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German Pages 336 [333] Year 2015
Ursula Klein
Humboldts Preußen Wissenschaft und Technik im Aufbruch
Für Wolfgang
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© 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Redaktion: Alessandra Kreibaum, Leinfelden-Echterdingen Layout, Satz und Prepress: schreiberVIS, Bickenbach Einbandabbildung: Alexander von Humboldt Einbandgestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3- 978-3-534-26721-7 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-74022-2 eBook (epub): 978-3-534-74023-9
Inhalt
Vorwort
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Teil I
Humboldt im kameralistischen Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1. Humboldt botanisiert im Berliner Tiergarten (1789) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Naturforschung für das Gemeinwohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 3. Weichenstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 4. Gleditsch und Willdenow verknüpfen Botanik, Forstwirtschaft und Nutzpflanzenzucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 5. Ersatz von Importen – Achards Rübenzuckerprojekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
Teil II
Faustische Ambitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 6. Humboldt betritt die Welt der Berg- und Hüttenwerke (1791) . . . . . . . . . 55 7. Staatlicher Bergbau und Bergbeamte – das sächsische Vorbild . . . . . . . . . 71 8. Humboldt in der Berliner Bergwerks- und Hüttenadministration (1792) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 9. Carl Abraham Gerhard: Bergrat und Naturforscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 10. Eine Bergakademie in Berlin? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 11. Gerhard experimentiert im bergbehördlichen Laboratorium . . . . . . . . . 112 12. Heinitz reorganisiert die preußische Bergbeamtenausbildung . . . . . . . . 118 13. Neue Ausbildungswege für Baubeamte: die Bauakademie . . . . . . . . . . . . . 131 14. Nützliches Wissen für Färber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
Teil III
Humboldts Bergmeisterleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 15. Humboldt inspiziert Gruben in Franken (1792) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 16. Oberbergmeister Humboldt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 17. Der Erfinder Humboldt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 18. Naturforschung und Erfindungsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 19. Humboldt quittiert den Staatsdienst (1797) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
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Inhalt
Teil IV
Entdecken und Erfinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 20. Experimentierende Apotheker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 21. Klaproth: analytischer Chemiker, Experte, Geschäftsmann . . . . . . . . . . . . 209 22. In der Akademie der Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 23. Experimente im Akademielabor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 24. Achards Zuckergewinnung im Akademielabor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 25. Arcanisten und Laboranten in der Berliner Porzellanmanufaktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 26. Heinitz reformiert die KPM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 27. Klaproth experimentiert mit dem Laboranten Bergling: Erfindung neuer Porzellanfarben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 28. Humboldt experimentiert in der KPM (1793) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
Teil V
Reformstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 29. Nützliches Wissen in der Berliner Universität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 30. Klaproths private Finanzierung von Lehre und Forschung . . . . . . . . . . . . . 285 31. Humboldt reorganisiert die Akademie der Wissenschaften (1805 – 1807) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 32. Das Zusammenspiel von Wissenschaft, Technik und Staatsbürokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Fußnoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
Vorwort
Alexander von Humboldt war ein genialer Naturforscher, der als technikbegeisterter 22-Jähriger an der Freiberger Bergakademie studierte und dann weitere fünf Jahre in der Welt der Gruben und Hüttenwerke verbrachte. Dort initiierte er grubentechnische Verbesserungen und arbeitete unter Einsatz seiner ganzen Energie an Erfindungen, die die Arbeit der Bergmänner erleichtern sollten. In diesen Jahren als preußischer Bergmeister erwarb er auch Wissen, messtechnisches Können und experimentelles Geschick für seine Forschung während der späteren Weltreisen. Der junge Alexander von Humboldt engagierte sich gemeinsam mit anderen Naturforschern, Technikern und reformorientierten Staatsbeamten wie Karl August von Hardenberg für den technischen Fortschritt und das „Gemeinwohl“. Während in Frankreich eine Revolution tobte, setzte die preußische Elite auf allmähliche Reformen. Dabei verband sie das Ziel technischer Innovation mit der Hoffnung auf soziale und ökonomische Verbesserungen. Das Buch beschreibt die Frühphase der Industrialisierung Preußens − nicht als anonymen Prozess, mithilfe von Zahlenkolonnen und Tabellen, sondern als gelebte Praxis der Akteure. Es skizziert deren Aufbruchsstimmung ebenso wie deren Erfolge und Misserfolge beim Arbeiten, Experimentieren und Erfinden. Humboldt und die zahlreichen anderen Naturforscher und Techniker, deren Aktivitäten hier unter die Lupe genommen werden, verwandelten ihre Arbeitswelt in ein Laboratorium der Natur- und Technikforschung. Der Prozess der Industrialisierung war somit auch ein Prozess der Herausbildung der exakten Natur- und Technikwissenschaften. Im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts avancierte Deutschland mit Preußen an der Spitze zu einer führenden Industriemacht. Das Land, das jahrzehntelang im Schatten der englischen Industrie gestanden hatte, wurde Motor der Industrialisierung in ganz Europa und Hochburg innovativer Technologien und Naturwissenschaften. Die deutsche Elektrotechnik und synthetische Farbenindustrie profitierten im großen Stil von den gut ausgebildeten Ingenieuren, Technikern und Naturwissenschaftlern des Landes. Was wie ein plötzliches Aufwachen aus tiefstem Dornröschenschlaf aussah, war in Wirklichkeit Resultat eines langen, steinigen Wegs, auf dem Männer wie der junge Alexander von Humboldt ihr ganzes Tun und Denken in die Waagschale warfen, um oft nur kleine Verbesserungen zu erringen. In Preußen ging die Industrialisierung zuerst vom Staat aus und innerhalb des Staats von Beamten wie Humboldt und Hardenberg.
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Vorwort
Technische Innovationen erfordern den sachkundigen Einsatz durch Menschen, die sie bewerkstelligen können. Sie sind kein Selbstläufer und schon gar nicht das Resultat einer frei flotierenden technischen Rationalität. In Preußen formierte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Bündnis aus technisch versierten und naturwissenschaftlich gebildeten Staatsbeamten, Technikern und Naturforschern. Den Kitt dieser soziokulturellen Allianz, die mehrere Generationen bis zur Blüte der Industrialisierung Preußens im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts umspannte, bildete folgender Grundkonsens: Das preußische Gewerbe müsse durch staatliche Maßnahmen − die Unterstützung technischer Verbesserungen und Erfindungen und die systematische Ausbildung von Technikern und Naturwissenschaftlern − gefördert werden. Technisch interessierte Naturforscher wie der junge Alexander von Humboldt traten in den Staatsdienst ein, um selbst praktisch Hand anzulegen und gemeinsam mit Technikern und Reformbeamten technische Fortschritte in die Wege zu leiten. Im Geist der Aufklärung identifizierten sie technischen Fortschritt mit der Förderung des Gemeinwohls. Gleichzeitig organisierten diese Männer die Ausbildung technischer Sachverständiger und die Zusammenstellung „nützlicher Wissenschaften“, dem Vorläufer der Technikwissenschaften. Der preußische Staat unterstützte Manufakturen und Bergwerke zwar schon seit langem, aber erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann er, wissenschaftlich-technische Experten systematisch zu rekrutieren. Die ersten preußischen Techniker, die über eine rein praktische Lehre hinaus auch eine wissenschaftlich-technische Ausbildung erhielten, waren Beamte in Staatsbehörden, die den Bergbau, das Zivilbauwesen und andere Gewerbezweige unterstützten und teilweise auch direkt organisierten. In den Behörden hielt ein neuer Beamtentyp Einzug, der naturwissenschaftlich gebildete und technisch kompetente Beamte, der wichtige Impulse an Industrie und Wirtschaft gab. Der junge preußische Bergbeamte Alexander von Humboldt erlebte diese Veränderungen und gestaltete sie aktiv mit. Neben den staatlichen Behörden, dem Bergbau und Teilen des Gewerbes war auch die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften ein Ort, an dem technisch komplexe Projekte in Angriff genommen und nützliche Wissenschaften im Verein mit exakten, analysierenden Naturwissenschaften entwickelt wurden. Die Mitglieder der mathematischen und physikalischen Klasse der Akademie der Wissenschaften übernahmen Beraterfunktionen für die oberste preußische Regierungsbehörde, arbeiteten als Sachverständige in staatlichen Inspektionskommissionen und beteiligten sich persönlich an der Planung und Organisation technischer Projekte wie der Urbarmachung des Oderbruchs oder dem Gießen von Kanonen mit schle-
Vorwort
sischem Eisen. Der Mathematiker Leonhard Euler zum Beispiel arbeitete während seines 25-jährigen Aufenthalts in Berlin die analytische Methode der Differenzialund Integralrechnung aus und wandte sie sowohl auf die theoretische Mechanik als auch auf die ballistischen Experimente der Artillerie und die praktischen Probleme des Schiffsbaus an. Von 1744 bis 1746 war er an der Wiederherstellung des Oder-Havel-Finowkanals und kurz danach an der Planung der Trockenlegung des Oderbruchs beteiligt. Der Akademiechemiker und Apotheker Andreas Sigismund Marggraf analysierte um dieselbe Zeit Pflanzen und entdeckte dabei Zucker in einheimischen Rübenarten. Bereits 1747 verwies er auf den praktischen Nutzen seiner Entdeckung, die sein Schüler Franz Carl Achard, von 1782 an Direktor des Laboratoriums der Akademie der Wissenschaften, gegen Ende des Jahrhunderts zu einer großtechnisch nutzbaren Erfindung ausbaute. Während sich Alexander von Humboldt im Februar 1789 noch den Kopf darüber zerbrach, wie man den Preußen die Nützlichkeit der Botanik erklären konnte, beugte sich Achard bereits über die Ergebnisse seiner Experimente mit Zuckerrüben. Bei seinen großtechnischen Versuchen der Zuckergewinnung aus Rübensaft unterstützte ihn Preußens berühmtester Chemiker Martin Heinrich Klaproth, der 1789 Uran entdeckte und „Urangelb“ für die Porzellanmalerei in der Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur erfand. Das Reformbündnis aus Staatsbeamten, Technikern und Naturforschern, das sich für technische Verbesserungen und die Ausbildung wissenschaftlich-technischer Expertise engagierte, war auch durch den ständigen Kampf um Geld geprägt. Bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts ersannen die reformorientierten Minister und Staatsbeamten eine ganze Palette von Mitteln, um die preußischen Könige für die Finanzierung ihrer Projekte zu gewinnen. Der wiederholte und vor 1860 erfolglose Versuch der Gründung einer preußischen Bergakademie ist nur ein Beispiel für die zahlreichen Schwierigkeiten, mit denen sich diese Reformer im absolutistischen Preußen konfrontiert sahen. Auch die Wissenschaften selbst veränderten sich in dem allmählichen Prozess technischen Wandels während der Frühphase der preußischen Industrialisierung. Aus den „nützlichen Wissenschaften“ des späten des 18. Jahrhunderts entwickelten sich die „Technikwissenschaften“ und aus der „Naturforschung“ entstand ein weit verzweigtes System spezialisierter Naturwissenschaften. Heute denken wir bei der Bezeichnung Technikwissenschaften meist schon die Abgrenzung von den an Universitäten angesiedelten Naturwissenschaften mit. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass Technik- und Naturwissenschaften oft nicht scharf voneinander abgrenzbar sind. Es gibt Technikwissenschaften mit einer starken mathemati-
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Vorwort
schen und physikalischen Komponente wie die Aerodynamik und ausgesprochen technikförmige Naturwissenschaften wie die Chemie. Überdies haben sich heute auch im universitären Kontext anwendungsorientierte und industrie- oder militärfinanzierte Forschungspraxen etabliert, die man zuweilen mit dem Kunstwort „Technowissenschaft“ (technoscience) belegt. Überschneidungen zwischen Naturund Technikwissen gab es jedoch schon erheblich früher. Die Besonderheiten des preußischen Wegs der Industrialisierung sind von Historikern zwar wiederholt thematisiert worden, aber der soziokulturellen Konstellation, die sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts herausbildete und den Weg für die technischen Veränderungen während der Industrialisierung ebnete, ist bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden.1 Mindestens ebenso wenig sind die Leistungen von Naturforschern wie Alexander von Humboldt, Klaproth und Achard und der vielen, weniger bekannten Techniker gewürdigt worden, die sich auf den langen Weg technischer und wissenschaftlicher Verbesserungen machten. Weder der Blick auf große Einzelerfindungen noch eine reine Institutionengeschichte sind in der Lage, die Kontinuität des historischen Prozesses freizulegen, in dem sich kleine praktisch-technische Veränderungen − untermauert durch wissenschaftlich-technisches Sachwissen, aber auch durch neue Werte und Einstellungen − allmählich zu den sichtbaren technischen Umstrukturierungen akkumulierten, die wir als Industrialisierung bezeichnen. Die Veränderungen der Technik, Staatsbürokratie, des Bildungssystems und der Wissenschaftslandschaft, die der junge Alexander von Humboldt und seine Bündnispartner durchsetzten, waren Initialzündung für weitere schrittweise Reformen in Preußen, die schließlich auf dem Höhepunkt der ersten Industrialisierungswelle in einen irreversiblen Wissens- und Innovationsstrom einmündeten. Die Männer, die diese Veränderungen in Gang setzten, waren Idealisten, für die Wissenschaft und Technik auch gesellschaftlichen Fortschritt verhießen. Ihr Traum von nützlichen Wissenschaften, die fern von engstirnigem Profitdenken zu einem besseren Leben beitragen sollten, war in der politischen Landschaft des absolutistischen Preußen jedoch nur begrenzt verwirklichbar. Wie haben diese Männer gelebt, gearbeitet und geforscht? Was trieb sie an und was erreichten sie? Dieses Buch geht vor allem der Praxis dieser Reformer nach. Es beschreibt die faustischen Ambitionen und Aktivitäten des jungen Alexander von Humboldt und anderer preußischer Staatsbeamter, Naturforscher und Techniker in der Nutzpflanzenzucht und Botanik, dem Bergbau, der Metallverhüttung und den „Bergwerkswissenschaften“, der Porzellanherstellung und Chemie und vielen anderen Überschneidungsbereichen von Gewerbe, Technik
Vorwort
und Wissenschaften. Auf der Grundlage einer Fülle neuer Archivmaterialien, Briefe, wissenschaftlicher Veröffentlichungen und anderer Zeitzeugnisse bringt es die historischen Akteure selbst zum Sprechen.
Danksagung Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte − insbesondere Jürgen Renn, Dagmar Schäfer, Matteo Valleriani, Christoph Lehner und Helge Wendt − für wissenschaftlichte Anregungen. Jürgen Renn und Hans-Jörg Rheinberger danke ich für ihre großzügige Unterstützung meiner Forschung. Urte Brauckmann, Ellen Garske, Urs Schöpflin und allen anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Bibliothek danke ich für ihre freundliche Hilfe bei der Literatur- und Bildbeschaffung. Zu großem Dank bin ich meinem studentischen Assistenten Johannes Lotze verpflichtet, der einen Teil meiner Archivarbeit übernahm und hunderte Manuskriptseiten für mich transkribierte. Mein ganz besonderer Dank gilt − wie immer − Wolfgang Lefèvre für seine kritische Lektüre des Buchmanuskripts und unverdrossene Rückenstärkung.
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1. Humboldt botanisiert im Berliner Tiergarten (1789) Der Berliner Tiergarten war ehemals ein königlicher Jagdgrund gewesen, den Friedrich II. in einen Barockpark umgestalten ließ. Im Februar 1789 schlenderte der junge Alexander von Humboldt (Sept. 1769 – Mai 1859) durch den unweit der elterlichen Stadtwohnung gelegen winterlichen Park. Die ersten Moose, Flechten und Schwämme zeigten sich. Der 19-Jährige verstaute die schönsten Exemplare in seinem Beutel. Botanik war jetzt sein neues Steckenpferd. Im vorangegangenen Herbst hatte Humboldt den Berliner Botaniker Carl Ludwig Willdenow kennengelernt und sich von dessen Begeisterung für Kryptogamen, einem blinden Fleck im Linnéschen System, anstecken lassen. Der „sanfte und milde Charakter“ des nur unwesentlich älteren Willdenow, erzählte er später, half ihm über die ersten Hürden im Studium der Botanik hinweg.2 Er begann, für den neuen Freund Pflanzen zu sammeln, und dieser weihte ihn dann in die Kunst des exakten botanischen Pflanzenbestimmens ein. In der Studierstube konnte die Botanik zwar ein „hyperlangweiliges Studium“ sein, fand Humboldt, doch draußen, in der freien Natur bot sie unendliche Überraschungen. Der von Knobelsdorff gestaltete Tiergarten war mit seinen Kunstteichen, Springbrunnen, Labyrinthen und Skulpturen zwar längst keine unberührte Natur mehr, doch im Winter konnte man dort ungestört nach Wildpflanzen Ausschau halten. Der Park schien sich dann in einen „großen Tempel der Natur“ zu verwandeln, der zum „Genuß der reinsten, unschuldigsten Freude“ einlud. Humboldt war überwältigt von der Einsamkeit und stillen Schönheit, die ihn umgab. Eine „süße Schwermuth“ überkommt mich, schrieb er dem Universitätsfreund Wilhelm Gabriel Wegener, wenn ich mich „von tausenden Geschöpfen umringt“ in der freien Natur aufhalte.3
Teil
Humboldt im kameralistischen Preußen
I
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Teil I Humboldt im kameralistischen Preußen
Doch Humboldt gab sich nicht allzu lange der Melancholie hin. Ganz andere Gedanken drängten sich auf. Botanisches Wissen war auch von praktischem Nutzen für die Gesellschaft. Die Botanik, so Humboldt, ermögliche es, „neue Nahrungsquellen gegen den von allen Seiten einreißenden Mangel“ zu erschließen. Doch habe man dies in Preußen noch nicht wirklich erkannt. Vielmehr sei man immer noch in dem „schiefen Urteil“ befangen, die Botanik diene hauptsächlich „zum Vergnügen“ oder bestenfalls zur „subjektiven Bildung des Verstandes“. Dagegen sei sie „eins von den Studien, von denen sich die menschliche Gesellschaft am meisten zu versprechen hat“.4 Die letzte große Hungerkrise von 1770/71 hatte zwar vor allem Böhmen, Sachsen und die Pfalz betroffen, aber auch Preußen war gegen Hungersnöte nicht gefeit. Ein Bevölkerungswachstum von 2 785 000 auf 5 629 000 Einwohner während der rund 40-jährigen Regierungszeit Friedrichs II. stellte eine Herausforderung
Abb. 1 Geometrischer Plan des Königlichen Tiergartens vor Berlin. Kupferstich von J. D. Schleuen nach der Kartierung von J. C. Rhode, Berlin 1765. Aus Buddensieg, Düwell und Sembach (1987a), 246
1. Humboldt botanisiert im Berliner Tiergarten
dar − selbst wenn die preußischen Getreidemagazine relativ gut gefüllt waren.5 Die Hungerrevolte von 1800 würde dies bald belegen. Überdies musste Preußen zahlreiche Lebensmittel, darunter Zucker, Gewürze, Früchte, Tabak, Wein, Kaffee und Tee importierten. Auch wenn es sich hierbei um reine Luxusgüter handelte, beeinträchtigten diese die Handelsbilanz. Sie konterkarierten die merkantilistische Wirtschaftspolitik Preußens, die das Ziel verfolgte, den Export zu steigern und teure Importe zu vermeiden.6 Für Humboldt, der mit diesem ökonomischen Problem durch sein Studium an der Universität Frankfurt/Oder vertraut war, wies botanisches Wissen auch hier einen Ausweg. „Viele Produkte, die wir von fernen Welttheilen haben, treten wir in unserem Land mit Füßen − bis nach vielen Jahrzehnten ein Zufall sie entdekt“, empörte er sich. Die Botanik lege das Fundament für systematische Entdeckungen und Erfindungen. Sie lehre die Kräfte kennen, die die „gütige Natur zur Befriedigung unserer Bedürfnisse in das Pflanzenreich legte“. Daher trage er sich selbst mit dem Gedanken, demnächst ein Werk „über die gesamten Kräfte der Pflanzen“ zu verfassen.7 Der junge Humboldt zeichnete sich nicht durch allzu große Bescheidenheit aus, auch wenn sein Interesse an so ausgesprochen schlichten Gewächsen wie Moosen, Flechten und anderen Kryptogamen dies nahelegen sollte. Wir kennen Humboldt heute vor allem als unermüdlichen Sammler exotischer Pflanzen und kühnen Forschungsreisenden, der die Erde bis in ihre letzten Winkel vermaß. Doch die Anfänge seines wissenschaftlichen Lebens spielten sich auf einer ganz anderen Bühne ab. Eine Reise nach „Westindien“ war dem 19-Jährigen noch nicht in den Sinn gekommen. Daher zog es ihn eher in den Tiergarten als in den Königlichen Botanischen Garten, in dessen Gewächshäusern auch Palmen, Drachenbäume und Kakteen zu bewundern gewesen wären. Im „Jahrhundert der Entdeckungen“, darin stimmte Humboldt mit seinem Freund Willdenow überein, konnte man der Natur ihre Geheimnisse auch zu Hause ablauschen.8 Nur wenige Jahre später würde er seine Entdeckungsreise in den Tiefen sächsischer und preußischer Bergwerke fortsetzen. Wie wir noch sehen werden, erschloss ihm das Studium an der Freiberger Bergakademie und die nachfolgende Arbeit als preußischer Bergbeamter ein völlig neues Terrain, auf dem er sein mineralogisches, geologisches und chemisches Wissen ausbauen und Methodenkenntnisse für systematisches Beobachten, Messen und Experimentieren erwerben würde. Der junge Humboldt hatte aber noch andere große Ziele. Er wollte die neusten technischen Errungenschaften kennenlernen, und hier stand der Bergbau an erster Stelle. Dabei schloss sich Humboldt einer Reformbewegung an, die im technischen
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Teil I Humboldt im kameralistischen Preußen
Abb. 2 Darstellung unterirdischer Kryptogamen. Aus Humboldt (1793)
Fortschritt einen wirkmächtigen Hebel für Wohlstand und die Bekämpfung von Unwissenheit sah. Erst am Ende der folgenden zwei Jahre würde ihm dieses zweite Ziel klar und deutlich vor Augen stehen. Ein weiteres, völlig unbefriedigendes Studium an der Göttinger Universität, das er nach wenigen Monaten abbrechen würde, eigene mineralogische Studien und eine Reise mit Georg Forster, dem späteren Vertreter der Mainzer jakobinischen Republik, halfen ihm dabei. Was für uns heute wie ein unmöglicher Spagat aussieht, war in den Jahrzehnten um 1800 das Ideal vieler gebildeter junger Männer. Sie wollten Hervorragendes in der
2. Naturforschung für das Gemeinwohl
Naturforschung leisten, aber auch praktisch tätig sein und zwar an den Schaltstellen der Macht, als leitende preußische Staatsbeamte. Wie wir im Folgenden sehen werden, boten Botanik, Chemie, Mineralogie und Geologie zahlreiche praktische Anknüpfungspunkte zur Nutzpflanzenzüchtung und Forstwirtschaft, zu Bergbau und Metallgewinnung und zum Apothekergewerbe. Mathematik, Statik, Hydraulik und theoretische Mechanik lieferten wiederum Wissenselemente für die Maschinentechnik, Ballistik und das Bau- und Vermessungswesen. Wenn Humboldt in seinem Brief an Wegener mehr Engagement für die Botanik und ihre nützlichen Bereiche einforderte, so stand er keineswegs alleine da, wie er als 19-Jähriger vielleicht noch glaubte. Schon bald würde er zahlreiche Weggefährten treffen, darunter auch Minister und einflussreiche Staatsbeamte, die seine Ziele teilten. Der Samen des kameralistischen Diskurses und des Utilitarismus der Aufklärung war längst aufgegangen.
2. Naturforschung für das Gemeinwohl Kameralisten und Aufklärer engagierten sich schon seit Jahrzehnten für die staatliche Förderung von Sachwissen und der praktisch nützlichen Teile der Naturwissenschaften und Mathematik als Voraussetzungen für technische Verbesserungen und die Hebung des allgemeinen Wohlstands. Seit dem frühen 18. Jahrhundert hatten sie versucht, die Universitäten in diesem Sinn zu reformieren und leitende Staatsbeamte nicht nur juristisch, sondern auch kameralwissenschaftlich ausbilden zu lassen. Die Kameralwissenschaft umfasste ein breites Wissensfeld, das von der Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftstheorie über die Mathematik, Naturwissenschaften und Technologie bis hin zur Verwaltungslehre reichte.9 Sie vereinigte in sich alle Wissensbereiche, die der moderne, Wirtschaft und Gewerbe fördernde Staatsbeamte nach kameralistischer Auffassung besitzen musste. Alexander von Humboldt hatte vom Oktober 1787 bis März 1788 gemeinsam mit seinem Bruder Wilhelm an der Universität Frankfurt/Oder Kameralwissenschaften studiert. Es war fest geplant, dieses Studium im Sommer 1789 an der Reformuniversität Göttingen fortzusetzen. Dort lehrte unter anderen der berühmte Johann Beckmann, Autor der Anleitung zur Technologie (1777), der die Linnésche Konzeption nützlichen botanischen Wissens in Deutschland verbreitete und ein Technologiekonzept vertrat, das auch die Landwirtschaft einbezog. Im Februar 1789, kurz nach seinem Tiergartenspaziergang, schrieb Humboldt an Alexander Burggraf zu Dohna-Schlobitten, der ebenfalls beabsichtigte, in Göttingen zu studieren: 10
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Teil I Humboldt im kameralistischen Preußen
▷ Da können wir ja im Sommer Botanik und im Winter Technologie zusammen studieren, wobei wir von beiden Seiten gleichviel Freude und Nutzen haben werden. Schade, daß ich weder mein Herbarium noch meinen Vorrat von technologischen Materialien als Zeugproben, Wollarten, Baumwollarten, andere Pflanzenwolle, Farbmaterialien u.s.w. mitschleppen kann. Dagegen bringe ich in einigen Fächern wenigstens mühsam ausgearbeitete Aufsätze über Technologie mit, die ein genaues Detail der Berlinischen Manufakturen enthalten. Ich habe soviel zusammengeschleppt, als mir meine Zeit erlaubte. ◁ In Vorbereitung seines Göttinger Studiums stellte Humboldt somit Berichte über Berliner Textilmanufakturen zusammen und sammelte Farbmaterialien und Stoffproben. Berlin war damals das Zentrum der preußischen Textilindustrie. Seine Baumwollmanufakturen und -druckereien gehörten zum technologisch avancierten Gewerbe Deutschlands. Nach seiner Rückkehr aus Frankfurt/Oder trat Humboldt wieder in Kontakt mit seinem ehemaligen Lehrer Johann Friedrich Zöllner, der nun Pastor an der Berliner Nicolai- und Marienkirche war und als Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften auch Privatvorlesungen anbot. Humboldt nahm bis zum Frühjahr 1789 an seinem technologischen Kollegium teil, das sich auch mit Botanik befasste. Im Sommer 1788 unternahm Humboldt mit Zöllner eine Exkursion ins Brandenburgische Umland, um metallurgische Unternehmen zu besichtigen.11 Die Eisenhütten in Zehdenick und Neustadt an der Dosse, der Kupferhammer und das Messingwerk in Neustadt-Eberswalde, die Eisenspalterei in Eberswalde und das Messingwerk in Hegermühle konnten sich zwar nicht mit den staatlichen Eisenhüttenwerken in Schlesien messen, in denen man hochwertigen Stahl aus einheimischem Eisen produzierte und wo gerade Vorbereitungen für den Bau des ersten kontinentaleuropäischen Kokshochofens getroffen wurden.12 Unter der Ägide des Ministers Friedrich Anton von Heinitz, der das Bergwerks- und Hüttendepartment im Berliner „Generaldirektorium“ leitete, waren jedoch auch für die märkischen Hüttenwerke technische Fortschritte zu erwarten.13 Nachdem sie jahrzehntelang von den Privatunternehmern Splitgerber & Daum gepachtet worden waren, befanden sie sich seit 1786 in staatlicher Hand. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts würde der preußische Bergbau weitgehend ein Staatsunternehmen bleiben. Die Kameralisten sahen im staatlich organisierten Bergbau und Hüttenwesen die Verwirklichung ihres Traums einer modernen, auf Wissenschaften, technischem Sachverstand und einer vernünftigen Planung beruhenden Wirtschaftsweise.
2. Naturforschung für das Gemeinwohl
Abb. 3 Entwurf zum Eisenhüttenwerk Königshütte, Federzeichnung vom Friedrich Gilly (1797). Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin PK
In den Jahrzehnten um 1800 beteiligte sich die große Mehrheit der deutschen Naturforscher am kameralistischen Diskurs über nützliches Wissen, an dem auch Staatsbeamte, Techniker und andere Praktiker partizipierten. Die analysierenden und exakten Naturwissenschaften entwickelten sich im Kontext dieses Diskurses und im Wechselspiel mit den Bemühungen um die Institutionalisierung und Konkretisierung nützlicher Wissensinhalte und Methoden. Die romantische Naturlehre, die die Natur als einheitliches Ganzes und losgelöst von Gesellschaft und Technik betrachtete, war im Vergleich dazu das Projekt einer kleinen Minderheit. Den meisten preußischen Naturforschern war ohnehin jede Art übergreifender, große Systeme entwerfender Naturphilosophie fremd. Zu ihren Vorbildern gehörten weder die Philosophen Christian Wolff und Immanuel Kant noch die romantischen Naturforscher und Schellinganhänger Johann Wilhelm Ritter und Henrik Steffens,
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sondern analytisch verfahrende, messende Naturforscher und Mathematiker wie Martin Heinrich Klaproth, Leonhard Euler und Johann Heinrich Lambert, deren Forschung anschlussfähig an technische Verbesserungsprojekte war. Wer sich in Deutschland als „Naturforscher“ bezeichnete, grenzte sich mit dieser Bezeichnung nicht zuletzt von den „Naturphilosophen“ ab.14 In der kulturellen Elite der Residenzstadt Berlin herrschte im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eine genuine Faszination für Naturwissenschaften und Technik. Bei spektakuläreren Ereignissen wie der Ballonfahrt des Franzosen Jean Pierre Blanchard im September 1788 war „ganz Berlin auf den Beinen“ und so auch Humboldt.15 Berlin besaß damals noch keine Universität, doch die Mathematiker und Naturforscher der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften organisierten öffentliche Vorlesungen über Chemie, Experimentalphysik, Astronomie, Botanik, Forstwissenschaft und Mineralogie.16 Die Stadtvorlesungen des Berliner Chemikers Martin Heinrich Klaproth lösten in den 1780er-Jahren einen wahren Chemiekult aus. So wusste ein Leser der Chemischen Annalen im Jahr 1784 zu berichten, an Klaproths Vorlesungen nähmen jetzt auch „distinguirte Personen vom schönen Geschlecht“ teil. Sie seien bereit, „Kälte und Hitze, Dünste und Kohlenstaub, und alle sonstigen Unbequemlichkeiten einer chemischen Werkstätte standhaft zu ertragen.“17 Der 19-jährige Humboldt, der sich intellektuell noch nicht festgelegt hatte, sog derartige Anregungen auf wie ein Schwamm. Niemand konnte übersehen, dass die in der Chemie akkumulierten Stoffkenntnisse und die chemisch-analytischen Methoden bereits sichtbare praktische Konsequenzen für das Gewerbe hatten. Klaproths Chemie und die preußische Naturforschung insgesamt waren meilenweit von der Romantik entfernt. Man musste kein Kameralist und Student der Kameralwissenschaften sein, um das zu begreifen. Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften förderte nützliches Wissen, ebenso wie das alteingesessene Collegium medico-chirugicum und die neuere Königliche Tierarzneischule. Und auch die 1773 gegründete Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin war alles andere als ein Aushängeschild romantischer Naturforschung. Diese private Vereinigung von Naturforschern, die wie die Freimaurerlogen strenge Aufnahmeregeln befolgte sowie Freundschaft und Geselligkeit pflegte, widmete sich dem Studium der Naturgeschichte und der Sammlung von Naturobjekten. Mit ihren Preisfragen und Vorträgen wandte sie sich auch an die Berliner Öffentlichkeit. Der Schwerpunkt der Preisfragen lag auf praktisch nützlichem Wissen, ungeachtet der Tatsache, dass im Statut der Gesellschaft der praktische Nutzen der Botanik nur eine marginale Rolle spielte.18
3. Weichenstellungen
3. Weichenstellungen Im April 1789 machte sich Humboldt in Begleitung seines ehemaligen Erziehers Gottlob Johann Christian Kunth auf den Weg nach Göttingen. Die 1737 gegründete Göttinger Universität galt in Aufklärerkreisen als beste deutsche Universität, und den Preußen war es nun endlich erlaubt, auch außerhalb des Landes zu studieren. Humboldt hatte vor allem vor, Beckmanns Vorlesungen über ökonomische Botanik und Technologie zu hören. Nur ein einziges Semester lang hatte er an der Frankfurter Universität Kameralwissenschaften studiert. Im Frühjahr 1789 ahnte er noch nicht, wie schnell ihn auch die Göttinger Universität enttäuschen und dass er ihr bereits im März 1790 wieder den Rücken kehren würde. Der Göttinger Professor Johann Beckmann (1739 − 1811) hatte 1765 bei dem schwedischen Botaniker Carl von Linné in Uppsala studiert. Auf seiner Göttinger Professur für Ökonomie, die er seit 1766 innehatte, baute er den Ansatz Linnés mit seiner charakteristischen Verquickung von systematischer Botanik und Ökonomie weiter aus.19 Um seine Vorlesungen mit praktischen Übungen verbinden zu können, ließ er einen „ökonomischen Garten“ anlegen. 1777 veröffentlichte er eine Schrift mit dem Titel Anleitung zur Technologie, die den Terminus „Technologie“ im deutschsprachigen Raum fast schlagartig bekanntmachte.20 Unter „Technologie“ verstand Beckmann systematisch zusammengestelltes, beschreibendes Wissen über das zeitgenössische Gewerbe, einschließlich der Landwirtschaft. Vermittelt über letztere, integrierte die „Technologie“ auch nützliches Wissen der Botanik. Als Bindeglied zwischen Handwerk und Landwirtschaft fungierten dabei die „Materialien“, denen Beckmann eine wirtschaftliche Schlüsselfunktion einräumte. Die Technologie hatte es demnach vorwiegend mit Materialen zu tun − sowohl mit unverarbeiteten Rohmaterialien wie im Bergbau oder der Landwirtschaft als auch mit gewerblich weiterverarbeiteten Stoffen.21 Beckmanns Technologieverständnis war durch die baconische Tradition der Experimentalgeschichte (experimental history) geprägt, die auch in Frankreich mit zwei umfassenden, der Beschreibung der handwerklichen Künste gewidmeten akademischen Projekten fortgesetzt worden war.22 Der Sammlung handwerklichen Wissens und Beschreibung aller Gewerbe stellte Beckmann aber auch eine erklärende Funktion der Technologie zur Seite. Diese sollte nicht nur „die Kentniß der Handwerke “ lehren, sondern auch „die bey der Verarbeitung vorkommenden Erscheinungen erklären“.23 Auch die Betonung eines Einheit stiftenden Bindeglieds aller handwerklichen und landwirtschaftlichen Gewerbe − der Materialien − kann als
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vorsichtiger Versuch einer Theoretisierung der Technologie gewertet werden. Wie die sich gleichzeitig herausbildenden Bergwerkswissenschaft, Forstwissenschaft und andere „nützliche Wissenschaften“ brachte auch der Terminus Technologie eine Tendenz zur Ausdifferenzierung der Kameralwissenschaften und Bildung neuer Disziplinen zum Ausdruck, die sich mit speziellen technischen Objektbereichen befassten. In der technikbegeisterten Generation Humboldts galten Beckmanns Vorlesungen als unbedingtes Muss. Friedrich Karl von Fulda (1774 – 1847), der spätere Autor einflussreicher landwirtschaftlicher Schriften und Professor der Kameralwissenschaften an der Universität Tübingen, studierte bei Beckmann in den 1790er-Jahren ebenso wie Friedrich Casimir Medicus (1736 – 1808), der Gründer der Kameralhohen-Schule in Kaiserslautern und Direktor der Kurpfälzischen Ökonomischen Gesellschaft. Humboldt selbst scheint jedoch von Beckmanns Vorlesungen eher enttäuscht gewesen zu sein. Entgegen seiner sonstigen Mitteilsamkeit, hinterließ seine Begegnung mit ihm kaum Spuren, abgesehen von einer Rezension, die er für dessen Physikalisch-ökonomische Bibliothek schrieb.24
Enttäuscht von der Universität Wenn Humboldt ein Lob für die Göttinger Professoren übrig hatte, so galt dies jemand anderem, dem klassischen Philologen und Archäologen Christian Gottlob Heyne (1729 − 1812). Dieser sei „ohnstreitig der hellste Kopf“ der Universität, schrieb er an Wegener. Sein Vortrag sei zwar „holprig und stottrig“, aber „äußerst philosophisch“.25 Humboldt besuchte selbstverständlich auch die Vorlesungen Georg Christoph Lichtenbergs, Johann Friedrich Gmelins, Abraham Gotthelf Kästners und Johann Friedrich Blumenbachs. Mit Blumenbach würde er noch viele Jahre korrespondieren. Aber auch die Vorlesungen dieser berühmten Göttinger Professoren waren ihm kaum eine Erwähnung wert. Das Universitätsleben in Hörsälen, Bibliotheken und der Studierstube war nicht Humboldts Sache. Alles habe hier „einen affektirten Fleiß“ klagte er dem Freund Wegener. Dem Helmstedter Mathematikprofessor Johann Friedrich Pfaff schrieb er, es sei ein „niederschlagender Anblick“, so viele Gelehrte zu sehen, die „keine andere Mittheilung als durch die Feder oder vom Katheder“ kennen. Auch die „Bekanntschaft so vieler gelehrter Männer“ mache dies nicht wett.26 Im 18. Jahrhundert spielte sich der universitäre Lehrbetrieb noch weitgehend im traditionellen Rahmen der Vorlesung ab. Die Professoren verlasen am Katheder stehend einen Text und die Studenten schrieben eifrig mit. Diskussionen außer-
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halb der nach rigiden Regeln ablaufenden Disputationen waren ungewöhnlich und bestenfalls bei geselligen Zusammenkünften in der Professorenwohnung erlaubt. Praktische naturwissenschaftliche Übungen, wie sie sich Humboldt erhofft hatte, waren auch an einer Reformuniversität wie Göttingen selten. Und anders als an der modernen Universität war auch das Alltagsleben der Studenten durch universitäre Sitten und Rituale geprägt. Humboldt versuchte, der sterilen Atmosphäre des Universitätslebens durch eigene Lektüre und Selbststudien zu entfliehen. In den Berliner Textilmanufakturen hatte er unlängst die neuen, aus England importierten Spinnmaschinen kennengelernt, die ihn ebenso faszinierten wie die englischen Dampfmaschinen. Im Habsburg-ungarischen Bergrevier von Schemnitz hatte man schon in den 1730er-Jahren die ersten Dampfmaschinen eingeführt. Der preußische Minister v. Heinitz hatte 1785 den Bau einer Dampfmaschine für den Kupferschieferbergbau im mansfeldischen Hettstedt organisiert, dann bei der Firma Boulton und Watt eine Dampfmaschine für den Bleibergbau im schlesischen Tarnowitz in Auftrag gegeben, und nun verhandelte er erneut mit Boulton und Watt, um Dampfmaschinen für die Saline Schönebeck und die Kohlenwerke in Wettin und Rothenburg zu erwerben.27 Im Mai 1789 schrieb Humboldt an einen Freund: „Wer mit dem Maschinenwesen in den Manufakturen und beim Bergbau nur ein wenig bekannt ist, wird bald aus deren Anwendung, bald aus dem Mangel gewisser Einrichtungen die Vortheile der höheren Mechanik, den Schaden, den Unkunde darin bringt, einsehen lernen.“28 Also setzte er die theoretische Mechanik und Mathematik auf seinen Arbeitsplan. Um sich in die mathematische Analysis einzuarbeiten, studierte er die Anfangsgründe der Analysis des Unendlichen (Berlin und Stralsund 1770) des Berliner Artillerieoffiziers, Mathematikers und Newtonanhängers Georg Friedrich L. von Tempelhoff (1737 − 1807). Wenn Humboldt durch solche Studien immer noch an die Studierstube gefesselt war, so boten ihm botanische und mineralogische Exkursionen eine höchst willkommene Abwechslung. Die Mineralogie und Geologie rückten nun näher ins Zentrum seiner Interessen, was nicht zuletzt eine Folge seiner Bekanntschaft mit Georg Forster (1754 − 1794) war. Der berühmte Naturforscher, Weltumsegler und Schwiegersohn Heynes machte ihn mit dem brandneuen mineralogischen Thema des Ursprungs der Basalte vertraut. Nachdem Humboldt die erste Basalthöhle am Rhein besichtigt hatte, zögerte er nicht lange und verfasste im Winter 1789/90 eine wissenschaftliche Publikation, Mineralogische Beobachtungen über einige Basalte am Rhein, die Forster gewidmet war.
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Die Reise mit Forster Nachdem Humboldt sein Studium an den Nagel gehängt hatte, brach er Ende März 1790 mit Forster zu einer mehrmonatigen Studienreise auf. Über Belgien und die Niederlande ging es nach England, wo es auch Bergwerke zu besichtigten galt. Im Juni 1790 schrieb Humboldt aus Derbyshire, er habe „den größten Theil des Tages unter der Erde“ in Bergwerken verbracht.29 Durch Forster lernte er weitere namhafte Naturforscher kennen. In London begegnete er dem Botaniker und Gründer der Linnean Society James Edward Smith, dem Weltumsegler Joseph Banks und dem deutschen Naturforscher Christoph Girtanner, der ihm erste Einblicke in die neue Lehre des französischen Chemikers Antoine-Laurent Lavoisier vermittelte. So knüpfte sich langsam ein Netz von Forschungskontakten, das Humboldt half, sich über die Grenzen Preußens hinweg als Naturforscher bekannt zu machen. Auf der Rückreise über Frankreich hielten sich Humboldt und Forster mehrere Tage im revolutionären Paris auf. Wenig später bekannte Humboldt, dies seien „die frohsten und lehrreichsten Stunden“ seines Lebens gewesen. Die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten am ersten Jahrestag der Revolution (14. Juli 1790) waren gerade in Gang, und der 20-Jährige ließ sich schnell von der Umbruchsstimmung mitreißen. „Der Anblik der Pariser, ihrer Nationalversammlung, ihres noch unvollendeten Freiheitstempels (zu dem ich selbst Sand gekarrt habe) schwebt mir wie ein Traumgesicht vor der Seele“, schrieb er an Friedrich Heinrich Jacobi.30 Nur vier Jahre später würde Forster, der Mitbegründer der jakobinischen Mainzer Republik, in Paris sterben.
Wende zur Mineralogie Nach Deutschland zurückgekehrt und noch während eines kurzen Zwischenaufenthalts in Mainz im Hause Forsters schrieb Humboldt im Juli 1790 einen Brief an den renommierten Mineralogen und Professor der Freiberger Bergakademie Abraham Gottlob Werner, in dem er seinen baldigen Besuch in Freiberg ankündigte: „Widrige Verhältnisse haben mich bis jezt noch abgehalten, das vortrefliche Institut zu Freiberg zu besuchen“, schrieb er ihm, aber „vielleicht glükt es mir noch künftig, mich zu Ihren Schülern zu gesellen“. 31 Dem Brief war auch ein Exemplar seiner Mineralogischen Beobachtungen über einige Basalte am Rhein beigefügt. Basalte waren damals besonders interessante mineralogisch-geologische Objekte, weil sie eine ausschlaggebende Rolle in der Kontroverse zwischen „Plutonisten“ und „Neptunisten“ spielten. Neptunisten wie Werner argumentierten, die Basalte seien durch Sedimentationsprozesse im Meerwasser entstanden, während
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Plutonisten wie der Engländer James Hutton behaupteten, sie seien vulkanischen Ursprungs. In Deutschland hatte sich die Kontroverse gegen Ende des Jahres 1788 zugespitzt, nachdem sich ein ehemaliger Schüler Werners, Johann Carl Wilhelm Voigt, öffentlich zur vulkanistischen Erklärung der Basalte bekannt hatte. Humboldt schlug sich in dieser Kontroverse auf die Seite der Neptunisten und damit auf diejenige des einflussreicheren Werner. Wie er den Freiberger Professor in seinem Brief wissen ließ, fand er auf seinen Exkursionen „nichts, was die Voraussetzung ehemaliger Vulkane notwendig machte, hingegen überall Gründe für den neptunistischen Ursprung der Basalte“.32 Basalte und die Kontroverse über deren Entstehung würden noch lange ein hochaktuelles Thema bleiben, und Humboldt ließ auch später keine Gelegenheit aus, Basaltfelsen zu besichtigen. Im August 1790 fuhr Humboldt nach Hamburg, um noch einige Monate an der Handelsakademie Johann Georg Büschs zu studieren. Von Hamburg aus verschickte er einen zweiten Brief an Werner, in dem er seinen Besuch der Freiberger Bergakademie definitiv ankündigte. „Es sind nun fast 2 Jahre, seitdem ich mich mit der Mineralogie beschäftige“, schrieb er, und er verspüre eine „heiße Begierde, nach Freiberg zu gehen.“ 33 Die Mineralogie hatte ihn nun endgültig in ihren Bann gezogen, der Plan, Bergbeamter zu werden, war ausgereift. Ende April 1791 kehrte er nach Berlin zurück und traf sofort die notwendigen Vorbereitungen. Humboldts Studium der Kameralwissenschaft, sein Besuch der Freiberger Bergakademie und die daran anschließende fünfjährige Bergbeamtentätigkeit sind in der Literatur fast durchweg auf die Initiative seiner Mutter zurückgeführt worden, die für ihren Sohn, angeblich gegen dessen Willen, eine Beamtenkarriere vorgesehen hatte.34 Was auch immer der Wunsch der Mutter gewesen sein mag, es gibt keinerlei Indizien dafür, dass sie ihn ausgerechnet dazu animierte, Bergbeamter zu werden. Man kann Humboldts halbamtliche Briefe an Werner und seinen späteren Vorgesetzten Minister von Heinitz, in denen er sein Interesse an Bergbau und Mineralogie herausstreicht, als Rhetorik abtun. Dieses Argument greift jedoch nicht für seine privaten und oft sehr intimen Briefe, in denen ein genuines bergbauliches Interesse ganz unverkennbar ist. Der junge Humboldt sehnte sich danach, praktisch und technisch tätig zu werden, seinem „Vaterland“ und dem „Gemeinwohl“ zu dienen und gleichzeitig an der vordersten Front naturwissenschaftlicher und technologischer Forschung zu stehen. Dazu boten Bergbau und Hüttenwesen mit ihrer avancierten Technologie, den mineralogischen, chemischen und geologischen Anschauungsobjekten und zahllosen Gelegenheiten für Experimente und Messungen ein hervorragendes Terrain.
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4. Gleditsch und Willdenow verknüpfen Botanik, Forstwirtschaft und Nutzpflanzenzucht Als die jungen Berliner Humboldt und Willdenow im Frühjahr 1789 gemeinsame botanische Studien betrieben, stand ihnen ein klares Vorbild vor Augen. Willdenows Onkel Johann Gottlieb Gleditsch (1714 − 1786) vereinte in sich alles, was ein guter Botaniker wissen, können und anstreben musste. Gleditsch gehörte auch zu den Pionieren der Forstwissenschaft. Schon als Kind hatte Willdenow den Onkel auf Exkursionen in die Wälder Berlins begleitet, wovon er später zu berichten wusste, dieser habe seine Schüler „immer auf den Nutzen der Gewächse und ihre rechten Unterscheidungskennzeichen aufmerksam“ gemacht.35 Von Gleditsch übernahmen Willdenow und Humboldt nicht nur abstrakte Ideen über die gesellschaftliche Nützlichkeit der Botanik, er verkörperte auch persönlich den praktisch engagierten Botaniker.
Nachhaltige Forstwirtschaft Gleditsch hatte in Leipzig Philosophie, Mathematik und Medizin studiert und sein Studium mit einer medizinischen Promotion abgeschlossen. Bereits 1744, zwei Jahre nach seiner Promotion, wurde er als Botaniker in die Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Nach weiteren zwei Jahren stellte ihn seine Ernennung zum Direktor des Königlichen Botanischen Gartens vor die erste große Bewährungsprobe. Noch im selben Jahr wurde er Professor für Botanik am Berliner Collegium medico-chirurgicum, der im Dezember 1723 gegründeten Ausbildungsstätte für preußische Chirurgen und Militärchirurgen. 1768 wandte sich Gleditsch der Forstwirtschaft und dem brandneuen Gebiet der Forstwissenschaften zu. Hauptaufgabe der staatlich geregelten, in Preußen seit 1770 durch ein eigenständiges Forstdepartment gelenkten Forstwirtschaft war die langfristige Sicherung der Forstnutzung und Verhinderung von Raubbau. Holz war im 18. Jahrhundert der wichtigste Baustoff und Energielieferant. Der Hausbau und die Konstruktion von Wagen, Schiffen, Brücken, Maschinen und Möbeln verschlangen Millionen an Festmetern von Holz. Hinzu kam der Holzverbrauch für private und gewerbliche Heiz- und Produktionszwecke, der in Hüttenwerken, Glashütten sowie Keramik- und Porzellanmanufakturen besonders hoch war. Zur nachhaltigen Sicherung dieser wichtigen natürlichen Ressource stellten die verbeamteten preußischen Förster systematisch alle Befunde über Waldschäden und ihre Ursachen zusammen. Ihre Versuche der Ökonomisierung der Natur
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schlossen auch den Anbau neuer, schnell wachsender und anspruchsloser Bäume wie der aus Nordamerika eingeführten Robinie ein. Das systematische Sammeln forstwirtschaftlich relevanten Wissens erfolgte zuerst im Rahmen der allgemeinen Kameralwissenschaften und von Mitte des 18. Jahrhunderts an durch die „Forstwissenschaft“. Auch der Begriff der „nachhaltigen Nutzung“ des Waldes kam damals in Umlauf. Bereits 1713 hatte der kursächsische Oberberghauptmann Hannß Carl von Carlowitz gefordert, dass man „eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung“ des Holzvorrats der Wälder anstreben müsse.36 Für die ökonomischen Gesellschaften der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gehörte diese Forderung bereits zum programmatischen Kernbestand. Im Oktober 1770 begann Gleditsch, im Auftrag des Bergwerks- und Hüttendepartments Vorlesungen für angehende Bergbeamte über Forstwissenschaft und Bo-
Abb. 4 Porträt Johann Gottlieb Gleditsch. Staatsbibliothek zu Berlin PK
tanik zu halten. Anstatt sich wie seine Kollegen an den Universitäten auf Vorlesungen zu beschränken, organisierte er Exkursionen in die Berliner Forste und machte seine Schüler auf aktuelle forstwirtschaftliche Sachverhalte aufmerksam. Zu diesem Zweck besorgte er sich amtliche Unterlagen, die Aufschluss über Feuer- und Sturmschäden, Dürreperioden und Schädlingsbefall gaben. So erging im Juni 1771 an den Registrator Schultz im Bergwerks- und Hüttendepartment der Auftrag, Gleditsch behilflich zu sein. Dieser habe „angezeigt, daß er bey seinen Vorlesungen über die Forst-Wirthschaft Gebrauch von gewißen Vorfällen machen wolle, wie nemlich Forsten durch Feuer, Wasserschaden, Sturm, Dürre, Ungeziefer verwüstet, und welche Anstalten dagegen gemacht worden“ seien. Er habe insbesondere um Zugang „der von dergleichen Fällen handelnden Acten wie um Mitheilung solcher Nachrichten gebethen (hat), welche über die heimliche Zerstöhrung der Bäume durch Fäulniß, Brand, Krebs, Wurmstich und dergleichen gesamelt worden“ sind. Schultz sollte diese forstwirtschaftlichen Akten für Gleditsch besorgen, „damit er solche inspiciren und den nöthigen Gebrauch davon machen könne.“ 37 Bereits 1774 veröffentlichte Gleditsch den ersten Band eines zweibändigen Werks über die Forstwissenschaft. Zehn Jahre später würde der Berliner Verleger Friedrich Nicolai in seiner Berliner Chronik berichten, Gleditsch lehre „alle zum
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Forstwesen nöthige Kenntniß der Bäume, ihrer Pflanzung, Besämung und Kultur“. Er führe seine Zuhörer „in die benachbarten Wälder, um ihnen alles in der Natur zu zeigen.“ 38
Gleditsch wird Direktor des Königlichen Botanischen Gartens Als Gleditsch 1746 Direktor des Königlichen Botanischen Gartens wurde, fand er diesen in einem ziemlich verwahrlosten Zustand vor. Die Gewächshäuser waren baufällig und der Bestand an exotischen Pflanzen war dem entsprechend dezimiert. Der in Schöneberg, in der Nähe des heutigen Kleistparks gelegene Botanische Garten unterstand der „Societät der Wissenschaften“ bzw. der „Akademie der Wissenschaften“ wie die „Societät“ später unter Friedrich II. hieß. Anders als der weltberühmte Jardin des Plantes in Paris, der als Juwel der Krone gehegt und gepflegt wurde, fristete der akademische Garten der preußischen Residenzstadt jedoch lange ein Schattendasein, unbeachtet von Hof und kultureller Elite.39 Die Finanzierung des Botanischen Gartens war ein permanentes Problem, auch unter Friedrich II., der in diesem Fall das französische Vorbild ignorierte. Die Akademie der Wissenschaften bemühte sich während seiner Regierungszeit wiederholt, aber meist vergeblich um eine ausreichende Finanzierung. Die wichtigste wissenschaftliche Funktion des Gartens beschränkte sich daher lange auf seine Nutzung für praktische botanische Übungen durch die Studenten des Collegium medico-chirurgicum. Im Sommer ließ Gleditsch seine Studenten dort regelmäßig Bestimmungsübungen vornehmen. In den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts hatte die Societät der Wissenschaften den königlichen Garten hauptsächlich praktisch genutzt, insbesondere für den Anbau von Heilkräutern, die an die Königliche Hofapotheke und das Collegium medico-chirurgicum geliefert wurden. Die Kultivierung von Aprikosen- und Pfirsichbäumen für den Hof war ein weiterer praktischer Zweck, und in den Glashäusern des Gartens wurde sogar Kaffee angebaut. Der „Soldatenkönig“ neigte zwar selten zu luxuriösen Eskapaden, aber der Anbau von Kaffee in Berlin sollte der ganzen Welt die Fortschrittlichkeit seines Königreichs demonstrieren. Der junge Gleditsch war nicht ganz unerfahren mit Gartenbau. Nach seinem Studienabschluss hatte er den botanischen Garten des Leipziger Ratsherrn Caspar Bose und danach den des Rittmeisters von Ziethen in Trebnitz geleitet. Als Direktor des Berliner Botanischen Gartens organisierte er als erstes die Rettung der kostbaren exotischen Pflanzen. Es gelang ihm, Geld für den Bau zweier Gewächshäuser zu erhalten, in denen er die afrikanischen Sukkulenten und zwei Drachenbäume
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unterbrachte, die den Zerfall der alten Glashäuser überlebt hatten. Schon bald sollte sich herausstellen, dass diese Maßnahmen auch die Weichen für die eigene Forschung stellten. Denn unter den geretteten Pflanzen befand sich eine Dattelpalme, mittels derer es ihm 1749 gelang, die Sexualität der Pflanzen experimentell nachzuweisen.40 Das Experiment ging als Gleditschs „Experimentum Berolinense“ in die Geschichte ein. Um die Finanzierung des Botanischen Gartens längerfristig abzusichern, schlug Gleditsch vor, eine Baumschule anzulegen und die Gewinne aus dem Verkauf der Baumsetzlinge in den Garten zu reinvestieren. Anfänglichen Bedenken, „unter dem Namen der Königl. Akademie oder des Gartens mit Bäumen zu handeln“, begegnete er mit dem klugen Vorschlag, man könne den Verkauf ja unter dem Namen des Gärtners abwickeln.41 Damit war die Akademie einverstanden, die Baumsetzlinge wurden gepflanzt und die Baumschule allmählich erweitert. Dennoch zeigte sich bald, dass die Ausgaben für den Botanischen Garten noch immer über den Einnahmen lagen. Es kam zu jahrelangen Auseinandersetzungen um Geld, in deren Folge sich Gleditsch schließlich zurückzog, zumal sich seine Erfolgsaussichten nach dem Siebenjährigen Krieg (1756 − 1763) dramatisch verschlechtert hatten. Dieser Krieg, der die Annexion Schlesiens durch Preußen besiegelte, hatte Unsummen von Geld verschlungen und die preußische Ökonomie in eine Krise gestürzt. Frustriert strich Gleditsch die Segel und überließ die faktische Verwaltung des Gartens einer ökonomischen Revisionskommission der Akademie. Unter der Ägide der ökonomischen Revisionskommission dominierten in den folgenden Jahren die finanziellen Gesichtspunkte bei der Gestaltung und Nutzung des Botanischen Gartens, der nun zu mehr als der Hälfte in einen Nutzgarten umgewandelt wurde. Für Gleditschs botanische Studien verblieb somit nur noch ein kleiner Bereich, in dem sich auch die Gewächshäuser befanden. An diesem Zustand änderte sich jahrzehntelang fast nichts. Nachdem Franz Carl Achard 1782 Direktor der Physikalischen Klasse der Akademie der Wissenschaften geworden war, organisierte dieser zwar den Ankauf einiger neuer Sträucher und versuchte überdies, der physikalischen Klasse, in deren formeller Zuständigkeit der Garten immer noch lag, mehr Gehör zu verschaffen, doch seine punktuellen Interventionen bewirkten keine dauerhaften Veränderungen.42 Um 1790 wurde vielmehr der Nutzgartenteil durch eine Maulbeerbaumplantage mit rund 10 000 Bäumen erweitert, um der Seidenraupenzucht der Akademie Auftrieb zu verleihen. Erst als Gleditschs Neffe Willdenow 1801 in die Fußstapfen seines Onkels trat, wurde der Botanische Garten wieder in größerem Umfang als Forschungsstätte genutzt.
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Apothekergewerbe und Botanik Carl Ludwig Willdenow (1765 − 1812), der Sohn eines Berliner Apothekers, hatte zuerst eine Apothekerlehre in der väterlichen Apotheke begonnen, von 1785 bis 1787 an der Universität Halle Medizin studiert und danach noch ein Jahr lang das private Bildungsinstitut für Pharmazeuten des Apotheker-Chemikers Johann Christian Wiegleb in Langensalza besucht. Die Kombination von handwerklicher Lehre und Studium ermöglichte eine Verkürzung der ansonsten strikt geregelten, langwierigen Apothekerausbildung, die sich in Preußen gewöhnlich aus einer sechsjährigen Lehre und einer siebenjährigen Gesellenzeit zusammensetzte. Nach seiner Promotion im Februar 1789 heiratete Willdenow und übernahm die väterliche Apotheke. Der 24-Jährige hatte damals bereits durch eine Buchveröffentlichung über die Berliner Pflanzenwelt von sich reden gemacht.43 Als er im Sommer 1788 Freundschaft mit Humboldt schloss, war er schon ein stadtbekannter Botaniker. Das Apothekergewerbe bot zahlreiche Anreize für medizinische und naturwissenschaftliche Studien. Im 18. Jahrhundert stammte etwa die Hälfte aller deutschen Chemiker aus dem Apothekergewerbe. Die Berliner Chemiker Marggraf, Rose, Klaproth und Hermbstaedt sind hierfür nur einige bekannte Beispiele. Willdenow zog es dagegen stärker zur Botanik. Da die größeren Stadtapotheken oft hunderte verschiedener Heilpflanzen führten, bedeutete botanisches Wissen zugleich auch nützliches Apothekerwissen. Botanische Kenntnisse waren überaus hilfreich bei der genauen Identifizierung und Benennung der Pflanzen. Die genaue Identifikation der Pflanzenarten war wiederum wichtig für die richtige Zubereitung von Arzneien und schützte zugleich vor betrügerischen Kräuter- und Materialienhändlern. Der geschäftliche Umgang mit Heilpflanzen regte zum Sammeln von Pflanzen an, und wohlhabende Apotheker leisteten sich nicht selten auch einen eigenen kleinen botanischen Garten. Überdies besaßen die wohlhabenden Stadtapotheker meist eine Bibliothek, in der sie die neusten botanischen und chemischen Schriften sammelten, und zuweilen auch ein Naturalienkabinett. Von diesen praktischen, oft auch der Unterhaltung dienenden botanischen Aktivitäten war der Schritt zu systematischeren Botanikstudien nicht allzu groß. Auch Willdenow hatte schon als junger Apothekerlehrling begonnen, ein Herbarium anzulegen und im kleineren Rahmen Pflanzen zu züchten. Durch sein Universitätsstudium war er in die Gelehrtenwelt eingeführt worden, sodass er sein Erstlingswerk über die Flora Berlins, Florae Berolinensis prodromus (1787), selbstverständlich in lateinischer Sprache schrieb. Dem folgten später meist deutschsprachige Bücher, darunter der Grundriss der Kräuterkunde (1792), einem systematischen botanischen
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Werk in der Tradition Linnés. 1794 wurde Willdenow in die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Zwei Jahre später veröffentlichte er seine Berlinische Baumzucht (1796). Als er 1798 zum Professor für Naturgeschichte am Berliner Collegicum medico-chirurgicum ernannt wurde, verkaufte er seine Apotheke. Wie Willdenow in seinem Grundriss der Kräuterkunde deutlich machte, verstand er sich als Schüler des schwedischen Botanikers Carl Linné, stand jedoch dessen Werk nicht unkritisch gegenüber. Sein Freund Humboldt war von seinen botanischen und taxonomischen Detailkenntnissen ebenso fasziniert wie von seinem Entschluss, der systematischen Botanik neue Türen zu öffnen. Die Kryptogamenforschung zum Beispiel war noch ein relativ unbearbeitetes Feld, sodass sich Humboldt 1789 gerne von Willdenow animieren ließ, sich dort zu betätigen. In den 1790er-Jahren weitete Willdenow seine Studien auf die Physiologie, Erdgeschichte und die Pflanzengeographie aus. In Gedanken schritt er die Breiten- und Längengrade der Erde ab und gelangte so zu einem Muster der geographischen Pflanzenverteilung: „Die Mark Brandenburg, die Küste Labradors und Kamtschatkas liegen ziemlich in einer Breite, und haben viele Pflanzen mit einander gemein. Berlin, Venedig, Tripolis und Angola haben fast gleiche Länge, aber die Gewächse sind sehr verschieden“, stellte er 1792 fest. Dieses pflanzengeographische Verbreitungsmuster erklärte er mit den vorherrschenden Klimabedingungen. An verschiedenen Orten desselben Längengrades herrschten sehr unterschiedliche klimatische Bedingungen, so Willdenow, während sie auf ein und demselben Breitengrad weitgehend übereinstimmten. Berge, Meere, Wälder und andere morphologische und botanische Faktoren übten jedoch zusätzliche klimatische Einflüsse aus, sodass allgemeine Schlussfolgerungen über die Pflanzenverbreitung erschwert seien. Dennoch argumentierte Willdenow, dies sei kein absolutes Hindernis für die Forschung. Denn man dürfe annehmen, dass die Verbreitung der Pflanzen auf der Erde „auf besonderen Regeln gegründet“ sei, die man auch wissenschaftlich analysieren könne. Sein Credo gipfelte in der Aussage: „Alles, alles was geschaffen ist, zweckt zum Nutzen des Ganzen ab.“44 Zu Recht hat die historische Forschung auf die Gemeinsamkeiten zwischen diesen pflanzengeographischen Überlegungen Willdenows mit denen des späteren Autors des Kosmos verwiesen.
Willdenow trinkt den Tee der Frau Werneburg Fast zehn Jahre lang war Willdenow praktizierender Apotheker gewesen, der die pharmazeutische Nützlichkeit der Botanik aus der eigenen gewerblichen Tätigkeit kannte. Als gelehriger Schüler Gleditschs waren ihm aber auch andere Seiten der
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Nützlichkeit der Botanik bekannt. So schrieb er in seinem Grundriss der Kräuterkunde von 1792, der Botaniker zeige „dem Arzt, Oekonomen, Forstmann und Technologen die brauchbaren Gewächse an; ohne ihn können sie keine richtigen und gewisse Versuche anstellen“.45 Die Nützlichkeit der systematischen Botanik erstreckte sich demnach auf verschiedene Gewerbezweige. Sie bestand vor allem in der Befähigung zur eindeutigen Identifikation von Pflanzenarten, die wiederum Voraussetzung für weiterführende Erkundungen war. Willdenow nahm also keine simple Kausalbeziehung zwischen akademischem Grundlagenwissen und der Praxis an. Wenn Ärzte, Forstleute und Technologen Innovationen erzielen wollten, so waren seiner Auffassung nach zusätzliche Experimente und über die botanische Systematik hinausgehendes Wissen erforderlich. Als Direktor des Königlichen Botanischen Gartens konnte er in dieser Hinsicht konkrete Erfahrungen sammeln. Im November 1801 wurde Willdenow zum Direktor des Königlichen Botanischen Gartens ernannt, nachdem der bisherige Direktor, der Akademiebotaniker Johann Christoph A. Mayer (1747 – 1801), verstorben war. Das Direktorium der Akademie schrieb dem König: „Zum Botanisten wissen wir keinen besser als den Profeßor Willdenow vorzuschlagen, zumal er schon mit Eurer Majestät Erlaubnis in der lezten Zeit die Aufsicht über den botanischen Garten geführt hat.“46 Da Friedrich Wilhelm III. eher als seine beiden Vorgänger geneigt war, den Botanischen Garten zu fördern, bewilligte er Willdenow das akzeptable Jahresgehalt von 850 Talern. Er übernehme ja „für dieses Gehalt ein nicht unwichtiges Amt“, hieß es. Überdies hob der König wohlwollend hervor, dass: 47
▷ es Sr. Majestät zum höchsten Wohlgefallen gereicht hat, dass dieser verdienstvolle Gelehrte bisher bey einem geringen Gehalte mit Aufopferung seines eigenen Vermögens mit seltener Anstrengung und sehr glücklichem Erfolg sich auf die Botanik gelegt hat, und dadurch die gegründetste Hoffnung giebt [,] daß er der Academie nicht allein sehr nützlich; sonder auch eine vorzeigliche Zierde derselben werden werde. ◁ Als Direktor des Botanischen Gartens unternahm Willdenow mehrere praktisch nützliche botanische Projekte, wie es sein Freund Humboldt mehr als ein Jahrzehnt zuvor angemahnt hatte. Er führte Experimente zur Kultivierung von Nutzpflanzen durch, in eigener Regie, aber auch im Rahmen seiner Gutachtertätigkeit für die Akademie der Wissenschaften. Zu seinen Experimenten mit „ökonomisch, technologisch und medicinisch wichtigen Gewächsen“ gehörte zum Beispiel die Kultivie-
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rung von Lupinus albus, einer Pflanze, die der Akademie als Kaffee- und Teeersatz vorgeschlagen worden war. Der Vorschlag stammte von der „verwittwete[n] Werneburg zu Eisennach“. Es handelte sich dabei um einen der wenigen Versuche einer Frau, in die akademische Männerwelt einzudringen. Im April 1801 erhielt Willdenow ein Schreiben der Akademie, dem eine Schachtel mit Bohnen beigefügt war, die Frau Werneburg an die Akademie der Wissenschaften mit dem Hinweis eingesandt hatte, die Bohnen könnten „als ein Surrogat des Caffées u[nd] Thees dienen“. Willdenow wurde gebeten, „einen Theil dieser Bohnen noch in diesem Jahre cultiviren zu lassen“ und ein „Gutachten hierüber bald gefälligst abzugeben“. Der gewissenhafte Botaniker unternahm zuerst einen „Selbstversuch“. „Ich habe den zur Probe beygelegten Thee dieser Pflanze, so wie deren Schalen versucht“, schrieb er eine Woche später an die Akademie, „und muß gestehn, daß beide ziemlich gut ausfallen. Ich glaube daher, daß es wohl der Mühe werth seyn möchte, Versuche mit dieser, so wie mit anderen Lupinus Arten, anzustellen“.48 Im Sommer 1802 experimentierte Willdenow auch mit verschiedenen Kartoffelsorten. Die Früchte dieser Arbeit überreichte er der Akademie, die ihnen einen würdigen Lagerplatz in der akademischen Bibliothek zuwies, da diese im Winter unbeheizt blieb. Im Dezember 1802 wandte sich der Akademieastronom Johann Bernoulli (III.), seit 1791 Direktor der mathematischen Klasse, an das Akademiedirektorium mit der Bitte, Willdenows Kartoffeln für eigene Aussaatversuche benutzen zu dürfen: 49
▷ Da die Kartoffel Proben [,] welche Hr. Professor Willdenow der Akademie überreicht hat, den Winter über in dem Bibliotheks Saale verfrieren und verderben werden, so bitte ich [...] mir selbige günstigst zu überlassen. Ich habe bessere Gelegenheit als andere Akademiker [,] sie zur Aussaat zu benutzen; auch habe ich schon allerhand Versuche mit diesem Gewächse gemacht, die ich fortsetze. ◁ Im Frühjahr 1803 begann Willdenow mit dem experimentellen Anbau von Sonnenblumen zur Gewinnung von Speiseöl. Dem folgten im Herbst desselben Jahres Versuche zur Keimung von Korn, das in Eisenvitriollösung vorbehandelt worden war. Gleichzeitig setzte er seine Versuche mit Kartoffelpflanzen fort, mit denen er nun auch systematische Kreuzungsexperimente vornahm. Im November 1803 konnte er der Akademie der Wissenschaften schließlich ein zusammenfassendes Gutachten „Über den Anbau von Kartoffeln“ vorlegen.50
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Abb. 5 Porträt Carl Ludwig Willdenow im Botanischen Garten. Aus Buddensieg, Düwell und Sembach (1987b), 64
An Willdenows Kreuzungsexperimenten mit Kartoffelpflanzen zeigt sich die duale Funktion vieler Experimente preußischer Naturforscher: sie dienten sowohl praktisch nützlichen Zwecken als auch der Naturforschung. Von den Kreuzungsexperimenten erhoffte man sich einerseits Impulse für die Zucht ertragreicher, nahrhafter, resistenter und besser schmeckender Kartoffelpflanzen. Andererseits eigneten sich Kartoffelpflanzen aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften aber auch als Objekte für die wissenschaftliche Kreuzungsforschung. Gleditsch hatte seinerzeit mithilfe von Kreuzungsexperimenten und Bastardisierungen die sexuelle Fortpflanzung von Pflanzen untersucht. Sein Neffe verlagerte die Fragestellung dagegen auf den Artbegriff. Zwischen verschiedenen Arten bestand eine Kreuzungsbarriere, argumentierte er, und Bastarde seien nur Spielarten einer Art.
4. Botanik, Forstwirtschaft und Nutzpflanzenzucht verknüpft
Willdenow verwandelt den Botanischen Garten in eine Forschungsstätte Nachdem Willdenow 1801 Direktor des Königlichen Botanischen Gartens geworden war, unternahm er mehrere Maßnahmen zu dessen Umgestaltung. Noch im selben Jahr setzte er beim Akademiedirektorium die Verabschiedung eines neuen Reglements durch, das die wissenschaftliche Funktion des Gartens stärker betonte. Der Botanische Garten diene vorwiegend der „Erweiterung der Pflanzenkunde“ und der „Anstellung von Versuchen mit ökonomisch, technologisch und medicinisch wichtigen Gewächsen“ hieß es darin, ungeachtet der Tatsache, dass ein Teil von ihm weiterhin als Anbaufläche für Obstbäume genutzt werden und der Verkauf von Obst, Holzabfall und Heu weiterbetrieben werden solle. Das Reglement definierte den Botanischen Garten somit sowohl als Ort der botanischen Naturforschung als auch der praktisch nützlichen Forschung. Mit der Festlegung dieser akademischen Doppelfunktion knüpfte Willdenow an ein früheres Konzept seines Onkels an. Gleditsch hatte ehemals die Absicht erklärt, den Botanischen Garten „zum gemeinschaftlichen Nutzen der Botanik, Experimentalphysik und Medicin in eine recht solide Verfassung zu setzen und darin zu erhalten“.51 Das Kultivieren fremdländischer Pflanzenarten setzte die sorgfältige Bearbeitungen des Bodens, seine Düngung, Bewässerung und unzählige weitere Kunstgriffe voraus, die im Zuständigkeitsbereich des Gärtners und seiner Gehilfen lagen. Für die tropischen Pflanzen ließ Willdenow die vorhandenen Gewächshäuser umbauen und neue hinzubauen. All dies kostete Geld, aber dem neuen Direktor gelang es, über die Akademie der Wissenschaften eine bessere Finanzierung des Gartens durchzusetzen. Parallel zu seinen gärtnerischen Umgestaltungen arbeitete er an einer Neuausgabe und Verbesserung von Linnés Species plantarum, einem Werk, das er bereits 1797 begonnen hatte und 1810 mit dem fünften Band abschließen würde. Willdenow hielt am künstlichen Linnéschen System fest, weil es für die Praxis der Klassifikation brauchbar war, und er überdies glaubte, die Zeit sei noch nicht reif für ein natürliches System. Um den Berliner Botanischen Garten in eine moderne Forschungsstätte zu verwandeln, die Voraussetzungen bot, das Linnésche System zu verfeinern, baute Willdenow ein weit verzweigtes internationales Korrespondentennetz von Botanikern auf, über das er auch den kostenlosen Austausch von Pflanzensamen organisierte. Auf diese Weise erhielt er Zugang zu Pflanzensamen aus Schweden, Sibirien, dem Kaukasus, der Krim, Ungarn, Italien, der Schweiz und Frankreich sowie aus außereuropäischen Ländern wie Indien, Nord- und Ostafrika und Nordamerika. Willdenow
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verhandelte überdies mit den großen Londoner Samenhändlern und kaufte wiederholt Samen seltener Pflanzenarten hinzu. Von seinen eigenen Exkursionen nach Österreich, Norditalien, Holland und Frankreich brachte er ebenfalls Samen mit. Auf diese Weise gelang es ihm, die Zahl der Pflanzenarten im Botanischen Garten gezielt und kontinuierlich zu vermehren. Während er bei seinem Amtsantritt im Jahr 1801 rund 1200 Pflanzenarten vorgefunden hatte, listete er sieben Jahre später in seinem Gartenkatalog Enumeratio Plantarum Horti regii botanici Berolinesis 6351 Arten auf, und 1812, in seinem Todesjahr, war diese Zahl auf 7700 gestiegen. Willdenow leitete den Königlichen Botanischen Garten in Berlin wie den Mittelpunkt einer globalen Pflanzenwelt, aus deren entferntesten Winkeln er Pflanzensamen bekam. Auch sein Freund Humboldt schickte ihm während seiner Amerikareise zwischen 1799 und 1804 wiederholt Pflanzensamen zu. 1810 erhielt Willdenow den ersten Lehrstuhl für Botanik an der neu gegründeten Berliner Universität Unter den Linden, womit die Verwaltung des Botanischen Gartens an die Universität überging. Noch im selben Jahr reiste Willdenow nach Paris, um Humboldt bei der Identifikation und Klassifikation der von der Amerikareise mitgebrachten Pflanzen zu helfen. Schwer erkrank kehrte er von dieser Reise zurück und verstarb zwei Jahre später im Alter von 47 Jahren. Der Lehrstuhl für Botanik an der Universität blieb auch nach seinem Tod mit der wissenschaftlichen Leitung des Botanischen Gartens verbunden.
5. Ersatz von Importen – Achards Rübenzuckerprojekt Über viele Jahrzehnte verfolgte der preußische Staat eine merkantilistische Wirtschaftspolitik, die darauf angelegt war, importierte Waren wie Kaffee, Tabak, Rohrzucker, Seide, Porzellan, Blaufarbe oder schwedisches Eisen durch einheimische Produkte zu ersetzen und so den Geldfluss ins Ausland zu drosseln. Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften ließ Maulbeerbäume setzten und Seidenraupen züchten, ihre Botaniker pflanzten Tabak, Tee und Kaffee an, und ihre Chemiker ersetzten importierten Rohrzucker durch Rübenzucker und arbeiteten an der Verbesserung preußischen Porzellans und Eisens. Die ökonomischen und patriotischen Gesellschaften der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unterstützten diese Bestrebungen durch Aufklärungsarbeit in öffentlichen Vorträgen, Zeitschriften und Buchpublikationen. Im Sommer 1791 gründete der Aufklärer und Gutsbesitzer Friedrich Eberhard von Rochow die Märkische Ökonomische Gesellschaft zu Potsdam, die nach dem Modell anderer ökonomischer und patriotischer Gesellschaften der deutschen Staaten die
5. Ersatz von Importen
landwirtschaftliche Produktivität intensivieren und zu diesem Zweck nützliches Wissen verbreiten sollte. Das Bevölkerungswachstum in Preußen während des 18. Jahrhunderts hatte zu einer Steigerung des Nahrungsmittelbedarfs geführt, dem der Staat seit Jahrzehnten durch große Meliorationsprojekte und die Gewinnung zusätzlicher landwirtschaftlicher Nutzflächen nachzukommen versuchte. Die zweite Strategie − die bessere und intensivere Nutzung vorhandener Agrarflächen − war in Preußen jedoch lange vernachlässigt worden. Während Landgewinnungen durch Trockenlegungen das Vermessungs- und Bauwesen vor neue technische Herausforderungen stellten, implizierten die Versuche der Ertragsteigerung der Landwirtschaft die Suche nach neuen landwirtschaftlichen Methoden und Wissensformen, unter denen die Botanik an vorderster Stelle rangierte. Die Märkische Ökonomische Gesellschaft setzte an dieser Stelle an. Sie rekrutierte sich vorwiegend aus protestantischen Landpfarrern, Beamten, Kaufleuten und Vertretern der gebildeten Mittelschicht. Zu ihren 69 ordentlichen Mitgliedern im Gründungsjahr 1791 gehörten auch die Berliner Naturforscher Bode, Achard und Hermbstaedt. Auch Klaproth hielt Vorträge auf ihren halbjährlichen Sitzungen. Die Märkische Ökonomische Gesellschaft verfolgte das explizite Ziel, die Nahrungsmittelproduktion durch Einführung neuer Methoden zu steigern und die Landwirtschaft insgesamt zu reformieren. In ihrer Satzung hieß es wörtlich, sie beschäftige sich „nach dem Beispiele anderer [Gesellschaften] ihrer Art, mit allen den Gegenständen, die zur Aufnahme und Beförderung der einheimisch-ländlichen und städtischen Nahrungsgeschäfte dienen.“52 Zu diesen „Gegenständen“ gehörten landwirtschaftliche Maschinen wie die um 1780 in Deutschland eingeführte gusseiserne Pflugschar, die Techniken des tieferen Pflügens, die Verbesserung der Dreifelderwirtschaft durch Änderungen der Fruchtfolge, die Düngung des Bodens und der Anbau neuer Pflanzenarten wie Kartoffeln und Klee. Im Idealfall hoffte man, einen ökonomischen Kreislauf zu etablieren, bei dem die Intensivierung der Futterpflanzenproduktion zu einer Verbesserung der Tierzucht und diese wiederum zu einer Steigerung der Düngererzeugung führen würde, die dann der Bodenverbesserung und der Pflanzenzucht zugute komme.53 Eine gute naturwissenschaftliche Bildung galt den ökonomischen Gesellschaften als notwendige, wenn nicht ausschlaggebende Voraussetzung jeglicher landwirtschaftlicher Innovationen. Die Mitglieder der ökonomischen Gesellschaften Deutschlands versuchten daher, empirisches Expertenwissen unter den Beamten der Territorialverwaltungen, Gutsbesitzern und Pächtern zu verbreiten und das
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Bildungsniveau der einfachen Landbevölkerung zu heben.54 Zu diesem Zweck gab die Märkische Ökonomische Gesellschaft zwei Periodika heraus, die Annalen der Märkischen Ökonomischen Gesellschaft zu Potsdam und das Gemeinnützige Volksblatt. Währen die Annalen vor allem Expertenwissen verbreiteten, das sich auf Datensammlungen zur Landwirtschaft und die sogenannte „Experimental-Ökonomie“, das heißt Anbauversuche auf Mustergütern, stützte, richtete sich das Gemeinnützige Volksblatt an einfache Bauern. Achard zum Beispiel, der selbst Mitglied der Potsdamer ökonomischen Gesellschaft war, hatte bereits 1782 ein Landgut bei Kaulsdorf erworben, um dort Zuckerrüben zu züchten und somit zum Reformprojekt beitragen zu können. Wie wir weiter unten noch sehen werden, erwarb er Anfang der 1790er-Jahre ein zweites Landgut, auf dem er im Sinne ökonomischer Gesellschaften „Kunstwiesen“ für die Kultivierung neuer Futterpflanzen anlegte. Der Historiker Marcus Popplow hat überzeugend argumentiert, die historische Bedeutung der ökonomischen Gesellschaften liege weniger in ihren ganz unmittelbaren praktischen Erfolgen als in ihrem systematischen Beitrag zur Entwicklung innovationsorientierten Wissens und einer langfristigen intensiven Ressourcennutzung in den deutschen Staaten. Er versteht die systematische Gewinnung neuen landwirtschaftlichen Expertenwissens und die „ökonomische Aufklärung“ insgesamt als Teil einer umfassenden Strategie, die erst langfristig Erfolge zeitigte.55 Ähnliche langfristig angelegte Strategien der Innovation lassen sich im Bergbau und den Bergwerkswissenschaften des späten 18. Jahrhunderts sowie einigen weiteren Felder identifizieren, auf die wir später zu sprechen kommen.
Achard baut Virginiatabak an Franz Carl Achard (1753 − 1821) hatte schon als sehr junges Mitglied der Akademie der Wissenschaften den Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung von Ackerböden und Pflanzenwachstum studiert und versucht, im Hausgarten der Akademie in der Letzten Straße Safran anzubauen.56 Im Herbst 1780 begann er, systematische Feldversuche zum Anbau exotischer Tabaksorten vorzunehmen. Wie er Friedrich II. in einem schriftlichen Plan erläuterte, war ihm daran gelegen, „die nützlichsten Anwendungen der Chemie und Physik auf den Feldbau zu machen.“57 Das unmittelbare praktische Anliegen von Achards Versuchen war die Veredlung des preußischen Pfeifentabaks, ihr ferneres Ziel der vollständige Ersatz des importierten Virginiatabaks durch neue, einheimische Tabaksorten. Insbesondere in der Mark Brandenburg wurde seit dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, in dem der Handel mit Virginiatabak zurückgegangen war, in größerem Umfang Ta-
5. Ersatz von Importen
bak angebaut. Der König unterstützte Achards Vorhaben, das zum einen prestigefördernd war und zum anderen eine größere Unabhängigkeit von Auslandsimporten versprach. Der Kauf von Virginiatabak, so Friedrich II. im Sommer 1780, sei in Kriegszeiten zu unsicher und auch sonst „mit hohen Kosten und viel Hindernissen verbunden“. Dagegen komme es auf folgendes an: 58
▷ Wenn man bei der Verbesserung des einheimischen Tabak dazu kommt, sich allmählich dem aus Virginia anzunähern, wäre dies ein großer Vorteil, wir hätten keine Schwierigkeiten oder sie wären weniger groß; in dem Maße wie er sich verbessert, würde er die Blätter aus Virginia ersetzen, wir könnten unsere Käufe im Ausland allmählich verringern oder sie vollständig einstellen, wenn der einheimische Tabak die gleich Qualität erreicht. ◁
Abb. 6 Porträt Franz Carl Achard. Deutsches Museum München
Im Sommer 1780 unternahm Achard erste Anpflanzungsversuche von Virginiatabak im kleinen Maßstab, die trotz widriger Wetterbedingungen erfolgreich verliefen. Der Sommer war lange zu kalt gewesen, und dann hatte es auch noch gehagelt. Aber der Virginiatabak war dennoch gereift, und er roch köstlich. Zwar musste Achard eingestehen, dass seine Qualität nicht ganz so gut wie die des importierten Virginiatabaks war, aber sie übertraf doch entschieden diejenige des ordinären brandenburgischen Landtabaks. Dieses erfreuliche Ergebnis führte er nicht zuletzt auf seine Düngemethoden zurück. Nach diesem Test standen größere Versuche auf einer Plantage an. Achard arbeitete dafür einen detaillierten Plan mit einem Kostenvoranschlag und Ertragsberechnungen aus. Nachdem die kurmärkische Kammer im Herbst 1780 ein brachliegendes Feld in Lichtenberg gepachtet hatte, machte sich Achard an die Vorbereitungen für den Anbau von Virginiatabak und asiatischer Tabaksorten. Während er sich selbst auf die Beschaffung von Tabakpflanzen und -samen, die Selektion gut gewachsener Tabakpflanzen und die Analyse der Anbaubedingungen
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konzentrierte, stellte er für die Leitung der landwirtschaftlichen Arbeit einen „Planteur“ ein. Die geernteten und getrockneten Tabakblätter, so wurde vereinbart, sollten von der preußischen Tabakadministration auf ihre Qualität überprüft werden.59 Die Beamten der Tabakadministration hatten also ein gewichtiges Wort bei der Beurteilung des Erfolgs von Achards Kultivierungsversuchen mitzureden. Friedrich II. ordnete an, sie hätten die Prüfung „unparteiisch und ohne Vorutheil“ vorzunehmen. Im Erfolgsfall sollten sie dafür sorgen, dass die uckermärkischen Tabakbauern, die den besten einheimischen Tabak anbauten, die neuen Methoden übernähmen und entsprechend instruiert würden, „wie sie zu Werke gehen“ sollten. Für die Beamten der Tabakadministration verhieß dies zusätzliche Arbeit, aber das war vielleicht nicht der einzige Grund für ihr eher ernüchterndes Gutachten. In ihrem Bericht vom Sommer 1782 stellte die Generaltabakadministration fest, unter den 1180 von Achard eingesandten Tabakproben befänden sich nur 34, deren Qualität akzeptabel sei und „dem äußeren Ansehen nach gute Miene machten“. Aber auch diese seien keineswegs signifikant besser als der gewöhnliche Landtabak, denn sie wiesen einen „schlechten Landblättergeruch“ auf.60 Achard hatte offenbar nicht berücksichtigt, dass die Tabakblätter beim Trocknen einer besonderen Behandlung bedurften, die spezifische Sachkenntnisse erforderte. Von 1782 an konzentrierte Achard seine Kultivierungsversuche auf asiatische Tabaksorten und erzielte damit insgesamt gute Erfolge. Aus dem königlichen Haus kam umgehend Anerkennung: „Bisher scheint der Anbau von Tabak aus Asien guten Erfolg zu haben und der König hat noch nichts davon gehört, dass er den Fehler hätte, zu stark und narkotisch zu sein.“ Die sachgerechte Behandlung des Tabaks nach der Ernte blieb jedoch weiterhin ein Problem. Es sei möglich, „dass man ihn zu fein geschnitten oder mangelhaft behandelt hat“, bemerkte Friedrich II. und kündigte an, er werde dies von der Tabaksadministration überprüfen lassen.61 Solcher Widrigkeiten zum Trotz konnte Achard seine Tabakanbauversuche mit Unterstützung durch königliche Gelder noch mehrere Jahre, mindestens bis 1786, fortsetzen. Von 1785 an erhielt er dafür eine jährliche Pension von 500 Talern, die ihm bis zum Lebensende zustand. Um diese Zeit hatte er bereits ein zweites großes Projekt in Gang gesetzt: die Kultivierung von Zuckerrüben.
Achard züchtet Zuckerrüben Rohrzucker war im 18. Jahrhundert wegen der hohen Zölle und langen Transportwege aus der Karibik eine Kostbarkeit, die sich nur Wohlhabende leisten konnten. In Deutschland wurde er zwar schon jahrhundertelang als Medikament verwendet,
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doch erst im 17. Jahrhundert setzte er sich auch als Genussmittel durch, parallel zur Verbreitung von Kaffee und Tee. Damit nahm auch die Zahl der Zuckersiedereien in den großen Hafenstädten Europas zu, in denen der braune Rohzucker zu weißen Zuckerwaren raffiniert wurde. In Berlin gründete der Unternehmer David Splitgerber zwischen 1749 und 1753 drei große Zuckersiedereien, die zuerst fast ganz Preußen mit weißem Hutzucker belieferten und somit verhinderten, dass preußisches Geld nach Hamburg, dem Zentrum der mitteleuropäischen Zuckerraffination, abwanderte. Bis 1791 kamen zwei weitere Zuckersiedereien hinzu, aber zu dieser Zeit war die Gesamtzahl von Zuckersiedereien in ganz Preußen schon auf rund 1000 gestiegen. Für die große Mehrheit der Bevölkerung blieb weißer Zucker jedoch noch lange unerschwinglich. Nur der Siedereisirup fiel für sie als neues Süßmittel ab. 1747 entdeckte der Berliner Akademiechemiker und Apotheker Andreas Sigismund Marggraf, dass einheimische Rübenarten einen Zucker enthielten, der völlig identisch mit Rohrzucker war. 35 Jahre später startete Marggrafs Schüler Achard ein technologisches Projekt, das diese Entdeckung in eine industriell nutzbare Erfindung umwandelte. Die Vorarbeit an dieser Erfindung dauerte jedoch rund zwanzig Jahre. Achard hatte nämlich zuerst eine hohe landwirtschaftliche Hürde zu überwinden: die Züchtung von „Zuckerrüben“, also solcher Rübenarten, deren hoher Zuckergehalt für eine wirtschaftliche Zuckergewinnung rentabel war. Im August 1782 kaufte Achard ein Landgut in dem östlich von Berlin gelegenen Dorf Kaulsdorf, in dem er mithilfe von Landarbeitern die Züchtung von Zuckerrüben aufnahm.62 In den folgenden drei Jahren experimentierte er mit insgesamt 22 verschiedenen Rübenarten und selektierte die Pflanzenarten mit dem höchsten Zuckergehalt. Er unternahm Düngeversuche, chemische Bodenuntersuchungen und experimentierte mit neuen Methoden der Bodenbearbeitung. Diesen landwirtschaftlichen Versuchen schlossen sich auch schon erste Versuche zur Zuckergewinnung aus Rübensaft an. Durch einen Brand auf dem Gut im September 1783, bei dem mehrere Gebäudeteile vernichtet wurden, gerieten diese Versuche jedoch ins Stocken und wurden schließlich ganz eingestellt. Im Herbst 1785 verkaufte Achard sein Gut. Erst um 1790 ergab sich für ihn wieder eine Gelegenheit, in Französisch Buchholz, einer Hugenottensiedlung östlich von Berlin, ein neues Gut zu erwerben, in dem er seine Kultivierungsversuche fortsetzen konnte.63 Nach rund acht Jahren waren Achards Versuche zur Kultivierung von Zuckerrüben abgeschlossen, sodass er die zweite Phase seines Großprojekts einleiten konnte, die der Extraktion von Zucker aus dem Rübensaft im großtechnischen Maßstab. Mit diesen Extraktionsversuchen, die im eigens umgebauten Laboratorium der Akade-
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mie der Wissenschaften vom Frühjahr 1799 bis Sommer 1800 stattfanden, werden wir uns weiter unten noch beschäftigen. Schließlich kaufte Achard ein Gut im schlesischen Cunern, auf dem er eine Zuckerrübenfabrik gründete und im Frühjahr 1802 die Rübenzuckerproduktion aufnahm.
Rückblende: Marggrafs Entdeckung des Rübenzuckers Die Entdeckung von Zucker in einheimischen Rübenarten war keineswegs das Resultat einer gezielten Suche nach neuen Zuckerquellen. Vielmehr machte Marggraf diese Entdeckung im Rahmen seiner systematischen chemischen Analysen von Pflanzen und pflanzlichen Produkten. 1747, zum Zeitpunkt seiner Entdeckung, war Marggraf noch Apotheker und arbeitete in der Apotheke seines Vaters, deren Laboratorium er selbst eingerichtet hatte. Obwohl er nie eine Universität besucht und lediglich eine Apothekerlehre absolviert hatte, war er ein angesehener Chemiker und seit neun Jahren Mitglied der Königlichen Societät der Wissenschaften, der Vorläuferorganisation der Akademie der Wissenschaften. Wie fast alle preußischen Chemiker des 18. Jahrhunderts war er Empiriker, der sich auf Stoffkenntnisse und chemische Analysen konzentrierte. Die sogenannte Pflanzenanalyse gehörte um die Mitte des 18. Jahrhunderts zu den internationalen Forschungsschwerpunkten der akademischen Chemie. Ihr Ziel war die Kenntnis der „näheren Bestandteile“ der Pflanzen, das heißt solcher stofflicher Komponenten, die als charakteristisch pflanzliche gelten konnten, aber noch in einfachere Komponenten zerlegbar waren. Zu den näheren Bestandteilen der Pflanzen gehörten Stoffe wie Fette, flüchtige Öle, Wachse, Harze, Schleime, Gummi, Säuren und Salze, die gegen Ende des Jahrhunderts auch als „organische“ von den „anorganischen“ Stoffen abgegrenzt wurden.64 In ihren Analysen versuchten die Chemiker des 18. Jahrhunderts, diese Stoffe mithilfe chemischer Verfahren aus den Blättern, Wurzeln, Blüten oder Samen von Pflanzen unverändert abzuscheiden und sie danach eindeutig auf chemische Weise zu identifizieren. Die damaligen analytischen Verfahren waren immer auch stoffliche Herstellungsverfahren − im 19. Jahrhundert sprach man eher von Darstellungsverfahren –, die aufgrund ihrer materiellen Produktivität einen praktischen Nutzen versprachen. Im Fall der Entdeckung von Zucker als näherem Bestandteil einheimischer Pflanzen lag der mögliche praktische Nutzen auf der Hand. Wie Marggraf in der Veröffentlichung seiner Experimente betonte, hatte er zum einen ausschließlich einheimische Pflanzen analysiert, die nicht anspruchsvoll waren und zum anderen nachgewiesen, dass der daraus abgeschiedene, süß schmeckende Stoff identisch mit
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Rohrzucker war. Er schlussfolgerte, seine Experimente zeigten, dass es einheimischen Ersatz für den teuren Rohrzucker gebe. Für seine Pflanzenanalysen hatte sich Marggraf geschmacklich auffällige Pflanzenarten ausgesucht, weil man in diesen „wesentlichen Pflanzensalze“ vermutete, die man zu den näheren Bestandteilen der Pflanzen zählte. Als erstes wollte er ein Pflanzensalz aus Sauerklee, römischem Fenchel und der Mariendistel isolieren. Später sollten süß schmeckende Salze folgen. Marggrafs Ziel war also zunächst ein wissenschaftlich-analytisches: die systematische experimentelle Abscheidung „wesentlicher Pflanzensalze“ aus verschiedenen Pflanzenarten und ihre eindeutige Identifikation. Da die wesentlichen Pflanzensalze wie alle näheren Bestandteile der Pflanzen als zusammengesetzte und daher zersetzbare chemische Verbindungen galten, waren Analyseverfahren notwendig, die ohne Denaturierung vor sich gingen, sodass man die näheren Bestandteile in ihrer natürlichen Form aus den Pflanzen abscheiden konnte. Als beste Methoden für diesen Zweck galten die Destillation bei niedrigen Temperaturen sowie die Extraktion der Bestandteile mit Wasser, Weingeist oder einem anderen Lösungsmittel. Im Fall der pflanzlichen Fette und wesentlichen Salze griff man auf traditionellere Verfahren zurück, nämlich das mechanische Auspressen der Fette und die Kristallisation von Salzen aus eingedickten Pflanzensäften. Diese chemischen Analysemethoden, deren Nähe zu handwerklichen Herstellungsverfahren in den zuletzt genannten Sonderfällen besonders augenfällig ist, wurden bis ins 19. Jahrhundert angewandt und dann durch die Anwendung reinerer Lösungsmittel chemisch ausgebaut. Sie waren in jedem Apothekerlaboratorium durchführbar, in dem gewöhnlich auch die dafür notwendigen Instrumente und Gefäße − Messer und Mörser, Glasbecher, Filter, Kristallisationsschalen, Retorten, Destillationsvorlagen und Öfen verschiedenster Art − vorhanden waren. Schauen wir uns etwas genauer an, wie Marggraf vorging. In seinem publizierten Experimentalbericht bemerkte er eingangs, er habe sich hinsichtlich der Art und Weise seiner Untersuchung der wesentlichen Pflanzensalze verschiedener Pflanzenarten an vorhandenen Kenntnissen und Verfahren orientiert, insbesondere an der Extraktion des Sauerkleesalzes aus Sauerklee, einem bekannten Verfahren der Arzneimittelherstellung. Das Verfahren klingt einfach, war aber im Detail nicht ohne Tücken. Der ausgepresste Pflanzensaft wurde zuerst durch stoffliche Zusätze von festen Rückständen getrennt, durch Filtrieren gereinigt und dann durch vorsichtiges Kochen eingedickt. Aus dem eingedickten Saft kristallisierte das Salz nach einiger Zeit spontan aus und konnte somit abgesondert werden. Da dieses Verfah-
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ren zu den geläufigen Herstellungsverfahren im Apothekergewerbe gehörte, fasste Marggraf sich kurz. Die „salzigen Theile“, hieß es nur, können „ohne der Pflanzen essentielles Wesen zu zerstöhren, aus ihrem ausgepreßten Saft, nach gehöriger Reinigung, Eindickung und Cristallisirung, abgesondert werden“.65 Nachdem Marggraf auf diese Weise wesentliche Pflanzensalze aus herb schmeckenden Pflanzen isoliert hatte, weitete er seine Versuche auf süß schmeckende Pflanzenarten aus. Das war nur wissenschaftlich konsequent, da die diversen Zuckerarten damals als „süße Salze“ klassifiziert wurden. Selbst in die gewöhnlichen Warenlexika ging diese heute merkwürdig erscheinende Klassifikation ein.66 Sie beruhte auf dem auffällig starken Geschmack, der kristallinen Struktur und der Wasserlöslichkeit von Salzen und Zuckern, also der Übereinstimmung einiger Eigenschaften. Zu den von Marggraf analysierten süßen Pflanzen gehörten die Mohrrübe, essbarer Kürbis, eine pharmazeutisch verwendete Graswurzel, amerikanische Aloe und mehrere einheimische Rübenarten. In seinem ersten Experiment mit einheimischen Runkelrüben ging Marggraf auf folgende Weise vor. Er gab eine abgewogene Menge getrockneter und mit einem Mörser pulverisierter weißer Rüben (Beta vulgaris) in ein enghalsiges Glasgefäß und vermischte sie mit einer genau abgewogenen Menge hochreinem Weingeist. Das Glasgefäß wurde verschlossen, in eine Sandkapelle gestellt, und die Stoffmischung dann vorsichtig zum Kochen gebracht. Der so erhaltene alkoholische Rübenextrakt wurde mittels eines leinenen Beutels von den festen Rückständen abgetrennt, nochmals filtriert und dann in einem verschlossenen Glasgefäß aufbewahrt. Nach einigen Wochen, so Marggraf, setzte sich in dem Glasgefäß „ein schönes hartes cristallinisches Salz, welches alle Eigenschaften des Zuckers besaß“ ab.67 Durch nochmaliges Auflösen mit reinem Weingeist und Wiederholung des Verfahrens wurden die Zuckerkristalle gereinigt. Mithilfe eines Mikroskops stellte Marggraf dann fest, dass deren Kristallform identisch mit derjenigen von Rohrzucker war. Marggrafs Extraktion von Rübenzucker mit hochreinem Alkohol war ein geeignetes analytisches Verfahren, da der abgeschiedene Zucker durch das Extraktionsmittel nicht verunreinigt wurde und somit leichter identifizierbar war. Hochreiner Weingeist war jedoch teuer, und daher testete Marggraf umgehend ein alternatives Verfahren, das von ausgepresstem, filtriertem und eingedicktem Rübensaft ausging und den Zucker durch Auskristallisieren aus dem Rübensirup gewann. Doch auch bei diesem einfachen und traditionellen Verfahren waren mehrere technische Hürden zu überwinden. Die „mehligen Theile“ der Runkelrübe machten den Saft schleimig und beeinträchtigten dadurch die Kristallisation. Marggraf versuchte
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daher, einen möglichst klaren Pflanzensaft zu gewinnen. Ein anderes technisches Problem bestand in der Zerkleinerung der harten Rüben vor der Saftgewinnung. Doch Marggraf war optimistisch. „Uebrigens ist hier zu merken”, schrieb er, „daß zum Zerstoßen und Kleinmachen dieser Wurzeln allerhand Maschinen eingerichtet werden können“. In seinem Resummee hielt er fest: 68
▷ Aus dem bishero erzehltem erhellet, was für häußliche Vortheile man aus diesen Erfahrungen ziehen kann, wovon [ich] z. E. nur dieses anführen will: daß sich der arme Bauer dieses Pflanzen-Zuckers oder dessen Syrups, statt des ordinairen theuren, sehr wohl bedienen könnte. ◁ Die festen Rückstände, die nach dem Auspressen des Rübensafts übrigbleiben, fügte er noch hinzu, würden sich gut für die Branntweingewinnung eignen.
Zucker aus Ahornsirup Dem Rübenzucker stellte sich bald ein einheimischer Konkurrent entgegen.69 Noch während Achard auf seinem Gut in Französisch Buchholz mit der Züchtung ertragreicher Zuckerrüben beschäftigt war, unterstützte Minister Carl August von Struensee (1735 − 1804) den alternativen Versuch, Zucker aus Ahornsirup zu gewinnen. Struensee, der 1782 als Geheimer Oberfinanzrat und Direktor der Preußischen Seehandlung nach Berlin gekommen war, hatte unter Friedrich Wilhelm II. eine steile Karriere durchlaufen. Von 1791 an leitete er in Personalunion das neu kombinierte Fabriken-, Handels- und Akzisedepartment im Generaldirektorium und war damit mächtiger und einflussreicher als Minister von Heinitz. 1796 setzte er mit Unterstützung Wöllners seine Übernahme der General-Salzadministration durch, die seit 1786 Heinitz unterstanden hatte. Das von ihm geförderte Ahornzuckerprojekt bedeutete einen weiteren potenziellen Schlag gegen Heinitz, dessen Ministerium das Rübenzuckerprojekt unterstützte. Nicht immer arbeiteten die reformfreudigen preußischen Beamten und Minister zusammen, auch wenn sie aus einer größeren historischen Perspektive letztlich am selben Strang zogen und demselben soziokulturellen Bündnis angehörten, das sich für technische Verbesserungen und die Hebung des Gemeinwohls engagierte. Die Tatsache, dass Ahornbäume und vor allem der Zuckerahorn (Acer saccaharum) Zucker enthielten, war seit langem bekannt. Die Indianer Nordamerikas hatten bereits Zucker aus Ahornsirup gewonnen, und die amerikanischen und kanadischen Quäker und Herrnhuter nutzten diese Zuckerquelle noch im 18. Jahrhundert. Minister
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Abb. 7 Porträt Friedrich August Ludwig v. Burgsdorf. Staatsbibliothek zu Berlin PK
von Struensee hatte davon im September 1796 durch eine schriftliche Eingabe des Geheimen Forstrats Friedrich August Ludwig von Burgsdorf (1747 – 1802) erfahren. Burgsdorf, dessen Arbeitssitz sich in der Tegeler Oberförsterei befand, hatte damals schon auf eigene Initiative mit der Anpflanzung von Zuckerahornbäumen begonnen. Sein Handel mit Baumsamen, der sich bis nach Nordamerika erstreckte, diente gleichzeitig seinen wissenschaftlichen Ambitionen als Botaniker und Forstwissenschaftler. 1780 hatte er seine erste große forstwissenschaftliche Schrift veröffentlicht, 1782 wurde er Mitglied der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin und 1789 folgte seine Aufnahme in die Königlich Preußische Akademie der
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Wissenschaften. Von 1787 an hielt er überdies öffentliche Vorlesungen über Botanik und Forstwissenschaft, die zuweilen als „Forstakademie“ bezeichnet wurden.70 Nachdem Minister von Struensee im Herbst 1796 von Burgsdorf über das Vorkommen von Zucker in Ahornbäumen informiert worden war, zögerte er nicht lange mit der genaueren Exploration dieser Möglichkeit der Zuckergewinnung. Er zog weitere Erkundigungen über das Vorkommen von Zuckerahorn in Preußen ein und beauftragte überdies die Königliche Seehandlung mit dem Ankauf von Samen nordamerikanischen Zuckerahorns in London, um neue Pflanzungen anzulegen. Die chemisch-technische Seite des Projekts, das in Versuchen der Zuckergewinnung aus Ahornsirup bestand, übertrug er dem Apotheker-Chemiker Sigismund Friedrich Hermbstaedt (1760 – 1833), der gerade Beamter seiner Behörde geworden war. Hermbstaedt verstand sich ausgezeichnet mit einem anderen Beamten seiner Behörde, seinem engen Vertrauten Gottlob Johann Christian Kunth (1757 − 1829), dem ehemaligen Erzieher der Gebrüder Humboldt, der ebenfalls ein vehementer Anhänger des Ahornzuckerprojekts war. Bereits im Winter 1796/97 begab sich Hermbstaedt in Begleitung eines Forstreferendars in den Berliner Tiergarten, um erste Zapfversuche an Ahornbäumen vorzunehmen. Im Tiergarten wuchs zwar kein Zuckerahorn, aber der zuckerhaltige Saft des dort wachsenden gemeinen Ahorns und Spitzahorns genügte vorerst für die nachfolgenden Versuche der Zuckerextraktion aus dem abgezapften Saft. Nachdem es Hermbstaedt während der Vegetationsperiode im darauffolgenden Frühjahr gelungen war, im Tiergarten größere Mengen Ahornsaft zu gewinnen, kontaktierte er die Zuckersiederei der Gebrüder Schickler & Co. mit der Bitte um die Eindampfung des Safts. Der Versuch ergab nahezu ein Pfund Zucker. Im September 1797 setzte Hermbstaedt seine Zapfversuche mit Zuckerahornbäumen fort, die sich im Park von Harbke am westlichen Rand der Magdeburger Börde befanden, und erhielt aus deren Saft bedeutend größere Zuckermengen. Seine Berechnungen ergaben, dass sich aus 1000 Bäumen rund 3281 Pfund Rohzucker gewinnen ließen. Begeistert hielt er fest:71
▷ Auf allen Fall lässt sich vorläufig urtheilen, dass einst der Staat von dieser Unternehmung einen sehr reelen Vortheil ziehen kann, wenn Ahorn-Plantagen angelegt werden, und das Ganze im großen finanziell betrieben wird. ◁ Hermbstaedt versuchte zu dieser Zeit auch, Zucker aus anderen Pflanzenarten zu gewinnen, darunter aus Weintrauben, Birken, Mais, Russischem Bärenklau, Mohrrüben und auch der Runkelrübe. Dabei war er sich der Konkurrenz mit Achards
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Rübenzuckerprojekt durchaus bewusst. „Da ich aber höre, dass Herr Achard sich jetzt mit ähnlichen Arbeiten beschäftigt“, schrieb er im Dezember 1798 in einem amtlichen Abschlussbericht an Struensee, halte er es für seine Pflicht, dem Minister über seine eigenen, gleichwohl noch unfertigen Versuchsresultate zu berichten, „um nicht zu spät damit einzulaufen“.72 Hermbstaedt favorisierte schließlich, ebenso wie Struensee und Kunth, die Ahornzuckergewinnung und legte gemeinsam mit Kunth alles darauf an, die Skeptiker in der Behörde auf die eigene Seite zu ziehen. Kunth unterstützte das Ahornzuckerprojekt nicht nur verbal, sondern unternahm auch eigene Versuche zur Anpflanzung von Zuckerahorn auf dem Tegeler Anwesen der Familie Humboldt. Ausgestattet mit Samen kanadischen Zuckerahorns, den die Preußische Seehandlung im Auftrag ihres Leiters Struensee in London aufgekauft hatte, begann er Ende der 1790er-Jahre mit der Anpflanzung einer größeren Zuckerahornplantage in Tegel. 15 Jahre später, im April 1814, würde er Wilhelm von Humboldt in einem Brief jedoch eingestehen müssen, dass nur wenige der rund 1200 Bäume die notwendige Wachstumsperiode von 20 Jahren, die für eine ökonomisch profitable Saftgewinnung erforderlich waren, überdauert hatten. Denn die meisten Bäume waren gefräßigen Hasen zum Opfer gefallen. Der Brief wirft ein bezeichnendes Licht auf die Erfolgsaussichten des Zuckerahornprojekts, das schließlich am 19. März 1799 mit einer Kabinettsorder des Königs für beendet erklärt wurde. Den Befürwortern des Rübenzuckerprojekts um Minister von Heinitz war es gelungen, starke ökonomische und technische Gründe gegen den Zuckerahorn ins Feld zu führen. Man hätte nicht nur relativ große Anbauflächen für die Bäume benötigt, sondern auch mindestens 20 Jahre abwarten müssen, bis diese das Alter für eine technisch rentable Saftgewinnung erreicht hatten. Bis dahin war es jedoch möglich, dass der Zuckerpreis auf dem Weltmarkt wieder erheblich gefallen war. Dagegen war Achards Rübenzuckerprojekt ungleich schneller und mit geringerem Aufwand umsetzbar.
Achard hält Vorträge über Landwirtschaft in der Akademie der Wissenschaften Wir haben oben schon erwähnt, dass der aus einer Hugenottenfamilie stammende Achard Anfang der 1790er-Jahre ein Gut in Französisch Buchholz erwarb, auf dem er seine Kultivierungsversuche von Zuckerrüben wieder aufnehmen konnte. Um die gleiche Zeit leitete er neue landwirtschaftliche Projekte in die Wege, die dem Mitglied der Märkischen Ökonomischen Gesellschaft alle Ehre machten. In den Jahren zwischen dem Verkauf seines Guts in Kaulsdorf Ende 1785 und dem Erwerb des
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neuen Guts in Französisch Buchholz beschäftigte er sich vorwiegend theoretisch mit Botanik und Pflanzenanbau. Unmittelbar nach Marggrafs Tod im August 1782 war er Direktor des Laboratoriums der Akademie der Wissenschaften und Leiter ihrer physikalischen Klasse geworden. Für den 29-Jährigen bedeuteten die damit verbundenen akademischen Erwartungen und Verpflichtungen in Berlin keine geringe Herausforderung. Wie andere Mitglieder der zeitgenössischen ökonomischen Gesellschaften setzte sich auch Achard mit den Schriften englischer Landwirtschaftspioniere auseinander. England, dessen „blühender Zustand der Landwirtschaft“ nicht zuletzt auf den Anbau pflanzlicher Futtermittel wie Luzerne und Raygras zurückging, galt als das große landwirtschaftliche Vorbild.73 Von Januar 1792 an hielt Achard wiederholt Vorträge über Botanik und Landwirtschaft auf den wöchentlichen Versammlungen der Akademie der Wissenschaften. Während sich die ersten dieser Vorträge noch weitgehend mit physiologischen Themen beschäftigten, wie zum Beispiel dem Einfluss „luftartiger Flüssigkeiten“ (Gase) auf die Vegetation, folgten bald solche eindeutig landwirtschaftlichen Inhalts. In den Registres der Akademie ist zum Beispiel für die Versammlung am 3. April 1794 ein Vortrag mit dem Titel „Beobachtungen und Bemerkungen über die Landwirtschaft und die ländliche Ökonomie“ eingetragen, dem am 2. Oktober 1794 ein weiterer über „Gips als Düngemittel“ folgte. 74 In diesen Vorträgen erklärte Achard den Akademiemitgliedern die Notwendigkeit einer wissenschaftlich geplanten Landwirtschaft, wobei er ihnen auch Details nicht ersparte. Unter anderem setzte er ihnen minutiös die Vorteile des Anbaus englischen Raygrases für die Milchwirtschaft auseinander. Seine Studien hätten ergäben, so Achard, dass Raygras im Vergleich zu anderen Futtermitteln wie Klee sowohl die Milchmenge der Kühe als auch den Fettgehalt der Milch erhöhte.75 Auf seinem Gut in Französisch Buchholz hatte Achard spätestens von 1792 an die Gelegenheit, alle diese Annahmen durch eigene Versuche zu überprüfen. Der Besitz dieses Landguts, so Achard, gebe ihm endlich wieder die Gelegenheit, „praktische Prüfungen“ vorzunehmen. Wenig später beschrieb er sein Projekt folgendermaßen:76
▷ Versuche über den Anbau mancherlei, in ökonomischer sowie in technologischer Hinsicht, zu prüfender Pflanzen, machten mir das Studium der Botanik unentbehrlich; weil diese so angenehme als nützliche Wissenschaft durch den Besitz einer in Kultur erhaltenen Gewächssammlung nicht nur noch mehreren Reiz erhält, sondern auch ihre fernere praktische Anwendung auf Ökonomie
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und Technologie, auch durch die bei der Kultur zu machenden Beobachtungen sehr befördert wird. ◁ Die Übereinstimmung von Achards Zielen mit Alexander von Humboldts Forderung von 1789 nach einer nützlichen Botanik ist unschwer zu erkennen.
