalz-Quarto zu Bändern verarbeitete. Im Zuge des Ausbaus des Walzwerkes wurden auch die bereits vorhandenen Kaltwalzgerüste modernisiert. Durch die Anfang des Jahres 1963 abgeschlossenen Investitionsmaßnahmen hatte man die Walzwerkskapazität in Göttingen von 8.000 Tonnen auf 25.000 Tonnen pro Jahr gesteigert. Einen weiteren Kapazitätszuwachs auf 30.000 Jato brachte die Installation eines hochmodernen Quarto-Einweg-Kaltwalzwerkes im Jahr 1967. Das ebenfalls von Achenbach gelieferte Gerüst hatte eine Fertigungsbreite von 1.600 mm und war mit einer Walzgeschwindigkeit von 600 Metern pro Minute zu dieser Zeit das schnellste in Europa. Es war für die Verarbeitung von Warmwalzbändern aus dem damals im Bau befindlichen Großwalzwerk in Norf ausgelegt und konnte Bunde mit einem Gewicht von bis zu neun Tonnen verarbeiten.Der im Jahr 1965 gefasste Entschluss der Alcan, in Partnerschaft mit der VAW ein großes Aluminiumwalzwerk in Deutschland zu bauen, hatte für das Göttinger Werk einschneidende Folgen. Durch die Beteiligung an Norf verfügte Alcan über beträchtliche Warmwalzkapazitäten, die beschäftigt werden mussten. Damit war das Schicksal des erst 1963 in Betrieb genommenen neuen Warmwalzwerkes in Göttingen besiegelt. Es wurde 1969 kurz nach der Produktionsaufnahme in Norf demontiert. Seitdem deckt Göttingen seinen Bedarf an Warmband ausschließlich aus Norf.
Heddernheim (Metallgesellschaft/Vereinigte Deutsche Metallwerke) Die Metallgesellschaft stellte sich nach dem Krieg nur zögerlich und halbherzig auf die neue Entwicklung auf dem Aluminiumsektor ein, obwohl sie mit ihren beiden Tochtergesellschaften Vereinigte Deutsche Metallwerke AG (VDM) und Karl Schmidt GmbH über eine gute Ausgangsposition verfügte, von der aus eine expansive Strategie möglich gewesen wäre. Wie wir noch sehen werden, wurde bei der Aluminiumerzeugung der richtige Zeitpunkt für den Wiedereinstieg verpasst. Auf dem Verarbeitungssektor hat nur die Gießereitochter Karl Schmidt GmbH (Kolbenschmidt) die Chancen des Aufschwungs in den 50er und 60er Jahren konsequent genutzt. In der Strategie der VDM spielte die Aluminiumverarbeitung nach dem Krieg eine eher untergeordnete Rolle. Noch vor der Kabel- und Metallwerke Gutehoffnungshütte AG (Kabelmetal) war die Gesellschaft bis in die 70er Jahre der wichtigste Verarbeiter von Kupfer, Messing und Zink in der Bundesrepublik. Erst in den 60er Jahren richtete sich das Interesse der VDM (und ihrer Muttergesellschaft) verstärkt auf das Aluminium, das von allen Metallen die stärksten Zuwachsraten aufwies und in vielen Bereichen die Schwermetalle aus ihren traditionellen Märkten verdrängte. Zu einer klaren und konsequenten Strategie vermochte sich die VDM freilich auch jetzt nicht durchzuringen. Dazu fehlten die Kraft und auch der Wille, sich auf das zukunftsträchtige Gebiet der Aluminiumverarbeitung zu konzentrieren.
291 Immerhin fasste man anfangs der 60er Jahre die Herstellung von Leichtmetallhalbzeug im Werk Heddernheim zusammen. Das veraltete Aluminiumwalzwerk in Eveking wurde geschlossen und durch eine Aluminiumgießerei ersetzt, die später an die Schwestergesellschaft Karl Schmidt GmbH verkauft wurde. Für die Herstellung von Aluminiumwalzprodukten verfügte das Werk in Heddernheim über ein in den 50er Jahren installiertes Duo-Reversierwarmwalzgerüst von Schloemann, auf dem 1.500 mm breites Warmband gewalzt werden konnte, sowie über zwei Bandwalzgerüste für Fertigungsbreiten von 1.250 mm. Dazu kamen mehrere ältere Stückwalzen und zwei Duo-Apparateblechwalzen zur Herstellung von bis zu vier Meter breiten Blechen. Die Kapazität des Walzwerkes betrug etwa 25.000 Jato. Da man mit diesen Anlagen im Massengeschäft nicht mithalten konnte, versuchte man – ohne großen Erfolg – das Walzhalbzeug im eigenen Haus zu höher veredelten Produkten zu verarbeiten. Auf der Suche nach neuen Absatzmöglichkeiten wurde auch ein Engagement auf dem Aluminiumfoliensektor ins Auge gefasst. Ende der 60er Jahre kaufte die VDM die traditionsreiche Folienveredlerfirma Haendler & Natermann in Hannover, die das Kernstück einer neu zu bildenden Verpackungssparte bilden sollte. Außer Walzanlagen gab es in Heddernheim auch mehrere Strangpressen sowie eine Zieherei und Schmiedeanlagen für die Verarbeitung von Aluminium. Zum Produktionsprogramm der VDM gehörten ferner Fertigprodukte aus Aluminium wie zum Beispiel Aerosoldosen im Zweigwerk Nürnberg und Aufbauten für Lastkraftwagen. Aluminiumerzeugnisse dürften maximal ein Viertel der Gesamtleistung des Unternehmens ausgemacht haben, dessen Schwerpunkt unverändert auf dem Schwermetallsektor lag. Essen (Leichtmetall-Gesellschaft – LMG) Mitte der 60er Jahre entschloss sich die Metallgesellschaft, die immer dringenderen Probleme der VDM durch eine Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen zu lösen. Auf dem Schwermetallsektor bot sich eine Kooperation mit dem wichtigsten deutschen Konkurrenten Kabelmetall an. Die angestrebte Kooperation scheiterte jedoch an der fehlenden Bereitschaft der Metallgesellschaft, der Gutehoffnungs-Gruppe die Führung zu überlassen. Erfolgreicher waren die Kooperationsbemühungen auf dem Leichtmetallsektor. Hier kam es 1966 zu einer Vereinbarung mit der Alusuisse, in der sich die beiden Konzerne zu einer umfassenden Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Aluminiumerzeugung und -verarbeitung in der Bundesrepublik verpflichteten. Als Vehikel für die geplanten gemeinsamen Aktivitäten wurde im Frühjahr 1966 die Leichtmetall-Gesellschaft mbH (LMG) mit Sitz in Frankfurt/M gegründet, an der die beiden Konzerne direkt oder indirekt je zur Hälfte beteiligt waren 17. Zu diesem Zeitpunkt nahmen die Partner noch an, dass zunächst die Zusammenarbeit auf dem Verarbeitungssektor im Vordergrund stehen und der Bau einer Aluminiumhütte erst aktuell werden würde, wenn preiswerter Strom aus Kernkraftwerken verfügbar sei. Als erstes gemeinsames Projekt nahm die LMG Anfang 1967 eine Gießwalzanlage zur
292 Herstellung von Butzen und Ronden aus Reinaluminium und Aluminiumlegierungen in Betrieb. Es handelte sich bei dieser Anlage um den bereits erwähnten „Alusuisse Caster I“, den die Alusuisse in die Partnerschaft mit der Metallgesellschaft eingebracht hatte. Die Anlage war auf dem Gelände der Hütte in Rheinfelden installiert und verarbeitete flüssiges Metall aus der dortigen Elektrolyse. Schneller als erwartet ergab sich die Möglichkeit, auch die Pläne für den Bau einer gemeinsamen Hütte zu realisieren, nachdem die Alusuisse um die Jahreswende 1967/ 1968 mit der Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG Einvernehmen über einen langfristigen Stromvertrag erzielt hatte. Bei der Planung des neuen Hüttenkomplexes (für den man in Essen-Borbeck ein geeignetes Grundstück gefunden hatte) wurde auch die Errichtung von Anlagen zur Verarbeitung des in der Hütte erzeugten Metalls ins Auge gefasst. Dabei setzten die beiden Partner auf die neue Technologie der Flüssigmetallverarbeitung. Man sprach damals von der „hüttennahen Halbzeugfertigung“18. Außer einer Properzi-Maschine zur Herstellung von Aluminiumdraht im Gießwalzverfahren sollten in Essen auch mehrere Bandgießanlagen aufgestellt werden, auf denen man kostengünstig Walzprodukte für das Massengeschäft produzieren wollte. Ein Teil der Bandproduktion sollte in Essen auf einem Rollformer zu Profilblechen für den Bausektor verarbeitet werden. Kernstück des Walzbetriebes war eine Gießmaschine der amerikanischen Firma Hazelett, die sich in der Praxis in den USA bereits bewährt hatte. Diese Anlage sollte später durch den Alusuisse-Caster II (der damals noch in der Entwicklung war) ersetzt oder ergänzt werden. Bei der Hazelett-Technologie wird die Schmelze zwischen zwei wassergekühlte Stahlbänder gegossen und zu einem 20 bis 25 mm dicken Band verarbeitet, das anschließend auf einem in Linie aufgestellten Warmwalzwerk auf eine Dicke von 6 bis 9 mm heruntergewalzt wird. Bei einer Gießleistung von etwa 20 Tonnen/Stunde betrug die theoretische Kapazität der in Essen aufgestellten Gießmaschine mindestens 100.000 Jato. Das dazugehörige Warmwalzgerüst wurde von dem Schweizer Maschinenbauer Von Roll gelieferte. Zur Weiterverarbeitung des Gießbandes stand ein leistungsfähiges Kaltwalzwerk der Firma Achenbach zur Verfügung, auf dem auch die Produktion der beiden in Essen aufgestellten Caster I Anlagen verarbeitet werden sollte 19. Die ersten Gießversuche auf der neuen Bandgießanlage fanden im Herbst 1972 statt. Bevor die Anlage ihre volle Leistungsfähigkeit erreicht hatte, wurde sie im Mai 1975 nach nicht einmal dreijähriger Produktionszeit wieder stillgelegt. Die Produktionseinstellung betraf den gesamten Verarbeitungsbereich in Essen, in dem etwa 400 Mitarbeiter beschäftigt waren. Die LMG sprach von einer vorübergehenden Maßnahme und verwies zur Begründung auf die schwierige Marktlage. Es blieb jedoch auch nach der Erholung des Marktes bei der Stilllegung. Besonders für die Metallgesellschaft war dies eine herbe Enttäuschung. Sie hatte die Beteiligung an der Bandgießanlage als eine kostengünstige Alternative zu der überfälligen Modernisierung des Warmwalzwerkes ihrer Tochtergesellschaft VDM in Heddernheim betrachtet. Auch von der Beteiligung an der Hütte versprach sich der Konzern eine deutliche Verbesse-
293 rung ihrer Wettbewerbsposition beim Aluminiumhalbzeug. Man hoffte dadurch Wettbewerbsnachteile gegenüber den so genannten „integrierten Walzbetrieben“ zu beseitigen, die aus ihren Konzernhütten mit billigem Metall versorgt wurden. Indessen erfüllten weder die Elektrolyse noch die Bandgießanlage die in sie gesetzten Erwartungen. Aus unterschiedlichen Gründen entstanden in beiden Betriebsteilen große Verluste, die die Metallgesellschaft 1976 veranlassten, die Zusammenarbeit mit der Alusuisse zu beenden. Darüber wird in einem späteren Kapitel berichtet. Koblenz (Kaiser Aluminum & Chemicals Corporation) 20 Im Zuge seiner weltweiten Expansion unternahm auch der nach Alcoa und Reynolds drittgrößte US-amerikanische Aluminiumproduzent Kaiser Aluminum & Chemicals Corporation seit dem Ende der 50er Jahre erhebliche Anstrengungen, um auf dem europäischen Markt Fuß zu fassen. Nach Ausbruch der Aluminiumkrise 1957/1958 suchte Kaiser Absatzmöglichkeiten für seine Überschussproduktion auf dem Primärsektor, für die auf dem amerikanischen Aluminiummarkt keine Abnehmer zu finden waren. Über ein weltweites Netz von Agenturen und Verkaufsniederlassungen wurden beträchtliche Mengen an Hüttenaluminium an Kabelwerke und unabhängige Halbzeugwerke in Europa und anderen Teilen der Welt abgesetzt. In der Bundesrepublik arbeitete Kaiser mit dem NE-Metallhändler Hempel in Bremen zusammen, über den vor allem die deutsche Kabelindustrie mit Hüttenaluminium beliefert wurde. Zur damaligen Strategie von Kaiser gehörte es auch, Beteiligungen an Aluminium verarbeitenden Unternehmen zu erwerben, um sie als Metallkunden an sich zu binden. Diesem Ziel diente die Beteiligung an der James Booth Aluminium Ltd., einer Tochtergesellschaft des englischen NE-Metallkonzerns Delta Metal Co., die in Kitts Green bei Birmingham ein Aluminiumhalbzeugwerk betrieb. Weitere Beteiligungen an Unternehmen in Schweden (SAPA) und in der Türkei (Türkkablo) folgten. Bei dem Versuch, die französische Firma Tréfimétaux, den bedeutendsten unabhängigen Aluminiumverarbeiter in Frankreich, zu übernehmen, scheiterte Kaiser am Widerstand von Pechiney, auf deren Veranlassung die französische Regierung die Übernahme untersagte. Auch in Südamerika, Südafrika und Asien beteiligte sich Kaiser in den 60er Jahren an mehreren Unternehmen der Aluminium verarbeitenden Industrie. Die Bundesrepublik spielte in den Expansionsplänen des Konzerns eine wichtige Rolle. Nachdem Gespräche mit der Quandt-Gruppe über eine Beteiligung an der Busch-Jaeger Dürener Metallwerke AG zu keinem Ergebnis geführt hatten, entschloss sich die Konzernleitung 1962 zur Errichtung eines Walz- und Presswerkes „auf der grünen Wiese“. Als Standort wurde Koblenz gewählt, das sich durch seine zentrale Lage am Rhein verkehrstechnisch besonders empfahl. Kernstück des neuen Werkes war das bereits erwähnte Reversier-Warmwalzgerüst von Loewy-Robertson, das mit einer Kapazität von über 100.000 Jato damals zu den größten Anlagen seiner Art in Europa zählte und wegen seiner großen Fertigwalzbreite von 3.500 mm für die Herstel-
294 lung von dicken Blechen (Platten) und breiten Bändern prädestiniert war. Für die Bandfertigung war am Ende des über hundert Meter langen Rollenganges ein zweites Warmwalzgerüst mit Haspelanlagen installiert, auf dem warm gewalzte Bänder in Breiten von bis zu 2.000 mm hergestellt werden konnten. In der ursprünglichen Planung war dieses 80-Zoll-Gerüst als Block- und Bandgerüst vorgesehen. Nach der Devise „klotzen statt kleckern“ hatte man sich jedoch nachträglich entschlossen, auch in Koblenz wie schon zuvor bei James Booth in England ein leistungsfähiges 148-ZollGerüst zu installieren. Zur Verarbeitung des Warmbandes verfügte das Werk im Zeitpunkt der Betriebsaufnahme im Herbst 1964 über zwei 1.500 mm breite Kaltwalzwerke mit einer Kapazität von etwa 20.000 Jato. 1966 wurden noch ein 55-Zoll Duo-Blankwalzwerk und zwei technisch antiquierte Dressiergerüste installiert, die man „second hand“ aus den USA und England bezog. Die Investition in Koblenz hat die Erwartungen der Muttergesellschaft nicht erfüllt. Offensichtlich hatte man die Schwierigkeiten, die ein „newcomer“ auf dem übersättigten Halbzeugmarkt in der Bundesrepublik zu überwinden hatte, in der Konzernzentrale in Oakland/Kalifornien nicht richtig eingeschätzt 21. Die Mentalität der deutschen Kunden, die an den hohen Qualitätsstandard der deutschen Lieferanten gewohnt waren und zuweilen wohl auch übertriebene Qualitätsansprüche stellten, war für das amerikanische Personal schwer zu verstehen, das sein Metier in dem anders gearteten amerikanischen Markt gelernt hatte. Für die Herstellung von marktgängigen Massenprodukten wie Standardbleche und Folienvorwalzband waren die Koblenzer Anlagen kaum geeignet. Die Absatzmöglichkeiten auf dem Plattenmarkt und bei anderen Spezialitäten aber waren damals zu gering, um das Werk ausreichend zu beschäftigen. Es vergingen mehr als zehn Jahre, bevor das Koblenzer Walzwerk seiner ursprünglichen Bestimmung entsprechend in größerem Umfang als Plattenwalzwerk eingesetzt wurde und damit seine besondere Stärken ausspielen konnte.
12.3 Das Großwalzwerk Norf Kaum ein Ereignis hat die Landschaft der europäischen Aluminiumindustrie so tiefgreifend und nachhaltig verändert, wie der 1965 von VAW und Alcan beschlossene Bau des Großwalzwerkes in Norf. Seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge im Jahr 1957 lag die Idee, ein Aluminiumwalzwerk für den europäischen Markt zu bauen, sozusagen in der Luft. In den Führungsetagen der Industrie war man sich bewusst, dass der europäische Zusammenschluss und die damit verbundene Schaffung eines gemeinsamen Marktes ein Denken in völlig neuen Kategorien erforderten. Die abgeschotteten nationalen Märkte würden demnächst durch einen einheitlichen europäischen Wirtschaftsraum ersetzt werden, in dem es keine Binnenzölle und anderen Handelsbeschränkungen mehr geben würde. Auf diesem Markt würden nicht nur Unter-
295 nehmen aus den verschiedenen europäischen Mitgliedsländern miteinander konkurrieren. Vielmehr würde man dort in Zukunft auch verstärkt auf die amerikanische Konkurrenz stoßen, die die Chancen des gemeinsamen Marktes schon frühzeitig erkannt hatte und mit aller Macht in den europäischen Markt drängte. Mit der Entstehung eines einheitlichen europäischen Absatzmarktes würden auch die marktmäßigen Beschränkungen wegfallen, die bisher der Errichtung größerer Produktionseinheiten entgegengestanden hatten. Pechiney war das erste der großen europäischen Aluminiumunternehmen, das sich mit seiner Investitionspolitik auf die neue Situation einstellte. Das in den 50er Jahren in Dienst gestellte Walzwerk in Issoire war inzwischen an seine Kapazitätsgrenzen gestoßen. Statt die dortigen Walzanlagen zu erweitern, entschloss man sich Anfang der 60er Jahre, in Neuf-Brisach im Elsass ein neues Walzwerk „auf der grünen Wiese“ zu errichten. In dem mit modernster Technik ausgestatteten Werk wollte man vor allem Vorwalzbänder für die rasch wachsende europäische Folienindustrie herstellen. Die Wahl des Standorts direkt an der deutschen Grenze machte deutlich, dass man bei dieser Großinvestition auch den deutschen Markt im Auge hatte 22. Sorgen bereitete Pechiney die Auslastung der neuen Anlage, die für eine Anfangskapazität von mindestens 100.000 Jato ausgelegt war und im Endausbau einen Ausstoß von bis zu 300.000 Tonnen erreichen sollte. Noch war die Erinnerung an die schwierigen Zeiten in Issoire wach, wo die mangelnde Auslastung der neuen Kapazitäten über Jahre hinweg hohe Verluste verursacht hatte. Um eine Wiederholung dieser Probleme zu vermeiden, wollte man das Projekt in Neuf-Brisach gemeinsam mit einem Partner durchführen, der einen Teil der Produktion übernehmen und so zur besseren Auslastung der Kapazitäten beitragen würde. Als potentieller Partner kam in erster Linie die VAW in Betracht, die vor der Notwendigkeit stand, ihre veralteten Walzanlagen in Bonn, Hannover und Grevenbroich durch ein modernes Walzwerk zu ersetzen. In den Jahren 1961/1962 wurde Gesprächen zwischen den beiden Unternehmen über ein Gemeinschaftsprojekt geführt, die jedoch zu keinem Ergebnis führten. Man konnte sich weder über den Standort des neuen Werkes einigen, noch war die VAW bereit, Pechiney die Führung des Gemeinschaftsunternehmens zu überlassen. Eine Rolle spielte offenbar auch, dass sich die VAW-Folientochter Rebag vehement gegen eine Zusammenarbeit mit Pechiney aussprach, da sie eine Beschränkung ihrer Handlungsfreiheit auf dem internationalen Folienmarkt befürchtete 23. Da sich auch kein anderer Partner zu einer Zusammenarbeit bereit fand, war Pechiney schließlich gezwungen, das Walzwerksprojekt im Alleingang zu verwirklichen. Die für diesen Fall befürchteten Auslastungsprobleme blieben nicht aus. Nach einer schwierigen Anlaufsphase, die bis weit in die 70er Jahre hinein reichte, zählt Neuf-Brisach heute zu der Spitzengruppe der europäischen Walzwerke. Die VAW befand sich nach dem Scheitern der Verhandlungen mit Pechiney im Zugzwang. Die Lösung des Walzwerksproblems war dringlicher geworden als zuvor. VAW musste damit rechnen, dass Pechiney von dem neuen Standort an der deutsch-franzö-
296 sischen Grenze aus verstärkt im deutschen Markt aktiv sein würde. Schon jetzt sah sich die VAW auf ihrem Heimatmarkt von dem belgischen Halbzeughersteller Sidal bedroht, dessen Billigpreisangebote ihre Halbzeugtochter VLW zum Rückzug aus dem Geschäft mit Standardblechen gezwungen hatte. Stoff zum Nachdenken müssen dem Vorstand der VAW auch die Europapläne der amerikanischen Produzenten gegeben haben. Der Kaiser-Konzern hatte im Frühjahr 1962 den Bau eines großen Walzwerkes in Koblenz angekündigt und auch Alcoa hatte durch den Erwerb einer Beteiligung an dem niederländischen Halbzeughersteller Lips Aluminium N.V. in Drunen europäische Ambitionen erkennen lassen. Von Reynolds wusste man schon seit der Übernahme von British Aluminium im Jahr 1959, dass der Konzern weitere Akquisitionen in Europa plante und auch im Gemeinsamen Markt Fuß fassen wollte. All dem hatte die VAW nur wenig entgegenzusetzen. Sie verfügte an den Standorten Hannover, Bonn und Grevenbroich über drei relativ kleine Walzwerke mit einer Kapazität von zusammen 100.000 Jato, die schon jetzt nicht mehr ausreichte, um mit dem Bedarf Schritt zu halten. VAW war also zum Handeln gezwungen, wenn sie im internationalen Wettbewerb mithalten wollte. Dringender Handlungsbedarf bestand vor allem auf dem Warmwalzsektor, wo die völlig veralteten Anlagen in Bonn, Hannover und Grevenbroich in absehbarer Zeit durch ein modernes Warmwalzwerk internationalen Zuschnitts ersetzt werden mussten. Ein solches Vorhaben im Alleingang zu verwirklichen, traute sich die VAW nicht zu, obwohl ihr damaliger Bedarf an Vorwalzband den Bau eines Großwalzwerkes gerechtfertigt hätte. Man hätte dann allerdings die drei vorhandenen Walzstandorte aufgeben müssen. Zu einem so radikalen Schnitt war die Gesellschaft damals noch nicht bereit. In dieser Situation muss es der damalige VAW-Führung wie ein Geschenk des Himmels erschienen sein, als ihr im Spätherbst 1964 die Offerte aus Montreal zuging, mit der Alcan über den gemeinsamen Bau und Betrieb eines Walzwerkes in der Bundesrepublik zu sprechen. Wenn man der Darstellung in „Global Mission“ (der offiziellen Unternehmensgeschichte der Alcan) vertrauen darf, stammte die Idee von dem Leiter des Metallverkaufs der Alcan in Europa, Robert D. Hamer, der in dem Gemeinschaftsprojekt mit der VAW eine gute Chance sah, die bisher relativ unbedeutende Position der Alcan auf dem deutschen und kontinentaleuropäischen Halbzeugmarkt auszubauen. Vermutlich wusste er auch, dass Pechiney der VAW eine Beteiligung an dem Walzwerk im Elsass angeboten hatte. In der Hauptverwaltung der Alcan in Montreal fiel die Idee Hamers auf fruchtbaren Boden. Er bekam grünes Licht von Nathanael Davis, dem Präsidenten der Alcan, und nahm telephonisch Kontakt mit Dr. Escherich vom Vorstand der VAW auf, um ihm den Vorschlag der Alcan zu unterbreiten. Escherich rief noch am selben Tage zurück und bekundete das Interesse der VAW an dem Projekt. Zwei Tage später trafen Escherich und der Vorstandsvorsitzende der VAW Dr. Röhrs in Montreal zu Verhandlungen ein. Es dauerte nur wenige Stunden, um die Grundzüge der zukünftigen Zusammenarbeit festzulegen. Nach den Erzählungen Hamers ging es bei den Verhandlungen „bang, bang, bang, just like
297 that“ 24. Offensichtlich stimmte die „human chemistry“ zwischen den Beteiligten. Der Joint-Venture-Vertrag wurde am 30. April 1965 unterzeichnet. Wenige Wochen später wurde die „Aluminium Norf GmbH“, kurz „Alunorf“, im Handelsregister des Amtsgerichtes Neuss eingetragen. Gemessen an dem Angebot der Pechiney war die Zusammenarbeit mit Alcan in Norf für die VAW zweifellos die bessere Alternative. Mit Alcan arbeitete man auf der Grundlage völliger Gleichberechtigung zusammen. Der Standort des Werkes war für die VAW optimal. Die Nähe zur eigenen Hütte gewährleistete eine optimale Versorgung mit Walzbarren. Das Walzwerk in Grevenbroich, das den größten Teil der VAWProduktionsquote übernehmen sollte, war über die Strasse in weniger als einer Stunde zu erreichen. An das europäische Binnenwassernetz war das Walzwerk über den Rheinhafen in Neuss angebunden. Die Entscheidung für einen Standort in der Bundesrepublik erleichterte auch die Finanzierung des Vorhabens. Sie war Voraussetzung dafür, dass Subventionen der öffentlichen Hand flossen und ermöglichte die steuerliche Eingliederung des Werkes in den VAW-Konzern (Organschaft), die ihrerseits Voraussetzung dafür war, dass man die zu erwarteten Anlaufsverluste mit dem steuerpflichtigen Einkommen der VAW verrechnen konnte. Für eine Zusammenarbeit mit Alcan sprach auch die Tatsache, dass Alcan wenige Jahre zuvor ein großes Walzwerk in Oswego im Staat New York gebaut hatte, mit dessen Hilfe sie den amerikanischen Markt für Walzprodukte erschließen wollte. Die beim Bau und Betrieb dieses Werkes gesammelten Erfahrungen konnten für das Projekt in Norf genutzt werden. Auch als Wettbewerber in Deutschland und auf dem europäischen Markt hatte man von Alcan weniger zu befürchten als von Pechiney, zumal Alcan damals auf dem für die VAW wichtigsten Teilgebiet der Verarbeitung, dem Folien- und Dünnbandsektor, überhaupt nicht vertreten war. Schließlich spielten auch Unwägbarkeiten eine Rolle. Der Kontakt zwischen Deutschen und Kanadiern war schon aus sprachlichen Gründen leichter als mit den Franzosen, die sich am liebsten in ihrer Landessprache unterhielten, deren die Deutschen nur in beschränktem Maße mächtig waren. Noch wichtiger freilich war der Eindruck der deutschen Gesprächspartner, dass die Franzosen zu einer Zusammenarbeit auf der Basis der Gleichberechtigung nicht bereit waren.25 Für ein Joint venture der geplanten Art keine günstige Voraussetzung. Mit dem Bau des neuen Werkes wurde im Frühjahr 1966 auf einem Fabrikgelände in unmittelbarer Nachbarschaft zur Aluminiumhütte der VAW in Norf begonnen. Das von der VAW bereitgestellte Grundstück erlaubte einen großzügigen Ausbau der Anlage. Das Herz der Anlage in Norf war ein 3.300 mm breites Reversier-QuartoVorgerüst mit einem Stauchgerüst und einer dreigerüstigen kontinuierlichen Fertigstraße, auf der Vorwalzbänder mit einer maximalen Breite von 3.000 mm hergestellt werden können. Die bis zu 15 Tonnen schweren und maximal 600 mm dicken Walzbarren werden auf dem Reversier-Vorgerüst in mehreren Stichen zu Platinen mit einer Dicke von 20 mm ausgewalzt, die man auf dem nachgeschalteten Warmwalz-Tandemgerüst zu Bändern mit einer Dicke von 2.7 bis 10 mm verarbeitet. Die Walzgeschwin-
298 digkeit der Fertigstraße erreichte beachtliche 360 Meter pro Stunde. Am Ende der 350 Meter langen Walzstraße wurden die warm gewalzten Bänder zu großen Bunden aufgehaspelt und nach Abkühlung im Kaltwalzwerk auf einem Quarto-Einweggerüst weiterverarbeitet. In der ersten Ausbaustufe war das Walzwerk in Norf für eine Warmwalzleistung von 200.000 Jato im Zweischichtbetrieb und eine Kaltwalzleistung von 70.000 Jato im Dreischichtbetrieb ausgelegt. Mit der überschüssigen Warmwalzleistung wollte man die Walzwerke der VAW in Grevenbroich und Bonn und das AlcanWerk in Göttingen mit Warmband versorgen. Die Endkapazität des von dem deutschbritischen Konsortium Siemag-United gelieferten Warmwalzwerkes betrug 700.000 bis 800.000 Tonnen pro Jahr 26. Nach 20-monatiger Bauzeit nahm das Walzwerk Ende 1967 die Produktion auf. Die Investitionskosten der ersten Ausbaustufe einschließlich der Gießerei und des etwas später fertiggestellten Kaltwalzwerkskomplexes betrugen 275 Millionen D-Mark. Für die Zusammenarbeit der beiden Partner galt das Prinzip völliger Gleichberechtigung. Dieses in den Gründungsdokumenten verankerte Prinzip ist in der Folgezeit nie ernsthaft in Frage gestellt worden. An der Trägergesellschaft waren die beiden Konzerne mit gleichen Kapitalanteilen beteiligt. Die Geschäftsführung war paritätisch mit je einem VAW-Vertreter und einem Alcan-Vertreter besetzt. In den Anfangsjahren war der Alcan-Vertreter für die technische Leitung, sein Kollege von der VAW für den kaufmännischen Bereich verantwortlich. Entscheidungen über Investitionen und andere Fragen von grundsätzlicher Bedeutung waren dem Gesellschafterausschuss vorbehalten, der paritätisch besetzt war. Jeder der beiden Partner hatte Anspruch auf fünfzig Prozent der verfügbaren Kapazität. Durch ein kompliziertes aber offenbar praktikables System wurde dabei der Tatsache Rechnung getragen, dass die Maschinenzeiten für die einzelnen Produktgruppen unterschiedlich lang sind. So benötigt man zum Beispiel für die Herstellung einer bestimmten Menge Folienvorwalzband aus Reinaluminium deutlich weniger Walzkapazität als für das Walzen derselben Menge eines legierten Produktes. Die Partner stellten das Vormaterial in Form von Walzbarren oder Aluminiummasseln bei und ließen es von der gemeinschaftlichen Gesellschaft im Rahmen eines Umarbeitungsvertrages zu dem jeweils gewünschten Walzprodukt verarbeiten. Jeder Partner trug die variablen Kosten, die bei der Herstellung der von ihm in Auftrag gegebenen Produkte anfielen, sowie die Hälfte der fixen Kosten einschließlich etwaiger Leerkosten. Die Vermarktung der Produktion war Sache der Partner 27. Ein derartiges „tolling at cost“ hatte sich in der Aluminiumindustrie schon früher bei Gemeinschaftsunternehmen im Hütten- und Tonerdebereich bewährt. Für ein gemeinschaftlich betriebenes Walzwerk, in dem eine Vielzahl von Produkten in unterschiedlichen Produktionsabläufen hergestellt wird, stellte dieses Abrechnungsverfahren ein Novum dar. Rückblickend muss man den beiden Partnerfirmen bescheinigen, dass ihnen mit dem Bau des Walzwerkes in Norf ein großer Wurf gelungen ist, dessen Bedeutung für die weitere Entwicklung der beiden beteiligten Unternehmen und der gesamten euro-
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Abb. 34: Warmbreitbandstraße im Werk Norf
300 päischen Aluminiumindustrie kaum überschätzt werden kann. Für die VAW war die Entscheidung für das gemeinschaftliche Werk ein mutiger Schritt, der die finanziellen Ressourcen der Gesellschaft bis zum äußersten beanspruchte. Dass die VAW unter Zugzwang stand und kaum eine andere Wahl gehabt hat, als die Flucht nach vorne anzutreten, mindert das Verdienst der damaligen Führung nicht. Über Jahre hinweg haben die unvermeidlichen Anlaufsverluste aus Norf das Ergebnis der Gesellschaft belastet. Man sprach damals (wohl etwas übertrieben) von einem Mühlstein um den Hals der VAW, der diese finanziell erdrücken könne. Probleme hatte die VAW in den ersten Jahren auch damit, die ihr aus der Beteiligung an Norf zugewachsene zusätzliche Walzkapazität im eigenen Haus unterzubringen. Dies gelang nur durch die Verlagerung von Warmwalzleistungen von den drei Standorten Bonn, Hannover und Grevenbroich nach Norf. Es war die unvermeidliche (und wohl auch gewollte) Konsequenz des Engagements in Norf, dass die Walzproduktion in diesen Werken schon bald nach der Inbetriebnahme des neuen Großwalzwerkes stillgelegt wurde. Mit ihrer Beteiligung an dem Walzwerk in Norf hat die VAW die Weichen für die Zukunft in Richtung Walzprodukte gestellt, die in der Folgezeit zum wichtigsten Produktbereich des Konzerns wurden. Norf muss dabei im Zusammenhang mit Grevenbroich gesehen werden. In dem Verbund der beiden Werke fiel Grevenbroich die Aufgabe zu, die in Norf zu günstigen Kosten hergestellten Vorprodukte zu Folien und anderen hochwertigen Walzprodukten zu verarbeiten. Ohne Norf wäre es der VAW nicht gelungen, in den 70er und 80er Jahren in Europa und weltweit die Spitzenposition auf dem Folienund Dünnbandmarkt zu erringen. Nicht weniger bedeutsam war der Bau des Norfer Werkes für Alcan. Wie von Hamer vorhergesehen, gelang es dem Konzern dank seiner Beteiligung an Alunorf innerhalb weniger Jahre, eine führende Position auf dem deutschen Halbzeugmarkt aufzubauen. Mit dem Werk in Göttingen war Alcan trotz beachtlicher Investitionen ein relativ unbedeutender Faktor auf dem deutschen Markt gewesen. Erst Norf verschaffte dem Konzern die Basis für die Expansion in den 70er und 80er Jahren, die ihn an Alusingen vorbei auf den zweiten Platz der deutschen Walzwerksindustrie führte. Das Management von Alcan hat die Chancen und Möglichkeiten einer innerbetrieblichen Rationalisierung, die sich aus ihrer Beteiligung an dem neuen Großwalzwerk ergaben, konsequent für eine Neuordnung ihrer Walzaktivitäten in Deutschland und darüber hinaus in ganz Europa genutzt. Wie bereits berichtet, wurde das erst Anfang der 60er Jahre in Göttingen errichtete Warmwalzwerk schon 1969 stillgelegt und demontiert. Seit diesem Zeitpunkt deckte Göttingen seinen gesamten Bedarf an Warmband in Norf. Auch ein Teil der in Göttingen weiterverarbeiteten kaltgewalzten Bänder stammte aus Norf. Seit den 80er Jahren wurden zunehmend auch andere europäische Walzwerke des Alcan-Konzerns mit Warmband und kaltgewalzten Bändern aus Norf beliefert. Im Laufe der Jahre wuchs Norf immer mehr in die Rolle einer zentralen Produktionsstätte hinein, in der der Konzern die Produktion von Volumenprodukten für den gesamten europäischen Markt konzentrierte.
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Anmerkungen zum 12. Kapitel 1 Besuchsbericht P. Brenner (VAW) in ALUMINIUM 1951.12 ff: „Herstellung und Verwendung von Leichtmetallhalbzeugen in den USA“. 2 Zum Werk Rogerstone: Campbell: „Global Mission“, Band I, Seite 357 ff und Band II, Seite 439 ff. 3 Zu SCAL siehe Anthony Simon, „Issoire et Neuf-Brisach. Deux Usines Phares de l’Industrie de l’Aluminium“ (1999). Das erste der drei Gerüste der Tandemstrasse war auf dem Weg nach Le Havre, als die deutschen Truppen am 10. Mai 1940 in Frankreich einmarschierten. Es konnte gerade noch rechtzeitig nach England umdisponiert werden, wo es in einem Walzwerk der British Aluminium Verwendung fand. Die übrigen Anlagen blieben in den USA und wurden in dem Walzwerk von Reynolds in Listerhill installiert, das damit als erstes Aluminiumwalzwerk der Welt über eine Conti-Walzstrasse verfügte (Seite 39). 4 Beispiele solcher Walzwerke sind die Anlagen der VAW in Hannover Grevenbroich und Bonn, die anfangs der 50er Jahre installiert wurden. Auch das 1962 in Betrieb genommene Warmwalzwerk in Göttingen gehörte noch zu dieser Generation. 5 Ein typischer Vertreter dieses neuen Warmwalztyps war das eingerüstige Reversier-Walzwerk von Loewy-Robertson, das Kaiser 1962 in Koblenz aufstellte. Eine Beschreibung des Koblenzer Gerüsts findet sich in dem Artikel von Falconer und Burgess, „Moderne Einrichtungen für Großwalzwerke“ in ALUMINIUM 1969.487 ff. 6 Das Verfahrensprinzip des Caster I wird in einer Publikation der Alusuisse beschrieben, die in der „Sammlung Waldemar Elsner“ im Stadtarchiv Essen einzusehen ist. 7 Beim Caster II erstarrte die in die Gießmaschine eingeführte Schmelze zwischen zwei umlaufenden Kokillen, die aus einzelnen Raupenteilen gebildet werden. Die Bänder waren dicker als beim Caster I und wurden deshalb in Linie mit der Gießmaschine direkt aus der Gusshitze auf einem Warmwalzgerüst auf haspelbare Dicke gebracht. Siehe hierzu Dr. Ivan Gyongyös: „Das Alusuisse Caster-II-Verfahren“ in METALL 1981.338 ff. 8 Siehe ALUMINIUM 1986. 317 (Stilllegung des Caster II) und 1987.354 (Verkaufsrecht für Bandgießanlage auf Lauener AG übertragen). Lauener vertrieb die Bandgießanlage unter der Bezeichnung „Lauener Caster II“ in den USA, wo mehrere Anlagen bei der Großbrauerei Coors zur Herstellung von Aluminiumdosenband eingesetzt wurden. Coors hat seine Aluminiumbandfertigung später verkauft. 9 Die Rheinfelden Semis GmbH und die Aluminium-Werke Wutöschingen betreiben Bandgießanlagen für die Herstellung des Vormaterials für die Butzenfertigung. 10 Bei den Mehrrollengerüsten verhindern die Stützwalzen, dass sich die Arbeitswalzen während des Walzens unter dem hohen Druck durchbiegen und sorgen so dafür, dass man Dicke und Planheit der gewalzten Bänder besser beeinflussen kann. Die ersten Mehrrollenwalzwerke wurden nach dem Ersten Weltkrieg von der Walzmaschinenfabrik August Schmitz in Düsseldorf entwickelt. 11 In ALUMINIUM 1974.626 wird über die letzte öffentliche Hauptversammlung der Gesellschaft berichtet. Der Vorsitzende des Aufsichtrats, Seeger, erklärte, die Familie Quandt habe in den letzten Jahren zwischen 50 und 100 Millionen D-Mark in das Unternehmen zur Sicherung seines Fortbestandes gesteckt. 12 Folgende Firmen haben im Lauf der Jahre das Walzen von Aluminium aufgegeben: Brökelmann, Osnabrücker Kupfer- und Drahtwerk, Metallwerk Kleinschwarzenlohe, Eichelberg & Co, Deutsche Nickelwerke, Versevoerder Metallwerke, Eduard Hueck, Messingwerke Plettenberg, Westfälische Kupfer- und Messingwerke, Wilhelm Bertrams KG und Metallwerke Schwarzwald. 13 Hueck produzierte in Elspe bis 1997 Spezialbleche für die Holzindustrie. Erbslöh stellt bis heute
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das Vormaterial für seine Dessinbleche auf eigenen Kaltwalzeinrichtungen her, bezieht aber warmgewalzte Coils von Dritten. Honsel hat sich auf Bleche und Bänder mit Spezialoberflächen spezialisiert. Carl Schreiber stellt auf seinen Warm- und Kaltwalzanlagen in Neunkirchen/Siegen vor allem Platten für den Formenbau her. Zum Block- und Bandwalzwerk in Grevenbroich siehe den Artikel von Keese: „Stand der Herstellung und Verwendung von Aluminiumfolien“ in ALUMINIUM 1968.172. Hersteller der neuen Walzanlagen war die Firma Achenbach in Buschhütten. Achenbach wurde zum „Hoflieferanten“ der Rebag, die (mit Ausnahme einiger in den 60er Jahren in den USA gekauften Foliengerüste) fast ihre gesamte Walzwerksausrüstung aus Buschhütten bezog. Auch die Walzwerke in Hannover und Bonn stammten von Achenbach. Achenbach spezialisierte sich später auf den Bau von Foliengerüsten und zog sich zunehmend aus der Herstellung von größeren Walzwerken zurück. Diese wurden in Deutschland zur Domäne von Siemag (später SMS) – gleichfalls im Siegener Land beheimatet. Beschreibung der Warmwalzanlagen in Heft 3 (1951) der Firmenzeitschrift „Der Arbeitskamerad“. Wie bereits erwähnt, setzte die Alusuisse große Hoffnungen in die neue Technologie der Flüssigmetallverarbeitung in Bandgießanlagen. Man geht daher wohl nicht fehl in der Annahme, dass eine Großinvestition im Warmwalzbereich in der Erwartung hinausgeschoben wurde, dass der seit 1978 in Essen aufgestellte Caster II einen großen Teil der in Singen benötigten Warmwalzleistung liefern könne. Metallgesellschaft und VDM übernahmen jeweils 25 % der Anteile. Die Alusuisse war mittelbar über ihre Tochtergesellschaften Alusingen und Rheinfelden beteiligt. Im Oktober 1972 übernahm die Metallgesellschaft auch den 25 %igen Anteil der VDM, um diese von Verlustübernahmen zu entlasten. Artikel der FAZ vom 2. März 1966 zur Zusammenarbeit von Metallgesellschaft und Alusuisse. Zu den Plänen der LMG auf dem Verarbeitungssektor äußerte sich der Vorstandsvorsitzende der Metallgesellschaft Dr. Ley in der Hauptversammlung vom 5. Mai 1970 (ALUMINIUM 1970.469) Zu den Verarbeitungsanlagen in Essen: Vortragsmanuskript vom 7. Juli 1971 zur Halbzeugfertigung in der „Sammlung Waldemar Elsner“ im Stadtarchiv Essen. Dem Verfasser stand die unternehmensinterne „Chronologie zur Entstehung und Entwicklung des Halbzeugwerkes Koblenz“ (Verfasser: Klaus Renners) zur Verfügung. Die schwierige Anfangszeit des Koblenzer Unternehmens hat er als Mitglied der Kaiser-Organisation in Deutschland selbst miterlebt. In der Firmengeschichte von Kaiser: „A Special Difference“ kommentierte Cornell C. Maier, der Präsident von Kaiser, der von 1967 bis 1969 selbst für das Koblenzer Werk verantwortlich war, den schwierigen Start wie folgt: “We probably overestimated the size of the market in Germany and underestimated the difficulty of starting completely from scratch. But people worked hard … and the Koblenz operation turned from an ugly duckling to a swan” (Seite 111). Zum Bau von Neuf-Brisach: Anthony Simon, „Issoire et Neuf-Brisach“, Seite 182 ff. In der ursprünglichen Konzeption sollte das Bandwalzwerk sich vor allem auf die Produktion von Folienvorwalzbänder für die europäische Folienindustrie konzentrieren. Man glaubte daher auf eigene Kaltwalzanlagen verzichten zu können (Seite 209 f). Dem lag freilich eine falsche Einschätzung des Marktes zugrunde. Auch die anderen Halbzeughersteller sahen im Vorwalzband ein Produkt, das sich für die Massenfertigung hervorragend eignete und daher in ihren Überlegungen eine wichtige Rolle für die Auslastung der neuen Großwalzwerke spielte. Zu den Gesprächen VAW-Pechiney: Simon a.a.O, Seite 180 ff und 205 f. – Henning Otte, „VAW versus Pechiney: Ein Vergleich“, Magisterarbeit an der Universität Tübingen, 1998. Siehe Campbell, Global Mission, Band II, Seite 515. Eine abweichende Darstellung zum Ablauf der Verhandlungen erhielt ich von Dr. Seebauer (VAW): „Stimmt nicht ganz. Zunächst war VAW … mit Alcoa im Gespräch, aber Pittsburgh war wegen der Antitrust-Gesetze sehr zögerlich. 1964
303 kam dann auf VAW-Initiative ein Gespräch mit Bob Hamer (Alcan Zürich) zustande, dem ein Treffen Davis/Röhrs im Kasino des Rheinwerkes folgte, das dann den Alcan/VAW deal abgeschlossen hat und am 3.2.65 Unterschrift in Montreal. Anschließend Röhr-Besuch in Pittsburgh mit Absagebegründung an Alcoa. Alcoa hatte die Antitrust-Angst zu spät überwunden“. 25 So Dr. Escherich in seinem Gespräch mit Otte (wiedergegeben in Otte: „VAW versus Pechiney“, Seite 20). 26 Eine ausführliche Beschreibung des Werkes in Norf gibt der Artikel „Alunorf – Europas größtes Aluminiumwalzwerk“ in ALUMINIUM 1968.648. 27 Im Rahmen ihrer Zusammenarbeit in der Aluminium Norf GmbH betrieben VAW und Alcan auch eine Drahtgießanlage (Properzi) in Lünen, mit der Walzdraht für die Herstellung von Drähten und Aluminiumseilen gefertigt wurde. Die Alunorf GmbH verkaufte die Produktion dieser Anlage durch eine eigene Vertriebsorganisation für gemeinschaftliche Rechnung der Partner.
13. Kapitel Presser, Gießer und Folienhersteller
13.1 Presser Zu den Pionieren der Strangpresstechnik zählen in Deutschland die Firmen Carl Berg, Julius & August Erbslöh und Eduard Hueck, die schon vor dem Ersten Weltkrieg in ihren Betrieben hydraulische Strangpressen aufstellten, auf denen sie neben Messing und Kupfer auch Aluminium verarbeiteten. Nach dem Krieg nahmen weitere Unternehmen die Herstellung von Aluminiumprofilen auf, für die sich allmählich ein aufnahmefähiger Markt entwickelte. Dazu gehörten Alusingen (1920) und die VLW in Bonn (1929). Die ersten Strangpressanlagen dienten als Drahtpressen oder wurden für die Herstellung von Rohren, Stangen und einfachen Profilen aus Reinaluminium und leicht pressbaren Legierungen eingesetzt. Schwere Profile wurden damals noch aus Blechen gezogen oder auf speziellen Walzwerken hergestellt. Einen gewaltigen Aufschwung erlebte der Profilsektor in der Zeit des Dritten Reiches, nachdem die Verwendung von Aluminium für die Herstellung von Freileitungen und Starkstromkabeln obligatorisch geworden war. Auf Strangpressen wurde der größte Teil des Vormaterials hergestellt, das in den Drahtziehanlagen der Kabelwerke zu Aluminiumdraht verformt wurde. Die Elektrokonzerne und Kabelhersteller zählten damals mit ihren Kabelpressen zu den größten deutschen Halbzeugherstellern. Der Pressbereich profitierte aber auch von der enormen Expansion der Rüstungs- und Flugzeugproduktion. Wichtige Teile der Flugzeuge wurden aus Profilen, Stangen und Rohren aus Aluminium hergestellt, die man auf Strangpressen fertigte. Auch für die Munitionsproduktion wurden bedeutende Mengen von stranggepressten Stangen aus schwer pressbaren Legierungen benötigt. Nach dem Krieg blieb der Elektromarkt zunächst das wichtigste Absatzgebiet für Aluminiumprofile. Bis in die 60er Jahre wurde das Vormaterial für die Fertigung von Aluminiumdrähten in Deutschland fast ausschließlich nach dem Strangpressverfahren hergestellt 1. Als neue Produkte kamen Kabelmäntel für Starkstromkabel hinzu, die auf so genannten Kabelmantelpressen gefertigt wurden 2. Die wichtigsten Hersteller von Aluminiumdrähten und Kabelmänteln waren damals die Kabelhersteller Felten & Guillaume, Kabelmetal, Kabelwerke Rheydt und Kabelwerke Neumeyer; ferner einige
306 auf diese Fertigung spezialisierte Halbzeugwerke wie Messing-Unna, Kreidler, Gutmann und VDM-Gustavsburg. Zu einer einschneidenden Veränderung auf dem Gebiet der Drahtherstellung kam es Mitte der 60er Jahre mit der Einführung des ProperziGießwalz-Verfahrens und anderer gießtechnischer Verfahren, die vom flüssigen Aluminium ausgehen. Bei diesen Verfahren wird die Schmelze aus Reinaluminium in einem kontinuierlichen Gieß- und Walzvorgang zu einem neun bis zwölf Millimeter starken Aluminiumstrang verarbeitet, der als Ausgangsmaterial für die Draht- und Kabelherstellung dient 3. Da die Produktionsleistung dieser rund um die Uhr produzierenden Anlagen ein Mehrfaches dessen betrug, was mit der herkömmlichen Produktionstechnik erzeugt werden konnte, reichten schon wenige Anlagen des neuen Typs aus, um den Bedarf der deutschen und europäischen Kabelindustrie zu befriedigen. Die erste Properzi-Drahtanlage in der Bundesrepublik wurde 1963 von der VAW in Norf in Betrieb genommen. 1965 brachte die VAW diese Anlage in das mit der Alcan vereinbarte Gemeinschaftsunternehmen in Norf ein. Die Aluminium Norf GmbH errichtete ein neues Draht- und Verseilwerk am Standort der VAW-Hütte in Lünen und ersetzte 1966 die von der VAW übernommene kleinere Properzi-Maschine durch eine größere Anlage desselben Lieferanten. Deren Jahresleistung von 20.000 Tonnen reichte aus, um einen großen Teil des inländischen Bedarfs an Leitmaterial zu decken 4. Eine weitere Properzi-Anlage mit einer Kapazität von ca. 10.000 Jato hatte 1964 in dem neuen Freileitungswerk von Kaiser Aluminium in Berlin den Betrieb aufgenommen. Die Produktion dieser Anlage wurde nur zum Teil für den eigenen Bedarf benötigt und stand daher ebenfalls für die Belieferung der Kabelindustrie zur Verfügung. Spätestens seit Ende der 70er Jahre wurde das Vormaterial für die Kabel- und Freileitungsfertigung fast nur noch nach dem Gießwalz-Verfahren hergestellt. Für den Profilsektor war dieser Markt unwiderruflich verloren. Tabelle 19: Produktion von Pressfabrikaten in der Bundesrepublik 1954–1972 (GDA) 1.000 t Strangpressprofile Stangen/Rohre/Drähte Schmiedeteile Pressfabrikate
1954
1958
1962
1966
1969
1972
13 17 3
23 20 4
33 20 7
67 32 9
126 49 11
189 43 12
33
47
60
108
186
244
Einen Ersatz bot der Baumarkt, auf dem die Aluminiumpresser ein schnell wachsendes neues Absatzgebiet fanden. Wie wir gesehen haben, profitierte das Aluminium auf dem Bausektor von der neuen Stahlskelettbauweise, die sich nach dem Krieg in den USA und mit einiger Verzögerung auch in der übrigen Welt durchsetzte. Den Rückstand der europäischen Bauindustrie auf diesem Gebiet führte ein kritischer Beobachter auf fehlende Erfahrung, veraltete Baugesetze und den Mangel an Strangpresskapazität mit der Folge hoher Profilpreise zurück. Seine Prognose, dass steigende Löhne
307 und die sich allerorts abzeichnenden Engpässe auf den Arbeitsmärkten auch die europäische Bauindustrie veranlassen würden, die Vorzüge der neuen Bauweise zu nutzen, wurden durch die Entwicklung in den 60er und 70er Jahren bestätigt 5. Die deutschen Architekten, die an den von der Aluminium-Zentrale in den Jahren 1959 und 1962 organisierten Studienreisen in die USA teilnahmen, waren begeistert von dem Gesehenen und trugen mit ihrer Erfahrung dazu bei, dass sich die neue Stahlskelettbauweise mit Aluminiumfassade auch in Deutschland durchsetzte 6. Schon 1954 waren in Köln und Frankfurt Bürohochhäuser des Kaufhof-Konzerns mit einer „vorgehängten Aluminiumfassade“ ausgeführt worden 7. Zahlreiche weitere Gebäude folgten in allen Teilen der Bundesrepublik, wobei allerdings die Bausatzungen vieler deutscher Großstädte der Ausbreitung des Hochhausbaus zum Teil bis heute Grenzen ziehen. Die 60er und 70er Jahre brachten den Durchbruch für Fenster und Türen aus Aluminiumprofilen in allen Bereichen des Gewerbebaus. Bis zum Ende der 70er Jahre erreichte das Aluminiumfenster im Nichtwohnbereich einen Anteil von über fünfzig Prozent, der in den folgenden Jahren noch weiter gesteigert werden konnte8. Enttäuschend für die Hersteller von Aluminiumfenstern verlief die Entwicklung in den Bereichen Wohnungsneubau und Altbauerneuerung, in die der weitaus größte Teil der Fenster geliefert wird. Die Verwendung von Aluminiumfenstern für Wohnbauten stieß von Anfang an auf Vorbehalte der deutschen Verbraucher, die nie ganz ausgeräumt werden konnten. Viele Bauherren empfanden das Aluminium als ein kühles und zu technisches Material, das für den Wohnbereich nicht geeignet sei 9. An der Zurückhaltung der Verbraucher haben auch die groß angelegten Werbekampagnen nichts geändert, die von den interessierten Halbzeugwerken in den 80er Jahren in Zusammenarbeit mit der Aluminium-Zentrale durchgeführt wurden. Für die geringe Akzeptanz des Aluminiums auf dem Wohnungssektor dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass die deutsche Aluminiumindustrie sich von vornherein auf technisch anspruchsvolle Fensterkonstruktionen konzentriert hat, die preislich weder mit dem herkömmlichen Holzfenster noch mit dem in den 70er Jahren aufkommenden Fenster aus Kunststoff konkurrieren konnten. Die Herstellung von Aluminiumprofilen blieb auch nach 1945 eine Domäne der mittelständischen Produzenten, von denen sich viele bis heute im Wettbewerb mit den integrierten Presswerken der großen Konzerne behaupten können. Typische Vertreter dieser als „Unabhängige“ oder „freie Presswerke“ bezeichneten Anbieter waren Eduard Hueck, Julius & August Erbslöh, Otto Fuchs und die Wieland-Werke. Viele mittelständische Unternehmen, die ursprünglich Walz- und Pressaktivitäten nebeneinander betrieben, zogen sich nach dem Krieg schrittweise aus dem Walzgeschäft zurück und konzentrierten sich auf den Presssektor, auf dem sie im Wettbewerb mit den Großen der Branche besser Schritt halten konnten. In der Nachkriegszeit entstanden auch viele neue Unternehmen, von denen sich einige aus kleinsten Anfängen zu bedeutenden Anbietern auf dem Profilsektor entwickelt haben. Da der Kapitalbedarf für die Errichtung eines Presswerkes relativ gering ist und der rasch wachsende Markt auch
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Abb. 35: 8.000 t Strangpresse in Singen (1956)
kleineren Anbietern ausgezeichnete Absatzchancen bot, waren die Marktzutrittschranken bei Pressprodukten nicht so hoch wie auf dem Walzsektor. Einige der neu gegründeten Unternehmen nutzten die Tatsache, dass die Presswerke überwiegend regionale Märkte bedienen. Sie etablierten sich in geographischen Nischen, in denen sie dem Druck der nationalen und internationalen Konkurrenz weniger ausgesetzt waren. Auch verstanden es die unabhängigen Presser häufig besser als die weniger beweglichen Konzernwerke, sich auf die Anforderungen des Profilmarktes einzustellen, der ein besonders hohes Maß an Flexibilität und Kundennähe erfordert. Vor allem auf dem Bausektor hatten die freien Presswerke eine starke Position. Bei den unabhängigen Werken war auch schon früh das Bestreben zu erkennen, die oft dürftigen Margen für Presshalbzeug durch die Weiterverarbeitung der Profile im eigenen Haus aufzubessern. Beispiele für Produkte höherer Wertschöpfung sind die so genannten Systemkonstruktionen, die vor allem im Baubereich Verwendung finden. Fensterfirmen wie die Schüco-Gruppe in Bielefeld und die Hartmann System GmbH in Lüdenscheid gehörten zu den Ersten, die den Metallbauern geeignete Fenster- und Türenkonstruktionen als einbaufertige Systeme anboten. Halbzeughersteller wie Hueck, Erbslöh und die Wieland-Werke folgten ihnen auf diesem Weg und entwickelten ihrerseits Profilsysteme, die nach Art eines Baukastens für die unterschiedlichsten Anwendungen variiert werden können und den Architekten und Bauherren eine breite Palette von Gestaltungsmöglichkeiten an die Hand geben. Ein Meilenstein auf dem
309 Wege zu immer ausgereifteren Konstruktionen war die Einführung thermisch getrennter Fenstersysteme während der zweiten Hälfte der 70er Jahre, mit der die Industrie auf die Energiekrise von 1973 und die von ihr ausgelöste Sensibilisierung für Fragen der Energieeinsparung und des Wärmeschutzes reagierte 10. Ebenfalls in die Kategorie der Systemprofile fallen die komplexen Zier- und Funktionsleisten, die die Firma Erbslöh aus geglänztem Aluminium für den Karosseriebau herstellt (volkstümlich „Chromleisten“ genannt). Da der größte Teil der im Bauwesen verwendeten Aluminiumprofile in anodisiertem Zustand geliefert wird, haben sich viele freie Presswerke schon in den 60er und 70er Jahren eigene Eloxalbetriebe angegliedert. Die Oberflächenveredlung der Profile erhöht die Haltbarkeit des Materials und gibt dem Anwender vielfältige Möglichkeiten der farbigen und dekorativen Gestaltung. Die Strangpresstechnologie hatte schon vor 1945 einen beachtlichen Reifegrad erreicht. An ihrer Weiterentwicklung in der Nachkriegszeit hatten deutsche Anlagenhersteller wie Schloemann, Demag und Hasenclever einen maßgeblichen Anteil. Eine der wichtigsten technischen Neuerungen auf dem Profilsektor war die Einführung von ölhydraulischen Pressen, die nach dem Krieg überall die bisher üblichen wasserhydraulischen Anlagen ersetzten und wesentlich höhere Pressgeschwindigkeiten ermöglichten. Andere technische Neuerungen betrafen Hilfseinrichtungen wie Auslauftische, Richtmaschinen und Sägen. Bei der relativ arbeitsintensiven Fertigung von Profilen kam es vor allem darauf an, die rasch steigenden Lohnkosten durch Produktivitätsverbesserungen aufzufangen. Durch die Mechanisierung vieler Arbeitsgänge konnte das Bedienungspersonal an den Pressen und Hilfsbetrieben reduziert werden. Dieser Prozess setzte sich in den 80er und 90er Jahren mit der Einführung von Computer gestützten Steuerungssystemen fort, die eine weitgehende Automatisierung des Fertigungsprozesses erlauben. Große Fortschritte machte auch die Werkzeugtechnik. Mit den modernen Werkzeugen konnten die immer komplizierteren Querschnitte passgenau gepresst werden, ohne die eine Erschließung vieler neuer Märkte nicht möglich gewesen wäre. In der Nachkriegszeit ist ein Trend zu immer größeren Pressen festzustellen, durch deren Einsatz neue Märkte für Profile mit großem Querschnitt erschlossen werden konnten. Tabelle 20 gibt eine Übersicht über die wichtigsten Presswerksbetreiber in der Bundesrepublik Mitte der 70er Jahre. Der mit Abstand größte deutsche Profilhersteller war zu diesem Zeitpunkt der VAW-Konzern, dessen Halbzeugtochter VLW über siebzehn Pressen mit einer installierten Presskraft von insgesamt 45.000 Tonnen verfügte. Bei den Pressen mit einer Presskraft von 3.000 Tonnen und mehr erreichte die VLW einen Anteil von einem Drittel. Entsprechend groß war ihr Marktanteil in den Endverbrauchsmärkten Verkehr und Maschinen- und Apparatebau, in denen Profile mit großem Querschnitt eingesetzt werden. Auch bei den Profilen aus schwer pressbaren Legierungen nahm die VLW eine führende Position ein. Einen Schwerpunkt der Pressaktivitäten der VLW bildete das Werk Bonn, das sich nach der sukzessiven Stilllegung der Walzanlagen zu einem reinen Presswerksbetrieb entwickelte. Weitere Pressen
310 standen im Werk Hannover und in dem in den 60er Jahren durch den Erwerb der Sörensen & Köster GmbH hinzu gekommenem Werk Neumünster. Während in Hannover vor allem Profile aus schwer pressbaren Legierungen hergestellt wurden, war Neumünster auf Bauprofile spezialisiert. Die in der Rangliste der deutschen Profilhersteller auf dem zweiten Platz liegende Alusuisse-Tochter Alusingen brachte es Anfang der 70er Jahre auf sieben Pressen mit einer installierten Pressleistung von 24.000 Tonnen. Singen war das führende Unternehmen auf dem Gebiet der Großprofile. Mit der 1956 installierten 8.000 Tonnen Presse hatte sich das Unternehmen schon frühzeitig auf dem Markt für Schienenfahrzeuge positioniert. Alusingen und die VLW (die 1964 mit der Aufstellung einer 7.200 Tonnen Presse nachzog), waren bis in die 80er Jahre die einzigen Presswerksbetreiber in Deutschland, die den wachsenden Markt für überbreite Profile für Schienenfahrzeuge beliefern konnten. Die Pionierleistung bei der Entwicklung von Konstruktionen für den Bau von Eisenbahnwaggons verschaffte Alusingen eine weltweit führende Stellung auf diesem Gebiet. Tabelle 20: Installierte Pressen 1976 (Quelle: Halbzeugverband) Presskraft in t
< 1.000
1.000–1.800
2.000–3.500
>3.500
Gesamt
2 – – – – – – –
5 1 2 1 – 1 1 –
6 4 3 1 3 2 1 1
4 2 – 1 – – – –
17 7 5 3 3 3 2 1
Konzerne
2
11
21
7
41
Hueck Fuchs Wieland-Werke Erbslöh Kreidler Messing-Unna Wutöschingen Busch-Jaeger Brökelmann Honsel Übrige
– 1 – 3 – 1 1 – 1 – 7
3 2 1 2 5 2 1 1 1 1 8
3 5 2 2 – 2 2 1 2 2 7
1 – 1 – – – – – – – –
7 8 4 7 5 5 4 3 4 3 22
Unabhängige
14
27
28
3
72
Gesamt
16
38
49
10
113
VAW/VLW Alusingen Reynolds Kaiser Europe Pechiney MG/VDM Alcan Amax/Kawneer
In den 60er Jahren entdeckten auch andere Aluminiumkonzerne den deutschen Markt für Strangpressprofile. Reynolds erwarb 1964 die Westfälische Leichtmetall-
311 werke GmbH, die in ihrem Werk in Nachrodt/Westfalen Walzprodukte und Strangpressprofile herstellte 11. Bis zur Mitte der 70er Jahre stellte Reynolds drei weitere Pressen am Standort Nachrodt auf, der nach der Stilllegung des Walzwerkes zu einem reinen Presswerk wurde. Kaiser errichtete 1963/1964 in Koblenz als erste Stufe des dortigen Halbzeugwerkes ein Presswerk mit zwei Pressen von 1.500 Tonnen und 2.500 Tonnen Presskraft. Mitte der 70er Jahre kam eine dritte Presse mit einer Presskraft von 3.750 Tonnen hinzu. Alcan entschloss sich Mitte der 60er Jahre zum Bau eines Strangpresswerkes auf dem Betriebsgelände in Uphusen bei Bremen, das man wenige Jahre zuvor aus der Konkursmasse der Borgward-Werke erworben hatte. Im Mai 1966 nahm die erste Strangpresse von Alcan in Deutschland, eine 2.200 Tonnen Presse, den Betrieb auf. Eine zweite Presse mit einer Presskraft von 1.820 Tonnen wurde anfangs der 70er Jahre installiert. Ebenfalls in den 60er Jahren errichtete die amerikanische Firma Kawneer ein Presswerk bei Rheydt mit einer 2.000 Tonnen Presse und Anlagen zur Weiterverarbeitung von Profilen, das wenige Jahre später auf den amerikanischen Aluminiumproduzenten Alumax überging, der Kawneer in den USA übernommen hatte. Pechiney investierte Ende der 60er Jahre in ein Presswerk in Crailsheim, das über zwei Pressen mit einer Presskraft von 2.000 Tonnen und 3.000 Tonnen verfügte. Ein zweites Presswerk folgte in den 70er Jahren in Landau in der Pfalz. Von den 113 Aluminiumstrangpressen, die 1976 in der Bundesrepublik betrieben wurden, entfielen 72 Pressen auf die unabhängigen Presser, die damit ein deutliches Übergewicht auf diesem Sektor hatten. Anders als bei den Walzprodukten konnte zum damaligen Zeitpunkt von einer Verdrängung der Unabhängigen durch die großen Konzerne keine Rede sein. Die führenden unabhängigen Presswerke konnten sich auch in Bezug auf die Betriebsgröße mit den „Großen der Branche“ messen und übertrafen diese häufig, wenn es um Effizienz und Flexibilität ging. Nur bei den großen Pressen mit einer Presskraft von 3.000 Tonnen und mehr ist schon damals ein klares Übergewicht der Konzerne erkennbar. Bei der Herstellung von Großprofilen konnten nur kapitalkräftige Unternehmen mithalten, die sich die Investitionen in die teuren Pressen samt Zubehör und den erforderlichen Aufwand für Forschung und Entwicklung leisten konnten. Die Rangliste der Unabhängigen wird von den Unternehmen angeführt, die sich schon vor dem Krieg auf die Herstellung von Aluminiumprofilen spezialisiert und ihre Kapazitäten nach dem Krieg kräftig ausgeweitet hatten: Eduard Hueck verfügte Mitte der 70er Jahre über sieben Pressen mit einer Presskraft von 14.900 Tonnen, dicht gefolgt von Otto Fuchs (acht Pressen mit einer Presskraft von 14.500 Tonnen) 12 und den Wieland-Werken (vier Pressen mit einer Presskraft von 12.400 Tonnen). Auch Erbslöh, Kreidler, Messing-Unna, Busch-Jaeger und VDM waren schon vor 1945 auf dem Profilsektor tätig und nutzten den Wirtschaftsaufschwung in der Nachkriegszeit zum Aufbau großer Presswerke. Neu hinzugekommen nach dem Krieg sind die Honsel-Werke, die 1953 mit einer kleinen Presse das Profilgeschäft aufnahmen, und die Aluminiumwerke Wutöschingen, die sich nach der Demontage ihres Walzwerkes auf die Herstellung von Profilen verlegten.
312 Neu im Kreis der Profilhersteller waren auch die Firma Brökelmann (1955) und die in der Tabelle 20 unter „Übrige“ erfassten Hersteller Hüttenbrauck (1952), Weserstahl (1955), Gerhardi (1956) Gutmann und Hiller & Maldaner (1972), die mit ihren kleinen Pressen vor allem den Baumarkt belieferten. Ferner die von der kanadischen PillarGroup gegründete Firma Indalpress in Ehrsen-Breden, die später auf die Rio Tinto Gruppe überging, sowie die Fenster- und Fassadenhersteller Gebr. Uhl (1964) und Gartner (1971), die sich von eigenen Presswerken Vorteile bei der Metallversorgung versprachen. Eine Sonderstellung nahm die Kabelfirma Felten & Guillaume ein, die ihre beachtlichen Presskapazitäten bis in die 70er Jahre für die Herstellung von Kabelmänteln und Vormaterial für die Leiterfertigung verwendete. Der größte Teil der Anlagen wurde in den späten 70er Jahren stillgelegt, nachdem sich der Properzi-Gießdraht endgültig im Markt durchgesetzt hatte und die Herstellung von Kabelmänteln obsolet geworden war. Auch Kreidler, Messing-Unna und Gutmann, die auf ihren Strangpressen Vormaterial für die Drahtherstellung produziert hatten, waren nach der Einführung der Properzi-Technologie gezwungen, ihre Produktion umzustellen. Für Gutmann markiert die Umstellung der Profilfertigung auf den Baumarkt im Jahr 1965 den Beginn eines steilen Aufstiegs, der die Firma in die Spitzengruppe der Profilhersteller führen sollte.
13.2 Aluminiumgießer Für die deutschen Aluminiumgießer begann nach der Währungsreform eine Periode extrem starken Wachstums mit jährlichen Zuwachsraten im zweistelligen Bereich. Besonders spektakulär verlief die Entwicklung in den 50er Jahren: In dem Zehnjahreszeitraum von 1950 bis 1959 verzeichnete der Aluminiumformguss in der Bundesrepublik einen Produktionsanstieg von fast vierhundert Prozent. Auch im folgenden Jahrzehnt setzte sich das rasante Wachstum fort, wenn auch mit deutlich verringertem Tempo. Erst in den 70er Jahren kam es zu einer deutlich Abflachung der Absatzentwicklung, als auch die Gießereiindustrie die Folgen der Erdölkrise von 1974 zu spüren bekamen. Die ungewöhnlich starke Nachfrage nach Gussprodukten verdankten die Gießer vor allem der guten Konjunktur der Automobilindustrie, die in den Jahren des Wirtschaftswunders Mühe hatte, die stürmische Nachfrage nach dem „fahrbaren Untersatz“ zu befriedigen 13. Der Automobilbau war damals (und ist bis heute) der mit Abstand bedeutendste Absatzmarkt für die Gießereiindustrie. Anfang der 80er Jahre wurden etwa zwei Drittel der Erzeugung von Aluminiumguss für den Bau von Straßenfahrzeugen verwendet. Von dem verbleibenden Drittel entfiel der größte Teil auf den Maschinen- und Apparatebau und die Elektroindustrie 14. Das wichtigste Produkt der Aluminiumgießer in der ersten Nachkriegszeit war der Aluminiumkolben für Verbrennungsmotoren, der sich in Deutschland schon in den 30er Jahren durchgesetzt und inzwischen den Kolben aus Grauguss fast ganz verdrängt hatte 15. Zum Erfolg des
313 Aluminiumkolbens trugen die Entwicklung neuer Kolbenkonstruktionen und die erstmalige Verwendung von übereutektischen Legierungen bei, mit denen man das Problem der Wärmeausdehnung besser in den Griff bekam. Auch Zylinderköpfe aus Aluminiumguss gewannen in der Nachkriegszeit rasch an Boden 16. Im Bereich der Baugruppen Fahrwerk, Motor und Getriebe wurde eine Vielzahl neuer Anwendungsgebieten für den Aluminiumguss erschlossen, die zu einer kontinuierlichen Ausweitung des Aluminiumeinsatzes im Motorenbau führte. Als Beispiele seien Getriebegehäuse, Pumpengehäuse, Ölwannen und Ansaugrohre genannt, bei denen Aluminium an die Stelle von Grauguss trat. Auch die Einführung von PKW-Felgen aus Aluminiumguss in den 60er Jahren eröffnete für die deutsche Gießereiindustrie einen neuen Markt mit großem Wachstumspotential. Durch die Verwendung größerer und leistungsfähigerer Maschinen und durch verbesserte Produktionsverfahren konnte die Arbeits- und Maschinenproduktivität der Gießereibetriebe in der Nachkriegszeit enorm gesteigert werden. Bei den traditionellen Sand- und Kokillengießverfahren war ein Trend zur weitgehenden Mechanisierung zu beobachten. Mit höherem Kapitaleinsatz begegnete man den schnell steigenden Personalkosten, die eine Rationalisierung der arbeitsintensiven Gießverfahren unausweichlich machten. Diesem Ziel diente auch die Einrichtung von Fertigungsstrassen für die Bearbeitung der Kolbenrohlinge, womit schon die Voraussetzungen für die spätere Automatisierung dieser Fertigung geschaffen wurden. Die wichtigste technische Neuerung in der Nachkriegszeit war das rasche Vordringen des Druckgussverfahrens, das den Kokillenguss im Bereich der Massenfertigung immer mehr zurückdrängte. Bei diesem Verfahren wird das flüssige Metall durch einen Kolben mit großer Geschwindigkeit in eine zweiteilige Stahlform gedrückt, in der es schnell erstarrt 17. Das Druckgussverfahren erlaubt die Herstellung von Gussstücken mit großer Maßgenauigkeit, geringen Wanddicken und glatter Oberfläche und verlangt nur ein geringes Maß an Nacharbeiten. In den 60er und 70er Jahren kamen neue Druckgussmaschinen auf den Markt, die mit wesentlich höheren Drücken arbeiteten als die bisher verfügbaren Anlagen. Mit den neuen Hochleistungsmaschinen konnten auch große Gusstücke aus Aluminium serienmäßig hergestellt werden. 1963 lag der Anteil des Druckgusses in der Bundesrepublik bei 37 Prozent. 1988 erreichte er schon 54 Prozent. Charakteristisch für die Industrie der Metallgießer in den ersten Nachkriegsjahrzehnten war das Nebeneinander von einigen wenigen Großunternehmen und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Betrieben, die in dieser Branche ihr Auskommen fanden und den überwiegend mittelständischen Charakter der Industrie bestimmten. Noch in den 60er Jahren beschäftigte der größte Teil der Betriebe weniger als fünfzig Mitarbeiter und nur ein knappes Dutzend der Betriebe hatten fünfhundert oder mehr Beschäftigte 18. Die meisten Gießer verarbeiteten neben Aluminium auch andere Metalle. Zu den Großbetrieben gehörten die Gießereien von Daimler-Benz, BMW, Ford und VW, die ihren Bedarf an Gussstücken zum größten Teil in firmeneigenen Metallgießereien herstellten. Gießereien für den eigenen Bedarf betrieben auch andere Unter-
314 nehmen der Investitions- und Konsumgüterindustrie, wie AEG, Bauknecht, Buderussche Eisenwerke, Robert Bosch, Kloth-Senking und Fichtel & Sachs 19. Der Anteil des so genannten Eigengusses nahm in der ersten Nachkriegszeit stark zu und erreichte Mitte der 60er Jahre etwa 60 Prozent der Gesamtproduktion von Aluminiumguss. In den 70er Jahren setzte eine rückläufige Entwicklung ein. 1988 entfielen auf die Eigengießer nur noch 45 Prozent der Aluminiumgussproduktion, mit weiter fallender Tendenz 20. Den Kundengießereien kam dabei der allgemeine Trend in der Industrie zugute, Produktionen, die nicht zur Kernkompetenz des Unternehmens gehörten, auf Zulieferer zu verlagern. Einige der führenden Kundengießereien und ihre Entwicklung in der Nachkriegszeit wollen wir im Folgenden kurz darstellen 21.
Honsel-Werke Die Honsel-Werke begannen mit dem Wiederaufbau ihres weitgehend zerstörten Stammwerkes in Meschede, nachdem die Besatzungsbehörden im Sommer 1948 die Vermögenssperre über den Firmeninhaber aufgehoben und auf eine Demontage der verbliebenen Anlagen verzichtet hatten. In den 50er und 60er Jahren erlebte das Unternehmen einen steilen Aufstieg mit weit über dem Branchendurchschnitt liegenden Zuwachsraten. 1961 wurden im Stammwerk Meschede wieder mehr als 2.000 Mitarbeiter beschäftigt. Auch nach dem Krieg blieb die Gießerei der wichtigste Produktionszweig des Unternehmens, wobei Gussteile für die Automobilindustrie den Produktionsschwerpunkt bildeten. Ende der 60er Jahre verfügte das Werk in Meschede über eine Gießereikapazität von etwa 10.000 Jato und dürfte damit den Spitzenplatz unter den deutschen Aluminiumgießereien eingenommen haben. Eine bedeutende Erweiterung des Marktanteils bei Gießereiprodukten brachte die Fusion mit der Konkurrenzfirma Gebr. Rautenbach in Solingen im Jahr 1972. Wie bereits erwähnt, baute Honsel auch das im Krieg zerstörte Walzwerk in Meschede wieder auf. Als weitere Aktivität auf dem Halbzeugsektor kam in den 50er Jahren ein Strangpresswerk hinzu. Die Herstellung von Aluminiumhalbzeug wurde zu einem wichtigen zweiten Standbein des traditionsreichen Unternehmens, das seit dem Tod des Firmengründers Fritz Honsel im Jahr 1964 von seinen beiden Söhnen Hans-Friedrich und Kurt Honsel geleitet wurde.
Alcan Aluminiumwerk Nürnberg/Alumetall GmbH Zu den bedeutendsten Herstellern von Aluminiumgussprodukten in der Bundesrepublik zählte auch die Alcan-Gruppe mit dem Werk in Nürnberg, das seit 1948 wieder im Besitz der kanadischen Gesellschaft war. Wie an anderer Stelle berichtet, wurde nur das Stammwerk an die Alcan zurückerstattet, während die im Krieg entstandenen Anlagen im Werk II bei der staatlichen Treuhandgesellschaft verblieben, die das
315 Unternehmen seit 1941 im Auftrag des Reiches verwaltet hatte. Aus ihr entstand 1948 die Firma Alumetall- und Schmelzwerk GmbH (später Alumetall GmbH), die direkt vor der Tür des Alcan-Betriebs ein Konkurrenzunternehmen betrieb. „Gelände, Gebäude, Betriebseinrichtungen, sogar Fachkräfte und Kunden sind ihr billig in den Schoß gefallen“, heißt es dazu in der Firmenchronik von Alcan-Deutschland. Die durch Ausgründung entstandene Alumetall GmbH entwickelte sich in den kommenden Jahren zu einem der führenden Unternehmen der deutschen Gießereibranche. Bei Alcan-Nürnberg nahm vor allem das Geschäft mit Kolben und anderen Aluminiumgussteilen für die Automobilindustrie eine günstige Entwicklung. Versuche des Unternehmens, in anderen Industriezweigen Fuß zu fassen, brachten nicht den gewünschten Erfolg. 1961 übernahm Alcan die Aluminiumgießerei der in Konkurs gegangenen Automobilfirma Borgward in Uphusen bei Bremen. 1966/1967 wurde der dortige Gießereibetrieb nach Nürnberg verlagert und am Standort Uphusen ein Presswerk aufgebaut.
Karl Schmidt (Kolbenschmidt) Das Werk in Hamburg-Altona war im Krieg von größeren Zerstörungen verschont geblieben und konnte schon bald nach Kriegsende auf Friedensfertigung umgestellt werden. Schwieriger war der Neuanfang im Stammwerk der Firma in Neckarsulm. Die dortige Fabrik stand auf der Demontageliste der Alliierten, „obwohl es in dem völlig zerstörten Werk eigentlich nichts zu demontieren gab“, wie es in der Firmenchronik heißt. Aus den Trümmern des alten Werkes entstand seit 1948 eine vollständig neue Fabrikanlage, in der mit modernsten Einrichtungen Aluminiumkolben und andere Gussteile für den Fahrzeug- und Schiffsbau produziert wurden. Im Rahmen einer unternehmensinternen Arbeitsteilung war die Fertigung von Großserien für den PKW-Bau im Werk Hamburg konzentriert, während LKW-Kolben und Kolben größerer Abmessungen in Neckarsulm hergestellt wurden. Eine Spezialität von Karl Schmidt blieben auch in der Nachkriegszeit Großkolben für Diesel-Motoren, die im Schiffsbau verwendet werden. Für die Herstellung großer Serien vor allem für die Kraftfahrzeugindustrie wurde 1953 im Werk Hamburg-Altona eine Druckgießerei eingerichtet. 1959 gründete Karl Schmidt gemeinsam mit der Firma Mahle die Pistons de Colmar SARL, die Aluminiumkolben für den französischen Markt herstellte. Ende der 60er Jahre wurden in Neckarsulm und Hamburg 4.300 Mitarbeiter beschäftigt. Das der Metallgesellschaft gehörende Unternehmen zählte inzwischen zu den bedeutendsten Produzenten von Gussprodukten für die Automobil- und Motorenindustrie.
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Abb. 36: Hermann Mahle (1894–1971)
Abb. 37: Kurt Honsel (1913–2004)
Mahle GmbH Als wichtiger Rüstungsbetrieb war auch die Firma Mahle mit ihren Anlagen im Krieg ein bevorzugtes Ziel alliierter Luftangriffe. Durch Bombenschäden und Demontagen ging fast die Hälfte der Unternehmenssubstanz verloren. In der Wiederaufbauphase nach der Währungsreform legte Mahle durch technische Spitzenleistungen die Grundlage für seinen Aufstieg zum weltweit führenden Hersteller von Aluminiumkolben und anderen Motorenteilen. Einige der Neuentwicklungen aus dieser Zeit seien hier genannt: 1948 Einführung des ersten Regelstreifenkolbens; 1950 erstmalige Verwendung von übereutektischen Al-Si-Legierungen mit einem Siliziumgehalt von bis zu 25 Prozent im Kolbenbau; 1951 Markteinführung von Aluminiumzylindern mit verchromter Lauffläche; 1955 Aufnahme der Serienfertigung von ungeschlitzten Regelstreifenkolben. Nicht ohne berechtigten Stolz vermerkt die Firmengeschichte aus dem Jahr 1970, dass die entscheidenden Kapitel der Geschichte der Kolbentechnik „fast alle von uns geschrieben wurden“. Im Jahr 1970 beschäftigte das Unternehmen über 7.000 Mitarbeiter. Zu dem Stammwerk in Bad Cannstatt waren inzwischen Zweigwerke in Rottweil, Alzenau und Markgröningen getreten, in denen neben den Eigen- und Kundengießereien auch Weiterverarbeitungsanlagen zur Herstellung von einbaufertigen Kolben- und Zylindersystemen betrieben wurden. Mit der Gründung der Pistons de
317 Colmar SARL (gemeinsam mit Karl Schmidt) leitete das Unternehmen 1959 die Internationalisierung seiner Aktivitäten ein. Seit 1964 ist die Mahle KG im Besitz einer gemeinnützigen Stiftung, auf die die Firmengründer Hermann und Ernst Mahle ihre Gesellschaftsanteile übertrugen.