Achards Versuche mit Raygras Auf seinem Gut in Französisch Buchholz setzte Achard seine früheren Versuche der Kultivierung von Zuckerrüben fort und experimentierte erstmals auch mit Raygras und einigen anderen ausländischen Grasarten. Zu diesem Zweck legte er Kunstwiesen und Gärten an und ließ Gewächshäuser errichten, in denen er Versuche mit Samen und Stecklingen vornahm. Zu seinen neuen Versuchsobjekten gehörte nun auch das Zuckerrohr, da er die Reinigungsverfahren für den Presssaft aus Zuckerrohr mit denjenigen für Rübenzucker vergleichen wollte. Achards neue Züchtungsversuche mit Samen hunderter verschiedener Pflanzenarten dienten neben Zielen der praktischen Nützlichkeit auch der Erweiterung botanischen Wissens. 1796 veröffentlichte Achard einen Katalog mit 2311 Pflanzenarten, die er in seinem Garten anbaute und „den Liebhabern der Botanik“ zum Tausch gegen andere Pflanzen und Samen anbot.77 Botanische und landwirtschaftliche Versuche waren nun aufs engste verflochten. Der Historiker Hans-Heinrich Müller hat nachgewiesen, dass Achards Kultivierungsversuche von Raygras auf Kunstwiesen in engem Zusammenspiel mit den brandenburgischen Kammern stattfanden. Die Kammern griffen seine Versuchsergebnisse auf und empfahlen sie interessierten Gutsbesitzern und Domänenpächtern zur Nachahmung. Umgekehrt ließ sich Achard die amtlichen Berichte über die Erfahrungen der Gutsbesitzer zustellen und verarbeitete diese in einer 1798 veröffentlichten Schrift, die er dem König mit der Bemerkung überreichte, er hoffe, „der vaterländischen Ökonomie nützlich geworden zu sein“. In einem weiteren Brief an Friedrich Wilhelm III. schrieb er, es sei sein „heißester Wunsch“, durch seine „Arbeiten gemeinnützig zu werden“.78 „Gemeinnützigkeit“ war in den Jahren um 1800 die Tagesparole nahezu aller preußischen Naturforscher. Auch der junge Humboldt würde im Frühjahr 1791 Minister von Heinitz versichern, er habe das Ziel, seinem Vaterlande nützlich zu werden. Im Frühjahr 1798 fasste Achard das Vorhaben ins Auge, auf seinem Gut eine Lehranstalt für „praktische Ökonomie“ mit einem botanischen Schwerpunkt zu gründen. Der König erhielt einen entsprechenden „Unterrichtsplan“. Die landwirtschaftliche
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Praxis des Pflanzenanbaus, argumentierte Achard, müsse „mit der Theorie so unzertrennlich verbunden werden“, dass daraus ein „solides Gebäude“ entstehe.79 Ähnlichen Argumenten über die Notwendigkeit der Verbindung von „Theorie und Praxis“ und der Ausarbeitung neuer Wissenschaftsformen begegnen wir in dieser Zeit auch im Zusammenhang der Gründung von Forst-, Berg- und Bauakademien. Achard wollte mit seiner Lehranstalt Gutsbesitzer, Pächter landwirtschaftlicher Domänen und alle Beamten, die „als Ökonom, Kameralist oder in Fabriken sich zum Dienst des Staates bilden wollen“, erreichen. Sein Plan sah vor, im Sommer und an Sonntagen zu unterrichten, um sich „dem Geschäfte der Belehrung sowohl im Hause als im Garten oder auf dem Feld zu widmen, wie der abzuhandelnde Gegenstand es erfordert.“80 In den technischen Sachdepartments des Generaldirektoriums und in den Kammern der Provinzen benötigte man schließlich landwirtschaftliche Experten. Zur Realisierung seiner Unterrichtspläne blieb Achard jedoch nicht die notwendige Zeit. Von 1799 an erforderten seine technologischen Versuche zur Rübenzuckergewinnung, auf die wir in Kapitel 24 zurückkommen, seine Anwesenheit in Berlin und seine ganze Aufmerksamkeit. 1800/01 verkaufte er schließlich das Landgut in Französisch Buchholz. Nur sechs Jahre später gelang es Albrecht Daniel Thaer auf seinem Gut in Möglin, ein landwirtschaftliches Lehrinstitut zu gründen, das ganz ähnliche Ziele verfolgte.
Thaers Musterlandwirtschaft Als Achard sein erstes Gut in Kaulsdorf erwarb, züchtete der nur ein Jahr ältere Stadtarzt Albrecht Daniel Thaer (1752 − 1828) noch Blumen in seinem Celler Garten. Thaer hatte 1774, nach einem Medizinstudium in Göttingen, die väterliche Arztpraxis in seiner Heimatstadt Celle übernommen. 1778 war er zum Stadtphysikus und zwei Jahre später zum „Hofarzt“ des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg ernannt worden, ein Amt, das mit der Übertragung der Aufsicht über die Celler Apotheken und Hebammen verbunden war. Um diese Zeit begann er, sich für Landwirtschaft zu interessieren. 1784 wurde er Mitglied der „Königlichen Landwirtschafts-Gesellschaft“ in Celle, dem Sammelpunkt ortsansässiger Protagonisten der ökonomischen Aufklärung. Zwei Jahre später kaufte er sich ein eigenes Grundstück für landwirtschaftliche Versuche, auf dem er ein Wirtschafts- und Wohnhaus errichtete und von nun an die Sommer verbrachte. Die „Botanik war mir zu steril; das Blumenbeet war mir zu kleinlich; ein Garten zu enge und zu einförmig“ geworden, erklärte er diesen Schritt zur Landwirtschaft. Später berichtete er über diese Zeit, er habe begonnen, die Landwirtschaft „zuerst als ein Handwerk, dann als Kunst und Wis-
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senschaft zu betreiben.“ 81 Thaer verwandelte seinen Celler landwirtschaftlichen Betrieb innerhalb weniger Jahre in eine „Muster- und Lehrwirtschaft“, die den Gutsbesitzern der Umgebung die „rationale“ Landwirtschaft vorführen sollte. In den ersten zehn Jahren erzielte er Ernteergebnisse, die rund 30 Prozent über denen seiner Nachbarn lagen. 1791 veröffentlichte er seine erste landwirtschaftliche Schrift Unterricht über den Kleebau und die Stallfütterung in Fragen und Antworten für den Lüneburgischen Landmann. Spätestens nach der Veröffentlichung des ersten Bands seiner Englischen Landwirtschaft galt er als führende Autorität der „LandwirtschaftsAbb. 8 Porträt Albrecht Daniel Thaer, Stich von Halle nach einem Bild von J. J. Lose (1803). Aus Klemm und Meyer (1968)
wissenschaften“ in Deutschland. 82 In dem ersten, 1798 erschienen Band seiner Englischen Landwirtschaft argumentierte Thaer für die Notwen-
digkeit einer wissenschaftlich fundierten Ausbildung der Landwirte, insbesondere der Gutsbesitzer und landwirtschaftlichen Verwalter. Durch die Gründung landwirtschaftlicher Akademien, die an Muster- und Experimentalwirtschaften angeschlossen wurden, sollten Theorie und Praxis vereinigt werden. Vier Jahre später, war dieses Ziel ein gutes Stück näher gerückt. Im Frühjahr 1802 gründete Thaer ein landwirtschaftliches Lehrinstitut in Celle, das eine öffentliche Vorlesungsreihe über Landwirtschaftswissenschaften und ausgewählte Gebiete der Naturkunde, Chemie und Botanik anbot. Noch im selben Jahr besuchte Hardenberg, der Thaer schon mehre Jahre kannte und umworben hatte, das Celler Unternehmen. Anfang 1804 übermittelte er ihm schließlich das offizielle Angebot Friedrich Wilhelms III., mithilfe königlich-preußischer Gelder eine Musterwirtschaft und Lehranstalt in Preußen aufzubauen. Thaer ging auf das Angebot ein und erwarb im Juni 1804 das Gut Möglin in der Nähe von Bad Freienwalde im Oderbruch. Er ahnte damals nicht, dass sich die zugesagte staatliche Hilfe auf eine Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften, die noch
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im März 1804 erfolgte, die Verleihung des Professoren- und Geheimen Ratstitels und ein Schutzversprechen beschränken und ihm die finanzielle Unterstützung versagt werden würde. Nur seine erfolgreiche Schafszucht würde es ihm später ermöglichen, das Gut weiterzuführen und sein Lehrinstitut zu finanzieren. Im Frühjahr 1806 begann Thaer mit der Errichtung eines Lehrgebäudes, für dessen Finanzierung er Aktien herausgab. Dabei hoffte er, die Aktien durch die Studiengebühren seiner Studenten, die auf dem Gut auch wohnen sollten, absichern zu können. Bei insgesamt 30 eingeplanten Studenten, von denen jeder einzelne jährlich 350 bis 600 Taler Studiengebühr entrichten würde, wäre eine ansehnliche Summe zusammengekommen. Diese Rechnung erwies sich jedoch bald als Trugschluss, denn die Baukosten waren höher als geplant, es wurden nicht alle Aktien verkauft, und wegen des Kriegs gegen die napoleonische Armee trafen im Herbst 1806 nur drei Studenten ein. Trotz großer und fortdauernder finanzieller Schwierigkeit nahm Thaer den Lehrbetrieb im November 1806 auf. Während die meisten Studenten, deren Zahl sich bis Juni 1807 auf 20 erhöht hatte, aus Grundbesitzerund Verwalterfamilien stammte, waren einige auch angehende Staatsbeamte, die in den technischen Sachdepartments des Generaldirektoriums oder den Kammern der Provinzen Anstellung suchten. Anders als im Celler Institut, in dem er nur einige Vorlesungen angeboten hatte, entwarf Thaer für sein Mögliner Institut ein verpflichtendes Lehrprogramm für ein einjähriges Studium. Die naturwissenschaftlichen und mathematischen Vorlesungen fanden vormittags, im Winter teilweise auch nachmittags statt, und während des Sommerhalbjahrs war die zweite Tageshälfte mit praktischen landwirtschaftlichen Arbeiten ausgefüllt. 1810 wurde Thaer außerordentlicher Professor für Kameralwissenschaften an der neu gegründeten Berliner Universität, wo er von da an im Winter unterrichtete.
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6. Humboldt betritt die Welt der Berg- und Hüttenwerke (1791) Humboldt hatte insgesamt drei Semester lang an Universitäten studiert, er kannte sich in den Kameralwissenschaften aus, hatte eigenständig botanische und mineralogische Studien betrieben und sich zudem mit Mechanik, Mathematik, Altertumswissenschaften, Völkerkunde, Philologie, Geschichte und Philosophie befasst. Er hatte vielfältige Interessen, doch im Frühjahr 1791 stand sein Entschluss fest: Er wollte „dem Vaterland“ dienen, nicht als Offizier, sondern als wissenschaftlich gebildeter, praktisch tätiger Bergbeamter. Im Sommer wollte er an die Freiberger Bergakademie gehen, um sich das nötige Rüstzeug zu verschaffen. Dann würde er als preußischer Bergbeamter in die Praxis einsteigen, die Bergtechnik voranbringen und gleichzeitig mineralogische und geologische Naturstudien betreiben. Am 14. Mai 1791 schrieb Humboldt einen Brief an den preußischen Minister Friedrich Anton von Heinitz (1725 − 1802), in dem er ihm den „Entwurf“ seines „künftigen öffentlichen Lebens“ vorstellte. „Ich stehe in dem Alter“, so der 21-Jährige, „in dem ich wünschen muss in einen bestimmten Wirkungskreis zu treten, und durch die geringen Kräfte, die ich in mir fühle, meinem Vaterlande nützlich zu werden“. Weiter heißt es: 83
▷ Entschiedene Neigung zur Mineralogie, zur Salz- und Bergwerkskunde und noch mehr die schmeichelhafte Hoffnung, dereinst vielleicht zur Ausführung der großen und wohlthätigen Plane mitzuwirken, durch welche Ew. Excellenz seit einer langen Reihe von Jahren, unserem Staate bald neue Quellen des Nationalreichthums eröfnen, bald die schon gefundenen nach den philosophischen, sich immer gleichen Principien der Staatswirthschaft benuzen lehren − diese Gründe
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veranlassen den Wunsch, unter Ew. Excellenz näheren Befehlen in hochdero verschiedenen Departments mich vollends ausbilden zu dürfen. ◁ Heinitz war damals schon 14 Jahre lang preußischer Minister und Leiter des zentralen preußischen Bergwerks- und Hüttendepartments, und seit 1786 war er auch für die Akademie der Künste, das Salzdepartement und die Königlich Preußische Porzellanmanufaktur verantwortlich. Für die Generation Humboldts verkörperte er den öffentlich wirksamen Mann höheren Standes, den patriotischen Kämpfer in der Behörde und den praktisch erfolgreichen Kameralisten, der sich für eine nachhaltige Innovationsstrategie des absolutistisch-merkantilistischen Staates, eine effektivere Verwaltungsstruktur und mehr Sachwissen in den Behörden einsetzte. Für die Durchsetzung seiner Ziele braucht er zuverlässige Helfer, Staatsdiener mit wissenschaftlich-technischer und ökonomisch-administrativer Kompetenz, und Humboldt brannte darauf, in seinen Kreis einzutreten. Auch andere junge Adlige fühlten sich von den Idealen eines von Heinitz, die mit der bürgerlichen Werteordnung harmonierten, angezogen. Einer der ersten Studenten an der Freiberger Bergakademie war Friedrich Wilhelm Heinrich von Trebra (1740 − 1819), der nach kurzem Studium zum Bergmeister im Bergamt Marienberg ernannt wurde. Ende der 1790er-Jahre studierte Novalis (Friedrich von Hardenberg, 1772 − 1801) in Freiberg. Naturforschung, technische Verbesserungsversuche und Dienst für das Vaterland bildeten in den Augen dieser jungen Adligen eine untrennbare Einheit. Die Freiberger Bergakademie war für sie eine Pilgerstätte und der Staatsdienst die beste Möglichkeit, ihre faustischen Ambitionen zu verwirklichen. Zwei Wochen nach dem Schreiben seines Bewerbungsbriefs sandte Heinitz eine positive Antwort an Humboldt. Sie war mit dem Hinweis verbunden, nach seinem Freiberger Studium solle er für die preußischen Salinen zuständig werden. Nach einer Einarbeitungsphase würde er als erstes die Salzwerke im preußischen Schönebeck und Halle inspizieren und danach eine Reise zu auswärtigen Salinen unternehmen, um Anregungen für technische Verbesserungen zu sammeln. Für Humboldt war dies ein Anreiz, noch während seines Studiums in Freiberg Salinen zu besichtigen und sich intensiv mit der Salzgewinnung zu beschäftigen. Nach weniger als einem Jahr, Anfang 1792, würde er dem Minister einen detaillierten Aufsatz über die Methoden der Salzgewinnung vorlegen, der auch wichtige Überlegungen über „nützliche Wissenschaften“ und ihre Förderung enthielt.84 Die wenigen Wochen vor seiner Abreise nach Freiberg verbrachte Humboldt hauptsächlich mit seinem Freund Willdenow, aber er traf auch andere Berliner Na-
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turforscher. Klaproth lud ihn in sein Apothekerlaboratorium ein und zeigte ihm, wie man Mineralien analysierte.85 Der neue Hofapotheker und Chemiker Sigismund Friedrich Hermbstaedt lud ihn ebenfalls ein, und mit dem fast gleichaltrigen Mineralogen und Bergassessor Dietrich Ludwig Gustav Karsten (1768 − 1810) schloss er in kurzer Zeit Freundschaft. Karsten, der seit langem durch Heinitz gefördert und 1789 von ihm in die Berliner Bergbehörde geholt worden war, kannte die Freiberger Bergakademie durch ein vierjähriges Studium aus eigener Erfahrung. Sein Werdegang, seine praktische Arbeit als Bergbeamter und sein gutes Renommee als Mineraloge müssen Humboldt wie die Projektion der eigenen Zukunft erschienen sein. Wenig später würde er ihm aus Freiberg schreiben:86
▷ Unsere künftige Carriere, und eine bergmännische wünsch’ ich mir doch, wird uns nahe, sehr nahe zusammenrükken. Ich verspreche mir einen großen Genuß davon, Genuß für meine Wißbegierde und mehr noch (denn die Empfindung trohnt bei mir über alles), mehr noch für mein Herz. ◁
Humboldt geht an die Freiberger Bergakademie Am 14. Juni 1791 traf Humboldt in Freiberg ein, um dort bis Februar 1792 zu studieren. Die Freiberger Bergakademie war 1765 als Ausbildungsstätte für sächsische Bergbeamte gegründet worden. Zu ihren Gründern gehörte auch Heinitz, der damals noch in sächsischen Diensten stand. Die aus Sachsen stammenden Studenten der Bergakademie bereiteten sich dort auf eine spätere Bergbeamtentätigkeit vor, erhielten ein Stipendium und trugen wie die Professoren Uniformen und Degen. „Ausländer“ wie Humboldt hatten dagegen hohe Studiengebühren von jährlich rund 700 Talern zu entrichten und waren von der Uniformpflicht befreit.87 Nachdem Abraham Gottlob Werner 1775 seine Lehrtätigkeit aufgenommen hatte, wurde die Freiberger Bergakademie zur Attraktion für montanwissenschaftlich interessierte junge Männer aus aller Welt. Werner galt als der größte Mineraloge seiner Zeit, dessen „systematischer Kopf“ selbst Linné überträfe.88 Der Erfolg der Freiberger Bergakademie beruhte aber auch auf ihrer außergewöhnlichen Verbindung von „Theorie und Praxis“. Die „Theorie“ − das heißt in diesem Kontext das schulische Studium, das vorwiegend durch Vorlesungen und Lektüre, aber auch durch Experimente sowie Mess- und Zeichenübungen ausgefüllt war, − wurde hier tagtäglich durch die „Praxis“, d. h. Einfahren in Gruben, Arbeiten in Hüttenwerken und andere handwerklich-bergmännische Tätigkeiten ergänzt.89 Das Studium war strikt geregelt, wobei die Praxis auf den Vormittag und die Theorie auf den Nachmittag fiel.
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Die junge Freiberger Bergakademie war noch keine technische Hochschule modernen Stils, sondern eine Zwitterinstitution, die die höhere akademische Ausbildung mit einer handwerklichen Lehre verband. Während sich die Lehre in den Gruben und Hüttenwerken nach den individuellen Berufszielen der Studenten richtete, gab es für den Unterricht der „Theorie“ ein verbindliches Curriculum, das durch Privatvorlesungen und -übungen ergänzt werden konnte. Der schulische Unterricht fand weitgehend im Akademiegebäude statt, das neben einem großen Hörsaal auch eine Mineraliensammlung, Bibliothek und Modell- und Instrumentensammlung beherbergte. Erst 1797 erhielt die Bergakademie ein eigenes, das bergamtliche Probierlaboratorium ergänzendes chemisches Laboratorium. Zu Humboldts Studienzeit fand der chemische Laborunterricht noch im Privatlaboratorium des 78-jährigen Bergrats und Chemieprofessors Christlieb Ehregott Gellert (1713 − 1795) und im Laboratorium des Bergprobierers statt.90 Humboldt besuchte nun die Vorlesungen Werners über „Oryktognosie“ (Mineralogie), „Geognosie“ (Geologie) und Bergbaukunst. Letztere war mit Bergmaschinen, Wasserbau, Grubenmauerung und -zimmerung und anderen grubentechnischen Dingen befasst. Die Mathematik und Physik wurde damals von Johann Friedrich Lempe gelesen, der nach eigenen Worten darauf achtete, „die Mathematik und die Physik stets mit Anwendung auf den Bergbau und in Verbindung mit practischen Versuchen“ zu lehren.91 Sein Vorgänger Johann Friedrich Wilhelm Charpentier − Bergrat, Mathematiker, Physiker, Bergmaschinenkundler und Leiter des Amalgamierwerks zu Halsbrücke − lehrte seit 1784 nicht mehr, doch Humboldt war ein gern gesehener Gast in seinem Haus. Überdies bot der Oberbergamtsassessor Alexander Wilhelm Köhler eine öffentliche Vorlesung über Bergrecht und bergmännischen Geschäftsstil an. Dieses verbindliche Lehrangebot wurde durch eine Reihe von Privatvorlesungen und Übungen ergänzt. So bot Werner zum Beispiel einen Privatkurs über Eisenhüttenwerkskunde an und Gellert lehrte zusätzlich die metallurgische Chemie. Im Unterschied zu den Vorlesungen an der Göttinger Universität, war Humboldt von Werners Unterricht begeistert. Im August 1791 schrieb er an Karsten, er besuche jeden Nachmittag von zwei bis drei Uhr dessen Vorlesung über „Oryktognosie“ (Mineralogie), und danach erteile ihm der Professor noch eine Stunde Privatunterricht. „Er giebt sich unendliche Mühe, mir die Prinzipien seines Systems, besonders die Grundsäze, nach denen er Gen[era] und Spe[cies] macht, zu erklären“, schrieb er, „und der Genuß ist für mich unaussprechlich groß dabei.“92 Der unverheiratete Werner widmete sich seinem Studenten mit ungeteilter Aufmerksamkeit. Er lud sie
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zu sich nach Hause ein, besprach mit ihnen die Vorlesungsmitschriften, gab Hinweise für die weitere Lektüre und organisierte auch ihre praktische Arbeit in Gruben und Hüttenwerken. Talentierten Studenten wie Humboldt erteilte er kostenlosen Privatunterricht und bezog sie auch in die eigene Forschungsarbeit ein. Humboldts Sympathie für Werner übertrug sich in Windeseile auf dessen wissenschaftliche Auffassungen, die er ohne Abstriche übernahm. Werner klassifizierte Mineralien nach ihren äußeren, unmittelbar beobachtbaren Eigenschaften, während deren chemische Zusammensetzung für ihn nur sekundäre Bedeutung besaß. Zustimmend schrieb Humboldt nun, die „äußere Charakteristik“ sei „die Basis alles oryktognost[ischen] Wissens“ und er „wende den größten Fleiß“ an, diese zu erlernen.93 In den 1790er-Jahren lag der Schwerpunkt von Werners Forschung jedoch auf der „Geognosie“, dem Vorläufer der modernen Geologie. Werners Geognosie befasste sich mit der Zusammensetzung und Struktur der festen Erdkruste, von ihren tiefen, der Alltagsbeobachtung entzogenen Bereichen bis zu den sichtbaren, oberirdischen Gebirgen. Sie studierte vor allem „Steine“, worunter Werner ausgedehnte Gesteinsmassen verstand, sowie ihre Verläufe und Schichtungen. Aus dem Studium der Gesteinsschichtungen erhoffte sich Werner nicht zuletzt auch Aufschluss über Erzgänge und Lagerstätten. Im Herbst 1791 arbeitete er an seiner Gangtheorie und der Fertigstellung einer neuen Schrift mit dem Titel Neue Theorie von der Entstehung der Gänge, mit Anwendung auf den Bergbau, besonders den freibergischen (1791). Ende November 1791 schrieb Humboldt an Karsten, Werner erteile ihm ein „privatissimum“ über seine Gangtheorie, die er nun detailliert kennengelernt habe. Seit drei Wochen habe er nach Werners Anweisung täglich verschiedene Gruben besucht und sei daher allmählich in der Lage, zu erkennen „wie einförmig und harmonisch selbst das verwikkelte Netz der Gänge gewebt“ sei. Humboldts Begeisterung für Werners Theorie und Methode ging so weit, dass er sich vornahm, ein eigenes Buch über die Gangtheorie zu schreiben.94
Werner: Naturforscher-Techniker Abraham Gottlob Werner (1749 – 1817), der über sich selbst sagte, er bearbeite seine Gegenstände „nicht blos als Geognost, sondern auch als Bergmann“, war alles andere als ein im Elfenbeinturm forschender Gelehrter. 95 Der Sohn eines Eisenhüttenwerksinspektors hatte von 1764 bis 1769 als Hüttenschreiber in einem Eisenwerk gearbeitet und von 1769 bis 1771 an der Freiberger Bergakademie studiert. Ein daran anschließendes dreijähriges Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Leipzig ebnete ihm den Weg für die höhere Beamtenlaufbahn. 1775
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wurde er an der Freiberger Bergakademie als Dozent für Mineralogie und Inspektor der Mineraliensammlung eingestellt. Seine Naturforschung konzentrierte sich dem entsprechend zunächst auf die Mineralogie und Klassifikation von Mineralien und von 1782 an auch auf die Geognosie. Parallel zur Lehre und Forschung beteiligte sich Werner an der praktischen Arbeit in der sächsischen Bergbehörde. Von 1791 an leitete er im Auftrag des Freiberger Oberbergamts eine geognostische Landesuntersuchung Sachsens, deren längerfristiges Ziel unter anderem in der Verbesserung der Lagerstättenkunde bestand. Nachdem er 1792 zum Bergkommissionsrat und Mitglied des Freiberger Oberbergamts ernannt Abb. 9 Porträt Abraham Gottlob Werner. Aus Hasse (1848).
worden war, unterstand ihm die bergbauliche Wasserversorgung, einschließlich der Bewirtschaftung der Kunstteiche und
Kanäle. Werner betrachtete diese technischen Aufgaben nicht als einen von außen auferlegten Zwang. Wie der junge Humboldt und andere Naturforscher seiner Zeit wollte er nicht nur am Katheder über die Nützlichkeit der Bergwerkswissenschaft dozieren, sondern sein Wissen auch in der Praxis wirksam werden lassen. Werner war Beamter, Naturforscher, Technologe und bergtechnischer Praktiker in einer Person. In seiner Lebens- und Arbeitsweise unterschied er sich ebenso deutlich vom traditionellen Gelehrten − dem Universitätsprofessor, Theologen oder Rechtsgelehrten − wie dem zunftgebundenen Handwerker. Für solche hybriden Personen gibt es in der Wissenschafts- und Technikgeschichte weder eine allgemeine Bezeichnung noch ist ihre Existenz und Rolle wirklich zur Kenntnis genommen worden. Sie werden hier als „wissenschaftlich-technische Experten“ bezeichnet, wenn ihre technische Arbeit und technologischen Verbesserungsprojekte im Vordergrund stehen, und als „Naturforscher-Techniker“, wenn ihre Beiträge für die Entwicklung der Natur- und Technikwissenschaften betont werden sollen. Die historischen Akteure selber sprachen von „Bergwerks-Gelehrten“ und sachkundigen „Naturforschern“.96
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Mit Achard und Thaer haben wir bereits zwei weitere Naturforscher-Techniker kennengelernt, die privat und oder mit staatlicher Unterstützung Innovationsprojekte in der Landwirtschaft unternahmen und gleichzeitig Naturforschung betrieben. Gleditsch und Willdenow, die als Akademiebotaniker den Königlichen Botanischen Garten leiteten und dort neue Nutzpflanzenarten züchteten, gehörtem zu diesem Kreis ebenso wie der junge Alexander von Humboldt, den wir heute nur noch als Naturforscher kennen. Wir werden noch zahlreiche andere Personen kennenlernen, die technische Arbeit mit technologischen Explorationen und Naturforschungen verbanden. Die hoch spezialisierten Techniker und Naturwissenschaftler, die für nichts anderes mehr Zeit haben außer ihrem Spezialgebiet, sind erst ein Produkt der Moderne. Die naturwissenschaftlich gebildeten Sachverständigen des 18. Jahrhunderts ragten zwar auch aus der Masse heraus, waren jedoch weniger spezialisiert als ihre modernen Nachfolger und zeichneten sich vor allem durch ihr soziales Engagement aus. Die im Staatsdienst oder im Umkreis staatlicher Behörden stehenden wissenschaftlich-technischen Experten oder Naturwissenschaftler-Techniker des 18. und frühen 19. Jahrhunderts sind Schlüsselfiguren für ein adäquates historisches Verständnis der Frühphase der Industrialisierung Preußens. Wie wir noch mehrfach sehen werden, erarbeiteten sie Strategien technischer Verbesserungen und gingen neue Wege in der Lehre technischen, mathematischen und naturwissenschaftlichen Wissens, die die Technikwissenschaften des 19. Jahrhunderts vorbereiteten. Gleichzeitig gehörten sie zu den Pionieren der analysierenden und exakten Naturwissenschaften, die ihre Arbeitswelt in Laboratorien der Naturforschung verwandelten.
Praktischer, bergtechnischer Unterricht Die Organisation des praktischen Ausbildungsabschnitts oblag Werner, der die Studenten ihren Vorkenntnissen entsprechend in Gruppen einteilte. Jeder Student hatte schriftliche Berichte über seine praktischen Tätigkeiten, sogenannte „Elaboratorien“, zu schreiben, die der genauen Beobachtung und der Einübung des Berichteschreibens für den späteren Bergbeamtenberuf dienten. Die Elaboratorien stellten die wichtigste Abweichung der praktischen Ausbildung von einer handwerklichen Lehre dar. Alle anderen Aufgaben wurden wie in der gewöhnlichen handwerklichen Lehre durch mündliche Instruktion angeleitet und bestanden in körperlicher Nachahmung und Einübung. Werner organisierte für Humboldts praktische Ausbildung die Zusammenarbeit mit dem sächsischen Stipendiaten (Johann) Carl Freiesleben (1774 − 1846). Als
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Sohn aus einer angesehenen Freiberger Bergbeamtenfamilie besaß der fünf Jahre jüngere Freiesleben bereits beträchtliche bergbauliche Erfahrung. Humboldt wohnte im Haus des Vize-Bergmeisters und Obereinfahrers Carl Friedrich Freiesleben, einem Onkel Carl Freieslebens. Jeden Morgen machten sich die beiden Bergstudenten von dort aus gemeinsam auf den Weg zu den Gruben. Nach kurzer Zeit knüpften sich Freundschafts- und Liebesbande. Humboldt teilte Freiesleben vorbehaltlos alle persönlichen Wünsche und Pläne mit. Noch viele Jahrzehnte würde er ihm anrührende Briefe schreiben. Der umfangreiche Briefwechsel der beiden Freunde dokumentiert ihr enges Vertrauensverhältnis ebenso wie ihr gemeinsames Interesse am Bergbau und den Naturwissenschaften. Freiesleben stand allerdings eine ganz andere Karriere bevor als Humboldt. Nach Abb. 10 Porträt Johann Carl Freiesleben. Aus Schellhas (1959)
einem dreijährigen Jurastudium in Leipzig trat er 1795 in den sächsischen Staatsdienst ein und gelangte 1838 als Berg-
hauptmann an die Spitze des sächsischen Montanwesens. In einem Glückwunschschreiben vom 13. Juni 1838 beteuerte ihm Humboldt, er habe großen Einfluß auf seine „praktische, bergmännische und geognostische Bildung ausgeübt“, und die Zeit, die sie gemeinsam verbracht hatten, sei „eine wichtige Epoche“ seines Lebens gewesen. „Solcher Epochen habe ich nur zwei oder drei gehabt“, hob er hervor, „neben Dir nenne ich Gay-Lussac und Arago.“ 97 Trotz seiner zahlreichen mineralogischen und geognostischen Veröffentlichungen und der Aufnahme in die Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften gilt Freiesleben heute fast auschließlich als ein früher Vertreter der wissenschaftlichen Lagerstättenkunde, also einer typischen Technikwissenschaft, und nicht auch als Naturwissenschaftler.98 Man sollte jedoch beachten, dass erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine deutliche Unterscheidung zwischen Natur- und Technikwissenschaften vorgenommen wurde.
6. Humboldt und die Welt der Berg- und Hüttenwerke
Auf seinem Weg zu den Gruben kam Humboldt an imposanten bergtechnischen Bauwerken vorbei.99 Wie im Harzer Bergbau im Umkreis der alten Bergstädte Goslar, Clausthal und Zellerfeld, war auch im sächsischen Bergbau eine komplexe technologische Infrastruktur für die Grubenentwässerung entstanden. Die gesamte Landschaft war durch Kunstteiche, Kanäle und Wasserleitungen geprägt, die ganzjährig Wasser für die Wasserräder lieferten, die die Pumpen in den Gruben antrieben. Dies war das erste große technologische System vor der Einführung von Eisenbahnnetzen und telegraphischen Überseekabeln im 19. Jahrhundert. Bereits 1715 war in Freiberg ein 188 Meter langer, von 24 Meter hohen Pfeilern getragener Aquädukt für die Wasserversorgung der Wasserräder errichtet worden. Zwischen 1778 und 1792 organisierte der Kunstmeister und Maschinendirektor Johann Friedrich Mende (1743 − 1798), einer der ersten Studenten der Bergakademie, den Bau zahlreicher neuer Wasserräder und Bergwerksmaschinen, zu denen erstmals auch eine Wassersäulenmaschine gehörte. 1789 entstand unter Mendes Leitung eine technische
Abb. 11 Darstellung des Bergbaus und Wasserleitsystems am Beispiel des Oberharzer Bergbaus (17. Jh.) Aus Bartels, del Árbol, van London und Orejas (2008), 152
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Sensation: ein fünf Kilometer langer Kanal mitsamt Schleuse und Schiffshebemaschine für den Transport von Erzen zum Hüttenwerk in Halsbrücke. Bei seinen Grubenbefahrungen lernte Humboldt die Zimmerung der Schächte, die Fahrkünste für die Erzbeförderung, die Vortriebe der unterirdischen Förderund Entwässerungsstollen, die Wasserräder, Kunstgestänge und diversen anderen Kunstvorrichtungen für die Wasserhebung kennen. Er sammelte Mineralien und unterirdische Grubenpflanzen, beobachtete Gesteinsschichtungen, vermaß die Temperatur der Grubenwinde und verfolgte das „Streichen“ (den räumlichen Verlauf) der unterirdischen Erzgänge, deren vollständiges Ausmaß erst den diagrammatischen Grubenrissen zu entnehmen war. Natur und Technik waren hier aufs engste miteinander verwoben. Ende August 1791 schrieb Humboldt an Karsten: 100
▷ Um 6 Uhr fahre ich an, regelmäßig alle Tage [...]. Diese Kenntniß des Technischen interessiert mich über alle Maaßen, und da ich 3 mal kürzere Zeit in Freiberg bin als meine Landsleute, so muß ich 3 mal mehr anfahren. Alles, was ich thue, geschieht nach Werners Vorschrift, der mir auf eine edle Art einen großen Theil seiner Zeit aufopfert. Werner hat mich in den ersten Wochen so ein 6 – 9 verschiedene Gruben befahren lassen, um generelle Ideen zu erlangen, jetzt bin ich fixirt. Ich arbeite gewöhnlich 3 Tage die Woche auf der Himmelfahrt sammt Abraham mit Schlegel und Eisen. ◁ Am Anfang der praktischen Ausbildung aller Bergstudenten stand die einfache, aber körperlich schwere Handarbeit des Häuers, die Humboldt hier erwähnt. In der dunkelnassen Welt untertage, vollständig von Felswänden umringt, leistete Humboldt fünf bis sechs Stunden lang körperliche Schwerstarbeit. Mit einem Eisenkeil und Hammer − Eisen und Schlegel (Schlägel) in der Bergmannssprache − schlug er die Erzbrocken aus dem Gestein. Bei hartem Gestein schaffte selbst ein kräftiger und erfahrener Häuer nur kleinste Erzmengen in einer Schicht. War man wie Humboldt im Umgang mit Eisen und Schlägel noch ungeübt, zog man sich leicht blutige Handverletzungen zu. „Ich treibe diese Arbeit seit ohngefähr 3 Wochen“, schrieb Humboldt an Karsten, „und blute wenigstens nicht mehr“.101 Der Erzabbau mit Schlägel und Eisen war eine jahrhundertealte Handwerkstechnik, die in Abhängigkeit von den örtlichen Gegebenheiten immer noch praktiziert wurde, ungeachtet der Tatsache, dass schon im 17. Jahrhundert der Erzabbau mit Schießpulver eingeführt worden war. Wie in anderen deutschen Bergbaugebieten, existierten jedoch auch in den sächsischen Gruben ältere und neuere
6. Humboldt und die Welt der Berg- und Hüttenwerke
Techniken nebeneinander. In den größeren Gruben wurde meist Schießpulver eingesetzt, wobei das Bohren von Schießlöchern sowohl Kraft als auch handwerkliches Geschick erforderte. Unter den Hüttenwerken, die Humboldt besuchte, galt das Amalgamierwerk zu Halsbrücke, das dem Mathematikprofessor und Bergbeamten Johann F. W. Charpentier unterstand, als besondere Errungenschaft. Hier war 1784 das von Ignaz Born (1742 − 1791) entwickelte kalte Amalgamierverfahren für die Silbergewinnung eingeführt worden. Das Prinzip des Verfahrens bestand darin, dass man das Silber zuerst mithilfe von Quecksilber aus dem Erz herauslöste, wobei ein Silber-Quecksilber-Amalgam entstand, und das Quecksilber anschließend durch Destillation aus dem Amalgam abtrennte.102 Das Verfahrensprinzip als solches war zwar nicht neu − es wurde schon im 16. Jahrhundert in Biringuccios Pirotechnica (1540) beschrieben und seither in Spanisch Amerika auch praktisch angewandt –, wohl aber die in Halsbrücke angewandte Verfahrensvariante. Der in habsburgischen Diensten stehende Chemiker und Bergbeamte Ignaz Born beanspruchte nicht weniger, als dass
Abb. 12 Silberamalgambildung in roterienden Fässern im Amalgamierwerk Halsbrücke. Aus Wagenbreth und Wächtler (1986), 291
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sie auf chemischem Wissen beruhe. Auch im Berliner Bergwerks- und Hüttendepartment wurde das so gesehen. Wie wir weiter unten sehen werden, ließ Minister von Heinitz 1787 in Berlin ein neues Laboratorium für Versuche zur kalten Amalgamation errichten, mit denen er den schwedischen Mineralogen Johann Jacob Ferber beauftragte. Humboldt war vermutlich über diese Berliner Versuche informiert, die jedoch wegen des frühen Tods von Ferber abgebrochen worden waren. Während seiner Zeit als Bergmeister in Ansbach-Bayreuth würde er ähnliche technologische Versuche zur Amalgamation von Golderzen vornehmen. Werner ermunterte seine Studenten zu mineralogischen Exkursionen, über die er ebenfalls schriftliche Berichte erwartete. Auf sein Anraten hin machten sich Humboldt und Freiesleben im August 1791 zu Fuß ins böhmische Mittelgebirge auf, um Basaltfelsen zu beobachteten und Mineralien zu sammeln. Humboldt, der sich auf die neptunistische Theorie Werners festgelegt hatte, brachte seinem Lehrer ein besonderes Geschenk zurück. Er war auf einen aus Basalt und Mergel zusammengesetzten Gesteinsbrocken gestoßen, der einen Pflanzenabdruck aufwies. Letzteres schien für dessen Entstehung im Meerwasser zu sprechen. Humboldt zögerte nicht lange zu deklarieren, seine „Entdeckung“ sei eine der „wichtigsten und entschiedendsten“ Tatsachen, die Werners neptunistische Theorie der Entstehung der Basalte belege.103
Zeichnen und Messen Im Oktober 1791 berichtete Humboldt seinem schottischen Freund Archibald Maclean, den er aus seiner Zeit an der Hamburger Handelsakademie kannte: 104
▷ Ich habe die gemeinen Arbeiten auf dem Gestein alle selbst gelernt, wie wir es nennen, meine Lehrhäuerschicht aufgefahren, und noch heute Morgen war ich mit Bohren und Schießen beschäftigt. Um 11 oder 12 Uhr komme ich aus der Grube und nun sind fast alle Stunden des Nachmittags mit Kollegien besezt − Oryktognosie und Geognosie bei Werner, Markscheiden, Probiren auf Silber, Risse- und Maschinen-Zeichnen. ◁ Wenn Humboldt mittags seine Lehrhäuerschicht beendet hatte, folgte nach kurzer Ruhepause die schulische „Theorie“, die nicht nur Vorlesungen, sondern auch Kurse über Markscheiden, Zeichnen, Probieren und Berginstrumente umfasste. Die Markscheidekunst − das Vermessen des Grubengeländes und der Grubenanlagen unter und über Tage und das Zeichnen von Grubenrissen − war fester Bestandteil des
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Lehrplans. Sie stellte höchste Anforderung an exaktes Vermessen und Zeichnen. Zu Humboldts Zeiten wurde sie von dem kurfürstlichen Markscheider Johann Friedrich Freiesleben, dem Vater von Carl Freiesleben, gelehrt. Das ebenfalls von Humboldt erwähnte Maschinenzeichnen sowie das Situations- und Perspektivzeichnen wurde von dem Zeichenmeister Johann Simeon B. Sieghardt unterrichtet, der auch eine Sammlung physikalischer Apparate und Modelle besaß.105 Den Kurs über Bergwerksinstrumente erteilte der Bergmechanicus Schubert und den über das „Probieren auf Silber“ der Bergprobierer Andreas Heinrich Klotzsch. Klotzsch unterrichtete die chemische Probierkunst, d.h. die genaue quantitative Ermittlung des Metallgehalts von Silber- und Golderzen, im bergbehördlichen Laboratorium, das sich im Hintergebäude des Oberbergamtshauses befand. Obwohl sich die bergbauliche Probierkunst auf den chemischen Nachweis einiger weniger Metalle beschränkte, war sie eine im gewerblichen Kontext ent-
Abb. 13 Grubenrisse (Grund- und Saiger- oder Aufriß) aus dem 18. Jahrhundert. Aus Vozár (1983), 45
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wickelte quantitative chemische Methode. Zwischen bergbaulicher Probierkunst und chemischer Analyse in akademischen Kontexten kam es daher wiederholt zu fruchtbaren Wechselwirkungen.106 Wie an keinem anderen Ort zuvor erlernte Humboldt an der Freiberger Bergakademie den Umgang mit Instrumenten und die Kunst des exakten Messens. Auch die Tatsache, dass dieser Unterrichtsteil von verbeamteten Handwerkskünstlern gelehrt wurde, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Verbindung von Theorie und Praxis in Freiberg. Werner beauftragte die Studenten überdies mit Messungen, von denen er Aufschlüsse über strittige geognostische Fragen erhoffte. Unter seiner Ägide ermittelten sie die Temperatur der Grubenluft und Gesteine in unterschiedlichen Tiefen. Stieg die Luft- und Gesteinstemperatur mit zunehmender Grubentiefe, argumentierte Werner, so würde dies für die vulkanistische Theorie und gegen die eigene neptunistische Auffassung vom Ursprung der Gebirge sprechen. 107
Humboldt studiert unterirdische Pflanzen und Grubenwetter Die Grubenbesuche animierten Humboldt auch zu einer Reihe wissenschaftlicher Nebenbeschäftigungen außerhalb des Lehrplans. Überraschend war er auf eine unterirdische Pflanzenwelt gestoßen, die vor allem aus Moosen, Flechten und anderen Krypotgamen bestand. Das frühere Sammeln von Kryptogamen im Berliner Tiergarten und die Bestimmungsübungen mit Willdenow erwiesen sich nun als hervorragende Voraussetzungen für die Untersuchung dieser noch weitgehend unbekannten Flora. Bereits im Juni berichtete Humboldt, er verbringe die Vormittage in Gruben, nachmittags besuche er Vorlesungen und „den Abend jage ich Moose“. Am ausführlichsten tauschte er sich mit Willdenow aus, sodass seine botanische Jagd bald systematische Dimensionen annahm. Ein aufregendes Problem ergab sich aus der Beobachtung, dass manche der unterirdischen Pflanzen trotz vollständiger Dunkelheit grün gefärbt waren. Die grüne Pflanzenfarbe, schrieb Humboldt im Herbst 1791 an den Herausgeber der Chemischen Annalen Lorenz Crell, werde gewöhnlich der Einwirkung des Sonnenlichts zugeschrieben, doch dies müsse nun infrage gestellt werden. „Die unterirdische Vegetation, die ich hier fast täglich zu beobachten Gelegenheit habe“, fügte er hinzu, „zeigt mir indeß, daß einige Pflanzen auch ohne Sonnenlicht grün und hauptsächlich bunt gefärbt sind.“108 Es war nur eine Frage der Zeit, bis Humboldt wieder den festen Entschluss gefasst hatte, ein Buch über die unterirdischen Pflanzen und die „chemische Pflanzenphysiologie“ zu schreiben. Ein Teil dieses Entschlusses wurde mit seiner Florae Fribergensis (1793) in die Tat umgesetzt.109 Humboldt ergänzte seine botanischen Beobachtungen durch
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physiologische Experimente, in denen er die Reaktionen von Pflanzenkeimlingen auf äußere Reize testete. Dabei setzte der die Keimlinge hohen Konzentrationen von Sauerstoff, „oxygenierter Salzsäure“ (später „Chlor“), Metalloxiden und anderen Chemikalien aus und beobachtete dann ihr Wachstum. Die von den Bergleuten gefürchtete schlechte Grubenluft, die sogenannten „Grubenwetter“, stellte eine weitere Herausforderung für Humboldt dar. Er begann, sich intensiver mit der Gaschemie zu beschäftigen. Auch dies erfolgte in Eigeninitiative, denn der Freiberger Chemieunterricht beschränkte sich damals weitgehend auf die metallurgische Chemie. Die Chemie der Gase war von Mitte des 18. Jahrhunderts an vorwiegend in England und Frankreich, von Chemikern wie Joseph Black, Henry Cavendish, Joseph Priestley und Antoine-Laurent Lavoisier, entwickelt worden. Auf seiner Englandreise mit Forster im Frühjahr 1790 hatte Humboldt sowohl Cavendish als auch den deutschen Lavoisieranhänger Christoph Girtanner kennengelernt. In Freiberg machte ihn nun ein spanischer Student und Lavoisieranhänger auf Lavoisiers Traité de chimie (1789) aufmerksam, in dem der Gaschemie ein fundamentaler theoretischer Platz eingeräumt wurde. Wie wir im dritten Teil sehen werden, stellten Humboldts gaschemische Studien in Freiberg eine Voraussetzungen für die Analysen von Grubenwettern und Gasen dar, die er später als Bergmeister unternahm und mit der Erfindung einer Grubenlampe und Atemmaske krönte. Humboldt war bald davon überzeugt, Lavoisiers Gaschemie liefere auch eine Antwort auf die Frage nach der Ursache der grünen Farbe unterirdischer Grubenpflanzen. In einem Aufsatz äußerte er die Vermutung, deren grüne Farbe entstehe infolge einer Wechselwirkung zwischen Grubengasen und der von Pflanzen abgegebenen „Lebensluft“ (Sauerstoff). 110 Den Mechanismus stellte sich Humboldt folgendermaßen vor: Über der Erde, so Humboldt, entwickelten die Pflanzen nur deshalb eine grüne Farbe, weil der „Lichtstoff“, der nach Lavoisier ein chemisches Element war, die abgegebene, schädliche Lebensluft an sich binde. In der Dunkelheit, in der kein Lichtstoff vorhanden sei, könne sich dagegen im Regelfall die von den Pflanzen abgegebene Lebensluft anreichern, sodass die grüne Pflanzenfarbe langsam ausgeblichen werde und die Pflanzen schließlich weiß wurden. Gruben stellten jedoch eine Ausnahme von diesem Regelfall dar. In Gruben, argumentierte Humboldt, werde die von Pflanzen abgegebene, ausbleichende Lebensluft von den Grubengasen gebunden, insbesondere von der in Grubenwettern enthaltenen „Stickluft“ (Stickstoff) und dem „entzündbarem Gas“ (Wasserstoff). Und dies habe zur Folge, dass die ausbleichende Lebensluft nicht mehr auf die Pflanzen einwirken könne und die Pflanzen somit ihre natürliche grüne Farbe behielten.
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„Ich habe an Kenntnissen unendlich gewonnen“ Im September 1791 schrieb Humboldt dem Züricher Botaniker Paul Usteri: 111
▷ Meine bergmännische Carriere ist nun entschieden, ich lebe ganz diesem Studium, für das ich so lange eine hinreissende Neigung hatte. ◁ Wenige Monate später, kurz vor Abschluss seines Studiums, geriet er jedoch in eine Krise. Humboldt arbeitete im Winter 1791/92 zusätzlich an einer Schrift über Salinen, mit der er sich auf seine Tätigkeit in der Berliner Bergbehörde vorbereiten wollte. Er fühle sich „umhergeschleudert“ schrieb er im Januar 1792 an Usteri. Nicht nur die Vorlesungen, sondern auch die praktische Grubenarbeit schienen ihm jetzt kostbare Zeit zu rauben. „Der Vormittag wird durchs Anfahren, der Nachmittag durch Kollegien verloren“, klagte er, sodass ihm die Zeit zum Schreiben fehle. 112 Humboldt ahnte jedoch, dass es auch höchst persönliche Ursachen für seine Unzufriedenheit gab. Seinem schottischen Freund Maclean gestand er, ihn plage ein „Geist der Unruhe, ein Streben nach Thätigkeit“ und gleichzeitig fehle es ihm an den alltäglichen „Ursachen der Fröhlichkeit“. Denn, so der 22-Jährige, „sinnliche Bedürfnisse kenne ich nicht“. Einen Monat später war Humboldt jedoch wieder mit sich im Reinen. Er werde nun bald ein „Metier“ betreiben, schrieb er einem anderen Freund kurz vor seiner Abreise aus Freiberg, „das man, um es zu lieben, nur leidenschaftlich treiben“ könne. In Freiberg habe er „an Kenntnissen unendlich gewonnen“ und sei „im Ganzen sehr froh“.113 An der Freiberger Bergakademie erwarb Humboldt technische und praktische Kenntnisse über Bergbau und Metallverhüttung und vertiefte sein mineralogisches, geologisches, chemisches, botanisches und pflanzenphysiologisches Wissen. Nur an einer neuartigen Lehrinstitution wie dieser war es möglich, sowohl die Praxis des Bergbaus als auch die dafür nützlichen Wissenschaften zu studieren. Humboldt ist uns heute als ein akribisch vermessender Naturforscher bekannt, aber wie alle Naturforscher musste er seine Kenntnisse über Messinstrumente und Fähigkeit zum genauen Beobachten und Messen erst erlernen. Die Freiberger Bergakademie war der erste Ort, an dem er systematischen Umgang mit Messinstrumenten hatte und in die Messkunst eingeführt wurde. Dort lernte er auch das Schreiben detaillierter Reise- und Tätigkeitsberichte, die zwar den Stempel bergbaulicher Inspektions- und Amtsberichte trugen, aber auch Ähnlichkeiten mit geologisch-mineralogischen Reiseberichten hatten. Während seines Studiums an der Freiberger Bergakademie und in den nachfolgenden Jahren seiner Bergbeamtentätigkeit reicherte Humboldt
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einen Erfahrungsschatz an, der von unschätzbarem Wert für seine späteren Forschungsreisen, wissenschaftlichen Beobachtungen, Messungen und Experimente sein würde.
7. Staatlicher Bergbau und Bergbeamte – das sächsische Vorbild Wir halten hier inne, um einige Orientierungspunkte für das Verständnis von Bergbau und Bergbeamten zu gewinnen. Wie war die Arbeit in den sächsischen Berg- und Hüttenwerken des 18. Jahrhunderts organisiert? Was sind Bergbeamte und welche Rolle spielten sie? Warum wurde 1765 eine Bergakademie in Freiberg gegründet? Die utilitaristischen Programme der Aufklärungsbewegung und des Kameralismus hatten zweifellos ihren Anteil an der Gründung dieser neuartigen Ausbildungsinstitution, aber es gab auch eine Reihe weiterer, konkreter Gründe dafür, die in den lokalen Strukturen des sächsischen Bergbaus, seiner staatlichen Lenkung und der Praxis der Bergbehörden verankert waren. Friedrich Anton von Heinitz war Mitbegründer der Freiberger Bergakademie und zehn Jahre lang leitender sächsischer Bergbeamter. Als preußischer Minister und Leiter der zentralen preußischen Bergbehörde würde er eine ähnliche Politik verfolgen wie zuvor in Sachsen. Wenn im 18. Jahrhundert von „Bergbau” die Rede war, so waren damit auch die Hüttenwerke eingeschlossen, die sich meist in der Nähe der Gruben befanden, sowie die metallverarbeitenden Betriebe und sogenannten „Bergfabriken” wie Blaufarben-, Alaun-, Vitriol-, Arsenik- und Schwefelwerke, Glashütten und Porzellanmanufakturen, die bergbauliche Rohmaterialien weiterverarbeiteten. Sachsen war ein Bergstaat, dessen Ökonomie maßgeblich vom Silberbergbau abhing und in geringerem Umfang von der Blei-, Zink-, Zinn-, Kupfer- und Eisengewinnung.114 Die Organisation des sächsischen Bergbaus lag in den Händen des Staates, der im Verlauf des 17. Jahrhunderts das staatliche „Direktionsprinzip“ vollständig durchgesetzt hatte. Nach diesem Prinzip war auch der jahrhundertealte Erzbergbau im Harz organisiert, und Preußen folgte diesem Vorbild nach dem Siebenjährigen Krieg. Das Direktionsprinzip, nach dem der Staat nahezu unumschränkte Eingriffsund Leitungsbefugnisse im gesamten Bergbau besaß, baute juristisch auf dem älteren Bergregal auf, das dem Landesherrn die Verfügungsrechte über alle natürlichen Bodenschätze erteilte. Der Landesherr konnte entweder selbst Gruben eröffnen und Hüttenwerke betreiben oder das Land an Privatunternehmer bzw. genossenschaftli-
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che Zusammenschlüsse von Privatpersonen, sogenannte „Gewerken“ oder „Gewerkschaften“, verpachten. Die Gewerken hatten dann einen Teil ihrer Einnahmen, meist den „Zehnt“ (10 Prozent) oder eine frei vereinbarte „Kuxtaxe“ an die Staatskasse abzuführen. Auf diese Weise sicherte sich der Regalherr beträchtliche Einkünfte, ohne selbst ein Investitionsrisiko zu tragen. Die Gewerken erhielten dafür das exklusive Privileg für den Abbau der Bodenschätze in den ihnen überlassenen Bergrevieren, das mit weiteren Rechten, wie dem einer eigenständigen Rechtsprechung, verbunden war. Das auf dem Bergregal aufbauende Direktionsprinzip reduzierte die Aufgaben der privaten Gewerken weitgehend auf die Funktion von Geldgebern, die, ähnlich wie moderne Investoren in Aktienunternehmen, am erwirtschafteten Gewinn partizipierten. Die Mitglieder der Gewerken erwarben Grubenanteile („Kuxen“) und erhielten auf jeden Kux einen Gewinnanteil, die „Ausbeute“. In unrentablen Gruben leisteten sie „Zubußen“ für den laufenden Betrieb und Neuinvestitionen. Die Unternehmensleitung, Einstellung der Bergleute und alle wichtigen wirtschaftlichen, technischen und administrativen Entscheidungen lagen dagegen in den Händen des Staates. In den kursächsischen Hüttenwerken, die seit dem 16. Jahrhundert fast vollständig in Staatsbesitz übergegangen waren, wurde auf dieselbe Weise verfahren. Für die Leitung der Gruben und Hüttenwerke schuf der sächsische Staat besondere Bergbehörden, die hierarchisch organisiert waren. An der Spitze sämtlicher Berg- und Hüttenwerke und Bergfabriken stand eine zentrale Behörde in Dresden, das „Kammer- und Berggemach“. In Freiberg war das ausschließlich für die Bergwerke zuständige „Oberbergamt“ angesiedelt, an das noch ein „Oberhüttenamt“ angegliedert war. Dem Oberbergamt unterstanden wiederum die insgesamt 16 lokalen Bergämter in den einzelnen Bergrevieren. Während die Beamten des Dresdener Kammer- und Berggemachs vorwiegend mit fiskalischen Aufgaben beschäftigt waren, kamen die im Freiberger Oberberg- und Oberhüttenamt und den lokalen Bergämtern arbeitenden Bergbeamten auch administrativen und technischen Aufgaben nach. Sie waren, modern ausgedrückt, sowohl Finanzbeamte als auch staatlich eingesetzte Betriebsleiter, Manager und Techniker. Denn es waren die Staatsdiener, die für den Bau der Schächte und Stollen, die Funktionstüchtigkeit der Erzfördermaschinen, Wasserräder und Stangenkünste, die Anlage von Speicherteichen, Kanälen und Straßen und die Technik der Hüttenwerke verantwortlich waren. Das Direktionsprinzip hieß in der Praxis, dass Berg- und Hüttentechnik in staatlicher Hand lagen.
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Bergbau und Hüttenwesen waren die Großindustrie des 18. Jahrhunderts. Nirgendwo sonst existierte eine derart avancierte Maschinentechnik, die in ein infrastrukturelles System von Kunstteichen, Kanälen und Wasserleitungen eingebettet war. Ein ebenso hohes Entwicklungsniveau wies die Arbeitsteilung auf. Der kursächsische Staat beschäftigte um 1780 rund 11 000 Bergarbeiter, die sehr spezielle Teilfunktionen in den Berg- und Hüttenwerken ausübten. Die körperlich schwer arbeitenden Häuer, die das Erz abbauten, hatten nur wenig gemeinsam mit den Haspelknechten, die das Erze zutage förderten, und die Verrichtungen beider unterschieden sich wiederum signifikant von denen der Schmelzer in den Hüttenwerken. Diese technische Arbeitsteilung wurde durch eine soziale Trennung ergänzt. Die Häuer, Knappen, Haspelknechte, Zimmerer und allen anderen Bergleute, die körperlich schwere Arbeit leisteten und eine einfache Handwerkslehre absolviert hatten, gehörten zu den Bergarbeitern, während die Steiger, Schichtmeister, Probierer, Markscheider und Kunstmeister zu den technischen Beamten gehörten. Die Freiberger Bergräte koordinierten das Zusammenwirken dieser Praktiker und trafen technische Entscheidungen. Aber auch sie waren keine reinen Kopfarbeiter, sondern übernahmen auch selbst praktische und experimentelle Spezialaufgaben.115 Die Bergbeamten in Freiberg und den lokalen Bergämtern erfüllten somit administrative und technische Schlüsselfunktionen im arbeitsteilig organisierten System des Bergbaus und Hüttenwesens. Dazu kamen juristische Aufgaben in einem Bergstaat wie Kursachsen, in dem die Rechtsprechung in allen bergbaulichen Angelegenheiten an die Bergbehörden delegiert war. Innerhalb der Beamtenhierarchie waren diese Aufgaben auf verschiedene Berufe und Beamtenränge verteilt, die wir grob in zwei Gruppen einteilen: die unteren und mittleren „technischen“ Beamten und die höheren Berg- und Hüttenbeamten. Das Direktionsprinzip hieß in der Praxis nichts anderes, als dass die Berg- und Hüttentechnik und die wichtigen Entscheidungen über deren Innovation in staatlicher Hand lagen. Alle bergbaulichen Veränderungen und Verbesserungen hingen somit vom Sachwissen und der Innovationsbereitschaft der Bergbeamten ab.
Heinitz in Sachsen: gegen den traditionellen Wertecodex Friedrich Anton von Heinitz (1725 − 1802) war zuerst Vizeberghauptmann in braunschweigisch-wolfenbüttelschen Diensten und Leiter des Harzer Kommunion-Bergbaus gewesen. Der gebürtige Sachse hatte als 17-Jähriger die Salzherstellung in den Salinen von Kösen (bei Naumburg) kennengelernt und war dann zwei Jahre lang in Freiberg bei seinem Onkel, dem Berghauptmann Hans Carl von Kirchberg,
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in die Lehre gegangen. 1746 ging er nach Braunschweig-Wolfenbüttel, da es in Sachsen keine angemessene Stelle für ihn gab. In den folgenden 17 Jahren baute er seine bergbaulichen Kenntnisse im Harzer Bergbau aus und sammelte weitere Erfahrungen auf Reisen in schwedische und österreichisch-ungarische Bergbauregionen. Im Dezember 1763 wurde Heinitz in den kursächsischen Staatsdienst berufen, im Februar 1764 trat er seinen Dienst als Geheimer Kammer- und Bergrat im Dresdener Kammer- und Berggemach an, und im Juni des darauf folgenden Jahres wurde er zum „Generalbergkommissar“ ernannt. Da mit der Ernennung zum Generalbergkommissar weitgehende Eingriffsbefugnisse in das Freiberger Oberbergamt verbunden waren, war er damit neben dem Freiberger OberbergAbb. 14 Porträt Friedrich Anton v. Heinitz als sächischer Generalbergkommissar. Aus Rektor und Senat der Bergakademie Freiberg (1965)
hauptmann Friedrich Wilhelm von Oppel (1720 − 1769) faktischer Leiter des gesamten sächsischen Bergbaus. Dies führte nur deshalb nicht zu größeren Konflikten,
weil Heinitz und Oppel dieselben Reformziele verfolgten und gute Freunde waren. Heinitz und andere, ihm gleichgesinnte hohe Bergbeamte wie der Bergmeister Friedrich Wilhelm von Trebra führten einen Feldzug gegen Inkompetenz und Korruption in der Behörde. Nahezu alle Kammer- und Bergräte im Dresdener Kammer- und Berggemach, aber und auch einige der Bergräte im Freiberger Oberbergund Oberhüttenamt waren aus ihrer Sicht unfähig, den Bergbau wirklich zu leiten. Ohne ausreichende Sachkenntnisse über den Bergbau waren sie nicht in der Lage, Investoren zu gewinnen, die Bergtechnik zu verbessern oder gar neue Methoden der Lagerstättenerschließung und Metallverhüttung in die Wege zu leiten, die auch das Wissen der Mineralogie, Geognosie und metallurgischen Chemie berücksichtigten. Aus der Sicht der kritisierten Dresdener Beamten war diese Beurteilung jedoch aus mehreren Gründen irrelevant. Zum einen definierten die hohen Dresdener Berg-
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beamten ihre Aufgaben hauptsächlich fiskalisch. Nach ihrer Auffassung hatten die leitenden Bergbeamten für einen regelmäßigen Geldfluss in die Staatskasse und die Geldbörsen der Kuxbesitzer zu sorgen, während für den normalen technischen Betrieb die mittleren und unteren technischen Bergbeamten zuständig waren. Solange im sächsischen Bergbau mit der bestehenden Organisation und Bergtechnik im Durchschnitt eine befriedigende „Ausbeute“ erzielt wurde, gab es für diese traditionellen, fiskalischen Beamten keinerlei Anlass zu Reformen. Im Gegenteil, da technische Verbesserungen zunächst „Zubußen“ erforderten, würden diese die vorhandene Balance zwischen Ausbeute und Zubuße gefährden. Da ihnen der Bergbau zudem als Glückssache galt, sahen sie wenig Veranlassung, langfristig in die Bergbautechnik zu investieren und dafür Sachwissen zu mobilisieren. Die ökonomische Krise nach dem Siebenjährigen Krieg hatte diese Haltung zwar in Frage gestellt, aber ein Umschwenken zu den Positionen eines von Heinitz war damit nicht verbunden. Heinitz sah sich im Gegenteil in der Dresdener Behörde mit Widerständen und Intrigen konfrontiert, die ihn schließlich 1774 veranlassen würden, sein Abschiedsgesuch einzureichen. Überdies setzte das Wertesystem der hohen Dresdener Beamten andere Akzente als das des Kameralisten Heinitz. Die höchsten Leitungspositionen in den sächsischen Verwaltungs- und Regierungsbehörden waren bis Ende des 18. Jahrhunderts mit Adligen besetzt, und diese bestimmten den Wertekanon. Ebenso verhielt es sich in anderen deutschsprachigen Ländern, darunter auch Preußen. Im traditionellen Wertecodex des Adels rangierten adlige Herkunft und ehrenhaftes Benehmen an oberster Stelle. Dazu kam die hohe Wertschätzung für einen Lebensstil, der körperlich-technische und nutzbringende Tätigkeit, mit Ausnahme von Militärdienst und Jagd, prinzipiell ausgrenzte. Im traditionellen Ehrencodex des Adels lebte somit die uralte ideologische Trennung von Kopf- und Handarbeit weitgehend ungebrochen fort. Adlige, die aus finanziellen Gründen gezwungen waren, einen Beruf auszuüben, setzten sich daher immer der Gefahr aus, dass ihre Berufstätigkeit als unwürdig galt. Ergriff ein Adliger den Beamtendienst, so galt dies nur dann als ehrenhaft, wenn sein Amt keine technischen Aufgaben implizierte. Technische Dinge galten als Inkarnation des Bürgerlichen, von dem man sich fernhielt. Noch in der Gründungszeit der Bergakademie war es daher so gut wie ausgeschlossen, dass Adlige Beamtenpositionen wie die eines Bergmeisters übernahmen, die mit täglichen Inspektionen in Gruben und anderen technischen Aufgaben verbunden war. So hatte zum Beispiel Friedrich Wilhelm Heinrich von Trebra, einer der ersten Studenten der Freiberger
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Bergakademie, erhebliche Widerstände zu überwinden, als ihm Heinitz 1767 eine Bergmeisterstelle im kursächsischen Marienberg anbot. Im Dresdener Kammer- und Berggemach lies man darüber verlauten, dass bisher kein Edelmann „noch je an solche Stelle sich gewagt hatte“. Und nur, weil es die „Noth erforderte“, wurde Trebra schließlich als Bergmeister akzeptiert.116 Der Adel vertrat somit traditionell ganz andere Werte als Wissen, Sachkompetenz und technisches Können. In einer Bergbehörde, die dem adligen Wertecodex folgte und in der Wissen ganz unten auf der Werteskala stand, konnte Heinitz nur Außenseiter sein.
Heinitz’ Strategie: Staatliche Planung, langfristige Investitionen und zuverlässiges Wissen Heinitz’ Berufung in den sächsischen Staatsdienst war von einer Restaurationskommission vorgeschlagen worden, die kurz vor Ende des Siebenjährigen Krieges eingerichtet worden war. Der sächsische Staat hatte unter Kurfürst Friedrich August II. enorme Schulden angehäuft, die im Verlauf des Kriegs noch gestiegen waren. Der Kurfürst willigte daher in die Bildung einer Restaurationskommission ein, die Vorschläge für eine Staats- und Wirtschaftsreform erarbeiten sollte. Es waren die Kameralisten innerhalb dieser Kommission, die Heinitz als Organisator für die Neuordnung des sächsischen Berg- und Hüttenwesens vorschlugen.117 Im November 1766, setzte Heinitz die Einsetzung einer generellen Revisionskommission durch, die den gesamten kursächsischen Bergbau inspizierte, einschließlich aller Hüttenwerke und „Bergfabriken“, das heißt der Blaufarben-, Alaun-, Vitriol-, Schwefel- und Arsenikwerke sowie der Hammerwerke, Blechwerke und Salinen. Das systematische Vorgehen dieser Kommission und ihre abschließenden Verbesserungsvorschläge entsprachen genau seinen Vorstellungen. Eine gute staatliche Leitung des Bergbaus, wie sie Heinitz vorschwebte, setzte eine umfassende und rigorose Bestandsaufnahme voraus sowie die schonungslose Offenlegung von Mängeln. Zudem war sie mit der Bekämpfung von Unwissenheit, Inkompetenz und Faulheit im Beamtenapparat verbunden. In seinem abschließenden, mehr als 150 Seiten umfassen Revisionsbericht von 1771 und einem Begleitschreiben sparte Heinitz nicht mit Kritik. Als Heinitz aus dem Harzer Bergbau kommend im Februar 1764 seinen Dienst in Kursachen antrat, hatte er ein technisch avanciertes Hüttenwesen und ein vorbildliches Grubenentwässerungssystem vorgefunden. Aber die Grubenbautechnik und die Methoden des Erzabbaus und der Erzförderung glichen vielerorts noch den Beschreibungen, die
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Georg Agricola in seiner De Re Metallica (1556) gegeben hatte. Es gab noch viele kleine Gruben, schlecht ausgebaute Schächte und enge Abbaustrecken, in denen man die Erze mit Eisen und Schlägel anstelle von Schießpulver abbaute und dann mit einfachen Laufkarren und kleinen Haspelkübeln transportierte. In Heinitz’ Augen, der unweigerlich Vergleiche mit dem Harzer Bergbau und demjenigen in Schweden und Österreich-Ungarn anstellte, hatte Kursachsen einiges nachzuholen. Überdies war die Erzförderung seit dem Siebenjährigen Krieg rückläufig, wie selbst das Dresdener Berg- und Kammergemach eingestehen musste. Allein der Silbererzabbau stellte mit einer leicht ansteigenden Wachstumstendenz eine Ausnahme dar. Für die Gewerken bedeutete dies eine spürbare Reduktion ihrer Ausbeute bzw. eine Steigerung der Zubuße. Auch die nur an fiskalischen Sachverhalten interessierten Bergräte im Dresdener Kammer- und Berggemach verstanden dies als deutliches Warnsignal. 118 Für die Verbesserung und Erneuerung der Bergbautechnik war die Bergbehörde zuständig, deren Aufgabe es auch gewesen wäre, für diesen Zweck Investitionen sicher zu stellen. Heinitz bemängelte daher, die Bergämter schütteten die vorhandene spärliche Ausbeute oft nach Gutdünken an die Kuxbesitzer aus, anstatt sie in die Verbesserung der Gruben zu investieren. Ein weitaus schlimmerer Vorwurf war derjenige der Duldung von Raubbau.119 Vergleichbar mit der bereits im frühen 18. Jahrhundert erhobenen Forderung nach einer nachhaltigen Nutzung des Waldes für die Holzgewinnung, forderten die Kameralisten unter den Bergbeamten einen ressourcenschonenden Abbau der Erze. Der Abbau leicht erreichbarer, reichhaltiger Silbererze und die gleichzeitige Vernachlässigung von Investitionen in den Ausbau einer Infrastruktur, die auch den Abbau tiefer gelegener oder ärmerer Erze ermöglichen würde, untergrub den Bergbau nachfolgender Generationen. So schwer dieses Argument zu widerlegen war, so wenig schenkte man ihm in der Dresdner Behörde Beachtung. Im Harzer Silberbergbau hatte Heinitz dagegen eine Politik der Nachhaltigkeit und langfristigen Investitionsbereitschaft kennengelernt. Schon im frühen 18. Jahrhundert hatte der Berghauptmann Heinrich Albert von dem Busch dort mit der Bildung eines langfristigen Kapitalfonds für bergbauliche Innovationen neue Ziele propagiert, mit denen Heinitz durch dessen späteren Nachfolger Carl von Imhoff vertraut gemacht wurde.120 Imhoff und Heinitz hatten zweimal die österreichisch-ungarische Bergstadt Schemnitz besucht. Bei ihrem zweiten Besuch im Jahr 1751, bei dem sie auf Bitten des Kaiserlichen Hofes eine gründliche Inspektion vornahmen, warnte Imhoff vor Raubbau und mahnte Investitionen in einen nach-
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haltigen Bergbau an.121 Für Imhoff, den Heinitz später als einen seiner wichtigsten Lehrer bezeichnete, beinhaltete das staatliche Direktionsprinzip somit einen gesellschaftlichen Auftrag für nachhaltige Investitionen in den Bergbau. Heinitz’ Kritik am sächsischen Bergbau richtete sich insbesondere an das Dresdener Kammer- und Berggemach, wo er sich fast tagtäglich aufhielt. Die Dresdener Bergräte, so Heinitz, säßen in ihren Amtsstuben fest, besuchten die Bergreviere und Gruben nicht und hätten alles in allem nur eine äußerst vage Vorstellung von den Techniken der Metallverhüttung. Sie hätten zudem nichts unternommen, um den Wissensstand in der Behörde zu verbessern.122 Anstatt die „Bergwerkswissenschaften“ zu fördern, „die sich auf die Natur Lehre, Mathematic und Chymie gründen“, so Heinitz, hätten sie die chemische Analyse der Mineralien ignoriert, die alchemistische Goldmacherei unterstützt und die Suche nach Lagerstätten mit der Wünschelrute geduldet.123 Die Verwendung der Wünschelrute bei der Lagerstättensuche war seit Agricolas Zeiten umstritten, zum einen, weil ihr Erfolg empirisch fragwürdig war, und zum anderen, weil sie unter dem Verdacht stand, unlautere magische Kräfte zu nutzen. Die Befürworter der Wünschelrute argumentierten dagegen, ihre Wirkung beruhe auf einer unbekannten Kraft in den Erzgängen, die die Rute anzöge, wenn man sie richtig in der Hand halte und keine persönliche „Veranlagung“ besitze, diese Kraft aufzuheben.124 Unter dem Strich ergab sich daraus bereits für Agricola die Schussfolgerung, ein guter Bergmann solle „der Natur der Dinge kundig und verständig sein“ und erkennen, dass „ihm die Wünschelrute nichts nutzen“ könne.125 Heinitz, dessen Leitlinie Berechenbarkeit und Planbarkeit war, lehnte die Wünschelrute ebenso vehement ab wie die alchemistische Goldmacherei. Planbarkeit des Bergbaus beruhte nach seiner Auffassung auf überprüfbarem, kommunizierbarem Wissen und insbesondere auf dem Wissenstransfer von unten nach oben innerhalb der Behörde. Dies implizierte die entschiedene Absage an persönliches Geheimwissen, sei es das des Wünschelrutengängers, des Alchemisten oder, wie wir später noch sehen werden, des Arcanisten in der Porzellanmanufaktur. Heinitz insistierte stattdessen auf der regelmäßigen, schriftlichen Berichterstattung seiner unteren, technischen Beamten, die ihm als wichtiger Hebel für die Abschaffung persönlichen Geheimwissens und die Förderung des Wissenstransfers innerhalb der Behörde galt. Allen traditionellen handwerklichen Praktiken, die sich mit diesem Ziel nicht vereinbaren ließen, sagte er den entschiedenen Kampf an.126 Auch die Freiberger Bergämter blieben von Heinitz’ Kritik nicht verschont. Schon kurz nach seiner Ernennung zum Generalbergkommissar hatte Heinitz eine
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Abb. 15 Bergmännische Arbeit der Häuer, Grubenjungen und Haspelknechte (16. Jh.), Zeichnung von Heinrich Gross (um 1550). Aus Winkelmann (1962), Tafel XIV
Inspektion des Freiberger Oberbergamts vorgenommen. Zwar lobte er anschließend die Arbeit des neuen Oberberghauptmanns und alten Freunds Friedrich Wilhelm von Oppel, kritisierte jedoch auch den Mangel an guten, sachkundigen Bergräten und die Vernachlässigung der Beamtenausbildung. Mit Blick auf die Ebene der unteren, technischen Beamten beanstandete er insbesondere, dass es in Sachsen keinen Kunstmeister für die Bergmaschinentechnik gab.127 In seinem Revisionsbericht von 1771 wiederholte Heinitz derartige Kritik auch in Hinblick auf lokale Bergbehörden. Wiederholt testierte er den Beamten Unwissenheit, „zanksüchtigen Denunzianten-Geist“, „Eigennutz“, Faulheit und „allgemeine Schlafsucht“. Ebenso systematisch mahnte er die „Heranziehung“ „tüchtiger Subjekte“ und fähiger „Bedienter“ an, die eine Verbesserung der Bergtechnik bewerkstelligen könnten. In einigen Bergämtern fehlte es an guten Geschworenen, in
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anderen an Sachverständigen für Bergmaschinen, in mehreren Salinen vermisste er „geschulte Subjecte“ und hinsichtlich der „unteren Hütten-Bedienten“ stellte er fest, deren „geheimnißvolle Zurückhaltung“ von Wissen verhindere jede Art von Verbesserung.128 Wissen war für Heinitz auf engste mit praktischer Zuverlässigkeit verbunden. Das wissenschaftliche Ethos der offenen Kommunikation förderte den Wissenstransfer, den Heinitz als wichtige, vielleicht sogar die wichtigste Voraussetzung für technische Verbesserungen und das Aufholen des englischen Vorsprungs betrachtete. Umgekehrt war es ein Instrument für die Abschaffung persönlichen handwerklichen Geheimwissens wie es vor allem unter den Wünschelrutengängern, Alchemisten und gelegentlich auch unter Schmelzern üblich war. In seinem Revisionsbericht legte Heinitz insgesamt fünf Reformschwerpunkte fest: Verbesserungen im Beamtenapparat und des Sachwissens der Bergbeamten; planmäßige und auf zuverlässigen Kenntnissen der „Landesgegend“ beruhende Suche nach Erzlagerstätten; Investitionen in die Erweiterung des Bergbaus und in Bergmaschinen; Verbesserung der Erzaufbereitung; Verbesserungen des Hüttenwesens durch Kenntnisse der Mineralogie und metallurgischen Chemie sowie die Organisation systematischen Wissenstransfers. Mittels dieser Reformmaßnahmen sollte das Direktionsprinzip zu einer veritablen staatlichen Planwirtschaft ausgebaut werden, die nachhaltige Investitionen in Bergbau und Hüttenwesen ermöglichen sollte. Heinitz’ Überlegungen zur Reform des Beamtenapparats schlossen auch die Bekämpfung von Korruption und die Vermittlung neuer Werte ein. Korruption und Betrugsfälle hatten nicht zuletzt auch einen Vertrauenslust unter den Gewerken nach sich gezogen und ihren Investitionswillen merklich reduziert. Erst 1763, kurz vor Heinitz’ Eintritt in den sächsischen Staatsdienst, war ein eklatanter Betrugsfall ganz oben an der Staatsspitze publik geworden. Der soeben verstorbene Graf Heinrich von Brühl, Premierminister unter Friedrich August II., hatte während seiner Amtszeit nahezu fünf Millionen Taler veruntreut. Aber auch bei den einfachen Bergarbeitern kam es wiederholt zu Betrugsfällen, wenn auch aus ganz anderen Motiven und mit weitaus weniger gravierenden Folgen für die Staatskasse. Auch diesem Problem ging Heinitz in seinem Revisionsbericht nach. Die einfache bergmännische Arbeit war körperliche Schwerstarbeit, die im 18. Jahrhundert jedoch schlecht entlohnt wurde. Daher wurde es von den sächsischen Behörden geduldet und zuweilen sogar als notwendig erachtet, dass sich die Bergarbeiter Nebeneinkünfte verschafften, entweder durch eigene Landwirtschaft, Weben, Spitzenklöppeln und andere Heimarbeit oder auch zusätzliche „Weilarbeit“
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im Bergbau. In Sachsen hatten die Bergarbeiter zwar einen Achtstundentag und eine Fünftagewoche, was damals eine große Ausnahme war, die zusätzliche Weilarbeit bedeutete jedoch eine faktische Verlängerung der Arbeitszeit, die gesondert entlohnt wurde.129 Der zusätzliche Abbau von Erzen nach der eigentlichen Arbeitszeit verleitete jedoch zu Betrug, indem reichhaltige Erze aus der Normalschicht zunächst zur Seite geräumt und später der Weilarbeit zugeschlagen wurden. Nicht selten beteiligten sich auch die verbeamteten Steiger und Schichtmeister an diesem Geschäft, gegen das Heinitz mit einem Bündel von Maßnahmen angehen wollte. In seinem Revisionsbericht schlug Heinitz daher vor, nur „redlichen“ Arbeitern Zugang zu reichen Silbererzgängen zu gewähren und sie durch „treue“ Steiger beaufsichtigen zu lassen. Letztere sollten wiederum durch „Nachfahrer“ und „unvermuthete Visitationen“ der Geschworenen kontrolliert werden. Außerdem sollten die Kontakte zwischen Bergleuten und Laboranten, Destillateuren und Apothekern unterbunden werden, die den Bergleuten die reichen Erze abkauften, um sie heimlich zu schmelzen und zu verarbeiten. Der Polizei sollte dabei die Aufgabe zukommen, private Schmelzeinrichtungen auszukundschaften. Wo dies alles nichts half, empfahl Heinitz härtere Strafen durch die Strafgerichtsbarkeit der Bergbehörden, die bis zur lebenslangen Festungshaft und Hinrichtung durch den Strang gehen sollten.130 Heinitz’ Initiative für die Verbesserung der Ausbildung von Bergbeamten und seine Politik der aktiven Rekrutierung von Beamten durch schulische Ausbildung nahmen somit auch den Werte- und Verhaltenskanon ins Visier. Die 1765/66 gegründete Freiberger Bergakademie diente der Ausbildung sachverständiger Bergbeamter, und sie war auch als Bollwerk gegen Betrug und Korruption und eine Institution für die Erziehung ehrlicher, zuverlässiger Bergbeamter gedacht.
8. Humboldt in der Berliner Bergwerksund Hüttenadministration (1792) Ende Februar 1792 kehrte Humboldt aus Freiberg nach Berlin zurück und wurde wenige Tage später zum Bergassessor ernannt. Die Ernennungsurkunde hob sein naturwissenschaftliches Wissen und bergbaulichen Kenntnisse hervor. Seine Majestät habe beschlossen, so hieß es, „die Kenntnisse, welcher der Alexander von Humboldt in den Fächern der Mathematik, Physik, Naturgeschichte, Chemie, Technologie, Bergwerks-, Hütten- und Handelskunde sich theoretisch und praktisch erworben, bei Allerhöchstihren Berg- und Hüttendiensten zu benutzen“.131 Der frisch gekürte
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Bergassessor wurde dem erfahrenen Geheimen Finanzrat und Oberbergrat Wehling unterstellt, der die „Königliche Bergwerks- und Hüttenadministration“ leitete. Diese 1776 gegründete Unterbehörde des zentralen „Bergwerks- und Hüttendepartments“ war für die Leitung der regionalen Berg- und Hüttenwerke in der Neu- und Kurmark, Pommern und Westpreußen zuständig. Ihr Amtssitz befand sich im Jägerhof, im Stadtteil Friedrichswerder.132 Humboldt musste sich als erstes mit Schreibarbeit befassen, obgleich er es kaum abwarten konnte, sich praktisch-technisch zu betätigen. „Doch bleib’ ich gewiß nicht lange in Berlin, wie ich mir ausdrüklich ausgebeten“ habe, schrieb er kurz nach seiner Vereidigung im März 1792 an Freiesleben. Denn Berlin könne „eben so füglich der Sitz eines Admiralitäts- als Bergkollegiums sein“.133 Während sich in einer Bergstadt wie Freiberg das gesamte Leben um den Bergbau drehte, war Berlin eine Residenzstadt, in der sich tausende von Soldaten und Offizieren aufhielten. Überdies spielte der Bergbau für die preußische Wirtschaft insgesamt, im Vergleich zu Sachsen, dessen gesamte Ökonomie Jahrhunderte lang vom Silberbergbau bestimmt worden war, eine bedeutend geringere Rolle. Preußen war kein Bergstaat, sondern ein landwirtschaftliches Land. Unter den Gewerben dominierte die Textilindustrie, während sich Bergbau und Metallverhüttung auf wenige Landesteile konzentrierten. Im Vordergrund stand dabei Ende des 18. Jahrhunderts die Gewinnung und Verarbeitung von Eisen sowie der Kohle- und Salzbergbau. In der Residenzstadt selbst und ihrer unmittelbaren Umgebung gab es weder Berg- noch Hüttenwerke und, mit Ausnahme der Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur, auch keine anderen „Bergfabriken“. Die preußischen Bergbaugebiete lagen vielmehr weit von Berlin entfernt, wobei die heute zu Brandenburg gehörenden Provinzen Neu- und Kurmark noch am schnellsten erreichbar waren. Erst im Juni würde Humboldt während einer mehrtägigen Dienstreise die Gelegenheit haben, die Torfstecherei im Brandenburgischen Linum, den Hochofen in Zehdenick an der Havel und die Steingutherstellung in Rheinsberg zu besichtigen.134 Berlin war lediglich der Sitz des zentralen, für ganz Preußen zuständigen „Bergwerks- und Hüttendepartments“ und der regionalen „Bergwerks- und Hüttenadministration“, in denen der Tag oft mit Sitzungen, Budgetierungen und dem Schreiben von Amtsberichten und Anträgen ausgefüllt war. Die Finanzräte, Bergräte und Assessoren des Bergwerks- und Hüttendepartments versammelten sich einmal wöchentlich zur gemeinsamen Beratung im Berliner Schloss, wo auch die Registratur der Behörde mit allen Akten untergebracht war. Ihre Hauptarbeitsstätte war dagegen das Wohnhaus des Ministers und Oberberghauptmanns, in dem die
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Abb. 16 Das Berliner Schloss. Aus Springer (1861), 151
uniformierten Staatsdiener ein und aus gingen. Um den Korpsgeist zu stärken, hatte Heinitz braune Berguniformen mit gelben Aufschlägen, Zierknöpfen und Epauletten eingeführt. Da die zwischen 1766 und 1772 erlassenen neuen preußischen Bergordnungen dem Vorbild Sachsens folgend das Direktionsprinzip eingeführt hatten, traf Minister von Heinitz, nach der wöchentlichen Beratung mit seinen Berg- und Finanzräten, alle für Gesamtpreußen wichtigen bergtechnischen und administrativen Entscheidungen. Die direkten persönlichen Aufsichts- und Leitungsarbeiten in den Bergbauregionen fanden, von brieflichen Anweisungen abgesehen, während der Zeit der Inspektionsreisen im Sommer statt. Die Berliner Bergräte mussten daher oft lange, mehrtätige Reisen unternehmen, um die preußischen Berg- und Hüttenwerke in der Neu- und Kurmark, der Saaleregion um Magdeburg, Halberstadt und Rothenburg, in Franken, Schlesien und der ca. 450 Kilometer westlich von Berlin gelegenen Grafschaft Mark (Westphalen) zu inspizieren.135 Ihre Informationssammlungen während der mehrmonatigen Inspektionsreisen dienten nicht zuletzt auch der Vorbereitung
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von Entscheidungen über technische Investitionen und Verbesserungen. In Berlin selbst verrichteten die Bergräte dagegen nur einige wenige technische Sonderaufgaben, vor allem in der Königlich-Preußischen Porzellanmanufaktur, die seit 1786 dem Bergwerks- und Hüttendepartment unterstand.
Alte Werte Das 1768 gegründete Bergwerks- und Hüttendepartment war Teil einer übergreifenden Regierungsbehörde, dem „Generaldirektorium“, sodass auch der Verkehr innerhalb der Behörde Zeit und Arbeit beanspruchte. Humboldt hatte es in dieser Behördenwelt mit hohen Beamten zu tun, von denen die meisten zwar ein juristisches Studium absolviert hatten, aber nur selten an naturwissenschaftlichen oder gar bergtechnischen Fragen interessiert waren. Unter den höchsten preußischen Beamten, die wie andernorts aus dem Adel stammten, galt die Beschäftigung mit Technik immer noch als etwas Anrüchiges, das der bürgerlichen Sphäre angehörte. Humboldt dagegen war stolz darauf, „als praktischer Bergmann studirt“ zu haben. Doch selbst innerhalb der Bergbehörde traf er damit auf Vorbehalte. So warf der Leiter des Schlesischen Oberbergamts Friedrich Wilhelm Graf von Reden (1752 − 1815), ein Neffe des Ministers von Heinitz, Humboldt vor, er habe „zu kleinlich praktisch studirt“. In den Augen von Redens war es ein großer Unterschied, ob sich ein Adliger mit Staatsfinanzen und zentralen Leitungsaufgaben beschäftigte, oder ob er wie Humboldt bereit war, sich persönlich mit technischen Dingen abzugeben und somit auch direkten täglichen Kontakt mit Geschworenen und technischen Beamten zu pflegen. Humboldt berichtete seinem Freiberger Freund, von Reden habe ihm gesagt, „ein Mann von meinem Stande sei nicht zum Geschwornen geboren“. „Mich hat das auch nicht im geringsten gekränkt“, ließ er Freiesleben wissen und: „ich sagte ihm, ich glaube, in dem genauen Studium des Technischen liege alles.“136 „Das Technische“, das für den 17 Jahre älteren von Reden den Beigeschmack des Bürgerlichen hatte, übte auf den jüngeren Humboldt eine große Faszination aus. Noch rund 20 Jahre zuvor hatte Friedrich Wilhelm Heinrich von Trebra (1740− 1819) mit massiven Einwänden des Dresdener Kammer- und Berggemachs zu kämpfen, als ihn Heinitz für eine Bergmeisterstelle im kursächsischen Marienberg vorschlug. Und 1772 reagierte Friedrich II. noch ähnlich, als er erfuhr, dass der Sohn eines von ihm geschätzten Adligen die „Bergwerkswissenschaft“ erlernte. „Zu dergleichen Wissenschaften“, empörte sich der Philosophenkönig, „sind überhaupt Leute bürgerlichen Standes weit mehr aufgelegt und zu gebrauchen“ als Adlige. Denn nur Bürgerliche seien gewohnt, „mühsamer und mehr ins Detail zu gehen.“137
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Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wurden technische Beschäftigungen hochrangiger Bergbeamter jedoch allmählich salonfähiger. Johann Wolfgang von Goethe, ein enger Freund Trebras, bekannte sich freimütig zu seiner „Lust zu ökonomischen und technischen Betrachtungen“.138 Er trat 1776 in den Weimarischen Staatsdienst ein und übernahm die Leitung des Bergbaus. Der junge Novalis (Friedrich von Hardenberg) proklamierte am Ende seines Studiums an der Freiberger Bergakademie im Frühjahr 1799 ebenfalls: „Jetzt leb ich ganz der Technik.“139 „Technik“ stand für diese jüngere Generation von Adligen für Fortschritt und Gemeinwohl, wobei Technik und Naturwissenschaften für sie nur zwei Seiten einer Medaille waren. Der junge Humboldt partizipierte an einer kulturellen Strömung, die sich auf die Aufklärung und den Kameralismus berief und der Technik und den Naturwissenschaften einen hohen gesellschaftlichen und ethischen Stellenwert einräumte. In diesem Zusammenhang setzten sich in der deutschen Sprache auch Termini wie „das Technische“, „Techniker“ und schließlich auch „Technik“ durch.140 Humboldt fühlte sich auch von der Arroganz und Härte adliger preußischer Beamter gegenüber einfachen Bergleuten abgestoßen. Ein Schlüsselerlebnis war ein Gespräch zwischen Graf von Reden und Karl Freiherr vom Stein (1757 − 1831), der damals Leiter der märkischen Kriegs- und Domänenkammer war, während der Rückfahrt von einer gemeinsamen Exkursion nach Freiberg im April 1792. Bis zu ihrer ersten Station in Dresden seien seine beiden Begleiter „unendlich mürrisch und stumm“ gewesen, schrieb Humboldt an Freiesleben, und hätten „kaum drei Silben“ gesprochen. Dann aber, berichtete er weiter, „fing Reden lange bergmännische Diskurse mit mir an. Er behauptete schrekliche Dinge, [...] stritt sich an 1 − 2 Stunden mit mir.“ Schließlich schaltete sich auch Stein ins Gespräch ein und „redete mit Reden von ‚der Härte, mit der man Menschen antreiben’ müsse.“ „Diese raue Art zu reden, die mit der meinigen so wenig übereinstimmt“, so Humboldt, „machte einen unangenehmen Eindruk auf mich.“141. Der Vorfall lässt erahnen, dass das spätere Beamtenleben des unkonventionellen Bergassessors nicht völlig frei von Konflikten verlaufen würde. Humboldts Skepsis gegenüber den Werten und Machtverhältnissen im Beamtenapparat stand jedoch die Tatsache gegenüber, dass er Minister von Heinitz persönlich verehrte und dessen allgemeinen Ziele teilte.
Die „mephitische“Atmosphäre Berlins Humboldts Unbehagen in der Berliner Bergbehörde war nicht nur dem Fehlen praktisch-technischer Betätigungsmöglichkeiten und einem veralteten Wertesystem in der Beamtenschaft geschuldet, sie hatte auch politische Ursachen. Mit der Thronbe-
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steigung Friedrich Wilhelms II. im Spätsommer 1786 hatte der Rosenkreuzer Johann Christoph von Wöllner erheblichen politischen Einfluss erlangt. 142 Er war zuerst persönlicher Ratgeber des Königs, Justizminister und Chef des „geistlichen Departments“ und rückte schließlich auch an die Spitze des Finanzwesens auf. 1788 war er mit einem Religionsedikt gegen die Berliner Aufklärer zu Felde gerückt. Der junge Humboldt hielt sich damals, von der Universität Frankfurt/Oder zurückgekehrt, in seiner Heimatstadt auf − in dem „großen, aufgeklärten!! königlichen Berlin“, wie er dem Studienfreund Wegener ironisch mit zwei Ausrufungszeichen schrieb. Und er wünschte sich nichts sehnlicher, als sich möglichst weit weg von Berlin, in den „entferntesten, einsamsten Winkel“ der Welt zurückziehen zu können. Humboldt war ein genauer und kritischer Beobachter des politischen und kulturellen Wandels in Berlin. Dem Züricher Arzt und Botaniker Paul Usteri schrieb er aus Freiberg, „die Geistliche Inquisition“ mache die „Berliner Atmosphäre immer mephitischer“. „Die politischen Ränke nehmen mit jedem Jahre zu und wehe dem, den die Familienverhältnisse zwingen, mitten in den Wirbel zu treten“, fügte er ahnungsvoll hinzu.143 Nur wenige Monate später befand er sich im Epizentrum dieses politischen Wirbels. Seine Skepsis gegenüber der Staatsmacht wurde keineswegs durch die Vorzugsbehandlung abgemildert, die Minister von Heinitz ihm angedeihen ließ. Vielmehr fand er es „unbillig“, dass dieser ihm unter Umgehung der üblichen Regeln eine Assessorenstelle mit Stimmrecht verschaffte, ungeachtet der Tatsache, dass es mehrere bürgerliche Amtsanwärter gab, die seit langem auf eine Anstellung hofften. Die „Lobsprüche“, mit denen ihn der Minister überdeckte, hielt er für unaufrichtig und übertrieben: „Durch den vielen unverdienten Weihrauch leiden endlich die Geruchswerkzeuge“, spöttelte er in einem Brief an seinen Vertrauten Freiesleben.144 Humboldt verehrte Heinitz, aber mit dessen Bevorzugung adliger Bewerber und seinem militärisch straffen Führungsstil vermochte er sich nur schwer anzufreunden. Wenige Monate später würde ihm dieser Führungsstil noch erheblich mehr zu schaffen machen.
Der neue preußische Staatsbeamte Humboldt äußerte zu keiner Zeit eine scharfe Kritik an Heinitz, die mit seiner prinzipiellen Kritik am preußischen Behördenwesen und Machtapparat vergleichbar gewesen wäre. Dazu waren die Gemeinsamkeiten mit den Zielen des Ministers zu stark und dessen Erfolge zu offensichtlich. Unter der Leitung von Heinitz hatte der preußische Bergbau einen deutlichen Aufschwung erlebt, und in seiner Behörde waren inzwischen drei naturwissenschaftlich gebildete, sachkundige Beamte beschäftigt: der ältere Oberbergrat und Mineraloge Carl Abraham Gerhard, der 1792
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zum Bergrat beförderte Mineraloge Dietrich Ludwig Gustav Karsten und Humboldt selbst. Das Ideal im Kreis um Heinitz war der tatkräftige, naturwissenschaftlich-technisch gebildete Staatsbeamte, der dem Gemeinwohl diente. Auch im Oberbaudepartment und dem 1791 reorganisierten Department für Gewerbe, Handel und indirektes Steuerwesen, das Minister Carl August von Struensee (1789 − 1804) unterstand, zeichnete sich eine Wende im Wertesystem ab.145 Minister Ludwig Philipp Freiherr vom Hagen (1724 − 1771), der das Bergwerksund Hüttendepartment und das Oberbaudepartment gegründet hatte, und die Minister Heinitz und Struensee konnten durchaus Erfolge ihres Reformprogramms verbuchen, auch wenn diese im absolutistischen Preußen nach außen hin wenig sichtbar waren. Wie der Historiker Wolfgang Neugebauer gezeigt hat, verfügte das Potsdamer Kabinett sowohl unter Friedrich II. als auch seinen beiden Nachfolgern über nahezu unbegrenzte Machtbefugnisse.146 Der Spielraum für die reformorientierten Minister war somit klein, aber Geduld und geschicktes Taktieren führte dennoch zu Teilerfolgen. Unter allen Reformhindernissen spielte das Geld eine entscheidende Rolle. Im 18. Jahrhundert floss der weitaus größte Teil der preußischen Staatsausgaben in den Militärhaushalt, der unter Friedrich II. zeitweise mehr als 80 Prozent des Gesamtetats umfasste. Im Rechnungsjahr 1754/55 zum Beispiel betrugen die staatlichen Gesamtausgaben 10,8 Millionen Taler. Davon wurden 83 Prozent, also fast 9 Millionen Taler, für das Militär verwendet und nur 11 Prozent für das Hofwesen und den Ziviletat.147 Diese Proportionen änderten sich auch in den nachfolgenden Jahrzehnten kaum. So verschlang der rund zweieinhalbjährige Krieg gegen das revolutionäre Frankreich (1792 – 95) einen Staatsschatz von nahezu 50 Millionen Talern. Dagegen erscheinen die Kosten von rund 4 Millionen Talern für die Meliorationsarbeiten zwischen 1763 und 1775 in Teilen Pommerns und im Oder-, Netze- und Warthebruch als moderat. Ungleich bescheidener waren jedoch die Ausgaben für die Förderung der Natur- und Technikwissenschaften. Die Größenordnung, um die es bei den Verhandlungen zwischen dem König und den Ministern über die Gründung der Berg- und Bauakademie oder die Einrichtung eines Laboratoriums ging, belief sich nicht auf Millionen, sondern auf einige hundert oder bestenfalls einige tausend Taler. Die königlichen Entscheidungen über derartige Projekte wurden dennoch oft auf die lange Bank schoben und bestenfalls mit einem reduziertem Budget genehmigt. Wie wir noch sehen werden, mussten die preußischen Naturforscher und Mathematiker einen erheblichen Teil ihrer Forschung und Lehre aus eigner Tasche finanzieren.
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9. Carl Abraham Gerhard: Bergrat und Naturforscher Als Humboldt im März 1792 zum Bergassessor ernannt wurde, konnte Carl Abraham Gerhard (1738 − 1821) bereits auf eine 24-jährige Karriere als preußischer Bergbeamter zurückblicken.148 Er hatte es bis zum Geheimen Oberfinanzrat geschafft, den höchsten Beamtenrang, den ein Bürgerlicher damals erwerben konnte. Gerhard war Autor zahlreicher chemischer, mineralogischer und geognostischer Schriften, Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften und anderer wissenschaftlicher Gesellschaften. Seine 1781 erschienene Geschichte des Mineralreichs, die sich auch der Geologie zuwandte, verschaffte ihm großen Respekt bei Werner, allen Meinungsunterschieden zum Trotz.149 Für den bedeutend jüngeren Humboldt müssen seine Leistungen beeindruckend gewesen sein, auch wenn er keine freundschaftlichen Kontakte mit ihm pflegte.150 In seiner Funktion als Bergrat unternahm Gerhard in jedem Sommerhalbjahr mehrmonatiAbb. 17 Porträt Carl Abraham Gerhard. Stiftung Stadtmuseum Berlin
ge Inspektionsreisen in die preußischen Berg- und Hüttenreviere und arbeitete technische Verbesserungsvorschläge aus. Er war ein Praktiker, der
tief ins Metier der Bergtechnik eintauchte, aber auch ein Naturforscher und experimentierender Technologe. Im Winter experimentierte er im Laboratorium des Bergwerks- und Hüttendepartments, das er selbst aufgebaut hatte. Er analysierte Mineralien und führte aufwendige Experimentserien zum Schmelzverhalten von Metallen, Gläsern und keramischen Rohstoffen sowie zur Herstellung metallischer Legierungen durch. Diese Experimente dienten sowohl der Werkstoff- als auch der chemischen Stoffforschung. Im Zusammenhang mit seinen Analysen von Kobalt und Blaufarbe versuchte Gerhard, aus schlesischem Kobalterzen reinstes Königsblau für die Porzellanmalerei in der Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur zu gewinnen. Einen besonderen Schwerpunkt stellte seine jahrelange Forschung über Verbesserungsmöglichkeiten des preußischen Eisens dar, die er teilweise in Kooperation mit der Artillerie unternahm. Auf den Pulvertürmen der Artillerie installierte Gerhard auch die ersten Blitzableiter Berlins.
9. Carl Abraham Gerhard: Bergrat und Naturforscher
Wie Humboldt, Werner, Achard, Thaer und viele andere Gleichgesinnte glaubte auch Gerhard, ein starker Staat könne den technischen Fortschritt und über diesen gesellschaftlichen Wohlstand fördern. Im Erwerb wissenschaftlich-technischer Kenntnisse sah auch er ein wichtiges Instrument zur Erreichung dieses Ziels. Dabei galt es, diese Kenntnisse auf ein sicheres institutionelles Fundament zu stellen. Von 1770 an bemühte sich Gerhard daher, in Berlin eine Bergakademie zu gründen. Während Minister vom Hagen dieses Ziel vorbehaltlos unterstützte, war Minister von Heinitz skeptisch und beschränkte sich auf ein weniger ambitioniertes Vorlesungsangebot der Bergwerks- und Hüttenadministration. Überdies war dem machtbewussten, in hierarchischen Kategorien denkenden Heinitz der selbständig handelnde Gerhard ein Dorn im Auge.
Wie wird ein Doktor der Medizin Bergrat? Gerhard stammte aus einer schlesischen Kleinstadt in der Nähe von Liegnitz und hatte in Breslau eine höhere Schule besucht. Als 17-Jähriger ging der Pfarrerssohn nach Berlin, um dort am Collegium medico-chirurgicum zu studieren. Das im Dezember 1723 gegründete Collegium medico-chirurgicum diente hauptsächlich der wissenschaftlichen Ausbildung von Chirurgen, wurde aber wegen seiner empirischen Ausrichtung auch von angehenden Ärzten und Apothekern besucht.151 Es war die erste höhere Fachschule Preußens, die nicht zuletzt auch wegen ihres einflussreichen Direktors, des königlichen Leibarztes und Chemikers Johann Theodor Eller (1689 − 1760), als renommierte Ausbildungsstätte galt. Da Chirurgie zum erheblichen Teil handwerklich-praktische Tätigkeit bedeutete, war sie an den Universitäten nicht vertreten. Das Collegium medico-chirurgicum stellte dagegen eine Verbindung zwischen chirurgischem Know-how, akademischer Medizin und Naturwissenschaften her. Die Professoren waren verpflichtet, zweimal in der Woche unentgeltliche Vorlesungen in deutscher Sprache zu halten, die im Anatomischen Theater im Marstallgebäude stattfanden. Außer medizinischen Vorlesungen und anatomischen Übungen umfasste das Lehrangebot auch Vorlesungen in Physik, Botanik, Pharmazie und Chemie, die durch praktische Kurse − Bestimmungsübungen im Königlichen Botanischen Garten und chemisch- pharmazeutische Experimente im Laboratorium der Königlichen Hofapotheke − ergänzt wurden. Als Gerhard 1755 sein Studium am Collegium medico-chirurgicum aufnahm, lehrten dort die renommierten Berliner Naturforscher Johann Gottlob Gleditsch (1714 − 1786) und Johann Heinrich Pott (1692 − 1777). Gleditsch, der 1753 die Professur für Botanik übernommen hatte, führte seinen Unterricht im Sommer auch im
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Königlichen Botanischen Garten, Tiergarten und den Berliner Forsten durch. Pott, der die pharmazeutische Chemie lehrte, bot im Winter zwei einstündige Vorlesungen und einen einstündigen experimentellen Kurs in der Hofapotheke an, während im Sommer das Gewicht auf Laborunterricht lag. Die zweite Chemieprofessur hatte damals der Mediziner Carl Philipp Brandes inne. Die Physikvorlesungen hielt während der Studienzeit Gerhards der Professor für Anatomie, Johann Friedrich Meckel.152 Berlin als Sitz der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften bot überdies noch viele weitere Möglichkeiten, mit Naturforschern und Mathematikern in Kontakt zu treten. Für Gerhard dürften der Chemiker und Leiter des Akademielaboratoriums Andreas Sigismund Marggraf (1709 − 1782) und der Mineraloge und Bergrat Johann Gottlob Lehmann (1719 − 1767) am wichtigsten gewesen sein. Das Collegium medico-chirurgicum hatte jedoch kein Promotionsrecht, sodass Gerhard sein Medizinstudium 1756 an der Universität Frankfurt/Oder fortsetzte und dort 1760 mit einer Dissertation über ein mineralogisches Thema abschloss. Nach Berlin zurückgekehrt, begann er als Arzt zu praktizieren und über medizinische Themen zu publizieren. Von 1762 an bot er auch physikalische und mineralogische Privatvorlesungen an, sodass er sich allmählich den Ruf eines Naturforschers erwarb. 1768 erhielt er erstmals eine Dozentenstelle für Naturwissenschaften an der Artillerieschule. Das Jahr 1768 markierte aber auch in anderer Hinsicht einen Wendepunkt in Gerhards Karriere. Es war das Jahr der Gründung des Bergwerks- und Hüttendepartments im Generaldirektorium, und dessen Leiter Ludwig Philipp Freiherr vom Hagen (1724 − 1771) suchte im Frühjahr 1768 nach einem wissenschaftlich gebildeten Bergrat. Hagen war seit Juni 1764 Minister im Generaldirektorium und Chef des dritten Departements, das für die Provinzen Kleve, Mark und Geldern zuständig war. Er setzte sich entschieden für eine Reform des Beamtenapparats und die Förderung von technischem Sachverstand ein.153 Gerhard war daher für ihn der richtige Mann. Im August 1768 wurde er zum Bergrat ernannt, einen Monat später wurde er Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Die Berliner Akademie der Wissenschaften und das Generaldirektorium unterhielten seit langem engste Kontakte. Mitglieder der mathematischen und physikalischen Klassen der Akademie berieten die Minister in technischen Fragen, erstellten Gutachten und nahmen auch persönlich an technischen Großprojekten teil − beispielsweise an Landvermessungen im Zusammenhang von Landgewinnungsmaßnahmen. Die Akademie war daher auch bereit, die Finanzierung der neuen Bergratsstelle zu übernehmen. Diese Vorgehensweise war kein Novum, sie war bereits im Fall des Mineralogen Johann Gottlob Lehmann praktiziert worden, der
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1754 zum Bergrat ernannt und gleichzeitig in die Akademie der Wissenschaften aufgenommen worden war.154 Friedrich II. hatte die Bildung des Bergwerks- und Hüttendepartments zwar genehmigt, aber dies hieß nicht unbedingt, dass er es auch ausreichend finanzieren würde. Wie wir im Zusammenhang mit dem Gründungsversuch der Berliner Bergakademie noch genauer sehen werden, war der Philosophenkönig alles andere als ein weitblickender Förderer der Bergbautechnik und Bergwerkswissenschaft. Im September 1768 nahm die Akademie der Wissenschaften somit auf Wunsch von Minister vom Hagen den soeben eingestellten Bergrat Gerhard in ihre Reihen auf − nach einer ansonsten unüblichen Eingangsprüfung − und kam von da an für
Abb. 18 Porträt Ludwig Philipp Freiherr vom Hagen, nach einem Gemälde von Anna Dorothea Therbusch, 1771. Aus Reck (1940), 313
dessen jährliche „Pension“ auf. Als Bergrat erhielt Gerhard Stimmrecht in allen administrativen Entscheidungsgremien, und ihm stand eine Laufbahn bis zum Oberfinanzrat offen. Als 1770 das Oberbaudepartment gegründet wurde, erhielt er auch die Ernennung zum Oberbaurat. Neben seiner akademischen Pension erhielt er von da an ein zusätzliches jährliches Beamtengehalt, das bis 1810, dem Zeitpunkt seiner Pensionierung, auf beachtliche 3286 Taler ansteigen würde.155
Gerhards erste Inspektionsreise nach Schlesien – Learning by doing Als Gerhard 1768 Bergrat und Akademiemitglied wurde, war er in Berlin zwar schon als Mineraloge bekannt, hatte aber abgesehen von seiner Dissertation noch keine einzige mineralogische Schrift veröffentlicht. Auch ein ausgewiesener Bergbauexperte war er damals noch nicht. Erst nach 1768 und im staatlich-bergbaulichen Ambiente entwickelte er sich allmählich zu dem, was ihn für uns besonders interessant macht: der hybriden Figur des Naturforschers und Bergbauexperten. An seiner Doppelkarriere können wir daher die Interaktion und Hybridisierung praktischer und akademischer Wissensformen gleichsam in situ verfolgen.
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In der Renaissance und frühen Neuzeit gab es verschiedene Möglichkeiten für Gelehrte und Naturforscher, sich technische Kenntnisse über den Bergbau und das Hüttenwesen anzueignen. Der berühmte Arzt, Humanist und Autor bergtechnischer Schriften Georg Agricola (1494 − 1555) zum Beispiel lebte in einer sächsischen Bergstadt, kannte aus eigener Anschauung die Berg- und Hüttenwerke seiner Umgebung und stand in intensivem persönlichen Kontakt mit Bergbeamten. Alexander von Humboldt erwarb erste bergtechnische Kenntnisse an der 1765 gegründeten Freiberger Bergakademie. Diese neuartige Ausbildungsform stand Gerhard noch nicht offen. Stattdessen arrangierte Minister vom Hagen für ihn einen Ausbildungsweg, der in den traditionellen Bergbauregionen seit langem erprobt war: das Einüben von Techniken und die Sammlung von Erfahrungen unter der persönlichen Anleitung eines erfahrenen Bergbeamten. Inspektionsreisen in die preußischen Bergreviere und Hüttenstandorte boten dafür die beste Gelegenheit. Dem aus Schlesien stammenden Gerhard kam dabei der besondere Umstand zugute, dass ihn die ersten beiden Inspektionsreisen in sein Heimatland führen würden. So kurz nach dem Siebenjährigen Krieg und der endgültigen Annexion Schlesiens durch Preußen war die Vertrautheit des Berliner Bergrats mit dem Land, der Sprache und den Gewohnheiten der Schlesier ein kaum zu überschätzender Vorteil. Ende August 1768 brach Gerhard gemeinsam mit dem Geheimen Finanzrat Heinrich Wilhelm Reichardt zu seiner ersten Inspektionsreise nach Schlesien auf. Die Akademie der Wissenschaften übernahm die Reisekosten von 400 Reichstalern. Mit dieser ersten großen Inspektion nach dem Siebenjährigen Krieg wollte sich Minister vom Hagen einen Überblick über die Situation in den schlesischen Gruben und Hüttenwerken verschaffen. Oberschlesien war nun das Zentrum der preußischen Eisenindustrie, die das Land von schwedischen Eisenimporten unabhängig machen konnte. 1753 waren die königliche Eisenhütte an der Malapane, einem Nebenfluss der Oder, und 1755 die Kreuzburger Hütte gegründet worden. Beide Eisenhütten hatten sich zuerst auf die Eisengewinnung für die Munitionsproduktion konzentriert, stellten seit 1756 aber auch Eisengusswaren her. Zur Zeit der Gründung des Bergwerks- und Hüttendepartments im Jahr 1768 war die Zahl der oberschlesischen Hochöfen bereits auf über 30 gestiegen.156 Die kleine Inspektionskommission, die in diesem Fall nur aus Reichhardt und Gerhard bestand, kam Anfang September in Schlesien an und versuchte, in Kooperation mit der schlesischen Bergbehörde, die Arbeit aufzunehmen. Dies gestaltete sich jedoch schwieriger als gedacht, denn weder der Chef-Präsident der schlesischen Kammern, Ernst Wilhelm von Schlabrendorff, noch seine Beamten waren gewillt,
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mit den preußischen Abgesandten konstruktiv zusammenzuarbeiten. Sie wären dazu auch nur beschränkt in der Lage gewesen, da amtliche Unterlagen entweder fehlten oder von den lokalen Bergämtern nur zögerlich nachgereicht wurden. In den schlesischen Behörden schien noch der alte „Schlendrian“ zu herrschen, den Minister vom Hagen mit der Gründung einer zentralen Bergbehörde aus dem preußischen Beamtenwesen auszutreiben gedachte.157 Trotz dieser Schwierigkeiten besichtigten die beiden Inspektoren Gruben sowie die königlichen Eisenwerke an der Malapane und in Kreuzburg und begannen überdies, nach neuen Erzlagerstätten zu suchen. Der junge Bergrat Gerhard erhielt den herausfordernden Auftrag, einen amtlichen Bericht über die königlichen Eisenwerke zu schreiben. Dem kam er gewissenhaft nach. Sein äußerst genauer und kritischer Bericht beleuchtete im Detail die einzelnen Produktionsschritte und technischen Probleme dieser Hütten und enthielt mehrere Verbesserungsvorschläge. Neben der genauen Beobachtung der Produktionsprozesse und -ergebnisse beruhte er auch auf eigenen chemischen Analysen des eingesetzten Eisenerzes und des erzeugten Roheisens. Gerhard lernte sein Metier also vor Ort und durch Learning by doing. Eine erfolgreiche Inspektion und Berichterstattung wären jedoch kaum ohne eine gründliche Vorbereitung möglich gewesen. Die Identifikation technischer Mängel setzte Sachkenntnisse und Vergleichsmaßstäbe voraus, die Gerhard durch vorherige Lektüre zeitgenössischer technologischer Schriften erworben hatte. Lektüre, eine für den Akademiker gewohnte Tätigkeit, und neue Erfahrungen vor Ort ergänzten sich hier gegenseitig.158 Im November beendeten Gerhard und Reichardt ihre Inspektion. Denn der Winter nahte und erforderte die Rückreise nach Berlin. Nach Empfang des Inspektionsberichts sandte Minister vom Hagen einen eigenen, überaus positiven Abschlussbericht an den König, der mit der Bitte verbunden war, eine zweite Inspektionsreise für das kommende Jahr zu genehmigen. Diese zweite Inspektionsreise nach Schlesien, die von Mitte Mai bis Mitte Oktober 1769 stattfand, war ungleich erfolgreicher als die erste. Vor allem gelang es, neue Lagerstätten ausfindig zu machen. Gerhard konnte sich daher auch mit den Praktiken der Lagerstättensuche vertraut machen. Er nutzte die zweite Inspektionsreise überdies für intensive systematische mineralogische und geologische Beobachtungen.