13.3 Folienhersteller und Folienveredler Von den vier großen deutschen Folienwalzwerken hat nur das Alusuisse-Werk in Singen die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit unbeschadet überstanden. Ende 1945 waren bereits wieder 900 Mitarbeiter damit beschäftigt, Halbzeuge und Folienprodukte für die Besatzungsmacht und den Devisen bringenden Export nach Frankreich und in die Schweiz herzustellen. Der frühe Start in die Nachkriegszeit gab Alusingen einen bedeutenden Vorsprung vor der deutschen Konkurrenz, die durch den Krieg und seine Folgen in Mitleidenschaft gezogen worden war. Am härtesten hatte es die Firma Tscheulin in Teningen getroffen, deren Werksanlagen kurz nach dem Ende des Krieges durch die französische Besatzungsmacht komplett demontiert wurden. Tscheulin kehrte erst 1950 in das Folienwalz- und Veredlungsgeschäft zurück 22. Der zweite mittelständische Folienhersteller, die Firma Hueck & Büren in Lüdenscheid, war in den letzten Kriegstagen noch Ziel eines alliierten Bombenangriffs geworden, bei dem die Werksgebäude schwere Schäden davongetragen hatten. Mit den über den Krieg geretteten Walzwerken konnte der Folienwalzbetrieb aber noch vor der Währungsreform in den reparierten Hallen wieder aufgenommen werden 23. Einen schwierigen Start hatte auch die VAW-Folien-Tochter Rebag, die in den Wirren der Kriegs- und Nachkriegszeit den größten Teil ihrer Anlagen eingebüßt hatte 24. Mit den verbliebenen Maschinen durften im Werk Grevenbroich seit Frühjahr 1947 wieder kleine Mengen Folien, Bleche und Bänder hergestellt werden. Ein juristisches Nachspiel für die VAW hatte der Erwerb der Rebag-Beteiligung der Firma Netter im Jahr 1934. Wie bereits berichtet, endete das von den Erben von Wolf Netter angestrengte Restitutionsverfahren 1950 mit einem für die VAW äußerst vorteilhaften Vergleich. Die deutschen Folienhersteller profitierten in den 50er und 60er Jahren von der weltweiten Expansion des Folienmarktes, der sich nach dem Krieg zu einem der wichtigsten Absatzmärkte für die Aluminiumindustrie entwickelte. Das galt insbesondere für die beiden Marktführer Alusingen und Rebag, die auf den Exportmärkten an ihre vor dem Krieg aufgebauten Geschäftsbeziehungen anknüpfen konnten. Ende der 60er Jahre nahmen die deutschen Folienwalzer wieder vor ihren Konkurrenten in England und Frankreich den Spitzenplatz in Europa ein. Mehr als vierzig Prozent der deutschen Folienproduktion ging in den Export, davon ein großer Teil an Abnehmer in außereuropäischen Ländern. Auf den europäischen Folienmärkten beschränkten Kartelle noch auf Jahre hinaus den freien Wettbewerb. 1956 genehmigte das Bundesministerium für Wirtschaft die Teilnahme der deutschen Folienhersteller an dem Exportkartell
318 der europäischen Aluminium Foil Conference (AFCO) mit der Maßgabe, dass Absprachen nur für Auslandsmärkte getroffen werden durften. Nach dem Inkrafttreten des EWG-Vertrages im Jahr 1958 wurde das Exportkartell aufgelöst und durch ein so genanntes Open Price System (OPS) ersetzt, das die beteiligten Unternehmen verpflichtete, ihre Vertragsofferten und Vertragsabschlüsse mit allen relevanten Daten an ein zentrales Treuhandbüro zu melden. Nach der Lesart der Industrie sollte das OPS die Transparenz des Marktes verbessern und damit die Möglichkeit einer echten Konkurrenz schaffen25. Die Kartellbehörden begegneten dieser Argumentation allerdings mit Skepsis und argwöhnten, dass die Industrie unter dem Deckmantel des Informationssystems weiterhin illegale Preis- und Marktabsprachen praktizierte. Die Einfuhr von Aluminiumfolien in die Bundesrepublik gewann jedenfalls erst nach dem Verbot der Open Price Systeme in den 70er Jahren größere Bedeutung. Auf dem deutschen Binnenmarkt blieb die oligopolistische Struktur der Folienindustrie auch nach dem Krieg bestehen. Die Kräfteverhältnisse verschoben sich aber schon bald zugunsten von Alusingen und Rebag, die ihre Marktanteile auf dem Inlandsmarkt zu Lasten der beiden unabhängigen Folienhersteller Tscheulin und Hueck & Büren kräftig ausweiten konnten. Anfangs der 50er Jahre entfielen fast zwei Drittel der Inlandslieferungen auf die beiden integrierten Folienwalzer: Alusingen kam auf einen Marktanteil von knapp vierzig Prozent, gefolgt von Rebag mit etwa zwanzig Prozent. Tscheulin und Hueck & Büren versuchten vergeblich, sich gegen diese Entwicklung zur Wehr zu setzen. In Eingaben an das Bundesministerium für Wirtschaft forderten sie eine Rückkehr zu dem Kartell der 20er und 30er Jahre, das den Inlandsmarkt in etwa gleiche Marktanteile unter den vier deutschen Walzern aufgeteilt hatte 26. Eine derartige Absprache hätte freilich gegen das Kartellverbot der Alliierten verstoßen, das diese noch vor der Gründung der Bundesrepublik verhängt hatten. In den Verhandlungen vor dem Ministerium, an denen sich auch der Fachverband Aluminiumfolien und Dünne Bänder beteiligte, wurden daher auch andere Vorschläge „zur Beseitigung von Störungen der marktwirtschaftlichen Verhältnisse“ erörtert 27. Nach einem dieser gut gemeinten Vorschläge sollte sich die VAW auf die Herstellung der blanken Folie beschränken und die Folienveredlung den unabhängigen Unternehmen überlassen. Noch weiter ging der Vorschlag, die Rebag solle aus dem Verbund des VAW-Konzerns ausscheiden und zum Verkauf an die Privatwirtschaft gestellt werden. Als Ergebnis ihrer Demarche konnten die beiden Antragsteller wenigstens einen Achtungserfolg verbuchen. Unter dem Druck des Ministeriums, dem die Förderung der mittelständischen Industrie am Herzen lag, erklärten Rebag und Alusingen ihre Bereitschaft, sich bis auf weiteres in der Folienproduktion zurückzuhalten und keinen Druck auf den Inlandsmarkt auszuüben. Auch wollten sie ihre Exportanstrengungen intensivieren, um so den Inlandsmarkt zu entlasten. Das sollte Tscheulin und Hueck & Büren erlauben, ihre Marktanteile zu erhöhen. Die Selbstbeschränkung der beiden „Großen“ hatte freilich nur kurzzeitige Wirkungen. Der Konzentrationsprozess auf dem Foliensektor ließ sich dadurch nicht auf-
319
Abb. 38: Folienwalzwerk in Lüdenscheid
halten. Es zeigte sich schon bald, dass die beiden mittelständischen Unternehmen im Wettbewerb mit den großen Konzernen auf die Dauer nicht mithalten konnten. Tscheulin wurde 1955 von der französischen Alsacienne-Gruppe übernommen, die ihrerseits in den 70er Jahren in den Besitz der VAW überging. Hueck & Büren wurde 1970 an die Alcan verkauft, die damit als weiteres integriertes Unternehmen auf dem deutschen Folienmarkt Fuß fasste. Die Familie Hueck hatte das Werk in Lüdenscheid mit beachtlichem Aufwand zu einem modernen Folienwalz- und Veredlungsbetrieb ausgebaut. Im Zeitpunkt der Übernahme durch Alcan verfügte Lüdenscheid über fünf Quarto-Folienwalzwerke mit einer Fertigungsbreite von 1.100 mm, auf denen ca. 6.300 Tonnen Aluminiumfolie hergestellt wurden. Ein Teil der Produktion wurde im eigenen Unternehmen weiterverarbeitet, wobei man sich auf die Basisveredlung (Lackieren und Kaschieren) beschränkte. Ein weiterer Teil diente der Folienversorgung des Schwesterwerkes Hueck & Cie. in Pirkmühle/Oberpfalz, das hochwertige veredelte Folie herstellte. Für Alcan war der Erwerb von Hueck & Büren Ausfluss einer strategischen Entscheidung, die im Zusammenhang mit der Beteiligung an dem Großwalzwerk Alunorf gesehen werden muss. Für die Auslastung der dadurch hinzu gewonnenen Walzkapazität bot sich ein Engagement auf dem Foliensektor an, auf dem der
320 Alcan-Konzern bisher in der Bundesrepublik nicht präsent war. Folienvorwalzbänder waren damals die mengenmäßig wichtigsten Walzprodukte, die auch in Zukunft einen aufnahmefähigen und wachstumsträchtigen Absatzmarkt versprachen. Der Übernahme von Hueck & Büren folgten weitere Aquisitionen, von denen an dieser Stelle nur der Erwerb des Folienwerkes der Busch-Jaeger Dürener Metallwerke in BerlinBorsigwalde im Jahr 1974 erwähnt werden soll. Schon vor seinem Engagement in der Bundesrepublik war der Alcan-Konzern mit Werken in England und der Schweiz erfolgreich auf dem Foliensektor tätig 28. In keinem anderen Produktionszweig der Aluminiumindustrie verlief der technische Fortschritt so rasant wie auf dem Gebiet des Folienwalzens. Die in den 20er und 30er Jahren üblichen Walz-Duos wurden nach dem Krieg sukzessive durch Quarto-Walzwerke ersetzt, die von Generation zu Generation größer, breiter und schneller wurden. Die aus der Vorkriegszeit stammenden Walz-Duos hatten eine Fertigungsbreite von 500 bis 700 mm und waren für Bundgewichte von maximal 250 Kilogramm geeignet. 1952/1953 wurden in Grevenbroich erstmals Quarto-Walzwerke mit einer Fertigungsbreite von 1.000 mm aufgestellt, die man von der Firma Achenbach in Buschhütten bezog 29. Für den weiteren Ausbau des Werkes entschied sich die VAW für den Kauf amerikanischer Walzanlagen, die durch größere Walzbreiten, höhere Einsatzgewichte und eine wesentlich höhere Walzgeschwindigkeit und Walzgenauigkeit einen technischen Höchststand erreichten, den der deutsche Walzmaschinenbau in den ersten Nachkriegsjahren noch nicht vorweisen konnte 30. Erst in den 60er Jahren gelang den deutschen Walzwerksherstellern der Anschluss an die technische Entwicklung auf diesem Gebiet. Die Ende der 60er Jahre in Grevenbroich installierten Hochleistungsgerüste der Firma Achenbach standen der Konkurrenz aus den USA in nichts nach. Sie hatten eine Arbeitsbreite von 1.500 mm und konnten drei Tonnen schwere Bunde bei maximalen Walzgeschwindigkeiten von 900 Meter pro Minute verarbeiten. Der Schlusspunkt der Entwicklung zu immer leistungsfähigeren Walzanlagen war damit aber noch lange nicht erreicht. Die heutigen Folienwalzwerke haben eine Fertigungsbreite von 2.100 mm und verarbeiten Bänder mit einem Bundgewicht von fünfzehn Tonnen bei Walzgeschwindigkeiten von bis zu 2.500 Meter pro Minute. Einen bedeutenden Produktivitätsfortschritt brachte auch der Übergang zur kontinuierlichen Folienfertigung in Walzwerksgruppen. Nach dem Einzug der Computertechnik in den 80er Jahren erlaubte diese Anordnung der Walzgerüste eine weitgehende Automatisierung der Folienproduktion. Der technische Fortschritt hatte auch auf dem Foliensektor zur Folge, dass sich die Produktion auf eine immer kleinere Zahl von leistungsfähigen Produzenten konzentrierte. Den integrierten Unternehmen kam dabei zustatten, dass sie das Vormaterial für die Folienherstellung aus den eigenen Hütten und Halbzeugwerken beziehen konnten. Demgegenüber waren die unabhängigen Folienwalzer darauf angewiesen, ihren Bedarf an Folienvorwalzbändern bei denselben Unternehmen zu decken, denen sie auf den Folienmärkten als Konkurrenten gegenüberstanden. Das Folienwalzen ist daher in
321 den 70er Jahren zur Domäne der integrierten Aluminiumproduzenten geworden, die alle Stufen des Produktionsprozesses, von der Herstellung des Rohstoffes über das Walzen der Vorwalzbänder bis zum Folienwalzen, unter einem Unternehmensdach vereinten. Die unabhängigen Folienveredler, die bis in den 50er Jahren ihren Folienbedarf zu einem guten Teil noch aus der eigenen Produktion gedeckt hatten, legten ihre veralteten Walzanlagen sukzessive still und bezogen die Folie von den großen Produzenten. Selbst große Folienveredler, wie die bereits erwähnte Alsacienne-Gruppe, konnten sich dieser Entwicklung nicht entziehen. Die Folienproduktion dieser Gruppe war in dem Tscheulin-Werk in Teningen konzentriert, das 1955 in den Besitz der Alsacienne übergegangen war. Mitte der 60er Jahre trat die amerikanische Aluminiumfirma Olin-Mathieson an die Alsacienne-Gruppe heran und schlug ihr vor, gemeinsam mit ihr ein großes Folienwalzwerk zu errichten, das die veralteten Walzwerksanlagen in Teningen ersetzen sollte. Alsacienne entschied sich gegen eine Großinvestition in die Folienfertigung. Die verfügbaren Mittel sollten in den Ausbau der Folienveredlung gesteckt werden. Im Jahr 1966 schloss die Gruppe einen langfristigen Liefervertrag mit der VAW-Tochter Rebag, die fortan den größten Teil des schnell wachsenden Folienbedarfs ihrer Veredlungsbetriebe deckte 31. Die großen Folienwalzer hatten sich schon vor dem Krieg auf dem Gebiet der Veredlung von Folien betätigt. Alusingen hatte in den 20er Jahren den Hamburger Folienveredler Kluge und Winter erworben; Rebag war seit 1931 an der Veredlerfirma Roth beteiligt. Nach 1945 verstärkte sich das Engagement der Konzerne auf diesem Sektor, wobei man sich zunächst auf die so genannte Basisveredlung konzentrierte, also vor allem das Lackieren und Kaschieren der Folien. Die dafür benötigten Anlagen waren relativ teuer und konnten nur bei hohem Durchsatz rentabel betrieben werden. Das Bedrucken der Folien überließ man weiterhin den Veredlern, die sich auf dieses Gebiet spezialisiert hatten. Im Laufe der 60er und 70er Jahre verlor die Arbeitsteilung zwischen Walzern und Veredlern mehr und mehr an Bedeutung, da immer mehr Veredler in die Abhängigkeit der großen Folienwalzbetriebe gerieten. Diese banden die Veredler durch langfristige Folienlieferverträge an sich. Früher oder später beteiligten sie sich auch am Kapital der Abnehmer und am Ende stand die Übernahme des ganzen Unternehmens. Die Folienhersteller sicherten sich auf diese Weise den Absatzmarkt für ihre Folie und gewannen verstärkten Einfluss auf die immer wichtiger gewordene Produkt- und Marktentwicklung, die im Wettbewerb über den Erfolg der Folie entscheidet. Vor allem auf dem Lebensmittelsektor muss die Verpackung in Bezug auf ihre Funktionstüchtigkeit und Verträglichkeit mit dem Packgut höchsten Ansprüchen genügen und ihre Eignung für einen bestimmten Verwendungszweck oft in langwierigen Test- und Probeläufen nachgewiesen werden. Die Entwicklung neuer Produkte, bei der die Folienveredler eng mit den späteren Abnehmern ihrer Produkte zusammenarbeiteten, ziehen sich oft über Jahre hin und verlangen einen hohen Einsatz an Mitteln, der die Leistungsfähigkeit der kleineren Unternehmen überstieg. Dabei stand die Aluminiumindustrie im Wettbewerb mit der kapitalkräftigen Kunststoffindustrie, in
322 deren Marktstrategie der Verpackungsmarkt ebenfalls eine zentrale Rolle spielte. Nur die wenigsten Veredler wären in der Lage gewesen, dem Wettbewerbsdruck der Kunststoffindustrie standzuhalten, die Produktion und Verarbeitung in der Hand weniger großer Unternehmen konzentrierte. Die meisten freien Folienveredler in Europa gaben ihre Unabhängigkeit im Laufe der 60er und 70er Jahren auf. In Deutschland wurde die im Familienbesitz befindliche traditionsreiche Veredlerfirma Haendler & Natermann AG in Hannover 1971 von der VDM übernommen, die (wie bereits berichtet) auf dem Foliensektor Fuß fassen wollte. Der Schweizer Folienveredler Nyffeler Corti AG in Kirchberg bei Bern (ebenfalls im Familienbesitz) wurde 1965 an Kaiser Aluminum verkauft. Das holländische Unternehmen NV Industrie Vaassen ging 1964 auf den Hoogovens-Konzern über. Der Folienwalz- und Veredlungsbetrieb der Gebr. Teich in Österreich wurde von den Vereinigten Metallwerken Ranshofen-Berndorf übernommen. Der spektakulärste Fall war der Erwerb der Société Alsacienne d’Aluminium (SAA) durch die VAW 32. Der Firmengründer Frederic Meyer hatte 1955 eine Mehrheitsbeteiligung an der in Schwierigkeiten geratenen Aluminiumwerk Tscheulin GmbH erworben und deren Anlagen in Teningen zu einem bedeutenden Folienveredlungsbetrieb ausgebaut. Mit ihren Werken in Deutschland und Frankreich war die in Schlettstadt im Elsass ansässige SAA der größte europäische Folienveredler, der es in den 60er Jahren auf dem deutschen Veredlermarkt auf einen Marktanteil von 35 bis 40 Prozent brachte. Zu einer ersten Annäherung zwischen der SAA und der VAW kam es 1962, als Meyer vor der Notwendigkeit stand, die veralteten Folienwalzanlagen in Teningen zu ersetzen. Wie berichtet, schlug Meyer die Offerte eines amerikanischen Aluminiumproduzenten für den gemeinsamen Bau und Betrieb eines Folienwalzwerkes aus und schloss stattdessen einen langfristigen Folienliefervertrag mit der VAW-Folientochter Rebag. 1972 bot der inzwischen 78-jährige Firmeninhaber der VAW eine Schachtelbeteiligung an der SAA an. Nach dem Tod Frederic Meyers im Jahr 1976 stockte die VAW ihre Beteiligung an der SAA zu einer beherrschenden Mehrheit auf. Die SAA-Tochter Tscheulin wurde später zur Führungsgesellschaft des Geschäftsbereiches „Flexible Verpackungen“, in dem die VAW ihre Aktivitäten auf dem Gebiet der Folienveredlung zusammenfasste. Mit der Alsacienne-Gruppe schied einer der letzten großen unabhängigen Folienveredler in Europa aus dem Wettbewerb aus. Die Folienveredlung war zu einer Domäne der großen Konzerne geworden. Die Nachkriegsentwicklung auf dem deutschen Folienmarkt wurde maßgeblich durch das Duell zwischen VAW und Alusuisse geprägt, deren Tochtergesellschaften Rebag und Alusingen sich einen harten Kampf um die Führungsrolle lieferten. Folien und dünne Bänder waren (und sind bis heute) das volumenmäßig wichtigste Produkt der deutschen Aluminiumindustrie. Der Folienmarkt war auch deswegen für die Konzerne so attraktiv, weil er ihnen relativ stabile Absatzmöglichkeiten für ihre Produkte bot. Folienlieferungen an die Lebensmittelbranche und andere Sektoren der Konsumgüterindustrie reagieren weniger sensibel auf Konjunkturschwankungen als das zykli-
323 sche Halbzeuggeschäft mit der Investitionsgüterindustrie. Auch wurden im Foliengeschäft höhere Margen erzielt als beim Verkauf von Halbzeug. Es gab also gute Gründe dafür, dass die beiden Konzerne um die Spitzenposition auf dem Foliensektor stritten. In den ersten Nachkriegsjahrzehnten lag die Führung bei den Schweizern, deren Werke die Kriegjahre ohne Schäden überstanden hatten und auch von Demontagen und Produktionsverboten kaum betroffen waren. In den 50er und 60er Jahren wurden die Werksanlagen in Singen systematisch modernisiert und ausgebaut, wobei dem Foliensektor höchste Priorität eingeräumt wurde 33. Bis zum Ende der 60er Jahre nahm der Alusuisse-Konzern mit seinen Folienwerken in Deutschland, England, Belgien und der Schweiz den ersten Platz unter den europäischen Folienwalzern ein. In den 70er Jahren ging die Führungsrolle auf die VAW über, die den Foliensektor in der Nachkriegszeit ebenfalls zu einem Schwerpunkt ihrer Investitionstätigkeit gemacht hatte. Wie wir gesehen haben, war das Werk in Grevenbroich nach dem Krieg zu einem leistungsfähigen Folienwalzwerk ausgebaut worden, das den Vergleich mit der Konkurrenz nicht zu scheuen brauchte. Weitere große Investitionen in den 70er Jahren führten die VAW an der Alusuisse vorbei auf den ersten Platz der europäischen Rangliste. Durch die Belieferung mit kostengünstigem Folienvorwalzband aus Norf hatte das VAW-Werk in Grevenbroich seit 1968 einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil vor den Betrieben der Alusuisse, die weder in Deutschland noch in anderen europäischen Ländern über ein vergleichbar leistungsfähiges Walzwerk verfügte.
Anmerkungen zum 13. Kapitel 1 Demgegenüber wurde Aluminiumdraht in den USA in großem Umfang im Walzverfahren hergestellt. Siehe P. Brenner, „Verwendung von Leichtmetallhalbzeugen in den USA“ (ALUMINIUM 1951.12 ff). 2 Siehe hierzu den Artikel „Kabelmäntel aus Aluminium“ in ALUMINIUM 1954.110. Auf den vertikal angeordneten Pressen wurden Aluminiummäntel im Endlosverfahren auf die Kabel aufgepresst. Die weltweit erste Kabelmantelpresse mit 3.140 Tonnen Druck wurde 1941 bei SiemensSchuckert in Betrieb genommen. Seit den 70er Jahren haben neue Kabelkonstruktionen die Kabel mit Aluminiumummantelung verdrängt. Felten & Guillaume legte seine 4.500 Tonnen-Kabelmantelpresse in den 80er Jahren still. 3 Zur Properzi-Technologie: Artikel „Aluminiumdraht nach dem Properzi-Gießwalz-Verfahren“ in ALUMINIUM 1960.568 ff. 4 Zu der Anlage in Lünen siehe den Artikel von Marburg: „Reinaluminium-Vorziehdraht (ProperziVerfahren) für Seil- und Kabeldrähte“ in ALUMINIUM 1969.481. 5 Hamer: „Die voraussichtliche Entwicklung des Aluminiumverbrauchs im europäischen Markt“ in ALUMINIUM 1961.465 ff. 6 An der Reise im April 1959 nahmen so renommierte Architekten wie Dr. Hentrich, Düsseldorf, teil. Die Besuchsgruppe wurde in den USA von der Alcoa und anderen Aluminiumfirmen betreut (Bericht in ALUMINIUM 1959.669). 7 Bericht in ALUMINIUM 1955 (Heft 1). Über weitere Bürogebäude mit Aluminiumglasfassade wird in ALUMINIUM 1956. 77 ff. berichtet.
324 8 Siehe Mock: „Zum Standort des Aluminiumfensters im deutschen Fenstermarkt“ in ALUMINIUM 1982.135. 9 Die Aluminiumindustrie hat auf die Vorbehalte der Verbraucher mit der Entwicklung eines HolzAluminium-Fensters reagiert, das außen aus Aluminium und innen aus Holz bestand und so die Vorteile beider Werkstoffe zu kombinieren suchte. Das erste Fenster dieser Art wurde von der Firma Gutmann in den Markt gebracht. 10 Zu den Pionierleistungen auf diesem Gebiet gehört das von der Firma Hueck entwickelte Gießverfahren mit glasfaserverstärktem Polyurethan, das von Lizenznehmern in vielen Ländern übernommen wurde. Bei diesem Verfahren werden Kältebrücken in Form von Leisten und Schaum aus Kunststoff in das Aluminiumprofil integriert. 11 Die Gesellschaft war 1953 aus der Liquidationsmasse der IG-Farben AG und der Vereinigten Stahlwerke auf die Duisburger Kupferhütte übergegangen. Mit seinen größtenteils aus der Kriegszeit stammenden Walzanlagen war das Unternehmen auf dem Walzsektor nicht mehr wettbewerbsfähig. In der Hoffnung, dass man mit Aluminiumprofilen erfolgreicher sein würde als mit Walzhalbzeug, errichtete die Gesellschaft 1963/1964 ein Strangpresswerk mit zwei Pressen von 1.250 und 2.500 Tonnen Presskraft. Als sich dann aber wenig später die Chance bot, das Unternehmen an Reynolds zu verkaufen, griff man kurz entschlossen zu. 12 In der Übersicht sind die Schmiedepressen nicht erfasst. Otto Fuchs ist einer der weltweit führenden Hersteller von Schmiedeteilen aus Aluminium und anderen Metallen. Beim Neubau der Gesenkpresserei in den 60er Jahren wurde in Meinerzhagen eine Schmiedepresse der Firma Hydraulik mit einer Presskraft von 30.000 Tonnen aufgestellt, die zu den größten Pressen dieser Art gehörte. 1973 folgte die Inbetriebnahme einer weiteren Schmiedepresse mit einer Presskraft von 20.000 Tonnen. 13 1950 wurden in der Bundesrepublik 300.000 Fahrzeugen produziert. 1960 waren es 2,1 Millionen und 1970 4,4 Millionen. 14 Gussprodukte aus Kupfer, Zink und anderen Schwermetallen konnten mit der rasanten Entwicklung des Aluminiumgusses nicht Schritt halten. Ende der 80er Jahre machten Gussprodukte aus Aluminium etwa drei Viertel der Gesamtproduktion der Metallgießer aus. Zu Beginn der 50er Jahre hatten Kupfer und Zink in der Rangliste der Gießereimetalle noch die Spitzenplätze eingenommen. Hauptsächlicher Verlierer auf dem Markt für Gießereierzeugnisse war aber der Eisenguss, der durch den Leichtmetallguss aus vielen seiner traditionellen Anwendungsgebiete verdrängt wurde (siehe hierzu die Statistik des Gesamtverbandes Deutscher Metallgießereien GDM). 15 Ernst Mahle, „Der Leichtmetall-Kolben und seine Bedeutung für die Aluminiumindustrie“ in ALUMINIUM 1955.70. 16 Zum Aluminiumzylinder: Meyer-Hässler, „Leichtmetall-Zylinder mit hartverchromter Lauffläche“ in ALUMINIUM 1952.33. 17 Beim Druckgussverfahren handelt es sich um eine Weiterentwicklung des so genannten Spritzgussverfahrens, das in Deutschland seit den 20er und 30er Jahren im Einsatz war. 18 Siehe Andexer: „Strukturbild und Marktlage der Metallgießereiindustrie in den einzelnen Ländern“ in ALUMINIUM 1964.725. 19 Mit der Aluminiumgießerei Villingen ging im Jahr 1957 eine der größten Kundengießereien an den Waagenhersteller Bizerba, der die Produktion überwiegend für den eigenen Bedarf verwendete. Für Alusingen bedeutete der Verkauf der Gesellschaft den Rückzug aus dem seit den 30er Jahren betriebenen Formgussgeschäft. Erst in den 90er Jahren hat sich die Alusuisse in Deutschland wieder auf diesem Gebiet engagiert. 20 Zum Anteil der Eigengießer: Andexer a.a.O. (für 1963). – GDM Geschäftsbericht 1988 Tabelle 16 (für 1978 bis 1988). 21 Als Quelle dienten die im Quellenverzeichnis aufgeführten Firmengeschichten.
325 22 Pastoors: „Aluminiumwerk Tscheulin – in 75 Jahren vom Folienwalzwerk zum Veredlungsbetrieb“ in ALUMINIUM 1989.10. 23 Zur Geschichte der Firma Hueck & Büren: Chronik der Alcan Deutschland, Seite 84. 24 Wichtige Aggregate waren in den letzten Kriegsmonaten per Bahntransport nach Hannover-Laatzen verlagert worden, um sie vor den anrückenden Amerikanern in Sicherheit zu bringen. Ein Teil der Anlagen fiel in Laatzen einem Bombenangriff zum Opfer, ein weiterer Teil wurde von den Amerikanern beschlagnahmt (Rebag-Geschichte, Seite 38). 25 Durch Anfrage bei dem Treuhandbüro konnte jeder OPS-Teilnehmer auf anonymer Basis erfahren, welcher Preis für ein bestimmtes Erzeugnis „auf dem Markt liegt“. Als Treuhänder fungierte der Geschäftsführer der Fachvereinigung Leichtmetallwaren, Dr. Behrens, in Frankfurt (RebagGeschichte, Seite 73 f). 26 Zum Streit in der Folienindustrie: Rebag-Geschichte, Seite 54. 27 Die Denkschrift des Verbands trägt den Titel: „Die Folie im Rahmen der deutschen Aluminiumindustrie. Eine kritische Untersuchung der Wettbewerbslage nebst Vorschlägen zur Beseitigung von Störungen der marktwirtschaftlichen Situation“. Verfasser war vermutlich der Geschäftsführer der Fachvereinigung Leichtmetallwaren, Dr. Behrens. Eine Kopie der Denkschrift wird im Archiv des GDA verwahrt. 28 Die wichtigsten Folienunternehmen des Konzerns in Europa waren Alcan Foils Ltd. in Wembley, UK, und die Aluminiumwerke Rohrschach AG in der Schweiz, die Alcan schon Ende der 20er Jahre erworben hatte. 29 Zum Ausbau des Folienbetriebs in Grevenbroich 1948–1970: Rebag-Geschichte, Seite 50 ff. 30 Zwischen 1956 und 1963 wurden in Grevenbroich insgesamt siebzehn moderne Folienwalzgerüste der Firma Blaw Knox Company (Pittsburgh) aufgestellt, die den bisher verwendeten Anlagen an Leistungsfähigkeit weit überlegen waren. 31 Zum Liefervertrag mit der SAA: Rebag-Geschichte, Seite 61 ff. 32 Zum Erwerb der SAA durch VAW: VAW-Geschichte X, Seite 45 ff. 33 Eine Chronologie des Ausbaus der Folienfertigung findet sich in der Festschrift zum 75-jährigen Bestehen von Alusingen (1987).
14. Kapitel Die Rohstoffversorgung der deutschen Aluminiumindustrie
14.1 Der Ausbau der Hüttenkapazitäten Nach der Aufhebung der Produktionsbeschränkungen durch die Alliierte Hohe Kommission im Juli 1951 verfügte die Aluminiumindustrie in der Bundesrepublik über drei Aluminiumhütten mit einer theoretischen Kapazität von insgesamt 112.000 Jato. Rund siebzig Prozent der Gesamtkapazität entfielen auf die beiden VAW-Hütten in Töging (45.000 Jato) und Lünen (33.000 Jato), der Rest auf die Hütte der Alusuisse in Rheinfelden (34.000 Jato). Die tatsächlich verfügbare Kapazität der drei deutschen Hütten war jedoch deutlich geringer als ihre Nennkapazität. Es waren vor allem Engpässe bei der Stromversorgung, die noch auf Jahre hinaus eine vollständige Nutzung der Anlagen verhinderten 1. Es war auch schon bald zu erkennen, dass die vorhandenen Hüttenkapazitäten mittel- und längerfristig nicht ausreichen würden, um den stürmisch wachsenden Aluminiumbedarf der deutschen Wirtschaft zu decken. Die VAW stand damals vor der schwierigen Frage, wie sie ihrer Rolle als wichtigster Lieferant der deutschen Aluminiumverarbeiter in Zukunft gerecht werden konnte. Wenn sie verhindern wollte, dass ihr die ausländische Konkurrenz die Führungsrolle auf dem Inlandsmarkt streitig machte, musste sie der Marktentwicklung folgen und ihre Hüttenkapazitäten entsprechend erweitern. Die beengte Energieversorgung ließ aber einen Ausbau der Kapazitäten nur in engen Grenzen zu. Auch der akute Kapitalmangel der Gesellschaft stand einer Großinvestition entgegen. Die VAW musste sich daher bei der Erweiterung ihrer Hüttenkapazitäten zunächst mit einem Minimalprogramm begnügen. In einer deutlich günstigeren Ausgangsposition befand sich die Alusuisse, der zweite deutsche Hüttenproduzent. Auch die Schweizer waren bestrebt, ihre traditionelle Position auf dem deutschen Markt zu behaupten. Als weltweit tätiger Konzern standen ihnen aber auch außerhalb der Bundesrepublik Möglichkeiten der Expansion zur Verfügung, von denen sie in den 60er und 70er Jahren in großem Umfange Gebrauch machten. Für die VAW bot sich als erster Schritt die Remontage der durch Kriegseinwirkung und Demontagen zerstörten Hütte in Grevenbroich an. Das Erftwerk konnte mit einem relativ geringen Kapitalaufwand wieder aufgebaut werden. Man konnte dort auf eine
328 weitgehend intakte Infrastruktur zurückgreifen und musste nur die demontierten Elektrolyseöfen und anderen beweglichen Betriebseinrichtungen ersetzen. Beim Wiederaufbau des Erftwerkes setzte die VAW erstmals einen von ihr entwickelten Großofen ein, der mit einer Stromstärke von 65.000 Ampere gefahren wurde. Eine erste Serie des neuen Ofentyps mit einer Kapazität von 12.000 Jato wurde 1953 in Grevenbroich in Betrieb genommen, eine zweite Serie mit derselben Kapazität folgte 1956. Mit diesem neuen Ofentyp, der sukzessive die Elektrolyseöfen vom Typ Söderberg ersetzen sollte, die in den VAW-Hütten noch überall im Einsatz waren, wollte die VAW den Anschluss an die internationale Entwicklung auf dem Gebiet der Ofentechnik finden 2. Auch bei der Modernisierung des Innwerkes, wo man zunächst die alten 15.000 Ampere-Öfen durch 30.000 Ampere-Öfen ersetzt hatte, ging man seit Mitte der 50er Jahre dazu über, Großöfen des neuen Typs mit einer Stromstärke von 60.000 Ampere zu installieren 3. Eine Besonderheit des so genannten Erftwerk-Ofens war das von der VAW entwickelte Anodensystem, bei dem die vorgebrannten Anoden kontinuierlich verbraucht wurden, ohne dass ein Nachsetzen erforderlich war 4. Mit diesem System wollte man die Vorteile des Söderberg-System mit denen des Prebake-Systems verbinden. Im Jahr 1956 bot sich der VAW die Möglichkeit, durch den Erwerb eines Braunkohlefeldes in unmittelbarer Nähe des Erftwerks die Grundlage für eine kostengünstige Energieerzeugung im eigenen Kraftwerk zu schaffen. Verkäufer war die Ilse Bergbau GmbH, die wie die VAW zum bundeseigenen VIAG-Konzern gehörte (der vermutlich bei der Transaktion seine Hand im Spiel hatte). Beim Abbau der Kohlefelder und bei der Verwertung der gewonnenen Kohle arbeitete die VAW eng mit dem RWE zusammen, das nur wenige Kilometer vom Erftwerk entfernt das Großkraftwerk Frimmersdorf betrieb. In den Jahren 1959 und 1962 nahm die VAW zwei Kraftwerksblöcke mit je 150 MW Leistung in Betrieb, die das RWE in Frimmersdorf im Rahmen ihres Kraftwerkes für Rechnung der VAW errichtet hatte. Auch die Betriebsführung der beiden VAW-Blöcke lag in den Händen des RWE. Die von der Ilse-Bergbau GmbH erworbenen Braunkohlevorkommen reichten aus, um die beiden Blöcke mehrere Jahrzehnte lang mit Braunkohle zu versorgen 5. Die VAW nutzte die eigene Stromerzeugung in erster Linie dazu, um die teuren Fremdbezüge für die beiden Hütten in Lünen und Grevenbroich durch selbst erzeugten Strom zu ersetzen. Vor allem die Ablösung des äußerst ungünstigen Stromvertrages mit Steag und VEW für das Lippewerk führte zu einer spürbaren Kostenentlastung. Den Standort des Werkes im östlichen Teil des Ruhrgebietes hatte man in der Zeit des Dritten Reiches aus strategischen Gründen gewählt, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass in Lünen nur teurer Steinkohlestrom zur Verfügung stand. Die nach der Ablösung des Steag-Vertrags verbleibende Kraftwerksleistung von etwa 100 MW konnte für den Ausbau der Hüttenkapazitäten genutzt werden, den man seit Jahren angestrebt, aber nicht zuletzt wegen der mangelnden Verfügbarkeit von preisgünstiger Energie hatte zurückstellen müssen. Bei der Planung der neuen Kapazitäten entschied sich die VAW für eine zukunftsorientierte Lösung. Obwohl eine
329
Abb. 39: Erftwerkofen für 95.000 Ampere (1969)
Erweiterung der Hütte in Grevenbroich mit geringeren Investitionskosten möglich gewesen wäre, fiel die Entscheidung zugunsten eines Hüttenneubaus in der Gemeinde Norf bei Neuss. Neben logistischen Erwägungen war für die Wahl des Standorts Norf vor allem die Überlegung maßgebend, dass auf dem 260.000 qm großen unmittelbar am Rhein gelegenen Areal ein großzügigerer Ausbau der Hütte möglich sein würde als in der Beengtheit des Grevenbroicher Werksgeländes. Die Aluminiumhütte in Norf erhielt wegen ihrer Lage am Rhein den Namen „Rheinwerk“. Wenige Jahre später entstand am selben Standort das Großwalzwerk Norf, über das wir in einem früheren Kapitel berichtet haben. Das Rheinwerk bildete den Nukleus für die größte Werksanlage der europäischen Aluminiumindustrie, in der Hütte und Walzwerk in enger räumlicher und funktionaler Verbindung betrieben werden. In der ersten Ausbaustufe war das Rheinwerk für eine Kapazität von 40.000 Jato ausgelegt; gemessen an anderen Neubauten der damaligen Zeit eine eher bescheidene Größenordnung. Die nur in beschränktem Umfang zur Verfügung stehende kostengünstige Energie aus eigener Erzeugung und die unverändert angespannte Finanzlage der VAW erlaubten keinen „großen Wurf“. Es dauerte noch bis zum Ende der 60er Jahre, bevor die VAW die Erweiterungsmöglichkeiten in Norf nutzen und das Rheinwerk zu einer der größten europäischen Hütten ausbauen konnte. Auf Grund der im Erftwerk gewonnenen Erfahrungen mit dem neuen Ofentyp installierte die VAW auch im Rheinwerk Großöfen mit vorgebrannten und kontinuierlich arbeitenden Blockanoden, die für eine Belastung mit 100.000 Ampere ausgelegt waren. Durch ständige
330 Verbesserungen in der Ofenführung konnte die Stromstärke in den folgenden Jahren bis auf 120.000 Ampere erhöht werden, was zu einer Steigerung der Produktionskapazität auf 45.000 Jato führte. Da die Kapazität der Anodenfabrik im Erftwerk für die Versorgung des Rheinwerkes nicht ausreichte, wurde in Norf eine eigene Elektrodenfabrik errichtet, in der die bis zu anderthalb Tonnen schweren Blockanoden hergestellt wurden. Nach knapp zweijähriger Bauzeit nahm das Rheinwerk Ende 1962 den Betrieb auf. Mit dem ersten Hüttenneubau in der Bundesrepublik nach dem Krieg begann eine neue Ära in der Geschichte der deutschen Aluminiumindustrie 6. Auch die Alusuisse beteiligte sich in den Nachkriegsjahren im Rahmen ihrer Möglichkeiten an der Erweiterung der Hüttenkapazitäten in der Bundesrepublik. Die Hütte in Rheinfelden war in der Zeit des Dritten Reiches zu einer modernen Elektrolyseanlage ausgebaut worden. Mit einer Nennkapazität von 34.000 Jato war sie am Ende des Krieges die größte Aluminiumhütte des Alusuisse-Konzerns. Nach der Aufhebung des alliierten Produktionsverbots konnte der Betrieb im Frühjahr 1949 mit reduzierter Leistung wieder aufgenommen werden. In den beiden folgenden Jahrzehnten hat die Alusuisse ihre deutsche Hütte in mehreren Stufen modernisiert und ausgebaut. Die Söderberg-Öfen aus der Kriegszeit (die man zuletzt mit Stromstärken von 50.000 bis 60.000 Ampere belastet hatte) wurden durch moderne 100.000 AmpereÖfen vom Prebake-Typ ersetzt. Verbesserte Produktionsverfahren und eine fortschreitende Mechanisierung der Betriebsabläufe reduzierten die hohen Personalkosten und erleichterten die harte Arbeit des Bedienungspersonals 7. Die Installation von Dachsprühanlagen in den Elektrolysehallen verminderte die Umweltbelastung durch Ofengase, die in der dicht besiedelten Region zu einem Ärgernis geworden war 8. Die in den 60er Jahren eingerichtete und in den 70er Jahren verbesserte Dachwäsche genügte den damaligen gesetzlichen Bestimmungen gerade noch. Die verschärften Anforderungen an den Umweltschutz, die in den 80er Jahren eingeführt wurden, konnten damit nicht erfüllt werden. Ein weiterer großer Schritt zur Modernisierung der Hütte erfolgte anfangs der 70er Jahre mit der Stillegung der Elektrolyseanlagen in den Werken I und II und der Konzentration der Aluminiumproduktion im Werk III. Mit einer Kapazität von etwa 65.000 Jato war Rheinfelden zu diesem Zeitpunkt die zweitgrößte deutsche Aluminiumhütte nach dem Innwerk der VAW, das es auf eine Kapazität von 70.000 Jato brachte. Grenzen waren dem Ausbau von Rheinfelden durch die problematische Energieversorgung gezogen, die schon seit den 30er Jahren nur zu einem kleinen Teil durch das eigene Wasserkraftwerk sichergestellt war. Daran konnte auch die 1975 durchgeführte Modernisierung der Rheinzentrale mit dem Ergebnis einer 25 %igen Leistungssteigerung nichts ändern. Für den größten Teil des Strombedarfs war man auf Zulieferungen des Badenwerkes angewiesen, zum Teil wurde die Hütte auch durch Strombezüge aus der Schweiz versorgt. In den 60er Jahren verlor die Hütte in Rheinfelden zunehmend ihre frühere zentrale Bedeutung für den Alusuisse-Konzern, der im Zuge seiner weltweiten Expansion neue Hütten in Europa und in Übersee errichtete. Anfang der 60er Jahre hatte die Alusuisse als erster europä-
331 ischer Aluminiumkonzern nach dem Krieg den Sprung in die USA gewagt und in New Johnsonville/Tennessee ein großes Hüttenwerk errichtet, das von der Tennessee Valley Authority mit Hydrostrom versorgt wurde (Kapazität: 130.000 Jato). Weitere Hütten modernster Bauart entstanden in Italien, Island, Norwegen, in den Niederlanden und in der Schweiz. Mit Hüttenkapazitäten von weltweit rund 450.000 Jato lag die Alusuisse am Ende der 60er Jahre mit großem Abstand vor der VAW, die es 1969 auf eine Hüttenkapazität von 200.000 Jato brachte 9. Als einer der „Big Six“ der Aluminiumindustrie konnte der Konzern den Rückgang seines Produktionsanteiles in der Bundesrepublik auf weniger als ein Viertel am Ende der 60er Jahre leicht verschmerzen. Zu den Aluminiumproduzenten der Bundesrepublik gehörte im weiteren Sinne auch die Gebr. Guilini GmbH in Ludwigshafen. Nach der Aufhebung des alliierten Produktionsverbotes im Jahr 1949 stellte sich für Guilini erneut die Frage, wie der Absatz des Tonerdewerkes sichergestellt werden könne. Während des Krieges war die Kapazität der Anlage in Ludwigshafen auf Veranlassung der Reichstellen stark erweitert worden. Der größte Teil der Produktion ging an die VAW, mit der die Firma Guilini seit den 30er Jahren durch langfristige Liefer- und Umarbeitungsverträge verbunden war. Nach dem Krieg kündigte die VAW diese Verträge, da sie in ihren beiden Tonerdewerken in Lünen und Schwandorf über genügend Kapazität verfügte, um den Bedarf der verbliebene Hütten zu decken. Dadurch entfielen nicht nur die Oxidlieferungen von Guilini an VAW sondern auch die Aluminiumlieferungen von VAW an Guilini, die Teil der damaligen Vereinbarung zwischen den beiden Firmen waren. Mit Unterstützung der VAW erreichte Guilini beim Bundeswirtschaftsministerium, dass ihr zum Ausgleich für den Verlust des VAW-Vertrages ein so genannter aktiver Veredlungsverkehr mit der früheren VAW-Hütte in Ranshofen in Österreich genehmigt wurde, der den zollfreien Import eines Aluminiumkontingents aus Österreich im Austausch gegen Oxidlieferungen an Aluminium Ranshofen gestattete. Nachdem Guilini in Österreich bereits seit 1950 steigende Mengen an Aluminium gekauft hatte, die man vor allem auf dem deutschen Markt absetzte, kam 1953 ein langfristiger Umarbeitungsvertrag mit Ranshofen zustande. Etwa die Hälfte der in Ludwigshafen erzeugten Tonerde wurde nach Österreich transportiert und in Ranshofen zu Metall verarbeitet. Das Aluminium ging an Guilini zurück und wurde von Guilini durch eine eigene Verkaufsabteilung im Inland abgesetzt. So konnte wieder ein Stamm von Aluminiumkunden aufgebaut werden. Die als „Lex Guilini“ bekannt gewordene Sonderregelung galt bis Ende der 60er Jahre, als Guilini in Ludwigshafen seine eigene Hütte baute 10. 1969 verfügte die Bundesrepublik über Hüttenkapazitäten von ca. 260.000 Jato. In den zwei Jahrzehnten seit 1951 war die Kapazität ungefähr auf das Doppelte gestiegen. In demselben Zeitraum hatte der Inlandsverbrauch von Hüttenaluminium um das Achtfache zugenommen (von 81.500 Tonnen im Jahr 1951 auf 642.000 Tonnen im Jahr 1969). Seit Mitte der 50er Jahre war die Bundesrepublik daher in steigendem
332 Masse auf die Einfuhr von Hüttenaluminium aus dem Ausland angewiesen. VAW und Alusuisse mussten sich damit abfinden, dass ihre beherrschende Position auf dem deutschen Hüttenaluminiummarkt auf die Dauer nicht zu halten war. Besonders der VAW fiel es schwer, sich auf die veränderte Lage einzustellen. Die jahrzehntelange Abschottung des deutschen Marktes gegen die ausländische Konkurrenz durch internationale Kartellabsprachen und staatliche Schutzmaßnahmen prägte das Denken und Handeln der Verantwortlichen noch weit in die Nachkriegszeit hinein. Als größter deutscher Hersteller von Hüttenaluminium betrachtete es die VAW als ihre Verpflichtung, „den Bedarf der heimischen verarbeitenden Industrie auch in Zeiten schlechter Versorgungsmöglichkeiten weitgehend zu decken, wogegen sie in Zeiten des Überangebots eine angemessene Berücksichtigung seitens ihrer Abnehmer erwartete – eine Hoffnung, die allerdings oft enttäuscht wurde“ (VAW-Geschichte VIII, Seite 46). Seit der Mitte der 50er Jahre sah sich die VAW immer wieder zur Aufrechterhaltung ihrer Lieferbereitschaft gezwungen, im Ausland Metall einzukaufen, um ihre Abnehmer auch in Zeiten knapper Versorgung beliefern zu können. Dabei wurden gelegentlich auch Verluste in Kauf genommen, da die Preise für das im Ausland bezogene Aluminium zum Teil über dem Inlandspreis lagen, den die VAW ihren Kunden berechnete 11. Immerhin gelang es der VAW auf diese Weise, ihre inländischen Kunden an sich zu binden und jedenfalls für den Augenblick zu verhindern, dass diese in größerem Umfange Lieferverträge mit Lieferanten im Ausland abschlossen. Ende der 60er Jahre erreichte die zugekaufte Menge etwa ein Drittel der eigenen Erzeugung. Tabelle 21: Entwicklung der Hüttenkapazitäten in der Bundesrepublik 1949–1969 12 1.000 t Töging Lünen Grevenbroich Norf VAW-Hütten Rheinfelden BRD-Hütten
1949
1954
1959
1964
1969
45 33 – –
45 33 15 –
53 40 30 –
59 44 35 44
69 46 37 46
78
93
123
182
198
34
45
50
54
65
112
138
173
236
263
14.2 Die Umschmelzwerke und ihr Beitrag zur Aluminiumversorgung Mit dem systematischen Sammeln von Aluminiumabfällen hatte man in Deutschland schon während des Ersten Weltkrieges begonnen, nachdem das für die Kriegswirtschaft wichtige Aluminium zum knappen Gut geworden war. Damals entstanden auch die ersten Umschmelzwerke, zumeist in Verbindung mit Aluminiumgießereien, in
333 denen das Umschmelzaluminium zu Gussstücken verarbeitet wurde. Zu den Pionieren der Sekundäraluminiumindustrie in Deutschland zählen Karl Schmidt und Fritz Honsel, über deren Schmelzwerke in Neckarsulm und Meschede wir in einem früheren Kapitel berichtet haben. In der Zwischenkriegszeit entwickelte sich die Schrottverarbeitung allmählich zu einem eigenen Wirtschaftszweig, der einen ständig wachsenden Beitrag zur Aluminiumversorgung der deutschen Wirtschaft leistete. Einen enormen Aufschwung erlebten die Umschmelzwerke während des Zweiten Weltkriegs, als Aluminiumschrotte zu einem unverzichtbaren Rohstoff für die deutsche Rüstungswirtschaft wurden. Am Ende des Krieges standen im Deutschen Reich Umschmelzkapazitäten von 150.000 bis 170.000 Jato zur Verfügung, von denen ein großer Teil in dem Gebiet der späteren DDR lag. Von geradezu existentieller Bedeutung war die Schrottwirtschaft in den ersten Nachkriegsjahren, als eine ausreichende Versorgung mit Hüttenaluminium wegen des alliierten Produktionsverbots nicht mehr gewährleistet war. Noch im Jahr 1951, nachdem die Hüttenproduktion in der Bundesrepublik bereits wieder angelaufen war, lag der Anteil des Umschmelzaluminiums an der Aluminiumversorgung bei fast 45 Prozent. Auch nach der Rückkehr zu normalen Verhältnissen blieben Aluminiumschrotte eine wichtige Rohstoffquelle für die deutsche Aluminiumwirtschaft. Seit den 60er Jahren ist das Umschmelzaluminium am Rohaluminiumaufkommen der Bundesrepublik mit einer Quote von 30 bis 35 Prozent beteiligt. Für die westliche Welt insgesamt lag der Anteil des Sekundäraluminiums bis in die 60er Jahre bei etwa zwanzig Prozent 13. In den folgenden Jahrzehnten kam es zu einer allmählichen Angleichung der Verhältnisse in den wichtigsten westlichen Industrieländern, wobei die hohe Recyclingrate der Aluminiumgetränkedose in den USA und anderen Ländern eine wichtige Rolle spielte. Bis zum Ende der 80er Jahre pendelte sich der Sekundäranteil weltweit auf ein Niveau von knapp 30 Prozent ein. Wie die Gegenüberstellung in Tabelle 17 zeigt, nahmen die Erzeugung von Primärund Sekundäraluminium in der Bundesrepublik nach dem Krieg einen sehr unterschiedlichen Verlauf. Die Sekundärindustrie konnte die Chancen des Nachkriegsbooms besser nutzen und ihre Kapazitäten schneller ausbauen als die Hüttenindustrie, deren Expansion vor allem durch den Mangel an billiger Energie behindert war. Der Anteil der Sekundärerzeugung an der inländischen Rohaluminiumproduktion ist daher in dieser Periode kontinuierlich gestiegen. Am Ende der 60er Jahre wurde in der Bundesrepublik vorübergehend sogar mehr Umschmelzaluminium erzeugt als Hüttenaluminium. Erst nach der Inbetriebnahme der neuen Aluminiumhütten anfangs der 70er Jahre kehrte sich der Trend wieder um. In der internationalen Rangordnung nahmen die deutschen Schmelzhütten den dritten Platz hinter ihren Konkurrenten in Japan und den USA ein. In Europa folgten mit deutlichem Abstand Italien, Frankreich und Großbritannien auf den weiteren Plätzen14. Trotz der im internationalen Vergleich hohen Recyclingquote in der Bundesrepublik reichte der inländische Schrottanfall nicht aus, um den Rohstoffbedarf der deutschen Umschmelzhütten zu decken. Daher mussten immer größere Mengen an Fabrikationsabfällen und Altschrott in die
334 Bundesrepublik eingeführt werden. Die Nettoschrottimporte erreichten am Ende der 70er Jahre ein Volumen von mehr als 150.000 Tonnen15. Aluminiumschrotte können mit relativ geringen Kosten eingeschmolzen und wieder verwertet werden. Für das Einschmelzen benötigt man nur fünf Prozent der Energiemenge, die für die Herstellung von Hüttenaluminium im Schmelzflussverfahren erforderlich ist. Die Aluminiumunternehmen haben sich die Wiederverwertbarkeit der Schrotte und Abfälle schon seit den Anfangszeiten der Industrie zunutze gemacht. Die bei der Verarbeitung des Aluminiums in den Halbzeugwerken und Gießereien anfallende Fabrikationsabfälle werden zum größten Teil in den Werken selbst wieder verwertet. Es handelt sich dabei um beträchtliche Mengen. Bei der Herstellung von Blechen im Walzwerk muss je nach Produkt mit 20 bis 40 Prozent Fabrikationsabfällen gerechnet werden, die in Form von Verschnittmaterial oder als Ausschuss anfallen und an den einzelnen Maschinen nach Legierungen getrennt erfasst werden. Diese Fabrikationsschrotte erscheinen in keiner Statistik, da sie die Fabrik nicht verlassen sondern in der werkseigenen Gießerei wieder eingeschmolzen und zum gleichen Ausgangsmaterial verarbeitet werden. Man spricht daher auch von „Kreislaufschrott“. An die Umschmelzwerke gelangen nur solche Schrotte, die sich für eine Wiederaufbereitung in der eigenen Gießerei nicht eignen, wie zum Beispiel die in den Gießereien der Halbzeugwerke anfallende Krätze, sowie Späne und andere verunreinigte Abfälle. Auch bei der Herstellung der Endprodukte durch die Weiterverarbeiter fallen große Mengen an Fabrikationsabfällen an: Späne beim Fräsen, Bohren, Drehen und Schleifen, Blechschrotte beim Stanzen und Schneiden. Der größte Teil der industriellen Prozessschrotte (die man auch als Neuschrotte bezeichnet) wird durch die Sekundärindustrie aufbereitet. Eine ausschließliche Domäne der Schmelzhütten ist die Verarbeitung von so genannten Altschrotten. Dabei handelt es sich um Aluminiumabfälle, die bei der Verschrottung von Produkten anfallen, die ganz oder teilweise aus Aluminium bestehen. Ein flächendeckendes Netz von Metallhändlern trägt die Aluminiumschrotte zusammen, sortiert, presst und klassifiziert die Schrotte zum Verkauf an die Sekundärindustrie. Eine der wichtigsten Quellen für Altschrott ist das Automobil, das im Durchschnitt etwa 150 Kilogramm Aluminium enthält, das bei der Verschrottung fast vollständig zurückgewonnen wird. Mit der zunehmenden Verwendung von Aluminium in allen Bereichen des täglichen Lebens steigt natürlich auch das Aufkommen an Altschrotten. Die Lebensdauer der Produkte entscheidet, wann das in ihnen enthaltene Aluminium als Schrott anfällt und damit in den Kreislauf zurückgelangt. Schließlich kommt auch die Sekundärindustrie nicht ganz ohne Hüttenaluminium aus. Bei der Erzeugung von Umschmelzaluminium werden beträchtliche Mengen an jungfräulichem Aluminium als Legierungsmaterial und als „sweetener“ für die Auffrischung der Schmelze benötigt. Für die Produktion von Sekundäraluminium werden bis heute ganz überwiegend Drehtrommelöfen verwendet, in denen die Schrotte unter einer flüssigen Salzschicht eingeschmolzen werden 16. Das Salzbad hat die Aufgabe, die Verunreinigungen aus dem
335 Tabelle 22: Umschmelzwerke in der Bundesrepublik Ende der 60er Jahre Quelle: Salmuth, Aluminiumindustrie 1969 Kapazität in Tonnen Metallwerk Olsberg (Essen) Erftwerk der VAW (Grevenbroich) Metallhüttenwerk Bruch (Dortmund) Metallwerke Bender (Krefeld) Karl Oetinger (Weißenborn) W. Seibel (Mettmann) Metallwarenfabrik Stockach Kolbenschmidt (Neckarsulm) Karl Konzelmann (Neu-Ulm) Karl Schmidt (Stuttgart) Wuppermetall (Wuppertal-Barmen) Alunova (Säckingen) Ernst Biskupek (Hannover) Metallwerke Jacobs (Gelsenkirchen) Metallwerke Sommer (Fürstenfeldbruck) Übrige Gesamtkapazität
33.000 30.000 30.000 28.800 25.000 20.000 20.000 18.000 18.000 18.000 15.000 12.000 10.000 10.000 9.600 19.000 316.400
Schmelzgut aufzunehmen. Durch die ständige Bewegung im Drehtrommelofen entsteht ein inniger Kontakt zwischen dem Aluminiumschrott und der Salzschmelze, wodurch eine wirkungsvolle Raffination erzielt wird. Die Salzdecke schützt das flüssige Aluminium auch vor dem Kontakt mit der Ofenatmosphäre und verhindert so Schmelzverluste durch Oxidbildung. Zu einem Problem für die Industrie wurde die Entsorgung der Salzschlacke, die bei diesem Verfahren als Reststoff zurückbleibt. Da das Salz nur eine beschränkte Aufnahmefähigkeit für Verunreinigungen besitzt, werden große Mengen an Salz benötigt. Je Tonne erzeugtem Sekundäraluminium entstehen ungefähr 400 Kilo Salzschlacke. Bei einem mittleren Schmelzbetrieb mit einer Jahresproduktion von 30.000 Tonnen fallen demnach etwa 12.000 Tonnen Salzschlacke pro Jahr an. In der Bundesrepublik waren es Ende der 80er Jahre insgesamt 250.000 Tonnen, in ganz Europa rund 700.000 Tonnen. Früher wurden diese Schlacken in Deponien entsorgt. In den 80er Jahren wuchs der Druck auf die Industrie, eine umweltverträgliche Lösung für das Salzschlackeproblem zu finden. Es entstanden große Entsorgungsbetriebe, in denen die Salzschlacke nach dem so genannten LöseKristallisations-Verfahren aufbereitet wird. Mit Hilfe dieses Verfahrens können das Salz und die in der Schlacke enthaltenen Restmengen an Aluminium (etwa sechs Prozent) zurück gewonnen werden. Die erste Großanlage dieser Art wurde Mitte der 80er Jahre in Lünen, am Standort der wenige Jahre zuvor geschlossenen Aluminiumhütte errichtetet. Betreiberin der für eine Anfangskapazität von 60.000 Jato ausgelegten Anlage war die Berzelius Umwelt-Service GmbH (BUS), eine Tochtergesellschaft der
336
Abb. 40: Umschmelzwerk Ende der 80er Jahre
Metallgesellschaft. Die VAW war als Minderheitsgesellschafter mit einer Quote von vierzig Prozent beteiligt. Weitere Anlagen entstanden in Dortmund und Stockach17. Wie der Überblick über die deutsche Schmelzwerksindustrie am Ende der 60er Jahre in Tabelle 22 zeigt, handelte es sich bei der Mehrzahl der Schmelzer um mittelständische Betriebe, die unter der Leitung eines Eigentümer-Unternehmers standen. Offenbar sind Familienbetriebe besser in der Lage, flexibel auf die für das Schrottgeschäft typischen häufigen Veränderungen des Marktes zu reagieren. Konzernbetriebe waren damals nur das Umschmelzwerk der VAW in Grevenbroich und die Betriebe der Kolbenschmidt Karl Schmidt GmbH in Neckarsulm und der Wuppermetall GmbH in Wuppertal-Barmen (die bis in die späten 70er Jahre der Quandt-Gruppe gehörte). Das größte Unternehmen der Branche, die Metallwerke Olsberg GmbH in Essen, wurde Ende der 60er Jahre von der Metallgesellschaft und der Schweizer Firma Refonda (Alusuisse) erworben, die sich je zur Hälfte an der Gesellschaft beteiligten. Seibel (Mettmann) und Biskupek (Hannover) schieden in den 80er Jahren nach finanziellen Problemen aus dem Markt aus. Bei der überwiegend mittelständischen Struktur der Umschmelzindustrie blieb es auch in den folgenden Jahrzehnten. Die Konzerne überließen es gerne den kleineren Unternehmen, sich mit den immer schwieriger werdenden Problemen der Abfallbeseitigung und der Schadstoffemmissionen herumzuschlagen. Das Geschäft
337 mit dem Umschmelzaluminium galt als „dreckig“ und weniger „fein“ als die Primärerzeugung. Seit den 80er Jahren ist auch in der Schmelzwerksindustrie ein Trend zur Bildung größerer Einheiten festzustellen. Am weitesten fortgegeschritten ist die Konzentration in der Bundesrepublik. Hier waren es am Ende der 80er Jahre nur noch zwölf Unternehmen, die in 22 Schmelzbetrieben Gusslegierungen herstellten. Dieselbe Entwicklung ist auch in Frankreich und Großbritannien zu erkennen. Dem Schrumpfungsprozess fielen vor allem die kleineren Betriebe zum Opfer, die nicht in der Lage waren, die notwendigen Investitionen auf dem Umweltsektor zu finanzieren. Die den Umschmelzwerken zur Verfügung stehenden Schrotte bestehen zum größten Teil aus höchst unterschiedlichen Legierungen und sind häufig stark verunreinigt. Für die Herstellung von Knetlegierungen kommen derartige Schrotte nicht in Betracht. Bis in die 80er Jahre stellten die Umschmelzer daher fast ausschließlich Gusslegierungen her, die an die Aluminiumgießereien geliefert und von diesen zu Gussstücken verarbeitet wurden. Ein kleiner Teil der Produktion wurde auch als Desoxidations-Aluminium an die Stahlindustrie geliefert. Die Situation änderte sich mit dem Aufkommen der Getränkedose aus Aluminium. Mit dem Aluminiumschrott aus gebrauchten Getränkedosen („Used Beverage Cans = UBC’s“) standen der Sekundäraluminiumindustrie zum ersten Mal große Mengen an Schrotten zur Verfügung, die sich auch für die Herstellung von Knetlegierungen eigneten. Es handelt sich um ein und dieselbe Legierung, deren chemische Zusammensetzung durch Analysen streng kontrolliert und soweit erforderlich durch Zugabe von Legierungsstoffen korrigiert werden kann. Die aus UBC-Schrotten hergestellten Walzbarren sind Formaten aus Primäraluminium ebenbürtig und können in den Walzwerken wieder zu Dosenblechen verarbeitet werden. In einem geschlossenen Materialkreislauf werden die gebrauchten Aluminiumdosen zu neuen Dosen verarbeitet. Das bis dahin geltende Prinzip, wonach Altschrotte nur für die Herstellung von Gusslegierungen in Betracht kommen, wurde damit zum ersten Mal in großem Stil durchbrochen. Die von den USA ausgehende Entwicklung führte zu einer Veränderung im Selbstverständnis der Sekundärindustrie und machte die bisherige Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundäraluminiumproduktion zunehmend gegenstandslos. Der Erfolg der amerikanischen Schmelzwerke, die sich auf die Verarbeitung von UBC-Schrotten spezialisierten, gab den Anstoß dafür, dass sich auch andere Umschmelzer verstärkt der Herstellung von Knetlegierungen zuwandten, die bisher die ausschließliche Domäne der Primärindustrie gewesen war. Als Eingangsstoffe dienten ihnen vor allem die UBC-Schrotte, die seit den 90er Jahren im internationalen Schrotthandel in ständig wachsenden Mengen angeboten wurden. Aber auch andere Schrotte, die von der Analyse her saubere Knetlegierungen darstellten, wegen unerwünschter Anhaftungen wie Lacke und Ausschäumungen aber bisher tabu gewesen waren, wurden zunehmend zu Pressbolzen und Walzbarren verarbeitet. So entwickelte sich ein neuer Zweig der Sekundärindustrie, den man zur Abgrenzung von den klassischen Umschmelzwerken als Remelter-Industrie bezeichnet.
338
14.3 Importe schließen die Deckungslücke Tabelle 23 zeigt die Entwicklung der Aluminiumimporte in der Zeit von 1954 bis 1984. Die Gegenüberstellung von Einfuhren und inländischer Produktion macht die enorme Bedeutung des importierten Aluminiums für die Versorgung des deutschen Marktes deutlich. Da sich die Schere zwischen Hüttenproduktion und Aluminiumbedarf immer weiter öffnete, mussten ständig wachsende Mengen an Hüttenaluminium in die Bundesrepublik eingeführt werden. Zu einem geradezu dramatischen Anstieg der Importe kam es in den Jahren 1959/1960 und erneut gegen Ende der 60er Jahre. Die Erweiterung der deutschen Hüttenkapazitäten in den 70er Jahre führte dazu, dass der Anteil der Importe vorübergehend unter zwanzig Prozent zurückfiel. Auf die Dauer konnte dies aber nichts daran ändern, dass die Bundesrepublik zu einem Einfuhrland für Aluminium geworden war. Schon in der zweiten Hälfte der 70er Jahre stieg die Importquote wieder an. Seit dem Ende der 80er Jahre übertrafen die Aluminiumimporte erneut die inländische Hüttenproduktion, die heute nur noch etwa ein Viertel des deutschen Aluminiumbedarfs deckt. Die Einfuhr von Hüttenaluminium und Aluminiumschrott wurde durch die liberale Außenhandels- und Zollpolitik der Bundesrepublik erleichtert. Angesichts der strukturellen Importabhängigkeit der deutschen Aluminiumwirtschaft gab es zu dieser Politik keine Alternative. Der Außenhandel mit Aluminium und Aluminiumprodukten wie auch die Ein- und Ausfuhr von Aluminiumschrott wurde schon anfangs der 50er Jahre freigegeben. Ausgenommen blieb lediglich der Handelsverkehr mit den Staatshandelsstaaten des Ostblocks einschließlich der DDR, der durch Handelsverträge mit den einzelnen Ländern auf bilateraler Basis geregelt war. Der Zolltarif für Rohaluminium (Hüttenaluminium und Umschmelzaluminium) wurde 1952 auf zwölf Prozent festgesetzt. Für Aluminiumhalbzeug galt ein Satz von achtzehn Prozent, die Einfuhr von Aluminiumschrott war frei. Tabelle 23: Einfuhr von Hüttenaluminium in die Bundesrepublik 1954–1984 (MG-Statistik) 1.000 t
1954
1959
1964
1969
1974
1979
1984
129 6
151 74
220 153
263 387
689 114
742 270
777 415
Gesamtaufkommen
135
225
373
650
803
1.012
1.192
Importquote
4%
33 %
41 %
60 %
14 %
27 %
35 %
Inlandsproduktion Nettoeinfuhr
Der Verabschiedung der neuen Zolltarife war eine heftige Kontroverse zwischen den deutschen Aluminiumverarbeitern und der von der Alusuisse unterstützten VAW vorausgegangen18. Die beiden deutschen Hüttenproduzenten hatten unter Berufung auf die hohen Stromkosten ihrer Hütten einen Zolltarif von mindestens zwanzig Prozent gefordert und darauf hingewiesen, dass in anderen europäischen Erzeugerländern noch höhere Tarife gälten. Dem hatten die Aluminiumverarbeiter entgegengehalten,
339 dass eine kostengünstige Metallversorgung für die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Export orientierten Betriebe unerlässlich sei. Auch sei schon jetzt abzusehen, dass die deutschen Hütten den weiter wachsenden Bedarf an Hüttenaluminium bald nicht mehr decken könnten. Die Einfuhr von Rohaluminium müsse daher zumindest in dem Umfange zollfrei möglich sein, in dem der Bedarf die inländische Produktion übersteige. Vereinzelt wurde auch die vollständige Befreiung der Aluminiumeinfuhren von Zollabgaben gefordert. Die schließlich vom Bundestag verabschiedete Regelung war ein Kompromiss, der keine der beiden Seiten befriedigte. Noch Jahre nach der Einführung des neuen Tarifs beklagten Vertreter der beiden deutschen Produzenten, dass der Zolltarif keinen ausreichenden Schutz gegen Importe von billigem Metall aus Ländern mit wesentlich niedrigeren Selbstkosten biete. Die Bundesregierung hat sich indes von diesen Argumenten nicht beeindrucken lassen. Ungeachtet aller Proteste wurde der Zollsatz für Rohaluminium weiter herabgesetzt. Ab 1957 wurde die Einfuhr von Rohaluminium nur noch mit einem Zoll von sieben Prozent belegt. Auch international war der Trend zum weiteren Abbau der Aluminiumzölle nicht aufzuhalten. Nach der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) im Jahr 1957 beschlossen die sechs Signatarländer Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande den schrittweisen Abbau aller Binnenzölle und die Einführung gemeinsamer Außenzölle gegenüber Drittländern. In den folgenden Jahren wurden die Regelungen der EWG auf weitere europäische Länder ausgedehnt, die der EWG erst später beitraten. Das galt vor allem für Großbritannien, das im Jahr 1960 mit einigen anderen europäischen Ländern die European Free Trade Association (EFTA) gegründet hatte, sich aber Anfang der 70er Jahre zum Beitritt zur EWG entschloss. Der Abbau der Binnenzölle für Aluminium und Aluminiumprodukte im Kerngebiet der EWG war am 1. Juli 1968 abgeschlossen. Seit diesem Zeitpunkt waren Lieferungen der Aluminiumindustrie innerhalb der EWG von Zollabgaben befreit. Schwierige Verhandlungen waren erforderlich, bevor sich die Gründerstaaten auf einen gemeinsamen Außentarif für Rohaluminium (10 Prozent) und für Aluminiumfabrikate (15 Prozent) einigen konnten. Die Bundesrepublik hatte vor allem bei Rohaluminium für einen niedrigeren Außentarif plädiert, sich aber gegen Frankreich und Italien nicht durchsetzen können. Die Außenzölle mussten nach Ablauf einer Übergangszeit von allen Mitgliedsstaaten einheitlich gegenüber Drittstaaten angewendet werden. Für die Bundesrepublik bedeutete dies, dass sie den erst 1957 eingeführten ermäßigten Zollsatz für Rohaluminium auf das Niveau des gemeinsamen Außentarifs anheben musste. Der Satz von zehn Prozent galt bis zum Jahr 1967, als die EWG im Rahmen der Kennedy-Runde des GATT einer Herabsetzung des Außentarifs auf neun Prozent zustimmte19. Die deutsche Delegation hatte auch in diesen Verhandlungen eine noch weitergehende Reduzierung des Tarifs gefordert, war damit aber vor allem bei den Franzosen auf wenig Gegenliebe gestoßen. Im Zusammenhang mit dem Beitritt Großbritanniens zur EWG kam es einige Jahre später doch noch zu der angestrebten Herabsetzung des Außen-
340 zolls auf sieben Prozent. Der gemeinschaftliche Außentarif galt von vornherein nur mit zahlreichen Ausnahmen und Einschränkungen. Auf Betreiben der Bundesregierung wurde in der EWG anfangs der 60er Jahre ein zollbegünstigtes Kontingent für Aluminiumimporte aus Drittländern eingeführt, für das ein ermäßigter Zollsatz von fünf Prozent galt. Bei den Verhandlungen im Rahmen der Kennedy-Runde einigten sich die EWG-Mitglieder auf ein Gemeinschaftskontingent von jährlich maximal 130.000 Tonnen. Um dem wachsenden Versorgungsdefizit der EWG bei Hüttenaluminium Rechnung zu tragen, wurde das Kontingent 1969 auf 207.000 Tonnen und 1970 noch einmal auf 390.000 Tonnen erhöht. Das Gemeinschaftskontingent wurde von der Europäischen Kommission auf Antrag der Mitgliedsländer unter den interessierten Ländern aufgeteilt. Größter Abnehmer war die Bundesrepublik, der schon in den frühen 60er Jahren jährliche Kontingente von 80.000 bis 100.000 Tonnen zugewiesen wurden. Völlig von Zollabgaben befreit waren Aluminiumimporte aus den ehemaligen Kolonien in Afrika und der Karibik, mit denen die EWG Assoziierungsabkommen schloss 20. Auch zwischen der EWG und den Mitgliedern der EFTA (der außer Großbritannien auch Norwegen, Schweden, Dänemark, Österreich, Portugal und die Schweiz angehörten) wurde der Abbau von Zöllen für Hüttenaluminium vereinbart 21. Die nordamerikanischen Produzenten nutzten die Sonderregelungen zugunsten der assoziierten Länder und die Vereinbarungen mit den EFTA-Ländern, um den EWG-Außenzoll zu unterlaufen, der ja in erster Linie gegen sie gerichtet war. Alcoa nahm 1965 eine Aluminiumhütte in der ehemaligen niederländischen Kolonie Surinam in Zentralamerika in Betrieb, deren Produktion zollfrei in die EWG eingeführt werden konnte. Auch Kaiser und Reynolds konnten die Produktion ihrer 1967 in Ghana (der ehemaligen englischen Kolonie Gold Coast) errichteten Aluminiumhütte zollfrei in die EWG einführen. Alcan beteiligte sich 1966 an dem norwegischen Hüttenproduzenten Ardal og Sunndal Verk und kam dadurch in den Genuss der zwischen Norwegen und der EWG vereinbarten Regelungen. So genannte „Swaps“ waren eine weitere Möglichkeit, den EWG-Außenzoll zu umgehen 22. Eine bedeutende Rolle spielte schließlich auch die zollfreie Aluminiumeinfuhr im Rahmen von Veredlungsverkehren, von denen die exportorientierte deutsche Aluminiumindustrie besonders profitierte. Aufgrund der genannten Regelungen konnten 1966 etwa vierzig Prozent aller vom Ausland gekauften Mengen zollfrei in die Bundesrepublik eingeführt werden 23. Erinnern wir uns: Westeuropa war seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zur Deckung seines Aluminiumbedarfes auf Einfuhren aus Übersee angewiesen. Fast ein Viertel des Bedarfs wurde durch Importe gedeckt 24. Bis zur Mitte der 60er Jahre war Kanada die wichtigste Lieferquelle. Hüttenaluminium aus den kanadischen Produktionsstätten des Alcan-Konzerns diente nicht nur der Versorgung der Konzernbetriebe in England, Deutschland und anderen europäischen Ländern, sondern wurde in ständig wachsenden Mengen auch auf dem freien Metallmarkt an unabhängige Verarbeiter abgesetzt. Neben Großbritannien war Deutschland für Alcan der wichtigste
341 Absatzmarkt in Europa. In der Fünfjahresperiode von 1956 bis 1960 machten die Einfuhren aus Kanada ein Drittel der gesamten Hüttenaluminiumimporte in die Bundesrepublik aus. Kanada war damals vor den USA (20 Prozent) und Norwegen (16 Prozent) der wichtigste Aluminiumlieferant der Bundesrepublik. Beim Aufbau des Vertriebs nahmen die Kanadier die Dienste der Metallgesellschaft in Anspruch, mit der im Jahr 1958 ein „Agency Agreement“ für den Verkauf von Hüttenaluminium in Deutschland und den übrigen EWG-Ländern geschlossen wurde 25. Kanada gehörte auch in der ersten Hälfte der 60er Jahre noch zu den führenden Lieferländern, wenngleich es inzwischen den Spitzenplatz an Norwegen abgegeben hatte. Dann aber kam es zu einer einschneidenden Verlagerung der Einfuhrströme: Seit 1967 erscheint Kanada nicht mehr in der Einfuhrstatistik der Bundesrepublik. Gleichzeitig ist eine starke Zunahme der Importe aus Norwegen festzustellen, das seinen Anteil an den deutschen Einfuhren auf über ein Drittel ausweitete. Den Grund für diese Veränderung haben wir bereits erwähnt: Alcan erwarb 1966 eine 50 %ige Beteiligung an der norwegischen Hüttengesellschaft Ardal og Sunndal Verk. Seitdem ersetzte norwegisches Metall die Lieferungen aus den kanadischen Hüttenwerken des Konzerns. Seit den späten 50er Jahren gehörten auch die USA zu den wichtigsten Lieferländern der Bundesrepublik. Das Ende des Koreakrieges und die Einstellung der Stockpile-Käufe durch die amerikanische Regierung hatten Überkapazitäten auf dem amerikanischen Binnenmarkt zur Folge. Als die Vereinigten Staaten 1958 ihre erste schwere Nachkriegsrezession erlebten, kam die erfolgsgewohnte amerikanische Aluminiumindustrie erstmals in ernsthafte Schwierigkeiten. Die US-Konzerne Alcoa, Reynolds und Kaiser, die sich bisher auf dem internationalen Markt zurückgehalten hatten, entdeckten nun die Auslandsmärkte und suchten ihr Heil in einer Exportoffensive. Verkäufer der drei Gesellschaften schwärmten in Europa und Asien aus und errichteten Verkaufsbüros in allen wichtigen Absatzmärkten. Eines der bevorzugten Ziele dieser Kampagne war die Bundesrepublik, deren aufnahmefähiger Markt eine „magische Anziehungskraft“ auf die Amerikaner auszuüben schien 26. Die amerikanische Exportkampagne erreichte ihren Höhepunkt im Jahr 1960. In Deutschland wurden in diesem Jahr 68.000 Tonnen Hüttenaluminium amerikanischer Provenienz abgesetzt. Dazu kamen weitere 69.000 Tonnen aus den kanadischen Hüttenbetrieben der Alcan, die sich von den US-Konzernen auf ihren traditionellen Exportmärkten herausgefordert fühlte und mit verstärkten Verkaufsanstrengungen auf die amerikanische Verkaufsoffensive antwortete. Mit 181.000 Tonnen erreichten die Aluminiumimporte in die Bundesrepublik 1960 das Doppelte des Vorjahresvolumens und übertrafen zum ersten Mal in der Nachkriegszeit die inländische Hüttenproduktion. Durch die Überflutung des deutschen Marktes mit Importmetall aus den USA und Kanada entstand für die deutschen Hüttenproduzenten eine äußerst prekäre Situation. Um dem Einbruch ihres inländischen Absatzes Rechnung zu tragen, sah sich die VAW gezwungen, ihre Hüttenproduktion durch die Abschaltung einer Ofenlinie in Lünen und den Verzicht auf den Zukauf von Winterstrom für Töging zu drosseln. Trotz dieser
342 Maßnahmen konnte ein starker Anstieg der Lagerbestände nicht vermieden werden. Auch das inländische Preisniveau geriet unter massiven Druck. Die Amerikaner praktizierten in der Bundesrepublik Kampfpreise, die nach Ansicht der deutschen Produzenten deutlich unter den effektiven Inlandspreisen in den USA lagen. Nachdem alle Appelle an die amerikanische Konkurrenz, „zu einem fairen Wettbewerb“ zurückzukehren, ohne greifbares Ergebnis geblieben waren, beantragte die VAW 1961 beim Bundeswirtschaftsministerium die Einleitung eines Anti-Dumping-Verfahrens, das sich gegen die USamerikanischen Konzerne und ein spanisches Unternehmen richtete, dem gleichfalls unerlaubtes Dumping vorgeworfen wurde. VAW zog den Antrag 1962 zurück, nachdem sich der Markt entspannt und der Importdruck merklich nachgelassen hatte 27. Seit Mitte der 60er Jahre ist Norwegen der wichtigste Aluminiumlieferant der Bundesrepublik. Von den 433.000 Tonnen Hüttenaluminium, die im Jahr 1970 nach Deutschland importiert wurden, kamen 150.000 Tonnen aus norwegischen Hütten. Den damit erreichten Marktanteil von fast einem Drittel hat die norwegische Aluminiumindustrie in den 70er und 80er Jahren weiter ausgebaut. Sie wurde zum wichtigsten Konkurrenten von VAW und Alusuisse auf dem freien deutschen Aluminiummarkt. Das aus Norwegen importierte Metall ging vorzugsweise an die unabhängigen Halbzeugwerke, die sich allmählich aus ihrer bisherigen Abhängigkeit von den beiden deutschen Produzenten lösten und immer mehr die Vorteile des internationalen Wettbewerbs zu nutzen verstanden. In den 60er Jahren bildete sich ein fester Kundenstamm von deutschen Aluminiumverarbeitern, zu denen namhafte Unternehmen wie Hueck und Erbslöh gehörten, die ihren Bedarf zum größten Teil aus Norwegen deckten (man sprach damals vom „Norwegerkränzchen“). Norwegen hatte seine Hüttenindustrie seit den späten 50er Jahren systematisch für den Export in die europäischen Nachbarländer (vor allem Großbritannien und Deutschland) ausgebaut. In die Bundesrepublik konnte norwegisches Aluminium im Rahmen des jeweiligen Einfuhrkontingents bis 1961 zollfrei und danach zum EWG-Vorzugssatz von fünf Prozent eingeführt werden. Einfuhren in Großbritannien unterlagen keinem Zoll. Eine neue Situation ergab sich im September 1972, als die norwegische Bevölkerung den von der Regierung angestrebten Beitritt des Landes zur EWG in einem Referendum ablehnte. Bei den anschließenden Verhandlungen über einen Freihandelsvertrag konnte über die für beide Seiten wichtige Frage der norwegischen Aluminiumexporte in die EWG erst nach schwierigen Verhandlungen Einvernehmen hergestellt werden. In dem Vertrag räumte die EWG den Norwegern Einfuhrkontingente für Hüttenaluminium (190.000 Tonnen) und Aluminiumhalbzeug (30.000 Tonnen) ein, für die ein ermäßigter Zolltarif galt. Der Zoll auf Hüttenaluminium von ursprünglich 6,6 Prozent sollte in jährlichen Schritten weiter reduziert werden und ab 1980 ganz entfallen. Weitergehende Konzessionen waren am Widerstand Frankreichs gescheitert. Norwegen war mit dem Ergebnis der Verhandlungen nicht zufrieden und fühlte sich gegenüber anderen Handelspartnern der EWG benachteiligt. Wie die weitere Entwicklung zeigt, hat die damals vereinbarte Regelung die von Norwegen gewünschte Ausweitung
343 der Aluminiumexporte in die EWG-Länder kaum beeinträchtigt 28. Spannungen zwischen der EWG und Norwegen entstanden erneut während der Aluminiumkrise von 1982, als die Kommission ein Anti-Dumping-Verfahren gegen die norwegische Aluminiumindustrie einleitete. Besondere Erwähnung verdienen die Aluminiumeinfuhren aus den Ostblockstaaten. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Einfuhr von Hüttenaluminium und Aluminiumfabrikaten aus den so genannten Staatshandelsländern genehmigungspflichtig war. Die Genehmigungspraxis wurde durch das Bundeswirtschaftsministerium äußerst restriktiv gehandhabt. In den 50er Jahren und in der ersten Hälfte der 60er Jahre wurden nur verschwindend geringe Mengen an Rohaluminium aus den Ostblockstaaten nach Deutschland eingeführt. Es handelte sich um sporadische Lieferungen aus der UDSSR und aus der Tschechoslowakei und aus Ungarn. Erst in der zweiten Hälfte der 60er Jahre drängten die Ostblockstaaten verstärkt auf den deutschen und den europäischen Markt. Namentlich die UDSSR mit ihren riesigen Hüttenkapazitäten, aber auch Rumänien, das 1965 eine große Aluminiumhütte in Slatina in Betrieb genommen hatte, waren bestrebt, mit Hilfe von Aluminiumexporten dringend benötigte Devisen zu verdienen. Die seit 1966 von einer großen Koalition aus CDU/ CSU und SPD regierte Bundesrepublik wollte sich diesen Wünschen nicht völlig verschließen. Vor allem Rumänien, das sich unter Ceausescu aus der engen Bevormundung durch die UDSSR löste, verdiente nach damaliger deutscher Auffassung eine wohlwollende Behandlung. Die fortschreitende Liberalisierung des Osthandels wurde von den Aluminiumproduzenten mit Sorge verfolgt. Man verwies darauf, dass die Exportpreise der östlichen Staatshandelsländer sich nicht an den Kosten orientierten und ein echter Wettbewerb mit diesen Ländern daher nicht möglich sei. Es waren freilich auch weiterhin nur relativ bescheidene Mengen, die aus den Ostblockländern in die Bundesrepublik kamen. Großbritannien und die Beneluxländer, die im Ostblock eine Quelle billigen Metalls für ihre Verarbeitungsbetriebe sahen, zeigten weniger Zurückhaltung. Belgien zog sich in den 60er Jahren die heftige Kritik der anderen Mitgliedsstaaten zu, weil der belgische Halbzeughersteller Sidal seine Konkurrenten in der Bundesrepublik und in Frankreich mit Hilfe von billigem Ostmetall massiv unterbot. Mitte der 60er Jahre entschloss sich die europäische Industrie, das immer lästiger werdende Problem der Ostimporte mit Hilfe der beteiligten Regierungen durch eine einvernehmliche Regelung mit den Ostländern zu entschärfen. Dies geschah durch die Bildung eines Einkaufskartells, an dem alle Mitglieder der European Primary Aluminium Association (EPAA) einschließlich der deutschen Hüttenunternehmen teilnahmen. Als Agent und Beauftragter des Kartells schloss die englische Metallhandelsfirma Brandeis für Rechnung der Industrie Mehrjahresverträge mit der UDSSR und mit Ungarn, Polen, der Tschechoslowakei und Bulgarien ab. Die jährlichen Abnahmemengen lagen bei etwas über 100.000 Tonnen. Im Spitzenjahr 1969 kamen 150.000 Tonnen Hüttenaluminium auf diesem Weg aus dem Osten nach Europa. Das Metall wurde an die beteiligten europäischen Konzerne nach einem bestimmten Schlüssel auf-
344 geteilt. In den 70er Jahre hatte die Kartellvereinbarung ein juristisches Nachspiel, als die EWG-Kommission ein Verfahren gegen die beteiligten Unternehmen wegen eines angeblichen Verstoßes gegen Artikel 85 der Römischen Verträge einleitete. Das Verfahren ging indessen aus wie das Hornberger Schießen. Die Unternehmen verwiesen darauf, dass sie mit Wissen und Billigung ihrer Regierungen gehandelt hatten, die ein Interesse daran hatten, dass das politisch heikle Problem auf diese Weise gelöst wurde. Nach mehrtägigen Anhörungen mit einem Massenaufgebot an Anwälten und Dolmetschern und Bergen von Schriftsätzen endete das Verfahren mit einer Verwarnung der beteiligten Unternehmen ohne weitere Sanktionen. Die Parallele zu den Absprachen von 1993/1994 drängt sich auf, als die Aluminiumindustrie wiederum mit Wissen und Billigung der Regierungen der betroffenen Länder eine Überschwemmung des Weltmarktes mit billigem Russenmetall einzudämmen suchte.