Lagerstättensuche Für die zweite Reise nach Schlesien, die hauptsächlich der Lagerstättenerkundung diente, kaufte Gerhard im Auftrag Hagens Bergbohrer, Markscheideinstrumente, ei-
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nen tragbaren Schmelzofen für die chemische Mineralanalyse und einige andere neue Instrumente. Nun wurde auch eine größere Kommission zusammengestellt, zu deren Mitgliedern außer Gerhard und Reichhardt ein erfahrener Oberbergmeister aus dem Harz namens Elster, vier Steiger und sieben Bergleute gehörten. Während der fünfmonatigen Reise spielte Bergmeister Elster für Gerhard eine ähnliche Rolle wie ein guter Handwerksmeister für einen Lehrling. Die beiden unternahmen fast alle praktischen Aufgaben gemeinsam, sodass der junge Bergrat im persönlichen Umgang mit dem erfahrenen Bergmeister bergtechnische Kompetenzen erwerben konnte. Gerhard bereitete sich auch auf die zweite Inspektionsreise durch Lektüre vor, unter anderem der Werke seines Vorgängers Johann Gottlob Lehmann. Der Mineraloge und preußische Bergrat Lehmann hatte 1752 einen Aufsatz über „Erd- und Reisebeschreibungen“ veröffentlicht, der auch Ratschläge an reisende Naturforscher erteilte.159 Es handelte sich dabei einerseits um einen praktischen Reiseführer, andererseits aber um ein mineralogisch-geognostisches Werk, das den reisenden Naturforscher auf Beobachtungsmöglichkeiten vorbereiten und ihm vorab theoretische Zusammenhänge erklären sollte. Lehmann gehörte zu den „Mineralogen“, die sich lange vor Werner mit systematischen Fragen der Mineralogie und der „unterirdischen Erdbeschreibung“ (geographia subterranea) beschäftigten. Nach Lehmanns Verständnis befasste sich die geographia subterranea mit den unsichtbaren, „in der Erde verborgenen Dingen“ wie der Gesteinsschichtung und der räumlichen Lage und Ausrichtung der Erzgänge. Lehmanns geographia subterranea umfasste aber auch die Topographie der Landschaft, die Identifikation von Mineralien durch chemische Analyse und andere Objektbereiche, die später zur „Geologie“ gehörten.160 Zudem verstand Lehmann, wie nach ihm auch Werner, die geographia subterranea als ein Doppelunternehmen, das sowohl der Naturforschung und Bereicherung der Kenntnisse über die Erdkruste diente als auch verlässliches Wissen für den Bergbau liefern sollte. Mit neuen Berginstrumenten und Lektürekenntnissen ausgerüstet brach Gerhard Mitte Mai 1769 zu seiner zweiten Schlesienreise auf. Zusammen mit Oberbergmeiser Elster suchte er in den folgenden Monaten in dutzenden stillgelegter Gruben und alten Halden nach nutzbaren Mineralien, ordnete Schürfungen auf angrenzenden Hügeln an und analysierte die dort eingesammelten Erzproben noch vor Ort.161 Dabei folgten die beiden Bergbeamten oftmals den Hinweisen älterer Einwohner, die den ehemaligen Bergbau noch aus eigener Erfahrung kannten und Kenntnisse über stillgelegte Gruben hatten. War ein solcher Ort aufgefunden, so waren oft lange Aufräumarbeiten und Abstützungsmaßnahmen durch die Bergarbeiter der
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Kommission notwendig, bevor Gerhard und Elster die Abbaustrecken betreten und dort Mineralienproben sammeln konnten. Nach der Probenentnahme nahmen die beiden Männer dann mithilfe ihres tragbaren chemischen Schmelzofens chemische Analysen vor, die Aufschluss darüber gaben, welches Metall oder nutzbare Mineral in der Grube enthalten und wie hoch dessen Gehalt war. Bei der Suche nach neuen, bisher noch unerschlossenen Erzlagern ordneten Elster und Gerhard zuerst Schürfungen durch die Bergarbeiter an oder unternahmen selbst Bohrungen mit den neu erworbenen Bergbohrern. Verlief die Probebohrung erfolgreich, so setzten die Bergleute die Suche durch Schürf- und Grabarbeiten fort. Die Mineralfunde wurden anschließend wieder analysiert. Auf diese Weise gelang es Elster und Gerhard, eine Reihe nützlicher Mineralien und Gesteine zu finden, darunter Kohle, Eisenerze und vor allem Kobalt, das dem König damals besonders am Herzen lag. Für Gerhard bot die zweite Inspektionsreise somit eine gute Gelegenheit, Kenntnisse über die Art und Weise der Erzlagerstättensuche zu erwerben. Angeleitet durch den erfahrenen Harzer Bergmeister Elster, lernte er die wichtigsten Erfahrungsregeln und handwerklichen Kunstgriffe kennen und absolvierte auf diese Weise eine Art handwerklich-bergtechnischer Lehre. Georg Agricola hatte bereits in seiner De re metallica (1556) ausführlich über die bergmännischen Regeln und Zeichen berichtet, nach denen „die Gänge durch Beobachtung der Natur gefunden werden“. Dabei müsse man „die natürlichen Zeichen für das Vorhandensein von Gängen“, wie oberirdische mineralische Auswitterungen und das Wachstum besonderer Pflanzenarten, berücksichtigen. Das galt auch noch im 18. Jahrhundert, als die Lagerstättensuche durch Bergbohrungen ergänzt wurde. Agricola hatte auch davor gewarnt zu glauben, man könne allein durch Lektüre ein „naturerfahrener“ Bergbauexperte zu werden.162 Der studierte Arzt und Mineraloge Gerhard bereitete sich zwar durch Lektüre auf seine Inspektionsreisen vor, aber auch für ihn war die Praxis der wichtigste Weg des Kenntniserwerbs.
Kobaltfunde „Kobalt“ − genauer gesagt kobalthaltiges Erz − wurde im 18. Jahrhundert für die Herstellung von Schmalte, Zaffer und Blaufarbe benötigt, die hauptsächlich zur Färbung von Gläsern und Keramikprodukten sowie in der schlesischen Leinenindustrie für das Bleichen und Färben von Tuchen verwendet wurde. Preußen importierte diesen ökonomisch wichtigen Stoff unter der Bezeichnung „Sächsisch Blau“ aus Sachsen und gab dafür um die Mitte des 18. Jahrhunderts jährlich rund 57 000 Reichstaler aus.163 In Übereinstimmung mit den Prinzipien merkantilistischer Politik sollte
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diese teure Importware durch ein einheimisches Produkt ersetzt werden. Kurz vor Beginn des Siebenjährigen Kriegs hatte Lehmann daher den königlichen Auftrag erhalten, in Schlesien nach Kobalterzen zu suchen. Nachdem er jedoch nicht zu eindeutigen Ergebnissen gekommen war und den preußischen Staatsdienst verlassen hatte, erging der Auftrag 1766 erneut an den Berghauptmann Johann Heinrich G. von Justi. Justi war mit seiner Kommission ebenfalls gescheitert, nicht zuletzt weil er einem Betrüger aufgesessen war. Ungleich erfolgreicher waren dagegen Gerhard und Elster. In der Nähe des Dorfes Querbach fanden sie Kobalterze, aus denen sich in ersten experimentellen Tests eine qualitativ gute Blaufarbe herstellen ließ. Zudem gelang es ihnen, einen Grundbesitzer, den Grafen von Schaffgotsch, dazu zu bewegen, das Kobalterz kommerziell abzubauen. Wenige Jahre später fügte der Graf seinem Kobaltbergwerk ein Werk für die Produktion von Schmalte hinzu. Damit schien der lange gehegte Wunsch nach einheimischer Produktion von Blaufarbe in Erfüllung zu gehen. 1779 kam Gerhard im Rahmen eines Berichts an die Akademie der Wissenschaften auf seinen früheren Kobaltfund zurück. In diesem Bericht ging es um chemische Analysen von Kobalterzen und chemisch-technologische Experimente zur Herstellung reinsten Königsblaus für die Königlich Preußische Porzellanmanufaktur. Gerhard erhob darin den Anspruch, eine neue, gewerblich nützliche Methode für die Herstellung reinsten Kobaltblaus gefunden zu haben. Gleichzeitig bestätigten seine Analysen, dass Kobalterz eine neue Metallart − unser heutiges „Kobalt“ − enthielt.164
Preußen braucht eine Bergakademie Nach mehr als fünfmonatiger Lagerstättensuche und der Inspektion von Gruben und Bergämtern beendeten Gerhard und Reichhardt ihre zweite Mission und schickten ihren Inspektionsbericht am 10. November 1769 an Minister vom Hagen.165 Der Bericht enthielt eine vollständige Liste aller in Betrieb befindlicher Gruben und Hüttenwerke Schlesiens sowie eine Bilanzierung ihrer Wirtschaftlichkeit. Er unterbreitete überdies konkrete Vorschläge für die Suche nach neuen Investoren, unter anderem durch öffentliche Werbung und Subventionszusagen. Und er enthielt einen anderen, nicht zuletzt für Gerhard persönlich folgenreichen Vorschlag: die Gründung einer höheren Bergschule für künftige Bergbeamte in Berlin. Gerhards und Reichhardts Vorschlag für die Gründung einer preußischen Bergschule war sorgfältig ausgearbeitet und enthielt zahlreiche Detailüberlegungen, die von einem Lehrplan für die Bergwerkswissenschaft und Vorschlägen für ein Laboratorium bis zur Kostenkalkulation reichten. Die beiden Kommissionsmitglieder
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waren vermutlich über die Gründungen der beiden Bergakademien in Freiberg und im Habsburg-Ungarischen Schemnitz (heute Slowakische Republik) gut informiert, die ungefähr zeitgleich um 1765 erfolgt waren. Aber es gab auch einen direkteren Anlass für ihren Vorschlag: die schlechten Erfahrungen mit dem „Schlendrian“ und der mangelnden Sachkompetenz schlesischer Kammerbeamter. Eine einheitliche, im Berlin organisierte wissenschaftlich-technische Ausbildung der Bergbeamten verhieß sowohl bessere Sachkenntnisse als auch ein höheres Arbeitsethos. Dies war nicht zuletzt für eine Provinz wie Schlesien wichtig, in der der Bergbau eine ökonomische Spitzenstellung einnehmen sollte. Auch in der Akademie der Wissenschaften berichtete Gehard ausführlich über seine Inspektion. Noch während seines Schlesienaufenthalts schickt er einen Brief mit den neusten „naturgeschichtlichen“ Informationen aus Schlesien an die Akademie, den der Mathematiker Jean Castillon auf der Mitgliederversammlung vom 28. September 1769 verlas. Nach seiner Rückkehr hielt er selbst einen Vortrag und führte bei dieser Gelegenheit auch seine aus Schlesien mitgebrachte Mineraliensammlung vor.166 Dem folgte eine Woche später ein weiterer Bericht, dessen Schwerpunkt auf der mineralogischen Klassifikation lag. In seinem dritten, im Februar 1770 gehalten Vortrag mit dem Titel „Physikalische und mineralogische Bemerkungen über die schlesischen Berge“ präsentierte Gerhard schließlich eine umfassende geologische Beschreibung der schlesischen Bergbauregionen.167
10. Eine Bergakademie in Berlin? Im März 1770, zu einer Jahreszeit als man längere Reisen noch tunlichst vermied, fuhr Bergrat Gerhard von Berlin in die Bergstadt Freiberg. Dort sollte er im Auftrag des Ministers vom Hagen Erkundigungen über die sächsische Bergakademie einholen. Hagen war fest entschlossen, der Zeit der „Idioten und Ignoranten“ im preußischen Staatsdienst ein Ende zu setzen.168 Im Mai 1768 hatte er die Gründung des Bergwerks- und Hüttendepartments erreicht, im Januar 1770 folgte die des Forstdepartments, das ebenfalls er leitete, und im Juni 1770 die des Oberbaudepartments. Somit schienen neue Instrumente für die Wirtschaftsförderung und Steigerung der Staatseinkünfte vorhanden zu sein. Doch in allen drei Sachdepartments fehlten kompetente Beamte. Die Gründung einer zentralen preußischen Bergschule in Berlin, die Gerhard und Reichhardt im November des vorangegangenen Jahres vorgeschlagen hatten, schien eine Lösung des Problems zu bieten.
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Unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Freiberg, am 24. März 1770, legte Gerhard dem Minister seinen Bericht über die Freiberger Bergakademie vor. Darin hieß es, in Freiberg studierten zurzeit sechs „Berg Cadetten“ auf landesherrliche Kosten, da sie Landeskinder seien. Andere Studenten müssten dagegen Unterrichtsgebühren entrichten, doch seien „Fremde nicht gerne dazu admittiret“. Nach einem „Cursum“ von zwei Jahren gingen die Bergkadetten auf Reisen, und auch dafür erhielten sie eine finanzielle Unterstützung aus der Bergkasse. Es gebe in Freiberg insgesamt nur zwei Professuren, die des Bergrats und chemischen Mineralogen Christian E. Gellert, der metallurgische Chemie und Hüttenkunde unterrichte, und die Johann F. W. Charpentiers, der Mechanik, praktische Geometrie und Zeichenkunst lehre. Charpentier habe für seinen Unterricht auch Modelle, Zeichnung und Risse angeschafft und erhalte für deren Unterhaltung jährlich 150 Taler. Gellert führe experimentelle Chemiekurse in seinem privaten Laboratorium durch, und auch er werde dafür mit jährlich 200 Reichstalern unterstützt.169 Gerhards Bericht unterstrich ganz unübersehbar die relativ gute finanzielle Ausstattung der Freiberger Bergakademie. Aber es gab auch einiges zu kritisieren. Die Kenntnisse über Grubenbau und angrenzende Techniken, schrieb Gerhard, würden in Freiberg nicht „theoretisch“, sondern ausschließlich „ex Usu und bey der täglichen Befahrung der Gruben erlernt“. Der Minister könne daraus ersehen, dass die Freiberger Einrichtung „noch sehr incomplett“ sei. Gerhard hielt diese Art der praktischen Ausbildung für ein „absolutes Hindernüß“, da der Bergbau auf rein praktische Weise nicht „in eine ordentliche und systematische Verfassung“ zu bringen sei. Auch die rein praktische Herangehensweise an die Köhlerei fiel seiner Kritik anheim, denn die Bergwerkswissenschaft musste sich seiner Meinung nach auf alle Bereiche der Bergtechnik erstrecken. Nach Gerhards Auffassung gab es somit in Freiberg noch keine veritable Bergakademie, an der die Bergwerkswissenschaft in ihrem gesamten Umfang gelehrt würde. Gleichwohl ermöglichte die beeindruckende finanzielle Unterstützung der Bergakademie durch den sächsischen Staat das Beschreiten neuer Ausbildungswege.
Gerhards Plan Gerhard äußerte seine Kritik an der praktischen Ausbildungsweise in Freiberg auf Grundlage seiner eigenen Vorstellungen von der Bergwerkswissenschaft und den Aufgaben einer Bergakademie, die er kurz zuvor ausgearbeitet hatte. Hagen hatte ihm den Auftrag erteilt, einen Plan zur Errichtung einer „vollständigen Berg-Schule“ in Berlin zu erarbeiten, den er am 23. Januar vorgelegt hatte.170 Er enthielt detaillierte
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inhaltliche und didaktische Überlegungen über die Bergwerkswissenschaft und eine Reihe weiterer organisatorischer Vorschläge. Die Berliner Bergschule sollte nach Gerhards Vorstellung ausschließlich „theoretischen“, also schulisch-wissenschaftlichen, Unterricht erteilen, wie dies in Berlin auch gar nicht anders möglich war. Dieser sollte sich jedoch nicht auf Vorlesungen beschränken, sondern auch Experimente und Übungen mit bergtechnischen Modellen einschließen. Der ausführliche, rund zehn Seiten umfassende Plan enthielt daher auch eine Zusammenstellung der Anschaffungskosten für ein Laboratorium, das „bloß eine halbe feuerfeste Küche“ zu sein brauchte, und für eine Modellsammlung, die sich auf die bescheidene Summe von 405 Reichstalern beliefen. Dazu kamen jährliche Unterhaltskosten von 150 Reichtalern. Der inhaltliche und didaktische Teil von Gerhards Plan war durch das übergreifende Ziel bestimmt, allen preußischen Berg- und Hüttenbeamten, vom Markscheider bis zum Oberbergrat, ein gemeinsames wissenschaftliches Fundament zu verschaffen. Gerhards Rede von einer Ausbildung für „Berg- und Hüttenmänner“ meinte genau dies, nämlich eine Ausbildung aller Bergbeamten, von der lediglich die nicht verbeamteten, einfachen Bergleute und Hüttenarbeiter ausgeschlossen waren. In moderner Terminologie ausgedrückt, ging es um die naturwissenschaftlich-technische Bildung und fachspezifische Ausbildung von Technikern, Ingenieuren und Managern, die zugleich Staatsdiener waren, und nicht um diejenige von Bergarbeitern. Die „Theorie“ − in diesem Kontext der schulische, wissenschaftliche Unterricht − sollte somit nach Gerhards Plan der praktischen Lehre in Gruben und Hüttenwerken zeitlich vorausgehen. Ein „Berg- oder Hüttenmann“ sollte „zuförderst mit denen nöthigen theoretisch[en] Kenntnissen versehen seyn, ehe er sich mit Nutzen an die practische Ausübung dieses Metiers“ machte, betonte er. Die Schüler im Alter von 15 bis 16 Jahren sollten zuerst das „Metier“ zweieinhalb Jahre lang “systematisch und scientifisch erlernen“, hieß es an anderer Stelle, und erst „wenn dergleichen Eleves mit diesen Principiis versehen“ seien, sollten sie noch „ein Jahr auf Berg-Wercke“ gehen.171 Für die gesamte Ausbildungszeit waren somit dreieinhalb Jahre vorgesehen, wobei der Akzent deutlich auf der „theoretischen“ oder wissenschaftlich-schulischen Ausbildung in Berlin lag. Gerhards Plan orientierte sich somit einerseits an der Freiberger Bergakademie, da er wie diese eine zentrale bergbauliche Ausbildungsstätte für ganz Preußen vorsah, die alle künftigen Bergbeamten unterrichten sollte. Sein didaktischer Ansatz widersprach jedoch andererseits der Vorgehensweise an der sächsischen Bergakademie in einem wichtigen Punkt. Während in Freiberg „Theorie und Praxis“ eng miteinander verflochten waren, handelte es sich bei der geplanten Berliner Institution um eine
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reine Schule. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Gerhards „Eleven“ bedeutend jünger waren als die Freiberger Studenten, sodass seine Bergschule auch Bildungsfunktionen übernehmen sollte, die sonst die neu gegründeten Realschulen leisten sollten. In organisatorischer Hinsicht trafen Gerhards Pläne genaue Festlegungen über die Abfolge der Vorlesungen während des zweieinhalbjährigen Studiums, die seine Vorstellungen über den schrittweisen Aufbau des wissenschaftlichen Fundaments der Bergwerkswissenschaft spiegelten. Im ersten Halbjahr standen „Mathesis pura“, also reine Mathematik, und Mineralogie auf dem Lehrplan; im zweiten Halbjahr Physik, einschließlich Mechanik und Hydraulik, und die Repetition der Mathematik; im dritten Halbjahr Chemie, einschließlich Metallurgie, und die Repetition der Physik; und schließlich aufbauend auf diesem Wissen im vierten und fünften Halbjahr „die Anweisung zum Grubenbau und Hüttenwesen.“ Dabei wurden in jedem Kurs eines Halbjahrs sowohl naturwissenschaftliche als auch technische Wissensgegenstände behandelt. Auch der für das letzte Jahr vorgesehene Unterricht war keineswegs ein rein bergtechnischer Kurs. Denn die Lehre über das Anlegen von Schächten und Stollen, den Erzabbau, die Verhüttungsmethoden und den Straßenbau wurde um die „geologische“ Lehre über die „Theorie von der Struktur der Erde“ und die „Lehre von den Gebürgen“ ergänzt. Dazu kam noch die Lehre der „Berg-Oeconomie“ mit Instruktionen über Aufstellungen von „Kosten Anschlägen“.
Friedrich II. verschiebt die Gründung der Bergakademie Bereits eine Woche nachdem Gerhard seinen Plan vorgelegt hatte, informierte ihn Minister vom Hagen, der König habe seinen Plan zur „Einrichtung einer vollständigen Berg-Schule“ zwar im Prinzip gebilligt, jedoch vorerst aus finanziellen Gründen zurückgestellt: 172
▷ Ob nun zwar Höchstdieselben [die Königliche Majestät] die hierunter von ihm [Gerhard] gethane Vorschläge, als eine zur Anziehung tüchtiger Subjecte beym Bergbau dienende gute und nützliche Anstalt vollkommen approbiren, so muß doch die Ausführung derselben, wegen der dazu erforderlichen Kosten, bis zum Neuen nächst bevorstehenden Etats Jahre ausgesezt bleiben. ◁ Ernüchtert über die mangelnde Unterstützung Friedrichs II., lotete Minister vom Hagen umgehend Alternativen aus und suchte Verbündete für sein Projekt. Angesichts des engen finanziellen Spielraums war der Plan einer eigenständigen Bergschule, die ausschließlich Beamte für das Berg- und Hüttenwesen ausbilden sollte,
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zu überdenken. Hinzu kam, dass es auch für das Forstdepartment und das in Gründung begriffene Oberbaudepartment nicht genügend sachkompetente Beamte gab. Hagen suchte also nach realistischen, finanzierbaren Alternativen. Dabei zog er als eine weitere Möglichkeit die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften in Betracht. Nur wenige Tage nach dem Eintreffen der königlichen Antwort erteilte er Gerhard daher den Auftrag, Erkundungen über Unterrichtsmöglichkeiten der Akademie der Wissenschaften einzuholen. Er hatte mit der Akademie bereits gut kooperiert, nicht zuletzt als es um die Einstellung Gerhards als Bergrat und die Finanzierung seines Gehalts ging. Mitglieder der Akademie der Wissenschaften übernahmen auch Gutachtertätigkeiten für den Staat und waren aktive Unterstützer mehrerer technischer Großprojekte. Überdies interessierten sich insbesondere die Mathematiker, Chemiker und Mineralogen unter ihnen für die „nützlichen Wissenschaften“. Sie waren bereits Professoren am Collegium medico-chirurgicum, unterrichteten das Artilleriecorps und hielten überdies naturwissenschaftliche Privatvorlesungen in der Stadt. Die Akademie beteiligte sich sogar an der Finanzierung des Collegium medico-chirurgicum, dessen anatomisches Theater direkt neben den akademischen Räumen im Marstall am Boulevard Unter den Linden lag. Sie finanzierte und leitete zudem den Königlich Botanischen Garten, verfügte über eine Instrumentenkammer und ein gutes chemisches Laboratorium, das der renommierteste preußische Chemiker der 1770er-Jahre, Andreas Sigismund Marggraf (1709 – 1782), eingerichtet hatte. Eine Woche später kontaktierte Hagen den für das Schulwesen zuständigen Minister Ernst Friedemann Freiherr von Münchhausen (1724 – 1784) und den Geheimen Etats- und Justizminister Carl Joseph Maximilian Freiherr von Fürst und Kupferberg (1717 − 1790), dem die preußischen Universitäten unterstanden. Der an Fürst gerichtete Brief vom 14. Februar 1770 enthielt einen neuen Vorschlag für die Ausbildung sowohl der Bergbeamten als auch der Bau- und Forstbeamten. Es sei notwendig, so Hagen, „daß man gemeinschafftlich von allen Seiten, endlich einmal ernsthaft darauf denke und würklich Hand anlege: wie bey der leyder so allgemeinen Unbrauchbarkeit eines großen Theils von Bedienten“ und angesichts der Vielzahl der im königlichen Dienst stehenden „Idioten und Ignoranten“ zu verfahren sei. Es gebe zu wenig Beamte, die: 173
▷ eine gründliche Kenntniß von der Physic, besonders von dem practischen Theile derselben, von der Mineralogie und Metallurgie und der Mathesi applicata, auch dem Forst-Wesen, der Kenntniß der Bäume, derer Pflanzung und Besamung und Cultivirung haben, oder sich ex professio darauf legen. ◁
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Hagen schlug daher vor, „daß es gut seyn werde, wann auch hier in Berlin, als woselbst sich viele junge Leuthe, so von den Universitaeten zurück kommen, aufzuhalten pflegen, über gedachte Wißenschafften von geschickten Männern und Professoren öffentliche Collegia gelesen würden“. Mit dem Terminus „öffentliche Collegia“ legte er sich hinsichtlich der institutionellen Form nicht fest. Wohl aber wich er hier vom Ziel einer Bergschule, die ausschließlich Bergbeamte ausbilden sollte, ab. Bereits Mitte Februar 1770 stellte Hagen somit den Plan einer eigenständigen Bergschule in Frage und suchte stattdessen Verbündete für eine wissenschaftliche Ausbildung von Beamten aller drei Sachdepartments, die für Bergbau, Zivilbauwesen und Forstwesen zuständig waren. Dieser Befund widerspricht der Behauptung, in Berlin sei 1770 eine Bergakademie gegründet worden. Wir werden im Folgenden noch weitere Belege für diesen historischen Irrtum kennenlernen, der noch immer zum kanonischen Wissensbestand der Technik- und Wissenschaftsgeschichte gehört. Die Behauptung, in Berlin sei 1770 eine Bergakademie gegründet worden, geht auf den ehemaligen Direktor der 1860 gegründeten Berliner Bergakademie Paul Krusch zurück. Es liegt nahe anzunehmen, dass Kruschs Gründungsmythos, der die Bergakademie mit den Weihen Friedrichs II. versah, wissenschaftspolitischen Zielen diente.174
Bergwerkswissenschaftlicher Unterricht an der Akademie der Wissenschaften? In seinem oben zitierten Brief an Fürst ließ Hagen auch die Idee einfließen, die Akademie der Wissenschaften für den öffentlichen Unterricht praktischer Wissenschaften zu nutzen. Es wäre „gut und schicklich“ schrieb er, „daß das Institutum der Königlichen Academie der Wißenschafften, welche bekantermaßen gut dotiret ist, auch in denen practischen Theilen der desiderirten Wißenschaften mehr als geschiehet, concurriren und practische Collegia lesen möge“. 175 Dem folgte eine Auflistung des jährlichen Budgets der Akademie für ihr Laboratorium, ihre Instrumentenkammer, ihr Observatorium und den Königlich Botanischen Garten, das insgesamt 2250 Reichstaler betrug. Hagen hatte sich auch schon Gedanken über die personelle Seite seines Vorhabens gemacht. Unter den Akademiemitgliedern, die „nützliche Dienste“ leisten sollten, schlug er namentlich Johann Heinrich Lambert für Mathematikvorlesungen, Nicolas de Beguelin für Physikvorlesungen und Johann Gottlieb Gleditsch für forstwissenschaftliche Vorlesungen vor. In seiner Antwort vom 4. März 1770 schrieb Minister von Fürst, er schätze die Bemühungen Hagens, dem Staat „fähigere und nützlichere Bediente zu verschaffen“,
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und sein Anliegen verdiene „mit Recht Anspruch auf Unterstützung“. Den Vorschlag, der Akademie die Lehre zu übertragen, lehnte er jedoch mit Entschiedenheit ab. Er wies daraufhin, die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften sei keine Lehrinstitution und solle auch in Zukunft keine sein. Die „Fundation und Einrichtung“ der Akademie der Wissenschaften, so hieß es, sei „gantz unterschieden von solchen Academien, Universitaeten und Collegiis (ist), welche aus Lehrern bestehen, die Lernenden Unterricht geben sollen“. Und um jedes Missverständnis auszuschließen, fügte Fürst noch hinzu: „Solche Gesellschaften wie die hiesige Academie der Wißenschafften [eine] ist, sind dazu bestimmt, das Reich der Wißenschafften und die menschliche Erkenntniß überhaupt, zu erweitern, solche auf einen höhern Grad der Vollkommenheit zu bringen, neue Entdeckungen zu machen, neues zu erfinden und durch Erfahrung zu bestätigen.“ Verpflichte man jedoch ein Akademiemitglied zu zusätzlicher Lehre, so werde „ihm dadurch die Zeit entzogen [...], die er, in Rücksicht auf das gantze Reich der Gelehrsamkeit, viel nützlicher anwenden kann“.176 Obwohl diese Aufgabenbeschreibung der Berliner Akademie der Wissenschaften nicht ganz der Realität entsprach, zog Fürst hier eine klare Trennlinie zwischen einer wissenschaftlichen Akademie und einer Unterrichtsinstitution für die Ausbildung von Staatsbeamten. Damit war Hagens Idee vom Tisch, denn wenige Wochen später versicherte dieser seinem Ministerkollegen, er sei mit ihm „in Absicht der Academie der Wißenschafften und dass derselben kein Unterricht anzumuthen sei, völlig einerlei Meinung“.177
Minister von Fürsts Initiativen In dem Geheimen Etat- und Justizminister und Curator der preußischen Universitäten Minister von Fürst und Kupferberg hatte Hagen einen guten Verbündeten. Beide stimmten in ihrem Grundanliegen der Ausbildung sachkompetenter Beamter und der Förderung der nützlichen Wissenschaften weitgehend überein. Um einen „vollkommenen Cameralisten zu bilden“, so Fürst in seinem Brief an Hagen vom März 1770, müsse ihm „eine ausgebreitete Kenntniß einer Menge von Wißenschafften und Künsten“ vermittelt werden. Daher wolle er in nächster Zukunft eine „kurtze Encyclopedie aller Finantz- Oeconomie- Policey- Commercien- Manufaktur- und dazu gehörigen Wißenschafften“, erarbeiten lassen, „um mit einigen Blicken das weite Feld zu übersehen“.178 Wie Hagen hatte auch Fürst das „weite Feld“ des gesamten preußischen Bildungswesens im Auge, wenn er schrieb, nützliches Wissen solle schon „von jungen Jahren an“ erworben und der „Grund dazu schon auf Schulen“ gelegt werden. Er begrüßte daher auch die jüngste Kontaktaufnahme Hagens mit
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dem für das Schulwesen zuständigen Minister von Münchhausen, die mit dem Vorschlag verbundenen gewesen war, an der Berliner Realschule Physik, Mineralogie, Metallurgie und angewandte Mathematik unterrichten zu lassen. Er selber habe schon vor zwei Jahren begonnen, die Bergwerkswissenschaft an den Universitäten zu verankern. Schließlich stimmte Fürst auch mit Hagen darin überein, sich in Hinblick auf die Lehre in Berlin „auf diejenigen Wißenschafften einzuschränken, so die Bergwercke, das Bau-Wesen, und das Forst-Wesen unmittelbar angehen.“179 Berlin war keine Universitätsstadt, aber hier lebten genügend fähige Naturforscher und Lehrer, die den universitären Unterricht gerade in Hinblick auf praktische oder „nützliche Wissenschaften“ ergänzen oder vollständig ersetzen konnten. Allerdings äußerte Fürst speziell in Hinblick auf die Ausbildung von Bergbeamten in Berlin auch ein wichtiges Bedenken. In Berlin war es unmöglich, die wissenschaftlich-schulische mit der praktischen Ausbildung zu verbinden. Er schlug daher vor, die Bergbeamten nur so lange in Berlin auszubilden, bis „bey einem der Königl. Berg-Aemter selbst“, also in den preußischen Bergbaurevieren, nach dem Vorbild Freibergs „lehrreicher und zugleich praktischer Unterricht“ erteilt werden könne.180 Fürst sprach sich also eindeutig für eine zeitlich enge Verknüpfung der theoretischen und praktischen Ausbildung von Bergbeamten nach dem Freiberger Vorbild aus. Damit nahm er ein Argument vorweg, das später auch von Minister von Heinitz vorgebracht werden würde. Dies war ein weiterer Schlag für Gerhards Plan, der in dieser Hinsicht das genaue Gegenteil anstrebte.
Unterricht an der Akademie der Künste? Nachdem Friedrich II. die Gründung einer Bergakademie im Januar 1770 verschoben hatte und Minister vom Hagen ausführlich mit seinem Ministerkollegen von Fürst über Alternativen beratschlagt hatte, war bereits Anfang März 1770 der Plan für eine eigenständige Bergschule in Wanken gekommen, und auch Hagens Idee, bergwerkswissenschaftlichen Unterrichts an der Akademie der Wissenschaften anzubieten, war vom Tisch. Der prinzipielle Ansatz, bereits bestehende Institutionen für die geplanten Vorlesungen zu nutzen, war damit jedoch nicht aufgeben. Fürst brachte dann auch in seinem Brief an Hagen noch zwei weitere Optionen ins Spiel: die Akademie der Künste und die Universitäten. Die Akademie der Künste, so Fürst, sei ein „von der Academie der Wißenschafften gantz unterschiedenes, und zu einem gantz andern Behuf errichtetes Institutum“, sodass man dort vielleicht wenigstens „geschickte Baumeister“ ausbilden könne. Er fügte jedoch sofort hinzu, dass er nicht wisse „in was für Umständen sich jetzt dieses Institutum“ befände. Hagens Antwort
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war ernüchternd. Die Akademie der Künste, antwortete er, sei „gäntzlich in Verfall gerathen“.181 Der Philosophenkönig scheint somit auch Architektur und angrenzende Künste nicht vorbehaltlos gefördert zu haben. Der Vorfall wirft überdies ein bezeichnendes Licht auf die Arbeitsweise der staatlichen Behörden in einer Stadt, die 1770 noch durchaus als übersichtlich gelten konnte. Angesichts dieser Tatsache schien die Verankerung nützlicher Unterrichtsinhalte an den Universitäten der erfolgversprechendere Weg zu sein. Der Preußische Staat hatte bereits 1727 an den Reformuniversitäten Halle und Frankfurt/Oder die Kameralwissenschaften eingeführt und insistierte seither, sich stärker in der naturwissenschaftlichen und technologischen Lehre zu engagieren. Im Dezember 1768 hatte Minister von Fürst die Universität Halle aufgefordert, Vorlesungen über „Bergwercks-Wißenschafft“ anzubieten, und im Januar 1770 begann er, ähnliche Anordnungen an alle preußischen Universitäten zu richten. Selbst den Theologen wurde aufgetragen, sich in der Lehre auch mit Physik, Naturhistorie und Mathematik zu befassen.182
Hagens Taktik: Gemeinsame Vorlesungen für Berg-, Bau- und Forstbeamte Während Fürst als verantwortlicher Minister für die Universitäten Initiativen für die Verankerung der Bergwerkswissenschaft an den Universitäten unternahm, setzte Hagen seine eigenen Bemühungen zur institutionellen Absicherung der nützlichen Wissenschaften fort. Fürsts Einwand, eine Bergakademie müsse die Theorie mit der Praxis verbinden, den wir oben besprochen haben, war nicht von der Hand zu weisen. Im März 1770, etwa zwei Wochen nach seiner Beratung mir Fürst, unternahm Hagen einen letzten Anlauf zur Gründung einer Bergakademie. Er schickte Gerhard auf die oben erwähnte Reise nach Freiberg. Der Besuch stellte jedoch schnell klar, dass die dort praktizierte Verbindung von Theorie und Praxis kein Modell für Berlin abgeben konnte. Am 25. März 1770, einen Tag nach Gerhards Rückkehr aus Freiberg, war Hagens Entschluss gefasst. Er suchte eine vier Jahre alte Akte (vom 2. Januar 1766) mit einer Anordnung Friedrichs II. an die Kurmärkische Kammer heraus, die mit Kritik an der baubehördlichen Praxis nicht sparte und strenge Maßnahmen ankündigte. Der König hatte seit 1740 mehrere Initiativen zur Verbesserung des Zivilbauwesens unternommen, nicht zuletzt weil seine Pläne zur Landgewinnung im Oderbruch und andernorts den Mangel an guten Landvermessern und Baumeistern vor Augen geführt hatte. Wiederholt hatte er die Faulheit und „négligence“ seiner Baubeamten beklagt und
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entsprechende Erlasse an die Kriegs- und Domänenkammern erteilt. Als die Landgewinnungspläne nach dem Ende des Siebenjährigen Kriegs noch stärker ins Zentrum der Politik gerückt waren, wurde die Nachfrage nach fähigen Baubeamten zu einem brennenden Problem. Hagen selbst hatte erst im Februar 1770 festgestellt: 183
▷ Wie sehr das publicum und der Staat sowohl bei denen Civil als Wasser-, Schleuse und Canal-Bauten durch die Ignoranz der Bau-bedienten bishero gelitten, solches zeiget leider die tägliche Erfahrung. ◁ Was lag also näher, als den Notstand im Zivilbauwesen und das klare Interesse des Königs an dessen Beseitigung als Hebel für die Förderung der praktischen Wissenschaften insgesamt, unter Einschluss der Bergwerkswissenschaft, anzusetzen? In einer Randnotiz an die vier Jahre alte Akte hielt Hagen daher fest: 184
▷ Um bei des Königs Maj. desto ehender die Genehmigung des Vorhabens in Absicht der Beförderung der practischen Wissenschaften zu effectuieren und die Etablissements nicht zu vervielfältigen, [muß] man das generale Baudepartment mit unsern schon präparirten Etablissements beim Bergwerksdepartment combiniren und ersteres in verschiedene Klassen eintheilen. ◁ Der Vorfall wirft ein bezeichnendes Licht auf die Taktiken, die ein reformfreudiger Minister unter Friedrich II. einschlagen musste. Nur wenn die Anliegen des Oberbaudepartments mit denen des Bergwerks-und Hüttendepartments kombiniert wurden, konnte man auf Förderung beider Sachdepartments und der praktischen Wissenschaften insgesamt hoffen. Die Idee floss in eine „Denkschrift“ Hagens vom 7. April 1770 ein, die sich formell mit der Frage beschäftigte wie das in „sämtlichen Provinzen so sehr neglirte Bau-Wesen, auf einen bessern Fuß zu setzen“ sei. Während in deren Vordergrund die bevorstehende Gründung des Oberbaudepartments und die Ausbildung „geschickter Bau-Bedienter“ stand, enthielt sie auch eine Absichtserklärung über die Verbesserung der Beamtenausbildung. Damit „junge Leute, die sich auf das Bau-Wesen, die Forst-Sachen, und den Berg-Bau legen wollen, eine bequeme Gelegenheit haben mögen, sich zum künftigen Dienst gründlicher zu qualificiren,“ hieß es dort, „würde es sehr gut seyn, wenn alhier [in Berlin] Gelegenheit verschaffet würde, die hiezu nötigen Wissenschaften, gründlich und practisch zu erlernen“.185 Dem folgte eine gemeinsam mit Fürst erarbeitete Liste der Dozenten, die den Unterricht am 1. Juni 1770 aufnehmen sollten.
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Der König genehmigte diesen Plan und zeichnete am 17. April eine entsprechende „Instruction für das angeordnete Ober-Baudepartment“ ab.186 Die detaillierten technischen Festlegungen dieser Instruktion legen nahe, dass Friedrich II. die Gründung des Oberbaudepartments in der Tat unterstützte. Das neue Department sollte mit zwei Geheimen Finanzräten und acht Bau- bzw. Oberbauräten, darunter auch Gerhard, besetzt und vom Geheimen Finanzrat Gottfried Konrad Struve geleitet werden. Der Mathematikprofessor und Akademiker Johann Heinrich Lambert erhielt Sitz und Stimme als Ehrenmitglied. Als Amtssitz wurde die oberste Etage des Jägerhofs auf dem Friedrichswerder bestimmt, in dem auch die Königliche Giro- und Lehnbank sowie Versammlungsräume der Bergwerks- und Hüttenadministration untergebracht waren. Im Juni 1770 nahm das Oberbaudepartment seine Arbeit als zentrale preußische Baubehörde auf. Von nun an versammelten sich seine Mitglieder jeden Sonnabend im Jägerhof, um die laufenden Dienstgeschäfte zu behandeln und Examenskandidaten zu prüfen. Der Wortlaut der königlichen Instruktion vom April 1770 bestätigt die Vermutung, dass Hagen ein guter Taktiker war. Während Hagens Denkschrift wissenschaftlich-technischen Unterricht für die Anwärter aller drei neuen Sachdepartments vorsah, bezog sich die königliche Instruktion ausschließlich auf Anwärter für das Baudepartment. „Um jungen Leuten, die sich auf die Baukunst appliciren wollen und dazu Lust haben, die Gelegenheit zu dem nöthigen gründlichen Unterricht zu verschaffen“, hieß es wörtlich, sollten entsprechende Anstalten getroffen werden. Hatte Friedrich II. nicht durchschaut, worum es in Hagens Denkschrift gegangen war? Der Unterricht für angehende Bau-, Berg- und Fortbeamte wurde jedenfalls genehmigt und damit hatte Hagen sein Ziel erreicht. Zwei Tage später berichtete er seinem Ministerkollegen von Fürst „mit wahrem Vergnügen“, seine Vorschläge seien angenommen.187
Die Dozenten Mitte April 1770 stand somit fest, dass der Unterricht für künftige Berg-, Bau- und Forstbeamte bereits in Kürze beginnen sollte. Die königliche Instruktion stellte klar, dass die Dozenten nur ein geringes, „billiges Honorar“ zu erwarten hätten. Gerhard, dessen Rolle für den Unterricht bis dahin offen geblieben war, sollte seinem eigenen Wunsch entsprechend Mineralogie und Metallurgie unterrichten − und zwar im Winter, wenn er nicht auf Inspektionsreisen war. Die Physikvorlesung sollte der am Collegium medico-chirurgicum lehrende Professor Johann Gottlieb Walter (1734 − 1818) halten, zumal dieser die „sonst seltenen und kostbaren Instrumente zur Experimen-
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tal-Physic“ bereits besaß . So wurde also Geld gespart. Für den Chemieunterricht war der Apotheker Valentin Rose (1736 – 1771) vorgesehen, der „bey dem grossen Chimico H[errn] Marggraff ausgebildet“ worden war und selbst im Ruf eines guten Chemikers stand. Für die Vorlesungen in Forstwirtschaft kam nur Johann Gottlieb Gleditsch infrage. Denn dieser lehrte bereits am Collegium medico-chirurgicum und hatte sich schon bereit erklärt, für „ein billiges Honorarium“ zu lesen.188 Für die Mathematikvorlesung sah Hagen eine zweigleisige Regelung vor. Während die künftigen Berg- und Hüttenbeamten vom Oberkonsistorialrat und Direktor der Berliner Realschule Johann Esaias Silberschlag (1721 − 1791) unterrichtet werden sollten, war für die Anwärter des Oberbaudepartments der Mathematiker Friedrich A. M. Castillon (Castillion der Jüngere, 1747 − 1814) vorgesehen. Für diese Dozentenauswahl dürften außer ihren Kenntnissen auch ihr sozialer Status eine Rolle gespielt haben. Es war abzuwägen, wer der neuen Vorlesungsreihe einerseits ausreichendes Renommee verschaffen, andererseits aber durch das „Doceur“ von jährlich 100 Talern nicht düpiert sein würde.189 So hätte beispielsweise der Chemiker Andreas Sigismund Marggraf als Direktor der physikalischen Klasse der Akademie der Wissenschaften und ihres Laboratoriums dem Vorhaben zweifellos Glanz verliehen, aber er kam wegen seiner hohen akademischen Position und vielleicht auch wegen seines Alters von 61 Jahren nicht in Betracht. Der Apotheker Valentin Rose war dagegen noch jung, und er war als Besitzer einer großen Stadtapotheke und Assessor im Obercollegicum medico, der obersten Medizinbehörde Preußens, auch sehr angesehen. Überdies besaß Rose als Apotheker ein eigenes Laboratorium, sodass er Experimente vorführen konnte. Gerhard akzeptierte das Unterrichtsangebot umgehend. Auch Gleditsch versicherte sofort, er werde „die Gründe der Oeconomisch Praktischen Botanic [...] einem jeden sehr gerne begreiflich [...] machen, welcher sich zu solchen Königlichen Diensten gehörig zu qualificiren Lust hat“. Im August traf die Antwort Walters ein, der sich für die ihm „gnädigst anvertraute Stelle eines Lehrers der Experimental Physic“ eingehend bedankte. Rose dagegen reagierte verhalten, verwies auf seinen schlechten Gesundheitszustand, seine Mitarbeit bei Zeitschriften, die Verpflichtungen im Obercollegicum medico und seine Auslastung als Apotheker. Dem Minister schrieb er: „Ew. Hochedelgebohren werden leicht einsehen, wie ich allemahl die pflichtmäßige Besorgung meiner Apotheke zum Haupt-Augenmerk behalten muß und daß deren Ordnungs mäßiger Betrieb, eine beständige Aufmerksamkeit erfordert.“ Dennoch erklärte er sich „aus Respect“ für den Minister bereit, das Angebot anzunehmen, vorausgesetzt dieser finanziere nicht nur eine Vorlesung, sondern
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auch einen experimentellen Chemiekurs.190 Letzteres war, wie wir noch sehen werden, eine Hürde, die der Minister nicht nehmen konnte. Auch bei der Organisation des Mathematikunterrichts traten Anfangsschwierigkeiten auf. Silberschlag beantwortete das „höchstschätzbare Merkmahl eines huldreichen Zutrauens“ zwar mit ausgesuchter Höflichkeit, sagte jedoch wegen seiner Verpflichtungen in seinem Kirchenamt und Direktorat der Berliner Realschule ab. Als Alternative schlug er seinen Bruder vor, dem er gerne mit „dem gesamten Maschinen Vorrathe der Real Schule“ beistehen wollte.191 Da letzterer jedoch in Stendal lebte und ein Umzug größere finanzielle Aufwendungen nach sich gezogen hätte, entfiel diese Alternative. Dies führte dazu, dass Castillon den gesamten Mathematikunterricht übernehmen sollte. Castillon war der einzige, der sich erlaubte, zusätzliche Informationsfragen zu stellen und durch den Ton seines Schreibens Distanz zur Staatsmacht zu erkennen gab. Wie häufig sollte er unterrichten? Konnte er das Hörerhonorar und die Zahl seiner Schüler selbst festlegen? Welchem Minister unterstand er? Und war mit dem Unterricht auch der Professorentitel verbunden? Hagens Antwort auf die letzte Frage enthält eine unmissverständliche Information darüber, dass der Minister selbst sein Vorhaben nicht als Gründung eines wirklichen Lehrinstituts verstand. Wörtlich hieß es, dass: 192
▷ die gegenwärtig veranlaßte Docirung verschiedener Wißenschafften, eben kein neues Institutum [ist], sondern nur bloß der Zweck dabey ist, dass jungen Leuten in solchen nützlichen Wissenschaften, die bishero noch zu sehr verabsäumet worden, Unterricht ertheilet und dem Staate dadurch brauchbare Subjecta zugezogen werden [...]. ◁ Das Bergwerks- und Hüttendepartment legte den Beginn der Vorlesungen auf den 15. Oktober 1770 und gab dies am 2. Oktober in Zeitungsannoncen bekannt. Der Königlichen Majestät sei an der Förderung „nützlicher Wißenschafften“ viel gelegen, hieß es darin, und zu deren Erlernen solle es „nicht an bequemer Gelegenheit“ für alle diejenigen Beamten fehlen, die sich den „Bau-, Bergwerks-, Landwirtschafts-, Forst- und allen anderen Cameral- und Finantz-Sachen widmen wollen“. Von diesen Beamten sei künftig eine gründliche Kenntnis solcher Wissenschaften „gefordert“. Der Rede von „Anforderung“ zum Trotz, wurden die Beamtenanwärter jedoch nicht zur Vorlesungsteilnahme verpflichtet.193 Das Bergwerks- und Hüttendepartment übernahm die Finanzierung der Vorlesungen, über deren Ablauf Gerhard berichten sollte.
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Die ersten Vorlesungen Gerhards und Gleditschs waren mit 22 bzw. 17 Hörern gut besucht.194 Gerhard experimentierte auch in seiner Vorlesung, die er vermutlich in seiner Privatwohnung am Boulevard Unter den Linden hielt. Im Januar 1771 wurde ihm der Kauf eines Probier- und Windofens und einer Probierwaage genehmigt.195 Wie wir im 4. Kapitel gesehen haben bereicherte Gleditsch seine forstwissenschaftlichen Vorlesungen durch Exkursionen, auf die er sich mit forstbehördlichen Unterlagen vorbereitete. Der Mathematiker Castillon dagegen war weniger erfolgreich. Nachdem ihn das Bergwerks- und Hüttendepartement im Mai 1771 an die einzureichende Hörerliste erinnerte, bat er kurzbündig um seine Entlassung. Dem war eine Intrige des aus Minden kommenden Referendars Friedrich Holsche (1743 − 1783) vorausgegangen. Im Januar 1771 wandte sich Holsche an den König mit der Bitte, Vorlesungen in praktischer Geometrie und Zivilbaukunst halten zu dürfen. Einen Monat später wurde ihm diese Erlaubnis erteilt, doch der Referendar gab sich damit keinesfalls zufrieden. Anfang Mai erklärte er dem Generaldirektorium, er könne sehr viel nützlichere, auch durch Instrumente und Modelle veranschaulichte Vorlesungen halten, wenn dies nicht „aus Mangel der Subsistence“ verhindert würde. Nachdem er dann explizit die neue Vorlesungsreihe des Bergwerks- und Hüttendepartments in Spiel gebracht hatte sowie die Tatsache, dass dafür „besondere Gehälter“ gezahlt würden, bezichtigte er Castillon, nur die reine Mathematik zu lesen. Daraus aber, so Holsche, könne „weder der König noch das Land jemals Nuzzen ziehen“. Kurz danach wurde Holsche zum Nachfolger Castillons und Oberbaurat ernannt. Er behielt diese Dozentenstelle bis 1779 und unterrichtete sowohl die „reine Mathematik“ als auch die „praktische Geometrie“ mit Bezug auf die Zivilbaukunst, Mechanik und Hydrostatik.196
Neue Methoden: Experimenteller Unterricht Im November 1770 wurde Gerhard auf einer Konferenz des Bergwerks- und Hüttendepartments beauftragt, Erkundigungen über die Vorlesungen Roses einzuholen. Rose teilte ihm daraufhin mit, er habe seinen Chemieunterricht „noch gar nicht angefangen“, weil einige wichtige Fragen, wie die seiner Hörerzahl, die damit verbundene Honorarfrage sowie die Finanzierung des experimentellen Unterrichts nicht geklärt seien.197 Der Apotheker-Chemiker Rose hatte sehr genaue Vorstellungen wie ein guter Chemieunterricht aufgebaut sein müsste, wenn er für die Praxis nützlich sein sollte. Bereits bei der ursprünglichen Anfrage des Bergwerks- und Hüttendepartments hatte sich Rose für einen experimentellen Chemieunterricht ausgesprochen. Die Schüler sollten „nicht mühsam durch den gantzen Unterricht der Theorie geleitet,
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sondern hauptsächlich mit der practischen Chemie bekandt gemacht“ werden.198 Mit „practischer Chemie“ ist hier ein Experimentieren im Labor gemeint, das durch die Einbeziehung gewerblich-chemischer Operationen auch für die außerschulische Praxis relevant sein sollte. Nun gab Rose weiterhin zu bedenken, dass die räumlichen Bedingungen seines Apothekerlaboratoriums nicht mehr als sechs Schüler zuließen, „weil sonst der Process der Operationen nicht einem Jeden genau genug demonstrirt werden könnte“. Überdies war experimenteller Unterricht mit Kosten verbunden. „Auf das mindeste gerechnet“, schrieb er, „würde ein solcher Cursus chymischer Operationen, an Utensilien, dazu gehörigen Droguerien, Kohle und sonstigen Materialien 300 Th[aler] bar, allein zu stehen kommen“. Das überstieg sein Dozentengehalt von 100 Reichstalern um ein Vielfaches. Minister vom Hagen ließ sich jedoch auf Roses Bedenken nicht ein und empfahl ihm stattdessen, ein zusätzliches Hörerhonorar zu verlangen.199 Angesichts der geplanten Studentenzahl bot dieser Vorschlag jedoch keinen befriedigenden Ausweg. In einem weiteren Antwortschreiben, das an Gerhard gerichtet war, äußerte sich Rose noch präziser über seine Vorstellungen. Die Teilnehmer seines Kurses sollten in einem Kurs von sechs bis neun Monaten „selbst Gelegenheit bekommen mit Hand anzulegen“. Es ging Rose also nicht nur um Demonstrationsexperimente, sondern die Studenten sollten das chemische Experimentieren selbst erlernen. Dafür waren jedoch Materialien und Geräte anzuschaffen, und das kostete Geld. „Freylich kostet es ihnen dann mehr“, schrieb Rose, „aber der Nutzen ist auch für Sie evidenter“. Er habe in seinem ersten Brief an Minister vom Hagen seine „Meinung offenherzig geschrieben“, fügte er noch hinzu, und dabei werde es auch bleiben. Denn nur „um des lieben Brots willen“ müsse er nicht unterrichten. Der Disput wurde schließlich im Januar 1771 mit einem Brief Roses beendet, in dem dieser formell aus Krankheitsgründen absagte.200 Roses Engagement für einen experimentellen Chemieunterricht, in dem die Studenten selbst experimentieren sollten, war zwar ungewöhnlich, aber kein absoluter Alleingang eines Individuums, das seiner Zeit weit voraus gewesen wäre. Seine Vorstellungen werden vielmehr im Rahmen der Tradition experimentell-chemischen Unterrichts am Berliner Collegium medico-chirurgicum verständlich, an dem Rose selbst, ebenso wie Gerhard, studiert hatte. Der Apotheker und renommierte Chemiker Caspar Neuman (1683 − 1737), der an diesem neuartigen Berliner Lehrinstitut als erster Chemie lehrte, hatte dort schon früh Maßstäbe für den experimentellen Chemieunterricht („chymia practica“) im Laboratorium der Hofapotheke gesetzt. Roses Lehrer Andreas Sgismund Marggraf war wiederum ein Schüler Neumanns,
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und er hatte den größten Teil seiner Apothekerlehre in der Hofapotheke Neumanns verbracht. Auch der renommierte Chemiker Johann Heinrich Pott (1692 − 1777), Akademiemitglied und Gerhards Lehrer am Collegium medico-chirurgicum, war ein geschickter Experimentator gewesen, der zudem nützliche experimentelle Projekte unternahm, darunter die Untersuchung von Erden für die Porzellanherstellung.
11. Gerhard experimentiert im bergbehördlichen Laboratorium Bereits in seinem Plan für eine Bergakademie von 1770 hatte Gerhard ein Laboratorium für den experimentellen Unterricht vorgesehen. Dieser Plan musste jedoch zunächst aus finanziellen Gründen zurückgestellt werden. Nachdem Jacob Sigismund Waitz Freiherr von Eschen (1698 − 1776) im Sommer 1774 die Leitung des Bergwerks- und Hüttendepartments übernommen hatte, rückte dessen Realisierung in greifbare Nähe. Der neue Minister stellte im Juni 1774 fest, die Einrichtung eines Laboratoriums sei für das Bergwerks- und Hüttendepartment „unumgänglich nöthig“, und zwar sowohl für Unterrichtszwecke als auch für das „Probieren“, d.h. die chemische Analyse von Erzen. Waitz von Eschen und Gerhard erarbeiteten daraufhin Kostenvoranschläge, gingen Finanzierungsquellen durch und suchten einen geeigneten Standort. Der ministeriellen Unterstützung zum Trotz, stellte sich jedoch zunächst ein gewichtiges Hindernis in den Weg. Friedrich II. antwortete auf das Gesuch des Ministers mit dem Hinweis, es sei zwar sicherlich nützlich, sich über den „innerlichen Gehalte der aufgefundenen Erze gründlich zu informiren“, aber dafür gäbe es in Berlin doch schon genügend Laboratorien „berühmter Chymici“.201 Schließlich gelang es doch, im November 1774 eine „zum Laboratorio schickliche Küche“ anzumieten, die sich in einem kleinen Gebäude auf dem Hof von Gerhards Wohnhaus befand. Um die Bezahlung der bescheidenen Jahresmiete von 40 Reichtalern musste Gerhard jedoch in den folgenden Jahren wiederholt kämpfen. Friedrich II. war offenbar nicht wirklich gewillt, Geld zu Verfügung zu stellen. Nur so ist es zu erklären, dass es zu einer Halbierung des jährlichen Budgets für die laufenden Kosten der Experimente kam, für die Gerhard ursrünglich 200 Reichstaler veranschlagt hatte. Gerhard nahm selbst den Umbau der Küche und den Einbau von Öfen und Luftabzügen in die Hand und stattete das Laboratorium mit Tischen, Lampen, Probiertiegeln, Waagen, Scheidekolben und weiteren Instrumenten und Materialien für metallurgisch-chemisches Experimentieren aus. Seine Ausgaben belegte er auf das Genauste durch ein
11. Gerhard im bergbehördlichen Laboratorium
Inventarium und eine Kostenrechnung, wie er auch später seine Experimente durch ein „accurates Journal“ dokumentierte. Für das Beheizen der Öfen und andere Hilfsdienste wurde der Hausknecht der Bergwerks- und Hüttenkasse abkommandiert.202 Nach der Fertigstellung des Laboratoriums hielt Gerhard dort seinen experimentellen Unterricht ab. Mitte November meldete er der Königlichen Majestät untertänigst, dass er „den Anfang gemacht habe, die Bergwerks-Wißenschaft vorzutragen“. Er halte jetzt jeden Dienstag und Mittwoch jeweils eine Stunde „theoretische“ Vorlesungen über Chemie und Mineralogie, in denen auch „die Mineralischen Cörper selbst denen Auditores vorgezeigt“ würden, während zu seinen metallurgisch-chemischen Versuchen im Laboratorium der „Sonnabend Nachmittag von 2 Uhr an bestimmt“ sei.203 Unter seinen Schülern befand sich damals auch der spätere Bergrat Wehling, dem Bergassessor Alexander von Humboldt 1792 in der Berliner Bergbehörde unterstellt werden würde, sowie der Sohn des Botanikers Gleditsch. Anfang Oktober 1775 legte Gerhard einen weiteren Bericht über seine Vorlesungen und einen „completten Cursum Chymicum“ vor. Letzterer umfasste insgesamt 108 Experimente, die er in einem „Journal“ dokumentiert hatte. Dazu gehörten Experimente zur Untersuchung der Eigenschaften von Eisen und Stahl, die Analyse von Silber-, Kupfer-, Blei-, Eisen- und Quecksilbererzen, die Analyse von Kobalterzen und anschließende Untersuchung des „blauen Farbenwesens“ des Kobalts sowie die Herstellung von Kristall- und Bleiglas und von gefärbtem Smaragd- und Kobaltglas. Gerhard kündigte überdies an, er wolle das Laboratorium im kommenden Winter auch für eigene chemische und metallurgische Experimente über das Verhalten der Erden und Steine im Feuer, das Schmelzen der Erze und die Herstellung metallischer Legierungen nutzen. Denn solche Experimente hätten einen großen Einfluss auf das ganze metallurgische Schmelzwesen, die Herstellung metallischer Gebrauchsstoffe und die Glas- und Porzellanherstellung.204 Gerhard nahm also keine strikte Trennung zwischen Experimenten im Unterrichts- und im Forschungskontext vor. Bei seinen Forschungsexperimenten bezog er die besten Schüler ein, und widmete umgekehrt einen Teil seiner Unterrichtsexperimente aktuellen Forschungsthemen, über die er später der Akademie der Wissenschaften berichtete. Das war insbesondere bei seinen Experimenten über Eisen, Stahl und Kobalt der Fall.
Drei Zwecke des königlichen Laboratoriums Nachdem Waitz von Eschen im November 1776 verstorben war, trat Friedrich Anton von Heinitz im September 1777 seine Nachfolge an. Heinitz genehmigte umgehend
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den Einbau zweier neuer Öfen und Reparaturmaßnahmen im Laboratorium und erhöhte den jährlichen Fond für Experimente von 100 auf 110 Reichstaler. Doch für Gerhard persönlich wendete sich das Blatt zum Schlechteren. Er verlor allmählich seine Selbständigkeit und die gewohnte Verfügungsgewalt über das Laboratorium. So ordnete Heinitz bereits im Winter 1777/78 an, Gerhard dürfe das Laboratorium „zwar benutzen“, solle aber im Gegenzug „die ihm sonst aufgegebenen Proben unentgeldlich“ vornehmen.205 Damit stellte Heinitz nicht nur die staatlichen Eigentumsrechte am Laboratorium klar, sondern erteilte Gerhard auch explizit Aufgaben, für die gewöhnlich ein Probierer zuständig war. Im darauffolgenden Winter unterrichtete Gerhard in der Tat auch die Probierkunst, fühlte sich jedoch bald so überlastet, dass er um die Einstellung eines Laborassistenten bat. In einem Arbeitsbericht vom 16. November 1778 schrieb er, dass einerseits „ohne Hülfe von Versuchen kein sicherer Schritt in der Mineralogie gethan werden“ könne, ihm andererseits aber dafür kaum noch Zeit verbleibe. „Ich habe auch keinen eintzigen Menschen“, beklagte er, „der mir im geringsten darinnen [dem Experimentieren] assistiren könne“.206 Im Herbst 1782 stellte Heinitz einen Bergprobierer namens Weiland ein, der Gerhard von nun an auch beim Experimentieren und Unterrichten assistierte. Gerhard musste „sein“ Laboratorium von da an zwar mit Weiland teilen, erhielt jedoch noch im November 1782 die offizielle Bestätigung, dass er „die Aufsicht über das hiesige Laboratorium und die darinn anzustellenden Versuche“ behalten solle. Dies hinderte Heinitz jedoch nicht, ihn zwei Monate später aufzufordern, „jährlich einen Plan“ für die Nutzung des Laboratoriums außerhalb seines Unterrichts vorzulegen. Gerhard kam dieser Aufforderung nach und legte am 27. Januar 1783 umfassende „Vorschläge zum nützlichen Arbeiten im Laboratorio” vor. 207 Einleitend fasste er in diesen „Vorschlägen“ die drei Funktioen des Laboratoriums zusammen. Das „königliche Laboratorium“, schrieb er, sei „zu einer 3 fachen Absicht angelegt“ worden, nämlich: „1. Zum Unterricht der Eleven, 2. Zum Probieren des Gehalts der eingeschickten Erze, 3. Zu neuen und nützlichen Entdekkungen und Erfindungen.“ Der Laborunterricht der Eleven, der Mittwochs und Sonnabends von sechs Uhr morgens an stattfinde, hieß es weiter, finde ergänzend zu seiner Vorlesungen über chemische Metallurgie statt. Weiland, der den experimentellen Unterrichtsteil inzwischen weitgehend übernommen hatte, müsse sich einen Tag zuvor bei ihm über die anstehenden Versuche infomieren. Das Probieren der Erze hänge dagegen vom
11. Gerhard im bergbehördlichen Laboratorium
Zeitpunkt des Einschickens der Erzproben aus den Bergrevieren ab, erfolge aber in der Regel mittwochs und sonnabends und in Anwesenheit der Eleven. „Alle Versuche werden in einem besonderen Buche eingetragen“, hob Gerhard hervor.208 Die übrigen Wochentage seien für die experimentelle Forschung reserviert, bei denen die besten Eleven zugelassen waren. Hier verlangte Gerhard eine besonders sorgfältige, doppelte Protokollführung.
Versuche mit Werkstoffen In Hinblick auf seine eigene experimentelle Forschung teilte Gerhard in seinen „Vorschlägen“ vom 27. Januar 1783 mit, er wolle die Versuche mit Werkstoffen, die er im Winter 1775/76 begonnen hatte, fortsetzen. Probierer Weiland, dem er „die Recepte zu den Versuchen“ übergeben habe, solle diese durchführen und jeden Abend „vom Ausfalle derselben Rapport“ erstatten. Als erstes beabsichtigte er die Fortsetzung seiner „Stahl-Schmelz-Versuche“, wobei er insbesondere vorhatte, stoffliche Zusätze zu untersuchen, die sich auf die Dichte des Stahls auswirkten. In einer Publikation von 1780 über Eisen hatte er über derartige Versuche bereits Andeutungen gemacht.209 Danach sollten die früheren „Glas-Versuche“ wieder aufgenommen werden, wobei der Schwerpunkt nun auf der Herstellung von Kristallglas und gefärbtem Glas liegen sollte. Im September 1783 konnte Gerhard dem Wiener Mineralogen Nicolas Joseph Jacquin berichten, dass „Kobalterze“ mit Alkali vermischt ein schönes blaues Glas ergäben.210 In seinen „Vorschlägen“ ging Gerhard auch auf Versuche zu Herstellung von Schmelzmassen für Steingut und Porzellan ein. Er habe in diesen Versuchen schon gute Erfolge erzielt, berichtete er, aber es fehlten noch einige für die Übertragung in den großtechnischen Maßstab wichtige Details. Einen weiteren experimentellen Schwerpunkt stellte die Herstellung neuer Legierungen dar. Gerhard bemerkte zu diesem in die metallurgische Chemie fallenden Teil seines Forschungsprojekts, er habe zwar schon „verschiedene Metalle zu allerhand Gebrauch miteinander legirt“, aber nicht alles durchgearbeitet. Er war jedoch optimistisch, dass hier „vielleicht sehr nützliche Entdekkungen“ zu machen seien. Wenn man die Legierungsmöglichkeiten aller 10 Metalle untereinander systematisch teste, so seien insgesamt 1000 Experimente durchzuführen.211 Friedrich II. genehmigte Gerhards „Vorschläge“ noch im Februar, wobei er keineswegs vergaß, diesen zu ermahnen, er solle darauf achten, „daß mit den angeschafften Materialien wirthschaftlich umgegangen” werde. Aus Kostengründen verweigerte er jedoch die Genehmigung für die metallurgischen Versuche.
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1785 unternahm Franz Carl Achard, vermutlich auf Anregung Gerhards, eine Reihe von Versuchen zur Herstellung metallischer Legierungen im Laboratorium der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Die beiden Naturforscher und Freunde hatten im Auftrag der Akademie der Wissenschaften schon mehrfach zusammengearbeitet, unter anderem 1777/ 78 bei der Installation eines Blitzableiters am Pulvermagazin der Artillerie am Schlesischen Tor und der Begutachtung einer zum „allgemeinen Nutzen“ eingereichten Erfindung blitzableitender Dachfliesen eines holländischen Unternehmers.212 Auch in den folgenden Jahren würden sie noch öfter kooperierten, nicht zuletzt im Zusammenhang mit Achards Versuchen zur Rübenzuckergewinnung. Achard, der alles andere als unumstritten war, verließ sich stets auf Gerhards Unterstützung, „dessen Gerechtigkeit und Festigkeit“, wie er sagte, „bekannt ist und allgemein verehrt“ werde.213
Gerhards Absetzung als Labordirektor Von 1774 an experimentierte Gerhard regelmäßig im Laboratorium des Bergwerksund Hüttendepartments, das er selbst aufgebaut hatte. Seine Experimente dienten sowohl Unterrichts- als auch Forschungszwecken. In seiner experimentellen Forschung verband er naturwissenschaftliche Fragen über die Eigenschaften, die Zusammensetzung und das Reaktionsverhalten von Stoffen mit technologischen Fragen über die Herstellung oder Verbesserung von Werkstoffen. Die Methode der chemischen Analyse wurde in diesem Zusammenhang ebenso verfeinert wie die Kenntnisse über das Schmelzverhalten von Erden, Steinen und Metallen, die für die Glas- und Keramikherstellung sowie das metallverarbeitende Gewerbe nützlich werden konnten. Alle Experimente fanden im staatlichen institutionellen Rahmen des Bergwerks- und Hüttendepartments statt und wurden von Minister Waitz von Eschen aktiv unterstützt. Nachdem Waitz von Eschen im November 1776 verstorben war und Minister von Heinitz im Herbst 1777 seine Nachfolge angetreten hatte, veränderten sich Gerhards Arbeitsbedingungen. Heinitz war es von jeher gewohnt, den Ton vorzugeben, und trotz seiner Unterstützung der wissenschaftlichen Aktivitäten seiner Beamten erwartete er von diesen auch vorbehaltlose Subordination. Bei Gerhard stieß er damit auf Widerstand. Denn ebenso wie Alexander von Humboldt war auch Gerhard nicht ohne weiteres bereit, sich bedingungslos unterzuordnen. Überdies hatte Gerhard unter Minister vom Hagen und seinen beiden Nachfolgern weitgehende Gestaltungsfreiheiten genossen. Bis zum Herbst 1777 hatte er das bergbehördliche Laboratorium nach eigenem Gutdünken nutzen und darin ebenso frei forschen können wie Marg-
11. Gerhard im bergbehördlichen Laboratorium
graf im Laboratorium der Akademie der Wissenschaften. Den Experimentalberichten beider Naturforscher war nicht anzumerken, ob sie aus dem akademischen oder dem staatlich-bergbaulichen Laboratorium stammten. Heinitz versuchte zunächst in kleinen Schritten, Gerhards Befugnisse im Laboratorium einzuschränken. Seine entscheidenden Maßnahmen erfolgten erst nach dem Tod Friedrichs II. (am 17. August 1786). Wie wir unten sehen werden, musste Gerhard im Herbst 1786 seine Lehrtätigkeit für die Bergeleven einstellen. Am 18. Juni 1787 erhielt er dann einen Brief von Friedrich Wilhelm II., in dem dieser ihn in schroffem Ton aufforderte, sein Laboratorium zu räumen. Gerhard hielt sich gerade zu Inspektionszwecken außerhalb Berlins auf. „So lassen Wir Euch solches hierdurch in Gnaden bekannt machen und befehlen Euch“, schrieb der neue König, „sämmtliche Probier Geräthe, und alle übrige zu gedachtem Laboratorio gehörige Inventarienstüke, gleich nach Eurer Zurükkunft“ zu übergeben.214 Gerhard war offenbar in Ungnade gefallen. Über die genauen Gründe dafür geben die Archive keine direkte Auskunft. Es können jedoch kaum Zweifel bestehen, dass Heinitz der Initiator dieser Maßnahme war. Dieser sah nun den richtigen Zeitpunkt gekommen, Gerhard die Quittung für mangelnde Subordination zu erteilen. Den letzten und vielleicht entscheidenden Anlass dazu hatte Gerhard wohl selbst geliefert. Im Dezember 1782 hatte er noch einmal auf eigene Faust den Versuch unternommen, die Gründung einer Bergakademie in Berlin durchzusetzen. Darauf kommen wir im nächsten Kapitel zurück.
Bau eines neuen Laboratoriums Zu den zahlreichen kleineren Maßnahmen von Heinitz, die darauf gerichtet waren, Gerhards Kompetenzen als Laborleiter einzuschränken, gehörte eine Einladung an den schwedischen Mineralogen Johann Jacob Ferber (1743 − 1790) im Winter 1785, in den preußischen Staatsdienst einzutreten. Im November 1786 siedelte Ferber nach Berlin über, wurde zum Oberbergrat ernannt und in die preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Just zum selben Zeitpunkt wurde Gerhard von seiner Lehrtätigkeit für die Bergeleven entbunden, denn Ferber war als sein Nachfolger eingeplant.215 Am 11. Juni 1787 − genau eine Woche bevor Gerhard den königlichen Befehl zur Abgabe des Laboratoriums erhielt − wurde Ferber zum neuen Labordirektor ernannt. Parallel dazu wurde der Probierer Weiland, mit dem Gerhard vier Jahre lang vertrauensvoll zusammen gearbeitet hatte, durch den Münzwardein Georg Christian Frick ersetzt. Ferber und Frick waren daher auch diejenigen, die Gerhards Inventarium über die Laboratoriumsausrüstung und alle Laborgeräte entgegennehmen sollten.
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Es dauerte mehr als ein halbes Jahr, bis Gerhard dem unerwarteten Befehl nachkam und sein Labor räumte. Im Februar 1788 beschwerte sich Ferber noch bei Heinitz, er habe ihm bisher weder ein Inventarium überreicht noch habe er „Bücher oder Journale des ehemal[ligen] Laboratorii in Empfang [...] nehmen“ können. Ferber sprach hier vom „ehemaligen“ Laboratorium Unter den Linden, da im Sommer 1787 Bauarbeiten für ein neues Laboratorium in der alten Münze begonnen hatten.216 Der Neubau war in Angriff geworden, weil Heinitz wünschte, dass Ferber Amalgamationsversuche zur Gold- und Silbergewinnung mithilfe von Quecksilber vornehmen sollte. Ferber Abb. 19 Porträt Dietrich Ludwig Gustav Karsten. Staatsbibliothek zu Berlin PK
hatte zahlreiche Bergbaugebiete in Europa bereist und sich 1786 in Wien und Glashütte bei Schemnitz (heute Slowakei) aufgehalten, um an den Amalgamationsversuchen seines Freundes
Ignaz Born und des Professors der Schemnitzer Bergakademie Anton von Ruprecht teilzunehmen. Das neue Verfahren wurde erfolgreich im sächsischen Amalgamierwerk Halsbrücke angewandt, das auch Alexander von Humboldt während seines Freiberger Studiums kennengelernt hatte. Heinitz wollte den Anschluss Preußens an dieses neue Verfahrens nicht verpassen. Seine Pläne gingen jedoch nicht auf. Im September 1789 erlitt Ferber während einer Dienstreise einen Schlaganfall, im April 1790 verstarb er. Zu seinem Nachfolger ernannte Heinitz den jungen Mineralogen Dietrich Ludwig Gustav Karsten, der jahrelang als Bergeleve unter seiner Obhut gestanden hatte und ihm ein treuer Untergebener sein würde.
12. Heinitz reorganisiert die preußische Bergbeamtenausbildung Nach seinem Dienstantritt als preußischer Minister und Oberberghauptmann im September 1777 ergriff Heinitz Maßnahmen zu einer erstmaligen Regulierung der preußischen Bergbeamtenausbildung, die tiefgreifende Einschnitte in die Vorle-
12. Heinitz und die preußische Bergbeamtenausbildung
sungsreihe der Berliner Bergbehörde beinhalteten. Wie wir gesehen haben, wandte sich diese 1770 ins Leben gerufe Vorlesungsreihe sowohl an künftige Bergbeamte als auch an Beamtenanwärter für die Bau- und Forstbehörden. Sie wurde jedoch ausschließlich durch das Bergwerks- und Hüttendepartment finanziert. Heinitz organisierte sie nun in der Weise um, dass sie nur noch der Ausbildung von Bergbeamten diente und übertrug ihr eine neue Funktion im Rahmen einer formell regulierten Bergbeamtenausbildung, die auch die praktische Ausbildung einbezog. Dafür fand er mehrere willkommene Anlässe. Nachdem Minister vom Hagen, der die Berliner Vorlesungsreihe ins Leben gerufen hatte, im Februar 1771 verstorben war, war ihm mit Friedrich Wilhelm von d. Schulenburg-Kehnert ein Minister gefolgt, der weder ein Fachmann für Bergbau und Metallverhüttung noch für das Bau- und Forstwesen war und die Vorlesungsreihe weitgehend ignorierte. Im Sommer 1774 wurde er durch den bis dahin in landgräflich-hessischen Diensten stehenden Berghauptmann Waitz von Eschen ersetzt, blieb aber für das Forstdepartment verantwortlich. Damit war die bisherige Interessenbündelung aller drei Sachdepartments an der Vorlesungsreihe aufgehoben. Im Oberbaudepartment hatte sich zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon die Auffassung durchgesetzt, die Baubeamten benötigten eine eigenständige wissenschaftlich-technische Ausbildung. Dies hatte zur Folge, dass bereits Waitz von Eschen die vom Bergwerks- und Hüttendepartement finanzierte Vorlesungsreihe stärker an den Interessen des eigenen Departments ausrichtete. Es ist daher kein Zufall, dass in seiner Amtszeit gelegentlich auch von einer „Berg-Akademie“ die Rede war.217 Die neue Bezeichnung drückte jedoch nur die veränderte Interessenlage in den Ministerien aus und beinhalte keine institutionelle Neuausrichtung. Im Oktober 1777, kurz nach seinem Dienstantritt, versuchte Heinitz in gewohnter Manier, sich einen Überblick über die Vorlesungen des Bergbau- und Hüttendepartments zu verschaffen. Oberbaurat Holsche wurde aufgefordert, einen zusammenfassenden Bericht zu schreiben. Gerhard, der bis dahin für solche Aufgaben zuständig gewesen war, wurde dabei übergangen. Dies musste ein schlechtes Omen für ihn gewesen sein. Holsche berichtete wahrheitsgemäß, dass Minister vom Hagen keine wirkliche Bergschule, sondern Vorlesungen über das gesamte Bergwerks-, Bau- und Forstwesen eingerichtet habe. Er führte auch eine Reihe von Einzelheiten über die Namen der Dozenten, die Schwerpunkte ihrer Vorlesungen und ihr Honorar an, war jedoch nicht in der Lage anzugeben, wie oft die Vorlesungen tatsächlich stattgefunden hatten. Für die Zeit nach Oktober 1775 versiegten seine Informationsquellen gänzlich.
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Auf Nachforschungen hin gab nur Gleditsch an, er habe in den letzten zwei Jahren regelmäßig forstwirtschaftliche Kurse gehalten. Selbst Gerhard, der für die Organisation der Vorlesungen verantwortlich war, scheint 1776 seinen Unterricht unterbrochen und erst im Winter 1777, also erst nach Heinitz’ Amtsantritt, wieder aufgenommen zu haben. Dennoch bestätigte die Haupt-Bergwerks- und Hüttenkasse auf Anfrage, restlos alle fünf Dozenten der „Bergschule“ − Gerhard, Gleditsch, Holsche, Walter und Kurella − hätten bis 1777 ihr Jahreshonorar von 100 Reichstalern erhalten.218
Preußische Schweyks Aber schon vor 1775 waren die Vorlesungen nicht immer so verlaufen, wie es von der Bergbehörde intendiert war. Nach dem Tod Roses war im März 1771 der Berliner Arzt Ernst Gottfried Kurella (1725 − 1799) als Chemiedozent eingestellt worden.219 Das Bergwerks- und Hüttendepartment hatte ihn instruiert, er müsse „alles was in die Chymiam pharmaceuticam einschlägt weglassen“ und stattdessen die „Oekonomie und das Cameralwesen“ angemessen berücksichtigen und „besonders über die Gährungen, Färbereien, Salpeter-Machen, künstliche Düngungen der Aecker pp. Versuche anstelle[n]“. Wie die anderen Dozenten, so war auch Kurella mit einem Jahreshonorar von 100 Talern nicht wirklich zufrieden, doch er wusste sich schadlos zu halten. Als Gerhard ihn im Sommer 1774 im Auftrag des Ministers Waitz von Eschen erstmals über seine Vorlesungen befragte und Hörerlisten verlangte, gab er zur Antwort, er habe sich bisher „alle ersinnliche Mühe gegeben [...] einen kleinen numerum auditorum zusammen zu bringen“, aber alles sei „bishero vergeblich gewesen“.220 Nun stellte sich heraus, dass Kurella seine Chemievorlesung faktisch nie gehalten, aber dennoch sein Honorar bezogen hatte. Noch ein gutes Stück listiger agierte der am Collegium medico-chirurgicum lehrende Professor Johann Gottlieb Walter. Er hatte zwar regelmäßig Hörerlisten über die ihm anvertraute Physikvorlesung eingereicht, aber die Interessen und Ziele seiner Hörer verschleiert. In seiner ersten Hörerliste vom Winter 1770 gab er die Berufsziele seiner Hörer nicht an. Stattdessen präsentierte er sich als Anwalt seiner Hörer, die „ja alle freye Leute“ seien und, so Walter, „folglich nicht gehalten werden können mir ihren besonderen Endzweck zu entdecken“. Im darauffolgenden Jahr legte er zwar eine vollständige Namensliste seiner 23 Hörer vor, unter denen er den jungen Franz Carl Achard besonders hervorhob und erwähnte, vier seiner Hörer hätten schon Beamtenstellen erhalten. Aus den weiteren Angaben ging jedoch hervor, dass die große Mehrheit seiner Studenten Chirurgie, Medizin und Pharmazie studierten. Letzteres war auch bei den nachfolgenden Listen der Fall.221 Aus all dem
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hätte Gerhard einen eindeutigen Schluss ziehen können, nämlich den, dass Walter seine Vorlesungen am Collegium medico-chirurgicum − das ja eine spezielle Ausbildungsstätte für Chirurgen, Ärzte und Apotheker war − mit der vom Bergwerks- und Hüttendepartment finanzierten Physikvorlesung zusammengelegt hatte. Dazu bot sich die seit langem eingebürgerte Praxis von Privatvorlesungen am Collegium an, die gewöhnlich in den Wohnungen der Professoren stattfanden.222 Gerhard hatte die Kontrolle jedoch unterlassen, sodass Walter sein Dozentengehalt bis 1777 erhalten hatte, ohne jedoch gezielt Bergbeamtenanwärter anzuwerben.
Heinitz schließt die Forst- und Bauwissenschaften aus Nachdem diese Missstände aufgedeckt waren, griff Heinitz sofort durch. Als erstes gab er am 15. Dezember 1777 eine Anweisung an die Hauptbergwerks- und Hüttenkasse, die Auszahlung aller Dozentengehälter zu stoppen. Gleichzeitig hob er die Notwendigkeit einer frühen praktischen Ausbildung der Bergbeamten hervor, die dem wissenschaftlichen Unterricht unbedingt vorangehen müsse. Wörtlich hieß es, nur solche jungen Leute sollten sich den „Wißenschafften widmen, welche mit den Local-Geschäfften eines Berg- und Hüttenwercks schon bekandt, und sich in Gebürgs Gegenden etliche Jahre“ aufgehalten haben.223 Für Walter, Kurella und auch Gleditsch bedeutete dies das Aus ihrer Lehrtätigkeit. Während im Fall Walters und Kurellas die Gründe dafür auf der Hand lagen, begründete der Minister sein Vorgehen gegenüber Gleditsch mit dem fragwürdigen Argument, die Forstwissenschaft sei nicht Teil der Bergwerkswissenschaft. Dem Leiter des Forstdepartments Schulenburg-Kehnert teilte er lapidar mit, dass er sich „genöthiget gesehen habe, mit dem Institutio der etablirten Berg-Akademie eine zweckmäßigere Einrichtung zu treffen.“ Um „zu Berg- und Hütten Sachen recht kundige Leute anzuziehen“, erläuterte er, müssten eine Reihe von Wissenschaften gelehrt werden, „worunter aber die Forst-Wißenschaft nicht gehöret“.224 Gleditsch setzte danach seine forstwissenschaftliche Vorlesung als Privatvorlesung fort. Im Herbst 1779 entließ Heinitz auch den Mathematikdozenten Holsche. Damit war auch formell die Trennung vom Oberbaudepartment vollzogen. Mit seiner Anweisung vom 15. Dezember 1777 gab Heinitz auch eine weitere Absicht bekannt. In den regionalen Bergämtern sollten Schulen für die Kinder der Berg- und Hüttenbeamten gegründet werden. Es war seit langem Tradition, dass sich das Bergbeamtencorps aus den Bergbeamtenfamilien rekrutierte. Das Bergamt zu Rothenburg habe bereits Vorbereitungen für den Schulunterricht getroffen, so Heinitz, sodass die Bergbeamtenkinder und „sich daselbst aufhaltende junge Leute
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auf dem Gebürge und in denen Hütten von den Officianten den Winter über ex officio Unterricht empfangen“ könnten.225 Die Organisation dieses regionalen Unterrichts wurde Gerhard übertragen. Der König, so hieß es in einem Brief an ihn, „befehlen Dero Ober-Berg-Rath Gerhard hierdurch in Gnaden, künftig die Besorgniß zu übernehmen, daß sowohl der verordnete Unterricht zu Rothenburg seinen Fortgang hat, als auch, dass dergleichen künftig bey einer der Eisenhütten und bey andern Berg- und Hütten-Etablissements in den Provintzen zu Standen kommen“. Insbesondere sollte Gerhard umgehend dafür sorgen, dass die Bergämter „die leichtesten, gründlichsten und fasslichsten Compendia“ für den Schulunterricht erhielten. Aus Gerhards späteren Berichten über diese regionalen Unterrichtstätigkeiten geht hervor, dass im Rothenburger Bergamt auch Steiger, Schichtmeister und Schmelzer wissenschaftlich-technischen Unterricht erhielten.226 Als Alexander von Humboldt später im Rahmen seiner Bergmeistertätigkeit in Franken eine „Königliche Bergschule“ aufbaute, konnte er sich auf diese Beispiele berufen.
Heinitz erläßt Regeln für die Bergbeamtenausbildung Am 8. Januar 1778 zementierte Heinitz seine Maßnahmen zur Regulierung der Bergbeamtenausbildung durch ein „Publicandum wie es künftig mit Besetzung der Berg- und Hütten-Bedienten gehalten werden soll“. Jeder, der in einer preußischen Bergbehörde angestellt werden wollte, hieß es darin, müsse sich dafür „vollkommen qualifizieren“. Er müsse sich zuerst bei den regionalen Bergämtern in Reichenstein, Rothenburg oder Hagen melden und sich „eine Zeit lang als Eleve auf einländischen Berg- und Hütten-Wercken aufhalten und sich daselbst mit allen Arbeiten und Geschäften practisch bekandt machen“. Während dieser hauptsächlich praktischen Lehre, für die er ein bis zwei Jahre veranschlagte, sollte während der Wintermonate auch „theoretischer Unterricht“ in den zum „Berg- und Hüttenwesen gehörigen Wißenschafften“ stattfinden.227 An diese erste, vorwiegend praktische Ausbildungsphase sollte sich für die besten „Eleven“ eine rein schulisch-theoretische Ausbildung anschließen, in der sie zu „Berg-Cadetten“ befördert wurden und die bergbaulichen „Hilfswissenschaften“ studieren sollten, wo immer „sich Gelegenheit dazu findet“. Die letzte Formulierung bedeutete eine klare Absage an die Residenzstadt Berlin als Zentrum einer höheren wissenschaftlichen Ausbildung aller preußischen Bergbeamten. Denn „Gelegenheiten“ für eine solche Ausbildung gab es auch andernorts, an den Universitäten ebenso wie an der Freiberger Bergakademie.228 Die Berg-Cadetten sollten daher mit einem Stipendium ausgestattet werden, das ihnen selbst die Wahl ihres wissenschaftlichen Ausbildungsorts überließ.
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Am Ende der Ausbildung war erstmals ein Examen vorgesehen, das von den regionalen Oberbergämtern und in Berlin von der „Bergwerks- und Hüttenadministration“ abgenommen werden sollte.229 Wie jedoch das Beispiel Alexander von Humboldts zeigt, der im Februar 1792 in der Bergwerks- und Hüttenadministration die Stelle eines Bergassessors antrat, galt diese Regulierung für Adlige faktisch noch nicht. Humboldt war weder ein Eleve in einem reginonalen Bergamt gewesen noch hatte er an der Freiberger Bergakademie oder vor der Berliner Bergwerks- und Hüttenadministration ein Examen abgelegt. Heinitz machte von seinen Freiheiten als Minister auch nach seinem Publicandum noch weidlich Gebrauch. Die Beamtenanwärter wurden von ihm immer auch handverlesen, und sachkundige Adlige zog er gegenüber gleich guten bürgerlichen Kandidaten stets vor.
Konsequenzen für die bergbehördliche Vorlesungsreihe Mit Heinitz’ Publicandum vom Januar 1778 war die Organisation und inhaltliche Ausgestaltung der Bergbeamtenausbildung an die regionalen Bergämter delegiert. Für die Berliner Vorlesungsreihe bedeutete dies, dass nicht mehr das zentrale, für ganz Preußen verantwortliche „Bergwerks- und Hüttendepartment“ verantwortlich war, sondern die regionale „Bergwerks- und Hüttenadministration“. Letzterer unterstanden die Hüttenwerke in den preußischen Provinzen Neumark, Kurmark, Pommern und Westpreußen, und sie hatte einen ähnlichen regionalen Status wie die Bergund Hüttenämter in den preußischen Bergbauprovinzen. Die Hauptadressaten der Berliner Vorlesungsreihe wurden somit die „Eleven“ der regionalen Bergwerks- und Hüttenadministration sowie schon in Staatsdiensten stehende Berliner Bergbeamte, und zwar vor allem „Subalterne“ wie Sekretäre, Calculatoren und Registratoren. Ungeachtet ihrer hochkarätigen Dozenten aus den Reihen der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften hatte Heinitz die Berliner Vorlesungsreihe somit in eine Instititution der wissenschaftlichen Ausbildung und Rekrutierung unterer, technischer Bergbeamter verwandelt. Wer die höhere Bergbeamtenlaufbahn einschlagen wollte, musste an einer Universität oder der Freiberger Bergakademie studieren. Als sich Alexander von Humboldt Anfang der 1790er-Jahre entschlossen hatte, die Bergbeamtenlaufbahn einzuschlagen, kam daher eine bergwerkswissenschaftliche Ausbildung in Berlin für ihn erst gar nicht in Betracht. Heinitz bemächtigte sich nun in jeder Hinsicht der Berliner Vorlesungsreihe. Nachdem Gleditsch, Walter, Kurella und im Herbst 1779 auch der Mathematikdozent Holsche entlassen worden waren, ging er an die Neubesetzung ihrer Stellen. Im Winter 1779 stellte er Franz Carl Achard als Dozenten für Chemie und Physik
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ein. Der Minister instruierte ihn persönlich, er habe sich in seinen Vorlesungen nicht mit Gaschemie und Elektrizitätslehre zu befassen, sondern müsse sich auf die chemische Zergliederung der Metalle, Salze und anderer mineralogischer Körper konzentrieren. An Gerhard erging wiederum die Anweisung, in seinen Vorlesungen nunmehr die Chemie auszuklammern und sich auf die Mineralogie sowie die „unterirdische Geographie“ und den Bergbau zu beschränken. Als Nachfolger Holsches setzte Heinitz den Mathematiker und Leiter der Sternwarte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften Johann Karl Schulze (1749 – 1790) ein. Schulze sollte nach Heinitz’ Anweisung die Mathematik nur noch „in Rücksicht auf den beim Berg- und Hüttenwesen davon zu machenden Gebrauch“ lehren und Kenntnisse über die Mechanik, Maschinenlehre und mathematische Instrumente vermitteln. Gleichzeitig organisierte Heinitz im Herbst 1779 erstmals auch Zeichenunterricht, den Bauinspektor Karl Friedrich Bückling (1756 – 1812) erteilte.230 In den nachfolgenden Jahren legte die Behörde eine Zeichnungs-, Karten- und Instrumentensammlung an und ergänzte ihre Bibliothek sowie die von Gerhard erworbene Mineraliensammlung, sodass Nicolai 1786 von einem veritablen „Kabinett“ des Bergwerks- und Hüttendepartments sprechen konnte.231 Im April 1780 forderte Heinitz Gerhard überdies auf, ein „technologisches Collegium in Hinsicht auf die Berg- und Hüttenprodukte“ anzubieten. Es sollte alles behandeln, was zum Bergbau im weitesten Sinn gehörte, darunter die Eisenverhüttung und -gießerei, Kupferhämmer und Messingwerke, Salinen, Vitriol- und Alaunwerke, Schwefel- und Arsenikhütten, Kalk- und Gipsbrennereien und die Salpetersiederei. Auch „chymische Operationen“ mit bergbaulichen Rohmaterialien sollten einbezogen werden, weil deren Kenntnis für „Goldschmiede, Gelbgießer, Apothecker, Färber, Mahler und andere Künstler und Handwerker zur Zerlegung und Bearbeitung verschiedener mineralischer und metallischer Cörper“ nützlich sei.232 Dabei sollte sich Gerhard auf die Schriften des Göttinger Technologen und Ökonomen Johann Beckmann und des schwedischen Mineralogen Johann Jacob Ferber, Heinitz’ Protégé, stützen und wo nötig auch die Descriptions des Arts et Métiers (1761 − 1788) der Pariser Akademie der Wissenschaften heranziehen. Heinitz griff somit massiv in die Vorlesungsinhalte ein, und zwar nicht nur in diejenigen der neu eingestellten Dozenten Schulze und Achard, sondern auch in die von Gerhard. Dies geschah ungeachtet der Tatsache, dass Gerhard 1770 einen Plan für eine Berliner Bergakademie entworfen hatte, seit langem im Auftrag der Bergbehörde unterrichtete und für diesen Unterricht gerade ein zweibändiges Lehrbuch verfasst hatte.233 Doch Heinitz wollte das Heft selbst in die Hand nehmen.
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Gerhards neue Initiative zur Gründung einer Bergakademie Im Dezember 1782 ergriff Gerhard eine günstige Gelegenheit, sein Geschick zu wenden und damit auch dasjenige der Berliner Vorlesungsreihe. Am 3. Dezember 1782 legte er einen Bericht vor, der die bisherigen Erfahrungen der Behörde mit dem Unterricht der Bergeleven und -kadetten zusammenfasste. Dieser war nicht nur kritisch, sondern enthielt auch Verbesserungsvorschläge für die Bergbeamtenausbildung, die an Gerhards Plan von 1770 anknüpften.234 Gerhard kritisierte zunächst, dass der bisherige wissenschaftliche Unterricht in den regionalen Bergämtern für die Anwärter der technischen Beamtenpositionen nicht genügte. Die Schichtmeister, Geschworenen, Obersteiger, Steiger, Kunstmeister und Hochofenmeister, schrieb er, müssten sehr viel „mehr Kenntnisse besizzen als ein gemeiner Arbeiter“, und es gäbe „gewiße Arten von Kenntiße, welche Alle habben müssen.“ Restlos alle Berg- und Hüttenbeamten sollten Kenntnisse in reiner und angewandter Mathematik, Mechanik, Hydrostatik und Zivilbaukunst sowie dem Zeichnen besitzen. Die Kenntnisse eines „Eisenhütten-Verständigen“ müssten überdies mineralogische Kenntnisse der Eisenerze und verhüttungstechnisch relevanten Steinarten sowie des chemischen Probierens und des „Eisenhütten-Haushalts“ umfassen. Für die Betreibung des Bergbaus und aller anderer Hüttenbetrieb seien wiederum Kenntnisse über die physische Erdbeschreibung, Mineralogie, Theorie des Bergbaus und Pochwesens, metallurgische Chemie und Theorie des Hüttenwesens notwendig.235 Dann wiederholte Gerhard seinen Vorschlag von 1770, allen Berg- und Hüttenbeamten die gleiche wissenschaftliche Grundausbildung zukommen zu lassen. Diese sollte möglichst früh einsetzen, und zwar spätestens nach einer einführenden praktischen Ausbildung von einem halben Jahr. „Es ist eine allgemeine Erfahrung“, erläuterte Gerhard, „daß, wenn einmal die Seele des Menschen einen praktischen plaisir erhalten, es sehr schwer fällt, daß sie an theoretische Kentniße Geschmack findet, und aus dieser Ursache scheinet es, dem ersten Ansehen nach, besser zu seyn, wenn die Eléven und Cadets gleich mit der Theorie anfangen“. Berlin, so Gerhard weiter, sei „unstreitig“ der beste Ort für die bergwerkswissenschaftliche Ausbildung aller Bergbeamten.236 Der Vorschlag lief somit auf die Gründung einer Bergakademie hinaus. Er widersprach diametral der Vorstellung von Heinitz, nach der die praktische Bergbeamtenausbildung der schulisch-theoretischen vorangehen sollte.
Gerhards Entlassung als Dozent Wenn Gerhard wirklich geglaubt haben sollte, bei Friedrich II. Unterstützung für seinen Plan zu erhalten, so hatte er sich geirrt. Der König antwortete ihm nicht.
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1815 wurde Halle nochmals als ein möglicher Standort für eine zentrale preußische Bergakademie diskutiert, doch dieser Vorschlag wurde mit dem Argument verworfen, die Bergwerkswissenschaft könne an den Universitäten verankert werden.237 Das Verlaufsmuster derartiger Diskussionen war stets dasselbe. Die preußischen Könige vermieden die Gründung neuer Ausbildungsinstitutionen aus finanziellen Gründen. Heinitz war vermutlich erfahren genug, dies nicht in Frage zu stellen. Im Herbst 1786, wenige Monate nach dem Tod Friedrichs II., fand Gerhards Lehrtätigkeit ein abruptes Ende. Wie wir oben gesehen haben, musste er im darauffolgenden Sommer auch sein Laboratorium räumen.238 Gerhard war zu dieser Zeit als erstklassiger Mineraloge bekannt. Noch im selben Jahr 1786 hatte er sein neues Lehrbuch Grundriß des Mineralsystems zu Vorlesungen veröffentlicht. In einer Rezension schrieb der Herausgeber der Chemischen Annalen, Lorenz Crell, das Lehrbuch sei der „Leitfaden des Unterrichts für die Kön. Bergeleven“, und der Autor sei „einer der ersten chemischen Mineralogen“, der bereits durch „mehrere vortrefliche Schriften bekannt“ sei.239 Es spricht also wenig dafür, dass Gerhard unterrichtsmüde war. Wahrscheinlicher ist dagegen, dass Heinitz die günstige Gelegenheit nach dem Thronwechsel ergriff, um dem aufmüpfigen Beamten einen Denkzettel zu verpassen. Im Winter 1789 stellte Heinitz den jungen Bergassessor Dietrich Ludwig Gustav Karsten als Mineralogiedozent ein. Sein Vorgänger, der Mineraloge Johann Jacob Ferber, hatte sich entgegen den Erwartungen von Heinitz nicht an der Vorlesungsreihe beteiligt. Der Minister hatte Karsten schon sechs Jahre zuvor, während er noch an der Freiberger Bergakademie studierte, als preußischen Bergeleven unter seine Fittiche genommen und ihm ein Stipendium verschafft. Achard unterrichte weiterhin die Physik, Klaproth seit 1784 die Chemie und Oberberg- und Oberbaurat Bernhard Friedrich Moennich (1741 − 1800), ehemals Professor an der Universität Frankfurt/ Oder, die Mathematik und angrenzende Gebiete der Physik. Moennich, der seit 1790 auch Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften war, folgte Johann Karl Schulze, nachdem dieser, enttäuscht über die mangelnde Anerkennung durch Heinitz, um seine Entlassung gebeten hatte.240
Was wurde erreicht? Eine zentrale, wissenschaftliche Ausbildungsstätte für die preußischen Berg- und Hüttenbeamten, vergleichbar mit der sächsischen Bergakademie Freiberg, wurde in Preußen erst 1860 ins Leben gerufen. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es in Preußen eine starke Interessengruppe aus Industriellen, Beamten und
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Wissenschaftlern, deren Macht und Einfluss für die Gründung und dauerhafte Finanzierung einer Bergakademie ausreichte. In der Zeit davor hing die wissenschaftliche Ausbildung der Berg- und Hüttenbeamten maßgeblich von den Zielen und der Durchsetzungsfähigkeit einzelner Minister ab. Dem entsprechend wechselten die Geschicke der Berliner Vorlesungsreihe. Wie wir noch sehen werden, führte die Gründung der Berliner Universität (1810) zu ihrer Verlagerung in die Universität, und dabei blieb es für lange fünf Jahrzehnte. Die Bergeleven erhielten kostenlosen Zugang zu den Vorlesungen der Chemie, Technologie, Mineralogie und Physik. Erst am Höhepunkt der ersten Industrialisierungswelle Preußens waren die sozialen und politischen Bedingungen für eine solide Institutionalisierung der Montanwissenschaften vorhanden. Wenn man von der späteren preußischen Bergakademie nach 1860 auf die ein Jahrhundert zuvor gegründete Vorlesungsreihe des Bergwerks- und Hüttendepartments zurückblickt, so erscheint diese dennoch als ein Wendepunkt in der Wertschätzung technischen Sachverstands und naturwissenschaftlicher Bildung in der Behörde. Die Umwälzung im Wertesystem des Beamtencorps, in dem adlige Herkunft und Verhaltensrepertoires allmählich durch Sachwissen und individuelle Leistungsbewertung ersetzt wurden, war eine kaum überschätzbare kulturelle Voraussetzung für die spätere Bergakademie. Die Relevanz naturwissenschaftlich-technischen Wissens für die Industrialisierung Preußens stellte um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert niemand mehr infrage. In ihrer von Heinitz verliehenen Funktion als Ausbildungs-und Rekrutierungsstätte für die unteren, technischen Bergbeamten war die Berliner Vorlesungsreihe durchaus erfolgreich. Zu den berühmtesten technischen Experten Preußens, die auf diese Weise zumindest teilweise ausgebildet wurden, gehörten Karl Friedrich Bückling und Alexander Eversmann (1759 – 1837). Bückling nahm 1773 an den Berliner Vorlesungen teil, erteilte von 1779 an selbst Zeichenunterricht und war in den 1790er-Jahren maßgeblich an der Errichtung Wattscher Dampfmaschinen in den preußischen Salinen und Eisenhüttenwerken sowie der Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur beteiligt. Eversmann war Anfang der 1780er-Jahre Berliner Eleve und wurde 1783/84, nach Abschluß einer Englandreise, Fabrikenkommissar in der Grafschaft Mark. Dort organisierte er den Bau von Kokshochöfen sowie Verbesserungen in der Stahlproduktion und publizierte gleichzeitig über wissenschaftlich-technologische Sachgebiete..241 Wie wir noch sehen werden, wurde die Berliner Vorlesungsreihe auch von Arcanisten und Laboranten der Königlich Preussischen Porzellanmanufaktur besucht.
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Gerhard: ein Naturforscher-Techniker Gerhard verkörpert wie kaum ein anderer die historische Figur des hybriden „wissenschaftlich-technischen Experten“ oder „Naturforscher-Technikers“, die wir schon am Beispiel von Gleditsch, Willdenow, Achard, Hermbstaedt, Thaer und Werner kennengelernt haben. Als er 1768 preußischer Bergrat und Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften wurde, war er noch kein ausgewiesener Sachkenner des Bergbaus und Hüttenwesens. Auch als Naturforscher und Mineraloge war er außerhalb Berlins noch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Erst in den nachfolgenden Jahren gewann er sowohl bergtechnische Sachkenntnisse als auch naturwissenschaftliches Format. Beide Seiten seiner Person − der technische Experte und der Naturforscher − entwickelten sich gleichzeitig und hingen wechselseitig voneinander ab. Auf Gerhards Rolle als Bergbauexperte sind wir bisher ausführlich eingegangen. An dieser Stelle sollen seine Leistungen als Naturforscher nochmals kurz zusammengefasst und ihr Zusammenhang mit der Bergbeamtentätigkeit beleuchtet werden. Die jährlichen Inspektionen in Bergbaurevieren und Eisenhüttenwerken ermöglichten es Gerhard, systematische Beobachtungen über Landschaften, Gesteinsformationen, Erzlagerstätten, Metallverhüttung und andere technische Stoffumwandlungsprozesse anzustellen. Sie verschufen ihm die Gelegenheit, Mineralien zu sammeln und sein Mineralienkabinett zu vergrößern. 1781 verkaufte Gerhard seine Mineraliensammlung an das Bergwerks- und Hüttendepartment und legte damit den Grundstein für das Königliche Mineralienkabinett.242 Seine Unterrichtstätigkeit in der bergbehördlichen Vorlesungsreihe nahm Gerhard als Anreiz für die Systematisierung von Erfahrungswissen, die Klassifikation der Mineralien und die Ausarbeitung von Theorien. 1773 veröffentlichte er den ersten Band seines mineralogisch-chemischen Lehrbuchs Beiträge zur Chymie und Geschichte des Mineralreichs. Er habe die Absicht, so Gerhard, ein „natürliches System“ der Mineralien aufzustellen, das auf „chymischen Gründsätzen“, also auf chemischen Analysen und Kenntnissen der Zusammensetzung der Mineralien, beruhe. In der Vorrede zu diesem Werk schrieb er, die „Berufs-Geschäfte“ ermöglichten es ihm, sich „mit dem Mineral-Reich täglich bekannter zu machen“. Sein Unterricht habe überdies gezeigt, dass die Mineralogie seinen Schülern helfe, „noch nicht gesehene Mineralien unter ihre gehörigen Geschlechter und Gattungen zu bringen“.243 Damit war eines seiner didaktischen Ziele angesprochen, die er 1770 in seinem Plan für eine Berliner Bergschule aufgestellt hatte. Mit dem zweiten, 1776 veröffentlichten Teil seines mineralogisch-chemischen Lehrbuchs betrat Gerhard weitgehend Neuland. Wie viele andere Mineralogen sei-
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ner Zeit teilte er die Mineralien in vier bzw. fünf Klassen ein: die Erd- und Steinarten, Salze, Metalle und brennbaren Materialien. Der zweite Band des neuen Lehrbuchs konzentrierte sich auf eine besonders nützliche Mineralart innerhalb der Klasse der brennbaren Materialien: die Steinkohle. Gerhard erklärte, er habe sich nicht nur deshalb intensiv mit Steinkohle beschäftigt, weil sie in Preußen „ vorzüglich häufig“ vorkommt, sondern auch weil „der einreißende Holz-Mangel eine genaue Kenntnis derselben nothwendig machet“.244 Holz war damals der wichtigste Baustoff und Energielieferant, und Preußens Wälder waren nicht zuletzt durch Metallverhüttung und Glas- und Keramikproduktion bereits erheblich gelichtet. Nach dem Amtsantritt von Heinitz im Herbst 1777 wurde die Frage des Holzersatzes durch Steinkohle auch praktisch virulent. 1779 erteilte Friedrich II. dem neuen Minister die Genehmigung, in Schlesien den Abbau von Steinkohle zu fördern. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich Schlesien bereits zu einem Zentrum des Steinkohlebergbaus entwickelt. Gerhards mehr als 130 Seiten umfassende und damit wohl umfangreichste zeitgenössische Abhandlung über Steinkohle schloß noch Ausführungen über die „Berg-Haushaltung“ und die Anfertigung jährlicher „Nutzungsanschläge“ ein, also ökonomische Themen, die Ende der 1770er-Jahre ebenfalls zu seinem Lehrprogramm gehörten. Mit dem Amtsantritt Heinitz’ verschoben sich Gerhards Vorlesungen stärker auf die „unterirdische Geographie“ und „physische Geographie“ und damit auf Gegenstandsbereiche der späteren „Geologie“. Wie schon erwähnt wurde, befasste sich die „unterirdische Geographie“, für die Werner wenig später den Begriff „Geognosie“ prägte, mit der Struktur und Entstehung großer und tief ins Erdinnere reichender Gesteinsformationen („Gebirge“) und darin eingelagerter Erze und Mineralien. Die „physische Geographie“ studierte dagegen Landschaften und die sichtbare Gestalt der Erdoberfläche.245 Gerhard hatte sich schon während seiner ersten Inspektionsreisen nach Schlesien mit diesen Gegenständen befasst und seine Beobachtungen in eine Publikation in den Mémoires der Akademie der Wissenschaften einfließen lassen. Gegen Ende der 1770er-Jahre vertiefte er diese Studien und arbeitete sein wichtigstes geologisches Werk, den Versuch einer Geschichte des Mineralreichs (1781), aus. In diesem Buch, das fünf Jahre vor Werners berühmter geognostischer Schrift über die „Gebirgsarten“ erschien und von diesem anerkennend rezipiert wurde, diskutierte er auch Hypothesen über die historische Entstehung der „Gebirge“ und die Transformationen der Erde im Verlauf ihrer Geschichte.246 In seinen späteren Werken befasste sich Gerhards wiederum stärker mit Problemen der mineralogischen Klassifikation, die in den 1780er-Jahren an vorderster Forschungsfront standen.
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Auch Klaproth, mit dem Gerhard um diese Zeit öfter zusammenarbeitete, verlagerte damals seinen Forschungsschwerpunkt auf die chemische Mineralogie.247 Nach fast zwanzig Jahren Tätigkeit im Bergwerks- und Hüttendepartment, während derer er seinen Amtsgeschäften als Bergrat, Oberberg- und Oberbaurat, Geheimer Bergrat und schließlich Geheimer Finanzrat nachgegangen war sowie gelehrt, experimentiert und publiziert hatte, war Gerhard ein europaweit geschätzter chemischer Mineraloge und Experte für Bergbau und Metallurgie. Er war Mitglied von vier wissenschaftlichen Akademien − der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, der Academia Naturae Curiosorum („Leopoldina“, seit 1770), der Kurfürstlich Bayrischen Akademie zu München (seit 1783) und der Kaiserlich-Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Prag − sowie der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin. Verglichen mit den beständig nach Finanzierungsquellen suchenden und umher reisenden Naturforscher-Ingenieuren der Renaissance und des 17. Jahrhunderts, die der persönlichen Laune und Willkür ihrer Patrone ausgeliefert waren, arbeitete und forschte Gerhard im einem relativ abgesicherten Milieu. Dieses war jedoch auch durch die Machthierarchie des preußischen Absolutismus geprägt, und daraus ergaben sich auch Konflikte, die letztlich auch Konsequenzen für Gerhards Lehr- und Forschungstätigkeit hatten. Mit ähnlichen Konflikten würde wenige Jahre später auch der preußische Oberbergmeister Alexander von Humboldt konfrontiert sein. Die strukturellen institutionellen Gegebenheiten, in denen Gerhard und Humboldt lebten und arbeiteten, waren dieselben. Anders als Humboldt, blieb Gerhard jedoch bis ins hohe Alter im preußischen Staatsdienst. 1797 veröffentlichte er noch ein weiteres Buch, Grundriß eines neuen Mineralsystems, das nochmals eine überarbeitete Form seiner mineralogischen Klassifikation enthielt. Als der 72-Jährige 1810 wegen eines Treueeids, den er Napoleon leisten musste, gegen seinen Willen pensioniert wurde, empfand er dies als eine Schmach. Bei allen Differenzen mit Heinitz, teilte er mit diesem das aufklärerische Ideal des sachkundigen, dem Gemeinwohl dienenden Naturforscher-Beamten. Personen wie Gerhard, die sowohl Naturforscher als auch technisch arbeitende Bergbeamte waren und ihre wissenschaftliche Forschung mit technischen Innovationsversuchen verknüpften, sind für uns heute nur schwer fassbare soziale Figuren. Aus der heutigen Perspektive sind sie historische Übergangsgestalten, da sie Funktionen in sich vereinigten, die heute auf mehrere Spezialistengruppen verteilt sind, auf spezialisierte Naturwissenschaftler, Ingenieure, Industriemanager und Staatsbeamte. Die Naturforscher-Techniker des 18. Jahrhunderts durchliefen überdies sehr
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Abb. 20 Gerhards noch erhaltenes Haus in der Neuen Grünstraße 27, Berlin Mitte; Foto Autorin
unterschiedliche individuelle Ausbildungswege. An Gerhard lassen sich dennoch einige charakteristische Merkmale dieser hybriden Figur freilegen. Naturstudium, technologische Exploration und praktisch-bergtechnische Arbeit waren hier auf engste miteinander verschränkt. Gerhards Berichte und Veröffentlichungen belegen sowohl die Reformfreudigkeit und Gewissenhaftigkeit eines sachkundigen Bergbeamten als auch das Wissen und Können eines exakten, analytisch vorgehenden Naturforschers.
13. Neue Ausbildungswege für Baubeamte: die Bauakademie Der noch unter Minister vom Hagen und Bergrat Gerhard unternommene Versuch einer gemeinsamen Ausbildung von Bau- und Bergbeamten war schon nach kurzer Zeit im Sand verlaufen, wie wir im oben gesehen haben. Die Mitglieder des Oberbaudepartments hielten in den folgenden Jahren jedoch an ihrem Ziel einer bau- und ingenieurwissenschaftlichen Ausbildung der staatlichen Feldmesser und Baumeister fest.
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Der preußische Staat hatte bereits unter Friedrich Wilhelm I. eine Politik der Besiedlung und Kultivierung ungenutzten Landes verfolgt, die unter Friedrich II. fortgesetzt wurde. Mitglieder der Akademie der Wissenschaften wie Leonhard Euler (1707 − 1783) und Johann Heinrich Lambert (1728 − 1777) beteiligten sich aktiv an Landesvermessungen und am Bau von Kanälen und Deichen im Rahmen staatlicher Projekte zur Landtrockenlegung. Wie die amerikanische Historikerin Kathryn M. Olesko jüngst gezeigt hat, forcierte Preußen diese Politik nach dem Siebenjährigen Krieg und der ersten, im Einvernehmen mit Russland vorgenommenen polnischen Teilung von 1772.248 Unter der Leitung des Oberbaudepartments wurden systematische Landesvermessungen in Schlesien und im neu okkupierten, ehemals polnischen Westpreußen, dem Bistum Emsland und dem Netzedistrikt durchgeführt und Maßnahmen zur Entwässerung des Warthe-, Oder- und Netzebruchs in Gang gesetzt. Für die Planung und Organisation dieser Meliorationsvorhaben benötigte man sachkundige und zuverlässige Feldmesser und Baumeister. Nach der zweiten und dritten Teilung Polens in den Jahren 1793 und 1795 und den damit erfolgten Gebietserweiterungen Preußens wurde die Rekrutierung und Ausbildung von Bauexperten zu einem brennenden Problem. Der Neubau von Siedlungen in den urbar gemachten Landstrichen und im Umkreis der aufblühenden Eisenindustrie Oberschlesiens erforderte eine „Etablissementsarchitektur“, über die bis dahin nur wenig Erfahrung vorlag. Überdies organisierte das Oberbaudepartment nach dem Siebenjährigen Krieg zahlreiche Wiederaufbaumaßnahmen und infrastrukturelle Verbesserungen („Retablissements“) in den Provinzstädten, für die ebenfalls sachverständige Baubeamte für Bauanalysen, Baugutachten, Stadtvermessungen und Planungen neuer Gebäude benötigt wurden.249 Schon kurz nach der Gründung des Oberbaudepartments im Juni 1770 hatten die Oberbauräte die Kenntnisse der jungen Männer bemängelt, die sich bei ihnen als Feldmesser und Baubediente bewarben. „Bei allen natürlichen Fähigkeiten und Lust zum Lernen“, hieß es, seien sie „durch die Schuld ihrer Lehr-Meister gar sehr zurückgeblieben“.250 Die Zivilbaukunst konzentrierte sich ihrer Ansicht nach zu sehr auf den Prachtbau, während die Bautechnik vernachlässigt wurde. Überdies hing die handwerkliche individuelle Lehre bei einem Lehrmeister weitgehend von dessen individuellen Kenntnissen ab. Für die ästhetische Bildung von Baumeistern mochte sie angemessen sein, doch für die fachliche Ausbildung von Feldmessern und kompetenten Bautechnikern galt sie als unzuverlässig. Da sich die 1696 gegründete „Akademie der Maler-, Bildhauer- und Architekturkunst“, die 1704 in „Königlich Preußische Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften“ umbenannt
13. Neue Ausbildungswege für Baubeamte: die Bauakademie
worden war, vorwiegend dem Prachtbau widmete, kam sie als Ausbildungsstätte nicht in Betracht.251 1771 schlug der für das Erziehungswesen zuständige Minister Carl Abraham von Zedlitz die Gründung einer Schule vor, die „nicht für die sogenannte höhere Baukunst, sondern für solche Bau-Anstalten errichtet werde, die auf algemeine Landes Verbesserungen abzielen“. Dabei betonte er: 252
▷ […], daß es nemlich nicht um Paläste und Lust Häuser, sondern um Brücken, Canäle, Schleusen, Dämme, Austrocknung der Moräste, Schiffbarmachung der Ströhme und dgl. mehr, zu thun sey. ◁ Doch im königlichen Kabinett in Potsdam verhallte sein Votum. Von 1776 an bot der französische Mathematiker Marsson im Berliner Stadtschloss mathematische Vorlesungen für Militäringenieure und Staatsbaumeister unter der Bezeichnung „Ecole de génie et d’architecture“ an.253 Nach rund zehn Jahren wurde dieser ungewöhnliche Versuch des gemeinsamen Unterrichts von Armeeangehörigen und Zivilisten jedoch wieder eingestellt. Die preußische Artillerie und das kleine Ingenieurcorps der Armee hatten bis dahin als einzige Institution schulähnliche Ausbildungsmöglichkeiten für Festungsbauingenieure geschaffen. Anders als in Frankreich verhinderte die strikte Geheimhaltungspolitik Preußens jedoch die Teilnahme von Zivilisten an militärisch-wissenschaftlichen Unterrichtsveranstaltungen. Auch die Veröffentlichung der dafür verfassten Lehrbücher wurde aus diesem Grund unterbunden. So wurde zum Beispiel Georg Friedrich Ludwig von Tempelhoffs Le Bombardier Prussien (1781) zwar in Berlin gedruckt, doch der Vertrieb dieses ballistischen Werks, das in der mathematisch-physikalischen Tradition Newtons stand, war auf Armeeangehörige beschränkt Während Tempelhoffs großes mathematisches Werk Anfangsgründe der Analysis des Unendlichen (Berlin und Stralsund 1770) unter Berliner Gelehrten wohl bekannt war − wie wir gesehen haben, studierte es Alexander von Humboldt während seines Göttinger Studiums − stellte die militärische Geheimhaltung im allgemeinen ein Hindernis für den Wissenstransfer zwischen Militär und zivilen Institutionen wie dem Oberbaudepartment dar. Dennoch kam es zwischen Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften und der Artillerie zu gelegentlichen Kontakten. Tempelhoff war auch ein Akademiemitglied und Akademiemitglieder wie Euler, Achard und Gerhard beteiligten sich wiederholt an experimentellen Projekten der Artillerie zur Ballistik, dem Guss von Kanonen aus preußischem Eisen und der Installation von Blitzableitern auf Pulvertürmen. Klaproth und Hermbstaedt unterrichteten überdies an der
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1791 von Tempelhoff gegründeten „Artillerie-Akademie“, der Nachfolgeeinrichtung einer kleineren, auf ein einzelnes Artilleriecorps beschränkten „Artillerie-Schule“. 254
Gründung der Berliner Bauakademie Nachdem Heinitz 1786 Kurator der Königlich Preußischen Akademie der Künste geworden war, versuchte er, deren traditionelle Konzentration auf den Prunkbau einzuschränken und wissenschaftlich-technischen Unterricht über Zivilbaukunst, Mechanik und Zeichnen einzurichten.255 Dabei vergewisserte er sich der Unterstützung des einflussreichen Oberhofbaurats Friedrich Becherer. Heinitz war zwar ein erfahrener Bergbeamter und taktisch geschickter Minister, aber von Baukunst verstand er nicht allzu viel. Bei seinen ersten Reformmaßnahmen an der Akademie der Künste verfolgte er offenbar das prekäre Doppelziel, sowohl Feldmesser und Baumeister für den staatlichen „Kameral- oder Ökonomiebau“ als auch Maurer, Steinmetze, Zimmerleute und andere private Bauhandwerker ausbilden zu lassen. Die „Architektonische Lehranstalt bei der Akademie der Künste“, die 1790 unter seiner Ägide gegründet wurde, richtete sich daher sowohl an zukünftige Baubeamte als auch private Bauhandwerker. Da die Vorlesungen mit dem Angebot verknüpft waren, die langwierige Lehre der Bauhandwerker abzukürzen und die Meisterprüfung an der Kunstakademie abzulegen, waren fest verankerte Traditionen der Zünfte tangiert. Überdies stellte die Ausbildung privater Handwerksmeister andere Anforderungen als diejenige von Baubeamten. Somit kam sowohl aus den Zünften als auch dem Oberbaudepartment Widerstand. Der Ansatz galt schon nach wenigen Jahren als Fehlschlag und wurde aufgegeben. Ungleich erfolgreicher verliefen dagegen Heinitz’ Initiativen zur Gründungen lokaler „Kunstschulen“ für Bauhandwerker in Berlin, Königsberg und einigen anderen preußischen Städten. Parallel zu diesen staatlichen Bemühungen gründeten Johann Albert Eytelwein (1764 − 1848), David Gilly (1748 − 1808) und weitere Mitglieder des Oberbaudepartments 1793 eine private „Lehranstalt zum Unterricht junger Leute in der Land- und Wasserbaukunst“, an der Feldmesskunst, Mathematik, Hydraulik, Maschinenlehre, Baukonstruktion und architektonisches Zeichnen für zukünftige Baubeamte gelehrt wurde. Die staatlichen Feldmesser und Baumeister sollten „nicht bloß Theorie ohne Praxis oder letztere ohne erstere erlernen, sondern in beiden sich Kenntnisse erwerben“ können. Die Privatschule erhielt geringe finanzielle Zuschüsse vom Generaldirektorium, und auch Heinitz unterstützte diese neue Institution, die den zukünftigen Baubeamten eine Ausbildung „in allen Teilen der Ökonomie und Kameralwissenschaften“ bot.256
13. Neue Ausbildungswege für Baubeamte: die Bauakademie
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Die Oberbauräte Gilly und Eytelwein verkörpern die historische Figur des hybriden, wissenschaftlich-technischen Experten für das Zivilbauwesen und die damit assoziierten mathematischen und physikalischen Wissenschaften. Gilly war Autor mehrerer Schriften über Wasserbau und Architektur. Er hatte zuerst eine Lehre als Landvermesser absolviert und umfangreiche praktische Erfahrung bei der Urbarmachung des Netze- und Warthebruchs sowie anderen Meliorationsarbeiten gesammelt. 1779 wurde er zum Baudirektor für die gesamte Provinz Pommern ernannt, und 1788 wurde er Geheimer Oberbaurat und Mitglied des Oberbaudepartments. Zu seinen wichtigsten Aufgaben im Oberbaudepartment gehörte die Planung der Erneuerung des Bromberger Kanals Anfang der 1790er-Jahre. Dieser 26 Kilometer lange Kanal im Netzedistrikt, der die Netze mit der Brahe verband
Abb. 21 Porträt Johann Albert Eytelwein. LWL − Museum für Kunst und Kultur (Westfälisches Landesmuseum Münster)
und somit eine wichtige Ost-West-Wasserstraße zwischen Weichsel und Oder darstellte, war 1773/74, kurz nach der ersten polnischen Teilung, in nur 18 Monaten gebaut worden. Während des Baus, der insgesamt rund 765 000 Reichstaler gekostet hatte, waren hunderte der 6000 bis 8000 angeworbenen Arbeiter ums Leben gekommen. Mit der Zeit waren jedoch Schäden an den hölzernen Schleusen aufgetreten, die nach Gillys Plan schrittweise durch massive, steinerne Schleusen ersetzt wurden.257 Eytelwein war ein Schüler des Mathematikers und Artilleriegenerals Tempelhoff, unter dessen Ägide er zuerst zum Bombardier und Feuerwerker der preußischen Artillerie ausgebildet worden war. 1790 nahm er den Abschied vom Militär und trat das Amt eines Deichinspektors im Oderbruch an. Vier Jahre später wechselte er als Oberbaurat ins Berliner Oberbaudepartment. In dieser Funktion
Abb. 22 Porträt David Gilly. Aus Reck (1940)
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war er an der Regulierung der Oder, Warthe und Weichsel und am Bau mehrerer Hafenanlagen beteiligt. Seine messtechnischen Leistungen und seine Veröffentlichungen zur angewandten Mathematik, Hydraulik und Statik verhalfen ihm 1803 zur Aufnahme in die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften. Von 1810 an war er Direktor der „Oberbaudeputation“, der obersten preußischen Baubehörde, 1824 übernahm er auch die Leitung der Bauakademie.258 Gillys und Eytelweins Privatschule konnte sich finanziell nur bis Winter 1795/96 über Wasser halten, doch die dort gesammelten Erfahrungen wurden im Oberbaudepartment und im Generaldirektorium insgesamt als positiv bewertet. Sie bestätigten all diejenigen, die für die Gründung einer staatlichen Bauakademie argumentierten. Der neue Leiter des Oberbaudepartments, Minister Friedrich Leopold von Schroetter, unterstützte dieses Ziel schließlich ebenso wie Minister von Heinitz. Gilly und weitere Mitglieder des Oberbaudepartments wurden daraufhin Anfang 1798 mit der Ausarbeitung eines konkreten Plans für eine Bauakademie beauftragt. Dieser Plan wurde jedoch zunächst von Friedrich Wilhelm III. zurückgewiesen. Die Argumente des Königs waren im Prinzip dieselben, die Friedrich II. 1770 gegen die Gründung einer Bergakademie und eines Laboratoriums für das Bergwerks- und Hüttendepartment ins Feld geführt hatte. Man solle die bestehenden Einrichtungen nutzen, hieß es, da Neugründungen teurer waren. Friedrich Wilhelm III. entschied sich also zunächst für eine Reorganisation der Akademie der Künste. „Die Fundamente der Pracht- und Oekonomie-Baukunst sind dieselben“, meinte er, „und da diese schon in der Lehranstalt der Akademie [der Künste] gelehrt werden, so bedarf es dazu nicht neuer Lehrer mit neuen Gehältern“. 259 Nach der Ausarbeitung eines neuen Lehrplans durch eine Kommission, die aus Mitgliedern des Oberbaudepartments und der Akademie der Künste bestand, und weiteren Interventionen der Minister von Heinitz und von Schroetter erteilte der König im März 1799 schließlich doch die Zustimmung zur Errichtung einer Bauakademie. Der ausgehandelte Kompromiss wird nur verständlich, wenn man die weite Bedeutung berücksichtigt, die Termini wie „Schule“, „Akademie“ und „Institut“ im 18. und frühen 19. Jahrhundert annehmen konnten. So wurden zum Beispiel die Vorlesungen des Geheimen Forstrats Friedrich August Ludwig von Burgsdorf als „Forstakademie“ bezeichnet, obwohl es sich aus heutiger Sicht nicht um eine wirkliche Akademie, sondern um Vorlesungen handelte. Was nun als „Bauakademie“ bezeichnet wurde, war nach dem vom König gebilligten Kompromiss zunächst keine von der Akademie der Künste wirklich unabhängige Institution, wie es das Oberbaudepartment ursprünglich intendiert hatte. Wörtlich hieß es nämlich, dass: 260
13. Neue Ausbildungswege für Baubeamte: die Bauakademie
▷ die bey der Academie der bildenden Künste bereits existierende architectonische Lehr-Anstalt zu der jetzt zu organisirenden mit Nutzen erweitert und unter dem Nahmen einer Königlichen Bau-Akademie zu einer allgemeinen Bau-Unterrichts-Anstalt erhoben werden könne, zu dem Ende aber auch, alles darinn gelehrt werden müße, was zur gesamten Bau-Kunst und zu deren geschickten Ausübung gehöret. ◁ Auf der anderen Seite war die Bauakademie aber auch keine bloße Unterabteilung der Akademie der Künste, da der Leiter des Oberbaudepartments, Minister von Schroetter, gleichberechtigter Kurator neben Minister von Heinitz als Vertreter der Kunstakademie war. Überdies waren drei ihrer vier Direktoren − Eytelwein, Gilly und Oberbaurat Heinrich Augst Riedel − Mitglieder des Oberbaudepartments, während mit Oberhofbaurat Becherer als viertem Direktor die Fürsprecher der Kunstakademie in der Minderheit waren. Entgegen der ursprünglichen Intention erhielten Kunst- und Bauakademie auch verschiedene Standorte. Erstere hatte ihren Sitz im Marstall Unter den Linden, während letztere von 1801 an in der neuen Münze am Werderschen Markt untergebracht wurde, wo sich auch das Oberbaude-
Abb. 23 Die neue Münze, Kupfer von Heinrich Genz. Staatsbibliothek zu Berlin PK
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partment befand. Die Mitglieder des Oberbaudepartments erhielten somit einen starken Einfluss und konnten sich auch hinsichtlicher der Lehrpläne weitgehend durchsetzen. Am 21. April 1799 nahm die Bauakademie den Unterricht mit zunächst zehn Studenten auf. Der Lehrplan, der auf die Ausbildung von Baubeamten abzielte, sah die Verbindung einer praktischen Lehre in der Feldmesskunst mit einer theoretisch-schulischen Baumeisterausbildung in Berlin vor. Bis zum Kriegsbeginn im Jahr 1806 erhöhte sich die Studentenzahl im Sommer auf rund 50 und im Winter, wenn die praktische Ausbildung unterbrochen war, auf rund 100. Die „scientivischen Collegien“ wurden hauptsächlich von Mitgliedern des Oberbaudepartments, darunter Gilly und Eytelwein, und anderen Baubeamten gelesen. Die Fürsprecher der Bauästhetik − Oberhofbaurat Becherer, der Geheime Kriegsrat Carl Gotthard Langhans und der Hofbildhauer Johann Gottfried Schadow (1764 − 1850) − boten aber ebenfalls Lehrveranstaltungen an.261 Während der Gründungsphase der Berliner Universität gestaltete sich die Anbindung der Bauakademie an die Kunstakademie vorübergehend enger. Von 1809 bis 1824 wurden beide Akademien der einheitlichen Leitung Schadows unterstellt. Mit Eytelwein als neuem Direktor wurde diese Union 1824 wieder aufgelöst. Bis in die 1830er-Jahre blieb die Bauakademie vorwiegend eine Ausbildungsstätte für Baubeamte, und erst danach bildete sie auch eine nennenswerte Zahl privater Baumeister aus. Wie Reinhart Strecke in seiner Studie über die Anfänge der preußischen Bauverwaltung betonte, überflügelte das Renommee der Bauakademie bald dasjenige der Akademie der Künste. „Architekten, auch bedeutende Vertreter der schönen Baukunst“, so Strecke, „gingen im weiteren eben nicht aus der Akademie der Künste, sondern aus der Schulung durch Bauakademie und Oberbaudepartment hervor“.262 Auch Karl Friedrich Schinkel, der mehr als dreißig Jahre lang preußischer Baubeamter war, hätte ohne diesen Hintergrund nicht der große preußische Architekt werden können, als den wir ihn kennen.
14. Nützliches Wissen für Färber Im März 1794 bewarb sich der Apotheker-Chemiker Sigismund Friedrich Hermbstaedt (1760 – 1833) bei Minister von Heinitz um eine Dozentenstelle in der Vorlesungsreihe der Bergwerks- und Hüttenadministration. Er habe in seiner Vorlesung über Experimentalphysik, die er als hörgeldpflichtige Privatvorlesung am Collegium
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medico-chirurgicum anbiete, bemerkt, dass „mehrere der hiesigen königlichen Berg-Eleven daran Theil nehmen“ schrieb er. Zwar sei er auch weiterhin bereit, diese „unentgeldlich beywohnen“ zu lassen, hoffe jedoch, dass er in absehbarer Zeit ein Dozentengehalt von der Bergbehörde erhalte. Heinitz ging auf dieses Angebot zwar prinzipiell ein, doch Hermbstaedt unterrichtete die Bergeleven weitere drei Jahre lang unentgeltlich, bis ihm der Minister schließlich im Frühjahr 1797 ein Jahresgehalt von 100 Talern genehmigte. Zu dieser Zeit war die ursprüngliche Attraktivität der bergbehördlichen Dozentenstelle in Hermstaedts Augen schon verblasst. Hatte er diese drei Jahre zuvor noch als Sprungbrett für eine Beamtenkarriere betrachtet, so stand er 1797 bereits in der Gunst des Ministers von Struensee und arbeitete unter dessen Ägide.263
Abb. 24 Porträt Sigismund Friedrich Hermbstaedt, nach Franz Krüger. UB der Humboldt-Universität zu Berlin, Porträtsammlung
Hermbstaedts Aufstieg Hermbstaedt ist neben Achard die schillerndste Person unter den preußischen Naturforscher-Technikern in den Jahrzehnten um 1800. Obwohl sein Privatleben ungleich geordneter verlief als dasjenige Achards, war er mindestens ebenso umtriebig wie dieser. Als ausgebildeter Apotheker und Chemiker, wagte er sich auf nahezu alle technischen Gebiete, die von der Textilfärberei bis zur Landwirtschaft reichten und oft nur entfernt mit Pharmazie und Chemie zusammenhingen. Dabei geriet er nicht selten in direkte Konkurrenz zu Achard.264 Anders als Achard, organisierte er seine technologischen Projekte jedoch weitgehend im Rahmen seiner Beamtenfunktionen und ohne ein größeres persönliches Risiko einzugehen. Nachdem er in seiner Heimatstadt Erfurt eine Apothekerlehre begonnen und an der dortigen Universität zwei Jahre lang Vorlesungen über Medizin und Chemie gehört hatte, besuchte Hermbstaedt ein Jahr lang die chemisch-pharmazeutische Lehranstalt Wieglebs in Langensalza, an der später auch Willdenow studierte. Im April 1781 wurde er pharmazeutischer Gehilfe in der Ratsapotheke von Hamburg und blieb dort bis Herbst 1782. Nach seinem Umzug nach Berlin erhielt er durch Vermittlung Klaproths um 1783/84 die Stelle eines Provisors in der Apotheke Zum
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Weißen Schwan, die der Familie Rose gehörte. Dort hielt es ihn jedoch nicht allzu lange, denn bereits ein Jahr später trat er eine längere Bildungsreise an, auf der er unter anderem die Bergbaugebiete im Harz und Sachsen besuchte. Als er 1786 nach Berlin zurückgekehrt war, stand offenbar der Entschluss fest, sich nicht weiter in einer Apotheke zu verdingen. Stattdessen bat er Friedrich II. 1786, „chemische Collegia“ halten zu dürfen und „an der Erfindung von Produkten zu arbeiten, welche bisher nicht in Sn. Majestät Landen gewonnen werden“.265 Die Bitte blieb beim todkranken König ohne Erfolg. In den folgenden vier Jahren versuchte Hermbstaedt daher, von wissenschaftlichen Publikationen und Stadtvorlesungen sowie von technischen Arbeiten in Johann Georg Wegelys Wollmanufaktur und chemischer Fabrik zu leben. Da er sich 1788 mit Magdalena Rose, der Tochter des Apotheker-Chemikers Valentin Rose verheiratet hatte, hatte sich seine finanzielle Lage gebessert. Im Frühjahr 1789 gründete er eine „chemische Pensionsanstalt für Jünglinge“, die nach dem Model der Lehranstalt Wieglebs angehenden Apothekern wissenschaftlichen Unterricht erteilte. Um diese Zeit muss er auch ein chemisches Laboratorium besessen haben, denn in einer Annonce für seine Pensionsanstalt hieß es, dass neben der „Erlernung der Pharmacie auch die Scheidekunst in ihrem ganzen Umfang zu studieren“ sei und dass er über „ein eignes mit den nöthigen Instrumenten und Materialien versehenes Laboratorium“ verfüge.266 1790 wendete sich das Blatt für Hermbstaedt, er erhielt die angesehene Stelle des königlichen Hofapothekers. Damit war er Herr über zwei Laboratorien der im Stadtschloss gelegenen Königlichen Hofapotheke, in die er nun auch seine wissenschaftlichen Freunde − darunter auch Alexander von Humboldt im Frühjahr 1791 − einladen konnte. Da die Leitung der Hofapotheke traditionell mit der ersten Professur für Chemie am Collegium medico-chirurgicum und mit Beamtenpositionen in der Medizinbehörde verbunden war, stand ihm nun ein neuer Karriereweg offen. 1792 wurde er Professor für Chemie und Pharmazie am Collegium medico-chirurgicum, 1794 Obersanitätsrat im Obercollegium sanitas und weitere staatliche Positionen folgten. Spätestens von Anfang der 1790er-Jahre an stand Hermbstaedt im Ruf eines guten Chemikers, den er sich hauptsächlich durch seine zahlreichen Publikationen erworben hatte. Allerdings stand er im Schatten seines älteren Freunds Klaproth. Auch seine frühe Übernahme der chemischen Theorie Lavoisiers, die heute meist als sein besonderes Verdienst hervorgehoben wird, war für seine Karriere eher hinderlich. Erst relativ spät, im August 1800, wurde er − zusammen mit Alexander von Humboldt − in die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen, und zwar vorerst nur als außerordentliches Mitglied.267
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Unterricht für Färber Wie wir oben gesehen haben, unterrichtete Hermbstaedt von 1794 an auch Bergeleven und wurde im Frühjahr 1797 auch formell Dozent in der bergbehördlichen Vorlesungsreihe. Anders als im Fall Klaproth, ergab sich daraus jedoch keine engere Arbeitsbeziehung zwischen Hermbstaedt und Minister von Heinitz. Stattdessen schloss sich der Apotheker-Chemiker enger an Minister Carl August von Struensee, den zeitweiligen Gegenspieler von Heinitz, an. Struensee leitete von 1791 an das kombinierte Fabriken-, Handels- und Akzisedepartment im Generaldirektorium und war überdies Chef der Königlichen Seehandlung. 1796 gelang es ihm mit Wöllners Hilfe, Heinitz die Aufsicht über die General-Salzadministration zu entziehen. Noch im selben Jahr stellte er Hermbstaedt als Assessor im Manufaktur- und Kommerzienkollegium ein. Ein Jahr später beförderte er diesen zum Mitglied der Technischen Deputation, einer beratenden Instanz des Manufaktur- und Kommerzienkollegiums. In der Technischen Deputation wurde Hermbstaedt enger Mitarbeiter Gottlob Johann Christian Kunths (1757 − 1829), dem Struensee vertraute und den er rückhaltlos unterstützte. Kunth hatte in Leipzig Jura studiert, war 1777 als Erzieher und Hauslehrer der Gebrüder Humboldt nach Tegel gekommen und hatte 1779, nach dem Tod des Hausherrn Alexander Georg von Humboldt, auch die Verwaltung des Tegeler Anwesens übernommen. Seit 1789 arbeitete er im Manufaktur- und Kommerzienkollegium und war inzwischen zum Kriegsrat und Direktor der Technischen Deputation befördert worden.268 Zu seinen Hauptaufgaben gehörte die Informationsbeschaffung über gewerblich nützliche Erfindungen im Ausland sowie die Organisation des Wissenstransfers zur Förderung des preußischen Gewerbes. Von 1801 an war er auch für die preußische Industriespionage in Frankreich und England verantwortlich. Kunth behauptete später, die Technische Deputation habe unter seiner Leitung „mannigfaltige Kenntnisse von neuen Erfindungen und besseren Methoden des In- und Auslandes, teils bei ihr selbst, teils beim Department in Umlauf gesetzt und soweit sie es vermochte, im Publikum verbreitet“. Bei der Neuorganisation der Staatsverwaltung nach 1807 setzte Freiherr von Stein diese Politik der Industrie- und Gewerbeförderung durch die Einrichtung einer neuen „Technischen Deputation“ als höchste gewerblich-technische Behörde Preußens fort. Die am 21. Oktober 1811 gegründete Technische Deputation sollte durch „Beiziehung wissenschaftlicher und technischer Männer aus allen Ständen, als Ratgeber der Geschäftsmänner“ wirken.269 Ein besonderes Anliegen Kunths war die Verbesserung der Bildung von Handwerkers- und Kaufmannskindern. Kunth war ein vehementer Unterstützer der lo-
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kalen Kunst- und Zeichenschulen für angehende Handwerker, die der Akademie der Künste unterstanden. Er organisierte darüber hinaus staatliche Finanzhilfen für eine um 1791 gegründete, private „Handlungsschule“ in Berlin, die allerdings nur wenige Jahre existierte. Diese Schule verfolgte das Ziel der Verknüpfung einer naturwissenschaftlichen Allgemeinbildung mit einer gewerblichen und kaufmännischen Fachausbildung.270 1816 engagierte sich nochmals Kunth für die Gründung einer „höheren Bildungsanstalt“ für Kinder des Gewerbestands. Der Unterricht an dieser Schule sollte der handwerklichen Lehre vorausgehen und deren Dauer, die Abb. 25 Porträt Gottlob Johann Christian Kunth. Aus Goldschmidt und Goldschmidt (1888)
bis dahin durch Zunftstatute festgelegt war, erheblich verkürzen. Wäre durch den Besuch einer solchen Schule erst einmal eine breite naturwissenschaftliche Bil-
dungsgrundlage gelegt, so Kunths Überlegung, würde der junge Gewerbetreibende später „als Geselle oder Meister diejenigen Wissenschaften, die mit seinem Berufe in der nächsten Verbindung stehen, weiter fortstudiren“ und zu diesem Zweck die bestehenden „Spezialanstalten“ besuchen.271 Kunths Bildungsprogramm richtete sich somit an private Gewerbetreibende, also an Handwerker und Manufakturbesitzer, denen die traditionellen Gymnasien wenig zu bieten hatten.272 Anders als an der Bauakademie und im Rahmen des Vorlesungsprogramms der Bergbehörde ging es hier nicht um die Fachausbildung einer relativ kleinen Zahl staatlicher Experten, sondern um die naturwissenschaftlich-technische und ökonomische Bildung der relativ breiten Schicht der Handwerker. Da dieses Allgemeinbildungsprogramm in die vorhandene Bildungslandschaft massiv intervenierte, größere finanzielle Aufwendungen erforderte und die Interessen zahlreicher Akteure im traditionellen Bildungssystem berührte, war es jedoch nicht mit Erfolg gekrönt. Ungleich erfolgreicher war dagegen sein Engagement für die staatliche Finanzierung einer wissenschaftlich-technischen Vorlesung für Berliner Textilgewerbe-
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treibende. Für dieses Unternehmen war sein Mitarbeiter Hermbstaedt der geeignete Mann. Von 1801 an hielt er auf Kunths Veranlassung hin eine Vorlesung für Berliner Färber, Bleicher, Walker, Appreteure und Kattundrucker, die zunächst im Sitzungssaal der Technischen Deputation stattfand. Diese Vorlesung, an der unter anderem auch der Berliner Kattundruckereibesitzer Ferdinand Dannenberger teilnahm, gehörte zu den ersten staatlich organisierten wissenschaftlich-technischen Lehrangeboten in Preußen, die sich nicht an Staatsbeamte, sondern an private Gewerbetreibende wandte.
Das preußische Textilgewerbe Um 1800 waren rund 85 Prozent aller preußischen Manufakturarbeiter im Textilgewerbe beschäftigt. In Berlin, dem preußischen Handels- und Gewerbezentrum, war das Textilgewerbe sogar der führende Gewerbezweig.273 Im Unterschied zu Bergbau und Metallverhüttung befand sich die Textindustrie in privater Hand. Das Department für Manufaktur und Kommerziensachen gab mit naturwissenschaftlich-technischen Bildungsangeboten, der Organisation von Wissenstransfer und Industriespionage sowie finanziellen Zuschüssen Anstöße für technische Innovationen, überließ jedoch die unternehmerische Entscheidung den Privatunternehmern. Im Unterschied zu den Beamten der Berg-, Bau- und Forstbehörden griffen die Beamten dieses Departments somit nicht persönlich in die praktisch-technische Arbeit und Entscheidungsfindung über technische Veränderungen ein. Für diese Beamten genügte daher eine juristische oder kameralwissenschaftliche Ausbildung an einer Universität. Zusatzanstrengungen für den Erwerb spezialisierter technischer Kenntnisse wurden nicht unternommen. Hermbstaedts Vorlesungen richteten sich somit nicht an die eigene Beamtenschaft, sondern an private Gewerbetreibende. Im historischen Rückblick erscheint dies als zweckrational, da in diesem Fall die Privatunternehmer die tatsächlichen Handlungsträger für technische Verbesserungen und Innovationen waren. Die Wollstoffproduktion war neben der Leinenherstellung lange Zeit der dominierende Zweig des preußischen Textilgewerbes. Unter Friedrich II. nahm die Produktion von Seiden- und Baumwollstoffen allmählich zu, sodass um 1800 beide Gewerbe die Wollstoffproduktion überholten. Die Kurmark und innerhalb dieser Berlin waren das preußische Zentrum der Baumwollweberei, die während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts besonders stark expandierte. Während es im Jahr 1750 in Berlin nur 81 Webstühle für Baumwollstoffe gab, stieg deren Zahl bis 1800 auf 2474.274 1796 führte die Baumwollmanufaktur Johann George Sieburgs mit finanzi-
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Teil II Faustische Ambitionen
eller Unterstützung durch das Department für Manufaktur und Kommerziensachen die erste Dampfmaschine im Berliner Textilgewerbe ein, nachdem sie bereits mit englischen Spinnmaschinen arbeitete. Anders als in England kannte man in Preußen um 1800 zwar kaum wissenschaftlich gebildete Unternehmer oder gar „Wissenschaftler-Fabrikanten“ wie Matthew Boulton und Josiah Wedgewood. Aber die Berliner Baumwollgewerbetreibenden waren mit technischen Herausforderungen konfrontiert, für deren Meisterung das Wissen aus der traditionellen handwerklichen Lehre nur unzureichende Voraussetzungen bot.275 Das gilt insbesondere für das neu eingeführte Kattundruckverfahren und die damit einhergehenden Bleich- und Färbemethoden. Da die bunt bedruckten, feinen Kattune, die die farbenprächtigen indischen Baumwollmuster nachahmten, in England und Frankreich schon Jahrzehnte früher in Mode gekommen waren, lag der Wissenstransfer von England und Frankreich nach Preußen im Interesse der Textilunternehmer.
Herausforderungen der Baumwolldruckerei – Hermbstaedts Dienstgebäude Die Baumwolldruckerei brachte eine Palette neuer Farbstoffe und Färbetechniken mit sich, deren Anwendung Wissen und Können erforderte, das im traditionellen Textilfärbehandwerk nicht vorhanden war. 1802 arbeiteten in der Berliner Kattundruckerei insgesamt 1241 Arbeiter und damit 5,6 Prozent aller im Textil- und Bekleidungsgewerbe tätigen Arbeiter.276 Das neue Handwerk der „Couleurmacher“ oder „Coloristen“ entstand. Die Coloristen, die in der Regel auch die Manufakturbesitzer waren, besaßen spezielles und meist geheim gehaltenes Wissen über den Kattundruck und die Zubereitung der dafür verwendeten Farben. Zahlreiche Chemiker versuchten, dieses Geheimwissen zu erkunden, chemisch zu vertiefen und öffentlich zugänglich zu machen. Bereits im frühen 18. Jahrhundert hatten sich Chemiker mit Farbstoffen und dem Färbergewerbe beschäftigt. In Frankreich engagierte der Staat mehrere Chemiker als Experten für die staatlichen Textilmanufakturen und die Pariser Gobelins.277 Das chemische Studium der Kattundruckerei war daher nur der nächste konsequente Schritt im Rahmen derartiger Bemühungen. In Preußen war Hermbstaedt der herausragende Chemiker, der sich intensiv mit der Textilfärberei beschäftigte, darüber publizierte und im Rahmen der Technischen Deputation Vorlesungen zu diesem Gebiet hielt.278 Minister von Struensee war es gelungen, für die gewerbefördernden Aktivitäten seines Departments zusätzliche königliche Gelder einzuwerben. 1802 konnte er ein neues, zweistöckiges Wohn-
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und Dienstgebäude mit Vorderhaus und Seitenflügel einweihen, das eigens „für den Chemicus des Fabriken-Departments “, also für Hermbstaedt, erbaut worden war. Das Gebäude lies für Hermbstaedts Forschung und Lehre nichts zu wünschen übrig. Im Erdgeschoss befand sich zur Straße hin ein 60 m2 großes Auditorium mit Nebenzimmer und zur Hofseite hin ein großer Laborraum, der sich weit in den Seitenflügel hinein erstreckte. Im ausgebauten Keller war Platz für die Lagerung von Brennmaterialen und der Rohstoffe für das Laboratorium. Im ersten Stock befanden sich neben Hermbstaedts Privaträumen ein „Saal zum Physikalischen Kabinett und Chemischen Apparat“, ein kleinerer Raum „zum technologischen Kabinett und Mineraliensammlung“, eine Bibliothek, ein Arbeitszimmer, eine Bedienstetenstube und zwei Zimmer für Hermbstaedts wissenschaftliche Gehilfen.279 Von 1802 an fanden Hermbstaedts Vorlesungen für Berliner Färber und Textilgewerbetreibende in diesem neuen Dienstgebäude statt. Seine Vorlesungen ergänzten handwerkliches Wissen durch naturwissenschaftliche Vorlesungen, ohne damit den Anspruch zu verbinden, eine umfassende Fachausbildung anzubieten. Dazu wäre er auch gar nicht in der Lage gewesen, da er selbst keine ausreichende Expertise über Färbemethoden besaß. Hermbstaedts Vorlesungen hatten somit eine allgemeine naturwissenschaftliche Bildungs- und keine spezielle fachliche Ausbildungsfunktion. Dennoch erwiesen sich diese Vorlesungen eine Generation später als Ausgangspunkt für eine neuartige Ausbildungsinstitution für Techniker im Privatgewerbe. Der Historiker Peter Lundgreen hat in einer detaillierten Studie über die Anfänge der Ausbildung von Gewerbetechnikern in Preußen gezeigt, dass das 1821 von Peter Christian Wilhelm Beuth gegründete „Gewerbe-Institut“ den Ansatz von Hermbstaedts Vorlesungen aufgriff und weiterentwickelte. Während der „Werkkundige der Gelehrsamkeit“ in Preußen zuerst durch verbeamtete technische Experten und verbeamtete Naturforscher-Techniker verkörpert wurde, richtete sich das spätere Gewerbe-Institut vornehmlich an private Gewerbetreibende. Seine Adressaten waren zuerst Werkführer und Fabrikanten, eine Elite privater „Gewerbetreibender von Talent“, die allmählich als „Techniker“ bezeichnet wurden.280
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Teil
Humboldts Bergmeisterleben
15. Humboldt inspiziert Gruben in Franken (1792) Während der ersten Monate seines Bergassessorlebens in Berlin arbeitete sich Humboldt in Administrationsaufgaben ein und hatte nur selten Gelegenheit, sich mit technischen Dingen zu beschäftigen. Dies änderte sich erstmals im Juni 1792, als er eine Inspektionsreise in die Neumark unternahm. Kurz danach erteilte ihm Heinitz den Auftrag, die fränkischen Fürstentümer Ansbach und Bayreuth zu inspizieren. Im Dezember 1791 hatte der fränkische Markgraf Christian Friedrich Karl Alexander, der aus dem Haus der Hohenzollern stammte, abgedankt, und die beiden Fürstentümer waren im Januar 1792 in den Besitz der preußischen Krone übergegangen. Nun sollte Humboldt mit Unterstützung des dort amtierenden preußischen Ministers Karl August Freiherr von Hardenberg (1750 – 1822) eine Bestandsaufnahme des fränkischen Berg- und Hüttenwesens vornehmen.281 Nach dem Siebenjährigen Krieg waren in Preußen neue Bergordnungen erlassen worden, die dem sächsischem Vorbild folgend das Direktionsprinzip gesetzlich verankert hatten. In den Fürstentümern Ansbach und Bayreuth galt 1792 zwar noch eine alte Bergordnung von 1619, die kein Direktionsprinzip beinhaltete, aber die merkantilistische Wirtschaftspolitik der fränkischen Markgrafen war seit langem mit staatlichen Eingriffen in den Bergbau einhergegangen. Der letzte Markgraf hatte zwischen 1769 und 1791 mehrere bergrechtliche Verordnungen erlassen, die neben der Schaffung ökonomischer Anreize für die Gewerken auch die staatliche Lenkung des Bergbaus ausgebaut hatten. So erteilte das „Bergpatent“ vom Juni 1769 den Gewerken einerseits großzügigere Schürfrechte, beschnitt jedoch andererseits deren Entscheidungsbefugnisse. Den Bergbeamten des neu gegründeten Oberbergdepartments oblag es, „alle und jede Bergwerks-Sachen, dann in das Berg- und Hüttenwesen einschlagende Angelegenheiten, [...] alle in Berg- und Hütten-Sachen vor-
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Teil III Humboldts Bergmeisterleben
Abb. 26 Porträt des 27-jährigen Alexander von Humboldt, Stich von Alfred Krausse nach dem Pastellgemälde von Johann Heinrich Schröder. Aus Bruhns (1969), Bd. 1
kommende Irrungen, Processe, Verbrechen etc. zu cognosciren und zu debattiren“. Mit der bloßen Kenntnisnahme von Streitigkeiten zwischen konkurrierenden Gewerken war es jedoch nicht getan, denn die Bergbeamten waren auch „autorisiert“, technische Veränderungen vorzunehmen.282 Wenn Heinitz dem noch relativ unerfahrenen Bergassessor die Aufgabe einer umfassenden Inspektion aller fränkischen Berg- und Hüttenwerke und der weiterverarbeitenden „Bergfabriken“ übertrug, so hatte er zwei Ziele im Auge. Neben dem Hauptziel, der Gewinnung eines Überblicks über den Stand des Bergbaus in der neuen Provinz, sollte Humboldt auch seine Fähigkeiten unter Beweis stellen. Heinitz hatte den jungen Adligen für eine hohe Beamtenkarriere vorgesehen. Schon während seiner Zeit als sächsischer Generalbergkommissar hatte er solche Prü-
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fungsverfahren praktiziert. Als es 1767 gegolten hatte, einen neuen Bergmeister für das Marienberger Revier zu finden, hatte er den jungen Friedrich Wilhelm von Trebra, der erst wenige Monate an der Freiberger Bergakademie zugebracht hatte, damit beauftragt, im Marienberger Revier eine Inspektion vorzunehmen. Trebra erinnerte sich später: „Ich bekam im Octbr. [1767] noch, ganz unerwartet den Auftrag, unverzüglich nach Marienberg zu gehen; in möglicher Kürze dorten Kenntniß vom Bergbau zu nehmen; diesen genau zu beschreiben, wie er itzt sey; Mittel anzugeben, wie ihm könne geholfen werden; und die Abhandlung darüber, als Probe meiner Kenntniß und Brauchbarkeit, ohne Verzug einzuschicken.“283 Ein ähnlicher Auftrag erging nun an Alexander von Humboldt. Der bis ins Mittelalter zurückgehende fränkische Bergbau konzentrierte sich auf das Fichtelgebirge, den Frankenwald und die Fränkische Alb. Vom 14. Jahrhundert an wurden dort Zinn und Eisen, später auch Kupfer, Gold und Silber abgebaut. Infolge des Dreißigjährigen Krieges war der ehemals prosperierende Bergbau jedoch drastisch zurückgegangen, sodass Ende des 18. Jahrhunderts nur noch der Abbau von Eisenerz und Vitriol gewinnbringend war. Wie Hardenberg in einem späteren Rechenschaftsbericht bemerken würde, geschah zu markgräflicher Zeit nichts Wesentliches zur Verbesserung des Bergbaus. Heinitz stand also vor wichtigen Entscheidungen über die Wiederinstandsetzung und technische Verbesserung der Gruben und Hüttenwerke oder ihre endgültige Stilllegung. Auch über das weitere Schicksal der Saline in Gerabronn, die trotz der Investition von einer halben Million Gulden durch Markgraf Alexander Anfang 1792 stillgelegt worden war, musste entschieden werden. Ein ähnlicher Fall war die Porzellanmanufaktur in Bruckberg, die trotz vorheriger Subventionen verschuldet war. Hier sah sich Heinitz vor die Alternative gestellt, sie entweder der Berliner Königlichen Porzellanmanufaktur anzugliedern oder sie zu schließen.284 Humboldt hatte während seines Freiberger Studiums zwar Kenntnisse über Bergbau, Metallurgie und Salinen erworben, aber hinsichtlich der Porzellanherstellung war er ein Neuling. Zur Vorbereitung seiner Inspektion der Bruckberger Porzellanmanufaktur schickte ihn Heinitz Anfang Juni 1792 auf eine Besichtigungstour der Steingutmanufaktur in Rheinsberg. Anschließend verbrachte er noch einige Wochen in der Berliner Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur. 285 Auch der Chemiker Martin Heinrich Klaproth hatte eine Sondererlaubnis für den Zutritt der ansonsten für Außenstehende aus Geheimhaltungsgründen abgeschotteten Manufaktur, um dort als externer Experte des Ministers in einer Inspektionskommission zu arbeiten und zu experimentieren.
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Teil III Humboldts Bergmeisterleben
Im Juli 1792 traf Humboldt in Franken ein, im August wollte der Minister selbst nachkommen, um die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Die wichtigsten organisatorischen Vorbereitung hatte bereits der fränkische Oberbergrat Otto Heinrich Tornesi (1748 – 1814) getroffen, den Humboldt später als einen „Mann von den ausgezeichnetsten Kenntnissen“ charakterisierte, dessen Vorarbeit und gute „mineralogische Karte“ des Fürstentums Bayreuth die eigene Inspektion erleichtert hätten.286 Während seiner dreiwöchigen Inspektion vom 12. Juli bis 5. August 1792 besichtigte Humboldt zahlreiche stillgelegte und zerfallene Gruben und wurde Zeuge bergtechnischer Verfahren, die er aufgrund seiner Erfahrungen in Freiberg nur als rückständig bewerten konnte. Entsprechend lang war die Mängelliste in seinem Inspektionsbericht. Dieser über 100 Seiten lange Bericht über den Zustand des Bergbaus und Hütten-Wesens in den Fürstentümern Bayreuth und Ansbach vom 22. September 1792 schilderte den Stand der Dinge bis ins minutiöse Detail.287 Ein Blick in diesen Bericht lohnt sich nicht zuletzt auch, um abschätzen zu können, mit welchen Herausforderungen Humboldt konfrontiert werden würde, nachdem ihm die Stelle eines Oberbergmeisters in Franken angeboten worden war.
Humboldts Inspektionsbericht Humboldts Bericht umfasste insgesamt vier Sachgebiete: die natürlichen Bedingungen des fränkischen Bergbaus, einschließlich der Erzvorkommen, für die er sich auch als Naturforscher interessierte; den technischen Zustand und die Rentabilität der Gruben, Hütten und anderen „Bergfabriken“; die Arbeit der Bergämter; und eine abschließende Beurteilung mit Verbesserungsvorschlägen. Humboldt stellte die Beschreibung der natürlichen Gegebenheiten des fränkischen Bergbaus an den Anfang seines Berichts, während im Hauptteil, gegliedert nach einzelnen Bergrevieren, die Darstellung der technischen, ökonomischen und administrativen Sachverhalte im Detail folgte. In seine ausführliche Beschreibung des „Verhaltens der Gebirge“ und der „erzführenden Lagerstätten“ ließ er alle geognostischen und mineralogischen Kenntnisse einfließen, die er bisher erworben hatte. Wie Gerhards Inspektionsberichte glich auch dieser Teil von Humboldts Bericht den wissenschaftlich-geologischen Reiseberichten der Zeit.288 Im Hauptteil seines Inspektionsberichts bediente sich Humboldt durchweg der bergmännischen Fachsprache, wenn er den Verlauf der Erzgänge, den Bau von Schächten und Stollen, deren Beleuchtungs- und Belüftungsvorrichtungen und andere bergtechnische Details beschrieb. Sein abschließendes Urteil und seine
15. Humboldt inspiziert Gruben in Franken
Ratschläge verbanden die Gesichtspunkte eines Bergtechnikers mit denen eines guten Staatsbeamten, der auch die Staatsfinanzen und die soziale Organisation des Bergbaus im Auge behielt. Humboldt legte jedoch keine abstrakten bürokratischen Maßstäbe an, sondern er betonte mehrfach, dass viel „auf individuelle Umstände ankommt, und die Lokalität oft allein entscheidet.“289 Um einige konkrete Beispiele zu geben, so stellte Humboldt in seinem Bericht über das Nailaer Bergrevier fest, in der „Friedensgrube“ sei der Bau eines neuen Stollens notwendig, um an die tiefer liegenden Erzgänge heranzukommen, in denen er auch Kupfererze vermutete. Hierzu erarbeitete er einen konkreten Vorschlag mit genauen Angaben über die Lage des Stollens, seine räumliche Ausrichtung und Tiefe von 80 „Lachtern“ (ca. 160 Meter) sowie die Kosten für die Wasserhaltung und Zimmerung. Der Bau dieses Stollens, stellte er fest, erfordere die zusätzliche Investition königlicher Gelder. Gleichzeitig warnte er, alle finanziellen und technischen Maßnahmen seien zum Scheitern verurteilt, wenn man auf soziale Verbesserungen, insbesondere „in den Verhältnissen zwischen Schichtmeistern, Gewerken und Steigern in der Löhnung“, verzichten würde. Das hieß nichts anderes, als dass das Nailaer Revier „einer gänzlichen Reform“ bedurfte.290 Zu einem positiveren Gesamturteil kam Humboldt über das Wunsiedler Bergrevier, in dem es reiche Eisenvorkommen gab und das eine bessere ökonomische Bilanz vorweisen konnte. Die Eisengewinnung brachte hier über den abzuführenden Zehnten hinaus „einen reinen Überschuß von 900 Tlr. in die Königl. Kasse“. Durch die Festlegung eines einheitlichen Größenmaßes für die Erzmenge, den „Bergseidel“, und die Anstellung von Obereinfahrern zur Beaufsichtigung der Gruben erhalte das Wunsiedler Bergamt verlässliche Daten über die geförderten Erzmengen. Daher müsse es sich bei der Berechnung des Zehnten für den Landesherrn „nicht auf die täuschenden Angaben der Gewerken“ verlassen. Insgesamt hatte das Wunsiedler Revier einen „nicht unbeträchtlichen Aktivhandel“, was im Zusammenhang mit der merkantilistischen Wirtschaftspolitik nur positiv zu bewerten war. Humboldt schrieb diesen Erfolg nicht zuletzt dem Bergamt und „der Tätigkeit und dem Ordnungsgeiste des jetzigen Revier-Bergmeisters Schubert“ zu.291 Dennoch kritisierte er auch hier einige Bereiche der Bergtechnik. So bemängelte er den verschwenderischen Umgang mit Holz, der angesichts des allgemein grassierenden Holzmangels nicht geduldet werden könne. Für die Schachtzimmerung schlug er daher die „Einführung einer regelmäßigeren holzsparenden“ Technik vor. Weitere Kritikpunkte betrafen die schlechte Belüftung der Schächte und Stollen, die veraltete Methode des Erzabbaus mit Schlägel und Eisen und die rückständi-
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gen Fördermethoden, die hohe Kosten verursachten. Vor allem die Verwendung der alten „Laufkarren“ auf den Abbaustrecken fiel seiner Kritik anheim, hatte er doch in Freiberg einen neuen, kraftsparenden Wagentyp, den „Hunt“ (oder „Hund“), kennengelernt. Die Förderung mit Laufkarren, so Humboldt, war „nächst der rohen Korbförderung die schlechteste von allen, weil die menschliche Arbeitskraft bei derselben am unvorteilhaftesten angewendet wird.“292 Dazu kamen Anmerkungen über die fiskalischen Verhältnisse im Wunsiedler Bergrevier und über Probleme bei der Leitung und sozialen Organisation der Grubenarbeit. Humboldt kritisierte, dass die Steiger nicht genügend Autorität besäßen und „bei der jetzigen Verfassung näher mit dem Hauer als mit dem Bergamte (das sie nicht unterstützen, verteidigen, befördern, aufmuntern kann)“ zusammenarbeiteten. Dies fordere geradezu zu Betrug heraus. Er empfahl überdies, die Einführung der Achtstundenschicht, wie sie im sächsischen Bergbau üblich war. Bei seinen Grubenbefahrungen hatte er beobachtet, dass die Bergleute den ersten Teil ihrer zwölfstündigen Schicht für ein ausgiebiges Frühstück nutzten, sodass sie de facto „kaum 7 − 8 Stunden vor Ort“ waren. Die Achtstundenschicht, befand Humboldt, stütze die Arbeitsmoral, während längere Arbeitszeiten de facto nur „die Faulheit“ förderten.293 In seinen privaten Briefen von seiner Inspektionsreise äußerte Humboldt seine Kritik noch drastischer. So berichtete er Carl Freiesleben von der „gottlosen Zimmerung“ und schlechten Beleuchtung der Schächte im Nailaer Bergamtsrevier. An Johann Friedrich Freiesleben, den sächsischen Silberbrenner und Großvater seines Freundes Carl, schrieb er, der fränkische Bergbau befinde sich „im höchsten Verfall“, und mit dem Zinn-, Kupfer- und Goldabbau sehe es besonders „ärmlich“ aus. Lediglich der Eisenabbau ergebe eine gute Ausbeute, aber auch hier seien die meisten Gruben nicht tief genug angelegt, hätten eine „elende Zimmerung“ und seien oft verschüttet. Schlecht belüftete Schächte und altertümliche Erzabbaumethoden ohne die Anwendung von Schießpulver verschlimmerten das allgemeine „Uebel“. Von derartiger Kritik war nur das „gutmüthige, arbeitsame und harte Bergvolk“ verschont.294 Humboldt berichtete seinem Auftrag gemäß auch über die Saline in Gerabronn und die Bruckberger Porzellanmanufaktur. Er empfahl, den Betrieb der Saline endgültig einzustellen. Für die kleine, zum Fürstentum Ansbach gehörende Porzellanmanufaktur, die sich mit ihren 27 Arbeitern nicht mit der Berliner KPM messen konnte, schlug er dagegen Rettungsmaßnahmen vor. Die Bruckberger Porzellanmanufaktur stellte hauptsächlich blau-rot dekorierte „Türkenbecher“ für den Export in die Türkei her. Sie wurde ausnahmsweise von einer Frau geleitet, der Witwe des 1791 verstorbenen Direktors Kendler, die von ihrem Mann über das Ar-
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canum der Porzellanmasse verfügte. Humboldt bemerkte etwas verwundert, dass sie sogar das Gehalt ihres Manns bezog, obwohl die Manufaktur faktisch von zwei Verwaltern geleitet wurde. In seiner Beurteilung der technischen Seite der Porzellanmanufaktur hob Humboldt einen neuen Brennofen lobend hervor, der Holz einspare und nur wenig Ausschussware liefere. Andererseits sah er bei der Herstellung der Porzellanmasse auch Verbesserungsbedarf. Er empfahl, die Qualität des Porzellans durch Verwendung reinerer Porzellanerde zu verbessern und sich für die Herstellung der Porzellanmasse auf die Erfahrungen der Berliner Porzellanmanufaktur zu stützten. Auch im Hinblick auf das Einbrennen der Farben beim Ornamentieren des Porzellans riet er, sich am Vorbild der Berliner KPM zu orientieren und Emailöfen anzuschaffen. Auf diesen Bericht hin fanden noch im September 1792 Beratungen in der Berliner Bergbehörde statt, in denen die Weiterführung der Bruckberger Manufaktur sowie Verbesserungsmaßnahmen beschlossen wurden.
„Ich werde nun ganz dem praktischen Bergbau und der Mineralogie leben“ Ende August 1792 traf Minister von Heinitz in Franken ein und ließ sich von Humboldt zunächst mündlich über die Inspektion berichten. Kurz danach erhielt der Bergassessor das überraschende Angebot, die Stelle eines Oberbergmeisters in Franken zu übernehmen. Berghauptmann Freiherr von Bottmer war schon alt und brauchte praktische Unterstützung durch einen tatkräftigen, jungen Beamten. Humboldt selber erklärte die Entscheidung daher später so: „Das Alter und die abnehmenden Kräfte des Berghauptmanns Freyherrn von Bottmer machten die Anstellung eines jüngeren Mannes nöthig, der als Oberbergmeister selbst auf den Gebürgen lebte, die Gruben beführe, ihren Bau verrichtete und die Geschäfte in den Bergämtern leitete.“295 Der kurz vor seinem dreiundzwanzigsten Geburtstag stehende Humboldt sollte nun also die administrative und technische Aufsicht über sämtliche Gruben und Hüttenwerke des Fürstentums in allen drei Bergämtern übernehmen. Da eine solche Stelle mit einer Vielzahl technischer Aufgaben verbunden war und Heinitz den jungen Adligen für Höheres vorgesehen hatte, wurde vereinbart, dass er die Stelle nur zwei Jahre lange einnehmen sollte. Außerdem benötigte Heinitz für die Berliner Behörde einen Salinenfachmann, sodass die zusätzliche Vereinbarung getroffen wurde, Humboldt solle über seine Aufgaben in Franken hinaus noch die preußischen Salinen bereisen und inspizieren.
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Humboldt war von diesem Angebot überwältigt. Am 27. August 1792 schrieb er an Freiesleben: 296
▷ Alle meine Wünsche, guter Freiesleben, sind nun erfüllt. Ich werde nun ganz dem praktischen Bergbau und der Mineralogie leben. [...] Ich taumele vor Freuden. ◁ Ein zweiter, nicht minder euphorischer Brief folgte am Tag seiner formellen Ernennung zum Oberbergmeister am 6. September 1792: 297
▷ Wie freue ich mich, lieber Junge, dass ich endlich einmal Muße finde, mein ganzes, ganzes Herz gegen Sie auszuschütten, Ordnung erwarten Sie in diesem Briefe nicht, ich bin durch die vielen Gegenstände, die seit 2 Monathen wie im Zauberspiegel vor mir vorüber gegangen sind, so lebhaft, verwirrt, aufgeregt, wie soll ich es nennen, geworden, dass ich meiner Phantasie freien Lauf geben muß. ◁ In diesem Brief ging Humboldt auch kurz auf die gemeinsamen Reise- und Forschungspläne mit Freiesleben ein. Keiner dieser Pläne, erklärte er seinem Freund, müsse wegen seiner neuen Stellung aufgegeben werden. „Ich sehe bis jetzt keinen einzigen Umstand, der das Reisen rükgängig machen sollte“, schrieb er. In der Tat hatte Humboldt von Heinitz die explizite Zusage erhalten, auch längere Privatreisen unternehmen zu dürfen.298 Dies war kein ungewöhnliches Zugeständnis, da sich die Behörden von den Privatreisen ihrer höheren Beamten auch nützliche Informationen versprachen. Humboldts intime Briefe an seinen besten Freund belegen, dass er nicht darauf aus war, wie in der Humboldtliteratur unzählige Male beteuert wurde, sich seines Beamtenpostens so schnell wie möglich wieder zu entledigen, um sich ganz seinen Forschungsreisen und der reinen Naturforschung widmen zu können. Wie wir noch genauer sehen werden, ging er im Gegenteil davon aus, dass ihm die neue Stellung auch mineralogische und geognostische (geologische) Beobachtungen ermöglichen würde. Schon während seiner ersten Inspektion hatte er jede Gelegenheit genutzt, im Fichtelgebirge Mineralien zu sammeln und geognostische Beobachtungen über Gesteinsschichtungen anzustellen. Ende Juli 1792 hatte er daher dem Freiberger Edelsteininspektor Christian August S. Hoffmann geschrieben: 299
▷ Wenn irgend eine Gegend unsers Vaterlandes die genaueste geognostische Untersuchung, besonders in Rücksicht auf Schichtung und Lagerung, verdient, so
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ist es gewiß dieser Theil des Fichtelgebirges. Ich kann Ihnen jetzt nichts allgemeines und zusammenhangendes, sondern nur einzelne, abgerissene Beobachtungen mittheilen. Vielleicht werde ich bey mehrerer Muße im Stande seyn, dieß weiter zu entwickeln und auf entscheidendere Resultate zu führen. ◁ Während seiner Zeit als Oberbergmeister ließ Humboldt keine Grubenbefahrung, keine Inspektionsreise und keine diplomatische Missionen aus, um seine Naturbeobachtungen in Gruben und Gebirgen zu vertiefen. Und er brannte darauf, sich ans Werk zu machen und selbst die bergtechnischen Verbesserungen in Gang zu bringen, die er in seinem Inspektionsbericht angemahnt hatte.
Zwischenzeitliche Salinenbesichtigungen Es verging fast ein Jahr bis Humboldt im Juni 1793 seine Amtsgeschäfte als Oberbergmeister aufnehmen konnte. In der Zwischenzeit unternahm er im Auftrag des Ministers von Heinitz eine viermonatige Reise zur Besichtigung von Salinen, die ihn nach München, Traunstein, Reichenhall, Salzburg, Linz und Wien und von dort aus nach Schlesien führte. 300 Neben der Sammlung von Informationen über Salzgewinnungsmethoden stand auch die Besichtigung der Porzellanmanufakturen in Nymphenburg und Wien auf dem Reiseprogramm. Im Dezember 1792 traf Humboldt in Schlesien ein und war dort drei Wochen lang Gast des Geheimen Finanzrats Graf von Reden. Obwohl ihn das adlige Gebaren Redens zuvor abgestoßen hatte, schloss er nun Freundschaft mit ihm. In den kommenden Jahren würde sich Humboldts Vertrauen zu Reden noch vertiefen, sodass er bei allen schwierigen Karriereentscheidungen seinen Rat einholen würde. Humboldt nutzte auch diese zweite große Dienstreise für seine Naturforschung. Im Oktober berichtete er Freiesleben von der „hyperinteressanten Gegend“ um die Saline zu Traunstein. „Die Gegend hier ist göttlich. Ich glaube noch nie Gebirge gesehen zu haben, so ist hier alles anders“, schrieb er. Auf der Saline zu Reichenhall hielt sich er sich ganze zwölf Tage auf, um sich mit Salinendirektor Johann Sebastian Claiß über praktische, aber auch theoretische Fragen der Halurgie auszutauschen. Er habe einen „überaus lehrreichen Aufenthalt in Reichenhall gehabt“, berichtete er Freiesleben. Claiß sei der beste „unter allen theoretischen und praktischen Hallurgen“ und besitze „große physikalische und mathematische Kenntnisse.“301 Humboldt erhielt von Claiß „viel neue Materialien“ und Anregungen, unter anderem für eine geognostische Karte, auf der er alle Salzquellen Deutschlands verzeichnen wollte. Diese diente sowohl praktischen als auch naturkundlichen
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Zwecken. Freiesleben erhielt die relevanten schriftlichen Informationen vorab, zusammen mit ersten Kartenskizzen. Das Zeichnen, schrieb Humboldt, „hat mich überhaupt dies Jahr mehr als sonst beschäftigt“. Humboldt war überzeugt, es bestehe ein „Zusammenhang aller Salzquellen in Deutschland“, vergleichbar mit dem Zusammenhang, den Werner zwischen Erzlagerstätten und Gebirgsstrukturen herstellte. Seine Karte sollte diesen verbildlichen, indem sie Verbindungen herstellte zwischen der Lage der Salzquellen, der Lage der soleführenden Flötzgebirge und der uranfänglichen oder primitiven Gebirge, die Barrieren für „Salzströme“ bildeten. Die Karte sollte insbesondere zeigen, „daß alle Salinen in Deutschland in einer gewissen Richtung liegen“, so „daß man Linien auf der Karte ziehen kann, nach denen von Meile zu Meile Salzquellen zu finden sind“. Humboldt beobachtete auf dieser Reise auch andere Gesteinsformationen und sammelte Mineralien. Nach seiner Rückkehr schickte er dem Berliner Mineralogen und Freund Dietrich Ludwig G. Karsten große, mit Mineralien bepackte Kisten, die teils für den persönlichen Gebrauch und teils für das Königliche Mineralienkabinett bestimmt waren.
16. Oberbergmeister Humboldt Im Januar 1793 kehrte Humboldt von seinen Salinenbesichtigungen nach Berlin zurück, wo er sich wegen einer Erkrankung einige Zeit aufhielt, bevor er Ende Mai nach Franken weiterreiste. Sein neuer Wohnort wurde das kleine Dorf Steben im Fichtelgebirge, das in der Mitte zwischen den drei fränkischen Bergämtern lag, für die er als Oberbergmeister zuständig war. Nun folgten vier rastlose Jahre, in denen Humboldt Gruben befuhr, betriebliche und technische Anweisungen gab, Finanzetats berechnete, Dienstberichte verfasste, eine Bergschule gründete, die Grubenluft analysierte, eine Grubenlampe und eine Atemmaske erfand und nicht zuletzt auch mineralogische, geognostische und physiologische Naturforschung betrieb. Grubenbefahrungen gehörten zu Humboldts wichtigsten Tagesaufgaben. Vor dem 19. Jahrhundert ritten die Bergbeamten zu Pferd von Grube zu Grube und gingen dann wie alle Bergmänner zu Fuß in die Grube hinein. Wasserpfützen und herunter gefallenes Gestein bildeten Hindernisse, die angesichts der lichtschwachen Grubenlampen die größte Vorsicht erforderten. Besonders kräftezehrend war es, wenn eine Grubenbefahrung in einem engen Stollen über längere Zeit in gebückter Haltung oder auf schwankenden Leitern erfolgte. War man durch einen Ritt in Wind und Regen bereits durchnässt, so war das stundenlange Kriechen und Absteigen in
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der nasskalten Grube eine kräftezehrende Tortur. Schon wenige Tage nach seiner Ankunft schrieb Humboldt an Freiesleben: 302
▷ Ich komme eben aus der Grube. Ich bin 2 Meilen geritten und an 3 Stunden auf der Fürstenzeche gefahren, wundern Sie Sich also nicht, liebster Freiesleben, wenn ich Ihnen einen verworrenen Brief schreibe. Mit dem Bergbau geht alles schneller, als ich dachte. Die vorläufige Organisation ist fast zustande, das Oberbergamt eröffnet, der Etat der Bergbau-Hilfskasse angefertigt und nun geht alles auf die einzelnen Bergämter los. Ich bin seit wenigen Tagen hier, um den eingestellten Bau auf der Fürstenzeche, der Sebastianzeche bei Langendorf (auf Steinkohlen) p. vorzurichten. ◁ Minister von Hardenberg hatte inzwischen das alte Oberbergdepartment aufgelöst, dessen „unthätige Mitglieder“ er nicht länger dulden wollte. Stattdessen hatte er ein neues, der Kammer angegliedertes Oberbergamt eingerichtet, dem auch Forstbeamte und ein Oberbergrichter angehörten und das nun Humboldts Hauptamtssitz wurde. Die Bergbauhilfskasse, die Humboldt in seinem Brief erwähnte, diente neben der Bereitstellung von Kapital für technische Verbesserungen auch der Aufgabe, „junge Leute zu unterstützten, die in Freiberg die Bergwerkswissenschaften erlernten“ und darüber hinaus zu helfen, auch „den gemeinen Bergmann selbst mehr auszubilden“.303 Wie wir noch sehen werden, griff Humboldt bei der Gründung einer Bergschule in seinem Wohnort Steben auf diese Kasse zurück. Waren größere Investitionen geplant, so musste sich er sich jedoch um zusätzliche Staatsgelder bemühen. Eine der ersten bergtechnischen Aufgaben, die Humboldt in Angriff nahm, war die Wiedereröffnung der ebenfalls im Brief erwähnten „Fürstenzeche“, die dem Bergamt Goldkronach unterstand. Der Namen des Bergamts verrät bereits, dass in dieser Region Gold- und Silbererze abgebaut wurden. Die Fürstenzeche war das älteste und ehemals ertragreichste Goldbergwerk Frankens, das inzwischen jedoch stillgelegt war. Während seiner Inspektion im Sommer 1792 hatte Humboldt mehrere Abbaustrecken in dieser Zeche besichtigt und dabei einen deutlichen Widerspruch zwischen ihrem desolaten Zustand und den offiziellen Aktenangaben festgestellt. Die Fürstenzeche sei zwar im Prinzip noch befahrbar, hieß es seinem Inspektionsbericht, aber die „Wiedergewältigung“, das heißt ihre Wiederinstandsetzung durch Beseitigung herabgestürzten Gesteins und eingedrungenen Wassers, sei „auf allerhöchsten Befehl“ eingestellt worden. Humboldt empfahl dagegen, den „nicht allzu kostspieligen Betrieb“ zumindest teilweise wieder aufzunehmen.304
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Monate später, im Juni 1793, verliehen die Überreste einer Quecksilbermühle aus den Glanzzeiten des fränkischen Goldbergbaus im 14. Jahrhundert seinem Plan neuen Auftrieb. Während seines Studiums an der Freiberger Bergakademie hatte er das Amalgamierwerk in Halsbrücke kennengelernt, in dem das von Ignaz Born entwickelte kalte Amalgamierverfahren der Silber- und Goldgewinnung mit Quecksilber angewandt wurde. Borns Methode musste zwar noch den lokalen Bedingungen des fränkischen Goldbergbaus angepasst werden, doch Humboldt wollte den Neubeginn wagen. Vom Winter 1793 an führte er Experimente zum Amalgamieren der Goldkronacher Golderze durch. Bereits im Januar des folgenden Jahres berichtete er Freiesleben: „Nach kleinen Versuchen amalgamiren sie sich gut.“305 Damals ahnte Humboldt noch nicht, wie viel Mühe ihn diese Versuche noch kosten würden. Neben zahlreichen technischen Problemen waren auch Vorbehalte von Seiten des Ministers von Heinitz zu überwinden. Sie gingen auf die abgebrochenen Amalgamierversuche des Bergrats und Mineralogen Johann Jacob Ferber zurück, die dieser zwischen 1787 und 1789 in Heinitz’ Auftrag in Berlin unternommen hatte. Nach längeren Verhandlungen genehmigte der Minister jedoch einen Probeabbau mit neun Bergleuten. Am Ende seiner Amtszeit würde Humboldt daher über eine erfolgreiche Wiederaufnahme des Golderzabbaus in der Fürstenzeche berichten können.306
Naturforschung in Gruben Humboldt nutzte seine Grubenbefahrungen zu mineralogischen und geognostischen Beobachtungen, über die er seinen naturforschenden Freunden ausführlich berichtete. Mitte Juli 1793 schrieb er an Freiesleben, er fahre täglich von halb fünf bis zehn Uhr in die Gruben und habe dort ungewöhnliche Gesteinsschichtungen beobachten können. „Auf der hiesigen Friedensgrube sitzen die Gänge von Thonschiefer im Porphyr“, berichtete er, und auch die Auflagerung einer Mandelsteinschicht über Alaunschiefer fand er bemerkenswert. Anfang August schrieb er seinem Berliner Freund Karsten einen ähnlichen Bericht. Die dichte zeitliche Abfolge seiner Beobachtungen ließ ihn allmählich Ähnlichkeiten und geognostische Muster erkennen. Geognostische Dinge „beschäftigen mich jezt, da ich oft in 3 − 4 Tagen die höchsten Gebirgsketten des Mittleren Deutschlands bereisen muß, aufs lebhafteste“, schrieb er an Karsten, und: 307
▷ Meine Ideen erweitern sich immer mehr, ich fange immer mehr an, nach der Natur zu zeichnen, und ich bemerke Aehnlichkeiten in Schichtungen, im gemeinschaftlichen Fallen des Gesteins, über die Sie (wenn Sie einmal alles im Zusammenhang übersehen werden), vielleicht auch staunen. ◁
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Abb. 27 Gesteinsschichtungen aus Grauwacke und Schiefer. Aus Trebra (1785)
Die auf Grubenbefahrungen entstanden geognostischen „Ideen“, von denen Humboldt hier sprach, reiften schließlich im Januar 1794 zu einem Plan für ein größeres geognostisches Werk heran. Nachdem er Freiesleben ausführlich über seine Maßnahmen zur Wiedereröffnung von Gruben und zur Goldamalgamation berichtet hatte, schrieb er: „Außerdem arbeite ich noch an etwas großem Geognostischen, nemlich an einem Buche, wofür ich noch keinen Titel weiß.“ Die Stoffsammlung für das Buch sei zwar noch „rhapsodisch“ und vieles sei noch „genau auszuarbeiten“, merkte er noch an, aber die nachfolgenden Dienstreisen würden hier Abhilfe schaffen. Auch der Plan, sich „nach Zeichnungen Geognost[ische] Ansichten stechen
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[zu] lassen“, war bereits gefasst. Humboldt verwirklichte dieses große mineralogisch-geognostische Werk allerdings erst rund 30 Jahre später.308 Im Mai 1794 trat Humboldt erneut eine Dienstreise an, die ihn bis nach Schlesien führte und auf der er im Auftrag von Heinitz Salinen besichtigte. Im Juli verband er eine diplomatische Mission mit Hardenberg, auf die wir noch zurückkommen, mit einer Grubeninspektion in der Grafschaft Altenkirchen und nutzte auch diese für geognostische Beobachtungen. Erneut berichtete er Freiesleben: 309
▷ […] das beständige Reisen in mineralog[isch]-Interessanten Gegenden hat mir zu meinem Buche über Schichtungen und Lagerungen [von Gesteinen] viel geholfen. Ich weiß nun genau, wie im ganzen westl[ichen] Deutschland alles aufgesezt ist, habe mit unter viel Gruben befahren, Gänge beschrieben und denke, im Winter recht ordentlich an meinem großen Mineral[ogischen] Werke, einer Art geognostischer Ansicht von Deutschland zu arbeiten. ◁ Mit unverkennbarer Klarheit äußerte sich Humboldt über sein eigenes Verständnis hinsichtlich der Verträglichkeit von Beamtentätigkeit und Naturforschung. Das „beständige Reisen in mineralog[isch]-Interessanten Gegenden “ − gemeint waren die Dienstreisen − behinderte ihn nicht, sondern schuf ganz im Gegenteil hervorragende Möglichkeiten für die Naturforschung. Seine technischen und administrativen Aufgaben als Bergbeamter waren mit seinen Interessen als Naturforscher nicht allein vereinbar, sondern auch von Vorteil.
Physiologische Nebenbeschäftigungen Im Juli 1795 brach Humboldt zu einer privaten Reise nach Oberitalien und in die Schweizer und Französischen Alpen auf. Auf dem wissenschaftlichen Programm dieser Reise, für die er bis November Diensturlaub erhielt, standen botanische, mineralogische und geognostische Studien sowie erstmals auch die Physik der Erde. Humboldt besichtigte auf dieser Reise auch Salinen und legte einen Abstecher an den Comer See ein, um den berühmten italienischen Physiker Alessandro Volta zu besuchen. Seinem ehemaligen Göttinger Professor Johann Friedrich Blumenbach schrieb er Ende August 1795: „Daß ich bey meiner geognostischen Untersuchung über Schichtung und Lagerung der Gebirgsmassen, doch unsere Nervenversuche nicht vergessen würde, konnten Sie wohl erwarten“.310 Der italienische Physiologe und Physiker Luigi Galvani hatte in den 1780er-Jahren mit einer Serie von Versuchen Aufsehen erregt, in denen er isolierte Frosch-
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schenkel mithilfe zweier Metallstäbe zu Zuckungen gereizt hatte. Die Versuche ließen die alte Diskussion über die Lebenskraft wiederaufleben und bereicherten sie um eine neue Facette, der Idee einer genuin tierischen Elektrizität. Galvanis Experimente und seine Hypothese über die Existenz einer tierischen Elektrizität regten Alessandro Volta zur Gegenthese einer Kontaktelektrizität an sowie zu experimentellen Studien, aus denen 1799 die Voltasche Säule hervorging. Nach seiner Rückkehr von der Reise im November 1795, unternahm Humboldt selbst mehrere galvanisch-physiologische Experimente. Die Experimente waren denkbar einfach, sodass er sich ohne großen technischen Aufwand diesem hochaktuellen Forschungsgebiet zuwenden konnte. „Der Galvanische Apparat, ein Paar Metallstäbe, Pincetten, Glastafeln und anatomische Messer sind so bequem“, schrieb er 1797, dass man sie „selbst zu Pferde bei sich führen kann.“ Trotz des „beständigen Reisens“ könne er überall experimentieren und müsse nicht „wie viele Reisende nur das untersuchen, was sie nach Hause tragen können“.311 Die Sache war ihm wichtig genug, um Mitte November einen Rundbrief an Blumenbach, den Berliner Arzt Marcus Herz und die Chemikerfreunde Klaproth und Hermbstaedt zu verschicken, in dem er ihnen mitteilte, er habe ihrer gemeinsamen Sache, dem Galvanismus, nun endlich näher auf den Leib rücken können. Drei Monate später ergab sich eine gute Gelegenheit, den Berliner Freunden die Experimente vorzuführen. Von Februar bis April 1796 hielt sich Humboldt in Berlin auf, um Dienstgeschäften nachzugehen und seine an Brustkrebs erkrankte Mutter zu besuchen. Dem Mainzer Arzt und Freund Samuel Thomas von Sömmerring berichtete er damals: „Es haben sich hier Gesellschaften zusammengethan, Selle, Herz, Hermbstedt, Klaproth, vor denen ich experimentirt. Man hat alles untersucht und richtig gefunden.“ 312 Im Unterschied zu seiner mineralogischen, geognostischen und chemischen Naturforschung waren Humboldts galvanischen Studien eine reine Freizeitbeschäftigung, die nichts mit seiner Berufstätigkeit zu tun hatte. Humboldt war nur selten von Zweifeln geplagt, er könne sein gewaltiges Arbeits- und Forschungspensum nicht bewältigen. Neben seinen Grubenbefahrungen und technischen Projekten, seiner mineralogisch-geognostischen Forschung und seinen physiologischen Experimenten betätigte er sich vom Frühjahr 1793 an noch auf einem weiterem Forschungsgebiet: der Analyse und Messung der Grubenluft. Wie wir unten noch sehen werden, begann er im November 1795, seine Forschung über Grubenluft zu intensivieren und durch die Arbeit an zwei grubentechnischen Erfindungen zu ergänzen. Wenn Humboldt somit im Januar 1794 an Freiesleben schrieb, er sei „immer noch so toll, mehr als 3 Bücher zugleich zu schreiben“, so war
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das nicht nur Selbstironie, sondern durchaus ein ernstzunehmender Hinweis auf seine wissenschaftlichen Ambitionen. An Freiesleben erteilte er damals den Rat: „Schreiben Sie ja nicht mehr einzelne Aufsäze, lieber Junge; sie glauben nicht wie wenig das allgemein bekannt wird, [...] , sondern sammeln Sie doch einen kleinen Band Abhandlungen und dediciren Sie den dem Kurfürsten, in vollem Ernst.“ 313 Humboldt hatte inzwischen Erfahrungen mit der Gelehrtenwelt gesammelt und erste Ehrungen erhalten, auch wenn er sich in seinen eigenen Veröffentlichungen mit Widmungen für die Mächtigen zurückhielt. Im Juni 1793 wurde er in die Leopoldinisch-Karolinische Akademie der Naturforscher (Leopolinda) und im September desselben Jahres in die Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin aufgenommen.
Humboldt gründet eine Bergschule Seit 1777/78 hatte sich das Berliner Bergwerks- und Hüttendepartment unter Leitung von Heinitz bemüht, in den preußischen Bergbaurevieren Bergschulen für die Kinder von Bergbeamten zu gründen. Das Bergbeamtencorps rekrutierte sich traditionell vor allem aus Bergbeamtenfamilien, und Heinitz wollte so früh wie möglich an dieser Stelle ansetzen. Für Häuer, Haspelknechte und andere einfache Bergleute gab es dagegen nur eine handwerkliche Lehre, die schon in früher Kindheit begann. Ende 1793 richtete Humboldt in seinem Wohnort Steben eine Bergschule für diese einfachen Bergarbeiterkinder ein. Die Knaben, die seine Schule besuchten, waren elf bis sechzehn Jahre alt, aber auch einige junge Bergmänner nahmen am Unterricht teil. Schichtmeister Georg Heinrich Spörl, dem Humboldt bescheinigte, dass er „Lebhaftigkeit, Lokalkenntnisse und Lust genug hatte, im Lehren selbst noch zu lernen“ wurde der Lehrer der neuen Schule.314 In einem Brief an das Berliner Bergwerks- und Hüttendepartment bemühte sich Humboldt um finanzielle Unterstützung seiner Schule, für die die Mittel aus der eigenen Bergbauhilfskasse nicht genügten. „Was können Anordnungen, Befehle fruchten“, argumentierte er, „wenn die Empfänglichkeit bei denen fehlt, die sie empfangen sollen. Es bleibt dann nur ein Ausweg übrig, den die meisten Administratoren wählen, der die Zahl der Aufseher so vermehrt, dass es fast so viele Offizianten als Bergleute gibt.“ 315 Das ganz im Geist der Aufklärung vorgebrachte Argument wandte sich gegen das altbekannte Regime von Befehl und Gehorsam und setzte stattdessen auf bessere Bildung als Voraussetzung für die Einsicht in bergamtliche Maßnahmen. Da die Bergschule die Dorfschule nur ergänzte, lag ihr Schwerpunkt auf bergbaulichen Themen. Die Schule sollte zwar auch die Lese- und Schreibfähigkeiten
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verbessern, aber vor allem „die unentbehrlichsten Kenntniße des Bergmanns“ vermitteln, wozu Grundlagen der Markscheidekunde, geologische und mineralogische Grundkenntnisse, bergmännisches Rechnen, Berggesetzgebung und Geschichte des Bergbaus gehörten.316 Humboldt stellte für seine Bergschüler auch ein kleines Mineralienkabinett zusammen und verfasste ein eigenes Lehrbuch. Im Januar 1794 schrieb er an Freiesleben: „Die Hauptschwierigkeit war also, daß es schlechterdings kein Buch gab, das man dem Lehrer an die Hand geben konnte. Ich habe daher die Abende dazu angewandt, um ein Lehrbuch oder vielmehr 5 kleine zu schreiben. [...] Ich habe dabei recht gefühlt, wie unendlich schwer es ist, für Kinder zu schreiben.“ 317 Die Schule, die Humboldt wenig später als „Erste Königliche Bergschule“ bezeichnete, war offenbar ein Erfolg. Am Ende seiner Dienstzeit wurde sie von 30 − 40 Schülern besucht. Über die damals eingebürgerte Unterrichtspraxis schrieb Humboldt: 318
▷ Der Eifer, den sie [die Schüler] bezeugen, ist so groß, daß die Bergschule bisweilen bis 11 Uhr Abends fortgesetzt werden muß. Um die Kinder nicht der Arbeit zu entziehen, so wird sie bloß als Stundenschule vom November bis in den Mai gehalten u[nd] damit sie nicht mit der Dorfschule in Kollision kommt, sind der Mittwoch u[nd] Sonnabend als Schultage gewählt. Die Bergknaben kommen Nachmittags von 1 − 4 Uhr [,] die Haspelknechte u[nd] Lehrhäuer Abends von 6 Uhr bis 9 Uhr. Kein Knabe unter 12 Jahren [,] der nicht vorher die Dorfschule besucht hat, darf aufgenommen werden. ◁ Als besonderes Erfolgsindiz hob Humboldt die Tatsache hervor, dass aus seiner Bergschule schon mehrere gute Steiger hervorgegangen seien.
„Das Preußische Bergunwesen ekelt mich an“ Humboldt hatte jedoch nicht nur Erfolge zu verbuchen. Wir haben am Beispiel Carl Abraham Gerhards schon gesehen, dass die Beamtenhierarchie und die politischen Machtverhältnisse im absolutistischen Preußen auch Probleme mit sich brachten. Eigenständiges und kritisches Denken in der Forschung ließen sich nur schwer mit bedingungsloser Subordination im Beamtenapparat vereinbaren. Wie Gerhard war auch Humboldt nicht bereit, sich kritiklos unterzuordnen und restlos alle Maßnahmen und Verhaltensweisen des Ministers von Heinitz zu akzeptieren. Seine Distanz zur Macht hatte sich bereits in seiner Assessorenzeit gezeigt, und einige seiner Erfahrungen in Franken waren durchaus dazu angetan, diese noch zu vergrößern.
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Schon im ersten Dienstjahr musste Humboldt eine Intrige in dem von Heinitz geleiteten Salzdepartment über sich ergehen lassen, gegen die ihm der Minister die erhoffte Unterstützung versagte. Nachdem Humboldt im April 1793 die Saline Schönebeck inspiziert und dort technische Veränderungen vorgeschlagen hatte, sah er sich mit Vorwürfen und „Widerlegungen“ konfrontiert, die ihn zu einer schriftlichen Verteidigung nötigten. Die Verletzungen wirkten noch monatelang nach. Im Dezember 1793 klagte er gegenüber Graf von Reden: „Wie man mich darüber zur Verantwortung gezogen, mag Ihnen, theuerster Graf, Rosenstiel erzählen.“ 319 Humboldt beeilte sich zwar zu versichern, dass er den „vortrefflichen Minister dabei nicht anklage“, doch Heinitz war als verantwortlicher Minister zweifellos der Hauptadressat seiner Beschwerde. Im Winter 1793 sah Humboldt die Bergbehörde noch aus anderen Gründen in einem kritischen Licht. Er war gerade mit der Planung des Baus eines Entwässerungsstollens für die Friedensgrube im Nailaer Revier beschäftigt. Obwohl seit langem Einverständnis über die Notwendigkeit eines solchen Stollens herrschte, tauchten im Bayreuther Amt nun völlig unerwartet Stimmen auf, die behaupteten, das ganze sei „ein windiges Projekt“. „Kränkend ist mir die Sache“, schrieb Humboldt an Freiesleben. Der als „Friedrich-Wilhelm-Stollen“ bezeichnete Bau, der nach langen Jahren schließlich auf der Grundlage von Humboldts Plänen angelegt wurde, ermöglichte durch eine bessere Entwässerung den Abbau von Kupfererzen in größeren Tiefen. In seinem Abschlussbericht vom Februar 1797 würde Humboldt hervorheben, er durchschneide „alle vorliegenden Gänge, in einer Teufe, die die alten nie erreichten.“ Erst 1831 war der heute noch vorhandene Stollen fertig gestellt.320 Zu den Intrigen in der Bergbehörde gesellten sich überzogene Erwartungen von Heinitz hinsichtlich der Mitarbeit Humboldts im Berliner Salzdepartment. Ende 1793 stand Humboldt bei Heinitz in der Pflicht, Bohrungen nach neuen Salzquellen in verschiedenen preußischen Landesteilen zu organisieren, was eine erneute Dienstreise bedeutete. Mitte Dezember 1793 schrieb ihm daher der Minister einen höflichen, aber unmissverständlichen Brief, in dem er ihn aufforderte, diese Reise unverzüglich anzutreten. Da eine mehrmonatige Reise mit der Unterbrechung seiner Planung für den Friedrich-Wilhelm-Stollen und seinen erstmals erfolgreichen Versuchen zum Amalgamieren von Golderzen einhergingen, hatte Humboldt diese Reise immer wieder aufgeschoben. Im Januar 1794 schrieb er an Freiesleben, er sei „unendlich mit der Zeit eingeschränkt“ und nun sei er auch noch gezwungen, „alles wegen Bohrversuchen“ zu unterbrechen. Dann kam ein Gefühlsausbruch: „Das Preußische Bergunwesen ekelt mich an.“ Im April 1794 war Humboldt immer noch
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so stark mit Arbeit überlastet, dass er Freiesleben gestand: „Ich bin im Kopf wie zerrissen, von allem, was ich hier besorgen soll.“ 321 Einen Monate später trat er die Dienstreise jedoch an, die ihn zuerst nach Berlin und Kolberg und dann wieder bis Schlesien führte.
„Rastloses Umhertreiben mit dem Minister von Hardenberg“ Aber auch aus der Bayreuther Kammer kam Ende Juli 1794 ein zusätzlicher Auftrag, der Humboldt, nur sechs Wochen nach Beendigung seiner Reise für das Berliner Salzdepartment, noch weitaus unangenehmer war. Humboldt sollte Hardenberg auf einer diplomatischen Mission in das Hauptquartier der preußischen Armee in Frankfurt (am Main) begleiten. Nach der Niederlage der antirevolutionären Offensive der österreichisch-preußischen Koalition im September 1792 im französischen Valmy hatte die französische Armee rheinische Gebiete und Frankfurt besetzt. Im darauffolgenden Dezember war Frankfurt jedoch durch die verbündete hessische und preußische Armee zurückerobert worden, und während der nachfolgenden Verhandlungen blieb das preußische Heer bei Frankfurt in Stellung. Hardenberg, der in diesen Verhandlungen eine Schlüsselrolle spielen sollte, reiste Ende Juli 1794 vor Ort und nahm den vielversprechenden jungen Adligen von Humboldt als Begleiter mit, um ihm das Einmaleins der Diplomatie beizubringen. „Die Geschäfte bei der Armee stöhren mich sehr“, schrieb Humboldt an Freiesleben. Seinem Dichterfreund Friedrich Schiller klagte er: 322
▷ Rastloses Umhertreiben mit dem Minister von Hardenberg, an den mein Schicksal und meine Neigung mich bis jetzt noch gebunden haben, hinderte mich, wie ich wünschte, Sie in Jena zu sehen. Jetzt hat mich mein Unstern gar hierher geführt, wo ich diplomatische, mir fremde Geschäfte treibe und meist der Armee des Feldmarschalls [Möllendorf] folge. Dieser Unruhe allein schreiben Sie mein langes Stillschweigen, ihr das Unzusammenhängende dieser Zeilen zu! Vielleicht glückt es mir, mich bald ganz loszumachen und einer großen Arbeit, die ich mir vorgesteckt und die ich mit Anstrengung verfolge, ganz zu leben. ◁ Das waren deutliche Worte, in denen Humboldt nun offen die Möglichkeit aussprach, den Staatsdienst zu quittieren. Er tat dies in einem eindeutigen Kontext. Humboldt wollte sich nicht etwa deshalb „losmachen“, weil er als Oberbergmeister zu stark mit Grubenbesuchen und Bergtechnik in Anspruch genommen war und ihn stattdessen die reine Wissenschaft lockte, wie in der Humboldtliteratur meist
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behauptet wird, sondern weil man ihm „fremde diplomatische Geschäfte“ aufzwang. Der konkrete Fall verweist erneut auf ein allgemeines, strukturelles Problem seines Bergbeamtenlebens: die Machtverhältnisse in der preußischen Beamtenhierarchie. Wie wir noch sehen werden, spielten diese schließlich die Hauptrolle für seinen Austritt aus dem preußischen Staatsdienst. Und dennoch verstand es Humboldt, auch die ungeliebte diplomatische Mission für wissenschaftliche und technische Studien zu nutzen. Eine schon länger geplante Generalinspektion der Gruben in der nahe gelegenen Grafschaft Altkirchen erwies sich als wunderbare Gelegenheit, die mineralogischen und geognostischen Studien für sein oben erwähntes großes geognostisches Werk zu vertiefen. Nachdem Humboldt Anfang November 1794 von seiner diplomatischen Mission nach Franken zurückgekehrt war, stand eine „Generalbefahrung“, das heißt eine umfassende Inspektion sämtlicher Gruben, Bergfabriken und Bergämter mit schriftlicher Berichterstattung an, die bis Juni 1795 dauerte. Endlich war Humboldt wieder in seinem Element. An Freiesleben schrieb er am 20. November aus Goldkronach: 323
▷ Es ist Abends um 9 Uhr und erst vor einer Stunde komme ich aus der Grube, ob ich gleich schon morgens um 10 Uhr einfuhr. Ich war bloß die Mittagsstunden über Tage. Denn Sie glauben nicht, mit welcher Aengstlichkeit und doch auch mit welcher Freude ich den Grubenbau auf der Fürstenzeche (der mir endlich gelingt) vorrichte. Ich freue mich in Ihrer Seele, wenn Sie einmal einen ähnlichen prakt[ischen] Posten haben werden. ◁ Grubenbefahrungen waren für Humboldt nach wie vor ein großes Faszinosum.
17. Der Erfinder Humboldt Bereits während seines Aufenthalts an der Freiberger Bergakademie hatte sich Humboldt für die Grubenluft oder, wie die Bergleute sagten, die „Grubenwetter“ interessiert und Temperaturmessungen der Grubenluft vorgenommen. Nachdem er im August 1793 seine Oberbergmeisterstelle angetreten hatte, hatte der diese Messungen wieder aufgenommen. Diese führten ihn schließlich auf die Idee der Konstruktion einer neuartigen Grubenlampe, die auch in sauerstoffarmen Grubenwettern brannte, und zur Erfindung einer Atemmaske oder „Respirationsmaschine“. Die Grubenlampe war für die reguläre Verwendung in „matten Wettern“ gedacht,
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während die Atemmaske bei Unfällen in „bösen Wettern“ eingesetzt werden sollte, in denen der Erstickungstod drohte.324 In matten Grubenwettern erloschen die Grubenlampen, da nicht genügend Sauerstoff vorhanden war. Der Sauerstoffgehalt genügte jedoch noch für die menschliche Atmung, obwohl unter diesen Bedingungen bald Atemnot und Erschöpfung eintraten, ähnlich wie es beim Extrembergsteigen im Hochgebirge der Fall ist. „Böse Wetter“ waren ungleich gefährlicher, da sie binnen kurzer Zeit zum Erstickungstod führten. Matte und böse Wetter waren ein allgegenwärtiges Problem im Bergbau des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Selbst wenn man mit großem finanziellem Aufwand Belüftungsschächte baute und „Wettermaschinen“ installierte, gelang es oft nicht, die Grubenwetter zu beherrschen. Heute werden Grubenwetter durch Messeinrichtungen ständig kontrolliert, sodass bei der Überschreitung von Grenzwerten die Arbeit sofort unterbrochen werden kann. Solche Sicherheitsstandards gab es zu Humboldts Zeiten nicht. Beim Einfahren in eine Grube wurden die Bergleute oft von matten Wettern überrascht, arbeiteten jedoch selbst dann häufig noch weiter, wenn ihre Grubenlampen aufgrund des Sauerstoffmangels erloschen waren. „Freylich werden auch Schichten genug im Finstern verfahren“, beschrieb Humboldt die Situation, aber „wie elend geht gar die Schlägel- oder Eisenarbeit im Finstern von statten?“ 325
Humboldts ethische und soziale Motive Es ist schwer vorstellbar, was in einem Bergmann vorging, wenn er in absoluter Dunkelheit und unter Atemnot körperliche Schwerstarbeit leisten musste. Humboldt legte sein ganzes Gefühl in die genaue Beschreibung der Folgen dieser Arbeit: 326
▷ Wie vieler Menschen Gesundheit wird durch Störung des Respirations-Geschäfts langsam gestört! Knaben von blühendem Ansehen habe ich (z. B. in der Wunsiedler Bergwerks-Revier) mit fürchterlichen Knochenkrankheiten befallen gesehen, bey andern bringen die bösen Wetter Bleichsucht, Verhärtung der Drüsen, Paralysie der Extremitäten, herpetische Hautausschläge, oder frühzeitiges Asthma hervor. ◁ Humboldt verstand seine Erfindungsarbeit an einer Grubenlampe und Atemmaske daher auch als eine ethische und soziale Verpflichtung. Statistische Übersichten über die gesundheitlichen Folgen der matten und bösen Wetter waren im späten 18. Jahrhundert ebenso unbekannt wie Mortalitätslis-
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Abb. 28 Bergleute beim Rettungseinsatz. Aus Pfeiffer (1925), 119
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ten, aber Humboldt schätzte die Zahl der jährlichen Todesfälle infolge böser Wetter relativ hoch ein. „Mit qualvoler Pein“, schrieb er, „empfindet der gefühlvolle Mensch sein Unvermögen, oder vielmehr die Unvollkommenheit seiner Kunst, wenn er einen Verunglückten zu retten strebt“.327 Nur allzu oft müsse man den langsam erstickenden Bergmann stundenlang liegen lassen und abwarten, bis sich die Wetter verzogen, bevor man Rettungsversuche unternehmen könne. Humboldt erinnerte sich an einen Fall, bei dem der in bösen Wettern verunglückte Bergmann:
▷ [...] eine halbe Stunde ohnmächtig und röchelnd ausgestreckt lag, dann, als die Wetter sich von selbst etwas verzogen, erwachte, sich ein paar Lachter fortschleppte, wieder ohne Besinnung niederfiel, und nun erst, nach einer vollen Stunde da er bald zu kriechen versuchte, bald ohne Bewegung war, unter dem Schacht in frische Luft gelangte. ◁ Der Erstickungstod in einer Grube ist „keineswegs immer so plötzlich und sanft, als man uns zu überreden sucht“, fügte er hinzu, und der „Zustand des Verunglückten ist während dieser Zeit, bisweilen weit schrecklicher, als unsere Phantasie denselben schildert“.328 Die Retter, betonte Humboldt, setzten sich ebenfalls großer Gefahr aus. Selbst wenn ein Retter bei bester körperlicher Konstitution war, zwang ihn die schnell ansteigende Atemnot und „Gemüthsunruhe“ in bösen Wettern oft rasch zur Umkehr. „Wohl ihm, wenn das Gefühl ihn früh genug warnt“, bemerkte Humboldt, „denn oft traut er seiner Muskelstärke zu viel, die Betäubung nimmt zu; je länger er verweilt, und hat er nicht die Vorsicht gebraucht, sich in ein Seil hängen zu lassen, so stürzt er selbst in den Schacht hinab“. Trotzdem böten die Bergleute oft alles auf, um einen Verunglückten aus bösen Wettern zu retten, und das, so Humboldt, zeuge von ihrem „Edelmuth“.329 Für weniger edelmütig hielt er dagegen die „schreibende Klasse“ der reisenden Gelehrten und Mineralogen, die sich nur „selten um die physische Constitution des Bergvolks“ kümmerten.330 Wir bewundern heute die Extrembergsteiger, die mit Sauerstoffflaschen ausgerüstet und abgesichert durch Sherpas den Mount Everest besteigen. Die Bergleute früherer Zeiten arbeiteten unter ähnlich schweren physischen und psychischen Bedingungen. Humboldt war sich darüber im Klaren, dass seine Erfindungen bei den Bergbehörden nicht unbedingt mit offenen Armen aufgenommen werden würden. Denn sie kosteten Geld und setzten auch die Bereitschaft voraus, Neues zu wagen. Er
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verteidigte daher seine Erfindungsarbeit von Anfang an auch mit der Erläuterung ihrer ökonomischen Vorteile. Gleichzeitig brachte er aber auch soziale und ethische Argumente vor. Schon im ersten Aufsatz von 1795, schrieb er: 331
▷ Ein Objekt, welches die Einsparung von Tausenden, und, (was wichtiger für den Menschen ist,) die Gesundheit unsers Bergvolks betrifft, verdient wohl ernsthafter Nachforschung. ◁ Obwohl Humboldt gewusst haben musste, dass Gesundheitsvorsorge nicht zu den vorrangigen Interessen der preußischen Bergbehörde gehörte, verstärkte er später noch die ethische Seite seiner Argumentation. Die Akzeptanz seiner Erfindungen wurde für ihn gleichsam zum Indikator für die Anerkennung der Menschenrechte und des Kantischen Sittengesetzes, die auch für das „Bergvolk“ galten.332 Nützliche Erfindungen und Sittlichkeit waren für ihn nur zwei Seiten einer Medaille. Von einer Spannung zwischen „plattester Nützlichkeitslehre und der Höhe der Kantischen Philosophie“, die einige Historiker in die Aufklärung und in Humboldts Anliegen hineininterpretiert haben, kann somit nicht die Rede sein.333
Unterirdische Meteorologie Im Juli 1795 waren Humboldts Forschungen über die Grubenwetter so weit gediehen, dass er erste Ergebnisse in den Annalen der Chemie veröffentlichen konnte.334 Im Vordergrund dieses Aufsatzes mit dem Titel Ueber Grubenwetter und die Verbreitung des Kohlenstoffs in geognostischer Hinsicht stand die Beschreibung eines neuen naturwissenschaftlichen Forschungsfelds: die „unterirdische Meteorologie“. Unter der Erdoberfläche, in dem verzweigten Netzwerk der Grubengänge, so Humboldt, gab es Schwankungen der Lufttemperatur und -feuchtigkeit, Grubenwinde, unterirdisches Wetterleuchten und andere Wetterphänomene, die wir sonst nur aus den normalen Lebensbedingungen über der Erde kennen. Diese unterirdischen Wetterphänomene genauer zu studieren, war das Ziel der „unterirdischen Meteorologie“. Mit großer Begeisterung forderte Humboldt die Naturforschergemeinschaft zur Mitarbeit daran auf. Möge ich die Naturforscher „herabziehen, wie de Luc und Lichtenberg sie aufwärts, in die Regionen der Wolken“ gezogen haben, schrieb er, denn: „Die Natur kennt kein oben und unten.“ 335 Wie wir weiter unten noch sehen werden, setzte Humboldt seine physikalischen Messungen und chemischen Analysen der Grubenluft bis Winter 1796 fort. Ausgerüstet mit Thermometern, einem Haarhygrometer, Elektrometer und Magnetometer
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vermass er ihre Temperatur und Feuchtigkeit sowie ihre elektrische und magnetische Ladung. Auch die Beobachtung der Phosphoreszenz faulender Grubenhölzer stand auf seiner Agenda. Die physikalischen Messungen und die Ergebnisse der chemischen Analysen flossen in seine „unterirdische Meteorologie“ ein und lieferten schließlich das empirische Material für seinen 1799 unternommenen Versuch der Herstellung von Beziehungen zwischen Grubenwettern und „Gebirgsarten“.336 Humboldt entwickelte damit seine „unterirdische Meteorologie“ sowohl zu einer quantitativen als auch zu einer erklärenden Wissenschaft. Wir unterbrechen an dieser Stelle die Beschreibung seiner unterirdischen Meteorologie und wenden uns seiner Erfindungsarbeit zu, denn in der Praxis waren die beiden Bereiche aufs engste miteinander verschränkt. Dieser wechselseitigen Abhängigkeit von Naturforschung und Erfindungsarbeit werden wir im Folgenden ein Stück weit nachgehen.
Beginn der Erfindungsarbeit Im Frühsommer 1795, kurz vor der Fertigstellung seines Aufsatzes Ueber Grubenwetter, führte Humboldt zusammen mit einem jungen fränkischen Berggeschworenen namens Eberhard Friedrich Killinger ein Experiment in einer Grube durch, das sich als wichtiger Baustein für seine Erfindungen erweisen sollte. „Ueber die Wirkung der irrespirablen Gasarten habe ich noch vor wenigen Tagen recht deutliche Erfahrungen an mir selbst anstellen können“, schrieb er kurz danach. Er sei mit dem Berggeschworenen Killinger an einer abgelegenen Stelle in die Fürstenzeche bei Goldkronach eingefahren, an der faulendes Grubenholz lag. Faulendes Grubenholz war nicht nur Ursache des ungewöhnlichen Naturphänomens der Phosphoreszenz, sondern verursachte wegen des hohen Sauerstoffverbrauchs auch matte und böse Wetter. Als Humboldt und sein Begleiter sich dem faulenden Holz näherten, erloschen ihre Lampen. „Die Beängstigung, die wir fühlten, war sehr groß“, beschrieb Humboldt die Situation. Bei jedem Atemzug spürten sie „einen sonderbaren Reiz in der Lunge, ein unnatürliches Stechen und Prickeln“.337 Doch Humboldt kannte die neusten Errungenschaften der Chemie. Er hatte ein Gegenmittel dabei: zwei Flaschen gefüllt mit „Lebensluft“ (Sauerstoff). Die beiden Experimentatoren öffneten die Flaschen, nahmen eine tiefen Atemzug von dem Lebenselixier und fühlten sich besser. Dies war der Ausgangspunkt für Humboldts Idee der Konstruktion einer Atemmaske mit angeschlossener Sauerstoffflasche. War die Idee für die Atemmaske somit im Frühsommer 1795 im Zusammenhang mit der Erforschung der Grubenwetter aufgekeimt, so war diejenige für eine neuartige Grubenlampe schon rund ein Jahr früher entstanden. Während der Tempera-
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turmessungen der Grubenluft, die Humboldt vom Sommer 1793 an vorgenommen hatte, war es wiederholt vorgekommen, dass die Lampen wegen matter Wetter erloschen, sodass die Messungen abgebrochen werden mussten. Auch für diesen Fall hatte Humboldt mit Sauerstoffflaschen vorgesorgt. „Man halte das Grubenlicht in der Rechten“, beschrieb er seine Methode, „und eine Bouteille Lebensluft, umgekehrt, mit dem Halse, einen Zoll über dem Licht in der Linken, so wirft das Licht einen weiten Schein, in dem genau am Thermometer zu beobachten ist“. 338 Der aus der Flasche ausströmende Sauerstoff ließ die Lampe sofort wieder aufleuchten, sodass die Messungen fortgesetzt werden konnten. Damit war der Boden für die Idee präpariert, Sauerstoff systematisch für Grubenlampen zu nutzen. Zunächst dachte Humboldt sogar daran, die Grubenluft im großtechnischen Maßstab durch Sauerstoffzufuhr zu verbessern. Diesen Gedanken ließ er jedoch wegen der immensen Kosten für ein solches Vorhaben schnell wieder fallen. Es war unmöglich, „die ganze Masse der bösen oder matten Wetter, in welchen der Bergmann leben und arbeiten soll, in respirable Luft umzuschaffen“. 339 Nachdem diese Idee aufgegeben war, suchte Humboldt nach getrennten technischen Lösungen für die Grubenlampe und Atmung in bösen Wettern. Das technische Grundprinzip von Humboldts Grubenlampe war denkbar einfach. Es bestand in der Konstruktion einer festen Verbindung zwischen einem Sauerstoffspender und einer Öllampe, sodass daraus ein einheitliches, gut handhabbares technisches Gerät entstand.340 Die Verwirklichung dieser Grundidee war jedoch mit zahlreichen Tücken verbunden, sodass Humboldt trotz der Mithilfe technischer Bergbeamter bis zuletzt kein vollständig befriedigendes Resultat erzielte. Selbst das einfache Konstruktionsprinzip erforderte technische Erfahrung und war im Juni 1795 nur ansatzweise gefunden. Damals schrieb Humboldt: 341
▷ Das Mittel, Grubenlichte brennen zu lassen, wo Menschen noch athmen, und jetzt im Finstern ihre Schichten (langsam, gezähverderbend) verfahren, ist sehr einfach. Es beruht in einem einfachen Aufsatze, der als Pfropf auf jede Bouteille passt, und wo Wasser eintröpfelt, indem Lebensluft durch ein gekrümmtes Rohr ausströmt. ◁ Diese frühe Beschreibung bezog sich nur auf einen Teil seiner späteren Grubenlampe, den Sauerstoffspender. Das aus dem Aufsatz tropfende Wasser verdrängte den in der Flasche enthaltenen Sauerstoff, der dann durch ein seitlich angebrachtes Rohr horizontal an die Grubenlampe geleitet wurde. Die Tropfvorrichtung ermöglichte
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ein langsames, kontinuierliches Ausströmen des Sauerstoffs, was für eine längere praktische Anwendung unabdingbar war. Das Mitführen bloßer Lebensluftflaschen, erklärte Humboldt, „war sehr gut für einen physikalischen Versuch, nicht aber zur Anwendung für den Bergbau. Wie schnell entweicht nicht die Lebensluft, wie oft muß man von Gefäßen wechseln?“342
Zweite Phase der Erfindungsarbeit Im Juli 1795 brach Humboldt zu seiner oben erwähnten Privatreise nach Oberitalien und den Alpen auf, auf der ihn sein neuer Freund Leutnant Philipp von Haeften und später auch Freiesleben begleiteten. Nach seiner Rückkehr im November 1795 setzte er seine Arbeit an den beiden Erfindungen mit Hochdruck fort. Nun gab es Phasen, in denen sein Interesse an den Erfindungen alles andere in den Schatten stellte, selbst das inzwischen ausgeweitete Projekt der unterirdischen Meteorologie. Über das Verhältnis beider Seiten seines Studiums schrieb Humboldt damals: 343
▷ So interessant es mir an sich schien, die untersten Schichten der Atmosphäre, wo sie sich tief in die Spalten der festen Erdkruste einsenkt, mit der oberen Wolkenregion zu vergleichen, und zu zeigen, wie es in beyden nebelt, blitzt und weht; so konnte ich mich doch nicht mit einer Untersuchung begnügen, welche zwar mehrere physikalische Kenntnisse erweitert, aber nicht unmittelbar zum Nutzen des praktischen Bergbaus hinführt. Mein eifrigster Wunsch war daher nicht, die Mischung der matten oder bösen Grubenwetter zu kennen, sondern Mittel zu erfinden, durch welche der Nachtheil für das Leben der Menschen, und den Betrieb der Gruben gemindert würde. ◁ Der Erfinder Humboldt erhielt gelegentlich Oberhand über den Naturforscher.
Erste Erfolge Im April 1796 wähnte sich Humboldt erstmals am Ziel seiner Erfindungsarbeit. Während eines Berlinaufenthalts schrieb er an Freiesleben: „Mit der Erfindung meiner Respirationsmaschine bin ich im Großen zu Stande. [...] Auch die Lampe brennt in fixer Luft.“344 Dies erwies sich jedoch bald als Trugschluss. Nach weiteren Unterbrechungen durch Krankheit und eine zweite diplomatische Mission nahm Humboldt erst im September 1796 seine Konstruktionsversuche wieder auf. Zusammen mit Killinger und anderen Bergleuten erprobte er nun die Funktionstüchtigkeit verschiedener Lampenvarianten. Wenig später veröffentlichte
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er in Crells Annalen der Chemie einen Aufsatz, in dem er erstmals technische Details seiner Lampe und Atemmaske preisgab.345 Seine Grubenlampe bestand nun aus den folgenden Teilen: der eigentlichen Öl- oder Wachslampe, einem Sauerstoffbehälter, der über einen Hahn mit einem Wasserbehälter verbunden war, und einem Luftrohr, das den Sauerstoff aus dem Behälter an die brennende Lampe leitete.346 Die Größe und das Gewicht einer solchen Lampe sowie ihr Sauerstoffverbrauch stellten jedoch nach wie vor gravierende technische Probleme dar. Humboldt gab an, seine Lampe sei sieben Zoll weit und zehn Zoll hoch und brenne zwei Stunden lang. Er hielt es jedoch im Prinzip für möglich, die Brenndauer auf acht Stunden zu erhöhen. Auch einen zweiten möglichen Einwurf, die Kosten des Sauerstoffs, nahm er jetzt schon vorweg, indem er auch die Verwendung von gewöhnlicher Luft anstelle von Sauerstoff erprobte. Die Respirationsmaschine, die Humboldt in diesem Aufsatz ebenfalls genauer beschrieb, bestand aus einer blechernen, mit Leinwand und Baumwolle abgedichteten Atemmaske, an der ein Mundstück angebracht war, dessen beide Ventile die Einatem- und Ausatemluft trennten. Das Mundstück war über einen Schlauch mit einem Sack verbunden, der einen Sauerstoff- oder Luftvorrat enthielt. „Die Verfertigung luftdichter Säcke setzten der Ausführung meiner Ideen die geduldprüfendsten Hindernisse in den Weg“, berichtete Humboldt. Unter den infrage kommenden Materialien − Leder, zusammengenähte und mit Kautschuk abgedichtete Tierblasen oder gewachstes Tuch („Wachstaffent“) − entschied er sich für Letzteres. Der Sack wurde zudem von innen durch gedrehte Drähte so stabilisiert, dass er in engen Stollen mitführbar war. Obwohl Sauerstoff für die Atmung effizienter gewesen wäre, gab Humboldt nun vor allem aus praktischen Gründen der gewöhnlichen Luft den Vorzug: „Wie traurig, wenn die Rettung eines Menschen von dem Umstande abhängen sollte, ob Lebensluft, und zwar mehrere Kubikfuß derselben (1 Kubikfuß = 43 Bouteillen) vorhanden wäre?“ 347 Sauerstoff musste immer erst vor Ort aus Braunstein hergestellt werden, während gewöhnliche Luft stets verfügbar war. Verwendete man gewöhnliche Luft anstatt Sauerstoff, so hatte dies freilich Auswirkungen auf die Größe des Luftsacks, die ohnehin kein geringes Problem war. Humboldts Versuche und Berechnungen für einen prismatisch geformten Modellluftsack, der einen Luftvorrat für eine halbe Stunde enthielt, ergaben eine Mindestgröße von vier Quadratfuß Grundfläche und drei Fuß Höhe.348 Eine Höhe bzw. Länge von nahezu einem Meter war nicht gerade eine handliche Größe für einen Sack, den man entweder auf dem Rücken tragen oder mit einer Schnur hinter sich herziehen musste. Die Bezeichnung „Respirationsmaschine“ war also durchaus angebracht.
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Abb. 29 Humboldts Respirationsmaschine. Aus Humboldt (1799a)
Humboldt wehrte derartige Bedenken jedoch mit dem Hinweis ab, bei den meisten Grubenunglücken genügten 12 bis 18 Minuten für die Rettung, sodass auch ein kleinerer Luftsack genügen würde. Humboldt sah seine Respirationsmaschine vor allem als Rettungsgerät bei Bergunglücken, glaubte jedoch, man könne sie auch beim Löschen von Hausbränden und im Mineur-Corps der preußischen Artillerie verwenden. Die Mineure hatten die Aufgabe, bei der Eroberung einer befestigten Stadt, Tunnel unter die Befestigungsanlagen zu graben, in denen sie anschließend Sprengsätze legten. Die bei
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Sprengen auftretende Rauchentwicklung versperrte ihnen jedoch oft die Sicht und rief Atembeschwerden hervor. Dem Freund Freiesleben erklärte Humboldt daher im Oktober 1796, seine Respirationsmaschine sei auch eine Vorrichtung „wie sie ein mineur im Kriege braucht, um durch Pulverdampf zu recognosciren“, und sie sei daher „fürs Kriegscollegium bestimmt“. Mit dem Kriegscollegium hatte er bereits während seines Berlinbesuchs im Frühjahr 1796 Kontakt aufgenommen. Damals hatte er Freiesleben geschrieben: 349
Mit der Erfindung meiner Respirationsmaschine bin ich im Großen zu Stande. Ich habe Ventile die ein leiser Hauch öfnet, und man kann 3 Stunden lang in jeder Luft damit athmen. Der Luftsak wird mit gemeiner Luft gefüllt. Auch die Lampe brennt in fixer Luft. Das O[ber]-Kriegs-Collegium hat die Sache untersucht, und sie besteht. Sie wird auf die minen angewandt, wo der Pulverdampf oft alle mineurs verscheucht.