14.4 Tonerde- und Bauxitversorgung Die Wiederherstellung einer sicheren und wirtschaftlichen Rohstoffversorgung war eines der wichtigsten strategischen Ziele der VAW während der 50er und 60er Jahre. Relativ günstig war die Ausgangslage bei der Versorgung mit Tonerde. Die Oxidwerke der Gesellschaft in Schwandorf (Nabwerk) und Lünen (Lippewerk) waren, von einigen bald behobenen Kriegsschäden abgesehen, mit ihrer vollen Kapazität erhalten geblieben. Die Kapazität der beiden Werke reichte aus, um den Bedarf der VAW-Hütten auf Jahre hinaus sicherzustellen. Erst Mitte der 50er Jahre, als sich die Oxidproduktion der Kapazitätsgrenze näherte, entschloss sich die VAW zu einer ersten bescheidenen Erweiterung der Anlagen in Lünen um 25.000 Jato. Weitere Kapazitätserhöhungen folgten in den 60er Jahren, als die Schaffung neuer Hüttenkapazitäten durch die Remontage des Erftwerkes und den Bau der ersten Stufe des Rheinwerkes Anfang der 60er Jahre eine entsprechende Erweiterung der Tonerdeproduktion erforderlich machten. In mehreren Etappen wurden die Kapazitäten in Lünen und Schwandorf bis zum Ende der 60er Jahre auf je 170.000 Jato erhöht. Dabei passte man auch die inzwischen antiquierten Betriebsverfahren und Betriebseinrichtungen dem Stand der modernen Technik an und stellte beide Werke auf das Rohraufschlussverfahren um, eine von der VAW entwickelte Variante des Bayer-Verfahrens 29. Diese Maßnahmen reichten allerdings nicht aus, um den rasch wachsenden Bedarf zu decken. 1960 schloss die VAW daher einen 10-jährigen Liefervertrag mit der Alusuisse, der jährliche Lieferungen von 60.000 Tonnen Tonerde aus dem Martinswerk im Tausch gegen Aluminiumlieferungen der VAW vorsah 30. Einen schwierigen Start in die Nachkriegszeit hatte die Tonerdefabrik der Gebr. Guilini in Ludwigshafen. Wie wir uns erinnern, trug das Werk bei einem Bombenangriff im August 1943 schwere Schäden davon, die bis zum Kriegsende nicht mehr vollständig beseitigt werden konnten. Die Produktion war daher in den letzten Kriegs-
345 jahren beträchtlich hinter der Nennkapazität des Werkes zurückgeblieben, die durch den Bau der Bayer-Fabrik in den Jahren 1940/1943 von 90.000 Jato auf 140.000 Jato erweitert worden war. Nach dem Krieg stand der größte Teil der Anlagen wegen des alliierten Produktionsverbotes mehrere Jahre lang still. Es durften nur bescheidene Mengen an Tonerdehydrat für schwefelsaure Tonerde sowie Kalzinat für die Korrundfabriken hergestellt werden. In den 50er und 60er Jahren hat Guilini die Werksanalgen in Ludwigshafen modernisiert, eine Kapazitätserweiterung fand aber erst Ende der 60er Jahre im Zusammenhang mit der Errichtung einer eigenen Elektrolyse statt. 1961 überschritt die Produktion des Werkes erstmals nach dem Krieg die 100.000-TonnenMarke. 1971 erreichte sie 130.000 Tonnen 31. Größere Bedeutung für die Tonerdeversorgung der deutschen Hütten hatte das Martinswerk der Alusuisse in Bergheim/Erft, das ohne ernsthafte Schäden über die Kriegszeit gekommen war. Mit einer Kapazität von 130.000 Jato war die Tonerdefabrik in Bergheim damals die größte Anlage ihrer Art in Europa. In den 50er und 60er Jahren wurde die Leistungsfähigkeit der Werksanlagen in mehreren Ausbauschritten mehr als verdoppelt. Es war jedoch schon damals abzusehen, dass das Martinswerk seine bisherige Bedeutung für den Schweizer Konzern in absehbarer Zeit verlieren würde. Die Alusuisse hatte Mitte der 60er Jahre in Australien zusammen mit australischen Partnern die Nabalco gegründet, die auf der Gove-Halbinsel über riesige Bauxitvorkommen verfügte und in der Nähe der Lagerstätten die Errichtung eines großen Oxidwerkes plante, das 1972 mit einer Anfangskapazität von 500.000 Jato den Betrieb aufnehmen sollte. Weitere Beteiligungen hielt die Alusuisse an Tonerdewerken in Guinea (FRIA) und auf Sardinien (Eurallumina) 32. Langfristig sollten die Lieferungen aus den neuen Anlagen in Australien, Afrika und Sardinien die Tonerdeproduktion in Bergheim ersetzen. Beträchtliche Schwierigkeiten bereitete in der ersten Nachkriegszeit die Beschaffung ausreichender Bauxitmengen. Das betraf vor allem die VAW, deren Bauxitgruben in Ungarn und Jugoslawien als deutsches Auslandsvermögen enteignet worden waren. Geschäftsbeziehungen mit den staatlichen Organisationen, die an die Stelle der ehemaligen Beteiligungsgesellschaften getreten waren, erwiesen sich als schwierig, wenn nicht gar als unmöglich. Ungarn fiel lange Zeit infolge eines staatlichen Bauxitexportverbotes als Lieferant völlig aus. Jugoslawien lieferte Bauxit in schlechter Qualität und zu überhöhten Preisen. Um nicht nur auf ein einziges Lieferland angewiesen zu sein, nahm die VAW die Beziehungen zu den französischen Bauxitlieferanten wieder auf und bezog außerdem wachsende Mengen Bauxit aus Griechenland, das in der Folgezeit zu einem wichtigen Lieferland werden sollte 33. Spätestens seit Beginn der 60er Jahre war zu erkennen, dass eine sichere Bauxitversorgung auf die Dauer nur aus außereuropäischen Quellen möglich war. In Frankreich, dem wichtigsten Förderland in Westeuropa, gingen die Bauxitreserven allmählich zur Neige. Ungarn und Jugoslawien räumten der Versorgung ihrer eigenen Industrien und den Lieferungen an die Sowjetunion den Vorrang vor dem Export in den Westen ein. Gute Aussichten boten hingegen überseeische Bauxite, insbesondere aus den tropischen Ländern, die den
346 europäischen Erzen in Bezug auf Qualität zumindest ebenbürtig waren und billiger produziert werden konnten als diese. Seit den 50er Jahren war ein regelrechter Wettlauf der großen Aluminiumproduzenten auf die Bauxitvorkommen im Gange, die die Geologen in Afrika, in der Karibik und in Ozeanien entdeckt hatten. Dabei handelte es sich um riesige Lagerstätten in zumeist schwer zugänglichen Gebieten, deren Erschließung und Abbau große Investitionen erforderten. Um das politische und wirtschaftliche Risiko auf mehrere Schultern zu verteilen, entschloss man sich zur Bildung von Konsortien, die die gemeinschaftliche Ausbeutung der Vorkommen übernahmen. In Afrika galt das besondere Interesse der Aluminiumindustrie der französischen Kolonie Guinea in Westafrika, wo große Vorkommen von leicht abbaubaren und – wie sich später bestätigen sollte – gut aufschließbaren Bauxiterzen ermittelt worden waren. Ein erster Schritt zur Erschließung dieser Vorkommen erfolgte im Jahr 1956, als mehrere Aluminiumproduzenten unter der Führung von Pechiney die „Fria, Compagnie Internationale pour la Production de l’Alumine“ in Conacry gründeten. Die Gesellschaft sollte in Guinea eine Tonerdefabrik mit einer Anfangskapazität von 480.000 Tonnen errichten und hochwertigen Bauxit aus den nahe gelegenen Lagerstätten von Kimbo verarbeiten. Als Gründungsmitglieder beteiligten sich an der Fria die europäischen Produzenten Pechiney/Ugine (die sich mit Hilfe von Vorzugsaktien die Stimmenmehrheit im Aufsichtsrat sicherten), Alusuisse und British Aluminium sowie die finanzkräftige US-Gruppe Olin-Mathieson, die mit über fünfzig Prozent der Aktien die größte Beteiligung übernahm. Die Produktionsanlagen der FRIA wurden im Januar 1960 in Betrieb genommen. Auch die VAW war zur Teilnahme an dem Konsortium aufgefordert worden. Sie hatte sich an der Studiengesellschaft beteiligt, die das Projekt vorbereitete. Angesichts der beträchtlichen Investitionskosten erschien ihr jedoch ein Engagement nur vertretbar, wenn die politischen und wirtschaftlichen Risiken durch eine staatliche Garantie abgesichert würden. Erst 1958, nachdem sich die Bundesregierung schließlich bereit erklärt hatte, eine solche Garantie zu übernehmen, konnte die VAW dem Konsortium nachträglich durch den Erwerb eines kleinen Aktienpakets von Olin-Mathieson beitreten. Für die VAW war dies das erste Mal nach dem Krieg, dass sie sich an einem internationalen Konsortium beteiligen konnte. Mit einer Quote von nur fünf Prozent war sie zwar der kleinste Fria-Aktionär, wichtiger war aber die Tatsache, dass die internationalen Produzenten sie wieder in ihren Kreis aufgenommen hatten und zu einer Zusammenarbeit mit dem deutschen Produzenten bereit waren 34. Schon bald boten sich weitere Möglichkeiten für eine internationale Kooperation auf dem Rohstoffsektor. In Guinea hatte sich das Interesse der internationalen Aluminiumproduzenten den Bauxitvorkommen bei Boké zugewandt, die zu den ergiebigsten Bauxitlagerstätten der Welt zählten. Mit einem nutzbaren Al2O3-Gehalt von etwa sechzig Prozent war der Boké-Bauxit den europäischen Erzen an Qualität deutlich überlegen. Zur Ausbeutung der Boké-Vorkommen bildete sich ein internationales Konsortium unter Führung der Alcan, an dem auch die VAW mit einer kleinen Quote beteiligt war. Das Projekt sah den Abbau von jährlich 3,5 Millionen Tonnen Bauxit
347 und den Bau einer Tonerdefabrik mit einer Anfangskapazität von 220.000 Jato vor. Seine Verwirklichung scheiterte jedoch am Widerspruch der Regierung des inzwischen unabhängig gewordenen Staates Guinea, die die Abbaukonzession für Boké auf eine neu gegründete Gesellschaft, die „Compagnie des Bauxites de Guineé“ (C.B.G.) übertrug, an der der guineische Staat mit 49 Prozent beteiligt war. Die Mehrheit der Aktien der C.B.G. lag bei der Halco (Mining) Inc. (Halco), einer Tochtergesellschaft der Harvey Aluminum Inc. (Torrance, Kalifornien). Nachdem sich herausgestellt hatte, dass Harvey die zugesagte Jahresförderung von mindestens drei Millionen Tonnen nicht gewährleisten konnte, kam es doch noch zu einer Beteiligung der ursprünglich interessierten Aluminiumproduzenten. Nach langwierigen Verhandlungen, bei denen die VAW auf Wunsch des guineischen Staatspräsidenten Sékou Touré die Federführung übernahm, wurde 1966 eine alle Seiten befriedigende Regelung getroffen. Harvey gab den größten Teil seiner Halco-Anteile an die übrigen Beteiligten ab. Die größten Aktionäre der Halco, die als Zwischenholding fungierte, waren nach der Neuregelung Alcoa und Alcan mit Quoten von je 27 Prozent. Die übrigen Anteile verteilten sich auf Harvey (20 Prozent), Pechiney und VAW (je 10 Prozent) und Montecatini (6 Prozent). Die VAW verpflichtete sich zur Abnahme einer Kontingentmenge von 500.000 Tonnen Bauxit pro Jahr für die Dauer von zwanzig Jahren 35. Mit Bauxitlieferungen aus Guinea war frühestens Anfang der 70er Jahre zu rechnen. Da die Bezugsmöglichkeiten aus Frankreich rückläufig waren und auch eine Belieferung aus Südosteuropa (vor allem Jugoslawien) und Griechenland keine Gewähr für eine dauerhaft sichere Versorgung ihrer Tonerdewerke bot, war die VAW gezwungen, weitere Quellen für den Bezug von Bauxit zu erschließen. 1965 kam ein Bauxitbezugsvertrag mit der australischen Commonwealth Aluminium Corporation (Comalco) zustande, die in Weipa auf der Halbinsel Cape York in Nordostaustralien Konzessionen zum Abbau von Bauxiten guter Qualität besaß. Die abbauwürdigen Reserven in dem Konzessionsgebiet der Gesellschaft – einer Gemeinschaftsgründung des KaiserKonzerns und der britischen Bergbaugesellschaft Rio Tinto Zinc – wurden auf etwa 2,5 Milliarden Tonnen geschätzt. Weipa rangierte damit noch vor Boké als größte Bauxitlagerstätte der Welt. Die Förderung in Weipa wurde 1963 aufgenommen und erreichte 1967 bereits die beachtliche Menge von 2.800.000 Tonnen. Der zwischen VAW und Comalco abgeschlossene Vertrag sah für 1966 und 1967 eine relativ bescheidene Bezugsmenge von je 175.000 Tonnen vor. 1969 wurden aber schon 400.000 Tonnen, 1970 sogar 700.000 Tonnen für die beiden Tonerdewerke in Lünen und Schwandorf bezogen. Durch den Abschluss eines 25-jährigen Lieferabkommens mit Verlängerungsoption stellten die Vertragspartner 1971 ihre Vertragbeziehungen auf eine langfristige Basis. In dem neuen Abkommen verpflichtete sich Comalco zur Lieferung von jährlich bis zu 900.000 Tonnen für die beiden Werke in Lünen und Schwandorf (im letzteren Werk wurde teilweise Fria-Bauxit verarbeitet) und von weiteren 800.000 Tonnen für die Versorgung des 50 %igen Anteils der VAW an dem noch im Bau befindlichen Oxidwerk in Stade, über das wir im nächsten Kapitel berichten werden 36.
348 Praktisch bedeutete die langfristige Bindung an die Comalco, dass die VAW auf absehbare Zeit keine weiteren eigenen Ambitionen auf dem Gebiet der Bauxitförderung hatte. Zur Begründung dieser strategischen Weichenstellung hieß es damals, dass die traditionellen europäischen Lieferländer Frankreich, Griechenland, Jugoslawien und Ungarn wegen ihres gestiegenen Eigenbedarfs und der relativ beschränkten Reserven, zum Teil von minderwertiger Qualität, ohnehin ausschieden, und andererseits der karibische Raum von den amerikanischen Erzeugern belegt und auch die afrikanischen Kapazitäten anderweit aufgeteilt seien.
Anmerkungen zum 14. Kapitel 1 Erhebliche Kriegsschäden an den Kraftwerksanlagen und im Hochspannungsnetz sowie die „Kohlennot“ der Nachkriegsjahre schränkten die Stromabgabe der deutschen Versorgungsunternehmen ein. 2 Zur Remontage des Erftwerkes und zur neuen Großzelle: VAW-Geschichte VIII, Seite 9 f. Es dauerte noch einige Jahre, bevor die alten Söderberg-Öfen überall durch Öfen mit vorgebrannten Anoden ersetzt werden konnten. Die VAW sah sich daher gezwungen, mit der Patentinhaberin des Söderberg-Verfahrens, der norwegischen Elektrokemisk A/S, einen neuen Lizenzvertrag zu schließen, da der alte, vor dem Krieg vereinbarte Vertrag nach norwegischer Rechtsauffassung als „Feindvermögen“ hinfällig geworden war (VAW-Geschichte VIII, Seite 13). 3 Zur Modernisierung des Innwerks: VAW-Geschichte VIII, Seite 11. Die Stromstärke der neuen 60.000 Ampere Öfen wurde in den folgenden Jahren allmählich bis auf 77.000 Ampere erhöht. 4 Siehe Artikel G. Wilde: „Entwicklung des Aluminiumelektrolyseofens mit vorgebrannter kontinuierlicher Anode“ in ALUMINIUM 1969.476 (Vortrag in Loeben 1968). In dem Artikel wird das System wie folgt beschrieben: „Dem Verbrauch an Anodenmaterial entsprechend werden auf die im Bad befindlichen Anoden neue Blöcke aufgesetzt und durch Verkokung einer speziellen Kittmasse miteinander verbunden. Mit diesem System ist ein um 1 kWh/Kg höherer Energieaufwand verbunden, der aber durch Einsparungen beim Anodenmaterial mehr als kompensiert wird. Daher hat sich VAW entschieden, den Erftwerks-Ofen auch beim Neubau des Rheinwerks einzusetzen“. Die wenig umweltfreundliche Großanodentechnik erwies sich als eine Fehlentwicklung. Bei der Modernisierung der Hütte in den 80er Jahren ging man zu diskontinuierlichen Anoden über. 5 Zum Kauf der Kohlefelder und zum Bau der Kraftwerksblöcke: VAW-Geschichte VIII, Seite 35 ff. 6 Zum Bau des Rheinwerks: VAW-Geschichte VIII, Seite 50 f und VAW-Geschichte IX, Seite 18. Ausführlicher Artikel von Ginsberg und Wrigge: „Das Rheinwerk, eine neue Aluminiumhütte der VAW“ in ALUMINIUM 1963.349. 7 Zum Ausbau der Hütte in der Nachkriegszeit siehe die Firmenchronik „90 Jahre Aluminium Rheinfelden“. 8 Hauptquelle für die Umweltschäden in den 50er und 60er Jahren waren die Söderberg-Öfen aus der Kriegs- und Vorkriegszeit. Einen wirksamen Umweltschutz konnten weder die an den Öfen angebrachten Absorptionsvorrichtungen noch die später installierten Nachbrenner gewährleisten (Information Dr. Franke). 9 Übersicht über die Aluminiumhüttenkapazität der Welt bei Salmuth 1969, Seite 474 ff. 10 Zur Lex Guilini: VAW-Geschichte VII, Seite 33. Offenbar empfand die VAW eine gewisse Verpflichtung zur Wiedergutmachung gegenüber Guilini, deren Hüttenpläne sie während des Dritten Reiches durchkreuzt hatte. 11 Zu den Zukäufen der VAW: VAW-Geschichte Teil VIII, Seite 46/47 und Teil IX, S. 24 f.
349 12 Zur Tabelle 21: Angaben zur Kapazitätsentwicklung der VAW-Hütten in VAW-Geschichte Teil VIII, Seite 39 (1951–1960) und Teil IX, Seite 52 (1960–1969). Die Kapazitätsangaben für Rheinfelden beruhen auf Schätzungen. 13 Siehe hierzu den Artikel „Die Umschmelz-Aluminiumindustrie in der westlichen Welt“ in ALUMINIUM 1963.665 mit Zahlen für die BRD und andere Länder. 14 Statistik der Organisation Europäischer Aluminium-Schmelzhütten (OEA). 15 MG-Statistik. Anfang der 90er Jahre wandelte sich die Bundesrepublik von einem Nettoimporteur zu einem Nettoexporteur von Aluminiumschrott. 16 Seit den 90er Jahren werden für bestimmte Schrottqualitäten auch andere Ofentypen eingesetzt, die mit einem reduzierten Salzeinsatz arbeiten. 17 Zur Salzschlackenproblematik siehe die vom GDA herausgegebene Broschüre „Aluminium-Salzschlacke“ von Juni 1990. 18 Siehe dazu Afflerbach: „Wirtschaftliche Probleme der deutschen Aluminiumindustrie an der Jahreswende“ in ALUMINIUM 1955.3. 19 Van Luong, „L’aluminium européen dans les négociations commerciales du Kennedy Round“ in Cahier 28, Seite 43 ff. 20 Das Lomé-Abkommen über entwicklungspolitische Zusammenarbeit zwischen der EWG und den so genannten AKP-Staaten wurde am 25. 2.1975 mit einer Laufzeit von zunächst fünf Jahren abgeschlossen und 1979, 1984 und 1989 unter Beitritt weiterer Staaten verlängert. Es sieht den freien Zugang der AKB-Staaten auf den europäischen Binnenmarkt (ohne Zölle und sonstige Handelshemmnisse) für rd. 99 % aller Erzeugnisse vor. Schon vor Abschluss der Lomé-Abkommen unterlagen die Aluminiumimporte aus Surinam und Ghana als ehemalige Kolonien der Niederlande und Großbritanniens keinem Zoll. 21 Zu den Verhandlungen mit Norwegen: Fröland, „The Norwegian Aluminium Expansion Program in the Context of European Integration 1955–1975“ in Cahier, Spezial Issue Nr. 2, Seite 103 ff. 22 So wurde in den 60er Jahren ein Metalltausch zwischen VAW und Kaiser vereinbart: Die VAW lieferte Metall an die Kaiser-Betriebe in Deutschland und erhielt von Kaiser im Gegenzug Metall in den USA für ihre Tochtergesellschaft VAW of America. Die Vereinbarung kam beiden Parteien zugute, da Zoll und Frachtkosten gespart werden konnten. 23 Escherich „Die Aluminiumindustrie der Welt an der Jahreswende. Bundesrepublik Deutschland“ in ALUMINIUM 1967.2. 24 Woods: „Die Rolle der Aluminiumimporte in der europäischen Aluminiumindustrie“, ALUMINIUM 1969.717. 25 Zum Agency Agreement zwischen Alcan und Metallgesellschaft: Chronik Alcan Deutschland, Seite 35 (Fußnote 14). Die Vereinbarung lief 1965 aus, nachdem eine deutsche Tochtergesellschaft von Alcan mit Sitz in Frankfurt den Metallverkauf in Europa übernommen hatte. 26 Zitat Escherich in ALUMINIUM 1965.548. 27 Zu dem Antrag auf Einleitung eines Dumping-Verfahren gegen die US-Produzenten: VAWGeschichte VIII, Seite 47 und IX, Seite 24. 28 Fröland a.a.O., Seite 116 ff. 29 Zum Ausbau und zur Modernisierung der beiden Oxidwerke in den 50er und 60er Jahren: VAWGeschichte Teil VIII, Seite 14 f und Teil IX, Seite 15 ff. Siehe auch den Artikel von Wrigge: „50 Jahre VAW 1917–1967, Die Entwicklung unserer Betriebe“ in VAW-Werkszeitschrift „Vereint am Werk“ 2/1967. 30 Zu dem Vertrag mit der Alusuisse: VAW-Geschichte VIII, Seite 8. Schon in den 50er Jahren hatte man den Spitzenbedarf durch Zukäufe von Guilini und vom Martinswerk der Alusuisse gedeckt. 31 Zur Nachkriegsentwicklung der Tonerdefabrik in Ludwigshafen: Guilini-Chronik Band IV, Seite 786 und Band IX, Seite 143 (Produktionsübersicht bis 1971). 32 Siehe die Übersicht über die Tonerdewerke bei Salmuth, 1969, Seite 437 ff.
350 33 Zur Bauxitversorgung der VAW: VAW-Geschichte VII, Seite 34 ff. 34 Zu FRIA: VAW-Geschichte Teil VIII, Seite 26 ff und Teil IX, Seite 45 f. 35 Zum Boké-Projekt: VAW-Geschichte IX, Seite 44 f. Eine ausführliche Darstellung der wechselvollen Vorgeschichte findet sich bei Campbell „Global Mission“, Band II, Seite 301 ff (The Long Hard Road to the Worlds Best Bauxite). 36 Zu den Verträgen der VAW mit der Comalco: VAW-Geschichte IX, Seite 42 f.
15. Kapitel Der Hüttenboom am Ende der 60er Jahre
15.1 Aufbruchstimmung in der Aluminiumindustrie Die Absatzkrise am Ende der 50er Jahre hatte den optimistischen Zukunftserwartungen der Aluminiumindustrie vor allem in den USA einen Dämpfer versetzt. Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte der Industrie waren die US-Konzerne gezwungen, große Teile ihrer Hüttenkapazitäten stillzulegen, für die sie weder in den USA noch auf den Auslandsmärkten Beschäftigung fanden. Von der Stilllegungsaktion waren Hüttenkapazitäten von mehr als einer halben Million Tonnen betroffen, was etwa dreißig Prozent der damaligen US-Kapazität entsprach. Die Krise hinterließ tiefe Spuren in den Bilanzen der Konzerne, deren Gewinne erst nach Jahren wieder das Niveau der 50er Jahre erreichten 1. Wie wir gesehen haben, war die Krise auch auf Westeuropa und den Rest der westlichen Welt übergeschwappt, als die US-Konzerne ihre Überschussproduktion in einer groß angelegten Exportoffensive in der Bundesrepublik und anderen Industrieländern auf den Markt warfen. Die in den Krisenjahren entstandenen Überkapazitäten lasteten noch bis in die 60er Jahre auf den internationalen Aluminiummärkten, wenn auch der von den USA ausgehende Druck allmählich nachließ. Die Schwierigkeiten der vergangenen Jahre waren indessen schnell vergessen, nachdem sich 1961/1962 ein neuer Aufschwung auf den Aluminiummärkten abzeichnete. Die Expansion gewann schon bald an Tempo und mündete in der zweiten Hälfte der 60er Jahre in einen weltweiten Boom, der seinen Höhepunkt in den Jahren 1968 und 1969 erreichte 2. Unter dem Eindruck der anhaltend hohen Zuwachsraten breitete sich bei den amerikanischen Aluminiumkonzernen eine fast euphorische Aufbruchstimmung aus, die schon bald auch auf Europa und andere Regionen der westlichen Welt übersprang. Die damals beginnende Internationalisierung des Aluminiumgeschäfts gab dem Optimismus neue Nahrung. Die Aluminiumindustrie sah sich als die Wachstumsbranche par excellence, deren Expansion fast keine Grenzen gesetzt schienen. Mitarbeiter der großen Aluminiumkonzerne schwärmten in der ganzen Welt aus, um mit Regierungsbehörden und lokalen Stromversorgern über die Ansiedlung neuer Aluminiumhütten zu verhandeln. Keiner der großen Konzerne, der nicht wenigstens ein
352 halbes Dutzend Hüttenprojekte gleichzeitig in der Prüfung gehabt hätte. Wachstum war das Zauberwort, das das Denken und Handeln der Industrie damals bestimmte – Wachstum um fast jeden Preis. Die nordamerikanische Aluminiumindustrie behauptete ihre Dominanz auch in den 60er Jahren, wenngleich sich die Relationen zwischen Nordamerika und dem Rest der westlichen Welt allmählich zugunsten von Westeuropa und Japan verschoben. USA und Kanada waren 1969 mit knapp sechzig Prozent an der Aluminiumproduktion der westlichen Welt beteiligt. Zehn Jahre zuvor hatte der Anteil dieser beiden Länder noch über siebzig Prozent betragen. Westeuropa erhöhte seinen Anteil von 22 Prozent im Jahr 1959 auf 25 Prozent am Ende der Dekade. Mit Japan betrat ein neuer Akteur die Bühne, der schon bald eine Schlüsselrolle auf dem internationalen Aluminiummarkt übernehmen sollte. Auf die japanischen Hütten entfielen am Ende der 60er Jahre etwa acht Prozent der Aluminiumproduktion der westlichen Welt – mit weiter wachsender Tendenz. Japans Elektrolysen produzierten fast so viel Aluminium wie die wenigen damals existierenden Aluminiumhütten in Afrika, Lateinamerika und Indien zusammengenommen. Noch war die Aluminiumerzeugung eine Domäne der entwickelten Industrieländer. Die Rangliste der wichtigsten Aluminiumproduzenten der westlichen Welt wurde unverändert von den vier nordamerikanischen Konzernen Alcoa, Alcan, Reynolds und Kaiser angeführt. Zur Spitzengruppe aufgeschlossen hatten inzwischen die beiden europäischen Aluminiumproduzenten Pechiney und Alusuisse, die ihre Hüttenkapazitäten in den 60er Jahren durch Neubauten in Europa und in den USA massiv erweiterten. Am Ende der 60er Jahre entfielen auf die „Big Six“ der Aluminiumindustrie noch immer mehr als sechzig Prozent der Aluminiumerzeugung der westlichen Welt, und dies obwohl die Zahl der Hüttenproduzenten inzwischen deutlich gestiegen war. Tabelle 24: Kapazität der „Big Six“ Ende 1971 3 Kapazität in M.T.
Anteil
Alcoa (USA) Alcan (Kanada) Reynolds (USA) Kaiser (USA) Pechiney (Frankreich) Alusuisse (Schweiz)
1.560.000 1.430.000 1.160.000 920.000 800.000 430.000
15,0 % 13,8 % 11,2 % 8,8 % 7,7 % 4,1 %
Big Six gesamt
6.300.000
60,6 %
Übrige Produzenten Westliche Welt
4.100.000
39,4 %
10.400.000
100,0 %
Für die US-amerikanischen Produzenten lag der Schwerpunkt des Kapazitätsausbaus in den USA, wo die ungebrochene Nachfrage nach Aluminium weiterhin attraktive Wachstumschancen bot. Zugleich setzten die drei US-Konzerne aber auch die in den
353 50er Jahren eingeleitete Expansion im Ausland fort. Alcoa baute eine Hütte in Surinam (deren Produktion zollfrei in die EWG eingeführt werden konnte) und beteiligte sich an Hüttenneubauten in Australien, Mexiko und Norwegen. Kaiser errichtete eine Hütte in Ghana (die gleichfalls von der Zollfreiheit für Importe aus den assoziierten Gebieten profitierte) und beteiligte sich an Hüttenprojekten in Australien und Indien. Reynolds hatte sich durch den Erwerb von Britisch Aluminium schon in den 50er Jahren die Kontrolle über deren kanadische Hütte in Baie Comeau im Staate Quebec gesichert und betrieb jetzt die Erweiterung der dortigen Kapazitäten. Die kanadische Alcan (nach Alcoa der zweitgrößte Hüttenproduzent der westlichen Welt) nutzte ihr fast unerschöpfliches Potential an billiger Wasserkraft, um ihre gigantischen Hüttenbetriebe in Arvida (Quebec) und Kitimat (British Columbia) auszubauen. Durch den Erwerb einer 50 %igen Beteiligung an der norwegischen Aardal og Sundal A/S verschaffte sich der kanadische Konzern 1966 einen wichtigen Stützpunkt für die Belieferung seiner Kunden und Eigenbetriebe in Europa. Dazu kamen weitere Hütten und Hüttenbeteiligungen in Brasilien, Indien, Italien, Japan, Norwegen, Schweden und Spanien. Wegen der beschränkten Verfügbarkeit billiger Energie in Europa entschlossen sich auch Alusuisse und Pechiney in den 60er Jahren zu Investitionen in den USA, wo ungenutzte Wasserenergie damals noch reichlich zur Verfügung stand. Den Anfang machte die Alusuisse, die 1963 – wie bereits erwähnt – in New Johnsonville eine moderne Aluminiumhütte in Betrieb nahm, die von der Tennessee Valley Authority mit Wasserkraft versorgt wurde (Kapazität 130.000 Jato). In der zweiten Hälfte der 60er Jahre entstand eine weitere Hütte in Lake Charles/Lousiania. Pechiney errichtete in den 60er Jahren gemeinsam mit dem Amax-Konzern eine Hütte in Ferndale/ Washington, die mit einer Anfangkapazität von 240.000 Jato zu den größten Hüttenwerken der westlichen Welt zählte (Intalco). In der zweiten Hälfte der 60er Jahre folgte ein weiterer Hüttenbau in den USA, diesmal im Alleingang durch die PechineyTochter Eastalco in Frederick im Staate Maryland (Anfangskapazität 77.000 Jato). Pechiney hatte schon 1957 mit der Hütte in Edea in Kamerun (damals noch französische Kolonie) die erste Aluminiumelektrolyse auf afrikanischem Boden errichtet. Auch auf dem Gebiet der EWG und der EFTA wurde der Ausbau der Hüttenkapazitäten vorangetrieben, wobei sich allerdings der Mangel an billiger Energie als limitierender Faktor erwies. Trotz der ungünstigeren Ausgangslage erhöhte sich die Aluminiumproduktion in Westeuropa zwischen 1959 und 1969 um mehr als das Anderthalbfache von 725.000 auf 1.860.000 Tonnen. Den größten Anteil an der Produktionsausweitung hatte die Aluminiumindustrie in Norwegen, die über ungenutzte Reserven an Wasserkraft verfügte und ihre Kapazitäten vor allem im Hinblick auf den wachsenden Importbedarf der Bundesrepublik und Großbritanniens erweiterte. Die halbstaatliche Aardal og Sundal, an der die Alcan seit 1966 mit fünfzig Prozent beteiligt war, verdoppelte ihre Produktionskapazitäten im Laufe der 60er Jahre auf fast 300.000 Jato. Tochtergesellschaften der norwegischen Konzerne Elkem und Norsk Hydro errichteten neue Aluminiumhütten mit einer Kapazität von ca. 200.000 Jato in
354 Karmoy (Alnor) und Mosjoen (Mosal), an denen auch ausländische Aluminiumhersteller beteiligt waren. In Husne in Nordnorwegen ging 1966 die Elektrolyse der Sör Norge Aluminium in Betrieb, die mehrheitlich der Alusuisse gehörte. In den anderen europäischen Ländern entstanden in den 60er Jahren fünf neue Hütten mit einer Kapazität von zusammen 345.000 Jato, und zwar die beiden Pechiney-Hütten in Nogueres/Frankreich (105.000 Jato) und Saint Nicholas/Griechenland (90.000 Jato), die von der Alusuisse gemeinsam mit Hoogovens und Billiton errichtete Hütte in Delphzijl/Niederlande (72.000 Jato) sowie die Alusuisse-Hütte in Reykjavik/Island (33.000 Jato) und das Rheinwerk der VAW in Norf (45.000 Jato). Dazu kamen beträchtliche Kapazitätserweiterungen durch den Ausbau und die Modernisierung bereits bestehender Hütten, vor allem in Spanien, Italien, Schweden und der Bundesrepublik. Am Ausbau der Hüttenkapazitäten beteiligten sich zunehmend auch Unternehmen aus anderen Branchen, die sich von der allgemeinen Aufbruchstimmung anstecken ließen. In den USA waren schon in den 50er Jahren einige branchenfremde Konzerne in den bisher exklusiven Kreis der Hüttenproduzenten eingetreten. Weitere Gesellschaften entschlossen sich in den 60er Jahren zum Bau von Aluminiumhütten. Die Neuzugänge rekrutierten sich vor allem aus Konzernen der Grundstoffindustrie, die mit großindustriellen Prozessen vertraut waren und über die notwendigen finanziellen Ressourcen für den Hüttenbau verfügten. In den USA zählten dazu die Bergbaukonzerne Anaconda und Noranda, Unternehmen der NE-Metallindustrie (Amax und Revere Copper & Brass) und Chemiefirmen (Olin Mathieson). Aber auch Stahlfirmen (National Steel) und Kabelhersteller (National Southwire) sowie der Rüstungskonzern Martin Marietta gehörten zu den Unternehmen, die sich erstmals auf dem Aluminiumhüttensektor engagierten. In Japan waren mit Mitsubishi, Mitsui, Showa Denko und Sumitomo fast alle großen japanischen Mischkonzerne an dem Aufbau einer nationalen Aluminiumhüttenindustrie beteiligt. Hüttenpläne verfolgten auch der Stahlriese Kobe Steel und der Elektrokonzern Furukawa Electric, das letztere Unternehmen in Partnerschaft mit der kanadischen Alcan. Auch in Europa entdeckten jetzt branchenfremde Unternehmen ihr Interesse für die Aluminiumproduktion. In der Bundesrepublik beteiligten sich die NE-Metall-Konzerne Preussag und Metallgesellschaft am Bau neuer Aluminiumhütten, die in Partnerschaft mit Unternehmen der Aluminiumbranche betrieben werden sollten. In Großbritannien schlossen sich der Bergbaukonzern Rio Tinto Zinc und der Kabelhersteller British Insulated Cable Company mit Kaiser Aluminum zu einem Konsortium zusammen, das den Bau einer großen Aluminiumhütte in Anglesey/Wales plante. Zuvor schon hatten sich das Stahlunternehmen Hoogovens und der Bergbaukonzern Billiton an einem Konsortium beteiligt, das unter Führung der Alusuisse in Delphzijl in der niederländischen Provinz Groningen eine Aluminiumhütte auf Erdgasbasis errichtete. Sorgen über den Absatz der neuen Aluminiumhütten machten sich damals weder die Branchenneulinge noch die etablierten Aluminiumunternehmen. Seit dem Ende des
355 Kriegs war der Aluminiumverbrauch in der westlichen Welt mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von fast zehn Prozent gewachsen. Trotz des massiven Einbruches während der Krisenjahre 1957/1959 hatte der Verbrauch auch in dem Zehnjahreszeitraum von 1957 bis 1967 noch um mehr als acht Prozent pro Jahr zugenommen. In der Industrie ging man davon aus, dass auch in den 70er Jahren und darüber hinaus ein jährliches Wachstum von etwa acht Prozent zu erwarten sei, was einer Verdoppelung des Aluminiumverbrauchs in weniger als zehn Jahren entsprach 4. Man verwies auf den beträchtlichen Nachholbedarf der europäischen Staaten, deren Pro-KopfVerbrauch trotz der hohen Zuwachsraten der vergangenen Jahre nur etwa die Hälfte des Verbrauchs in den USA erreichte. Auch für Japan, das erst relativ spät in den Kreis der großen Aluminiumverbraucher eingetreten war, wurde mit überdurchschnittlichen Zuwachsraten gerechnet. Selbst diejenigen Repräsentanten der Industrie, die vor einem unkontrollierten Ausbau der Kapazitäten warnten, teilten den Optimismus ihrer Kollegen in Bezug auf die zukünftige Bedarfsentwicklung. Sie fürchteten aber – zu Recht, wie sich später herausstellte – dass die Industrie im Überschwang jedes Maß verlieren und die Kapazitäten in einem Umfang erweitern könne, der auch bei günstigstem Verlauf der Verbrauchsentwicklung zu hohen Überkapazitäten führen würde 5. Die Befürworter eines forcierten Kapazitätsausbaus fühlten sich in ihrer Markteinschätzung bestätigt, als es 1966 und erneut in den beiden letzten Jahren der Dekade zu Engpässen bei der Versorgung mit Hüttenaluminium kam. Trotz voller Auslastung der Elektrolysekapazitäten konnte die überschäumende Nachfrage nicht mehr aus der laufenden Produktion gedeckt werden. In den Jahren 1966/1969 entstand ein kumulatives Versorgungsdefizit von mehr als einer Million Tonnen, das nur durch den Rückgriff auf Lagerbestände sowie durch verstärkte Einfuhren von Metall aus dem Ostblock und Entnahmen aus der amerikanischen strategischen Reserve ausgeglichen werden konnte. Die Lagerbestände sanken 1969 auf weniger als zwei Monatsmengen ab und erreichten damit einen bedrohlichen Tiefstand, bei dem eine geordnete Marktversorgung nicht mehr gewährleistet war. Die angespannte Versorgungslage wurde durch einen Streik in der amerikanischen Aluminiumindustrie noch weiter verschärft, der 1968 zu einem Produktionsausfall von 300.000 Tonnen führte. Die boomartige Entwicklung der Aluminiumnachfrage in der zweiten Hälfte der 60er Jahre bestärkte die Industrie in ihrer optimistischen Einschätzung der zukünftigen Marktentwicklung. In der Erwartung, dass sich der Aufwärtstrend auch in den 70er Jahren fortsetzen werde, wurden in den Konzernzentralen die Weichen noch stärker in Richtung Expansion gestellt. Auf Grund von Investitionsentscheidungen, die in der zweiten Hälfte der 60er Jahre getroffen wurden, stiegen die Hüttenkapazitäten der westlichen Welt von 7,7 Millionen Tonnen im Jahr 1969 auf 11,9 Millionen Tonnen im Jahr 1974 (jeweils Jahresdurchschnitt). Dies entsprach einem Zuwachs von mehr als fünfzig Prozent in fünf Jahren. Auch die europäische Industrie hat sich nach Kräften an dem weltweiten Hüttenboom beteiligt. Von den 4,2 Millionen Tonnen an neuen Hüttenkapazitäten, die zwischen
356 1969 und 1974 in der westlichen Welt auf den Markt drängten, entfielen etwa 1,6 Millionen Tonnen auf Westeuropa. Der stärkste Zuwachs war in der Bundesrepublik und in Großbritannien zu verzeichnen, wo neue Hütten wie die Pilze aus dem Boden schossen. Diese beiden Länder waren ja auch bisher in besonders hohem Maße für die Versorgung ihrer Verarbeitungsindustrie auf Aluminiumimporte angewiesen gewesen. In der Bundesrepublik erhöhte sich die Hüttenkapazität in der ersten Hälfte der 70er Jahre durch Hüttenneubauten und Erweiterungen um fast eine halbe Million Tonnen. In Großbritannien wurden drei neue Hüttenwerke mit einer Gesamtkapazität von 315.000 Jato in Betrieb genommen. Die Niederlande trugen mit 190.000 Tonnen zum Ausbau der europäischen Kapazitäten bei, Norwegen mit 140.000 Tonnen (nach einem Zuwachs von 240.000 Tonnen zwischen 1966 und 1969), und Spanien und Jugoslawien mit je 120.000 Tonnen. Die neuen Kapazitäten kamen zu einem Zeitpunkt auf den Markt, als Währungsturbulenzen, hohe Inflationsraten und der Ölpreisschock des Jahres 1973 die Wirtschaft der westlichen Industrieländer vor eine schwierige Belastungsprobe stellten. Die Folge war eine schwere Krise der Aluminiumindustrie, deren Auswirkungen fast ein Jahrzehnt lang zu spüren waren. Tabelle 25: Entwicklung der Hüttenkapazität der westlichen Welt 1969/1974 6 Millionen t Westeuropa Nordamerika Asien Übrige Westliche Welt
1969
1974
69/74
%
1,9 4,6 0,7 0,5
3,5 5,6 1,9 0,9
1,6 1,0 1,2 0,4
84 % 22 % 171 % 80 %
7,7
11,9
4,2
55 %
15.2 Der Weg wird frei für den Hüttenbau in der Bundesrepublik Bis in die Zeit des Zweiten Weltkrieges waren Aluminiumhütten fast ausschließlich an Standorten errichtet worden, an denen billige Wasserkraft zur Verfügung stand. Mit seinen überwiegend auf Kohlebasis betriebenen Hütten nahm Deutschland eine Ausnahmestellung ein, die sich aus den historischen Umständen bei der Entstehung der deutschen Hüttenindustrie während des Ersten Weltkrieges erklärte. Damals wie auch beim Ausbau der Aluminiumindustrie im Dritten Reich war man weitgehend auf Kohlestrom angewiesen, da Wasserkraft nicht in ausreichendem Umfange verfügbar war bzw. in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht erschlossen werden konnte. Seit den 50er Jahren war weltweit ein Trend zur Verwendung von fossiler Energie für die Aluminiumerzeugung zu erkennen, der das bisherige Monopol der Wasserkraft allmählich zugunsten von Erdgas, Kohle und Erdöl zurückdrängte7. Der ver-
357 stärkte Einsatz fossiler Energie für die Stromversorgung von Aluminiumhütten war allerdings nur möglich, weil die Kraftwerksindustrie in den Nachkriegsjahren große Fortschritte bei der Entwicklung moderner Großkraftwerke mit deutlich verbessertem Nutzungsgrad gemacht hatte. Völlig neue Perspektiven schienen sich der Aluminiumindustrie mit dem Aufkommen der ersten Kernkraftwerke zu eröffnen. Die Aluminiumindustrie versprach sich von der neuen Technologie nicht nur deutliche Kostenvorteile gegenüber der konventionellen Energie sondern verknüpfte mit ihr auch die Hoffnung, dass man Aluminiumhütten in Zukunft vermehrt in bereits erschlossenen Industriegebieten in der Nähe der Absatzmärkte ansiedeln könne 8. In der Vergangenheit waren die auf Wasserkraftbasis betriebenen Aluminiumhütten bei den Staudämmen und Wasserkraftwerken errichtet worden, von denen sie ihren Strom bezogen. Dies erklärt, warum viele Hütten an abgelegenen Standorten weitab von den Verbraucherzentren entstanden, in denen das Aluminium verarbeitet wurde. Nachdem die Wasserkraftreserven in den meisten Industrieländern zur Neige gegangen waren, wandte sich die Aluminiumindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals auch Hüttenprojekten in Afrika und Südamerika zu, wo noch riesige Wasserkraftvorkommen der Erschließung harrten 9. Die hohen Infrastrukturkosten, die mit Industrieansiedlungen in Entwicklungsländern verbunden waren, sowie die politische Instabilität vieler dieser Länder erklären die Zurückhaltung der Industrie bei der Verfolgung solcher Projekte. Demgegenüber versprach die Errichtung von Aluminiumhütten inmitten der großen Verbraucherzentren, die mit dem Aufkommen der Atomenergie und dem verstärkten Einsatz von fossiler Energie in den Bereich des Möglichen gerückt war, wesentliche Vorteile, die auch Strompreise rechtfertigten, die in aller Regel über den Kosten für Wasserkraft an revierfernen Standorten lagen. Neben den geringeren Aufwendungen für die Infrastruktur und den Einsparungen auf dem Gebiet der Logistik sprach für die marktnahe Hütte auch die Möglichkeit einer besseren Koordination zwischen Metallerzeugung und Metallverarbeitung, die vor allem bei der Herstellung von Walzerzeugnissen eng miteinander verzahnt sind. Das in Masselform eingeführte Aluminium (so lautete das Argument) müsse beim Verbraucher erst wieder eingeschmolzen werden, um daraus Barren, Bolzen und andere Formate herzustellen. In der so genannten „Hütte am Markt“ könnten die Formate aus flüssigem Metall abgegossen werden, also „in einer Hitze“ verarbeitet werden, wodurch Energie eingespart werde. Die marktnahe Hütte könne auch flexibler auf Kundenwünsche reagieren als eine marktferne Hütte mit ihrem meist unbeweglichen Apparat. Vor allem aber sei durch die Hütte am Markt ein höheres Maß an Versorgungssicherheit für die inländischen Verarbeiter gewährleistet. Angesichts der zuletzt aufgetretenen Versorgungsengpässe war dies ein ernst zu nehmendes Argument, das seine Wirkung nicht verfehlte. Braunkohle und Kernkraft waren die wichtigsten Energiequellen für die neuen Aluminiumhütten, die Ende der 60er und anfangs der 70er Jahre in Deutschland errichtet wurden. Der Weg für einen großzügigen Ausbau der deutschen Hüttenkapazitäten war frei geworden, nachdem sich die Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk
358 AG (RWE) zu einer Änderung ihrer bisherigen Preispolitik entschlossen hatte und der Aluminiumindustrie Sonderkonditionen anbot, die eine Ansiedlung von Aluminiumhütten im Liefergebiet der Gesellschaft ermöglichen sollten. Der Entscheidung des RWE waren Gespräche mit Aluminiumkonzernen und anderen Betreibern stromintensiver Fabriken vorausgegangen, die sich auf der Suche nach geeigneten Standorten an den damals größten deutschen Stromerzeuger gewandt hatten. Mit seinem billigen Braunkohlestrom schien das RWE am ehesten in der Lage zu sein, die Anforderungen dieser Unternehmen in Bezug auf eine sichere und preisgünstige Stromversorgung zu erfüllen. Zu den Gesprächspartnern des RWE gehörte der Alusuisse-Konzern, der sich schon seit Jahren um einen geeigneten Standort für eine Aluminiumhütte in der Bundesrepublik bemühte. Die Alusuisse hatte Mitte der 60er Jahre mit der Preussag AG über den gemeinsamen Bau einer Aluminiumhütte in Ibbenbüren verhandelt, deren Strombedarf durch ein Kohlekraftwerk gedeckt werden sollte, das die Preussag auf ihrer dortigen Steinkohlenzeche errichtete. Nach dem Scheitern dieses Projektes, das sich wegen der hohen Stromkosten nicht rechnete, plante der Schweizer Konzern jetzt gemeinsam mit der Metallgesellschaft die Errichtung einer Hütte im Versorgungsgebiet des RWE. Wie bereits berichtet, hatten Alusuisse und Metallgesellschaft in dem Kooperationsvertrag von 1966 eine umfassende Zusammenarbeit bei der Erzeugung und Verarbeitung von Aluminium in der Bundesrepublik vereinbart. Als Trägergesellschaft für die gemeinsamen Aktivitäten hatten sie die Leichtmetall-Gesellschaft mbH (LMG) in Frankfurt gegründet, an der sie direkt oder über ihre Tochtergesellschaften je zur Hälfte beteiligt waren. Die LMG war der erste Abnehmer aus dem Bereich der Aluminiumindustrie, mit dem das RWE einen langfristigen Stromvertrag zu den neuen Sonderkonditionen abschloss. Der Vertrag hatte eine Laufzeit von zwanzig Jahren. Der vereinbarte Preis lag geringfügig über zwei Pfennig pro Kilowattstunde und entsprach damit den Konditionen, die in anderen europäischen Ländern für Elektrolysestrom vereinbart wurde. Der Vertrag mit der LMG hatte Modellcharakter für die Stromverträge, die das RWE in der Folge mit den anderen Aluminiumkonzernen abschloss. Ein weiterer Interessent war die US-amerikanische Kaiser Aluminum & Chemical Corporation, die seit Anfang der 60er Jahre das Ziel verfolgte, durch Beteiligung an Unternehmen der Aluminium verarbeitenden Industrie und durch den Bau eigener Verarbeitungswerke auf dem europäischen Aluminiummarkt Fuß zu fassen. Da man auf eine marktnahe Metallversorgung der europäischen Betriebe nicht verzichten wollte, war die Errichtung einer Aluminiumhütte in einem der EWG-Länder ein wesentlicher Bestandteil der Strategie des Konzerns. Die Gespräche, die Kaiser mit dem RWE und anderen Stromlieferanten in der Bundesrepublik und in den europäischen Nachbarländern über die Stromversorgung der geplanten Hütte führte, waren bisher ohne Ergebnis geblieben. Keiner der angesprochenen Stromlieferanten war bereit, die Preisvorstellungen des Kaiser-Konzerns zu akzeptieren, der maximal zwei Pfennige pro Kilowattstunde bezahlen wollte. Bei dem damaligen Wechselkurs zwi-
359 schen Deutscher Mark und US-Dollar entsprach dieser Preis den fünf US-Mils pro Kilowattstunde, die der Kaiser-Konzern in seiner Hütte in Ravenswood/West Virginia für Kohlestrom bezahlte. Der Durchbruch erfolgte im Spätsommer 1967, als der Vorstand des RWE den Vertretern von Kaiser die Bereitschaft seiner Gesellschaft signalisierte, auf ihre Forderungen einzugehen. Der in den anschließenden Verhandlungen festgelegte Preis lag geringfügig über der von Kaiser genannten Höchstmarke. Auf der Grundlage der damaligen Preis- und Kostenerwartungen erfüllte er aber die Voraussetzungen für einen rentablen Betrieb der geplanten Hütte, die in Voerde am Niederrhein errichtet werden sollte. Für eine zweite Ofenlinie sollten dieselben Konditionen wie für die erste Linie gelten, sofern ihre Inbetriebnahme innerhalb von fünf Jahren erfolgte. Darüber hinaus wurde Kaiser eine Option auf zusätzliche Energiemengen für bis zu drei weiteren Ofenlinien eingeräumt, wobei über die Konditionen zu gegebener Zeit Einvernehmen erzielt werden sollte 10. Den Grundsatzvereinbarungen mit Alusuisse und Kaiser folgte bald eine entsprechende Übereinkunft des RWE mit der VAW, die auf Grund ihrer langjährigen Geschäftsverbindung auf Gleichbehandlung pochte. Wie wir uns erinnern, hatte die VAW den weiteren Ausbau der 1963 in Betrieb genommenen ersten Ausbaustufe des Rheinwerkes unter anderem deswegen zurückgestellt, weil der aus der Eigenerzeugung verfügbare Strom für die Versorgung der Hütten in Lünen (Lippewerk) und Grevenbroich (Erftwerk) benötigt wurde und der Zukauf von zusätzlichem Strom bisher an der Preisforderung des RWE gescheitert war. Jetzt bot sich für die VAW die Möglichkeit, ihre Vereinbarungen mit dem RWE auf eine neue Grundlage zu stellen. Die Bedingungen für die laufenden Stromlieferungen wurden an die neue Situation angepasst. Darüber hinaus verpflichtete sich das RWE, die für den Ausbau des Rheinwerkes benötigte Leistung bereitzustellen und zwar zu Bedingungen, die weitgehend denjenigen entsprachen, die mit Alusuisse und Kaiser vereinbart worden waren. Darüber hinaus erhielt VAW die Zusicherung, dass das RWE keinem anderen Abnehmer mit vergleichbaren Abnahmeverhältnissen günstigere Konditionen einräumen werde. Diese Vereinbarungen öffneten den Weg für die geplante Erweiterung des Rheinwerkes11. Der Kurswechsel des RWE findet seine Erklärung vor allem in der ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklung der Region an Ruhr und Rhein, deren Strukturprobleme während der ersten Nachkriegsrezession in der Bundesrepublik in den Jahren 1966/ 1967 deutlich zu Tage getreten waren. Die einseitige Ausrichtung dieses Gebietes auf Kohle und Stahl, beides Wirtschaftszweige, die auf der Schattenseite der Konjunktur standen und die auch mittel- und längerfristig keine günstige Entwicklung erwarten ließen, musste auch das RWE mit Sorge erfüllen. Es bestand ein starkes Interesse an einer Strukturverbesserung des von Krisen geschüttelten Gebietes durch die Ansiedlung neuer, zukunftsträchtiger Industrien, die auch langfristig die Gewähr für einen wachsenden Stromabsatz im Versorgungsgebiet des Unternehmens boten. Aluminiumhütten waren in idealer Weise geeignet, zu einer effizienten Nutzung der vor allem im Grundlastbereich eingesetzten Braunkohlekraftwerke des RWE beizutragen, da sie
360 rund um die Uhr bei gleich bleibender Leistung große Mengen Strom für den Betrieb der Elektrolyse benötigen. Durch ihre Abnahmestruktur unterscheiden sich Aluminiumhütten und andere Elektrolysen (wie zum Beispiel Chlor- und Zinkelektrolysen) von der Masse der industriellen und privaten Stromabnehmer, die die vorgehaltene elektrische Leistung nur in Spitzenzeiten voll in Anspruch nehmen. Aus der Sicht des Stromversorgers rechtfertigte die unterschiedliche Abnahmestruktur die Einräumung eines Vorzugstarifs an diese stromintensiven Betriebe, der erheblich unter den üblichen Industrietarifen lag. Dabei ging es um große Mengen an elektrischer Energie, die auch für einen Stromgiganten wie das RWE ins Gewicht fielen. Die Jahresabnahme der Alusuisse-Hütte in Essen für die ersten beiden Linien von ca. 1,3 Milliarden Kilowattstunden entsprach dem damaligen Jahresverbrauch der Stadt Essen einschließlich der Verkehrbetriebe. Obwohl die riesigen Braunkohlefelder der RWE-Tochter Rheinbraun im Kölner Becken keinen Zweifel daran aufkommen ließen, dass das RWE auch langfristig in der Lage sein würde, mit seinen konventionellen Braunkohlekraftwerken die Aluminiumhütten zu den zugesagten günstigen Bedingungen zu beliefern, gingen die Beteiligten damals von der Erwartung aus, dass der Braunkohlestrom mittelfristig durch den noch günstigeren Atomstrom ersetzt werden würde. In die Stromverträge wurde daher eine so genannte „Atomstromklausel“ aufgenommen, die den Abnehmern das Recht einräumte, nach Ablauf von zehn Jahren eine Neufestsetzung des Strompreises zu verlangen, wenn die Kosten für Atomstrom unter denen des Braunkohlestroms liegen sollten. Dazu ist es freilich in keinem einzigen Fall gekommen, da sich die damaligen Erwartungen in Bezug auf die Kostenvorteile der Atomenergie als unrealistisch erwiesen haben. Nachdem die Vereinbarungen des RWE mit Alusuisse, Kaiser und VAW das Eis gebrochen hatten, zeigten auch andere Stromlieferanten in der Bundesrepublik Interesse an der Ansiedlung von Aluminiumhütten in ihrem Versorgungsgebiet. Im Norden der Bundesrepublik kam es 1969 zwischen der VAW und der Nordwestdeutschen Kraftwerk AG (NWK) zum Abschluss eines Stromvertrages, der die Grundlage für die VAW-Hütte in Stade an der Niederelbe bildete. Die VAW hatte sich kurzfristig für die Errichtung einer neuen Hütte im Einzugsgebiet des NWK entschlossen, das einen ähnlich günstigen Strompreis anbot, wie er mit dem RWE vereinbart worden war. Für die erste Ausbaustufe wurden 120 MW, für den Gesamtausbau bis zu 500 MW zur Verfügung gestellt. Der Vertrag lief zunächst bis Ende 1993, konnte aber verlängert werden. Die NWK betrachtete die damals noch im Bau befindlichen Kernkraftwerke in Stade und Brunsbüttel sowie die ihr zur Verfügung stehende Importkohle als ausreichende Energiebasis für die Belieferung der neuen VAW-Hütte, die für eine Anfangskapazität von 60.000 Jato ausgelegt war12. Mit billigem Atomstrom sollte auch der Hütten- und Walzwerkskomplex versorgt werden, den der amerikanischen Aluminiumproduzent Reynolds anfangs der 70er Jahre in Hamburg errichtete. Die Energieversorgung der Hütte wurde durch einen langfristi-
361 gen Stromvertrag mit den Hamburger Elektrizitätswerken (HEW) sichergestellt, der äußerst günstige Bedingungen für den Abnehmer enthielt. Nach den Vorstellungen der HEW sollte die für Hütte und Walzwerk benötigte Gesamtleistung von 250 MW durch das Kernkraftwerk in Stade bereitgestellt werden, an dem das HEW beteiligt war. Offenbar ging man beim HEW davon aus, dass dieses Kernkraftwerk, das 1972 mit einer Leistung von 660 MW ans Netz gehen sollte, auch langfristig mit weitgehend konstanten Gestehungskosten produzieren werde. Man verzichtete daher auf eine Preisanpassungsklausel im Stromvertrag und vereinbarte mit Reynolds einen Festpreis, der bis in das nächste Jahrhundert gelten sollte. Das HEW musste freilich schon bald erkennen, dass man die zukünftige Kostenentwicklung der Kernkraft viel zu optimistisch eingeschätzt hatte. Dem Vernehmen nach lag der mit Reynolds vereinbarte Preis bei zwei Pfennig pro Kilowattstunde. Er war damit schon im Zeitpunkt des Vertragsschlusses etwas niedriger als der Preis, den das RWE einige Jahre zuvor mit den Betreibern der Hütten in Essen, Norf und Voerde vereinbart hatte. Im weiteren Verlauf klaffte der Unterschied zwischen Hamburg und der Konkurrenz immer weiter auseinander. In den 80er Jahren versuchte das HEW vergeblich, sich mit juristischen Mitteln aus dem Vertrag zu befreien, der zu einer enormen Belastung für das Unternehmen geworden war. Die Verfügbarkeit billiger Energie in ausreichenden Mengen war der bestimmende Faktor für die Ansiedlung neuer Aluminiumhütten in der Bundesrepublik. Aber auch die so genannten Investitionshilfen der öffentlichen Hand haben die Entscheidung der Aluminiumkonzerne maßgeblich beeinflusst. Alusuisse und Kaiser konnten in den Verhandlungen mit der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen darauf verweisen, dass ihnen auch in anderen europäischen Ländern umfangreiche Subventionen angeboten worden waren, zum Teil in der Form von staatlich subventionierten Strompreisen (so in England) oder als direkte Finanzierungshilfe. Das Image der Aluminiumindustrie als einer jungen und dynamischen Branche mit ausgezeichneten Wachstumschancen machte Aluminiumbetriebe damals zu begehrten Ansiedlungsobjekten, die von den um Strukturverbesserung bemühten Ländern und Kommunen mit attraktiven Angeboten umworben wurden. Man darf wohl davon ausgehen, dass das Land NordrheinWestfalen seinen Einfluss beim RWE geltend gemacht hat, um sicherzustellen, dass der Stromlieferant den ansiedlungswilligen Konzernen bei den Stromkonditionen so weit wie irgend möglich entgegenkam. Darüber hinaus hat die Landesregierung in Düsseldorf in engem Zusammenwirken mit der Bundesregierung und der Hohen Behörde für die damals noch bestehende Montanunion ein Subventionspaket mit starken finanziellen Anreizen für die Investoren geschnürt. Zuschüsse des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen sowie zinsverbilligte Kredite des Bundes und der Montanunion trugen maßgeblich zur Finanzierung der neuen Hütten bei. Der Subventionswert der Förderungsmaßnahmen machte etwa zwanzig Prozent der Investitionsausgaben der drei Konzerne für den Bau bzw. die Erweiterung ihrer Hütten in Essen, Voerde und Norf aus. Die für die Hüttenprojekte an Rhein und Ruhr gewährten Investitionshilfen des Landes Nordrhein-Westfalen hatten Modellcharakter für die Projekte der Alu-
362 miniumindustrie im Bundesland Niedersachsen, das sich gleichfalls um die Ansiedlung von großen Industriebetrieben bemühte. In der Summe erreichten die Finanzierungshilfen, die das Land Niedersachsen für die Aluminiumhütte der VAW in Stade und für das von VAW und Reynolds gemeinsam am selben Standort gebaute Tonerdewerk in etwa den Umfang der Förderung, die die Industrie für ihre Hüttenprojekte in Nordrhein-Westfalen erhalten hat. Während die VAW in dem 1960 erworbenen Areal im Rheinbogen bei Norf bereits einen hervorragend geeigneten Standort für den Ausbau ihrer Hüttenkapazitäten besaß, mussten für Alusuisse und Kaiser geeignete Industrieflächen erst beschafft werden. In Betracht kamen nur Grundstücke, die durch ihre optimale Anbindung an die Verkehrswege eine Anlieferung der Tonerde und anderer Rohstoffe auf dem Wasserweg ermöglichten und günstige Bedingungen für den Versand der Hüttenproduktion per Binnenschiff, LKW oder Eisenbahn an die Abnehmer bot. Diese Voraussetzungen erfüllte in idealer Weise ein 85 Hektar großes, nördlich der Stadt Voerde direkt am Rhein gelegenes Areal im damaligen Landkreis Dinslaken, der sich besonders eifrig um Industrieansiedlungen bemühte. Sowohl Kaiser als auch Alusuisse bewarben sich um diesen Standort, der durch einen unmittelbar neben dem Werksgelände geplanten Rheinhafen an das Wasserstraßennetz angebunden werden sollte. Nach heftigen internen Auseinandersetzungen zwischen den Fraktionen des Kreistages von Dinslaken erhielt schließlich Kaiser mit den Stimmen der SPD-Mehrheit den Zuschlag. Die Alusuisse entschied sich darauf für den Standort Essen-Borbeck, wo auf dem früheren Kruppschen Werksgelände eine große Industriebrache für die Ansiedlung zur Verfügung stand, die bereits über einen eigenen Hafen am Rhein-Herne-Kanal verfügte. Auf dem ca. 150 Hekt. großen Gelände hatte bis Kriegsende ein Stahl- und Walzwerk der Firma Krupp gestanden, das nach dem Krieg demontiert worden war. In den Ansiedlungsverträgen mit den Investoren verpflichteten sich der Landkreis Dinslaken und die Stadt Essen zu beträchtlichen Vorleistungen bei der Erstellung der notwendigen Infrastruktur, für die sie ihrerseits Finanzierungshilfen des Landes in Anspruch nehmen konnten. Die Kosten für den Bau des Rheinhafens in VoerdeEmmelsum übernahm das Land Nordrhein-Westfalen. Die VAW war schon in den 60er Jahren in den Genuss der staatlichen Förderung gekommen, als das Land Nordrhein-Westfalen den Rheinhafen bei Neuss/Norf für die Erschließung des Industriegeländes im Rheinbogen erbaute. Auch das Land Niedersachsen hat für die Ansiedlung der VAW-Hütte in Stade und des von VAW und Reynolds gemeinsam gebauten Oxidwerkes Vorleistungen in Millionenhöhe erbracht. Das Land errichtete in unmittelbarer Nachbarschaft zum Werksgelände an der Niederelbe einen öffentlichen Anleger für seegängige Schiffe, der die Anlieferung von Bauxit und Tonerde aus Übersee erlaubte. Bei der Grundstückserschließung entstanden unerwartete Mehrkosten, als sich herausstellte, dass das Gelände um mehrere Meter aufgeschüttet und durch aufwendige Pfahltechnik befestigt werden musste. Auch diese Kosten mussten teilweise auf die Staatskasse übernommen werden.
363 Die großzügigste Förderung erhielt zweifellos Reynolds für den Bau seiner Aluminiumhütte mit angeschlossenem Walzwerk in Hamburg. Die Hansestadt Hamburg, die nicht hinter Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zurückstehen wollte, scheute keine Kosten, um als letzter Bundesstaat auch noch ein Unternehmen der Aluminiumbranche zur Ansiedlung im Stadtstaat zu bewegen. Die Stadt musste erhebliche Vorleistungen in Form von Infrastrukturmaßnahmen und Investitionszuschüssen erbringen, die die Stadtkasse in der Summe mit etwa 130 Millionen D-Mark belasteten. Dazu kamen 16 Millionen D-Mark als Bareinlage in die Reynolds Aluminium Hamburg GmbH (die Trägergesellschaft des Hamburger Projekts), an der sich die Stadt auf Wunsch von Reynolds mit einer Quote von zehn Prozent beteiligte. Schließlich fand sich die Stadt auf Verlangen von Reynolds auch bereit, die Bürgschaft für Darlehen und Kredite im Gesamtbetrag von 534 Millionen D-Mark zu übernehmen13. Damit lag das finanzielle Risiko für die Großinvestition weitgehend bei der Stadt. Der Einsatz von Reynolds beschränkte sich auf seinen 90 %igen Anteil am Kapital der Trägergesellschaft, der zum größten Teil durch die Übertragung des Verarbeitungsbetriebes in Nachrodt als Sacheinlage erbracht wurde. Kritische Stimmen wiesen schon damals darauf hin, dass Reynolds bei einem Rückzug aus dem Unternehmen außer seinem guten Namen nicht viel zu verlieren habe. Aus heutiger Sicht ist schwer nachzuvollziehen, wie sich die Hansestadt auf einen „deal“ einlassen konnte, bei dem alle Vorteile auf Seiten des Investors lagen. Wie wir in einem späteren Kapitel sehen werden, mussten die Stadt (und ihre Steuerbürger) viel Lehrgeld bezahlen, als das hoffnungsvoll begonnene Projekt Mitte der 70er Jahre in schwieriges Fahrwasser geriet14. Die in Hamburg und anderwärts praktizierte Großzügigkeit der öffentlichen Hände findet ihre Erklärung in den gut gefüllten staatlichen Kassen und dem Wettbewerb um spektakuläre Industrieansiedlungen, den die Konzerne durch gegenseitiges Ausspielen der Länder geschickt ausnutzten. Dass sie sich dabei selbst keinen Gefallen getan haben, bewies die weitere Entwicklung der Industrie, die nicht zuletzt wegen der großzügigen Förderung ihre Kapazitäten weit über das vertretbare Maß hinaus ausbaute und dafür einen hohen Preis bezahlen musste.
15.3 Die neuen Hütten Ludwigshafen (Gebr. Guilini GmbH) 15 Als erste der neuen Hütten in der Bundesrepublik nahm zu Beginn des Jahres 1970 die Elektrolyse der Gebr. Guilini GmbH in Ludwigshafen den Betrieb auf. Die Enkelgeneration der Eigentümerfamilien Guilini und von Salmuth hatte sich Mitte der 60er Jahre zum Bau einer kleinen Aluminiumhütte auf dem Werksgelände in Ludwigshafen entschlossen. Alle Voraussetzungen schienen erfüllt, um den Jahrzehnte alten Traum
364 von der eigenen Hütte zu verwirklichen. Von dem zentralen Standort der Hütte mitten im Absatzgebiet versprach man sich Fracht- und andere Vorteile im Wettbewerb mit Hütten, die fernab vom Markt „in der Wüste“ produzierten16. Den Tonerdebedarf der in der Endstufe für eine Produktionsleistung von 44.000 Jato ausgelegten Elektrolyse konnte man kostengünstig aus der eigenen Tonerdeerzeugung decken, die man im Zusammenhang mit dem Hüttenbau um ca. zwanzig Prozent auf 140.000 bis 150.000 Jato auszuweiten gedachte. Die Vermarktung der Produktion der Hütte sollte angesichts der ungebrochenen Nachfrage nach Aluminium keine Probleme bereiten. Auch an Markterfahrung fehlte es nicht, hatte man doch seit Jahren Hüttenaluminium auf dem deutschen Markt verkauft, das man sich durch die Umwandlung der eigenen Tonerde im österreichischen Hüttenwerk Ranshofen sowie durch Fremdkäufe vor allem in den USA beschaffte17. Ein beträchtlicher Teil der Produktion der neuen Hütte war überdies für die Versorgung des den Eigentümerfamilien gehörenden Aluminiumpresswerkes in Wutöschingen bestimmt. Bürgschaften des Bundes und des Landes RheinlandPfalz stellten die Finanzierung des ehrgeizigen Vorhabens sicher. Den Strom lieferte das örtliche Stromversorgungsunternehmen Pfalzwerke AG, das freilich mangels eigener Kraftwerkskapazität auf Lieferungen aus dem benachbarten Großkraftwerk Mannheim angewiesen war. Der Stromliefervertrag mit den Pfalzwerken wich in wichtigen Punkten zum Nachteil des Abnehmers von den Konditionen ab, die das RWE wenig später mit Alusuisse, Kaiser und VAW für deren Hütten in Nordrheinwestfalen vereinbarte. Wie wir noch sehen werden, hat dies wesentlich zum späteren Scheitern des Ludwigshafener Unternehmens beigetragen. Mit 2,5 Pfennig pro Kilowattstunde zahlte Guilini einen zehn Prozent höheren Strompreis als die Konkurrenz. Außerdem lief die Festpreisperiode, nach deren Ablauf der Strompreis an die gestiegenen Kosten angepasst werden konnte, in Ludwigshafen schon am 31. Dezember 1975 ab, während die Hütten in Essen, Voerde und Norf noch bis zum Ende der 70er Jahre in den Genuss der ursprünglich vereinbarten Festpreise kamen. Da man bei Guilini über das technische Know-How für den Bau und den Betrieb einer modernen Aluminiumhütte nicht selbst verfügte, entschloss man sich zur Zusammenarbeit mit der Alusuisse, die sich als Lieferant von Hüttentechnologie einen Namen gemacht hatte18. Man entschied sich für einen Ofentyp, den die Alusuisse seit Mitte der 60er Jahre verwendete und der sich in der von ihr gemeinsam mit Hoogovens und Billiton errichteten Hütte in Delphzijl bewährt hatte. Mit einer Stromstärke von 110.000 Ampere entsprach dieser Ofen dem damaligen Stand der Technik in Europa. Er war aber deutlich kleiner als die neuesten Öfen der amerikanischen Konkurrenz, die mit einer Stromstärke von 130.000 Ampere und mehr gefahren wurden. Wie in Europa allgemein üblich, war der Alusuisse-Ofen nicht verkapselt. Die Ofenabgase wurden mittels einer Absaugevorrichtung an das Hallendach geleitet und in der dort installierten Filter- und Waschanlage gereinigt. Diese so genannte Dachwäsche genügte den damaligen Vorschriften über den Umweltschutz, war aber nicht geeignet, die verschärften Anforderungen an den Immissionsschutz und an die Reinhaltung der Hallenatmosphäre
365 zu erfüllen, die in den 80er Jahren eingeführt wurden. Im Rahmen der ersten Ausbaustufe wurde in Ludwigshafen auch eine moderne Gießerei errichtet, deren Kapazität bereits auf den Endausbau der Hütte zugeschnitten war. Die Versorgung der Hütte mit Anoden wurde durch einen langfristigen Vertrag mit der Alusuisse sichergestellt, der eine Belieferung aus deren zentralen Kohlestofffabrik in Rotterdam vorsah. Auf den Bau einer eigenen Anodenfabrik konnte man daher verzichten. Mit der Alusuisse wurde auch ein Beratungsvertrag abgeschlossen, der Guilini gegen Zahlung einer Lizenzgebühr Zugang zu zukünftigen technischen Entwicklungen auf dem Hüttensektor verschaffen sollte. Bei der Vergabe der Bauarbeiten für die erste Ausbaustufe profitierte man von den niedrigen Bau- und Materialpreisen im Rezessionsjahr 1967. Diesem Umstand und der Tatsache, dass ein großer Teil der vorhandenen Infrastruktur auch für den Hüttenbetrieb genutzt werden konnte, war es zu verdanken, dass die neue Hütte in Ludwigsburg mit Baukosten errichtet werden konnte, die weit unter denjenigen der Konkurrenz lagen. In seiner Festrede anlässlich der feierlichen Eröffnung der neuen Hütte am 16. Januar 1970 kam der Geschäftsführer und Miteigentümer Udo Guilini auch auf die wechselvolle Vorgeschichte des Hüttenbaus in Ludwigshafen zu sprechen, über die wir in diesem Buch an mehreren Stellen berichtet haben. Nicht ohne Bitterkeit stellte Guilini fest, dass der Weg zur eigenen Hütte seit den Zeiten des Kaiserreichs gespickt gewesen sei „mit den allergrößten Schwierigkeiten, die man einem privaten Familienunternehmen machte, um zu verhindern, dass es in die Aluminiumindustrie einsteigt, obwohl es der Anreger und Promoter für die Aluminiumindustrie in Deutschland war“. In der Hitlerzeit habe man nicht einmal davor zurückgescheut, die in Ludwigshafen installierte Versuchselektrolyse zu konfiszieren und der damaligen Geschäftsführung Gefängnisstrafen anzudrohen19. Mit unüberhörbarem Stolz meldete er der im Saal anwesenden Familienpatriachin Alwine Freifrau von Salmuth, einer Enkelin von Georg Guilini, den Vollzug des seit langem gehegten Planes einer eigenen Hütte. Das Gefühl des Stolzes auf das Erreichte dürfte bei Udo Guilini freilich durch die Sorge über die Entwicklung des Aluminiummarktes überschattet gewesen sein, der damals schon deutliche Zeichen einer Abschwächung erkennen ließ. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, wurde der Nachkriegsboom in den 70er Jahren durch eine Periode wirtschaftlicher Schwierigkeiten abgelöst, die die Aluminiumindustrie in der ganzen westlichen Welt in größte Bedrängnis brachten. Trotz der zwischenzeitlich eingetretenen Abkühlung der Aluminiumkonjunktur entschloss sich Guilini nach der Inbetriebnahme der ersten Ausbaustufe zum Bau einer weiteren Linie, die die Gesamtkapazität der Anlage auf 44.000 Jato brachte. Nach Fertigstellung der zweiten Ausbaustufe im September 1972 nahm man aber wegen der schlechten Marktlage zunächst nur zwanzig der insgesamt achtzig neuen Öfen in Betrieb. Den Vollbetrieb erreichte die Anlage erst im Herbst des folgenden Jahres. Zu diesem Zeitpunkt machte die Aluminiumsparte bereits hohe Verluste, die auch durch die Gewinne der anderen Sparten der Gesellschaft nicht mehr ausgeglichen werden konnten. Am Ende stand der Konkurs des ganzen Unternehmens.
366 Voerde (Kaiser-Preussag) 20 Das Hüttenprojekt von Kaiser in Voerde/Niederrhein wäre fast noch in letzter Minute gescheitert, nachdem die Konzernleitung in Kalifornien entschieden hatte, dass das Vorhaben nur in Kooperation mit einem Partner durchgeführt werden dürfe, der sich mit einer Quote von fünfzig Prozent an der Aluminiumhütte beteiligte. Auf diese Weise wollte man eine Vollkonsolidierung der Hüttengesellschaft vermeiden, die zu einer spürbaren Verschlechterung der Bilanzrelationen des Konzerns geführt hätte. Die Entscheidung der Konzernleitung löste eine fieberhafte Suche nach geeigneten Partnern in der Bundesrepublik und in den europäischen Nachbarländern aus. Die Gespräche mit den Interessenten standen unter enormem Zeitdruck, da die Optionen für das Fabrikgelände, die der Landkreis Dinslaken mit einer großen Zahl von Eigentümern ausgehandelt hatte, innerhalb kurzer Fristen ausgeübt werden mussten. Nach vielen Absagen erreichte Kaiser kurz vor dem endgültigen Verfall der Optionen eine positive Reaktion der Preussag AG in Hannover, die sich seit Jahren um eine Erweiterung ihres traditionellen Metallgeschäftes auf dem Blei- und Zinksektor durch neue Aktivitäten bemühte. Wie bereits berichtet, hatte die Preussag Mitte der 60er Jahre mit der Alusuisse über den gemeinsamen Bau einer Aluminiumhütte in Ibbenbüren/Westfalen verhandelt, wo die Gesellschaft eine Steinkohlenzeche betrieb und Abnehmer für ein dort geplantes Kohlekraftwerk suchte. Wegen der hohen Stromerzeugungskosten des geplanten Kraftwerkes war dieses Hüttenprojekt nicht weiter verfolgt worden. Das Interesse der Preussag an einem Engagement auf dem zukunftsträchtigen Aluminiumsektor war jedoch geblieben. Die Verhandlungen zwischen Kaiser und Preussag führten schon nach wenigen Wochen zum Abschluss eines Grundsatzvertrages, in dem der gemeinsame Bau und Betrieb der Aluminiumhütte in Voerde vereinbart wurde. Als Träger des gemeinsamen Unternehmens wurde anfangs 1969 die Kaiser-Preussag Aluminium GmbH (Kurzfassung KAPAL) gegründet, an deren Kapital und Management die beiden Gesellschafter paritätisch beteiligt waren. Jede der beiden Partnerfirmen war für die Vermarktung ihres Anteils an der Hüttenproduktion selbst verantwortlich. Das Know-how für Bau und Betrieb der Hütte stellte der amerikanische Partner im Rahmen eines Technical-Assistance-Vertrages bereit. Mit Kaiser wurden auch langfristige Lieferverträge für Tonerde und Petrolkoks geschlossen. Mittelfristig war eine gemeinsame Beteiligung an einem Bauxit- und Tonerdeunternehmen geplant. Die erste Ausbaustufe der Hütte in Voerde war für eine Kapazität von 64.000 Jato ausgelegt. Sie bestand aus einer Ofenreihe mit 188 Elektrolysezellen sowie einer Gießerei, in der das Heißmetall zu Walzbarren, Pressbolzen und Masseln gegossen wurde, und einer Anlage zur Herstellung von Anoden und Kathodenblöcken 21. Kaiser verwendete in Voerde eine geringfügig modifizierte Version des Elektrolyseofens, den der Konzern für seine 1966/1967 in Ghana errichtete Aluminiumhütte entwickelt hatte. Der Ofen war für eine Belastung mit 133.000 Ampere ausgelegt, wurde aber schon nach wenigen Jahren mit einer Stromstärke von 150.000 Ampere gefahren.
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Abb. 41: Aluminiumhütte in Voerde
Im Unterschied zu den in Europa üblichen offenen Öfen war der Kaiser-Ofen verkapselt, was ein Austreten der Ofenabgase in die Hallenatmosphäre verhinderte. Bei dieser in den USA Anfang der 60er Jahre eingeführten und heute überall üblichen Ofenkonstruktion werden die Ofenabgase in den verkapselten Zellen erfasst und über ein Rohrleitungssystem zu einer zentralen Abgasreinigung geführt. Dieses System bot deutliche Vorteile gegenüber der in Europa üblichen Dachwäsche, wie wir sie bei der Beschreibung der Guilini-Hütte in Ludwigshafen kennen gelernt haben. Die Erfassung der Ofenabgase in den Zellen sorgt nicht nur für eine saubere Hallenatmosphäre sondern ermöglicht auch eine wesentlich effizientere Reinigung der Gase in der zentralen Waschanlage, in der heute überall Filteranlagen mit hohem Wirkungsgrad die ursprünglich verwendete Nasswäsche durch Besprühen ersetzt haben. Neuland beschritt die in Voerde verwendete Ofentechnologie auch durch die Automatisierung wichtiger Bedienungsvorgänge, wie das Krustenbrechen und die „Fütterung“ des Ofens mit Tonerde, die bei den in Europa üblichen Ofentypen damals noch manuell durch das Bedienungspersonal erfolgten. Bei dem Kaiser-Ofen sorgte eine über der Zelle angebrachte, elektronisch gesteuerte Vorrichtung dafür, dass die Kruste in regelmäßigen Intervallen aufgebrochen und dem Ofen die notwendige Menge an Tonerde zugeführt wurde. Mit dieser Technologie war der erste Schritt auf dem Weg zu einer weitgehenden Automatisierung des Elektrolysebetriebes getan, wie sie heute allgemein üblich ist.
368 Der Bau der Hütte konnte trotz witterungsbedingter Erschwernisse in der Rekordzeit von fünfzehn Monaten abgeschlossen werden. Seit dem 1. Januar 1971 wurden die Elektrolysezellen sukzessive in Betrieb gesetzt. Den Vollbetrieb erreichte die Elektrolyse Ende April 1971. In der Zwischenzeit hatten sich die beiden Partnerfirmen über eine Erweiterung ihrer Zusammenarbeit auf den Bereich der Aluminiumverarbeitung verständigt. Mit Wirkung vom 1. Januar 1970 brachte Kaiser den größten Teil seiner europäischen Verarbeitungsaktivitäten in die Partnerschaft mit der Preusag ein. Außer dem uns bereits bekannten Halbzeugwerk in Koblenz gehörten dazu zwei Folienwalzund Veredlungsbetriebe in Belgien und in der Schweiz, ein Kabel- und Freileitungswerk in Berlin sowie ein Werk zur Herstellung von Aluminiumdosen in Recklinghausen. Die Kaiser-Preussag Aluminium GmbH mit Sitz in Düsseldorf, in der die Hütte in Voerde und die Verarbeitungsbetriebe unter einheitlicher Leitung zusammengefasst wurden, sollte nach dem Willen der Partner als neues und eigenständiges Unternehmen auf dem Aluminiummarkt tätig werden. Die mit einem Investitionsaufwand von 300 Millionen D-Mark errichtete Hütte in Voerde bildete das Kernstück des gemeinsamen Unternehmens. Für den Erfolg der Partnerschaft kam ihr eine entscheidende Bedeutung zu. Als die Bauarbeiten an der ersten Ausbaustufe im Herbst 1969 begannen, waren Kaiser und Preussag noch davon ausgegangen, dass eine zweite Ausbaustufe in kurzem zeitlichen Abstand folgen würde. Dazu ist es nicht mehr gekommen. Die weltweite Krise der Aluminiumindustrie in den 70er Jahren, über die wir im nächsten Kapitel berichten werden, machte die hoch gestimmten Pläne und Erwartungen der beiden Konzerne zunichte und führte schon nach wenigen Jahren zur Auflösung der Partnerschaft.