Lebensgefährliche Experimente Im Herbst 1796 trat ein unerwartetes Problem bei der Arbeit an der Grubenlampe auf. Der Luftstrom durch das gerade Luftrohr war oft so stark, dass er die Grubenlampe auslöschte.350 Im Oktober fand Humboldt eine Lösung für dieses Problem. Er ersetzte das Luftrohr durch einen durchlöcherten Außenring, der die zuströmende Luftmasse aufteilte und von mehreren Seiten an die Flamme heranleitete. Freieswald erfuhr die freudige Nachricht als erster: 351
▷ Seit vorgestern sind wir, ich, Killinger, Sievert, alle Steiger und Bergleuthe, die bei den Versuchen in den 3 Revieren waren, überzeugt, dass meine Lampe völlig zum Praktischen Gebrauch vollendet ist und dass es Zeit sei, zum Verschikken und Verfertigen der großen Lampen zu schreiten. Du kannst nicht glauben, in welchen Taumel der Freude ich darüber bin. Wie viele kostspielige Vorrichtungen werden dadurch vermieden. ◁ Der neuen Konstruktionsvariante mit dem Außenring waren experimentelle Fehlschläge in einem Alaunwerk vorangegangen, die Humboldt beinahe das Leben gekostet hätten. „Fast wäre ich gestern ein Opfer meiner Versuche geworden“, berichtete er Freiesleben. Zunächst verlief der fragliche Versuch, der im Bernecker Alaunwerk stattfand, völlig problemlos, die Lampe „brannte hell in den bösen Wettern“. Dann aber wagte sich Humboldt in gefährlichere Zonen: 352
17. Der Erfinder Humboldt
▷ Ich war neugierig, wollte bis an das faule Holz vor Ort fahren, wo wir den Schwefel verbrannt haben. Ich kroch hinein. Killinger musste zurük bleiben, weil er noch von einem ähnlichen Versuch krank ist, den er in der Nailaer Refier machte. Ich kam bis vor Ort, sezte meine Lampe hin und freute mich unendlich ihres Lichtes. Mir wurde sehr müde, sehr wohl, betaumelt, ich sank in die Knie neben die Lampe. Ich soll Killinger gerufen haben, ich weiß nichts davon. Er tappte im Finstern nach und fand mich ohnmächtig bei der Lampe. Er zog mich hinaus. ◁ Humboldt verschickte mit diesem Brief auch mehrere Lampenvarianten, verbunden mit der Bitte, diese im Marienberger Revier, in dem Freiesleben nun arbeitete, zu erproben. Auch ein Exemplar der Atemmaske befand sich in der Post.
Abschluss der Erfindungsarbeit Trotz seiner jüngsten, positiv verlaufenen Versuche im Bernecker Alaunwerk war Humboldt noch nicht vollständig überzeugt, dass seine Lampe in restlos allen lokalen Grubenwettern funktionieren würde. Seine Bitte an Freiesleben, die Testversuche auf die Marienberger Gruben auszuweiten, diente daher dem weiteren Aufschluss über ihre Funktionsfähigkeit. Einen Monat später berichtete ihm Freiesleben von Erfolgen, jedoch auch von technischen Problemen und Fehlschlägen. Er bemängelte vor allem die schwierige Handhabung der Lampe, wobei er durchaus bereit war, dies der eigenen Ungeschicklichkeit zuzuschreiben.353 Mit der Lampe in der Hand, so Freiesleben, habe er sich in der Grube nur sehr langsam vorwärts bewegen können, denn schon bei geringfügigen Schwankungen beim Gehen sei die Lampe erloschen. Zudem sei der Docht der Lampe zu dick und zu kurz, sodass sie schwer anzuzünden sei, der Luftbehälter zu klein, und das Licht leuchte nur eine kurze Strecke aus. Daraufhin führten Humboldt und Freiesleben getrennt voneinander weitere Versuche durch, über die sie sich schriftlich austauschten. Immer wieder nahmen sie kleine technische Abänderungen vor. Am 20. Dezember schrieb Freiesleben schließlich an Humboldt, die Lampen hätten in restlos allen matten Wettern der Marienberger Gruben gebrannt, seien jedoch immer noch schwer anzuzünden und anfällig gegen Erschütterungen.354 Humboldt arbeitete an seinen beiden Erfindungen weiter bis kurz vor der Beendigung seines Dienstverhältnisses im Winter 1796/97. Am 21. Dezember 1796 schrieb er an Abraham Gottlob Werner: „Die Erfindung meines Lichthalters ist nun vollendet. Meine Gesundheit hat bei dieser Arbeit gelitten. Sie hat mir unselige Mühe gekostet.“ Auch die Arbeit an der Atemmaske war nun weitgehend abgeschlossen.355
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Humboldt war fest davon überzeugt, dass ihm zwei wichtige technische Erfindungen gelungen waren. Er war nicht der einzige Naturforscher und nicht der einzige Techniker, der an derartigen Projekten arbeitete und den brandneuen Stoff Sauerstoff praktisch nutzbar machen wollte. Der Jenaer Chemiker und Apotheker Johann Friedrich A. Göttling (1753 – 1809), Herausgeber der Zeitschrift Alamanch oder Taschen-Buch für Scheidekünstler und Apotheker, beschrieb 1797 eine von ihm selbst konstruierte, mit Sauerstoff brennende Lampe, die derjenigen Humboldts ähnlich war. Ein Breslauer „Mechanikus“ namens Klinger erfand im Januar 1796 ebenfalls eine mit Sauerstoff brennende Lampe, die noch größere Ähnlichkeit mit der Grubenlampe Humboldts aufwies. Klinger beanspruchte, dass seine für Mineure vorgesehene Lampe, die mit einem einen Kubikfuß messenden, mit Sauerstoff gefüllten Behälter verbunden war, fünf bis sechs Stunden brenne.356 Er bot sie dem schlesischen Minister Graf von Herzberg zum Kauf an, doch dieser lehnte ab.
18. Naturforschung und Erfindungsarbeit Wir haben gesehen, dass Humboldt für die Konstruktion seiner Grubenlampe und Respirationsmaschine zunächst Sauerstoff verwendete, in einer späteren Phase der Erfindungsarbeit den Sauerstoff jedoch aus praktischen Gründen durch gewöhnliche Luft ersetzte. Sauerstoff ist heute ein wohlbekannter, fast alltäglicher Stoff, aber im späten 18. Jahrhundert war er eine Neuheit. Er war ein materielles Produkt chemischer Forschung, und zwar eines, das erstaunlich schnell zur praktischen Anwendung kam. Neben medizinischen Verwendungen gab es schon früh Versuche, den Sauerstoff für effizientere Verbrennungsprozesse zu nutzen. Wir werden später noch sehen, dass Humboldt den Sauerstoff nicht nur für seine Grubenlampe und Respirationsmaschine nutzte, sondern im März 1793 auch den Versuch unternahm, ihn beim Emaillieren in der Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur einzusetzen.357 Die chemische Zerlegung der Luft, die seit der Antike als unzerlegbares Element galt, und die experimentelle Identifizierung ihrer gasförmigen Bestandteile, die zu der Schlussfolgerung führte, dass es verschiedene Gas- oder „Luftarten“ gab, gehörten zu den Pionierleistungen der Chemie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Sie waren die Voraussetzung für neue Theorien über die Verbrennung und „Verkalkung“ der Metalle (später „Oxidation“), die auch auf die Atmung und andere Stoffwechselprozesse übertragen wurden. Diese Theorien, die zuerst als Phlogistontheorie und dann als „Oxidationstheorie“ bekannt wurden, enthielten Grundwissen,
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auf das Humboldt bei allen Messungen zurückgriff. Dazu gehörte die Annahme, dass sowohl bei der Verbrennung als auch der Atmung Sauerstoff („Lebensluft“) verbraucht wurde und dass diese phänomenologisch verschiedenen Prozesse ohne Anwesenheit von Sauerstoff zum Erliegen kommen.358 Für uns klingt das heute banal, aber zu Humboldts Zeiten war dies neues chemisches Wissen. Nicht weniger neu war die materielle Verfügbarkeit von Sauerstoff und anderen „Luftarten“ oder Gasen. Humboldt hatte 1792 in einem Aufsatz über Salzwerkskunde geschrieben, die Erfindungsarbeit sei erfolgversprechender, wenn sie auf die Wissenschaften zurückgreife.359 Als einschlägiges Beispiel hatte er damals das aus der Chemie stammende Wissen über die Zusammensetzung von Kochsalz angeführt, das eine Voraussetzung für die Erfindung der Chlorbleiche von Textilien im späten 18. Jahrhundert war. Chlor war ein materielles Produkt der chemischen Analyse des 18. Jahrhunderts. Der schwedische Chemiker Carl Wilhelm Scheele hatte 1774 dieses gelbliche Gas mit dem eigenartigen stechenden Geruch bei Experimenten mit Salzsäure und Braunstein entdeckt, aber weitere Experimente waren notwendig, um es in reiner Form herzustellen und chemisch eindeutig zu identifizieren. Ebenso wie Chlor, war auch der Sauerstoff ein materielles Produkt der chemischen Forschung. Weder in der Natur noch im damaligen Handwerk gab es derartige Gase in reiner und isolierter Form. Die Wissenschaft trug somit durch ihre Experimente und analytischen Verfahren zur Herstellung neuer Stoffe bei. Zu den für technische Verbesserungen und Erfindungen nützlichen Teilen der Wissenschaft Chemie gehörten nicht zuletzt auch die gaschemischen Instrumente wie das Eudiometer und der pneumatische Apparat zum Auffangen von Gasen. Die Wissenschaft Chemie wurde jedoch in solchen Fällen nicht einfach „angewandt“ in dem Sinn, dass sie ein komplettes Instrumentarium und eine Anleitung für die technische Nutzung und Erfindungsarbeit bereitgestellt hätte. Wie die stets von neuem auftretenden Hindernisse in Humboldts Erfindungsarbeit gezeigt haben, lieferte sie lediglich einzelne Bausteine und Konstruktionsprinzipien, die durch Tüfteln und Probieren ergänzt werden mussten. Wie es auch bei den Erfindungen in der Moderne oft der Fall ist, griffen wissenschaftliche Elemente und handwerklich-technisches Wissen und Können ineinander und ermöglichten erst durch ihre Interaktion die Konstruktion neuer technischer Artefakte.
Humboldt vermisst die Grubenluft mit dem Eudiometer Im September 1796, parallel zu seiner Erfindungsarbeit, schrieb Humboldt an Freiesleben, er führe jetzt auch chemische Experimente mit Gasen durch, und zwar
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mit „ganz reine[n] Gasarten“, die er mit dem Eudiometer untersuche.360 Eudiometer sind wörtlich verstanden „Luftgütemesser“. Der englische Chemiker Joseph Priestley hatte 1772 mit diesem Instrument die Güte der gewöhnlichen Luft bestimmt, wobei „Luftgüte“ die Eignung zum Atmen bedeutete. „Luftgüte“ war als eine Größe definiert, die direkt vom Gehalt an Lebensluft (Sauerstoff) abhing. Ein Eudiometer maß somit den Lebensluftgehalt in der gewöhnlichen Luft oder einer anderen Luft- oder Gasart. Das Gerät bestand aus einer einseitig verschlossenen und kalibrierten Röhre, die meist aus Glas bestand und die zu testende Luftart enthielt. Das offene Ende der Röhre wurde in Wasser oder eine andere Sperrflüssigkeit getaucht. Priestley, der mit seinem Experiment die gewöhnliche Luft analysierte und ihren Lebensluftgehalt bestimmte, handhabte das Eudiometer folgendermaßen. Er verwendete „Salpeterluft“ (später „Stickstoffmonoxid“) als Reagenz für den Sauerstoff und leitete diese durch das offene, in Wasser eintauchende Ende der Röhre in das mit gewöhnlicher Luft gefüllte Eudiometer. Dann brachte er das Luft-Salpeterluft-Gemisch durch Erhitzen zur Reaktion. Nach heutigem Verständnis reagiert dabei der Sauerstoff der Luft vollständig mit dem Stickstoffmonoxid zu Stickstoffoxiden (hauptsächlich Stickstoffdioxid). Infolge der Wasserlöslichkeit der Stickstoffoxide entstand ein Unterdruck, der das Aufsteigen der Sperrflüssigkeit in den Glaszylinder bewirkte, sodass nach dem Erkalten des Eudiometers eine Volumenverminderung der eingeschlossenen Luft ablesbar war. Je mehr Sauerstoff die Luft enthielt, desto stärker war die Volumenverminderung und desto besser die Luftgüte. Eudiometer gehörten im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zu den begehrtesten Messinstrumenten der Naturforschung. Es gab unzählige Versuche der Verbesserung des Instruments und seiner methodischen Handhabung, sodass sich eine Vielzahl von Eudiometervarianten bis hin zu einer speziellen Eudiometerforschung entwickelten.361 Priestleys Verfahren mit „Salpeterluft“ hatte den Nachteil, dass die Salpeterluft vor jedem Test neu hergestellt werden musste. Daher versuchte man schon früh, dieses Reagenz durch andere, leicht oxidierende Stoffe zu ersetzten. Zu diesen Ersatzmitteln gehörten „Schwefelleber“ (später „Kaliumsulfid“) und Phosphor, die als Feststoffe überdies leicht transportierbar waren. Humboldt experimentierte sowohl mit einem Phosphoreudiometer (nach Heinrich Reboul) als auch mit einem von Guyton de Morveau entwickelten Eudiometer, in dem Schwefelleber als Oxidationsmittel eingesetzt wurde.362 Denn er benötigte ein einfaches, transportierbares Meßgerät, das er auf seinen Ritten in die Gruben mitnehmen konnte. Das „neue Eudiometer von Morveau mit trokner Schwefelleber beschäftigt mich sehr“, schrieb er im September 1796 an Freiesleben, weil es „leicht
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selbst zu machen und prächtig zur Untersuchung der Grubenwetter“ ist. Zwei Wochen später berichte er seinem Freund auch über Fortschritte seines Umbaus des Phosphoreudiometers:
▷ Ich fahre fleißig [ein] und mache nun wirklich Experimente über Analyse der Wetter, die sehr auffallend sind. Ich habe nemlich Rebouls Phosophoreudiometer so vereinfacht, dass ich das Instrument selbst mache. ◁ Dem folgte eine ausführliche, mit Skizzen veranschaulichte Anleitung für den Bau dieses Instruments, das nun zu seinem Favoriten für die gaschemischen Experimente in Gruben avancierte: 363
▷ Das ist meine Einrichtung. Kann es etwas sichereres und einfacheres geben? Ich reite oft mit dem Instrument, mache Ver[suche] in der Grube selbst, was bei dem alten Eud[diometer] mit Salpeterluft kaum möglich war. Das calibrirte Glasrohr und eine Flasche mit Phosphor samt Wasser ist alles, was man braucht. Ich habe nun ein großes Eudiometr[isches] Werk vor. ◁
Das Messfieber bricht aus Humboldts eudiometrische Messungen dienten sowohl der Naturforschung im Zusammenhang mit seiner „unterirdischen Meteorologie“ als auch seiner Arbeit an der Erfindung der Grubenlampe. Beim Testen seiner Grubenlampe stellte sich wiederholt die Frage, warum diese in manchen Gruben trotz aller Verbesserungsversuche erlosch. Lag dies an einer unkontrollierten, falschen Handhabung der Lampe oder an der Zusammensetzung der lokalen Grubenwetter? Wenn der Grund dafür ein zu niedriger Sauerstoffgehalt der Grubenwetter war, so musste die Sauerstoff- bzw. Luftzufuhr der Lampe verbessert werden. Nachdem zum Beispiel im Bernecker Alaunwerk die Grubenlampe im Oktober 1796 wiederholt erloschen war, testete Humboldt die dortige Luft mit dem Eudiometer. Die Messergebnisse teilte er Freiesleben in demselben Brief mit, in dem er von seinem fast tödlich verlaufenen Unfall in dieser Grube berichtete.364 Die eudiometrischen Messungen trugen schließlich zu der oben beschriebenen Idee bei, die Luft zuführende Röhre der Grubenlampe durch einen die Flamme umschließenden Ring zu ersetzen. Im Oktober 1796 begann Humboldt, seine eudiometrischen Messungen der Grubenluft durch oberirdische Luftmessungen zu ergänzen. Bald sollten ausgedehnte „eudiometrische Stationen“ in Tälern und auf Hügeln folgen, die auch mit Thermo-
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metern und Barometern ausgerüstet werden sollten. Nicht nur das Fichtelgebirge sollte von solchen Messstationen überzogen werden, sondern auch das sächsische Erzgebirge, die Schweiz und mehrere Großstädte wie Hamburg, Berlin und Paris. Das Messfieber hatte Humboldt ergriffen, ein „großes eudiometrisches Werk“ wurde nun geplant.365 Wie viele andere Naturforscher hatte Humboldt die Erfahrung gemacht, dass die Eudiometrie selbst zum Untersuchungsgegenstand gemacht werden musste, wenn man verlässliche Messergebnisse erhalten wollte. Humboldt führte diese Experimente nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst fort und ließ sie in seine 1799 veröffentlichte Monographie Versuche über die chemische Zerlegung des Luftkreises einfließen. 366
Das praktische Resultat von Humboldts Erfindungen Humboldt war von der Bedeutung seiner beiden Erfindungen auch nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst im Februar 1797 voll und ganz überzeugt. Als er sich 1799 bereits in Spanien aufhielt, um sich auf seine erste große Weltreise vorzubereiten, schrieb er: 367
▷ Jetzt da mir meine äußere Lage auf einige Zeit hinaus, alle Gelegenheit abschneidet, noch etwas zur Vervollkommnung meines Apparats zu thun, zögere ich nicht mehr mit dessen völliger Bekanntmachung, indem ich es selbst für unmoralisch halte, aus Dingen, welche auf das Beste des Bergbaus Bezug haben, ein Geheimnis zu machen. Auch bin ich überzeugt, dass Unvollkommenheiten, die den Gebrauch jener Instrumente in der einen oder anderen Hand, vielleicht noch erschweren, bey der Aufmerksamkeit, welche mehrere praktische Bergleute jetzt auf sie wenden, bald hinlänglich abgeholfen werden wird. ◁ Obwohl Humboldt zu dieser Zeit die Welt des Bergbaus und Beamtenlebens hinter sich gelassen hatte und sich gerade auf eine aufregende Welt- und Forschungsreise vorbereitete, schien er geradezu zu bedauern, dass ihm nun die Gelegenheit „abgeschnitten“ war, weiter an der Vervollkommnung seiner Erfindungen und deren Überführung in die Praxis zu arbeiten. Da er die Geheimhaltung einer nützlichen Erfindung für unmoralisch hielt, stimmte er der Veröffentlichung seiner Arbeiten in allen technischen Details zu. Nach allem, was wir wissen, sind seine Erfindungen jedoch nie angewendet worden. Dennoch stellt Humboldts Erfindungsarbeit im historischen Rückblick mehr dar als eine kuriose Episode. Seine intensive Erfindungsarbeit ist vielleicht der stärkste
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Beleg für sein tiefes Interesse am Bergbau und der Verknüpfung von wissenschaftlicher Forschung, Innovation und Sozialreform. Der Fall zeigt überdies, dass ein enger sachlicher und methodischer Zusammenhang zwischen Naturforschung und Erfindungsarbeit bestand, aus dem sich wechselseitige Impulse ergaben. Schließlich ist Humboldts Erfindungsarbeit auch ein Beleg für eine Innovationskultur in der Frühphase der preußischen Industrialisierung, die weit über den bloßen Wissenstransfer aus England hinausging und eigenständige Leistungen einschloss, auch wenn diese heute auf den ersten Blick nicht leicht erkennbar sind.
Äußere und innere Zwecke der Wissenschaften Wie wir gesehen haben, implizierte Humboldts Erfindungsarbeit keine einseitige Festlegung der Forschung auf ihre praktische Nützlichkeit. Abgesehen von einer kurzen Phase, in der er sich mit voller Energie auf das Tüfteln konzentrierte, spielten gaschemische Naturforschung und Erfindungsarbeit eine gleichberechtigte Rolle. Humboldt brachte beide in eine fruchtbare Interaktion. Erst von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an würden Erfindungsarbeit und technologisches Explorieren einerseits und Naturforschung andererseits ideologisch gegeneinander ausgespielt werden. In einer 1797 erschienen Schrift Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser reflektierte Humboldt explizit über die unterschiedlichen, aber gleichberechtigten Ziele seiner Forschung. Dabei standen seine Experimente zur galvanischen Reizung von Muskel- und Nervenfasern für ein Wissensfeld, das sich in den 1790er-Jahren unabhängig von Nützlichkeitsaspekten entwickelte. Humboldt argumentierte offensiv für die Legitimität dieser Art Forschung, auch in Hinblick auf seine eigenen Verpflichtungen als Oberbergmeister und die Tatsache, dass Minister von Heinitz und seine Freiberger Freunde die nützlichen Wissenschaften favorisierten. „Welchen Nutzen gewährt die Untersuchung galvanischer Erscheinungen?“ fragte Humboldt in seiner Schrift, um dann festzustellen:
▷ Wenn man ehemals sich scheute, aus der Sphäre des Theoretikers etwas in die des Practikers überzutragen, [...] so ist man jetzt dagegen ins entgegengesetzte Extrem verfallen. ◁ Humboldt beschrieb somit sein eigenes Milieu durchaus kritisch. Dagegen argumentierte er, die Wissenschaften hätten auch einen „inneren Zweck“, und der Naturforscher müsse auch dem „inneren Zusammenhang seiner Erkenntnisse“ nachgehen.
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Die Chemie zum Beispiel sei auch dann noch „ein wichtiges Ziel menschlicher Untersuchung“, wenn sie „gar keinen Einfluß auf die Gewerbe des bürgerlichen Lebens hätte.“ „Alles ist wichtig, was die Grenzen unseres Wissens erweitert und dem Geist neue Gegenstände der Wahrnehmung oder neue Verhältnisse zwischen dem Wahrgenommenen darbietet“, fügte er hinzu.368 Dies galt auch für den physiologischen Galvanismus, denn dieser hatte damals, abgesehen von einigen marginalen medizinischen Anwendungsbereichen, keinen praktischen Nutzen. Auf die Unterscheidung zwischen inneren und äußeren Zwecken der Wissenschaften und seine Warnung vor falschen Alternativen kam Humboldt zwei Jahre später nochmals mit folgenden Worten zurück:
▷ So wenig ich daher auch denen zu gefallen strebe, welche den innern Zweck der Wissenschaften den äussern unterordnen [...] so wenig verkenne ich den Beruf derer, deren Tätigkeit nach aussen gerichtet ist, alles zu versuchen, was die Wissenschaften zur Vervollkommnung der technischen Gewerbe darbieten können. ◁ Es ging nicht an, ergänzte er, dass „man den Werth jeder wissenschaftlichen Untersuchung darnach bestimmt[e], ob sie einen nähern oder entferntern Einfluss auf die Gewerbe der Menschen habe“. Umgekehrt solle man aber immer dann, wenn dies erfolgversprechend scheine, wie im Fall chemischer Luftanalysen, Versuche für die „Vervollkommung des technischen Betriebs“ unternehmen.369 Die letzte Bemerkung bezog sich direkt auf seine eigenen Studien der Grubenluft und die Arbeit an der Erfindung der Grubenlampe und Respirationsmaschine.
19. Humboldt quittiert den Staatsdienst (1797) Im Winter 1797 quittierte Humboldt den preußischen Staatsdienst. Was waren die Gründe dafür? In der Humboldtliteratur ist fast durchgängig behauptet worden, Humboldt sei von seiner Mutter zum Staatsdienst gezwungen worden, obwohl er sich selbst voll und ganz den reinen Wissenschaften und Forschungsreisen widmen wollte. Als die Mutter im November 1796 verstorben und Humboldt somit zu einem ansehnlichen Erbe gekommen sei, so das Argument weiter, habe er sich sofort aus den Fesseln des Brotberufs befreit.370 Diese Interpretation projiziert die Ideologie „reiner Wissenschaften“ der Moderne in das 18. Jahrhundert zurück. Sie widerspricht den historischen Dokumenten, die
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uns der junge Humboldt hinterließ, unter denen sich auch viele private, sehr persönliche Briefe befinden, die eine ganz andere Sprache sprechen. Diese Dokumente belegen Humboldts genuine Begeisterung für alles Technische, seinen ungebrochenen Glauben an den technischen und sozialen Fortschritt und seine Überzeugung, den Wissenschaften komme dabei eine ausschlaggebende Rolle zu. Ebenso bezeugen sie seinen entschiedenen Willen, selbst praktisch Hand anzulegen, technische Verbesserungen vorzunehmen und dem Gemeinwohl zu dienen. Humboldt stand in dieser Hinsicht nicht allein, er partizipierte vielmehr an einem Reformbündnis aus Staatsbeamten, Naturforschern und Technikern, die seine Ziele teilten. Wenn Humboldt somit den Staatsdienst nach rund fünfjähriger Beamtentätigkeit wieder verließ, so hat ihm sein Erbe diese Entscheidung sicherlich erleichtert, da es ihn finanziell unabhängig machte. Aber es war ebenso wenig ihr wirklicher Grund wie sein angeblicher Drang nach reiner Forschung. Wie wir oben gesehen haben, bedeutete die ungewollte diplomatische Reise mit Minister von Hardenberg im Herbst 1794 einen tiefen Einschnitt für Humboldt, der bis dahin schon mehrere Enttäuschungen durch Intrigen und unangemessene Anforderungen von Seiten des Ministers von Heinitz hinnehmen musste. Von dieser Zeit an dachte er laut über die Beendigung des Staatsdiensts nach. Heinitz erwartete von seinen Beamten Subordination, auch wenn er gegenüber dem Adligen Humboldt zu kleineren Zugeständnissen bereit war. Am Beispiel der Karriere des bürgerlichen Bergrats Carl Abraham Gerhard haben wir dagegen gesehen, dass der preußische Minister seinen eigenen Willen zuweilen auch weniger rücksichtsvoll durchsetzte. Humboldt hatte sich schon während seines Aufenthalts als Bergassessor über Willkürmaßnahmen in der Berliner Behörde und die reaktionäre politische Atomsphäre unter Friedrich Wilhelm II. beklagt. Nach weiteren Erfahrungen wurden seine anfänglichen Zweifel nur noch verstärkt. Der Prozess seiner Distanzierung vom Staats- und Machtapparat vollzog sich jedoch schrittweise und war von Unsicherheiten durchsetzt, die ihn wiederholt zum Einlenken und Weitermachen bewegten. Im Frühjahr 1794, wenige Monate vor Ablauf seiner auf zwei Jahre festgesetzten Dienstzeit als fränkischer Oberbergmeister, wurde Humboldt zum Bergrat in der Berliner Bergbehörde ernannt. Damit setzte Heinitz ein deutliches Zeichen dafür, dass er neue Pläne für seine weitere Laufbahn hatte. Kurz danach versuchte er, Humboldt zur Übernahme einer Oberbergmeisterstelle in Westfalen oder Rothenburg zu bewegen. Dann entschloss er sich, ihn nach Schlesien zu versetzen. Da Heinitz seit langem krank war, wünschte er sich Unterstützung in Berlin durch einen Vertrauten, und dafür kam nur sein Neffe von Reden in Frage. Redens Aufgaben in
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Schlesien sollten wiederum von Humboldt übernommen werden. Nachdem sich Humboldt mit Reden über diesen Plan beraten hatte, lehnte er ab.371 Aus dem Briefwechsel zwischen Humboldt und Reden geht hervor, dass beide die Berliner Behörde mit großer Skepsis betrachteten. In einer Residenzstadt und einem vorwiegend mit administrativen Aufgaben beschäftigten Beamtencorps war die Anfälligkeit für Intrigen noch ungleich höher als in den regionalen Bergämtern. Humboldt nahm gegenüber seinem Freund Reden kein Blatt vor den Mund. Seine Warnungen kulminierten in dem Ausruf: „Mais les hommes − hélas les hommes sont souvent bien mauvais“ („Aber die Menschen − ach, die Menschen sind oft schlecht“). Ein halbes Jahr später schrieb er nochmals an Reden: 372
▷ Sie werden mit Menschen zu kämpfen haben, das heißt mit Böswilligkeit und Vorurteilen. ◁
Das Ideal des gemeinnützigen Mannes Im April 1795 unternahm Heinitz einen erneuten Versuch, Humboldt zur Übernahme einer neuen Position zu bewegen, in dem er Argumente als Waffe einsetzte. Der Minister hatte genügend Menschenkenntnis, um zu wissen, wie er den jungen Oberbergmeister packen konnte. Eindringlich führte er ihm vor Augen, als Bergbeamter könne er sowohl praktisch als auch wissenschaftlich wirksam sein. Auf diese Weise könne er sein „Ideal des gemeinnützigen Mannes“ verwirklichen: 373
▷ Indem aber Ew. Wohlgebohren sich einer der gedachten beiden Provinzen und den darin befindlichen Berg-, Hütten-, Salzwerk- und Fabrikanstalten widmen, können und werden Sie zugleich sich den Wissenschaften nützlich machen, Erfahrungen für diese sammeln, Beobachtungen bestätigen, oder Widerlegung von aufgestellten Theorien theils selbst machen, theils andere darzustellen veranlassen, und so das Ideal des gemeinnützigen Mannes erreichen. ◁ Als dieser Brief geschrieben wurde, wusste Heinitz noch nicht, dass Humboldt sich bereits zur Beendigung seiner Beamtenlaufbahn entschieden hatte. Wenige Tage zuvor, am 26. März, hatte er Friedrich Wilhelm II. schriftlich um seine Entlassung gebeten. Aber auch Minster von Hardenberg war inzwischen nicht untätig geblieben. Am 21. April 1795 schrieb dieser einen Brief an den König mit der Bitte, Humboldt zum Oberbergrat zu ernennen und ihn weiterhin in Franken zu belassen. Der König kam dieser Bitte nach: „Ihr könnt denselben [von Humboldt] bei Euerm
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Department in Bergwerks-, Manufactur- und Commerzsachen vortragen lassen und zu Commissionen gebrauchen“, antwortete er, und „ihm zugleich zu seinen vorhabenden auswärtigen Reisen den Urlaub nach Umständen ertheilen. Ich hoffe, dass der von Humboldt auf diese Weise ferner sehr nützlich sein werde, da ich weiss, dass er äusserst fleissig ist und sich applicirt.“ 374 Mit dieser Lösung war Humboldt vorerst einverstanden. Er zog sein Entlassungsgesuch zurück und blieb noch fast zwei Jahre lang in Franken, in denen er nicht zuletzt an seinen beiden Erfindungen arbeitete. Im Februar 1797 quittierte Humboldt den Staatsdienst jedoch und reiste aus Franken ab. Eine seiner letzten Amtshandlungen war die Fertigstellung des Abschlussberichts Kurze Darstellung der gegenwärtigen Verhältnisse des Bergbaus in den Fränkischen Fürstenthümern. In diesem Bericht zog er Bilanz der technischen und administrativen Verbesserungen, die seit der preußischen Regierungszeit erreicht worden waren.375 Wir unterbrechen hier unsere Überlegungen über die Frage, warum Humboldt aus dem Staatsdienst ausschied und werfen einen Blick auf seinen Abschlussbericht, der uns als unveröffentlichtes Manuskript erhalten geblieben ist.
Humboldts Abschlussbericht Der Bericht wirft erneut Licht auf Humboldts Motive für den Staatsdienst und sein Engagement für den Bergbau. Mit voller Energie hatte er sich für die Verbesserung des fränkischen Bergbaus eingesetzt, der „für den Wohlstand und den Gewerbefleis des Volkes“ wichtig war. Humboldt war jedoch weit davon entfernt, die eigene Arbeit als Oberbergmeister in ein rosiges Licht zu tauchen. Über das Wunsiedler Bergrevier sagte er beispielsweise offen, es befinde sich nach wie vor „in einem chaotischen Zustande“. Und auch über den Nailaer Bergbau schrieb er, dieser habe „kaum noch einen schwachen Schimmer seines vormaligen Glanzes“.376 Dem „Bergvolk“ bescheinigte er jedoch, es sei treu, ausdauernd, patriotisch und in „guter Stimmung“. Humboldt führte dann eine Reihe von Bedingungen auf, die erst erfüllt sein mussten, um „eine Epoche der Ordnung auf die chaotische Vergangenheit folgen zu lassen“. Dazu gehörte der Verzicht auf Prestigeprojekte und die Konzentration auf solche Verbesserungen, die „den Wohlstand der Unterthanen“ förderten. Eine weitere Bedingung war die Rekrutierung sachkundiger und leistungsbereiter Beamter. „Man wird alle Mittel aufbieten“ müssen, schrieb Humboldt, „um sich geschickte und arbeitsame Obersteiger, Geschworene und Bergmeister zu ziehen. Der Mangel derselben ist bei vielfältigen, nicht immer mißrathenen Versuchen, den technischen Betrieb zu vervollkommnen, bereits in diesen Jahren lebhaft gefühlt worden.“ 377
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Humboldt hatte selbst einiges unternommen, um sachkundige Bergbeamte für die fränkischen Bergämter einzustellen und die Kenntnisse der einfachen Bergleute zu verbessern. Ende 1793 hatte er die Königliche Bergschule in Steben gegründet und mehreren jungen Männer zu einem Stipendium für die Freiberger Bergakademie verholfen. Auch einige technische Verbesserungen konnte er vorweisen. Im Bergamt Goldkronach war der Abbau von Golderzen versuchsweise wieder aufgenommen und allmählich gesteigert worden. Nach zahlreichen Versuchen stand die Einführung der Goldamalgamation kurz bevor. Selbst im „chaotischen“ Wunsiedler Bergrevier, das reich an Eisenerzen war, war es gelungen, die Eisenerzförderung nahezu zu verdreifachen. Humboldt empfahl, dort weitere Eisenhüttenwerke zu errichten, sodass man das überschüssige Eisenerz nicht im Ausland verkaufen musste.378 Im Nailaer Bergrevier, in dem vorwiegend Kupfer und Eisen abgebaut wurde, war im Winter 1793 unter Humboldts Ägide der Bau des Friedrich-Wilhelm-Stollens begonnen worden. Der Baubeginn des Friedrich-Wilhelm-Stollens war vielleicht Humboldts größter praktischer Erfolg. Denn er hatte diesen neuen Entwässerungsstollens selbst geplant und „alles bis auf die Spindenägel berechnet“. Humboldt verwies darauf, dass der Bau des neuen Stollens auch schon interessante geognostische Beobachtungen ermöglicht habe und man auf silberhaltige Bleierzvorkommen gestoßen sei. Letzteres bestätige seine schon lange gehegte „Vermuthung, dass die Steebener Erze sich in der Teufe ändern“. Für die nachfolgenden Generationen versprach er sich aufgrund dieser Erfahrung einen generellen Aufschwung des Bergbaus durch einen nachhaltigen Erzabbau in größerer Tiefe. Der Friedrich-Wilhelm-Stollen ermögliche es, so Humboldt, „den Stebener Bergbau, der mit dem Wohlstande des Landvolks so innigst verbunden ist, auf die entferntesten Zeiten zu sichern.“ 379 Damit lag Humboldt ganz auf der Linie des Ministers von Heinitz, der seit Jahrzehnten die Politik eines nachhaltigen Bergbaus verfolgte.
„Ich bin für den praktischen Bergbau bestimmt, den ich liebe, weil er mich mit der unmittelbaren Beobachtung der Natur näher bringt“. Kommen nun wir auf unsere Eingangsfrage zurück. Warum verließ Humboldt 1797 den preußischen Staatsdienst? Nach allem was bisher gesagt wurde, dürfte klar sein, dass es hierauf keine ganz einfache Antwort gibt. Wir haben gesehen, dass der Bergbau für Humboldt alles andere als ein ungeliebtes Metier war und dass er sich aus tiefster Überzeugung für technischen und sozialen Fortschritt enga-
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gierte. Mindestens ebenso wichtig war für ihn, dass sich seine Arbeit als Oberbergmeister mit seinen naturwissenschaftlichen Interessen vereinbaren ließ. Aus dem Zusammenspiel von Grubeninspektion und Naturbeobachtung, Erfindungsarbeit und Naturforschung, entwickelte sich eine Forschungsdynamik mit wechselseitig verstärkenden Effekten. Wir haben gesehen, dass Humboldt in seiner Zeit als Oberbergmeister mineralogische, geognostische, meteorologische und chemische Forschungen betrieb, die ihn weit über die Grenzen Deutschlands als Naturforscher bekannt machten. Seine galvanisch-physiologischen Studien ausgenommen, schuf der Bergbau geradezu ideale materielle Bedingungen für sein umfangreiches Forschungsprogramm. Bereits in Freiberg hatte er erfahren, dass die unterirdische Welt der Gruben die Grenzen der Naturforschung neu definierte. Seinem früheren Erzieher Johann Heinrich Campe hatte er damals geschrieben: „Ich bin für den praktischen Bergbau bestimmt, den ich liebe, weil er mich mit der unmittelbaren Beobachtung der Natur näher bringt.“ 380 Humboldts Wegbegleiter bestätigten diese Sichtweise. Hardenberg bemerkte einmal treffend über Humboldt, dass er „indem er die Gruben befuhr, zugleich das Gezimmer der Erde studierte“.381 Ähnlich äußerte sich Wilhelm von Humboldt über seinen Bruder: 382
▷ Seine Lage als Oberbergmeister gab ihm überdies Gelegenheit, eine größere Anzahl interessanter Beobachtungen zu sammeln, und sicherer und besser, als es bloße Theoretiker zu thun im Stande gewesen wäre, das Ausführbare von dem Unausführbaren abzusondern. ◁ Es gab in der Tat nur wenige Orte auf der Welt, die in so geballter Form geognostisches und mineralogisches Anschauungsmaterial boten wie Gruben. Hier konnte man mineralhaltige Flötze und Gebirgsklüfte, unterirdisch verlaufende Erzgänge und Gesteinsschichtungen beoachten. Ohne beschwerliche Reisen unternehmen zu müssen, stieß man auf seltene Mineralien und Gasarten, die den meisten Chemikern vorenthalten und daher unbekannt blieben. Humboldt verstand es, die Gruben in gaschemische Laboratorien zu verwandeln. In den fränkischen Gruben analysierte er Grubengase, vermaß ihren Sauerstoffgehalt mit dem Eudiometer und nutze die Messergebnisse für seine Erfindungen. Selbst seine Reiselust kam nicht zu kurz. Humboldt unternahm nicht nur Dienstreisen, sondern erhielt auch monatelangen Urlaub für Privatreisen.
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Zwei Sachverhalte sind es hauptsächlich, die Humboldt zum Abschied vom preußischen Staatsdienst bewegten. Der lange gehegte Wunsch einer großen Weltreise war ohne mehrjährige Abwesenheit aus Preußen nicht realiserbar und daher mit dem Staatsdienst unvereinbar. Dazu kam ein Bündel weiterer, gewichtiger Gründe, die sich aus den Machtverhältnissen im preußischen Beamtenapparat ergaben. Humboldt hegte große Achtung für Minister von Heinitz, der auf seine eigene Weise das Ideal des gemeinnützigen Mannes vertrat. Dennoch fehlte es nicht an Konfliktstoff. Die gesellschaftspolitischen Differenzen zwischen dem Pietisten Heinitz und dem Aufklärer Humboldt sind unübersehbar. Wenn Heinitz in seinen Schriften auch das kameralistische Ideal der „öffentlichen Glükseligkeit“ vertrat und zu „weniger Ungerechtigkeiten, weniger Grausamkeiten“ aufrief, so orientierte sich seine Praxis meist an anderen, konservativeren Werten. Die Bergleute waren für ihn Untertanen, die seinen Befehlen zu gehorchen hatten, und Argumente ihnen gegenüber dienten bestenfalls als Instrumente für eine bereitwilligere Akzeptanz von Befehlen. Der adlige, pietistische Minister war davon überzeugt, es sei das gottgewollte Schicksal des „Standes“ der Bergleute, dass dieser einer „mühseligen, öffters mit Leib- und Lebens-Gefahr verknüpfften“ und „der Gesundheit nachtheiligen“ Arbeit nachging. Für ebenso gottgegeben hielt er die Tatsache, dass trotz harter und gefährlicher Arbeit nur für den „notdürftigsten Unterhalt“ der Bergleute gesorgt war. Die Bergbehörden müssten diesen „nüzlichen Unterthanen“ nur „eine eigene Tracht, Verfaßung, einfache und kurze Rechte und besondere Richter geben“ und sie somit „aus dem übrigen, mehr complicirten politischen Zusammenhange“ herausnehmen, um sie dienstbar zu machen.383 Humboldt dagegen hatte nicht nur den adligen Standesdünkel abgelegt, er argumentierte in seinen Amtsberichten auch offen zugunsten des „Bergvolks“ und setzte sich für die Verbesserung seiner Arbeits- und Lebensbedingungen ein. Seine Erfindungsarbeit diente in erster Linie der Sicherheit und Gesundheit der Bergleute und erst in zweiter auch der ökonomischen Effizienz des Bergbaus. Der Bergbau war für Humboldt ein Experimentierfeld für Innovationen und Erfindungen, die dem „Wohlstand und Gewerbefleiß“ dienten.384 Humboldt war ein preußischer Beamter, der große Sympathie für die Ideale der Aufklärung und französischen Revolution hegte. In einer Zeit, in der es den Preußen streng untersagt war, mit den Franzosen zu kollaborieren, verschlang er die Veröffentlichungen französischer Naturforscher und bewunderte die republikanische Begeisterung und „die große Bildung des Gefühls“ der Franzosen.385 Von seinem ersten Erzieher Heinrich Campe, einem Anhänger Rousseaus, und seinen Lehrern
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aus dem Umkreis des Berliner Aufklärers Moses Mendelssohn über seine Freunde im Salon der Henriette Herz bis hin zu Georg Forster, dem Vertreter der Mainzer jakobinischen Republik, war Humboldt immer von Menschen umgeben gewesen, die die Werte der Ständegesellschaft und absolutistischen Monarchie ablehnten oder bekämpften. Wilhelm von Humboldt brachte die gesellschaftspolitische Haltung seines Bruders auf den Punkt, wenn er auf dessen „menschenfreundliche Theilnahme für eine arbeitsame und achtungswürdige Menschenklasse“ verwies.386 Der junge Humboldt hatte somit Ziele und Interessen, die unter den Machtverhältnissen im absolutistischen Preußen bestenfalls allmählich und gegen zähen Widerstand verwirklichbar waren. Während seine gesellschaftspolitischen Differenzen mit den hohen Beamten im preußischen Machtzentrum im täglichen Leben nur punktuell zum Tragen kammen, stellten die hierarchischen Machtverhältnisse ein hartes Faktum dar, das alle seine Aktivitäten tangierte. Nicht Humboldt, sondern die Minister Heinitz und Hardenberg bzw. der König waren es, die letztlich alle wichtigen Entscheidungen trafen. Vom Gutdünken von Heinitz und Hardenbergs hing es ab, ob Humboldt eine gerade begonnene Arbeit unterbrechen und sich auf Salinenbesichtigung oder eine diplomatische Mission begeben musste. Heinitz hielt es für selbstverständlich, dass er Humboldt und Reden wie Schachfiguren auf neue Stellen versetzen konnte. Er war es, der genau zu wissen glaubte, was eine wünschenswerte Karriere für einen jungen adligen Bergbeamten war, und dem hatte sich Humboldt zu beugen. 1797 war die mit Heinitz vereinbarte Frist von zwei Jahren für Humboldts Oberbergmeisterstelle längst abgelaufen. Was wäre danach gekommen? Die Antwort, die sich Humboldt auf diese Frage gegeben haben muss, kann nicht sehr hoffnungsfroh gewesen sein.
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20. Experimentierende Apotheker 1789, im Jahr der französischen Revolution, entdeckte der preußische Chemiker Martin Heinrich Klaproth (1743 − 1817) Uran, während sich der preußische König Friedrich Wilhelm II. in seinem Potsdamer Marmorpalais die Zeit mit alchemistischer Goldmacherei und spiritistischen Sitzungen vertrieb.387 Klaproth entlehnte den Namen für das neue Metall vom Planeten Uranus, der acht Jahre zuvor von Friedrich Wilhelm Herschel entdeckt worden war. Doch vorerst erregte Uran außerhalb akademischer Kreise weit weniger Beachtung als der neue Planet. Damals ahnte noch niemand, dass es 150 Jahre später zwei Physikern, Otto Hahn und Fritz Strassmann, gelingen würde, das Uranatom zu spalten und somit die Voraussetzung für etwas völlig Neues, die Kerntechnologie, zu schaffen. Eine Anwendungsmöglichkeit gab es bis dahin nur für Uranoxid, und diese ging ebenfalls auf Klaproth zurück. Die Königlich Preußische Porzellanmanufaktur verwendete den radioaktiven Stoff für die Porzellanmalerei. 1789 kannte man insgesamt siebzehn Metalle. Die ursprünglich fixe Zahl von sieben Metallen, die man mit den sieben „Planeten“, Sonne und Mond eingeschlossen, in Beziehung gesetzt hatte, war längst über Bord geworfen. Die Entdeckung des 18. Metalls erschütterte also keine Grundsätze mehr, aber unter Naturforschern war sie dennoch eine Sensation. Klaproth, der ein Jahr zuvor in die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen worden war, befand sich auf dem ersten Höhepunkt seiner wissenschaftlichen Karriere. Die Entdeckung wurde in einem bescheidenen Apothekerlaboratorium gemacht, denn Klaproth war bis 1800 Apotheker. Sie hing denn auch weniger von ausgefeilten Instrumenten und teuren Apparaturen als von der Ausdauer und dem außerordentlichen Geschick eines hervorragenden Experimentators ab. Klaproth
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galt damals schon als die Inkarnation eines präzisen chemischen Analytikers. Rund zwei Dutzend verschiedener Mineralien hatte er bereits erfolgreich analysiert, und noch 1789 entdeckte er eine neue „Erde“ in Zirkon.388 Am Ende seines Lebens würde er die chemische Zusammensetzung von über 200 Stoffen quantitativ genau ermittelt haben, die meisten davon Mineralien. Mittels seiner chemischer Analysen entdeckte er auch die „Erden“ von Strontium, Chrom und Cer und trug zur Entdeckung von Titanerde, Tellur und Berylliumerde bei. Später würde man über Klaproth schreiben, es sei ihm weniger um Theorien als um die Feststellung experimenteller Tatsachen gegangen, und er habe mittels seiner „unübertrefflichen Abb. 30 Porträt Martin Heinrich Klaproth, Ölgemälde von Carl F. J. H. Schumann. Deutsches Museum München
Genauigkeit“ und „scharfsinnigen Erfindung genauerer und vollständigerer Scheidungswege“ zahlreiche neue Entdeckungen und Erfindungen in die Wege geleitet.389
200 Mineralanalysen mögen uns heute angesichts der Schnelligkeit vollautomatisierter Analyseverfahren nicht sonderlich beeindruckend vorkommen, aber wir müssen uns vor Augen halten, dass zu Klaproths Zeiten jede Mineralanalyse viele Einzelversuche und Versuchswiederholungen einschloss, deren Gesamtzahl sich leicht auf über hundert summieren konnte. Jede Mineralanalyse bedeutete die Durchführung eines eigenen Forschungsprogramms. Klaproth scheiterte zuweilen daran, dass die zur Verfügung stehende Menge des zu analysierenden Minerals für seine Versuchsreihe nicht ausreichend war. Doch nur die Kombination verschiedener Analysemethoden, ihr systematischer Vergleich und die Wiederholung unklarer Einzelexperimente ermöglichte die exakte qualitative und quantitative Bestimmung der chemischen Zusammensetzung eines Minerals, für die Klaproth weit über die Grenzen Deutschlands berühmt wurde.
20. Experimentierender Apotheker
Die Apothekerlehre Klaproth stammte aus einfachen handwerklichen Verhältnissen. Sein Vater war ein in Werningerode (Harz) ansässiger Schneider, die Mutter kam ebenfalls aus einer Werningeroder Schneiderfamilie. Im Juni 1751 brach in dem Städtchen eine Brandkatastrophe aus, der auch das Haus der Familie mitsamt der Schneiderstube zum Opfer fiel. Trotz ihrer prekären finanziellen Verhältnisse schickten die Eltern ihren Sohn vier Jahre später auf die Wernigeroder Lateinschule, die zur Hochschulreife führte. Das Schulgeld wurde ermäßigt, weil Martin als Chorknabe bei Stadtumzügen und Feiern auftrat. Kurz danach begann der Siebenjährige Krieg, der den Wernigerodern preußische Einquartierungen und Requisitionen bescherte. Ende 1758 musste Klaproth die Lateinschule jedoch urplötzlich verlassen. „Eine unverdient harte Behandlung“ führte zum Bruch mit der Schule und ihrem pietistischen Milieu, in dem das spätere Theologiestudium und die Laufbahn als Pastor bereits vorherbestimmt schien.390 Der Einschnitt war radikal. Im Frühjahr 1759 wurde der 15-Jährige, nach einem knapp vierjährigen Schulbesuch und ohne jeglichen Schulabschluss, Lehrling in der Ratsapotheke der Nachbarstadt Quedlinburg. Quedlinburg wurde von der Äbtissin des Freiweltlichen Reichsstifts regiert, das der Schutzherrschaft Preußens unterstand. Zu Klaproths Lehrzeit war Anna Amalia, die Schwester Friedrichs II., Äbtissin in Quedlinburg. Klaproths Apothekerlehre wurde daher durch die preußische Medizinalverordnung geregelt, die eine sechsjährige Lehre vorschrieb, an die sich eine siebenjährige Gesellenzeit anschloss, während der man auf Wanderschaft ging.391 Am Ende der langen Ausbildungszeit stand ein Examen, das vor einem staatlichen Ärztegremium, dem Collegium medico, abzulegen war. E. G. Fischer schrieb 1820 in einer Denkschrift für Klaproth, dessen Leben beweise, „wieviel ein kräftiger Geist durch ruhige, aber gewissenhafte und beharrliche Thätigkeit einem Geschicke abgewinnen kann, was ihn zur Mittelmäßigkeit und Niedrigkeit bestimmt zu haben scheint“.392 Die Bemerkung ist nicht frei von Arroganz gegenüber dem handwerklich-kaufmännischen Apothekerberuf, in dem es zahlreiche Anreize für Naturforschung gab. Aber das Leben eines Apothekerlehrlings war wie das anderer Lehrlinge in der Tat oft erniedrigend. Ein Apothekerlehrling zog gewöhnlich mit 14 bis 15 Jahren, nach dem Abschluss der Volksschule, in das Haus eines approbierten Apothekers, wo er auch Kost und Logis erhielt. In der Quedlinburger Ratsapotheke musste ein großer Wandschrank im Flur als Schlafplatz herhalten. Andere Lehrlinge mussten sich mit einem Verschlag unter der Wohnungstreppe begnügen. Der Lehrlingsalltag begann früh morgens mit dem Einheizen der Öfen im Laboratorium, in dem die chemischen Medikamente
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Abb. 31 Quedlinburger Ratsapotheke heute. Foto Autorin
hergestellt wurden, und mit Vorbereitungen in der Offizin, in der man die traditionellen galenischen Medikamente abwog, mischte und verkaufte. Er endete abends mit Bodenfegen, Kesselscheuern und Abwaschen. Der Apotheker-Chemiker Johann Christian Wiegleb (1732 − 1800) schrieb in seiner Autobiographie, die vier Lehrlinge der Marien-Apotheke in Dresden, in der er von 1748 bis 1754 Lehrling war, seien „wie Skalven“ gehalten worden. Während der gesamten sechsjährigen Lehre sei er nie über „Grund und Begriff“ einer Aufgabe unterrichtet worden. Andere klagten darüber, dass es „Prügel ohne Zahl regnete“. Klaproth selbst beschwerte sich zwar nicht über eine schlechte Behandlung, wohl aber über unzureichenden Unterricht. Er könne sich eines vom „Lehrherrn wirklich genossenen Unterrichts“ nicht erinnern, schrieb er später. „Ich musste mich nach damaliger Sitte mit demjenigen begnügen, was ich von dem handwerksmäßigen Verfahren meiner ältern Mitgenossen absah“, berichtete er weiter, und nur die Lek-
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türe einiger veralteter Apothekerbücher habe es ihm ermöglicht, etwas mehr zu lernen. Derartige, im Rückblick geübte Kritik erfolgte selbstverständlich vom Erwartungshorizont eines Chemiker-Apothekers, der das Apothekergewerbe insgesamt für reformbedürftig hielt. Klaproths Lehrherr Friedrich Victor Bollmann war ein erfahrener und relativ gebildeter Apotheker, der aus einer Arztfamilie stammte und vor seiner Pacht der Quedlinburger Ratsapotheke jahrelang Hofapotheker in Halberstadt gewesen war. Im Unterschied zu Klaproth schrieb ein Apotheker namens Johann Christian L. Liphardt, der in den 1770er-Jahren ebenfalls Lehrling in der Quedlinburger Ratsapotheke war, er habe Glück gehabt, einen Lehrherrn wie Bollmann gefunden zu haben.393 Da die Apothekerlehre des 18. Jahrhunderts stark von den individuellen Interessen und Kenntnissen des Lehrherrn und der Ausstattung seiner Apotheke abhing, wundert es nicht, dass es auch positivere Lehrlingserlebnisse gab. Der Hofapotheker Ernst Wilhelm Martius zum Beispiel hatte während seiner Lehrzeit in der Erlanger Hofapotheke in den 1770er-Jahren einerseits „Knechtschaft und mancherlei Demüthigungen“ zu ertragen, andererseits hatte er das Glück, in der Bibliothek seines chemisch interessierten Lehrherrn die neusten chemisch-pharmazeutischen Bücher lesen zu können. Ein anderer Apotheker, der in den 1760er-Jahren Lehrling war, beklagte sich zwar darüber, die Frau des Apothekers habe ihn ständig zu Arbeiten angetrieben, die „mehr einem Tagelöhner oder einer Magd zugekommen wäre[n]“, doch gleichzeitig beschrieb er die Apotheke auch als einen Ort der Wissenschaft. Sein Lehrherr „liebte die Wissenschaften“, besaß eine Bibliothek mit den neusten chemischen Schriften, eine kleine Sammlung physikalischer Instrumente, ein Naturalienkabinett sowie ein gut ausgestattetes chemisches Laboratorium, in dem er die chemischen Medikamente nach „guten chemischen Grundsätzen“ herstellte.394 Hofapotheken und Ratsapotheken, die dem Landesherren bzw. der Stadt unterstanden, gehörten zu den vergleichsweise gut ausgestatteten Apotheken des 18. Jahrhunderts, und so dürfte Klaproth nicht das schlechteste Los gezogen haben. Die 1578 gegründete Quedlinburger Ratsapotheke war in einem großen Fachwerkhaus in der Stadtmitte am Kornmarkt untergebracht, und befindet sie sich dort noch heute.395 Im Erdgeschoss, in dem auch die Apothekerfamilie wohnte, lag zur Straßenseite hin die Offizin mit ihrer prächtig ausgemalten Decke. Am Fenster standen, für Passanten gut sichtbar, ein Schreibtisch und ein großer Rezeptiertisch, während der Arzneiverkauf vom Hausflur aus über ein anderes Fenster erfolgte. Das Laboratorium befand sich im hinteren Teil des Erdgeschosses in einem Raum mit feuerfesten,
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gemauerten Wänden und einer gemauerten, gewölbten Decke. Feuerschutz war wegen der zahlreichen Öfen in den damaligen Laboratorien eine wichtige Angelegenheit. Das Kellergeschoß diente als Lagerraum für Destillate, Weinbrand, Aquavit und Weine, die ebenfalls in Apotheken verkauft wurden. Im ersten Stock befanden sich die „Materialstube“ und die „Zuckerkammer“. Hier waren auch die Gesellenkammer, ein Gästezimmer und drei weiterer Säle untergebracht, denn die Ratsapotheke war zugleich das Gästehaus der Stadt. Der Dachboden diente dem Trocknen und Lagern von Heilkräutern und dem Aufbewahren zerbrechlicher Glasgefäße und Phiolen, die für den Verkauf flüssiger Medikamente und die Herstellung chemischer Medikamente gebraucht wurden.
Kenntnisse und Tugenden eines Apothekers Die preußische Medizinalverordnung schrieb vor, dass die Apothekerlehre sowohl in der Offizin als auch im chemischen Laboratorium erfolgen sollte, aber im ersten Lehrjahr war das Lehrlingsleben von Putzarbeiten, Botengängen und einfachsten kaufmännischen und pharmazeutischen Arbeiten wie Tütenkleben, Schneiden und Trocknen von Kräutern bestimmt. Nach und nach lernten die Lehrlinge auch die verschiedenen Arzneien kennen, deren Anzahl oft bis in die Tausende ging. Das Quedlinburger Arzneibuch von 1701 listete rund 2500 verschiedene Arzneien auf. „Der Lehrling hatte daher viel zu thun, um sich mit der deutschen und lateinischen Nomenclatur so zahlreicher Rohstoffe und zusammengesetzter Arzneien vertraut zu machen“, erinnerte sich Martius.396 Das sorgfältige Lesen der Rezepte und genaue Mischen der Arzneien erforderte ebenfalls Übung. Vor Abschluss des vierten Lehrjahrs war es den Lehrlingen daher nicht erlaubt, die Medikamente selbständig zu mischen und zu verkaufen. Und kein Lehrling durfte Opiate und „Purgantia“ („Reinigungsmittel“) in die Hand nehmen. Das preußische Medizinaledikt betonte auch die Notwendigkeit der Einübung von Apothekertugenden wie Genauigkeit, Sorgfalt und Sauberkeit bei der Herstellung der Medikamente sowie der Allgemeintugenden Gehorsam, Fleiß, Treue und Gottesfurcht. Es hielt zur Beachtung amtlicher Verordnungen und Arzneipreise an, die in den „Arzneitaxen“ aufgelistet waren. Arzneitaxen und Arzneibücher, darunter die amtlichen „Pharmakopöen“ oder „Dispensatorien“, gab es in jeder Apotheke, und jeder Lehrling musste mit ihnen vertraut gemacht werden. Auch Waagen und das exakte Abwiegen selbst kleinster Stoffmengen gehörten zum täglichen Apothekergeschäft. Auch die Herstellung chemischer Medikamente im Laboratorium war Teil der Lehre. Unter „chemischen“ Medikamenten verstand man im 18. Jahrhundert alle
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durch chemische Techniken − wie Destillation, Sublimation, Kalzination, Auflösung und Präzipitation − hergestellten Arzneien. Dazu gehörten die äußerst giftigen Quecksilberverbindungen ebenso wie Destillationsprodukte rein pflanzlicher und tierischer Herkunft, die wir heute nicht mehr als „chemische“ Medikamente bezeichnen würden.397 Im 17. Jahrhundert wurden chemische Medikamente oft noch von Alchemisten, Destillateuren, Barbieren und dubiosen Händlern verkauft, die weder der Kontrolle einer Gilde noch der einer staatlichen Medizinbehörde unterlagen. Die brandenburgischen Medizinaledikte von 1685 und 1693 verlangten jedoch, ihre Herstellung auf die Apotheken zu beschränken und sie somit der staatlichen Kontrolle zu unterwerfen. Die Apotheker erhielten gegenüber Alchemisten und umherfahrenden „Landstreichern und Laboranten“ ein Herstellungs- und Verkaufsprivileg, das mit der Anforderung verknüpft war, nur die im eigenen Laboratorium hergestellten chemischen Medikamente zu verkaufen.398 Das Privileg bot den Apothekern zugleich einen ökonomischen Anreiz für die tatsächliche Einrichtung von Laboratorien. Die Ausstattung der Apothekerlaboratorien mit Öfen, Destillationsapparaturen, diversen Glasgefäßen, Instrumenten und Chemikalien variierte von Apotheke zu Apotheke und hing nicht zuletzt vom lokalen Käuferpotential ab. Chemische Medikamente, zumal solche, die Quecksilber, Gold und andere seltene Ingredienzien enthielten, waren oft teuer. Die Landapotheken boten daher nur eine kleine Auswahl solcher Produkte an, während Hof- und Stadtapotheken, die eine wohlhabende Klientel bedienten, eine größere Palette produzierten. Art und Umfang der chemischen Ausbildung eines Apothekerlehrlings unterlagen somit örtlichen Schwankungen. Nahezu jeder Lehrling lernte jedoch Destillationstechniken kennen, denn die Destillation von Pflanzenwässern, essenziellen Ölen und Weinbrand war spätestens seit dem 17. Jahrhundert im Apothekergewerbe fest verankert. Wie jede andere Handwerkerlehre lebte auch die Apothekerlehre von der mündlichen Instruktion und dem Zuschauen, Nachahmen und Einüben der Handgriffe durch den Lehrling, wobei viele Details von den persönlichen Interessen und Vorlieben des Lehrherrn abhingen. Die zahlreichen zeitgenössischen Klagen über die Apothekerlehre zeigen, dass Drill und ernsthafter Unterricht keineswegs immer im Gleichgewicht standen. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts mehrten sich daher die kritischen Stimmen hinsichtlich der traditionellen Lehre. Die neuen chemisch-pharmazeutischen Fachzeitschriften − Lorenz Crells Chemische Annalen und Johann Friedrich A. Göttlings Alamanach oder Taschenbuch für Scheidekünstler und Apotheker − wurden Foren einer intensiven Reformdebatte. In zahllosen Aufsätzen über die „Zustände
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der Pharmazie“ forderten gegen Ende des 18. Jahrhunderts die wissenschaftlich interessierten Apotheker die Ergänzung der handwerklichen Apothekerlehre durch eine wissenschaftlich-schulische Ausbildung. Chemie und Botanik rangierten dabei an vorderster Stelle.
Neue Ausbildungswege für Apotheker Das 1723 gegründete Collegium medico-chirurgicum in Berlin war eine wissenschaftliche Ausbildungsstätte, an der auch zukünftige Apotheker studieren konnten. Der Staat ermunterte die Apotheker zu dessen Besuch, indem er eine Verkürzung der siebenjährigen Gesellenzeit in Aussicht stellte. Auch der Kurzbesuch einer Universität oder einer privaten chemisch-pharmazeutischen Lehranstalt wurde auf diese Weise belohnt. Andreas Sigismund Marggraf (1709 – 1782) zum Beispiel studierte nach einer sechsjährigen Lehrlingszeit in der Berliner Hofapotheke und einer zweijährigen Gesellenzeit in Frankfurt (Main) noch ein Jahr lang an der Universität Halle und nahm dann ein weiteres Jahr chemischen Privatunterricht im Laboratorium des Freiberger Bergrats und Mineralogen Johann Friedrich Henckel (1678 – 1744). Dadurch reduzierte sich seine Gesellenzeit von normalerweise sieben auf vier Jahre. Das 1779 von Wiegleb gegründete chemisch-pharmazeutische „Privat-Institut“ in Langensalza, das wissenschaftlichen Unterricht in Chemie, Botanik und Ökonomie erteilte, ermöglichte den Apothekergesellen ebenfalls, die Gesellenzeit zu verkürzen. Diesem Beispiel folgten bald weitere private, chemisch-pharmazeutische Lehreinrichtungen wie Hermbstaedts 1789 gegründete Chemische Pensionsanstalt für Jünglinge in Berlin. Hermbstaedt warb mit folgenden Worten für seine Pensionsanstalt: 399
▷ Auf Universitäten wird jetzt die Chemie häufiger als sonst gelehret, aber selten dem ganzen Umfange nach, welchen sie wirklich einnimmt. Mit keiner Wissenschaft ist indessen die Chemie in so genauer Verbindung, als mit der Pharmacie; mehrere unserer größten Chemiker sind Apotheker, und mit vielem Rechte, verlangt man jetzt, daß auch jeder Apotheker ein guter Chemiker sei. ◁ Von 1725 an hatten alle preußischen Apotheker, die sich in einer Stadt niederlassen wollten, auch eine praktische chemisch-pharmazeutische Prüfung, processus pharmaceutico-chymici genannt, am Collegium medico-chirurgicum abzulegen. Erst wenn diese bestanden war, konnten sie sich der Hauptprüfung vor dem Berliner Obercollegium medico, der obersten Medizinbehörde, unterziehen. Der Weg, auf dem
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sie die Kenntnisse und Fähigkeiten für den processus pharmaceutico-chymici erwarben, blieb ihnen dabei selbst überlassen. Auch diese Anordnung hieß nichts anderes als eine Infragestellung der traditionellen handwerklichen Lehre.
Klaproths Gesellenzeit Das Studium an einer der neuen chemisch-pharmazeutischen Lehranstalten oder einer Universität kostete Geld und war daher für Klaproth kein gangbarer Weg. Stattdessen verbrachte dieser nach Abschluss einer fünfjährigen Lehre noch weitere zwei Jahre in Quedlinburg. „Souffir et esperer“ − leiden und hoffen − schrieb er im Oktober 1765 in das Freundschaftsalbum eines Färbergesellen.400 Der Eintrag zeigt nicht nur, dass es dem Apothekergesellen nun erlaubt war, Geselligkeiten außerhalb des Apothekerhauses zu pflegen, sondern verrät auch eine gehörige Portion Ehrgeiz. Es war nicht gerade üblich, dass sich Apothekergesellen auf Französisch in einem Album verewigten. Im Frühjahr 1766 ging Klaproth an die Hofapotheke in Hannover, wo er zwei weitere Jahre seiner Gesellenzeit verbrachte. Diese Apotheke war mit einem guten Laboratorium und einer Bibliothek ausgestattet, in der Klaproth auch chemische Lehrbücher zur Verfügung standen. Der in Hannover gebürtige Apotheker-Chemiker Johann Friedrich Westrumb (1751 − 1819), der dort gleichzeitig mit Klaproth Lehrling war, bemerkte später, Klaproth habe viele Stunden in der Bibliothek zugebracht und mit großem Eifer im Laboratorium gearbeitet. Wenn man diesen nachträglichen Beschreibungen glauben darf, nutzte Klaproth das Laboratorium bereits für eigene chemische Experimente.401 1768 setzte Klaproth seine Gesellenzeit in der Berliner Apotheke zum Engel fort.402 Die Berliner Geschäftswelt litt damals noch unter den Auswirkungen des Siebenjährigen Krieges und der kurz danach einsetzenden, europaweiten ökonomischen Krise. Klaproth blieb nur gute zwei Jahre in Berlin und zog dann weiter nach Danzig, wo er seine siebenjährige Gesellenzeit abschloss. Im März 1771 kehrte er nach Berlin zurück und erhielt eine Anstellung in Valentin Roses Apotheke zum Weißen Schwan in der Spandauer Straße. Es war die Zeit, in der das Bergwerks- und Hüttendepartment erstmals wissenschaftliche Vorlesungen für Beamtenanwärter anbot. Im Jahr zuvor hatte Minister vom Hagen daher mit Rose über eine chemische Dozentur verhandelt. Unter den 22 Berliner Apotheken gehörte seine Apotheke zu den größten und war auch mit einem guten chemischen Laboratorium ausgestattet. Wie wir im 10. Kapitel gesehen haben, lehnte Rose das Lehrangebot im Januar 1771 jedoch ab. Der 35-Jährige war damals schwer erkrankt und hatte nur noch wenige
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Monate zu leben. Nach Roses Tod im April 1771 übernahm Klaproth die Verwaltung der Apotheke. Nachdem er alle Formalitäten erledigt und das Apothekerexamen am Berliner Obercollegium medico abgelegt hatte wurde er deren Provisor.
Herausforderungen an das Apothekergewerbe Der Apothekerberuf war seit dem 17. Jahrhundert permanenten Herausforderungen ausgesetzt, denen die traditionelle handwerkliche Lehre kaum gewachsen war. Der Überseehandel brachte neuartige pflanzliche Heil- und Genussmittel nach Europa, darunter Gewürze, Tee, Tabak und Kaffee, die auch Einzug in die Apotheken hielten. Die in größeren Städten lebenden, wohlhabenden Apotheker legten sich Kuriositätenkabinette, Naturaliensammlungen und botanische Gärten zu, um mit dem Wissen über diese Objekte Schritt halten und ihren Reichtum zur Schau stellen zu können. Dabei sahen sie sich auch der Konkurrenz mit Kolonialwarenhändlern und „Materialisten“ ausgesetzt, die ebenfalls Kenner exotischer Güter waren und sie auch selbst vermarkten. Die Fülle neuer Materialien und die Angst vor Fälschungen und Betrug durch die Händler führten zu einem florierenden Buchmarkt, der neben Apothekerbüchern auch Warenlexika sowie botanische und chemische Bücher umfasste. Es gab keinen Zwang, sich diesen Herausforderungen zu stellen, aber die wohlhabenden Stadtapotheker wussten nur allzu gut, dass Wissen Ansehen verlieh und geschäftliche Vorteile brachte. Die von Paracelsus und seinen Anhängern ausgehende Ärzte-Chemiker-Bewegung des 16. Jahrhunderts hatte überdies die neuen, chemischen Medikamente und Laboratorien auf den Plan gebracht. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts setzten sich die chemischen Medikamente, die zunächst vorwiegend von Ärzte-Chemikern hergestellt und propagiert worden waren, auf breiter Front durch und begannen, das Apothekergewerbe auch von innen heraus zu verändern. In Brandenburg-Preußen wurde dieser Prozess durch Medizinaledikte und ärztliche Aufsichtsorgane gefördert. Die Herstellung einer breiten Palette chemischer Medikamente und die Einrichtung eines Laboratoriums stellte die Apotheker jedoch vor große Anforderungen, sowohl finanzieller Art als auch hinsichtlich der geforderten Kenntnisse, die in der traditionellen, handwerklichen Lehre nicht verankert waren. Die wohlhabenden und ambitionierten Apotheker verschaften sich chemische Kenntnisse daher zunächst auf individuellen Wegen. Dabei gingen manche einen deutlichen Schritt weiter als es für ihre beruflichen Belange nötig gewesen wäre und wurden Chemiker. In Deutschland kam in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts rund die Hälfte aller Chemiker aus dem Apothekergewerbe, und ähnliche Zahlenverhältnisse liegen
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auch für Frankreich vor.403 Diese Zahl ist nur damit zu erklären, dass es zwischen den Tätigkeits- und Wissensfeldern von Chemikern und Apothekern beträchtliche Überschneidungsbereiche gab.
Stoffe und Waagen Das Apothekergewerbe war ein Stoffe produzierendes und mit Stoffen handelndes Gewerbe, und es produzierte und verkaufte eine Vielzahl verschiedener Stoffarten. Das breite Spektrum chemischer Medikamente und der ebenfalls im Apothekerlaboratorium hergestellten Lacke, Siegelwachse, Farben, Tinten, Kosmetika, destillierten Alkoholika, Zuckerwaren und anderer rarer Köstlichkeiten war einem ständigen Veränderungsprozess unterworfen. Dieser wurde von innen und außen, insbesondere durch den Überseehandel und den Wissens- und Materialtransfer aus der Chemie, angestoßen. Die Herstellungstechniken für chemische Medikamente waren prinzipiell dieselben wie die wissenschaftlichen Darstellungsmethoden chemischer Stoffe. Selbst in der Größenordnung unterschieden sich beide nicht, da die Apotheken des 18. Jahrhunderts im kleinen Maßstab produzierten. Ein einschlägiges Beispiel für die Gemeinsamkeit zwischen chemischer und pharmazeutischer Stoffherstellung ist der Äther. Relativ reiner, wasserfreier Äther wurde erstmals 1729 in einer chemischen Veröffentlichung beschrieben. Von diesem Zeitpunkt an versuchten sowohl Chemiker als auch Apotheker diesen Stoff zu reproduzieren und neue Ätherarten zu erfinden. In den 1780er-Jahren lag die Initiative für die Erfindung neuer Ätherarten weitgehend bei den Apothekern, die die Äther als Schmerzmittel verkauften. Apotheker und Chemiker publizierten in dieser Zeit Berichte über Experimente mit verschiedenen Ätherarten, und beide versuchten, die chemische Zusammensetzung dieser Stoffe und ihre Herstellungsreaktionen zu verstehen.404 Die Apotheker beschäftigten sich somit regelmäßig mit Herstellungstechniken für chemische Stoffe und mit den chemischen Reaktionen, die den Stoffherstellungen zugrunde lagen. Sie mussten zudem die Fähigkeit besitzen, die Vielzahl der chemisch produzierten Stoffe klar zu identifizieren und zu benennen. Dies verlangten nicht nur die Medizinalordnungen und medizinischen Aufsichtsorgane, es lag auch in ihrem geschäftlichen Eigeninteresse. Nur so konnten sie Schaden von ihren Kunden und Betrug durch Konkurrenten abwenden. Kein anderes Gewerbe des 18. Jahrhunderts ging mit einer so großen Zahl verschiedener Stoffe um wie das Apothekergewerbe. Das Wissen über Stoffe und „ihre Chemie“ gehörte daher zum Kernbestand des Apothekerwissens.
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Dasselbe galt für das Abwiegen von Stoffen, das im Zusammenhang mit der quantitativen chemischen Analyse des 18. Jahrhunderts zu einer Kerntechnik der Chemie avancierte, und für das Mischen verschiedener Stoffe in exakten Proportionen. Jede gute Apotheke verfügte über ein Arsenal von Waagen, von gröberen Waagen für das Abwiegen großer Stoffmengen bis zu Feinwaagen für dasjenige kleinster Mengen hochwirksamer Opiate und chemischer Medikamente. Für die meisten chemischen Analysen des 18. Jahrhunderts war die Genauigkeit der Apothekerfeinwaagen völlig ausreichend. Die Verwendung von Apothekerwaagen zwang die Chemiker zum Experimentieren mit relativ großen Stoffmengen, die der Messgenauigkeit der Waagen angepasst waren. Im Fall seltener und wertvoller Stoffe konnte dies zu Problemen führen. So musste beispielsweise Klaproth aufgrund unzureichender Mengen zu analysierender Stoffe seine Analysengänge wiederholt einschränken oder abbrechen. Die Mehrheit Chemiker konnte es sich nicht leisten, die teuren Präzisionswaagen der Pariser oder Londoner Instrumentenbauer zu kaufen.
Laboratorien Die wichtigste Gemeinsamkeit von Apothekern und Chemikern bildete das chemische Laboratorium. Unter einem „Laboratorium“ verstand man im 17. und 18. Jahrhundert fast immer einen Raum oder ein ganzes Haus, in dem man chemische Operationen wie das Destillieren, Auflösen von Stoffen in Säuren oder Niederschlagen von Stoffen aus Auflösungen vornahm. Zahlreiche Fürsten, Alchemisten und gelehrte Chemiker richteten sich im 17. Jahrhundert Laboratorien ein. Vom späten 17. Jahrhundert an stieg die Zahl der Laborbesitzer unter den Apothekern, die im 18. Jahrhundert die größte Gruppe unter allen Laborbesitzern ausmachten. Die frühneuzeitlichen Laboratorien waren in der Regel mit alltäglichen Instrumenten, Gefäßen und Öfen ausgestattet, die von traditionellen Handwerkern gefertigt wurden. Die materielle Alltagskultur ermöglichte eine vielseitige Nutzung, die von gewerblicher Produktion bis zu Erfindungsarbeit und Naturforschung reichte.405 Das lateinische laborare (arbeiten), von dem das Wort „Laboratorium“ abgeleitet ist, betont die produktiven Zwecke frühneuzeitlicher Laboratorien. Auch in zeitgenössischen Wörterbüchern wird die praktisch-herstellende chemische Tätigkeit in Laboratorien hervorgehoben. So heißt es zum Beispiel in der Oeknomischen Encyclopädie des Kameralisten Johann Georg Krünitz, ein „Laboratorium“ sei ein „Arbeitsoder Werks-Haus“, in dem man „chemische Arbeit“ wie Destillieren und Schmelzen verrichte und in dem sich die dazu gehörenden Öfen, Brennkolben, Gläser, Retorten und Tiegel befänden.406 Laboratorien würden für Chemiker und Apotheker, aber
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Abb. 32 Chemischepharmazeutische Geräte des 18. Jh.. Apothekenmuseum Heidelberg
auch für die „Büchsen-Meisterey oder Feuerwerker-Kunst“ sowie die Schriftgießerei eingerichtet, heißt es weiter. Ähnliche Ausführungen findet man in Johann Heinrich Zedlers Universal Lexikon, in dem „Laboratorium“ ebenfalls als Synonym für „Arbeits- oder Werck-Haus“ angeführt wird. Neben den Apothekerlaboratorien und denen der Alchemisten und Chemiker wird hier ebenfalls auf das Artillerie- und Feuerwerkerlaboratorium hingewiesen: 407
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▷ Laboratorium, heisset in einem besonderen Verstande in der Artillerie derjenige Ort, an welchem das Pulver, und andere zum Feuerwerck gehörige Materialien, erarbeitet und die Ernst- und Lust-Feuerwercke verfertigt werden. ◁ Die Lexika des 18. Jahrhunderts heben eine Gemeinsamkeit aller „Laboratorien“ hervor: Es waren ausschließlich für das chemische Produzieren und Experimentieren genutzte Räume, die für ihre spezifische Funktion auch in besonderer Weise eingerichtet waren. Im Hinblick auf die Naturforschung und Wissenschaftsgeschichte können wir heute mit Sicherheit sagen, dass Laboratorien zuerst in der Alchemie bzw. Chemie eingeführt wurden. Erst im 19. Jahrhundert übernahmen sie auch andere experimentelle Disziplinen. In Brandenburg-Preußen ließ der „Großen Kurfürsten“ Friedrich Wilhelm bereits 1686 ein „Feuerwerks-Laboratorium“ für die Artillerie errichten. Es wird noch im 18. Jahrhundert erwähnt und befand sich damals im Berliner Zeughaus. Außer Schießpulver wurden dort „Lust Feuerwerkereyen“, also Feuerwerkskörper, für die
Abb. 33 Großes Laboratorium der Hofapotheke zu Berlin. Aus Hörmann (1898)
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Abb. 34 Kleines Laboratorium der Hofapotheke zu Berlin. Aus Hörmann (1898)
königlichen Feste produziert.408 Zu dieser Zeit existierten in Berlin rund 20 Apothekerlaboratorien, darunter auch das kleine und große Laboratorium der 1598 gegründeten Berliner Hofapotheke. Deren großes Laboratorium, das vor allem der Herstellung destillierter Öle und anderer pharmazeutischer Destillate diente, wurde auch für den chemischen Unterricht am Collegium medico-chirurgicum genutzt. Das kleine, mit den sehr verschiedenartigen Gefäßen, Instrumenten und Reagenzien ausgestattete Laboratorium diente vor allem dem chemischen Experimentieren des Hofapothekers, der, wie wir im Fall Hermbstaedts gesehen haben, meist auch Chemiker war. 1754 erhielt auch die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften ein Laboratorium. Die preußischen Universitäten hatten damals noch keine Laboratorien, ungeachtet der Tatsache, dass dies in anderen, auch deutschsprachigen Ländern schon der Fall war. Das von Andreas Sigismund Marggraf eingerichtete Berliner Akademielaboratorium war in erster Linie eine Stätte der Naturforschung, diente aber auch technologischen Experimenten, wie der Fall seiner Umwandlung in eine „Zuckerfabrik“ für die Rübenzuckergewinnung zeigt, auf den wir weiter unten zurückkommen.
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In Berlin gab es im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts noch zwei weitere staatliche Laboratorien, das des Bergwerks- und Hüttendepartments und das der Königlichen Porzellanmanufaktur. Zählt man die Laboratorien privater Liebhaber der Chemie hinzu, so gab es in der preußischen Residenzstadt Ende des 18. Jahrhunderts folgende Laboratorien: 409 ● Das Laboratorium der Akademie der Wissenschaften ● Das Laboratorium des Bergwerks- und Hüttendepartments ● Das Laboratorium der KPM ● Das Feuerwerkslaboratorium der Artillerie ● Die Laboratorien der Königlichen Hofapotheke ● Private Apothekerlaboratorien ● Laboratorien privater chemischer Amateure Das Apothekergewerbe war dabei der einzige Gewerbebereich des 18. Jahrhunderts, in dem Laboratorien zahlreich und durch staatliche Edikte vorgeschrieben waren. Hier bestanden somit außergewöhnlich gute materielle Voraussetzungen für chemisches Experimentieren. Die Tatsache, dass unter den deutschen Chemikern des späten 18. Jahrhunderts 50 Prozent Apotheker waren, findet damit eine erste Erklärung.
Chemisch-pharmazeutische Fachzeitschriften Neben den Gemeinsamkeiten der materiellen Kultur des Apothekergewerbes und der Chemie existierten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts weitere kulturelle und soziale Anreize für Apotheker, sich mit der Chemie zu beschäftigen. Wir haben schon gesehen, dass die Medizinalordnung des preußischen Staats eine praktische, chemisch-pharmazeutische Prüfung am Berliner Collegium medico-chirurgicum für alle Stadtapotheker vorschrieb und die Einrichtung von Apothekerlaboratorien forderte. Eine wichtige kulturelle Motivation für die Beschäftigung mit der Chemie ging von den chemischen Periodika aus, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gegründet wurden. Sie standen den Apothekern für Publikationen ebenso offen wie den Chemikern, und zwar nicht nur approbierten Apothekern und angesehenen Apothekenbesitzern, sondern auch Provisoren und Gesellen. Unter den Abonnenten von Crells Annalen der Chemie und mehr noch unter denen von Göttlings Alamanch oder Taschenbuch für Scheidekünstler und Apotheker befand sich somit auch eine beträchtliche Zahl von Apothekern. Die Apotheker-Chemiker bildeten zeitweise sogar die Mehrheit unter ihren Autoren.410 Sowohl Crell als auch Göttling ermunterten ihre Leser immer wieder, über jede noch so kleine, wissenswerte Beobachtung zu berichten und Autoren ihrer Zeit-
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schriften zu werden. Ihr Verzicht auf eine formelle Prüfung der wissenschaftlichen Qualität der Artikel half dabei, vorhandene Bedenken zu überwinden. Beide Zeitschriften erleichterten den Einstieg in die Publikationstätigkeit auch durch die literarischen Formen, die von „Neuigkeiten“ und Kurzberichten bis zu systematischen chemischen Abhandlungen reichen konnten. Göttling setzte die Hemmschwelle zur Publikation auch dadurch herab, dass er mündliche Berichte entgegennahm, die er dann selbst in die schriftliche Form brachte. Nicht wenige Apotheker taten danach den nächsten Schritt und schrieben selbst kurze Experimentalberichte. Nicht alle dieser publizierenden Apotheker wurden später als „Chemiker“ bekannt, aber die Aussicht, in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlichen zu können, muss eine große Ermunterung für Viele gewesen sein.411 Die Anerkennung als „Chemiker“ setzte indessen ein breiteres Wissensspektrum voraus, das neben Kenntnissen pharmazeutisch relevanter Stoffe auch chemisch reine Laborstoffe sowie Materialen aus anderen Gewerben einbezog, insbesondere solche aus Bergbau, Metallverhüttung, Färberkunst, Glas-, Keramik- und Porzellanherstellung und Pyrotechnik. Von allen Chemikern waren überdies Kenntnisse über die Methoden der chemischen Analyse gefordert − ungeachtet der Frage, wofür man die analysierten Stoffe praktisch nutzte. Ein Chemiker war in der Regel auch mit den chemischen Begriffen und Theorien seiner „Disziplin“ vertraut, selbst wenn er sich wie Klaproth nicht selbst an der Weiterentwicklung von Theorien beteiligte. Umgekehrt besaßen Apotheker auch Fähigkeiten und Wissen über Techniken und Objekte, darunter galenische Mixturen, Pflaster und Heilkräuter, die deutlich über die Chemie hinausgingen. Sie hatten auch eigenständige berufliche Interessen und Ziele, die sie nicht mit denen der Chemiker teilten. Das Apothekergewerbe und die Chemie des 18. Jahrhunderts hatten zahlreiche Gemeinsamkeiten, unterschieden sich jedoch auch im Detail.
21. Klaproth: analytischer Chemiker, Experte, Geschäftsmann Im April 1771 war Valentin Rose gestorben und Klaproth Verwalter der Apotheke zum Weißen Schwan geworden. Nur kurze vier Wochen hatten die beiden jungen Männer Zeit, sich kennenzulernen, doch sie genügte, um Freundschaft zu schließen. Klaproth wurde daher auch als Verwalter des Familienvermögens und Vormund der vier Kinder Roses eingesetzt. Damit war die Tür zum bürgerlichen Milieu einen
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Spalt weit geöffnet, denn die Familie Rose war eine alteingesessene und vermögende Berliner Apothekerfamilie. Roses Frau Anna Magdalena war eine Nichte des Akademiechemikers und ehemaligen Apothekers Andreas Sigismund Marggraf, sodass Klaproth, der weiterhin im Apothekerhaus wohnte und mit der Familie lebte, auch auf diesem persönlichen Weg mit Akademikern in Kontakt kam. Sein Eintritt in die Freimaurerloge 1776 vertiefte die Beziehungen zum bürgerlichen Milieu und zur Berliner Aufklärung. Der Schritt war nur konsequent, wie sich in einer seiner ersten Veröffentlichungen unschwer erkennen lässt, in der er im Geist der Aufklärung gegen den „blinden Glauben“ an Arkana (Geheimmedizin) argumentierte.412 Dennoch wäre Klaproth wohl kaum ein renommierter Chemiker und Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften geworden, wenn er auf der gesellschaftlichen Stufe eines Apothekenverwalters stehen geblieben wäre. Die Akademie der Wissenschaften nahm zwar durchaus Mitglieder auf, die keinen Universitätsabschluss hatten, setzte dann aber ihre Messlatte umso höher an deren Sozialstatus an. Man musste wie Marggraf und Achard zu den angesehenen Bürgersöhnen Berlins gehören. Als mittelloser Provisor, der keine eigene Apotheke besaß, gab es für Klaproth nur wenig Hoffnung auf eine wissenschaftliche Karriere. Daher ist es auch nicht erstaunlich, dass er in seiner Zeit als Provisor von 1771 bis 1780 so gut wie nichts publizierte. Die einzige, nicht einmal namentlich gekennzeichnete Veröffentlichung aus dieser Zeit hing von seiner Bekanntschaft mit dem Logenbruder und Mitbegründer der Berliner Freimaurerloge Elieser Bloch ab.413 Im Februar 1780 heiratete Klaproth die 32-jährige Christiane Sophie Lehmann, eine Nichte Marggrafs und Tochter eines wohlhabenden Berliner „Materialisten“ (Kaufmann). Wenig später kaufte das Paar die Apotheke zum Bären, die bis 1753 Henning Christian Marggraf gehört hatte. In dieser Apotheke hatte dessen Sohn Andreas Sigismund viele Jahre lang gearbeitet und geforscht. Die Bären-Apotheke lag in der Spandauer Straße 17, nur unweit der Schwanen-Apotheke. Klaproths Beziehungen mit der Familie Rose rissen somit nicht ab, sondern wurden durch die Heirat noch verwandtschaftlich vertieft. Trotz seines Auszugs aus dem Roseschen Apothekerhaus blieb Klaproth auch weiterhin Pflegevater der Kinder von Rose. Die Verwaltung der Apotheke übergab er jedoch dem ambitionierten Gesellen Johann Jacob Bindheim, der später als chemischer Mineraloge von sich hören machen würde. 1784 stellte er den Neuberliner Sigismund Friedrich Hermbstaedt als Provisor ein, den Roses Tochter Magdalena Anfang 1788 heiraten würde. Um sich als privilegierter Apotheker niederlassen zu können, musste Klaproth beim Obercollegium medico nochmals ein Examen und die für Stadtapotheker übliche
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praktisch-chemische Prüfung, processus pharmaceutico-chymici, absolvieren, die er „mit ausgezeichnetem Ruhme“ bestand.414 Nach dem Eid auf das preußische Medizinaledikt stand seiner Laufbahn als selbständiger Apotheker nichts mehr im Weg. Der 37-Jährige war inzwischen erfahren genug um vermuten zu können, dass ihm der Besitz einer Apotheke, zumal einer, die ehemals der Familie Marggraf gehört hatte, auch den Weg für ein Wissenschaftlerleben ebnen könnte. Umgehend arbeitete er eine schriftliche Fassung seines processus pharmaceutico-chymici aus, die 1782 als erste eigenständige Publikation herauskam. Dem folgten in schneller Abfolge weitere elf Aufsätze mit breit gestreuter chemischer und pharmazeutischer Thematik, bis er sich um 1786 in seiner Forschung auf die mineralogisch-chemische Analyse konzentrierte.
Klaproths Ballonfahrt Klaproth musste nun vieles gleichzeitig tun. Am liebsten verbrachte er seine Zeit im Laboratorium und analysierte Mineralien. Von 1782 an begann er zu lehren, zuerst am Collegium medico-chirurgicum und dann andernorts, sodass er bald drei bis vier Vorlesungen pro Woche halten musste. Die für die wissenschaftliche Karriere unverzichtbaren Publikationen forderten ebenfalls ihren Tribut. Einen großen Teil seiner Zeit arbeitete er weiter in seiner Apotheke, und als Apotheker hatte er weitere Verpflichtungen eines Kaufmanns, chemischen Produzenten und Lehrherrn. Bei all dem ließ es sich Klaproth im Januar 1784 nicht nehmen, auf dem Köpenicker Feld bei Berlin einen aus der Blinddarmhaut eines Ochsen gefertigten, mit Wasserstoff gefüllten Ballon steigen zu lassen. Dabei trat er in die Fußstapfen sein Freundes Franz Carl Achard, der im vorangegangenen Herbst ein ähnliches Experiment unternommen hatte. Im Oktober 1784 wagte es Klaproth, im Berliner Lustgarten einen Heißluftballon zu besteigen. Er war demjenigen der französischen Brüder Jacques-Etienne und Joseph Montgolfier nachgebaut. Die Ballonfahrt war eine Sensation und ein Wagnis, das beinahe schief gegangen wäre. In 10 Meter Höhe wurde der Ballon undicht, aber Klaproth hatte Glück und landete sanft.415 Für die eigene Familie und die Rosesche Pflegefamilie blieb bei all dem nicht mehr viel Zeit. 1781 wurde Klaproths erste Tochter Christiane Henriette geboren, zwei Jahre später folgte die Geburt von Heinrich Julius, den Klaproth besonders umhegte, da er hoffte, er werde einst wie er selbst ein großer Chemiker werden. Heinrich Julius wurde jedoch ein berühmter Orientalist, der später vom König zum Hofrat ernannt und geadelt wurde. 1785 kam die zweite Tochter Charlotte Auguste auf die Welt, die ebenfalls nicht dem väterlichen Rat folgte und Dichterin wurde anstatt zu heiraten.
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Chemiekult Nachdem er 1782 zum pharmazeutischen Assessor im Obercollegium medico ernannt worden war, erhielt Klaproth die Lehrerlaubnis am Collegio medico-chirurgicum, um die er sich zuvor vergebens bemüht hatte. Das Obercollegium medico war die oberste Behörde für das gesamte preußische Gesundheitswesen, die mit weitreichenden administrativen und legislativen Befugnissen ausgestattet war. Klaproth war nun ein Beamter dieser einflussreichen Behörde. Zwar war er kein Vollzeitbeamter wie Carl Abraham Gerhard und Alexander von Humboldt, aber ein Behördenmitglied, dem der Beamtentitel „Assessor“ neue Türen öffnete. Klaproths Chemievorlesung am Collegium medico-chirurgicum wurde bald eine Attraktion, die auch Bergbeamte anzog. 1783 ermunterte der Artilleriehauptmann Gohl, ein Logenbruder, Klaproth zu einer chemischen Stadtvorlesung, die von da an jeden zweiten Sonntag in dessen Apothekenlaboratorium stattfand. Die Vorlesung löste einen wahren Chemiekult in der Residenzstadt Berlin aus. Ein Beobachter beschrieb dies mit folgenden Worten: 416
▷ Sie glauben nicht, wie sehr jetzt das Studium der Chemie geschätzt wird [...]. In den chemischen Vorlesungen finden sich Personen von allen Ständen; ja, was noch mehr ist, seit diesem Winter befinden sich unter den ordentlichen Zuhörern auch distinguirte Personen vom schönen Geschlecht. Ich weiß nicht, ob in Deutschland, außer unserm Berlin, sonst ein Ort sich des Vorzugs rühmen kann, solche Damen zu besitzen, die aus edlem Eifer, mit chemischen Kenntnissen sich zu bereichern, entschlossen genug sind, Kaffee- und Spieltische, Assemblees und Pickniks etc. hintanzusezen, und dagegen Kälte und Hitze, Dünste und Kohlenstaub, und alle sonstigen Unbequemlichkeiten einer chemischen Werkstätte standhaft zu ertragen? ◁ Während das Laboratorium seiner Bären-Apotheke werktags der Herstellung chemischer Medikamente und in zunehmendem Maß auch der von Chemikalien diente, wurde es sonntags als Vortragsraum genutzt. Es dauerte nicht lange, bis Minister von Heinitz von diesen Vorlesungen hörte und Klaproth das Angebot machte, auch in der bergbehördlichen Vorlesungsreihe zu unterrichten. Mehrere Eleven und junge Beamte hatten bereits auf eigene Kosten Klaproths Experimentalvorlesung am Collegio medico-chirurgicum besucht. Im Januar 1784 wandten sie sich an den Minister mit der Bitte, ihnen „wegen des gegenwärtigen harten Winters und [der] theuren Lebensmittel“ das Vorlesungsgeld
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zu erstatten.417 Der Minister willigte ein und engagierte Klaproth daraufhin als Dozenten. Dem folgte 1787 die Ernennung zum „Professor“ an der Schule des Feldartillerie-Corps, die der Mathematiker und General Georg Friedrich L. von Tempelhoff später zu einer „Artillerie-Akademie“ umorganisieren würde. Noch im selben Jahr 1787 wurde Klaproth zum außerordentlichen Mitglied der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin gewählt, ein Jahr später erfolgte seine Wahl in die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften.418 Die wöchentlichen Treffen in der Freimaurerloge waren nun schon fast eine alte Gewohnheit. Minister von Heinitz ernannte ihn überdies zum Mitglied einer Inspektionskommission an der Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur und begann, ihn regelmäßig als chemischen Experten zu konsultieren. Die gesellschaftliche Stellung des Apothekenbesitzers, Chemieprofessors und Assessors am Obercollegio medico hatte sich inzwischen so weit verbessert, dass an der Taufe seiner dritten Tochter Johanna Wilhelmine im Frühjahr 1787 mehrere adlige Taufzeugen teilnahmen. Auch bei der gelehrten Tafelrunde der Frau von Friedland auf Schloss Kunersdorf im märkischen Oderland war Klaproth nun ein gerne gesehener Gast. Im Oktober 1788 traf Klaproth jedoch ein schwerer Schlag. Seine vierte Tochter Sophie Henriette starb eine Woche nach ihrer Geburt. Sie war bereits die zweite Tochter, die er verlor. Klaproth zog sich in sein Laboratorium zurück und vertiefte sich in die Analyse der Pechblende, die er im Sommer aus Freiberg mitgebracht hatte. Ein Jahr später würde er der Akademie die Entdeckung von Uran bekanntgeben.
Klaproth entdeckt Uran Eine wissenschaftliche Entdeckung ist trotz des Neuen und Unvorhersehbaren kein plötzlich hereinbrechendes Ereignis. Sie erfordert vielmehr unermüdliches Arbeiten und Hinterfragen, und dies war auch im Fall von Klaproths Entdeckung des Urans nicht anders. Über viele Monate hinweg hatte Klaproth versucht, das äußerst seltene Mineral Pechblende chemisch zu zerlegen und war dabei auf das neue Metall gestoßen. Bei seiner Analysearbeit mit Pechblende musste Klaproth nicht vom Nullpunkt anfangen. Er stand bereits in einer längeren analytisch-chemischen Tradition, die in Preußen mit den Chemikernamen Neumann, Pott, Marggraf und Gerhard verknüpft war. Die chemische Analyse stellte jedoch nach wie vor eine große methodische Herausforderung dar, insbesondere hinsichtlich ihrer quantitativen Verfeinerung, die im letzten Drittel des 18. Jahrhundert ein internationaler chemischer Interessenschwerpunkt war. In Schweden und Deutschland, wo der Bergbau florierte, stand die quantitative Analyse von Mineralien im Vordergrund. Damals gab es weder
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spezielle Lehrbücher über die analytische Chemie noch war es üblich, dass Chemiker in Veröffentlichungen ihre Analysetechniken so genau beschrieben, dass sie ohne weiteres wiederholt werden konnten.419 Klaproth wendete für alle Mineralanalysen stets mehrere verschiedene experimentelle Techniken nacheinander an. Er verglich deren Ergebnisse und versuchte dann, sie wie in einem Puzzle zu einem übereinstimmenden Resultat zu kombinieren. Mineralien analysierte er immer sowohl auf dem „trockenen Weg“ durch starkes Erhitzen als auch auf dem „nassen Weg“ durch Auflösung in Säuren oder Alkalien und die nachfolgende Fällung eines Bestandteils. Dabei variierte er auch die Einzelverfahren des trockenen und nassen Wegs, indem er ein Mineral beispielsweise zuerst im geschlossenen Gefäß und dann unter Luftzutritt erhitzte bzw. die ganze Palette verschiedener Mineralsäuren und alkalischer Auflösungs- und Fällungsmittel nacheinander durchprobierte. Die Analyse eines jeden einzelnen Minerals erforderte auf diese Weise dutzende von Versuchen, und jeder dieser Einzelversuche wurde oft mehrmals wiederholt, um Irrtümer auszuschließen. Klaproth wurde von seinen Zeitgenossen als äußerst gewissenhafter und bescheidener Mann geschildert, dem „Selbstsucht“ und „Prahlerei“ fremd waren.420 Im gleichen Alter wie der berühmte französische Chemiker Antoine-Laurent Lavoisier stehend − beide waren 1743 geboren –, hätte es Klaproth nie gewagt, eine chemische Theorie wie die Phlogistiontheorie, die in der ganzen Chemikergemeinschaft akzeptiert war, durch ein großes theatralisches Spektakel wie Lavoisiers Autodafé als überholt zu erklären. Und anders als sein jüngerer Freund Alexander von Humboldt, der sich im Herbst 1789 als mineralogischer Neuling in den Streit über Basalte einmischte, weil er glaubte, seine eigenen Beobachtungen „könnten einem Gelehrten manchen Stoff darreichen“, machte Klaproth von seiner Entdeckung des Urans nicht allzu viel Aufhebens.421 Er gab sie bekannt, aber er verschwieg auch die Unklarheiten nicht. Klaproths Entdeckung wurde nicht zuletzt wegen der peinlich genauen Analysebeschreibungen und detaillierten Informationen über die Eigenschaften des aus Pechblende isolierten „Urans“ allgemein anerkannt. Dennoch war Uran in den folgenden Jahrzehnten nicht viel mehr als ein Phantom, das nur in Ausnahmelaboratorien existierte. Seine Verfügbarkeit als materielles Objekt und seine Verwendung für weitere Experimente ließ nicht zuletzt auch deshalb lange auf sich warten, weil es ungeheuer aufwendig war, den Stoff in ausreichender Menge aus Pechblende zu isolieren. Erst 1841 wies der französische Chemiker und Probierer der Pariser Münze Eugène Melchior Peligot nach, dass Klaproths Uran in Wirklichkeit das Uranoxid UO2 war. Erst Peligot stellte mit ganz anderen Methoden tatsächlich metallisches Uran dar.422
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Klaproth in Freiberg Woher bezog Klaproth die Pechblendeproben für seine Experimente? Im Sommer 1788 war er in die sächsische Hauptstadt Dresden und die Bergstadt Freiberg gereist.423 Der reisescheue Klaproth dürfte diese „mineralogische Reise“, wie er sie nannte, nicht auf eigene Initiative unternommen haben. Sie ging vermutlich auf einen Vorschlag von Heinitz zurück. Seit jeher hatte der Minister auf Reisen gesetzt, wenn es galt, das Wissen seiner Schützlinge zu verbessern. Zudem war Heinitz als ehemaliger sächsischer Bergbeamter mit Sachsens Mineralienreichtum vertraut, und er wird Klaproth auch die Begegnung mit sächsischen Bergbeamten vermittelt haben. Es ist naheliegend, dass sich Klaproth während seines Besuchs in Freiberg mit Werner über die Pechblende unterhielt, die dieser aus eigener Erfahrung kannte. Werner gehörte zu den wenigen Naturforschern, die diese schon vor Klaproth analysiert hatten. Die dabei auftretenden Schwierigkeiten hatten ihn gezwungen, seine ersten Analyseergebnisse zu revidieren. Als sächsischer Bergbeamter hatte Werner überdies Zugriff zu diesem äußerst seltenen, aber in sächsischen Gruben vorkommenden Mineral. Somit ist zu vermuten, dass Klaproths Pechblendeproben von seiner sommerlichen Reise nach Freiberg stammten. Verbrieft ist lediglich, dass er damals von Werner den aus Ceylon stammenden Zirkon erhielt, dessen Analyse noch im selben Jahr 1789 zu Klaproths Entdeckung der „Zirkonerde“ führte.424 Nach Berlin zurückgekehrt, dürfte sich Klaproth spätestens im Herbst an die Analyse der Pechblende gemacht haben, denn das Jahr bis zur Bekanntgabe seiner Entdeckung von Uran im September 1789 war auch mit Arbeiten in der Apotheke und vielen anderen Verpflichtungen ausgefüllt. Klaproth bezog einen Großteil der Mineralienproben für seine chemischen Analysen aus preußischen und sächsischen Bergwerken und darüber hinaus auch von befreundeten Naturforschern und durch Ankäufe von Naturalienhändlern. Carl Abraham Gerhard war einer der ersten Mineralogen, von dem er Mineralien aus der eigenen Sammlung erhielt. Auch der englische Bergwerksbesitzer und Mineraliensammler John Hawkins schenkte Klaproth Mineralien, unter denen sich auch die Mineralien aus Cornwall befanden, über deren Analyse Klaproth 1786 publizierte. Später würde auch Alexander von Humboldt seinem „vortrefflichen Freund“ Mineralien zukommen lassen, zuerst solche aus fränkischen Gruben und dann aus Amerika.425 Wie andere Mineralogen legte sich auch Klaproth in den 1780er-Jahren eine Mineraliensammlung zu, auf die Nicolai in seiner Beschreibung der Königlichen Residenzstädte von 1786 hinwies. „Ohne eben von großem Umfang zu seyn“, so
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Nicolai, enthielt sie doch die seltenen Mineralien aus Cornwall. Im Vergleich zu Gerhards „vorzüglichem“ Mineralienkabinett, in dem, wie Nicolai betonte, „alle bisher bekannte Genera und Spezies“ der Mineralien versammelt waren, war Klaproths Kollektion zu dieser Zeit noch bescheiden. In der Folgezeit würde sie beträchtlich anwachsen, sodass seine Erben sie im Spätsommer 1817 für mehrere Tausend Taler an die Berliner Universität verkaufen würden.426
„Urangelb“ für die Porzellanmalerei Klaproth hatte bei seiner Analyse von Pechblende zuerst „Urankalk“ (später Uranoxid) entdeckt und danach versucht, Urankalk zu metallischem Uran zu reduzieren. Während ihm Letzteres nur mit größten Mühen gelungen war, und er, wie er in seinen Veröffentlichungen selbst eingestand, nicht vollkommen sicher sein konnte, das reine Uranmetall wirklich in Händen zu halten, bestand über die Identität von Urankalk keinerlei Zweifel. Urankalk hatte eine schöne gelbe Farbe. Klaproth begriff sofort, dass er seine Entdeckung zu einer Erfindung ausbauen konnte. Seit Juli 1787 war er Mitglied einer von Heinitz eingerichteten Kommission für die Inspektion des Farbenlaboratoriums der Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur. Wie wir weiter unten noch sehen werden, gehörte auch die Erfindung neuer Porzellanfarben zu den Aufgaben dieser Kommission. Klaproth war in dieser Hinsicht gerade ein Durchbruch geglückt. Er hatte ein Rezept für die Nutzung von Platin für die Porzellanmalerei gefunden. Was lag also näher, als dasselbe auch mit Urankalk zu versuchen? Bei den für die Porzellanmalerei verwendeten Farben handelte es sich ausnahmslos um „Metallkalke“ (Metalloxide), die die Hitze beim Emaillieren des Porzellans unzersetzt überstanden. Unmittelbar im Anschluss an seine Versuche zur Darstellung metallischen Urans führte Klaproth erste Experimente zur Nutzung von Urankalk für die Färbung von Gläsern und die Porzellanmalerei durch. Dabei stellte er fest, dass sich Urankalk tatsächlich für die Glasfärbung eignete. Je nach der Art der stofflichen Zusätze erhielt er ein braungraues, wie Rauchtopas aussehendes Glas und Gläser, die „hellapfelgrünem“ Chrysopras und grünem Smaragd ähnlich sahen. Auf Porzellan aufgetragen, erhielt er mit Urankalk eine „gesättigte Orangefarbe“. 427 Um die Erfindung technisch zu perfektionieren, wiederholte und variierte ein Laborant der Porzellanmanufaktur und Schüler Klaproths namens Friedrich Bergling die Experimente in den nachfolgenden Jahren. Im September 1792 war es dann so weit. Bergling berichtete, er habe „die von Herrn Professor Klaproth vorgeschlagenen Versuche, die Niederschläge von Uranium (und Tungstein) zu Porzellan Farben
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anzuwenden [...] mit der größten Genauigkeit bearbeitet“, und es sei ihm gelungen, schöne gelbe Porzellanfarben herzustellen. Das „Urangelb“ der KPM war gefunden. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der radioaktive Stoff in der Porzellanmalerei der KPM verwendet.428
Experte im Zirkel des Ministers von Heinitz Bevor Klaproth 1786 seine Forschung auf die Analyse von Mineralien konzentrierte, waren seine Experimente inhaltlich so breit gefächert, dass keinerlei Programm erkennbar war. Sein erster, selbständiger Aufsatz von 1782 war mit einiger Berechtigung in einer Zeitschrift wie den Allerneusten Mannigfaltigkeiten erschienen, denn er enthielt neben Informationen über den Phosphor auch Tipps für die Herstellung destillierter Wässer. Danach veröffentlichte Klaproth Aufsätze über die „Bestuscheffsche Nerventinctur“, den „Lamottischen Goldtropfen“, Arkana und andere pharmazeutisch-chemische Gegenstände.429 Dem folgten drei Veröffentlichungen über Mineralien sowie eine weitere „Über die beste Bereitungsart der Blutlauge“, also ein Herstellungsverfahren für ein chemisches Reagenz. Nach weiteren Mineralanalysen, darunter auch der von John Hawkins geschenkten Mineralien aus Cornwall, wandte er sich 1786 wieder einem völlig anderen Untersuchungsgegenstand zu. Er wiederholte ein Experiment Antoine-Laurent Lavoisiers, der behauptet hatte, man könne Wasser in ein „brennbares Gas“ (später Wasserstoff) und „Lebensluft“ (Sauerstoff) zerlegen. Bis dahin hatte Wasser als ein unzerlegbarer Stoff gegolten. Aufgrund seiner eigenen Analysen stimmte Klaproth zwar Lavoisier hinsichtlich der Tatsache zu, dass in dem Experiment ein brennbares Gas und Lebensluft entstanden, aber er interpretierte dies nicht als Zerlegung des Wassers. Hatte sich Klaproth somit in den Jahren zuvor mit einer Vielzahl verschiedener Forschungsthemen beschäftigt, so trat um 1786/87 eine markante Wende ein. Von dieser Zeit an konzentrierte er sich auf die Analyse von Mineralien und bezeichnete sich als „chemischen Mineralogen“. Er begann, eine unendliche Kette von Mineralanalysen zu knüpfen. Was veranlasste ihn dazu? Für einen Apotheker wäre es naheliegender gewesen, sich in die chemische Pharmazie und die damals boomende Pflanzenchemie zu vertiefen. Seit dem Frühjahr 1784 war Klaproth Chemiedozent in der Vorlesungsreihe der Bergwerks- und Hüttenadministration. Es lag nahe, in dieser Vorlesung den Akzent auf Mineralien und ihre chemische Analyse zu legen. Im Juni 1787 verdoppelte der ansonsten nicht gerade freigebige Minister von Heinitz Klaproths Dozentengehalt auf 200 Taler und sprach ihm für „seinen erprobten Eifer das völlige Zutrauen“
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aus.430 Einen Monat später ernannte er ihn zum Mitglied einer Inspektionskommission in der Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur und beauftragte ihn mit der chemischen Ausbildung des Laboranten Friedrich Bergling. Klaproths Zutritt zur Porzellanmanufaktur, in deren Brennöfen er auch eigene Mineralanalysen vornehmen konnte, setzte einen Eid voraus, in dem er sich verpflichtete, keines der kostbaren Manufakturgeheimnisse nach außen dringen zu lassen. Spätestens seit Sommer 1787 gehörte Klaproth somit zum inneren Zirkel des Ministers von Heinitz, der ihn in den folgenden Jahren zu seinem wichtigsten chemischen Experten machen würde. Die Porzellanmanufaktur verarbeitete ausschließlich mineralische Rohmaterialen. Die Porzellanmasse, Brenngefäße, Farben und Flussmittel, die für die Porzellanmalerei gebraucht wurden, bestanden allesamt aus Stoffen mineralischer Herkunft. Überdies bestand eine der Hauptaufgaben der von Heinitz eingesetzten Inspektionskommission in der KPM in der chemischen Analyse der dort verwendeten mineralischen Materialien. Klaproths Wandel zum chemischen Mineralogen um 1786/87 findet somit eine einfache Erklärung. Er fällt zeitlich genau mit seinem Aufrücken zum Vertrauten von Heinitz und seinem verstärkten Engagement als chemischer Experte zusammen. Aus diesem Milieu dürften somit auch die wichtigsten Impulse für seine Konzentration auf die chemische Mineralanalyse gekommen sein. Überdies gehörte die Mineralogie zu den attraktivsten und dynamischsten Naturwissenschaften der Zeit. Heinitz verließ sich auf Klaproths chemische Expertise nicht nur im Zusammenhang mit der KPM und der chemischen Ausbildung von Laboranten und Bergbaueleven, sondern zog ihn auch in vielen anderen Fällen zu Rate. Ein Beispiel dafür ist der Fall des „chemischen Fabrikanten“ Joachim Weber, der sich im September 1787 an Friedrich Wilhelm II. mit der Bitte wandte, ihm einen Kredit von 3000 Talern für den Bau eines „Laboratoriums“ für die Herstellung von Farben, Lacken, „Bergproducten“ und anderen „chemischen Producten“ zu zu gewähren. Der König war nicht abgeneigt und beauftragte Heinitz, die Sache „näher prüfen zu lassen“. Vor einer Entscheidung, so der König, sei es nötig, „von der Wahrheit und Nutzbarkeit seiner [Webers] gerühmten Kenntnisse versichert zu seyn“. Die Sache zog sich einige Zeit hin, bis sich Heinitz entschloss, den Plan Webers an Klaproth „zur Prüfung vorzulegen“. Daraufhin überreichte Klaproth dem Minister im Dezember 1789 ein ausführliches schriftliches Gutachten, in dem er die chemischen Verfahren des Fabrikanten einer genauen Prüfung unterzogen hatte.431 Dabei benutzte Klaproth eine Methode der quantitativen Bilanzierung chemischer Reaktionen, die den späteren Reaktionsgleichungen ähnlich war. Die Einführung dieser Methode wird daher in
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der Chemiegeschichtsschreibung zu unrecht ausschließlich dem französischen Chemiker Lavoisier zugeschrieben. Klaproth übertrug seine quantitative Bilanzierung chemischer Reaktionen auf den technischen Maßstab und nahm dann ausgehend von seinen Berechnungen eine ökonomische Bilanzierung von Webers Vorhaben vor.432 Da das Ergebnis nicht überzeugend war, wurde das Vorhaben abgelehnt.
Der Geschäftsmann Bei seiner Begutachtung von Webers Plan war Klaproth möglicherweise kein ganz uneigennütziger, objektiver Gutachter. Inzwischen produzierte er nämlich im seinem eigenen Apothekerlabor ebenfalls mehrere Chemikalien, sodass nicht auszuschließen ist, dass er in dem Fabrikanten einen potenziellen Konkurrenten sah. Klaproth hatte zum Beispiel im März 1788 reines Quecksilber an Oberbergrat Ferber verkauft, der im Auftrag von Heinitz Amalgamierversuche von Gold-und Silbererzen vornehmen sollte. Wie Ferber in einer Rechnung für das Bergwerks- und Hüttendepartment mitteilte, überließ Klaproth das von ihm hergestellte Quecksilber „um einige Groschen wohlfeiler“ als es „sonst in Berlin verkaufft wurde“. Spätestens von 1788 an belieferte Klaproth auch das Farbenlaboratorium der KPM mit Salpetersäure und Schwefelsäure.433 Dass Klaproth auch ein guter Geschäftsmann war, der wusste wie man sich lästiger geschäftlicher Konkurrenten entledigte, zeigt auch ein anderer Fall. Als 1796 ein Provisor namens Lezius den König um ein Privileg für die Einrichtung einer neuen Apotheke in Berlin bat, reichte Klaproth mit anderen Apothekern eine sieben Seiten lange „Protestation“ mit dem Argument ein, Berlin sei bereits „hinlänglich mit Apotheken versehen“ und neue Apotheken seien nachteilig für das Medizinalwesen. Gerade weil sie den preußischen Staat über alles verehrten, erklärten die Apotheker in ihrem Brief, seien sie „um so bestürzter“, dass der König ein neues Apothekenprivileg vergeben wolle.434 Die deutschen Apothekerlaboratorien des 18. Jahrhunderts gehörten zu den wichtigsten Vorläufern der chemischen Industrie. Das zeigt nicht zuletzt auch ein kurzer Blick auf die Geschichte der berühmten Firma Merck, die 1816 in einer Darmstädter Apotheke begann. In den 1830er-Jahren, als Merck sein Morphium, Strychnin und weitere Alkaloide bereits in ganz Europa und in den USA verkaufte, verwendete er immer noch das Markenzeichen „Chemisches Laboratorium von E. Merck, Darmstadt“. Das „chemische Laboratorium“ war nichts anderes als das Apothekerlabor, das zu seiner Darmstädter Apotheke gehörte.435 Auch Klaproths Apothekerlaboratorium war jahrzehntelang ein multifunktionaler Ort: Produkti-
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onsstätte von chemischen Medikamenten und von Chemikalien, experimentelle Forschungsstätte und Vorlesungsraum. Dass Klaproth dabei seine Apotheke Zum Bären insgesamt nicht vernachlässigte, zeigt der Vergleich ihres Kauf- und Verkaufspreises. Für 9500 Taler hatte er sie erworben und für 28 500 Taler konnte er sie zwanzig Jahre später wieder verkaufen.436
22. In der Akademie der Wissenschaften Im Januar 1788 war Klaproth in die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen worden. Er hatte bis dahin 25 Aufsätze publiziert, unter denen sich die meisten mit Mineralanalysen befassten. Andreas Sigismund Marggraf, ehemals berühmtester preußischer Chemiker, war 1782 gestorben, und Klaproth trat nun an seine Stelle. In der Bekanntgabe seiner Wahl bezeichnete ihn die Berlinische Zeitung vom 26. Januar 1788 als Berlins „beruehmten Chymiker“. Fünf Tage später trug Klaproth seinen akademischen Antrittsvortrag Discours de réception vor.437 Seine frühe Ambition, die französische Sprache zu lernen, hatte sich gelohnt, denn Friedrich II. hatte Französisch als Gelehrtensprache durchgesetzt. Die Königlich preußische Akademie der Wissenschaften und Literatur war aus der Sozietät der Wissenschaften hervorgegangen, die im Juli 1700 nach einem Plan des Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz gegründet worden war. Nach Leibniz kam der Societät die Aufgabe der Förderung der Naturwissenschaften und Mathematik zu, einschließlich ihrer praktisch nützlichen Elemente. Im Stiftungsbrief vom 11. Juli 1700 hieß es, sie solle dafür Sorge tragen, dass durch das Studium „der Wercke und Wunder Gottes in der Natur“ auch die „Ausübung derer Erfindungen [und] Kunstwerke“ verbessert werde“. Überdies sollte sich die Societät auch dem Studium und der Pflege der deutschen Sprache und Geschichte widmen.438 Unter Friedrich II. wurde die Societät Ende 1743 als Académie des Sciences et Belles Lettres (Akademie der Wissenschaften und Literatur) reorganisiert und in vier Klassen eingeteilt − die physikalische, mathematische, philosophische und historisch-philologische. Sie sollte das „ganze Wissenschafts- und Kunstwesen“, mit Ausnahme der Theologie, Rechtslehre, Poesie und Rhetorik studieren. Wie die alte Societät verfolgte auch die Akademie das Ziel des „realen Nutzens“, das nun als „le bien public“ (Gemeinwohl) definiert war.439 Die Akademie der Wissenschaften war bedeutend kleiner als die alte Societät. Nach dem Statut sollte jede Klasse nur drei ordentliche Mitglieder aufnehmen, doch deren Zahl war in der Realität meist höher. Dazu kamen Ehrenmitglieder, assoziierte
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und auswärtige Mitglieder. Nach dem Tod Friedrichs II. im August 1786 berief der neue Kurator der Akademie, Ewald Friedrich Graf von Hertzberg, fünfzehn neue ordentliche Mitglieder und stärkte damit die historisch-philologische Klasse mit ihrem Kerngebieten deutsche Sprache, Literatur und Geschichte. Gleichzeitig reduzierte er die Zahl der auswärtigen, nicht-deutschsprachigen Mitglieder. Als Klaproth in die Akademie aufgenommen wurde, hatte die philosophische Klasse sechs und die historisch-philologische zehn Mitglieder, denen vierzehn Mitglieder der physikalischen und der mathematischen Klasse gegenüber standen.440 Die Akademiker trafen sich jeden Donnerstag zu einer gemeinsamen Sitzung im Stadtschloss, auf der die Angehörigen aller vier Klassen wissenschaftliche Vorträge hielten, über ihre Korrespondenz berichteten sowie ihre Gutachtertätigkeiten, technischen Projekte und Verwaltungsberichte besprachen. Jedes Akademiemitglied war verpflichtet mindestens zweimal im Jahr einen Vortrag zu halten, doch Klaproth trug dem Beispiel Gerhards und Achards folgend häufiger vor. Zu den langfristigen Projekten der Akademie gehörte die Seidenraupenzucht und Kultivierung von Maulbeerplantagen sowie die Herstellung von Kalendern, aus deren Verkauf sich die Akademie weitgehend finanzierte und für die sie ein Monopol besaß. Verwaltungsaufgaben fielen nicht zuletzt für die wissenschaftlichen Einrichtungen der Akademie an, das Observatorium, physikalische Kabinett und chemische Laboratorium, den botanischen Garten mit dem Herbarium, die Bibliothek und das zum Collegium medico-chirurgicum gehörende anatomische Theater, das von der Akademie mitfinanziert wurde. Dazu kamen Beratungen über die jährlichen Preisaufgaben und die Wahl neuer Mitglieder. Klaproth nutzte nun die wöchentlichen Zusammenkünfte in der Akademie für den wissenschaftlichen Austausch mit Gerhard, Ferber und Achard, der 1788 Direktor der physikalischen Klasse geworden war. Außerdem gehörten der physikalischen Klasse damals auch der Direktor der Berliner Realschule und Konsistorialrat Johann Esaias Silberschlag, der Professor am Collegium medico-chirurgicum Johann Gottlieb Walter, der königliche Leibarzt Johann Christoph Mayer, der Leibarzt der Königin Christian Ludwig Roloff und der ehemalige Leibarzt Friedrichs II. Johann Karl Wilhelm Moehsen an. Auch unter den Mitgliedern der mathematischen Klasse − dem Mathematiker Jean Castillon, den beiden Astronomen Johann Bernoulli und Johann Elert Bode, dem Oberbaurat Johann Karl Schulze und dem Artillerieoffizier Georg Friedrich L. von Tempelhoff − dürfte Klaproth interessante Gesprächspartner gefunden haben. 1794 wurde Humboldts Freund Willdenow in die akademische Runde aufgenommen, nachdem die vakante Stelle des 1786 verstorbenen Botanikers Gleditsch zur Wiederbesetzung freigegeben worden war.
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Lavoisier in Preußen Klaproth galt spätestens seit den späten 1780er-Jahren als der berühmteste deutschsprachige Chemiker. Er war international als äußerst präziser Analytiker bekannt, dessen Methoden und Genauigkeit als vorbildlich galten. Bereits die Tatsache, dass sich er sich als chemischer Mineraloge definierte und sich in seiner Forschung auf die Analyse von Mineralien konzentrierte, spricht für eine radikal empirische Ausrichtung. Aber auch in der Lehre trat er als Empiriker auf. Klaproth hat nie ein eigenes Lehrbuch verfasst. Aus der Mitschrift einer seiner Vorlesungen an der Artillerieschule von 1789 geht jedoch eindeutig hervor, dass er die Chemie als eine analysierende Wissenschaft über Stoffe verstand. Diese Ausrichtung ist auch in einer Vorlesung am Collegium medico-chirurgicum von 1807/08 unverkennbar. Darin definiert er die Chemie als eine „Scheidekunst“ und „Mischungskunde“, „welche lehrt, die Naturkörper in ihre Bestandteile zu zerlegen“.441 Während die Theorie auf ein kurzes Vorwort beschränkt ist, befaßt sich der Hauptteil mit Stoffgruppen, die unter chemischen Gesichtspunkten zusammengefasst sind. An erster Stelle stehen die Luftarten, dann folgen die Erden, Salze und Säuren, danach die brennbaren mineralischen Stoffe und die ebenfalls brennbaren Stoffe des Pflanzenreichs, und den Schluss bilden die Metalle und Halbmetalle. Fast sieht es so aus, als hätte Klaproth die damals übliche Stoffklassifikation nach ihrer natürlichen Herkunft in mineralische, pflanzliche und tierische Stoffe schon als zu theorielastig angesehen. Anders als in seiner auf die Mineralanalyse konzentrierten Forschung, verrat Klaproths Lehre die Stoffchemie in ihrer gesamten Systematik und Breite. Ohne sich direkt an nützlichen Gesichtspunkten zu orientieren, schlug auch die systematische Stoffchemie eine Brücke zum Diskurs über nützliches Wissen. Denn zahlreiche Stoffe, mit denen sich Klaproth hier befasste, waren nützliche oder zumindest potenziell nützliche Materialien. Trotz seiner empirischen Ausrichtung war Klaproth gelegentlich auch gezwungen, sich intensiver mit theoretischen Fragen zu beschäftigen. Das wurde unumgänglich, als sich die chemischen Theorien Antoine-Laurent Lavoisiers Anfang der 1790er-Jahre im deutschsprachigen Raum verbreiteten. Seit dem frühen 18. Jahrhundert hatten die Chemiker die Verbrennungen und die „Verkalkungen“ von Metallen (später Oxidation) als Entweichen von Phlogiston interpretiert. Phlogiston galt als eine unsichtbare stoffliche Komponente, die die Eigenschaft der Brennbarkeit bzw. Verkalkbarkeit einer chemischen Verbindung verursachte und erst bei der Verbrennung bzw. Verkalkung als Feuer und Wärme in Erscheinung trat. Verbrennung und Verkalkung galten somit als chemische Analysen. Nachdem die „Lebensluft“ (Sauer-
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stoff) und andere, in die Verbrennung und Verkalkung einbezogene Gasarten entdeckt worden waren, kam es zu Modifikationen der Phlogistontheorie. Die neueren Phlogistontheorien des späten 18. Jahrhunderts erklärten die Verbrennung und Verkalkung als eine gleichzeitig stattfindende Analyse und Synthese. Einerseits wurde durch die Zerlegung des brennbaren Stoffs Phlogiston freigesetzt, was die Wärme- und Feuererscheinung bewirkte, aber andererseits wurde auch Sauerstoff aufgenommen. Gegen Ende der 1770er-Jahre unterzog Lavoisier die Phlogistontheorie einer radikalen Kritik und stellte ihr seine Oxidationstheorie gegenüber. Auch seine Theorie erklärte die Verbrennung und Verkalkung als eine aus Analyse und Synthese bestehende Doppelreaktion, nahm aber einen anderen Mechanismus an. Nach Lavoisier waren alle Gase chemische Verbindungen eines noch unbekannten Grundstoffs mit Wärmestoff. Das empirisch nachweisbare Sauerstoffgas galt demnach als eine chemische Verbindung aus dem hypothetischen Grundstoff „Sauerstoff“ und Wärmestoff. Was wir heute als Sauerstoff bezeichnen, war somit im Rahmen dieser Theorie kein Element, sondern die chemische Verbindung Sauerstoffgas. Nach Lavoisiers Theorie verband sich bei Verbrennungen und anderen Oxidationen der brennende Stoff mit dem „Sauerstoff“ des Sauerstoffgases und setzte dadurch dessen Wärmestoff frei, der dadurch messbar wurde. Lavoisier ersetzte somit die alte Erklärung der Verbrennungswärme als Entweichen von unsichtbarem Phlogiston durch eine neue, aber durchaus ähnliche: Das Entweichen von unsichtbarem Wärmestoff aus Sauerstoffgas. Lavoisiers Oxidationstheorie war also keineswegs so revolutionär, wie er es selbst deklarierte. Alexander von Humboldt gehörte zu den ersten deutschen Naturforschern, die sich mit Lavoisiers Theorie auseinandersetzten. Er hatte diese Ende 1791, während seines Studiums in Freiberg, durch einen spanischen Studenten Lavoisiers und die Lektüre von Lavoisiers Traité élémentaire de Chimie (1789) genauer kennengelernt, nachdem er während seiner Englandreise von Girtanner einen ersten Einblick erhalten hatte. Humboldt begeisterte sich schnell für die Sichtweise Lavoisiers, nutzte aber noch einige Zeit die phlogistischen und die antiphlogistischen Stoffnamen nebeneinander. So schrieb er beispielsweise noch im Herbst 1796, das Grubengas, an dem die Bergleute erstickten, „scheint mir Priestleys dephlogistirte Salpeterluft, oxide gaseux d’azote zu sein“.442 Für seine eudiometrischen Gasanalysen war es ohnehin nicht notwendig, sich zwischen der älteren Phlogistontheorie und Lavoisiers antiphlogistischer Oxidationstheorie zu entscheiden. Während es in Hinblick auf die neuen gaschemischen Experimentaltechniken, die von Mitte des 18. Jahrhunderts an entwickelt wurden, so gut wie keine Meinungsunterschiede unter den Chemikern gab, kam es im späten 18. Jahrhundert zu einer
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theoretischen Kontroverse über die Phlogiston- und Oxidationstheorie. Trotz seiner Parteinahme für Lavoisiers Theorie, war Humboldt auch davon überzeugt, dass es auf der Basis des vorhandenen empirischen Wissens kein wirklich schlagendes Argument zugunsten der einen oder der anderen Theorie gab. In einem Brief an den Göttinger Professor Georg Christoph Lichtenberg vom April 1792 schrieb er, die Kontroverse um die Phlogiston- und Oxidationstheorie behandle eine rein „metaphysische“ Frage.443 Lavoisiers hypothetischer Wärmestoff war ebenso unsichtbar und gewichtslos wie das hypothetische Phlogiston seiner Gegner. Wie sollte man sich unter diesen Bedingungen eindeutig für die eine oder andere Erklärung der Wärmephänomene bei der Verbrennung entscheiden? Und in den Bilanzierungen der Massen der Ausgangsstoffe und Reaktionsprodukte, die Lavoisier als empirischen Beleg für die Oxidationstheorie anführte, hatte auch der gewichtslose Wärmestoff keinen Platz. 444
„Eine heilsame Warnung für Chemiker und Naturforscher“ Klaproth hatte bereits 1786 Lavoisiers Experiment zur Zerlegung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff wiederholt, die Ergebnisse aber völlig anders, nämlich im Einklang mit der Phlogistontheorie interpretiert. In seiner Vorlesung, die er 1789 an der Berliner Artillerieschule hielt, argumentierte er daher, man solle das Phlogiston so lange als einen wirklichen Stoff anerkennen, bis „bessere Erfahrungen es anders bestimmen“. Die Lehre Lavoisiers beruhe überdies auf „sehr schwankenden Gründen“.445 Klaproth hielt Lavoisier für einen Aufschneider. Zu Beginn der 1790er-Jahre musste sich Klaproth jedoch erneut mit Lavoisiers Theorie auseinandersetzten. Chemiker der Schemnitzer Bergakademie hatten, unterstützt durch den Wiener Lavoisieranhänger Ignaz Born, behauptet, es sei ihnen experimentell gelungen, aus den einfachen, bisher für unzerlegbar gehaltenen „Erden“ (später Metalloxide) neuartige Metalle zu isolieren. Klaproth wiederholte die Versuche im Laboratorium der Berliner Bergbehörde, und zwar in Anwesenheit von Zeugen, zu denen auch Hermbstaedt, Karsten und Minister von Heinitz gehörten. Seine eigenen Experimente sprachen indessen für experimentelle Irrtümer der Lavoisieranhänger. Nicht die analysierten Erden, so Klaproth, sondern die von den Schemnitzer Chemikern verwendeten Schmelztiegel enthielten die angeblich neuen Metalle, die sich in seinen eigenen Experimenten überdies allesamt als gewöhnliches Eisen erwiesen hatten. In einem in den Chemischen Annalen von 1791 veröffentlichten Aufsatz nahm Klaproth kein Blatt vor den Mund. Er argumentierte, die angebliche Zerlegung der Erden in den Schemnitzer Experimenten sei eine „bloße Täuschung“, die überdies auf „paradoxen Sätzen“ beruhe. „Ich schließe mit dem Wunsche, dass
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diese Geschichte eine heilsame Warnung für Chemiker und Naturforscher gewähren möge“, schrieb Klaproth.446 Nur selten hatte man so starke Worte von ihm gehört. Dennoch gewann Lavoisier auch in Preußen weitere Anhänger. 1792 trat Klaproths Freund Hermbstaedt mit einer deutschen Übersetzung von Lavoisiers Traité de chimie an die Öffentlichkeit, in der er sich zu dessen Lehre bekannte. Er habe diesen Schritt „nicht ohne Schüchternheit“ getan, bekannte er später, und die zu erwartende „Kreuzigung“ in Kauf genommen.447 Hermbstaedt war damals zwar noch kein Akademiemitglied, doch die Akademie beauftragte Klaproth umgehend, das Werk und die darin enthaltenen Argumente Lavoisiers zu prüfen. Das Ergebnis dieser Prüfung, das wenig später als Aufsatz veröffentlicht wurde, ließ alles offen. Klaproth zeigte sich einmal mehr als Empiriker, dem es schwer fiel, eine Entscheidung zwischen konkurrierenden Theorien zu treffen. Zwar konzedierte er, Phlogiston sei ein „Gebilde der Einbildungskraft“ oder eine bloße „Hypothese“, und man dürfe daher nicht glauben, das darauf aufbauende chemische System sei in sich „geschlossen und unerschütterlich“. Die Entdeckung neuer Stoffe in den letzten zehn bis zwanzig Jahren, vor allem die der Gase, habe in der Tat eine Revision dieses theoretischen Teils der Chemie notwendig gemacht. Ob dies allerdings bedeute, dass die Phlogistontheorie in Gänze verworfen werden müsse, wie Lavoisier behauptete, sei eine offene Frage. Daher könne man nur hoffen, „dass am Ende des Kampfs die Wahrheit“ stehe. Das salomonische Resümee des Empirikers Klaproth lautete, er könne erst dann eine abschließende Entscheidung treffen, wenn er einige „entscheidende Experimente“ wiederholt habe.448 Die außerordentlich kostspieligen Instrumente Lavoisiers waren jedoch für Klaproth nicht zugänglich, und somit blieb es dabei. Klaproth hat sich später nicht mehr mit Lavoisiers Theorie auseinandergesetzt. In seinen Vorlesungen übernahm er zwar spätestens von 1807 an die neue Nomenklatur und Stoffklassifikation Lavoisiers, jedoch nicht seine gesamte Theorie.
23. Experimente im Akademielabor Als Klaproth im April 1801 das Laboratorium der Akademie der Wissenschaften betrat, bot sich ihm ein schockierender Anblick. Fußböden und Wände waren bis zur Decke hinauf mit einer schwarzbraunen, klebrigen Masse überzogen, die chemischen Geräte waren weggeräumt und stattdessen fand er Schneide- und Pressmaschinen, riesige Kessel und Pfannen, Eimer, Schippen und anderes grobes Handwerksgerät vor. Empört schrieb er dem Akademiedirektorium, es solle sich um-
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gehend der „schleunigen Herstellung des im Argen liegenden academischen Hauses“ annehmen, wie es der „Ehre der Academie“ gebühre.449 Im vorangegangenen Jahr hatte er seine Apotheke verkauft und die Nachfolge Achards als Labordirektor angetreten. Seit Monaten wohnte er mit seiner sechsköpfigen Familie unter beengten Bedingungen in einer Mietwohnung. Der Umzug in das zweistöckige, in der Dorotheenstraße gelegene Laborgebäude hätte ihm endlich die Fortsetzung seiner Experimente erlaubt, wenn es denn tatsächlich beziehbar gewesen wäre. Doch selbst die Chemikerwohnung im ersten Stock des Hauses erwies sich als unbewohnbar. In seinem Antwortschreiben gestand das Akademiedirektorium ein, das Gebäude befinde sich in der Tat in einem „äußerst desolaten Zustand“ und die direkt über dem Laboratorium liegende Wohnung sei „gänzlich ruiniert“.450 Dennoch sah sich Klaproth gezwungen, Geduld zu üben, zumal er nur allzu gut wusste, dass er selbst nicht ganz unschuldig an dem Zustand war. Er hatte nicht nur positive Gutachten über die Zuckerexperimente Franz Carl Achards geschrieben und gebilligt, dass dieser das Akademielabor im Herbst 1799 ganz unverblümt in eine „Zuckerfabrik“ umgewandelt hatte, sondern sich auch persönlich an Achards großtechnischen Zuckerexperimenten beteiligt. Der ehemalige Direktor des Akademielabors Achard arbeitete inzwischen in einer wirklichen Rübenzuckerfabrik in Schlesien. Entgegen seinem Versprechen hatte er nicht dafür gesorgt, dass der ursprüngliche Zustand des Akademielabors wieder hergestellt wurde. Alles wurde vielmehr so hinterlassen, wie es nach Ablauf großtechnischer Experimente für die Herstellung „von einigen hundert Zentnern Runkel-Rüben-Zucker“ aus siedendem Zuckersirup zwangsläufig sein mußte: Das ganze Haus wies unübersehbare experimentelle Spuren auf.451
Rückblende: Der verzögerte Bau des akademischen Laboratoriums Pläne für den Bau eines akademischen Laboratoriums gingen bis 1700, dem Gründungsjahr der Societät der Wissenschaften, zurück, aber erst 1753 wurden diese realisiert. Leibniz selbst hatte ehemals argumentiert, die neu gegründete Societät müsse den „gemein-nützigen Applicationes“ mehr Aufmerksamkeit schenken und dafür benötige sie „ein Laboratorium samt allerhand Kunst-Wercken“.452 Wie wir oben gesehen haben, war die Verknüpfung von „Laboratorium“ und handwerklichen Künsten damals ganz selbstverständlich. Die lange, ein halbes Jahrhundert währende Verzögerung des Laborbaus hatte ausschließlich finanzielle Gründe. Anfang der 1720er-Jahre schien der Bau erstmals in greifbare Nähe gerückt zu sein. Friedrich Wilhelm I. hatte ihn gebilligt, doch er
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verlangte zugleich, die Akademie müsse sowohl den Bau als auch die nachfolgende Ausstattung und die Experimente selbst finanzieren. Er schlug vor, dies könne durch Herstellung und Verkauf von Siegellack und anderer chemischer Produkte geschehen. Nachdem im Dezember 1723 das Collegium medico-chirugicum gegründet worden war, brachten die Akademiemitglieder, allen voran der Hofapotheker und Chemiker Caspar Neumann (1683 – 1737), erneut Argumente für ein akademisches Laboratorium vor. Neumann erklärte, dieses sei nun unabdingbar, da die beiden Laboratorien der Hofapotheke ungeeignet für den chemisch-pharmazeutischen Unterricht des Collegium medico-chirugicum seien. Die Finanzierung eines Laboratoriums überschreite jedoch das Budget der Societät, da diese bereits das Anatomische Theater des Collegiums und einige Professorengehälter finanziere. Auch diese Argumente waren vergeblich, der König bewilligte die Gelder nicht.453 Erst im April 1753 kam Bewegung in das alte Projekt. Friedrich II. hatte „allergnädigst geruhet“, seine „Approbation zur Erbauung eines Laboratorii Chymici in dem hinter dem Observatorio gelegenen Garten der Academie“ zu geben und Mittel dafür bewilligt.454 Das 1708 von der Societät erworbene Grundstück in der Letzten Straße 10 (heute Dorotheenstraße 10) lag gegenüber dem Observatorium im Marstallgebäude. Noch im Sommer desselben Jahres wurde der Bau begonnen, und im Frühjahr 1754 war das Laborgebäude fertig gestellt. Kurz zuvor war der Apotheker-Chemiker Andreas Sigismund Marggraf (1709 − 1782) zum Labordirektor ernannt worden. Marggraf war seit 1738 ordentliches Mitglied der Societät und um die Mitte des 18. Jahrhunderts der renommierteste preußische Chemiker. Wie Klaproth war auch er ein experimenteller Chemiker, der Theorien wie die Phlogistontheorie zwar in die Interpretationen seiner Experimente einfließen ließ, aber wenig Interesse an ihrer Weiterentwicklung hatte. Seinen Veröffentlichungen waren stets Experimentalberichte über chemische Analysen oder das Studium der chemischen Eigenschaften und Reaktionen von Stoffen. Seine analytische und experimentelle Ausrichtung der Chemie wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts paradigmatisch für die meisten deutschen Chemiker und insbesondere auch für Klaproth. Von dem Herausgeber der Chemischen Annalen, Lorenz Crell, wurde er daher in einer Eloge von 1786 als der „Erneuerer“ der „europäischen Chemie“ gefeiert.455 Marggraf stammte aus einer wohlhabenden Berliner Apothekerfamilie, und niemand störte sich daran, dass er nur eine Apothekerlehre absolviert hatte. Im Gegenteil, um ihre praktisch-nützlichen Ziele − den „realen Nutzen“ − zu verwirklichen, verfolgte die Societät das Ziel, „gelehrte Leute, Ingenieurs und Künstler“ unter einem Dach zu vereinigen.456 Marggraf hatte seine chemischen Experimente jahrelang
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im eigenen Apothekerlaboratorium durchgeführt, darunter auch sein berühmtes Experiment von 1747, in dem er Zucker in einheimischen Rüben entdeckt hatte. Wie wir weiter oben gesehen haben, hatte der Apotheker-Chemiker den potenziellen praktischen Nutzen seines Experiments sofort erkannt. Möglicherweise konnte man den importierten Rohrzucker, den sich damals nur Begüterte leisten konnten, durch ein billigeres einheimisches Produkt ersetzen. Es dauerte jedoch noch einige Jahrzehnte, bis sein späterer Mitarbeiter, Franz Carl Achard, diese Idee aufgriff und zu einem technischen Großprojekt ausbaute. Dass Achards Zuckerprojekt eines Tages das Akademielabor ruinieren würde, konnte Marggraf freilich nicht ahnen. Marggrafs Ernennung zum Direktor des Akademielabors kam zu einem denkbar günstigen Zeitpunkt. Im Herbst 1752 hatte sein Vater die Apotheke Zum Bären, in der er lange gewohnt, gearbeitet und geforscht hatte, ohne seine Einwilligung an einen seiner Schwiegersöhne verkauft. Einem Freund schrieb Marggraf damals, er sei „mit List und möchte sagen Gewalt um die Apotheke gebracht worden.“ 457 Da er durch den Verkauf des Apothekerhauses mehr oder weniger auf der Straße stand, kam die Ernennung zum Labordirektor wie die unverhoffte Rettung. Im Frühjahr 1754 zog Marggraf mit Hab und Gut in das akademische Laborgebäude ein und begann, den Laborraum mit chemischen Geräten auszustatten. Seine Frau war im September 1752 gestorben, er hatte keine Kinder, sodass er sich wieder in die experimentelle Arbeit stürzen konnte. Direktor des Akademielabors zu sein, bedeutete die nahezu ausschließliche Verfügungsgewalt über dessen Nutzung. Außer Marggraf konnte dort niemand experimentieren, es sei denn mit Marggrafs ausdrücklicher Genehmigung. Der chemische Mineraloge und Bergrat Johann Gottlob Lehmann gehörte zu den wenigen Ausnahmen. In der Zeit zwischen 1757 und 1760 gestattete Marggraf dem außerordentlichen Akademiemitglied und Freund die gelegentliche Nutzung des Laboratoriums, doch in den folgenden Jahren experimentierte er meist alleine. 1774 erlitt der 65-jährige Marggraf jedoch einen Schlaganfall, der seine manuelle Beweglichkeit und Experimentierfähigkeit einschränkte. Das Akademiedirektorium unterstützte daraufhin seine Bitte um einen Mitarbeiter und beantragte im Januar 1776 beim König die Einstellung Franz Carl Achards, der „all die Talente, die einen ausgezeichneten Chemiker ausmachen“, besitze.458 In den folgenden sechs Jahren experimentierte Marggraf meist gemeinsam mit Achard.
Marggrafs Ausstattung des Akademielabors Der Direktorenposten bedeutete nicht, dass Marggraf ein fertig eingerichtetes Laboratorium übernehmen konnte. Große, eingemauerte Öfen zum Destillieren, Schmel-
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zen und Digerieren waren zwar vorhanden, aber für alles andere hatte er selbst zu sorgen.459 Marggraf stattete das akademische Laboratorium nahezu vollständig mit den chemischen Instrumenten und Gefäßen aus seinem ehemaligen Apothekerlaboratorium aus. Für die Akademie bedeutete dies einen kaum zu überschätzenden Wert, den sie noch dadurch zu vergolden verstand, dass sie die Rückerstattung für Marggrafs Geräte bis 1766 hinausschob. Marggraf musste somit anfangs nur wenige Laborgeräte hinzukaufen. Die Tatsache, dass Marggraf die Geräte seines Apothekerlaboratoriums in das Akademielabor transferierte, belegt einmal mehr die Übereinstimmung der materiellen Kultur von Apothekerlaboratorien und akademisch-chemischen Laboratorien im 18. Jahrhundert. Selbst wenn die Laborausstattung eines Apotheker-Chemikers wie Marggraf überdurchschnittlich war, so ist die alltägliche Herkunft seiner Laborinstrumente doch unverkennbar. Die übergroße Mehrzahl seiner chemischen Instrumente, Gefäße und Öfen wurde von Glasbläsern, Töpfern, Ofenbauern und anderen in der Stadt ansässigen Handwerkern gefertigt. Die ausgefeilten Präzisionsinstrumente des wohlhabenden französischen Chemikers Lavoisier stellten noch eine seltene Ausnahme dar. Wenn es etwas Erstaunliches an Marggrafs Laborausrüstung gab, so war dies die ungeheure Anzahl der Einzelstücke. Neben einer „Menge ganz kleiner Kolben und Retorten“ gehörten zu dem Sortiment über 400, meist irdene Retorten, 144 kleine Rezipienten, zwei große, gläserne Rezipienten für Destillationen, acht tragbare Öfen mit Aufsätzen, eine nicht genauer spezifizierte Zahl von Phiolen und Kolben aus weißem und grünem Glas, Gläser mit gläsernen Stöpseln, Kapellen unterschiedlichster Größe sowie Tiegel, Messingscherben, Messingpfannen, eiserne Töpfe und weiteres Zubehör für Schmelzarbeiten, eine eiserne „Amalgamiermaschine“, Mörser, Hammer und Ambosse. Die einzige etwas ungewöhnliche Apparatur war eine „Maschine“ aus Glas zur Destillation an der Sonne.460 Marggraf bezifferte den Wert seiner Laborausstattung, über die er im Februar 1767 ein Inventarium zusammenstellte, auf rund 322 Reichstaler. Das war eine durchaus bescheidene Summe im Vergleich zur den Ausgaben für das akademische Observatorium, die 1768 rund 1295 Reichstaler betrugen. Ebenso bescheiden waren die laufenden Ausgaben für die Experimente, die sich 1768 auf rund 204 Reichstaler jährlich summierten. Marggraf bezog die chemischen Ausgangsstoffe für seine Experimente weitgehend von einem Apotheker namens Fabricius und vom Besitzer der Apotheke Zum Weissen Schwan, Valentin Rose, der ihn hauptsächlich mit Weinspiritus und Bittererde belieferte.461
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Die Rückerstattung der Kosten für seine private Laborausrüstung wurde Marggraf nicht leicht gemacht. Vielmehr musste er der Akademie im Oktober 1766 eine schriftliche Aufforderung schreiben, in der er darauf hinwies, dass „aus dem Archiv der Academie zu ersehen [ist], das alles was sich im Laboratorio befindet, ein weniges davon ausgenommen, von mir dahin mitgebracht worden sey“. Der Wink, seine Erben könnten im Todesfall Rückgabeansprüche stellen, war vielleicht ausschlaggebend dafür, dass er im Frühjahr 1767 tatsächlich eine finanzielle Entschädigung erhielt.462 1760 rückte Marggraf auf die Stelle des Direktors der physikalischen Klasse der Akademie auf, nachdem der vorherige Direktor Johann Theodor Eller (1689 – 1760) im September desselben Jahres verstorben war. Das war eine enorme Auszeichnung für den gelernten Apotheker, denn Eller war nicht nur irgendein Mediziner, sondern erster königlicher Leibarzt, Vorsitzender der obersten medizinischen Aufsichtsbehörde, Direktor der Charité und des Collegium medico-chirurgicum. Marggraf bezog nun ein Jahresgehalt von 600 Reichstalern, das ihm auch während des Siebenjährigen Krieges ausgezahlt wurde, als andere ordentliche Mitglieder finanziellen Verzicht leisten mussten. Aber man erwartete von ihm weiterhin, dass er das Laboratorium aus seinem persönlichen Einkommen bezuschusste. Nach seinem Tod konnten Marggrafs Erben daher bei der Übergabe des Laboratoriums an Achard Entschädigungsansprüche stellen. Erst von 1766 an erhielt Marggraf ein jährliches Laborbudget von 250 Reichstalern. Von dieser Zeit an stellte er mehrere Labordiener an, deren Gehalt einen beträchtlichen Teil des Jahresbudgets ausmachte.463
Erweiterung des Akademielabors Nachdem die Akademie der Wissenschaften während des Siebenjährigen Kriegs auf königliche Gelder weitgehend verzichten musste, wurden ihre Finanzen nach Kriegsende neu geordnet. In diesem Zusammenhang willigte Friedrich II. auch in die Renovierung und Erweiterung des akademischen Laborgebäudes ein, die 1764 begann. Im November 1764 musste Marggraf daher aus dem Gebäude ausziehen und sich vorübergehend eine Mietwohnung nehmen, aus der er zwei Jahre später wieder ausziehen konnte. Von 1766 an standen ihm dann außer dem eigentlichen Laborraum für die Experimente noch vier weitere Räume zur Verfügung. Der Laborraum selbst dürfte demjenigen der Universität Altdorf (bei Nürnberg) ähnlich gewesen sein. An den Seitenwänden standen die eingemauerten und die kleinen tragbaren Öfen, deren Zahl sich nun auf insgesamt fünfzehn belief. An der Fensterwand stand ein großer Tisch, auf dem Marggraf die „nassen“ chemischen Operationen − vor allem stoffliche Auflösungen in Säuren, Präzipitationen, Filtrationen
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Abb. 35 Laboratorium der Universität Altdorf. Aus Puschner (um 1720). Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen.
und Kristallisationen − in kleinen Glaskolben, Phiolen und Zuckergläsern vornahm. Gleich links neben der Eingangstür befand sich eine Zisterne für die Wasserversorgung sowie ein großer eiserner Mörser, den Marggraf bereits 1754 gekauft hatte.464 Alle anderen Gefäße, Instrumente und Materialien, die nicht aktuell für die Experimente gebraucht wurden, wurden in den anderen vier Räumen untergebracht. An den großen Laborraum im Erdgeschoss grenzte ein Vorbereitungsraum, der mit Regalen, Schränken und Tischen ausgestattet war und in dem außer diversen Gefäßen vor allem Chemikalien und unfertige chemische Präparate aufbewahrt wurden, mit denen Marggraf später weiterarbeiten wollte. Ein weiterer, als „Praeparations Cammer“ bezeichneter Raum befand sich neben der Haupteingangstür des Laborgebäudes. Hier wurden Waagen und Gewichte sowie Metallplatten, kleinere Instrumenten und weitere Reagenzien aufbewahrt. Die große Mehrzahl der Gefäße − hunderte von Zuckergläsern, Uringläsern, Florentiner Weinflaschen, irdenen Milchnäpfen, Phiolen, irdenen und gläsernen Retorten und Schmelztiegel − wurden in dem neuen Dachgeschossraum gelagert. Im Keller befand sich die Kohlenkammer.
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Als Direktor der physikalischen Klasse war Marggraf von 1760 an auch für den Kauf der Instrumente für das „physikalische Kabinett“ verantwortlich. So kaufte er 1767 eine Elektrisiermaschine für 56 Reichstaler, ein Barometer für 16 Reichstaler, eine Präzisionswaage für 30 Reichstaler und eine zweite Waage für 11 Reichstaler. Diese Instrumente wurden im physikalischen Kabinett aufbewahrt und für Experimente ausgeliehen. Die Ausleihregeln waren schriftlich fixiert, und jede Ausleihe musste begründet werden. Im physikalischen Kabinett selbst wurde dagegen nicht experimentiert. Marggraf selbst lieh sich aus dem physikalischen Kabinett gelegentlich eine der kostbaren, im Ausland erworbenen Präzisionswaagen für seine chemischen Analysen aus. 1769 wurde eine französische Präzisionswaage vom physikalischen Kabinett ins chemische Laboratorium transferiert, in dem es bis dahin nur Apothekerwaagen gegeben hatte.465
24. Achards Zuckergewinnung im Akademielabor Schon in jungen Jahren war Franz Carl Achard (1753 – 1821) in Berlins akademischen Kreisen wohlbekannt. Er stammte aus einer wohlhabenden Hugenottenfamilie, lebte vom Familienvermögen und begann mit 19 Jahren, nach einem Besuch der Vorlesungsreihe des Bergwerks- und Hüttendepartments, kleinere Aufsätze über physikalische und chemische Themen im Berliner Journal littéraire zu veröffentlichen. Seine beiden Großonkel, die für seine Erziehung und private Ausbildung sorgten, waren Mitglieder der philosophischen Klasse der Akademie der Wissenschaften und genossen großes Ansehen am Hof. Der junge Achard kannte daher keine Scheu, Akademiemitglieder wie Marggraf, Lambert und Johann Bernoulli um Gefälligkeiten zu bitten, die seiner Karriere förderlich waren. Und auch an Friedrich II. persönlich richtete er sich zu diesem Zweck. Bereits als 21-Jähriger besaß er eine eigene Sammlung teurer physikalischer Instrumente und wurde als „Gelehrter“ und „eifriger Physikus“ in die Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin aufgenommen.466 Obwohl er nie eine Universität besucht hatte, wurde er im Juni 1776, mit 23 Jahren, zum ordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften gewählt. Nur zwei Tage nach Marggrafs Tod, am 7. August 1782, erhielt Achard von Friedrich II. die Ernennung zum Direktor des Laboratoriums und der physikalischen Klasse der Akademie. Drei Wochen später, am 22. August, überreichte ihm Marggrafs ehemalige Haushälterin und Universalerbin Anne Sabine Poeschkin die Schlüssel zum Laboratorium sowie ein Inventarium, in dem Marggrafs gesamte Laborausrüstung
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aufgelistet war.467 Das Laboratorium hatte sich in den vergangenen 20 Jahren so gut wie nicht verändert, es war immer noch mit derselben Art chemischer Gefäße, Instrumente und Materialien ausgestattet wie in den 1760er-Jahren. 1779 war zwar ein neuer Ofen hinzugekommen, aber das Inventarium listete noch dieselben Uringläser für die Evaporation von Salzen und dieselben Glasgefäße, Retorten und Kapellen auf, die Marggraf zuvor schon verzeichnet hatte. Auch die einzige Kostbarkeit, die französische Probierwaage mit Gehäuse, war noch vorhanden. Überdies verwahrte Frau Poeschkin noch hunderte von Schmelztiegeln und Retorten sowie rund einhundert in Gläsern aufbewahrte chemische Präparate, die dem „Herrn Director Marggraf eigenthümlich zugehörten“ und für die sie als Erbin „eine billigmäßige Bezahlung von der Königl. Academie“ erwarten konnte. Achard sicherte ihr Letzteres zu und nahm all dies entgegen. 468 Als Direktor des Laboratoriums und der physikalischen Klasse der Akademie stand dem 29-jährigen Achard nun die gesamte experimentelle Ausstattung der Akademie zur Verfügung, einschließlich der Instrumente des physikalischen Kabinetts. Er hätte mehr als zufrieden sein und wie Marggraf, Klaproth und Gerhard im akademischen Rahmen seinen experimentellen und technischen Interessen nachgehen können. Aber der junge Naturforscher, der 1788 im Zusammenhang mit der Wahl des zehn Jahre älteren Klaproth zum Akademiemitglied sagen würde, dieser sei zwar „ein geschickter und genauer Arbeiter, aber kein Genie“, hielt sich vermutlich selbst für so genial, dass er ganz Großes schaffen wollte. 469 Rastlos nahm er immer wieder neue naturwissenschaftliche und technologische Projekte in Angriff. Die chemische Analyse von Edelsteinen, Salzen und Säuren, die experimentelle Untersuchung von Gasen, elektrische Experimente, meteorologische Messungen und pflanzenphysiologische Studien sind nur einige der naturwissenschaftlichen Gebiete, auf denen er sich bis 1782 betätige. 1782 griff er Gerhards frühere Versuche zur Herstellung metallischer Legierungen auf, über deren Ergebnisse er in seinem 1788 erschienen Buch Recherches sur les Propriétés des Alliages Métalliques (Untersuchungen über die Eigenschaften der Metalllegierungen) berichtete.
Achards turbulentes Leben Zu Achards naturwissenschaftlichen Experimenten gesellten sich von Anfang an auch technologische Projekte, darunter die Herstellung künstlichen Mineralwassers, die Installation von Blitzableitern (von 1777 an), die Untersuchung von Baustoffen (von 1777 bis 1780), Versuche zur Verbesserung des Tabakanbaus in Preußen (vom Sommer 1780 an) und 1780 die Erfindung der von Friedrich II. gewünschten Porzel-
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lanfarbe Bleu mourant (sterbendes Blau) für die Königliche Porzellanmanufaktur. Während Friedrich II. einige dieser Projekte persönlich unterstützte und dafür Sonderprämien vergab, wie im Fall der Tabakkultivierung, investierte Achard für viele andere Projekte eigenes Geld, das er sich von privaten Geldgebern borgen musste. Friedrich II. weigerte sich beispielsweise, Achards Versuche zur Herstellung neuer Legierungen für den Guss von Kanonen zu unterstützen, obwohl er ihm später zum Erfolg dieser Versuche gratulierte. Achard ging dennoch das hohe finanzielle Risiko auch sehr gewagter technologischer Projekte ein und verwickelte sich dabei in eine zunehmend gefährlichere Schuldenspirale. Achards Privatleben verlief nicht weniger turbulent. Mit Leichtigkeit setzte sich der junge Akademiker über familiäre Erwartungen und gesellschaftliche Regeln seiner Kreise hinweg. Mit 23 Jahren, am 20. Oktober 1776, heiratete er die neun Jahre ältere und geschiedene Maria Louisa Köppen (geb. Kühne), die aus einfachen bürgerlichen Verhältnissen stammte und zuvor mit einem Koch verheiratet gewesen war. Die Heirat galt in der französischen Gemeinde, der Achard angehörte, und mehr noch in seiner eigenen, vornehmen Familie als Mesalliance. Der unvermeidbare Bruch mit der Familie ließ auch die familiäre Geldquelle versiegen. Im Mai 1777 musste Achard die Akademie erstmals um ein Gehalt bitten. Erst im Januar 1779 gewährte ihm Friedrich II. die Bitte. Die jährliche Akademiepension von 400 Talern erwies sich jedoch bald als unzureichend, zumal Achard einen Teil davon für Experimente und Projekte ausgeben musste. Nachdem er im Herbst 1779 von Minister von Heinitz eine Dozentur für Physik in der Vorlesungsreihe der Berliner Bergwerks- und Hüttenadministration erhalten hatte, standen ihm weitere 200 Taler jährlich zu Verfügung. Eine privat organisierte Vorlesung bot eine zusätzliche Einkunftsquelle. In der Stadtchronik Nicolais von 1786 hieß es: „Herr Achard, Mitglied der Königl. Akademie (in dem Hause der Akademie der Sternwarten gegenüber) ließt über die Chymie, Experimentalphysik, und ein besonderes Kollegium der Elektrizität.“ 470 Mit der Berufung zum Direktor des Laboratoriums und der physikalischen Klasse im August 1782 erhöhte sich Achards akademische Pension auf 900 Taler. Doch auch dies brachte keine nachhaltige Lösung seiner finanziellen Probleme. Im Oktober 1783 stürzte sich Achard in ein weiteres Abenteuer, die Ballonfahrt. In Anwesenheit zahlreicher Zuschauer ließ er im Berliner Lustgarten einen mit „entzündbarer Luft“ (Wasserstoff) gefüllten Ballon aufsteigen, der aus der hauchdünnen Blinddarmhaut von Ochsen gefertigt war und einen Meter im Durchmesser maß. In Hinblick auf die Ballonfahrt war Achard somit Klaproth gute vier Monate voraus. Dem folgten öffentliche Versuche mit noch größeren Montgolfierschen Heißluftballons, für die er Eintrittskarten
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verkaufte. In Gegenwart zahlreicher Zuschauer, darunter auch des Prinzen Heinrich, stieg am 15. Februar 1784 im Berliner Lustgarten der erste unbemannte Heißluftballon Berlins auf. Er schaffte es bis zum Garten der Charité, wo er niederging. 1784 wurde die Ehe zwischen Achard und Maria Louisa Köppen geschieden. Maria Louisa hatte ehemals eine sechsjährige Tochter namens Johanna Caroline in die Ehe mitgebracht. Achard machte die Stieftochter zu seiner Geliebten, die 1787, als Siebzehnjährige, eine Tochter von ihm bekam. Spätestens von dieser Zeit an lebte er mit Johanna Caroline im akademischen Laborgebäude. 1791 bekam das unverehelichte Paar noch einen Sohn. Aber auch diese Beziehung hielt nicht lange, denn Achard zog es nun zu Wilhelmine Louise Knacke hin, einem Dienstmädchen im gemeinsamen Haushalt mit Johanna Caroline. Im September 1796 bekam das ebenfalls unverheiratete Paar sein erstes Kind, ein zweites wurde im März 1797 geboren und ein drittes im Februar 1800, das jedoch nach wenigen Wochen starb. In den Residenzstädten Berlin und Potsdam herrschten damals durchaus lockere Sitten. Dem Bildhauer Johann Gottfried Schadow werden darüber die folgenden Worte in den Mund gelegt: „Zur Zeit Friedrich Wilhelms II. herrsche die größte Liederlichkeit. Alles besoff sich in Champagner, fraß die größten Leckereien, frönte allen Lüsten. Ganz Potsdam war wie ein Bordell.“ 471 Dennoch dürfte das Privatleben Achards in akademischen Kreisen einige Irritationen erregt haben. 1791 gelang es Achard, seine beiden zuletzt geborenen Kinder zu legitimieren.472 Gleichzeitig mehrten sich jedoch die Geldsorgen und die Beschwerden der Gläubiger. Die erste große Schuldenkrise war schon im Juni 1788 heraufgezogen, als Achards Gläubiger die Androhung eines Arrests bewirkten. Achard hatte sich damals an den König mit der Bitte um Hilfe gewandt, der er die Erklärung hinzufügte, seine Schulden rührten „nur von zu vielem Aufwand auf Physikalische und Chemische Untersuchungen“ her. Sein Gut in Kaulsdorf und die dortigen Versuche hatten mehr als 14 000 Taler verschlungen, und seine Experimente hatte er ebenfalls teilweise privat finanziert. Als er Friedrich II. um eine bessere Ausstattung des Akademielabors gebeten hatte, hatte dieser ihm nämlich geantwortet, er, der König, sei außerstande, „für das Chemie-Laboratorium auch nur die mindeste außerordentliche Summe anzuweisen.“ 473 Die Gelder, die sich Achard darauf hin ausgeliehen hatte, konnte er nicht rechtzeitig zurückzahlen. Die Akademie legte diese erste Krise durch einen Gehaltsvorschuss bei, nicht zuletzt weil Achard bei einer tatsächlichen Verhaftung der Verlust der Akademiemitgliedschaft gedroht hätte. Im November 1791, das Legitimierungsverfahren für die beiden unehelichen Kinder war gerade glücklich zu Ende gebracht, kam dann die nächste Schuldenkri-
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se. Achard hatte hoch verzinste Darlehen für den Kauf seines neuen Landguts in Französisch Buchholz aufgenommen, um dort die experimentellen Pflanzenzüchtungen vorzunehmen, die wir oben bereits kennengelernt haben. Wieder wandte er sich an die Akademie mit der Bitte um einen Gehaltsvorschuss. Die Lage war so aussichtslos und die Verzweiflung so groß, dass er der Akademie nun sogar anbot, sie im Fall seines plötzlichen Todes von ihren üblichen Versorgungsverpflichtungen gegenüber seinen Kindern zu entbinden. Überdies verpflichtete er sich, nicht mehr zu heiraten, um der Akademie auch das einjährige „Gnadengehalt“ für die Witwe zu ersparen. Da der erbetene Vorschuss nur ein Jahresgehalt ausmache, argumentierte er, „wird die Königliche Kasse dadurch im geringsten nicht gefährdet, inmaßen ich mich hierbei verpflichte, dass ich mich nicht verheiraten werde.“474 Die Akademie gab nach, und auch seine Mutter ließ sich erweichen und half mit 2000 Talern aus. Schulden und hohe Zinsen zwangen Achard jedoch auch in den nächsten zehn Jahren wiederholt zu Bittgesuchen beim König und der Akademie. Für die Rübenzuckerversuche im akademischen Laboratorium, die im Winter 1798/99 begannen, lieh er sich bei dem Hofagenten Salomon Nathan und dem Siedereibesitzer Siegmund Otto von Treskow nochmals 20 000 Taler aus. Die Aussicht auf ein königliches Privileg für die Rübenzuckerherstellung bot anscheinend genügend Sicherheit für den neuen Kredit. Als 1801 die erste Rückzahlung fällig wurde, war Achard jedoch erneut zahlungsunfähig. Eine gerichtliche Prüfung dieser und zahlreicher anderer Schulden ergab 1802 eine Schuldenlast von 125 000 Talern. In der Stadt verbreitete sich die Rede, er habe „Schulden wie ein Kurfürst“. Die gerichtliche Verfolgung der Gläubiger wurde jedoch durch ein Gehaltsabzugsverfahren verhindert, für das Friedrich Wilhelm III. eigens eine Kabinettorder erließ. Da Achard „wegen seiner Stelle bei der Akademie allerdings als ein Königlicher Offiziant zu betrachten ist“, hieß es dort, erhalte er Schutz vor den Gläubigern.475 Der Historiker Hans-Heinrich Müller hat Achards Schuldenaffairen im Detail rekonstruiert. Aus seiner Rekonstruktion geht hervor, dass das Akademiedirektorium, die ökonomische Kommission der Akademie und der akademische Kurator Graf von Hertzberg unendliche Geduld aufbrachten und Achards Geldgesuche gegenüber dem König fast stets unterstützten. Auch von Gerhard und Klaproth erhielt Achard Unterstützung, vor allem im Zusammenhang mit seinem Rübenzuckerprojekt, wie wir weiter unten noch sehen werden. Der junge Alexander von Humboldt dagegen, der Achard auch persönlich gekannt haben muss, pflegte keinerlei geselligen Umgang mit ihm. Gleichwohl bezeichnete er ihn in einer Publikation als „genievollen“ Physiker, der ein außerordentliches „Talent
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im Ersinnen von Experimenten“ besitze.476 Achard und Humboldt hatten ähnliche wissenschaftliche Interessen, ihre Experimente waren gleichermaßen vielseitig, und ihre Naturforschung war oft mit praktisch-nützlichen Projekten verknüpft. Beide teilten das Ideal des gemeinnützigen Manns und ließen bei ihren ungewöhnlichen und meist aufwendigen technologischen Projekten keinerlei Selbstzweifel aufkommen. Ihr Lebenswandel und ihre Moralvorstellungen waren jedoch grundverschieden.
Zuckerprojekt II.: Zucker aus Rübensirup Wie für Alexander von Humboldt war Naturforschung auch für Achard nicht nur Selbstzweck, sondern diente auch dem Zweck technischer Verbesserungen und der Förderung des Gemeinwohls. Weitgehend frei von beruflichen Verpflichtungen, ersann Achard immer wieder neue und große technologische Projekte. Sein langwierigstes und erfolgreichstes Projekt war die Gewinnung von Zucker aus Zuckerrüben, das auf die frühen Versuche seines Lehrers Marggraf zurückging. Wie wir oben gesehen haben, hatte Achard von 1782 an auf seinen Landgütern zuckerhaltige Rüben gezüchtet und erste Versuche der Rübenzuckergewinnung unternommen. Im Verlauf seiner Kultivierungsversuche mit mehr als zwanzig verschiedenen Rübenarten war er zu der Überzeugung gelangt, die Runkelrübe sei die am besten geeignete Rübenart für die Rübenzuckergewinnung. Auf seinem um 1790 erworbenen Landgut in Französisch Bucholz war das Zuckerrübenprojekt zuerst nur ein Unternehmen unter vielen, bis sich die ökonomische Großwetterlage grundlegend umgestaltete. Im April 1791 war auf der größten amerikanischen Zuckerinsel, der französischen Kolonie San Domingo (heute Haiti), ein Sklavenaufstand ausgebrochen. Die 400 000 auf den Zuckerplantagen arbeitenden Sklaven zerstörten fast sämtliche Pflanzungen und Zuckermühlen. Die Rohrzuckergewinnung ging darauf hin drastisch zurück, sodass der Zuckerpreis auf den Weltmärkten rasant in die Höhe stieg. In Hamburg zum Beispiel verdoppelte sich der Großhandelspreis für Kandiszucker zwischen 1791 und 1798.477 Für Achard war nun der richtige Zeitpunkt gekommen, um ganz groß ins Zuckergeschäft einzusteigen. Er forcierte die Anbauversuche mit den verschiedenen Runkelrübensorten auf seinem Gut und kaufte überdies Runkelrüben aus anderen Gegenden auf, um mit ihnen zu experimentieren. Das wichtigste Problem bestand nun in der Ausarbeitung eines großtechnischen Verfahrens für die Gewinnung von Zucker aus dem Runkelrübensaft. Im Januar 1799 entfaltete Achard eine Kaskade von Aktivitäten in Berlin, die der Vorbereitung von Großversuchen für die Zuckergewinnung aus Rübensirup
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und der nachfolgenden kommerziellen Produktion von Rübenzucker dienten. Im vorangegangenen November und Dezember hatte er Vorversuche mit 14 Pfund Sirup, also einer immer noch relativ kleinen Menge, in der Berlinischen Zucker-Siederei-Companie organisiert. Drei positive Gutachten, darunter eines von Klaproth, lagen darüber vor. Als kaufmännisch erfahrener Apotheker hob Klaproth in seinem Gutachten vom 24. Dezember 1798 lobend hervor, „daß die Bereitung des Runkelrüben Zuckers selbst gegen die in Friedenszeiten gewöhnlich niedern Preise des ausländischen Zuckers berechnet mit einem bedeutenden Vortheil für den Staat würde können betrieben werden.“478 Am 11. Januar 1799 schrieb Achard einen Bittbrief an Friedrich Wilhelm III., dem eine Abhandlung mit dem Titel „Ueber die Bereitung des Zuckers aus der Runkel Rübe“ beigefügt war. Darin präsentierte er sich als Erfinder der Rübenzuckerherstellung und bat um ein zehnjähriges Privileg sowie die Schenkung eines Guts für die Errichtung einer Zuckerfabrik. Auch Königin Luise erhielt die Abhandlung zusammen mit einer Dose Rübenzuckerkonfekts. Diese bedankte sich umgehend mit „dem innigsten Wohlgefallen“ für die „Conditoreien“ aus „vaterländischen Produkten.“479
Kurz danach unterrichtete Achard die Akademie der Wissenschaften über sein Vorhaben und überzeugte auch Teile des Generaldirektoriums. Am 22. Januar 1799 gab Letzteres grünes Licht, empfahl aber weitere Versuche, zu deren Unterstützung und Kontrolle es eine Kommission einsetzte, die Carl Abraham Gerhard leitete. Klaproth, der bereits die Vorversuche in der Zucker-Siederei-Companie begutachtet hatte, wurde ebenfalls Kommissionsmitglied. In der Zwischenzeit hatte Achard seinen „edlen Freund“ Klaproth von seinem Unternehmen so weit überzeugt, dass er ihm sogar die Durchführung der vom Generaldirektorium verlangten zusätzlichen Experimente anvertraute.480 Während er sich selbst mitten im Winter mit der Kutsche nach Halberstadt aufmachte, um weitere Runkelrüben zu besorgen, sollte Klaproth im Akademielaboratorium mit den Experimenten beginnen. Die ersten Maschinen zum Zerkleinern und Auspressen der Rüben, große Kessel zum Einkochen des Rübensafts sowie Gefäße zur Zuckerkristallisation waren bereits angeschafft. Zuerst galt es, aus Runkelrübensirup einen kristallinen Rohzucker zu gewinnen, der dann in der Zucker-Siederei-Companie raffiniert werden sollte. Achard hatte sich vorgenommen, in den ersten Versuchen mindestens drei Zentner Rübenzucker zu gewinnen. Nachdem Achard aus Halberstadt zurückgekehrt war, experimentierte er noch mehrere Wochen lang gemeinsam mit Klaproth im Akademielabor. Am 28. März
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1799 berichtete er dem Generaldirektorium erstmals über den positiven Verlauf der Experimente. Während dieser Zeit ist vermutlich auch die Idee entstanden, Klaproth die Leitung des Akademielabors übertragen zu lassen, denn für sich selbst hatte Achard längst den Entschluss gefasst, eine gewerbliche Zuckerfabrik zu errichten. Noch bis zum Frühherbst setzten Achard und Klaproth ihre Versuche fort. Im September 1799 schreib die Kommission unter Gerhards Leitung ein vorläufiges Schlussprotokoll, das Achard durch eigene Tabellen mit Versuchsergebnissen ergänzte. In fünf Versuchsreihen waren jeweils 15 Zentner Rüben unterschiedlicher Herkunft und Qualität verarbeitet worden, aus denen durchschnittlich jeweils 270 Pfund Sirup und 61 Pfund Rohzucker gewonnen wurden, die anschließend in der Berlinischen Zucker-Siederei-Companie raffiniert worden waren. Das waren zwar immer noch keine wirklichen technischen Großversuche wie sie Achard ursprünglich im Sinn gehabt hatte, aber die Kommission und das Generaldirektorium werteten sie dennoch als Erfolg. Überdies waren mit den Nebenprodukten auch erfolgversprechende Versuche zur Branntweinherstellung gemacht worden. Das Generaldirektorium empfahl also dem König die Weiterführung und bessere Finanzierung der Versuche sowie eine persönliche Belohnung für Achard. Der König willigte ein und versprach überdies, „eine kleine Fabrik auf Königliche Kosten etablieren zu lassen“. Dafür wollte er ein bereits existierendes Gebäude im Bergamt Alvensleben bereitstellen lassen.481 Wie in vielen anderen Fällen war dem König auch hier daran gelegen, die Investition möglichst niedrig zu halten. Es sollte sich jedoch bald herausstellen, dass dieser Weg nicht begehbar war.
Die akademische „Zuckerfabrik“ Am 31. Oktober 1799 beantragte Achard beim Akademiedirektorium die Umwandlung des Akademielabors in eine „Zuckerfabrik“. Damit begann die letzte und entscheidende Phase der Zuckergewinnungsexperimente, in die Klaproth nur noch als Kommissionsmitglied und nicht mehr direkt als Experimentator involviert war. „Ich wünsche den Winter hindurch das Academische Laboratorium als eine Zucker fabrike zu benutzen“, schrieb Achard an das Akademiedirektorium. Er wolle „ein paar hundert Centner Zucker“ aus Rüben produzieren, um „zu beweisen, dass der ausführbarkeit der inländischen Zucker fabrication im größern nichts im Weege steht“.482 Um dieses Ziel zu erreichen, erklärte Achard, habe er vor, das Laboratorium „zweckmäßig einzurichten“ und nach der Hofseite des Gebäudes hin auf eigene Kosten um einen weiteren, „zu dieser kleinen Fabrique“ gehörenden Raum zu erweitern. Als Labordirektor musste Achard zwar normalerweise keine formellen Anträge für
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Abb. 36 Zuckersiederei im 18. Jh., Vignette von Johann David Schleuen. Aus Herzfeld (1994), 177
seine Experimente stellen, aber hier ging es doch um Außergewöhnliches. Der große Laborraum war auszuräumen, umzubauen und so umzurüsten, dass er sich für die Zuckersiederei eignete. Die Versuche sollten nur einige Monate dauern, versprach Achard, sodass er das Laboratorium im folgenden Sommer „wieder in den ehemaligen Zustand“ versetzen könne. Wir wissen, dass alles ganz anders kam. Im November 1799 wurde der Anbau am Laborgebäude errichtet, der als „Runkelrüben-Magazin“ vorgesehen war. Klempner, Schmiede, Böttcher und ein ganzes Heer weiterer Handwerker bauten auch den großen Laborraum um, installierten eiserne Siedekessel, Pfannen und weitere Hilfsgeräte für die großtechnische Zuckerproduktion. Der Vorbereitungsraum im Erdgeschoss des Laborgebäudes wurde in eine Kandierstube verwandelt, ein weiterer Raum beherbergte Schneidemaschinen und Pressen, und der Keller diente als Rübenkeller. Die technologischen Großversuche, die der König mit rund 15 000 Talern finanziell unterstützte, starteten im Januar 1800. Neun Arbeiter wurden eingestellt, denen die Handarbeit oblag, sowie
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fünf „Assistenten“, die Anweisungen erteilten und die Versuchsergebnisse protokollierten. Im Mai konnte Gerhard erstmals berichten, der Sirup kristallisiere gut. Ende Juli 1800 waren alle Versuche erfolgreich abgeschlossen. Um diese Zeit hatten sich jedoch längst die eingangs beschriebenen, unerwünschten Nebenwirkungen der Versuche gezeigt. Der Akademieastronom Johann Elert Bode, der eine zweite Wohnung im oberen Stockwerk des Laborgebäudes bewohnte, beschwerte sich, in seiner Wohnung sei „durch die aufsteigenden dämpfe ein beträchtlicher Schaden entstanden“.483 Eine Überprüfung des Gebäudes wurde zwar veranlasst, zog jedoch zunächst keine Konsequenzen nach sich. Im Frühjahr 1801 stellte Gerhard als Vorsitzender der Zuckerkommission eine Abschlussbilanz der Experimente auf. Diese war insgesamt positiv, jedoch mit der kritischen Bemerkung versehen, die Rübenzuckerfabrikation befände sich „noch völlig in ihrer Kindheit“, denn Chemiker wie Achard seien mit den „praktischen Handgriffen der Zuckersiederei“ nicht ausreichend vertraut. Der Kommissionsvorsitzende Gerhard erhielt per Kabinettsorder vom 18. August 1801 ein Lob von Friedrich Wilhelm III. für „Bemühung und Eifer bei der Aufsicht über diese Zuckerversuche“, die für die „National-Industrie“ so wichtig seien.484 Zu dieser Zeit hielt sich Achard bereits auf seinem neuen, rund 300 Kilometer von Berlin entfernten Gut Cunern in Schlesien auf, das er Anfang 1801 auf eigenes Risiko für die Aufnahme der Rübenzuckerproduktion gekauft hatte. Der König hatte ihm weder ein Privileg für die Rübenzuckerherstellung erteilt noch das versprochene Rittergut geschenkt, ihm aber eine einmalige Gratifikation von 12 000 Talern zugestanden. Gerhard übernahm nun Achards Position als Direktor der physikalischen Klasse der Akademie.
Klaproth lehrt und forscht im neuen Akademielabor Nachdem das Akademiedirektorium im Frühjahr 1801 festgestellt hatte, dass Achards groß angelegte Zuckerversuche das Laborgebäude stark in Mitleidenschaft gezogen hatten, beschloss es noch im Juni desselben Jahres, beim König den Bau eines neuen Laboratoriums zu beantragen. Oberhofbaurat Moser hatte bereits einen Plan für den Anbau eines zweistöckigen Seitenflügels am bestehenden Gebäude entworfen, dessen Kosten er mit rund 5000 Talern veranschlagte. Der König genehmigte den Plan, nicht zuletzt weil die Akademie die Finanzierung des Neubaus aus Eigenkapitel deckte.485 Bereits im Frühjahr des vorangegangenen Jahres hatte die Akademie auf Gerhards Initiative hin alle Schneidemaschinen, Pressen, Kessel, Pfannen und anderen Utensilien für die Rübenzuckergewinnung auf dem Hofgelände versteigert und
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dieses Kapitel ihrer Geschichte damit abgeschlossen. Im alten Gebäudeteil wurde die Chemikerwohnung renoviert, sodass Klaproth dort im Sommer 1801 mit seiner Familie einziehen konnte. Außerdem wurde das Erdgeschoss umgebaut, um das physikalische Kabinett der Akademie zu beherbergen. Der Bau des neuen Seitenflügels, der im Herbst 1801 begann, zog sich indessen länger hin als ursprünglich geplant war. Zum einen wurde der Bauplan auf Klaproths Wunsch hin nochmals überarbeitet, und zum andern forderten auch die Kontrakte mit den Maurern, Tischlern und sonstigen Handwerkern ihre Zeit. Auf Klaproths Wunsch hin verzichtete man auf ein gemauertes Deckgewölbe für den großen Laborraum und traf stattdessen andere Feuerschutzmaßnahmen wie den Bau eines eigenen Schornsteins für den großen Schmelzofen. Klaproth verlangte überdies bauliche Vorkehrungen für „einen schnellen Abzug schädlicher Dämpfe.“486 Nach Klaproths Plan sollten die beiden Räume im Erdgeschoss des neuen Seitenflügels als Laboratorium und Vorlesungssaal genutzt werden, während die beiden Räume im darüber liegenden Stockwerk der Aufbewahrung „der chem. Apparate, chem. Praeparate, Mineralien etc.“ und der „mit den chemischen Versuchen in näherer Verbindung stehenden physikalischen Instrumente“ dienen sollten. Letzteres war ein Novum, das belegt, dass er es ernst meinte, wenn er dem Akademiedirektorium im Zusammenhang mit der Ausstattung des Laboratoriums schrieb, der „Umfang des Gebiets der Chemie“ vergrößere sich, und er benötige neue Instrumente, um in der Lage zu sein, „fremde Erfindungen, und neue Theorien, zu prüfen, oder, durch eigene Untersuchungen der Naturkörper die Gränzen der Wissenschaften erweitern.“487 Die Inneneinrichtung des neuen Laboratoriums und seine Ausstattung mit chemischen Gefäßen und Instrumenten lagen in der Verantwortung Klaproths, der dem Akademiedirektorium im Januar 1802 seinen diesbezüglichen Plan vorstellte. Dabei erinnerte er daran, dass er in dem von Achard übernommenen alten Laboratorium „keine einzige, zum akademischen Laboratorio gehörige Geräthschaft, kein Instrument oder Gefäss, kein chemisches Präparat, überhaupt kein Inventarien-Stück, einen unbrauchbaren Blasebalg ausgenommen, gefunden habe.“ 488 Wohin immer Achard die noch von Marggraf herrührende chemische Gerätschaft im Herbst 1799 ausquartiert hatte, er hatte es auch seinem „edlen Freund“ Klaproth nicht verraten. Der neue Labordirektor hätte somit bei der Ausstattung des Laboratoriums am Nullpunkt anfangen müssen, wäre er früher nicht Apotheker gewesen. Wie vor ihm Marggraf, stattete auch Klaproth das akademische Laboratorium mit den chemischen Gefäßen und Instrumenten aus seinem ehemaligen Apothekerlaboratorium aus. „Es kann daher fürs erste mein eigener Apparat nothdürftig hinreichend sein“,
24. Achards Zuckergewinnung im Akademielabor
teilte er dem Akademiedirektorium mit.489 Die Geschichte schien sich zu wiederholen. Auch um 1800 unterschied sich die materielle Kultur eines akademisch-chemischen Laboratoriums kaum von derjenigen eines Apothekerlaboratoriums. Zu den nennenswerten Unterschieden gehörten Präzisionswaagen für chemische Analysen und physikalische Instrumente für elektrochemische Versuche. Klaproth beabsichtigte vor allem, eine Voltasche Säule und eine Elektrisiermaschine anzuschaffen. Wie Humboldt, Achard, Gerhard und viele andere zeitgenössische Naturforscher, faszinierten ihn die neuen galvanisch-chemischen Experimente, sodass er vorübergehend sogar seine mineralogischen Analysen unterbrach. Klaproth verzichtete offenbar auf eine Kostenerstattung für seine privat angeschafften Geräte, insistierte jedoch auf einem Jahresetat von 256 Talern für die Experimente. Das Akademiedirektorium kam seiner Bitte teilweise nach, indem es ihm einen Jahresetat von 200 Talern zubilligte. Das war alles andere als üppig, wenn man bedenkt, dass schon Marggraf von 1766 an jährlich rund 250 Taler zur Verfügung standen. Man ging vermutlich davon aus, dass Klaproths Einkommen hoch genug war und er bereit war, einen Teil seiner Experimente aus eigener Tasche zu finanzieren. Außer der Dienstwohnung, deren Wert mit 200 Talern jährlich berechnet war, und einer akademischen Jahrespension von 200 Talern, erhielt Klaproth noch ein Honorar von 600 Talern als Professor an der Artillerieschule, eines von 200 Talern für den Unterricht der Bergeleven, 160 Taler für seine Tätigkeit in der Hofapothekenkommission und 150 Taler für diejenige in der Medizinbehörde, sodass sein jährliches Gesamteinkommen insgesamt 1510 Taler betrug. Am 28. Dezember 1802 war der Neubau des Laborseitenflügels fertig gestellt und wurde Klaproth formell übergeben. Der Einbau der Großgeräte − eines Schmelzofens, Blasebalgs und kupfernen Destillationsapparats − verzögerte sich jedoch noch bis Juni 1803, sodass Klaproth erst von diesem Zeitpunkt in vollem Umfang im neuen Laboratorium experimentieren konnte. Im November 1803 nutzte er den neuen Gebäudeteil erstmals auch für seine Vorlesungen. Es war ein kalter November, und ihm fehlten Kohlen. Da die Akademie keine Abhilfe schaffen konnte, wandte er sich an den König. „Zu meinen Vorlesungen über die Experimental-Chemie für die Berg-Eleven“, schrieb er ihm, „habe ich, in Ermanglung eines bequemern Lokals, mich bisher eines engen und finstern Wohnzimmers bedienen müssen“. Das neue Gebäude sei nun auch mit einem „geräumigen und hellen Saale“ ausgestattet, „in welchem die Erscheinungen bei den chemischen Versuchen von den Zuhörern bequem und deutlich wahrgenommen werden können“. Doch „allein die nöthige Heitzung dieses Hörsaals“, klagte er dann, „absorbirt von dem jährlichen Etat […] einen zu großen
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Theil“. Der König erbarmte sich. Zwar ließ er ihn wissen, dass „die Bewilligung eines Torf- und Kohlen-Deputats in natura zur Heitzung dessen chemischen Hörsaals und zu Anstellung chemischer Versuche nicht füglich geschehen“ könne, bewilligte ihm jedoch zusätzlich 11 Taler (!) pro Jahr für den Kauf von Brennmaterial.490 Klaproths Vorträge und Veröffentlichungen in seiner Zeit als Akademiechemiker belegen, dass er seinem alten Analyseprogramm, das er als Apotheker-Chemiker begonnen hatte, treu blieb, auch wenn er hin und wieder andere Themen behandelte und auch seine Hobbies der Numismatik und Sammlung antiker Objekte pflegte. Er blieb, was er immer war, der exakte analytische Chemiker, der Mineralien in ihre Komponenten zerlegte und sie chemisch untersuchte. 1804 gelang ihm noch die Entdeckung der „Cererde“.491
25. Arcanisten und Laboranten in der Berliner Porzellanmanufaktur Porzellan gehörte zu den begehrtesten und teuersten Luxusgütern des 18. Jahrhunderts. Auf königlichen Festbanketten wurden Tafelservices aus Porzellan wie Kostbarkeiten vorgeführt. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts konnten sich auch wohlhabende Bürger Porzellan leisten. Die harten, dünnwandigen und lichtdurchlässigen Tassen aus rein weißem oder phantasievoll dekoriertem Porzellan krönten erst den Genuss von Kaffee, Tee oder Kakao, die um dieselbe Zeit ihren Siegeszug antraten. Der Import von Porzellan aus China hatte seit dem 16. Jahrhundert kontinuierlich zugenommen, und seitdem hatte man auch versucht, das chinesische Hartporzellan nachzuahmen. 1708 gelang es dem Alchemisten und Apotheker Johann Friedrich Böttger (1682 − 1719), das Rätsel der Herstellung des „weißen Goldes“ zu lüften. Jahrelang hatte er mit dem Mathematiker und Naturforscher Ehrenfried Walther von Tschirnhaus (1651 − 1708) am Dresdner Hof auf dieses Ziel hingearbeitet, das ohne die Unterstützung durch Freiberger Bergbeamte womöglich verfehlt worden wäre.492 Das in China hergestellte echte oder harte Porzellan bestand aus einer sehr seltenen „Erde“, dem Kaolin, sowie Quarz und Feldspat. Unter der Ägide des sächsischen Bergrats Gottfried Papst von Ohain (1656 − 1729) waren Böttger und Tschirnhaus mit einer Fülle verschiedener Erden versorgt worden, unter der sich auch Kaolin befand. Aber nicht nur dem Kaolin war auf die Spur zu kommen, sondern auch der richtigen Aufbereitung der Rohmaterialien, ihren Proportionen bei der Mi-
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schung der Porzellanmasse, den Öfen und Brenntemperaturen und vielen anderen technischen Kniffen. 1710 ließ der sächsische Kurfürst Friedrich August I. (August der Starke) in der Meißener Albrechtsburg die erste europäische Manufaktur für die Herstellung echten Porzellans errichten. Gegen Ende des Jahrhunderts gab es im Heiligen Römischen Reich bereits rund zwanzig solcher Manufakturen, von denen diejenigen in Meißen, Wien und Berlin die berühmtesten waren.493 Die Königlich Preußische Porzellanmanufaktur in Berlin (KPM) wurde 1763, gegen Ende des Siebenjährigen Kriegs gegründet. Sie ging aus einer privaten Manufaktur hervor, die der Unternehmer Caspar Wegely zwischen 1751 und 1755 aufgebaut und 1761 an den Kaufmann Johann Ernst Gotzkowsky weiterverkauft hatte. Als Gotzkowsky während des Siebenjährigen Kriegs in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, verkaufte er das Unternehmen an Friedrich II. Das Manufakturgebäude lag in der Leipziger Straße 4, in der Nähe des heutigen Leipziger Platzes. Nach dem Tod Friedrichs II. gelang es Minister von Heinitz, seine Zuständigkeitsbereiche und Machtbefugnisse auszuweiten. 1786/87 wurde ihm die Aufsicht
Abb. 37 Die KPM, Aquarell von Eduard Gaertner, 1818. Stiftung Stadtmuseum Berlin
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über die Münze, Salzadministration, Akademie der Künste und auch die KPM übertragen. Als verantwortlicher Minister für die KPM machte er sich sofort an ihre Umstrukturierung. Bereits im August 1786 war dem langjährigen Direktor Johann George Grieninger (1716 − 1798) ein zweiter Direktor namens Carl Jacob C. Klipfel (1726/27 − 1802) zur Seite gestellt worden, der bis dahin Malerei- und Warenlagerinspektor in der KPM gewesen war. Im April 1787 setzte Heinitz ein neues Leitungsgremium durch, das eine engere Anbindung der Manufaktur an das eigene Ministerium ermöglichte. Die neue „Porzellanmanufaktur-Kommission“ bestand aus den beiden Direktoren Grieninger und Klipfel, Bergrat Friedrich Philipp Rosenstiel (1754 − 1832), Heinitz’ rechte Hand, und Heinitz selbst als Vorsitzendem. Wenig später versuchte Heinitz, sich einen Überblick über die technologischen Schlüsselbereiche der KPM zu verschaffen. Er wollte vor allem überprüfen, wo technische Veränderungen und Verbesserungen des chemischen Sachwissens notwendig waren. Im Zentrum standen die Brennöfen, die ungeheure Holzmengen verschlangen, sowie die Herstellungsverfahren für die Porzellanmasse und -farben, die nur von Spezialisten − den „Arcanisten“ und „Laboranten“ − beherrscht wurden. Kleinste Fehler in diesen beiden Verfahren konnten große Folgen hinsichtlich der Schönheit des Porzellans und seiner Farbdekoration nach sich ziehen. Überdies hüteten die Arcanisten und Laboranten das Arcanum (lat. Geheimnis) der Porzellanmasse und -farben als persönliches Eigentum, auf das selbst die Direktoren der Manufaktur keinen Zugriff hatten. Diesen Zustand wollte der Minister ganz entschieden beenden. Von Juli 1787 an arbeitete Klaproth mehrere Jahre lang im Auftrag von Heinitz als ein chemischer Experte in der KPM. Er wurde Mitglied einer Inspektionskommission für das Farbenlaboratorium und unterstützte Heinitz bei der Organisation und Auswertung von Experimenten, der Verschriftlichung der Rezepte und der Verbesserung der chemischen Ausbildung der Laboranten und Arcanisten. Von seinem Urteil und Ratschlag hingen zahlreiche Maßnahmen des Ministers ab. Die Brennöfen der Porzellanmanufaktur ermöglichten Klaproth überdies die Untersuchung von Mineralien, für deren Analyse die Temperatur der eigenen Laboröfen nicht ausreichte. Auch Alexander von Humboldt hielt sich im Juni 1792 in der KPM auf, um sich Sachkenntnisse für seine anstehende Dienstreise nach Franken und die Inspektion der Bruckberger Porzellanmanufaktur zu verschaffen. Im März 1793 trafen Humboldt und Klaproth erneut in der KPM zusammen. Wie wir weiter unten sehen werden, führte Humboldt bei diesem zweiten Aufenthalt ein ungewöhnliches chemisch-technologisches Experiment durch, bei dem Klaproth und die beiden KPM-Direktoren als Zeugen geladen waren.
25. Arcanisten und Laboranten in der KPM
Eine moderne, arbeitsteilige Manufaktur Die KPM gehörte mit 134 Arbeitern zum Zeitpunkt ihrer Gründung und ihren modernen Antriebs- und Arbeitsmaschinen zu den Großunternehmen des frühindustriellen Preußen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts beschäftigte sie im Durchschnitt 400 „ouvriers“ (franz. Arbeiter). Die Pochwerke, Mühlen und anderen großen Arbeitsmaschinen der KPM wurden zuerst mit Pferdegöppeln betrieben. Nach einer Initiative von Heinitz wurde 1799 erstmals eine doppeltwirkende Dampfmaschine aufgestellt, die ein Pochwerk, eine Mühle, eine Wasserpumpe in der Schlämmerei und eine Kupferscheibe in der Schleiferei antrieb. Sie war die zweite, außerhalb des Bergbaus eingesetzte Dampfmaschine in den deutschen Staaten, deren Teile in den königlichen Eisenhüttenwerken an der Malapane und in Gleiwitz angefertigt worden waren. Vergeblich hatten die Nachbarn der KPM versucht, das „tödtende Ungemach“ zu verhindern, das Tag und Nacht lärmte und jederzeit explodieren konnte. Wie der Historiker Arnuf Siebeneicker hervorhob, sollte die neue Dampfmaschine nach Heinitz’ Vorstellung „eine Pilotfunktion beim Transfer der im verarbeitenden Gewerbe einsetzbaren Dampfmaschine nach Preußen übernehmen.“ 494 Die Porzellanherstellung umfasste viele spezialisierte Arbeitsschritte und war hochgradig arbeitsteilig organisiert. Die Pochwerks- und Mühlenarbeiter waren für die Zerkleinerung und Reinigung des harten, in Form großer Steinbrocken angelieferten Feldspats zuständig. Eine andere Arbeitergruppe, die Schlämmer, weichte die rohe „Porzellanerde“ in Wasser auf und bearbeitete den Brei so lange, bis er frei von Sand war. Die KPM verwendete anstelle des schwerer zugänglichen Kaolins sogenannte „Porzellanerde“, eine Mischung aus Kaolin und Quarz, die sie zuerst aus Passau und später aus Halle und Schlesien bezog. Sie fügte ihrer Masse für Hartporzellan überdies eine geringe Menge (3 Prozent) Ton hinzu. Nach dem Reinigen und Trocknen der Ingredienzien wurden diese zu einer homogenen „Masse“ (Porzellanmasse) vermischt. Dieser wichtige, ebenfalls von einer spezialisierten Arbeitergruppe vorgenommene Produktionsschritt erfolgte unter der strengen Aufsicht der Arcanisten, die die Proportionen der Ingredienzien für die Masse zuvor genau berechnet hatten. Die Arcanisten der KPM hüteten ihr Wissen über die Massezubereitung als ein persönliches Geheimnis, das sich in ihrem Privatbesitz befand. Ein Großteil der Reformbemühungen von Heinitz richtete sich daher auf die Übertragung des Arcanums in den Besitz von Manufaktur und Staat. Nach einem Trockenprozess wurde die fertige Masse von Formern, Drehern und Bossierern zu verschiedenartigen Gegenständen geformt. Die Bossierer richteten sich bei der Gestaltung und Zusammensetzung ihrer komplexen Figuren nach
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Modellen, die zuvor von den Modelleuren und Gipsgießern hergestellt worden waren. Im Anschluss an die Formgebung wurden die Porzellangegenstände von den Verglühbrennern ein erstes Mal bei rund 900° Celsius gebrannt. Zum Schutz vor Flugasche und zur besseren Raumausnutzung des Brennofens wurden sie dabei in Tonkapseln gestellt, die von den Kapseldrehern gefertigt wurden. Diesem ersten Brennprozess folgte das Glasieren des Porzellans durch die Glasurer. Das Porzellan wurde in ein Glasurbad getaucht, das aus einer mit Wasser versetzten Mischung aus Kaolin, Quarz, Gips und gebrannten Porzellanscherben bestand. Danach wurde es von den Glasurbrennern ein zweites Mal bei rund 1450° Celsius gebrannt. Bei dieser hohen Temperatur kam es zur „Sinterung“, das heißt der vollkommenen Verschmelzung aller Ausgangsstoffe zu homogenem, hartem Porzellan. Dem folgte die weitere Bearbeitung durch Schleifer und Polierer. Die Dekoration des Porzellans konnte entweder als Unterglasur- oder Aufglasurmalerei erfolgen. Für die Unterglasurmalerei waren die Blaumaler zuständig, die die Farbe direkt nach dem Verglühbrand auf die Porzellangefäße auftrugen, sodass diese beim zweiten Brennvorgang durch die Glasur abgedeckt wurde. Für das Bemalen über der Glasur, das nach kunstvoll entworfenen Mustern und mit einer Palette verschiedener Farben erfolgte, war ein Stab von Malern, darunter auch Frauen und Kinder, zuständig.495 Die Herstellung der Farbstoffe sowie der Flussmittel und des Öls für die Porzellanmalerei lag in der Verantwortung der im „Farbenlaboratorium“ arbeitenden „Laboranten“. Diese bildeten neben den Arcanisten die zweite Gruppe besonders gut ausgebildeter Spezialisten, mit denen wir uns hier genauer beschäftigen. Auch die Laboranten waren es gewohnt, ihr Wissen als persönliches Geheimnis zu hüten. Heinitz’ Reformen setzten daher auch an dieser zweiten, für die Qualität des Porzellans entscheidenden Schaltstelle an. Das bunt bemalte Porzellan wurde anschließend von den Emailbrennern in kleinen Öfen bei rund 800 °Celsius nochmals gebrannt, wobei es darauf ankam, dass die unterschiedlichen Farben gleichmäßig in die Glasur einsanken und der gewünschte Farbton sowie Farbbrillianz erzielt wurden. Außer diesen direkt zur Porzellanherstellung beitragenden Arbeitsabschnitten, fielen in einer großen Manufaktur wie der KPM noch Materialtransporte, Arbeiten im Pferdestall und andere Hilfsarbeiten an, die meist mit schwerer körperlicher Arbeit verbunden waren. Um 1770 übten rund 23 Prozent der KPM-Arbeiter diese einfachen Körperarbeiten aus, für die sie nur kurz angelernt worden waren. Rund 36 Prozent der Arbeiter hatten dagegen eine mehrjährige Lehre durchlaufen. Bei
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den restlichen 41 Prozent handelte es sich um hochqualifizierte Handwerker und Handwerkskünstler, die sechs bis sieben Jahre lang bei einem Meister der KPM in die Lehre gegangen waren. Die Vorbereitung, Anleitung und Kontrolle der verschiedenen technischen Arbeitsschritte und alle kommerziellen Aktivitäten oblagen verbeamteten Angestellten, den „Offizianten“, und ihren Gehilfen. Auch die wichtigsten technischen und künstlerischen Experten der Manufaktur − die Arcanisten, Modelliermeister und Malereivorsteher − waren von Anfang an Offizianten. Im Zuge der Reorganisation der Porzellanmanufaktur durch Heinitz rückten auch die Laboranten in den Beamtenstand auf.496
Arcanisten Die Arcanisten der deutschen Porzellanmanufakturen kannten das Arcanum der Zubereitung der Porzellanmasse und waren meist auch für die Herstellung der Glasur, die Aufsicht über das Glasieren sowie für das sachgerechte Brennen des Porzellans verantwortlich.497 Die Zubereitung der Masse war eine große technische Herausforderung. Die Güte des fertigen Porzellans wurde maßgeblich von der Qualität der Masse bestimmt, und diese hing wiederum von der Reinheit der Rohmaterialien und der quantitativen Genauigkeit ihre Mischung ab. Da die Qualität des eingekauften Rohfeldspats und der Porzellanerde Schwankungen unterworfen waren, mussten die Arcanisten diese zuerst prüfen, gegebenenfalls chemisch analysieren und bei Abweichungen der Zusammensetzung die Proportionen der Ingredienzien neu berechnen. Die Arcanisten konnten also keineswegs von einem Fundus einmalig erworbenen Wissens zehren. Vielmehr waren sie mit technischen Anforderungen konfrontiert, die sie zur Erweiterungen ihres Wissens über Materialien und Änderungen ihrer Rezepte anregten. Alle Arcanisten verfügten über chemisches Wissen, und die besten, „ersten Arcanisten“ waren meist auch explizit als Chemiker bekannt. Über ihre Aufsichts- und Kontrollfunktionen bei der Massebereitung hinaus verrichteten die Arcanisten auch handwerklich-technische Expertenarbeiten. Ihre Qualitätstests der Ingredienzien für die Masse, die spätestens im Zuge der von Heinitz initiierten Reform der KPM auch quantitative chemische Analysen einschlossen, erforderten großes manuelles Geschick und Genauigkeit. Dasselbe galt für die Berechnung der Proportionen der Ingredienzien und die darauf basierenden Rezepte. Ein einziger Fehler an dieser Schaltstelle hätte irreparable Konsequenzen für die Qualität des Endprodukts gehabt. Die Arcanisten unternahmen überdies Versuche zur Verbes-
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serung der Masse und Glasur und Erfindung neuer Rezepte. Sie waren chemische Experimentatoren im besten Wortsinn. Nachdem Heinitz die Verantwortung für die KPM übernommen hatte, organisierte er eine wissenschaftlich-chemische Ausbildung aller Arcanisten und stärkte damit deren chemische Expertise. Die ersten beiden Arcanisten in der privaten Berliner Porzellanmanufaktur und der nachfolgenden Königlichen Manufaktur hatten noch eine rein handwerkliche Ausbildung erhalten. Nach dem Tod des „ersten Arcanisten“ namens Ernst Heinrich Reichard, der aus Gotzkowskys Manufaktur übernommenen worden war, wurde 1764 der ehemalige Buchhalter und Assistent Reichards, Theodor Gotthilf Manitius (? – 1796), zu seinem Nachfolger bestimmt. An Reichard war kurz vor seinem Tod noch die Aufforderung ergangen, er solle Manitius „von dem jenigen, was zum Geheimniß, das aechte Porzellan zu machen, gehöret“ instruieren.498 Ausschließlich auf diesem persönlichen Weg war es damals möglich, die Weitergabe des Arcanums zu sichern. Die Stelle des „zweiten Arcanisten“ der KPM hatte ein Töpfer namens Joachim Duwald (1716/7 − 1791) inne, der ausschließlich für die Öfen und das Brennen des Porzellans verantwortlich war. Von 1766 an beschäftigte die Manufaktur noch einen dritten Arcanisten, der ein Universitätsstudium absolviert hatte. Diese Maßnahme ging auf Friedrich II. zurück, der mit dem rein handwerklichen Status seiner Arcanisten unzufrieden war und daher den Auftrag erteilte, noch einen „guten Chymisten“ einzustellen. Damit folgte er dem Vorbild der Meißener Porzellanmanufaktur, die von 1731 an zwei ihrer insgesamt vier Arcanistenstellen mit Ärzte-Chemikern besetzt hatte. Die dritte Arcanistenstelle der KPM wurde im Frühjahr 1766 mit dem aus Halle stammenden Arzt Wilhelm Kretschmann (? – 1774) besetzt, der nun als „Chymicus und Arcanist“ der KPM bezeichnet wurde.499 Nach seinem Tod wurde der Arzt Johann Friedrich Schopp aus Wittenberg (? – 1797) zu seinem Nachfolger bestimmt. Die frühen Arcanisten betrachteten das Arcanum der Herstellung der Masse und Glasur als ihr ganz persönliches Wissen, das sie bestenfalls an einen vertrauten Gehilfen oder Zögling weitergaben. Dem entsprechend hinterließen sie so gut wie keine schriftlichen Zeugnisse ihrer Aktivitäten. Auch die ersten wissenschaftlich gebildeten Arcanisten der KPM, Kretschmann und Schopp, verhielten sich so. Von Beiden existieren daher weder schriftliche Rezepte noch Notizen über ihre Experimente. 500 Die Literatur der Aufklärung machte das Geheimwesen der Arcanisten ebenso zur Zielscheibe von Kritik und Spott wie dasjenige der Alchemisten. Von den Alchemisten wußte man seit langem, dass sie ihr Wissen über die Transmutation unedler Metalle in Gold als persönliches Geheimwissen verstanden. Nun machte
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man sich auch lustig über das „mystische Gesicht” der Arcanisten. Der Ausdruck „Arkanisterey” machte die Runde als Synonym für jede Art obskuren, individuellen Geheimwissens.501
Rückblende: Arcanisten in der Meißener Porzellanmanufaktur Auch in der Königlich-Polnischen und Kurfürstlich Sächsischen Porzellanmanufaktur in Meißen hatten die ersten Arcanisten für sich das Recht des persönlichen Besitzes des Arcanums in Anspruch genommen. Böttger war in der Meißener Porzellanmanufaktur ursprünglich der Einzige gewesen, der das Arcanum kannte. Seine beiden Nachfolger, die Ärzte-Chemiker Jacob Bartholmäi und Heinrich Wilhelm Nehmitz, die erstmals explizit als „Arcanisten“ bezeichnet wurden, waren jeweils nur mit Teilen davon vertraut. Bartholmäi besaß nur das Rezept für die Zubereitung der Masse, während Nehmitz im Besitz des Geheimwissens über das Glasieren und Brennen war. Auf diese Weise versuchte die Manufaktur, die Machtstellung der Arcanisten und Schaden durch Verrat zu begrenzen.502 1704 unterzeichnete Friedrich August I. eine Regulierung über das Arcanum, in der unter anderem festgelegt wurde: 503
▷ Daß nemlich zwey und nicht mehr Personen erwehlet würden, denen dieses Arcanum müßte erlernet werden, dieweilen es nicht leicht also geschehen würde, daß solche zwey Personen zugleich stürben, und daß also dieß Secretum untergienge. ◁ Die Arcanisten arbeiteten in einer gesundheitsschädlichen Umgebung, die schwere Erkrankungen und einen frühen Tod zur Folge haben konnte. Das Risiko des vollständigen Verlusts des Arcanums im Fall eines plötzlichen Tods eines Arcanisten war somit hoch. Durch die gezielte Rekrutierung und Ausbildung von Arcanisten wollte man dieses minimieren. Wie wir noch sehen werden, war auch die KPM mit diesem Problem konfrontiert. Heinitz, der ehemalige sächsische Generalbergkommissar, ging daher einen ähnlichen Weg wie in Meißen nach 1731. Im Zug der Aufdeckung eines Verrats ging die Leitung der Meißener Porzellanmanufaktur 1731 dazu über, den persönlichen Besitz des Arcanums völlig zu eliminieren. Die Arcanisten mußten von nun an ihre Rezepte in ein „Arcanabuch“ eintragen, das im Manufakturbesitz war und in einem geheimen Kabinett aufbewahrt wurde. Es war den Arcanisten strengstens verboten, das Arcanabuch oder irgendeine andere Art schriftlicher Notizen über Rezepte und Experimente nach
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Hause mitzunehmen.504 Durch diese Maßnahme blieb die Porzellanherstellung für alle Außenstehenden weiterhin ein Betriebsgeheimnis, aber das Privateigentum an Wissen war in den Besitz der Manufaktur übergegangen.
Die Laboranten der KPM Die im Farbenlaboratorium der KPM arbeitenden Laboranten stellten die Farben, Flussmittel und Öle für die Porzellanmalerei her. Bei den Farben handelte es sich um Metallverbindungen, meist um Metalloxide, deren Schmelzfluss beim Emaillieren durch zugesetzte Flussmittel erleichtert wurde. Die Flussmittel, die ebenfalls mineralischer Herkunft waren, sorgten für eine homogene Schmelze der diversen Farben, sodass diese gleichmäßig in die Glasur einsanken.505 Ein beliebtes Flussmittel war beispielsweise das Gemisch aus Mennige, Kiesel und Borax. Farben und Flussmittel mussten vor dem Malen noch mit einem speziellen Öl (meist „Spicköl“) angerührt werden. Die Laboranten der KPM unterstanden zuerst der Aufsicht des Malereivorstehers.506 Die Maßnahmen von Heinitz unterminierten dessen Leitungsfunktion jedoch, sodass sie von 1787 an in der Praxis keine Rolle mehr spielte. 1791 ging die Aufsicht über die Laboranten auch formell an den ersten Arcanisten über. Diese Veränderung war Teil von Heinitz’ Strategie, das Farbenlaboratorium in ein gutes chemisches Laboratorium umzuwandeln und die chemischen Kenntnisse der Laboranten zu verbessern. Wie die Arcanisten waren auch die Laboranten in Hinblick auf die Qualität und Reinheit ihrer Materialien vor große Herausforderungen gestellt. Jede Verunreinigung einer Farbe konnte zu unerwünschten Abwandlungen des Farbtons führen. Die KPM kaufte die Metalle und Metallverbindungen, die für die Farbherstellung benötigt wurden, von Kaufleuten und hatte selbst keine Kontrolle über deren Herkunft und Qualität. Aber auch die Laborarbeit selbst barg Quellen von Verunreinigung, die die Farbschönheit beeinträchtigen und im Extremfall alle Mühen der Maler zunichte machen konnte. Gute Laboranten bemühten sich daher um reine Materialien sowie um Sauberkeit im Laboratorium. Man erwartete von ihnen auch die Bereitschaft zum erfinderischen Experimentieren, um die Farbenpalette durch weitere Nuancen zu ergänzen. Die hohen Ansprüche an Sachkenntnis und Einsatzbereitschaft der Laboranten veranlasste Heinitz, ihre Ausbildung zu überdenken. Die beiden ersten Laboranten der KPM, Carl Erdmann Riedel und Ferdinand Ludwig von Meerheim, waren mehrere Jahre lang innerhalb der Manufaktur und rein handwerklich ausgebildet worden.507 Über ihre Herkunft und die Details ihrer Ausbildung ist nichts bekannt.
25. Arcanisten und Laboranten in der KPM
Abb. 38 Farbherstellung und Emaillieren der Laboranten. Aus Milly (1774), Tafel VIII
Wie die frühen Arcanisten hinterließen auch sie keinerlei Rezepte und Aufzeichnungen von Experimenten. Denn ebenso wie die Arcanisten, hüteten auch die ersten Laboranten der KPM die Rezepte für die Farben und Flüsse der Überglasurmalerei als ein persönliches Geheimnis. Heinitz strebte daher auch für diesen Teil des Arcanums die Übertragung in Manufaktureigentum an. Die Meißener Porzellanmanufaktur gab auch hierfür ein Vorbild ab. Der dort für die Farbenherstellung verantwortliche Hofmaler Johann Georgius Höroldt wurde zuerst als privater Handwerkskünstler und mit den Gesellen aus der eigenen Werkstatt angestellt. Dem entsprechend hatte er die Rezepte für die Farbenherstellung als privates Werkstattgeheimnis gehütet. Dies änderte sich 1731, im Zusammenhang mit der Reorganisation der Meißener Manufaktur. Höroldt wurde zum staatlichen „Inspektor“ und seine Gesellen zu staatlich angestellten Arbeitern ernannt, die nun
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experimentelle Notizbücher führen und schriftliche Berichte über die Veränderungen ihrer Rezepte abliefern mussten.508 Eine ähnliche Strategie verfolgte Heinitz nun auch für die KPM. Die Laboranten sollten regelmäßig experimentieren und darüber schriftlich Bericht erstatten. Und nicht zuletzt zu diesem Zweck sollten sie eine wissenschaftlich-chemische, die handwerkliche Lehre ergänzende Ausbildung erhalten.
Externe chemische Experten In den 1770er-Jahren begann die KPM, Berliner Chemiker für besondere Aufgaben zu Rate zu ziehen. Oder diese traten aus eigener Initiative mit Verbesserungsvorschlägen an sie heran. So hatte beispielsweise Carl Abraham Gerhard, der 1769 in Schlesien Kobalterze entdeckt hatte, Ende der 1770er-Jahre versucht, die begehrte Blaufarbe der KPM, bleu royal, aus schlesischem Kobalterz herzustellen. Ungleich erfolgreicher als Gerhard war damals Franz Carl Achard, der um dieselbe Zeit und auf persönlichen Wunsch Friedrichs II. versuchte, die zartblaue Porzellanfarbe bleu mourant (sterbendes Blau) der Porzellanmanufaktur von Sèvres nachzumachen.509 Friederich II. hatte Achard 1779 gebeten, sein „chemisches Wissen“ für diese Erfindung zur Verfügung zu stellen, nachdem er zuvor die Laboranten der Manufaktur vergeblich aufgefordert hatte, die Herstellung von bleu mourant zu versuchen. Direktor Grieninger berichtete darüber später, Achard habe auf „ausdrücklichen Befehl“ des Königs gehandelt, der sich erkundigt habe, ob er die zartblaue Farbe „durch seine chemische Kenntniße zu verschönern im Stand seyn möchte“. Am 15. Januar 1780 honorierte der König Achards Erfolg und ordnete weitere Versuche der Laboranten für die kommerzielle Umsetzung von dessen Erfindung an. In einer Kabinettsorder wurde festgehalten:
▷ [...] dass der Professor der Chymie Franz Karl Achard verschiedene Proben von bleu mouranter Farbe hervorgebracht hat, und es nun darauf ankommt, dass solche, in der Manufaktur probieret, und auf das porcellain ordentlich aufgetragen wird. ◁ 1784 ließ sich Friedrich II. ein Tafelservice mit bleu mourant verzieren, das heute noch teilweise erhalten ist.510 Heinitz machte die gelegentliche Konsultation externer chemischer Experten zur normalen Politik der Manufakturleitung. Vor allem Klaproth, aber auch Dietrich L. G. Karsten und Alexander von Humboldt waren von 1786 an externe Ratgeber und Experimentatoren in der KPM.
26. Heinitz reformiert die KPM
26. Heinitz reformiert die KPM Im Frühsommer 1787 organisierte die Porzellanmanufaktur-Kommission unter Leitung von Heinitz eine Inspektion aller technischen Schlüsselbereiche der KPM. Es ging zunächst schleppend voran, da die Arcanisten und Laboranten ihre Geheimnisse nicht preisgeben wollten. Am 9. Juni 1787 überreichte Direktor Grieninger nach mehrmaliger Nachfrage einen Teil der Rezepte zur Herstellung der Porzellanmasse mit dem Hinweis, sie seien noch unvollständig und sollten schnellstmöglich an ihn zurückgegeben werden, um „sie nicht in fremde Hände kommen zu laßen“.511 Zwei Wochen später ordnete Heinitz Versuche mit Nordhauser Gips an, um dessen Verwendbarkeit für das Formengießen zu prüfen. Dem folgten Versuche mit schlesischem Ton für die Herstellung von Tonkapseln. Am 27. Juli nahm Heinitz Versuche zur Verbesserung der Brennöfen in Angriff, um den Holzverbrauch zu reduzieren. Da ihm „die Ersparung des Porcellain Feuer Holzes“ eine Herzensangelegenheit sei, teilte er Direktor Grieninger mit, wolle er nichts unversucht lassen, dies zu erreichen. Man könne beispielsweise versuchen, den Luftzug der Öfen durch höhere Schornsteine und Korrekturen an den Zuglöchern zu erhöhen. Außerdem könne man Torf anstelle von Holz für das Aufwärmen verwenden und die Raumausnutzung der Öfen beim Brennen verbessern. Die KPM hatte ihr Holz zunächst aus dem Köpenicker Forst bezogen, doch dieser war nach zehn Jahren so stark dezimiert, dass der damals zuständige Minister vor dem „völligen nahen ruin“ warnte.512 Von 1775 an bezog die KPM ihr Brennholz aus Rüdersdorf, aber Holzmangel war weiterhin ein so gravierendes Problem, dass schon von Anfang der 1780er-Jahre an Versuche zur Verbesserung der Öfen und Brenntechnik sowie zum Ersatz von Holz durch schlesische Steinkohle unternommen worden waren.
Inspektion des Farbenlaboratoriums Die Überprüfung der Farbenherstellung für die Porzellanmalerei war ein weiterer Schwerpunkt von Heinitz’ Reformmaßnahmen, der zunächst auf dieselben Hindernisse stieß wie die Inspektion der Masseherstellung. Am 2. Juni bat Rosenstiel Direktor Grieninger um „die schleunige Übermachung der Papiere“ dieses Teils des Arcanums. Nachdem dies folgenlos geblieben war, wurde Grieninger drei Wochen später von Heinitz nochmals aufgefordert, „von den Farben Prozessen Abschrift nehmen zu lassen“.513 Am 4. Juli 1787 richtete die Manufakturkommission eine Inspektionskommission für das Farbenlaboratorium ein, die aus Rosenstiel, dem Arcanisten Dr. Schopp und Klaproth bestand. Da in der Zwischenzeit ein Teil der Rezepte für die Farben-
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herstellung und Flussmittel herausgegeben worden war, galt es, diese zu überprüfen und schriftlich zu fixieren. Zu einem späteren Zeitpunkt sollten auch Versuche zur Verbesserung der Farben und Erfindung neuer Farben gemacht werden. Das externe Kommissionsmitglied Klaproth musste „durch einen Handschlag an Eides statt“ versichern, dass er von den „Recepten und von den anzustellenden Versuchen niemals einen andern Gebrauch machen wolle, als einzig und allein zum Nutzen der hiesigen König[lichen] Porzellan Manufactur“.514 Außer der Überprüfung und Verschriftlichung der Rezepte sollte die Inspektionskommission einer schriftlichen Anweisung gemäß auch über die „Qualität aller rohen Materialien und Ingredienzien“ Informationen einziehen, ihre eindeutige Kennzeichnung und den Ausschluss von Verwechslungen überprüfen, die „chemische Genauigkeit und Reinlichkeit“ der Laboranten begutachten und darüber urteilen, ob deren Arbeit „auch nach den guten Grundsätzen der chemischen Wißenschaft procedirt werde“. Überdies sollte sie möglichst schnell einen Ersatz für die giftige, als Farbe und Flussmittel verwendete Mennige finden sowie nach einer weißen Farbe suchen, die zur „Deckung der Flecken im Porzellan mit Vortheil gebraucht werden könne“. Abschließend hieß es in der Anweisung an die Inspektionskommission: 515
▷ Ueber alle diese Gegenstände und über die in der Anlage aufgezeichneten Recepte, desgleichen über die Fähigkeiten der Laboranten, wünscht die [...] Porzellän Manuf. Commission ein aufrichtiges und pflichtgemäßes Sentiment der Herrn Commissarien zu erhalten, und erwartet von denselben eine getreue Anzeige der vorgefundenen Mängel, sowie auch zwekmäßige Vorschläge zu deren Abstellung und zu Vervolkommnung der für die Manufactur so wichtigen Farbe praeparationen. ◁ Die Inspektionskommission sollte ihren ersten Bericht nach drei Monaten fertig stellen, aber es lief nicht alles wie geplant. Klaproth konnte wegen seiner „mannigfaltigen Geschäfte“ nur hin und wieder in der KPM arbeiten und der Arcanist Dr. Schopp schied schon früh aus der Kommission aus. Der Kommissionsbericht, der fast zwei Jahre später, am 22. Juni 1789, fertig gestellt wurde, enthielt daher nur noch die Unterschrift Rosenstiels und Klaproths.516 Schopp wurde fortan nicht mehr erwähnt, er war wohl nicht wirklich bereit, über das Arcanum zu kommunizieren und zum Gelingen der Inspektion beizutragen. Stattdessen stützte sich die Inspektionskommission nun auf einen neu eingestellten Laboranten namens Friedrich Bergling.
26. Heinitz reformiert die KPM
Bereits nach wenigen Monaten wurde Bergling ihr wichtigster Experimentator. Er arbeitete mit Klaproth zusammen, der zugleich sein chemischer Mentor war. Der Werdegang Berglings, den wir uns nun genauer ansehen, ist exemplarisch für Heinitz’ Strategie für die Verbesserung chemischer Expertise und die Verlagerung des Arcanums in die Hände der Manufakturleitung.
Klaproth wird Mentor des Laboranten Friedrich Bergling Am 28. Dezember 1787 schrieb Rosenstiel in das Protokoll einer Sitzung der Manufakturleitung, man müsse sich um die „Anziehung tüchtiger Leute zum Arcano und zum Laboratorio“ kümmern, „um bey entstehenden Todesfällen, oder anderen Veränderungen, in keine Verlegenheit zu geraten.“ Daher habe „Excellenz von Heinitz beschlossen, zwey mit guten chemischen Vorkenntnissen versehene junge Leute auszusuchen und sie der Masse- und Farben-Zubereitung zu widmen“. Zwei junge Apotheker waren bereits ausfindig gemacht, von denen einer Provisor in der Stadtapotheke von Wittenberg und der andere ein Berliner namens Friedrich Bergling (? − 1797) war. An Klaproth erging der Auftrag, Letzteren als Kandidaten zu prüfen und „über seine Fähigkeiten und Kenntnisse gutachtlich zu berichten“.517 Wie gewohnt kam Klaproth dem Auftrag gewissenhaft nach und legte am 10. Januar 1788 sein Gutachten vor. Er habe Bergling zum Examen zu sich beschieden, hieß es darin, und es habe sich gezeigt, „daß es ihm zwar nicht an Fähigkeit und Kenntnißen fehlet; daß er aber jedoch im eigentlichen Wissenschaftlichen der Chemie überhaupt noch zurück“ sei. Klaproth fügte seinem Bericht eine Liste der mündlichen Fragen an Bergling hinzu, aus der erkenntlich wird, was er unter dem „Wissenschaftlichen der Chemie“ verstand. Die erste Frage lautete: „Wieviel Arten einfacher Erden zählet man anjezt, und worin besteht der wesentliche Unterschied gegen einander?“ Die zweite Frage bezog sich ebenso auf einen Stoff: „Worin besteht der Charakter des Tons, und was für Bestandtheile hat selbiger?“ Und so verhielt es sich weiter bis hin zur letzten Frage: „Löset die Salpetersäure alle Metalle auf, oder findet sich hierin eine Verschiedenheit?“ 518 Klaproth prüfte also ausschließlich Berglings Kenntnisse über chemische Stoffarten, vor allem über solche, die auch in der KPM verwendet wurden. Und er verstand unter chemischer „Wissenschaft“ vor allem umfassende Kenntnisse über Stoffe, ihre Eigenschaften, Zusammensetzung und ihr Reaktionsverhalten. Obwohl der junge Apotheker nicht alle Fragen zufriedenstellend beantwortete, war Klaproth sicher, er werde als Laborant „Fleiß und guten Willen“ aufbringen. Dann machte er den folgenden Vorschlag für seine Ausbildung: 519
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▷ Zu diesem Ende könnte ihm anempfohlen werden, den chemischen Lehrstunden mit Aufmerksamkeit beyzuwohnen, und eine fleißige Lecture gründlicher Lehrbücher damit zu verbinden. Hiernächst könnte er im Laboratorio der Kön. Porcellain-Manufactur zu einigen Arbeiten unter der Bedingung admittirt werden, daß er über die in seiner Gegenwart vorfallenden Arbeiten ein Tagebuch führete, worin er nicht nur von der Arbeit allein, sondern auch von der Ursach der Verfahrensart, von dem Erfolg, und den dabey bemerckten Erscheinungen nach chemischen Grundsätzen Rechenschaft zu geben, sich bemühete. Aus diesem Tagebuche, welches er bey Strafe nie mit sich zu Hause nehmen, sondern stets im Laboratorio der Manufactur zurücklaßen müßte, würden sich sein Talent und seine Fortschritte in den Kentnißen sehr gut beurtheilen lassen; ihm selbst aber würde eine solche Übung von vielen Nutzen seyn. ◁ Klaproths Vorschlag lief auf eine Mischform zwischen praktischer Lehre im KPM-Laboratorium und „theoretischem“ Unterricht in Form von Lektüre und Teilnahme an der eigenen Bergeleven-Vorlesung hinaus. Die praktische Lehre unterschied sich dabei von der herkömmlichen, durch Nachahmung und Einübung geprägten Handwerkerlehre vor allem durch einen Aspekt: Bergling sollte ein Labortagebuch führen. In diesem sollte er seine Versuche und Beobachtungen protokollieren und darüber hinaus die chemischen Prozesse erklären, die seinen Beobachtungen zugrunde lagen. Wenn Klaproth von „Grundsätzen“ sprach, an denen er sich dabei orientieren sollte, so meinte er nicht Theorien, sondern das Grundwissen der chemischen Disziplin. Klaproth vergaß selbstverständlich nicht, Vorkehrungen zur Wahrung der Manufakturgeheimnisse zu treffen, denn Bergling sollte sein Labortagebuch stets innerhalb der Manufaktur aufbewahren. Heinitz nahm Klaproths Vorschlag umgehend an und stellte Bergling am 29. Januar 1788 „vorerst zur Probe“ und mit einem Wochenlohn von zwei Reichstalern an. Noch Ende desselben Jahres wurde er als Laborant in ein festes Anstellungsverhältnis mit einem Jahresgehalt von 200 Reichstalern übernommen und erhielt eine einmalige Gratifikation für seine bisherige Arbeit. Im Mai 1789 erhielt er den Auftrag, einen Bericht über das Farbenlaboratorium mitsamt Verbesserungsvorschlägen zu schreiben. Dabei sollte er seine bisher „erworbenen chemischen Kenntniße und zeither gemachten Erfahrungen auf Vervollkommnung der Farben-Prozeße, auf Erfindung neuer Farben und Flüße und auf die vortheilhafteste Betreibung des Email-Feuers“ anwenden.520 Wenige Wochen später, am 16. Juni, legte Bergling seinen Bericht vor, in dem er sich mit seinen „Meinungen“ und seiner Kritik nicht zurückhielt.