Essen-Borbeck (Leichtmetall-Gesellschaft mbH) 22 Auch die neue Aluminiumhütte in Essen wurde von einem „joint venture“ errichtet. Träger des Unternehmens war die bereits erwähnte Leichtmetall-Gesellschaft mbH (LMG), an der Alusuisse und Metallgesellschaft direkt oder über Tochtergesellschaften je zur Hälfte beteiligt waren. Die LMG hatte man 1966 gegründet, um den organisatorischen Rahmen für die Zusammenarbeit der beiden Konzerne auf dem Aluminiumsektor zu schaffen. Schon bei der Gründung der Gesellschaft war der gemeinsame Bau einer Aluminiumhütte in der Bundesrepublik als langfristiges Ziel in Aussicht genommen worden. Für die Metallgesellschaft eröffnete die Zusammenarbeit mit der Alusuisse die Chance, in den Kreis der Aluminiumproduzenten zurückzukehren, aus dem sie durch die Kriegsereignisse ausgeschlossen worden war. Über seine Tochtergesellschaften VDM und Karl Schmidt war der Konzern noch immer einer der bedeutendsten Aluminiumverarbeiter in der Bundesrepublik. Auch zählte der Handel mit Aluminium seit eh und je zum Kerngeschäft des Konzerns. Als Agent der kanadischen Alcan hatte die Metallgesellschaft nach dem Krieg viele Jahre lang große
369 Mengen an Hüttenaluminium in der Bundesrepublik verkauft. Die Kündigung des „Agency Agreement“ durch Alcan im Jahr 1965 hatte die Metallgesellschaft in eine heikle Situation gebracht, aus der die Beteiligung an dem Hüttenprojekt in Essen einen eleganten Ausweg bot 23. Auf Seiten der Alusuisse dürfte der Gedanke der Risikostreuung ein wichtiges Motiv für das Zusammengehen mit der Metallgesellschaft gewesen sein. Außerdem konnte man bei der Kapazitätsplanung der neuen Hütte mit Blick auf den gemeinsamen Bedarf der beiden Partner eine Größenordnung wählen, die bedeutende Kostenvorteile gegenüber einer kleineren, ausschließlich am Bedarf der Alusuisse ausgerichteten Hütte versprach. Wie bereits erwähnt, hatte sich die LMG in Konkurrenz mit Kaiser um das Fabrikgelände in Voerde-Emmelsum bemüht. Nachdem sich die Ansiedlungspläne in Voerde zerschlagen hatten, entschieden sich Alusuisse und Metallgesellschaft im Frühjahr 1968 für Essen-Borbeck als Standort der neuen Hütte. Aufwendige Räumungs- und Planierungsarbeiten waren erforderlich, um die von der Friedr. Krupp AG erworbene Industriebrache für den Bau der Hütte herzurichten. Am 18. April 1969 konnten die Bauarbeiten mit der Grundsteinlegung beginnen. Nach der ursprünglichen Planung sollte die erste Ausbaustufe aus zwei Ofenreihen mit einer Kapazität von insgesamt 84.000 Jato bestehen. Auf Grund der günstigen Nachfrageentwicklung entschieden sich die Partnerfirmen jedoch schon bald nach Beginn der Bauarbeiten für die Errichtung einer dritten Ofenreihe, die die Kapazität der Anlage bereits in der ersten Ausbaustufe auf 126.000 Tonnen erhöhte. Bei der Gründung der LMG hatten Alusuisse und Metallgesellschaft auch eine Kooperation auf dem Gebiet der Aluminiumverarbeitung vereinbart. Dieser Zielsetzung diente die Aufstellung einer Properzi-Maschine und mehrerer Bandgießanlagen für die Herstellung von Gießband aus flüssigem Metall, über die wir in einem früheren Kapitel berichtet haben. Bei der Planung des Projektes war man von einer Investitionssumme von 250 Millionen D-Mark ausgegangen. Durch die während der Bauzeit beschlossene Kapazitätserweiterung und durch den Bau der Verarbeitungsanlagen erhöhten sich die Investitionskosten auf insgesamt 480 Millionen D-Mark, wovon schätzungsweise 150 Millionen D-Mark auf den Verarbeitungssektor entfielen. Die Zusammenarbeit der beiden Partnerfirmen beim Betrieb der Hütte war in der Form einer Produktionsgemeinschaft organisiert: Die von den Partnern beigestellte Tonerde sollte von der LMG gegen Kostenerstattung zu Hüttenaluminium verarbeitet werden (tolling at cost). Für die Vermarktung seines Produktionsanteils war jeder Partner allein verantwortlich 24. Die Verantwortung für die Betriebsführung der Hütte in Essen lag bei der Alusuisse, die auch das technische Know-how und das Engineering für den Bau der Hütte lieferte. Auf eine eigene Anodenfertigung wurde verzichtet, da die Hütte in Essen durch die Anodenfabrik in Rotterdam versorgt wurde, die die Alusuisse 1960 als zentrale Fertigungsstätte des Konzerns für die Versorgung der konzerneigenen Hütten und die Belieferung von Dritten errichtet hatte. Wie schon zuvor beim Bau der Guilini-Hütte in Ludwigshafen kam auch in Essen der unverkap-
370 selte, seitenbeschickte Ofen zum Einsatz, den die Alusuisse seit Mitte der 60er Jahre in mehreren Hütten erfolgreich einsetzte. Die Elektrolysezellen in Essen waren aber etwas größer als der bisherige Ofentyp und für eine Stromstärke von 140.000 Ampere ausgelegt. Mit dieser Weiterentwicklung war Alusuisse dem allgemeinen Trend zu größeren Stromstärken gefolgt. Das Krustenbrechen und die Oxidaufgabe erfolgten manuell mit Hilfe einer auf Schienen laufenden Halbbrückenkonstruktion. Später trug man dem Trend zur Automation der Ofenbedienungsarbeiten durch den Einsatz eines Ofenmanipulators Rechnung, der bestimmte Arbeiten nach Programm ferngesteuert durchführen konnte 25. Die Ofenabgase wurden in einer am Hallendach angebrachten Waschanlage nach dem Nasswäscheverfahren gereinigt, das wir in dem Bericht über die Guilini-Hütte kennen gelernt haben. In den 80er Jahren musste die Alusuisse (die zu diesem Zeitpunkt bereits alleinige Eigentümerin der Hütte in Essen war) die Öfen mit großem Aufwand nachrüsten, da die erhöhten Anforderungen des Umweltschutzes mit der Dachwäsche nicht mehr erfüllt werden konnten 26. Nach knapp zweijähriger Bauzeit nahm die erste Ofenreihe am 4. Januar 1971 den Betrieb auf. Die zweite Ofenreihe war im März 1971 betriebsbereit; ihre Inbetriebnahme musste jedoch verschoben werden, weil sich die Lage auf dem Aluminiummarkt inzwischen drastisch verschlechtert hatte. Auch die anfangs 1972 fertig gestellte dritte Ofenreihe konnte erst im Mai 1973 anlaufen, nachdem sich der Markt wieder normalisiert hatte. Nach den ursprünglichen Vorstellungen der LMG sollten der ersten Ausbaustufe in Essen in kurzem Abstand weitere Ausbaustufen folgen, für die auf dem 150 Hektar großen Fabrikgelände genügend Platz vorhanden war. In der Endstufe sollte die Hütte eine Kapazität von 360.000 Jato erreichen 27. Für den Strombedarf der erweiterten Anlage lagen Optionen bzw. Lieferzusagen des RWE vor. Zu dem geplanten Ausbau der Hütte ist es freilich nicht mehr gekommen. Die enttäuschende Entwicklung der Aluminiumindustrie in den 70er Jahren hat die Ausbaupläne zur Makulatur gemacht und letztlich zum Scheitern der Partnerschaft zwischen Metallgesellschaft und Alusuisse geführt. Darüber wird im nächsten Kapitel zu berichten sein.
Hamburg (Reynolds) Mit Reynolds entschied sich nach Kaiser ein zweiter amerikanischer Aluminiumkonzern für einen Hüttenstandort in der Bundesrepublik. Im Herbst 1969 gab der Konzern bekannt, dass er im Hamburger Hafengebiet eine große Aluminiumhütte mit angeschlossenem Aluminiumwalzwerk errichten wolle. Ferner werde man gemeinsam mit der VAW in dem benachbarten Stade eine Oxidfabrik bauen, aus deren Produktion die neue Hütte mit Tonerde versorgt werde 28. Mit der Aluminiumhütte in Hamburg wolle man eine neue Aluminiumquelle für den Gemeinsamen Markt schaffen. Reynolds hatte als erster der drei großen amerikanischen Aluminiumkonzerne seine Aktivitäten auf den internationalen Bereich ausgedehnt und seit dem Ende der 50er Jahren
371 systematisch Beteiligungen an Verarbeitungsunternehmen in Europa und anderen Erdteilen aufgekauft. In einem spektakulären Übernahmekampf war es dem Konzern 1959 gelungen, der Alcoa die Kontrolle über das führende englische Aluminiumunternehmen British Aluminium Ltd. (Baco) streitig zu machen, um das sich beide Firmen bemühten. Durch Unternehmenskäufe und den Bau neuer Werke war Reynolds zu einem der größten Unternehmen der Aluminiumverarbeitung in Europa aufgestiegen, das in Großbritannien und anderen europäischen Ländern über Verarbeitungskapazitäten von mehr als 200.000 Jato verfügte 29. In der Bundesrepublik hatte Reynolds 1964 die Westfälische Leichtmetallwerke GmbH erworben, die Walzerzeugnisse und Strangpressprofile herstellte. Die europäischen Verarbeitungstöchter wurden zum größten Teil aus Übersee mit Metall versorgt. Die Hütten der Baco in Großbritannien und Norwegen deckten nicht einmal den dortigen Bedarf. Daher bemühte sich der Konzern seit Jahren um die Errichtung einer Hütte in Europa – vorzugsweise in einem EWG-Land. Das von der Stadt Hamburg erworbene 126 Hektar große Areal im Hafenerweiterungsgebiet war so bemessen, dass der von Reynolds geplante Ausbau von Hütte und Walzwerk möglich war und darüber hinaus genügend Platz für weitere Verarbeitungsanlagen zur Verfügung stand. Gedacht war vor allem an die Errichtung eines Druckgusswerkes und einer Fabrik für die Herstellung von Aluminiumgetränkedosen. Die Gesamtinvestitionskosten für den Hamburger Werkskomplex beliefen sich auf ca. 650 Millionen D-Mark. Auf die für eine Anfangskapazität von 100.000 Jato ausgelegte Aluminiumhütte entfielen davon rund 450 Millionen D-Mark 30. In der ersten Ausbaustufe waren in drei Ofenreihen insgesamt 270 Elektrolysezellen installiert, die für eine Belastung mit 130.000 Ampere ausgelegt waren. Wie Kaiser in Voerde verwendete auch Reynolds in Hamburg gekapselte Öfen, wie sie in den USA seit Anfang der 60er Jahre im Einsatz waren. Obwohl diese Ofenkonstruktion einen wirksameren Schutz gegen schädliche Emissionen gewährleistete als die in Europa üblichen offenen Öfen, blieben Reynolds langwierige und kostspielige Auseinandersetzungen mit Anrainern und Umweltschützern nicht erspart, über die noch zu berichten sein wird. Zu dem Hüttenkomplex gehörten auch eine Anodenfabrik und eine große Gießerei, in der das Flüssigmetall der Hütte und der im Walzwerk anfallende Verarbeitungsschrott zu Formaten verarbeitet wurden. Aus Gründen der Kostenersparnis verzichtete man im Walzwerk auf eine eigene Gießerei, was sich nach der späteren Trennung von Hütte und Walzwerk als Problem erweisen sollte. Als erster Betriebsteil der Werksanlage in Hamburg wurde 1972 das Walzwerk in Betrieb genommen, über das wir in einem späteren Kapitel berichten werden. Die Hütte war Mitte 1973 nach zweijähriger Bauzeit ebenfalls betriebsbereit. Bis der letzte der 270 Elektrolyse-Öfen angefahren werden konnte, sollten aber noch mehr als drei Jahre ins Land gehen. Aufgehalten wurde die Inbetriebnahme durch die Einsprüche und Klagen von Anrainern und Bürgerinitiativen, die einen erbitterten Widerstand gegen die Ansiedlung der Aluminiumhütte leisteten, von der sie eine massive Luftverschmutzung be-
372 fürchteten. Nachdem die Hamburger Genehmigungsbehörde nach langwierigen Anhörungen die insgesamt 448 Einsprüche abgewiesen und im März 1974 die Betriebsgenehmigung erteilt hatte, erreichten zwei Gladiolenzüchter aus Hamburg-Altenwerder, die gegen die Erteilung der Betriebsgenehmigung geklagt hatten, dass das Verwaltungsgericht Hamburg am 27. August 1974 im Wege der einstweiligen Verfügung die komplette Stilllegung der Hütte bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreites anordnete. Nach Ansicht des Gerichts hätte Reynolds mit dem Bau der Hütte erst beginnen dürfen, wenn über sämtliche Einwendungen rechtskräftig durch die Gerichte entschieden sei – also gegebenenfalls erst nach vielen Jahren. Die Entscheidung hatte jedoch keinen Bestand. Das Oberverwaltungsgericht Hamburg hob am 23. Oktober 1974 den Beschluss des erstinstanzlichen Gerichts auf und ersetzte ihn durch den „salomonischen Spruch“, dass Reynolds zwei der drei Ofenreihen auch vor der endgültigen Entscheidung über die Klage betreiben dürfe, allerdings auf eigenes Risiko. Der Prozess endete 1976 durch Vergleich, nachdem die Stadt den beiden Klägern die geforderte – und im Verhältnis zu üblichen Zahlungen weit überhöhte – Entschädigung für die Aufgabe ihrer Betriebe gezahlt hatte31. Für Reynolds bedeutete die jahrelange Stilllegung eines Teiles der Elektrolyse einen beträchtlicher Aderlass, was maßgeblich dazu beigetragen hat, dass der Konzern 1975 seine Hamburger Pläne revidierte und sich zu einem teilweisen Rückzug aus der Hütte entschloss. Auch darüber wird im nächsten Kapitel zu berichten sein.
Rheinwerk und Elbewerk (VAW) Durch den Ausbau des Rheinwerks und den Neubau einer Hütte in Stade trug die VAW mit fast einem Drittel zum Kapazitätsausbau in der Bundesrepublik bei. Der Vorstand der VAW stand dabei zweifellos unter Zugzwang. In der Industrie war bekannt, dass Kaiser und Reynolds konkrete Pläne für den Bau großer Hütten hatten und dass sich auch die europäische Konkurrenz mit weiteren Ausbauplänen trug. Für die VAW bedeutete dies, dass sie gegenüber den „Großen der Industrie“ weiter an Boden verlieren würde, wenn sie ihr Expansionstempo jetzt nicht deutlich beschleunigte. Das vorrangige Ziel war weiterhin, die Position auf dem heimischen Markt als wichtigster Lieferant der deutschen Verarbeiter zu behaupten, was bisher nur gelungen war, weil man beträchtliche Mengen Aluminium aus dem Ausland zugekauft hatte. Mit dem Bau neuer Kapazitäten wollte man diese verlustreichen Metallkäufe ersetzen und sicherstellen, dass man auch zukünftig an dem zu erwartenden Marktwachstum angemessen beteiligt blieb. Die Standortnachteile in der Bundesrepublik, in erster Linie die weiterhin relativ hohen Stromkosten, hoffte man dadurch auszugleichen, dass man den Abnehmern mit der „Hütte am Markt“ eine größere Versorgungssicherheit und einen besseren Service bieten konnte als die ausländischen Konkurrenten.
373 Für eine Erweiterung der Hüttenkapazitäten kam in erster Linie das Rheinwerk in Betracht. Dort hatte sich die Gesellschaft wegen der ungünstigen Strompreissituation bisher mit der relativ bescheidenen Anfangskapazität von 45.000 Jato begnügen müssen. Nachdem man jetzt mit dem RWE einen akzeptablen Strompreis vereinbart hatte, stand der Errichtung einer zweiten und dritten Ausbaustufe nichts mehr im Wege. Die Erweiterung des Rheinwerkes versprach einen Kapazitätszuwachs von maximal 90.000 Jato32. Das reichte nicht aus, wenn man die führende Position im deutschen Markt verteidigen wollte. Die VAW entschloss sich daher, zusätzlich zu dem geplanten Ausbau des Rheinwerkes eine Aluminiumhütte „auf der grünen Wiese“ zu errichten, deren Bau man unverzüglich in Angriff nehmen wollte. Als Standort für die neue Hütte, die eine Anfangskapazität von 80.000 Jato haben sollte (später auf 60.000 Jato reduziert), wurde Stade an der Unterelbe gewählt, wo das um Industrieansiedlungen bemühte Land Niedersachsen ein geeignetes Fabrikareal zu günstigen Bedingungen anbot. Nach den Vorstellungen der VAW sollte auf dem 140 Hektar großen Gelände ein riesiger Werkskomplex entstehen, zu dem außer der Aluminiumhütte auch eine Oxidfabrik gehörte, die den zusätzlichen Tonerdebedarf der VAW decken sollte. Wie bereits erwähnt, wollte sich Reynolds mit einer Quote von fünfzig Prozent an dem Tonerdewerk beteiligen, dessen Kapazität mit 700.000 Jato so bemessen war, dass auch der Bedarf der neuen Reynolds-Hütte in Hamburg gedeckt werden konnte. Der vom Land Niedersachsen errichtete öffentliche Anleger für seegängige Schiffe ermöglichte eine Anlieferung von Bauxit und anderen Rohstoffen aus Übersee ohne Umladung in Binnenschiffe. Hütte und Oxidfabrik waren für eine erhebliche Erweiterung in der Zukunft ausgelegt. Der Stromvertrag mit dem NWK erlaubte den Ausbau der VAWHütte auf eine Endkapazität von 240.000 Jato33. Die erforderlichen Genehmigungen des Aufsichtsrats der VAW wurden in rascher Folge erteilt. Am 6. Februar 1968, wenige Wochen nachdem sich die VAW mit dem RWE über den Stromvertrag einig geworden war, genehmigte der Aufsichtsrat die Erweiterung des Rheinwerkes um zunächst 45.000 Jato. Noch während die Bauarbeiten an dieser zweiten Ausbaustufe der Hütte im Gange waren, bekam der Vorstand am 30. Juli 1969 grünes Licht für die Errichtung des Werkskomplexes in Stade. Die endgültige Genehmigung für den Bau der Hütte und der Oxidfabrik in Stade wurde in der Aufsichtsratssitzung vom 10. Dezember 1969 erteilt. In derselben Sitzung wurde auch der Investitionsantrag für den Bau einer dritten Ausbaustufe des Rheinwerkes genehmigt, den der Vorstand „noch schnell hinein geschoben“ hatte, wie es in dem Bericht von Dr. Mainhard Barzel heißt 34. Man wollte sich die Chance nicht entgehen lassen, durch das Vorziehen der dritten Ausbaustufe relativ schnell an zusätzliche Kapazität zu kommen, mit der man an dem ungebrochenen Aluminiumboom zu partizipieren hoffte. Eine trügerische Hoffnung, wie sich bald herausstellen sollte. Gegen Ende des Jahres 1970 setzte eine schwere Absatzkrise ein, die der Aluminiumindustrie bis in das Jahr 1973 hinein beträchtliche Schwierigkeiten bereitete. Die verheerenden Auswirkungen dieser Krise, über die wir im nächsten Kapitel berichten werden, veranlassten die
374 VAW, die Inbetriebnahme eines Teiles der neuen Kapazitäten um mehrere Monate zu verschieben35. Beim Ausbau des Rheinwerkes und auch beim Bau der neuen Hütte in Stade wurden Elektrolyseöfen für eine Stromstärke von 120.000 Ampere installiert. Es handelte sich um eine weiterentwickelte Version des Erftwerk-Ofens, den die VAW Anfang der 60er Jahre für die erste Ausbaustufe des Rheinwerkes entwickelt und in der Folgezeit weiter verbessert hatte. Dabei hielt man auch an dem von der VAW entwickelten Anodensystem fest, bei dem die vorgebrannten Anoden kontinuierlich verbraucht wurden, ohne dass ein Nachsetzen erforderlich war. Der Erftwerk-Ofen entsprach schon damals nicht mehr dem Stand modernster Ofentechnik. Wie bereits dargelegt, war bei der in Europa üblichen offenen Ofenkonstruktion die Erfassung der Ofengase wesentlich weniger effizient als in den verkapselten Öfen, die von den amerikanischen Konzernen seit Anfang der 60er Jahre verwendet wurden. Die Techniker der VAW waren sich dieser Problematik wohl bewusst. Da aber weder Zeit noch Geld für die Entwicklung eines modernen Ofens zur Verfügung stand, entschloss man sich zu einem Kompromiss. Nach amerikanischem Vorbild wurden die neu installierten Öfen mit einer Blechverkleidung und Gasabsaugevorrichtungen versehen, die eine effizientere Erfassung der Ofengase gewährleisteten 36. Durch verbesserte Ofenführung und durch die Verwendung größerer Anoden erreichte man überdies, dass der Ofen mit höheren Stromstärken gefahren werden konnte (zuletzt mit 126.000 Ampere). Eine Automatisierung des Ofenbetriebes, wie sie für die jüngste Ofengeneration der amerikanischen Konkurrenz kennzeichnend war, kam indessen nicht in Betracht, da die Grundkonstruktion des VAW-Ofens nicht verändert worden war. Die Bedienung des seitenbeschickten Ofens war nur manuell möglich, wobei die Seitenklappen jeweils geöffnet werden mussten, wenn Tonerde zugeführt oder die Kruste gebrochen wurde. Dass während dieser Arbeiten beträchtliche Mengen Ofenabgase in die Halle austraten, ließ sich nicht vermeiden. Der forcierte Ausbau ihres Hüttensektors – innerhalb von zwei Jahren wurde die Hüttenkapazität fast verdoppelt – stellte für die VAW einen finanziellen Kraftakt dar, zumal die Erweiterung auf der Hüttenstufe auch einen entsprechenden Ausbau der Tonerdekapazitäten erforderlich machte. Die Investitionskosten für das in den Jahren 1968/1969 beschlossene Ausbauprogramm reichten nahe an eine Milliarde DM heran – eine nicht nur in damaligem Geld riesige Summe. Eine gesunde Eigenkapitalbasis (die 1970 durch eine Kapitalerhöhung weiter verstärkt wurde) und der in den Boomjahren 1968/1969 kräftig gewachsene Cash-flow der VAW ließen die Finanzierung der Großinvestition aus damaliger Sicht als gesichert erscheinen, zumal auch die öffentliche Hand durch Investitionszuschüsse und andere Investitionshilfen zur Finanzierung beitrug 37. Diese Einschätzung setzte allerdings voraus, dass die optimistischen Prognosen, mit denen man die Erweiterung der Kapazitäten gerechtfertigt hatte, im Großen und Ganzen zutrafen. Als sich dann aber im Laufe der nächsten Jahre herausstellte, dass die tatsächliche Entwicklung des Aluminiumbedarfs weit hinter den Planzahlen
375 zurückblieb, wurde auch die bisherige Finanzplanung zur Makulatur. Die finanzielle Schieflage der VAW am Ende der 70er Jahre, über die wir im nächsten Kapitel berichten werden, hatte zweifellos eine ihrer Ursachen in den Investitionsentscheidungen der Jahre 1968/1969. Man hatte sich ganz einfach übernommen. Die VAW befand sich allerdings in guter Gesellschaft. Fast die gesamte Aluminiumindustrie der westlichen Welt hatte sich von der euphorischen Stimmung am Ende der 60er Jahre zu einer unkontrollierten Ausweitung ihrer Kapazitäten hinreißen lassen, für die sie in den folgenden Jahren teuer zu bezahlen hatte.
15.4 Die Oxydversorgung der neuen Hütten Wir wollen uns am Ende dieses Kapitels noch der Frage zuwenden, wie die Betreiber der neuen Aluminiumhütten in der Bundesrepublik die Tonerdeversorgung ihrer Betriebe sichergestellt haben. Es ging dabei um große Mengen: Einem Kapazitätszuwachs von fast 500.000 Tonnen auf der Hüttenseite entsprach ein jährlicher Mehrbedarf an Tonerde von rund einer Million Tonnen. Betroffen war vor allem die VAW, die ja schon seit Beginn der 60er Jahre für die Tonerdeversorgung ihrer Hütten auf Fremdbezüge angewiesen war. Am Ende der 60er Jahre verfügte die Gesellschaft in Lünen (Lippewerk) und Schwandorf (Nabwerk) über eine Gesamtkapazität von 340.000 Jato, wozu weitere 25.000 Tonnen aus ihrer Beteiligung an dem internationalen Konsortium der FRIA kamen. Zur Bedarfsdeckung der VAW-Hütten und zu einer gesicherten Vorratshaltung reichten diese Mengen nicht aus, zumal ein Teil der Produktion des Nabwerks im Rahmen eines langfristigen Vertrages an die Aluminiumhütte in Ranshofen/Österreich geliefert wurde. Nach Inbetriebnahme der neuen Hütte in Stade und der zweiten und dritten Ausbaustufe des Rheinwerks war mit einem Jahresbedarf von ca. 750.000 Tonnen zu rechnen. Um diesen Bedarf aus eigener Produktion zu decken, benötigte man zusätzliche Oxidkapazitäten von 400.000 Jato. Im Werk Lünen (und in geringerem Maße auch im Nabwerk) bestand die Möglichkeit, die Produktionskapazitäten unter Verwendung bereits vorhandener Einrichtungen kostengünstig zu erweitern. Von dieser Möglichkeit machte die VAW jetzt Gebrauch. Die Kapazität in Lünen wurde bis 1973 von 170.000 auf 430.000 Jato mehr als verdoppelt, die des Nabwerks auf 210.000 Jato gebracht, sodass der VAW aus den beiden alten Werken eine Gesamtkapazität von 640.000 Jato zur Verfügung stand. Den verbleibenden Bedarf wollte die VAW ursprünglich durch Fremdbezüge im Rahmen eines langfristigen Tonerdevertrags mit der Alcoa decken. Diesen Plan ließ man jedoch fallen und entschied sich stattdessen für die Eigenerzeugung, nachdem der Reynolds-Konzern sein Interesse am gemeinsamen Bau und Betrieb eines Tonerdewerkes in Deutschland bekundet hatte. Reynolds war an einer Oxidquelle in der EWG interessiert und versprach sich beträchtliche Vorteile von der Beteiligung an einer
376 modernen Oxidfabrik in unmittelbarer Nähe der geplanten Hütte in Hamburg. Das Fabrikgelände bei Stade an der Unterelbe war groß genug, um darauf neben der geplanten Aluminiumhütte auch eine Oxidfabrik modernen Zuschnitts unterzubringen. Nach kurzen Verhandlungen wurde am 14. April 1970 ein Partnerschaftsvertrag unterzeichnet, in dem die beiden Konzerne die Grundsätze ihrer Zusammenarbeit festlegten 38. Träger des gemeinsamen Unternehmens war die Aluminium Oxid Stade GmbH (AOS) mit Sitz in Bützfleht, an deren Kapital VAW und Reynolds je zur Hälfte beteiligt waren. Die Führung in der Partnerschaft lag bei der VAW, die auch das technische Know-how stellte und für den Bau und späteren Betrieb der Anlage verantwortlich war. Als Betriebssystem sollte das von der VAW entwickelte Rohraufschlussverfahren verwendet werden, das zuvor in Lünen, wenn auch nicht in gleicher Betriebsgröße, erprobt worden war 39. Das Oxidwerk sollte als Produktionsgemeinschaft betrieben werden. Jeder der beiden Partner war berechtigt, die Hälfte der Kapazität der Anlage für die Verarbeitung des von ihm beigestellten Bauxits zu nutzen. Die fixen Kosten waren von den Partnern je zur Hälfte zu zahlen, und zwar auch dann, wenn ein Partner seinen Kapazitätsanteil nicht voll nutzte. Die variablen Kosten wurden als Tonnenansatz entsprechend der umgearbeiteten Menge verrechnet. Der als „Take or Pay Contract“ ausgestaltete Umarbeitungsvertrag diente den finanzierenden Banken als Sicherheit für die von ihnen gewährten langfristigen Kredite. Die Fabrik in Stade war für eine Endkapazität von 2,1 Millionen Tonnen ausgelegt. In der ersten Ausbaustufe war eine Kapazität von 700.000 Jato vorgesehen, was der damals üblichen Betriebsgröße von neu gebauten Oxidwerken in Europa entsprach 40. Dabei handelte sich durchweg um Gemeinschaftswerke, deren Kapazität von vornherein auf den Gesamtbedarf der beteiligten Firmen zugeschnitten war. In Stade profitierte davon vor allem die VAW, deren Bedarf ja erst im Laufe der Jahre in die Größenordnung des neuen Werkes hineinwachsen würde. Für die Entscheidung der VAW zugunsten des Neubaus in Stade spielte eine wichtige Rolle, dass die Tonerdewerke in Lünen und Schwansdorf an die Grenzen ihrer Ausbaumöglichkeiten gelangt waren und ferner, dass beide Werke weitab von Seehäfen im Inland lagen. Der Standort Schwandorf war in den 30er Jahren wegen seiner günstigen Anbindung an die Donau-Schifffahrt vor allem für die Verarbeitung von Bauxits aus ungarischen Gruben gewählt worden. Da die Bauxitversorgung jetzt hauptsächlich aus Übersee erfolgte, kamen für einen Neubau nur Standorte in Betracht, die an den internationalen Schiffsverkehr angebunden waren. Diese Voraussetzung war in Stade erfüllt, da das Land Niedersachsen den Bau eines Anlegers an der Unterelbe zugesagt hatte, der eine Anlieferung des Bauxits durch seegängige Schiffe zuließ. Die Baukosten für die erste Ausbaustufe waren einschließlich Bauzinsen und Anlaufskosten auf etwa 400 Millionen D-Mark veranschlagt worden. Die öffentliche Hand beteiligte sich an diesem Betrag mit Investitionshilfen von ca. vierzig Millionen D-Mark. Die tatsächlichen Kosten des Vorhabens lagen indessen erheblich über dem Planansatz. Eine „böse Überraschung“ gab es, als man feststellte, dass die Funda-
377 mente der Hütte in dem aufgeschütteten Gelände tiefer gelegt werden mussten als geplant und dass für die Oxidfabrik eine aufwendige Pfahltechnik erforderlich war, was zu erheblichen Mehrkosten führte (VAW Geschichte Teil X Seite 22). Weitere Mehrkosten entstanden durch die nachträgliche Errichtung einer großen Rotschlammhalde. Ursprünglich hatte man geplant, den Rotschlamm in der Nordsee zu verklappen, wie dies Pechiney seit vielen Jahren im Mittelmeer praktizierte. Dieses Verfahren musste jedoch wegen des Protests der Umweltschützer aufgegeben werden, die die zuständigen Behörden auf ihre Seite brachten. Schließlich hat auch die inflationsbedingte Explosion der Baukosten seit 1969 zu den enormen Mehrkosten für das Projekt in Stade beigetragen, die sich für Hütte und Oxidwerk auf rund 200 Millionen D-Mark beliefen. Trotz der Budgetüberschreitung waren die Investitionskosten in Stade aber noch immer erheblich niedriger als die Beträge, die man für eine Beteiligung an einer Oxidfabrik in einem der Rohstoffländer in Australien, Afrika und in der Karibik hätte aufwenden müssen. VAW war bei der Entscheidung zugunsten des Standorts in Stade dem Vorbild anderer europäischer Produzenten gefolgt, die sich ebenfalls für den Bau von Tonerdewerken in Europa in unmittelbarer Nähe der Verbraucher entschieden hatten. Dafür sprachen nach damaliger Einschätzung vor allem die geringeren Infrastrukturkosten und eine bessere Risikoverteilung. Dazu kam die Subventionierung der Projekte durch die europäischen Gastländer, die einen großen Teil der Infrastrukturkosten übernahmen und mit Investitionszuschüssen zu den Baukosten beitrugen. Von solchen Erwägungen liessen sich auch die in der Eurallumina S.p.A zusammengeschlossenen Firmen leiten, die Ende der 60er Jahre den Bau einer großen Tonerdefabrik in Porto Vesme auf Sardinien beschlossen. Neben Montecatini, Comalco und Alusuisse war auch die Metallgesellschaft mit einer Quote von siebzehn Prozent an diesem Konsortium beteiligt. Bei einer geplanten Jahresleistung von 600.000 Jato konnte sie mit jährlichen Oxidlieferungen von etwa 100.000 Tonnen rechnen, womit der größte Teil ihres Tonerdebedarfs in der Hütte in Essen-Borbeck gedeckt werden konnte. Langfristig war die stufenweise Erweiterung des Werkes auf eine Endkapazität von 1.800.000 Jato geplant. Die Fabrik in Porto Vesme nahm 1973 die Produktion auf. Etwa zur selben Zeit errichtete Alcan gemeinsam mit dem niederländischen Bergbaukonzern Billiton ein Tonerdewerk in Irland, das ebenfalls für eine Anfangsleistung von 600.000 Jato ausgelegt war. Weitere Tonerdewerke in Europa wurden damals von Pechiney und Alusuisse geplant. Pechiney wollte gemeinsam mit dem Kaiser-Konzern und seiner europäischen Beteiligungsgesellschaft Kaiser-Preussag ein großes Tonerdewerk in Dünkirchen errichten. Die Alusuisse plante den Bau einer riesigen Industrieanlage am Jadebusen bei Wilhelmshafen 41. Beide Projekte wurden nach Ausbruch der Aluminiumkrise im Jahr 1971 zunächst zurückgestellt und später ganz aufgegeben. Aus heutiger Sicht fällt es schwer nachzuvollziehen, warum sich weltweit operierende Konzerne wie Alusuisse, Pechiney, Kaiser und Alcan damals für den Bau von Tonerdewerken in Europa entschieden haben. Inzwischen hat es sich als wirtschaftlicher erwiesen, das überseeische Erz vor Ort in großen Gemeinschaftswerken zu Tonerde zu ver-
378 arbeiten und die Tonerde per Schiff nach Europa zu transportieren. Seit den 70er Jahren sind keine neuen Tonerdekapazitäten mehr in Europa errichtet worden. Auch wurde keines der drei in den 70er Jahren in Hamburg, Porto Vesme und Irland entstandenen Tonerdewerke in den folgenden Jahren ausgebaut.
Anmerkungen zum 15. Kapitel 1 Zur Aluminiumkrise 1957/1959 in den USA: Smith, Seite 311, 316. 2 Laut MG-Statistik stieg der Aluminiumverbrauch der westlichen Welt von 3,2 Millionen Tonnen im Jahr 1959 auf 7,7 Millionen Tonnen im Jahr 1969. Die durchschnittliche jährliche Steigerungsrate lag bei 9,3 %. In den Jahren 1968 und 1969 betrug der Zuwachs 16 % bzw. 9,9 %. 3 Quelle: Smith, Seite 367, der die Zahlen in seinem Schaubild von Spector, Aluminum Industry Report 1975, übernommen hat. 4 Siehe zum Beispiel den Artikel von Wohnlich (Alusuisse): „Aluminiumknappheit oder Überschuss?“ in ALUMINIUM 1968.645 ff. 5 Zu den warnenden Stimmen gehörte de Sousa Pernes (Alcan). Sein Vortrag „Überblick über die internationale Aluminiumsituation“ in Loeben im Juni 1968 (ALUMINIUM 1968.775) schloss mit den Worten: „Die Aussichten eines Überschusses, der sich 1972 zwischen 1.5 und 2.5 Mill. t bewegen wird, sind alarmierend genug, um jedem Mitglied unserer Industrie die Verpflichtung aufzuerlegen, sich bei neuen Ausbauplänen zu fragen, ob für diese zusätzliche Tonnage ein wirklicher Bedarf vorhanden ist“. 6 Quellen: Statistik der EAA und des International Aluminium Institute. 7 In den 50er Jahren bauten Kaiser, Alcoa und Reynolds im Süden der USA riesige Hüttenkomplexe mit angeschlossenen Kraftwerken, deren Gasturbinen aus den kurz zuvor erschlossenen Erdgasvorkommen in Texas und Louisiana gespeist wurden. In Europa und anderen Teilen der Welt folgte man diesem Beispiel. Auf Erdgasbasis wurde die Hütte der Pechiney in Noguères in den Pyrenäen betrieben, die 1960 den Betrieb aufnahm. In Holland errichtete die Alusuisse gemeinsam mit Hoogovens und Billiton Mitte der 60er Jahre eine Hütte in Delphzijl, die aus den kurz zuvor entdeckten Erdgasvorkommen in der Provinz Groningen mit Energie versorgt wurde. In den 60er Jahren rückte auch die Kohle in das Blickfeld der Aluminiumkonzerne. In den USA entstanden Aluminiumhütten in Arkansas, West Virginia, Indiana, Ohio, Indiana und Texas, wo billige im Tagebau geförderte Steinkohle in großen Mengen verfügbar war, die eine Stromerzeugung zu wettbewerbsfähigen Kosten ermöglichte. In den 60er und 70er Jahren war Kohlestrom die Basis für den Bau mehrerer großer Hütten in Australien, für deren Stromversorgung minderqualitative „Ballastkohle“ verwendet wurde, die sich für den Export nicht eignete. Bis zur Ölkrise von 1973 schien sogar Erdöl als Energiebasis für die Stromversorgung von Aluminiumhütten geeignet. Die in den 60er Jahren im energiearmen Japan entstandene Hüttenindustrie deckte ihren Energiebedarf zum größten Teil aus importiertem Erdöl. Die japanischen Hütten haben freilich die Explosion der Ölpreise nach dem Erdölboykott der OPEC-Länder nur um wenige Jahre überlebt. 8 In der Aluminiumkonferenz von Loeben im Sommer 1975 waren folgende Vorträge diesem Thema gewidmet: Vogel: „Die Stromversorgung in der BRD unter besonderer Berücksichtigung der stromintensiven Industrie“ (ALUMINIUM 1975.637) und Lester: „Aussichten für die Energieversorgung der Aluminiumhütten in der westlichen Hemisphäre“ (ALUMINIUM 1976.217). 9 Die ersten Aluminiumhütten in Afrika waren die Pechiney-Hütte in Kamerun (52.000 Tonnen) und die Gemeinschaftshütte von Kaiser (90 %) und Reynolds (10 %) in Tema/Ghana (105.000 Tonnen). In Lateinamerika entstanden nach dem Krieg mehrere kleine Hütten in Mexiko, Venezuela
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und Brasilien. Das erste Großprojekt war die Hütte der Alcoa in Surinam (73.000 Tonnen), die 1965 in Betrieb ging. Diese Angaben beruhen auf der Erinnerung des Verfassers, der an den Verhandlungen mit dem RWE beteiligt war. VAW-Geschichte IX, Seite 49 f. VAW-Geschichte IX, Seite 22 ff. Siehe hierzu den Artikel von Simmersbach: „Hamburger Aluminiumsorgen“ in der FAZ vom 9. Mai 1975. Den Vorwurf der Leichtfertigkeit kann man der Stadt auch dann nicht ersparen, wenn man die Auffassung des Kommentators der FAZ teilt, dass die Aluminiumhütte für Hamburg in gewisser Weise als Initialzündung gewirkt habe. Ohne den „Pioniereffekt“ durch Reynolds wären weitere Industrieansiedlungen im Unterelberaum vielleicht nicht Wirklichkeit geworden (Korf, Dow Chemical, VAW, Bayer). Der Bau der Hütte in Ludwigshafen wird in der Firmenchronik aus dem Jahr 1973 ausführlich dargestellt (Band IX der Chronik, Seiten 184–240). Siehe auch den Artikel „Gebr. Guilini GmbH mit eigener Aluminiumhütte“ in ALUMINIUM 1970.201. Dr. Udo Guilini in seinem Festvortrag am 16. Januar 1970 anlässlich der Einweihung der ersten Ausbaustufe. Die Verkäufe erreichten 1969 mit 36.656 Tonnen ein beachtliches Niveau (Chronik IX, Seite 174 ff). Demag-Montecatini hatte ein Angebot unterbreitet, das zwar preislich günstiger war als das Alusuisse-Angebot, Guilini aber nicht überzeugen konnte (Chronik a.a.O., Seite 191 ff). Die ebenfalls angesprochene Pechiney war nicht bereit, ihr Know-how an Guilini zu verkaufen. Guilini ließ es sich auch nicht nehmen, Reichswirtschaftsminister Dr. Hjalmar Schacht und den damaligen Vorstandsvorsitzenden der VAW, Dr. Ludger Westrick, beim Namen zu nennen, die nach seiner Auffassung für das dem Unternehmen und seinen Vertretern zugefügte Unbill verantwortlich waren. Die nachstehenden Ausführungen beruhen zum großen Teil auf den persönlichen Erinnerungen des Verfassers, der als Justiziar der europäischen Kaiser-Betriebe an dem Hüttenprojekt in Voerde und der Gründung der Partnerschaft zwischen Kaiser und Preussag mitgewirkt hat. Zum Hüttenwerk Voerde siehe auch die Unternehmensbroschüre: „10 Jahre Kaiser Aluminium Europe Hüttenwerk Voerde“ (1981). Beschreibung der neuen Hütte in ALUMINIUM 1971.413: „KAPAL eröffnet Aluminiumhütte am Niederrhein“. Ausführliche Darstellung bei Sies: „Geschichte der Metallgesellschaft 1956–1981“, Seite 60 ff. Eine weitere Quelle ist die „Sammlung Waldemar Elsner“ im Stadtarchiv Essen mit Zeitungsartikeln und internen Dokumenten aus den 60er und 70er Jahren. Elsner war Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der LMG. Im Rahmen des „agency agreement“ mit Alcan hatte die Metallgesellschaft pro Jahr bis zu 60.000 Tonnen Hüttenaluminium in Deutschland und große Mengen an Sekundäraluminium verkauft (Chronik der Alcan Deutschland, Seite 35 Fußnote 14). Die in Essen hergestellten Halbzeuge und Fertigfabrikate vertrieb die LMG über eine eigene Absatzorganisation (Sies a.a.O., Seite 67). Es handelt sich dabei um Properzi-Draht und Erzeugnisse der Walzgießanlage. Zu deren Vertrieb wurde die LMG-Handel GmbH gegründet. Zur Ofentechnik in Essen siehe auch den Vortrag des LMG-Mitarbeiters Fattorini vom 13. Oktober 1971 in Jülich: „Neue Erfahrungen bei der Aluminiumelektrolyse“. Zur Umrüstung in den 80er Jahren: Artikel in Borbecker Nachrichten vom 9. 7. 1982 und WAZ vom 14. Juli 1982 (Sammlung Waldemar Elsner). Zum geplanten weiteren Ausbau: „Vorträge zur Werksführung“ (Sammlung Waldemar Elsner).
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Danach waren im Endstadium 960 Öfen vorgesehen. Tatsächlich installiert wurden in Essen 360 Öfen. ALUMINIUM 1969.597: „Das Reynolds-Projekt in Hamburg“. Reynolds war in Europa an folgenden Verarbeitungsfirmen beteiligt: Baco (England), Aleurope (Belgien), Slim (Italien), Unidare (Irland) und Inasa (Spanien). ALUMINIUM 1970.727. Die genannten Zahlen beruhen auf Angaben in der Presse (FAZ vom 9. Mai 1975) und eigenen Schätzungen. Zum Genehmigungsverfahren: VWD vom 5. März 1974. Zum Rechtsstreit vor dem Hamburger Verwaltungsgericht und seiner Beilegung durch Vergleich: VWD vom 28. August 1974. – ALUMINIUM 1974.757. Zur Erweiterung des Rheinwerkes: VAW-Geschichte IX, Seite 18 ff. Eine Beschreibung des erweiterten Rheinwerkes gibt der Artikel in ALUMINIUM 1970.669. Zum Bau des neuen Werkskomplexes bei Stade: VAW-Geschichte IX, Seite 21 ff. sowie die Ausführungen des Vorstandsmitgliedes Wrigge in der Pressekonferenz im Mai 1969 (ALUMINIUM 1969.399 und 404). Barzel, 75 Jahre – aus dem Leben der VAW, Seite IX: „Kennzeichnend für die zeitweise nahezu stürmische Entwicklung mag sein, dass – der Bau der Hütte in Stade war schon beschlossen – die dritte Stufe des Rheinwerkes „noch schnell hinein geschoben“ wurde“. VAW-Geschichte X, Seite 41. Durch diese Maßnahmen gelang es, die von der zuständigen VDI-Kommission für die Abgaserfassung festgelegten oberen Grenzen – wenn auch nur knapp – einzuhalten (VAW-Geschichte IX, Seite 21). Zur Investitions- und Finanzplanung der VAW: VAW-Geschichte X, Seite 13 ff. Auf Seite 15 heißt es dazu: „ Die konservative und solide Finanzstruktur der VAW zeigte sich darin, dass das bilanzierte Eigenkapital Ende 1970 rd. 30 % der Bilanzsumme ausmachte – eine für die Verhältnisse der deutschen Industrie außergewöhnliche Quote“. Siehe dazu auch die Ausführungen des VAW-Vorstandes in der Pressekonferenz von Mai 1969 (ALUMINIUM 1969.399 ff). Zum Bau des Tonerdewerkes in Stade: VAW-Geschichte Teil IX, Seite 21 ff und Teil X, Seite 8 ff. Zu dem Rohraufschlussverfahren der VAW siehe den Artikel von Bielfeldt in ALUMINIUM 1967.355. Der Trend in der Industrie ging allerdings zu immer größeren Betriebsanlagen. Die größte Tonerdefabrik mit einer Kapazität von 1.135.000 Tonnen wurde damals von Alcan in Arvida/Kanada betrieben (Salmuth 1969, Seite 470). Die Alusuisse wollte in Wilhelmshafen bis 1980 etwa fünf Milliarden D-Mark investieren. Für Infrastrukturmaßnahmen sollte das Land Niedersachsen 300 Millionen D-Mark beisteuern (ALUMINIUM 1970.469).
Teil IV
Zeit der Reife (1970 –1986)
16. Kapitel Die schwierigen 70er Jahre
16.1 Chronologie der Krise Das „goldene Zeitalter“ der Aluminiumindustrie hatte sich zum Ende der 60er Jahre mit neuen Produktions- und Absatzrekorden verabschiedet, die alles bisher Erreichte in den Schatten stellten. 1969 legte der Aluminiumverbrauch in der westlichen Welt noch einmal fast zehn Prozent zu, nachdem im Vorjahr bereits ein Zuwachs von über sechzehn Prozent erreicht worden war. Schon bald nach Beginn des Jahres 1970 war jedoch zu erkennen, dass sich der weltweite Boom, der das wirtschaftliche Geschehen seit 1968 bestimmte, seinem Ende zuneigte. In den meisten Industrieländern waren die Regierungen und Zentralbanken schon in der zweiten Hälfte der 60er Jahre zu einer restriktiven Geld- und Wirtschaftspolitik übergegangen, um der überschäumenden Konjunktur Herr zu werden. In der Bundesrepublik hatte die Bundesbank den Diskontsatz im Laufe des Jahres 1969 in mehreren Stufen von drei auf sechs Prozent angehoben. Zur Förderung der Einfuhren wurde eine 4 %ige Importprämie eingeführt, in deren Genuss auch die Importeure von Aluminium und Aluminiumprodukten kamen. Für einen noch stärkeren Importdruck sorgte die Aufwertung der D-Mark im September 1969, die die Einfuhren aus dem Ausland um rund neun Prozent verbilligte. Seit Beginn des Jahres 1970 zeigten die staatlichen Maßnahmen zur Dämpfung der Konjunktur zunehmend Wirkung und führten bald auch auf den Aluminiummärkten zu einer deutlichen Entspannung. In der Bundesrepublik stagnierte der Aluminiumverbrauch praktisch auf Vorjahresniveau und auch in den anderen Ländern der westlichen Welt war 1970 nur noch ein schwacher Anstieg zu verzeichnen. In den Konzernzentralen der Aluminiumgesellschaften reagierte man auf diese Entwicklung zunächst mit Gelassenheit. Man ging von einer vorübergehenden Absatzstockung aus und hielt bis in das Jahr 1971 hinein an der optimistischen Einschätzung der Lage fest 1. Dazu mag beigetragen haben, dass sich der Aluminiumabsatz trotz der weltweiten Konjunkturabkühlung auf einem bemerkenswert hohen Niveau hielt. Das volle Ausmaß der Krise wurde erst deutlich, als die zwischenzeitlich fertiggestellten neuen Hütten mit ihrer Produktion auf den Markt drängten. Wie wir im vorigen Kapitel gesehen haben, nahmen die Hüttenkapazitäten in der westlichen Welt in der ersten Hälfte der 70er Jahre um mehr als fünfzig Prozent zu
384 (von 7,6 Millionen Tonnen im Jahr 1969 auf 11,9 Millionen Tonnen im Jahr 1974). Eine derartige Steigerung musste zwangsläufig zu beträchtlichen Marktstörungen führen. In den beiden Jahren 1971 und 1972 lagen die Produktionskapazitäten um jeweils 1,3 Millionen Tonnen über dem Bedarf. Angesichts von Überkapazitäten dieses Ausmaßes blieb der Industrie keine andere Wahl, als einen Teil ihrer Hütten vorübergehend abzuschalten und/oder die Inbetriebnahme neuer Kapazitäten zu verschieben. Beides geschah, wenn auch zu spät, um eine ernsthafte Störung des Marktgleichgewichts zu verhindern. Die Produktionseinschränkungen hatten zur Folge, dass die Auslastungsrate der westlichen Hüttenindustrie, die im Jahr 1969 mit 97,3 Prozent einen Spitzenwert erreicht und noch 1970 bei 95 Prozent gelegen hatte, 1971 auf 88,7 Prozent und 1972 auf 85.5 Prozent zurückging. Eine weitere Zuspitzung der Krise konnte so vermieden werden. Der deutsche Beitrag zur Stabilisierung der Märkte bestand in der Entscheidung von VAW und Alusuisse, die Inbetriebnahme von Teilen ihrer neuen Elektrolysen in Norf und Essen bis auf weiteres zu verschieben. Die Drosselung der Hüttenproduktion konnte indessen nicht verhindern, dass es bei den Produzenten zu einem starken Anstieg der Bestände kam. In den Krisenjahren 1970 und 1971 nahmen die Aluminiumbestände in der westlichen Welt um 650.000 Tonnen zu und erreichten am Jahresende 1971 mit 1,8 Millionen Tonnen ihren vorläufig höchsten Stand. Damit lagen sie um eine halbe Million Tonnen über dem normalen Niveau. Bei Zinssätzen im zweistelligen Bereich stellte die Finanzierung der Bestände für die krisengeschüttelte Industrie eine schwere Belastung dar, die vor allem die kleineren Produzenten zu überfordern drohte. Man erinnerte sich in dieser Situation an die Gemeinschaftslager, die von der Alliance Aluminium Company während der Wirtschaftskrise der 30er Jahre eingerichtet worden waren, um die Produzenten zu entlasten und um Überschussmengen aus dem Markt zu nehmen. Mit derselben Zielsetzung gründete ein englisches Bankenkonsortium auf Veranlassung der europäischen Aluminiumindustrie am 28. Mai 1971 die Alufinance and Trade Ltd. mit Sitz in Jersey, Channel Islands. Fast die gesamte europäische Hüttenindustrie beteiligte sich an der Gesellschaft 2. Die teilnehmenden Unternehmen waren berechtigt, entsprechend ihrer Beteiligungsquote Überschussmengen an Hüttenaluminium an die Alufinance zu verkaufen. Das verkaufte Metall blieb physisch unter der Kontrolle des Verkäufers und konnte von ihm jederzeit zurückgekauft werden 3. Die veränderte Marktlage hatte schon Anfang 1970 weltweit einen Rückgang des Aluminiumpreises ausgelöst, der sich in den beiden folgenden Jahren fortsetzte. In der Bundesrepublik führte die Aufwertung der D-Mark zu einem zusätzlichen Druck auf die Preise, was den marktbedingten Preisverfall noch verstärkte. Die lange Talfahrt des US-Dollars hatte im Oktober 1969 mit der Aufwertung der D-Mark um 9,3 Prozent begonnen. 1972 waren im Jahresdurchschnitt nur noch 3,18 D-Mark für den Dollar zu zahlen. Gegenüber dem bis September 1969 geltenden Kurs von 4,00 D-Mark hatte die US-amerikanische Währung über zwanzig Prozent ihres Wertes verloren. Die enge Verflechtung der Märkte sorgte dafür, dass die deutschen Produzenten ihren Kunden
385 auch auf dem Inlandsmarkt nur den Preis berechnen konnten, der dem jeweils maßgebenden internationalen Preis zum aktuellen Dollar-Wechselkurs entsprach. Jede Höherbewertung der D-Mark gegenüber dem Dollar führte daher zwangsläufig zu einem Rückgang des Aluminiumpreises in der Bundesrepublik und zwar auch dann, wenn der Dollarpreis unverändert blieb. Dies erklärt, warum der deutsche Inlandspreis während der Krise von 1971/1972 noch stärker einbrach als die internationale Dollarnotierung: Er erreichte im ersten Quartal 1972 einen Tiefstand von 1,50 DM/kg und lag damit um rund ein Drittel unter dem Niveau des ersten Halbjahres 1970 4. An eine kostendeckende Produktion war auf diesem Preisniveau nicht mehr zu denken, zumal die Aluminiumindustrie enorme Kostensteigerungen zu verkraften hatte. Die unvermeidliche Folge waren hohe Verluste bei den deutschen Hütten, die sich nach einer Erhebung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Price-Waterhouse in den Jahren 1970/ 1972 zu einem Gesamtbetrag von mehreren Hundert Millionen D-Mark aufaddierten 5. Unter dem Eindruck der ständig wachsenden Schwierigkeiten breitete sich in der deutschen Industrie Krisenstimmung aus. Mit einer Normalisierung der Währungssituation in absehbarer Zeit war nicht zu rechnen. Solange die fundamentalen Ursachen der Dollarkrise weiter bestanden, war es nur eine Frage der Zeit, bevor sich der anhaltende Druck auf den Dollar erneut in einer Aufwertungswelle entladen würde. In der Industrie mehrten sich die Stimmen derer, die daran zweifelten, dass die deutschen Aluminiumproduzenten in der Lage sein würden, die Krise, deren wichtigste Ursachen außerhalb ihrer Kontrolle lagen, aus eigener Kraft zu überwinden. Hinter vorgehaltener Hand vertraten einige sogar die Auffassung, dass eine profitable Aluminiumproduktion in dem Hartwährungsland Deutschland überhaupt nicht mehr möglich sei. In dieser bedrohlichen Lage entschloss sich ein Teil der Industrie unter Führung der VAW zu einem ungewöhnlichen Schritt. In einer Eingabe an das Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen stellten die beteiligten Unternehmen die desolate Lage der deutschen Aluminiumhütten dar und beantragten die ministerielle Genehmigung für die Bildung eines zeitlich befristeten Verkaufskartells nach Paragraph 9 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, mit dessen Hilfe man das Preisniveau zu stabilisieren hoffte 6. Zugleich wurde die Bundesregierung aufgefordert, einer weiteren „Überbewertung der D-Mark“ auf den Devisenmärkten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln entgegenzuwirken. Wie die Entwicklung in den folgenden Jahren lehrte, stand es nicht im Vermögen der Bundesregierung, eine weitere Aufwertung der D-Mark zu verhindern. Auch das von der Industrie beantragte Krisenkartell kam nicht zustande. Die deutsche Aluminiumindustrie musste lernen, mit dem Währungsproblem zu leben, das noch über Jahre hinweg die Rentabilität der deutschen Hütten im Vergleich zur Konkurrenz im Dollarraum belastete. Im dritten Quartal 1972 waren erste Anzeichen einer Normalisierung der Aluminiummärkte zu erkennen. Mit der fortschreitenden Erholung der Konjunktur in der Bundesrepublik und anderen Industriestaaten der westlichen Welt belebte sich auch die Geschäftstätigkeit der Aluminium verarbeitenden Industrie. In Erwartung steigen-
386 der Preise begannen Handel und Verarbeiter die in der Krise fast völlig abgebauten Läger wieder aufzufüllen. Nachdem die Nachfrage nach Rohaluminium schon in der zweiten Jahreshälfte 1972 stark zugenommen hatte, kam es 1973 zu einem regelrechten Boom. Dabei profitierte Aluminium auch von dem spekulativen Nachfragesog auf den Rohstoffmärkten, der die Rohstoffpreise weltweit in die Höhe trieb. Mit Zuwächsen von 11,6 Prozent in 1972 und 18,4 Prozent in 1973 schien die Industrie an die Wachstumsraten der 60er Jahre anzuknüpfen. Trotz Zuschaltung der während der Krise stillgelegten Kapazitäten übertraf der Hüttenaluminiumverbrauch 1973 die laufende Produktion um mehr als eine Million Tonnen. Er konnte nur durch den Abbau der in der Krisenzeit aufgebauten Überbestände und vor allem durch weitere Entnahmen aus der US-Stockpile befriedigt werden. Ungeachtet der günstigen Absatzentwicklung hatte die Aluminiumindustrie in der Bundesrepublik keinen Grund zum Aufatmen. Anfang 1973 kam es zu einer erneuten Dollarkrise, die die amerikanische Regierung zu einer weiteren Abwertung des Dollars zwang. Im Rahmen des im Februar 1973 vereinbarten Realignments der Wechselkurse wurde die Dollarparität der D-Mark auf 2,90 D-Mark pro US-Dollar festgesetzt. Doch die Beruhigung der Devisenmärkte war nur von kurzer Dauer. Wenige Wochen nach der Neuordnung der Wechselkurse kam der US-Dollar erneut unter massiven Aufwertungsdruck. Im März 1973 musste das System der festen Wechselkurse aufgegeben und durch ein System der floatenden Währungen ersetzt werden. Nach der Freigabe der Devisenkurse erreichte der Dollar im Juli 1973 mit 2,28 D-Mark seinen vorläufigen Tiefpunkt. Die Auswirkungen des erneuten Kurseinbruches waren in den Bilanzen der deutschen Hüttenproduzenten abzulesen. Auch während des ganzen Jahres 1973 lagen die inländischen Aluminiumpreise unter den Selbstkosten der deutschen Hütten. Während die Produzenten im Dollarraum die weltweite Erholung des Aluminiummarktes dazu nutzten, ihre Preise kräftig anzuheben, hatten die deutschen Hütten wegen des rückläufigen Dollarkurses nur einen geringen Spielraum für Preiserhöhungen. Erst im Laufe des Jahres 1974 erreichte der deutsche Aluminiumpreis ein Niveau, bei dem auch die deutschen Hütten erstmals seit Ausbruch der Krise wieder schwarze Zahlen schreiben konnten. Ihre Ergebnisse blieben freilich auch jetzt noch weit hinter den glänzenden Abschlüssen der „Dollarproduzenten“ zurück, die bei einem auf über 40 c/lb gekletterten internationalen Preis Rekordergebnisse verzeichnen konnten. Wer unter dem Eindruck der stürmischen Aufwärtsentwicklung des Jahres 1973 geglaubt hatte, die Aluminiumindustrie sei zu den Wachstumsraten der 60er Jahre zurückgekehrt, wurde schon bald eines Besseren belehrt. Die weltweite Konjunktur heizte die chronisch gewordene Inflation erneut an und zwang die Regierungen und Zentralbanken zu scharfen Gegenmaßnahmen. In der Bundesrepublik beschloss die Bundesregierung im März 1973 ein weiteres Programm zur Bekämpfung des Preisanstieges, der mit einer Jahresrate von sieben Prozent einen neuen Rekord erreicht hatte. Das Maßnahmenpaket sah unter anderem eine Strafsteuer für Investitionen vor, die freilich bereits zur Jahreswende 1973 wieder aufgehoben wurde, nachdem sich mit
387 dem Ausbruch der Erdölkrise eine erneute Trendwende abgezeichnet hatte. Die Ankündigung von Boykottmaßnahmen durch die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) im Oktober 1973 schlug in den westlichen Industrieländern wie eine Bombe ein. Das seit 1960 bestehende Ölkartell demonstrierte seine Macht und nutzte das Öl als politische Waffe. Die Ölexporte in die westlichen Industrieländer wurden eingeschränkt, um diese zur Aufgabe ihrer Israel-freundlichen Politik zu zwingen. Auf die politisch motivierten Boykottmaßnahmen folgten horrende Ölpreisverteuerungen, die einen Konjunktursturz auslösten und die Weltwirtschaft 1975 in ihre schwerste Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges führten. Auch in der Bundesrepublik fiel das Bruttosozialprodukt im Krisenjahr 1975 um fast ein Prozent unter das Niveau des Vorjahres. Seit Herbst 1974 ging die Zahl der Arbeitslosen steil nach oben und erreichte 1975 mit einem Jahresdurchschnitt von fast fünf Prozent ein seit Anfang der 50er Jahre nicht mehr gekanntes Niveau. Ungeachtet der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise hielt sich die Nachfrage nach Hüttenaluminium bis zur Jahresmitte 1974 auf hohem Niveau. Erst gegen Ende des Jahres setzte sich die Erkenntnis durch, dass der Boom zu Ende war. Innerhalb kürzester Zeit schlug der Markt für Hüttenaluminium um. Die Aluminiumkrise des Jahres 1975 folgte weitgehend demselben Szenario wie die Absatzkrise der Jahre 1971/1972, übertraf diese aber bei weitem, was die katastrophalen Auswirkungen für die Industrie anging. Der Verbrauch an Hüttenaluminium brach in einem Ausmaß ein, wie es die Industrie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch nicht erlebt hatte. Weltweit wurden 1975 fast 25 Prozent weniger Aluminium verbraucht als im Vorjahr. Die Bestände an Hüttenaluminium, die im Laufe des Jahres 1974 unter das Normalniveau abgesunken waren, erreichten mit 3,3 Millionen Tonnen einen bedrohlichen Stand. Sie lasteten wie ein Mühlstein auf der Industrie, die weltweit in die roten Zahlen geraten war und zum Teil große Schwierigkeiten hatte, die Überbestände zu finanzieren. Die Absatzkrise wirkte sich zwangsläufig auch auf die Aluminiumpreise aus. Nach der kurzen Erholungsphase des Jahres 1974, in der die Inlandspreise bis auf 2,50 DM/kg angestiegen waren, kam es erneut zu einem tiefen Preiseinbruch. Im Dezember 1975 betrug der Aluminiumpreis nur noch 1,75 DM/kg. Gemessen an dem im Herbst 1974 erreichten Niveau war er innerhalb eines Jahres um ein Drittel gefallen. Auf diesem Preisniveau konnten auch die effizientesten Hütten nicht mehr kostendeckend produzieren. Doch auch diesmal schlug die Entwicklung schon bald in ihr Gegenteil um. So unvermittelt die Krise des Jahres 1975 über die Industrie hereingebrochen war, so schnell machte sie einem erneuten Aufschwung Platz. Schon im Herbst 1975 waren erste Anzeichen einer Wiederbelebung der Wirtschaft erkennbar, von der auch die Aluminiumindustrie profitierte. Der Konjunkturaufschwung beschleunigte sich von Quartal zu Quartal um schließlich in einen regelrechten Boom einzumünden. Nach dem katastrophalen Jahr 1975 erlebte die Aluminiumindustrie 1976 ein spektakuläres „come back“ mit einem weltweiten Zuwachs des Aluminiumverbrauchs von sage und
388 schreibe 28,8 Prozent. Das in der Krise verloren gegangene Terrain war damit zurück gewonnen; der Aluminiumverbrauch lag mit elf Millionen Tonnen wieder auf dem Niveau der Jahre 1973/1974. Die Industrie hatte aus den Erfahrungen früherer Krisen gelernt und ließ sich diesmal mit der Inbetriebnahme der abgeschalteten Kapazitäten Zeit. Dies erklärt den überraschend schnellen Abbau der in der Krise aufgebauten Überbestände. Die deutschen Produzenten nutzten die feste Verfassung des Marktes, um ihre Preise in mehreren Stufen wieder an den Listenpreis von 2,50 DM/kg heranzuführen, der 1974 vor Ausbruch der Krise auch effektiv erzielt worden war. Weitere Erhöhungen waren im Markt nicht mehr durchzusetzen. Die Preise gingen auf breiter Front zurück, nachdem es im zweiten Halbjahr 1977 erneut zu einem Konjunktureinbruch gekommen war, dessen Folgen für die deutsche Hütten durch weitere drastische Aufwertungen der D-Mark verschärft wurden. Auch jetzt wieder spürte die deutsche Aluminiumindustrie die Abhängigkeit ihrer Erlöse vom US-Dollar. Der Dollarkurs fiel im Februar 1978 erstmals unter 2,00 D-Mark, am Ende des Jahres betrug er nur noch 1,88 D-Mark pro Dollar. Die Erlöse der deutschen Produzenten wurden abermals unter die Erzeugungskosten gedrückt. Zu einer deutlichen Besserung der Lage der deutschen Hütten kam es erst gegen Ende der Dekade. Tabelle 26: Entwicklung der Aluminiumhüttenindustrie in der westlichen Welt 1969–1979 (Quelle: EAA) Millionen t
1969
1971
1973
1974
1975
1977
1979
Produktion Auslastung Vorräte MB-Preis in $/t
7,5 97% 1,2 583
8,6 89% 1,8 433
10,1 89% 1,4 654
11,1 93% 2,1 945
9,9 81% 3,3 689
11,3 87% 2,6 991
12,0 89% 1,7 1.574
Wir haben den Krisen der 70er Jahre in unserer Darstellung einen breiten Raum gewidmet, weil sie in vieler Hinsicht beispielhaft für die immer wiederkehrenden Markteinbrüche waren, die die Aluminiumindustrie in den kommenden Jahrzehnten erschüttern sollten. Im Rahmen unserer Darstellung wird uns vor allem die Krise der Jahre 1981/1982 beschäftigen, die wegen ihrer langen Dauer noch schlimmere Konsequenzen für die Aluminiumindustrie hatte als die schwere aber relativ kurze Erschütterung des Jahres 1975. Das Besondere der Aluminiumkrisen in der ersten Hälfte der 70er Jahre war, dass sie einen Wendepunkt in der Geschichte der Aluminiumindustrie markierten. Sie beendeten die „goldenen Jahre“ der Industrie und läuteten den Übergang in die Reifephase der Branche ein, die durch schwächeres Wachstum und durch das für Grundstoffindustrien typische Auf und Ab der Nachfrage gekennzeichnet ist. Dieser Wandel ist den maßgeblichen Vertretern der Industrie spätestens nach dem katastrophalen Jahr 1975 bewusst geworden. Wer noch während der Krise von 1971/1972 an eine vorübergehende Absatzstockung geglaubt hatte, nach deren Überwindung man zu den Wachstumsraten der 60er Jahre zurückkehren werde, konnte sich nach dem erneu-
389 ten Einbruch des Jahres 1975 der Einsicht nicht verschließen, dass sich die Welt des Aluminium grundlegend verändert hatte und dass nichts mehr so sein würde, wie es einmal war. Vor allem in Kreisen der deutschen Industrie machte sich damals ein ausgeprägter Pessimismus über die weitere Entwicklung der Industrie breit. Auf die Euphorie der 60er Jahre waren Ernüchterung und Skepsis gefolgt.
16.2 Enttäuschte Erwartungen Am stärksten von den Folgen der schwierigen 70er Jahre waren die „newcomer“ betroffen, die erst kurz vor Ausbruch der Krise in den exklusiven Kreis der Aluminiumproduzenten eingetreten waren. Für Preussag, Metallgesellschaft und Guilini erwies sich das mit großen Hoffnungen eingegangene Engagement in der Aluminiumproduktion als ein Desaster. Statt der erwarteten Gewinne mussten sie Jahr für Jahr Millionenverluste verkraften, ohne dass ein Ende der Verluststrecke für sie abzusehen war. Guilini bezahlte den Bau der Hütte in Ludwigshafen sogar mit der Existenz des ganzen Unternehmens. Aber auch die etablierten Aluminiumunternehmen, die sich am Ausbau der deutschen Hüttenindustrie beteiligten, sahen sich in ihren Erwartungen enttäuscht. Das galt sowohl für die beiden US-Konzerne Kaiser und Reynolds, die sich ihr Entree in das europäische Aluminiumgeschäft anders vorgestellt hatten, wie auch für die VAW, die die Krisenjahre nur dank der Finanzhilfen ihrer Muttergesellschaft VIAG überlebte. Kaiser-Preussag7 Das erste Opfer der Aluminiumkrise in der Bundesrepublik war die erst 1969 zustande gekommene Partnerschaft zwischen Kaiser und Preussag. Das unter dem Namen Kaiser-Preussag Aluminium GmbH oder kurz KAPAL betriebene Gemeinschaftsunternehmen, das seit dem 1. Januar 1970 neben der Aluminiumhütte in Voerde auch die kontinentaleuropäischen Verarbeitungswerke von Kaiser umfasste, geriet schon bald nach seiner Gründung in heftige Turbulenzen. Die unbefriedigende Entwicklung des Unternehmens, das aus eigener Kraft kaum lebensfähig war, belastete das Verhältnis zwischen den Partnern. Der Preisverfall bei Hüttenaluminium sowie hohe Verluste im Halbzeugwerk Koblenz und bei der Folientochter Phenix Aluminium in Belgien zwangen die Gesellschafter zu Hilfsmaßnahmen. Anlaufschwierigkeiten bei der Inbetriebnahme der Hütte in Voerde im Frühjahr 1971 führten zu einer weiteren Verschärfung der Spannungen zwischen den beiden Partnerfirmen. Nach einem Wechsel in der Führungsspitze der Preussag im Frühjahr 1972 entschloss sich das neue Management, das verlustreiche Engagement auf dem Aluminiumsektor abzustoßen. Kaiser wurde ultimativ aufgefordert, die 50 %ige Beteiligung der Preussag an der KAPAL-Gruppe zu übernehmen und die Preussag für die erlittenen
390 Verluste zu entschädigen. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, leitete Preussag ein Verfahren vor dem internationalen Schiedsgericht in Paris ein. Die gegen Kaiser erhobenen Vorwürfe gipfelten in der Behauptung, Kaiser habe beim Abschluss des Partnerschaftsvertrags schwerwiegende Mängel des Koblenzer Halbzeugwerkes verschwiegen. Bemühungen der beiden Unternehmen, ihre unhaltbar gewordene Zusammenarbeit durch den Verkauf des gemeinsamen Unternehmens an einen Dritten zu beenden, führten zu keinem Ergebnis. Verhandlungen mit dem europäischen Management von Alcan, das nach einem gründlichen Audit der KAPAL-Betriebe Interesse an dem Erwerb der Gruppe gezeigt hatte, scheiterten in letzter Minute, weil keine der beiden Seiten bereit war, eine relativ kleine Differenz zwischen den beiderseitigen Kaufpreisvorstellungen zu überbrücken. Ergebnislos blieb auch der Versuch, die gescheiterte Aluminiumehe zwischen Kaiser und Preussag durch eine Kooperation zwischen Kaiser und VAW zu ersetzen. Die im Frühjahr 1974 begonnenen Gespräche hatten schon nach kurzer Zeit zu einer Übereinkunft der beteiligten Unternehmen geführt. Nach dem zwischen VAW und Kaiser vereinbarten Unternehmenskonzept sollten die Verarbeitungswerke der KAPALGruppe mit den Halbzeugwerken und Weiterverarbeitungsbetrieben der VAW in der VAW-Leichtmetall GmbH (der früheren VLW) zu einem leistungsfähigen Gemeinschaftsunternehmen unter Führung der VAW zusammengefasst werden. Kaiser wollte sich an diesem Unternehmen mit einer Quote von 25 Prozent beteiligen. Im Gegenzug wollte die VAW eine Beteiligung von 25 Prozent an der Aluminiumhütte in Voerde übernehmen, die mehrheitlich bei Kaiser bleiben sollte. Wesentlicher Bestandteil des Konzepts war ein Rationalisierungsplan, dessen wichtigstes Vorhaben die Stilllegung des veralteten Walzwerkes der VAW in Hannover und die Konzentration des Plattengeschäftes im Walzwerk Koblenz war. Geplant war auch die Schließung des Presswerks in Koblenz und die Zusammenführung der Pressaktivitäten im Werk Bonn der VAW. Durch die Konzentration der Fertigung an dem jeweils technisch und wirtschaftlich am besten geeigneten Standort und die Zusammenfassung von Verwaltung und Vertrieb sollten Kosten eingespart und die Produktivität der Betriebe erhöht werden. Für die VAW war die Fusion eine Alternative zu der ohnehin fälligen Sanierung ihrer angeschlagenen Halbzeuggruppe. Man hoffte, die dringend gebotenen Einschnitte im Rahmen der Fusion mit geringeren Opfern an Arbeitplätzen und einem deutlich niedrigeren Aufwand durchführen zu können. Auch betrachtete man die Fusion als einen Beitrag zur Bereinigung der Wettbewerbssituation auf dem deutschen Halbzeugmarkt, der seit Anfang der 70er Jahre durch Überkapazitäten geprägt war. Für Kaiser wäre die Fusion ein weiterer Schritt auf dem Rückzug aus Europa gewesen, den das Unternehmen bereits 1969 mit der Gründung der KAPAL-Gruppe eingeleitet hatte. In Großbritannien hatte Kaiser seine Halbzeugaktivitäten schon 1971 mit denen der britischen Alcan-Gruppe zusammengelegt. An der aus diesem Zusammenschluss hervorgegangenen Alcan-Booth Industries Ltd. hatte Kaiser nur noch eine Minderheitsbeteiligung von 25 Prozent, die wenige Jahre später an Alcan verkauft wurde. Auch die
391 Beteiligungen in Schweden und in der Türkei hatte man Anfang der 70er Jahre wieder aufgegeben. Man durfte also davon ausgehen, dass sich Kaiser früher oder später auch aus dem geplanten Gemeinschaftsunternehmen mit der VAW in Deutschland zurückziehen würde. Was auch immer die Pläne und Erwartungen der beteiligten Unternehmen gewesen sein mögen, das Bundeskartellamt in Berlin machte ihnen durch die Untersagung der Fusion einen Strich durch die Rechnung. Bei der Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) im Jahr 1973 hatte der Gesetzgeber die so genannte vorbeugende Fusionskontrolle eingeführt, die bei Zusammenschlüssen unter Beteiligung von „Umsatz-Milliardären“ die vorherige Anmeldung und Genehmigung des Fusionsvorhabens durch das Bundeskartellamt zur Voraussetzung des Vollzugs des Zusammenschlusses machte. Das Kartellamt ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, seine neu gewonnenen Befugnisse zu erproben und gegenüber einer Industrie, die man als wettbewerbsfeindlich einstufte, Flagge zu zeigen. Am 23. Dezember 1974 untersagte das Amt die geplante Fusion mit der Begründung, durch sie werde die ohnehin schon bestehende marktbeherrschende Stellung der VAW auf mehreren Teilmärkten in der Bundesrepublik weiter verstärkt. Der Antrag der Beteiligten an das Bundeswirtschaftsministerium auf Erteilung einer Sondergenehmigung nach § 24 Abs. 3 GWB wurde nach einem negativen Votum der Monopolkommission abgelehnt. Trotz einhelliger Befürwortung durch die betroffenen Länder Nordrhein-Westfalen, Rheinlandpfalz und Niedersachsen war nach Auffassung des Bundeswirtschaftsministers kein überragendes gesamtwirtschaftliches Interesse an dem Zustandekommen der Fusion gegeben, das eine Ausnahmegenehmigung gerechtfertigt hätte 8. Aus heutiger Sicht fällt es schwer, die Gründe für die Entscheidung des Bundeskartellamtes und das Votum der Monopolkommission nachzuvollziehen, die schon damals als realitätsfern empfunden wurden und dies keineswegs nur von den unmittelbar Betroffenen. Der wichtigste Vorwurf an die Adresse der Wettbewerbshüter war, dass sie bei der Beurteilung der Marktposition der VAW von einem geschlossenen Binnenmarkt ausgingen und die schon damals bestehende weitgehende Einbindung des deutschen Marktes in den gesamteuropäischen Markt völlig unbeachtet ließen. Nicht aufzuhalten war die Auflösung der zerrütteten Partnerschaft zwischen Kaiser und Preussag. Nach dem Scheitern der Fusion mit VAW entschloss sich das KaiserManagement im Herbst 1975, den Anteil der Preussag an der KAPAL zurückzukaufen. Bei den Verkaufsverhandlungen musste Preussag erhebliche Zugeständnisse machen. Nach der Übernahme der Preussag-Beteiligung übertrug Kaiser die bisherigen KAPAL-Betriebe auf eine 100 %ige Tochtergesellschaft des Konzerns mit Sitz in den USA. Als Gesellschaft amerikanischen Rechts betrieb die Kaiser Aluminium Europe Inc. das Hüttenwerk Voerde und das Halbzeugwerk Koblenz im Rahmen rechtlich unselbstständiger Zweigniederlassungen. Das Kabelwerk Berlin und die beiden Folienwalz- und Veredlungsbetriebe in Lüttich (Belgien) und Kirchberg (Schweiz) wurden als Tochtergesellschaften der neuen Gesellschaft geführt. Auf diese wurde
392 auch die Beteiligung an dem Aluminiumdosenwerk in Recklinghausen übertragen, das Kaiser schon 1973 von der KAPAL übernommen und 1974 in eine Partnerschaft mit der Gerresheimer Glas AG eingebracht hatte. Anfang 1985 kam noch die KaiserBeteiligung an der Anglesey Aluminium Ltd. hinzu, die eine Aluminiumhütte in Anglesey (Wales) betrieb, an der neben Kaiser die Rio Tinto Gruppe mit einem Drittel beteiligt war. Die ungewöhnliche rechtliche Organisationsform hatte steuerliche Gründe. Da man in der Konzernzentrale von Kaiser nicht damit rechnete, dass die europäischen Betriebe in absehbarer Zeit aus den roten Zahlen herauskommen würden, wählte man eine Rechtsform, die es erlaubte, zukünftige Verluste in Deutschland mit Gewinnen in den USA zu verrechnen. Die pessimistischen Erwartungen erwiesen sich indessen als unbegründet. Die Kaiser-Europe-Gruppe erwirtschaftete schon 1976 einen kleinen Überschuss und konnte in den folgenden Jahren ihre Ergebnisse weiter verbessern. Sie hat während der kurzen Zeit ihres Bestehens einen respektablen Beitrag zum Ergebnis des Kaiser-Konzerns beigesteuert. In den 80er Jahren, als die Muttergesellschaft in den USA in eine Existenz bedrohende Krise stürzte, war sie eines der wenigen Konzernunternehmen, das zufriedenstellende Ergebnisse erzielte. Aus dem Sorgenkind war inzwischen ein Musterunternehmen geworden 9. Gemessen an den riesigen Verlusten, die bei der amerikanischen Muttergesellschaft Jahr für Jahr anfielen, waren die Gewinne der europäischen Tochtergesellschaft freilich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Um dringend benötigte Liquidität zu beschaffen veräußerte Kaiser die Kaiser-EuropeGruppe 1987 an den niederländischen Hoogovens-Konzern. Unter dem neuen Namen „Hoogovens Aluminium GmbH“ bestand die Gruppe im Rahmen des HoogovensKonzerns als separate organisatorische Einheit noch einige Jahre weiter, bis sie 1990 mit den belgischen und holländischen Aluminiumbetrieben des Konzerns zur HoogovensAluminium-Gruppe verschmolzen wurde. Leichtmetall-Gesellschaft mbH Auch die mit großen Erwartungen begonnene Partnerschaft zwischen Metallgesellschaft und Alusuisse fiel der Aluminiumkrise zum Opfer. Als die LMG-Hütte in Essen-Borbeck Anfang 1971 ihren Betrieb aufnahm, war der Verfall der Hüttenaluminiumpreise schon in vollem Gange. Die Metallgesellschaft hatte gehofft, mit der Beteiligung an einer modernen Hütte eine kostengünstige Rohstoffbasis für ihre ertragsschwache Verarbeitungstochter VDM zu gewinnen und so im Wege der „Rückwärtsintegration“ die Rentabilität ihrer Aluminiumsparte zu verbessern. Stattdessen musste sie jetzt erleben, dass zu den Verlusten der Verarbeitungsstufe weitere erhebliche Verluste aus der Beteiligung an der Hütte in Essen hinzutraten. Als die Aluminiumpreise im Krisenjahr 1975 erneut tief einbrachen und eine grundlegende Besserung der Lage auf dem Aluminiumsektor in der Bundesrepublik immer unwahrscheinlicher wurde, zog man bei der Metallgesellschaft die Konsequenzen aus der chronischen Verlust-
393 situation und leitete den Rückzug aus der Partnerschaft ein. Anders als bei der Auflösung der Aluminiumehe von Kaiser und Preussag, die ihre Auseinandersetzungen in aller Öffentlichkeit ausgetragen hatten, vollzog sich die Trennung von Metallgesellschaft und Alusuisse weitgehend geräuschlos. Die Schweizer erklärten sich damit einverstanden, dass die Metallgesellschaft ihre 50 %ige Beteiligung an der LMG auch Dritten anbot, behielten sich aber das Recht vor, in den mit dem Kaufinteressenten vereinbarten Vertrag einzutreten. Von diesem Vorkaufsrecht machte die Alusuisse Gebrauch, als die Metallgesellschaft im Juni 1976 mit einem amerikanischen Aluminiumproduzenten handelseinig geworden war. Mit Wirkung vom 1. Januar 1977 ging die Beteiligung der Metallgesellschaft an der LMG auf die Alusuisse über, und zwar zu für sie günstigen Bedingungen, wie die Gesellschaft in einer Presseerklärung verlautbaren ließ 10. Wie bei der Preussag mag man auch bei der Metallgesellschaft später den Rückzug aus der Aluminiumproduktion als voreilig bedauert haben, nachdem sich die Lage auf dem Aluminiummarkt schon 1976 deutlich besserte und die Hütten in Essen und Voerde in den Folgejahren gute Gewinne abwarfen. Mit dem Rückzug aus der LMG war für die Metallgesellschaft nicht nur der Traum von der Rückkehr in den exklusiven Kreis der Aluminiumproduzenten geplatzt, dem sie in den Anfangszeiten der Industrie angehört hatte. Der Konzern traf damit zugleich eine strategische Entscheidung gegen einen weiteren Verbleib im Aluminiumgeschäft, wenn dies auch damals nicht ausdrücklich gesagt wurde. Die krisenhafte Zuspitzung der Lage auf dem Halbzeugsektor in der ersten Hälfte der 70er Jahre legte die Strukturprobleme der Verarbeitungstochter VDM schonungslos offen. Das größte Problem war das Stammwerk der Gesellschaft in Heddernheim bei Frankfurt. In dem riesigen Werkskomplex waren die Herstellung von Aluminiumhalbzeug und die Verarbeitung von Kupfer und Messing unter einem Dach vereinigt. Beide Bereiche waren chronisch defizitär. Die Konzernleitung ließ sich immer wieder durch optimistische Prognosen dazu verleiten, dem Werk auf reduzierter Basis noch einmal eine Chance zu geben. Anfang der 70er Jahre wurden in Heddernheim 3.200 Mitarbeiter beschäftigt. Am Ende der Dekade war die Belegschaft des Werkes auf die Hälfte geschrumpft. Für eine durchgreifende Modernisierung des Werkes fehlte jedoch die Kraft. Auf dem Aluminiumsektor war die längst fällige Ersetzung des veralteten Warmwalzwerkes nicht zuletzt auch deswegen unterblieben, weil man sich von der Bandgießanlage der LMG in Essen eine kostengünstige Versorgung mit Warmband versprochen hatte, die den Bau eines neuen Warmwalzwerkes in Heddernheim erübrigt hätte. Nach dem Rückzug aus der LMG war die Bereitschaft des Konzerns, die für eine derartige Großinvestition benötigten Mittel aufzubringen, erst recht nicht mehr gegeben. Gespräche mit der VAW und anderen Wettbewerbern über eine Kooperation führten zu keinem Ergebnis. Auch die Bemühungen, einen Käufer für das marode Unternehmen zu finden, blieben ohne Erfolg. Zuletzt blieb nur noch die Liquidation des Werkes, die auch aus Rücksicht auf die Stadt Frankfurt, der sich die Metallgesellschaft besonders verpflichtet fühlte, immer wieder hinausgeschoben worden war 11.
394 Gebr. Guilini GmbH Ein Opfer der Aluminiumkrise der 70er Jahre wurde auch die Firma Gebr. Guilini, die Ende der 60er Jahre auf dem Werksgelände in Ludwigshafen in unmittelbarer Nachbarschaft der dort betriebenen Tonerdefabrik eine kleine Aluminiumhütte errichtet hatte. Es stellte sich schon bald heraus, dass Bau und Betrieb der Hütte die finanziellen Kräfte des Familienunternehmens überforderten. Die Hütte lastete wie ein Mühlstein auf dem Unternehmen und riss es schließlich nach mehrjährigem Todeskampf ins Verderben. Der Preisverfall bei Hüttenaluminium, der schon kurz nach der Inbetriebnahme der ersten Ausbaustufe am 1. Januar 1970 einsetzte, führte zu einem Aderlass, den das Unternehmen auf die Dauer nicht verkraften konnte. Es rächte sich auch, dass sich Guilini auf einen ungünstigen Stromvertrag mit den Pfalzwerken eingelassen hatte, der dem Unternehmen die höchsten Stromkosten aller Aluminiumhütten in der Bundesrepublik bescherte. Als die Aluminiumpreise nach einer kurzen Phase der Erholung im Jahr 1975 erneut einbrachen, kam das bereits angeschlagene Unternehmen völlig aus dem Tritt. Man sah sich gezwungen, durch den Verkauf der profitablen Pharma- und Chemiesparten Liquidität zu beschaffen, um den drohenden finanziellen Kollaps aufzuhalten 12. 1978 waren die finanziellen Reserven des Unternehmens aufgezehrt. Die Eignerfamilien Guilini und von Salmuth waren nicht bereit, weitere Mittel zuzuschießen und ließen das Unternehmen in den Konkurs gehen 13. Noch wenige Jahre zuvor hatte man stolz das 150-jährige Firmenjubiläum gefeiert. Vor dem Zusammenbruch des Unternehmens hatte die Firmenleitung vergeblich versucht, einen Käufer oder potenten Partner für die Hütte zu finden. Hauptsächliches Hindernis war der Stromvertrag mit den Pfalzwerken, der einen rentablen Betrieb der Hütte auf die Dauer nicht erlaubte. In Kreisen der Industrie löste es daher einige Überraschung aus, dass ausgerechnet Alcan, der zweitgrößte Aluminiumproduzent der westlichen Welt, die Hüttenanlagen im Frühjahr 1979 von dem Konkursverwalter erwarb14. Viel Freude sollte Alcan an der Elektrolyse in Ludwigshafen nicht haben. Zwar brachten steigende Aluminiumpreise zu Anfang der 80er Jahre den Kaufpreis von 22,5 Millionen D-Mark in wenigen Jahren wieder herein. Das ungelöste Problem der Stromversorgung führte jedoch schon nach wenigen Jahren zum endgültigen „Aus“ für die Hütte. Reynolds Hamburg Als der Hamburger Bürgermeister Weichmann am 22. September 1970 den ersten Spatenstrich für das neue Aluminiumwerk der Firma Reynolds vornahm, hatte sich der Himmel über der Aluminiumindustrie bereits merklich eingetrübt. Die weltweite Konjunkturschwäche, die sich seit Anfang des Jahres immer deutlicher bemerkbar machte, hatte erste negative Spuren in den Absatz- und Ertragszahlen der Unternehmen hinterlassen. Bis zur Fertigstellung der Hamburger Hütte im Juli 1973 folgten zwei schwierige
395 Krisenjahre, in denen auch die Firma Reynolds Federn lassen musste. Die euphorische Stimmung, die die Zukunftserwartungen der Industrie bestimmt hatte, als der Konzern anfangs 1969 seine Investitionspläne in der Bundesrepublik bekannt gegeben hatte, war inzwischen verflogen. Auch bei Reynolds sah man die Großinvestition in Deutschland jetzt mit anderen Augen. Zu den Folgen der Absatzkrise, mit denen die Industrie weltweit zu kämpfen hatte, kamen in Deutschland noch die Währungsprobleme hinzu, die durch die Abwertung des Dollars entstanden waren und eine rentable Hüttenproduktion in diesem Land in Frage stellten. Völlig unhaltbar wurde die Situation für Reynolds, als die neue Hütte nach ihrer Fertigstellung im Sommer 1973 wegen eines Rechtsstreites über die zulässigen FluorEmmissionen nicht im Vollbetrieb genutzt werden durfte. In einem früheren Kapitel haben wir über den spektakulären Umweltkampf berichtet, den Reynolds über Jahre hinweg mit Anrainern, Bürgerinitiativen und den Behörden der Stadt Hamburg ausfechten musste. Ihren Höhepunkt erreichte die erbittert geführte Auseinandersetzung mit der einstweiligen Verfügung des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 27. August 1974, das auf Antrag von zwei Gladiolen-Züchtern in dem benachbarten Altenwerder die komplette Stilllegung der Hütte anordnete. Das Berufungsgericht milderte diese Entscheidung zwar insoweit ab, als Reynolds zwei der drei Ofenreihen auf eigene Gefahr betreiben durfte, aber die dritte Ofenlinie musste auch nach der Entscheidung der Berufungsinstanz bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens eingemottet bleiben. Dies war die Sachlage, als Reynolds Anfang 1975 bekannt gab, man habe aus grundsätzlichen Erwägungen beschlossen, sich aus dem Hamburger Unternehmen zurückzuziehen. Der Konzern habe seine Politik in Europa geändert. Man prüfe das Angebot einer ausländischen Investorengruppe, die Interesse an dem Werkskomplex gezeigt habe 15. Gleichzeitig wurde bekannt gegeben, dass der Betrieb in Hamburg im Jahr 1974 einen Verlust von dreißig Millionen D-Mark erwirtschaftet habe, der zum größten Teil auf die von den Gerichten angeordnete Stilllegung der dritten Linie zurückzuführen sei. Man hatte in Richmond die Geduld verloren und wollte mit dieser Ankündigung den Hamburger Senat zwingen, endlich eine Lösung der anstehenden Probleme herbeizuführen. Für die Amerikaner war es nicht nachvollziehbar, dass zwei Anrainer, die nach dem Hafenerweiterungsgesetz von 1961 ohnehin bald das Feld räumen mussten und deren wahre Motive ja leicht zu durchschauen waren, über Jahre hinweg die Existenz eines großen Industriewerkes mit über Tausend Beschäftigten in Frage stellen konnten. Für den Senat entstand durch die Ankündigung der Amerikaner eine schwierige und für die verantwortlichen Politiker höchst peinliche Situation. Neben der Blamage mit ihrem Prestigeprojekt waren hohe finanzielle Belastungen zu erwarten, wenn Reynolds seine Drohung wahr machte und tatsächlich „die Brocken hinwarf“. Auf der Suche nach einem Ausweg aus der verfahrenen Situation wandte sich der Hamburger Wirtschaftssenator Kern (SPD) an seinen Parteifreund, den Bonner Finanzminister Hans Apel. Dieser sorgte dafür, dass sich die bundeseigene VAW für eine „deutsche
396 Lösung“ des Problems zur Verfügung stellte, die es den beteiligten Politikern erlaubte, ihr Gesicht zu wahren und die Stadt Hamburg vor noch größerem Schaden bewahrte. Das von der VAW entwickelte Konzept sah die Übernahme der Hütte durch eine Dreiergemeinschaft vor, an der sich VAW, Reynolds und die österreichische Vereinigte Metallwerke Ranshofen-Berndorf AG mit je einem Drittel beteiligten 16. Um den Weg für eine Neuordnung frei zu machen, hatte die Stadt schon Anfang 1975 die Geschäftsanteile von Reynolds übernommen und war damit 100 %iger Eigentümer der Reynolds Aluminium Hamburg GmbH geworden. Attraktive finanzielle Bedingungen machten den beteiligten Unternehmen die Rettungaktion schmackhaft. Die Stadt erklärte sich bereit, mit den zukünftigen Betreibern von Hütte und Walzwerk langfristige Mietkaufverträge abzuschließen, wodurch sich der Kaufpreis für die Anlagen auf einen Zeitraum von über zwanzig Jahren verteilte. Die Last der Finanzierung trug bei dieser Konstruktion allein die Stadt. Wegen der schwierigen Situation auf dem Aluminiummarkt stundete man den Erwerbern für die ersten Jahre sogar einen Teil der Kaufpreisraten. Noch eine weitere Konzession musste der Senat machen. Wegen der ungeklärten Umweltsituation waren die Käufer nicht bereit, Zahlungen für den stillgelegten Teil der Hütte zu leisten, solange dieser nicht in vollem Umfang betrieben werden konnte. Für die Stadt ergab sich daraus ein weiteres finanzielles Risiko, das allerdings durch die Beilegung des Rechtsstreites ausgeräumt werden konnte. Die Gladiolenzüchter nahmen die Klage zurück, nachdem sich der Senat bereiterklärt hatte, die von ihnen geforderten – und im Verhältnis überhöhten – Grundstückspreise zu zahlen. Die am 12. August 1975 vom Senat der Stadt Hamburg beschlossene Neuordnung konnte schon am 1. Oktober 1975 in Kraft treten, nachdem auch das Bundeskartellamt in Berlin nach kursorischer Prüfung dem Vorhaben seinen Segen erteilt hatte. Seit diesem Zeitpunkt lag die Verantwortung für den Betrieb der Hütte bei der Hamburger Aluminiumwerk GmbH (HAW), an der sich VAW, Reynolds und Ranshofen zu gleichen Teilen beteiligten. Die HAW war eine reine Produktionsgesellschaft ohne eigenen Vertrieb. Auf Grund der mit der Gesellschaft abgeschlossenen Take-or-Pay-Verträge waren die drei Partner verpflichtet, ihrer Beteilgungsquote entsprechend Tonerde beizustellen, das daraus gewonnene Metall abzunehmen und die jeweiligen Umarbeitungskosten zuzüglich Gewinnmarge zu bezahlen. Die Führung im Konsortium übernahm die VAW, die auch für den technischen Betrieb der Hütte verantwortlich war. Das Hamburger Walzwerk wurde von Reynolds in eigener Regie weitergeführt. Betreiber war die Reynolds Aluminium Deutschland Inc. (RADI), eine amerikanische Tochtergesellschaft von Reynolds, die das Werk über ihre deutsche Zweigniederlassung betrieb und auch die Reynolds-Beteiligungen an der Hamburger Aluminiumwerk GmbH und der Aluminium Oxid Stade (AOS) hielt. Diese rechtliche Konstruktion wurde aus steuerlichen Gründen gewählt. Man erwartete in der Konzernzentrale von Reynolds, dass bei den deutschen Aktivitäten auch auf längere Sicht Verluste anfallen würden, die man bei dieser rechtlichen Gestaltung mit Gewinnen in den USA verrech-
397 nen konnte. Dieselbe Konstruktion ist uns schon im vorigen Kapitel begegnet, als wir über die Neuordnung der früheren KAPAL-Aktivitäten berichteten. Auch im Falle Reynolds hat sich die damalige Einschätzung der Zukunftsaussichten ihrer Betriebe in Deutschland als zu pessimistisch erwiesen. Zu weiteren Investitionen in Deutschland ist es aber nicht mehr gekommen. Reynolds hat zwar den von Teilen des amerikanischen Managements angestrebten Rückzug aus der Bundesrepublik nicht erreicht. Immerhin ist es der Gesellschaft mit Hilfe des Arrangements von 1975 gelungen, das problematische Engagement durch ein partielles Desinvestment zu reduzieren. Den endgültigen Rückzug aus Deutschland vollzog der Konzern erst 30 Jahre später.
16.3 Die VAW in der Krise 17 Auch das in der Branche als vorsichtig geltende Management der VAW hatte sich von der allgemeinen Aufbruchsstimmung anstecken lassen und die bisher geübte Zurückhaltung beim Ausbau der Kapazitäten aufgegeben. Der Vorstand wollte die Chancen nutzen, die der stürmisch wachsende Markt bot, und stellte die Weichen auf Expansion. Die wichtigsten Entscheidungen über die Erweiterung der Kernaktivitäten der Gesellschaft wurden in der zweiten Hälfte der 60er Jahre getroffen, bevor die Wende in der Marktentwicklung deutlich sichtbar wurde. Das gilt für den Ausbau der Elektrolyse- und Tonerdekapazitäten ebenso wie für die Beteiligung an dem Walzwerk in Norf und die Erweiterung des Folien- und Dünnbandbereichs in Grevenbroich. Die tiefgreifenden Veränderungen des wirtschaftlichen und währungspolitischen Umfeldes, die die Aluminiumindustrie im Verlauf der 70er Jahre vor „dramatische Prüfungen“ stellte, wie es in der Firmengeschichte der VAW heißt, haben die VAW genauso überrascht wie die ganze Branche. Noch 1971, als die Folgen der Krise bereits schmerzhaft zu spüren waren, sprach das Vorstandsmitglied Escherich von einer Wachstumspause, nach der die Industrie zu den früheren Wachstumsraten zurückkehren werde. Escherichs Optimimus, der damals von großen Teilen der Branche geteilt wurde, dürfte auch den Ausschlag dafür gegeben haben, dass die VAW trotz aller Rückschläge und Schwierigkeiten an der beschlossenen Richtung festhielt und das ehrgeizige Expansionsprogramm ohne wesentliche Abstriche durchzog. Der Hüttenbereich der VAW fuhr in den Krisenjahren 1972, 1975 und 1978 erhebliche Verluste ein. Dafür waren in erster Linie die Preiseinbrüche auf dem internationalen Aluminiummarkt verantwortlich, zu denen auf dem Inlandsmarkt noch die Auswirkungen der D-Mark-Aufwertung hinzukamen. Absatzprobleme spielten bei der VAW eine geringere Rolle als bei den meisten anderen Produzenten. Die neu hinzugekommene Hüttenkapazität ersetzte ja zu einem guten Teil die Metallzukäufe, die die VAW auch in den 60er Jahren noch in großem Umfang getätigt hatte, um ihre Stellung auf dem deutschen Markt zu behaupten. Die VAW hat sich daher auch nur widerstrebend an den Produktionskürzungen beteiligt, mit denen die Aluminiumindustrie
398 während der Krisenjahre auf den bedrohlichen Aufbau von Überbeständen reagierte. Ganz glaubte man sich der weltweiten Solidarität nicht entziehen zu können. Daher verschob die VAW die Inbetriebnahme der zweiten und dritten Ausbaustufen des Rheinwerks um jeweils ein Jahr. Außerdem wurden im Innwerk und Erftwerk besonders unwirtschaftlich arbeitende Teile der dortigen Elektrolysen definitiv stillgelegt. Mitte der 70er Jahre, als die Aluminiumkonjunktur erneut einbrach, änderte die VAW ihre bisherige Politik. Im Krisenjahr 1975 begnügte man sich mit einer Kürzung um zwölf Prozent, während die Hütten der westlichen Welt insgesamt nur noch mit etwa achtzig Prozent ihrer Kapazität betrieben wurden. In der Krise von 1978 sah man von einer Kürzung der Produktion sogar ganz ab. Rücksichten auf die Gesamtsituation der Industrie konnte das finanziell angeschlagene Unternehmen damals nicht mehr nehmen. Durch die Erweiterung des Rheinwerkes und den Neubau der Hütte in Stade gewann die VAW bis zur Mitte der 70er Jahre etwa 160.000 Jato zusätzliche Hüttenkapazität. Ab 1976 kamen weitere 35.000 Jato aus der Beteiligung an der Hamburger Aluminiumwerk GmbH (HAW) hinzu, die die 1979/1980 stillgelegte Elektrolyse des Erftwerks ersetzte. Am Ende der Dekade verfügte die VAW über eine Hüttenkapazität von 345.000 Jato, was gegenüber dem Stand von 1969 einen Zuwachs von ca. 75 Prozent bedeutete. Das entsprach in etwa der Steigerungsrate, mit der die Hüttenkapazitäten in der westlichen Welt zugenommen hatten. Einen wesentlich höheren Zuwachs verzeichnete die VAW bei den Oxidkapazitäten, die sich durch den Ausbau der Werke in Lünen und Schwandorf und den Bau des Gemeinschaftswerkes in Stade fast verdreifachten. Zu einem großen Teil ersetzten die neuen Oxidkapazitäten Fremdbezüge. Mittel- und langfristig war damit zu rechnen, dass die Produktion von Schwandorf und Lünen zu der modernen Anlage in Stade verlagert würde, wo genügend Kapazität vorhanden war. In der internationalen Rangordnung der Aluminiumproduzenten belegte die VAW anfangs der 80er Jahre hinter der Spitzengruppe der „Big Six“ (Alcoa, Alcan, Reynolds, Kaiser, Pechiney und Alusuisse) und den japanischen Produzenten Sumitomo und Mitsubishi den neunten Platz. Der Platz der VAW im oberen Mittelfeld der Aluminiumproduzenten der westlichen Welt hatte sich also trotz des forcierten Ausbaus ihrer Kapazitäten kaum verändert. Ihr Anteil an der Hüttenaluminiumproduktion der westlichen Welt belief sich im Jahr 1980 auf weniger als drei Prozent. Die Investitionspolitik der deutschen Aluminiumindustrie ist damals in der Öffentlichkeit scharf kritisiert worden, wobei die VAW als größtes Unternehmen der Branche naturgemäß im Brennpunkt der Kritik stand. Kritiker aus Gewerkschaftskreisen verwiesen auf die weltweiten Überkapazitäten und bezeichneten den Ausbau der deutschen Hüttenindustrie als eine krasse Fehlinvestition. Die Eingabe der Industrie beim Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen (über die wir im letzten Kapitel berichtet haben) wurde als „Bettelbrief“ qualifiziert. Zur Vermeidung weiterer Fehlentscheidungen forderten die Gewerkschaften eine verstärkte Mitwirkung an Planungs- und Investitionsentscheidungen der Industrie 18. In neuerer Zeit hat auch der
399 Historiker Manfred Pohl in seiner Firmengeschichte der VIAG dem damaligen Management von VIAG und VAW „Strategiefehler“ vorgeworfen 19. Zu ihrer Rechtfertigung hat die Industrie schon damals auf die hohe Importabhängigkeit der Bundesrepublik hingewiesen, die es aus volkswirtschaftlichen Gründen zu vermindern gegolten habe. Niemand habe Ende der 60er Jahre, als der Bau der neuen Hütten beschlossen wurde, die Dollarkrise und ihre katastrophalen Folgen für die deutsche Aluminiumindustrie voraussehen können. Da zwischen dem Beschluss zum Bau einer Aluminiumhütte und ihrer Inbetriebnahme ein Zeitraum von zwei bis drei Jahren vergehe, könne man nicht von einer Fehlinvestition sprechen, wenn die Fertigstellung in eine kurze Phase der Stagnation falle. Im Rückblick wird man freilich der VAW und der Industrie insgesamt den Vorwurf nicht ersparen können, dass sie sich durch die Euphorie der späten 60er Jahre auf dem Hüttensektor zu Kapazitätserweiterungen hinreißen ließen, die jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt und in diesem Umfang nicht gerechtfertigt waren. Die größte Verlustquelle der VAW in den 70er Jahren waren die chronisch defizitären Halbzeugwerke in Bonn, Hannover und Neumünster, deren Verluste nur teilweise durch Gewinne des Folien- und Dünnbandbereichs in Grevenbroich kompensiert werden konnten. Diese Werke waren seit 1971 unter dem Dach der VAW-Leichtmetall GmbH (VAW-L) vereinigt. Eine weitere Verlustquelle waren die in der AluminiumVerwaltungs-Gesellschaft mbH (AVG) zusammengefassten Betriebe der zweiten Verarbeitungsstufe, an denen sich die VAW anfangs der 70er Jahre zur Absatzsicherung des Halbzeugbereichs oder auch zur Rettung von Lieferantenforderungen beteiligt hatte. Darunter waren Fensterfirmen und andere Unternehmen der Baubranche sowie sonstige Hersteller von Endprodukten aus Aluminium20. Im Laufe der 70er Jahre musste die VAW mehrere Hundert Millionen D-Mark Organverluste der VAW-L und der AVG übernehmen 21. Ihre Gründe hatte die unbefriedigende Ertragslage der beiden Verarbeitungstöchter nicht nur in den schwierigen Markbedingungen, die wir im Eingangskapitel geschildert haben. Vielmehr kamen hausgemachte Probleme dazu, deren Lösung zum Teil allzu lange hinausgeschoben worden war. Die Walzwerksanlagen in Bonn und Hannover entsprachen schon lange nicht mehr dem Stand der Technik. Auch die Zersplitterung der Halbzeugproduktion auf mehrere Standorte, eine Hinterlassenschaft des Krieges, war unhaltbar geworden. Obwohl die Probleme spätestens seit Anfang 1971 in ihrem ganzen Ausmaß bekannt waren, scheute das VAW-Management damals noch vor Werksschließungen und dem damit verbundenen massiven Abbau von Belegschaften zurück. Der Einfluss des Staates als alleiniger Eigner des Unternehmens hat zweifellos hemmend gewirkt. Auch war der Einfluss der Gewerkschaften bei der VAW größer als in den meisten anderen Unternehmen der Branche 22. In der Hoffnung, sämtliche Standorte halten zu können, reagierte man auf die anhaltend hohen Verluste im Halbzeugbereich mit eher halbherzigen Rationalisierungsmassnahmen. In den Jahren 1971/1972 wurden die Warmwalzanlagen und das Blechwalzwerk in Bonn stillgelegt und die Walzleistung zur besseren Auslastung der dortigen Anlagen nach Hannover verlagert. Im Jahr 1974 folgte die
400 Schließung der Warmwalzanlagen im Werk Grevenbroich, dessen Bedarf an Vorwalzbändern nunmehr vollständig aus Norf gedeckt wurde. Diese Maßnahmen reichten jedoch nicht aus, um die strukturellen Probleme des Halbzeugbereichs zu lösen, die sich bei jedem weiteren Markteinbruch mit immer katastrophaleren Folgen auswirkten. Auch die Verluste der AVG waren zu einem guten Teil auf ein verfehltes Management zurückzuführen. Zu unterschiedlich waren Mentalität und Unternehmensphilosophie, als dass die eher schwerfällige VAW die mittelständisch geprägten Betriebe hätte erfolgreich leiten und kontrollieren können 23. In dieser schwierigen Situation suchte die VAW ihr Heil in der Kooperation mit anderen Unternehmen. Gespräche mit Alcan und VDM führten zu keinem Ergebnis. VDM steckte selbst in tiefen Schwierigkeiten und Alcan hatte kein Interesse an einer Kooperation mit der VAW, die über die Zusammenarbeit in Norf hinausging. Ergebnislos blieben auch die Fusionsverhandlungen mit dem Kaiser-Konzern, über die wir bereits berichtet haben. Für die VAW war die Ablehnung der Fusion durch das Bundeskartellamt und die Versagung der Sondergenehmigung durch den Bundeswirtschaftsminister ein schwerer Schlag, mit dem man nicht gerechnet hatte. Die endgültige Versagung der Genehmigung erfolgte am 26. Juni 1975, als sich die VAW und die ganze deutsche Aluminiumindustrie in der schwersten Krise seit Kriegsende befanden. VAW blieb keine andere Wahl, als die in den Gesprächen mit Bundeskartellamt und Bundeswirtschaftsministerium angekündigten drastischen Maßnahmen durchzuführen, um damit den lebensbedrohenden Aderlass zu stoppen. Das Walzwerk in Hannover wurde geschlossen und das dortige Plattengeschäft ersatzlos aufgegeben. Eine Verlagerung an die anderen Standorte der VAW war nicht möglich, da man dort nicht über entsprechende Anlagen verfügte 24. Auch auf dem Profilsektor kam es zu Einschnitten. In Bonn wurde ein Teil der Pressen stillgelegt und das Pressen von harten Legierungen nach Hannover verlagert. Die genannten Maßnahmen verringerten die Halbzeugkapazität der VAW-L um 60.000 Jato (über vierzig Prozent) und führten zum Verlust von 1.600 Arbeitsplätzen. Zu einer kompletten Werksschließung hatte man sich auch in „der schwärzesten Stunde der Industrie“ nicht durchringen können. In Bonn blieben die Profilherstellung für den Hochbausektor und die Blechverarbeitung mit eigenem Bandwalzwerk. Das Werk Hannover spezialisierte sich auf die Herstellung von schwer pressbaren Profilen und Schmiedeteilen. Im Werk Neumünster, wo man das Pressen 1977 aufgab, wurden weiterhin Ronden und Butzen hergestellt. Es war nur eine Frage der Zeit, wann diese Standorte einer weiteren Rationalisierungswelle zum Opfer fallen würden. Parallel zur Stilllegung der veralteten Walzwerke in Hannover, Bonn und Grevenbroich wurde das in Gemeinschaft mit Alcan betriebene Großwalzwerk Norf in raschem Tempo ausgebaut. Im Laufe der 70er Jahre wurden in Norf zwei weitere Kaltwalzwerke installiert und damit die Kaltwalzkapazität des Werkes bis 1980 von ursprünglich 70.000 Jato auf 450.000 Jato erhöht. Wichtigster Abnehmer der in Norf hergestellten Vorwalzbänder war das Werk Grevenbroich, dessen Folien- und Dünnbandkapazitäten in den 70er Jahren gleichfalls kräftig ausgeweitet wurden. Die Beteili-
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Abb. 42: Dr. Rudolf Escherich Vorsitzender des Vorstandes der VAW 1976–1985
Abb. 43: Jochen Schirner Vorsitzender des Vorstandes der VAW 1986–1998
gung an dem Walzwerk in Norf war für die VAW eine unverzichtbare Voraussetzung für die Realisierung ihrer Unternehmensstrategie auf dem Walzsektor: Der Ausbau eines leistungsfähigen Walzgeschäfts mit Schwerpunkt auf dem Folien- und Dünnbandsektor, auf dem die Gesellschaft in den 80er Jahren eine Spitzenposition im weltweiten Maßstab erlangte, wäre ohne die Beteiligung an Norf nicht möglich gewesen. Ausfluss der Unternehmensstrategie auf dem Walzsektor war auch der Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung an der Société Alsacienne d’Aluminium in den Jahren 1976/ 1977, über den wir in einem früheren Kapitel kurz berichtet haben. Die deutsch-französische Alsacienne-Gruppe war nach der Übernahme der Aluminiumwerk Tscheulin GmbH im Jahr 1955 zum größten unabhängigen Folienwalz- und Veredlungsunternehmen in Europa aufgestiegen 25. 1972 erwarb die VAW eine Schachtelbeteiligung von 25 Prozent an diesem Unternehmen, das schon seit den 60er Jahren durch einen langfristigen Folienliefervertrag an sie gebunden war. Nach dem Tod des Firmengründers Frederic Meyer im Jahr 1975 bot sein Sohn Eric, jetzt mit 67,3 Prozent Hauptaktionär der Gruppe, der VAW seine Anteile zum Kauf an. Die VAW wollte unter allen Umständen verhindern, dass bei einem Verkauf des Pakets an ein Konkurrenzunternehmen jährlich 10.000 Tonnen Folienabsatz verloren gingen. Trotz ihrer damals äußerst beengten finanziellen Lage zahlte sie den stolzen Preis, den der Verkäufer verlangte.
402 Das Bundeskartellamt genehmigte den Erwerb mit Auflagen: Der Anteil der Alsacienne an Tscheulin sollte von damals 67 Prozent auf unter 25 Prozent verringert werden 26. Weitere Restriktionen betrafen die Kürzung des Lieferrechts der VAW an Tscheulin von bisher 100 Prozent des Folienbedarfs auf 80 Prozent und eine Begrenzung der Laufzeit des Liefervertrages. Die Auflagen des Kartellamtes haben nicht verhindern können, dass Alsacienne und Tscheulin schon nach kurzer Zeit völlig im VAW-Konzern aufgegangen sind. Die Finanzkraft der VAW reichte nicht aus, um die Belastungen aus dem laufenden Geschäft und aus den enormen Investitionen in allen Bereichen des Aluminiumgeschäfts aus eigener Kraft zu schultern. Die Geschäftsberichte für die Jahre 1970 bis 1979 geben ein unvollständiges Bild von der schwierigen Finanzlage des Konzerns. Der für diese Periode ausgewiesene Verlust von insgesamt 15 Millionen D-Mark ist nur ein kleiner Teil der Wahrheit. In Wirklichkeit war der Verlust um ein Vielfaches höher 27. In der Krise kam es der Gesellschaft zustatten, dass man in der Vergangenheit eine vorsichtige Bilanzpolitik praktiziert hatte und jetzt auf stille Reserven zurückgreifen konnte, mit deren Hilfe ein großer Teil der Verluste „weggezaubert“ wurde 28. Auf die Dauer ließen sich die immensen Verluste jedoch auf diesem Wege nicht auffangen. Der ständige Aderlass führte zu einer allmählichen Kapitalauszehrung, die 1978 in eine offene Finanzkrise mündete, nachdem in diesem Jahr noch einmal ein Verlust von achtzig bis neunzig Millionen D-Mark zu erwarten war. Der Kollaps konnte nur durch ein erneutes Einspringen der Muttergesellschaft abgewendet werden 29. Die VIAG hatte schon seit Anfang der 70er Jahre mehrmals Eigenkapital ersetzende Investitionsdarlehen gewährt. Bis 1977 waren auf diesem Weg insgesamt 450 Millionen D-Mark an die VAW geflossen, von denen hundert Millionen in offenes Eigenkapital umgewandelt worden war. Finanzhilfe hatte die VIAG auch durch den Verzicht auf Zinsen und die Übernahme der Gewerbesteuer geleistet. Das katastrophale Ergebnis des Jahres 1978 zwang zu weiteren Hilfsmaßnahmen. Um die VAW von den hohen Verlusten im Verarbeitungsbereich zu entlasten, wurde die VAW-Leichtmetall GmbH (deren Anteile zuvor aus der VAW ausgegliedert worden waren) durch einen Ergebnisabführungsvertrag an die Holding angehängt. Auf diese Weise wurden die laufenden Verluste der VAW-L seit 1978 auf die VIAG übertragen. Der noch weitergehende Vorschlag aus dem Bundesfinanzministerium, einen Ergebnisabführungsvertrag zwischen VIAG und VAW zu schließen, wurde nicht verwirklicht. Ganz ohne Folgen für die Eigenverantwortlichkeit der VAW blieb die Krise jedoch nicht. Die Zuständigkeit für die Geld- und Kapitalbeschaffung behielt sich fortan die Holding vor. Die Finanzhilfen an die Aluminiumtochter VAW strapazierten auch die finanziellen Kräfte der VIAG bis zum äußersten. Die Gesellschaft finanzierte sich vor allem durch die reichlich fließenden Erträge aus ihren Beteiligungen am Innwerk und am Bayernwerk, die aber auch nicht unerschöpflich waren. Im Jahr 1974 sah sich die Bundesregierung wegen der anhaltenden Probleme bei der VAW veranlasst, der VIAG eine einmalige Kapitalspritze von Hundert Millionen D-Mark zu gewähren. Der Betrag
403 stammte aus zweckbestimmten Mitteln des Bundeshaushaltes 1973, die von den zuständigen Stellen nicht abgerufen worden waren. Die Bundesregierung hatte kurzerhand beschlossen, diese Mittel zur Kapitalaufstockung bei der bundeseigenen VIAG zu verwenden, die sie an die VAW weitergab 30. In dem bereits erwähnten Buch von Manfred Pohl ist die VIAG wegen ihrer „Aluminiumlastigkeit“ heftig kritisiert worden (Seite 299 ff.). Im Vorstand der Gesellschaft habe stets jenes Vorstandsmitglied über den größten Einfluss verfügt, das den Bereich Aluminium betreute. Die Strategie des Viag-Vorstandes, alle Bereiche dem Aluminium unterzuordnen, sei äußerst riskant gewesen, „zumal gerade Aluminium sich für Währungsschwankungen, Überangebot und nachfolgenden Preisverfall anfälliger zeige als andere Produkte“. Der Viag-Vorstand habe nicht rechtzeitig erkannt, dass die Zukunft des Konzerns im Energiebereich lag, aus dem in den 70er Jahren fast neunzig Prozent der Erträge der Viag stammten. Unbeantwortet bleibt aber die Frage, welche andere Strategie das Management von VIAG und VAW damals hätte einschlagen sollen. Die VAW wäre im internationalen Wettbewerb hoffnungslos zurückgefallen, wenn sie sich am weltweiten Kapazitätsausbau nicht oder nur mit halber Kraft beteiligt hätte. Angesichts der dynamischen Entwicklung der Aluminiumindustrie in den 60er Jahren wäre Stillstand gleichbedeutend gewesen mit Rückschritt. Auch wenn man das Tempo der Expansion und manche Einzelmaßnahme kritisch beurteilt, kommt man insgesamt zu einer positiven Bilanz der 70er Jahre. Die Gesellschaft hat mit einem eindrucksvollen Kraftakt ihre Hüttenkapazitäten fast verdoppelt, die Sanierung des Not leidenden Halbzeugbereichs auf den Weg gebracht und mit dem Ausbau der Werke in Norf und Grevenbroich die Grundlage für das Walzgeschäft gelegt, das in den 80er Jahren zur wichtigsten Sparte der Gesellschaft wurde. Mit diesen Maßnahmen hat das VAW-Management die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Entwicklung des Konzerns in den 80er und 90er Jahren geschaffen.
16.4 Die Industrie am Ende der 70er Jahre Die deutsche Aluminiumindustrie erlebte die 70er Jahre als eine Zeit der enttäuschten Erwartungen und schwerer, ja geradezu Existenz bedrohender Krisen. Die Verantwortlichen in der Industrie sahen damals vor allem die dramatischen Veränderungen auf den Aluminiummärkten und ihre verheerende Auswirkungen für ihre Unternehmen. An die Stelle euphorischer Zukunftserwartungen war fast über Nacht Skepsis und Pessimismus getreten. Dabei schoss man wohl auch über das Ziel hinaus. Es bestand die Neigung, die schwierige Entwicklung der letzten Jahre auf die Zukunft zu extrapolieren, so wie man früher die extrem hohen Wachstumsraten auf künftige Jahre fortgeschrieben hatte. Aus der heutigen Sicht fällt das Urteil weniger negativ aus. Es ist nicht zu verkennen, dass die Krisen der 70er Jahren in mancher Hinsicht wie ein reinigendes Gewitter gewirkt und notwendige strukturelle Veränderungen in der deutschen Alumi-
404 niumindustrie beschleunigt haben. Wenn wir im Folgenden die Bilanz zum Ende der 70er Jahre ziehen, kommen wir zu dem Ergebnis, dass die Industrie trotz aller Verluste und Rückschläge gestärkt aus den Krisenjahren hervorgegangen ist. Tabelle 27: Kapazität der deutschen Aluminiumhüttenindustrie 1969/1979 31 Tonnen Grevenbroich Lünen Töging Norf Stade Hamburg 1/3 VAW gesamt Essen Rheinfelden Alusuisse gesamt Alcan (Ludwigshafen) Kaiser Europe (Voerde) Reynolds (Hamburg 1/3) AMAG (Hamburg 1/3) Deutsche Hütten
1969
1979
37.000 46.500 68.500 46.000 – –
30.500 47.000 57.000 143.000 63.000 35.000
198.000
375.500
– 65.000
130.000 60.000
65.000
190.000
– – – –
44.000 70.000 35.000 35.000
263.000
749.500
Die größten Veränderungen fanden auf dem Hüttensektor statt. Vor Beginn des Hüttenbooms verfügten VAW und Alusuisse in ihren fünf deutschen Aluminiumhütten über eine Gesamtkapazität von 263.000 Tonnen, wovon etwa drei Viertel auf die VAW-Hütten entfielen. Durch den Bau der Hütten in Ludwigshafen, Essen, Voerde, Stade und Hamburg und die Erweiterung des Rheinwerks kamen im Laufe der 70er Jahre neue Kapazitäten von fast 500.000 Tonnen hinzu. Der einzige Abgang betraf das Erftwerk der VAW (Kapazität 37.000 Jato), das 1979/1980 geschlossen wurde. Am Ende der 70er Jahre betrug die deutsche Hüttenkapazität ca. 750.000 Jato und lag damit um mehr als das 2 1/2-fache über dem Niveau zu Beginn der Dekade. Zu dem traditionellen Hersteller-Duo VAW und Alusuisse waren mit Kaiser, Reynolds, Alcan und Ranshofen vier weitere Produzenten hinzugetreten. Die VAW war zwar größter deutscher Aluminiumproduzent geblieben. Ihr Anteil an der inländischen Hüttenkapazität war aber auf ca. fünfzig Prozent zurückgefallen. In der Rangliste der Aluminium produzierenden Länder rangierte die Bundesrepublik nach den USA, Japan und Kanada auf dem vierten Platz, dicht gefolgt von Norwegen. Trotz der gewaltigen Ausweitung der Hüttenkapazitäten blieb aber die strukturelle Importabhängigkeit der Bundesrepublik bestehen. Da die Industrie seit den 70er Jahren keine weiteren Aluminiumhütten in Deutschland errichtet hat, wurde die Deckungslücke bei ständig steigendem Bedarf von Jahr zu Jahr größer. Der Wettbewerb bei Hüttenaluminium wurde
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Abb. 44: Kaltwalzanlage der Alunorf
immer mehr von ausländischen Produzenten bestimmt, von denen vor allem die Norweger mit aller Macht in den deutschen Markt drängten. Umgekehrt setzten auch die deutschen Aluminiumhütten einen ständig wachsenden Teil ihrer Produktion in den europäischen Nachbarländern ab. Bis zum Ende der 80er Jahre war der deutsche Markt endgültig in einem größeren europäischen und weltweiten Markt für Hüttenaluminium aufgegangen. Umso größere Bedeutung kommt der Frage zu, wie es am Ausgang der 70er Jahre um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Aluminiumhütten bestellt war. Uneingeschränkt wettbewerbsfähig waren zum damaligen Zeitpunkt nur die beiden amerikanischen Hütten in Voerde (Kaiser Europe) und Hamburg (früher Reynolds, jetzt HAW). Ihre Ofentechnologie entsprach dem Stand der Technik und genügte auch den verschärften Vorschriften über den Umweltschutz, deren Einführung in Deutschland damals kurz bevorstand. Die Wettbewerbsfähigkeit der Hütten der VAW in Norf (Rheinwerk) und Stade (Elbewerk) war dagegen nur mit Einschränkungen zu bejahen. Eine Untersuchung der VAW aus dem Jahr 1977 kam zu dem Ergebnis, dass an beiden Standorten eine komplette Umrüstung der Ofenanlagen unumgänglich war, wenn man die neuen Standards für den Emissionsschutz erfüllen wollte 32. Für die Hütten in Lünen (Lippewerk) und Grevenbroich (Erftwerk) sah die Untersuchung nur geringe
406 Überlebenschancen. Mit den kleinen Elektrolyseöfen aus der Vorkriegs- und ersten Nachkriegszeit waren diese Hütten nicht mehr wettbewerbsfähig. Bessere Chancen wurden dem Innwerk eingeräumt. Vor ähnlichen Problemen wie die VAW stand auch die Alusuisse mit ihren beiden Hütten in Essen-Borbeck und Rheinfelden. An beiden Standorten waren umfangreiche Nachrüstungsmaßnahmen erforderlich, um die erhöhten Anforderungen an den Umweltschutz zu erfüllen. In Rheinfelden bestanden außerdem Probleme wegen der ungeklärten Stromversorgung durch das Badenwerk. Völlig ungewiss war die Zukunft der von Alcan übernommenen Guilini-Hütte in Ludwigshafen, deren Stromvertrag mit den Pfalzwerken 1982 auslief. Die Chancen für einen Anschlussvertrag zu Konditionen, die ein Überleben der Hütte sichergestellt hätten, waren äußerst gering. Probleme mit der Stromversorgung hatten aber auch die neuen Hütten in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, die ihren Strom von RWE und NWK bezogen. Nach dem Auslaufen der mit den Stromlieferanten vereinbarten Festpreisperiode mussten sie mit drastischen Strompreiserhöhungen rechnen, die zu einer ernsthaften Gefährdung ihrer Wettbewerbsfähigkeit führen konnten. Bis in die 80er Jahre erfolgte die Tonerdeversorgung der deutschen Hütten zum größten Teil aus der inländischen Oxidproduktion. Auf importierte Tonerde waren nur KAPAL/Kaiser für die Hütte in Voerde und (bis 1976) die Metallgesellschaft für ihren Anteil an der Hütte in Essen angewiesen. Der VAW stand an den drei Produktionsstandorten Stade, Schwandorf und Lünen eine Gesamtleistung von etwa 940.000 Jato zur Verfügung 33. Dem Stand der Technik entsprach freilich nur das neue Werk der AOS in Stade. Die aus den 30er Jahren stammende Anlage in Schwandorf war überaltert und auch wegen der geringen Betriebsgröße und des ungünstigen Standorts nicht mehr rentabel zu betreiben. Aus diesen Gründen entschloss sich die VAW 1978, die Produktion in Schwandorf auf 115.000 Tonnen zu drosseln und das Werk auf die Erzeugung von Sonderoxiden umzustellen. Auch das Oxidwerk in Lünen konnte im Wettbewerb mit den modernen Großanlagen nicht mehr mithalten. Die Tonerdeproduktion in Lünen wurde im Laufe der 80er Jahre stufenweise zurückgefahren und Ende der 80er Jahre ganz aufgegeben. Die Alusuisse verfügte im Martinswerk in Bergheim bei Köln über eine Tonerdekapazität von 350.000 Jato, die in etwa ausreichte, um den Bedarf ihrer Hütten in Essen und Rheinfelden zu decken. Es war jedoch schon damals abzusehen, dass die Produktion in Bergheim langfristig durch Lieferungen aus den neuen Oxidwerken in Australien, Afrika und Sardinien ersetzt werden würde, an denen sich die Alusuisse in den 60er und 70er Jahren beteiligt hatte. In den 80er Jahren wurde das Martinswerk auf die Herstellung von Tonerdehydrat für die chemische Industrie umgestellt und schied damit für die Oxidversorgung der Alusuisse-Hütten aus. Auch die VAW bezog seit den späten 80er Jahren einen wachsenden Teil ihres Tonerdebedarfs aus Übersee. Zu der ursprünglich geplanten Erweiterung des Tonerdewerkes der AOS in Stade ist es aus den früher dargelegten Gründen nicht mehr gekommen. Die Bundesrepublik war auch auf dem Gebiet der Tonerdeversorgung zu einem Importland geworden.
407 Der Konzentrationsprozess auf dem Walzhalbzeugsektor, der seit den 50er Jahren zu einer Verringerung der Produktionsstandorte und einer allmählichen Verlagerung der Walzproduktion auf eine kleine Zahl von leistungsfähigen Großanlagen geführt hatte, kam mit dem Ausscheiden der beiden Traditionsunternehmen Busch-Jaeger Dürener Metallwerke (1976) und Vereinigte Deutsche Metallwerke (1981) zu einem vorläufigen Abschluss. Auch innerhalb der Gruppe der integrierten Walzunternehmen bahnten sich in den Krisenjahren Veränderungen an, die die Wettbewerbsverhältnisse auf dem Markt für Walzprodukte nachhaltig veränderten. Die VAW hatte sich mit der Schließung des Walzwerkes in Hannover aus dem klassischen Walzhalbzeuggeschäft verabschiedet. In Zukunft konzentrierte sie sich auf das Folien- und Dünnbandgeschäft, das schon bisher rentabel betrieben worden war und in den 80er Jahren zum wichtigsten Geschäftszweig des Konzerns ausgebaut wurde. Dabei konnte man sich auf den engen Verbund zwischen den beiden Werken in Norf und Grevenbroich stützen, der die eigentliche Stärke des Walzsektors der VAW ausmachte. Die Schweizer Konkurrenz, mit der sich die VAW seit Jahrzehnten um die Führung auf dem Foliensektor gestritten hatte, hatte dem nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Im Walzwerk Singen hatte man die überfällige Investition in ein neues Warmwalzwerk in der Erwartung hinausgeschoben, dass die Bandgießanlage in Essen einen großen Teil der benötigten Warmwalzleistung liefern würde. Wie berichtet, ist es der Alusuisse trotz beachtlichem Aufwand nicht gelungen, den „Caster II“ in einem vertretbaren Zeitrahmen zur Produktionsreife zu führen. Ein neues Warmwalzwerk wurde in Singen erst 1987 gebaut, zu spät, um den Rückstand wieder aufzuholen, der inzwischen entstanden war. Mitte der 80er Jahre hatte die Alusuisse noch verlautbart, man wolle die Position als zweitgrößter deutscher Produzent von Walzhalbzeug und Folie auch in Zukunft einnehmen. Das ist nur bei der Folie gelungen. Beim Walzhalbzeug war Singen zu diesem Zeitpunkt bereits auf den dritten Platz hinter dem Alcan-Konzern zurückgefallen, der seine Beteiligung an Norf konsequent für einen Ausbau seiner Marktposition in Deutschland und Europa nutzte. Kaiser und Reynolds, die beiden „newcomer“ aus Amerika, hatten bei ihrem Entree in den übersättigten deutschen Halbzeugmarkt große Anlaufsprobleme zu überwinden. Über den schwierigen Start des 1963/1965 in Koblenz „auf der grünen Wiese“ errichteten Halbzeugwerkes von Kaiser wurde bereits berichtet. Hohe Verluste prägten die Geschichte des Werkes während der ersten Jahre seines Bestehens. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Kaiser und Preussag hatte das PreussagManagement 1975 ernsthaft die Schließung des Werkes gefordert, um ein Ausbluten der KAPAL-Gruppe zu unterbinden 34. Mit der Auflösung der Partnerschaft zwischen Kaiser und Preussag und der Rückkehr der KAPAL-Betriebe unter das Dach des Kaiser-Konzerns Ende 1975 war der Wendepunkt in der Entwicklung des Koblenzer Werkes erreicht. Koblenz profitierte von der Schließung des Walzwerkes der VAW in Hannover, das als einziges deutsches Halbzeugwerk in größerem Umfang Aluminiumplatten hergestellt hatte 35. Interessante Perspektiven eröffneten sich damals auch für
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Abb. 45: Dr. Ulrich v. Freyberg Vorsitzender der Geschäftsführung der Alcan-Aluminiumwerke 1969–1980
Abb. 46: Reinhold Wagner Vorsitzender der Geschäftsführung der Alcan-Aluminiumwerke 1980–1996
das Geschäft mit der zu neuem Leben erstandenen deutschen Luftfahrtindustrie, die Aluminiumplatten aus Speziallegierungen für die Herstellung von Flugzeugstrukturteilen benötigt. Durch den systematischen Ausbau des Plattengeschäfts in den 80er Jahren ist es Koblenz gelungen, die Nische zu besetzen, die durch die Schließung des Walzwerks in Hannover freigeworden war. Einen holprigen Start hatte auch das Hamburger Walzwerk von Reynolds, das 1973 seinen Betrieb aufnahm. Um die Kapazität von ursprünglich 50.000 Jato (in den 80er Jahren auf über 100.000 Jato erhöht) auszulasten, war man vor allem auf den Markt für Standard- und standardähnliche Produkte angewiesen. Auf diesem hart umkämpften Markt traf Reynolds auf die Konkurrenz der ausländischen Anbieter, die seit Beginn der 70er Jahre verstärkt in den deutschen Markt drängten und dabei von der Aufwertung der D-Mark profitierten. Es dauerte viele Jahre, bevor das Werk in Hamburg einen angemessenen Platz auf dem Walzhalbzeugmarkt gefunden hat. Der unbestrittene Gewinner auf dem Walzhalbzeugsektor war der Alcan-Konzern, der mit Erfolg die Chancen nutzte, die sich ihm aus seiner Beteiligung an dem Großwalzwerk Norf boten. Bis zum Ende der 60er Jahre hatte Alcan auf dem deutschen Walzhalbzeugmarkt eine relativ unbedeutende Rolle gespielt. Daran hatte auch
409 die Errichtung des neuen Warmwalzwerkes in Göttingen anfangs der 60er Jahre nichts ändern können. Erst der Bau des Walzwerkes in Norf schuf die Voraussetzung für die Expansion in den 70er und 80er Jahren, die Alcan an Alusingen vorbei auf den zweiten Platz der deutschen Walzwerksindustrie führte. Wie bereits erwähnt, wurde das Warmwalzwerk in Göttingen schon kurz nach der Inbetriebnahme von Norf stillgelegt. Seitdem deckte das Göttinger Werk seinen gesamten Bedarf an Warmband in Norf. Der Schwerpunkt der Aktivitäten in Göttingen verlagerte sich in den 70er und 80er Jahren auf die Weiterverarbeitung von kaltgewalzten Bändern, die zum Teil in Göttingen selbst hergestellt, zum Teil aus Norf bezogen wurden. Die Herstellung von Haushaltswaren, mit der 1909 alles begonnen hatte, wurde 1974 aufgegeben, obwohl das Geschirrwerk noch 1970 eine moderne Teflon-Beschichtungsanlage in Betrieb genommen hatte. Kochtöpfe und Pfannen passten nicht mehr in das neue Konzept des Göttinger Werkes, das auf die Herstellung von hochwertigen Bandprodukten ausgerichtet war.
Anmerkungen zum 16. Kapitel 1 Dr. Escherich vom Vorstand der VAW in ALUMINIUM 1971.1: „Bei einem langfristigen jahresdurchschnittlichen Verbrauchswachstum von 8 % bis 9 % ist es ganz natürlich, dass auf Perioden eines überdurchschnittlichen Verbrauchssprunges eine Zeit der Angleichung und Konsolidierung folgt. Allerdings bringt eine so scharfe Verminderung des Wachstums erfahrungsgemäß eine Erschütterung der Märkte und damit bedeutende Schwierigkeiten für die Industrie mit sich“. 2 Die VAW übernahm eine Quote von 14,9 % und verkaufte im ersten Jahr ihrer Beteiligung 15.000 Tonnen Hüttenaluminium an das Konsortium (VAW-Geschichte X, Seite 25). Weitere Teilnehmer waren: Pechiney, Baco, Guilini, Holland Aluminium, Alusuisse, KAPAL und Aluminium Ranshofen. 3 Die Alufinance spielte vor allem während der Krise von 1975 eine wichtige Rolle, als die Aluminiumbestände erneut in die Höhe schossen und ein bisher nicht gekanntes Niveau erreichten. Sie hat ihre Aufgabe bis in die 80er Jahre wahrgenommen und durch die Entlastung der Produzenten dazu beigetragen, den von den Überschussmengen ausgehenden Druck auf den Markt zu vermindern. Freilich gab es auch kritische Stimmen, vor allem aus den USA, die bezweifelten, dass die erhoffte Marktberuhigung durch die Stilllegung von Überbeständen erreicht werden könne. 4 Die Angaben zur Entwicklung des Aluminiumpreises in der Bundesrepublik wurden Teil X der VAW-Geschichte entnommen. Zur Preisentwicklung in den USA: „Aluminium, Profile of the Industry“ 1982, Seite 147 (Übersicht über die Preisentwicklung in den USA von 1915 bis 1980). 5 Zur Erhebung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Price-Waterhouse siehe VAW-Geschichte X, Seite 39. 6 VAW-Geschichte X, Seite 40. Zur Aluminiumkrise von 1971/1972 siehe auch die Artikel: „Bedrängte Branchen suchen Schutz durch Sonderkartelle“ und „Aluminiumindustrie. Die Zwei Milliarden Fehlleistung“ in DIE ZEIT vom 2. Juni 1972 und 22. September 1972. 7 Die nachfolgende Darstellung stützt sich auf die Erinnerungen des Verfassers, der als Vertreter des Kaiser-Konzerns an den Verhandlungen mit Preussag und VAW und dem Kartellamt teilgenommen hat. Die gescheiterte Fusion der KAPAL-Betriebe mit der VAW-L wird in Teil X der VAW-Geschichte auf Seiten 73–83 ausführlich dargestellt. 8 Sondergutachten Nr. 3 der Monopolkommission: „Zusammenschlussvorhaben der Kaiser Alumi-
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nium & Chemicals Corporation, der Preussag AG und der Vereinigte Industrie-Unternehmungen AG“, Nomos Verlags-Gesellschaft Baden-Baden 1975. Zur Kaiser Europe Gruppe siehe den Artikel in ALUMINIUM 1985.699 ff. „KAE, ein kleiner integrierter Alu-Konzern“. Zur Trennung von Alusuisse und MG: ALUMINIUM 1976. 535. Siehe auch den FAZ-Artikel vom 30. März 1976: „Die Metallgesellschaft trennt sich vom Aluminium“. Die Einschätzung der damaligen Lage durch die Metallgesellschaft kommt in den von der FAZ zitierten Worten ihres Vorstandsvorsitzenden Karl Gustav Ratjen zum Ausdruck: Auf dem deutschen Aluminiumgebiet sehe es aus „wie nach der Schlacht von Verdun“: Ein Trümmerfeld von Hamburg (Reynolds) über Hannover (Preussag-Kaiser) bis hin nach Ludwigshafen (Guilini) und Essen. ALUMINIUM 1981.651: „VDM wird Stammwerk in Heddersheim schließen“. Mit der Stilllegung der Werksanlagen in Heddernheim war auch das Schicksal der übrigen Aluminiumbetriebe der Metallgesellschaft besiegelt. Noch im selben Jahr wurden die beiden Zweigwerke in Nürnberg und Schesslitz (Oberfranken) an Pechiney verkauft. Ende der 80er Jahre folgte der Verkauf von Haendler & Natermann an Austria Metall. Das Umschmelzwerk Ohlsberg hatte man schon früher verkauft. Von den Unternehmen der Aluminiumsparte blieben zuletzt nur noch die Kolbenschmidt Karl Schmidt AG sowie das Umschmelzwerk der MG-Tochter BUS in Hannover übrig. Festgehalten hat die Metallgesellschaft damals auch an ihren Handelsaktivitäten auf dem Aluminiumsektor, die im Rahmen des traditionellen Metallhandels weitergeführt wurden. Zum Verkauf der Pharma- und Chemiesparten: ALUMINIUM 1977.106. Am 2. November 1978 wurde der Vergleichsantrag gestellt und kurz darauf der Anschlusskonkurs erklärt (ALUMINIUM 1978.744). Zur Übernahme der Hütte durch Alcan siehe Chronik der Alcan Deutschland, Seite 52 ff und Campbell: „Global Mission“, Band II, Seite 522. ALUMINIUM 1975.207: „Reynolds will Hamburg aus grundsätzlichen Erwägungen verkaufen“. Zur Neuordnung des Hamburger Hüttenkomplexes: VAW-Geschichte X, Seite 88 ff. – ALUMINIUM 1975.501 und 1975.750. Die Schwierigkeiten der VAW in den 70er Jahren werden in Band X der Firmengeschichte ausführlich geschildert. Verfasser dieses Bandes war das frühere Vorstandsmitglied Dr. Weber. Die nachfolgende Darstellung stützt sich auf seinen Bericht. Zur Kritik der Gewerkschaften: Herklotz in ALUMINIUM 1974.5. Manfred Pohl: „VIAG Aktiengesellschaft 1923–1998 – vom Staatsunternehmen zum internationalen Konzern“, Piper-Verlag München Zürich, 1998. Das Beteiligungsportefeuille der AVG bestand aus folgenden Gesellschaften: Kramer-Aluminiumfenster GmbH, Lethmate, Ritter-Aluminium GmbH, Esslingen (Aluminium-Geschirr), Zarges Leichtbau GmbH, Weilheim, H. Albrecht GmbH, Stahl- und Metallbau-Werke, Kornwestheim, und Folienverarbeitungs-GmbH, Bedburg (Flaschenverschlüsse). VAW-Geschichte X, Seite 71: „Allein die offen ausgewiesenen Organverluste, welche von VAW AG ausgeglichen wurden, betrugen seit 1970 weit über DM 200 Mio. Hinzu kamen die hohen Zinsbelastungen, die VAW AG für die Finanzierung von Investitionen, Beständen und Verlusten dieses Bereichs trug. Neben AVG entfiel hiervon der größte Teil auf die VAW Leichtmetall GmbH“. Für den Hüttenbereich der VAW war damals noch die IG-Chemie zuständig, die sich im Gegensatz zu der für den Verarbeitungsbereich zuständigen IG-Metall für drastische Rationalisierungsmaßnahmen aussprach. Dazu ausführlich Weber in VAW-Geschichte X, Seite 32 ff. Die VAW hat aus den enttäuschenden Erfahrungen die Konsequenz gezogen und sich später von einigen dieser Unternehmen wieder getrennt. Davon profitierte das Koblenzer Walzwerk von Kaiser, das mit einigen gebrauchten Maschinen aus dem Nachlass des Werkes Hannover die Produktion von Flugzeugplatten aufnahm. Frederic Meyer wurde 1955 Mehrheitsgesellschafter der Gesellschaft, nachdem Emil Tscheulin
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1951 gestorben war. Tscheulin hatte 1932 gemeinsam mit Meyer und Wilhelm Ingold die Société Alsacienne d’Aluminium (SAA) gegründet (siehe Artikel Pastoors in ALUMINIUM 1989.10 zum 75-jährigen Firmenjubiläum von Tscheulin). Diese Auflage wurde dadurch erfüllt, dass ein Teil der Tscheulin-Anteile bei der Deutschen Bank und bei Minderheitsaktionären „geparkt“ wurde. Die Unternehmensgeschichte der VAW spricht von einem „vielfachen Verlust des Buchkapitals“ (Band X, Seite 114). Zum „Wegzaubern von Verlusten“: VAW-Geschichte X, Seite 55 f und Seite 65. Dazu VAW-Geschichte X, Seite 126: „Inzwischen nahte das Jahresende. An der im Frühsommer bestätigten Verlustprognose der VAW-Gruppe hatte sich nichts Wesentliches geändert. Lediglich wurde jetzt statt DM 100 Mio ein Gesamtverlust von „nur“ DM 80–90 Mio erwartet. An auflösbaren stillen Reserven waren nur mehr minimale Beträge verfügbar. … Ohne noch stärkere Mithilfe des gesamten VIAG-Konzerns, so sah es aus, würde VAW nicht mehr im Stande sein, ins Gleichgewicht zurückzufinden. Kapitalerhöhungen und die Gewerbesteuerentlastung hatten nicht ausgereicht. In dieser Situation war auch das Finanzministerium als Eigentümer des Konzerns bereit, zur Rettung der VAW beizutragen“. Die Hilfsaktion der Bundesregierung hatte ein gerichtliches Nachspiel vor dem Bundesverfassungsgericht. Im Wege der Organklage rügte die CDU-Opposition die Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte des Parlaments durch die Regierung. Diese sei nicht befugt gewesen, über frei gewordene Mittel in eigener Machtvollkommenheit ohne Zustimmung des Bundestags zu verfügen. Obwohl das höchste deutsche Gericht den Klägern recht gab, blieb es bei der umstrittenen Kapitalhilfe. Quellen zu Tabelle 27: VAW-Geschichte IX, Seite 52 und EAA-Statistik. Rheinfelden geschätzt. Zur Strukturanalyse der VAW aus dem Jahr 1977: VAW-Geschichte X, Seite 107 ff. Davon entfielen 430.000 Tonnen auf Lünen, 215.000 Tonnen auf Schwandorf und 300.000 Tonnen auf den VAW-Anteil an dem AOS-Werk in Stade, dessen Plankapazität von 700.000 auf 600.000 Tonnen herabgesetzt worden war (VAW-Geschichte X, Seite 50). ALUMINIUM 1975.563: „Preussag teilt mit, dass die Vorbereitungen für die Stilllegung des Werkes Koblenz ausgesetzt werden, um Verhandlungen mit Kaiser nicht überhastet fortsetzen zu müssen“. Unter „Platten“ oder „Dicken Blechen“ versteht man in der Aluminiumbranche Bleche mit einer Dicke von sechs Millimeter und mehr, die vor allem im Transportwesen, in der Wehrtechnik und im Formen- und Maschinenbau verwendet werden.
17. Kapitel Die Aluminiumindustrie im Wandel
17.1 Grenzen des Wachstums Die Absatzkrisen zu Beginn der 70er Jahre kündigten das Ende des weltweiten Aluminiumbooms an, dem die Aluminiumindustrie der westlichen Welt ihren spektakulären Aufstieg in der Zeit nach 1945 zu verdanken hatte. Die Branche tat sich schwer mit der Erkenntnis, dass ein Epochenwechsel stattgefunden hatte und dass das „goldene Zeitalter“ der Industrie nun unwiderruflich zu Ende gegangen war. Noch während der Krise von 1971/1972 waren die meisten Vertreter der Industrie davon ausgegangen, dass der Aluminiummarkt bald wieder zu den historischen Wachstumsraten zurückkehren werde. Wie wir gesehen haben, hat sich diese von Wunschdenken bestimmte Erwartung nicht erfüllt. Der Aufschwung in den Jahren 1973/1974 erwies sich als eine kurze Scheinblüte, ausgelöst von einer spekulativen Rohstoffhausse, die in ihrem Sog auch das Aluminium mitriss. Spätestens 1975, als die Aluminiumindustrie erneut in die Krise geriet und Absatzrückgänge von bisher nicht gekanntem Ausmaß hinnehmen musste, war auch den Optimisten klar, dass ein einschneidender und nachhaltiger Wandel in der Entwicklung des Aluminiummarktes eingetreten war. Seit der Mitte der 70er Jahre ist weltweit ein deutlicher Stimmungsumschwung in der Industrie zu erkennen. Die Euphorie der Boomjahre machte jetzt einer zurückhaltenden, zuweilen sogar pessimistischen Beurteilung der Zukunftsaussichten Platz. Und dies keineswegs nur in der Bundesrepublik, wo man schon anfangs der 70er Jahren unter dem Eindruck der währungsbedingten Sonderprobleme die Existenzberechtigung der deutschen Aluminiumhütten in Frage gestellt hatte. Vielerorts war jetzt zu hören, die Aluminiumindustrie der westlichen Welt habe die Wachstumsphase hinter sich gelassen und sei in das Stadium der Reife eingetreten 1. In Zukunft seien beim Aluminiumverbrauch kaum mehr Zuwachsraten oberhalb des allgemeinen Wirtschaftswachstums zu erwarten. Man müsse sich damit abfinden, dass die Aluminiumindustrie nur noch im Gleichschritt mit der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung wachse. Dies bedeute Zuwachsraten von maximal zwei bis drei Prozent im Jahr. Dass die damaligen Prognosen keineswegs zu pessimistisch waren, zeigt die Entwicklung der Industrie in den 80er und 90er Jahren. Nach einer durchschnittlichen Wachstumsrate
414 von fast neun Prozent in der Zeit von 1954 bis 1974 nahm der Aluminiumverbrauch in der westlichen Welt in den Jahren von 1974 bis 1994 nur noch mit einer Jahresrate von etwas über zwei Prozent zu 2. Die Schwierigkeiten der Industrie, sich auf die veränderte Lage einzustellen, rührten vor allem daher, dass der Wandel am Aluminiummarkt in so kurzer Zeit eingetreten war und dass kaum jemand in der Branche mit dieser Entwicklung gerechnet hatte. Was hat diesen plötzlichen Wandel herbeigeführt? Neben den aluminiumspezifischen Ursachen, auf die wir später eingehen werden, waren es vor allem die veränderten wirtschaftlichen Bedingungen der damaligen Zeit, die sich auf die weitere Entwicklung der Aluminiumindustrie ausgewirkt haben. Mit der Rezession zu Beginn der 70er Jahre ging in der Bundesrepublik und den meisten anderen Ländern der westlichen Welt der wirtschaftliche Boom der Nachkriegszeit zu Ende. In den 50er und 60er Jahren hatte das Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik im Jahresdurchschnitt um 8,3 bzw. 4,5 Prozent zugenommen. In den beiden folgenden Dekaden wuchs die deutsche Volkswirtschaft nur noch mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von 2,8 bzw. 2,3 Prozent. In den anderen Ländern der OECD ist die Entwicklung ähnlich verlaufen. Innerhalb weniger Jahre hat sich das Wirtschaftswachstum in der westlichen Welt praktisch halbiert. Einen maßgeblichen Anteil an dieser Entwicklung hatte die Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC), deren Aktionen zu einer drastischen Verteuerung des Erdöls führten. Die beiden Ölkrisen in den Jahren 1973/1974 und 1978/1979 hinterließen tiefe Spuren in den Volkswirtschaften der auf Ölimporte angewiesenen Industrieländer. Über höhere Ölpreise wurde Wohlstand in gigantischem Ausmaß von den westlichen Industrieländern in die Erdöl produzierenden Länder transferiert 3. Die wirtschaftlichen Probleme der westlichen Welt verschärften sich noch durch die im Gefolge der Dollarkrise aufgetretenen Währungsturbulenzen und durch die hausgemachte Inflation in den großen Industrieländern, die ihre Ursache vor allem in überzogenen Ansprüchen an das Sozialprodukt hatte. Auch in der Bundesrepublik war die erste Hälfte der 70er Jahre durch hohe Inflationsraten bei gleichzeitiger Stagnation der Wirtschaft gekennzeichnet, ein Sachverhalt, für den man damals den Begriff „Stagflation“ prägte. Wenn man das statistische Zahlenmaterial genauer betrachtet, stellt man freilich fest, dass die Zuwachsraten beim Aluminiumverbrauch seit Beginn der 70er Jahre stärker geschrumpft sind, als dies auf Grund der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Noch in den 60er Jahren hatte die Faustregel gegolten, dass der Aluminiumverbrauch etwa doppelt so schnell wächst wie die Wirtschaft insgesamt. In dem Jahrzehnt von 1970 bis 1979 nahm der Aluminiumverbrauch in der Bundesrepublik (und weltweit) nur noch um das Anderthalbfache der gesamtwirtschaftlichen Wachstumsrate zu. In den 80er Jahren verlor das Aluminium weiter an Boden und glich sich in seinem Wachstumstempo allmählich der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung an. Die nachlassende Dynamik des Aluminiumwachstums findet ihre Erklärung vor allem in der sich rapide verschlechternden Wettbewerbsposition des Aluminiums gegenüber anderen Werkstoffen, mit denen es auf den Absatzmärkten konkurrierte. Die bei-
415 den Ölkrisen von 1973 und 1978 bedeuteten das Ende der Ära der billigen Energie. Die Explosion der Erdölpreise führte in den Industrieländern zu einem raschen Anstieg des Energiepreisniveaus, der bei der energieintensiven Aluminiumindustrie besonders stark zu Buche schlug 4. Auch bei den Rohstoff-, Lohn- und Zinskosten traten erheblichen Steigerungen ein. Die Bauxit exportierenden Länder, die sich nach dem Vorbild der OPEC zur International Bauxite Association (kurz IBA) zusammengeschlossen hatten, erzwangen höhere Exportabgaben auf Bauxiterze 5. In den westlichen Industriestaaten setzten die Gewerkschaften Lohnerhöhungen durch, die weit über dem Produktivitätsfortschritt lagen. Die weltweite Inflation trieb die Zinssätze auf eine Rekordhöhe. Auch in Deutschland musste die Aluminiumindustrie in den 70er Jahren extreme Steigerungen bei den Lohn-, Material- und Zinskosten verkraften. Der Anstieg der Strompreise verlief dagegen bei den meisten deutschen Aluminiumhütten bis zum Auslaufen der Festpreisperioden Ende 70er/Anfang 80er Jahre zunächst noch moderat, folgte aber mittel- und längerfristig ebenfalls der allgemeinen Preisentwicklung. In den 50er und 60er Jahren hatten die Aluminiumkonzerne durch ihre maßvolle Preispolitik dafür gesorgt, dass der Aluminiumpreis über längere Perioden weitgehend stabil blieb. Gewaltige Produktivitätsfortschritte hatten die Unternehmen in die Lage versetzt, steigende Lohnkosten und andere Kostensteigerungen aufzufangen. Wie wir gesehen haben, waren die Preissteigerungen bei Aluminium weit hinter der allgemeinen Geldentwertungrate und der Preisentwicklung bei konkurrierenden Werkstoffen zurückgeblieben. Unter den veränderten Bedingungen der 70er Jahre war an eine Fortsetzung dieser Politik nicht zu denken. Die extremen Kostensteigerungen, die jetzt zu verkraften waren, zwangen die Unternehmen, ihre Zurückhaltung aufzugeben und die gestiegenen Kosten wenigstens zum Teil über höhere Preise auf die Kunden abzuwälzen. Die Folge waren massive Preiserhöhungen für Hüttenaluminium und Aluminiumfabrikate. Der amerikanische Marktpreis für Hüttenaluminium, der Anfang der 70er Jahre eine Höchstmarke von 28 cts/lbs erreicht hatte, stieg bis zum Ende der Dekade auf über 70 cts/lb 6. Innerhalb weniger Jahre hatte die Preis-Kosten-Spirale den Aluminiumpreis auf das Zweieinhalbfache des Ausgangswertes hochgetrieben. Derartige Preiserhöhungen, die weit über der allgemeinen Inflationsrate lagen, führten zwangsläufig zu einer Verschlechterung der Position des Aluminiums im Wettstreit der Werkstoffe. Die Substitutionskraft des leichten Metalls, dem die Industrie in den ersten Nachkriegsjahrzehnten ihre überdurchschnittlichen Zuwachsraten verdankte, wurde seit Beginn der 70er Jahre deutlich schwächer und reichte in den 80er Jahren gerade noch aus, um die Substitutionsverluste an andere Werkstoffe auszugleichen 7. Wegen der enormen Verteuerung des Aluminiums entschieden sich potentielle Anwender nur noch dann für das Aluminium, wenn sich eindeutige Kostenvorteile für seinen Einsatz ergaben. In der Endverbrauchsstatistik der Industrie führte dies im Lauf der Jahre zu Verschiebungen zwischen den einzelnen Absatzmärkten. Größter Gewinner war das Transportwesen, wo das Aluminium neben seinen unbestreitbaren technischen Vorzügen auch die größten Kostenvorteile vorzuweisen hatte.
416 Die schwächere Dynamik des Aluminiumwachstums seit Mitte der 70er Jahre spiegelt auch eine gewisse Sättigung der Aluminiummärkte in den hoch entwickelten Industriestaaten wieder. Aluminium hatte über einen langen Zeitraum traditionelle Werkstoffe wie Stahl, Kupfer, Holz und Glas aus vielen Anwendungsbereichen verdrängt. Dieser Substitutionsprozess konnte nicht ewig mit unverminderter Stärke weiterlaufen. Unabhängig von der Frage nach Kosten und Nutzen sind dem Einsatz von Aluminium auch aus technischen Gründen Grenzen gesetzt, die auf manchen Gebieten inzwischen erreicht worden waren. Seit den 70er Jahren bekam die Aluminiumindustrie zudem immer mehr die Auswirkungen einer gegenläufigen Substitution durch andere Werkstoffe zu spüren. Als wichtigster Konkurrent erwies sich dabei die junge Kunststoffindustrie, die dem Aluminium vor allem bei flexiblen Verpackungen und auf dem Bausektor mit Erfolg Absatzmärkte streitig machen konnte. Die nachlassende Innovationskraft der Industrie hatte ihre Ursache zweifellos auch in der unbefriedigenden Ertragslage der Unternehmen, die zu einschneidenden Sparmaßnahmen führte, von denen die Budgets für Forschung und Entwicklung nicht ausgenommen wurden. Angesichts der hohen Substanzverluste in den Krisenjahren standen die Zeichen auf Konsolidierung und Rückgewinnung der Rentabilität und nicht mehr in erster Linie auf Expansion. Es ist ein bemerkenswertes Faktum, dass der Aluminiumindustrie in den 70er Jahren bei der Erschließung neuer Märkte ein Durchbruch nur bei der Einführung der Aluminiumdose für Bier und Softdrinks gelungen ist. Selbst dieser Erfolg war zunächst auf die USA beschränkt. Er war auch dort zu einem guten Teil der Schwäche der amerikanischen Stahlindustrie zu verdanken, die sich in einer schweren Strukturkrise befand, als sich die amerikanischen Aluminiumunternehmen Ende der 60er Jahre anschickten, den Markt für Getränkedosen zu erobern. Seit dem Beginn der 70er Jahre war auf den Aluminiummärkten eine zunehmende Instabilität der Preise zu beobachten, die es Abnehmern und Produzenten immer schwerer machte, ihre Dispositionen auf einer sicheren kalkulatorischen Basis zu treffen. Der zyklische Charakter des Aluminiumgeschäfts hatte auch in der Vergangenheit zu Preisschwankungen geführt; diese hatten sich jedoch in relativ engen Grenzen gehalten. Jetzt traten solche Preisschwankungen in immer kürzeren Abständen und mit immer stärkeren Ausschlägen auf. Nach tiefen Preiseinbrüchen, in deren Verlauf die Preise unter die Rentabilitätsschwelle gedrückt wurden, kam es fast ohne Übergang zu hektischen Preissprüngen, die den Aluminiumpreis auf ein ökonomisch nicht mehr vertretbares Niveau hochschnellen ließen 8. Industriebeobachter warnten damals vor einer Übernahme der „Kupfermentalität“, die das Ende einer Ära bedeute, in der die Aluminiumindustrie ihre Produkte auf der Grundlage einer vorhersehbaren und verlässlichen Preisgestaltung verkaufte und sich dadurch von der Kupferindustrie unterschied, deren Preise täglichen Schwankungen unterlag. Eine Untersuchung des Marktverhaltens von Aluminium und Kupfer in den Krisen der Jahre 1974/1975 und 1980/1982 ergab, dass Aluminium dem traditionellen Börsenmetall Kupfer, auf dessen mangelnde Preisstabilität die Vertreter der Aluminiumindustrie stets verwiesen
417 hatten, wenn sie die Überlegenheit ihres Metalls herausstellen wollten, seit Mitte der 70er Jahre an Volatilität in nichts nachstand. Im Gegenteil, während der Rezession der Jahre 1980/1982 brach die Nachfrage nach Aluminium noch stärker ein als die nach Kupfer und der zyklische Anstieg der Vorräte war bei Aluminium doppelt so hoch wie beim Kupfer. Selbst der Preisrückgang lag beim Aluminium mit fünfzig Prozent deutlich über dem entsprechenden Wert beim Kupfer 9. Wie sollte man potentielle Abnehmer von den Vorzügen des Werkstoffes Aluminium überzeugen, wenn mit Preissprüngen von zwanzig bis dreißig Prozent gerechnet werden musste, die von der jeweiligen Verfassung des weltweiten Aluminiummarktes abhängig waren?
17.2 Strukturwandel 10 In den 50er und 60er Jahren hatten sechs große weltweit tätige Konzerne die Geschicke der Aluminiumindustrie bestimmt. Die Gruppe der „Big Six“, wie man sie damals nannte (neben den amerikanischen Konzernen Alcoa, Alcan, Reynolds und Kaiser gehörten auch die beiden europäischen Unternehmen Pechiney und Alusuisse dazu), kontrollierte am Ende der 60er Jahre etwa sechzig Prozent der Aluminiumproduktion der westlichen Welt. Zwei Dutzend weiterer Firmen, unter denen die VAW mit einer Quote von knapp drei Prozent einen der vordersten Plätze einnahm, teilten sich in die restliche Produktion. Über ihre Beteiligungen an ausländischen Hüttengesellschaften sicherten sich die Konzerne auch außerhalb ihrer Heimatmärkte einen bestimmenden Einfluss auf das Geschäft mit dem Aluminium. Das galt vor allem für die beiden Marktführer Alcoa und Alcan, die durch ein weltumspannendes Netz von Tochterund Beteiligungsgesellschaften in allen wichtigen Regionen der Welt vertreten waren. Noch stärker war die Konzentration auf dem Gebiet der Tonerdeproduktion und der Bauxitgewinnung, auf dem die sechs Konzerne Mitte der 60er Jahre mehr als achtzig Prozent der Weltproduktion auf sich vereinigten 11. Dank ihres hohen vertikalen Integrationsgrades beherrschten die Mitglieder der Gruppe auch wichtige Teile der Aluminiumverarbeitung. Für eine weltweit operierende Branche bildeten die Big Six eine bemerkenswerte Konzentration wirtschaftlicher Macht, für die man in der damaligen Zeit vergeblich eine Parallele sucht. Ein so hohes Maß an Konzentration, wie es damals bei der Aluminiumindustrie zu beobachten war, musste sich zwangsläufig auch auf die Preisbildung auf den Aluminiummärkten auswirken. Das Oligopol der Aluminiumkonzerne hat bis in die 70er Jahre den Preis für Hüttenaluminium auf allen wichtigen Märkten der westlichen Welt maßgeblich bestimmt, wobei Alcoa und Alcan die Rolle der Preisführer spielten. Wie wir gesehen haben, erwies sich die auf langfristiges Wachstum ausgerichtete Preispolitik der großen Konzerne für die ganze Branche als äußerst erfolgreich. Stabile Preise auf relativ niedrigem Niveau schufen die Voraussetzung dafür, dass Aluminium nach dem Krieg zum wichtigsten Gebrauchsmetall nach Stahl aufgestiegen ist.
418 Die Energiekrisen der 70er Jahre haben die „geordnete Aluminiumwelt“ der Nachkriegszeit gehörig durcheinander gebracht und einen fundamentalen und nachhaltigen Strukturwandel in der Aluminiumindustrie herbeigeführt. Wegen der drastisch gestiegenen Energiekosten mussten vor allem in Japan und in den USA zahlreiche Aluminiumhütten geschlossen werden. Japan demontierte zwischen 1977 und 1986 fast seine gesamte Hüttenindustrie, die zum größten Teil erst in den 60er Jahren entstanden war. Die aus Wärmekraftwerken versorgten Aluminiumhütten konnten nach der Ölpreisexplosion nicht mehr rentabel betrieben werden 12. In den 80er Jahren kam es auch in den USA zu einem Massensterben von Aluminiumhütten. In den Krisenjahren 1981/ 1982 wurden Hüttenkapazitäten von insgesamt 1,3 Millionen Tonnen (mehr als ein Viertel der in den USA installierten Kapazität) aus dem Markt genommen 13. Bei den erfolgsgewohnten amerikanischen Produzenten hinterließ das „Blutbad“ von 1981/ 1982 ein schweres Trauma, das noch jahrelang nachwirkte. In Europa, dem dritten großen Verbrauchszentrum der westlichen Welt, blieb die Gesamtkapazität der Hüttenindustrie in den 80er Jahren fast unverändert. Rückläufige Kapazitäten in einigen Ländern wurden durch den starken Zuwachs in Norwegen und Jugoslawien ausgeglichen, wo noch ungenutzte Wasserkraft zur Verfügung stand. Das in der Euphorie der 60er Jahre entwickelte Konzept der „marktnahen Hütte“ hatte nach den dramatischen Veränderungen auf dem Energiesektor keine Chancen mehr, zumal auch die Hoffnungen auf die Kernenergie als zukünftige Quelle billiger Energie unerfüllt geblieben waren. Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind seit den 70er Jahren weder in der EWG/EU noch in Japan oder in den USA neue Aluminiumhütten errichtet worden 14. Die Zukunft gehörte verbraucherfernen Ländern, die über billige Energie verfügten und auch die für die Ansiedlung großer Hüttenwerke unverzichtbare Infrastruktur und Investitionssicherheit gewährleisten konnten. Für diese Länder bot der weltweite Anstieg der Energiepreise eine willkommene Gelegenheit, ihre brachliegenden Energieresourcen für den Betrieb großer Aluminiumhütten zu nutzen. In Kanada und in Südamerika gab es riesige Reserven an bereits erschlossener aber bisher ungenutzter Wasserkraft. Australien war daran interessiert, die bei der Förderung von Steinkohle anfallende Kohle minderer Qualität für die Stromerzeugung vor Ort zu nutzen, und am arabischen Golf standen große Mengen an Erdgas zur Verfügung, die einer sinnvollen Nutzung harrten. In diesen Ländern entstanden zahlreiche neue Hütten. Auch die großen Konzerne, allen voran Alcoa und Alcan, folgten dem Trend und beteiligten sich am Ausbau der Hüttenindustrie in den Ländern mit günstigem Energieangebot, vor allem in Australien, Brasilien, Venezuela und Kanada. Der weitaus größte Teil des Kapazitätszuwaches in den 80er Jahren entfällt auf diese Länder. In Australien entstanden in den 80er Jahren Hüttenkapazitäten von fast einer Million Tonnen. Zu den Investoren gehörte auch die VAW, die sich mit einer Quote von zwölf Prozent an einem Konsortium unter der Führung der Pechiney beteiligte, das in Tomago in New South Wales eine Aluminiumhütte mit einer Anfangskapazität von 240.000 Jato errichtete. Die auf der Basis von Kohlestrom betriebene Hütte nahm 1983
419 die Produktion auf. In Brasilien und Venezuela wurden in den Jahren von 1980 bis 1990 neue Hüttenanlagen mit einer Kapazität von über 900.000 Jato gebaut. Die Energiebasis dieser Hütten war ausschließlich Wasserkraft. An dem Kapazitätsausbau in Venezuela (wie schon zuvor in Australien) beteiligten sich auch die großen japanischen Alumi-niumkonzerne, die Ersatz für ihre stillgelegten heimischen Kapazitäten suchten. Kanada öffnete seine Grenzen für Hüttenansiedlungen in dem energiereichen Quebec, wo ein internationales Konsortium unter Beteiligung von Pechiney, Reynolds und Alumax in Bécancour eine große Aluminiumhütte errichtete. Kanada trug in den 80er Jahren mit einer halben Million Tonnen zum Kapazitätsausbau der westlichen Welt bei. Das Emirat von Bahrain war das erste Land am arabischen Golf, das seinen Energiereichtum für die Aluminiumerzeugung nutzte. Im Jahr 1969 errichtete ein internationales Konsortium unter Beteiligung des Emirates ein großes Hüttenwerk auf der Basis von Erdgas, das in dem Inselstaat reichlich vorhanden ist 15. Mitte der siebziger Jahre folgte das benachbarte Dubai dem Beispiel von Bahrain. Beide Anlagen wurden in den folgenden Jahrzehnten stark erweitert und zählen heute zu den größten Aluminiumhütten der Welt. Tabelle 28: Entwicklung der Aluminiumhüttenproduktion 1980/1990 (Quelle: EAA) 1.000 t
1980
1990
1980/1990
Europa Nordamerika Südamerika Afrika Asien Ozeanien
3.759 5.722 819 437 1.568 460
3.927 5.642 1.815 598 1.153 1.507
168 –80 996 161 –415 1.047
12.765
14.642
1.877
Westliche Welt
Viele der neuen Hütten gehörten nicht zum Konzernverbund der großen Aluminiumproduzenten sondern wurden von staatlichen Unternehmen oder privaten Investoren (häufig unter Beteiligung des Gastlandes) errichtet und betrieben. Der Anteil der Big Six an der Hüttenproduktion der westlichen Welt ging daher seit Mitte der 70er Jahre ständig zurück. Die etablierten Konzerne mussten sich den Markt mit einer wachsenden Zahl von Hüttenproduzenten teilen, die sich ihrem Einfluss entzogen 16. Die Unternehmen mit staatlicher Beteiligung folgten oft anderen Geschäftsprinzipien als die der Gewinnerzielung verpflichteten klassischen Erzeugerfirmen. Aus der Sicht der Gastländer war es die wichtigste Aufgabe der Hüttenunternehmen, Arbeitsplätze zu sichern und durch den Verkauf ihrer Produktion Devisen zu verdienen. Da in den neuen Erzeugerländern zumeist kein aufnahmefähiger Absatzmarkt vorhanden war, mussten die Betreiber ihre Produktion auf dem internationalen Aluminiummarkt absetzen. Beispiele für solche „stand alone“ Hütten waren die Aluminiumelektrolysen, die in Bahrein und in Dubai sowie in Venezuela gebaut wurden. Als Erzeuger ohne
420 Markt und Verarbeitung waren diese Hütten für den Absatz ihrer Produktion auf den Export in die großen Verbrauchszentren angewiesen. Die Rolle des Mittlers zwischen den nicht konzerngebundenen Hütten und den Abnehmern vor allem in Japan und den USA übernahm der Aluminiumhandel, der jetzt aus seinem bisherigen Schattendasein hervortrat und immer mehr an Bedeutung gewann. Bisher war der Verkauf von Hüttenaluminium eine fast exklusive Domäne der großen Konzerne gewesen. Das sollte sich nun grundlegend ändern. Ende der 80er Jahre kontrollierten die nicht konzerngebundenen Produzenten bereits mehr als zwanzig Prozent der Hüttenkapazität der westlichen Welt 17. Ihr Anteil am weltweiten Handel mit Hüttenaluminium war noch deutlich höher, da ihre Produktion ganz überwiegend auf dem freien Markt abgesetzt wurde, während die großen Konzerne sich immer stärker auf die Versorgung ihrer eigenen Verarbeitungsbetriebe beschränkten. Die Entstehung eines freien Marktes für Hüttenaluminium schuf die Voraussetzung für die Einführung des Aluminiums an den Warenbörsen. Die Londoner Metallbörse (LME), an der seit ihrer Gründung im Jahr 1877 der Börsenhandel mit Kupfer, Blei und Zink betrieben wurde, hatte schon in den 60er Jahren ihr Interesse an der Einführung eines „Aluminiumkontraktes“ bekundet, der angesichts der ständig wachsenden Bedeutung des Aluminiums ein erfolgreiches Börsengeschäft versprach. Sie war damit freilich auf den entschiedenen Widerstand der Aluminiumindustrie gestoßen, die nicht bereit war, die Kontrolle über den Aluminiumpreis einer Warenbörse zu überlassen, wo er zum Spielball spekulativer Interessen zu werden drohte. Man befürchtete – zu Recht, wie sich in der Folge herausstellte – dass der Börsenhandel mit Aluminium zu einer unberechenbaren und unsteten Preisentwicklung führen werde, die die Abnehmer verunsichern und die Position des Aluminiums im Wettstreit der Werkstoffe schwächen werde. Die Auseinandersetzung war nicht frei von emotionalen Tönen. Die Aluminiumindustrie hielt ihr „schimmerndes und vielseitiges Produkt“ für etwas ganz Besonderes und sträubte sich dagegen, dass es wie Schweinebäuche und Sojabohnen als normale Ware (commodity) an der Warenbörse gehandelt würde 18. Begleitet von dem Chor der kritischen Stimmen aus der Industrie wurde der Börsenhandel mit Aluminium im Oktober 1978 an der LME aufgenommen. Die relativ niedrigen Umsätze in den ersten Jahren schienen denjenigen Vertretern der Industrie Recht zu geben, die der LME auf dem Aluminiumsektor ein Schattendasein vorausgesagt und dafür plädiert hatten, die LME einfach zu ignorieren. Ihre Einschätzung erwies sich freilich als Wunschdenken. Seit Anfang der 80er Jahre bediente sich eine wachsende Zahl von Marktteilnehmern der Börse. Die Umsätze stiegen rasch an und immer größere Mengen an Aluminium wurden in den Lagerhäusern der LME eingelagert. Während der weltweiten Aluminiumkrise der Jahre 1981/1982 machten erstmals auch die von Krisen geschüttelten Aluminiumkonzerne von der Möglichkeit Gebrauch, ihre überhöhten Aluminiumbestände durch Verkäufe an die LME zu reduzieren. Mit den steigenden Umsätzen gewann die LME zunehmend an Einfluss auf die Preisbildung auf dem Aluminiummarkt. Es war vor allem der Handel, der sich
421 der LME bediente und durch back-to-back Vereinbarungen das Preisrisiko bei längerfristigen Lieferverträgen zu minimieren suchte. Seit Anfang der 80er Jahre wurde in Lieferverträgen zwischen Produzenten und Händlern und zunehmend auch in Verträgen zwischen Händlern und Endabnehmern der Vertragspreis auf der Basis der jeweiligen LME-Notierung festgelegt 19. Im selben Maße, in dem die Bedeutung der LME und der Börsen wuchs, ging der Einfluss der großen Konzerne auf die Preisbildung an den Aluminiummärkten zurück. Ihre Listenpreise standen bald nur noch auf dem Papier. Unterbietungen um dreißig oder vierzig Prozent durch die Konzerne selbst waren keine Seltenheit. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann die Listenpreise wegen Bedeutungslosigkeit aufgegeben wurden. Alcan machte Ende der 80er Jahre den Anfang, indem sie die Veröffentlichung des internationalen Listenpreises einstellte. Die anderen Konzerne folgten mit der Aufgabe der nationalen Listenpreise nach. Spätestens seit diesem Zeitpunkt gehörte die Marktregulierung durch das Oligopol der großen Konzerne der Vergangenheit an. An seine Stelle war ein globaler Markt für Hüttenaluminium mit weitgehend einheitlicher Preisstellung auf der Basis des LME-Börsenpreises getreten. Eine ähnliche Entwicklung war auch auf dem Tonerdesektor zu beobachten, wo die Aluminiumkonzerne seit den 80er Jahren ebenfalls Marktanteile verloren und Bergbauunternehmen und Tonerdehändler wie Billiton und Marc Rich eine immer wichtigere Rolle spielten. In vielen langfristigen Lieferverträgen wurde der Tonerdepreis an die Börsennotierung für Hüttenaluminium gekoppelt. Mit der Einführung eines Börsenkontrakts für Aluminium Alloys im Jahr 1993 dehnte die LME ihren Einfluss auch auf den Bereich des Sekundäraluminiums aus, der für die Rohstoffversorgung der Industrie eine wachsende Rolle spielte 20. Das Vordringen der LME in den 80er Jahren führte zu einer wachsenden Verunsicherung in der Industrie, die erst lernen musste, mit der Börse zu leben. Es mehrten sich Zweifel, ob das Konzept der integrierten Aluminiumgesellschaft mit Metallerzeugung und Metallverarbeitung unter einem Dach noch eine Zukunft habe. Einige Beobachter vertraten die Auffassung, auch beim Aluminium werde es zu einer Aufspaltung der Unternehmen in die einzelnen Produktionsstufen kommen, wie dies bei anderen börsennotierten NE-Metallen schon lange der Fall war. Andere gingen davon aus, dass die integrierten Gruppen auch in Zukunft bestehen bleiben würden, dass sich der Markt aber differenzieren werde: Rohmetall und einfach veredelte Standardprodukte, die größtenteils über den Handel zu so genannten Spot-Preisen den Markt erreichten, würden sich dem Einfluss des Börsenpreises nicht entziehen können. Der Markt für höherwertige und technisch anspruchsvolle Produkte werde aber weiterhin von den integrierten Unternehmen zu stabilen, das heißt an den Kosten orientierten Preisen bedient werden 21. Die spätere Entwicklung der Industrie hat diese Prognosen jedenfalls insofern bestätigt, als einige der großen Konzerne sich weitgehend aus der Aluminiumverarbeitung zurückzogen und sich auf die Aluminiumproduktion und ihre Vorstufen konzentrierten.