26. Heinitz reformiert die KPM
Schriftliche Rezepte und Verbesserungsvorschläge für das Farbenlabor In seinem schriftlichen Bericht vom 16. Juni 1789 kritisierte Bergling, die Laboranten behandelten die Farben mit unreinem Brunnen- und Flusswasser, verwendeten ungereinigte Reagenzien sowie unsaubere Filter und Gefäße, was die Qualität der Farben beeinträchtigte. Überdies sei ihre Vorratshaltung der Rohmaterialien unzureichend, sodass man bei Neukauf Qualitätsschwankungen hinnehmen müsse. Das Laboratorium bedürfe auch zusätzlicher Geräte, wobei die Anschaffung einer großen Destillierblase mit Kühlfass und eines Schmelzofens für die Herstellung der Flussmittel vordringlich sei. Dann beklagte sich Berling, der alte Laborant Riedel gewähre ihm keinen Einblick in die Herstellung restlos aller Farben, sodass er seine Kenntnisse nicht „durch eigene praktische Bereitung und Erfahrung“ erweitern könne.521 Riedel versuchte offenbar weiterhin, einige seiner Rezepte geheim zu halten. Berglings Bericht diente als Vorlage für den Bericht der Inspektionskommission, die nun lediglich aus Klaproth und Rosenstiel bestand. Diese legten ihren Bericht eine Woche später vor, wobei sie betonten, er bedürfe noch einiger Ergänzungen, da ihre Inspektion noch nicht ganz abgeschlossen sei. Auch Klaproth und Rosenstiel sparten nicht mit Kritik. Im Farbenlaboratorium fehle es an Öfen, Waagen, Gläsern, Flaschen und vielen anderen Gerätschaften, „deren Entbehrung einem reinlichen Chemisten äußerst unangenehm“ sei, hieß es in ihrem Bericht. Da selbst nicht genügend „Löffel“ vorhanden seien, hätten sich die Laboranten „das unreinliche Herausnehmen der verschiedenen Ingredienzien aus den Tüten und Gläsern mit der […] Hand“ angewöhnt. Der Gerätemangel habe somit „die natürliche Folge, daß mit dem Einwiegen der Materialien zu den Flüssen und Farben nicht mit aller Reinlichkeit procedirt“ werde. „Wir haben sogar Wischlappen vermißt“, vermerkten die beiden Kommissionsmitglieder mit unverkennbarer Missbilligung.522 Klaproths und Rosenstiels Hauptaugenmerk lag indessen auf der Qualität der Materialien für die Herstellung der Farben und Flüsse. Diese wiesen unakzeptable Schwankungen auf, weil sie nur bei aktuellem Bedarf und dann in kleinen Mengen eingekauft wurden. Bei jedem Einkauf sei nämlich zu berücksichtigen, dass die von den Kaufleuten angebotenen Materialien gleichen Namens unter chemischen Gesichtspunkten nicht wirklich identisch seien.523 Anders als heute, gab es auf dem damaligen Markt noch keine standardisierten chemischen Reinstoffe. Der Bericht führte als Beispiel Pottasche an, die von einem Berliner Kaufmann namens Heyl bezogen wurde und als Fällungsmittel für Farben verwendet wurde. Der Vergleich eines schon vor längerer Zeit gekauften Pottaschevorrats mit der aktuell angebotenen Pottasche dieses Kaufmanns zeigte deutliche Unterschiede. Während es sich bei ersterer um
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Pottasche „von vorzüglicher Reinheit und Güte“ handle, sei die letztere „sehr stark mit Braunsteingehalt verunreinigt.“ Klaproth und Rosenstiel kamen zu folgendem Schluss:
▷ Unserer Meinung nach ist die Zubereitung beständig guter Farben und Flüsse für die Königliche Manufactur zu wichtig, als daß man sie der jedes Mal zufälligen Qualitaet der benötigten Ingredienzien, so wie sie der Kaufman eben vorräthig hat, aussezzen sollte. ◁ Dem folgte der Ratschlag, die KPM solle sich größere Vorräte qualitativ hochwertiger Materialien zulegen, die zuvor im Labor getestet worden seien. Dies erfordere zwar einen Kapitalvorschuss, doch die beiden Inspekteure versicherten, sie seien davon überzeugt, „daß die beständig gleiche Güte der, nach vorgängiger genauer Untersuchung angeschafften Materialien dieses Kapital reichlich verzinsen würde“.524 Heute würden wir anstelle von „beständig gleicher Güte“ von „standardisierten“ Materialien reden. Klaproths und Rosenstiels Inspektionsbericht befasste sich mit insgesamt 23 Materialien für die Herstellung von Farben und Flussmitteln. Jeder einzelne Stoff war auf seine Reinheit und Bezugsquelle überprüft worden, und in vielen Fällen fügten die Inspekteure weitere Empfehlungen hinzu. So gaben sie den Hinweis, beim Königlichen Eisenkomptor könne man reinen und daher als Flussmittel gut geeigneten Salpeter einkaufen, und der Kauf dieses reinen Salpeters sei sogar finanziell günstiger als der Einkauf von Rohsalpeter, der anschließend im Farbenlaboratorium aufbereitet werden müsse. Im Fall von Salmiak, einem weiteren Flussmittel, argumentierten sie, Ägypten liefere eine bessere Qualität als England. In Hinblick auf die Ingredienzien für die Farben schlug Klaproth auch seine persönliche Vermittlung beim Einkauf vor. Er kannte beispielsweise japanische Bezugsquellen für „allerreinstes“ Kupfer, das in der Manufaktur zu Kupferpräzipitaten und „Kupferasche“ für die Herstellung grüner Farben weiterverarbeitet wurde. „So bringen wir den Gebrauch Japanischen Kupfers, als des allerreinsten, zu Verfertigung der Kupferpräzipitate und Kupferasche, Behufs der grünen Farben in Anschlag“, hieß es wörtlich, „und bin allenfals ich, der Klaproth, erbötig, die benötigten Pfunde kommen zu lassen“. 525 In einem Appendix zu ihrem Inspektionsbericht, fügten Klaproth und Rosenstiel die Rezepte für die Herstellung von vier Flussmitteln und vierzehn Farben hinzu. Mit dieser schriftlichen Fixierung und Übernahme der Rezepte durch die Inspekteure war im Juni 1789 der erste Schritt zur Übertragung des Arcanums der Farben und Flussmittel auf die Manufakturleitung vollzogen.
27. Klaproth experimentiert mit dem Laboranten Bergling
Der Bericht der Inspektionskommission stimmte in vielen Details mit dem früheren Bericht Berglings überein. Rosenstiel vermerkte dies auch explizit in einem Begleitschreiben. Klaproths und seine eigenen Beobachtungen und Vorschläge, hieß es dort, würden „mit den neulich vorgetragenen u. zur Ausführung kommenden Gedanken des p. Bergling zusammentreffen und in vielen Stücken noch weiter gehen“.526 Diese und ähnliche Bemerkungen geben einen Hinweis auf den Arbeitsstil, den Heinitz unter den Technikern, Chemikern und leitenden Beamten der KPM einführte. Er war, trotz der sozialen Unterschiede, kooperativ. Der hohe Bergbeamte Rosenstiel und der Professor Klaproth scheuten sich denn auch nicht, offen auf die „Gedanken“ eines Subordinierten zu verweisen. Der neue Arbeitsgeist in der KPM scheint für die jüngeren Beamten ein Ansporn gewesen zu sein. So war Grieninger Junior, der 1787 als Direktionsassistent eingestellt worden war, eifrig bemüht, die Verbesserungsvorschläge der Inspektionskommission in die Praxis umzusetzen. Am 20. August 1789, nur zwei Monate nach deren erstem Inspektionsbericht, berichtete er, er habe „die zum Besten des Farben-Laboratorii in Vorschlag gebrachte Veränderungen“ bewerkstelligt. Das Laboratorium, das seiner Meinung nach nicht viel mehr als eine „Küche“ gewesen war, sei nun räumlich erweitert, die Vorratshaltung und Aufbewahrung der Materialien und Chemikalien verbessert und die eingeforderte Destillierblase, der Schmelzofen und viele andere Gefäße und Materialen eingekauft worden.527
27. Klaproth experimentiert mit dem Laboranten Bergling: Erfindung neuer Porzellanfarben Im April 1791 legte Bergling einen weiteren umfassenden Bericht vor, der nun ein vollständiges Inventarium restlos aller Rezepte für die Herstellung von Farben und Flussmitteln enthielt. Damit war die Zusammenstellung der Rezepte abgeschlossen, die Klaproth und Rosenstiel am 22. Juni 1789 in ihrem ersten Inspektionsbericht begonnen hatten. Gleichzeitig manifestierte dieser zweite Bericht die praktischen und theoretischen Lernerfolge Berglings. Der mit Klaproths Hilfe ausgebildete Laborant lieferte mit diesem Bericht auch sein „Meisterstück“ ab, das seine chemischen Kenntnisse und Fähigkeiten unter Beweis stellte. Es war ihm nicht nur gelungen, in eigenen Experimenten alle Materialien und alle Techniken, die im Farbenlaboratorium vorkamen, zu überprüfen und schriftlich zu fixieren. Sein Bericht zeigte überdies, dass er die operativen Techniken auch chemisch zu erklären wusste.
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Klaproth kommentierte die Erklärungen Berglings am Rand mit lobenden Zusätzen wie: „Ganz richtig erklärt!“ Gelegentlich gab es auch Tadel. „Hiervon läßt sich kein Grund absehen“, heißt es in einem Fall, und daher soll „dieser Versuch bey H[errn] Klaproth wiederholt werden“.528 Etwa ein halbes Jahr später, am 19. September 1791, beendete die Inspektionskommission einen eigenen, zweiten Bericht, der ebenfalls auf der Basis von Berglings Bericht zusammengestellt worden war. Der von Rosenstiel unterzeichnete Bericht begann mit folgenden Worten: 529
▷ Nach eurer Hochfreiherrlichen Excellenz Befehl habe ich mit H[errn] Professor Klaproth und H[errn] Bergling mich zusammen gethan und wir haben die Berglingschen Aufsätze über die Materialien, welche im Laboratorio der Königlichen Porzellan Manufactur gebraucht werden, desgleichen über die Zubereitung der Flüsse des Goldes, Silbers u. der Farben genau durchdacht. ◁ Die Formulierung belegt, dass der Laborant Bergling inzwischen als ein Experte und nahezu gleichberechtigter Partner der Inspektionskommission galt. Der Grundton des zweiten Inspektionsberichts war durchweg positiver als der des vorangegangenen und markierte erste Erfolge der Inspektion, obwohl es weiterhin Anlass zu Ermahnungen gab. Der Ankauf von Materialien „bester Güte“ war anscheinend weiterhin ein Problem, sodass die Inspekteure daran erinnerten, dass: 530
▷ [...] jedes neu angeschaffte Material sorgfältig untersucht, und wenn es gut befunden worden, eben so sorgfältig aufbewahret [...] werde. ◁ Die Rede von „sorgfältiger Untersuchung“ der Materialien meinte die Durchführung chemischer Analysen, für die nun auch die Anschaffung „eines chemischen portabilen Ofens“ empfohlen wurde, den Bergling schon „aus dem Klaprothschen Laboratorio“ kannte. Als besonderen Erfolg hatte der zweite Inspektionsbericht die Verbesserung mehrerer, seit langem benutzter Farben der KPM zu vermelden. Nachdem Bergling im Frühjahr 1791 alle Rezepte für die vorhandenen Farben und Flussmittel zusammengestellt und schriftlich fixiert hatte, hatte er sich mit Unterstützung Klaproths an diese Folgeaufgaben gemacht. Bei der Aufbereitung des Silbers für die Silberdekoration war es ihm und Klaproth gelungen, „die mindeste Spur von Kupfer wegzubringen“; durch die Zubereitung des „Goldpurpurs“ ohne Zinnlösung war „eine
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andere Nuance von Purpur erhalten“ worden; die Farbe „Dunkelblau“ konnte „durch Zusatz von etwas Braunstein noch dunkler gemacht“ werden; mit reinem „Spießglaskönig“ anstelle von rohem Spießglas hatte sich ein schöneres „Dunkelgelb“ herstellen lassen; mit sublimierten Zink war eine schönere „lichtbraune“ Farbe als mit rohem Galmei erzielt worden; und das „Kastanienbraun“ der KPM hatte sich durch Zusatz von etwas Braunstein in „eine angenehmere, dunklere Farbe“ verwandelt. 531 Unzählige Versuche waren diesen Verbesserungen vorausgegangen, die die Achtsamkeit des Chemikers auf die Reinheit der Stoffe voraussetzten. Aber auch die Erfindung neuer Farben war inzwischen gelungen. Die KPM hatte in ihrer Vergangenheit wiederholt versucht, neue Farbnuancen herzustellen, und mit Achards Erfindung von Bleu mourant hatte sie in dieser Hinsicht einen großen Erfolg verzeichnet. Auch Klaproth hatte im Juni 1789 einen ähnlichen Erfolg erzielt, indem er Platin in die Porzellanmalerei einführte. Die Erfindung war im ersten Bericht der Inspektionskommission nur in einer nachträglichen Randnotiz erwähnt worden: „Hier müsste nun auch noch der Platina erwähnt werden“, hieß es dort, „von welcher seit Abfassung dieses Entwurfs […] Gebrauch gemacht wird“.532 Klaproth selbst hatte damals jedoch der Akademie der Wissenschaften ausführlich über seine Erfindung berichtet und diese mit „Mustern“ seines Könnens − Porzellanfiguren mit Platindekors − belegt. In diesem Vortrag erinnerte er zunächst daran, dass das aus Peru kommende Platin anfänglich zur Fälschung von Gold verwendet worden war. Nachdem der Wert von Platin jedoch gestiegen war, habe eine Erfindung Achards die Herstellung wertvoller „Kunst- und Prachtgeräthe“ aus Platin möglich gemacht. Achard habe Platin mit Arsenik legiert und somit in eine gussfähige Masse verwandelt, aus der Arsenik nach dem Guss durch Glühen wieder entfernt werden konnte. Diese Erfindung des Direktors der physikalischen Klasse der preußischen Akademie der Wissenschaften, so Klaproth, werde inzwischen weltweit und vor allem im Pariser Kunsthandwerk genutzt. Dann kam er zu seiner eigenen Erfindung, mittels derer Platin auch für die Malerei auf Porzellan und Glas nutzbar werde und Silber ersetzen könne. Während Silber die Oberfläche des Porzellangegenstands oft nur unvollkommen abdecke und nach kurzer Zeit seinen metallischen Glanz verliere und schwarz anlaufe, weise Platin diese Nachteile nicht auf: 533
▷ Die Platina hingegen behauptet auch in diesem Fall ihren Rang neben dem Golde, und vertritt durch ihre weisse Farbe die Stelle des Silbers, ohne die Fehler desselben zu besitzen. ◁
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In der Publikation seines Vortrags beschrieb Klaproth seine Erfindung in aller Offenheit, und verzichtete somit auf eine besondere Gratifikation, die in solchen Fällen anstelle von Patenten üblich war. Bei der Fortsetzung derartiger Erfindungsarbeiten im Sommerhalbjahr 1791 − nunmehr mit Lapislazuli, Tungstein und Uran − hatten sich weitere Erfolge abgezeichnet. Daher hieß es im Inspektionsbericht vom 19. September 1791: 534
▷ Ferner hält H[err] Klaproth die Minen von Tungstein, Uranium und lapis lazuli für sehr brauchbare Porzellan-Farben und will drüber theils eigene Versuche anstellen, theils Bergling dazu veranlassen. ◁ Ein Jahr später vermerkte Bergling am Rand dieses Berichts:
▷ Uranium und Tungstein sind auf Farben untersucht, unterm 3t September 1792. Bericht davon abgestattet. Minen vom Lapis Lazuli hat der Professor nicht gehabt. Bergling. ◁ Wie wir oben gesehen haben, hatte Klaporth bereits 1789, im Zusammenhang mit seiner Entdeckung von Uran, erste Experimente zur Anwendung von Urankalk (Uranoxid) zur Färbung von Porzellan und Glas vorgenommen. Zwischen September 1791 und September 1792 führte Bergling diese Versuche erfolgreich fort, neben seinen Versuchen mit Tungstein. Am 3. September 1792 verfasste er darüber einen schriftlichen Bericht, in dem er seine Techniken und Ergebnisse beschrieb. Mit Tungstein habe er eine „angenehme gelbe Farbe erhalten“, hieß es dort, und ein ähnlich gutes Resultat habe er auch mit Uran erzielt.535 „Urangelb“ gehörte von nun an zu den regulär verwendeten Farben der KPM.536 So wird beispielsweise in einer Farbtabelle von 1838 „Urangelb“ angeführt. Bergling erhielt eine finanzielle Gratifikation für seine Arbeit, womit die Erfindung in den Besitz der KPM überging.
Bergling wird Arcanist – Chemische Analysen der Porzellanerden Am 26. Mai 1791 erließ Friedrich Wilhelm II. ein „Neues Reglement für das Personal der Porzellan-Manufactur zu Berlin“, das Heinitz’ Wünschen sehr entgegenkam und vermutlich auch von diesem ausgearbeitet worden war. Darin wurde die Manufakturkommission als Leitungsgremium bestätigt und festgehalten: Ihr Präsident, Minister von Heinitz:537
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▷ [...] hält das Ganze in Ordnung und hat das vorhandene Manuscript über die Composition der Masse und Farben, desgleichen über die Structur der Oefen in seinen besondern Beschluß zu nehmen, die nun angestellten gelungenen Versuche darin nachtragen zu lassen, und pflichtgemäß dahin zu sehen, daß dieses Buch nicht in fremde Hände gerathe. ◁ Wie die Meißener Porzellanmanufaktur sollte nun auch die KPM ein „Manuskript“ über die Arcana der Masse und Farben sowie der Konstruktion der Brennöfen führen, das Heinitz unter Verschluss halten und somit als staatliches Eigentum verwahren sollte. Die Arcanisten und Laboranten sollten ihre Versuche in diesem Rezeptbuch schriftlich protokollierten. Damit war der Übergang des Arcanums aus dem Privatbesitz der Arcanisten und Laboranten in das Eigentum der KPM königlich bestätigt und besiegelt. Das Reglement enthielt noch eine weitere Neuerung, die Heinitz ebenfalls von langer Hand geplant hatte. Die Arcanisten erhielten nun die Aufsicht über alle avancierten technischen Bereiche der KPM, insbesondere über das gesamte Arcanum einschließlich der Arbeiten im Farbenlaboratorium. Kein einziger der technologischen Schlüsselbereiche der Manufaktur konnte nun dem sachkundigen Auge dieser chemischen Experten entgehen. Der Malereivorsteher, dem bis dahin formell noch das Farbenlaboratorium unterstanden hatte, wurde entmachtet und seine Funktion auf die eines Abnehmers der Farbmaterialien beschränkt. Heinitz’ Strategie zur Einführung chemischer Standards und Verbesserung chemischen Wissens und Könnens hatte sich durchgesetzt. Der Minister hatte auch bereits konkrete Pläne hinsichtlich der Person, die mit der technischen Oberaufsicht beauftragt werden sollte. Die alten Arcanisten Manitius und Dr. Schopp kamen dafür nicht in Frage, wohl aber Bergling. Die frühere Unterscheidung zwischen einem rein handwerklich ausgebildeten Arcanisten wie Manitius und einem Chemiker-Arcanisten wie Dr. Schopp war durch die kombinierte wissenschaftliche und handwerklich-praktische Ausbildung Berglings irrelevant geworden. Überdies hatte sich Bergling inzwischen auch Kenntnisse über die Herstellung der Masse und der Qualitätskontrolle ihrer Ingredienzien angeeignet. Bereits im zweiten Halbjahr 1790 und parallel zu seinen Arbeiten im Farbenlaboratorium hatte Bergling begonnen, sich mit den Aufgaben eines Arcanisten vertraut zu machen. Am 6. und 27. Januar 1791 berichtete er über seine ersten chemischen Analysen von Porzellanerden, Feldspat und Quarz. Sein erster Bericht war ein veritabler chemischer Experimentalbericht über die „Chemische Zerlegung nachstehender Erden in ihren Einfachsten Bestandtheilen“, der den hohen Ansprüchen
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Klaproths und der Chemikergemeinschaft gerecht wurde.538 Detaillierte Beschreibungen chemischer Techniken waren in diesem Bericht mit genausten quantitativen Angaben über die Mengen der analysierten Erden und der daraus erhaltenen Analyseprodukte gepaart. Der zweite Bericht vom 27. Januar 1791 über die Analyse von Feldspat, Quarz und einiger anderer Mineralien setzte den Stil eines detaillierten, quantitativ genauen chemischen Experimentalberichts fort. Die KPM bezog ihre Porzellanerden zuerst aus Passau und nach 1770 aus der Umgebung von Halle (aus den Lagerstätten Brachwitz, Beidersee, Morl und Sennewitz) sowie aus dem schlesischen Ströbel. Der Feldspat stammte aus den schlesischen Lagerstätten Krumhübel, Lomnitz, Schreibershau und aus Skandinavien.539 In seinen Versuchen analysierte Bergling Porzellanerden aus Morl, Beidersee, Ströbel und Passau. Aus allen diesen lokalen Varianten von Porzellanerde trennte er „Tonerde“ (Kaolin), „Kieselerde“ (Quarz) und eine winzige Menge „Kalckerde“ ab. Die Unterschiede dieser Porzellanerden beruhten also nur im quantitativen Verhältnis dieser drei Komponenten. Bergling verwendete in seinen Analysen der Porzellanerden und des Feldspates die neue chemische Methode der „nassen“ Analyse von Mineralien durch Auflösung in einer Säure mit nachfolgender Präzipitation, Filtration und weiteren chemischen Operationen. Solche komplexen chemischen Verfahren, in denen eine ganze Serie chemischer Reaktionen mittels unterschiedlicher Techniken und Reagenzien der Reihe nach hintereinander durchgeführt wurden, gehörten zu den avancierten chemischen Analysetechniken der Zeit. Nur wenige Chemiker des späten 18. Jahrhunderts beherrschten diese neuen Analysemethoden so vollkommen oder beschrieben sie in ihren Veröffentlichungen mit denselben technischen Details wie Bergling dies in seinem amtlichen Bericht tat. Es gab nur eine einzige Person, von der er dies gelernt haben konnte: Der chemische Analytiker und Mineraloge Klaproth.
Karsten begutachtet Berglings Analysen Berglings Ausbildung zum Arcanisten erfolgte auf dieselbe Weise wie seine vorherige Ausbildung zum Laboranten: Durch Learning by doing unter Hilfestellung von Klaproth. Letzteres war verbunden mit der Aufforderung, mit Klaproth Rücksprache zu halten. Daneben beauftragte der Minister auch den jungen Bergassessor und Mineralogen Dietrich L. G. Karsten mit Berglings Betreuung und der Überprüfung seiner Experimente. Am 20. Februar 1791 schrieb Karsten einen Bericht über Berglings Analysen, der sein und Klaproths „übereinstimmiges Urtheil“ zusammenfasste und zwei Kritikpunkte enthielt. Erstens bezweifelte Karsten, dass die analysierten
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Porzellanerden, die im Idealfall nur aus Kaolin und Quarz bestanden, auch Kalk enthielten, wie Bergling behauptete. Zweitens stellte er infrage, dass Bergling wirklich chemisch reine Reagenzien verwendet hatte. Sein Bericht endete jedoch mit der versöhnlichen Schlussbemerkung: 540
▷ Auch ist dieser [Fehler Berglings] um so mehr zu entschuldigen, als die ihm aufgegebenen Körper gerade die allermehresten Schwierigkeiten bei der Zerlegung entgegenstellen, und sehr gute Chemisten, von weit größerer Erfahrung hierbei mannigfaltigen Irrthümern unterworfen sind [...]. ◁ Der versöhnlichen Worte zum Trotz, hatte der Bericht für Bergling die unangenehme Folge, dass er sämtliche Analysen wiederholen musste. Der 23-jährige Karsten, der in Freiberg studiert hatte und erst seit zwei Jahren in Heinitz’ Bergwerks- und Hüttendepartment arbeitete, war zwar ein guter Mineraloge, als Schüler Werners jedoch kein erfahrener chemischer Analytiker. Am 3. März 1791, nur zwei Wochen nach Eingang von Karstens Bericht, reichte Bergling eine schriftliche „Rechtfertigung“ ein, die dem jungen Assessor in allen wichtigen Punkten widersprach. Sie begann mit der Bemerkung, er habe „um hierbei ganz sicher zu gehen mit dem H[errn] Professor Klaproth ausführlich darüber gesprochen und demselben auch einfache Erden vorgezeigt“. Dann ging er „Punkt für Punkt“ Karstens Bericht durch, beginnend mit der Frage, ob die Porzellanerde aus Morl auch Kalk enthalte. „Herr Professor Klaproth hat in meinem Beisein“ diese Erde und den darin enthaltenen Kalk untersucht, insistierte er, „und gefunden, daß meine Angabe richtig und selbige Erde reine Kalckerde sei“. Dem folgte die kurze Bemerkung: „Bei der Erde von Beidersee tritt derselbe Fall ein, so wie auch bei der Ströbler und Passauer Erde.“ 541 Als Nächstes griff Bergling „Assessor Karstens Bedenklichkeiten“ hinsichtlich der Reinheit seiner Reagenzien auf. Sein Argument war auch hier schlagend: 542
▷ Die Vitriol Säure habe ich vom H[errn] Professor Klaproth genommen und habe als gewis vermuthet, daß [,] da solche zum medizinischen Gebrauch angewandt wird, völlig rein sei. ◁ Bergling war nach einem langen Training durch Klaproth so gut mit dem Problem unreiner, von Kaufleuten erworbener Stoffe vertraut, dass er die Vitriolsäure (Schwefelsäure) für die Auflösung seiner Erden aus dem Apothekerlaboratorium von
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Klaproth bezogen hatte. Die Essigsäure hatte er ebenfalls von Klaproth erhalten, der ihm versichert habe, „daß selbige ganz rein sey“. Seine Replik endete mit der Bemerkung: „[ich] werde es mir stets zur größten Aufmunterung in meinem Dienst gereichen laßen, wann ich bei vorzunehmenden Versuchen durch erfahrende Chemiker unterstützt“ werde.543 Am 4. Juni 1792 wurde Bergling zum „wirklichen Arcanisten“ der KPM mit einer jährlichen Besoldung von 400 Reichstalern befördert, nachdem der alte Arcanist Manitius kurz zuvor in den Ruhestand getreten war.
28. Humboldt experimentiert in der KPM (1793) In der zweiten Junihälfte 1792 arbeitete Alexander von Humboldt erstmals in der Berliner Porzellanmanufaktur, um Sachkenntnisse für seine Inspektion der Porzellanmanufaktur im fränkischen Bruckberg zu erwerben. Dort begegnete er auch Klaproth und häufiger noch Bergling, der soeben zum Arcanisten befördert worden war. Dutzende von Versuchen zur Rekonstruktion und Verschriftlichung der Farbezepte und zur Erfindung neuer Farben waren inzwischen abgeschlossen oder standen kurz vor dem Abschluss, wie im Fall der Erfindung des Urangelbs. Aufgrund der umfassenden quantitativen Analysen der Porzellanerden, die Bergling ebenfalls durchgeführt hatte, verfügte die KPM nun über exaktere Kenntnisse über die Zusammensetzung der Porzellanerden, die für die Qualität des Endprodukts von ausschlaggebender Bedeutung waren. Während somit keinerlei Zweifel bestehen können, dass die KPM Anfang der 1790er-Jahre avancierte chemische Analysetechniken einführte, ist die weitergehende Frage, ob diese Reform auch zu tatsächlichen Verbesserungen der Porzellanqualität führte, ungleich schwerer zu beantworten, da wir hierfür keine direkten Daten besitzen. Allerdings gibt es in dieser Hinsicht zumindest einen deutlichen Hinweis, der von Humboldt stammt. In seinem Bericht über die Inspektion des Fränkischen Bergbaus vom September 1792 machte Humboldt auch Vorschläge für die Verbesserung der Technik in der Bruckberger Porzellanmanufaktur. Darin ging er besonders ausführlich auf die Probleme der dort verwendeten Porzellanerde ein. Er empfahl, die fränkische Manufaktur solle sich hier am Vorbild der Berliner KPM orientieren: 544
▷ So schwer, ja fast unmöglich es ist, nach allgemeinen chemischen Prinzipien die Mengung der Bestandteile zu einer kompakten, hell durchscheinenden stei-
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nartigen Masse anzugeben, so leicht ist es jetzt, da man in der königlichen Porzellanmanufaktur zu Berlin (wo man von 1762 − 1775 an sieben verschiedene Massen bereitete) die sichersten Erfahrungen darüber angestellt, ja ehemals auch bis 1768 Passauer Erde verarbeitet hat. ◁ Die Porzellanmanufaktur zu Bruckberg bezog nach Humboldts zusätzlicher Angabe ihre Porzellanerde aus Passau. Aufgrund der starken Verunreinigung dieser Erde, war ein aufwendiges Schlemmverfahren zu ihrer Reinigung nötig. In Berlin dagegen war der Kauf von Passauer Porzellanerde bereits 1768 eingestellt worden. Damals hatte man in der KPM erst langjährige Versuche mit einer Reihe verschiedener Porzellanerden unterschiedlicher Herkunft durchführen müssen, bis man sich schließlich für die Depots aus der Umgebung von Halle und Schlesien entschieden hatte. „Jetzt“ war es jedoch bedeutend leichter, so Humboldt, die richtige Entscheidung über die Mengung der Bestandteile für die Masse zu treffen, denn die Chemie und die Erfahrungen in der KPM verhalfen zu einem besseren Verfahren. Allerdings tat sie dies nicht in Form allgemeiner chemischer Prinzipen, sondern durch die Methode der quantitativen chemischen Analyse, die Humboldt im Juni 1792 selbst in der KPM kennengelernt hatte. Humboldts Rede von „sichersten Erfahrungen“ in Hinblick auf die Kenntnisse der Bestandteile der Masse und ihrer Zubereitung zeugt von einer insgesamt positiven Bewertung des Nutzens der quantitativen chemischen Analyse in der KPM. Dabei können wir davon ausgehen, dass diese positive Bewertung auch von Heinitz geteilt wurde, der der Empfänger von Humboldts Inspektionsbericht war. Zwischen der Einführung der quantitativen chemischen Analyse in der KPM und Humboldts Inspektionsbericht lag zwar nur eine kurze Periode, aber es ist unwahrscheinlich, dass ein Mann wie Heinitz eine positive Bewertung ohne die Überprüfung am Endprodukt, der Qualität des Porzellans, vorgenommen hätte. Am 5. März 1793 besuchte Humboldt die KPM ein zweites Mal. Er war gerade von seiner ersten Salinenbesichtigung nach Berlin zurückgekehrt und stand unmittelbar vor dem Antritt seiner Amtsgeschäfte als fränkischer Oberbergmeister. Nach einem Wunsch von Heinitz sollte er in der KPM ein mehr als ungewöhnliches Experiment durchführen. Der Minister kannte offenbar sein Interesse für die Gaschemie, die in der Chemie Lavoisiers eine ausschlaggebende Rolle spielte, während sie für Klaproths mineralogische Chemie weniger relevant war. Humboldts Experiment verfolgte nämlich das Ziel, den Einfluss der „Lebensluft“ (Sauerstoffgas) auf das Emaillieren zu untersuchen.
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Bergling assistierte bei diesem Experiment. In der vorangegangenen Woche war bereits aus Braunstein die benötige Lebensluft hergestellt worden, wie Humboldt in seinem Bericht an die Manufakturleitung mitteilte: 545
▷ Dem mündlichen Befehl Sr. Excell. des Staatsministers Fr. v. Heinitz gemäß, mit dem arcanist Bergling im laboratorium der Kgl. Porzellan Manufaktur einen chemischen Versuch anzustellen, um den Einfluß der Lebensluft od[er] des ehemahls sogenannten dephlogistirten Gas auf das Einschmelzen der Farben beim emailliren zu beobachten, haben wir zwei Vormittage in der verflossenen Woche dazu angewandt, uns die nöthige Quantität Lebensluft zu verschaffen. ◁ Humboldt hatte das Experiment nicht nur technisch sorgfältig vorbereitet, er hatte auch Zeugen dazu geladen. Das Versuchsprotokoll hält daher fest:
▷ Dieser Versuch selbst wurde dato d. 5ten Merz, Vormittags um 11 Uhr, in Gegenwart der Hofräthe Grieninger und Klipfel und des Professors Klaproth vorgenommen. ◁ In dem Experiment wurde eine Porzellanschale zuerst mit grüner, blauer, violetter und roter Farbe bestrichen und dann in einen kleinen Muffelofen gesetzt, in dem der Emailbrand erfolgte. Nach einer Viertelstunde wurde durch ein Rohr Sauerstoff in den Ofen geleitet. Nach einer weiteren Viertelstunde waren nach Humboldts Angabe „10 Quart Gas consumirt”. Während dessen waren die Farben in die Glasur eingesunken und der Emailbrand somit beendet. Das Ergebnis war jedoch eher ernüchternd: „Die herausgenommene Schale zeigte in den eingeschmelzten Farben keinen weiteren Unterschied, als daß die rothen nuancen matt und ohne allen lustre geblieben waren.“ Die meisten Farben hatten sich also durch den Zusatz von Sauerstoff nicht verändert, und die roten Farbtöne hatten sich vielmehr eindeutig verschlechtert. Humboldt zog dennoch eine positive Gesamtbilanz des Experiments. Er argumentierte, dieses sei „wenigstens negativ belehrend“.546
Berglings plötzlicher Tod und seine Folgen Als Humboldt im März 1793 mit Bergling experimentierte ahnte noch niemand, dass die Manufaktur schon in wenigen Jahren ihren neuen, von Klaproth ausgebildeten Arcanisten wieder verlieren würde. Am 26. August 1797 verstarb Bergling völlig unerwartet.
28. Humboldt experimentiert in der KPM
Obwohl Berglings plötzlicher Tod einen großen Verlust für die Manufaktur bedeutete, konnte er Heinitz’ Politik der Verbesserung der chemischen Expertise in der KPM nicht konterkarieren. 1791 hatte die KPM begonnen, einen weiteren Laboranten auf ähnliche Weise wie Bergling „praktisch und theoretisch“ auszubilden. Der junge Laborant namens Johann George Roesch (1767 – 1821) hatte zuerst eine Lehre als Blumen- und Früchtemaler in der KPM begonnen. 1791 wurde er Gehilfe im Farbenlaboratorium, begann dort praktische Erfahrungen zu sammeln und besuchte parallel dazu mehrere Jahre lang die von der Bergwerks- und Hüttenadministration organisierten Vorlesungen Klaproths, Hermbstaedts und Karstens.547 1793 wurde er zum Laboranten und 1795 zu Vizearcanisten ernannt. Zu dieser Zeit begann die KPM ihr „Gesundheitsgeschirr“ herzustellen, dessen Produktion der Aufsicht von Roesch unterstellt wurde. Die Herstellung der Masse für dieses neue Porzellan, das billiger als das „echte“ Porzellan war, war eine Erfindung von Bergling und Roesch.548 Im Juni 1797 wurde Roesch zum Arcanisten und Nachfolger Schopps ernannt, der kurz zuvor verstorben war. Die Suche nach einem Nachfolger für Berling, der nur zwei Monate nach Schopp verstorben war, gestaltete sich indessen schwieriger. 1797 stellte die KPM den Eleven der Münze Georg Friedrich C. Frick (1781 – 1848) ein. Wie Bergling und Roesch würde auch Frick eine mit Vorlesungsbesuchen kombinierte Lehre durchlaufen, dann zum Farbenlaboranten, Vizearcanisten und 1807 zum Arcanisten befördert werden. Auf dem Gipfel seiner Karriere wurde er 1832 Direktor der KPM. Doch bis dahin war noch ein langer Weg zurückzulegen. Die unerwartete Situation, die 1797 so plötzlich nach dem Tod zweier Arcanisten eingetreten war, bot zunächst keinen anderen Ausweg als den der traditionellen Suche nach einem externen chemischen Experten. Die Wahl fiel auf den Chemiker Jeremias Benjamin Richter (1762 − 1807), der in Königsberg studiert und dort 1789 mit einer Arbeit „De usu Matheseos in Chymia“ promoviert hatte. Richter gehört zu den Heroen der Chemiegeschichte. Er ist heute vor allem als einer der Begründer der chemischen Stöchiometrie bekannt. Noch 1797 trat er seine Stelle als Arcanist der KPM an. Es ist eine groteske Ironie der Geschichte, dass der akademisch gebildete Richter − ein glühender Verehrer des berühmten Königsberger Philosophen und Aufklärers Immanuel Kant − für sich selbst wieder das alte Recht des persönlichen Besitzes des Arcanums reklamierte. Während es für die Manufakturleitung zum Zeitpunkt seiner Einstellung bereits eine Selbstverständlichkeit war, dass die Laboranten und Arcanisten schriftliche Berichte über ihre Versuche schrieben und ihre Rezepte in das Arcanabuch der Manufaktur einschrieben, wei-
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gerte sich Richter, dieser Regel Folge zu leisten. Auch durch diverse Versprechen und finanzielle Vergünstigungen ließ er sich nicht dazu bewegen, seine Versuche schriftlich zu protokollieren und seine Rezepte der Manufaktur zu überlassen. Mit seinem frühen Tod 1807 gingen seine Rezepte für die KPM verloren.549 Die Episode stellt ein gängiges Klischee der Wissenschafts- und Technikgeschichte infrage, nach dem sich die Anhänger der Aufklärung und Gelehrten des 18. Jahrhunderts für die Öffentlichkeit von Wissen engagierten, während die Praktiker noch Anhänger handwerklichen Geheimwissens gewesen seien. Die von Heinitz initiierten und von Klaproth, Karsten und Hermbstaedt unterstützten Reformen der KPM − die Organisation und Verwissenschaftlichung der Ausbildung von Laboranten und Arcanisten, die Vertiefung chemischer Expertise und die Depersonalisierung des Arcanums − wurden nicht von dem Gelehrten Richter, sondern von Personen wie Roesch und Frick fortgesetzt, zu denen sich 1810 noch der Maurerlehrling Carl Ludwig Schubert gesellte. Alle drei Männer waren protoschulisch ausgebildete Arcanisten mit handwerklichem Hintergrund, die einen Teil ihres chemischen Wissens in den Vorlesungen der Berliner Bergbehörde oder der Bauakademie erworben hatten. Erst 1877 gründete die KPM eine „Chemisch-technische Versuchsanstalt“, mit der Heinitz’ Reform der Ausbildung von Laboranten und Arcanisten ein solides institutionelles Fundament erhielt.
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Teil
Reformstrategien
29. Nützliches Wissen in der Berliner Universität 1810 wurde Klaproth zum ordentlichen Professor für Chemie an der neu gegründeten Berliner Universität ernannt. Die Chemie war eine experimentelle Wissenschaft, und somit stand für die Gründer der Universität fest, dass die Friedrich-Wilhelms-Universität über ein gutes Laboratorium verfügen müsse. Da vom König in dieser Hinsicht kaum Unterstützung zu erwarten war, stellte dies zunächst ein Problem dar, für das es nur eine einzige Lösung geben konnte: das Laboratorium der Akademie der Wissenschaften musste auch von der Universität genutzt werden. Damit war auch eine Personalunion von akademischem Labordirektor und erstem Chemieprofessor vorgegeben. Ähnliche Regelungen wurden auch für andere Einrichtungen getroffen. So erhielt Willdenow den ersten Lehrstuhl für Botanik, da er Direktor des Botanischen Gartens war, dessen Verwaltung ebenfalls an die Universität überging. Klaproth und Willdenow hatten indessen ein so hohes Renommee, dass es einer formalen institutionellen Regelung für ihren Ruf als erste ordentliche Professoren gar nicht bedurft hätte. Wilhelm von Humboldt schlug dem König Klaproth mit folgenden Worten vor: „Er hat seine Wissenschaft durch wahre Entdeckungen bereichert und sich dadurch auch im Auslande einen Namen erworben, in dem sich nur wenige Gelehrte in E. K. Majestät Staaten mit ihm vergleichen können.“ 550 Friedrich Wilhelm III. war mit der Berufung, die mit einem Jahresgehalt von 1200 Talern verbunden war, einverstanden, verlangte jedoch, dass Klaproth „seine Vorlesungen bei dem Artillerie-Corps“ fortsetzen müsse. Der Bergelevenunterricht interessierte ihn zwar nur marginal, aber für Klaproth war es selbstverständlich, dass diese Verpflichtung weiter bestand. Von nun an lud er die Bergeleven zu seinen Universitätsvorlesungen ein.551 Lediglich sein Unterricht am Collegium medico-chir-
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urgicum entfiel, da dieses aufgelöst und in die universitäre Medizin integriert wurde. Klaproth hielt seine Universitätsvorlesungen im Hörsaal des neuen Laborgebäudes der Akademie der Wissenschaften und nutze das Akademielabor für den Experimentalunterricht. Zweimal in der Woche bot er eine zweistündige stoffchemische Vorlesung über „Experimentalchemie“ oder die „Anleitung zur chemischen Analyse“ an. Die bunte Welt der Stoffe und deren chemische Analyse war immer noch sein ureigenes Terrain. Im Sommersemester 1814 las er zusätzlich „Über die Preußische Pharmakopöe“, ein Thema, mit dem er durch seine Tätigkeiten in der Medizinbehörde bestens vertraut war. Als Klaproth den Ruf an die Berliner Universität erhielt, war er bereits 67 Jahre alt und konnte mit rund 200 publizierten Experimentalberichten auf eine äußert produktive Laborkarriere zurückblicken. Aber auch außerhalb der Lehre und Forschung war er aktiv geblieben. Er hatte maßgeblich an der Abfassung der 1799 erschienen Pharmacopoea Borussica mitgewirkt und war in diesem Zusammenhang zum Obermedizinalrat ernannt worden. Aus dem ehemaligen pharmazeutischen Assessor ohne Stimmrecht war längst ein tonangebendes Mitglied in der obersten preußischen Medizinbehörde geworden. Auch an der Herausgabe der 1804 und 1813 veröffentlichten Neuauflagen der preußischen Pharmakopöe beteiligte er sich. Obwohl er seine eigene Apotheke längst verkauft hatte, hielt Klaproth seine Verbindungen mit dem Apothekergewerbe weiterhin aufrecht. Als hoher Beamter im Obercollegium medico war er auch in die Revision der Apothekerordnung von 1801 eingebunden und beteiligte sich an Apothekerprüfungen und Apothekeninspektionen. Zudem engagierte er sich in pharmazeutischen und medizinischen Standesvereinigungen. 1796 hatte er den Vorsitz der Berliner „Apotheker-Konferenz“, der Vorgängerorganisation des Berliner „Apothekervereins“ übernommen, deren Leitung er bis 1806 innehatte. Im selben Jahr 1806 beteiligte er sich an der Gründung der Berliner „Pharmazeutischen Gesellschaft“, die Fortbildungsveranstaltungen für junge Apotheker organisierte, und deren Vorsitz er ein Jahr später übernahm. Der 1810 von Christoph Wilhelm Hufeland gegründeten „Medizinisch-chirurgischen Gesellschaft“ („Hufelandische Gesellschaft“) trat er ebenfalls bei, hielt Vorträge auf deren Versammlungen und gehörte zweimal ihrem Vorstand an.552 Wie von einem renommierten, älteren Naturforscher nicht anders zu erwarten ist, trat Klaproth nach 1800 auch häufiger als Herausgeber oder Mitherausgeber chemischer Schriften in Erscheinung. So arbeitete er zum Beispiel an der neuen Fachzeitschrift Neues allgemeines Journal der Chemie mit. 1806 gab er eine überarbeitete Fassung von Friedrich Albrecht Grens Systematischem Handbuch der gesamten
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Chemie heraus. Von 1807 an wirkte er auch an Friedrich Wolffs Herausgabe eines fünfbändigen Chemischen Wörterbuchs mit. All das lässt jedoch keine Änderung seines Profils als Naturforscher, Lehrer und staatlicher Experte erkennen. Klaproth ging nach 1800 und nach seiner Ernennung zum Universitätsprofessor denselben Interessen nach wie der Apotheker-Chemiker, der er zuvor war. Er blieb ein Praktiker und experimenteller Naturforscher, ein akademischer und in der Berliner Öffentlichkeit wirksamer Lehrer, ein Beamter des Obercollegium medico und ein chemischer Experte des preußischen Staats.
Drei Ziele der neuen Universität Die Alma Mater Berolinensis, die am 15. Oktober 1810 im Palais des Prinzen Heinrich am Boulevard Unter den Linden ihren Lehrbetrieb aufnahm, war ebenso Frucht einer intensiven Debatte über die Ziele und Zwecke höherer Bildung wie einer patriotischen Aufbruchsstimmung. So war sie denn keine durchgehend ausgewogene, in sich voll und ganz stimmige Frucht. Nach der Niederlage gegen die Napoleonische Armee bei Jena und Auerstedt sollte sich Preußen von innen heraus durch seine „geistigen Kräfte“ erneuern.553 Die Gründung einer neuen Universität in Berlin, die von 1828 an „Friedrich-Wilhelms-Universität“ hieß, diente daher nicht zuletzt der Ausbildung guter Staatsdiener, die diese Erneuerung in die Wege leiten konnten. In ihren Statuten hieß es, ihr besonderer Auftrag bestehe darin, die Studenten „zum Eintritt in die verschiedenen Zweige des höheren Staats- und Kirchendienstes tüchtig zu machen“.554 Unabhängig von diesem Ziel sollte sie aber auch ein Zeichen des Bruchs mit den alten universitären Wissensformen und Gepflogenheiten markieren. Überdies verfolgten die Gründungsväter noch ein drittes, gleichermaßen wichtiges Ziel, wie sich gleich zeigen wird. Die Frage, welche Wissensinhalte und Lehrformen in die höheren Lehranstalten gehörten, wurde in den Jahrzehnten um 1800 in Preußen und anderen deutschen Staaten intensiv diskutiert.555 In diesen Debatten verdichtete sich allmählich die Kritik an der traditionellen Universität, in der familienähnliches Gemeinschaftsdenken und Geselligkeit ebenso selbstverständlich waren wie undurchsichtige Leistungsbeurteilungen und persönliche Vergünstigungen. Außerdem war es den Universitäten bisher nur unzureichend gelungen, neue Themen, die in den wissenschaftlichen Akademien debattiert wurden, und neue empirische Methoden zu integrieren. Die erneuerte Universität sollte sich daher auf die Lehre und Forschung konzentrieren, individuelle Leistung fördern und neue Fächer und Lehrformen einführen. Überdies war eine Balance herzustellen zwischen theoretischem Wissen
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Abb. 39 Das Prinz Heinrich Palais um 1750. Aus Gandert (2004), 33
und interessenfreier Naturforschung einerseits und spezialisiertem empirischem Wissen und angewandter Forschung andererseits. Dies sollte auch durch die gezielte Auswahl der Professoren und neue universitäre Einrichtungen wie Laboratorien und wissenschaftliche Sammlungen bewerkstelligt werden. Wilhelm von Humboldt, der im Februar 1809 Geheimer Staatsrat im Ministerium des Innern wurde und als Leiter der „Sektion für Kultus und öffentlichen Unterricht“ maßgeblich an der Gründung der Berliner Universität beteiligt war, argumentierte daher schon früh für eine „Allgemeine Lehranstalt“, die Teil eines Gesamtkomplexes sein sollte, dem auch die Akademie der Wissenschaften mit ihren Observatorium, Laboratorium und Instrumentenkabinett, der Königliche Botanische Garten, das Collegium medico-chirurgicum, die Akademie der Künste, die Königliche Bibliothek und die wichtigsten wissenschaftlichen Sammlungen und Kunstsammlungen Berlins angehören sollten. Die 1810 gegründete Berliner Universität wird heute gewöhnlich als eine der ersten modernen Universitäten gefeiert, in denen die Lehre mit der Forschung verbunden wurde und die wissenschaftliche Freiheit Einzug hielt. Die programmati-
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schen Erklärungen Wilhelm von Humboldts, Friedrich Schleiermachers und anderer Gründer, in denen in der Tat die Freiheit von Lehre und Forschung eingefordert wird, sollten jedoch im historischen Kontext gelesen werden. Der preußische Staat griff damals rigoros in die universitäre Lehre ein, und der Diskurs über nützliche Wissenschaften überschattete fast jede andere akademische Debatte. Dieser Diskurs war so allgegenwärtig, dass Alexander von Humboldt, der selbst aktiv daran partizipierte, die Warnung aussprach, man solle nicht in das umgekehrte Extrem wie in früheren Zeit verfallen, in denen man Wissen stets mit Theorie gleichgesetzt habe. Die Naturwissenschaft, schrieb er 1797, habe einerseits einen berechtigten „Einfluß auf die Gewerbe des bürgerlichen Lebens“. Andererseits habe sie aber auch einen „inneren Zweck“, nämlich den der Erweiterung und Vertiefung unseres Wissens über die Natur.556 An dieses Doppelziel der Naturwissenschaften würde er nochmals im November 1805 erinnern, als er nach der Rückkehr von seiner großen Amerikareise mit der Umstrukturierung der Akademie der Wissenschaften beauftragt wurde. Wenn Wilhelm von Humboldt und andere Universitätsgründer somit die Freiheit von Lehre und Forschung einforderten, so ging es in erster Linie darum, die damaligen Exzesse staatlicher Interventionen abzuwehren. Erst im späteren 19. Jahrhundert würde diese Forderung die Stärkung der „reinen Wissenschaften“ und ihre strikte Abgrenzung von den Technikwissenschaften oder „angewandten“ Wissenschaften bedeuten. Der Universitätshistoriker Max Lenz hat vor mehr als hundert Jahren auf den „Doppelcharakter“ der jungen Berliner Universität verwiesen, der seiner Auffassung nach darin bestand, dass diese sowohl die Freiheit der Forschung wahren als auch Staatsdiener erziehen sollte.557 Die Ausbildung und Erziehung guter Staatsdiener galt in der preußischen Elite nach der Niederlage im Krieg gegen die Franzosen als eine patriotische Pflicht. Für die Gründer der Berliner Universität war damit jedoch noch ein weiteres Ziel verbunden, das in den vorhandenen Universitätsgeschichten übersehen wird. Dieses dritte Ziel entstand nicht erst durch die preußische Niederlage, wurde aber durch diese verstärkt. Aus der Berliner Universität sollten nämlich auch solche Beamte hervorgehen, die mit technischem Sachverstand ausgerüstet waren und somit dazu beitragen konnten, dass Preußen auch wirtschaftlich erstarken würde. Während für viele hohe Staatsämter juristische Sachkenntnisse nach wie vor Priorität besaßen, war für die Beamtenarbeit in den für Manufakturen, Bauwesen, Forstwirtschaft und Bergbau zuständigen Sachdepartements des Generaldirektoriums ökonomisches, naturwissenschaftliches und technisches Wissen gefragt.
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Dem wurde durch die naturwissenschaftlichen Fächer und die Mathematik, aber auch durch die Kameralwissenschaften, die technologische Chemie sowie die Agrar- und Forstwissenschaften Rechnung getragen, deren Lehre ebenfalls in die neue Universität integriert wurde.558 Die Eingliederung der Naturwissenschaften in die philosophische Fakultät der Berliner Universität − und nicht wie traditionell in die medizinische Fakultät, in der praktische Anwendungsfragen immer schon eine Rolle spielten − mag auf den ersten Blick zwar als der Versuch einer Abkopplung der Naturwissenschaften von praktischen Anwendungszwecken erscheinen. Mit der Wahl von Professoren wie Klaproth, Hermbstaedt, Willdenow, Thaer und Christian Samuel Weiß und der Integration von kameralistischen und technologischen Fächern erhielt praktisch-technologisches Wissen jedoch faktisch einen hohen Stellenwert. Der Erziehungswissenschaftler und Historiker Heinz-Elmar Tenorth hat daher zu Recht darauf verwiesen, dass die „philosophischen Prinzipiendebatten in Jena, Erlangen oder Berlin, in denen ‚Nützlichkeit’ und ‚Brodstudien’ gegen ‚Bildung’ und ‚reine Wissenschaft’ zu unauflöslichen Widersprüchen stilisiert“ wurden, Scheingefechte waren, die verdeckten, dass die neue Berliner Universität sehr unterschiedliche Erwartungen in einer einzigen Organisation zu bündeln versuchte.559 Die Eingliederung praktisch-technischen Wissens in die Universitäten hatte eine lange Geschichte in Preußen, wo bereits im frühen 18. Jahrhundert die Kameralwissenschaften in die universitäre Lehre eingeführt worden waren. Wir haben oben bereits gesehen, dass der Staat nach dem Siebenjährigen Krieg dieselbe Strategie auch auf die Bergwerkswissenschaften anzuwenden versuchte. Diese Tradition wurde auch an der neu gegründeten Berliner Universität fortgesetzt. Die Universität schuf zu diesem Zweck mehrere neue Professuren und pflegte Beziehungen mit den Bergbehörden, der landwirtschaftlichen Lehranstalt Albrecht Thaers und forstwirtschaftlichen Einrichtungen.
Bergelevenunterricht an der Berliner Universität Mit der Gründung der Berliner Universität wurde die von der Bergbehörde organisierte Vorlesungsreihe für Bergeleven vollständig in die Universität verlagert. Klaproth hatte sich seit Jahrzehnten an diesen Vorlesungen beteiligt und setzte sie nun im Rahmen seiner universitären Lehre fort. Dasselbe gilt für Ernst Gottfried Fischer (1754 – 1831), den Physikdozenten der Bergeleven, und für den Mineralogen Christian Samuel Weiß (1780 − 1856). Die Bergbehörde hatte 1804 den aus Halle stammenden Ernst Gottfried Fischer für den Physikunterricht der Bergeleven eingestellt, nachdem sich Hermbstaedt
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wegen seiner Aktivitäten im Manufaktur- und Kommerzienkollegium zurückgezogen hatte.560 Fischer, der in den 1780er-Jahren Privatlehrer der Brüder Humboldt gewesen und seit 1803 Mitglied der Akademie der Wissenschaften war, hatte damals Mathematik und Physik am Gymnasium zum Grauen Kloster unterrichtet. 1811 wurde er im Einvernehmen mit der Bergbehörde zum außerordentlichen Professor für Experimentalphysik an der neuen Universität ernannt. Das Bergwerks- und Hüttendepartment war nach dem Ende der napoleonischen Besatzung als „Sektion für das Berg- und Hüttenwesen“ ins Ministerium des Innern eingegliedert worden, dem auch die Sektion für öffentlichen Unterricht unterstand. Nachdem Fischer im Dezember 1810 erklärt hatte, der Physikunterricht im „Berg-Institut“ könne entweder „ganz unabhängig von der Universität oder in Verbindung mit derselben organisiert werden“, fasste er seine eigenen Vorstellungen so zusammen: 561
▷ Aber für weit vortheilhafter würde ich es halten [,] wenn die beiden Sectionen des Bergwesens und des öffentlichen Unterricht[s] sich dahin vereinigten, den mathematischen und physikalischen Unterricht der Eleven mit der Universität in Verbindung zu bringen [,] so wie dies jetzt schon in Ansehung des chemischen und mineralogischen Unterrichts geschehen ist. ◁ Nach Fischers Vorschlag sollte der Professor für Experimentalphysik an der Berliner Universität in jedem Semester für alle Studenten, einschließlich der Bergeleven, eine jeweils vierstündige Lehrveranstaltung über „Experimental Physik“ und „physische Erdkunde“ halten. Darüber hinaus sollte er speziell für die Bergeleven im Winter zwei „Examinationsstunden“ anbieten. Die Zusammenlegung der Universitätslehre mit dem Bergelevenunterricht, so Fischer weiter, wäre auch ein „Vortheil für die beiderseitigen Kassen“, ungeachtet der Tatsache, dass die Universitätskasse den Hauptteil der Finanzierung übernehmen müsse. „Da die Professoren weit mehr für die Universität als für das Berg-Institut zu arbeiten hätten“, so Fischer, wäre es nicht unbillig, wenn erstere „4/5 u[nd] das Berg-Institut 1/5 der Unkosten trüge“.562 Fischers Hinweis, auch im Fall der Chemie und Mineralogie werde bereits so verfahren, erwies sich dabei als ein schlagkräftiges Argument. Im Sommer 1810 war Christian Samuel Weiß auf die ordentliche Professur für Mineralogie berufen worden. Den größten Teil seines Professorengehalts trug in diesem Fall die Bergbehörde, da Weiß auch das Mineralienkabinett verwalten und die Funktion eines wissenschaftlichen Experten für die Behörde übernehmen sollte. Wilhelm von Humboldt hatte ursprünglich den Oberbergrat und Mineralogen
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Dietrich L. G. Karsten, der in der bergbehördlichen Vorlesungsreihe Mineralogie lehrte, für diese Professur vorgesehen. Doch Karsten war im Mai 1810 verstorben. Daraufhin machte der preußische Geologe Leopold von Buch den Vorschlag, Weiß einzustellen. Dieser unterrichtete seit 1808 Physik an der Universität Leipzig und war als Mineraloge und ehemaliger Schüler Werners in der Gelehrtenwelt wohl bekannt. Am 23. Oktober 1810 schrieb Innenminister Friedrich Ferdinand Alexander zu Dohna-Schlobitten dem Leiter der Bergbehörde Ludwig Gerhard, dem Sohn Carl Abraham Gerhards, der „nahe bevorstehende Anfang der Vorlesungen bei der hiesigen Universitaet, macht es dringend nothwendig, daß die Uebergabe des mineralogischen Kabinets an den zum Aufseher desselben bestimmten Profeßor der Mineralogie, unverzüglich bewirkt werde“. Mit dem „Aufseher“ war Weiß gemeint. Das Mineralienkabinett, das zuvor von Karsten betreut worden war, hatte bis dahin allein der Bergbehörde unterstanden, und die Art und Weise der gemeinsamen Nutzung mit der Universität war noch nicht restlos geklärt. Vorerst sollte es jedenfalls noch an seinem alten Standort, der Münze am Werderschen Markt, verbleiben, wo Weiß auch „in dem dortigen Hörsaal seine Vorlesungen zu halten“ habe.563 Die Bergbehörde legte in Hinblick auf Nutzung und Besitz des königlichen Mineralienkabinetts größten Wert darauf festzuhalten, dass: 564
▷ [...] der Bergwerks-Behörde, nicht allein der freie Zutritt zu Benutzung des Kabinets, sondern auch das Recht zustehet, den Profeßor Weiss zu requiriren, so oft dieselbe seines Raths zu bedürfen glaubt. Nach diesem Beschluße bleibt die Bergwerks-Behörde auch Mitbesitzerin des Kabinets [...]. ◁ Das Mineralienkabinett unterstand demnach sowohl der Bergbehörde als auch der Universität. Da vereinbart war, dass die Bergbehörde den größten Teil von Weiß’ Professorengehalt zahlten sollte, hielt sie es auch für recht und billig, diesen gelegentlich als Experten heranziehen zu können. Darüber hinaus verlangte die Bergbehörde von der Universität eine feste Regelung für die Befreiung der Bergeleven von Hörergeldern. Sie bestand daher darauf, auch formell festzuhalten, dass Weiß auch ein Lehrer des „Berg-Eleven-Instituts“ sei: 565
▷ Die General Direction betrachtet vielmehr den Profeßor H[errn] Weiss, als einen bei dem hiesigen Berg-Eleven-Institut angestellten Lehrer, wofür derselbe, wie die übrigen Lehrer, als der Ober-Medicinal Klaproth, der Profeßor Fischer
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u.s.w., den freilich verhältnismäßig sehr hohen Gehalt von 1000 R[eichtalern] aus der Haupt-Eleven-Kasse empfängt und den Eleven einen unentgeldlichen Unterricht zu ertheilen schuldig ist. ◁ Die Sektion für Kultus und öffentlichen Unterricht erklärte sich im Dezember mit dieser Regelung einverstanden, wobei sie nicht vergaß, zu vermerken, sie übernehme ihrerseits die Kosten für die Heizung des Hörsaals und den „Aufwärter“. Gleichzeitig forderte sie die Bergbehörde zu einer finanziellen Gegenleistung für deren freien Zugang zum Mineralienkabinett und dessen zukünftige Pflege und Erweiterung auf. Im Sommer 1815 wurde das Mineralienkabinett in das Universitätsgebäude verlagert, und Weiß hielt von da an seine Vorlesungen, „an welchem auch die Berg Cadetten und Eleven“ teilnahmen, in einem angrenzenden, eigens dazu eingerichteten Hörsaal.566 Halten wir also fest: Zwischen den Vertretern der Berliner Universität und der Bergbehörde wurde formell festgelegt, dass die Professoren Klaproth, Fischer und Weiß die naturwissenschaftliche Ausbildung zukünftiger Bergbeamter übernahmen. Damit war die Vorlesungsreihe für Bergeleven aufgelöst und in die Universität integriert. Selbst Krusch, der in seiner 1904 erschienen Monographie über die Geschichte der Berliner Bergakademie alles daran setzte, zu belegen, dass bereits 1770 unter Friedrich II. eine Bergakademie gegründet worden sei, kam an diesem Faktum nicht vorbei. „In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts“, gestand er ein, „machte sich überhaupt das Bestreben geltend, den Unterricht für die Bergeleven möglichst an die in Berlin neu errichtete Universität zu verlegen“.567 Die Selbstverständlichkeit, mit der die Bergbehörde die Universität in der Unterrichtspflicht für ihre Bergeleven sah, zeigt sich auch an ihrem Verhalten bei der langen Suche nach einem geeigneten Nachfolger für Klaproth, der im Januar 1817 verstorbenen war. Ein Jahr später vermerkte die Bergbehörde, an der Universität komme der „Unterricht der Eleven in der Probir Kunst und der Metallurgie“ zu kurz. Die kurze Überlegung, dafür nun selbst einen Lehrer einzustellen und ein Laboratorium einzurichten, wurde jedoch schnell wieder verworfen, da sich das Kultusministerium kooperativ zeigte. Dieses hatte nämlich „die Versicherung gegeben (hat), bei Besetzung der Profeßur der Chemie bei der hiesigen Universität und der Academie der Wissenschaften, auf jenen Unterricht Rücksicht zu nehmen“. 568 Die Berliner Universität war in dieser Hinsicht jedoch kein Einzelfall, denn von 1815 an wurden auch die Universitäten in Halle und Breslau für die Bergbeamtenausbildung in die Pflicht genommen. So nahmen die Bergeleven an der Universität Halle an den „Vor-
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lesungen über reine und angewandte Mathematik, Physik, Chemie und Mineralogie“ sowie an denen über Kameralrecht und „Anfangsgründe des Bergwerks-Rechts“ teil, und an der Universität Breslau waren ebenfalls Maßnahmen für die Etablierung einer Vorlesung über Bergrecht getroffen worden.
Zusammenarbeit mit agrar- und forstwissenschaftlichen Einrichtungen Mit der Agrarwissenschaft integrierte die Berliner Universität eine weitere nützliche Wissenschaft. Zu diesem Zweck wurde mit dem Leiter des landwirtschaftlichen Lehrinstituts in Möglin, Albrecht Daniel Thaer, ein ähnliches Arrangement getroffen wie mit der Bergbehörde. Bereits Anfang August 1810 wurde Thaer zum außerordentlichen Professor für Kameralwissenschaften ernannt, und er behielt diese Stellte bis Herbst 1819. Der Ruf ging auf eine Anregung Wilhelm von Humboldts zurück, der im Vorfeld der Universitätsgründung vorgeschlagen hatte, das Mögliner Institut mit der „neu zu eröffnenden Universität in nahe Verbindung zu setzen“.569 Wir haben uns oben bereits mit Thaers landwirtschaftlichem Institut in Möglin befasst, dessen wichtigstes Ziel die Verankerung wissenschaftlichen Wissens in der Landwirtschaft war. Das Institut, dem ein landwirtschaftliches Gut angegliedert war, konnte 1810 bereits auf eine mehrjährige Erfahrung zurückblicken. Es schien wie geschaffen für eine neue Form der Verbindung von „Theorie und Praxis“, bei der die Universität die Lehre ausgewählter Teile der Agrarwissenschaft übernahm, während das Mögliner Institut die agrarwissenschaftliche Lehre durch praktische Übungen ergänzte. Thaer unterrichtete an der Berliner Universität zwei Kurse, einen ökonomischen über die Bewirtschaftung von Landgütern − „Landökonomie in Verbindung mit der sogenannten eigentlichen Kameralistik oder Landbaupolitik“ − und einen stärker naturwissenschaftlich orientierten über „Ackerbau und Viehzucht in ihren einzelnen Zweigen“. Er beschränkte seine Vorlesungen auf das Wintersemester, da er den Sommer auf seinem Gut verbrachte. Sein Berliner Lehrangebot richtete sich vorwiegend an künftige Staatsbeamte. „Ein gründlicher und dem Zwecke angemessener Vortrag der Landwirtschaftslehre“, so Thaer, „ist für jeden Staatsoffizianten von großer Wichtigkeit“.570 Im Idealfall absolvierten seine Studenten zuerst einen einjährigen Grundkurs in Möglin, besuchten dann seine Berliner Vorlesungen und daran anschließend einen in Möglin stattfindenden „agrarökonomischen“ Spezialkurs. Alternativ dazu konnten Studenten der Berliner Universität, die Thaers Universitätsvorlesungen und weitere Vorlesungen über Chemie, Physik, Botanik, Zoologie und Mathematik besuchten, im Sommer praktische Erfahrungen auf Thaers Gut sammeln.
29. Nützliches Wissen in der Berliner Universität
Im Frühjahr 1811 stellte die Universität auf Vermittlungen Altensteins und Dohnas hin auch einen Dozenten für Forstwissenschaft ein, den aus Hessen stammenden Georg Ludwig Hartig. Hartig war zuerst bei seinem Vater und Onkel in die forstdienstliche Lehre gegangen und hatte nach einem kurzen Studium an der Universität Gießen eine Forstmeisterstelle in Hungen (Wetterau) angetreten. Dort hatte er ein forstwissenschaftliches Lehrinstitut aufgebaut. Später ging er als Oberforstrat nach Stuttgart und gründete auch dort ein forstwissenschaftliches Institut. In Preußen setzte Hartig seine forstwissenschaftliche Lehre in einem eigenen Institut fort und leitete überdies als Oberlandesforstmeister das gesamte preußische Forstwesen.571 Das eigene forstwirtschaftliche Institut betrieb er neben seinen Universitätsvorlesungen, wobei er für einen Teil seiner Eleven den gleichzeitigen Besuch seiner Vorlesungen an der Berliner Universität arrangierte. 1819 wurde die forstwirtschaftliche Lehre an der Friedrich-Wilhelms-Universität mit dem Ruf des Forstmeisters Friedrich Wilhelm Leopold Pfeil, der aus dem Harzer Bergbaurevier Rammelsberg stammte, weiter ausgebaut. Mit unverkennbarer Missbilligung bemerkt der Universitätshistoriker Max Lenz, Altenstein und Hardenberg, die dafür die Initiative ergriffen hatten, hätten für den Praktiker „geradezu ein Forstinstitut an der Universität“ gründen wollen.572 1821 wurde Pfeil zum Ehrendoktor und außerordentlichen Professor der Berliner Universität ernannt. Um diese Zeit gründete er auch ein „forstwissenschaftliches Institut“, dessen Aufgabe an der Berliner Universität darin bestand, die verschiedenen, mit dem Forstwesen in Verbindung stehenden Vorlesungen zu koordinieren. Neben Pfeils eigener forstwirtschaftlicher Vorlesung betraf dies die Vorlesungen in Chemie, Botanik, Zoologie, Physik und Mathematik, Technologie und Landwirtschaftslehre. Wie die Lehrinstitute Thaers und Hartigs wurde auch Pfeils forstwirtschaftliches Institut nicht formell in die Universität eingegliedert, sondern kooperierte mit ihr. Die Schüler des Instituts konnten auch in diesem Fall die Universitätsvorlesungen besuchen, während die an der Universität eingeschriebenen Studenten die Möglichkeit erhielten, an praktischen Übungen des forstwissenschaftlichen Instituts teilzunehmen.
Hermbsteadts Chemie- und Technologievorlesungen Im September 1810 erhielt Sigismund Friedrich Hermbstaedt einen Ruf der Berliner Universität auf eine außerordentliche Professur, die im November 1811 in eine ordentliche Professur für „Chemie und Technologie“ umgewandelt wurde.573 Vom ersten Semester an lehrte Hermbstaedt regelmäßig vier bis sechs Wochenstunden „Allgemeine Experimentalchemie“ und etwa die gleiche Stundenzahl „Experimen-
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talphysik“. Dazu kam eine Vorlesung über „Allgemeine Technologie“, die er von 1811 bis 1830 in jedem Sommersemester täglich von 8 bis 9 Uhr anbot. Hermbstaedt vertrat einen weiten Technologiebegriff, der sich an Johann Beckmanns Technologieverständnis anschloss und somit alle Gewerbe, einschließlich der Landwirtschaft, umfasste. Vom WS 1811/12 bis 1825/26 bot er daher eine zusätzliche sechsstündige Vorlesung über das Thema „Agronomische Chemie mit Anwendung auf die Landwirtschaftlichen Gewerbe“ an. Nachdem Thaer im Herbst 1819 die Universitätslehre beendet hatte, schloss Hermbstaedt die entstandene Lücke mit eigenen landwirtschaftswissenschaftlichen Vorlesungen. Seit seinem Versuch der Zuckergewinnung aus Ahornsirup, den er vom Winter 1796 bis Frühjahr 1799 unternommen hatte, hatte er sich wiederholt mit agrarwissenschaftlichen Themen befasst, unter anderem auch in Vorträgen der preußischen Akademie der Wissenschaften.574 Von 1828 an hielt er diese agrarwissenschaftliche Vorlesung meist im Sommersemester und bezog von da an auch die Forstwirtschaft, „-chemie“ und „-technologie“ ein. Daneben bot er weitere Vorlesungen über technologische Spezialgebiete mit wechselnden Themen an, darunter über „Waarenkunde nach eigen Heften“ (WS 1811/12), „Chemie in Beziehung auf Färberei nebst Versuchen“ (im SS 1811), „Technische Chemie mit Anwendung auf Künste und Gewerbe“ (WS 1819/20) und „Medizinisch-polizeiliche Chemie in Verbindung mit Toxikologie“ (SS 1818). Nach Klaproths Tod unterrichtete Hermbstaedt auch fünf Jahre lang regelmäßig die analytische Chemie. 1814 veröffentlichte Hermbstaedt für seine Technologievorlesungen einen über 800 Seiten umfassenden Grundriß der Technologie. Wie dessen ausführlicher Untertitel bereits erkennen lässt − Anleitung zur rationellen Kenntniß und Beurtheilung derjenigen Künste, Fabriken, Manufakturen und Handwerke, welche mit der Landwirthschaft, so wie der Kameral- und Polizeywissenschaft in nächster Verbindung stehen − präsentierte er sich damit weniger als Experte mit eigenen praktischen Erfahrungen denn als Gelehrter, der einen breiten und theoretisch fundierten Ansatz vertrat. Seinem Vorbild Johann Beckmann folgend, organisierte er vom Sommersemester 1817 an auch Exkursionen zu Berliner Manufakturen. Als Beamter der preußischen Gewerbebehörde − von 1818 an in der von Christian Peter W. Beuth (1781 – 1853) reorganisierten „Technischen Deputation“ − verfügte er über beste Kontakte zu Berliner Fabrikanten, die durch seine Vorlesungen für Berliner Gewerbetreibende, die er weiterhin fortführte, noch vertieft wurden. Nachdem Beuth 1821 den Verein zur Beförderung des Gewerbfleißes in Preußen ins Leben gerufenen hatte, wurde er Mitglied dieses Vereins, neben Alexander und Wilhelm von Humboldt.
30. Klaproths private Finanzierung von Lehre und Forschung
30. Klaproths private Finanzierung von Lehre und Forschung Im Jahr 1814 erlitt Klaproth einen schweren Schlaganfall. Kurz zuvor hatte seine jüngste, 24-Jährige Tochter Charlotte Ernestine ein uneheliches Kind bekommen. Der adlige Vater des Kinds, Hauptmann Moritz von Bardeleben, erinnerte sich jedoch bald, was sich gehörte, sodass ein halbes Jahr später die Heirat stattfinden konnte. Klaproth setzte seine Universitätsvorlesungen noch bis zum Wintersemester 1815/16 fort und veröffentlichte noch fünf weitere Experimentalberichte über mineralogische Analysen sowie die künstliche Herstellung des Carlsbader Wassers. 575 Im Herbst 1816 war jedoch unübersehbar, dass seine Kräfte schwanden. Klaproth entschied sich daher, dem Staat seine Sammlung chemischer Geräte und Instrumente zum Kauf anzubieten. Im September erkundigte sich Staatskanzler von Hardenberg beim Minister des Innern Kaspar Friedrich von Schuckmann über den Stand der Dinge. „Ich höre daß der Geheime Ober Medizinal Rath Klaproth die Absicht hat, sein chemisches Laboratorium zu veräußern“, schrieb er ihm. „Da solches zu den vollständigsten und ausgesuchtesten Sammlungen dieser Art gehört; so ist es sehr wünschenswerth, daß es für den Staat conservirt und auf keinen Fall außerhalb Landes verkauft werde.“ 576 Er habe daher einen Unterhändler beauftragt, mit Klaproth Kontakt aufzunehmen. Kurz danach berichtete der Unterhändler, Klaproth sei „sehr gerne erböthig [,] seinen chemischen Apparat“ zu veräußern. Im Moment sei er zwar noch bettlägerig, aber er wolle, „sobald es seine Gesundheit gestattet, den ganzen Apparat nochmal übersehen“. Dann fügte er eine rührende Bemerkung hinzu: 577
▷ Die Anfrage über den chemischen Apparat brachte eine sehr angenehme Wirkung bey dem alten würdigen Mann hervor und erheiterte ihn sichtlich. Er sagte, es sey ihm immer in dem Kopf herumgegangen, wie es wohl damit nach seinem Tode werden würde. ◁ Aber wieso wollte Klaproth „seinen“ chemischen Apparat verkaufen? Gehörte dieser nicht der Akademie der Wissenschaften und der Universität? Die Episode belegt nicht nur Klaproths hohes Ansehen, sondern auch eine andere, keineswegs ungewöhnliche Tatsache des damaligen Wissenschaftlerlebens in Preußen. Klaproth hatte einen erheblichen Teil der chemischen Instrumente und Geräte für das staatliche akademische Laboratorium und die Universität aus der eigenen Tasche finanziert.
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Die Unterfinanzierung der Akademie der Wissenschaften und danach der Universität ließ ihm wohl keine andere Wahl. Ermutigt durch das staatliche Interesse an seiner chemischen Sammlung, wandte sich Klaproth am 9. Dezember 1816 in einen persönlichen Brief an den König, in dem er ihm nicht allein seine chemischen Geräte, sondern auch seine anderen Sammlungen anbot. „Eine gänzliche Entkräftung lässt mich nicht mehr aus dem Bette, und wird mein Leben wahrscheinlich bald endigen“, schrieb er dem König. Es gehe ihm hauptsächlich darum, zu verhindern, dass seine Sammlungen nach seinem Tod „vereinzelt werden oder außerhalb des Landes gehen“, und sein großer Wunsch sei es, sie als Ganzes „dem Vaterland“ zu übergeben. „Mit vieler Mühe, großen Kosten und bedeutendem Zeitaufwande“ habe ich diese Sammlungen zusammengebracht, merkte er an und fügte hinzu: 578
▷ Wäre ich kinderlos, so würde ich diese schönen Sammlungen meinem geliebten Vaterlande opfern. ◁ Das Erbrecht der eigenen Kinder ging jedoch vor. Klaproth sorgte sich vor allem um die finanzielle Absicherung seines Sohns Heinrich Julius, der eine wissenschaftliche Laufbahn als Orientalist eingeschlagen hatte. Drei Tage später stellte Klaproth für Minister Schuckmann ein Verzeichnis der zum Verkauf vorgesehenen Objekte zusammen, das seinen „chemischen Apparat“, ein mehr als 4000 Exemplare umfassendes Mineralienkabinett, ein ebenso umfangreiches Herbarium, eine „seltene und unschäzbare Sammlung von Meteorsteinen und Metallmassen“ und zwei Sammlungen antiker Glasmosaike bzw. römischer und griechischer Münzen aufführte. Über den „chemischen Apparat“ schrieb Klaproth, er umfasse: 579
▷ Alle zu meinen chemischen Vorlesungen und Analysen gebrauchten Apparate von Platin [,] Kupfer [,] Zinn [,] Silber [,] Glaß [,] Porzellan [,] Stein u.s.w. Probier- und andere Waagen aller Art, nebst einer beträchtlichen Sammlung von trocknen und flüssigen chemischen Präparaten, ansehlichen Vorräthen und Reagentien, und anderen dahin gehörenden rohen Waaren Artikeln, mit mehreren grossen Glaß Schränken, Tischen u.s.w. ◁ Es war also keine Kleinigkeit, was Klaproth hier für die wissenschaftliche Lehre und Forschung aus eigenen Mitteln beigesteuert hatte.
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Klaproth schätzte den Gesamtwert aller Objekte auf 16 000 bis 17 000 Taler, war aber bereit, sie dem Staat für 12 000 Taler zu überlassen. Den Verkauf seiner Sammlungen sollte er jedoch nicht mehr erleben. Klaproth starb am 1. Januar 1817. Nach Klaproths Tod begann ein zähes Schachern um den Wert und die Bedeutung seiner Sammlungen, in das sich Friedrich Wilhelm III. auch persönlich einschaltete.580 Gutachten durch „Sachverständige“ wurden eingeholt und ein Gegenangebot mit einem Kaufpreis von 10 000 Talern unterbreitet. Daraufhin drohten Klaproths Erben − seine drei Töchter und sein Sohn, seine Frau Christiane Sophie war bereits 1803 gestorben –, die Sammlungen ins Ausland zu verkaufen. Ihr Vater habe ehemals sehr viel Geld für diese ausgeben müssen, argumentierten sie. Allein der Wert seiner Ausgaben für „ das Mineralien-Cabinet und das Laboratorium nebst dazu gehörender Sammlung von chemischen Präparaten und sehr kostbaren Aparaten“, die er „aus eigenen Mitteln, weil solches von seinem Gehalte nicht möglich war“, bezahlt habe, überschreite das Kaufangebot bei weitem.581 Nach sechsmonatigen Verhandlungen einigte man sich schließlich auf eine Kaufsumme von 12 000 Talern, von der die Hälfte in Raten im Lauf der nächsten zwei Jahren zu zahlen war. Im November 1817 wurden Klaproths wissenschaftliche Sammlungen an Christian Samuel Weiß, den ordentlichen Professor für Mineralogie an der Berliner Universität, und an Heinrich Friedrich Link (1767 – 1851), den Nachfolger Willdenows auf dem Lehrstuhl für Botanik, übergeben.582 Der Botaniker Link stand im Ruf eines vielseitigen Naturforschers, der sich auch in der Chemie auskannte. Erst im Januar 1817 hatte er sich beim König für die Weiterführung eines kleinen Laboratoriums stark gemacht, das sich im Ostflügel des Universitätsgebäudes neben einem Hörsaal und einem Kabinett für physikalische Instrumente befand. Es war von Paul Erman (1764 – 1851) eingerichtet worden war, der die erste Physikprofessur innehatte. Das „Laboratorium im Universitätsgebäude“, argumentierte er, werde „von großem Nutzen sein, denn die Chemie hat so großen Einfluß auf andere Wissenschaften, daß die Lehrer derselben (namentlich der Physik und Physiologie) [...] einer solchen Anstalt nicht entbehren können“. Insbesondere für seine Vorlesungen über die Pharmakologie und Gifte sei dieses Laboratorium ganz unentbehrlich.583 Links Appell hatte Erfolg, nicht zuletzt den, dass ihm Klaproths chemische Geräte „zum etwaigen Gebrauch“ übergeben wurden. Letzteres geschah ungeachtet der Tatsache, dass Link einige Monate zuvor, im Zusammenhang mit der Aushandlung des Verkaufspreises der Sammlungen Klaproths, ein negatives Gutachten über dessen chemische Apparaturen geschrieben hatte. Der verstorbene Klaproth, so Links damaliges Urteil, „hatte ein besonderes Fach in der Chemie, worin er groß war und von dem er sich wenig entfernte“ − ge-
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meint war die mineralogische Analyse. „Für dieses besondere Fach ist allerdings von ihm hinreichend gesorgt“, hieß es weiter, jedoch nicht für andere, neuere „Theile der Chemie“, für die seine Sammlung zu „klein und unbedeutend“ sei.584 Der Stern Klaproths begann schon zu verblassen. Andere drängten sich in die frei gewordene Nische. Im Sommer 1818 nahm Link den jungen Eilhard Mitscherlich (1794 – 1863) in sein Laboratorium auf, im Februar 1822 trat Letzterer die Nachfolge Klaproths an.
31. Humboldt reorganisiert die Akademie der Wissenschaften (1805 – 1807) Im November 1805 kehrte Alexander von Humboldt nach neunjähriger Abwesenheit nach Berlin zurück. Seine große Amerikareise lag hinter ihm. Mit seinem Reisebegleiter Aimé Goujaud Bonpland hatte er das Labyrinth des Orinoko durchschifft, die Hochebene von Bogota und die eisigen Gebirgsketten der Anden durchstreift, die berühmten mexikanischen Silbergruben und die Bergakademie von Mexiko City besucht und beinahe den Gipfel des Chimborazo erklommen. Die Mineraliensammlung, Herbarien, Zeichnungen, Messdaten, Archivmaterialien und Tagebücher, die er von dieser Reise mitgebracht hatte, würden ihn noch jahrzehntelang beschäftigen. Ungeheures hatte er inzwischen erlebt, und doch war der 36-Jährige kein ganz anderer Mensch und Forscher geworden.585 In der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften würde er sich schon bald für eine Naturwissenschaft stark machen, die sowohl frei forschte als auch dem Gemeinwohl diente. Während Humboldts Abwesenheit hatte sich in Berlin einiges verändert. Sein bester Freund Willdenow war Direktor des Königlichen Botanischen Gartens geworden und hatte diesen in ein Forschungszentrum für Botanik und angewandte Pflanzenzucht umgestaltet. Klaproth hatte seine Apotheke verkauft und experimentierte als Direktor in einem neu erbauten Akademielabor. Achard hatte seine Experimente zur Rübenzuckergewinnung erfolgreich abgeschlossen und eine Zuckerfabrik in Schlesien errichtet. Hermbstaedt residierte in einem eigenen, mit einem großem Laboratorium und Auditorium ausgestatteten Wohn- und Dienstgebäude der Technischen Deputation, in dem er Vorlesungen für Textilfabrikanten und Färber hielt. Karsten war inzwischen Oberbergrat geworden, leitete das Königliche Mineralienkabinett und lehrte Mineralogie in der Vorlesungsreihe der Berliner Bergbehörde. Das Bergwerks- und Hüttendepartment wurde seit dem Tod des Ministers von Heinitz im Mai 1802 von Graf von Reden geleitet. In dessen Berliner Haus war Humboldt
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nun ein gerne gesehener Gast. Jeden Freitag fand sich dort eine gesellige Runde zum Abendessen ein, der außer Humboldt auch andere Naturforscher, darunter Klaproth, Karsten und Willdenow, angehörten.586 Heinitz war ein außergewöhnlich erfolgreicher Minister gewesen, der bedeutende technologische Neuerungen in die Wege geleitet und wissenschaftlich-technischen Sachverstand im Wertesystem der preußischen Sachbehörden und der ihr unterstellten Gewerbe verankert hatte. Die Dampfmaschinen im preußischen Bergbau und der Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur, die Kokshochöfen in den staatlichen Vorzeigeunternehmen in Gleiwitz und Königshütte und die 1804 gegründete Königliche Eisen-Gießerei in der Berliner Invalidenstraße waren sichtbare Zeichen des Beginns einer industriellen Revolution in Preußen.587 Die Gründung der Bauakademie im letzten Jahr des alten Jahrhunderts, die Heinitz gemeinsam mit dem Minister und Leiter des Oberbaudepartments Friedrich Leopold von Schroetter beim König durchgesetzt hatte, manifestierte die hohe Wertschätzung der nützlichen Wissenschaften in Preußen.
Abb. 40 Die Königliche Eisengießerei zu Berlin, unbekannter Künster, um 1810. Stiftung Stadtmuseum Berlin
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Am 4. August 1800, kurz nach Beendigung seiner Orinokoreise, war Humboldt als außerordentliches Mitglied in die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen worden. Am 19. Februar 1805 wurde er zum ordentlichen Mitglied ernannt, und am 21. November 1805, fünf Tage nach seiner Rückkehr nach Berlin, hielt er seine akademische Antrittsrede. Sein Wort hatte nun großes Gewicht in der akademischen Welt. Auch am Hof Friedrich Wilhelms III. war sein Ansehen immens gewachsen. Per Kabinettsorder wurde ihm eine jährliche Pension von 2500 Talern zuerkannt. Kurz danach wurde er zum Kammerherrn ernannt und auf diese Weise ohne feste Verpflichtungen mit dem königlichen Hof verbunden. Um diese Zeit befand sich das Verhältnis Preußens zu Frankreich in einer Art Schwebezustand. Humboldt hätten sich daher keine politischen Hindernisse in den Weg gestellt, wenn er trotz seiner erneuten Bindung an den preußischen Staat Berlin verlassen und nach Paris zurückgekehrt wäre. Stattdessen verbrachte er zwei weitere lange Jahre in Berlin, während derer sich Preußen immer tiefer in einen Krieg mit Frankreich verstrickte. Im November 1805 übernahm Preußen eine Vermittlerrolle zwischen Napoleon und der antifranzösischen Koalition Englands, Russlands und Österreichs. Daraus ergab sich ein Abkommen mit Napoleon im Dezember desselben Jahres, in dem Preußen die Inbesitznahme Hannovers zugesprochen wurde. Wenige Monate später stellte Napoleon in Verhandlungen mit England diese Zusage jedoch wieder in Frage. Friedrich Wilhelm III. war brüskiert, zumal die Besetzung Hannovers einen Seekrieg mit England entfacht hatte, in dem der preußische Seehandel binnen kurzer Zeit zum Erliegen gekommen war. Im Sommer 1806 ordnete Friedrich Wilhelm III. daher die Mobilmachung der Armee an und forderte Napoleon in einem Ultimatum auf, die französischen Truppen von den preußischen Grenzen zurückzuziehen. Nachdem Napoleon auf dieses Ultimatum nicht angemessen reagiert hatte, war ein Krieg nahezu unvermeidlich. Die preußische Armee war auf diesen Krieg jedoch nicht gut vorbereitet. Am 14. Oktober wurde sie von den Napoleonischen Truppen bei Jena und Auerstedt geschlagen, sodass sich der geplante preußische Siegeszug in einen panischen Rückzug verwandelte, der mit der Kapitulation endete. Als die französischen Truppen am 27. Oktober in Berlin einzogen, befand sich Friedrich Wilhelm III. mit seinem Hofstaat bereits auf der Flucht östlich der Oder. Die in Berlin verbliebenen Minister und Beamten des Generaldirektoriums und seiner Unterbehörden mussten nicht nur den Treueeid auf Napoleon leisten, sondern den Franzosen auch Einblicke in ihre Arbeit, das Vermögen der Staatskasse und den Materialien- und Warenbestand der staatlich geführten Berg- und
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Hüttenwerke und der Königlichen Porzellanmanufaktur gewähren. Für Graf von Reden würde dies das baldige Ende seiner Karriere bedeuten. Nach dem Abzug der Franzosen im September 1807 wurde er wegen Teilnahme an Beratungen mit den Franzosen aus dem Staatsdienst entlassen. Die Leitung der Bergbehörde wurde zuerst einem Direktorium und dann dem zum Staatsrat beförderten Dietrich L. G. Karsten übertragen.588 Der Einmarsch der napoleonischen Armee in Berlin bedeutete auch für die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften einen tiefen Einschnitt. Die Franzosen durchforsteten das akademische Archiv, die Bibliothek, das Observatorium und die wissenschaftlichen Sammlungen und rekrutierten Landkarten und andere brauchbare Objekte. Da die Hauptfinanzquelle der Akademie, die Kalenderpacht, zum Erliegen kam, verfügte die Akademie vom Dezember 1806 an über keinerlei Geldmittel mehr und konnte somit auch keine Gehälter mehr auszahlen. Zwei Monate später befand sich das Akademiedirektorium noch aus einem anderen Grund in einem prekären Zustand. Der langjährige beständige Sekretär Johann Bernhard Merian (1723 − 1807) war am 12. Februar im Alter von 84 Jahren verstorben, der Direktor der mathematischen Klasse Johann Bernoulli (1744 − 1807) war todkrank und der Leiter der philosophischen Klasse Friedrich Adolf M. Castillon (1747 − 1814) galt allgemein als unfähig und einflusslos. Von den vier Direktoriumsmitgliedern verblieb somit nur noch der Leiter der physikalischen Klasse, der fast 70-jährige Carl Abraham Gerhard, für die Geschäftsführung. Nachdem sich die Franzosen aus Berlin zurückgezogen hatten und sich konkrete Pläne abzuzeichnen begannen, in Berlin eine mit der Akademie kooperierende Universität zu gründen, stellte die Situation im Akademiedirektorium ein weiteres Argument für eine umfassende „Reorganisation“ der Akademie dar. Auf Letztere nahm Alexander von Humboldt aktiven Einfluss.589 Am 29. Oktober 1807 wählte die Akademie ein Reorganisationskomitee mit Alexander von Humboldt als Präsidenten. Anfang November verfasste dieser nacheinander zwei Denkschriften über die Aufgaben der Akademie und ihre Organisation, die uns auch Aufschluss über seine damalige Sichtweise über die praktisch-gesellschaftliche Nützlichkeit der Wissenschaften und der akademischen Arbeit insgesamt gewähren. Wie wir oben gesehen haben, hatte sich Humboldt während seines Studiums an der Freiberger Bergakademie und seiner Zeit als preußischer Oberbergmeister am Diskurs über die nützlichen Wissenschaften beteiligt und darüber hinaus auch an Erfindungen gearbeitet, die die Nützlichkeit wissenschaftlichen Wissens in der Praxis belegten. Während seiner Amerikareise hatte er Salinen und
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Bergwerke besichtigt, bergbauliche Gutachten geschrieben und an Kollegien der Bergakademie in Mexico City teilgenommen, in deren Leitungsgremium ein spanischer Studienfreund aus Freiberger Zeiten saß. Doch dies allein gibt noch keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob sich seine Auffassung über nützliches Wissen in der Zwischenzeit verändert hatte. Beide Denkschriften liefern Hinweise zur Beantwortung dieser Frage. In seiner ersten Denkschrift vom 2. November 1807 sprach sich Humboldt gegen eine „allzu strenge Absonderung des akademischen und Geschäftslebens, der Theorie und Praxis“ aus.590 In dem zwei Tage später folgenden Entwurf für eine neue Verfassung der Akademie wurde er im Abschnitt über den „Zweck der Akademie“ noch deutlicher. Dort heißt es nämlich im zweiten Paragraphen, unmittelbar nach der Feststellung, die Akademie habe die „wissenschaftliche Cultur“ zu befördern:
▷ Die Wissenschaften haben einen inneren Zweck. Alle stehen mit dem bürgerlichen Wohlstande in Wechselwirkung, in naher oder entfernterer (Notwendigkeit, diese Idee im Eingang des Regelments anzudeuten). ◁ Die Formulierung stimmt weitgehend mit einer früheren von 1797 überein, in der Humboldt zwischen „inneren“ und „äußeren Zwecken“ der Wissenschaften unterschieden und beide als gleichberechtigt und in gelegentlicher Interaktion miteinander dargestellt hatte. Die neue Redeweise, die Wissenschaften stünden mit „dem bürgerlichen Wohlstande in Wechselwirkung“ ersetzte nur die ältere von „äußeren Zwecken“, die er damals auch als „Einfluss auf die Gewerbe der Menschen” definiert hatte. 591 Bereits in seiner Antrittsrede im November 1805 hatte sich Humboldt in ähnlicher Weise geäußert. „Wer dem raschen Gange der Entdeckungen in der Flucht der Jahrhunderte folgt“, hatte er bei dieser Gelegenheit gesagt, der findet „den wohltätigsten Keim zu der Vervollkommnung technischer Gewerbe, zu der Verbesserung des physischen Wohls der Gesellschaft“. Dies setze jedoch auch wissenschaftliche Institutionen und „ein enges Band“ unter den Wissenschaftlern selbst voraus, die auch dem Zweck „der Erkenntnis in ihr selbst“ nachgehen müßten.592 Bemerkungen wie diese belegen, dass auch der reifere Humboldt nicht als Gewährsmann für die Ideologie „reiner Wissenschaften“ vereinnahmt werden kann. Am 9. Juli 1807 schlossen Preußen und Frankenreich ein Friedensabkommen, in dem Preußen über die Hälfte seines Territoriums und fast die Hälfte seiner Einwohner verlor. Die im August 1808 festgelegte Kriegskontribution von 140 Millionen Talern
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besiegelte das Ende der bisherigen politischen Großmachtstellung Preußens. Für die staatliche Förderung von Wirtschaft, Technik und Wissenschaften hieß dies bis auf weiteres, dass nur äußerst enge finanzielle Spielräume vorhanden waren. Die hohe Kriegskontribution wurde praktisch von der gesamten kulturellen Elite als ungerecht empfunden. Sie setzte Reflexionen über die nationale Identität und identitätsstiftende Maßnahmen in Gang, die zur Gründung der Berliner Universität beitrugen. Alexander von Humboldt konnte diese Vorgänge nur noch von seinem neuen Wohnsitz in Paris aus beobachten. Im November 1807 hatte er Berlin verlassen. Im Auftrag des Königs sollte er Vorbereitungen für die Verhandlungen des Prinzen Wilhelm mit den Franzosen treffen.593 Humboldt würde bis April 1827 in Paris bleiben.
32. Das Zusammenspiel von Wissenschaft, Technik und Staatsbürokratie Im frühen 17. Jahrhundert formulierte der englische Philosoph und Staatsmann Francis Bacon ein Programm für eine kulturelle Bewegung, deren Motto „Wissen ist Macht“ war. In seiner Schrift Neu Atlantis (1627) entwarf er die Utopie einer wissenschaftlich aufgeklärten Gesellschaft, die sich von einer Wissenschaftlergemeinschaft leiten ließ, die ihr Wissen und Können in den Dienst des Gemeinwohls und technischen Fortschritts stellte. Wissen als Macht verstanden bedeutete die Ablösung des gelehrten, kontemplativen Naturverhältnisses durch eine experimentell intervenierende und analysierende Naturforschung, die den Kräften der Natur auf die Spur zu kommen und sie zu beherrschen versuchte. Das Wissen über die Kräfte der Natur, die Rahmenbedingungen ihres Wirkens und die Regeln und Gesetze, denen sie unterworfen waren, galt zugleich als gewerblich und technisch nützliches Wissen. Die Bewegungen der Mühlen und Wasserräder, die stofflichen Umwandlungsprozesse der Hüttenwerke und Glashütten und die Methoden der Gärtner und Schafzüchter schienen von denselben Kräften gesteuert zu sein wie die Bewegungen und Transformationen in der Natur. Die entwickelten Naturwissenschaften würden daher nicht nur ein vertieftes Verständnis der Natur und eine erneuerte Naturphilosophie bewirken, sondern auch praktisch nützliches Wissen bereitstellen, das Grundlage jeglichen technischen Fortschritts war. Die baconische Idee des praktischen Nutzens der Wissenschaften wurde von der Royal Society, der Académie des sciences und der preußischen Societät der Wissenschaften aufgegriffen und durch den Utilitarismus der Aufklärungsbewegung
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und des Kameralismus über den engeren Gelehrtenkreis hinaus verbreitet. Auch im Zeitalter der Romantik verlor sie nichts von ihrer Attraktivität, sondern fand in allgemeinen naturwissenschaftlichen Bildungsprogrammen und der Gründung von Real- und Handelsschulen ihren Niederschlag. In Preußen setzte sich um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert beispielsweise der Staatsrat Gottlob Johann Christian Kunth, ein ehemaliger Erzieher der Gebrüder Humboldt, für eine naturwissenschaftliche Allgemeinbildung der Gewerbetreibenden ein. Die deutschen ökonomischen und patriotischen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts verfolgten dasselbe breit angelegte Bildungsziel, wobei sie vor allem Gutsbesitzer und Pächter, daneben aber auch die Landbevölkerung insgesamt im Auge hatten. Ausgehend vom kulturellen Einfluss ähnlicher wissenschaftlicher Gesellschaften in England, haben Joel Mokyr und einige andere Historiker argumentiert, popularisiertes naturwissenschaftliches Wissen sei das Ferment der industriellen Revolution gewesen.594 So plausibel dieses Argument ist, so lässt es doch viele Fragen offen. Die großen Industrialisierungsvorhaben des späten 18. und 19. Jahrhunderts erforderten auch avanciertes Ingenieur- und anderes Expertenwissen, dessen Genese mit dem Hinweis auf die breite kulturelle Verankerung naturwissenschaftlichen Wissens und eine „industrielle Aufklärung“ nicht hinreichend erklärt ist. Dieses Buch ist auf der Grundlage umfangreicher Archivstudien der Herausbildung solchen Expertenwissens in der Frühphase der preußischen Industrialisierung nachgegangen und hat die Praxis technischer Sachverständiger von denen viele auch Naturforscher waren, rekonstruiert. In scharfem Kontrast zum Habitus heutiger Experten, schloß diese Praxis soziales Engagement und Versuche der Verbesserung der materiellen Lebensumstände der Menschen ein.
Wissenschaftlich-schulische Ausbildung technischer Experten Die tiefgreifenden technischen Veränderungen während der „industriellen Revolution“ setzten Sachwissen und Können konkreter Akteure voraus, vor allem von Ingenieuren und Technikern, die sich hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Ausbildung, ihres Wertekatalogs und Verhaltensrepertoires von traditionellen, zunftgebundenen Handwerkern unterschieden. Im späteren 19. Jahrhundert wurde dieses Expertenwissen in den Technikwissenschaften generiert und über eine Fachausbildung innerhalb eines differenzierten Systems technischer Hoch- und Fachschulen an die nächste Generation weitergegeben. Die Institutionalisierung der Technikwissenschaften und technischer Schulen erfolgte jedoch nicht plötzlich und ohne historischen Vorlauf.
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In den Jahrzehnten davor fand die Ausbildung der preußischen Ingenieure und Techniker an der Berliner Bauakademie und in protoschulischen Institutionen wie der Vorlesungsreihe der Bergbehörde statt, die die traditionelle handwerkliche Lehre ergänzte. Wir sind dieser, bisher fälschlich als „Bergakademie“ bezeichneten Ausbildungsstätte für preußische Bergbeamte detailliert nachgegangen, die auch zukünftigen Laboranten und Arcanisten der Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur offenstand. An der Ausbildung des Arcanisten Friedrich Bergling haben wir exemplarisch verfolgt, wie die praktische Lehre im Laboratorium der KPM mit wissenschaftlich-schulischen Lernformen − dem Besuch von Klaproths bergbehördlicher Chemievorlesung, der Lektüre chemischer Bücher und der Zusammenarbeit mit Klaproth beim Experimentieren − verbunden wurde. Die neue Ausbildungsweise der Bau- und Bergbeamten sowie der Arcanisten und Laboranten der KPM sind aussagekräftige Beispiele für Frühformen der Fachausbildung von Technikern in Preußen.
Naturforscher-Techniker Die Technikwissenschaften des späten 19. und 20. Jahrhunderts bauten auf historischen Vorformen auf, die in Preußen als „praktische“ oder „nützliche Wissenschaften“ bezeichnet wurden. Wenn wir in die Jahrhunderte vor der Ausdifferenzierung der Wissenschaften in Naturwissenschaften und Technikwissenschaften mit ihren jeweiligen disziplinären Verästelungen zurückblicken, so begegnen wir immer wieder Personen, die mit einem Bein fest in der gewerblich-technischen Praxis und mit dem anderen in der Akademikerwelt standen. Viele von ihnen, zum Beispiel Humboldts Freund Carl Freiesleben, den Humboldt selbst als einen der besten Mineralogen Deutschlands schätzte, sind heute völlig vergessen oder ausschließlich als Techniker bekannt. Andere kennen wir dagegen nur noch als gute Naturforscher und vergessen dabei, dass sie zu ihrer Zeit auch hervorragende technische Sachverständige waren. Diese Naturforscher-Techniker organisierten und koordinierten die körperliche Arbeit von Handwerkern und Arbeitern, legten aber auch selbst Hand an beim Messen und Analysieren materieller Objekte. Sie gründeten Laboratorien, führten neue experimentelle Techniken ein, konstruierten Messinstrumente und machten sich auf Vor-Ort-Inspektionen mit gewerblichen Techniken vertraut. Anders als traditionelle Handwerker, protokollierten sie ihre Messdaten und experimentellen Resultate in Notizbüchern und schrieben amtliche Berichte. Auf diese Weise trugen sie zur Verschriftlichung handwerklich-technischen Wissens bei. Sie organisierten
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überdies die Weitergabe technischen Wissens und Könnens in den neuen wissenschaftlich-technischen Lehrstätten. Dennoch waren sie nicht „nur“ Ingenieure oder Techniker. Vielmehr gingen sie noch einen entscheidenden Schritt über lokal nützliches, praktisches Wissen hinaus, indem sie auch Naturforschung betrieben. Männer wie der junge Alexander von Humboldt, Klaproth, Gerhard oder Achard waren sowohl Naturforscher als auch Techniker und Manager in einer Person. Sie nutzten ihre Arbeitsumgebung als Experimentierfelder für Entdeckungen und Erfindungen und brachten ihre Arbeit, technologischen Explorationen und Naturforschung in fruchtbare Interaktion. Wir haben diese Männer, in Abhängigkeit von der Perspektive, als „Naturforscher-Techniker“ oder „wissenschaftlich-technische Experten“ bezeichnet. In Preußen und anderen kontinentaleuropäischen Ländern des 18. Jahrhunderts, die einen starken, dirigistischen Staatapparat aufgebaut hatten, waren sie meist Beamte oder Personen im Umkreis von Ministern und Behörden. In England dagegen, dem Musterland des frühen Industriekapitalismus, treffen wir auf vergleichbare, in staatliche Aktivitäten involvierte Naturforscher-Techniker vor allem im Rahmen der Artillerie und Navy, während in der Zivilsphäre der wissenschaftlich interessierte Privatunternehmer vorherrschte, den der englische Historiker Peter Jones als „Wissenschaftler-Fabrikant“ (savant-fabricant) bezeichnet hat.595 Ob als Wissenschaftler-Fabrikant oder Wissenschaftler-Beamter stehen diese Männer für eine personalisierte Form der Verknüpfung von Praktiker- und Akademikerwissen. Anders als in den späteren Technik- und Naturwissenschaften hing die Art und Weise der Verknüpfung von technischem Wissen und Naturwissenschaften hier noch erheblich von individuellen Werdegängen und Erfahrungen ab und variierte daher von Person zu Person. Die Allianz von Wissenschaft und Technologie war somit noch nicht in die institutionellen Formen gegossen, die wir von heutigen technik- und naturwissenschaftlichen Curricula und Lehrbüchern kennen. Auch in den Jahrhunderten vor dem 18. Jahrhundert gab es naturforschende Ingenieure und andere wissenschaftlich technische Experten. Sie führten jedoch ein unstetes Reiseleben und gingen oft prekäre persönliche Abhängigkeitsverhältnisse ein. Immer wieder aufs Neue mussten sie sich an Höfen und in Stadtstaaten um Anstellungen bemühen oder versuchen, in eigener Regie höfische Luxus- und Unterhaltungsbedürfnisse zu bedienen. Im 18. und frühen 19. Jahrhundert waren es dagegen vor allem die neu gegründeten staatlichen Behörden in Preußen, Sachsen, Frankreich und anderen merkantilistischen Staaten, die wissenschaftlich-technische Experten rekrutierten und dauerhaft in den Beamtendienst übernahmen. Wir
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haben oben am Beispiel des jungen Alexander von Humboldt und Carl Abraham Gerhards gesehen, welche Vor- und Nachteile dies hatte. Mit dem Beamtenstatus war die materielle Lebensbasis langfristig abgesichert. Der berufliche Aufgabenbereich eines Bergmeisters oder Bergrats bot überdies zahlreiche Gelegenheiten für die Natur- und Technikforschung. Auf der anderen Seite war ein preußischer Beamter aber immer auch Teil eines hierarchischen Machtapparats, in dem Willkür und persönliche Abhängigkeit zwar durch Gesetze und Regeln abgefedert, aber keineswegs aus der Welt geschafft waren.
Humboldt im Kreis von Naturforscher-Technikern Auf unserem Streifzug durch den preußischen Bergbau und die Metallverhüttung, das Apothekergewerbe, die Porzellanherstellung, die Forstwirtschaft und Nutzpflanzenzüchtung, die Rübenzuckergewinnung und am Rande auch die Artillerie, das Baugewerbe und das Textil- und Färbergewerbe − und die damit assoziierten Naturwissenschaften und nützlichen Wissenschaften − ist ein historisches Faktum deutlich hervorgetreten: Der junge Alexander von Humboldt war alles andere als ein Einzelfall. Die tonangebenden preußischen Naturforscher seiner Zeit waren vielmehr zugleich auch technische Sachverständige, die im Staatsdienst standen oder staatliche Beraterfunktionen ausübten. Der berühmteste deutsche Chemiker der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Martin Heinrich Klaproth, hatte nie eine Universität besucht, war von Beruf Apotheker und als Akademiechemiker der wichtigste wissenschaftlich-technische Experte des Ministers von Heinitz. Carl Abraham Gerhard war ein Mineraloge und technisch innovativer Bergrat, der zuerst versuchte, eine Bergakademie in Berlin zu gründen, dann die Vorlesungsreihe der Bergbehörde organisierte und im bergbehördlichen Laboratorium experimentierte. Der Erfinder der Rübenzuckergewinnung Franz Carl Achard war jahrelang Direktor der physikalischen Klasse der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Er verwandelte das Laboratorium der Akademie in eine großtechnische Versuchsanstalt für die Rübenzuckergewinnung, die den offiziellen Namen „Zuckerfabrik“ trug. Johann Gottlieb Gleditsch und Carl Ludwig Willdenow waren berühmte preußische Botaniker, die im Königlichen Botanischen Garten experimentierten und Nutzpflanzen züchten. Albrecht Daniel Thaer war Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Professor für Landwirtschaftslehre an der neu gegründeten Berliner Universität und Organisator landwirtschaftlicher Versuchs- und Ausbildungsprogramme auf seinem Gut in Möglin. Sigismund Friedrich Hermbstaedt war zuerst Apotheker-Chemiker, trat
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dann in den Staatsdienst ein und erhielt ein eigenes Lehr- und Laborgebäude, in dem er Textilunternehmer und Färber unterrichtete. Der Akademiemathematiker und Physiker Johann Heinrich Lambert war Mitglied des Oberbaudepartments und in dieser Funktion an Feldvermessungen und anderen Nutzbauprojekten beteiligt. Auch der junge Alexander von Humboldt gehörte zu diesem großen Kreis preußischer Naturforscher-Techniker, ungeachtet der Tatsache, dass er auch anderen Interessen nachging, die nicht in das Gebiet des Bergbaus, der Metallurgie, Bergtechnik, Chemie, Mineralogie, Geologie und Botanik gehören. Seine aufwendige bergtechnische Erfindungsarbeit ist vielleicht der beste Beleg seines Engagements für technische und soziale Verbesserungen, das für alle Naturforscher-Techniker dieser Zeit charakteristisch ist und die Industrialisierung Preußens in kleinen Schritten vorantrieb.
Wissenschaften Die Naturforscher-Techniker und Reformbeamten des 18. Jahrhunderts entwickelten konkrete Vorstellungen über nützliches Wissen. Sie erstellten Pläne für die Gründung von Berg- und Bauakademien, erarbeiteten Curricula für die Bergwerks- und Bauwissenschaft und förderten somit die „nützlichen Wissenschaften“, den Vorläufer der Technikwissenschaften. In ihren Laboratorien entdeckten sie neue Metalle, erfanden Techniken für die Rübenzuckergewinnung und explorierten Werkstoffeigenschaften. In den Gruben analysierten sie die Grubenluft und testeten neuartige Grubenlampen. Sie legten landwirtschaftliche Versuchsfelder an und entwickelten Pflanzenzüchtungsmethoden, die sie durch chemische Analysen überprüften. All dies ging mit der Konstruktion von Instrumenten und der Ausarbeitung von Forschungsmethoden einher. Dabei waren die Instrumente und Methoden für Erfindungsarbeiten oft identisch mit denjenigen für die naturforschende Messung, Analyse und Entdeckung. Die zweite Hälft des 18. Jahrhunderts ist eine Periode, in der die Naturforschung genauste Beobachtungs-, Mess- und Analysemethoden entwickelte, die mit spezifischen Termini und der Ausbildung einer eigenen Wissenschaftssprache einhergingen. Werners Mineralogie und Geognosie beruhten auf exakt definierten Termini und Kriterien der Identifikation und Klassifikation von Mineralien und „Gebirgsarten“ und schlossen physikalische Messungen ein. Willdenows botanische Forschung ergänzte die systematische Botanik Linnés, für die genauste Beobachtung, Zerlegung und Beschreibung einer Pflanzenspezies ebenso konstitutiv war wie für Werners Mineralogie. Gerhards „physikalisch-mineralogische“ Beschreibung der schlesischen Gebirge umfasste genaue Höhenmessungen und topographische
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Landschaftsbeschreibungen. Seine Werkstoffforschung und metallurgische Chemie wurzelten in der quantitativen chemischen Analyse und der Schmelztemperaturmessung von Metallen. Klaproth konzentrierte sich in seiner chemischen Forschung nahezu vollständig auf die exakte quantitative Analyse von Mineralien, und er elaborierte analytische Methoden, die maßgeblich zur Subdisziplin „analytische Chemie“ beitrugen. Humboldt führte während seiner Zeit als preußischer Bergmeister exakte gaschemische Analysen durch, deren messtechnischer Charakter im Terminus „Eudiometrie“ ausgedrückt ist. Die großen Mathematiker-Physiker der Königlich preußischen Akademie der Wissenschaften Euler, Lagrange und Lambert waren in ganz Europa für eine thematisch fokussierte, analytische Physik bekannt. Die naturhistorische, experimentelle und mathematische Analyse zerlegte Naturkörper in ihre Teile, explorierte diese und versuchte, das Ganze eines Naturkörpers von seinen Teilen ausgehend zu rekonstruieren, identifizieren und erklären. Alle Bereiche der Naturforschung der zweiten Hälfte des 18. und des frühen 19. Jahrhunderts, in denen analysierende und messende Praktiken eine derart dominierende Rolle spielten, sind hier als „analysierende, exakte Naturwissenschaften“ zusammengefasst worden. Unsere historischen Rekonstruktionen haben gezeigt, dass sich die analysierenden, exakten Naturwissenschaften im engem Zusammenspiel mit den nützlichen Wissenschaften, dem Vorläufer der modernen Technikwissenschaften, entwickelten. Die quer durch alle Bereiche der Naturforschung gehenden Analyse- und Messpraktiken in den Jahrzehnten um 1800 waren „technikförmig“ in einem doppelten Sinn. Erstens überschnitten sie sich erheblich mit den Analyse- und Messtechniken von Ingenieuren und anderen technischen Experten. Die chemischen Analysemethoden des späten 18. Jahrhundert wiesen zum Beispiel Gemeinsamkeiten mit den Probiertechniken in Bergbau und Hüttenwesen sowie den chemischen Analysetechniken der Arcanisten in den Porzellanmanufakturen auf. Avancierte wissenschaftliche Analyse- und Messpraktiken galten allein schon aus diesem Grund als potenziell nützlich und wurden daher als Wissensbausteine in die nützlichen Wissenschaften integriert. Zweitens konzentrierten sich die analysierenden und messenden Praktiken der Naturforscher auf ein relativ eng umrissenes Feld von Untersuchungsgegenständen, die mit den vorhandenen Beobachtungs- und Messinstrumenten, den Methoden der experimentellen oder mathematischen Analyse und den epistemischen Mitteln der Repräsentation handhabbar und darstellbar waren. Alle anderen Forschungsprobleme, darunter vor allem die „großen Fragen“ der traditionellen Naturphilosophie,
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deren Beantwortung Rückschlüsse für das Weltbild erlaubten, wurden aus dem Fragenkatalog eliminiert oder auf einen späteren Zeitpunkt vertagt. Dies war auch im Zeitalter der Romantik nicht anders. Naturforscher wie Klaproth, Gerhard oder Werner verfuhren somit pragmatisch, ihre Forschung war durch denselben Mittel-Zweck Rationalismus geprägt wie die praktische gewerblich-technische Arbeit und die technologische Forschung. In ihrem Pragmatismus, ihrer Eingrenzung der Forschungsobjekte und der ins Detail gehenden Zerlegung der Forschungsobjekte, ihren Messtechniken und Repräsentationsweisen unterschieden sich die analysierenden, exakten Naturwissenschaften von den „Naturphilosophien“ und „Naturlehren“ des 18. Jahrhunderts. Diese thematisierten die „Natur“ umfassend und versuchten, sie als gesetzmäßig zusammenhängendes Ganzes weitgehend sprachlich darzustellen. Pragmatismus und Technikförmigkeit gelten heute als Kennzeichen der modernen Wissenschaften, die nicht selten kritisch hinterfragt werden, weil sie einseitigen Profitinteressen dienen und gesamtgesellschaftliche Belange ignorieren. Im Gegensatz dazu gehörten die Verfechter der pragmatischen und technikförmigen Wissenschaften in den Jahrzehnten um 1800 zu einer kulturellen, in der Aufklärung verankerten Bewegung, die das Gemeinwohl auf ihre Fahnen geschrieben hatte und bereit war, dieses auch gegen die traditionellen Werte des Beamtenadels durchzusetzen.