422 Einmütigkeit bestand in der Industrie, dass die Börse einen schädlichen Einfluss auf die Preisbildung für Aluminium habe, weil sie die unvermeidlichen zyklischen Preisschwankungen noch weiter verstärke und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit des Aluminiums schwäche 22. Deutliche Worte fand der Verfasser des Artikels „Changes Not Apocalypse Looming For Aluminum“ in der Zeitschrift American Metals Market vom 9. September 1982, der der Industrie aus der Seele sprach: “Never more will an innovative producer be able to conceive a major product line such as household and packaging foil; even more unlikely is another success story like aluminum’s victory over steel in their battle for beer and beverage cans; nor can one visualize how the aluminum industry can ever convince USA automakers to use a price-volatile commodity such as aluminum for car bodies or automotive radiators … in which case aluminium’s future new market penetration can be expected to be as unpredictable as its prices”. Da der Siegeszug der LME nicht aufzuhalten war, blieb der Aluminiumindustrie nichts anderes übrig, als sich auf die neue Situation einzustellen. Heute gehören Kurssicherungsgeschäfte und andere Transaktionen an der Metallbörse zum notwendigen Instrumentarium fast jeden Unternehmens, das Aluminium herstellt oder verarbeitet.
17.3 Verschärfte Anforderungen an Umweltund Ressourcenschutz Die Rahmenbedingungen für industrielle Tätigkeiten in der Bundesrepublik haben sich in den 70er Jahre in vielen Bereichen infolge von gesetzgeberischen Eingriffen tiefgreifend und nachhaltig verändert. Neben der Einführung verschärfter Rechtsvorschriften auf dem Gebiet des Umweltschutzes ist in diesem Zusammenhang vor allem die Ausdehnung der überbetrieblichen Mitbestimmung auf alle Großunternehmen zu nennen, ferner die Verschärfung und konsequente Durchsetzung der Kartellgesetze sowie die Novellierung des Arbeitsrechtes, mit der die Rechte der Arbeitnehmer im Unternehmen gestärkt wurden. Wir wollen uns in diesem Kapitel nur mit der Umweltthematik beschäftigen, die für die Aluminiumindustrie eine noch größere Bedeutung hatte als für die meisten anderen Industrien 23. Seit Beginn der 70er Jahre ist in Deutschland und anderen Ländern der westlichen Welt eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Fragen der Umwelt festzustellen, die zu einem herausragenden Thema in der öffentlichen und politischen Diskussion wurden. Die Politik trug dem veränderten Umweltbewusstsein durch die Verschärfung der gesetzlichen Umweltschutzbestimmungen Rechnung. Eine Flut von Gesetzen und dirigistischen Maßnahmen ergoss sich über die Industrie und zwang die Unternehmen zu einer stärkeren Berücksichtigung der ökologischen Folgen ihres Handelns. In der Bundesrepublik setzte sich das Bundesimmissionsschutzgesetz von 1974 den umfassen-
423 den Schutz von Mensch und Umwelt vor schädlichen Einwirkungen durch Luftverunreinigung, Geräusche und andere Immissionen zum Ziel. Zur Durchführung des Gesetzes wurden Verwaltungsvorschriften wie die Technische Anleitung Luft (TA Luft) oder die TA Abfälle eingeführt, die für die Unternehmen verbindliche Richtwerte festlegen. Mit der Erdölkrise der 70er Jahre rückten neue Themen in das Zentrum des öffentlichen Interesses. Die im „Club of Rome“ zusammengeschlossenen Wissenschaftler, Politiker und Wirtschaftsführer hatten schon Ende der 60er Jahre einen schonenderen Umgang mit den natürlichen Ressourcen gefordert und mit dem 1972 veröffentlichten Bericht über „Die Grenzen des Wachstums“ ein weltweites Echo gefunden. Unter dem Eindruck der dramatischen Verteuerung des Erdöls und der drohenden Energieverknappung machten sich in den Folgejahren immer breitere Schichten der Bevölkerung die Thesen der Experten zu eigen und forderten effektivere Maßnahmen gegen die Vergeudung von Energie und anderen natürlichen Ressourcen. Der Industrie wurde vorgeworfen, ihre Aktivitäten seien nicht mit den Grundsätzen einer umweltgerechten und nachhaltigen Entwicklung vereinbar, die auch die Lebenschancen künftiger Generationen berücksichtigen müsse. Seit Mitte der 70er Jahre richtete sich diese Kritik mit wachsender Schärfe auch gegen die Aluminiumindustrie, die sich als „Umweltverschmutzer“ und „Energiefresser“ gebrandmarkt sah. Die Industrie hat sich gegen diese Angriffe zur Wehr gesetzt und keine Kosten und Mühen gescheut, um die Öffentlichkeit durch sachliche Information aufzuklären und durch fundierte Untersuchungen den Nachweis dafür zu erbringen, dass das Aluminium ein umweltverträglicher Werkstoff ist. Die Informationskampagnen haben dazu beigetragen, dass sich die Diskussion versachlichte und offensichtlich falsche Argumente der Kritiker entkräftet werden konnten. Einige ganz besonders hartnäckige Kritiker ließen sich freilich nicht überzeugen 24. Wir wollen uns im folgenden mit den wichtigsten Kritikpunkten beschäftigen, die in den 70er und 80er Jahren in der Umweltdiskussion gegen die Aluminiumindustrie vorgebracht wurden, und die Konsequenzen untersuchen, die sich für die Industrie aus der veränderten Einstellung der Gesellschaft zu den Fragen der Umwelt und des Ressourcenschutzes ergaben. Fluor-Emmissionen Seit den Anfängen der Aluminiumindustrie war bekannt, dass die aus den Elektrolyseöfen entweichenden Fluorverbindungen (Fluoride) Schäden an Vegetation und Vieh bewirken. Die Fluoride entstehen durch Hydrolyse oder Verdunstung der im Elektrolysebad gelösten fluorhaltigen Stoffe (Kryolith und Aluminiumfluorid) und schlagen sich als Staub oder Gas in der näheren Umgebung der Hütte nieder. Kühe, die den Schadstoff auf der Weide oder im Heu aufnehmen, erkranken an Fluorose, deren Symptome Gelenkversteifung und Verhärtung von Zähnen und Knochen zum Tod der Tiere führen können. In der Pflanzenwelt sind vor allem Konniferen aber auch Obst-
424 bäume und andere empfindliche Pflanzenarten für „Verbrennungen“ durch Fluorgase anfällig. Abhängig von den topographischen und klimatischen Gegebenheiten in der näheren Umgebung der Hütte können die Fluor-Emmissionen beträchtliche Schäden an Pflanzen und Tieren anrichten. Dies führte schon in der Frühzeit der Aluminiumindustrie zu Konflikten mit der Bevölkerung der überwiegend landwirtschaftlich genutzten Nachbargebiete. In seinem Buch „Die Geschichte der Hüttenaluminiumindustrie“ berichtet Ernst Rauch über Schäden an Obstbaumkulturen, die durch die Emmissionen der 1909 in dem engen Tal von Martigny-Bourg errichteten Guilini-Hütte angerichtet wurden. Auch in Chippis soll das Absterben von Vieh zu Klagen der Bevölkerung aus der näheren Umgebung der dortigen Hütte geführt haben 25. Bis in die 50er Jahre und zum Teil noch lange danach wurden Umweltschäden durch Fluorgase als unvermeidlich angesehen und durch die Industrie mit großzügigen Zahlungen an die Betroffenen reguliert. In den 50er und 60er Jahren mehrten sich die kritischen Stimmen in der Bevölkerung, die eine weitere Umweltschädigung durch die Aluminiumhütten nicht mehr hinnehmen wollten. In der Schweiz und in der Bundesrepublik kam es seit Anfang der 50er Jahre zu massiven Protesten von Geschädigten und Umweltschützern gegen die Hütte in Rheinfelden. Betroffen waren vor allem die Viehbauern im Fricktal im Kanton Aargau, deren Kühe an Fluorose erkrankten und notgeschlachtet werden mussten. Die Auseinandersetzungen zwischen der Alusuisse und den geschädigten Landwirten gingen als „Fluorkrieg vom Fricktal“ in die Geschichte der Aluminiumindustrie ein 26. Die durch die Abgase verursachten Schäden in den benachbarten Nadelwäldern wurden in einem Dokumentarfilm festgehalten, den die Gegner der Hüttenansiedlung in Voerde am Niederrhein ein Dutzend Jahre später der dortigen Bevölkerung als abschreckendes Beispiel vorführten. Inzwischen hatte sich freilich die Einstellung der Industrie wie auch die gesetzliche Situation in Bezug auf die Fluor-Emmissionen grundlegend verändert. Unter dem wachsenden Druck der Öffentlichkeit wurden Verfahren entwickelte, mit denen die schädlichen Fluorabgase gereinigt und die darin enthaltenen Fluorverbindungen zurück gewonnen werden konnten. Die Reinigung erfolgte lange Zeit im so genannten Nasswäscheverfahren durch das Besprühen der Abgase mit karbonisiertem Wasser 27. Die im Wasser gelösten Fluorstoffe wurden anschließend ausgefällt. In den 60er Jahren setzte sich überall das Dachwäscheverfahren durch, bei dem die Ofenabgase durch ein Absauge- und Ventilationssystem von den Elektrolyseöfen an das Hallendach geleitet und in der dort installierten Filter- und Waschanlage gereinigt werden. Mit diesem System gelang es, die Fluor-Emmissionen bis auf etwa fünf Kilogramm je Tonne Aluminium zu reduzieren. Damit war man jedoch noch weit von der Vorgabe der amerikanischen Environmental Protection Agency (EPA) entfernt, die eine Begrenzung der Fluor-Emmission auf maximal ein Kilo pro Tonne Aluminium gefordert hatte. Dieser Standard konnte erst erreicht werden, nachdem sich die Aluminiumindustrie entschlossen hatte, die Elektrolyseöfen mit einer Blechverkleidung zu versehen, die
425 eine effizientere Erfassung der Ofenabgase ermöglichte. Vorreiter bei der Einführung der „verkapselten“ Öfen waren die amerikanischen Konzerne, die in den 60er Jahren überall zu diesem Ofentyp übergingen, der auch bei den Hütten von Kaiser und Reynolds in Voerde und Hamburg zum Einsatz kam. Bei dem amerikanischen Ofenmodell erfolgten die Oxidversorgung und das Krustenbrechen durch eine zentral über dem Ofen angebrachte Vorrichtung, sodass die Blechverkleidung nur beim Auswechseln der Anoden etwa alle 36 Stunden geöffnet werden musste. Dadurch war eine fast komplette Erfassung der Ofengase gewährleistet. In Europa wurde diesen Ofentyp erst im Laufe der 80er Jahre unter dem Zwang der verschärften Umweltschutzbestimmungen eingeführt, deren Anforderungen mit den bisher üblichen Schutzvorrichtungen nicht mehr zu erfüllen waren. Wie bereits erwähnt, entschied sich die VAW im Rheinwerk und in der Hütte in Stade für einen Mittelweg, indem sie zwar die Öfen verkapselte, im Übrigen aber an der Grundkonzeption des seitenbeschickten Ofens festhielt. Dies führte dazu, dass die Seitenklappen nicht nur beim Anodenwechsel sondern auch bei den viel häufigeren Bedienungsvorgängen des Krustenbrechens und der Oxidzugabe geöffnet werden mussten. Die Vorgabe von maximal ein Kilogramm Fluor-Verbindung pro Tonne Aluminium, die in den 80er Jahren auch in der Bundesrepublik verbindlicher Standard wurde, konnte mit dieser Kompromisslösung nicht erfüllt werden. VAW sah sich daher zu einer Umrüstung ihrer Öfen auf das Modell des mittebeschickten Ofens gezwungen. Auch in der Hütte der Alusuisse in Essen mussten in den 80er Jahren verkapselte und mittebeschickte Ofen installiert werden, um die erhöhten gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen. Inzwischen gilt in der Bundesrepublik ein Grenzwert von 0,5 Kilogramm pro Tonne Primäraluminium, der von den deutschen Hütten deutlich unterschritten wird. Auch bei der Reinigung der Ofenabgase hat die Industrie große Fortschritte gemacht. Alcoa entwickelte Ende der 60er Jahre ein Verfahren zur Trockenreinigung der Ofenabgase (dry scrubbing), das die Nasswäsche inzwischen fast völlig verdrängt hat. Bei diesem Verfahren werden die Abgase in einem so genannten „bag house“ durch eine aus Tonerde bestehenden Filteranlage geleitet, wobei sich die Fluoride an die winzigen Tonerdekörnchen anheften. Das mit Fluorid beladene Oxid wird im Kreislaufprozess wieder der Schmelze zugeführt. Mit Hilfe des Trockenverfahrens können die im verkapselten Ofen erfassten Fluor-Emmissionen fast vollständig recycelt werden.
Umweltprobleme bei der Tonerdeherstellung Hier ist in erster Linie der so genannte Rotschlamm zu erwähnen, der in den Tonerdewerken als Reststoff bei der Verarbeitung von Bauxit zu Aluminiumoxid anfällt. Dabei handelt es sich um eine feuchte Masse mit schlickähnlicher Konsistenz, die aus den Sauerstoffverbindungen des Eisens, Titans und des Siliziums besteht. Bei der Herstel-
426 lung von einer Tonne Tonerde fallen etwa 0,6 Tonnen Rotschlamm an. Die Bestandteile des Rotschlamms sind ungiftig und weitgehend wasserunlöslich. Es verbleibt ein geringer Rest der Natronlauge, die in den Tonerdewerken zur Aufschließung des Bauxits verwendet wird. Bis in die 70er Jahre entsorgten viele Tonerdewerke den Rotschlamm im Meer oder in fließenden Gewässern. Wo dies nicht möglich war, wurde die voluminöse Masse auf großen Arealen deponiert 28. Anfang der 70er Jahren geriet auch der Rotschlamm in den Fokus der Natur- und Umweltschützer. Auf ihr Betreiben wurde Kaiser und Reynolds durch die US-amerikanischen Umweltbehörden untersagt, den Rotschlamm aus ihren Tonerdewerken in Louisiana in den Mississippi einzuführen. Den Unternehmen wurde eine Frist von wenigen Jahren eingeräumt, um ausreichende Grundflächen in der Nähe der Werke zu erwerben und dort Deponien einzurichten. Neue Verfahren zum Trocknen des Rotschlamms wurden entwickelt, um den Landbedarf für die Deponien zu reduzieren. Nach Trocknung und Verfestigung des Rotschlamms können die Deponien rekultiviert werden. Auch in Deutschland kam es anfangs der 70er Jahre zu einer heftigen Debatte über die Umweltschädlichkeit des Rotschlamms, nachdem bekannt geworden war, dass das von VAW und Reynolds geplante Tonerdewerk in Stade seinen Rotschlamm per Schiff in die Nordsee transportierten und dort an ausgesuchten Stellen verklappen wollte. Umweltschützer und Fischereibetriebe befürchteten Schäden am Fischbestand und erreichten durch ihre Proteste, dass die Behörden eine Entsorgung des Rotschlamms in der Nordsee untersagten. In der Nähe des Tonerdewerks musste daher eine große Deponie angelegt werden, auf der der anfallende Rotschlamm deponiert wird. Auch in Frankreich stieß die Einleitung des Rotschlamms ins Mittelmeer durch das Tonerdewerk von Pechiney in Gardanne auf zunehmenden Widerstand bei Fischereiverbänden und Umweltschützern und musste in den 70er Jahren aufgegeben werden 29.
Aluminium und Energie Den Vorwurf der Energieverschwendung begründeten die Kritiker der Aluminiumindustrie vor allem mit dem hohen Energiebedarf bei der Erzeugung von Primäraluminium. In der Tat werden in der Schmelzflusselektrolyse erhebliche Mengen an elektrischer Energie verbraucht. Die Industrie hielt den Kritikern entgegen, dass die Verwendung von Aluminium in vielen Anwendungsbereichen zu beträchtlichen Einsparungen von Energie führt. Eine energetische Bewertung des Aluminiums dürfe daher nicht bei der Erzeugung des Primäraluminiums stehen bleiben, sondern müsse auch die Einspareffekte während der Nutzungsphase einbeziehen, die häufig den Energieaufwand in sämtlichen Stufen des Herstellprozesses weit übersteigen. Für eine sachgerechte Beurteilung müsse ferner berücksichtigt werden, dass der Strom, der für die Erzeugung des Primäraluminiums verbraucht wird, nicht verloren geht. Dadurch, dass Aluminium beliebig oft eingeschmolzen und wieder verwendet werden kann, bleibe die
427 im Primäraluminium „gespeicherte“ Energie fast unbegrenzt nutzbar. Zum Recycling von Aluminium seien nur etwa fünf Prozent der ursprünglich eingesetzten Energie erforderlich, 95 Prozent blieben also erhalten. Der Grundsatz der ganzheitlichen Betrachtung, der den vollständigen Lebensweg eines Produktes von der Rohstoffgewinnung über Verarbeitung und Recycling bis hin zur Abfallbeseitigung in die ökologische und energetische Beurteilung einbezieht, ist heute allgemein anerkannt. In den Debatten der 70er Jahre wurde das Bild häufig auch dadurch zuungunsten des Aluminiums verzerrt, dass man in den Berechnungen ausschließlich von der thermischen Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen ausging, die bekanntlich einen besonders ungünstigen Wirkungsgrad hat. Ende der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bezog die Aluminiumindustrie der westlichen Welt den erforderlichen Strom zu mehr als 50 Prozent aus Wasserkraft. Bis heute ist der Anteil des Hydrostroms auf fast 60 Prozent gestiegen 30. Wasserkraft ist nicht nur zeitlich unbegrenzt verfügbar, umweltverträglich und frei von Emmissionen, sondern erreicht auch bei der Umwandlung in elektrische Energie den höchsten Wirkungsgrad von allen Primärenergieträgern. Obwohl weltweit ein riesiges Potential an Wasserkraft besteht, wird zurzeit erst ein geringer Teil genutzt. Denn dort, wo die Wasserkraft in der Natur verfügbar ist, besteht aufgrund der geographischen Gegebenheiten und der in der Regel dünnen Besiedlung kaum Nachfrage nach Strom. Ein Transport von Strom über weite Entfernungen per Kabel ist mit hohen Übertragungsverlusten verbunden. Aluminium und Wasserkraft ergänzen sich daher in idealer Weise. Durch den Bau von Aluminiumhütten in der unmittelbaren Nachbarschaft von Staudämmen wird es möglich, die durch Wasserkraft erzeugte elektrische Energie vor Ort zu nutzen. Die dabei aufgewendete Energie wird im Metall gespeichert und kann über große Entfernungen und ohne Verluste transportiert werden. In ihren Publikationen hat die Aluminiumindustrie auch auf die beträchtlichen Energieeinsparungen hingewiesen, die im Laufe der Jahrzehnte durch stetige Verbesserungen und durch die Entwicklung neuer Technologien für die Herstellung und Weiterverarbeitung von Aluminium erzielt werden konnten. Vor allem bei der Primäraluminiumerzeugung besteht ein starkes Eigeninteresse der Hersteller an einer Senkung des Energieverbrauchs, der etwa ein Viertel der Gesamtkosten ausmacht. Seit der Inbetriebnahme der ersten Schmelzflusslektrolysen in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts war die Verminderung des spezifischen Stromverbrauchs eines der wichtigsten Anliegen der Industrie. Um ein Kilogramm Aluminium aus Tonerde herzustellen, benötigt man heute durchschnittlich etwa 15 Kilowattstunden. 1950 lag der durchschnittliche Energieverbrauch noch bei 21 Kilowattstunden. Eine weitere wichtige Quelle von Energieeinsparungen ist die Entwicklung von Produkten, die eine bestimmte Funktion mit geringerem Materialeinsatz erfüllen (down-sizing). Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Aluminiumgetränkedose, bei der der Materialverbrauch innerhalb der letzten 25 Jahre durch die Verringerung der Wandstärke um fast fünfzig Prozent gesenkt werden konnte. Dickenreduzierung spart Rohstoffe und Energie.
428 Recycling In den 70er und 80er Jahren wurde der Begriff „Recycling“ zum Zauberwort für den umweltfreundlichen Umgang mit Rohstoffen. Durch die Wiederverwendung von Abfällen für die Herstellung von neuen Produkten wird der Rohstoffverbrauch reduziert und Deponieraum gespart. Wie wir in einem früheren Kapitel gesehen haben, hat das Recycling in der Aluminiumindustrie eine lange Tradition, wenn auch unter einem anderen Namen. Seit eh und je werden die in den Halbzeugwerken und Gießereien anfallenden Aluminiumabfälle nach Legierungen sortiert und nach dem Einschmelzen als Kreislaufschrott wieder in den Produktionsprozess zurückgeführt. Schon in den Anfangszeiten der Industrie begann man auch damit, Altschrotte zu erfassen und als Rohstoff für die Herstellung neuer Produkte zu verwenden. Aluminiumschrotte sind eine wichtige Rohstoffquelle, deren Bedeutung für die Aluminiumversorgung der westlichen Industrieländer im Laufe der Jahrzehnte ständig zugenommen hat. Ende der 80er Jahre wurde in der Bundesrepublik etwa ein Drittel des Rohaluminiumverbrauchs durch Sekundäraluminium gedeckt. Aluminium ist für das Recycling prädestiniert: Sekundäraluminium kann ohne Qualitätsverlust immer wieder zu seinem Ausgangsprodukt verarbeitet werden. Aus Zylinderköpfen aus Aluminium können erneut Zylinderköpfe, aus Aluminiumfensterprofilen neue Profile und aus Aluminiumdosen wieder Aluminiumdosen werden. Der hohe Schrottwert des Aluminiums stellt einen finanziellen Anreiz für das Sammeln und Wiederverwerten von Aluminiumabfällen dar. So erklären sich die außerordentlich hohen Recyclingraten beim Aluminium, die weit über denen der wichtigsten Konkurrenten Stahl und Kunststoff liegen, die nur mit Qualitäts- und Werteinbußen recycelt werden können. Die höchste Recyclingrate wird mit über 90 Prozent im Verkehrsbereich erreicht. Im Baubereich liegt sie bei 85 Prozent, im Maschinenbau bei 80 Prozent. In den USA ist nach der Einführung der Aluminiumgetränkedose ein neuer Wirtschaftszweig entstanden, der sich mit dem Sammeln und Verwerten von Dosenabfällen befasst. 1992 wurden in den zehntausend über das ganze Land verteilten Sammelstellen fast 63 Milliarden gebrauchte Aluminiumdosen gesammelt und zum größten Teil wieder zu Getränkedosen verarbeitet. Das entsprach einer Recyclingrate von 68 Prozent. Mit einem Metallaufkommen von 1.400.000 Tonnen erfasste das Dosenrecyclingsystem in den USA schon damals größere Schrottmengen als das „klassische System“ der Sekundärindustrie 31. Nach Angaben der European Aluminium Association erreicht die Recyclingrate inzwischen auch in Europa fast siebzig Prozent.
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17.4 Antworten der Industrie auf die neuen Herausforderungen32 Die Veränderungen in der Welt des Aluminiums, über die wir in den letzten Kapiteln ausführlich berichtet haben, zwangen die Aluminiumindustrie zu einer grundlegenden Neuausrichtung ihrer langfristigen Strategie. Das galt vor allem für die großen Konzerne, die einseitig auf Umsatzwachstum gesetzt und darüber die Rentabilität ihrer Unternehmen vernachlässigt hatten. Die Industrie musste Abschied nehmen von den zweistelligen Zuwachsraten der 50er und 60er Jahre und sich darauf einstellen, dass in Zukunft ein quantitatives Wachstum nur noch im Rahmen des allgemeinen Wirtschaftswachstums zu erwarten war. Und dies bei extremen Schwankungen von Absatz und Preisen und einer wachsenden Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung der Absatzmärkte, auf denen sich die gegenläufige Substitution durch den Kunststoff und andere konkurrierende Werkstoffe auszuwirken begann. Äußerste Anstrengungen waren erforderlich, um die dramatisch gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten in den Griff zu bekommen und Lohnkostensteigerungen zu verkraften, die weit über den Produktivitätsfortschritt hinausgingen. Für die Modernisierung und den weiteren Ausbau der Produktionsanlagen mussten kostspielige Investitionen durchgeführt werden, deren Finanzierung die finanziell geschwächten Unternehmen vor schwierige Probleme stellte. Dazu kamen neue Belastungen durch verschärfte Anforderungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes, die überdies mit erheblichen Imageproblemen verbunden waren. Wie ist die Aluminiumindustrie mit diesen Herausforderungen fertig geworden? An selbstkritischen Äußerungen über Fehler und Versäumnisse in der Vergangenheit und an Mahnungen für die Zukunft hat es nicht gefehlt. Auf einer internationalen Aluminiumkonferenz in Zürich im September 1972 bezeichnete der Vertreter des englischen Baco-Konzerns die Industrie als „wirtschaftlich krank“ 33. Aluminiumfirmen neigten dazu, ihre Leistung einseitig nach Absatzzahlen und Marktanteil zu bemessen. Man habe versäumt der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sich das investierte Kapital auf jeder Stufe der betrieblichen Aktivitäten angemessen verzinsen müsse. Im selben Sinne hatte sich der Präsident der Alcoa, Krome George, schon im Herbst 1971 auf einer Tagung des Verbandes der europäischen Aluminiumschmelzhütten in London geäußert 34. Die Industrie habe mehr Wert auf Produktion und Absatz gelegt als auf die Gewinnentwicklung und geglaubt, dass die Gewinne automatisch mitziehen würden, wenn nur genug Metall verkauft werde. In den Führungsetagen der Konzerne hätten die Fachleute für Produktion und Verkauf zu sehr den Ton angegeben. Die Industrie stünde besser da, wenn Finanzexperten die Expansionspläne der Unternehmen mit kühlem Blick und scharfem Rotstift durchforstet hätten. Es sei zu befürchten, dass die in den 60er Jahren entstandenen Überkapazitäten die Preise weiterhin derart unter Druck setzten, dass die Industrie nicht mehr genügend Mittel erwirtschaften könne, um ihr Wachstum aufrechtzuerhalten. Ohne ausreichende Gewinne könnten weder die
430 Mittel für Forschung und Entwicklung aufgebracht noch der Ausbau der Produktionsanlagen finanziert werden. Es sei auch nicht auszuschließen, dass das Anlegerpublikum – die Kapitalquelle in der freien Marktwirtschaft – das Interesse an einer Industrie verliere, die selbst dem Gewinnstreben nicht mehr den ersten Platz einräume. Kritische Äußerungen waren auch von Außenstehenden zu hören. Der in der Branche angesehene Industrieexperte Stewart R. Spector (New York) warf den Aluminiumkonzernen vor, sie reagierten bei rückläufigen Absätzen zu schnell mit Preisherabsetzungen, was erfahrungsgemäß nicht zu höheren Umsätzen führe. Nur durch größere Flexibilität der Kapazitätsausnutzung der Hütten seien in Zukunft wieder angemessene Preise und Erlöse zu erzielen. Die Unternehmen müssten erkennen, dass eine durchgehende Auslastung der Hütten von hundert Prozent der Vergangenheit angehöre 35. Auch Spector wies darauf hin, dass die Rentabilität der großen Konzerne seit Mitte der 60er Jahre ständig zurückgegangen sei. Derzeit befinde sich die Industrie in der schlechtesten Situation in ihrer ganzen Nachkriegsgeschichte. Dabei hatte die Krise zu Beginn der 70er Jahren (auf die sich Spector bezog) nur einen schwachen Vorgeschmack für das gegeben, was die Aluminiumindustrie in den kommenden Jahren zu erwarten hatte. Angesichts der enttäuschenden Entwicklung des Aluminiumgeschäfts seit dem Ende der 60er Jahre überrascht es nicht, dass sich damals in der Branche eine gewisse „Aluminiummüdigkeit“ ausbreitete. Einige der großen Aluminiumproduzenten suchten ihr Heil in der Diversifikation und nahmen neue Aktivitäten auf, von denen man sich einen Ausgleich für die starken zyklischen Ausschläge des Aluminiumgeschäfts erhoffte. Beispiele sind Alusuisse-Lonza, Kaiser Aluminum & Chemicals Corporation und Pechiney-Ugine-Kuhlmann, deren Firmennamen bereits auf Aktivitäten in mehreren Geschäftsbereichen hinwiesen 36. Sogar bei dem Branchenführer Alcoa hat es nach der Krise von 1982 Überlegungen gegeben, die einseitige Ausrichtung auf das Aluminiumgeschäft aufzugeben und die Gesellschaft auf neuen Geschäftsfeldern zu positionieren. Der von 1982 bis 1987 amtierenden Chairman Parry wagte die Prognose, in zehn Jahren werde nur noch die Hälfte des Umsatzes der Alcoa aus dem Aluminiumgeschäft stammen 37. Dazu ist es freilich nicht gekommen. Wie bei den meisten Unternehmen der Branche setzte sich auch bei Alcoa die Erkenntnis durch, dass sich die Probleme des Aluminiumgeschäfts durch Diversifizierung nicht lösen ließen. Im Gegenteil: Die Mittel, die in die neuen Geschäftsfelder flossen, fehlten für den Ausbau und die Modernisierung des Aluminiumbereichs und schwächten dadurch die Wettbewerbsfähigkeit des Kerngeschäfts. In der Aluminiumindustrie hatte die Diversifizierungsstrategie keine Zukunft. Nachhaltige Folgen hatte der Strategiewandel dagegen auf dem Gebiet der Primäraluminiumerzeugung. Die Mehrzahl der großen Konzerne trat in den 80er Jahren den Rückzug aus dem traditionellen Geschäft mit Hüttenaluminium an, das bis dahin den Kern ihrer Aktivitäten gebildet hatte. Enorme Kostensteigerungen und extreme Absatz- und Preisschwankungen machten Herstellung und Verkauf von Hüttenaluminium zu einem immer riskanteren Geschäft, das für die Aluminiumgesellschaften
431 zunehmend an Attraktivität verlor. Alcoa war wohl der erste der großen Aluminiumkonzerne, der aus dieser unbefriedigenden Situation die notwendigen Konsequenzen zog. In dem Geschäftsbericht für das Jahr 1982 umriss der scheidende Chairman der Gesellschaft, Krome George, die neue Politik mit folgenden Worten: „Wir werden neue Hütten nicht mehr bauen, um Metall als Handelsware (commodity) auf dem offenen Markt mit den damit verbundenen Risiken und zu häufig unwirtschaftlichen Preisen zu verkaufen. Wir halten es für sinnvoller, unseren Spitzenbedarf durch Zukäufe zu decken, als Hüttenkapazitäten vorzuhalten, die den Eigenbedarf übersteigen. Statt unsere Hüttenkapazität zu erweitern, werden wir in Zukunft unsere Verarbeitungskapazitäten für Produkte mit hoher Marge oder hohem Volumenpotential ausbauen, vor allem im Walzbereich“. Von den in Deutschland tätigen Konzernen folgte vor allem die Alusuisse dem Vorbild der Alcoa, während die Alcan als größter Metalllieferant der westlichen Welt ihre bisherige Strategie ohne wesentliche Abstriche beibehielt. VAW, der größte deutsche Aluminiumproduzent, schlug eine mittlere Linie ein: Der mit dem Bau des Walzwerkes in Norf in den 60er Jahren beschrittene Weg sollte durch den forcierten Ausbau der Walz- und Folienkapazitäten konsequent weiter gegangen werden. Später kam noch der Formguss als weitere Kernaktivität hinzu. Zugleich wollte man auch die Hüttenkapazitäten in gewissem Umfange erweitern, um die Metallversorgung der eigenen Verarbeitungsbetriebe sicherzustellen, aber auch um weiterhin auf dem Markt für Hüttenaluminium präsent zu sein. Da ein weiterer Ausbau der Hüttenkapazitäten in Nordamerika, Japan und Europa wegen der drastischen Verteuerung der Energie nicht mehr in Frage kam, beteiligten sich die amerikanischen, japanischen und europäischen Aluminiumkonzerne an der Errichtung neuer Hütten in den Ländern mit billiger Energie, vor allem in Kanada, Australien und Lateinamerika. Dabei setzte sich auch auf dem Hüttensektor das Modell des „joint venture“ durch, das sich zuvor schon bei der Errichtung großer Tonerdewerke bewährt hatte. Mehrere Produzenten schlossen sich zum Bau eines Hüttenwerkes zusammen, dessen Kapazität von vornherein nach dem gemeinsamen Bedarf der beteiligten Unternehmen bemessen war, wodurch alle Partner von den „economies of scale“ einer großen Hütte profitierten. Als optimale Betriebsgröße für derartige Gemeinschaftshütten galt in den 80er Jahren eine Kapazität von 200.000 bis 250.000 Jato – etwa das Zweieinhalbfache der durchschnittlichen Betriebsgröße der in den 70er Jahren entstandenen Hüttengeneration. Da sich die zusätzliche Kapazität auf mehrere Betreiber verteilte, kam es trotz der größeren Produktionseinheiten zu keinen Kapazitätssprüngen bei den beteiligten Produzenten. Typische Beispiele für derartige Gemeinschaftsprojekte waren die Hütte in Tomago in Australien (Anfangskapazität 240.000 Jato), an der sich die VAW anfangs der 80er Jahre neben Pechiney, Alusuisse, Hunter Douglas und einer australischen Gesellschaft mit einer Quote von zwölf Prozent beteiligte, und die Alouette-Hütte (Anfangskapazität 200.000 Jato), die in den 90er Jahre von VAW, Hoogovens, Austria Metall, Kobe Steel/Marubeni und dem Staat Quebec in Sept-Iles am St. Lawrence River errichtet wurde.
432 Die Gewichte zwischen Hüttenproduktion und Verarbeitung verschoben sich im Laufe der Jahre deutlich zugunsten der letzteren. Im selben Maße, in dem die Aluminiumerzeugung ihre zentrale Rolle für die Unternehmen einbüsste, gewann die Aluminiumverarbeitung im strategischen Denken der Konzerne an Bedeutung. Dadurch bekam das Konzept des „integrierten Aluminiumunternehmens“, das sich in der Nachkriegszeit auch in Europa durchgesetzt hatte, eine neue strategische Qualität (Barzel, Seite XII): War es bis in die 70er Jahre hinein die wichtigste Aufgabe der Verarbeitung gewesen, dafür zu sorgen, dass die Hüttenproduktion abgesetzt werden konnte, so stand jetzt immer mehr die Frage im Vordergrund, wie man die Verarbeitungsbetriebe möglichst sicher und kostengünstig mit Metall versorgen könne. In den Publikationen des Konzerns aus den 90er Jahre wird das neue Geschäftsmodell der VAW mit folgenden Worten beschrieben: „Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt auf spezialisiertem Halbzeug, zum Teil reicht die Fertigungstiefe bis zu Endprodukten. Eine eigene Metallbasis mit Hüttenstandorten im Inland und Beteiligungen im Ausland sichert die Versorgung der Verarbeitungsbetriebe“. Der veränderte Stellenwert der Verarbeitung fand seinen symbolischen Ausdruck in der Zusammenführung von Hüttenstufe und Verarbeitung in einer rechtlichen Einheit. Die Eingliederung der Verarbeitungstochter VAW-Leichtmetall GmbH in den Mutterkonzern war verbunden mit der Einführung einer Spartenorganisation mit eigenverantwortlichen Geschäftsbereichen (profit center) für Aluminium, Walzerzeugnisse, Pressprodukte und (später) Formguss, die das operative Geschäft der VAW in den einzelnen Produktbereichen wahrnahmen. Dieses aus den USA stammende Managementkonzept ersetzte in den 70er und 80er Jahren bei den meisten Unternehmen der Aluminiumbranche die bisher in Europa übliche funktionale Managementgliederung. Das neue Organisationskonzept sorgte für eine größere Transparenz der Ergebnisse und trug dazu bei, dass sich die Unternehmen in ihrer Geschäftspolitik stärker am Gewinn orientierten 38. In den 70er Jahren setzte sich bei den Aluminiumkonzernen auch die Erkenntnis durch, dass es selbst für große Gesellschaften wenig sinnvoll ist, wenn sie in allen Produkt- und Marktbereichen präsent sein wollen. Das neue Zauberwort hieß „Fokussierung“. Damit wurde eine Beschränkung auf Produkt-Markt-Kombinationen umschrieben, auf denen das Unternehmen seine Stärken ausspielen und einen überdurchschnittlichen Ertrag erzielen kann. Die neue Strategie der Alcoa setzte auf Produkte, die entweder hohe Margen oder Skaleneffekte versprachen. Zu den ersteren zählten vor allem Produkte für die Flugzeugindustrie, zu den letzteren die Dosenbleche. Die VAW lieferte ihre Produkte in bestimmte Zielmärkte in den Bereichen Verpackung, Verkehr und Bau. Bei einigen Konzernen führte die Spezialisierung zur Aufgabe ganzer Produktionszweige. So hat sich die Alcan in den 80er Jahren weltweit aus der Herstellung von Profilen zurückgezogen und in der Verarbeitung verstärkt auf die Walzsparte gesetzt. Die VAW hat in den 90er Jahren mit dem Verkauf ihrer Presswerke in Bonn und Hannover denselben Schritt vollzogen.
433 Die enormen Kostensteigerungen der 70er Jahre zwangen die Industrie zu drastischen Sparmaßnahmen und größten Anstrengungen auf dem Gebiet der Kostensenkung. Nur so bestand Aussicht, die durch die enormen Preissteigerungen beeinträchtigte Wettbewerbsfähigkeit des Werkstoffes Aluminium wieder herzustellen. Kostensenkungsprogramme wurden zu einem wichtigen Bestandteil der Überlebensstrategie der deutschen Aluminiumunternehmen wie auch der ausländischen Konkurrenz, die mancherorts noch höhere Kostensteigerungen zu verkraften hatte. Vor allem zwei Ziele wurden mit den Maßnahmen zur Kostensenkung verfolgt: Zum einen galt es, der drastischen Steigerung der Energiekosten durch einen effizienteren Einsatz der Energie zu begegnen. Dafür bot sich vor allem der Elektrolyseprozess an, der trotz eindrucksvoller Kostensenkungen in der Vergangenheit weiterhin beachtliche Einsparmöglichkeiten bot 39. Nicht weniger wichtig waren die Bemühungen der Industrie, durch Rationalisierungsmaßnahmen in Verwaltung und Produktion den Anstieg der Lohnkosten einzudämmen, die infolge von überzogenen Tarifabschlüssen und steigenden Lohnnebenkosten in die Höhe geschossen waren. Als wichtiges Hilfsmittel bei den Bemühungen um eine Verbesserung der Effizienz in Verwaltung und Produktion erwies sich der Computer, der in den 70er Jahren seinen Siegeszug antrat und die Arbeitsabläufe in allen Bereichen des betrieblichen Geschehens revolutionierte. Mit Hilfe immer leistungsfähigerer und kostengünstigerer elektronischer Hardware und Software konnten im Verwaltungsbereich steigende Datenmengen mit immer weniger Personal bewältigt werden. Im Bereich der Produktion brachten elektronische Steuerungsgeräte für Elektrolyseöfen, Walzwerke und andere Anlagen eindrucksvolle Leistungssteigerungen bei gleichzeitiger Verbesserung der Qualität. Der ständig wachsende Kostendruck zwang die Unternehmen, ihre Produktionsanlagen durch neue und leistungsfähigere Aggregate zu ersetzen. Jede neue Generation von Elektrolyseöfen, Walzwerken oder Strangpressen brachte einen Produktivitätsschub, der mit den vorhandenen Anlagen auch bei größten Anstrengungen nicht zu erzielen war. Besonders eindrucksvoll war die Entwicklung auf dem Walzwerkssektor. Das Walzwerk in Norf stellte 1985 mit einer Belegschaft von 1.279 Mitarbeitern 476.000 Tonnen kalt gewalzte Erzeugnisse her, was einer durchschnittlichen Leistung von 372 Tonnen pro Mann und Jahr entsprach 40. In den 60er Jahren dürfte die Prokopf-Leistung der europäischen Walzwerke fünfzig Tonnen nicht überstiegen haben. Auch die Weiterentwicklung der Hüttentechnologie war während der Krisenjahre nicht völlig zum Stillstand gekommen. Die meisten Konzerne konzentrierten sich in der schwierigen Zeit darauf, die Wirtschaftlichkeit der vorhandenen Elektrolysen durch Änderungen der Betriebsführung und, soweit technisch möglich, durch Modifikation der Anlagen zu steigern. Viele Unternehmen sahen sich zu einer Umrüstung ihrer Elektrolysen gezwungen, weil die vorhandenen Anlagen den steigenden Anforderungen des Umweltschutzes nicht mehr genügten. Nur wenige Konzerne unternahmen ernsthafte Bemühungen, einen völlig neuen Ofentyp zu entwickeln. Unter ihnen verdient Pechiney besondere Erwähnung, weil der Konzern mit seinen Entwicklungs-
434 arbeiten in den schwierigen 70er Jahren die Grundlage für die Erfolge in den folgenden Jahrzehnten geschaffen hat, in denen er auf dem Gebiet der Hüttentechnologie die bisher führenden amerikanischen Konzerne von den Spitzenplätzen verdrängte 41. Nach jahrelangen Vorarbeiten nahm Pechiney Anfang der 80er Jahre einen neuen Ofentyp in Betrieb, der für Stromstärken von 180.000 Ampere ausgelegt war. Öfen dieser Größenordnung hatte zuvor schon auch Alcoa in ihren amerikanischen Hütten verwendet. Ihr Einsatz wäre nicht möglich gewesen ohne die Entwicklung von Spezialcomputern, mit deren Hilfe die komplizierten elektromagnetischen Vorgänge, die sich bei hohen Stromstärken in den Elektrolysezellen abspielen, beherrschbar geworden waren. Nachdem die neue Technologie ihre Bewährungsprobe bestanden hatte, entschloss sich Pechiney zu einem weiteren großen Schritt. Im Wege der Weiterentwicklung des 180.000 Ampere-Ofens wurde ein neuer Großofen konstruiert, der für Stromstärken von 280.000 Ampere ausgelegt war. Ein Prototyp des neuen Ofens wurde 1981 in Saint Jean de Maurienne installiert. Wenige Jahre später konnte im selben Werk eine erste Ofenreihe mit 280.000 Ampere-Öfen in Betrieb genommen werden. Mit dem 280.000 Ampere-Ofen hat Pechiney neue Maßstäbe für die Hüttentechnologie gesetzt, an denen sich die Konkurrenz in den 90er Jahren messen lassen musste 42. Durch eine deutliche Senkung des spezifischen Stromverbrauchs und eine Reduzierung des Arbeitsaufwandes, die die Arbeitskosten gegenüber der vorhergehenden Ofengeneration fast halbierte, konnte die Wirtschaftlichkeit des Elektrolyseprozesses wesentlich verbessert werden. Auch bei der Erfassung der Ofenabgase war der neue Ofen seinen Vorgängern überlegen. Der mittebediente verkapselte Ofen erlaubt eine fast vollständige Erfassung der Ofenabgase, die wie bei allen modernen Ofenkonstruktionen direkt am Ofen abgesaugt und in einer zentralen Reinigungsanlage nach dem Trockenverfahren gereinigt werden. Mit Hilfe der elektronische Steuerung der Elektrolysezellen konnte eine weitgehende Automatisierung der Ofenbedienung erreicht werde. Die Tonerde wird dem Ofen vom Zentralsilo über Rohrleitungen zugeführt, wobei die Oxidaufgabe über pneumatisch arbeitende Punktdosierer erfolgt. Gegenüber der herkömmlichen Methode des Krustenbrechens wird bei dem aus den USA stammenden System des „point feeding“ auch der Wärmeverlust reduziert 43. Nur das Absaugen des geschmolzenen Metals erfolgt weiterhin manuell. Von dem offenen 30.000 Ampere-Ofen der ersten Nachkriegszeit, bei dem noch alle wichtigen Bedienungsvorgänge manuell erfolgten, bis zu dem modernen 280.000 Ampere-Ofen der 90er Jahre hat die Industrie einen weiten Weg zurückgelegt. Es ist vielleicht kein Zufall, dass Alcoa im Herbst 1985, wenige Monate bevor in Saint Maurienne die ersten Exemplare der neuen Ofengeneration in Betrieb genommen wurden, seine jahrelangen Entwicklungsarbeiten an einem neuen Verfahren zur Herstellung von Aluminium auf chemischem Weg endgültig eingestellt hat. Trotz großer Anstrengungen war es nicht gelungen, eine kostengünstige Alternative zum Hall-Heroult Prozess zur technische Reife zu bringen 44.
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Anmerkungen zum 17. Kapitel 1 Festvortrag Dr. Escherich anlässlich des 50jährigen Bestehens der Aluminium-Zentrale am 2. Okt. 1984: „Perspektiven der nationalen und internationalen Aluminiumindustrie in überschaubarer Zukunft“, abgedruckt in ALUMINIUM 1984.862 ff. – R.G. Adams, Chase Econometrics, Vortrag vom 29. September 1983 in Bürgenstock (Schweiz): “The Strategic Options facing North American Producers in the Eighties”. 2 Der enorme Anstieg des weltweiten Aluminiumverbrauchs in jüngster Zeit ist vor allem auf die Entwicklung in China zurückzuführen, das seinen Hüttenaluminiumverbrauch in Riesenschritten von 0,8 Million Tonnen zu Beginn der 90er Jahre auf über 15 Millionen Tonnen gesteigert hat und inzwischen zum weltweit größten Aluminiumverbraucher geworden ist. 3 Der Ölpreis stieg von 3,5 Dollar/Barrel vor der Krise auf über 30 Dollar am Ende der 70er Jahre. Die Einnahmen der OPEC-Länder erhöhten sich von 7 Mrd. Dollar in 1970 auf 280 Mrd. Dollar in 1980. 4 In den USA musste Alcoa in den zehn Jahren von 1970 bis 1979 für seine amerikanischen Hütten Strompreiserhöhungen von ca. 400 Prozent verkraften (Smith, Seite 375). 5 The International Bauxite Association (IBA) wurde 1974 gegründet. Ihr gehörten als Mitglieder an: Australien, Jamaika, Haiti, Dominican Republic, Surinam, Guinea, Sierra Leone, Ghana, Indonesien und Jugoslawien. Die IBA kontrollierte damals 82 % der weltweiten Bauxitkapazität. Die Organisation wurde 1994 aufgelöst. 6 Zur Entwicklung des Dollarpreises von 1970 bis 1980: “Aluminium – Profile of the Industry” 1982, Seite 147. 7 Siehe dazu Uhlig in ALUMINIUM 1983.477: „Die Substitutionskraft von Aluminium ist schwächer geworden“. 8 Zur volatility des Aluminiumpreises siehe Smith, Seite 383: “The highs were high; the lows deep; the pattern increasingly unpredictable … The economics of the business remained cyclical but seemed more volatile and less predictable”. 9 Vortrag R.G. Adams a.a.O., Seite 4 ff (The Issue of Cyclical Volatility). 10 Zum Strukturwandel in den 70er und 80er Jahren siehe die im vorigen Kapitel zitierten Vorträge von Escherich und Adams. Ferner Smith, Seite 374 ff (Responses to a changing world). Die Angaben zur Kapazitätsentwicklung wurden der EAA-Statistik entnommen. 11 1966 wurden in der westlichen Welt 30,6 Millionen Tonnen Bauxit gewonnen und 11,5 Millionen Tonnen Tonerde hergestellt. Die Quote der Big Six betrug 85,2 % beim Bauxit und 82,6 % bei der Tonerde. 12 Nur die auf Wasserstrombasis betriebene Hütte der Nippon Light Metal Co (50 % Alcan) in Kambara mit einer Jahresproduktion von ca. 35.000 Tonnen überlebte diese in der Industriegeschichte einmalige Verschrottungsaktion, der Hüttenkapazitäten von insgesamt 1,2 Millionen Tonnen zum Opfer fielen. 13 Einige der in der Krise stillgelegten Hütten wurden später von Investorengruppen unter Beteiligung von Metallhändlern übernommen und nach dem Ende der Marktkrise wieder in Betrieb genommen. Per Saldo schrumpfte die amerikanische Hüttenkapazität in den 80er Jahre um etwa 600.000 Jato. 14 Eine bemerkenswerte Ausnahme ist die Pechiney-Hütte in Dünkirchen, die unmittelbar neben dem bereits bestehenden Kernkraftwerk der EDF gebaut wurde, das damals noch über ungenutzte Kapazität verfügte und den Strom in der Anfangszeit auf Grenzkostenbasis lieferte. Die französische Regierung wünschte den Bau einer neuen Hütte in Frankreich, nachdem Noguères und andere alte Hütten aus Rentabilitätsgründen geschlossen werden mussten. 15 Am Gründungskonsortium der Aluminium Bahrain Co. (ALBA) hatten sich auch mehrere Aluminiumverarbeiter und Metallhandelsfirmen beteiligt. Während der schwierigen 70er Jahre ver-
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kauften die meisten dieser Unternehmen ihre Beteiligungen an den Staat von Bahrain und an eine staatliche saudi-arabische Investmentgesellschaft. Von den Gründungsmitgliedern blieb nur die Breton Investment International zurück, eine Tochtergesellschaft der Eckart-Werke in Fürth, einem führenden Hersteller von Aluminiumpulver und Aluminiumpaste. Die Eckart-Werke beteiligten sich auch mit einer Quote von 49 % an der Bahrain Atomisers International, die ca. 6.000 Tonnen atomisierte Aluminiumpulver herstellte, das als Vormaterial für die Herstellung von Aluminiumfarben verwendet wird. 1983 zählte das International Primary Aluminium Institute (IPAI), der internationale Verband der Aluminiumproduzenten, 83 Mitglieder in 34 verschiedenen Ländern (Adams, Chase Econometrics, a.a.O., Seite 3). Bei seiner Gründung 1972 hatte der Verband 50 Mitglieder. 1989 wurden allein in den USA Hütten mit einer Kapazität von ca. 900.000 Jato von unabhängigen Investorengruppen betrieben. In Venezuela waren bis zu diesem Zeitpunkt „freie Kapazitäten“ von etwa einer halben Million Tonnen entstanden, am persischen Golf solche von 370.000 Tonnen. In den folgenden Jahren hat sich der Anteil der nicht konzerngebundenen Hütten schnell ausgeweitet. Hutchcraft (Kaiser) 1982 auf der Jahrestagung der Aluminum Association: „Tatsache ist, unser Grundprodukt ist eine Handelsware (commodity). Das Geschäft mit Rohaluminium ist ein Warengeschäft. Die meisten von uns haben sich gesträubt, diese Tatsache anzuerkennen. Das Wort „commodity“ war für uns ein Schimpfwort … Aber Rohaluminium wird wie Schweinebäuche und Sojabohnen gehandelt. Es ist zyklischen Abläufen von beträchtlicher Intensität unterworfen. Es ist eine Ware – Flugzeugplatten, Schmiedestücke oder Walzprodukte sind dagegen keine Handelsware“ (ALUMINIUM 1983.241). Seit den 80er Jahren wurden Lieferungen nach Japan weitgehend auf der Grundlage von LMEPreisen abgewickelt und zwar auch dort, wo japanische Abnehmer direkt von den Hüttengesellschaften im Mittleren Osten und anderswo bezogen. Auch auf dem japanischen Inlandsmarkt wurde Hüttenaluminium auf der Basis der LME-Notierung gehandelt (Unger in Light Metal Age, December 1990, Seite 8). Siehe hierzu den Vortrag von Kestenbaum (LME) auf dem 3rd International Secondary Aluminium Congress am 2. März 1994 in Birmingham. So Escherich in ALUMINIUM 1984.862 ff. Repräsentativ für die damalige Beurteilung der LME sind die nachfolgend zitierten Äußerungen maßgeblicher Vertreter der deutschen Industrie. So heißt es in einem Artikel von Seebauer (VAW) in der Zeitschrift ALUMINIUM 1983.1 ff: „Wir sind … davon überzeugt, dass Preissprünge von 2.131 Dollar/Tonne im Februar 1980 herunter bis auf 934 Dollar/Tonne im September 1982, wie sie auf der LME zutage traten, nicht zur Vertrauensbildung in die Preisgestaltung unseres Metalls beitragen können“. Ähnlich Neuman (Alusuisse) in ALUMINIUM 1986.14 ff: „Vor allem aber geht Druck und Unsicherheit von der LME mit ihren extremen Preisschwankungen aus, die nicht allein marktbedingt, sondern in schwer qualifizierbarer Weise spekulationsbedingt sind“. Eine ausführliche Darstellung des Sachstandes am Ende des letzten Jahrhunderts gibt Kvande (Hydro) in dem Artikel: “Environmental Improvements in Aluminum Production Technology” in Light Metal Age, February 1999, Seite 44 ff. Dazu gehörte vor allem das „Worldwatch-Institute“ in Washington/DC, das sich in einer Veröffentlichung 1992 zu der Behauptung verstieg, bei der Aluminiumherstellung handele es sich um eine der „umweltschädlichsten Aktivitäten der Menschheit“. Rauch, Seite 174. Siehe dazu Bauer u.a. in „Silbersonne am Horizont. Alusuisse – eine Schweizer Kolonialgeschichte“, Zürich 1989. Erste Versuche mit einer primitiven Nasswäsche hatte Pechiney schon vor dem Ersten Weltkrieg in der Fabrik La Saussaz durchgeführt, aber wegen mangelnder Effizienz wieder aufgegeben. Größe-
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ren Erfolg hatte man mit einem System, das in den 30er Jahren in der Hütte von Riouperoux erstmals erprobt wurde. Die Abgase der Söderberg-Öfen wurden in einem Absaugesystem direkt an den Öfen erfasst und über Rohrleitungen zu einer zentralen Waschanlage geführt (Menegoz in „Histoire technique de la production de l’aluminium“, Seite 131 ff). Zur kommerziellen Verwertung des Rotschlamms etwa im Baustoffbereich wurden zahlreiche Versuche durchgeführt. Einer Verwendung standen entweder technische Gründe entgegen oder es wurden bei gleichen Eigenschaften aus wirtschaftlichen Gründen so genannte Naturprodukte vorgezogen. Noch bei der Planung eines großen Tonerdewerkes in Dünkirchen im Frühjahr 1971 ging Pechiney davon aus, dass der Rotschlamm im Kanal verklappt werden könne. Kvande a.a.O. nennt folgende Prozentsätze: Hydrostrom: 57 %, Kohle: 33 %, Kernkraft: 5 % and Gas: 4 %. Zum Recycling von Getränkedosen in den USA siehe den Vortrag von Cheek (IMCO Recycling Inc.) in der Metal Bulletin’s 8th International Aluminium Conference in Montreal am 14. September 1993. Smith überschrieb das Schlusskapitel seines 1988 veröffentlichten Buches über Alcoa mit den Worten: “Responses to a changing world”. Er übernahm diese Überschrift aus einem Geschäftsbericht der Alcoa. Utiger: „Die Zukunft der Aluminiumindustrie“ in ALUMINIUM 1972.833. Krome George: „Die Aluminiumindustrie muss ihre Rentabilität steigern“ in ALUMINIUM 1971.649. Stewart R. Spector: „Zukunftsaussichten der Aluminiumindustrie – ist rentables Wachstum noch möglich?“ in ALUMINIUM 1971.711. Mit Produktionsbetrieben auf dem Chemiesektor und dem Gebiet der feuerfesten Materialien war Kaiser seit seiner Gründung ein breit aufgestellter Mischkonzern, in dessen Produktionsprogramm das Aluminium allerdings eindeutig dominierte. In den 70er Jahren kamen neue Geschäftsfelder wie Erdgasförderung, Immobilenentwicklung, Rohstoffhandel und Spezialmetalle hinzu, in die ein bedeutender Teil der verfügbaren Ressourcen investiert wurde. Pechiney schloß sich 1971 mit Ugine Kuhlmann zusammen, ein Unternehmen, das vor allem auf dem Chemiesektor und in der Stahlproduktion tätig war. Der neue PUK-Konzern umfasste so unterschiedlichen Unternehmen wie den US-Dosenhersteller American Can und eine französischen Gesellschaft, die Kernbrennstoffe für Atomkraftwerke herstellte. Bei der Alusuisse wurde nach der Fusion mit der Lonza AG die Spezialchemie zu einem wichtigen zweiten Standbein, zu dem in den 90er Jahren noch der Verpackungsbereich als dritter gleichgewichtiger Geschäftsbereich hinzutrat. Smith, Seite 431. Auf Seite 374 wird Parry mit den Worten zitiert: “I doubt that aluminum early in the 21st century is going to be very important to the strucure of the company”. Alcoa sollte nach seinen Vorstellungen eine Führungsrolle auf dem Gebiet der „advanced materials“ übernehmen. Bei konsequenter Anwendung des Profit-Center-Konzepts orientieren sich die Verrechnungspreise für unternehmensinterne Lieferungen an den jeweiligen Marktpreisen. Dadurch wird verhindert, dass zum Beispiel Produkte der Verarbeitungssparten durch billiges Metall aus der eigenen Hütte subventioniert werden, wie dies bis dahin bei den großen Konzernen gang und gebe war. Laut M. D. Lester (Alcan) betrug der spezifische Energieverbrauch Mitte der 80er Jahre im Durchschnitt der westlichen Welt 16,7 kWh/kg erzeugten Aluminiums (in Stobart, Centennary 1886, Seite 117). In den modernsten Hütten wird ein Verbrauchswert von ca. 13 KWh/kg erreicht. Chronik der Alcan Deutschland, Seite 70. Zur Weiterentwicklung der Ofentechnik durch Pechiney J. Bocquentin in: “Histoire technique de la Production d’Aluminium”. Seite 115 ff.
438 42 Zum 280.000 Ampere Ofen: Langon/Varin: “The Aluminium Pechiney 280 kA pots” in Light Metal Age 1986, Seiten 343–347. Die Früchte seiner Pionierarbeit bei der Entwicklung moderner stromintensiver Elektrolyseöfen konnte Pechiney in den 80er und 90er Jahren ernten. Die Ofentechnologie von Pechiney wurde in einer ganzen Reihe von Hüttenneubauten eingesetzt, darunter die bereits erwähnte Hütte in Tomago/Australien und die 1986 fertig gestellte Hütte der Alumerie de Becancour in Kanada, an der neben Pechiney auch Reynolds und Alumax beteiligt waren. 43 Etwa alle zwei Minuten wird die Elektrolytkruste mit einem Meisel geöffnet und mittels Dosiergerät eine genau abgemessene Tonerdemenge zugegeben. Mit Hilfe eines Mikroprozessors ist es möglich, die Tonerdekonzentration entsprechend dem jeweiligen Zustand der Schmelze in einem engen Band zu führen und die Zahl der Anodeneffekte stark zu vermindern. 44 Dazu Smith, Seite 374: “In the fall of 1985 Alcoa’s ambitious attempt to render the Hall process obsolete was abandoned. The Alcoa Smelting Process (APS) pilot plant in Texas was closed down”.
18. Kapitel Bewährung in einer veränderten Welt
18.1 Die deutsche Aluminiumindustrie in den 80er Jahren 1 Gegen Ende der 70er Jahre hellte sich die Aluminiumkonjunktur noch einmal für eine kurze Zeitspanne auf. Das Jahr 1979 bescherte der Industrie unerwartet hohe Zuwachsraten und brachte erstmals auch wieder die Gewinne zum Sprudeln. Ein kräftiger Konjunkturaufschwung in der Bundesrepublik und in anderen Ländern der westlichen Welt trieb die Nachfrage nach Aluminium in die Höhe, sodass die Industrie trotz hoher Auslastungsraten der Hüttenkapazitäten Mühe hatte, den gestiegenen Bedarf zu befriedigen. Weltweit verzeichnete der Aluminiumverbrauch einen Zuwachs von fünf Prozent. In der Bundesrepublik nahm der Verbrauch sogar um mehr als zwölf Prozent zu und überschritt zum ersten Mal die Millionenmarke. Allenthalben breitete sich wieder Optimismus aus. Auch in Deutschland glaubten viele Beobachter, dass nun die Wende gekommen sei 2. Die Freude an den guten Ergebnissen des Jahres 1979 war jedoch nur von kurzer Dauer. Schon bald zogen erste Wolken am Konjunkturhimmel auf, der sich von Quartal zu Quartal immer stärker verdüsterte. Die wirtschaftliche Stagnation, die sich im zweiten Quartal 1980 in den USA angekündigt hatte, griff rasch auf andere Volkswirtschaften der westlichen Welt über und führte im weiteren Verlauf zu einem tiefen Konjunktureinbruch. Am härtesten getroffen wurden die Vereinigten Staaten, deren Wirtschaft in den Jahren 1980 bis 1982 um mehrere Prozentpunkte schrumpfte. In der Bundesrepublik fiel der Rückgang des Bruttosozialprodukts mit insgesamt anderthalb Prozent in den beiden Krisenjahren 1981 und 1982 vergleichsweise glimpflich aus. Aber auch hier kam es zu einer merklichen Verschlechterung der Wirtschaftslage. Für die Aluminiumindustrie der westlichen Welt hatte die Rezession der Jahre 1980/ 1982 verheerende Auswirkungen, die in ihrem Ausmaß sogar die des Katastrophenjahres 1975 übertrafen. Spätestens jetzt wurde man sich in den Chefetagen der Konzerne der Tatsache bewusst, dass die Umwälzungen der 70er Jahre die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Industrie radikal und dauerhaft verändert hatten 3. Der Ab-
440 lauf der Krise von 1980/1982 folgte weitgehend dem Szenario, das wir bei der Schilderung der Krisen der 70er Jahre beschrieben haben. Von früheren Marktstörungen unterschied sich die jetzige Krise aber durch ihre lange Dauer. Während auf den kurzen aber heftigen Einbruch des Jahres 1975 schon 1976 ein erneuter Aufschwung gefolgt war, zog sich die Krise zu Beginn der 80er Jahre über mehrere Jahre hin, wobei sich die Probleme der Industrie von Quartal zu Quartal verschärften. Der Verbrauch an Hüttenaluminium in der westlichen Welt ging in den drei Jahren 1980, 1981 und 1982 um insgesamt vierzehn Prozent zurück und erreichte erst im Jahr 1986 wieder das Niveau von 1979. Von den Hüttenkapazitäten der westlichen Welt, die vor Beginn der Krise etwa vierzehn Millionen Tonnen betragen hatten, wurden in den Jahren 1981 und 1982 mehr als zwei Millionen Tonnen stillgelegt, sodass 1982 weltweit nur noch 75,5 Prozent der Kapazitäten beschäftigt waren (gegen 91,7 Prozent im Jahr 1980). In den USA fiel die Auslastungsrate sogar bis auf 60 Prozent zurück. Die hohen Bestände und die anhaltend schwache Nachfrage führten zu einem massiven Preiseinbruch 4. Die Aluminiumindustrie schrieb weltweit rote Zahlen. Vor dem beschriebenen düsteren Hintergrund hat sich die Aluminiumindustrie in der Bundesrepublik relativ gut behaupten können. Das war vor allem darauf zurückzuführen, dass Deutschland von der weltweiten Rezession weniger stark betroffen war als die Vereinigten Staaten und andere Ländern der westlichen Welt. In der Bundesrepublik ging der Aluminiumverbrauch in den drei Krisenjahren nur halb so stark zurück wie im weltweiten Durchschnitt und übertraf schon 1983 wieder das Niveau vor Beginn der Krise. Während die Industrie in den USA und anderen Ländern mit massiven Abschaltungen auf die Krise reagierte, sahen sich die deutschen Hütten erst im zweiten Halbjahr 1982 zu einer Anpassung ihrer Produktion veranlasst. Mit 723.000 Tonnen lag die deutsche Hüttenproduktion des Jahres 1982 nur wenig unter dem Niveau von 1979. Unerwartete Hilfe erhielten die deutschen Aluminiumhütten durch die Kursentwicklung des US-Dollars. Nachdem der Dollarkurs am 3. Januar 1980 mit 1,71 D-Mark/Dollar seinen tiefsten Punkt erreicht hatte, setzte der Dollar Mitte 1980 zu einem Höhenflug an, der ihn bis Ende 1984 auf einen Höchstwert von 3,40 D-Mark/Dollar steigen ließ, bevor es erneut zu einem Kursverfall kam. Durch den Kursanstieg des Dollars wurde der Rückgang der Aluminiumpreise in der Bundesrepublik abgebremst. Was sich in den 70er Jahren abgespielt hatte, wiederholte sich jetzt mit umgekehrtem Vorzeichen. Zu Verlusten kam es bei den deutschen Produzenten nur im Jahr 1982. Obwohl die Krise auch in den Bilanzen der deutschen Aluminiumunternehmen ihre Spuren hinterließ, hat die optimistische Grundstimmung, die sich seit dem Ende der 70er Jahre in der deutschen Aluminiumindustrie ausgebreitet hatte, die weltweite Krise der Industrie zu Beginn der 80er Jahre fast unbeschadet überstanden. In den folgenden Jahren ging die Berg- und Talfahrt auf den Aluminiummärkten mit unverminderter Heftigkeit weiter. Der Absatzkrise von 1980/1982 (der längsten, die die Aluminiumindustrie seit dem Ende des zweiten Weltkrieges erlebt hatte) folgte
441 1983/1984 eine kurze Phase des Aufschwungs, in deren Verlauf der Aluminiumabsatz fast wieder die Rekordzahlen von 1979 erreichte. Die Aufwärtsentwicklung brach jedoch schon 1984 wieder ab. Obwohl sich die Nachfrage weiter auf hohem Niveau hielt (der Aluminiumverbrauch legte 1984 noch einmal vier Prozent zu), gerieten die Aluminiumpreise seit Mitte des Jahres wieder unter massiven Druck. Bis zum Jahresende 1984 fiel der LME-Preis für Dreimonatsware fast auf das Niveau zurück, das er zuletzt auf dem Tiefpunkt der Krise des Jahres 1982 erreicht hatte. Trotz der anhaltend günstigen Mengenkonjunktur verharrten die Preise auch in den Jahren 1985/1986 auf einem extrem niedrigen Niveau, bei dem kaum noch eine Hütte mit Gewinn produzieren konnte. Die lange Periode gedrückter Preise schlug sich in den Bilanzen der Aluminiumhersteller mit hohen Verlusten nieder. Keiner der großen Aluminiumkonzerne ging ungeschoren aus den Krisenjahren hervor. Pechiney überlebte die Krise nur dank der finanziellen Hilfe durch den französischen Staat, in dessen Besitz die Gesellschaft 1981 durch Verstaatlichung gelangt war. Alusuisse brauchte mehrere Jahre, bevor die Folgen der Krise überwunden waren. Kaiser hat sich nie wieder von den riesigen Verlusten erholt, die seit 1981 Jahr für Jahr angefallen waren. Selbst der Branchenprimus Alcoa konnte die Verluste aus dem Hüttenbereich nicht völlig durch Gewinne aus anderen Geschäftszweigen kompensieren und musste 1985 einen Verlust ausweisen. Auch Alcan und Reynolds schrieben 1982 und erneut 1985/1986 rote Zahlen. Dagegen hat die VAW, gemessen an den Ergebnissen der „Big Six“, die schwierigen Jahre relativ gut überstanden. Einen Verlust wies das Unternehmen nur für das Krisenjahr 1982 aus. Tabelle 29: Entwicklung der Aluminiumhüttenindustrie in der westlichen Welt 1979–1988 (Quelle: EAA) Millionen t
1979
1980
1981
1982
1984
1986
1988
Produktion Auslastung Vorräte MB-Preis in $/t
12,0 89 % 1,7 1.574
12,8 92 % 2,4 1.772
12,5 88 % 3,7 1.320
10,7 75 % 3,7 1.030
12,8 88 % 3,1 1.284
12,3 87 % 2,1 1.149
13,9 97 % 1,8 2.321
Die 80er Jahre gingen mit einem Superboom zu Ende, der für die Aluminiumproduzenten die lang erhoffte Rückkehr zu auskömmlichen Preisen und befriedigenden Ergebnissen brachte. Die Trendwende zeichnete sich im Frühjahr 1987 ab, als die LME-Notierung zu einem unerwarteten Höhenflug ansetzte, in dessen Verlauf sich der Börsenpreis für 3-Monats-Metall innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelte. Der Spitzenwert wurde im Juni 1988 mit 2,796 Dollar je Tonne erreicht. Nicht ganz so hektisch verlief die Aufwärtsbewegung des so genannten Produzentenpreises, also des Preises, den die Hütten ihren langjährigen Kunden berechneten. Immerhin mussten die Abnehmer im Laufe des Jahres 1988 Preissteigerungen von über vierzig Prozent hinnehmen, die sie nur zum Teil und nur mit zeitlicher Verzögerung auf ihre Kunden ab-
442 wälzen konnten. Die Gewinner des Jahres waren die Aluminiumhütten, die nach einer langen Periode enttäuschender Erträge zum ersten Mal wieder hohe Gewinne erzielten. Angesichts der günstigen Entwicklung der fundamentalen Daten seit der Krise von 1981/1982 war eine Korrektur der Aluminiumpreise überfällig gewesen. Seit 1983 befand sich die Aluminiumindustrie wieder auf dem Wachstumspfad. Der weltweite Aluminiumverbrauch nahm kräftig zu und übertraf am Ende der Dekade mit 14,6 Millionen Tonnen den bisherigen Höchststand von 1979 um fast zwei Millionen Tonnen. Einen Teil der in der Krise abgeschalteten Hüttenkapazitäten hatte die Industrie inzwischen endgültig stillgelegt. Neue Kapazitäten waren nur noch in geringem Umfang hinzugekommen. Die Aluminiumbestände waren seit 1983 kontinuierlich zurückgegangen und hatten 1987 ein extrem niedriges Niveau erreicht, auf dem sie auch in den folgenden Jahren verharrten. Dass es in dieser Situation nicht schon früher zu einer Erholung des Aluminiumpreises gekommen war, war vor allem dem wachsenden Einfluss von Handel und Metallbörse zuzuschreiben, deren Skepsis erst durch die endgültige Stilllegung überzähliger Kapazitäten ausgeräumt worden war. Für die Aluminiumindustrie waren 1988 und 1989 Rekordjahre. Das Ende des Booms der Jahre 1988/1989 fällt nicht mehr in den zeitlichen Rahmen dieses Buches. Der erneute Einbruch der Aluminiumkonjunktur zu Beginn der 90er Jahre sorgte dafür, dass die Bäume der Aluminiumindustrie nicht in den Himmel wuchsen. Zu der schweren Krise der Jahre 1992/1993 trugen vor allem die Exportlieferungen der russischen Aluminiumhütten bei, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit aller Macht auf die westlichen Märkte drängten 5. Der drohende Zusammenbruch des Aluminiummarktes konnte nur durch die Stilllegung von Kapazitäten in der Größenordnung von etwa einer Million Jahrestonnen verhindert werden, die auf mehreren Treffen zwischen den Vertretern der Industrie und den Regierungen der wichtigsten westlichen Erzeugerländer und der Russischen Konföderation vereinbart wurden. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre betrat mit China ein weiterer wichtiger „player“ die Bühne der Industrie. Das Land ist heute der weltweit größte Hersteller und Verbraucher von Hüttenaluminium. 2009 stammten mehr als ein Drittel der Weltproduktion aus chinesischen Aluminiumhütten 6. Mit dem Eintritt der Russen und Chinesen in die Welt des Aluminiums war das Ende der bisher gültigen Ordnung besiegelt. Eine Fusionswelle in den Jahren vor und nach der Jahrhundertwende hat das Gesicht der Industrie radikal verändert. Von den stolzen Konzernen, die als die Gruppe der „Big Six“ über viele Jahrzehnte hinweg die Geschicke der Aluminiumindustrie bestimmt hatten, ist nur noch die Alcoa als selbstständiges Unternehmen übrig geblieben. Alusuisse und Pechiney wurden 1999 bzw. 2001 von Alcan übernommen. Reynolds fiel 1999 einer feindlichen Übernahme durch Alcoa zum Opfer. Mit ihrem Versuch, auch die Alcan unter ihre Kontrolle zu bringen, scheiterte Alcoa an dem anglo-australischen Bergbaukonzern Rio Tinto, der Alcan als „weißer Ritter“ zu Hilfe kam und sich den bedrängten kanadischen Konzern selbst einverleibte. Kaiser war schon in den 80er Jahren aus dem Kreis der großen Produzenten ausgeschieden. Sic transit gloria mundi!
443 Auch die VAW hat die Umwälzungen der 90er Jahre nicht überlebt. Gespräche über eine Fusion des VIAG-Konzerns mit der Alusuisse scheiterten im Frühjahr 1999. Das Management des E.ON-Konzerns, zu dem sich VIAG und die Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen kurz darauf zusammenschlossen, war an einem Engagement auf dem Aluminiumsektor nicht mehr interessiert. Man erwog zunächst einen Börsengang der VAW, entschloss sich dann aber zum Verkauf der Gesellschaft im Wege der Auktion. Das Rennen machte die norwegische Norsk Hydro, die im März 2002 das Erbe der VAW als größtes deutsches Aluminiumunternehmen antrat. Tabelle 30: Erzeugung und Verarbeitung von Aluminium in der Bundesrepublik 1969–1989 (Quelle: GDA) 1.000 t Hüttenaluminium Sekundäraluminium Erzeugung Halbzeug Formguss Verarbeitung
1969
1974
1979
1985
1989
263 271
689 324
742 424
777 442
742 537
534
1.013
1.166
1.219
1.279
564 230
812 234
1.045 319
1.146 339
1.328 476
794
1.046
1.364
1.485
1.804
18.2 Aluminiumhütten Nach den Umwälzungen der 70er Jahre war an einen weiteren Ausbau der Hüttenkapazitäten in der Bundesrepublik nicht mehr zu denken. Jetzt ging es nur noch um die Erhaltung der bestehenden Kapazitäten und die bange Frage, die sich die Betreiber zu Beginn des neuen Jahrzehnts stellten, lautete, wie lange sich ihre Hütten im internationalen Wettbewerb würden behaupten können. Während der Krise hatten maßgebliche Vertreter der deutschen Aluminiumindustrie ernsthafte Zweifel geäußert, ob Deutschland überhaupt noch als Hüttenstandort geeignet sei. Inzwischen hatte sich zwar eine optimistischere Betrachtungsweise durchgesetzt. Niemand konnte sich jedoch der Erkenntnis verschließen, dass die Lage der deutschen Hütten äußerst kritisch war und dass größte Anstrengungen unternommen werden mussten, um ihre Wettbewerbsfähigkeit auch für die Zukunft sicher zu stellen. Für die aus der Vorkriegszeit stammenden älteren Hütten bestanden nur geringe Überlebenschancen. Und auch für einen Teil der neuen Hütten konnte die Wettbewerbsfähigkeit nur mit Einschränkungen bejaht werden. Eine mit hohen Kosten verbundene Nachrüstung dieser Werke war unumgänglich, wenn man die gestiegenen Anforderungen an den Umweltschutz erfüllen wollte. Darüber hinaus bestand an allen Hüttenstandorten die dringende Notwendigkeit, die Wirtschaftlichkeit des Elektrolyseprozesses durch die Modernisierung der Anlagen und eine ständige Verbesserung der Betriebsabläufe zu
444 steigern. Nur so konnte man hoffen, die Nachteile des deutschen Standorts wenigstens teilweise kompensieren zu können. Am vordringlichsten war aber die Lösung der Strompreisfrage. Das RWE hatte den Betreibern der Hütten in Essen, Norf und Voerde beim Abschluss der Stromverträge eine zehnjährige Festpreisperiode zugestanden, während deren Laufzeit die Gültigkeit der vertraglich vereinbarten Preisgleitklausel ausgesetzt war. Für das Elbewerk hatte die Nordwestdeutsche Kraftwerk AG (NWK) eine entsprechende Vereinbarung akzeptiert. Die Hamburger Elektrizitätswerke (HEW) waren bei den Verhandlungen mit Reynolds sogar noch einen Schritt weitergegangen und hatten auf eine Preisanpassung während der ganzen Laufzeit des Vertrages verzichtet. Anders als in Japan, wo die gestiegenen Ölpreise unmittelbar auf die Stromkosten der Hütten durchschlugen, oder den USA, wo die Stromlieferanten unter Berufung auf die veränderte Situation auf dem Energiemarkt selbst bei laufenden Wasserkraftverträgen massive Preiserhöhungen durchgesetzt hatten, blieben die deutschen Hütten daher von den Auswirkungen der Erdölkrisen zunächst weitgehend verschont. Für die von RWE und NWK belieferten Hütten kam die Stunde der Wahrheit erst 1978/1980, nachdem die Festpreisperioden abgelaufen waren. Jetzt kam die vertraglich vereinbarte Preisgleitklausel zum Zug, die eine regelmäßige Anpassung der Strompreise an die Lohnkostenentwicklung vorsah. In den Stromverträgen war vereinbart worden, dass die während der Festpreisperiode unterbliebenen Preisanpassungen durch eine einmalige Erhöhung der Preise nachgeholt werden durften. Dies hatte zur Folge, dass die Stromkosten der Hütten in Essen, Norf, Voerde und Stade jetzt auf einen Schlag um fast fünfzig Prozent anstiegen. Entgegen allen pessimistischen Vorhersagen ist es den betroffenen Unternehmen gelungen, die zusätzlichen Energiekosten über höhere Preise im Markt weiterzugeben. Wie wir gesehen haben, hatte der internationale Aluminiumpreis am Ende der 70er Jahre ein Niveau erreicht, bei dem auch die deutschen Hütten wieder mit Gewinn arbeiteten. In den gestiegenen Aluminiumpreisen spiegelte sich eben auch der drastische Anstieg der Energiekosten wider, der in den USA und manchen anderen Ländern noch extremer ausgefallen war als in der Bundesrepublik. Zusätzliche Belastungen ergaben sich für die deutschen Aluminiumhütten in den 80er Jahren durch Maßnahmen der öffentlichen Hand, die sich kostensteigernd auf die Stromerzeugung auswirkten. Als ein besonderes Ärgernis empfanden die deutschen Aluminiumproduzenten ihre Heranziehung zu der Ausgleichsabgabe nach dem Dritten Verstromungsgesetz, die allen Stromabnehmern zur Stützung des heimischen Steinkohlebergbaus abverlangt wurde. Der „Kohlepfennig“, wie die Abgabe euphemistisch genannt wurde, schlug sich in den Büchern der stromintensiven Aluminiumhütten mit Millionenbeträgen nieder. Es erschien widersinnig, die hart bedrängte deutsche Hüttenindustrie, die selbst große Mühe hatte, sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten, zugunsten des deutschen Bergbaus mit einer Sondersteuer zu belegen 7. Mitte der 90er Jahre erklärte das Bundesverfassungsgericht den Kohlepfennig mit der Begründung für verfassungswidrig, dass Lasten der Allgemeinheit nicht durch Sonder-
445 abgaben einzelner Gruppen finanziert werden dürfen. Weitere Belastungen kamen auf die deutschen Hütten zu, als der Gesetzgeber mit dem so genannten Rauchgasgesetz die Betreiber von Kohlekraftwerken verpflichtete, ihre Schadstoffemissionen drastisch zu senken. Um die Anforderungen des Gesetzes erfüllen zu können, waren die Stromerzeuger gezwungen, ihre Kohlekraftwerke mit riesigen Filter- und Reinigungsanlagen auszustatten, die Investitionen in Milliardenhöhe erforderlich machten. Die Mehrkosten der Stromerzeugung, die ihnen durch diese Maßnahmen entstanden, wurden durch einen prozentualen Preisaufschlag an die Stromabnehmer weitergegeben. Auch die Aluminiumindustrie musste sich an dieser Umlage beteiligen. Für die VAW, deren Hüttenwerke sämtlich in der Bundesrepublik lagen, war die Frage, ob Deutschland als Standort für die Hüttenindustrie überhaupt noch eine Zukunft habe, von geradezu existentieller Bedeutung. Die bereits erwähnte Strukturanalyse vom Herbst 1977 sollte Auskunft darüber geben, welche der sechs VAW-Hütten auch langfristig lebensfähig waren und welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden mussten, um die Hütten für den internationalen Wettbewerb fit zu machen. Die Experten der VAW bejahten die Wettbewerbsfähigkeit der drei modernen Hütten des Konzerns, also des Rheinwerks, des Elbewerks und der Hamburger Aluminiumwerke (an denen die VAW mit einem Drittel beteiligt war), wiesen aber auch darauf hin, dass im Rheinwerk und im Elbewerk erhebliche Investitionen zur Erfüllung der schärferen Umweltschutzvorschriften erforderlich waren, mit deren Einführung damals in Kürze zu rechnen war. Es wurde vorgeschlagen, die dafür erforderliche Umrüstung der Elektrolyseöfen für eine schrittweise Erhöhung der Stromstärke zu nutzen, wodurch die Produktionskapazität der beiden Werke beträchtlich ausgeweitet werden könne. Der Gedanke an den Bau der ursprünglich geplanten zweiten Stufe des Elbewerkes wurde aufgegeben. Eine Fortführung der alten Hüttenwerke in Töging, Lünen und Grevenbroich erschien den Experten nur sinnvoll, wenn man die aus der Vorkriegs- und ersten Nachkriegszeit stammenden Öfen komplett durch moderne Großöfen ersetzte. Der VAW-Vorstand entschied sich in Grevenbroich und Lünen gegen eine Modernisierung, die an beiden Standorten wegen Platzmangels schwierig und in Lünen wegen der ungeklärten Stromversorgung riskant gewesen wäre. Das Erftwerk stellte schon 1979/80 den Betrieb ein, die Hütte in Lünen folgte wenige Jahre später. An beiden Standorten wurden neue Aktivitäten aufgebaut oder vorhandenen Aktivitäten ausgebaut, die für einen Teil der Hüttenbelegschaft Ersatzarbeitsplätze boten 8. Beim Innwerk waren die Voraussetzungen für eine Fortführung des Hüttenbetriebes günstiger. Die zum Teil noch bis weit in das 21. Jahrhundert reichende Energiebasis des Werkes mit ihrem Mix aus eigenerzeugtem Wasserkraftstrom und zugekaufter thermischer Energie machte den Standort Töging auch unter dem Gesichtspunkt der Energiekosten interessant. Nachdem die bayrische Staatsregierung einer Verlängerung der Wasserkraftkonzession über das Jahr 2000 hinaus zugestimmt und auch eine finanzielle Förderung des Vorhabens in Aussicht gestellt hatte, beschloss die VAW die Errichtung einer modernen Elektrolyse mit einer Kapazität von 60.000 Jato, die an die
446 Stelle des bisherigen Ofenhauses II treten sollte. Dabei wurde erstmals ein neuer Großofen eingesetzt, den die VAW durch die Weiterentwicklung der im Rheinwerk verwendeten Technologie für eine Stromstärke von 180.000 Amperes entwickelt hatte. Wegen des beschränkten Platzes war man gezwungen, die 60 verkapselten und mittebedienten Öfen in Queraufstellung zu installieren. Die Oxidzufuhr zu den Elektrolyseöfen, das Metallabsaugen und der Anodenwechsel erfolgten über Manipulatorkräne. Die neue Elektrolyse wurde in zwei Baustufen errichtet, die 1980 und 1982 den Betrieb aufnahmen. Ende der 80er Jahre folgte die Modernisierung des Ofenhauses I, wo unter Verwendung der alten Fundamente, der Ofenwannen und anderer Einrichtungen 92 verkapselte und mittenbediente Öfen mit einer Systemstärke von 100.000 Amperes installiert wurden. Da es nicht möglich war, in der alten Halle Bedienungskräne zu installieren, mussten für den Anodenwechsel und das Metallabsaugen Flurfahrzeuge eingesetzt werden. Nach der Modernisierung des Ofenhauses I verfügte das Innwerk über eine Gesamtkapazität von ca. 90.000 Jato. Entgegen den damaligen Erwartungen erreichte die traditionsreiche Hütte trotz Modernisierung und Erweiterung nicht mehr das Ende des 20. Jahrhunderts. Der Elektrolysebetrieb in Töging wurde in den 1990er Jahren stufenweise eingestellt und das Werk zu einer Umschmelzanlage umfunktioniert. Dem Innwerk widerfuhr dasselbe Schicksal wie dem Erftwerk zwanzig Jahre zuvor. Schon bei der Bestandsaufnahme von 1977 waren die VAW-Techniker zu dem Ergebnis gekommen, dass der alt gediente Erftwerk-Ofen auch dort, wo er (wie im Rheinwerk und im Elbewerk) eingekapselt war, nicht mehr den Anforderungen des Wettbewerbs genügte. Der spezifische Stromverbrauch wie auch die Bedienungskosten dieses Ofentyps lagen deutlich über denen modernerer Anlagen anderer Produzenten. Außerdem wurden die geltenden Umweltauflagen schon jetzt nur knapp erfüllt. Eine weitere Beschränkung der zulässigen Fluor-Emmissionen auf maximal 0,5 Kilogramm pro Tonne erzeugten Metalls, die in den 80er Jahren zu erwarten war, wäre mit der alten Technologie nicht zu erreichen gewesen. Man hatte daher noch im Jahr 1977 damit begonnen, im Elbewerk einige Elektrolyseöfen auf diskontinuierliche Anoden umzustellen, mit Oxidaufgabe in der Ofenmitte aus einem über dem Ofen angebrachten Silo 9. Bis Ende 1978 sollte so viel Erfahrung mit dem zentral bedienten Ofen vorliegen, dass man sich für einen konkreten Vorschlag entscheiden konnte. Der Umbau der Elektrolysesysteme in Norf und Stade wurde anfangs der 80er Jahre in Angriff genommen. In den beiden Werken wurde die alte Erftwerk-Technologie durch Elektrolysezellen mit vorgebrannten Anoden, zentraler Bedienung und Computersteuerung ersetzt. Nach dem Umbau konnte die Stromstärke im Rheinwerk stufenweise von 126.000 auf 165.000 Amperes angehoben werden, was einer Produktionskapazität von etwa 210.000 Tonnen Primäraluminium entsprach. Im Elbewerk wurde die Kapazität ebenfalls durch die Erhöhung der Stromstärke erweitert. Sie lag Ende der 80er Jahre bei ca. 70.000 Jato. Die Investitionskosten für den Umbau der beiden Hütten waren erheblich. Das Land Nordrhein-Westfalen beteiligte sich an der Modernisierung des Rheinwerkes mit einem Investitionszuschuss in zweistelliger Millionenhöhe.