Strategien technischer Innovation Die europäische Industrialisierung im späten 18. und 19. Jahrhundert war ein komplexer historischer Prozess, der nicht zuletzt auch deshalb schwer zu rekonstruieren und erklären ist, weil er in einzelnen Ländern ungleichzeitig verlief und unterschiedliche Schwerpunkte beinhaltete. Über zwei Dimensionen dieses Prozesses können jedoch, trotz aller Meinungsunterschiede im Detail, keine Zweifel bestehen. Die europäische Industrialisierung ging mit einschneidenden ökonomischen und sozialen Umwälzungen infolge der Durchsetzung des kapitalistischen Wirtschaftsund Wertesystems einher und sie beinhaltete tiefgreifende technische Innovationen. Anders als in England mit seiner Großzahl kapitalkräftiger Unternehmer, gab in Preußen der Staat den Anstoß für die mit der Industrialisierung einhergehenden technischen Innovationen.596 In der Frühphase der Industrialisierung Preußens organisierte der Staat den Wissenstransfer, vor allem aus England, um mit den großen technischen Veränderungen in Europa Schritt halten zu können. Wir haben oben gesehen, dass Minister von Heinitz den Erwerb technischen Wissens aus dem In- und Ausland langfristig plante, nicht zuletzt durch die Schaffung intellektueller
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und mentaler Voraussetzungen für den Wissenstransfer. Mit zahlreichen Maßnahmen zwang er die technischen Experten im Bergbau und der königlichen Porzellanmanufaktur zur Aufgabe ihres persönlichen Geheimwissens und zur schriftlichen Dokumentation ihres Wissens.597 Beginnend in den 1760er-Jahren, organisierte der preußische Staat auch protoschulische und schulische Institutionen für die Ausbildung technischer Experten. Dazu gehörten die bisher als „Bergakademie“ bezeichnete Vorlesungsreihe der Berliner Bergbehörde, die bautechnischen Vorlesungen der Kunstakademie, die 1799 gegründete Bauakademie, die Vorlesungen für Färber der Technischen Deputation, Beuths Gewerbe-Institut und die technologischen, agrarund forstwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen der Friedrichs-Wilhelms-Universität. Für die Organisation der technischen Fachausbildung schmiedeten die preußischen Reformbeamten ein Bündnis mit Naturforscher-Technikern, die Curricula entwarfen und den wissenschaftlichen Teil der Lehre übernahmen. Überdies setzte der preußische Staat auch zahlreiche eigenständige technische Verbesserungsprojekte in Gang. Der dirigistische preußische Staat leitete bis Mitte des 19. Jahrhunderts fast alle preußischen Berg- und Hüttenwerke.598 Gegen Ende des 18. Jahrhunderts organisierte er die Einführung der ersten Dampfmaschinen im Bergbau und in der Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur, den Bau von Kokshochöfen und die Gründung großer, mit Dampfmaschinen betriebener Eisenhüttenwerke im „preußischen England“ Schlesien. Dies waren industrielle Vorzeigeunternehmen, die auch Innovationsanreize für Privatunternehmer aussenden sollten. Auch Feldvermessungen, Kanal- und Straßenbau, Landgewinnungsmaßnahmen und Gründungen ganzer Dörfer und Städte fanden im Rahmen staatlicher Bauprogramme statt. Aufgrund der planmäßigen Vorbereitung des Zusammenwirkens verschiedenartiger Innovationsmaßnahmen − Wissenstransfer, Expertenausbildung und Organisation technischer Veränderungen in der Praxis − sowie der Kontinuität dieser Aktivitäten über mehrere Generationen hinweg, können wir von einer staatlichen „Strategie“ technischer Innovationen in der Frühphase der preußischen Industrialisierung sprechen. Dabei handelte es sich zunächst um eine Strategie der kleinen Schritte − unter anderem auch deshalb, weil der „Staat“ selbst kein einheitliches Gebilde war.
Reformbeamte Wer genau initiierte die Innovationen in der Frühphase der Industrialisierung Preußens? Welche staatlichen Institutionen und Personen waren an ihrer Organisation beteiligt? In den alten preußischen Technikgeschichten wurden Friedrich II. und
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seine beiden Nachfolger als große Förderer von Naturwissenschaften und Technik gefeiert. Wenn sich Erklärungsnöte angesichts königlicher Verweigerung der Finanzierung wissenschaftlicher Laboratorien und technischer Projekte ergaben, so wurden diese mit dem Hinweis auf die Sparsamkeit des Königs abgetan. Bereits zu Lebzeiten Friedrichs II. entstand das Bild eines ökonomisch innovativen, „in allen Theilen der Regierungskunst“ großen Monarchen, von dem sich „jeder Unternehmer nützlicher Manufakturen und Fabriken“ jeden erdenklichen Beistand erhoffen konnte. Die von den Sachdepartments des Generaldirektoriums ausgehenden finanziellen Anreize für technische Neuerungen waren daher in Nicolais Augen nur „Prämien, welche der König durch das Generaldirektorium auf die fleißigste und beste Arbeit in verschiedenen Zweigen der Industrie aussetzt“.599 Von Ausnahmen abgesehen, tendiert auch die neuere Geschichtsschreibung über Preußen zu einer Bestätigung dieser Sichtweise, indem sie mehr oder weniger alle wirtschaftsfördernden Maßnahmen im Rahmen der merkantilistischen Wirtschaftspolitik auf den König als Initiator zurückführt. So redet zum Beispiel Christoper Clark in einem vielgepriesenen Werk über Preußen und die Hohenzollern durchweg von „Friedrichs Wirtschaftspolitik“. Die undifferenzierte Gleichsetzung von staatlicher merkantilistischer Wirtschaftspolitik mit der Politik des Königs wird besonders prekär, wenn er behauptet, der König habe 1783 dem Bergwerksminister von Heinitz „befohlen“ zu erkunden, ob man aus der Salz-Sohle außer Salz auch andere wertvolle Stoffe gewinnen könne.600 Das Körnchen Wahrheit in dieser alt-neuen Sichtweise liegt darin, dass im absolutistischen Preußen alle größeren Geldausgaben vom König persönlich genehmigt und zuweilen auch durch ein königliches Dekret bestätigt werden mussten. Daraus sollte man jedoch nicht den Schluss ziehen, der König selbst sei auch der Initiator einer technischen Erkundung oder Verbesserungsmaßnahme gewesen und habe diese von Herzen unterstützt. Wie wir oben gesehen haben, legt das genaue Studium des Archivmaterials in vielen Fällen den gegenteiligen Schluss nahe. Dies gilt insbesondere in Hinblick auf die Aktivitäten von Heinitz und seiner Beamten im Bergbau und Hüttenwesen, in der Salzgewinnung, der Porzellanherstellung und anderen an den Bergbau angrenzenden Gewerbe. Da technische Innovationen und die Rekrutierung technischer Experten langfristige finanzielle Investitionen erforderten anstatt unmittelbar Gewinne abzuwerfen, wurden Anträge von Ministern oft zurückgestellt oder abgelehnt. Ein bezeichnendes Beispiel dafür ist das Scheitern der Gründung einer preußischen Bergakademie im 18. Jahrhundert. Aber auch der permanente Geldmangel der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften und die private Zusatzfi-
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nanzierung von Laborausstattung und Experimenten gehören in dieses Kapitel der preußischen Geschichte. Der absolutistische Staat gab in den Jahrzehnten um 1800 mehr als die Hälfte seines Staatsbudgets für militärische Zwecke aus, unter Friedrich II. waren es zeitweise über 80 Prozent. Im Vergleich dazu waren die Gelder, die beispielsweise für die Förderung der Bergwerkswissenschaft, Chemie oder Botanik benötigt wurden, überaus bescheiden. Es lohnt sich also, darüber nachzudenken, warum Friedrich II. und seine beiden Nachfolger ausgerechnet in diesen Bereichen eine so ausgeprägte Politik der Sparsamkeit verfolgten. Die Anfänge der Industrialisierung Preußens, die allmählich verlief und daher wohl kaum als eine industrielle „Revolution“ bezeichnet werden kann, gingen nicht vom Hauptmachtzentrum, dem König und seinem Potsdamer Kabinett, sondern von den Sachdepartments des Generaldirektoriums aus. Die dort arbeitenden reformorientierten Minister und leitenden Beamten − wie Hagen, Heinitz, Struensee, Hardenberg und Beuth − waren es, die in einer Allianz mit sachkundigen Naturforschern und Technikern Innovationsprojekte anschoben und sie begleitende Ausbildungsund Forschungsinstitutionen gründeten. Humboldt, Klaproth, Lambert und zahlreiche andere wissenschaftlich-technische Experten Preußens gingen ein enges Bündnis mit Reformbeamten ein oder gehörten selbst der Beamtenschaft an. Dieses über mehrere Generationen hinweg bestehende soziokulturelle Bündnis war es, das die Industrialisierung Preußens, die Institutionalisierung der wissenschaftlich-technischen Fachausbildung und die Entwicklung der Natur- und Technikwissenschaften in den Jahrzehnten um 1800 vorantrieb. Es entwickelte eine kontinuierliche, über Jahrzehnte fortgesetzte Strategie der Innovation, wie wir am Beispiel des Wirkens von Heinitz, Klaproth, Gerhard und des Arcanisten Bergling im Zusammenhang mit dem Bergbau und der Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur gesehen haben, aber auch mittelfristige und punktuelle Verbesserungsmaßnahmen, wie diejenigen Alexander von Humboldts und seiner Bergbeamten im fränkischen Bergbau.
Ein starkes Bündnis Die preußischen Minister Heinrich Fr. K. Freiherr vom und zum Stein und Karl August von Hardenberg initiierten im frühen 19. Jahrhundert eine Reihe von Reformen des Staats und Verwaltungsapparats sowie der Landwirtschaft, des Gewerbes, Militärs und Bildungswesens, die als „Stein-Hardenbergsche Reformen“ in die Geschichte eingegangen sind. Während die sozialen Bewegungen, die mit diesen Reformen einhergingen, relativ gut untersucht sind, ist ihre Verknüpfung mit der Industrialisierung und den Wissenschaften bisher nur ansatzweise untersucht
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worden. Bereits vor Jahrzehnten hat der Historiker Reinhart Koselleck die These vertreten, der preußische Staat des 19. Jahrhunderts sei aus drei Elementen zusammengefügt worden, dem Heer, der Technizität seiner Verwaltung und der Industrie. „Preußen war der einzige europäische Staat“, so Koselleck, „dessen Machtentfaltung im neunzehnten Jahrhundert mit seiner Industrialisierung zusammenfiel“.601 Die preußische Beamtenschaft habe die „Herausforderung zur industriellen Revolution“ auch deshalb angenommen, argumentierte Koselleck, weil sie soziale und politische Reformen bewirken und eine Revolution verhindern wollte. Der Frage, mit welchen Mitteln und auf welchen Wegen die preußische Beamtenschaft die Industrialisierung Preußens beförderte, ist Koselleck jedoch ebenso wenig nachgegangen wie der Frage, welche Rolle die Natur- und Technikwissenschaften und die neuartigen wissenschaftlich-schulischen Ausbildungsformen von Technikern in diesem Prozess spielten. Beide Fragen stehen dagegen im Zentrum des vorliegenden Buchs. Wie Stein, Hardenberg und andere preußische Reformbeamte des frühen 19. Jahrhunderts trat auch die schon Jahrzehnte zuvor geschmiedete Allianz von Staatsbeamten, Naturforschern und Technikern für soziale Reformen und die Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen der Bevölkerung ein. Der „Zusammenbruch“ des preußischen Staats im Jahr 1806/7 war nur Katalysator eines Prozesses, der schon längst in Gang war. Alexander von Humboldt zum Beispiel verband mit seinen bergtechnischen Erfindungen auch den ethischen Anspruch, die Gefahren des Bergmannsberufs zu mindern. Wie Hardenberg verstand er den langen Weg technischer Verbesserungen als die beste Möglichkeit, die Menschen in Lohn und Brot zu bringen, Hungerkrisen zu vermeiden und schwere körperliche Arbeiten zu erleichtern. Obwohl die Motive hinter solchen sozialreformerischen Bestrebungen individuell variierten und vom Pietismus eines Heinitz bis zu Sympathien mit den Zielen der französischen Revolution reichten, wie im Fall Humboldts, einte doch alle das Ziel der Förderung des Gemeinwohls. Dieses Ziel, das in unseren Ohren vielleicht ebenso vage klingt wie heutige Freiheitsrhetorik, hatte für die historischen Akteure durchaus eine konkrete Dimension. Denn es ging nicht zuletzt mit der Infragestellung der Rolle des Beamten als persönlichem Diener des Königs einher. Das neue Ideal des „gemeinnützigen Mannes“ bedeutete auch die Verpflichtung zum Dienst für das Gemeinwohl. Auch der Staat selbst und der Staatsapparat empfingen wichtige Impulse in diesem historischen Prozess. In der Historiographie über das friderizianische Preußen dominiert heute noch das Bild eines autokratischen Absolutismus, das der große Preußenhistoriker Otto Hintze bereits vor mehr als einem Jahrhundert entwarf.
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Wolfgang Neugebauer spricht zum Beispiel von der „autokratischen Zuspitzung“ der Regierungspolitik Friedrichs II. Demnach wurde die übergroße Mehrheit aller Regierungsmaßnahmen von Friedrich II. selbst in die Wege geleitet. Mit ähnlicher Stoßrichtung hatte Otto Hintze bereits 1901 argumentiert, Friedrich II. habe ungeachtet der Tatsache, dass das Generaldirektorium bereits ein erstes Erzeugnis des modernen Großstaats gewesen sei, weitgehend autokratisch regiert. „Die ganz persönliche Regierung des Monarchen, der autokratische Absolutismus“, so Hintze, sei „gleichermaßen frei von der alten ständischen wie der künftigen bureaukratisch-ministeriellen“ Mitwirkung gewesen.602 Demnach wäre erst durch die Stein-Hardenbergsche Verwaltungsreform − und das heißt in letzter Konsequenz erst durch Dekrete und Gesetze von oben − ein neuer Regierungsstil eingeführt worden. Eine „sachgerechte und gesetzmäßige Verwaltung war das ideale Ziel der Reformer“ um Stein und Hardenberg, argumentiert daher Kosellek.603 Wie wir oben gesehen haben, war dieses Ziel jedoch keineswegs völlig neu, sondern wurde bereits nach dem Siebenjährigen Krieg von Ministern wie Hagen und Heinitz und dann verstärkert von der jüngeren Beamtengeneration Humboldts verfolgt. Während Stein und Hardenberg umfangreiche Gesetzesinitiativen ergriffen und sich über eine bloße Verwaltungsreform hinaus auch gegen die absolutistische Ständegesellschaft und die Machtbefugnisse des königlichen Kabinetts richteten, begnügten sich jedoch die Reformbeamten der Generation von Heinitz mit kleinen Verbesserungen des Beamtenapparats und enthielten sich jeglicher politischer Artikulation ihrer Ziele. Letzteres stand vielleicht auch deshalb nicht auf der Tagesordnung, weil die politischen Ansichten eines von Heinitz, der die absolutistische Monarchie unterstützte, und eines Aufklärers wie Humboldt, der sie infrage stellte, weit auseinander gingen. Die auf den ersten Blick oft unsichtbar bleibenden Impulse für die Reform der Regierungs- und Verwaltungsorgane im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts waren jedoch insofern fundamental, als sie den Wertekatalog und das Verhaltensrepertoire der Beamtenschaft betrafen und diese allmählich veränderten. Dienst für das Gemeinwohl, technischer Sachverstand, Leistungswille, Anerkennung individueller Leistung, Wille zur offenen Kommunikation und Bereitschaft zum Wissenstransfer innerhalb des Beamtencorps stellten neue Werte und Beamtentugenden dar, die den alten Werte- und Verhaltenskodex der adligen Beamtenelite allmählich abzulösen begannen. Ihre Anerkennung wurde nicht erst im Zug der Stein-Hardenbergschen Reformen in die Wege geleitet, sondern Jahrzehnte zuvor. Dabei handelte es sich um Veränderungen, die weniger durch staatliche Dekrete und Gesetze als durch
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die tagtägliche Erfahrung in der Praxis der Beamten in Gang gesetzt wurden. Ausschlaggebend war, dass Minister wie Heinitz und leitende Beamte wie Humboldt die neuen Werte und Verhaltensweisen nicht nur einforderten, sondern sie auch selbst in der Praxis vorlebten. Die Einführung einer wissenschaftlich-technischen Ausbildung der Beamten untermauerte die neuen Werte noch. Die Verknüpfung Wissenschaft-Technik-Staat hatte somit Auswirkungen auf alle drei Konstituenten. Sie bildete den Kontext des Wirkens „großer Männer“ des frühen 19. Jahrhunderts wie Karl August von Hardenberg, Christian Peter Wilhelm Beuth, Alexander von Humboldt und Karl Friedrich Schinkel.
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Fußnoten
1 Koselleck (1967) hat zwar bereits auf die Ver-
zahnung der preußischen Industrialisierung mit Verwaltungsreformen aufmerksam gemacht, sich jedoch auf den Zusammenhang von Verwaltungsstaat und sozialen Bewegungen konzentriert. 2 Zitiert nach Bruhns (1969), Bd. 1, 33. Die Kryptogamenforschung korrigierte Lücken im Klassifikationssystem des schwedischen Botanikers Carl von Linné, den Humboldt und Willdenow gleichermaßen bewunderten. 3 Humboldt (1973), 48, 41. Humboldt hatte den Theologen Wilhelm Gabriel Wegener (1767 − 1837) ein Jahr zuvor an der Universität Frankfurt/ Oder kennengelernt. 4 Humboldt (1973), 41. 5 Das Bevölkerungswachstum ging teilweise
auch auf die Gebietserweiterung zurück. Getreide war damals neben Kohl das wichtigste Nahrungsmittel. Henning (1991 − 2013), Bd. 1, 780, 790 − 792.
6 Zur merkantilistischen bzw. kameralistischen
Wirtschaftspolitik im 18. Jahrhundert siehe Henning (1991 − 2013), Bd. 1, 756 − 767; Mittenzwei (1979).
14 Der junge Humboldt nahm zwar auch Kontakte
mit Johann Wilhelm Ritter auf, aber im Vordergrund stand dabei der Austausch über galvanische Experimente. 15 Humboldt (1973), 28. 16 Nicolai (1786), 726 − 28. 17 Anonym (1784), 342. 18 Böhme-Kaßler (2005) 35, 173. 19 Koerner (1999); Müller-Wille (1999). 20 Timm (1964). 21 Beckmann (1777), XI. Siehe auch Beckmann (1769). 22 Es handelt sich dabei um die Descriptions des arts et métiers sowie um Diderots und d’Alemberts Encyclopédie. Zur Tradition der baconischen Experimentalgeschichte siehe Klein und Lefèvre (2007). 23 Beckmann (1777), XV. 24 Humboldt (1790a). 25 Humboldt (1973), 55. 26 Ebd., 69, 57. 27 Treue (1984); Mahlke (2001); Weber (1976).
7 Humboldt (1973), 41.
28 Humboldt (1973), 58.
8 Von einem „Jahrhundert der Entdeckungen“
29 Ebd., 93.
sprach Willdenow in Hinblick auf das Studium der Kryptogamen im 18. Jahrhundert; Willdenow (1792), 441.
9 Zu Kameralismus und Kameralwissenschaften
siehe Brückner (1977); Dittrich (1974); Small (1909); Troitzsch (1966).
10 Humboldt (1973), 45. 11 Humboldt (1973), 43, 27. 12 Der nach englischem Vorbild errichtete erste
Kokshochofen auf dem europäischen Festland wurde im September 1796 im Eisenhüttenwerk in Gleiwitz in Betrieb genommen. 1799 begann der Bau des Hochofenwerks Königshütte, dessen Kokshochöfen mit Dampfgebläsemaschinen betriebenen wurden; siehe Treue (1984), 205.
13 Das 1722/23 gegründete „General-Ober-Finanz-,
Kriegs- und Domänendirektorium“, abgekürzt „Generaldirektorium“, war die oberste preußische Regierungs- und Verwaltungsbehörde. Zum Gesamtaufbau des preußischen Staats siehe Hintze (1901); Johnson (1975); Neugebauer (1996 − 2003), Bd. 2, 17 − 21; siehe auch Rosenberg (1958).
30 Ebd., 115, 118. 31 Ebd., 99. 32 Ebd., 99. 33 Ebd., 112. 34 Siehe zum Beispiel Bruhns (1969), Bd. 1, 183. 35 Zitiert nach Jahn (1966), 804. 36 Carlowitz (1713), 105. Siehe auch Popplow (2006). 37 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK), I. HA, Rep. 121 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abt. Bergwerks-, Hüttenund Salinenwesen Nr. 7958 (im Folgenden: GStA PK, Nr. 7958), Blatt 21. 38 Gleditsch (1774 − 1775); Nicolai (1786), 723. 39 Urban (1881). 40 Gleditsch (1749), 103 − 108. 41 Zitiert nach Urban (1881), 10. 42 Müller (2002), 144. 43 Willdenow (1787).
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Anhang
44 Willdenow (1792), 348, 366, 361. Siehe auch Jahn (1966). 45 Willdenow (1792), 383 f. 46 Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (ABBAW) I-III-78, Blatt 6. 47 Ebd., Blatt 7. 48 GStA PK, Acta die Botanischen Garten-Angelegenheiten betreffend 1801, I-XIV-43, Blatt 34 − 35. 49 ABBAW I-XIII-22, Acta Das chemische Laboratorium betreffend, Bd. III, Blatt 110. 50 Ein erstes Gutachten hatte er im bereits im Oktober 1802 geschrieben. Registres der Akademie der Wissenschaften 1801 − 1805, ABBAW I-IV-34, Blatt 42, 66. 51 Zitiert nach Urban (1881), 23 − 24, 11. 52 Zitiert nach Tosch (2010), 158. 53 Henning (1991 − 2013), Bd. 1, 792 − 804; Popplow (2010a). 54 Für Gesamtpreußen traf Letzteres nur sehr eingeschränkt zu, da die große Mehrheit der Bauern auf großen Gütern unter Bedingungen der Leibeigenschaft lebte. 55 Popplow (2010b). 56 Dieser Hausgarten befand sich in der Dorotheenstraße (Letzte Strasse), auf dem gleichen Grundstück, auf dem auch das akademische Laborgebäude stand. 57 Zitiert nach Müller (2002), 80. 58 Zitiert nach Müller (2002), 79. 59 Die staatliche General-Tabaks-Administration war 1766 gegründet worden. Sie regelte den Einkauf des Rohtabaks und den Absatz der Fertigprodukte. Ende der 1770er-Jahre arbeiteten in der Behörde über 50 „Tabacksofficianten“; Herzfeld (1994), 192. 60 Zitiert nach Müller (2002), 82, 84. 61 Zitiert nach Müller (2002), 84. 62 Heute gehört dieses Dorf zum Berliner Stadtteil Mahrzahn-Hellerdorf. 63 Müller (2002), 159 − 174. 64 Klein und Lefèvre (2007). 65 Marggraf (1761 − 1767), 70. 66 Siehe zum Bespiel Bohn (1788), 1061, wo von dem „wesentlichen süßen Salz des Zuckerrohrs“ die Rede ist. 67 Marggraf (1761 − 1767), 73. 68 Ebd., 84. 69 Siehe Müller (2002), 186 – 194. 70 Burgsdorf (1780); Burgsdorf (1788 − 96). 71 Zitiert nach Müller (2002), 189. 72 Zitiert nach Müller (2002), 185.
73 Zit. nach Müller (2002), 165. 74 Registres der Königlichen Akademie der Wissenschaften vom 24 August 1786 bis 18. December 1800, ABBAW I-IV-33, Blatt 195, 204. Weitere Vorträge folgten am 8.12.1796 („H. Achard hat gelesen: „Vermischtes und Beobachtungen über die Ökonomie, Landwirtschaft und Vegetation“, ebd., Blatt 253); am 25.1. 1798 (über Keimung von Getreide; ebd., Blatt 281) sowie 1798. 75 Achard (1797). 76 Ebd., S. 4. 77 Achard (1796). 78 Zitiert nach Müller (2002), 165. 79 Zitiert nach Müller (2002), 166 – 167. 80 Zitiert nach Müller (2002), 166, 167. 81 Zitiert nach Klemm und Meyer (1968), 28. 82 Thaer (1791); Thaer (1798 – 1804). 83 Humboldt (1973), 137. Zu Heinitz (oder Heynitz) siehe Weber (1976). 84 Humboldt (1792b). Zur zeitgenössischen Salzgewinnung siehe Vogel (2008). Zum Konzept der nützlichen Wissenschaften siehe Klein (in Vorbereitung). 85 Humboldt (1973), 140. 86 Ebd., 143. 87 Zur Lehre an der Freiberger Bergakademie um 1790 siehe Schellhas (1959); Sennewald (1994); Wagenbreth (1994). Zu Bergakademien im Allgemeinen siehe Schleiff und Konečný (2013). 88 Diese Äußerung stammte von Werners Freund Georg Forster; Guntau (1984), 105. 89 „Einfahren“ ist ein bergmännischer Terminus, der jede Art des Betretens und Fortbewegens in einer Grube umfasst. Im 18. Jahrhundert „fuhr“ man meist zu Fuß in die Grube ein oder stieg auf Leitern in die Tiefe ab. 90 Lauterbach (1994). 91 Zitiert nach Schellhas (1959), 372. 92 Humboldt (1973), 144. 93 Ebd., 144. 94 Ebd., 160 − 161. 95 Werner (1791), 201. 96 Zimmermann (1744), unpaginiert; Zimmermann (1746), 54 − 55, 128. 97 Zitiert nach Schellhas (1959), 410. Nach seiner Rückkehr von der Amerikareise führte Humboldt in Paris mit dem Chemiker Joseph Louis Gay-Lussac (1778 – 1850) Luftanalysen durch und befreundet sich mit ihm. Auch mit dem jungen Naturforscher François Arago (1786 – 1853) schließt er zu dieser Zeit eine enge Freundschaft. 98 So bezeichnet ihn Freydank (1961) schlicht als „Bergmann“. Zu Freiesleben siehe auch Schellhas (1959) und Wagenbreth (1994).
Fußnoten
99 Siehe Schellhas (1959), 360 − 63 und Wagenbreth (1994). 100 Humboldt (1973), 144. „Himmelfahrt“ und „Abraham“ sind Grubennamen. 101 Ebd., 144. Nach Schellhas erhielten die sächsischen Stipendiaten der Freiberger Bergakademie „Freigedinge“, d. h. sie verrichteten Häuerarbeiten gegen Wochenlohn. Humboldt war jedoch kein Stipendiat; Schellhas (1959), 355 − 56. 102 Schellhas (1959), 351, 363 − 64; Teich (1975); Konečný (2012). 103 Humboldt (1973), 147. 104 Ebd., 153 − 154. „Oryktognosie“ war Werners Bezeichnung für Mineralogie. 105 Einige der Modelle und Objekte, die Humboldt kennenlernte, existieren heute noch; siehe Jentsch (1994). 106 Klein (1994). 107 Kühn (1994). 108 Humboldt (1973), 143, 150. 109 Humboldt (1793). Der physiologische Teil dieser Schrift wurde 1794 ins Deutsche übersetzt und separat publiziert; Humboldt (1794). 110 Humboldt (1792a). 111 Ebd., 151. 112 Humboldt (1792b); Humboldt (1973), 164. 113 Humboldt (1973), 157, 170. 114 Siehe Baumgärtel (1963). 115 Siehe Klein (in Vorbereitung). 116 Trebra (1818), 11. 117 Baumgärtel (1963) 59 − 61, 71 − 72. 118 Baumgärtel spricht von einer „allgemeinen Stagnation des erzgebirgischen Bergbaus von der zweiten Hälfte des 16. bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts“; Baumgärtel (1963), 53. 119 Ebd., 63 − 64. 120 Auch von dem Bussche geschrieben. Bartels (1992), 285 − 322. 121 Weber (1976), 69. 122 Baumgärtel (1963), 62 − 63. 123 Zitiert nach Baumgärtel (1963), 64. 124 Agricola (1556), 31. 125 Agricola (1556), 31, 33. Der Skeptizismus gegenüber der Wünschelrute bzw. ihre Ablehnung ist somit nicht erst das Resultat der Aufklärung, sondern existierte bereits rund zweihundert Jahre früher. 126 Siehe dazu auch Kap. 25 − 27 und Klein (2014). 127 Baumgärtel (1963), 80. 128 Heinitz (1771).
129 Baumgärtel (1963), 44 − 47. 130 Heinitz (1771), 180 − 182. 131 Zitiert nach Bruhns (1969), Bd. 1, 134 − 35. Zum Humboldts Tätigkeit im Bergbau siehe auch Baumgärtel (1959); Beck (1959); Klein (2012a); Kühnert (1959); Schleucher (1985); Scurla (1955). 132 Dieses von dem Großen Kurfürsten errichtete und im 18. Jahrhundert erweiterte Gebäude war auch Sitz der Königlichen Giro- und Lehnbank. Es lag an der Kreuzung der Jäger- und Oberwallstraße. 133 Humboldt (1973), 175. 134 Humboldt (1792c). 135 In der Amtszeit von Heinitz gab es vier Hauptbergwerksdistrikte (bzw. „Oberbergamtsbezirke) mit Oberbergämtern in Berlin (die „Bergwerks- und Hüttenadministration“), Halle, Breslau und Dortmund; Schulz-Briesen (1933), 34. 136 Humboldt (1973), 175. 137 Preußische Akademie der Wissenschaften (1892 − 1982), Bd 15, 587 f. 138 Zitiert nach Schwedt (1998), 24. 139 Zitiert nach Weber (1976), 19. 140 Timm (1964), 66. 141 Humboldt (1973), 179. 142 Auch Friedrich Wilhelm II. war Mitglied des Rosenkreuzerordens, der regelmäßig spiritistische und alchemistische Sitzungen abhielt; siehe Neugebauer (1996 − 2003), Bd. 2, 58 − 63; Oppeln-Bronikowski (1927), 140 − 160. 143 Humboldt (1973), 31, 151. 144 Ebd., 175, 173. 145 Zu Struensee siehe Straubel (1999). 146 Neugebauer (1996 − 2003), Bd. 2. 147 Die verbleibenden 6 Prozent wurden als Staatsschatz angelegt; Neugebauer (1996 − 2003), Bd. 2, 17. 148 Gerhard war der erste preußische Bergrat, der diesen Titel nicht nur ehrenhalber trug, und der erste naturforschende Bergbeamte, der jahrzehntelang in preußischen Staatsdiensten stand; siehe Klein (2012b). 149 Werner schrieb, Gerhard habe „besonders viele wichtige und erklärende Erfahrungen“ über Erzgänge gesammelt; Werner (1991), 42 − 43. 150 Es gibt nur wenige Zeugnisse ihrer Begegnung. So schrieb Humboldt Anfang Juni 1792 an Freiesleben, Gerhard habe ihm „recht scharfsinnige Ideen über die Kristallisationen des Kalkspats“ mitgeteilt, und 1795 bat er seinen Freund Karsten in einem Brief, Mineralien an Gerhard weiterzugeben; Humboldt (1973), 193, 448. 151 Lehmann (1936).
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152 Ebd., 81, 75. 153 Zu Hagens Reformpolitik siehe Johnson (1975). 154 Im Unterschied zu Gerhard führte Lehmann den Bergratstitel nur ehrenhalber und bezog auch kein festes Gehalt. Zu Lehmann siehe Freyberg (1955). 155 Als Geheimer Oberfinanzrat verdiente Gerhard das Vielfache eines Universitätsprofessors. Von der Akademie der Wissenschaften erhielt er zusätzlich eine jährliche „Pension“ von 600 Reichstalern; siehe Wutke (1913), 437, 441. 156 Treue (1984), 57 − 60, 89. 157 Klagen über den „Schlendrian“ schlesischer Beamter waren keine Seltenheit; siehe Wutke (1913), 9 − 12; Fechner (1900 − 1901), 33 − 44, 55 − 59; Fechner (1907). 158 Die umfassendste zeitgenössische Darstellung der Eisen- und Stahlgewinnung war Gabriel Jars’ vierbändige Yoyages Métallurgiques (1774 − 81). Gerhard übersetzte dieses Werk später mit Anmerkungen ins Deutsche; siehe Gerhard (1777 − 1785). 159 Lehmann (1752). 160 Ebd., 31. Zu Lehmanns Ansatz siehe Oldroyd (1996); Laudan (1987). 161 Fechner (1990 − 01), Teil 2, 37 − 44. 162 Agricola (1556) 88 − 90. 163 Fechner (1900 − 01), Teil 2, 21. 164 Gerhard (1779). Zu Schaffgotts Blaufarbenproduktion siehe Wutke (1913), 35, 39, 439. 165 Fechner (1900 − 01), Teil 2, 249. 166 Registres der Akademie der Wissenschaften von 21. August 1766 bis 17. August 1786, ABBAW, I-IV-32, Blatt 62, 67. Durch spätere Inspektionsreisen erweiterte Gerhard seine Mineraliensammlung, sodass diese um 1780 rund 4000 Mineralienarten umfasste. 167 (Gerhard 1771); siehe dazu auch Klein (in Vorbereitung). 168 GStA PK, I. HA, Rep. 121 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abt. Bergwerks-, Hütten- und Salinenwesen, Nr. 7957 (im Folgenden: GStA PK, Nr. 7957), Blatt 15. Zu Folgendem siehe auch Klein (2010b). 169 GStA PK, Nr. 7957, Blatt 33. 170 Während Hagen den Terminus „Berg-Schule“ verwendete, sprach Gerhard in seinem Memorandum von einem „Plan zu einer volständigen Berg-Information“. 171 GStA PK, Nr. 7957, Blatt 2–8. 172 Ebd., Blatt 9. 173 Ebd., Blatt 15. 174 Krusch (1904). 175 GStA PK, Nr. 7957, Blatt 16.
176 Ebd., Blatt 30. 177 Ebd., Blatt 37. 178 Ebd., Blatt 27. 179 Ebd., Blatt 28. 180 Ebd., Blatt 27 − 28. 181 Ebd., Blatt 30, 41. Zur Akademie der Künste siehe auch Kap. 13. 182 GStA PK, Nr. 7957, Blatt 10, 82 –92. Siehe dazu auch Klein (in Vorbereitung). 183 Zitiert nach Strecke (2000), 64. 184 Die Anordnung stammte vom 2. Januar 1766; siehe Preußische Akademie der Wissenschaften (1892 − 1982). Bd. 15, 280. 185 GStA PK, Nr. 7957, Blatt 42 − 43. 186 Siehe Strecke (2000), 55 − 86. 187 GStA PK, Nr. 7957, Blatt 34 − 35. 188 Ebd., Blatt 28 − 29. Zu Gleditsch siehe Kap. 4. 189 Mit einem Jahresgehalt von 100 Reichstalern konnte man nur einen bescheidenen Lebensunterhalt bestreiten. Ein schlesischer Oberbergmeister verdiente 1777/78 jährlich 600 Rt., ein Oberschichtmeister rund 170 Rt. und ein Kanzlist rund 100 Rt., während ein einfacher Bote mit rund 50 Rt. auskommen musste; 1786/87 Fechner (1900 − 1901), Teil 1, 355. Nach Henning lag das Jahresgehalt eines Berliner Maurers gegen Ende des 18. Jahrhunderts bei 60 − 70 Talern; Henning (1991–2013), Bd. 1, 815. 190 GStA PK, Nr. 7957, Blatt 55, 46, 79, 110. 191 Ebd., Blatt 56. 192 Ebd., Blatt 111. 193 Ebd., Blatt 122. 194 Ebd., Blatt 140 − 41; GStA PK, Nr. 7958, Blatt 16 − 18. 195 GStA PK, I. HA, Rep. 121 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abt. Bergwerks-, Hütten- und Salinienwesen, Nr. 141 (im Folgenden: GStA PK, Nr. 141), Blatt 4. 196 GStA PK, Nr. 7957, Blatt 165 − 66, 172; GStA PK, Nr. 7958, Blatt 2 − 4. 197 GStA PK, Nr. 7957, Blatt 146. 198 Ebd., Blatt 110. 199 Ebd., Blatt 110, 113 − 114. 200 Ebd., Blatt 146, 160. Valentin Rose starb am 28. April 1771. 201 GStA PK, Nr. 141, Blatt 5, 11, 13. Damit hat Friedrich II. vermutlich die Apothekerlaboratorien gemeint. 202 Ebd., Blatt 14, 24. 203 GStA PK, Nr. 7958, Blatt 53. 204 Ebd., Blatt 56–60. Zu diesen Experimenten siehe Klein (in Vorbereitung).
Fußnoten
205 GStA PK, Nr. 141, Blatt 30 − 36. 206 GStA PK, Nr. 7958, Blatt 95, 103. 207 Ebd., Blatt 129, 144 − 145. 208 Ebd., Blatt 144. 209 Ebd.; Gerhard (1780). 210 Autographensammlung der Bibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin, Nr. 411, Blatt 1. 211 GStA PK, Nr. 7958, Blatt 145. 212 ABBAW I–XIII−2, Acta Betreffend das Physicalische Instrumenten Cabinet und die Anwendung des dazu ausgesetzten Fonds, Blatt 38 − 40; ABBAW I–V–72, Acta Betreffend die Anleitung eines sogenanten Conducteur oder Wetter-Ableiter zur Sicherheit des Vorraths-Magazin-Gebäudes am Schlesischen Tore (hier war auch der Mathematiker Lambert involviert); ABBAW I–V–75, Acta Betreffend die von dem Entrepreneur Hanau verfertigte Holländische Dach-Pfannen und Fliesen welche die Electricité abhalten, Blatt 2. 213 Zitiert nach Müller (2002), 265. 214 GStA PK, Nr. 141, Blatt 46. 215 Hoppe (1995). Ferber hat diese Dozentenstelle jedoch nicht angetreten. 216 GStA PK, Nr. 141, Blatt 55. Die „alte Münze“ lag in der Unterwasserstraße, während sich die damalige „neue Münze“ in der Münzstraße, nahe dem Alexanderplatz, befand. 217 GStA PK, Nr. 7958, Blatt 45, 46. 218 Ebd., Blatt 70 − 90. 219 Kurella war der Schwiegersohn Johann Heinrich Potts. Mitte der 1750er-Jahre hatte Pott vergeblich versucht, ihm eine Professor am Collegium medico-chirurgicum zu verschaffen; siehe Lehmann (1936), 59. 220 GStA PK, Nr. 7957, Blatt 162, 172, 48. 221 Ebd., Blatt, 150, 26 − 30, 36 − 37; GStA PK, Nr. 7958, Blatt 46 − 47. 222 Mitte des 18. Jahrhunderts hatte die Zahl der Privatvorlesungen am Collegium, für die Hörergelder verlangt wurden, stark zugenommen, sodass Klagen auftraten, die Professoren vernachlässigten ihre öffentlichen, unentgeltlichen Vorlesungen; Lehmann (1936), 17 − 18, 21 − 22. 223 GStA PK, Nr. 7958, Blatt 86. 224 Ebd., Blatt 92; Nicolai (1786), 723. 225 Ebd., Blatt 86. 226 Ebd., Blatt 87, 93 − 94. 227 „Acta betreffend das Publicandum, wie es künftig mit Besetzung der Berg- und Hütten-Bedienungen gehalten werden soll“, in: GStA PK I. HA, Rep. 121 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abt. Bergwerks-, Hütten- und Salinenwesen Nr. 277 (im Folgenden GStA PK Nr. 277), Blatt 9 − 10.
228 Bereits im Herbst 1777 schickte Heinitz vier junge Anwärter zum weiteren Studium an die Freiberger Bergakademie. 229 GStA PK Nr. 277, Blatt 9. 230 GStA PK, Nr. 7958, Blatt 117, 122, 127 – 128. Am Zeichenunterricht nahmen zu dieser Zeit drei Eleven sowie ein Calculator und ein Registator teil. 231 Nicolai (1786), 779, 804 − 806. 232 GStA PK, Nr. 7958, Blatt 126 − 127. 233 Gerhard (Berlin 1773 − 76). 234 GStA PK, Nr. 7958, Blatt 130 − 135. 235 Ebd., Blatt 130. 236 Ebd., Blatt 131. 237 GStA PK, I. HA, Rep. 121, Nr. 7959 (im Folgenden: GStA PK, Nr. 7959), Blatt 154 − 157 238 Friedrich II. starb am 17. August 1786. Der genaue Zeitpunkt der Beendigung von Gerhards Lehrtätigkeit für das Bergwerks- und Hüttendepartment ist nicht bekannt. Am 16. Mai 1786 gab Heinitz noch Anweisungen an Bergrat Friedrich Philipp Rosenstiel zur Protokollführung bei Gerhards Examina; GStA PK, Nr. 277, Blatt 23. 239 Crell (1786a), 533. 240 Moennich wurde 1782 sowohl als Oberbergrat und Oberbaurat eingestellt, während Schulze nur Oberbaurat war. Schulze teilte Heinitz im November 1783 mit, seine Hoffnung, sich für seine „Verdienste belohnt zu sehen“, seien mit der Anstellung Moennichs „völlig verschwunden“; GStA PK, Nr. 7958, Blatt 153. 241 Weber (1976); Breil (1977). 242 Daber (1970); Hoppe (1987). 243 Gerhard (1773 − 76), Bd. 1, Vorrede (unpaginiert). 244 Gerhard (1773 − 76) Bd. 2, Vorrede (unpaginiert). 245 Rudwick (2005); Guntau (1984). 246 Werner (1787); ein Vorabdruck dieses kurzen Büchleins erschien bereits 1786 in den Abhandlungen der Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften. 247 1797 überarbeitete Gerhard sein klassifikatorisches System nochmals (Gerhard, 1797). Zu Klaproths chemischer Mineralogie siehe Kapitel 21. 248 Olesko (2009). 249 Vogler und Vetter (1973); Strecke (2000), 28 − 54; Jaeckel (2000). 250 Zitiert nach Simon (1902), 678. Noch im selben Jahr kam es zur Einrichtung einer „Oberexaminationskommission“ und zur Einführung einer Zulassungsprüfung für alle preußischen Baubeamten. 251 Hannesen (2005); Müller (1896); Simon (1902), 642 − 690.
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Anhang
252 Zitiert nach Stecke (2002), 121 − 22. 253 Simon (1902), 677 − 679; Kahlow (2000), 36 − 37. Diese Schule wurde auch als „Sale de Génie“ bezeichnet (Strecke, 2000, 122 − 24). 254 1788 war in Potsdam zudem eine „IngenieurAkademie“ gegründet worden, in der Militäringenieure eine vierjährige Bauausbildung erhielten. 255 Simon (1902), 655 − 680; Strecke (2000), 124 − 25; Lundgreen (1975), 12 − 16. 256 Zitiert nach Strecke (2000), 128, 129 257 Strecke, Baier, Blauert, C Brandt-Salloum et al. (2000), 129 − 131; Henderson (1961), 314. 258 Das „Oberbaudepartment“ wurde 1804 reorganisiert und dann als „Oberbaudeputation“ bezeichnet. 259 Zitiert nach Strecke (2000), 133. 260 Zitiert nach Strecke (2000), 134. In den „Grundsätzen“ für die Bauakademie vom 13. April 1799 hieß es, diese sei „ein zugehöriger Theil von der Akademie der Künste“; zitiert nach Simon (1902), 681. 261 Strecke (2000), 131. 262 Ebd., 137. 263 GStA PK, Nr. 7959, Blatt 91, 95, Blatt 92, 98. Hermbstaedt übernahm das Gehalt des gleichzeitig entlassenen Moennich. Zu Hermbstaedt siehe Mieck (1965a); Friedrich und Schüman (1990). 264 Zu Hermbstaedts Ahornzuckerprojekt siehe Kap. 5. 265 Zitiert nach Friedrich und Schüman (1999), 261 − 62. 266 Zitiert nach Stürzbecher (1978), 192 − 93. 267 ABBAW, I-IV-33, Blatt 336. 1808 wurde er ordentliches Mitglied. 268 Goldschmidt und Goldschmidt (1888). 269 Zitiert nach Matschoß (1911), 239, 241. Zur preußischen Gewerbepolitik nach der Reorganisation der Staatsverwaltung siehe auch Brose (1993). 270 Lundrgen (1975), 24 − 32. 271 Zitiert nach Goldschmidt und Goldschmidt (1888), 362. 272 In Berlin gab es seit 1747 auch eine Realschule. Zu den Unterschieden dieser von Johann Julius Hecker gegründeten alten Realschule und den zeitgenössischen Vorstellungen über eine angemessene schulische Ausbildung von Kindern des Gewerbestandes siehe Lundgreen (1975), 10 − 40. 273 Um 1800 arbeiteten rund 10 Prozent der im preußischen Gewerbe beschäftigen Personen in Manufakturen; Henning (1991 − 2013), Bd. 1, 824.
274 Herzfeld (1994), 15, 132; siehe dazu auch Kaufhold (1978), 111, 127 − 130; Blumberg (1965), 14. Bis 1740 bestand ein Produktionsverbot für Baumwollstoffe, um die einheimische Wollproduktion nicht zu gefährden. Friedrich II. hob dieses Verbot auf, ohne jedoch die Baumwollstoffproduktion direkt finanziell zu fördern. Dagegen förderte er das Seidengewerbe mit insgesamt über 1,8 Millionen Talern (von 1740 bis 1786). 275 Jones (2008); Mokyr (2002). 276 Chapman (1981); Homburg (1999); Nieto-Galan (2001); Kaufhold (1978), 139. 277 Lehman (2012). 278 Zu seinen wichtigsten Publikationen zu diesem Thema gehörte Hermbstaedt (1802). 279 Zitiert nach Mieck (1965a), 344 − 45. 280 Lundgreen (1975), 40, 16, 43, 54 − 62; Mieck (1965b), 38 − 42. Zum Gewerbeinstitut siehe Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (2014). 281 Neugebauer (2003), 90 − 93; Reuter (1961), 5; Hartung (1906). Das Gebiet der beiden Fürstentümer umfasste den Kern des heutigen Mittelfranken und den östlichen Teil des heutigen Oberfranken; dazwischen lag das Gebiet der freien Reichsstadt Nürnberg. 282 Zitiert nach Köhl (1913), 105. Siehe auch Humboldt (1792d), 88; Reuter (1961), 126 − 127. 283 Trebra (1818), 27 − 28. 284 Hardenberg (1797). Die um 1757 gegründete Porzellanmanufaktur zu Bruckberg war für ihre „Türkenbecher“ bekannt, die über ein Handelshaus in Wien in die Türkei exportiert wurden. Nach Reuter war sie eine der wenigen staatlichen Manufakturen in den beiden Fürstentümern; Reuter (1961), 22, 74. 285 Kühnert (1959), 26. 286 Humboldt (1797a), Blatt 3. 287 Humboldt (1792d). 288 Ebd., 75. 289 Ebd., 101. 290 Ebd., 101. 291 Ebd., 139 − 140. 292 Ebd., 142, 144. Bei dem Hunt handelte sich dabei um einen kastenförmigen, vierrädrigen Förderwagen, der auf zwei hölzernen Schienen lief; siehe Bartels (1992), 120 − 22. 293 Humboldt (1792d), 145. 294 Humboldt (1973), 213, 218. 295 Humboldt (1797a), Blatt 3. 296 Humboldt (1973), 209. 297 Ebd., 211. 298 Ebd., 210.
Fußnoten
299 Ebd., 207. 300 Zu Humboldts erster „halurgischer Reise“ siehe auch Beck (1959), 51 − 53. 301 Humboldt (1973), 217, 220. 302 Ebd., 251. 303 Siehe dazu Hardenberg (1797), 98. 304 Humboldt (1792d), 124 − 131, 127. 305 Humboldt (1973), 310. 306 Hardenberg (1797), 100 − 101; Humboldt (1797a), Blatt 8 − 10, 26. 307 Humboldt (1973), 257 − 58, 265. 308 Ebd., 312, 361; Humboldt (1823). 309 Humboldt (1973), 352. 310 Ebd., 454. 311 Humboldt (1797b), Bd. 1, 3. 312 Humboldt (1973), 465, 505. 313 Ebd., 315. 314 Zitiert nach Borch (1948), 82. 315 Zitiert nach Köhl (1913), 125. 316 Der Unterricht in der Bergschule ist daher fünffach schrieb Humboldt 1797 in seinem letzten Amtsbericht. „[:] a.) im Schön- und Rechtschreiben. Die Vorschriften enthalten in kurtzen Sätzen die unentbehrlichsten Kenntniße des Bergmanns. b.) Im Bergmännischen Rechnen mit der Lehre vom Kompaß, von Ausmeßen der Flächen und andern Aufgaben aus dem bürgerlichen Leben. c.) In Vorkenntnißen aus der Gebürgslehre, besonders von den Lagerstätten der Erzte, von Gängen, Flözzen und Stockwerken; hierbei werden deutliche Muster der gemeinsten Erze und andern nutzbaren Foßilien vorgewiesen. d.) In den Vaterländischen Gesetzen nach der Bergordnung und Observanz und e.) in der Ges[ch]ichte des vaterländischen Bergbaus.“ Humboldt (1797a), Blatt 6. 317 Humboldt (1973), 311 − 312. 318 Humboldt (1797a), Blatt 7. 319 Humboldt (1973), 298. Friederich Philipp Rosenstiel war damals die rechte Hand von Heinitz. 320 Humboldt (1973), 335; Humboldt (1797a), Blatt 18. Zu diesem Stollen siehe auch Holl und Schulz-Lüpertz (2012), 54. 321 Humboldt (1973), 301, 313, 335. 322 Ebd., 346. Die Verhandlungen führten im April 1795 zum Frieden von Basel, in dem Preußen das linke Rheinufer an Frankreich abtrat; Hardenberg gilt als „Vater“ des Baseler Friedens. 323 Humboldt (1973), 375. 324 „Matte Wetter“ enthalten einen geringeren Sauerstoffanteil als gewöhnliche Luft und Beimengungen ungiftiger Gase wie Kohlendioxid, Stickstoff, Wasserstoff. In „bösen“ Wettern lag
der Sauerstoffgehalt unter 16 Prozent; gelegentlich enthielten diese auch giftige Gase. Eine dritte „Wetterart“ waren die „schlagenden Wetter“, die u.a. Methan enthalten und daher zu heftigen Explosionen führen konnten. Für Letztere waren Humboldts Erfindungen nicht gedacht. 325 Humboldt (1796), 104. 326 Humboldt (1799a), 12. 327 Ebd., 11, 14. 328 Humboldt (1796), 102. 329 Humboldt (1799a), 15 − 16. 330 Ebd., 12. 331 Humboldt (1795), 111. 332 Humboldt sprach zum Beispiel in einem Brief an Friedrich von Schuckmann über die Notwendigkeit der Einhaltung der „Gesetze der Sittlichkeit“ im Amt; Humboldt, (1973), 540. Der Begriff der Sittlichkeit hatte im 18. Jahrhundert eine ethische und gesellschaftliche Dimension. 333 Beck (1959), 1. 334 Humboldt (1795). 335 Ebd., 106. 336 Humboldt (1799a). Der Begriff „Gebirgsart“ ist hier im Wernerschen Sinn als Gesteinsformation zu verstehen, die unter chemischen, strukturellen und historisch-genetischen Gesichtspunkten untersucht wird. 337 Humboldt (1795), 107. 338 Ebd., 109 (Fußnote). Siehe auch Humboldt (1799a), 256. 339 Humboldt (1799a), 250. Die Verwendung von Sauerstoff im großen Maßstab zur Verbesserung von Grubenluft wird erst hier ausführlich diskutiert. 340 Als Brennmaterial für die Grubenlampen diente Öl, Wachs oder Talg. 341 Humboldt (1795), 110f. 342 Humboldt (1796), 106. 343 Ebd., 100. 344 Humboldt (1973), 504. 345 Humboldt (1796). Wie aus Briefen Humboldts hervorgeht, erschien der Aufsatz zwischen dem 2. Oktober und 17. November 1796; siehe Humboldt (1973), 528 und 549. 346 Das Luftrohr wurde nun aus technischen Gründen nicht mehr waagerecht, sondern senkrecht in die Lampe eingeführt und direkt unter dem brennenden Docht angebracht; Humboldt (1796), 108. 347 Ebd., 204. Humboldt erwähnte, er habe das Mundstück von Beddoes Respirationsmaschine übernommen (ebd., 206, 207). Humboldt glaubte zudem, die Einatmung reinen Sauerstoffs sei gesundheitsschädlich.
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348 Zwischen 1755 und 1872 betrug ein Fuß in Preußen 31,385 Zentimeter. 349 Humboldt (1973), 535; 504. 350 In Humboldt (1799a) wird dafür folgende chemische Erklärung gegeben: „Versuche haben indessen gelehrt, dass auf diesem Wege Lichter nicht erhalten werden können, weil die Wärme die einströmende Luft unzersetzt verjagt und die Kohlensäure dagegen eine stehende Hülle um die Flamme bildet“ (Humboldt 1799a, 252). 351 Humboldt vermutete, dass sich infolge der Verbrennung eine Kohlendioxidhülle um die Flamme legt, die nur durch von allen Seiten zugeführte Luftströme durchbrochen werde; Humboldt (1973), 533. 352 Humboldt (1973), 533. 353 Ebd., 546 − 50. 354 Ebd., 557. 355 Ebd., 561. Humboldt zeigte seine Erfindung im März 1797 im Intelligenzblatt der Allgemeinen Literatur-Zeitung an (ebd., 554). Am 25. November 1796 schrieb Humboldt an Freiesleben: „Mein Luftball wird in Leipzig gemacht“, ebd., 553. 356 Göttling (1797), 199 − 206. Da sich Humboldt häufig in Jena zu Besuchen seines Bruder aufhielt, kannte ihn Göttling persönlich und kommunizierte mit ihm auch über seine Grubenlampe (ebd. 206). Zu Klinger siehe Humboldt (1799a), 254. 357 Siehe Kap. 28. 358 Humboldt (1792b), 16, 102. 359 Ebd., 2. 360 Humboldt (1973), 524. 361 Gleichzeitig gab es erste Anwendungen für medizinische Studien; siehe Watermann (1968); Dettelbach (1999). 362 In beiden Fällen war das verschlossene Ende des Glaszylinders zu einem kleinen Kolben erweitert, der den brennbaren Phosphor bzw. Schwefelleber enthielt. Der Kolben wurde von außen mit einem Wachsdocht erhitzt, sodass der Phosphor bzw. die Schwefelleber mit dem Sauerstoff verbrannten und so eine Volumenminderung bewirkten. 363 Humboldt (1973), 524, 529. 364 Ebd., 535. 365 Ebd., 529. 366 Humboldt (1799b). 367 Humboldt (1799a), 255. 368 Humboldt (1797b), Bd. 2, 3–5. 369 Humboldt (1799a), 24 − 25; ebd., 5. 370 Eine Ausnahme ist Hanno Beck, der in Humboldts Ablehnung des absolutistischen Staa-
tes den Hauptgrund der Beendigung seines Dienstverhältnisses sah; Beck (1959), 83. 371 Humboldt (1973), 335, 378. 372 Zitiert nach Wutke (1913), 268, 269. 373 Zitiert nach Bruhns (1969), Bd. 1, 164. Der Brief wurde von Oberbergrat Rosenstiel im Namen von Heinitz geschrieben. 374 Humboldt (1973), 413. Kühnert (1959), 55. Bruhns (1969), Bd. 1, 165. 375 Der Bericht war am 24. Februar 1797 abgeschlossen. Er besteht aus einem Haupttext, den Humboldt im Sommer 1794 zu schreiben begann und der als Kopie eines Schreibers (mit vielen Rechtschreibefehlern) vorliegt. Der Haupttext enthält zahlreicheFußnoten, die Humboldt im Auftrag Hardenbergs bis 1797 in drei Überarbeitungen hinzufügte. Hardenberg benötigte Humboldts Bericht für seinen eigenen Rechenschaftsbericht (vom 10. Juni 1797); siehe Hardenberg (1797). 376 Humboldt (1797a), Blatt 2, 12, 18. 377 Ebd., Blatt 24, 6. 378 Ebd., Blatt 6; 8 − 9, 10, 26; 14. 379 Humboldt (1973), 311. Humboldt (1797a), Blatt 19 („Teufe“ ist ein bergmännischer Terminus für „Tiefe“); Blatt 20. 380 Humboldt (1973), 188. 381 Zitiert nach Beck (1959), 50. 382 Humboldt, Wilhelm von (1799), IV. 383 Heinitz (1786), Vorrede (unpaginiert); Heinitz (1771), 175. 384 Humboldt (1797a), Blatt 2. 385 So schilderte Humboldt seine positiven Eindrücke von französischen Soldaten während seiner zweiten diplomatischen Mission in Württemberg im Juli 96; Humboldt (1973), 520 − 21. 386 Humboldt, Wilhelm von (1799), VI. 387 Friedrich Wilhelm II. war Mitglied der Rosenkreuzerloge, sein Marmorpalais war ein Treffpunkt der Rosenkreuzer. Clark (2007), 316 − 323; Neugebauer (1996 − 2003), Bd. 2, 58 − 63; Oppeln-Bronikowski (1927), 158 − 160. 388 Bei den „Erden“ handelte es sich in heutiger Terminologie meist um Metall- und Halbmetalloxide; Klaproth entdeckte somit 1789 ein Zirkoniumoxid; siehe Klaproth (1789c). 389 Fischer (1820), 15 – 16. 390 Dann (1958), 14. Nach Dann stammte diese Begründung von Klaproth. 391 Klein (2007a), (2007b); Stürzbecher (1966). 392 Fischer (1820), 11. 393 Stoeller (1800), 689. Zitiert nach Dann (1958), 18 und nach Fischer (1820), 12; Liphardt (1784), 3. Zu Wiegleb siehe auch Klosa (2009).
Fußnoten
394 Martius (1847), 12 − 14. Anonym (1793), 57 − 59. 395 Grünhagen (1939); Lorenz (1938). 396 Dann (1958), 21; Martius (1847), 14. 397 „Chemische Medikamente“ wurden in den Arzneibüchern systematisch unterschiedenen von den simplicia, den einfachen Heilkräutern und weitgehend unbehandelten Stoffen tierischer Herkunft, und von den galenischen composita, die durch mechanisches Mischen der simplicia hergestellt wurden. Bei den Destillaten war die Klassifikation oft nicht eindeutig, da nicht jedes Destillat als „chemisches Medikament“ galt. Siehe Schneider (1962) und (1968 − 74); Hickel (2008). 398 Die brandenburgischen Medizinaledikate von 1685 und 1693 sind wiedergegeben in Stürzbecher (1966), 27 − 34, 43 − 64. 399 Zitiert nach Stürzbecher (1978), 192. 400 Warum Klaproths Lehre nur fünf Jahre und nicht wie vorgeschrieben sechs dauerte ist unklar. Zitiert nach Dann (1958), 23. 401 Westrumb (1825). 402 Diese Apotheke lag in der Mohrenstraße, Berlin Mitte. 403 Hufbauer (1982); Tomic (2010). 404 Klein (2010). 405 Klein (2008a), (2008b). 406 Krünitz (1773 − 1858), Bd. 58, 47. 407 Zedler (1732 − 1750), Bd. 16, 30. 408 GStA PK, XX. HA, Historisches Staatsarchiv Königsberg, Etatsministerium 83b, Nr. 80, „Verschiedene Kriegsangelegenheiten: Zeughaus, Artillerie, Pulvermühle zu Königsberg, Feuerwerkslaboratorium“, Blatt 21. GStA PK, II. HA, Generaldirektorium, Abt. 30 I, Oberbaudepartment, Nr. 239, „Acta wegen der Artillerie Verwahrungs Gebäude zu Berlin“, Blatt 3. 409 1799 wurde noch der Bau eines großen Dienstgebäudes mit Laboratorien für Hermbstaedt begonnen. 410 Hufbauer (1982). 411 An der Gesamtzahl der in Stadt und Land ansässigen Apotheker gemessen, dürfte der Prozentsatz der Apotheker, die auch als Chemiker galten, nicht über fünf Prozent gelegen haben; Klein (2007a). 412 Klaproth (1784), 94. 413 Der Freimaurer und Arzt Elieser Bloch schloss Klaproths ersten Aufsatz, der sich mit Kopal beschäftigte, in seiner eigenen Publikation von 1776 über die Naturgeschichte des Kopal ein; Dann (1958), 34. 414 Dann (1958), 36. 415 Dann (1958), 99. Der Heißluftballon der Gebrü-
der Montgolfier war im Juni 1783 in einem kleinen französischen Dorf aufgestiegen. 416 Anonym (1784), 342. 417 GStA PK, Nr. 7958, Blatt 162. 418 Dann (1958), 91. Die Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin hatte 12 ordentliche Mitglieder, alle anderen waren Ehrenmitglieder oder außerordentliche Mitglieder. 1791 wurde Klaproth ordentliches Mitglied. 419 Szabadváry (1966). 420 Fischer (1820), 24. 421 Humboldt (1973), 73. 422 Kopp (1843 − 47), Bd. 4, 82. Zu Klaproths Entdeckung von Uran siehe auch Klein (2014a). 423 Über diese Reise berichtete er in Klaproth (1789c), 8. 424 Klaproth (1789d); siehe dazu auch Hoppe (1989). 425 Klaproth (1786). Humboldt machte die Bemerkung über seinen „vortrefflichen Freund“ in Humboldt (1797b), Bd. 2, 367. 426 Nicolai 1786, 819, 816. Die Sammlung ist teilweise erhalten geblieben und heute im Berliner Naturkundemuseum untergebracht. 427 Klaproth (1789b), 399. 428 KPM Archiv XVII.12, Blatt 57. Urangelb ist in einer Farbentabelle der KPM von 1838 als Farbennr. 28 angeführt; siehe Köllmann und Jarchow (1987), 323. 429 Siehe dazu die Bibliographie von Klaproths Veröffentlichungen in Dann (1958), 110 – 128. 430 GStA PK, Nr. 7959, Blatt 1. 431 GStA PK, I. HA, Rep. 121 Ministerium für Handel und Gewerbe. Abt. Bergwerks-, Hütten und Salinenwesen, Hüttenkonzession, Nr. 481/1., Blatt 2 – 10. 432 Ebd., Blatt 12 – 14. 433 GStA PK, Nr. 141, Blatt 57. KPM Archiv, XVII. 12, Blatt 20, 70. 434 GStA PK, II. HA, Kurmark, Tit: CXV, Sect.: 0,1, Apotheker Nr. 18, Blatt 6 (mit eingeheftetem Brief). 435 Löw (1951), 133. Merck produzierte noch bis in die 1850er-Jahre in einem Apothekerlabor, als er seine Produkte bereits in Südamerika und Asien absetzen konnte. 436 Dann (1958), 35, 37. Dies war ein enormer Gewinn, da die Inflationsrate zwischen 1780 und 1800 relativ niedrig war. 437 ABBAW I-IV-33, Blatt 38 − 41. 438 Harnack (1900), Bd. 1.1., 93. In Frankreich waren die Naturwissenschaften einerseits und die philologischen und historischen Fächer andererseits an zwei verschiedenen Akademien ver-
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treten, der 1666 gegründeten Académie Royale des Sciences und der 1701 gegründeten Académie Royale des Inscriptions et Médailles; Letztere wurde 1716 in Académie Royale des Inscriptions et Belles Lettres umbenannt. Auch die 1660 in London gegründete Royal Society beschäftigte sich ausschließlich mit naturwissenschaftlichen, mathematischen und technisch nützlichen Fragen. 439 Harnack (1900), Bd. 1.1., 300, 286, 307 440 Ebd., Bd. 1.1., 480, Bd. 1.2, 495 − 508; Hartkopf (1992). 441 Klaproth (1807/08), 1. Insgesamt drei Vorlesungsmitschriften sind veröffentlicht. Bei Klaproth (1789d) handelt es sich um eine Mitschrift seiner Vorlesung an der Artillerieakademie; bei Klaproth (1807/08) um die Mitschrift einer am Berliner Collegium medico-chirurgicum; bei Klaproth (1811/12) um eine Mitschrift seiner Vorlesung an der Berliner Universität. Über seine Vorlesungen für die Bergeleven liegen keine Dokumente vor. 442 Humboldt (1973), 525. 443 Wörtlich schrieb er: „Der Streit zwischen unserer und der Stahlschen Lehre scheint mir (in so fern er nicht Versuche betrift) bloß metaphysisch“ (Humboldt, 1973, 183); siehe dazu auch Klein (2012a), 54 − 57. 444 In vereinfachenden chemiehistorischen Darstellungen wird dagegen stets behauptet, die Gewichtszunahme eines Stoffs bei der Verbrennung bzw. Verkalkung sei ein eindeutiger Beweis für die Oxidationstheorie gewesen. Diese Darstellung ignoriert die zentrale Rolle des Wärmestoffs in Lavoisiers Theorie ebenso wie die Tatsache, dass es den Phlogistontheoretikern gelang, den Sauerstoff und andere Gase in ihr System einzubauen . 445 Klaproth (1789d), 7. 446 Klaproth (1791), 131, 123, 137. 447 Zitiert nach Beck (1959), 40; Hermbstaedt schreibt dies erst in der zweiten Auflage seiner deutschen Übersetzung von Lavoisiers Traité. Siehe auch Hermbstaedt (1792). 448 Klaproth, (1792/93), 17, 18. 449 ABBAW, 1-XIII-26, Acta wegen dem Herrn Director Achard bewilligten Laboratorii zur Fabrication des Zuckers aus Runckelrüben [,] Herr Director Achard übergiebt das Laboratorium an den Herrn Obermedicinal-Rath Klaproth [,] und das dadurch veranlaßten Baues eines neuen Laboratoriums”, Blatt 11. 450 Ebd., Blatt 12, 36. 451 Ebd., Blatt 8. 452 Zitiert nach Harnack (1900), Bd. 1.1., 68–69. 453 ABBAW I-XIII-19, Acta betr. das Laboratorium vol. I.
454 Ebd., Blatt 36; ABBAW I-XVI-119, Blatt 14. Siehe auch Harnack (1900), Bd. 1.1., 487; Bd. 2, 173 − 179. 455 Crell (1786b),181. 456 Während seiner Gesellenzeit hatte Marggraf ein Jahr lang an der Universität Halle und ein weiteres Jahr in Freiberg bei dem Bergrat und Chemiker Johann Friedrich Henckel studiert. Er hatte somit bessere chemische Kenntnisse als ein durchschnittlicher Apotheker und verkürzte auf diese Weise seine Gesellenzeit. Harnack (1900), Bd. 2, 68, 77. 457 Zitiert nach Dann (1968), 20. 458 Zitiert nach Müller (2002), 11. 459 Unter „Digerieren“ verstand man ein gelindes, lange anhaltendes Erwärmen eines Stoffes. 460 ABBAW I–XIII–20, Blatt 3 − 4. 461 ABBAW I–XVI – 134, Blatt 26 –29, ABBAW-IXVI-123, Blatt 27 (Abrechnung für 1757); ABBAW-I-XVI-128, Blatt 26 (Abrechnung für 1762), ABBAW-I-XVI-135, Blatt 27 (Abrechnung für 1769). 462 ABBAW I-XIII-20, Blatt 7. 463 Ebd., Blatt 16; ABBAW I-XVI-132, Blatt 24. 464 ABBAW I-XIII-20, Blatt 9 − 16; siehe auch Klein (2008a). 465 ABBAW I-XVI-133, Blatt 29. Das 1766 erstmals erwähnte „physikalische Kabinett“ wurde auch als „Instrumenten Cabinet” und „Kabinett der experimentellen Physik“ bezeichnet (ABBAW I-XIII-1, Blatt 20 − 21, 78 − 79). ABBAW I-XVI-134, Blatt 30; ABBAW I-XIII-20, Blatt 16. 466 Zitiert nach Müller, (2002), 7. 467 ABBAW I-XIII-21, Blatt 2; 14–20. Marggrafs Testament vom 26. Juni 1779 bestimmte Frau Poeschkin, die ihm „seit vielen Jahren … die treusten Dienste geleistet“ hatte, als „Universalerbin“, die sein „ganzes Vermögen, es bestehe worin es wolle“ übergehen sollte. Seiner Schwester Charlotte Luise und ihren Kindern vermachte Marggraf 2000 Reichstaler; Bandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 4 A, Testamente, Nr. 11292. 468 ABBAW I-XIII-21, Blatt 20, 14. 469 Zitiert nach Müller (2002), 173. 470 Nicolai (1786), 726. 471 Zitiert nach Mehring (1930), 244. 472 GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 49160. 473 Zitiert nach Müller (2002), 369, 89. 474 Zitiert nach Müller (2002), 373. 475 Zitiert nach Müller (2002), 386, 390. 476 Alexander von Humboldt (1797b), Bd. 1, 73. 477 Müller (2002), 183. 478 Zitiert nach Müller (2002), 544.
Fußnoten
479 Zitiert nach Müller (2002), 202. Abhandlung und Gutachten sind in Müllers Dokumentenanhang publiziert (ebd., 534 − 547). 480 Im Frühjahr 1800 veröffentlichte Achard eine Schrift über die Rübenzuckerherstellung im Großen, in der er „dem edlen Freunde“ Klaproth „öffentlich für seine zugleich freundschaftliche und patriotische Mitwirkung“ an seinem Projekt dankte; zitiert nach Müller (2002), 269. 481 Zitiert nach Müller (2002), 259. 482 ABBAW I-XIII-26, “Acta wegen dem Herrn Director Achard bewilligten Laboratorii zur Fabrication des Zuckers aus Runkelrüben …”, Blatt 1. 483 ABBAW I-XIII-26, Blatt 8. 484 Zitiert nach Müller (2002), 291–293. 485 ABBAW I-XIII-26, Blatt 13 − 29; 35 − 36; 48 − 51; 58–63, 84, 97. Das Akademiedirektorium diskutierte auf einer Sitzung am 4. Juni 1801 auch die Alternative der Renovierung des alten Laboratoriums, entschied sich aber für einen Neubau. 486 ABBAW I-XIII-26, Blatt 132. 487 Ebd., Blatt, 84, 65. 488 Ebd., Blatt 65. 489 Ebd., Blatt 65. 490 GStA PK, Nr. 7959, Blatt 105 – 106. 491 Klaproth (1804). 492 Im Frühstadium der Erfindungsarbeit gingen die wichtigsten Impulse von Tschirnhaus aus, während Böttger der Durchbruch in der Schlussphase gelang; Pietsch (2001). 493 Kolbe (1863); Köllmann und Jarchow (1987); Siebeneiker (2002); Walcha (1975). 494 Zitiert nach Siebeneicker (2002), 92, 90. Die folgenden technischen Beschreibungen basieren auf Siebeneicker (2002). 495 Die Zahl der Frauen und Kinder nahm in den 1790er-Jahren beträchtlich zu, aber bereits 1763 hatte Friedrich II. angeordnet, dass Waise aus dem Potsdamer Waisenhaus in der KPM angestellt werden sollen; GStA PK, 1 HA Geheimer Rat, Rep. 9 AV, E 166 II, Fasc. 3, Blatt 17, 21. 496 Die Laboranten und ihre Arbeit im Farbenlaboratorium sind in der Sekundärliteratur bisher kaum untersucht worden. Auch Siebeneicker geht nur am Rand auf sie ein. Es muss offen bleiben, ob alle Laboranten oder nur besonders verdiente von 1787 an verbeamtet wurden. 497 Zu ihren Aufgaben gehörte zuweilen auch die Herstellung der Tonkapseln für das Porzellanbrennen. 498 Zitiert nach Siebeneicker (2002), 147. 499 Grieninger (1987), 284; Walcha (1975), 85, 128. 500 Siehe dazu Klein (2014b). 501 Weber (1798), VII. Der Begriff „Alchemist“ war
vor dem 18. Jahrhundert meist synonym mit „Chymist“ oder „Scheidekünstler“, danach bedeutete er einen mit Goldmacherei beschäftigten Chemiker, der meist auch ein mystisches oder animistisches Naturverständnis hatte. 502 Walcha (1975), 81, 27. Der Terminus Arcanist wurde in England übernommen, jedoch nicht in Frankreich. In der Porzellanmanufaktur von Sèvres wurden vergleichbare Personen als „académicien chimiste” bezeichnet; Lehman (2012), 331. 503 Knobloch (2000), 5. Aus demselben Grund wurde die Zahl der Meißener Arcanisten 1731 auf vier erhöht. 504 Walcha (1975), 81 − 86. 505 Bei bunten Farbdekorationen bestand das Problem, dass die Farben aufgrund ihrer unterschiedlichen Schmelzpunkte nicht gleichmäßig in die Glasur einsanken, sodass die Porzellanoberfläche uneben war. Oder sie verflüssigten sich teilweise zu stark, sodass das Muster unscharf wurde. 506 Friedrich II. stellte im 1764 den Hofmaler Johann Christoph Jucht als Aufseher des Laboratoriums ein; Siebeneicker (2002), 141,147. 507 Siebeneicker (2002), 146. Riedel wurde in den 1790er-Jahren pensioniert, nachdem er zuvor zum Beamten befördert worden war (ebd., 222). Meerheim ist vermutlich vor 1787 verstorben. 508 Walcha (1975), 48 − 71, 82 − 84. 509 Gerhard (1779). Die Meißener Porzellanmanufaktur imitierte bleu royal schon seit 1765 (Walcha, 1975, 163). 510 KPM Archiv, XVII. 12 (Acta die Untersuchung des Farben-Laboratorii [...] betreffend), Blatt 8. Zweites Zitat nach Tetzlaff und Krohm (2007), 75. Die KPM verwendet bleu mourant auch heute noch. 511 KPM Archiv XVII. 27 (Acta das Arcanum und Farben Laboratorium mit denen dazu erforderlichen Materialien […] betreffend), Blatt 7. Zu Folgendem siehe auch Klein (2013). 512 KPM Archiv XVII. 27, Blatt 8, 14 − 15, 18; Siebeneicker (2002), 107. 513 KPM Archiv XVI. 27, Blatt 3. KPM Archiv XVII.12, Blatt 7. 514 Ebd., Blatt 10. 515 Ebd. Blatt 9 – 10. 516 Ebd., Blatt 17 − 30; der Bericht wurde auf den 15. Oktober 1787 zurückdatiert. 517 KPM Archiv II 1, Bd. 1 (Acta die Etablierung der Königlichen Porzellan Manufactur-Commission [...] betreffend), Blatt 28. 518 KPM Archiv V 6 (Acta die Anstellung des Friedrich Bergling beim Laboratorio der Königlichen Porzellan-Manufactur betreffend), Blatt 3, 4.
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Anhang
519 Ebd. 520 Ebd., Blatt 10. 521 KPM Archiv XVII.12, Blatt 16. 522 Ebd., Blatt 24. 523 Die KPM bezog fast alle Materialien für Farben und Flüsse von einem Berliner Kaufmann namens Heyl. 524 Ebd., Blatt 19. 525 Ebd., Blatt 21. 526 Ebd., Blatt 17. 527 KPM Archiv XVII.12, Blatt 11 − 14. Die Ausgaben dafür betrugen 95 Reichstaler; ebd., Blatt 35. 528 Ebd., Blatt 41. 529 Ebd., Blatt 50. 530 Ebd., Blatt 50. 531 KPM Archiv XVII.12, Blatt 51– 52. 532 Ebd., Blatt 21. 533 Klaproth (1788/89), 13, 14. 534 KPM Archiv XVII.12, Blatt 53. 535 Ebd., Blatt 58. 536 Köllmann und Jarchow (1987), 323 (Farbnummer 28 in der 1838 erstellten Farbentabelle von Georg Friedrich C. Frick). 537 GStA PK, I. HA Rep. 151 Finanzministerium, Abt. IC, Nr. 9469, Acta die Porzellan-Manufactur in Berlin betr., Blatt 64. 538 KMP Archiv XVII. 12, Blatt 66–67. Ein weiterer Bericht folgte im März 1792; ebd., Blatt 54. 539 Siebeneicker (2002), 99. 540 KMP Archiv XVII. 12, Blatt 65. 541 Ebd., Blatt 70. 542 Ebd. 543 Ebd., Blatt 72, 73. 544 Humboldt (1792d), 164. 545 KPM Archiv XVII. 12, Blatt 60. 546 Ebd. 547 Siebeneicker (2002), 149. Hermbstaedt bemerkte in einem Bericht über seine bergbehördliche Vorlesung vom 13. Oktober 1796 an Heinitz, er habe für das Münzdepartment die beiden Eleven Louis und Frick und „von Seiten der Porcellan Manfactur“ einen der „jüngeren Arcanisten“ unterrichtet; GStA PK, Nr 7959, Blatt 96. 548 Der Name verwies darauf, dass dieses Porzellan ohne die giftige Bleiglasur hergestellt wurde. Der niedrigere Preis resultierte aus der niedrigen Brenntemperatur und der Nutzung brachliegender Ofenkapazitäten. Gesundheitsgeschirr hatte auch einen höheren Tonanteil als „echtes“ Porzellan; Siebeneicker (2002), 36 − 37, 99. 549 Siebeneicker (2002), 149 – 152.
550 Zitiert nach Dann (1958), 47. 551 GStA PK, I. HA, Rep 151, IC, Nr 8746 (Acta des Finanzministeriums betr. Die Ernennung des Obermedizinalraths Klaproth zum Professor der Chemie, 1810), Blatt 2. 552 Dann (1958), 57 − 64, 92. 553 Während eines Empfangs von Professoren der nach dem Tilsiter Frieden aufgelösten Universität Halle im August 1807 in Memel soll Friedrich Wilhelm III. gesagt haben, der preußische Staate müsse „durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren“ habe; Lenz (1910 − 18), Bd. 1, 78. 554 Zitiert nach Tenorth (2012), XXIV. 555 Tenorth (2012). 556 Humboldt (1797b), Bd. 2, 4 − 5. 557 Lenz (1910 − 18), Bd. 1, 66. 558 Klein (2010c); Lenz (1910 − 18), Bd. 1, 207; Virmond (2011). 559 Tenorth (2012), XX. 560 GStA PK, Nr. 7959, Blatt 116. 561 Ebd., Blatt 146 − 47. 562 Ebd., Blatt 148. 563 Ebd., Blatt 128. 564 Ebd., Blatt 132. 565 Ebd., Blatt 137. 566 Ebd., Blatt 152. 567 Krusch (1904), XXXII. 568 GStA PK, Nr. 7959, Blatt 200. Ebd., Blatt 155, 157 − 58, 169, 171 − 175, 178 − 184, 189 − 191. Von 1817 an erhielten die Berliner Bergeleven gelegentlich zusätzlichen, über die universitären Vorlesungen hinausgehenden Unterricht in „Bergbaukunde“ und Zeichenunterricht durch Assessoren der Bergbehörde (ebd., Blatt 197 − 200). 569 Zitiert nach Klemm und Meyer (1968), 90; Lenz (1910 − 18), Bd. 1, 256 − 257. Schleiermacher hatte eine ordentliche Professur für Thaer abgelehnt (ebd., 257). Thaers Extraordinariat wurde 1827 von dem aus Möglin kommenden J. E. Stoerig übernommen. 570 Klemm und Meyer (1968), 90. 571 Lenz (1910 − 18), Bd. 1, 257 − 258. 572 Ebd., Bd. 2, 251. 573 Klein (2010c); Lenz (1910 − 18), Bd. 1, 241, 392; Stürzbecher (1978). 574 Im Mai 1802 hielt er zum Beispiel einen Akademievortrag, der sich mit der Frage beschäftigte „Was ist Dünger? Was wirkt derselbe beym Ackerbau? Und welche Mittel können als Surrogate des natürlichen Düngers mit Zuversicht angewendet werden?“; ABBAW I-IV-34 (Registres von 1801 − 1805), Blatt 34.
Fußnoten
575 Dann (1958), 52, 118. 576 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Kultusministerium, Abt. Va, Sekt. 2, Tit. X, Nr. 17, Blatt 2. 577 Ebd., Blatt 3. 578 Ebd., Blatt 12. 579 Ebd., Blatt 7. Klaproth hatte u. a. auch antike Münzen chemisch analysiert. 580 GStA PK, I. HA, Rep. 89 Geheimes Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 20530, Blatt 3. 581 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Kultusministerium, Abt. Va, Sekt. 2, Tit. X, Nr. 17, Blatt, 24. 582 Ebd., Blatt 49. Der Name wird gelegentlich auch Weiss geschrieben; zu Weiß siehe Lenz (1910 − 18), Bd. 1, S. 547 – 550. 58 3 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Kultusministerium, Abt. Va, Sekt. 2, Tit. X, Nr. 13, Bd. 1 (Acta betreffend das chemische Laboratorium der Universität …), Blatt 2. Zur Lage dieses Laboratoriums siehe Gandert (2004), 60. 584 Nach Link fehlten in Klaproths Sammlung vor allem Instrumente für die Gaschemie und galvanische Experimente; GStA PK, I. HA, Rep. 76 Kultusministerium, Abt. Va, Sekt. 2, Tit. X, Nr. 13, Bd. 1, Blatt 18. 585 Humboldt (1991). 586 Wutke (1913), 273. 587 Bartel (2004); Treue (1984), 204-05; Wittling (1992); Wutke (1913), 390-91. 588 Wutke (1913), 281 − 399, 422. 589 Harnack (1900), Bd. 1.2, 558 − 560, 568 − 579. Die Akademiemitglieder waren nach Harnack
nicht an der Diskussion über die Universitätsgründung beteiligt. 590 Die erste Denkschrift ist in Auszügen, die zweite vollständig wiedergegeben in Harnack (1900) Bd. 2, 338 − 340; 334 − 337; ebd., 338. 591 Zitiert nach Harnack (1900), Bd. 2, 334. Humboldt (1797b), Bd. 2, 4 − 5. 592 Zitiert nach Biermann (1991), 30. 593 Prinz Wilhelm war der jüngste Bruder Friedrich Wilhelms III. 594 Mokyr (2002). Mokyr spricht in diesem Zusammenhang von „industrieller Aufklärung“. 595 Jones (2008). 596 Brose (1992); Henderson (1958); Koselleck (1967) 597 „Wissenstransfer“ schließt hier die Anwerbung ausländischer Techniker sowie den Transfer der Dampfmaschine und anderer Objekte ein. Siehe dazu auch Weber (1981). 598 Die preußische Wirtschaftspolitik wurde zwar im Zuge der Stein-Hardenbergschen Reformen liberaler, aber von einem radikalen Wandel vom merkantilistischen Dirigismus zum Liberalismus kann keine Rede sein; Fuchs (1970). 599 Nicolai (1786), 499. 600 Clark (2007), 211 − 219, 213. Siehe auch Johnson, der die relative Eigenständigkeit der Politik Minister vom Hagens in ein klärendes Licht stellt (Johnson, 1975). 601 Koselleck (1967), 13. 602 Neugebauer (2006), 70; Hintze (1901), 14. 603 Kosellek (1967), 153.
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329
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Anhang
Register
Personenregister
Achard, Franz Carl
9, 29, 36 – 51, 116, 120, 123 f., 126, 139, 211, 221, 226, 228, 232 – 243, 254, 263, 288, 297 Agricola, Georg 77 f., 92, 95 Arago, François 62
Bacon, Francis 293 Banks, Joseph 24 Bardeleben, Moritz von 285 Bartholmäi, Jacob 251 Becherer, Friedrich 134, 137 f. Beckmann, Johann 17, 21 f., 124, 284 Beguelin, Nicolas de 102 Bergling, Friedrich 216, 218, 256 – 259, 261 – 268, 270 f., 295, 303 Bernoulli, Johann (III) 33, 221, 232, 291 Beuth, Peter Christian Wilhelm 145, 284, 301, 303, 306 Bindheim, Johann Jacob 210 Black, Joseph 69 Blanchard, Jean Pierre 20 Bloch, Elieser 210 Blumenbach, Johann Friedrich 22, 160 f. Bode, Johann Elert 37, 221, 241 Böttger, Johann Friedrich 244, 251 Bollmann, Friedrich Victor 197 Bonpland, Aimé Goujaud 288 Born, Ignaz 65, 118, 158, 224 Bose, Caspar 28 Bottmer, Freiherr von 153 Boulton, Matthew 144 Brandes, Carl Philipp 90 Brühl, Heinrich von 80 Buch, Leopold von 280 Bückling, Karl Friedrich 124, 127 Büsch, Johann Georg 25 Busch, Heinrich Albert von dem 77 Burgsdorf., Friedrich August Ludwig, von 46 f., 136 Campe, Johann Heinrich
189 f. Carlowitz, Hannß Carl von 27
Castillon, Friedrich Adolf. M 108 ff., 291 Castillon, Jean 97, 110, 221 Cavendish, Henry 69 Christian Friedrich Karl Alexander, Markgraf von Brandenburg-Ansbach 147 Clark, Christopher 302 Crell, Lorenz 68, 126, 174, 199, 208, 227 Charpentier, Johann Friedrich Wilhelm 58, 65, 98 Claiß, Johann Sebastian 155
Daum, Gottfried Adolph 18 Dohna-Schlobitten, Alexander Burggraf zu 17, 280, 283 Duwald, Joachim 250 Eller, Johann Theodor 89, 230 Elster (Bergmeister im Harz) 94 ff. Erman, Paul 287 Eschen, Jacob Sigismund Waitz von 112 f., 116, 119 f. Euler, Leonhard 9, 20, 132f., 299 Eversmann, Alexander 127 Eytelwein, Johann Albert 134 – 138 Ferber, Johann Jacob
66, 117f., 124, 126, 158, 219, 221 Fischer, Ernst Gottfried 195, 278–281 Forster, Georg 16, 23 f., 69, 191 Frau Kendler 152 Frau Werneburg 33 Freiesleben, Carl Friedrich 62 Freiesleben, (Johann) Carl 61 f., 66f., 82, 84 – 86, 152, 154 – 166, 173, 176 f., 179 ff., 295 Freiesleben, Johann Friedrich – (Johann) Carls Vater 67 Freiesleben, Johann Friedrich – (Johann) Carls Großvater 152 Frick, Georg Friedrich Christian 117, 271 f. Friedland, Helene Charlotte von 213 Friedrich II, König von Preußen 13 f., 28, 38 ff., 84, 87, 91, 100 – 107, 112, 115, 132, 140, 143, 227, 230, 232 – 235, 245, 250, 254, 301 – 305
Register
Friedrich August I, Kurfürst von Sachsen 245, 251 Friedrich August II, Kurfürst von Sachsen 76, 80 Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg 206 Friedrich Wilhelm I, König von Preußen 132, 226, 238 Friedrich Wilhelm II, König von Preußen 45, 85, 117, 125, 129, 185f., 193, 218, 220, 264 Friedrich Wilhelm III, König von Preußen 32, 52, 136, 236, 241, 273, 287, 290 Fürst und Kupferberg, Carl Joseph Maximilian von 101, 103 Fulda, Friedrich Karl 22
Galvani, Luigi
160 f. Gay-Lussac, Joseph Louis 62 Gellert, Christlieb Ehregott 58, 98 Gerhard, Carl Abraham 86, 88 – 131, 133, 150, 163, 185, 212 f., 215 f., 221, 233, 236, 238 f., 241, 243, 254, 291, 297 f. Gerhard, Ludwig 280 Gilly, David 134 – 138 Girtanner, Christoph 24, 69, 223 Gleditsch, Johann Gottlieb 26 – 29, 34 f., 61, 89, 102, 108, 110, 113, 120 f., 123, 221, 297 Gmelin, Johann Friedrich 22 Goethe, Johann Wolfgang 85 Göttling, Johann Friedrich A 178, 199, 208 f. Gotzkowsky, Johann Ernst 245, 250 Gren, Friedrich Albert 274 Grieninger, Johann Georg 246, 254 f., 261, 270 Guyton de Morveau, Louis Bernard 180
Haeften, Philipp von
173 Hagen, Ludwig Philipp Freiherr vom 87, 89 – 93, 96 – 98, 100–109, 111, 116, 119, 122, 131, 201 Hahn, Otto 193 Hardenberg, Friedrich von (Novalis) 56, 85 Hardenberg, Karl August von 52, 147, 149, 157, 160, 165, 186, 189, 191, 285, 303 ff., 314 Hartig, Georg Ludwig 283 Hawkins, John 215, 217 Heinitz, Friedrich Anton von 18, 23, 25, 45, 48, 50, 55 – 57, 66, 71, 73 – 89, 104, 113 f., 116 – 130, 134, 136 – 139, 141, 147 – 149, 153 – 155, 158, 160, 162 – 164, 183, 185 – 186, 188, 190 f., 212 f., 215 – 219, 224, 234, 245 – 259, 261, 264 f., 267, 269 – 272, 288 f., 297, 300, 302 Henckel, Johann Friedrich 200 Hermbstaedt, Sigismund Friedrich 30, 37, 47 f., 57, 133, 138 – 145, 161, 200, 210, 224 f., 271, 278, 283 f., 288, 297
Herschel, Friedrich Wilhelm 193 Hertzberg, Ewald Friedrich von 221, 236 Herz, Henriette 191 Herz, Marcus 161 Heyne, Christian Gottlob 22 f. Hintze, Otto 304 f. Höroldt, Johann Georgius 253 Hoffmann, Christian August 154 Holsche, Friedrich 110, 119 ff., 123 f. Hufeland, Christoph Wilhelm 274 Humboldt, Alexander von 13 – 25, 55 – 70, 81 – 87, 118, 122, 123, 130, 133, 140, 141, 147 – 191, 214, 215, 223 – 24, 236 – 37, 246, 254, 268 – 270, 284, 288 – 293, 297 – 99, 304 Humboldt, Alexander Georg von 141 Humboldt, Wilhelm von 17, 48, 189, 191, 273, 276 – 77, 282, 284 Hutton, James 25
Imhoff, Carl von
77 f.
Jacobi, Friedrich Heinrich
24
Jacquin, Nicolas Joseph 115 Jones, Peter 296 Justi, Johann Heinrich G 96
Kästner, Abraham Gotthelf
22
Kant, Immanuel 19, 271 Karsten, Dietrich Ludwig Gustav 57 – 59, 64, 87, 118, 126, 156, 158, 224, 254, 266 f., 271, 280, 288 f., 291 Killinger, Eberhard Friedrich 171, 173, 176 f. Kirchberg, Hans Carl von 73 Klaproth, Heinrich Julius 211, 286 Klaproth, Martin Heinrich 9 f., 20, 30, 37, 57, 126, 130, 133, 139 ff. . 149, 161, 139, 161, 193 – 197, 201 – 204, 209 – 227, 233, 236, 238 – 246, 254 – 275, 278, 280 f., 285 – 289, 297 Klipfel, Carl Jacob C 246, 270 Klotzsch, Andreas Heinrich 67 Köhler, Alexander Wilhelm 58, 98 Köppen, Maria Louisa 234 f. Koselleck, Reinhart 304 Kretschmann, Wilhelm 250 Krünitz, Johann Georg 204 Krusch, Paul 102, 281 Kunth, Gottlob Johann Christian 21, 47 f., 141 ff., 294 Kurella, Ernst Gottfried 120 f., 123
331
332
Anhang
Lambert, Johann Heinrich 20, 102, 107, 132 Langhans, Carl Gotthard 138 Lavoisier, Antoine – Laurent 24, 69, 140, 214, 217, 219, 222 – 225, 229, 269 Lehmann, Christiane Sophie 210 Lehmann, Johann Gottlieb 90, 94, 96, 228 Leibniz, Gottfried Wilhelm 220, 226 Lempe, Johann Friedrich 58 Lenz, Max 277, 283 Lichtenberg, Georg Christoph 22, 170, 224 Link, Heinrich Friedrich 287 f. Linné, Carl von 21, 31, 35, 298 Liphardt, Johann Christian L 197 Luise, Königin von Preußen 238 Lundgreen, Peter 145 Maclean, Archibald 66, 70 Manitius, Theodor Gotthilf 250, 265, 268 Marggraf, Andreas Sigismund 9, 41 – 45, 90, 101, 108, 111, 117, 200, 210, 227 – 233, 243 Marggraf, Henning Christian 210 Marsson, Johann Gabriel 133 Martius, Ernst Wilhelm 197 f. Mayer, Johann Christoph A 32, 221 Meckel, Johann Friedrich 90 Medicus, Friedrich Casimir 22 Meerheim, Ferdinand Ludwig von 252 Mende, Johann Friedrich 63 Mendelssohn, Moses 191 Merck, Heinrich Emanuel 219 Merian, Johann Bernhard 291 Mitscherlich, Eilhard 288 Moehsen, Johann Karl Wilhelm 221 Moennich, Bernhard Friedrich 126 Mokyr, Joel 294 Müller, Hans – Heinrich 50, 236 Münchhausen, Ernst Friedemann Freiherr von 101, 104 Nehmitz, Heinrich Wilhelm
251 Neugebauer, Wolfgang 87, 305 Neumann, Caspar 111 f., 213, 227 Nicolai, Friedrich 27, 124, 215 f., 234, 302 Novalis siehe Hardenberg, Friedrich von
Paracelsus (Hohenheim, Theophrastus Bombastus
von) 202 Peligot, Eugène Melchior 214 Pfaff, Johann Friedrich 22 Pfeil, Friedrich Wilhelm Leopold 283 Poeschkin, Anne Sabine 232 f. Popplow, Marcus 38 Pott, Johann Heinrich 89 f., 112, 213 Priestley, Joseph 69, 180, 223
Reden, Friedrich Wilhelm von
84 f., 155, 164, 185 f., 191, 288, 291 Reichard, Ernst Heinrich 250 Reichardt, Heinrich Wilhelm 92 f. Richter, Jeremias Benjamin 271 f. Riedel, Carl Erdmann 252, 259 Riedel, Heinrich August 137 Ritter, Johann Wilhelm 19 Rochow, Friedrich Eberhard von 36 Roesch, Johann George 271 f. Roloff., Christian Ludwig 221 Rose, Anna Magdalena 210 Rose, Magdalena 140, 210 Rose, Valentin 30, 108, 110 f., 120, 140, 201 f., 210, 229 Rosenstiel, Friedrich Philipp 164, 246, 255 ff., 259 – 262
Ruprecht, Anton von 118
Schadow, Johann Gottfried
138, 235
Scheele, Carl Wilhelm 179 Schiller, Friedrich 165 Schinkel, Karl Friedrich 138, 306 Schlabrendorff, Ernst Wilhelm 92 Schopp, Johann Friedrich 250, 255 f., 265, 271 Schroetter, Friedrich Leopold von 136 f., 289 Schubert, Carl – Ludwig 272 Schubert (Bergmechanikus in Freiberg) 67 Schubert (Revier – Bergmeister in Wunsiedel) 151 Schuckmann, Kaspar Friedrich 285 f. Schulenburg-Kehnert, Friedrich Wilhelm von 119,121 Schulze, Johann Karl 124, 126, 221 Siebeneicker, Arnulf 247
Ohain, Gottfried Pabst von
244
Olesko, Kathryn M 132 Oppel, Friedrich Wilhelm von 74, 79
Sieghardt, Johann Simeon B 67 Silberschlag, Johann Esaias 108 f., 221 Smith, James Edward 24
Register
Soemmerring, Samuel Thomas von 161 Splitgerber, David 18, 41 Spörl, Georg Heinrich 162 Steffens, Henrik 19 Stein, Karl Freiherr vom 85, 141, 303 – 305 Strecke, Reinhart 138 Strassmann, Fritz 193 Struensee, Carl August von 45 – 48, 87, 139, 141, 144 Struve, Gottfried Konrad 107
Walter, Johann Gottlieb
107 f., 120 f., 123, 221
Weber, Joachim 218 f. Wedgewood, Josiah 144 Wegely, Caspar 245 Wegely, Johann Georg 140 Wegener, Wilhelm Gabriel 13, 17, 22, 86 Wehling, Friedrich 82, 113 Weiland (Preußischer Bergprobierer) 114 f., 117 Weiß, Christian Samuel 278 – 281, 287
Tempelhoff., Georg Friedrich L von
23, 133 ff.,
213, 221 Tenorth, Heinz – Elmar 278 Thaer, Albrecht Daniel 51 – 53, 61, 278, 282 – 84, 297 Tornesi, Otto Heinrich 150 Trebra, Friedrich Wilhelm Heinrich von 56, 74 – 76, 84 f., 149 Tschirnhaus, Ehrenfried Walther von 244
Werner, Abraham Gottlob 24 f., 57 – 61, 64, 66, 68, 88, 94, 128 f., 156, 177, 215, 298 Westrumb, Johann Friedrich 201 Wiegleb, Johann Christian 30, 139 f., 196, 200 Willdenow, Carl Ludwig 13, 26, 29 – 36, 56, 61, 68, 139, 221, 273, 288 f., 297 f. Wöllner, Johann Christoph von 86 Wolff, Christian 19 Wolff, Friedrich 275
Usteri, Paul
70, 86
Voigt, Johann Carl Wilhelm
Zedler, Johann Heinrich 25
Volta, Alessandro 160 f.
205
Zedlitz, Carl Abraham 133 Zöllner, Johann Friedrich 18
Sachregister
Achtstundentag, -schicht 81, 152 Agrarwissenschaft, Landwirtschaftslehre 282 – 84, 297, 301 Akademie der Künste, Preußische 56, 65, 104 – 105, 134 – 138, 142, 246, 276, 301 Akademie der Wissenschaften, Königlich Preußische 8, 20, 28 – 36, 48 – 49, 90 – 92, 101, 103, 113, 116, 132, 210, 220 – 244, 263, 273 – 74, 276, 277, 284, 285, 286, 290 – 92, 297, 299 Analyse, chemische, mineralogische 42 – 43, 68, 78, 93 – 96, 112, 116, 171, 179, 181, 184, 194, 204, 209, 211, 213 – 18, 222 – 23, 227, 232, 233, 244, 243, 246, 249, 262, 265 – 269, 285, 288, 298 – 99 Anatomisches Theater 89, 101, 221, 227 Amalgamieren, Amalgamierverfahren 65, 118, 158, 164, 188, 219 Apothekergewerbe 17, 30, 44, 197 – 199, 202 – 209, 274, 297 Apothekerlaboratorien 43, 57, 193, 195, 197 – 199, 201, 202, 205, 207 – 208, 212, 219, 229 – 230, 242 – 243
Apothekerlehre 195 – 201 Arcanabuch 251, 271 Arcanisten 78, 127, 244 – 256, 264 – 272, 295, 299, 303, 318 Arcanum 246, 247, 249 – 251, 255 – 257, 260, 265, 271, 272 Artillerie 9, 88, 90, 101, 116, 133, 135, 175, 206, 208, 212, 213, 243, 273, 296 Artillerieakademie, -schule, Preußische 90, 134, 213, 222, 224, 243, 317 Atemmaske, Respirationsmaschine 69, 156, 166, 167, 171, 173 – 178, 184, 314 Aufklärung 8, 17, 71, 85, 162, 170, 190, 210, 250, 272, 293, 300, 309 Aufklärung, industrielle 294
Ballistik, ballistische Experimente 9, 17, 133 Ballonfahrt 20, 211, 234 – 235, 316 Basalte 23 – 25, 66, 214
333
334
Anhang
Eisen, Stahl
Bergräte 73 – 74, 78, 79, 83 – 84, 88 – 94, 99, 101, 128, 130, 185, 297, 310
18, 36, 82, 92, 93, 95, 113, 115, 125, 127, 132, 133, 149, 151 – 52, 188, 289 Eisengießerei, Königliche 289 Eisenhütten 18, 19, 92, 122, 127, 128, 188, 247, 301, 307 Entdeckung und Erfindung 41, 103, 194, 216 Ethik, ethisch 85, 167, 170, 304, 314 Eudiometer, Eudiometrie 179 – 182, 189, 223, 299 Experten, Sachverständige 6, 61, 80, 81, 127, 132, 142, 144, 145, 149, 218, 246, 249, 254, 262, 265, 271, 280, 287, 294, 297, 299, 301, 302 Wissenschaftlich-technische siehe Naturforscher-Techniker Expertise, Sachverstand, Sachkompetenz 9, 18, 90, 76, 97, 127, 250, 271, 272, 277, 289, 305
Bergbeamte 71 – 76, 80 – 81, 130, 147, 156, 162, 186, 281
Fabriken-, Handels- und Akzisedepartment
Bauakademie, Preußische 131 – 138, 272, 295, 298, 301 Baukunst, -wesen 8, 37, 105 – 107, 110, 125, 132 – 138, 277 Bergakademie Freiberg 15, 55 – 71, 81, 85, 122, 123, 125 – 17, 149, 158, 166, 309, 311 Berliner 9, 87, 89, 96 – 111, 121, 136, 281, 295, 298, 301, 302
siehe auch Vorlesungsreihe der Bergbehörde Mexiko City 292
Schemnitzer 97, 224
Bergfabrik 71, 72, 76, 82, 148, 150, 166 Bergmeister 75 – 76, 84, 94 – 95, 147 – 191, 297, 299, 311
Bergwerks- und Hüttendepartment 18, 27, 56, 66, 82, 84, 87, 88, 90 – 92, 106, 107, 109, 112, 116, 119 – 130, 136, 162, 201, 208, 279, 288
45, 141, 145 Fachzeitschriften, chemisch-pharmazeutische 199, 208 – 209 Farbenlaboratorium der KPM 216, 219, 246, 248, 252, 255 – 261, 265 Forstakademie 47, 136 Forstdepartment 26, 97, 101, 119, 121 Forstwissenschaft, Forstwirtschaft 20, 22, 26 – 27, 47, 121, 278, 283
Bergwerkswissenschaft 10, 22, 60, 84, 91, 96, 98 – 100, 104 – 106, 113, 121, 126, 157, 278, 298, 303
Geheimnis, Geheimwissen
Bergbeamtenausbildung 97, 99, 102, 104, 118 – 119, 122 – 123, 125 Bergeleven 100, 114, 115, 117, 122 – 123, 125 – 127, 139, 212, 273, 278 – 283 Bergcadetten 98, 122, 125, 281 OK Bergwerks-Gelehrte 60
Bilanzierung chemischer Reaktionen 218 – 219, 224 Blaufarbe 36, 71, 76, 88, 95 – 96, 254 Bleu mourant 234, 254, 263, 318 Blitzableiter 88, 116, 133, 233 Botanik 9, 10, 13 – 18, 20, 21, 26 – 36, 47, 49 – 52, 200, 273, 283, 287, 288 Botanischer Garten, von Berlin 26, 28 – 29, 32 – 36, 89, 90, 101, 102, 273, 276, 297
Chemie
10, 17, 20, 69, 89, 90, 98, 108 – 112, 171, 178 – 79, 184, 200, 203, 206, 208 – 09, 212, 222, 224 – 225, 227, 242, 257 – 58, 269, 273, 278, 279, 283, 287 metallurgische 58, 74, 80, 98, 100, 115, 125, 299 Chemiekult 20, 212 – 213 Collegium medico-chirurgicum 26, 28, 31, 89, 90, 101, 107, 111, 112, 139, 140, 200, 207, 208, 211, 221, 230
Dampfmaschinen 23, 127, 144, 247, 289, 301, 307 Direktionsprinzip 71 – 73, 78, 80, 83, 147
78, 80, 144, 149, 182, 218, 246 – 255, 259, 272, 301 Gemeinwohl, bien public 7, 8, 17, 25, 45, 85, 87, 130, 185, 220, 237, 288, 293, 300, 304, 305 Galvanismus, galvanisch 161, 183, 184, 189, 243, 307 Generaldirektorium 18, 45, 84, 90, 110, 136, 141, 238 – 39, 290, 305, 307 General-Salzadministration 45, 141, 246 Geographie unterirdische, geographia subterrania 94, 124, 129 physische 129 Geologie, Geognosie 23, 58 – 60, 62, 74, 94, 100, 154, 158 – 60, 166, 189, 298 Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin 20, 46, 162, 213, 232 Gewerbe-Institut 145, 301 Grubenlampe 69, 156, 166 – 167, 171 – 174, 176 – 178, 181, 184, 298, 314 Grubenluft, -wetter 68 – 69, 161, 166 – 167, 170 – 173, 177, 179, 181 Grubenrisse 64, 66 – 67, 98
Register
Hofapotheke, Königliche
28, 89, 90, 111, 140, 200, 206 – 208, 227 Holz 26, 27, 77, 129, 151, 153, 246, 255
Ideal, des gemeinnützigen Mannes
186, 190, 237, 304 Industrialisierung 294, 300 Preußens 7 – 8, 10, 69, 127, 183, 288, 289, 298, 300, 301, 303, 304 Inspektionen, Inspektionskommissionen 8, 75, 77, 79, 128, 160, 166, 189, 213, 216, 218, 246, 255 – 256, 268, 295 Inspektionsberichte 70, 97, 150 – 153, 157, 259 – 264, 269 Inspektionsreisen 83, 88, 91 – 97, 107, 129, 147 – 155 Innovationen 7, 8, 10, 32, 37 – 38, 56, 73, 77, 143, 183, 190, 300 – 303
Kaffee
15, 28, 33, 36, 41, 202, 244 Kohle, Kohlenbergbau 23, 82, 95, 129, 157, 255 Kokshochöfen 18, 127, 289, 301, 307 Kameralismus, kameralistischer Diskurs, Kameralisten 17 – 19, 39, 56, 75, 76, 77, 85, 190, 294 Kameralwissenschaft 17, 20, 21, 22, 25, 27, 55, 105, 143, 278, 282 Kartoffeln 33 – 34, 37 Kobalt 88, 95 – 96, 113, 254
Laboranten
81, 127, 199, 218, 244 – 267, 271, 272,
295 Laboratorium 202, 204 – 208, 140, 145, 273, 276, 287 – 88 der Akademie der Wissenschaften 9, 41, 49, 116, 117, 207, 225 – 244, 274, 297 des Bergwerks- und Hüttendepartments 66, 88, 99, 112 – 118, 126, 136, 208, 224, 281 Siehe auch Apothekerlaboratorien Lagerstätten, Lagerstättenkunde 59, 60, 62, 74, 78, 80, 93, 95, 128, 150, 156, 266, 313 Landgewinnung, siehe Melioration Landwirtschaft 17, 37 – 38, 48 – 53, 61, 82, 129, 303 Landwirtschaftswissenschaft, Agrarwissenschaft 52, 282, 284 Landesvermessung, Feldvermessung, Vermessungswesen 17, 37, 132, 298, 301
Masse, Porzellanmasse
153, 218, 245 – 247, 249 – 251, 255, 257, 265, 269, 271 Mathematik 17, 23, 58, 78, 100, 108, 110, 124, 125, 134, 220, 278, 282 Mechanik 9, 17, 23, 98, 100, 110, 124, 125, 134
Medikamente, chemische 195, 197 – 199, 202 – 204, 212, 220, 315 Melioration, Landgewinnung 37, 87, 90, 105, 132, 135, 301 Messung 25, 68, 71, 161, 166, 170 – 172, 179, 181 – 182, 233, 298, 299 Meteorologie, unterirdische 170 – 173, 181 Mineralogie, Oryktognosie 17, 24 – 25, 66, 80, 94, 101, 113 – 14, 128, 130, 154, 218, 280, 298, 309, 298 Mineralienkabinett 128, 156, 163, 216, 279 – 81, 286, 288 Mineure 175, 176
Nachhaltigkeit, nachhaltig 188
26, 27, 56, 77 – 78, 80,
Naturforscher 20, 50, 92, 160, 294, 299 – 300, 303 Naturforscher-Techniker, wissenschaftlich-technische Experten 8, 60 – 61, 128 – 131, 135, 139, 145, 295 – 298 Naturphilosophie, Naturphilosophen 19, 20, 293, 299, 300 Naturwissenschaften, exakte und analysierende 8, 19, 61, 131, 299 – 300 Nutzpflanzen, Nutzpflanzenzucht 10, 17, 26, 32, 61, 297 Neptunistische und vulkanistische Theorie, Neptunisten und Plutonisten 24 – 25, 66, 68 Nützliches Wissen 19 – 21, 37?, 103, 138, 179, 220, 222, 227, 273, 292, 293, 295, 298 Nützliche Wissenschaften, praktische Wissenschaft 8, 19, 22, 49, 56, 104, 106, 109, 298, 299
Observatorium
102, 227, 229, 276, 291
Oberbaudepartment 87, 101, 106 – 108, 119, 121, 131 – 138, 289, 298 Ökonomische Gesellschaften 22, 27, 36 – 38, 48 – 51, 294 Ökonomische Aufklärung 38, 51 Oxidationstheorie 178 – 179, 223 – 225, 317
Phlogistontheorie 178, 222 – 225, 227, 317 Physik 20, 35, 38, 58, 89, 100, 105, 120, 123, 126, 127, 138, 234, 278 – 79, 284, 287 Physikalisches Kabinett 145, 221, 232, 242, 317 Physiologie, physiologisch 49, 68 – 70, 160 – 161, 184, 189, 233, 287 Plutonistische Theorie, siehe Neptunistische Theorie Porzellanerde 153, 247, 249, 264 – 269 Porzellanmalerei 9, 88, 216, 252, 255, 263
335
336
Anhang
Porzellanmanufaktur Königlich Preußische 9, 56, 78, 84, 88, 96, 127, 149, 193, 208, 213, 216, 218, 234, 244 – 272, 289, 291, 299, 303 Bruckberg 149, 152 – 53, 268 – 69, 313 Meißen 251 – 53, 265, 318 Praktische Wissenschaften, siehe nützliche Wissenschaften Probieren, Probierkunst 58, 66 – 68, 112, 114, 125, 299 Processus pharmaceutico-chymici 200, 201, 211
Raubbau
26, 77 Realschulen 100, 104, 108, 221, 312 Reine Wissenschaften 165, 184, 277, 278, 292 Reformbeamte, Staatsbeamte 7 – 10, 17, 19, 45, 87, 143, 185, 282, 298, 301 – 305 Reformbündnis 8 – 9, 45, 185, 301, 303 Romantik, romantische Naturlehre 19, 20, 294, 300 Rübenzucker 9, 40 – 45, 50, 51, 116, 226, 228, 232 – 33, 236, 237 – 241, 288, 297
Sachdepartments
Universitäten Berliner 36, 53, 127, 138, 216, 273 – 285, 287, 293 Frankfurt/Oder 15, 17, 86, 90, 126 Göttingen 16, 21 – 23 Halle 30, 200 Universitäten, Universitätsleben 17, 22, 23, 27, 42, 55, 89, 101, 105, 122, 126, 142, 143, 200, 207, 210, 232 Unterricht, experimenteller, Laborunterricht 58, 110 – 114, 116, 224 Uran, Entdeckung des 9, 193, 213 – 216, 264 Urangelb, Uranoxid 9, 193, 216 – 217, 264, 268
51, 53, 97, 102, 106, 107, 119,
277, 302, 303 Sachverstand, siehe Expertise Sachverständige, siehe Experten Sachwissen 10, 17, 56, 73, 75, 80, 127, 246, 294 Salinen, Salz, Salzgewinnung 23, 56, 73, 76, 80, 82, 127, 149, 152 – 156, 160, 164, 191, 291, 302 Salzdepartment 56, 164, 165 Salzwerkskunde 55, 179 Seide, Seidenraupenzucht 29, 36, 143, 221, 313 Sittengesetz, Kantisches 170 Stein-Hardenbergsche Reformen 303, 305, 320 Subordination 116, 117, 163, 185
Tabak
Technikwissenschaften 7 – 9, 61, 87, 277, 294, 295, 298, 303, 304 Technische Deputation 141, 141, 144, 185, 284, 301 Technologie 17, 18, 21 – 22, 50, 127, 283 – 84, 296 Tee 15, 31, 33, 36, 41, 202, 244 OK Theorie und Praxis 51, 52, 57, 99, 105, 125, 134, 138, 271, 282, 292 Textilgewerbe, -industrie, -manufakturen 18, 23, 82, 142 – 45, 297
15, 36, 38 – 40, 202, 233, 234, 308 Technik, das Technische 84, 85 Techniker 7, 61, 72, 85, 99, 145, 151, 261, 294 – 296, 303, 304
Vorlesungsreihe, der Bergbehörde
119, 120, 123 – 28, 217, 232, 234, 258, 272, 273, 278 – 281, 288, 295, 301
siehe auch Bergakademie, Berliner
Vorlesungen, für Färber 143 – 145, 284, 288, 298, 301
Werkstoffe, Werkstoffforschung 298, 299
88, 115 – 116,
Werte, der Beamten 10, 56, 75 – 76, 80, 81, 84 – 85, 87, 127, 190, 289, 294, 300, 305, 306 Wirtschaftspolitik, merkantilistische 15, 36, 95, 147, 151, 296, 302 Wissenschaftler-Fabrikanten 144, 296 Wissenstransfer 78, 80, 133, 141, 143, 144, 183, 203, 300, 301, 305, 320 Zuckersiedereien, Zuckerfabriken 41, 47, 226, 238 – 241, 288, 297