447
Abb. 47: Modernisierte Elektrolyse des Rheinwerks (ca. 1990)
Auch die Alusuisse sah sich an den beiden Hüttenstandorten in Essen und Rheinfelden mit den verschärften Anforderungen an den Umweltschutz konfrontiert, die seit Anfang der 80er Jahre in Geltung waren. In Essen nutzte die Alusuisse – wie die VAW in Norf und Stade – die Verkapselung der Öfen, um den Ofenbetrieb auf Mittenbedienung umzustellen und damit die Voraussetzung für eine weitgehende Automatisierung der Ofenbedienung zu schaffen. Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützte den Umbau mit einem Investitionszuschuss von 56 Millionen DM, der nach Angaben der Gesellschaft etwa die Hälfte der Renovierungskosten abdeckte. In den folgenden Jahren konnte die Produktionsleistung der Hütte bei nur leicht erhöhter Stromstärke von ursprünglich 120.000 Jato auf etwa 136.000 Jato gesteigert werden. Einer weiteren Produktionssteigerung stand die asymetrische Anordnung der Öfen in der Essener Hütte entgegen. Wegen der damit verbundenen elektromagnetischen Probleme war es nicht möglich, die Elektrolyse mit höheren Stromstärken zu fahren. Dazu kam es erst nach dem Erwerb der Hütte im Jahr 1994 durch die Trimet Aluminium AG, die durch den Umbau der Öfen die Voraussetzung für eine weitere Anhebung der Stromstärke schuf. Einen Teil der Öfen der dritten Linie hatte die Alusuisse noch Anfang der 90er Jahre demontiert. Sie wurden von Trimet durch neue Öfen ersetzt. Seit 2002 wird die Anlage in Essen mit einer Stromstärke von
448 160.000 bis 180.000 Ampere betrieben. Die Produktionskapazität der Elektrolyse liegt bei ca. 170.000 Jato. In Rheinfelden stand einer umfassenden Modernisierung der Hütte die ungeklärte Frage der Energieversorgung entgegen. Der 1979 mit dem Badenwerk ausgehandelte Stromvertrag lief nur fünf Jahre und wurde danach von Jahr zu Jahr verlängert. Der erst nach schwierigen Verhandlungen zustande gekommene Vertrag legte der Hütte in Rheinfelden „harte Bedingungen“ auf, wie die Alusuisse verlautbaren ließ. Die Konzernzentrale in Zürich ging schon damals davon aus, dass das Werk auf die Dauer nicht zu halten war. 1982 wurde die Geschäftsleitung von Rheinfelden beauftragt, die Schließung der Hütte vorzubereiten, wobei ihr genügend Zeit gegeben wurde, neue Aktivitäten aufzubauen 10. Kurz zuvor hatte die Alusuisse in Rheinfelden noch vier Prototypen eines neuen computergesteuerten 185.000 Ampere-Ofens installiert, mit dem sie den Anschluss an die internationale Entwicklung auf dem Gebiet der Hüttentechnik halten wollte 11. Die Weiterentwicklung des neuen Ofentyps fiel dem Strategiewechsel zum Opfer, mit dem die Alusuisse nach der Krise von 1981/1982 den schrittweisen Rückzug aus dem Hüttensektor einleitete. Auch zu einer Verkapselung der alten Öfen in Rheinfelden konnte man sich trotz erheblicher Probleme mit den Fluor-Emissionen nicht entschließen 12. Anfangs 1985 hieß es in einer Verlautbarung der Alusuisse, sie habe sich mit dem Badenwerk auf einen „verkraftbaren Preis“ geeinigt. Dessen ungeachtet wurde die Aluminiumproduktion in Rheinfelden in den folgenden Jahren unter Berufung auf die hohen Stromkosten stufenweise zurückgenommen und zum Jahresende 1991 völlig eingestellt. Die ehemalige Guilini-Hütte in Ludwigsburg, die seit 1979 von Alcan betrieben wurde, hatte schon einige Jahre zuvor als erste der neuen deutschen Elektrolysen unter dramatischen Umständen den Betrieb einstellen müssen. Alcan hatte beim Kauf der Hütte eine Festlegung des Strompreises für drei Jahre akzeptiert. Nachdem die Festpreisvereinbarung am 1. Oktober 1982 ausgelaufen war, verlangten die Pfalzwerke einen Strompreis, der fast hundert Prozent über dem der anderen Aluminiumhütten in der Bundesrepublik lag. Alcan drohte darauf mit der Abschaltung der Hütte, die zu diesem Zeitpunkt erneut hohe Verluste einfuhr. Politiker von Bund und Ländern bemühten sich um einen Ausweg aus der verfahrenen Situation. Durch eine einmalige Überbrückungshilfe von acht Millionen D-Mark aus Mitteln des Bundes und des Landes Rheinland-Pfalz konnte die unvermeidlich gewordene Schließung der Hütte noch einmal für kurze Zeit abgewendet werden. Die Versuche, eine tragbare Lösung für die Energieversorgung des Werkes zu finden, führten indessen zu keinem Ergebnis. Nach dem Auslaufen der auf ein Jahr befristeten Subventionierung kam für die Hütte in Ludwigshafen das endgültige „Aus“. Im November 1983 wurden Betriebsrat und Belegschaft informiert, dass die Hütte wegen unzureichender Preise und wegen der hohen Stromkosten nicht mehr lebensfähig sei und stillgelegt werden müsse 13. Wenig später stellte auch die Tonerdefabrik in Ludwigshafen den Betrieb ein. Alcoa hatte diesen Betriebsteil 1980 von dem Konkursverwalter erworben und die Anlagen auf
449 die Produktion von Spezialtonerde für die Industrie umgestellt. Die Schließung des Werks, das zuletzt eine Kapazität von 140.000 Jato hatte, wurde mit seiner mangelnden Rentabilität begründet. Hütte und Tonerdefabrik wurden abgerissen. Von dem einstmals stolzen Unternehmen in Ludwigsburg überlebten nur die Chemie- und Pharmabetriebe, die seit Mitte der 70er Jahre einer israelischen Firma gehörten. Die beiden „amerikanischen Hütten“, die Kaiser in Voerde und Reynolds in Hamburg errichtet hatten, hatten es wesentlich leichter mit der Erfüllung der neuen Umweltvorschriften, da sie von Anfang an mit verkapselten Öfen ausgerüstet worden waren. Die von Kaiser und Reynolds verwendeten Ofentypen, die sich nur geringfügig voneinander unterschieden, erleichterten auch die Einführung einer elektronischen Steuerung des Elektrolyseprozesses, nachdem die Entwicklung leistungsfähiger Prozessrechner die Voraussetzungen für eine Automatisierung der Ofenführung geschaffen hatten. Welche enormen Produktivitätsfortschritte bei bestehenden Hüttenwerken durch ständige Verbesserungen des Elektrolyseprozesses möglich waren, zeigt das Beispiel der Kaiser-Hütte in Voerde. Bis zum Ende der 90er Jahre konnte die Heißmetallerzeugung um fast ein Drittel auf über 85.000 Tonnen pro Jahr gesteigert werden. Erreicht wurde die Kapazitätsausweitung durch die kontinuierliche Erhöhung der Stromstärke, die im Laufe der Jahre von ursprünglich 133.000 Ampere auf über 170.000 Ampere angehoben wurde. Neben der Installation einer modernen Computersteuerung war hierfür vor allem die Umstellung auf größere Anoden erforderlich. Durch die Vergrößerung der Anodenfläche wurde die Stromdichte reduziert, was eine rationellere Nutzung der eingesetzten elektrischen Energie erlaubte. Die eingesparte Energie stand für die Erhöhung der Heißmetallproduktion zur Verfügung. Die Stromausbeute – wichtigster Indikator für die Effektivität des Elektrolysebetriebes – konnte von ursprünglich 86 Prozent auf etwa 95 Prozent gesteigert werden. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Umstellung der Oxidaufgabe auf das System der „Punktfütterung“. Bei den spezifischen Stromkosten erreichte Voerde trotz aller Bemühungen um Effizienzverbesserung mit 14,5 kWh/kg nicht ganz den Standard der modernsten Generation von Elektrolyseöfen, deren Verbrauch knapp über 13 kWh/kg liegt14. Die am Ende der 60er Jahre mit den Stromlieferanten vereinbarten Verträge hatten durchweg eine Laufzeit von 20 Jahren. Nach Ablauf dieser Periode konnten die Abnehmer eine Fortsetzung des Lieferverhältnisses verlangen, mussten sich aber mit dem Stromversorger über den zukünftigen Strompreis einigen. Die Verhandlungen zwischen der Alusuisse und dem Badenwerk hatten gezeigt, wie schwierig es war, eine Preisvereinbarung zu treffen, die den Belangen beider Seiten gerecht wurde. Die Hüttenbetriebe bestanden auf langfristigen Liefer- und Preisvereinbarungen, die eine verlässliche Grundlage für die mit hohen Kosten verbundene Modernisierung der Hüttenanlagen schaffen sollten. Der Strompreis sollte sich an den Stromkosten der internationalen Konkurrenz orientieren, mit denen die deutschen Hütten im Wettbewerb standen. Die Stromversorger taten sich schwer mit diesen Forderungen der Industrie.
450 Es dauerte geraume Zeit, bevor das RWE von seiner Position abrückte, man wolle nach dem Auslaufen der Altverträge grundsätzlich vom Tarif für industrielle Großabnehmer ausgehen, der um fünfzig bis hundert Prozent über den von den Hütten gezahlten Strompreisen lagen. Unzugänglich zeigte sich das RWE damals auch gegenüber den Vorschlägen der Aluminiumhersteller, den Strompreis nach amerikanischem Vorbild in gewissem Umfang an den jeweiligen Marktpreis für Hüttenaluminium anzubinden, womit den zyklischen Ausschlägen des Aluminiummarktes Rechnung getragen werden sollte. Wenn es schließlich trotz aller Widerstände zu Vereinbarungen kam, durch die der Fortbestand der Hütten in Norf, Essen, Voerde, Stade und Hamburg über die Jahrtausendwende hinaus gesichert erschien, so war dies vor allem der Einsicht der Stromversorger zu verdanken, dass die Aluminiumhütten in Deutschland tatsächlich mit dem Rücken zur Wand standen. Die Energieunternehmen standen vor der Alternative, entweder auf die Forderungen der Industrie einzugehen und den Unternehmen sehr weitgehend entgegen zu kommen, oder aber auf die Aluminiumhütten als Großabnehmer zu verzichten. Das Eigeninteresse am Fortbestehen der Hütten gab letzten Endes den Ausschlag für ein Einschwenken der Stromversorger auf eine Linie, die den Hüttenbetreibern eine Weiterführung der Betriebe ermöglichte. Die Strompreise blieben auch in den 90er Jahren und nach der Jahrtausendwende die Schicksalsfrage der deutschen Aluminiumhütten. Steigende Strompreise stellten eine ständige Bedrohung der Hütten dar, die wie ein Damokles-Schwert über den Betreibern schwebt. Daran hat auch die Liberalisierung des Strommarktes nichts ändern können. Zusätzliche Belastungen ergaben sich durch das Gesetz über die erneuerbaren Energien, die in der Ergebnisrechnung der Hütten trotz weitgehender Befreiung von der EEG-Umlage mit Millionenbeträgen zu Buche schlagen. Mit dem früheren Elbewerk der VAW in Stade musste im Jahr 2005 nach Ludwigsburg ein weiterer Betrieb der neuen Hüttengeneration wegen mangelnder Wettbewerbsfähigkeit geschlossen werden. Als Grund für die Schließung nannte Hydro Aluminium (der die Hütte seit dem Erwerb der VAW gehörte) den starken Anstieg der Strompreise in Deutschland. Wenig später kündigte der norwegische Konzern auch die Schließung der Hütte der HAW in Hamburg an und begründete dies ebenfalls mit dem teuren deutschen Strom. Offenbar sah der Chef der Trimet Aluminium AG, Heinz-Peter Schlüter, der in den 90er Jahren die Alusuisse-Hütte in Essen erworben hatte, eine Überlebenschance für das von den Norwegern aufgegebene Werk. Er kaufte die bereits stillgelegte Hütte 2006 und nahm sie wieder in Betrieb 15. Im Rheinwerk drosselte Hydro Aluminium die Produktion im Krisenjahr 2009 wegen der hohen Stromkosten auf 20 % der Kapazität. Anfang 2013 wurde die Produktion in dieser größten Aluminiumhütte in Deutschland wieder hochgefahren, nachdem die EU-Richtlinie über die Erstattung der im Strompreis enthaltenen CO2-Kosten verabschiedet worden war. Mit Sorge verfolgt die Industrie das von der EU-Kommission eingeleitete Beihilfeverfahren, das die weitgehende Befreiung der stromintensiven Betriebe von der EEG-Umlage
451 in Frage stellt. Unmittelbar von der Schließung bedroht ist derzeit vor allem die Aluminiumhütte in Voerde, deren Betreibergesellschaft Voerdal im Mai 2012 Insolvenz angemeldet hat 16. Angesíchts der radikalen Veränderungen auf dem deutschen Energiemarkt seit der Energiewende von 2011 fällt es schwer, eine günstige Zukunftsprognose für die verbleibenden deutschen Hütten zu geben.
18.3 Aluminiumwalzer 17 Durch den Bau neuer Walzwerke in Norf (VAW/Alcan), Koblenz (Kaiser) und Hamburg (Reynolds) und durch den Ausbau und die Modernisierung der älteren Werke in Singen (Alusuisse), Grevenbroich (VAW) und Göttingen (Alcan) war in Deutschland in den 60er und 70er Jahren eine leistungsfähige Walzwerksindustrie entstanden, die ihre führende Position im europäischen Markt in den folgenden Jahrzehnten noch weiter verstärken konnte. Von 1970 bis 1990 hat sich die Produktion der deutschen Walzwerke fast verdreifacht. Walzprodukte haben in dieser für die Aluminiumindustrie schwierigen Periode ihre Stellung als mengenmäßig wichtigste Produktgruppe weiter ausgebaut. Für die Konzerne wurde die Walzhalbzeugproduktion neben der Erzeugung von Primäraluminium zur wichtigsten Säule ihres Aluminiumgeschäfts. Unter den deutschen Walzern nahm die VAW mit großem Abstand den ersten Platz vor Alcan und der Alusuisse ein. Die europäische Rangliste führte dagegen der AlcanKonzern an, der auch in England und Italien über bedeutende Walzaktivitäten verfügte. Auf den weiteren Plätzen folgten Pechiney, Hoogovens, Alusuisse und Reynolds. In den 90er Jahren konnte VAW den Rückstand gegenüber Alcan verringern und den Abstand zu den anderen europäischen Walzern deutlich ausbauen 18. Ihre überragende Stellung auf dem Walzsektor verdankten VAW und Alcan der in den 1960er Jahren getroffenen Entscheidung, gemeinsam ein großes Walzwerk zu errichten, dessen Dimensionen von vornherein auf den europäischen Markt zugeschnitten waren. Über Bau und Inbetriebnahme des Werkes in Norf haben wir in einem früheren Kapitel ausführlich berichtet. In den folgenden Jahrzehnten wurde der Ausbau des Werkes in einem geradezu atemberaubenden Tempo fortgesetzt. Eine erste Erweiterung erfolgte 1975 mit der Inbetriebnahme eines zweiten Kaltwalzwerkes, das in seinen Abmessungen dem 1967 installierten Quarto-Einweggerüst entsprach, mit einer Walzgeschwindigkeit von 1.650 Meter/Minute jedoch wesentlich schneller war als dieses. Weitere Kaltwalzwerke folgten in den Jahren 1980 und 1987. Während die drei ersten Gerüste noch für Bandbreiten von maximal 1.650 mm ausgelegt waren, konnte Alunorf auf der zuletzt installierten Anlage bis zu 2.130 mm breite Bänder walzen. Damit trug man der Entwicklung auf dem Gebiet der Folienwalztechnologie Rechnung, die inzwischen Fertigbreiten von über 2.000 mm erlaubte. Seit dem Ende der 80er Jahre produzierte das Norfer Warmwalzwerk an der Kapazitätsgrenze. Da eine Erweiterung der bestehenden Anlage aus technischen Gründen nicht in Betracht kam,
452 Tabelle 31: Produktion Walzwerk Norf 1969/1985 19 Gießerei Warmwalzwerk Kaltwalzwerk Belegschaft
1969
1985
58.000 t 148.000 t 64.000 t 472
338.000 t 549.000 t 476.000 t 1.279
entschlossen sich Alcan und VAW 1991 zum Bau einer zweiten Warmwalzstraße. Die neue Anlage („Norf II“) wurde parallel zur ersten Straße errichtet und war für eine Endkapazität von ebenfalls 700.000 Tonnen pro Jahr ausgelegt. Damit verbunden war die Installierung eines zweigerüstigen Tandem-Kaltwalzwerkes, das mit einer Kapazität von 350.000 Jato alle bisher gültigen Maßstäbe sprengte. Die neuen Walzanlagen suchten in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht ihresgleichen 20. Nach der Inbetriebnahme der zweiten Warmwalzstraße entfielen mehr als fünfzig Prozent der europäischen Warmwalzkapazität auf das Werk in Norf. Im Vergleich zu Alunorf nahmen sich die meisten Walzwerke der Konkurrenz in Europa wie Zwerge neben einem Riesen aus 21. Bevor wir uns den anderen deutschen Walzwerken zuwenden, wollen wir einen kurzen Blick auf die Marktentwicklung auf dem Walzsektor werfen. Dabei stellen wir vor allem fest, dass die Bedeutung des Exports in den 70er und 80er Jahren weiter zugenommen hat. Die deutschen Walzwerke nutzten die Chancen, die sich ihnen durch den Gemeinsamen Markt in Europa boten und profitierten auch von der Globalisierung der Märkte, die auf dem Walzsektor relativ früh einsetzte. Mitte der 80er Jahre machten die Exportlieferungen mehr als vierzig Prozent der deutschen Walzwerksproduktion aus. Die wichtigsten Exportmärkte blieben die europäischen Nachbarländer, in denen die deutschen Unternehmen schon seit den frühen 60er Jahren präsent waren. Im Laufe der 80er Jahren gewannen aber auch die überseeischen Absatzmärkte eine immer größere Bedeutung. Neben hochwertiger Veredlerfolie, die schon vor dem Krieg in die ganze Welt geliefert worden war, waren es vor allem Lithographiebleche, plattierte Bänder für Wasserkühler, Flugwerkstoffe und andere Spezialitäten, mit denen sich die deutsche Aluminiumwalzer auf den Absatzmärkten in Amerika und Asien einen Namen machten. Enttäuschend verlief die Entwicklung des Marktes für Dosen- und Deckelband, der in den Überlegungen von VAW und Alcan beim Ausbau des Werkes in Norf eine wichtige Rolle gespielt hatte 22. In Nordamerika waren Walzprodukte für die Dosenindustrie im Laufe der 70er Jahre zum bedeutendsten Mengenprodukt der Industrie geworden 23. In Europa erreichte der Anteil des Dosen- und Deckelband am Ende der 80er Jahre nicht einmal zehn Prozent der Walzproduktion 24. Wenn es VAW und Alcan trotzdem gelungen ist, die neuen Kapazitäten im Walzwerk Norf innerhalb von wenigen Jahren auszulasten, so verdankten sie dies vor allem der dynamischen Entwicklung des Marktes für Folien und Dünne Bänder.
453 VAW (Grevenbroich/Norf)
Die VAW hat die 70er Jahre genutzt, um die überkommenen Strukturen auf dem Walzsektor zu bereinigen. Nach der Inbetriebnahme des neuen Großwalzwerkes in Norf wurde die Produktion von Walzhalbzeug Schritt für Schritt dorthin verlagert. Die beiden Walzwerke in Hannover und Bonn und das Warmwalzwerk in Grevenbroich wurden stillgelegt, die Produktion von Platten ganz aufgegeben. Gleichzeitig wurde in Grevenbroich die traditionelle Folienfertigung zügig ausgebaut und der Aufbau neuer Fertigungslinien für den schnell wachsenden Dünnbandsektor in Angriff genommen. Mit diesen Maßnahmen verfolgte die VAW das Ziel, den Geschäftsbereich Walzerzeugnisse neben dem Hüttensektor zu einem zweiten Standbein zu entwickeln, der das Unternehmen gegen zyklische Schwankungen auf der Metallseite widerstandsfähiger machen sollte. Grundlage dieses Konzepts war der enge Verbund zwischen Alunorf und Grevenbroich, wobei dem Werk in Grevenbroich die Aufgabe zufiel, das in Norf hergestellte Vormaterial zu Aluminiumfolien und anderen hochwertigen Walzprodukten zu verarbeiten 25. Tabelle 32: Walzhalbzeugproduktion in Europa 1969/1984 (GDA) 1.000 t Deutschland Frankreich Belgien Italien Großbritannien
1969
1974
1979
1984
338 187 99 143 207
486 237 132 180 232
635 297 157 213 207
783 331 161 231 191
In den 80er Jahren wurde die Herstellung von Dünnen Bändern neben der Folienproduktion zu einer zweiten Säule des Geschäftsbereiches Walzprodukte. Auf dem Gebiet der Folienerzeugung nahm die VAW in den 90er Jahren in Europa den ersten Platz ein, weit vor der Alusuisse, die nach dem Krieg lange Zeit die Spitzenposition innegehabt hatte. Bei dünnen Folien (Veredlerfolie) war die VAW sogar Weltmarktführer. Auch bei der Fertigung von Lithographiebändern belegte die VAW weltweit eine Spitzenposition. Die Erfolge auf dem Folien- und Dünnbandgebiet sind dem Konzern nicht in den Schoß gefallen. Sie waren das Ergebnis einer konsequenten Unternehmenspolitik, die einen großen Teil der verfügbaren Investitionsmittel der VAW beansprucht hat und auch in schlechten Jahren durchgehalten wurde. Wir wollen die wichtigsten Etappen der Werkserweiterung in Grevenbroich seit dem Beginn der 70er Jahre kurz Revue passieren lassen: Mit der Inbetriebnahme der neuen Folienwalzstrasse „Serie I“ im Jahr 1971 erregte die VAW weltweites Aufsehen. Die automatisierten Transport- und Lagereinrichtungen sowie die Verlagerung der Walzwerke auf die erste Etage der Produktionshalle waren seinerzeit einzigartig. Lieferant der fünfgerüstigen Folienwalzanlage war die Firma Achenbach, die sich in den 60er
454 Jahren als „Hauslieferant“ für Grevenbroich qualifiziert hatte 26. 1976 wurde das Investitionsprogramm mit dem Bau einer Adjustageeinrichtung für dünne Bänder fortgesetzt. Mit der Inbetriebnahme einer Bandlackieranlage für Dünnband im Jahr 1981 wurde der Veredlungsbereich weiter ausgebaut. Ihr folgte 1985 die Errichtung einer Produktionslinie für das Segment „Offsetplatten für die Druckindustrie“. 1987 nahm eine weitere ultramoderne Anlage zur Herstellung von Veredlerfolie den Betrieb auf. Das als „Serie II“ bezeichnete Folienwalzwerk konnte erstmals Veredlerfolien mit einer Breite von zwei Metern herstellen. Das erforderliche Vorwalzband lieferte das neue Kaltwalzwerk in Norf, das für Fertigungsbreiten von 2.100 mm ausgelegt war. Die maximale Walzgeschwindigkeit der wiederum von Achenbach gelieferten Gerüste lag bei über 2.000 Meter pro Minute 27. Nach der Inbetriebnahme der neuen Anlagen, für die 260 Millionen D-Mark in Grevenbroich und weitere 140 Millionen D-Mark für die notwendige Erweiterung der Kaltwalzkapazität in Norf und der Gießerei im Rheinwerk investiert wurden, verfügte die VAW in Grevenbroich über eine Folienwalzkapazität von fast 90.000 Jato. In den 90er Jahren ging der Ausbau des Werkes weiter. Im Zusammenhang mit dem Bau der zweiten Warmwalzstraße in Norf führte die VAW auch im Werk Grevenbroich umfangreiche Investitionen durch, mit deren Hilfe die Kapazität der Walzsparte bis Mitte der 90er Jahre auf rund 350.000 Jato erweitert wurde. Heute ist Grevenbroich mit einer Produktionskapazität von über 400.000 Tonnen (davon 120.000 Tonnen Folie) das größte Foliewalzwerk der Welt. Alusuisse (Singen) 28 Die Aluminium Walzwerke Singen (AWS) gehörten auch in den 70er und 80er Jahren zur Spitzengruppe der Aluminiumverarbeiter in Deutschland und in Europa. Ihren traditionellen zweiten Platz in der Rangliste der deutschen Aluminiumwalzer mussten sie allerdings an den Alcan-Konzern abgeben, der seine Beteiligung an dem Großwalzwerk Norf konsequent nutzte, um seine Marktposition in Deutschland und Europa auszubauen. Der Schwachpunkt der Werksanlagen in Singen war das aus den 50er Jahren stammende Warmwalzgerüst, das zwar im Laufe der Jahre mehrmals modernisiert und erweitert worden war, aber bei den Produktionskosten mit der Konkurrenz nicht mithalten konnte. Wie bereits berichtet, hatte man in Singen die Anschaffung eines neuen Warmwalzwerkes in der Erwartung hinausgeschoben, dass der in Essen aufgestellte Caster II einen großen Teil der benötigten Warmwalzleistung liefern könne. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. Im März 1986 gab die Alusuisse bekannt, dass die Bandgießanlage in Essen wegen der unbefriedigenden Absatz- und Erlössituation bis auf weiteres stillgelegt werde. Ein knappes Jahr später fiel die Entscheidung für die Modernisierung des Warmwalzwerkes in Singen. Mit einem Kostenaufwand von 50 Millionen D-Mark wurde Ende der 80er Jahre ein neues Duo-Quarto Warmwalzwerk installiert, das für Walzbreiten von 2.300 mm und Bundgewichte von bis zu vierzehn Tonnen ausgelegt war 29. Eine Besonderheit des Walzwerkes in Singen
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Abb. 48: Arwed Neuman Chef der deutschen Alusuisse-Gruppe 1980–1988
Abb. 49: Dietrich H. Boesken Chef der deutschen Alusuisse-Gruppe 1988–1992
war die enge Verknüpfung von Warm- und Kaltwalzwerk, die es dem Unternehmen erlaubte, Folienvorwalzbänder in einem kontinuierlichen Walzprozess herzustellen. Zu diesem Zweck hatte man die Walzstrasse schon 1978 mit einem dreigerüstigen Kaltwalzteil in Konti-Anordnung ausgerüstet, auf dem das warmgewalzte Material nach Abkühlung in einem einzigen Durchgang bis auf 0,7 mm Dicke heruntergewalzt werden konnte. Das neue Gerüst wurde als Ersatz für das vorhandene Warmreversier-Duo aus den 50er Jahren in die bestehende Walzstrasse eingebracht. Es konnte alternativ als Quarto oder als Duo betrieben werden. Die letztere Betriebsweise erlaubte die Fertigung von hoch glänzendem Band – eine Spezialität von Singen. In der Verlautbarung über das neue Warmwalzwerk hieß es, Singen werde sich verstärkt auf die Erzeugung von Produkten mit hoher Wertschöpfung und einen großen Anteil an Spezialitäten konzentrieren. Genannt wurden Glänzqualitäten für Kfz-Zierleisten, Fassadenbleche, Folie und Dünnband sowie Alucobond (ein Verbundmaterial aus Aluminium und Kunststoff für die Bauindustrie). Die Alusuisse hat damit aus der Not eine Tugend gemacht. Auf dem Markt für Standard- und Massenprodukten hätte das Werk in Singen auch nach der Modernisierung der Warmwalzanlagen mit Alunorf, Neuf-Brisach und anderen Hochleistungswalzwerken nicht mithalten können. Bei
456 Folie und Dünnband hat Singen seine Position als eines der weltweit leistungsfähigsten Walzwerke behaupten und ausbauen können. Die Investitionen in den 70er und 80er Jahren dienten vor allem der Stärkung dieses Produktbereichs, der auch nach dem Krieg den Schwerpunkt des Werkes in Singen bildete. Kernstück der Investitionen war ein 1978/1979 installierte Quarto-Walzgerüst modernster Bauart, das für die Fertigung von dünnen Bändern und Vormaterial für die Folienfertigung im Dickenbereich von 0,35 bis 0,02 mm vorgesehen war. Die Arbeitsbreite des neuen Gerüsts betrug maximal 1.690 mm, die Geschwindigkeit erreichte 1.550 Meter pro Minute. Auch in der Folienwalzerei ging man Ende der 70er Jahre bei der Installation neuer Walzgerüste zu Arbeitsbreiten von 1.675 mm über. 1984 mussten nach einem verheerenden Brand zahlreiche Folienwalzwerke ersetzt werden. Etwa zeitgleich mit der Modernisierung des Warmwalzwerkes wurde 1987 in ein neues dreigerüstiges Kontiwalzwerk für Spezialoberflächen investiert, mit dem Singen seine Bedeutung als Spezialitätenwalzwerk unterstrich. Anfang der 90er Jahre wurden in Singen ca. 150.000 Tonnen Walzhalbzeug hergestellt. Etwas mehr als die Hälfte dieser Tonnage wurde zu Folie und Dünnband weiterverarbeitet.
Alcan (Göttingen, Lüdenscheid, Ohle) 30 Nach der Inbetriebnahme des Walzwerkes in Norf hat Alcan die Mission von Göttingen neu definiert: In Zukunft sollten im Werk Göttingen kaltgewalzte Bänder aus Norf oder aus eigener Produktion zu hochwertigen Spezialerzeugnissen verarbeitet werden. Zielprodukte waren lackierte Bänder und Bleche für die Innen- und Außenarchitektur, sowie Bänder und Bleche für Nahrungsmitteldosen, Aufreißdeckel, Schraubverschlüsse und Lithographieplatten, deren Oberfläche auf einer so genannten PTLVorbehandlungslinie das notwendige Finish erhielt. Die erforderlichen Anlagen wurden in den 60er und 70er Jahren installiert. Anfangs der 80er Jahre war Göttingen bei einbrennlackierten Aluminiumbändern und Blechen Marktführer auf dem europäischen Markt. In ihrer Firmengeschichte spricht Alcan von einer „Renaissance im Farbaluminium“. In den 80er Jahren wurde der Ausbau der Weiterverarbeitungsaktivitäten konsequent fortgesetzt. Wichtigste Investition war eine Bandveredlungsanlage für lackierte Bänder mit einer Breite von 2.100 mm, die 1987 den Betrieb aufnahm und im Endzustand für eine Jahresproduktion von 100.000 Tonnen lackierte Bänder ausgelegt war. Das Vormaterial für diese Anlage, die in Breite und Konfiguration damals einmalig war, bezog man aus Norf, wo Anfang 1987 das neue Kaltwalzwerk mit einer Fertigungsbreite von 2.100 mm in Betrieb gegangen war. Ende der 80er Jahre wurden in Göttingen über 100.000 Tonnen Walzprodukte produziert, mehr als dreimal soviel wie 1970. Ein weiterer Schwerpunkt der Verarbeitungsaktivitäten war der Foliensektor. Mit dem Erwerb von Hueck & Büren hatte Alcan Anfang der 70er Jahre einen ersten wich-
457 tigen Schritt zum Aufbau einer eigenen Folienwalzaktivität in der Bundesrepublik getan, den man im Zusammenhang mit der Errichtung des Großwalzwerkes in Norf sehen muss. In den Folgejahren wurde der Foliensektor weiter ausgebaut. Eine neue Größenordnung erreichte der Geschäftsbereich Folie und dünne Bänder anfangs 1982 mit dem Erwerb des Verpackungswerkes der Firma Ohler Eisenwerk Theodor Pfeifer in Plettenberg 31. Das Ohler Eisenwerk hatte in den 60er Jahren die Herstellung von Hartschalenbehältern aus Aluminiumfolie aufgenommen und in dem schnell wachsenden Markt für Menuschalen mit seinen ALPAC und OHLER Verpackungssystemen schon bald die Marktführerschaft erreicht. Mit einem jährlichen Foliebedarf von 6.000 Tonnen war Ohler anfangs der 80er Jahre der damals größte unabhängige Folienverarbeiter in der Bundesrepublik. Um eine optimale Versorgung der Folienverarbeitung im Werk Ohle sicherzustellen, entschloss sich Alcan 1987 zum Bau eines modernen Folienwalzwerkes. Die von Achenbach gelieferte Anlage in Ohle war für Fertigungsbreiten von 2.080 mm ausgelegt und belieferte auch die Folienbetriebe von Alcan in Lüdenscheid und Rohrschach (Schweiz) mit breiter Folie. Das erforderliche Vorwalzband lieferte das neue Kaltwalzwerk in Norf. Das erklärte Ziel des Unternehmens war es, die Walzbreite von 2.100 durchgängig in allen Stufen der Verarbeitung zu nutzen und damit Kapazität zu gewinnen und die Kosten zu senken. Ungeachtet aller Expansionsbemühungen blieb der Eigenbedarf der deutschen und europäischen Alcan-Betriebe weit hinter dem Produktionsanteil des Konzerns in Norf zurück. Alcan verkaufte daher einen Teil seiner Norf-Quote auf dem freien Markt. Dafür wurde in Göttingen eigens eine Verkaufsabteilung gebildet, die in den 70er und 80er Jahren beträchtliche Mengen an Walzprodukten aus Norf auf dem europäischen Markt vertrieb. Norf wuchs im Laufe der Jahre immer mehr in die Rolle einer zentralen Produktionsstätte hinein, in der der Alcan-Konzern die Produktion von Volumenprodukten für den gesamten europäischen Markt konzentrierte. Alcan war damit das erste Unternehmen der Branche, das die Chancen eines einheitlichen europäischen Marktes konsequent nutzte und eine Strategie für den gesamten europäischen Markt entwickelte 32.
Kaiser Aluminium Europe (Koblenz) 33 Wie bereits in einem früheren Kapitel berichtet, entschloss sich der Kaiser-Konzern nach der Auflösung der KAPAL-Partnerschaft zu einem großzügigen Ausbau des Plattensektors, für den das Koblenzer Werk mit seinem breiten Warmwalzwerk prädestiniert war. Mit einem Investitionsaufwand von 150 Millionen D-Mark wurde die Plattenkapazität in Koblenz in den Jahren 1979 bis 1983 in mehreren Schritten auf 45.000 Jato erweitert. Der Schwerpunkt des Investitionsprogramms lag auf dem Kapazitätsausbau für Platten aus aushärtbaren Legierungen. Diesem Ziel diente die Erweiterung der Glühofenkapazität durch die Installierung eines 140 Meter langen Durchlaufofens
458 modernster Bauart, in dem die Aluminiumplatten zur Erzielung höchster Materialfestigkeit im kontinuierlichen Verfahren lösungsgeglüht und abgeschreckt werden. Weitere Schwerpunkte der Investition waren ein Plattenrecker mit einer Reckkraft von 7.000 Tonnen – eine der leistungsfähigsten Anlagen dieser Art in Europa – sowie ein 3.600 mm breites Walzwerk für das Kaltwalzen von breiten Aluminiumplatten. Die Leistungsfähigkeit des Koblenzer Warmwalzgerüsts wurde durch die Verstärkung des Antriebs verdoppelt. Die neuen Anlagen waren für Plattenabmessungen von 24 Meter Länge und 3,6 Meter Breite ausgelegt. Mit diesen Formaten setzte das Koblenzer Werk neue Maßstäbe für die Herstellung von großen Silos und Behältern aus Aluminium. Auch im Schiffsbau konnten mit den großformatigen Platten neue Absatzmöglichkeiten erschlossen werden. Weitere wichtige Zielmärkte waren der Werkzeug- und Maschinenbau. Ende der 80er Jahre war Koblenz bei Aluminiumplatten Marktführer in der Bundesrepublik mit einem Marktanteil von über fünfzig Prozent. Bei der Spezialisierung des Koblenzer Werkes auf den Plattensektor spielte der Wunsch der deutschen Luftfahrtindustrie nach einer verlässlichen Bezugsquelle für Aluminiumplatten eine wichtige Rolle. Aus Aluminiumplatten wird ein großer Teil der Strukturteile des Flugzeugs im spanabhebenden Verfahren hergestellt 34. Mit dem Durchbruch des europäischen Airbus-Projektes gegen die übermächtige Konkurrenz in den USA gewann auch die deutsche Luftfahrtindustrie wieder an Bedeutung. Die deutschen Luftfahrtunternehmen, die seit der Schließung des Walzwerkes der VAW in Hannover auf Auslandslieferungen angewiesen waren, wie auch das Bundeswirtschaftsministerium in Bonn, bekundeten starkes Interesse an einer nationalen Versorgungsbasis für Flugwerkstoffe. Die Zusage der Messerschmidt-Bölkow-Blohm GmbH (MBB), des bedeutendsten Unternehmens der Branche in Deutschland, man werde das Koblenzer Werk mit einer angemessenen Quote an dem Bedarf beteiligen, gab schließlich den Ausschlag für die Großinvestition anfangs der 80er Jahre. Koblenz hatte schon Anfang 1979 in bescheidenem Rahmen mit der Produktion von Luftfahrtplatten begonnen. Der Erwerb einer gebrauchten Ultraschallprüfanlage und anderer unverzichtbarer Einrichtungen aus den Beständen des stillgelegten Walzwerkes der VAW in Hannover hatte den Einstieg in diesen äußerst anspruchsvollen Zweig der Aluminiumverarbeitung ermöglicht. In den 80er und 90er Jahren wurde die Herstellung von hochfesten Werkstoffen für die Raum- und Luftfahrtindustrie immer mehr zum Kerngeschäft des Koblenzer Unternehmens. Nach dem Verkauf von Kaiser Europe an den Hoogovens-Konzern Ende 1987 wurde der Ausbau der Plattenfertigung durch weitere Investitionen (vor allem in der Gießerei und im Plattenhandling) konsequent fortgesetzt. Ende der 80er Jahre hatte Koblenz auf dem europäischen Plattenmarkt, den es sich damals mit den Halbzeugwerken Issoire (Pechiney) und Kittsgreen (Alcan UK) teilte, einen Marktanteil von etwa dreißig Prozent. Im Zuge der rasch voranschreitenden Globalisierung des Wettbewerbs auf diesem Spezialsektor, der von wenigen großen Produzenten beherrscht wird, belieferte Koblenz seit Mitte der 80er Jahre auch Luftfahrtunternehmen im außereuropäischen Ausland.
459 Auch bei Bändern und Blechen betrieb Koblenz eine erfolgreiche Nischenpolitik mit Spezialprodukten. So ist das Werk in den 80er Jahren zum führenden Hersteller von lotplattierten Bändern für Automobilkühler und andere Wärmeaustauscher geworden. Der Siegeszug des Aluminiumkühlers in der europäischen Automobilindustrie eröffnete gute Absatzchancen für dieses Spezialprodukt, das das Koblenzer Werk in Zusammenarbeit mit der damaligen amerikanischen Muttergesellschaft und der Automobilzulieferindustrie entwickelt hat. Auch außerhalb der Automobilindustrie setzte sich das Aluminium bei der Herstellung von Kühlern und Wärmeaustauschern gegen das bisher verwendete Kupfer durch. Koblenz hatte Ende der 80er Jahre bei lotplattierten Bändern einen Marktanteil von über fünfzig Prozent in Europa und belieferte in steigendem Masse auch Kühlerhersteller in den USA und Asien 35. In den 90er Jahren wurde in Koblenz auch die Produktion von aushärtbaren Blechen für die Luftfahrtindustrie aufgenommen, die vor allem für die Außenhaut der Flugzeuge verwendet werden. Eine Sonderstellung nahm das Werk bei der Herstellung von extrem breiten Blechen ein, die für die Beplankung von Großraumflugzeugen benötigt werden. Im Stückwalzbetrieb wurden in Koblenz bis zu 3,3 Meter breite und 12,7 Meter lange Bleche für die Flugzeugindustrie gefertigt. Dank der erfreulichen Absatzentwicklung bei lotplattierten Bändern und anderen Spezialprodukten entwickelte sich die Bandfertigung neben dem Plattensektor zu einem zweiten wichtigen Geschäftsbereich des Koblenzer Walzwerkes. Die Errichtung eines neuen Kaltwalzwerkes zu Beginn der 90er Jahre, das die aus der Anfangszeit des Werkes stammenden Anlagen ersetzte, unterstrich die Bedeutung dieses Bereiches. Mit einem Aufwand von 185 Millionen D-Mark stellte sie die größte Investitionsmaßnahme in der Geschichte des Koblenzer Werkes dar. Das hochmoderne Sexto-Einweggerüst hat eine Kapazität von 80.000 Jato und verarbeitet Bunde mit einem Gewicht von bis zu zehn Tonnen bei Walzgeschwindigkeiten von tausend Meter pro Minute. Der Ausbau des Walzwerkes in den 90er Jahren machte aus Platzgründen eine Verlagerung der am Standort Koblenz installierten Strangpressen erforderlich. Seit 1997 ist Koblenz ein reines Walzwerk.
Hamburg (Reynolds) Das Hamburger Walzwerk wurde 1971/1972 als Teil eines aus Hütte und Verarbeitungswerk bestehenden riesigen Werkskomplexes auf dem Fabrikgelände im Hamburger Hafengebiet errichtet. Kernstück der Anlage war ein großes Warmwalz-Quarto mit einer Walzenbreite von 3.300 mm. Auf dem von der Firma Sack gelieferten Reversiergerüst konnten bis zu zehn Tonnen schwere Walzblöcke zu Aluminiumbändern verarbeitet werden. Es eignete sich aber auch für die Herstellung von schweren Platten in großer Dicke und Breite, wofür es allerdings kaum genutzt wurde. Das Hamburger Walzwerk verfügte über zwei moderne Kaltwalzgerüste mit Fertigungsbreiten von 1.500 mm bzw. 1.600 mm, auf denen das Warmband bis auf eine Dicke von 80 my
460 heruntergewalzt werden konnte. Für die Herstellung von Dünnband standen zusätzliche Einrichtungen, wie Reckanlagen und Be- und Entfettungsanlagen zur Verfügung. Mitte der 80er Jahre wurden in dem dreischichtig arbeitenden Walzwerk bei voller Kapazitätsauslastung 65.000 bis 70.000 Tonnen Walzhalbzeug hergestellt. Durch ein „upgrading“ des Warmwalzwerkes und die Installation eines weiteren Kaltwalzgerüstes hat Reynolds die Kapazität des Werkes anfangs der 90er Jahre auf 120.000 Jato erweitert und seine Wettbewerbsfähigkeit verbessert 36. Wie das Koblenzer Halbzeugwerk von Kaiser hatte auch das Walzwerk in Hamburg einen schwierigen Start im deutschen Markt. Beide Werke mussten hohe Anlaufsverluste verkraften und machten ihren Eigentümern in den USA wenig Freude. Hier enden allerdings die Parallelen. Während Koblenz durch eine konsequente Nischenpolitik den Durchbruch schaffte und auf seinen Spezialgebieten zu einem geachteten „global player“ wurde, ist es Reynolds in Hamburg über lange Jahre nicht gelungen, ein tragfähiges Erfolgskonzept zu entwickeln, mit dem sich das Werk auf bestimmten Marktsegmenten als Marktführer hätte profilieren können. So blieb für Hamburg im Wesentlichen nur der Markt für die weniger profitablen Massenprodukte. 1990 entfielen etwas mehr als die Hälfte der Produktion auf Standardprodukte, nur fünf Prozent auf Dosen- und Deckelband und zehn Prozent auf Folienvorwalzband. Die restlichen 35 Prozent waren vor allem Dünnbandprodukte für Konservendosen 37. Die Entwicklung der Walzwerksindustrie in den 90er Jahren und nach der Jahrtausendwende kann hier nur kurz skizziert werden. Die deutschen Walzwerke haben die turbulente Entwicklung der Aluminiumindustrie zu Beginn der 90er Jahre ohne Blessuren überstanden. Sie wurden von ihren Betreibern in der Folgezeit weiter ausgebaut und spielen bis heute eine führende Rolle in der europäischen und weltweiten Walzwerksindustrie. Alle haben (zum Teil mehrmals) den Eigentümer gewechselt. Koblenz ging 1987 an den Hoogovens-Konzern und nach dessen Fusion mit British Steel im Jahr 1998 an die britisch-niederländische Corus-Gruppe. Diese veräußerte das Werk 2006 an den US-amerikanischen Aluminiumverarbeiter Aleris International. Das Walzwerk in Hamburg wurde 1997 an die VAW verkauft, die auch die ReynoldsWerke in Italien und Spanien erwarb. Durch die Übernahme der VAW im Jahr 2002 erwarb Hydro nicht nur das Folienwerk in Grevenbroich und den VAW-Anteil an Norf sondern auch die erst wenige Jahre zuvor auf die VAW übergegangenen ehemaligen Reynolds-Werke. Der Alcan-Konzern hatte schon 2004 den größten Teil seiner Walzwerke in Europa und Amerika auf eine neue Gesellschaft übertragen, die diese Betriebe als selbständiges Unternehmen unter dem Namen Novelis Inc. weiterführte. Auch die deutschen Walzwerke des Konzerns in Göttingen, Lüdenscheid, Ohle und Nachterstedt und die Beteiligung an Alunorf gingen auf die Novelis-Gruppe über 38. Alusingen wurde 1998 Teil des Alcan-Konzerns, als dieser mit der Schweizer Muttergesellschaft fusionierte. Einige Jahre später ging die Gesellschaft in den Besitz der Rio Tinto Group über, die sich im Übernahmekampf um Alcan gegen die Alcoa durchge-
461 setzt hatte. Inzwischen hat Rio Tinto den Verpackungsbereich des Singener Unternehmens an die australische Amcor verkauft und das Walz- und Pressgeschäft in ein neues Unternehmen unter dem Namen Constellium Singen GmbH eingebracht, an der der amerikanische Investor Apollo maßgeblich beteiligt ist.
18.4 Presswerke, Gießereien und Hersteller von Endprodukten Presswerke Der Konzentrationsprozess, den wir auf dem Walzwerkssektor beobachten konnten, schritt bei den Pressern nur langsam voran. Ende der 80er Jahre entfiel noch immer mehr als die Hälfte der in der Bundesrepublik installierten Presskapazität auf die Unabhängigen. Den sechs Konzernbetrieben mit insgesamt 28 Pressen standen 22 unabhängige Presswerke mit einer Gesamtzahl von 64 Pressen gegenüber 39. Nur bei den großen Pressen mit einer Presskraft ab 3.500 Tonnen hatten die Konzerne ein klares Übergewicht, das sich vor allem durch den hohen Kapitaleinsatz erklärt, den die Installation solcher Pressen erfordert. Für die auf solchen Pressen gefertigten Spezialprofile für industrielle Anwendungen ist auch ein hoher Forschungs- und Entwicklungsaufwand erforderlich, den die meisten Mittelständler nicht leisten können. Das Erfolgsrezept der unabhängigen Presswerksbetreiber war die Spezialisierung auf bestimmte Segmente des Profilgeschäfts, auf denen sie den großen Konzernen Paroli bieten konnten. Eduard Hueck konzentrierte sich mit Erfolg auf hochwertige Fenster- und andere Bausysteme. Erbslöh baute seine Position als führender Anbieter von Zubehörteilen für die Automobilindustrie weiter aus. Otto Fuchs fertigte Spezialprofile und Schmiedeteile für die Luftfahrtindustrie und den Fahrzeugbau und wurde durch die Tochtergesellschaft Schüco zum europäischen Marktführer für Bausysteme. Honsel spezialisierte sich auf Profilprodukte für die Automobilindustrie und andere industrielle Anwendungen. Beim- Marktanteil dürften Unabhängige und Konzerne Ende der 80er Jahre etwa gleichauf gelegen haben, wobei die Unabhängigen bei den Bauprofilen deutlich vorne lagen, während die Konzerne bei den Industrieprofilen dominierten. Die Gesamtzahl der deutschen Presser hat sich in den 70er und 80er Jahren nur geringfügig verändert. Abgänge und Neugründungen hielten sich fast die Waage. Über das Ausscheiden von VDM und Dürener Metall wurde bereits in anderem Zusammenhang berichtet. Überraschend kam der Rückzug des Alcan-Konzerns aus dem Strangpresswerk in Uphusen, das 1987 zusammen mit vier weiteren europäischen Presswerken an die norwegische Hydro verkauft wurde. Alcan betrachtete das Pressgeschäft offenbar nicht mehr als Teil seiner Kernaktivitäten. Einige Jahre später trennte sich der Konzern auch von seinen Presswerken in Nordamerika. Mit den Wieland-Werken
462 trat Ende der 80er Jahre ein weiterer wichtiger Hersteller den Rückzug aus dem Profilgeschäft an. Die Aktivitäten des Ulmer Unternehmens auf dem Presssektor gingen in mehreren Schritten ebenfalls auf Hydro Aluminium über, die mit dem Erwerb der Wieland-Tochter Wicona auch in den Besitz des erfolgreichen WICONA-Fenstersystems gelangte 40. Durch Konkurs schieden die Firma Neumeyer in Offenburg und die Gebrüder Uhl in Vogt/Allgäu aus dem Wettbewerb aus. Das Presswerk der Gebr. Uhl mit angeschlossener Weiterverarbeitung wurde 1984 durch den Konkursverwalter an Kaiser Europe verkauft, das Presswerk in Offenburg ging an die schwedische SAPA. Völlig vom Markt verschwanden die Kreidler Metall- und Drahtwerke in Stuttgart, die mit fünf Pressen und einer Kapazität von ca. 7.000 Jato zu den größeren Herstellern von Press- und Drahterzeugnissen gezählt hatten. Das schon vor dem Ersten Weltkrieg gegründete Unternehmen hatte nach 1945 die Herstellung von Zweirädern aufgenommen und zuletzt bis zu 6.000 Mitarbeiter beschäftigt. Hohe Verluste im Zweiradgeschäft führten 1981/1982 zum Konkurs. Von den Neuzugängen verdient die Aluteam-Gruppe besonderer Erwähnung 41. Das in Mayen/Eifel ansässige Unternehmen begann im Krisenjahr 1975 mit der Produktion von Strangpressprofilen und entwickelte sich innerhalb weniger Jahre aus kleinsten Anfängen zu einem bedeutenden Firmenagglomerat, das am Ende der 80er Jahre gut drei Dutzend Firmen umfasste, die in der Produktion, Verarbeitung und im Vertrieb von Aluminiumprodukten im In- und Ausland tätig waren. 1990 erzielte die AluteamGruppe mit 1.400 Mitarbeitern einen Umsatz von rund einer Milliarde D-Mark 42. Der Firmengründer Dierk Behrmann und einige andere Kaiser-Mitarbeiter hatten sich 1974 selbstständig gemacht, nachdem Kaiser und VAW bei den Gesprächen über eine Fusion ihrer Verarbeitungsbetriebe die Schließung des Koblenzer Presswerks vereinbart hatten. Behrmann und seine Kollegen mieteten eine Schicht in einem niederländischen Presswerk und belieferten damit die Kunden von Kaiser, die ihnen gefolgt waren. Im Laufe der nächsten Jahre errichtete die Aluteam mit Zuschüssen des Landes Rheinland-Pfalz ein Presswerk in Mayen und erwarb oder errichtete eine Reihe von weiteren Verarbeitungsbetrieben, in denen außer Presshalbzeug auch Schmiede- und Formteile sowie die verschiedensten Fertigprodukte hergestellt wurden. Nach dem Rückzug der QuandtGruppe aus dem Aluminiumgeschäft übernahm die Aluteam-Gruppe anfangs der 80er Jahre die Aluminiumaktivitäten der Busch-Jaeger-Tochter Wildfang Metallwerke GmbH in Gelsenkirchen und die ebenfalls zur Quandt-Gruppe gehörende Wuppermetall GmbH mit einem Umschmelzwerk in Wuppertal-Barmen. Schon 1976 hatte Aluteam das stillgelegte Stammwerk der Dürener Metallwerke in Düren erworben und dort eine Gießerei eingerichtet 43. Der größte Coup gelang der Gruppe 1979 mit dem Erwerb der Aktienmehrheit an der Messing- und Leichtmetallwerke Unna AG in Unna/Westfalen. Die in Aluminiumwerk Unna AG umbenannte Gesellschaft hatte kurz zuvor die Aktivitäten auf dem Schwermetallsektor aufgegeben und sich in der Aluminiumverarbeitung auf den Presssektor konzentriert 44. Mit fünf Strangpressen von 750 bis 2.500 Tonnen Presskraft
463 zählte das Werk in Unna zu den mittelgroßen Produktionsstätten für Aluminiumprofile. Unter der Ägide der Aluteam wurden in Unna zwei große Pressen mit 3.500 Tonnen bzw. 4.500 Tonnen Presskraft für die Herstellung von großformatigen Profilen installiert. Mit dieser größten Investition in der kurzen Geschichte des Unternehmens wagte sich die Aluteam-Gruppe in ein Gebiet vor, das bis dahin die exklusive Domäne der großen Konzerne war. Der Erfolg blieb allerdings aus. Spätestens Ende der 80er Jahre war zu erkennen, dass die Finanzkraft des Unternehmens mit der rasanten Expansion nicht Schritt gehalten hatte. In Schwierigkeiten geriet die Gruppe, als die Preise für Hüttenaluminium 1988/1989 in die Höhe schossen und die Margen für Pressprodukte unter Druck gerieten. Nachdem noch 1985 von einem Gang an die Börse gesprochen worden war, flüchtete das Unternehmen 1991 unter das Dach des österreichischen AMAG-Konzerns, der schon 1988 eine Minderheitsbeteiligung erworben hatte. Der neue Eigentümer war in den 90er Jahren zu einer Sanierung der defizitären Unternehmensgruppe gezwungen, von der im wesentlich nur die beiden Presswerke in Mayen und Unna übrig blieben 45. Mit einem Anteil von fast vierzig Prozent an den Ablieferungen der deutschen Presswerke war der Baumarkt am Ende der 80er Jahre noch immer der größte Teilmarkt für Strangpressprofile 46. Der Anteil der Bauprofile ging aber langsam zugunsten der Lieferungen in andere Marktsegmente zurück, in denen höhere Zuwachsraten und bessere Margen erzielt werden konnten. Die Abschwächung der Baukonjunktur in der Bundesrepublik war nicht spurlos an dem Geschäft mit Bauprofilen vorbeigegangen. Der stagnierende Bedarf für Neubauten konnte nur zum Teil durch den gestiegenen Renovierungsbedarf ausgeglichen werden. Auch war der Markt für Bauprofile das bevorzugte Zielgebiet der ausländischen Konkurrenz, die zu Beginn der 90er Jahre auf diesem Marktsektor einen Anteil von ca. fünfzig Prozent erreichte. Viele Presswerke begegneten dem Margendruck auf dem hart umkämpften Baumarkt, indem sie sich auf hochwertige Profile für das Verkehrswesen, den Maschinenbau und die Elektroindustrie spezialisierten. Auch auf dem Presssektor lautete das neue Zauberwort „Fokussierung auf Produkte mit höherer Wertschöpfung“. In einem früheren Kapitel wurde über die Verwendung von großformatigen Profilen für die neue Generation von Schienenfahrzeugen in Ganzaluminiumbauweise berichtet. Weitere Anwendungen für Strangpressprofile im Industriebereich waren Motorengehäuse in der Elektroindustrie, LKW-Bordwände und Muldenkipper im Nutzfahrzeugbau, Kühlcontainer, Deckenund Wandschalungen im Ingenieursbau und Zwischendecks im Schiffsbau. Nur Hersteller mit großen leistungsfähigen Pressen und eigenem Design oder eigenen Systemen konnten auf diesen Spezialmärkten mithalten, auf denen überwiegend Profile aus harten Legierungen benötigt wurden. Auch im Industriegeschäft ging der Trend zur Herstellung von einbaufertigen Teilen, die zumeist als Spezialanfertigung in Zusammenarbeit mit dem Kunden entwickelt werden. Ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Anwender von Strangpresserzeugnissen ist das in den 80er Jahren von Alcoa und Audi gemein-
464 sam entwickelte Konzept für eine PKW-Karosserie aus Aluminium. Bei dem so genannten „Space-Frame-System“ besteht die tragende Struktur der Karosserie aus Aluminiumprofilen und Gussteilen, auf die eine Außenhaut aus Aluminiumblechen aufgebracht ist 47. Die serienreif entwickelte neue Technologie wurde zum ersten Mal beim Audi A 8 in die Praxis umgesetzt, der 1994 auf den Markt kam. Diese Luxuslimousine von Audi war das erste in Serie hergestellte Automobil mit einer Ganzaluminiumkarosserie. Tabelle 33: Produktion Pressprodukte in Europa 1969/1984 (GDA) 1.000 t Deutschland Frankreich Belgien Italien Großbritannien
1969
1974
1979
1984
186 116 68 86 148
262 169 104 142 198
349 244 104 210 211
306 255 108 230 181
Neue Chancen und Risiken ergaben sich für die deutschen Presser durch die Öffnung der Grenzen und die Bildung eines gemeinsamen Marktes in Europa. Auch auf dem Presssektor wuchsen die nationalen Märkte zusammen, wenn auch die Entwicklung wesentlich langsamer verlief als bei den Walzprodukten. Der größte Teil der Presserzeugnisse wurde weiterhin auf lokalen oder regionalen Absatzmärkten verkauft. Die Nähe zum Kunden spielte vor allem dort eine wichtige Rolle, wo spezielle Profile in enger Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Kunden entwickelt werden mussten. Allein durch Profillieferungen aus dem Ausland, ohne eine eigene Produktion im Inland, war ein nachhaltiger Erfolg auf dem Pressmarkt kaum zu erreichen. Auf dieser Prämisse beruhte auch die Strategie der wichtigsten Profilhersteller auf dem sich jetzt bildenden europäischen Profilmarkt. Pechiney hatte sich schon in den 70er Jahren durch die beiden Presswerke in Landau und Crailsheim eine starke Position auf dem deutschen Profilmarkt gesichert. Nach der Wiedervereinigung kam ein weiteres Werk in Magdeburg hinzu. Reynolds betrieb Presswerke in Spanien und verfügte in Nachrodt über eine leistungsfähige Lieferquelle für den deutschen Markt. Hoogovens errichtete nach der Wiedervereinigung ein Presswerk in Bitterfeld und baute die Presswerke in Vogt/Allgäu und Duffel (Belgien) aus. Durch die Übernahme des VAW-Presswerkes in Bonn im Jahr 1997 wurde die Gesellschaft zum größten deutschen Profilhersteller. Die Alusuisse nahm mit dem Presswerk in Singen hinter der VAW traditionell den zweiten Platz in der Bundesrepublik ein. In den 80er Jahre rückte die schwedische SAPA mit Werken in Schweden, England und Holland in die vorderste Reihe der europäischen Hersteller vor. Mit der Übernahme des Werkes in Offenburg war sie seit 1984 auch auf dem deutschen Markt präsent. Größter Erzeuger von Pressprodukten in Europa und auch weltweit Branchenführer war schon damals Hydro Aluminium, eine Tochtergesellschaft des norwegischen In-
465 dustriegiganten Norsk Hydro, die seit den 70er Jahren eine weltweit operierende Presswerksgruppe aufbaute. Durch den bereits erwähnten Erwerb des Alcan-Presswerks in Uphusen und der Wieland-Tochter Wicona fasste die Hydro-Gruppe auch in der Bundesrepublik Fuß 48. Später übernahm sie noch das Werk Rackwitz bei Leipzig aus der Konkursmasse der Firma Gottscholl, die dort nach der Wiedervereinigungn mit Bundeszuschüssen ein großes Presswerk aufgebaut hatte. Ende der 90er Jahre betrieb die Hydro-Gruppe weltweit 60 Presswerke mit 7.600 Beschäftigten, in denen sie ca. 350.000 Tonnen Profile produzierte 49. 2013 legten Hydro Aluminium und SAPA ihre Aktivitäten auf dem Presssektor zusammen. Das unter der Firma SAPA betriebene Gemeinschaftsunternehmen ist der weltweit größte Anbieter von Aluminiumprofilen. Aluminiumgießer Die Aluminiumgießer hatten in der ersten Nachkriegszeit hohe Zuwachsraten erzielt, die sie vor allem der stürmischen Nachfrage nach ihren Produkten durch die Automobilindustrie zu verdanken hatten. Die 70er Jahren brachten eine deutliche Verlangsamung des Wachstumstempos. In der Zeit von 1970 bis 1979 nahm die Erzeugung von Aluminiumgussprodukten gerade noch um dreißig Prozent zu – nach den hohen Zuwachsraten der 50er und 60er Jahre ein eher enttäuschendes Ergebnis, das seine Erklärung vor allem in den Erdölkrisen der 70er Jahre und den von ihnen verursachten wirtschaftlichen Schwierigkeiten findet. In der Folgezeit nahm das Tempo der Expansion wieder zu. Ungeachtet der Wirtschaftskrise zu Beginn der 80er Jahre konnten die Aluminiumgießer ihre Produktion in dem Jahrzehnt von 1980 bis 1989 um beachtliche fünfzig Prozent steigern. Auch in den 90er Jahren und nach der Jahrhundertwende setzte sich die insgesamt günstige Entwicklung fort, die allerdings immer wieder von Konjunktureinbrüchen unterbrochen wurde. Mit einer Jahresproduktion von einer halben Million Tonnen lagen die deutschen Aluminiumgießer am Ende der 80er Jahre weit vor ihren Konkurrenten in Frankreich, Italien und Großbritannien. Nur in den USA und in Japan wurde damals mehr Aluminiumformguss erzeugt als in der Bundesrepublik. Die deutschen Gießer verdankten ihre führende Position vor allem der starken inländischen Automobilindustrie, aus deren Fabriken in den 1980er Jahren fast jeder zehnte in der Welt produzierte PKW stammte. Ende der 80er Jahre gingen über siebzig Prozent der in Deutschland hergestellten Gusserzeugnisse aus Aluminium in den Straßenfahrzeugbau. Die überragende Bedeutung der Automobilindustrie als Abnehmer von Gusserzeugnissen hatte freilich auch ihre Schattenseiten. Die Aluminiumgießer haben es auf der Absatzseite mit weltweit tätigen Großkonzernen zu tun, die ihnen aufgrund ihrer Marktmacht die Bedingungen diktieren können. Mit der Globalisierung der Beschaffungsmärkte (global sourcing) und dem Bestreben der Abnehmer, die Beschaffung auf möglichst wenige Zulieferer zu konzentrieren (single sourcing) nahm der Wettbewerbsdruck auf die Metallgießer in den 90er Jahren weiter zu 50.
466 Umgekehrt ist auch die Autoindustrie auf eine enge Zusammenarbeit mit den Aluminiumgießern angewiesen, die nur im Rahmen einer langfristig angelegten Partnerschaft realisiert werden kann. Seit den Erdölkrisen der 70er Jahre ist sie einem ständig wachsenden Druck durch Politik und Öffentlichkeit ausgesetzt, den Treibstoffverbrauch ihrer Modelle zu verringern. Dabei kommt der Gewichtsreduktion durch Materialsubstitution eine entscheidende Bedeutung zu. Dies war und ist eine Chance für den Werkstoff Aluminium. Der schnell wachsende Anteil des Aluminiums am Gesamtgewicht der Fahrzeuge bestätigt, dass die Industrie ihre Chance genutzt hat 51. Der weitaus größte Teil des im Automobilbau eingesetzten Aluminiums entfällt auf Gussteile 52. Kolben für Verbrennungsmotoren werden seit den 60er und 70er Jahren ganz überwiegend aus Aluminium hergestellt. Auch die meisten Zylinderköpfe, Ansaugrohre, Getriebegehäuse und Lenkgehäuse waren Ende der 80er Jahre aus Aluminium. Der Durchbruch zur Fertigung kompletter Motorblöcke aus Aluminium stand damals kurz bevor. 1987 äußerte ein Vertreter der Industrie in der Fachzeitschrift ALUMINIUM: „Druckgegossene Motorblöcke können die Antwort der Aluminiumgießer auf die Wünsche der Automobilindustrie nach weiterer Leichtbauweise sein. Der Leichtmetallmotor hat gute Chancen sich durchzusetzen, wenn der Weg über den kostengünstigen Druckguss ermöglicht wird. … Der Aluminiummotorblock würde bei uns den Aluminiumanteil im Automobil sprunghaft um mehr als 50 % erhöhen“ 53. Zu diesem Zeitpunkt wurden in Deutschland Motorblöcke aus Aluminium nur in Modelle der Luxusklasse und der gehobenen Mittelklasse eingebaut. Der druckgegossene Vierzylinder-Reihenmotor aus Aluminium war damals noch auf Frankreich und Italien beschränkt. Erst im Laufe der 90er Jahre setzte sich der Aluminiummotor auf diesem Marktsegment auch in der Bundesrepublik durch. Anfangs des 21. Jahrhunderts hatten Motorblöcke aus Aluminium bereits einen Marktanteil von fast fünfzig Prozent 54. Für die Motoren der kleineren und mittleren Wagenmodelle hat sich der Druckguss als das kostengünstigste Herstellverfahren durchgesetzt. Vollautomatisch arbeitende Druckgießmaschinen mit Schließkräften bis zu 4.200 Tonnen produzieren heute Motorblöcke im Dreiminutentakt 55. Motoren für Modelle der Mittel und Oberklasse werden überwiegend im Niederdruck-Kokillenguss-Verfahren hergestellt, mit dem eine höhere Gussqualität erzielt werden kann 56. Auch in den 70er und 80er Jahren war der Aluminiumgusssektor durch das Nebeneinander von wenigen großen Herstellern und einer Vielzahl von kleinen und kleinsten Betrieben gekennzeichnet, über das wir in einem früheren Kapitel berichtet haben. Die Eigengießereien der vier großen Automobilfirmen Volkswagen, Ford, BMW und Daimler-Benz produzierten 1988 rund 120.000 Tonnen Aluminiumguss für ihren eigenen Bedarf. Weitere 55.000 Tonnen Aluminiumguss wurden in den Eigengießereien von sieben großen Unternehmen erzeugt, die daraus Felgen oder Kolben herstellten. Diese elf Firmen machten fast 40 Prozent der Gesamterzeugung von 450.000 Tonnen Gießereiprodukten aus. Weitere 35 Prozent der deutschen Gussproduktion entfielen auf eine Handvoll großer Kundengießereien. In die restlichen 25 Prozent teilten sich 30
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Abb. 50: Folienwalzwerk in Grevenbroich (1988)
mittelgroße und 350 kleinere Betriebe, von denen die meisten weniger als fünfzig Mitarbeiter beschäftigten 57. Die bedeutendsten Hersteller von Aluminiumformguss waren unverändert die uns bekannten Firmen Mahle, Honsel und Kolbenschmidt 58. Bei den Herstellern von Aluminiumfelgen nahm die westfälische Borbet-Gruppe eine Spitzenposition ein, die sich seit dem Ende der 70er Jahre auf die Herstellung von Leichtmetallrädern spezialisiert hatte. Eine Veränderung in der Struktur der deutschen Gießereiindustrie bahnte sich anfangs der 90er Jahre an, nachdem sich die VAW entschlossen hatte, in großem Stil in die Produktion von Formguss einzusteigen 59. Das VAW-Management sah eine Chance, auf diesem Sektor ähnlich wie zuvor bei den Walzprodukten durch Markt-, Kosten- und Technologieführerschaft einen wettbewerbsfähigen und hoch rentablen Geschäftsbereich aufzubauen. Mit dieser Zielsetzung übernahm die VAW 1991 die Aluminiumgussaktivitäten der Eisenwerke Brühl, des führenden Herstellers von Motorblöcken und anderen Motorteilen aus Grauguss, und baute diesen Bereich in den folgenden Jahren mit beachtlichem Aufwand aus. In Dillingen entstand eine hochmoderne Aluminiumgießerei, in der Motorblöcke und Zylinderköpfe aus Aluminium nach einem vollautomatischen Sandgussverfahren hergestellt wurden. Schon zuvor hatte die VAW eine Mehrheitsbeteiligung an der Alumetall GmbH in Nürnberg erworben, die sich in den 90er Jahren auf die Herstellung von großen Druckgussteilen spezialisierte. Ende der 90er Jahre war die VAW weltweit größter unabhängiger Zulieferer der Automobilindustrie. In den sieben Gießereien des Konzerns in Europa und
468 Mexiko wurden 1999 870.000 Motorblöcke und 2.000.000 Zylinderköpfe aus Aluminium gefertigt 60. Das Engagement der VAW im Formgussbereich hat den Verkauf der Gesellschaft an Hydro Aluminium im Jahr 2002 nicht lange überlebt. Im Jahr 2005 wurden die Gießereiaktivitäten des Konzerns an einen mexikanischen Konkurrenten verkauft.
Hersteller von Endprodukten Wie wir gesehen haben, scheuten die großen Aluminiumkonzerne nicht davor zurück, die Entwicklung und Einführung von Endprodukten in die eigene Hand zu nehmen, wenn sie dies für die Markterschließung für erforderlich hielten. Der Foliensektor liefert dafür ein eindrucksvolles Beispiel. Aluminiumfolien werden heute in vielen Haushalten für das Frischhalten und Zubereiten von Lebensmitteln (z.B. Grillkartoffel) verwendet. Lanciert wurde die so genannte Haushaltsfolie von der Firma Reynolds in den USA, die ihre in Rollen abgepackte Folien nach dem Krieg unter der Marke „Reynold’s Wrap“ auf den Markt brachte. Es war einer der wenigen erfolgreichen Ausflüge eines Aluminiumproduzenten in den für Rohstoffhersteller ungewohnten Markt für Konsumgüter. Der Aufbau und Unterhalt eines weit verzweigten Vertriebssystems und kostspielige Werbekampagnen erforderten enorme Mittel. Für Reynolds hat sich dieser Aufwand gelohnt. Das Unternehmen blieb jahrzehntelang Marktführer für Haushaltsfolien. Andere Produzenten waren weniger erfolgreich. Bei dem Versuch, es Reynolds gleichzutun, holte sich Kaiser eine blutige Nase. Die Gesellschaft gab nach wenigen Jahren den Direktvertrieb der „Kaiser Quilted Foil“ auf und beschränkte sich fortan (wie die meisten Aluminiumproduzenten) auf die Belieferung von Grossabnehmern. In Deutschland hatte die Aluminium-Zentrale in den 30er Jahren einen ersten zaghaften Versuch unternommen, den deutschen Hausfrauen die Vorzüge der Haushaltsfolie nahe zu bringen. Nach dem Krieg machte die Industrie einen weiteren Anlauf. 1953 gründeten Alusingen, Hueck & Büren, Tscheulin und Rebag die Silpa GmbH für den gemeinsamen Vertrieb der von ihnen hergestellten Haushaltsfolien. Diese sollten unter der Markenbezeichnung „Silpafolie“ im Einzelhandel angeboten werden. Die Beteiligung an dem Gemeinschaftsunternehmen brachte den Gesellschaftern nur Verluste, da kein ausreichender Absatz erzielt werden konnte. 1955 wurde die Liquidation der Gesellschaft eingeleitet, aus der Tscheulin und Hueck & Büren bereits vorher ausgeschieden waren61. Der deutsche Markt war damals für die Haushaltsfolie noch nicht aufnahmebereit. Dabei spielte die konservative Einstellung der deutschen Hausfrauen eine Rolle. Auch waren die deutschen Haushalte zu dieser Zeit noch nicht in ausreichendem Maße mit Eisschränken, Tiefkühltruhen und Elektroherden ausgestattet, um die Vorzüge der Haushaltsfolie nutzen zu können. Eine Episode blieb auch das Engagement der Aluminiumkonzerne in einem anderen wichtigen Bereich der Verpackungsindustrie. Wie wir uns erinnern, entschlossen sich
469 Kaiser und Reynolds in den 60er Jahren zum Bau eigener Dosenwerke, in denen sie Aluminiumdosen nach dem neuen Tiefziehverfahren herstellten. Der Aufbau einer eigenen Dosenfertigung schien ihnen der beste Weg, der Aluminiumdose auf dem Getränkemarkt zum Durchbruch zu verhelfen, nachdem die großen Verpackungsfirmen es abgelehnt hatten, ihre Produktion von Weißblech auf Aluminium umzustellen. Der Erfolg hat den beiden Konzernen Recht gegeben. In der Erwartung, dass sich die Aluminiumdose auch in Europa durchsetzen würde, errichtete der Kaiser-Konzern 1968 in Recklinghausen das erste nach dem Tiefziehverfahren arbeitende Aluminiumdosenwerk in Europa 62. Die Markteinführung der Aluminiumdose bei den deutschen Brauereien und Softdrinkherstellern erwies sich freilich als äußerst schwierig. Das lag zum Teil an den unterschiedlichen Trinkgewohnheiten der Verbraucher in den beiden Ländern. Während in den USA seit jeher der größte Teil des Biers in Flaschen und Dosen abgefüllt wurde, lag in Deutschland der Anteil des Fassbieres bis in die 60er Jahre noch bei mehr als einem Drittel. Der Marktanteil der Dosen an der gesamten Bierabfüllung betrug 1969 weniger als ein Prozent gegenüber 46 Prozent in den USA. Auch die unterschiedliche Struktur der deutschen Brauereiindustrie spielte eine Rolle: In den USA wurde der Biermarkt von einer kleinen Zahl von Konzernen dominiert, die ihre Bierproduktion in riesigen Brauereien konzentriert hatten, von denen sie den gesamten Biermarkt der USA belieferten. Die Gewichtsvorteile der Aluminiumdose gegenüber der Flasche fielen daher in Amerika viel stärker ins Gewicht als in Deutschland, wo zahlreiche kleine und mittlere Brauereien überwiegend regionale Märkte belieferten. In Deutschland (und anderen europäischen Ländern) stieß die Einführung der Aluminiumdose überdies auf den erbitterten Widerstand der Stahlindustrie. Anders als ihren Kollegen in den USA ist es den deutschen Herstellern von Weißblechdosen gelungen, ihre beherrschende Position auf dem Markt für Getränkedosen erfolgreich zu verteidigen. In den 70er Jahren entwickelte auch die Stahlindustrie eine zweiteilige Weisblechdose, die wie ihr Vorbild aus Aluminium im Tiefziehverfahren hergestellt wird. Mit Hilfe neuer Legierungen wurden beträchtliche Gewichtsreduzierungen erreicht und durch die Verwendung von zinnfreien Legierungen auch geschmackliche Nachteile der Weißblechdose (vor allem bei der Verpackung von Bier) ausgeräumt. In der Folgezeit setzten die Kontrahenten den Kampf um die Märkte zunehmend auch mit ökologischen Argumenten fort, wobei die Auseinandersetzung nicht immer frei von einseitigen und unsachlichen Behauptungen geführt wurde. In der Bundesrepublik ist die Aluminiumdose für Bier und Softdrinkgetränke bisher nicht über einen Marktanteil von fünfzig Prozent (2005) hinausgekommen 63. Trotz des schwierigen Starts hat sich der Bau des Dosenwerks in Recklinghausen auf lange Sicht als eine erfolgreiche Investition erwiesen. Das Unternehmen, dessen Kapazität im Laufe der Jahre von ursprünglich 125 Millionen Dosen auf über eine Milliarde Dosen pro Jahr ausgebaut wurde, wechselte mehrmals den Eigentümer und gehört heute dem weltweit tätigen Verpackungskonzern Rexam (London), der ein weiteres Dosenwerk in Berlin betreibt
470 und in Europa mit Dosenwerken in Großbritannien, Österreich und Schweden vertreten ist. Kaiser und Reynolds zogen sich schon in den 80er und 90er Jahren aus der Dosenfertigung zurück und verkauften ihre Dosenwerke in den USA und anderen Ländern an Unternehmen der Verpackungsindustrie. Als Hersteller von Dosenband profitierten sie weiterhin von dem weltweiten Erfolg der Aluminiumdose, zu dem sie wesentlich beigetragen hatten. Die Markteinführung des Kunststoff isolierten Aluminiumstarkstromkabels durch die amerikanischen Aluminiumkonzerne in den 50er und 60er Jahren ist ein weiteres Beispiel dafür, dass sich die Industrie auch auf völlig branchenfremdes Terrain wagte, wenn sie dies für den Markterfolg eines neuen Produktes für erforderlich hielt. In Deutschland hatten die Verwendungsverbote der Nazi schon in den 30er Jahren zur Einführung von isolierten Kabeln mit Aluminiumleitern geführt. Aluminiumkabel behielten ihren bescheidenen Platz auf dem Markt der isolierten Starkstromleitungen auch nach dem Krieg, nachdem das Kupfer wieder ausreichend verfügbar und relativ billig geworden war 64. In der Nachkriegszeit wurde die Produktentwicklung auf diesem Sektor vor allem von den amerikanischen Aluminiumproduzenten vorangetrieben, die in der Kabelfertigung ein interessantes neues Anwendungsgebiet für das Aluminium sahen. Da die amerikanische Kabelhersteller wenig Interesse für die neuen Aluminiumkabel bekundeten, entschlossen sich Kaiser, Reynolds und Alcoa Anfang der 50er Jahre, selbst die Produktion von Starkstromkabeln aufzunehmen, um den Einsatz von Aluminium auf diesem Gebiet zu forcieren. Sie errichteten eigene Kabelfabriken oder erwarben bisher unabhängige Kabelhersteller und stellten deren Produktion auf Aluminiumkabel um. Der Durchbruch kam in den 60er Jahren mit der Entwicklung des so genannten VPE-Kabels, dessen Dielektrikum – also die Isolierschicht – aus vernetztem Polyethylene bestand 65. Technisch wiesen die Aluminiumkabel keine Vorzüge gegenüber den traditionellen Kabeln mit Kupferleitern auf. Sie wurden von den Abnehmern aber aus preislichen Gründen bevorzugt, nachdem die Kupfernotierung in den 50er und 60er Jahren in die Höhe geschossen war. Der Erfolg auf dem amerikanischen Markt ermutigte den Kaiser-Konzern, auch in Europa in die Kabelfertigung zu investieren. Kaiser errichtete 1964 in Berlin ein Werk für die Herstellung von Aluminiumfreileitungen, das sich schnell zu einem der führenden Freileitungsproduzenten Europas entwickelte. Anfangs der 70er Jahre wurden in dem Berliner Werk auch Produktionsanlagen für die Herstellung von Starkstromkabeln installiert. Als erster Kabelhersteller in Deutschland führte das Berliner Unternehmen die neuen kunststoffisolierten Mittelspannungskabel auf dem Markt ein. Als Leitermaterial wurde ausschließlich Aluminium verwendet. Nach anfänglichen Vorbehalten der Abnehmer und nach Überwindung der technischen Kinderkrankheiten setzte sich diese Kabelkonstruktion auch bei den eher konservativen deutschen EVUs durch66. Das Berliner Kabelwerk war 1988 Gegenstand eines Management-Buyouts und ging in den 90er Jahren in den Besitz eines internationalen Kabelkonzerns über. Wegen Überkapazitäten auf dem Energiekabelbereich musste das Werk im Jahr 2000
471 geschlossen werden. Kaiser und die anderen amerikanischen Aluminiumkonzerne hatten ihre Aktivitäten auf dem Kabelsektor schon viele Jahre zuvor aufgegeben. Nach erfolgreicher Markteinführung überließ man das Feld den Spezialisten und partizipierte am Markterfolg des Aluminiumkabels durch Metalllieferungen an die Kabelindustrie.
Anmerkungen zum 18. Kapitel 1 Die Zeitschrift ALUMINIUM veröffentlichte seit Beginn der 80er Jahre Jahresberichte über die Entwicklung der Aluminiumindustrie in den wichtigsten Industrieländern der westlichen Welt. Verfasser des Berichts über die Lage der Industrie in der Bundesrepublik waren im jährlichen Wechsel Dr. H. Seebauer (VAW) und A. Neuman (Alusuisse). 2 Zitat aus VAW-Geschichte X, Seite 131. 3 Hutchcraft (Kaiser) erklärte vor der Aluminum Association am 29. Okt. 1982 in New York: „Es ist offensichtlich, dass die Aluminiumindustrie dieses Landes und der Welt einen fundamentalen und substantiellen Neuformierungsprozess durchmacht – eine Veränderung, die das Gesicht und das Wesen der Industrie verändert. Wir in der Industrie in den USA blicken auf eine ganz andere Zukunft, als wir sie vor 10 Jahren erwartet hatten und auf eine ganz andere Industrie“. 4 Die LME-Notierung für Dreimonatsware ging von 80 cents/lb im Jahr 1980 auf 47 cents/lb im Jahr 1982 (jeweils Jahresdurchschnitt) zurück. Den tiefsten Stand erreichte der Börsenpreis im Juni 1982 mit 44 cents/lb. 5 Zu den Aluminiumexporten aus Russland siehe den Artikel von Seebauer in ALUMINIUM 1993.396 ff. 6 Weltweit wurden 2009 36,9 Millionen Tonnen Hüttenaluminium produziert. Davon entfielen 13 Millionen Tonnen auf China. Das Land ist mit Abstand der größte Aluminiumproduzent, gefolgt von Russland und Kanada. 7 Das Gesetz erlaubte zwar in Härtefällen eine Befreiung von der Abgabe. Die so genannte Härteklausel wurde aber von dem dafür zuständigen Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft äußerst restriktiv gehandhabt. 8 In Grevenbroich konzentrierte die VAW ihre Umschmelzaktivitäten und erweiterte die bereits vorhandene Anodenfabrik zu einer Fertigungsstätte für Kohlestofferzeugnisse. In Lünen wurde eine Salzrückgewinnungsanlage zum Recycling des Ofenausbruches von Aluminiumschmelzhütten installiert. 9 Zu dem neuen Ofentyp, der seit 1977 im Erftwerk erprobt wurde: VAW-Geschichte X, Seite 110. 10 1993 wurde das Werk in Rheinfelden im Rahmen eines Management-Buyouts von dem Werksleiter Dr. Alois Franke und einem weiteren Mitarbeiter der Alusuisse übernommen. Franke wurde später Alleinbesitzer des Unternehmens. 11 Zur Installation der vier Prototypen des neuen 185.000 Ampere-Ofens: Winkhaus: „Moderne Technik am alten Standort – Modernisierung einer süddeutschen Aluminium-Hütte“ in ALUMINIUM 1980.575 ff. 12 Durch Verbesserung der Dachsprühanlagen in den Elektrolysehallen und die Installation eines elektronischen Überwachungssystems zur Störungserkennung wurden die Emissionen jedoch weiter reduziert („90 Jahre Rheinfelden“). 13 Zum „Endkampf“ um die Guilini-Hütte in Ludwigshafen: Chronik der Alcan Deutschland, Seite 64. 14 Die Angaben zu Voerde sind dem Artikel: „Erfolg durch Innovation in Technik- und Energie-
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management“ in dem Firmenjournal „Aluscop“ (Hoogovens Aluminium) aus dem Jahr 1999 entnommen. Das von Heinz-Peter Schlüter 1985 als Metallhandelsunternehmen gegründete Unternehmen stieg 1993 mit der Gründung der Aluminium Recycling GmbH in Gelsenkirchen in die industrielle Fertigung ein. 2001 entstand der „Geschäftsbereich Automotive“, der an den Standorten Harzgerode und Sömmerda Druckgussteile aus Aluminium herstellt. Durch den Erwerb der Hütten in Essen (1994) und Hamburg (2006) wurde die Trimet Aluminium AG zum größten deutschen Aluminiumproduzenten. 2011 beschäftigte die Gesellschaft 1.900 Mitarbeiter und erzielte einen Umsatz von 1,42 Mrd Euro. Offenbar hat der Insolvenzverwalter inzwischen einen Interessenten für die Hütte gefunden. Die Gießerei in Voerde wurde schon 2012 an Aleris International verkauft. Die technische Beschreibung der Walzwerke stützt sich auf das Übersichtswerk „Rolling Mills of the World“ und eine Untersuchung der englischen Beratungsfirma Commodities Research Unit Ltd. (CRU) über die Walzwerksindustrie aus dem Jahr 1991. Nach einer Untersuchung der Hoogovens Aluminium aus dem Jahr 1988 verfügte Alcan in Europa über eine Kaltwalzkapazität von 580.000 Jato und lag damit weit vor der zweitplazierten VAW, die es auf eine Kapazität von 325.000 Jato brachte. Auf den weiteren Plätzen folgten Pechiney und Hoogovens (beide 300.000 Jato), Alusuisse (250.000 Jato) und Reynolds (160.000 Jato). Quelle zu Tabelle 31: Chronik der Alcan Deutschland Seite 70. In einer Verlautbarung der Alcan heißt es dazu: „Die weitestgehende Automatisierung aller Abläufe, eine Verdoppelung des Coil-Gewichts auf jetzt 24 Tonnen, Coil-Durchmesser bis 2.700 mm – alle diese Maßnahmen führen dazu, dass trotz einer Personalreduzierung von ca. 1600 auf wenig mehr als 500 Mitarbeiter die Warmbandproduktion sich verdoppeln wird“ (ALUMINIUM 1994.169). Die Walzwerksstudie von CRU aus dem Jahr 1991 beziffert die durchschnittliche Kapazität der europäischen Walzwerke auf 88.000 Jato vs. 245.000 Jato in Nordamerika (Seite 21). Bilo (VAW) in ALUMINIUM 1984.151: „Wir wollen die Aluminiumgetränkedose“. 1990 gingen dort vierzig bis fünfzig Prozent der Walzprodukte als Dosenband oder Deckelband an die Hersteller von Getränkedosen. Mehrere Aluminiumwalzwerke in den USA spezialisierten sich auf die Herstellung von Dosenblechen und stellten ausschließlich oder ganz überwiegend Dosen- und Deckelband her. Diese „dedicated plants“ produzierten das Dosenband zu extrem niedrigen Kosten, wie sie für ein konventionelles Walzwerk mit breit gefächertem Produktionsprogramm nicht zu erreichen waren. Von den 2,3 Millionen Tonnen Walzhalbzeug, die 1988 in Europa produziert wurden, entfielen nur 210.000 Tonnen auf Dosen- und Deckelband (Quelle: Marktstudie der Hoogovens Aluminium). Geschäftsbericht der VAW für 1989: „Beherrschendes Thema der Unternehmenspolitik der 90er Jahre ist die Sicherung der Position im Walzmarkt durch den Ausbau von Grevenbroich und vor allem aber eine neue Walzstrasse in Norf“. Achenbach-Chronik, Seite 49 Die neue Walzanlage wurde erstmalig nach den Prinzipien des „Computer Integrated Manufacturing“ (CIM) konzipiert und betrieben. Ein Rechenzentrum übernahm die automatische Steuerung und Regelung des gesamten Walzvorganges. Mit einer Mannschaft von nur 65 Mitarbeitern konnten mit der Serie II 40.000 Tonnen Veredlerfolie pro Jahr produziert werden (Achenbach-Chronik, Seite 59 und Artikel: „Neues Folienwalzwerk wird den Verarbeitungsbereich der VAW stärken“ in ALUMINIUM 1986.556). Quelle: Festschrift zum 75-jährigen Bestehen von Alusingen 1987. Zum neuen Warmwalzwerk in Singen siehe den Artikel in ALUMINIUM 1992.38 ff.: „Singen verwirklicht schrittweise ein langfristiges Walzkonzept“. Den kontinuierlichen Walzprozess beschreibt Springe in ALUMINIUM 1994.293.
473 30 Über den Ausbau der Verarbeitungsbetriebe in Göttingen, Lüdenscheid und Ohle berichtet die Chronik der Alcan Deutschland. 31 Zur Geschichte des 1895 gegründeten Unternehmens: Chronik der Alcan Deutschland, Seite 87 ff. – Ferner Jubiläumsschrift „100 Jahre Werk Ohle“ (WWA Dortmund F 6032). 32 Es bereitete allerdings einige Mühe, die nationalen Alcan-Organisationen unter einem gesamteuropäischen Dach zusammenzuführen. Als schwierig erwies sich vor allem der Zusammenführung der Aktivitäten in Großbritannien mit denen auf dem Kontinent zu einer Region unter der einheitlichen Führung der europäischen Konzernzentrale in Genf. 33 Quellen: Erinnerungen des Verfassers und die unveröffentlichte „Chronologie zur Entstehung und Entwicklung des Halbzeugwerkes Koblenz“ von Klaus Renners. Zum Ausbau der Plattenfertigung 1979–1983 siehe auch ALUMINIUM 1983.560. 34 Beim Airbus A 320 besteht die Struktur des Flugzeugs zu etwa zwei Drittel aus Aluminiumbauteilen. Davon entfallen 63 % auf Platten, 17 % auf Bleche, 13 % auf Profile, 6 % auf Schmiedeteile und 1 % auf Guss. Seit der verstärkten Verwendung von „composites“ ist der Werkstoffanteil des Aluminiums nicht nur insgesamt zurückgegangen. Es werden auch deutlich weniger Platten und dafür mehr Profile und Schmiedeteile verwendet. 35 Für die Herstellung von Kühlern und anderen Wärmeaustauschern werden ein- oder beidseitig plattierte Aluminiumbänder verwendet. Beim Walzen der Bänder wird eine Plattierschicht aus einer Aluminium-Silizium-Legierung aufgebracht, die wegen ihres tieferen Schmelzpunktes beim Zusammenfügen der Kühlerelemente als Lotmaterial dient. (Siehe Reker: „Aluminiumkühler für PKWs“ in ALUMINIUM 1987.928). 36 In der Walzwerksstudie der Beratungsfirma CRU aus dem Jahr 1991 wurde die Wettbewerbsfähigkeit des Reynolds-Werkes als „durchschnittlich“ eingestuft. 37 Nach der Übernahme der europäischen Reynolds-Werke durch die VAW spezialisierte sich das Hamburger Werk auf die Herstellung von lotplattierten Bändern für Automobilkühler und andere Wärmeaustauscher und wurde auf diesem Gebiet zum Konkurrenten des Koblenzer Walzwerkes. 38 Von den europäischen Walzwerken blieben nur Neuf-Brisach, Issoire und Sierre (CH) bei Alcan. 39 Quelle: Aufstellung des Aluminium-Halbzeugverbands aus dem Jahr 1988. 40 Zur Übernahme von Wicona durch Hydro Aluminium: ALUMINIUM 1989.217. 41 Zur Aluteam-Gruppe siehe Interview mit Dierk Behrmann in ALUMINIUM 1989.126 ff. Ferner Artikel in Der Spiegel Nr.33/1985: „Den Uhu in die Wildbahn setzen“. 42 Börsen-Zeitung vom 3. Januar 1991: „Die Gruppe ist im letzten Jahrzehnt schnell auf rd. 1 Mrd. konsolidierten Weltumsatz gewachsen“. 43 Zur Akquisition von Betrieben der Busch-Jäger-Gruppe durch Aluteam: ALUMINIUM 1976.772 (Düren); ALUMINIUM 1982.92 (Wuppermetall) und ALUMINIUM 1982.143 (Wildfang). 44 Zur Übernahme von Unna durch Alteam: ALUMINIUM 1979.191. 45 Zur Sanierung der Aluteam-Gruppe in den 90er Jahren: ALUMINIUM 1993.899 und 1993.963. 46 Die Angaben zum Absatzmarkt für Profile stammen aus Untersuchungen der Hoogovens Aluminium. 47 E. Pfaffmann: „Internationale Technologie-Kooperation zwischen Audi und Alcoa“ in Digitale Fachbibliothek. Die Idee zum Space-Frame-System kam ursprünglich von Alcoa. Nachdem die amerikanische Automobilindustrie kein Interesse gezeigt hatte, wandte sich Alcoa an Audi. Später kam in Deutschland die Firma Honsel hinzu, mit der Alcoa eine gemeinsame Fertigungsstätte in Soest errichtete. 48 Schon Anfang der 80er Jahre hatte Norsk Hydro das Presswerk der BAG Aluminium GmbH in Berlin erworben. 49 Siehe das Firmenportrait von Joliet in ALUMINIUM 1994.420. 50 Auf der Jahrestagung der Wirtschaftsvereinigung Metalle 1992 sprach Hans-Dieter Honsel von
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einer „bald nicht mehr zu ertragende Abhängigkeit von der Automobilindustrie“ (ALUMINIUM 1992.296). Die Erfolge der Aluminiumindustrie dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Automobilbau heute und in der voraussehbaren Zukunft in erster Linie Stahl und Eisen eingesetzt werden. Neuerdings wird über die verstärkte Verwendung von Plastik-Verbundstoffen im Automobilbau berichtet, die das Aluminium vor allem im Karosseriebau bedrohen. Von den ca. 500.000 Tonnen Aluminium, die die deutsche Automobilindustrie Anfang der 90er Jahre verarbeitet hat, waren ganze zehn Prozent Walz-, Press- und Schmiede-Produkte. Artikel Schaefers (Honsel) in ALUMINIUM 1987.849: „Aluminium und Automobil“. Mitteilung der Firma Kolbenschmidt-Pierburg im Internet. Die Maschinenbaufirma Bühler Druckguss lieferte 2006/2007 zwölf komplette Druckgießzellen zur Herstellung hochwertiger Motorblöcke aus Aluminium an Hyundai Motor Company. Die Zellen haben Schließkräfte von 2.700 bis 4.200 Tonnen (Mitteilung vom 14. März 2007 im Internet). Bei dieser in den 70er Jahren eingeführten Variante des Druckgießverfahrens wird die Schmelze unter geringem Druck durch ein Steigrohr von unten in die Kokille gedrückt. Das Verfahren eignet sich vor allem für die Herstellung porenfreier Gussstücke hoher Festigkeit und wird daher auch für die Fertigung von Zylinderköpfen verwendet. Zur Struktur der Industrie: Geschäftsbericht des GDM für 1988. – Wolfgang Büchen: „100 Jahre Aluminiumformguss in Gießerei 1986.528 ff. Die beiden letzteren Unternehmen wechselten seither mehrfach den Eigentümer. Kolbenschmidt wurde 1994 von der Metallgesellschaft an den amerikanischen Dana Konzern verkauft. Seit 1997 gehört das Unternehmen der Rheinmetall AG und bildet zusammen mit Pierburg die Automobilsparte dieses Konzerns. Honsel wurde ab 1999 sukzessive an Finanzinvestoren verkauft und geriet 2008 in finanzielle Schwierigkeiten, die 2010 zum Konkurs führten. Ein Konsortium unter der industriellen Führung des kanadischen Automobilzulieferers Martinrea übernahm das Traditionsunternehmen, das jetzt unter der Firma Martinrea Honsel geführt wird. Die französische Tochtergesellschaft Fonderies Lorraines und das Nürnberger Honsel-Werk wurden an die ZF Friedrichshafen AG verkauft. ALUMINIUM 1992.369: „VAW strebt Spitzenposition bei Gussprodukten an“. Ferner Interview mit Schirner in ALUMINIUM 1993.406. Mitteilung der VAW (Kalenderbroschüre 2000). Zur „Silpafolie“: Rebag-Geschichte, Seite 53. Zum Bau des Dosenwerkes in Recklinghausen und zur Markteinführung der Aluminiumdose: Henning in ALUMINIUM 1969.300: „Aluminium-Getränkedose – neu in der Bundesrepublik“. Mitte der 90er Jahre war der Anteil der Weißblechdose auf dem Weltmarkt für Getränkedosen auf etwa 16 Prozent zusammengeschrumpft. Zur Geschichte des Aluminiumkabels in Deutschland: H. Sunderhauf (Siemens): „Die Verwendung von Aluminium in der Kabeltechnik“ in ALUMINIUM 1969.111. Zur Entwicklung der Starkstromkabel aus Aluminium in den USA: Vortrag Priestley (Kaiser) auf der Aluminiumkonferenz in Loeben 1968 (ALUMINIUM 1969.85). Publikation der Kaiser Kabel: „Auf neuen Wegen zum Ziel. 30 Jahre Kaiser Kabel“ (1993).
Anhang Die Aluminiumindustrie in der ehemaligen DDR (1945–1990) 1
Am Ende des Zweiten Weltkrieges war ein bedeutender Teil der deutschen Aluminiumindustrie in den Machtbereich der Sowjetunion gefallen. Mit den Elektrolysebetrieben in Lauta (62.000 Jato), Bitterfeld (38.000 Jato) und Aken (11.000 Jato) geriet fast die Hälfte der Hüttenkapazität im alten deutschen Reichsgebiet (ohne Österreich) unter die Kontrolle der Sowjets. Auch beim Sekundäraluminium war der Anteil der ostdeutschen Betriebe beträchtlich. Aus den Umschmelzwerken in Bitterfeld, Lauta, Rackwitz, Dresden (Elbtal-Schmelze) und Berlin (Havelschmelze, Emil Schmidt und Kayser-Hütten) stammte in den letzten Kriegsjahren mehr als ein Drittel der deutschen Sekundärproduktion. Mit den Halbzeugwerken in Bitterfeld, Hettstedt (Mansfeld), Leipzig (Rackwitz), Finow und Waren (Dürener Metall) und den Kabelwerken von AEG, Bergmann und Siemens-Schuckert im Großraum Berlin war auch die Aluminiumverarbeitung mit wichtigen Betrieben in der sowjetischen Besatzungszone vertreten. Die Industriebetriebe in Mitteldeutschland hatten weit weniger als die im Westen gelegenen Werke unter den Auswirkungen des Krieges gelitten und waren 1945 zum größten Teil unversehrt in die Hände der sowjetischen Truppen gefallen. Größere Kriegsschäden waren im Lautawerk entstanden, dessen Anlagen noch gegen Ende des Krieges durch alliierte Bombenangriffe weitgehend zerstört wurden. Die Sowjets begannen schon kurz nach der Besetzung Mitteldeutschlands mit der Demontage von zahlreichen Industriebetrieben. Insgesamt wurden in der sowjetischen Besatzungszone bis zum Frühjahr 1947 rund dreitausend Fabriken abgebaut und in die Sowjetunion verbracht. Dazu kamen große Mengen an Einzelausrüstungen, die man aus den verbliebenen Fabriken entnommen hatte 2. Auch die meisten Werke der Aluminiumindustrie waren von den Demontagen betroffen. Vollständig demontiert wurden die Aluminiumhütten in Bitterfeld und Aken. Von den Umschmelzwerken fielen die beiden ostdeutschen Betriebe der Dürener Metallwerke (Havelschmelze und Elbtalschmelze) sowie die Schrottaufbereitungsanlage in Lauta der Totaldemontage zum Opfer; die Umschmelzbetriebe an den Standorten Bitterfeld, Rackwitz und Berlin wurden teilweise demontiert. Bei den Verarbeitungswerken waren vor allem das Press- und Schmiedewerk des MG/IG Farben-Konsortiums in Bitterfeld sowie das ostdeutsche Walzwerk der Dürener Metallwerke in Waren am Müritzsee betroffen. Aus den meisten anderen Betrieben wurden einzelne Aggregate entnommen 3. Die demontierten
476 Anlagen sollten in der UDSSR zum Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Fabriken dienen. Der tatsächliche Nutzen für die Sowjetunion blieb aber weit hinter den Erwartungen zurück. Infolge unsachgemäßer Verpackung kamen die demontierten Anlagen häufig stark beschädigt am Bestimmungsort an und auch bei der Montage der zerlegten Anlagen ergaben sich große Probleme. Dies dürfte dazu beigetragen haben, dass die sowjetischen Behörden schon 1946 ihre Politik änderten und verstärkt auf Reparationsleistungen aus der laufenden Produktion setzten. Um diese sicherzustellen, wurden im Juni 1946 mehr als zweihundert der größten ostzonalen Fabriken zum Eigentum der UDSSR erklärt und in so genannte „Sowjetischen Aktien-Gesellschaften“ (SAG) umgewandelt. Aus der Metallindustrie gehörten dazu die Werksanlagen des MG-IG Farben-Konsortiums in Bitterfeld, ferner die Kabelund Halbzeugwerke der AEG in Berlin-Oberspree und die Metallverarbeitungswerke des Mansfeld-Konzerns in Hettstedt. Diese Betriebe standen fortan unter russischer Führung und lieferten einen Teil ihrer Produktion als Reparationsleistungen an die Sowjetunion. Bereits im Oktober 1945 hatten die sowjetischen Besatzungsbehörden die Beschlagnahme von rund zehntausend Gewerbebetrieben angeordnet, die dem Reich oder dem Land Preußen sowie angeblichen Kriegsverbrechern, Monopolisten oder Naziaktivisten gehörten. Über ihr Schicksal sollte eine Volksabstimmung entscheiden, die im Juni 1946 im Land Sachsen durchgeführt wurde und sich mit großer Mehrheit für die Überführung der beschlagnahmten Betriebe in Staatseigentum aussprach. 1948 erhielten die enteigneten Unternehmen ihre endgültige Rechtsform als so genannte „Volkseigene Betriebe“ (VEB). Zusammen mit den SAG-Betrieben stellten sie zu dieser Zeit ungefähr sechzig Prozent der ostzonalen Industrieproduktion her. Die SAG-Betriebe wurden von den Sowjets später an die deutschen Behörden zurückgegeben und nach ihrer Überführung in DDR-Staatseigentum ebenfalls als Volkseigene Betriebe geführt. Nach der ostzonalen Währungsreform am 23. Juni 1948 beschloss die SED den Übergang zur Planwirtschaft nach sowjetischem Muster. Es wurde eine ganze Hierarchie von Planungsbehörden geschaffen, an deren Spitze die Staatliche Plankommission stand. Reformbestrebungen in den 60er Jahren führten zu einer gewissen Lockerung der zentralen Kontrollen. Durch das 1963 eingeführte „Neue Ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft“ wurden die Befugnisse der „Vereinigungen Volkseigener Betriebe“ erweitert, die seit den 50er Jahren als ausführende Organe der staatlichen Plankommission für VEBs derselben Branche fungierten. Aber schon Ende der 60er Jahre schlug das Pendel wieder zurück. Die Branchenvereinigungen wurden durch riesige Industriekombinate ersetzt, in denen die angeschlossenen VEBs einer straffen einheitlichen Leitung unterstellt werden sollten. Die Aluminiumhütte in Bitterfeld wie auch die dort ansässigen Aluminium verarbeitenden Betriebe gehörten zum „VEB Chemie-Kombinat Bitterfeld“. Die Verarbeitungsbetriebe der NE-Metallbranche wurden im „VEB Mansfeld Kombinat Wilhelm Pieck“ mit Sitz in Eisleben zusammengefasst, zu dem auch die Elektrolyse und Oxidfertigung in Lauta sowie der VEB Vereinigte Blechverpackungswerke in Meißen gehörten. Andere weiterverarbei-
477 tende Betriebe wurden dem „VEB Kombinat Haushaltsgeräte“ mit Sitz in Chemnitz unterstellt, dessen Produktpalette auch Kochtöpfe, Bestecke und Verpackungen aus Aluminium umfasste. Die Kabelindustrie der DDR war seit 1967 in dem Kombinat Kabelwerke Oberspree (KWO) zusammengefasst, das neben Starkstromkabeln auch Drähte und blanke Seile aus Aluminium herstellte. Bis in die 60er Jahre hatte in der Wirtschaftsplanung der DDR die Schaffung einer schwerindustriellen Basis absoluten Vorrang. Schwerpunkte bei der Vergabe der Investitionsmittel waren die Grundstoffindustrie, die Produktionsmittelindustrie und die Energieerzeugung, deren Aufbau von der DDR-Führung energisch vorangetrieben wurde. Für die anderen Sektoren der ostzonalen Volkswirtschaft standen nur bescheidene Mittel zur Verfügung. Das waren keine günstigen Voraussetzungen für den Aufbau einer ostdeutschen Aluminiumindustrie nach dem Vorbild der Bundesrepublik oder anderer westeuropäischen Länder. Immerhin beschloss man schon 1950 – noch unter der Ägide der sowjetischen SAG-Führung – den Elektrolysebetrieb in Bitterfeld im bisherigen Umfang wiederaufzubauen. Da die verfügbaren Mittel knapp waren, verwendete man für die Elektrolyseöfen Zargen und andere Bauteile, die aus den Ruinen des Lautawerks geborgen wurden 4. An den Wiederaufbau des Hüttenwerks in Lauta machte man sich erst Mitte der 60er Jahre. Wie zuvor in Bitterfeld reichten auch jetzt die verfügbaren Mittel nicht aus, um eine Elektrolyse modernen Zuschnittes zu errichten. Mit einer Jahresleistung von 17.000 Jato erreichten die wiederhergestellten Werksanlagen nur ein Viertel der Kapazität des einstmals größten deutschen Hüttenwerks. Einer großzügigen Remontage stand wohl auch die chronische Energieknappheit der DDR entgegen 5. Günstiger war die Ausgangslage auf dem Verarbeitungssektor. In Hettstedt war in der Zeit des Dritten Reichs neben der bisherigen Schwermetallverarbeitung auch ein Aluminiumhalbzeugwerk entstanden, das den Krieg unversehrt überstanden hatte und im Sommer 1945 unter russischer Führung wieder in Gang gesetzt wurde 6. Auch in den Halbzeugwerken Rackwitz und Bitterfeld wurde die Produktion mit den verbliebenen Anlagen wenige Monate nach Kriegsende wieder aufgenommen. In Rackwitz entstand in den folgenden Jahrzehnten das größte Aluminiumstrangpresswerk der DDR. Am Standort Bitterfeld wurden neben Profilen und Gusserzeugnissen auch kleinere Mengen an Schmiedeerzeugnissen hergestellt 7. Eine bedeutende Kraftanstrengung unternahm die DDR-Führung Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre mit der Errichtung eines Aluminiumwalzwerkes in Nachterstedt/Sachsen-Anhalt 8. Durch diese Großinvestition „auf der grünen Wiese“ sollte der technische Rückstand auf dem Walzwerkssektor aufgeholt werden. Gleichzeitig wurde auch der Folienwalz- und -Veredlungsbetrieb in Merseburg modernisiert. Wie wir noch sehen werden, blieb der Walzwerksbau in Nachterstedt ein Torso. Das Werk hat erst nach der Wende als Konzernbetrieb seinen Platz im internationalen Wettbewerb gefunden. Wie in der Bundesrepublik war man auch in der DDR in den ersten Nachkriegsjahren für die Metallversorgung weitgehend auf Umschmelzaluminium angewiesen, das
478 aus dem reichlich vorhandenen Aluminiumschrott hergestellt wurde. Auch in späteren Jahren spielte die Sekundärproduktion eine wichtige Rolle, da die DDR ihren Metallbedarf nur zu einem kleinen Teil aus der eigenen Hüttenproduktion decken konnte. Das größte Umschmelzwerk der DDR wurde in Rackwitz betrieben, wo schon in der Nazizeit neben dem Walzwerk ein moderner Umschmelzbetrieb entstanden war. In den 80er Jahren wurden dort ca. 30.000 Tonnen Umschmelzaluminium hergestellt. Weitere Umschmelzwerke wurden an den Standorten Bitterfeld und Berlin-Niederschöneweide betrieben. Die Produktion von Sekundäraluminium lag Mitte der 80er Jahre mit ca. 60.000 Tonnen pro Jahr fast auf dem Niveau der Primärerzeugung. Diese erreichte 1987 mit 67.900 Tonnen ihren höchsten Stand, bevor sie in den beiden letzten Jahren vor der Wende stark zurückfiel 9. Etwa zwei Drittel der Hüttenproduktion der DDR entfielen auf die in den 50er Jahren wieder aufgebaute Hütte in Bitterfeld, deren Produktionsleistung im Laufe der Jahre durch Verfahrensverbesserungen auf etwa 50.000 Tonnen gesteigert worden war. Zur Leistungssteigerung trug vor allem die Mitte der 60er Jahre eingeleitete Erhöhung der Stromstärke bei. Die Belastung der nach dem Ausrüstungsstand von 1935 remontierten Öfen wurde von wenig über 30.000 Ampere schrittweise auf bis zu 45.000 Ampere erhöht 10. Über eine leistungsfähigere Ofentechnik verfügte die in den 60er Jahren gebaute Hütte in Lauta: Die für eine Stromstärke von 80.000 Ampere ausgelegten Elektrolyseöfen wurden zuletzt mit über 100.000 Ampere betrieben 11. Die Tonerdeversorgung der beiden Hütten erfolgte vor allem durch Lieferungen aus Ungarn und nach der Errichtung des Tonerdewerks in Lauta (Kapazität: 90.000 Jato) auch aus der eigenen Produktion. Da der Aluminiumverbrauch der DDR die Eigenproduktion um ein Beträchtliches überstieg, mussten große Mengen an Aluminium aus der Sowjetunion und anderen Ostblockländern importiert werden 12. Walzhalbzeug konnte in der DDR bis in die 70er Jahre nur auf den veralteten Walzanlagen in Hettstedt und Rackwitz produziert werden, die zum Teil noch aus der Kriegszeit stammten. Wie bereits erwähnt, sollte mit dem Neubau in Nachterstedt der Anschluss an die Walzwerkstechnik im Westen erreicht werden. Es fehlte aber an den erforderlichen Mitteln, um ein komplettes Walzwerk nach dem neuesten Stand der Technik zu errichten. An Stelle eines leistungsfähigen Warmwalzwerkes – dem Herz eines jeden Walzbetriebs – wurde aus Kostengründen eine aus der UDSSR bezogene Bandgießanlage installiert. Bei den russischen Castern handelte es sich um eine Neuentwicklung, die vor der Lieferung in die DDR noch nie im großtechnischen Maßstab genutzt worden war. Ihr Einsatz in Nachterstedt war erst nach aufwendigem Umbau möglich. Aber auch nach dem Umbau konnte man damit nur Warmwalzband für einfache Anwendungen herstellen 13. Um das Folienwalzwerk in Merseburg mit einwandfreiem Vormaterial beliefern zu können, musste teures Vorwalzband aus der Bundesrepublik bezogen werden. Für die Verarbeitung des Warmbands standen in Nachterstedt ein Quarto-Walzwerk als Vorwalzgerüst und ein Sexto-Feinwalz-Gerüst zur Verfügung (Kapazität: 60.000 Jato). Bei der Privatisierung des Werkes durch die Treuhandanstalt in den 90er Jahren galt das erst in der Spätphase der DDR angeschaffte hochmoderne
479 Sexto-Gerüst von Schloemann-Siemag als Filetstück. Auch das Presswerk in Rackwitz war zum Teil mit modernen Anlagen ausgerüstet, die die DDR allesamt von Herstellern in der Bundesrepublik bezogen hatte. Vier kleinere Pressen von SchloemannSiemag wurden hauptsächlich für die Herstellung von Stangen und Rohren eingesetzt. Für die Fertigung anspruchsvoller Profile standen zwei Pressen der Firma Demag mit 1.600 Tonnen bzw. 3.500 Tonnen Presskraft zur Verfügung. Die Gesamtproduktion in Rackwitz betrug zuletzt etwa 20.000 Tonnen pro Jahr, wovon mehr als ein Viertel an Kunden in die Bundesrepublik geliefert wurden. Das wesentlich kleinere Presswerk am Standort Bitterfeld brachte es mit seinem veralteten Maschinenpark auf eine Produktion von ca. 3.500 Tonnen Presshalbzeug und 350 Tonnen Schmiedeerzeugnisse. Nur wenige Betriebe der Aluminiumindustrie in der früheren DDR haben den Zusammenbruch des kommunistischen Regimes überlebt. Nach der Wende stellte sich bald heraus, dass die meisten Unternehmen der Branche im freien Wettbewerb nicht überlebensfähig waren. Wie ein großer Teil der DDR-Industrie mussten sie in den 90er Jahren durch die Treuhandanstalt abgewickelt werden. Die beiden Hütten in Bitterfeld und Lauta wurden schon wenige Monate nach der Wende stillgelegt. An eine Privatisierung dieser völlig unrentablen Betriebe war nicht zu denken. In Bitterfeld hatte man bereits im Dezember 1989 aufgrund eines Beschlusses der DDR-Regierung aus dem Jahr 1986 (!) mit der Stilllegung des Werkes I begonnen. Der mit Elektrolysezellen aus der Kriegszeit ausgerüstete Teilbetrieb arbeitete auch für DDR-Verhältnisse mit unverhältnismäßig hohen Kosten und stellte zudem mit seinen ungefilterten Fluorabgasen eine unerträgliche Umweltbelastung dar. Wegen Unwirtschaftlichkeit und hoher Umweltbelastung wurden im Laufe des Jahres 1990 auch das gesamte Hüttenwerk in Lauta und die Restelektrolyse in Bitterfeld geschlossen. Bessere Überlebenschancen wurden den Verarbeitungswerken der ehemaligen DDR eingeräumt. Presswerk und Umschmelzwerk in Rackwitz wurden 1994 von der westdeutschen Gottscholl-Gruppe übernommen, die beide Unternehmensteile mit Hilfe öffentlicher Mittel grundlegend modernisierte. Nach dem Konkurs der Gruppe, die sich offenbar mit dem Erwerb des ostdeutschen Unternehmens übernommen hatte, verkaufte der Konkursverwalter das Werk 1997 an Hydro Aluminium. Die Aluminiumverarbeitung in Hettstedt wurde schon 1992 an einen privaten Investor verkauft, der den Betrieb unter dem Namen Aluhett Aluminiumwerk GmbH weiter führte. Für das veraltete Presswerk in Bitterfeld fanden sich keine Interessenten. 1994 erwarb Hoogovens die für das Presswerk benutzten Gebäudeteile und installierte dort zwei aus dem Westen transferierte Pressen, mit denen in den folgenden Jahren ein erfolgreicher Pressbetrieb aufgebaut wurde. Das Walzwerk in Nachterstedt wurde 1994 von Alcan übernommen, die schon zu DDR-Zeiten Warmband und Vorwalzband nach Nachterstedt geliefert hatte. Alle Versuche, das Werk nach der Wende als selbstständiges Unternehmen weiterzuführen, waren gescheitert, da es über keine eigene leistungsfähige Warmwalzanlage verfügte. Im Zusammenhang mit dem spin-off der Verarbeitungswerke des Alcan-Konzerns wurde das Walzwerk 2004 in die Novelis Inc. eingebracht.
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Anmerkungen zum Anhang 1 Der nachfolgende Bericht stützt sich u.a. auf Informationen, die der Verfasser nach der Wende im Rahmen seiner Tätigkeit als Mitglied des Aufsichtsrates der Mansfeld AG erhielt. 2 Zu den Demontagen, zur Politik der sowjetischen Besatzungsmacht und zur wirtschaftlichen Situation der Ostzone und der DDR siehe Hardach, Seite 130 ff. 3 Die Situation der Aluminiumindustrie in der Sowjet-Zone nach dem Kriegsende wird in dem Artikel von Dr. Brandt: „Probleme der Industrie in der Ostzone“ in METALL 1947.26 beschrieben. 4 Zum Wiederaufbau der Hütte in Bitterfeld: Bitterfelder Chronik, Seite 156 ff und Jubiläumsschrift Bitterfeld 1966, Seite 17 ff. 5 Zum Lautawerk: Aluminium Smelters of the World (1988). – Auskünfte des letzten Leiters der Elektrolyse, Dr. Dietmar Brandner. 6 Zum Halbzeugwerk Hettstedt: „Mansfelder Kupferspuren: (027) Walzwerk Hettstedt“ (Internet). 7 Zu den Betrieben in Rackwitz und Bitterfeld: Besuchsnotiz des Verfassers von Dezember 1990. – Bitterfelder Chronik, Seite 161. – Hydro Internet. 8 Zum Walzwerk Nachterstedt: Besuchsnotiz des Verfassers von Januar 1991. 9 AMA Mitteilung Nr. 11/90. 10 Jubiläumsschrift Bitterfeld 1966. In Aluminium Smelters of the World (1989) wurde die Kapazität mit 55.000 Jato angegeben. Als Stromstärke wurden 45.000 A genannt. 11 Information Dr. Brandner. 12 Ein Teil der Einfuhren diente als Ersatz für das Hüttenaluminium, das die DDR zur Erzielung von Deviseneinnahmen im Rahmen des bilateralen Warenaustausches in die Bundesrepublik exportierte. In den 80er Jahren dürften die Aluminiumimporte aus dem COMECON-Gebiet mehr als 100.000 Tonnen im Jahr betragen haben. Die Exporte von Hüttenaluminium in die Bundesrepublik erreichten 1984 mit 24.000 Tonnen ihren höchsten Stand. Der Inlandsverbrauch der DDR an Rohaluminium betrug zu dieser Zeit etwa 200.000 Tonnen pro Jahr. 13 Bei meinem Besuch in Nachterstedt anfangs 1991 wurde ein kurz vor der Wende bestellter JumboCaster von Pechiney installiert (Kapazität ca. 14.000 Jato).
Quellenverzeichnis
I.
Jubiläumsschriften, Chroniken und andere Publikationen zur Geschichte der im Text behandelten Unternehmen
AIAG/Alusuisse Geschichte der Aluminium-Industrie-Aktien-Gesellschaft Neuhausen 1888–1938, hrsg. vom Direktorium der Gesellschaft, 2 Bände, 1942/1943 („AIAG-Geschichte“) Festschrift zum 75. Geschäftsjahr der Schweizerische Aluminium AG 1888–1963 (WWA Dortmund F 2081) Tobias Bauer u.a. (Hrsg.): „Silbersonne am Horizont – Eine Schweizer Kolonialgeschichte“, Zürich 1989 Cornelia Rauh: „Schweizer Aluminium für Hitlers Krieg? Zur Geschichte der Alusuisse 1918– 1950“. Band 19 der Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, München 2009 Adrian Knoepfli: „Im Zeichen der Sonne. Licht und Schatten der Alusuisse 1930–2010“ (Hrsg.: Alcan Holding), Zürich 2010 Alcan Duncan C. Campbell: „Global Mission. The Story of Alcan“. Band I 1985 (bis 1950). Band II 1989 „Chronik Alcan Deutschland 1928–1985“, hrsg. von Alcan Aluminiumwerk GmbH (Autor: Siegfried Huether), Eschborn/Ts. 1987 Alcoa Charles C. Carr: „ALCOA. An american enterprise“, New York/Toronto 1952 George D. Smith: „From monopoly to competition. The transformation of Alcoa 1888–1986“, Cambridge 1988 Alusingen Festschriften der Gesellschaft zu den Firmenjubiläen 1952, 1962 und 1987 A. Pastoors: „101 Jahre Aluminium – 75 Jahre Alusingen“ in ALUMINIUM 1987.1192 Cornelia Rauh-Kühne: „Hans-Constantin Paulssen (1892–1984): Sozialpartnerschaft aus dem Geiste der Kriegskameradschaft“ in P. Erker und T. Pierenkemper (Hrsg.): „Deutsche Unternehmer zwischen Kriegswirtschaft und Wiederaufbau. Studien zur Erfahrungsbildung von Industrieeliten“, Seite 109–192, München 1999 Aluminium-Folienfabrik GmbH Teningen: 50 Jahre Aluminiumfolien 1913–1963
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483 Honsel-Werke Festschrift „Fünfzig Jahre Honsel-Werke AG 1958“ (WWA Dortmund F 1312). „Eine Familie und ein Werkstoff. Geschichte eines Weges durch sechs Jahrzehnte. Zum 85. Geburtstag des verstorbenen Gründers der Honselwerke 1888–1973“ Hrsg. von der Gesellschaft Eduard Hueck Kurze Geschichte der Firma Hueck & Büren in Chronik Alcan Deutschland, Seite 84 (1987) Westfälische Rundschau vom 28. Oktober 1989: „175 Jahre Firma Eduard Hueck“ „Eduard Hueck – Lüdenscheid und die Spezialbleche. Eine chronologische Aufzeichnung 1945– 2000“, hrsg. von der Firma 2001 Otto Fuchs Hauszeitschrift „Der Fuchsbau“ 1999 Heft 56: „90 Jahre Firmengeschichte Otto Fuchs“ Jubiläumsschrift zum 100-jährigen Bestehen: „Chronik der Otto Fuchs KG 1910–2010“, hrsg. von der Gesellschaft (Autoren Holger Müller und Hans Ludwig Knau), 2010 Kaiser Aluminum Firmengeschichte: „A special difference. A history of Kaiser Aluminum & Chemical Corporation“, hrsg. von der Firma 1980 (Autorin: Mimi Stein) Publikation der Kaiser Aluminium Europe: „10 Jahre Hüttenwerk Voerde 1971–1981“ (1981) Publikation der Kaiser Kabelwerk Berlin: „Auf neuen Wegen zum Ziel. 30 Jahre Kaiser Kabel“ (1993) „Chronologie zur Entstehung und Entwicklung des Halbzeugwerkes Koblenz“. Unveröffentlichtes Manuskript aus dem Jahr 2008 (Verfasser: Klaus Renners) Kolbenschmidt „Karl Schmidt. Eine Chronik zum 50-jährigen Bestehen des Werkes“, Neckarsulm 1960 (Herausgeber: Karl Schmidt GmbH) Kreidler „Kreidler Drahtwerke Geschichte“ in www.kreidler-archiv.de Mahle Firmengeschichte „Arbeit an Grenzen. 50 Jahre Mahle“. hrsg. von der Gesellschaft 1970 Martigny Dominic Ruch, „Der schwierige Weg zum leichten Metall. 100 Jahre Aluminium Martigny SA“, Zürich 2009 Metallgesellschaft Sommer: „Die Metallgesellschaft. Ihre Entwicklung dargestellt für die Concern-Angehörigen 1881–1931“ (WWA Dortmund F 741) Walter Däbritz: „Fünfzig Jahre Metallgesellschaft 1881–1931“, Frankfurt/M. 1931 „75 Jahre Metallgesellschaft 1881–1956“ (WWA Dortmund F 798) „100 Jahre Metallgesellschaft 1881–1981“ in MG-Informationen Jg. 16 (1981) Heft 1 (WWA Dortmund 4513/1259) Walter Siess: „Geschichte der Metallgesellschaft. Die Wiedereingliederung in die Weltmetallwirtschaft. Die Zeit von 1956 bis 1981“. Unveröffentlichtes Manuskript 1993
484 R. V. Neher Festschrift: „Vor 50 Jahren. Robert Victor Neher AG 1910–1960“ (WWA Dortmund F 3373) Neumeyer „Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Kabel- und Metallwerke Neumeyer AG 1903–1953“ (WWA Dortmund F 29) Ohlerwerke Jubiläumsschrift „100 Jahre Werk Ohle 1889–1989“ (WWA Dortmund F 6032) Pechiney Gignoux, C.J.: „Histoire d’une entreprise francaise“, Paris 1955 Anthony Simon: „Issoire et Neuf-Brisach. Deux Usines Phares de l’industrie de l’aluminium“ (1999) Rheinfelden Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Hütte 1948, von Mitarbeitern verfasst und in mehreren Fortsetzungen in der Singener Werkszeitschrift „Der Arbeitskamerad“ veröffentlicht „Aluminium im Zeichen der Sonne“, Firmenpublikation 1965 (WWA Dortmund F 4012) „90 Jahre Aluminium Rheinfelden“, Firmenpublikation von 1988 Rebag „50 Jahre Rheinische Blattmetall AG (VAW Folien AG) Grevenbroich 1922–1972“. Hrsg. von der Gesellschaft, Autor: Dr. Kurt Richter („Rebag-Geschichte“) Selve Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Firma Basse & Selve 1861–1911 (WWA Dortmund F 413/2) Artikel „Basse & Selve Altena/Westfalen, Geschichte und Entwicklung der Firma und der übrigen Selveschen Werke“ in „Deutsche Industrie und deutsche Kultur“, 1914 Nr. 7 (WWA F 413/1) Jubiläumsschrift: „75 Jahre VDM-Zweigwerk Altena 1861–1936“ (WWA Dortmund F 413 und F 4513/1247) Tscheulin „Tscheulin und Schwesterwerk Alsacienne feiern 50-jähriges Bestehen“ in ALUMINIUM 1963.673 A. Pastoors in ALUMINIUM 1989.10: „Aluminiumwerk Tscheulin – in 75 Jahren vom Folienwalzwerk zum Veredlungsbetrieb“ Vereinigte Deutsche Metallwerke (VDM) „Festschrift zur Feier des 25-jährigen Bestehens der Heddernheimer Kupferwerk und Süddeutsche Kabelwerke AG und des 65-jährigen Bestehens des Unternehmens 1853–1893–1918“ (WWA Dortmund F 3342) „100 Jahre Carl Berg VDM Zweigniederlassung Werdohl 1853–1953“ (WWA Dortmund F 5950)
485 Festschrift zum 25-jährigen Bestehen der Gesellschaft 1955: „25 Jahre VDM“ (WWA Dortmund F 772) Artikel in Mitarbeiterzeitung für den Unternehmensbereich Verarbeitung der Metallgesellschaft, 1980: „50 Jahre VDM“ (WWA Dortmund F 4513/902) Zur Entwicklung der VDM nach dem Krieg: Dr. Walter Siess in „Geschichte der Metallgesellschaft 1956–1981“, Seite 118 ff Vereinigte Aluminium Werke (VAW) „Aufzeichnungen zur Geschichte der Vereinigte Aluminium Werke A.G. Berlin/Bonn“. Unveröffentlichtes Manuskript. 4 Bände (Archiv der Hydro Aluminium). Die Teile I bis III (1917– 1929) wurden von Gerhard Rüter, die Teile IV bis IX (1929–1969) von Dr. Edmund Heine verfasst. Autor des X. Teiles (1970–1979) ist Dr. Horst Weber „Aluminium aus deutschen Hütten“, Firmenpublikation 1958 (WWA Dortmund F 1374) VAW-Werkszeitschrift Vereint am Werk, 1967 (Heft 2): „50 Jahre VAW 1917–1967. Die Entwicklung unserer Betriebe“ (Archiv Hydro Aluminium) Dr. Mainhard Barzel: „75 Jahre – aus dem Leben der VAW“. Publikation der Gesellschaft 1993 Peter Josef Belli: „Das Lautawerk der Vereinigte Aluminium-Werke AG (VAW) von 1917 bis 1948“ (Berlin 2012) Vereinigte Leichtmetallwerke (VLW) Informationsschrift zum Werk Bonn: „Die VAW Leichtmetall GmbH gestern und heute“. Ca. 1972 „VLW 50 Jahre 1927–1977“ (WWA Dortmund F 5090) Westfälische Leichtmetall-Werke Werkszeitung der Duisburger Kupferhütte, Heft 15 vom Oktober 1961 (WWA Dortmund F 2014) Wutöschingen „Chronik der Aluminium-Werke Wutöschingen“. Unveröffentlichtes Manuskript 1977 („Chronik Wutöschingen“)
II. Archive Archiv des Gesamtverbands der Aluminiumindustrie (GDA): Unverzeichnete Bestände aus der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit Hoechst Archiv (HistoCom GmbH), Frankfurt/M: Nachlass Gustav Pistor Archiv der Stadt Düren: Bestände zur Dürener Metallwerke AG Betriebsarchiv der Chemie AG Bitterfeld-Wolfen Bundesarchiv: Manuskript Eberhard Neukirch (BA R 3112 – Reichsamt für Wirtschaftsausbau) Hessisches Wirtschaftsarchiv in Darmstadt: Aktenbestände des früheren Archivs der Metallgesellschaft Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Magdeburg: Bestände zum Aluminiumwerk Bitterfeld Stadtarchiv Essen: „Sammlung Waldemar Elsner“ zur Aluminiumhütte in Essen Archiv Hydro Aluminium in Bonn: VAW-Geschichte. Werkszeitschrift Vereint am Werk Westfälisches Wirtschaftsarchiv in Dortmund: Aktenbestände zu Carl Berg, Gustav Selve und anderen Unternehmen im westfälischen Wirtschaftsraum Archiv der Stadt Ludwigshafen: Guilini Chronik
486
III. Bücher und ausgewählte Zeitschriftenartikel Achenbach-Buschhütten: „550 Jahre Achenbach-Buschhütten“, hrsg. von der Gesellschaft 2002 Afflerbach, Rudolf: „Hargita“, Biographie im Eigenverlag, 1984 Altenpohl, Dietrich: „Aluminium von Innen betrachtet. Das Profil eines modernen Metalls“. Düsseldorf 1994 Baumbach, Werner: „Zu spät? Aufstieg und Niedergang der deutschen Luftwaffe“, Stuttgart 1977 Bocquentin, Jacques: „La fabrication de l’aluminium par électrolyse“ in Morel-Grinberg (Hrsg.): „Histoire technique de la production de l’aluminium“, Grenoble 1991, Seiten 22–130 Borchers, Wilhelm: „Aluminium“, Halle 1921 Born, Karl Erich: „Internationale Kartellierung einer neuen Industrie: Die Aluminium-Association 1901–1915“, Stuttgart 1994 Budraß, Lutz: „Flugzeugindustrie und Luftrüstung in Deutschland 1918–1945“, Düsseldorf 1998 Büchen, Wolfgang: „100 Jahre Aluminium und Aluminiumformguss“ in der Zeitschrift Gießerei 1986.390 ff und 528 ff Debar, Rudolf: „Die Aluminiumindustrie“, Braunschweig 1925 Denzel, Rosemarie: „Die chemische Industrie Frankreichs unter der deutschen Besetzung im 2. Weltkrieg“, Tübingen 1959 Ebert, Hans J.: „Messerschmitt Bölkow Blohm“, Stuttgart 1980 Edwards, Junius D., Frary, Francis C., Jeffries, Zay: „The aluminum industry. The story of aluminum“ 2 Bände, 1930 Ernst, Leonore: „Die Integration der europäischen Aluminiumindustrie“, Dissertation, Freiburg 1956 Fürstenberg, Carl: „Die Lebensgeschichte eines Bankiers“, niedergeschrieben von Hans Fürstenberg, Wiesbaden 1962 Fulda, Wilhelm, Ginsberg, Hans, Wrigge, Friedrich Wilhelm: „Die Tonerde: Aluminiumoxid“, Berlin 1964 Fulda, Wilhelm, Ginsberg, Hans: „Das Aluminium“, Berlin 1953 Galbraith, John Kenneth: „A Journey through Economic Time“, Boston – NewYork 1994 Gautschi, Alfred: „Die Aluminiumindustrie“, Zürich 1925 Grinberg, Ivan: „Aluminum. Light at Heart“, 2009 Grinberg, Ivan, Hachez-Leroy, Florence (Hrsg): „Industrialisation et sociétés en Europe occidentale de la fin du XIX siècle á nos jours – L’âge de l’aluminium“, Paris 1997 Grjotheim, K. u.a.: „Fundamentals of the Hall Heroult Process“, Düsseldorf 1982 Grüber, Fritz: „Die Entwicklung der Lüdenscheider Aluminiumwarenindustrie“, Dissertation Köln 1925 (WWA D 881) Günther, Georg: „Die Deutsche Rohaluminiumindustrie“, Dissertation, Leipzig 1931 Hardach, Karl: „Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert“, Göttingen 1979 Heckel, Adolf: „Geschichte und Aufbau der deutschen Aluminiumindustrie“, Dissertation, Nürnberg 1948 (Archiv GDA) Hostert, Walter: „Die Entwicklung der Lüdenscheider Industrie vornehmlich im 19. Jahrhundert“, Dissertation, Lüdenscheid 1960 Johne, P.: „Das Aluminium-Jahrhundert – ein Kapitel Technik-Geschichte“ in ALUMINIUM 1986.892 ff.
487 Jungbluth, Rüdiger: „Die Quandts“, Frankfurt/M. 2002 Klein-Burton: „Germany’s Economic Preparations for War“, Cambridge 1959 Klein, Engelbert, Mäcking, Walter: Handbuch der Werkstoffe für die gesamte Metall verarbeitenden Industrien“, Berlin 1941 König, Martina: „Die Geschichte der Aluminiumindustrie in Österreich unter besonderer Berücksichtigung des Werkes Ranshofen“, Dissertation Wien 1994 Krause, Hugo: „Das Aluminium und seine Legierungen“, Wien und Leipzig 1923 Marlio, Louis: „The Aluminium Cartel“, Washington 1947 Melchior, Paul: „Aluminium. Die Leichtmetalle und ihre Legierungen“, Berlin 1929 Menegoz, Daniel: „Protection de l’environnement autour des usines d’électrolyse“ in MorelGrinberg (Hg.): „Histoire technique de la production de ’aluminium“, Grenoble 1991, Seiten 131–174 Milward, Alan S.: „Die deutsche Kriegswirtschaft 1939–1945“, Stuttgart 1966 Milward, Alan S.: „The new order and the French economy“ Oxford 1970 Milward, Alan S.: „The fascist economy in Norway“, Oxford 1972 Margairaz, Michel: „L’Etat, les finances et l’economie. Histoire d’une conversion 1932–1952“, thèse de doctorat 1989 Marschall, Luitgart: „Aluminium. Metall der Moderne“, München 2008 Müller, Alfred: „Die Kriegsrohstoffbewirtschaftung 1914–1918 im Dienste des deutschen Monopolkapitalismus“, Berlin 1955 Neher, F.L.: „Kupfer/Zinn/Aluminium“. 1942 Leipzig Ostermann, Friedrich: „Anwendungstechnologie für Aluminium“, Düsseldorf, 2007 Peck, Merton J.: „Competition in the Aluminum Industry 1945–1958“ Cambridge, 1961 Petrick, Fritz: „Der Leichtmetallausbau Norwegen 1940–1945. Eine Studie zur deutschen Expansions- und Okkupationspolitik in Nordeuropa“, Frankfurt/M. 1992 Pinner, Felix: „Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter“, Leipzig 1918 Pitaval, Robert: „Histoire de l’Aluminium – Métal de la Victoire“, Paris 1946 Petzina, Dietmar: „Autarkiepolitik im Dritten Reich. Der nationalsozialistische Vierjahresplan“ Stuttgart 1968 Plumpe, Gottfried: „Die IG-Farbenindustrie AG – Wirtschaft, Technik und Politik 1904–1945“, Berlin 1990 Pohl, Manfred: „VIAG Aktiengesellschaft 1923–1998. Vom Staatsunternehmen zum internationalen Konzern“, München/Zürich 1998 Rauch, Ernst: „Geschichte der Hüttenaluminiumindustrie in der westlichen Welt“, Düsseldorf 1962 Roeper, Hans/Weimar, Wolfram: „Die D-Mark. Eine deutsche Wirtschaftsgeschichte“ Frankfurt/ Main 1996 Schoenebeck, Dr.: „Aluminiumzollprobleme. Zollstudie der Metallwirtschaft“, Berlin 1929 (WWA Dortmund D 547) Schweer, Dieter/Thieme, Wolf (Hg.): „Der gläserne Riese. RWE – ein Konzern wird transparent“, Essen 1998 Schwarz, Roland: „Aluminium für die Elektrotechnik. Wirtschaftliche und technische Bedingungen einer Werkstoffinnovation zu Beginn des 20. Jahrhunderts“ in Technikgeschichte 60 (1993), Seiten 107–128 Soergel, Werner: „Metallindustrie und Nationalsozialismus. Eine Untersuchung über Struktur und Funktion industrieller Organisationen in Deutschland 1929–1939“, Frankfurt/M. 1965
488 Stobart, Patrick D.: „Centenary of the Hall & Héroult Process 1886–1986“ London 1986 (Herausgeber: IPAI) Thomas, Georg: „Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft (1918 bis 1943/45)“, hrsg. von Wolfgang Birkenfeld, Boppard 1966 Tröger, Richard: „Die deutschen Aluminiumwerke und die staatliche Elektrizitätsversorgung“, Berlin 1919 Tröger, Richard: „Geschichtliches zur Gründung der deutschen Aluminiumindustrie im Ersten Weltkrieg“, 1962 (Archiv GDA) Wagenführ, Rolf: „Die deutsche Industrie im Krieg 1939–1945“, Berlin, 1963 Winkel, Harald: „Die Ausbeutung des besetzten Frankreich“ in „Kriegswirtschaft und Rüstung 1939–1945“, Seite 333 ff Wilkening, Siegfried und Winkhaus, Günter: „100 Jahre Aluminium – Schmelzflusselektrolyse“ in Zeitschrift für Metallkunde 1986.351 ff Zerleeder, Alfred v.: „Technologie des Aluminiums und seiner Legierungen“, Leipzig 1938 Zerleeder, Alfred v.: „Aus der Geschichte des Aluminiums. Fünfzig Jahre Aluminiumelektrolyse“ in ALUMINIUM 1936.163–172.
IV. Zeitschriften, Sammelwerke und Statistische Veröffentlichungen Salmuth, Dr. Curt Freiherr von: „Die Aluminiumindustrie der Welt“, 4. Auflage, Düsseldorf 1969 („Salmuth 1969“) Statistische Sammlungen der Metallgesellschaft („MG-Statistik“) Directories of the World Aluminium Industry (GDA) Primary Aluminium Smelters and Producers of the World Aluminium Extrusion Plants of the World Aluminium Rolling Mills of the World Aluminium-Statistik. Bundesrepublik Deutschland. Zusammengestellt vom Gesamtverband der Aluminiumindustrie (GDA) Statistische Zusammenstellungen des Aluminium-Halbzeugverbands 1966–1984 (GDA) Capacity and Production of Primary Aluminium of the Western World (Publikation der European Aluminium Association) Joliet, Hans (Hrsg.): „Aluminium. Die ersten hundert Jahre“, Düsseldorf 1988. Das Buch enthält Artikel und Auszüge aus Büchern zur Geschichte der Aluminiumindustrie und des Werkstoffes Aluminium („Joliet“) Cahiers d’histoire de l’aluminium-Journal for the History of Aluminium. Publikation des Institut pour l’histoire de l’aluminium in Paris seit 1987 („Cahiers“) Aluminium, Fachzeitschrift der deutschen Aluminiumindustrie („ALUMINIUM“) Zeitschrift für Metallkunde Gießerei – Die Zeitschrift für Technik, Innovation und Management („Gießerei“) Metall – Wirtschaft – Wissenschaft – Technik („METALL“)
Bildquellen
Achenbach Buschhütten: 17, 38 ALUMINIUM: 1, 2, 3, 4, 6, 18, 24, 25, 27, 29, 33, 35, 36, 37, 39, 42, 43, 48, 49 Aluminium Rheinfelden: 5 Aluminium-Werke Wutöschingen: 7 Aluminium-Zentrale: 12, 31 Aluminium Norf: 34, 44 AMAG: 23 Bayerisches Wirtschaftsarchiv: 13 Berg – David Schwarz-Carl Berg-Graf Zeppelin: 9 Festschrift Basse & Selve 1911: 10 Deutsche Fotothek Dresden (F. Eschen): 32 Eduard Hueck: 19, 28 Firmenprospekt Biskupek: 40 Hessisches Wirtschaftsarchiv: 8, 11 Hydro Aluminium: 16, 30, 47 Novelis Deutschland (Göttingen): 20, 45, 46 Picture alliance/dpa: 22 Pistor – Hundert Jahre Griesheim: 15 Pohl – VIAG 1923–1998 (Piper Verlag): 21 Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft 1931: 14 Stadtarchiv Bitterfeld: 26 Voerdal: 41 Nicht in allen Fällen war es möglich, die Rechtsinhaber geschützter Abbildungen zu ermitteln. Selbstverständlich werden berechtigte Ansprüche auch nach Erscheinen des Buches erfüllt.
Personenregister
Adenauer, Konrad 262 Albert, Heinrich 91 Albrecht, Carl 130 Apel, Hans 395
Franke, Alois 471 Freyberg, Ulrich Frh. von 408 Fuchs, Hans Joachim 189, 226 Fürstenberg, Carl 26
Bayer, Josef 56, 102 Beck, Adolf 179 Behrens, Friedrich 325 Behrmann, Dierk 462 Berg, Carl 43, 45 ff., 51, 53 Berg, Wilhelm 43 Berthier, Pierre 21 Boesken, Dietrich H. 454 Boschan, Heinrich 201 Braas, Ludwig 142 Bradley, Charles 20 Brenner, P. 279 Bunsen, Robert 16 ff., 35 Burr, Fritz 51
Gautschi, Alfred 41, 54, 131 George, Krome W. H. 429, 431 Ginsberg, Hans 229, 273 Goldkuhle, Heinrich 88 Göring, Hermann 157 f., 165, 175, 205 f., 210 ff. Gramme, Zenobe 17 Grätzel 23 Guilini, Edgar 199 Guilini, Georg 34 ff., 51, 56, 80 f., 92, 150, 365 Guilini, Renzo 199 Guilini, Udo 365
Ceausescu, Nicolae 343 Churchill, Winston 223 Davis, Arthur V. 38, 56 Davis, Edward K. 141 ff. Davis, Nathanael 296 Davy, Humphrey 16 ff. Delville, Henri Sainte-Claire Dessauer 146 Dick, Alexander 41
15 ff.
Edison, Thomas A. 24 Erbslöh, Julius 45, 49 f. Erbslöh, Otto 267 Erhard, Ludwig 160, 269 Escherich, Rudolf 273 f., 296, 397, 401 Feron, Lucien 280 Fiertz-Kleiner 21
Haglund, T. R. 109 Hall, Charles M. 5, 15, 17 f. Hamer, Robert D. 296, 300 Hentrich, Helmuth 323 Herklotz, Rolf R. 288 Héroult, Paul T. 5, 15, 17 f., 24 ff. Hiller, Josef 103 Hindenburg, Paul von 72, 162 Hirt, Hellmuth 133 Hitler, Adolf 156 ff., 162, 174, 204, 211, 222 Honsel, Fritz 68, 129, 134, 226, 314, 333 Honsel, Hans Friedrich 314 Honsel, Hans-Dieter 473 Honsel, Kurt 314, 316 Hoover, Herbert 277 Huber-Werdmüller, Peter Emil 21, 24, 26, 96 Hueck, Arnold 267 Hueck, Oskar Eduard 128 f., 131 Hunt, Alfred 20 Hutchcraft, Steve 436, 471
492 Ingold, Wilhelm Junkers, Hugo
132, 411 69, 112, 227
Kaiser, Henry J. 238 Karus, Horst 124 Kern 395 Kiliani, Martin 24 ff., 55 Koppenberg, Heinrich 205, 210 ff., 227 Krauch, Carl 175, 219 Krosigk, Graf Schwerin 212 Landauer, Edgar 91 Lenzmann, Wilhelm 92 Ley, Hellmut 302 Ludendorf, Erich 72 Lueck, Gustav 92 Mahle, Ernst 133 Mahle, Hermann 133, 316 Maier, Cornell C. 302 Marlio, Louis 142 Marshall, George 237 Matter, Jean 228 Mermod, Eric 81 Merton, Wilhelm 35 Merton, Alfred 91 Meyer, Emanuel 265 Meyer, Eric 401 Meyer, Frederic 132, 322, 401, 411 Milch, Erhard 219 ff. Napoleon III. 17 Naville, Gustav L. 21, 24, 26 Neher, Robert Victor 41, 54, 120, 131 Netter, Wolf 226 Neukirch, Eberhard 175, 213, 218, 228 Neuman, Arwed 436, 454 Oerstedt, Christian
16
Pacz, Aladar 114 Parry, Charles W. 430, 437 Paulssen, Hans Constantin 121, 191, 201, 226, 231, 288 Pavelic, Ante 184 Pechiney, Alfred R. 17, 20, 31 Pistor, Gustav 91 Pitaval, Robert 156 Plieninger, Theodor 91 Porten, Max von der 60, 91f., 107, 123, 142, 160
Rathenau, Emil 24, 26, 60 Rathenau, Walter 29, 60 Ratjen, Karl Gustav 410 Rauch, Ernst 7, 56, 82, 92, 142, 160, 424 Richthofen, Manfred von 157 Röhrs, Karl 273, 296 Roosevelt, Franklin D. 157, 222 Roth, Ernst 160 Roth, Walter 136 Salmuth, Curt Frh. von 189, 199 Salmuth, Freifrau von 365 Schacht, Hjalmar 379 Schindler, Martin 25, 62 Schirner, Jochen 401 Schirner, Karl 160 f. Schlüter, Heinz-Peter 450, 471 Schmidt, Karl 68, 133, 333 Schwarz, David 47 Seebauer, Hans Georg 6, 302, 436 Sékou Touré 347 Selve, Gustav 45, 47 ff. Selve, Walther von 49 Siemens, Werner von 17 Söderberg, Carl Wilhelm 198 Spector, Stewart R. 430 Speer, Albert 199, 216 ff., 222 Stalin, Josef 223 Todt, Fritz 216 f. Tröger, Richard 60, 82 Tscheulin, Emil 132, 411 Udet, Ernst
221
Wagner, Reinhold 408 Weber, Horst 410 Weichmann, Herbert 394 Westrick, Ludger 160 f., 168, 213, 216 f., 219, 226, 379 Wilm, Alfred 42, 52, 112 Wöhler, Friedrich 16, 21 Wrigge, Friedrich Wilhelm 380 Wright, Wilbur 43, 112 Wright, Orville 43, 112 Zeppelin, Graf Ferdinand
47 f., 51, 53
Firmen- und Organisationsregister
Aardal og Sundal Verk 216, 340 f., 353 Achenbach 120, 122, 137, 288, 289 f., 292, 302, 320, 453 f. 457 Adolph Coors Co. 253 f., 301 AFCO (Aluminium Foil Conference) 318 Alcan (Aluminium Company of Canada) 245, 265 f., 272 f., 276, 279, 282, 284, 289 f., 294 ff., 306, 310, 311, 314 f., 319 f., 340 f., 346 f., 352 ff., 354, 368 f., 377, 390, 394, 398, 400, 406, 407 ff., 417 f., 421, 431 f., 435, 441 f., 448, 451 f., 456 ff., 460 f., 465, 472 f., 479 Alcan Booth Industries 390 Alcan Foils Ltd. 325 Aleris International 460, 472 Aleurope 380 Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft (AEG) 24, 27, 75, 78, 80, 164, 196, 258, 314, 475 f. Alliance Aluminium Company (AAC) 114 f., 139 ff., 162, 169, 171, 206, 384 Alsacienne 132, 319, 321 f., 401 f. Aluerz 184 Alufinance and Trade Ltd. 384, 409 Aluhett Aluminiumwerk GmbH 479 Alumax 311, 419, 438 Alumetall GmbH 315, 467 Alumetall- und Schmelzwerke GmbH 266 Aluminium Association, 28, 31 f., 36, 96 f., 106, 140 f., 144, 149 f. Aluminium Bahrain Co. (ALBA) 435 Aluminium Belge 137 Aluminium Franc¸ais 34, 37, 97, 105, 142 f. Aluminium GmbH Teningen 54, 121 Aluminium Ltd. (Alcan) 98, 108, 131, 135, 140 ff., 150, 167, 197, 207 Aluminium Norf GmbH (Alunorf) 297, 306
Aluminium Oxid Stade (OAS) 376, 396, 406 Aluminium Recycling GmbH 471 Aluminium Rohrschach AG 325 Aluminium Spritzgusswerk GmbH 135 Aluminium- und Magnesiumfabrik AG 23 Aluminium Verwaltungs-GmbH (AVG) 399 f. Aluminium-Gießerei Villingen 121, 137, 224 Aluminium-Gussverband 126 Aluminium-Industrie-Aktien-Gesellschaft (AIAG) 23 ff., 27 f., 30, 32 ff., 38, 40, 43 f., 54, 59 ff., 70, 81, 87 f., 94 ff., 99 f., 101, 104 f., 112, 119, 141 ff., 146 ff., 162, 168 f., 172 ff., 176 ff., 180 ff., 191, 198, 201, 209, 224 f., 260, 261, 263 Aluminium-Industrie-Gemeinschaft (ALIG) 201 Aluminium-Verkaufsgesellschaft m.b.H 96 Aluminiumwalzwerk Wutöschingen 50 ff., 127, 187, 189, 190 f., 224, 260, 268 Aluminium-Walzwerke AG (AWAG) 54, 68, 120, 132 Aluminium-Walzwerke Singen (Alusingen) 120 ff., 131, 132, 147 f., 187, 190 ff., 258, 287 ff., 300, 305, 310, 317 f., 321, 322 f., 324, 409, 455 f., 460, 468 Aluminium-Walzwerksverband e.V. 126 Aluminiumwarenfabrik Gontschenwil 137 Aluminiumwerk Tscheulin 148, 224, 260, 317 ff., 321, 322, 401 f., 468 Aluminiumwerk Unna GmbH 462 Aluminiumwerke Bitterfeld GmbH 80, 96, 106, 142, 145 f., 177 f., 192 ff., 195 Aluminiumwerke Nürnberg GmbH 135, 197 Aluminium-Werke Wutöschingen 301, 310, 311, 364
494 Aluminium-Zentrale e.V. 242, 307, 468 Aluminum Company of America (ALCOA) 7, 20, 32, 34, 38, 40, 77, 86, 90, 97 f., 108, 112, 119, 135, 136, 140 f., 150, 167, 172, 238, 241, 245, 250, 252, 265, 273, 277, 279, 282, 293, 296, 303, 323, 340 f., 347, 352 f., 371, 375, 378 f., 398, 417 f., 425, 429 ff., 434 f., 437, 441 f., 448, 460, 463, 470, 473 Aluminum Cooking Utensil Co. 58 Alunova 335 Alusuisse (Schweizerische Aluminium AG) 245, 263, 264 ff., 274, 282 ff., 284, 287 ff., 291 f., 302, 317, 322 f., 327, 330, 332, 338, 342, 344 ff., 352 ff., 358 ff., 364 f., 366, 368 ff., 377, 378, 384, 392 f., 398, 404 ff., 406 f., 409, 417, 424 f., 431, 437, 441 f., 447 ff., 451, 454 ff., 464, 472 Alusuisse-Lonza 430 Aluteam-Gruppe 462 f. Amax 353 f. American Can Company 437 American Seal Corporation 44 Anaconda Aluminum Co. 239, 354 Angelesey Aluminium Ltd. 392 Audi 463, 473 Austria Metall AG. (AMAG) 404, 410, 431, 463 B.U.S. Berzelius Umwelt-Service GmbH 335, 410 Badenwerk 448 Badin Reduction Works 34 Badische Anilin 264 BAG Aluminium GmbH 473 Bahrain Atomizer International 436 Bank der Deutschen Luftfahrt AG 197, 212 Banque Rothschild 21 Basse & Selve 43, 48, 88, 119, 126 Bauknecht 314 Bauxit AG (Fiume) 61 Bauxit Trust AG 103 f., 184, 215 Bayer 264, 379 Bayerische Motoren Werke (BMW) 197, 313, 466 Bayernwerk 90, 402 Berg- und Metallbank AG 33 Berg-Heckmann-Selve AG 119, 122 ff., 151 Bergmann 475 Berliner Elektrizitäts-Werke 66
Berliner Handels-Gesellschaft 24, 26 Berlin-Karlsruher Industriewerke AG 200 Billiton 354, 364, 377 f., 421 Bizerba-Werke 324 Blaw Knox Co. 325 Borbet-Gruppe 467 Borgward-Werke 311, 315 Brandeis 343 Breisgau-Aluminium-Walzwerk GmbH 120, 132, 137 British Aluminium Co. (Baco) 31 f., 36, 40, 97, 99, 119, 142, 207, 263, 277, 296, 301, 346, 353, 371, 380, 409, 429 British Insulated Cable Co. 354 British Steel 460 Brökelmann 301, 310, 312 Buderussche Eisenwerke 314 Bühler Druckguss 474 Busch-Jaeger Dürener Metallwerke AG 265, 273, 284, 293, 310 f., 320, 407 C. Heckmann AG 119, 123 Carl Albrecht Aluminium GmbH 130 Carl Berg 46 f., 88, 119, 122, 123 ff., 127, 135, 305 Carl Schreiber GmbH 302 Centralstelle für wissenschaftlich-technische Untersuchungen 42, 52 Channelmaster 275 Chemische Fabrik Bergius 36 Coca-Cola Co. 254 Commodities Research Unit Ltd. (CRU) 472 Commonwealth Aluminium Corp. (Comalco) 347, 377 Compagnie des Bauxites de Guinée 347 Compagnie des Produits Chimiques d’Alais et de la Camargue 31 Constellium Singen GmbH 461 Corus-Gruppe 460 Cowles Company 20 Daimler-Benz 313, 466 Dana Konzern 474 Delta Metals 293 Demag 309, 479 Det Norske Aktieselskab for Elektrokemist Industri 173, 348 Det Norske Nitridaktieselskab 99, 150 Deutsche Edison-Gesellschaft 24
495 Deutsche Nickelwerke 301 Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken AG 52, 200 Diehl-Gruppe 194 f., 260, 268 Dow Chemical 379 Dr. Lauber, Neher & Co. 54 Duisburger Kupferhütte 324 Dürener Metallwerke 52 f., 122, 128, 164, 178, 187 ff., 212 f ., 217, 222, 224, 260, 264, 461, 475 E.On 443 EAA (European Aluminium Association) 428 Eastalco 353 Eckart-Werke 436 Eichelberg & Co. 301 Eisen- und Metallindustrie GmbH 121 Eisenwerke Brühl GmbH 467 Elektrochemische Werke Bitterfeld 29 Elektronwerk GmbH 138 Elektrowerke AG 90 Elkem Aluminium 353 Emil Schmidt 475 Environmental Protection Agency (EPA) 424 Enzesfelder Metallwerke 194 Erbslöh (Julius & August) 43, 45, 49 f., 123, 126, 127, 195, 267, 285, 301, 305, 307 ff., 310 f., 342, 461 Erftwerk AG 72, 80, 90, 95, 97, 121, 122 f., 137, 138 Ernst Biskupek 335 f. Escher Wyss & Cie. 21, 24 f., 28 Etablissements Coquillard 137 Eurallumina 345, 377 European Primary Aluminium Association (EPAA) 343 Federal Defense Corporation 254 Felten & Guillaume 164, 196, 305, 312 Fichtel & Sachs AG 314 Finow Kupfer- und Messingwerke 195 Folienverarbeitungs-GmbH 410 Ford 43, 135, 313, 466 Fria, Compagnie Internationale pour la Production de l’Alumine 345 f., 375 Friedr. Krupp AG 362, 369 Fritz Honsel Gravieranstalt und Formenmacherei 134 Furukawa Electric 354
Gartner 312 Gebr. Guilini 31, 34 ff., 38, 51, 61, 66, 72, 75 f., 78 ff., 101 f., 105 ff., 127, 147, 149, 168, 180 ff., 189, 206, 222, 224 f., 258, 260, 331, 344 f., 363 ff., 389, 394, 409, 424, 448 Gebr. Uhl 312, 462 Gerhardi & Cie. 312 Gerresheimer Glas 392 Gesamtverband Deutscher Metallgießereien (GDM) 324 Gottscholl-Gruppe 465, 479 Greyhound Corp. 247 Griesheim-Elektron (Chemische Fabrik) 29, 33, 64 ff., 73, 79 f., 91, 102, 133, 194 Großkraftwerk Mannheim 364 Gutmann Werke 306, 312, 324 H. Albrecht GmbH 410 Haendler & Natermann 291, 322, 410 Halco (Mining) Inc. 347 Hamburger Aluminium-Werk GmbH (HAW) 396, 398, 404, 445, 450 Hamburger Elektrizitätswerke (HEW) 361, 444 Hansa Leichtmetall AG 200, 211 ff., 216 Hartmann System GmbH 308 Harvey Aluminum Inc. 239, 347 Hasenclever 309 Haugvik Smelteverk 106 f., 149 f., 206 Hazelett Corp. 292 Heddernheimer Kupferwerk vorm. F. A. Hesse Söhne AG 88, 119, 124 f. Heddernheimer Kupferwerke und Süddeutsche Kabelwerk AG 123 f. Hella KG Hueck & Co. 138 Hempel 293 Hiller & Maldaner 312 Hoechst 264 Holland Aluminium 409 Honsel 128 f., 134, 196, 260, 267, 285, 286, 302, 310, 311, 314, 461, 467, 473 Hoogovens Aluminium GmbH 392, 464, 479 Hoogovens-Konzern 322, 354, 364, 378, 392, 431, 458, 460, 472 Howmet Corporation 274 Hueck & Büren 131, 267, 317 f., 319 f., 456, 468 Hueck & Cie 131, 319 Hueck & Röpke 131
496 Hueck (Eduard) 128, 148, 195, 260, 267 f., 301, 305, 307 f., 310, 311, 324, 342, 461 Hunter Douglas 431 Hüttenbrauck 312 Hydraulik 324 Hydro Aluminium 443, 450, 460, 461 f., 464 f., 468, 479 Hyundai Motor Company 474 IG Farben-Konzern 91, 96, 133, 146, 175, 192, 195 f., 212, 264, 324 Ilse Bergbau 74, 328 Imperial Aluminium Co. 278 Inasa 380 Indalpress Aluminium 312 Industrie Vaassen 322 Innwerk AG 90, 402 Innwerk, Bayerische Aluminium AG 75, 78, 80, 90, 107 Intalco 353 International Aluminium Company (IAC) 106, 149 International Bauxite Association (IBA) 415 International Primary Aluminium Institute (IPAI) 436
Kayser-Hütten 475 Kloth-Senking 314 Kluge & Winter GmbH 120, 132, 321 Kobe Steel 354, 431 Kolbenschmidt, Karl Schmidt AG 335, 410, 467, 474 Komintalco 184 Korf Stahl AG 379 Kraftübertragungswerke Rheinfelden 28 Kramer-Aluminiumfenster GmbH 410 Kreidler’s Metall- und Drahtwerke 130, 194 f., 306, 310 ff., 462 Kriegsmetall AG 60 ff., 78 Kroatische Aluminium AG 184 Krupp-Gruson 42
James Booth Aluminium Ltd. 278, 293 f. Junkers Flugzeugwerke 205, 211 f., 227
Lauener Engineering AG 283 Lautal Walzwerke GmbH 122, 127 Lavorazione Leghe Leggere (LLL) 137 Leichtmetall-Gesellschaft mbH (LMG) 291 f., 358, 368 ff., 392 f. Leipziger Leichtmetallwerk Rackwitz 179, 194, 213, 475 Lips Aluminium N.V. 296 LMG-Handel GmbH 379 Loewy-Robertson 293, 301 London Metal Exchange (LME) 420 ff. Lonza 437
Kabel- und Metallwerke Neumeyer 130, 305 Kabelmetal (Gutehoffnungshütte) 290 f., 305 Kabelwerke Rheydt 305 Kaiser Aluminium Europe Inc. 310, 391 f., 404 f., 457 ff., 462 Kaiser Aluminum & Chemical Corp. 236, 242, 250, 252 f., 254, 265, 273, 274, 278 f., 284 f., 293 f., 296, 306, 311, 322, 340 f., 347, 349, 352 ff., 354, 358 ff., 364, 366 ff., 369 ff., 372, 377 f., 389 ff., 398, 400, 406, 407, 417, 425 f., 430, 437, 441 f., 449, 451, 462, 468, 469 ff. Kaiser-Preussag Aluminium (KAPAL) 275, 366 ff., 389 ff., 377, 407, 409 Karl Konzelmann 335 Karl Oetinger 335 Karl Schmidt GmbH 89, 132, 196, 264, 290 f., 315, 335 f., 368 Kaufhof-Konzern 307 Kawneer 310 f.
Mahle 133, 197, 315 ff. Mansfeld 195 f., 475 f., 480 Marc Rich 421 Martin Marietta 354 Martinrea 474 Maschinenfabrik August Schmitz 54, 131, 137 Messerschmidt-Bölkow-Blohm 458 Messing-Unna 306, 310 f. Messingwerk Plettenberg 301 Metallbank-Griesheim-Konsortium 31 ff. Metallgesellschaft (MG) 32 ff., 64, 73, 79 f., 91, 95 f., 108, 112, 114 f., 119, 122 ff., 127, 133, 146, 160, 179, 192, 196, 264 f., 290 ff., 302, 336, 341, 354, 358, 368 ff., 377, 389, 392 f., 406, 410, 474 Metallhüttenwerk Bruch 335 Metallwarenfabrik Stockach 335 Metallwerk Jacobs 335 Metallwerk Kleinschwarzenlohe 301 Metallwerk Olsberg 335 f.
497 Metallwerk Sommer 335 Metallwerke Bender 335 Metallwerke Schwarzwald 301 MG/IG Farben-Konsortium 96, 172 f., 177, 182, 475 f. MG-Griesheim-Konsortium 64, 70, 93 f. Mitsubishi 354, 398 Mitsui 354 Mitteldeutsche Kraftwerke 171 Montecatini 109, 347, 377
Phenix Aluminium 389 Pillar-Group 312 Pistons de Colmar SARL 316 Pittsburgh Reduction Co. 20, 28, 31, 35, 36, 42 ff., 55 f. Preussag 354, 358, 366 ff., 389 ff., 407 Price Waterhouse 385
Nabalco 345 National Southwire 354 National Steel 354 Neumeyer (Offenburg) 462 Nippon Light Metal 435 Noranda 354 Nordische Aluminium AG (Nordag) 211 f., 216 Nordisk Lettmetall 211 f. Nordwestdeutsche Kraftwerke (NWK) 360, 373, 406, 444 Norsk Aluminium 150 Norsk Hydro 212, 353, 465, 473 Northern Aluminum Company 20, 32, 28, 140 Novelis Inc. 460, 479 Nyffeler Corti AG 322
Ranshofen-Berndorf (Vereinigte Metallwerke) 225, 322, 331, 364, 375, 396 Rautenbach 197, 260, 314 Rebag Rheinische Blattmetall AG 123, 131 f., 148, 160, 225 f., 275, 285 f., 295, 317 f., 321, 322, 468 Refonda 336 Reichsbund der Deutschen MetallwarenIndustrie 127 Reichs-Kredit-Gesellschaft 145 Reichsverband der Deutschen Aluminiumwarenindustrie 126 Revere Copper & Brass 354 Rexam 469 Reynolds Aluminium Deutschland Inc. (RADI) 396 Reynolds Aluminium Hamburg GmbH 363, 396 Reynolds Metals Co. 236, 238, 242, 252 f., 254, 265, 273, 277, 279, 284 f., 293, 296, 301, 310, 311, 324, 340 f., 347, 352 f., 360 ff., 370 ff., 373, 375 ff., 378 ff., 389, 394 ff., 398, 404 f., 407 f., 417, 419, 425 f., 438, 441 f., 444, 449, 451, 459 f., 464, 468, 469 f., 472 Rheinbraun 360 Rheinfelden Semis GmbH 301 Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk (RWE) 37 f., 70, 78, 80, 160, 171, 292, 327, 357 ff., 364, 373, 406, 444, 450 Rheinisch-Westfälisches Kupferwerk 121 Rheinmetall 474 Rio Tinto Group 312, 347, 354, 392, 460 f. Ritter Aluminium GmbH 410 Robert Bosch 314 Robert Victor Neher AG 107
Oerlikon 21, 24 f., 28 Ohler Eisenwerk Theodor Pfeifer 457 Olin-Mathieson 321, 345, 354 OPEC 387, 414 f. Opel 134 Ormet 239 Osnabrücker Kupfer- und Drahtwerke AG (OKD) 130, 164, 195, 301 Österreichische Kraftwerk AG 176 Österreichische Metallzentrale 62 f. Otavi Bergbau und Eisenbahngesellschaft 103 f. Otto Fuchs 130, 189, 195, 250, 267 f., 307, 310, 311, 324, 461 Pechiney 32, 37, 101, 142, 200, 207 f., 212, 224, 245, 263, 265, 274 f., 280, 293, 295, 297, 310, 311, 346, 347, 352 f., 377, 378 f., 398, 409, 410, 417 f., 419, 426, 431, 433 ff., 436 ff., 437 f., 441 f., 451, 458, 464, 472, 480 Pechiney-Ugine-Kuhlmann (PUK) 430 Pfalzwerke AG 364, 394, 406, 448
Quandt-Gruppe 462
265, 273, 284, 293, 301, 336,
SAPA (Skandinaviska Aluminium Profiler) 293, 462, 464 f.
498 Schloemann 291, 309 Schloemann-Siemag 479 Schuckert-Werke 28 Schüco 308, 461 Schweizer Metallwerke Selve & Co. 107 Schweizerische Metallurgische Gesellschaft 21, 24 f., 33 Seibel (W.) 335 f. Selve AG 122 ff., 127 Showa Denko 354 Sidal N.V. 272, 280, 287, 296, 343 Siemag-United 298, 302 Siemens 78, 80, 164, 196 Siemens-Schuckert 75, 475 Silpa GmbH 468 Slim 380 Société Centrale des Alliages Légers (SCAL) 280 Société d’Electrochimie 37 Société des Forces Motrices et Usines de l’Arve 36 Société Electro-Métallurgique Franc¸ aise (Froges) 25, 31 ff., 36 f., 55 Sör Norge Aluminium 354 Sörensen & Köster 275, 310 Southern Aluminium Co. 34 Star Aluminium Works 137 Steag 327 Stern & Hafferl 67, 107, 176 Süddeutsche Kabelwerk 124 Sumitomo 354, 398 Teich 322 Tennessee Valley Authority 331, 353 Th. Goldschmidt 122, 137, 167 Tobler 44 Tréfimetaux 274, 293 Trimet Aluminium 447, 450, 472 Türkabblo 293 Ugine 142, 200, 207 f., 212 Ungarische Bauxit AG 61 Unidare 380 United Engineering 280 VAW Leichtmetall GmbH 390, 399 f., 402, 432 VAW of America 349 VEB Chemie-Kombinat Bitterfeld 476
VEB Kombinat Kabelwerk Oberspree (KWO) 477 VEB Mansfeld Kombinat Wilhelm Pieck 476 VEB Vereinigte Blechverpackungswerke 476 Vereinigte Aluminium-Werke AG (VAW) 6, 66, 73, 78 ff., 81, 86 ff., 91 ff., 97, 99, 101 ff., 112, 114, 119, 121 ff., 124, 126, 132, 137, 142, 145 ff., 149, 159 ff., 167 f., 171 ff., 176 ff., 178, 180 ff., 197, 200, 205, 212 ff., 225 f., 228, 245, 249 f., 258, 261 ff., 265 f., 271, 273 ff., 279, 282, 284 ff., 290, 294 ff., 306, 309 f., 317 ff., 322 f., 327 ff., 335, 336, 338 f., 341 f., 344 ff., 347 f., 349, 354, 359 f., 362, 364, 370, 372 ff., 375 ff., 384 f., 389, 390 f., 393, 396 ff., 404 ff., 407, 417 f., 425 f., 431 f., 441, 443, 445 ff., 450 f., 451 ff., 458, 460, 462, 464, 467 f., 471, 472 f. Vereinigte Deutsche Metallwerke (VDM) 119, 123 ff., 137, 151, 164, 189 f., 196, 260, 264, 284, 290, 292, 302, 306, 310, 311, 322, 368, 392 f., 400, 407, 461 Vereinigte Industrie-Unternehmungen AG (VIAG) 90 ff., 145, 197, 226, 271, 273 f., 327, 389, 399, 402 f., 443 Vereinigte Leichtmetall-Werke (VLW) 121 f., 128, 136, 149, 160, 164, 187 f., 225, 259 f., 275, 285 ff., 296, 305, 309 f. Vereinigte Stahlwerke 195, 324 Vereinigte Stanniolfabrik Fr. Supf (Roth) 132, 321 Vereinigte Wiener Metallwerke 197, 225 Vereinigung der deutschen Aluminium-Schmelzwerke 178 Versevoerder Metallwerke 301 VEW (Vereinigte Elektrizitätswerke Westfalen) 172, 327, 443 Vickers-Werke 53 Voerdal (Voerde Aluminium) 451 Von Roll 292 VW 313, 466 Weserstahl 312 Westfälische Kupfer- und Messingwerke 301 Westfälische Leichtmetallwerke 195, 273, 284, 310, 371 Westfälische Metallindustrie AG 138 Wicona 462, 465
499 Wieland-Werke 194, 260, 268, 307 f., 310, 311, 461 Wiener Leichtmetall-Werke 197 Wildfang Metallwerke 462 Wilhelm Bertrams KG 301
Wolf Netter 123, 160, 168, 317 Wuppermetall 335 f., 462 Zarges Leichtbau 410 ZF Friedrichshafen 474