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German Pages [264] Year 2021
Tilman Haug, André Krischer (Hg.) Höllische Ingenieure
Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven Herausgegeben von Carola Dietze · Joachim Eibach · Mark Häberlein Gabriele Lingelbach · Ulrike Ludwig · Dirk Schumann · Gerd Schwerhoff Band 32 Wissenschaftlicher Beirat: Norbert Finzsch · Iris Gareis Silke Göttsch · Wilfried Nippel · Gabriela Signori · Reinhard Wendt
Tilman Haug, André Krischer (Hg.)
Höllische Ingenieure Kriminalitätsgeschichte der Attentate und Verschwörungen zwischen Spätmittelalter und Moderne
UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 1437-6083 ISBN 978-3-7398-2770-4 (Print) ISBN 978-3-7398-7770-9 (ePDF)
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© UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2021 Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz Einbandmotiv: Jacques Bonnefoy, „La Machine infernale“. Radierung, 1800 (Musée Carnavelet, Paris) UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 www.uvk.de
Inhalt
Tilman Haug & André Krischer Überlegungen zu einer Kriminalitätsgeschichte der Attentate und Verschwörungen zwischen Spätmittelalter und Moderne
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Georg Jostkleigrewe Teuflische Taten. Coniurationes und Attentate in der französischen ‚Société politique’ des Spätmittelalters
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Sebastian Becker A proditoribus civibus conturbata patria et Caesari vendita – Die Ermordung des Pier Luigi Farnese 1547
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Benedikt Nientied Security of the Crown, Safety of the Nation? Verschwörungsszenarien und parlamentarische Sicherheitsdiskurse in England, ca. 1570–1680
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André Krischer Der versuchte Anschlag auf Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen im Februar 1673. Politische Kriminalität im Zeitalter Ludwigs XIV.?
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Thomas Dorfner Mit Magie und Jagdgewehr für ein protestantisches Herzogtum: Das Mordkomplott württembergischer Untertanen gegen Fürst Friedrich Wilhelm von Hohenzollern-Hechingen (1708-1712)
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Andreas Önnerfors Criminal Cosmopolitans: Conspiracy theories surrounding the assassination of Gustav III of Sweden in 1792
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Karl Härter Attentatsbilder in populären Druckmedien: Politische Attentate und strafrechtlich-polizeiliche Reaktionen in Europa zwischen Aufklärung, Revolution und Vormärz (1757-1820)
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Tilman Haug „Rasereien der Anarchie“ und „moralische Krankheit“. Politische Attentate und ihre Deutung und Medialisierung in Frankreich 1799–1815
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Inhalt
Matthias Friedmann & André Krischer Informationen über Verschwörungen? Entscheiden in Fragen der ‚Inneren Sicherheit‘ im britischen Parlament (1811-1819)
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Conrad Tyrichter Das Attentat auf König Louis-Philippe I. am 28. Juli 1835 und die Formierung transnationaler Sicherheitsregime in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
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Danksagung
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Orts- und Personenregister
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Die Autoren
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Überlegungen zu einer Kriminalitätsgeschichte der Attentate und Verschwörungen zwischen Spätmittelalter und Moderne Tilman Haug & André Krischer Politische Delinquenz gehört nicht nur zu den Signaturen des 20., sondern auch des 21. Jahrhunderts. Islamistischer Terrorismus dominierte bis zur Mitte des letzten Jahrzehnts, schien dann in den Hintergrund zu rücken, kehrte aber im Herbst 2020 äußerst drastisch wieder zurück. Dennoch hat sich das Spektrum in den letzten Jahren erweitert. Unter dem Begriff „Politisch motivierte Kriminalität“ (PMK) erfassen die deutschen Polizeibehörden neben sogenannten Staatsschutzdelikten wie dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen oder der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung solche Straftaten wie Tötungs- und Körperverletzungsdelikte, Brandstiftungen und Sachbeschädigungen, die „den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen“, sich „gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ richten oder „gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung [...] (sog. Hasskriminalität)“.1 Neuere Beispiele für politische Kriminalität in diesem Sinne sind die Mordserie des „NSU“, die (mitunter tödlichen) Gewaltakte der „Reichsbürger“, der Mord an Walter Lübcke und der Anschlag von Halle 2019, der Massenmord von Hanau 2020, die zahlreichen Brandanschläge auf Flüchtlingsheime und die das alles begleitenden und stimulierenden Hasskommentare in den „Sozialen Netzwerken“ seit 2015. Spätestens mit dem Anschlag von Christchurch 2019 und seinen Verbindungslinien zur ‚Identitären Bewegung‘ in Europa hat der Rechtsterrorismus sein globales Bedrohungspotenzial unter Beweis gestellt. Politisch motivierte Gewalt wird freilich auch Akteuren im ‚linken‘ Spektrum zugeschrieben, etwa ‚Landfriedensbruch‘ infolge der Proteste beim G20-Gipfel in Hamburg 2017 oder ‚Landesverrat‘ seitens der Aktivisten von ‚netzpolitik.org‘ durch den ehemaligen Verfassungsschutzchef Maaßen 2015.2 Kurzum: Politische Delinquenz ist derzeit 1 2
Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat: Häufig nachgefragt: Politisch motivierte Kriminalität, URL: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/faqs/DE/themen/sicherheit/pmk/pmk. html#f9828060 (abgerufen 14.03.2019). Die Diskussion über PMK von ‚rechts‘ oder ‚links‘ ist selbst hochgradig politisiert (Stichwort ‚Hufeisentheorie‘), und dass dabei die PMK-Statistik keinen objektiven Gradmesser darstellt, betont Susanne Feustel: Tendenziell tendenziös, in: Ordnung. Macht. Extremismus. Effekte und Alternativen des Extremismus-Modells, hg. v., Wiesbaden 2011, S. 143–162 Vgl. zu dieser Diskussion (mit aktuellen Zahlen) auch Toralf Staud: Straf- und Gewalttaten von rechts. Was sagen die offiziellen Statistiken? http://www. bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/264178/pmk-statistiken (abgerufen 14. März 2019).
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präsent wie lange nicht, was nicht heißt, dass sie im Vergleich zum 20. Jahrhundert tatsächlich objektiv zugenommen hat. So wie Historiker*Innen ihre Forschungsgegenstände häufig mit Blick auf aktuelle Themen konstituieren, hat politische Delinquenz, und hier vor allem das als epochal gewertete Ereignis ‚9/11‘3, zu einem Aufschwung an Forschungen zur Geschichte von Terrorismus und politischer Gewalt geführt.4 Beides wird von der historischen Forschung allerdings dezidiert als ein Phänomen des späten 19., 20. und 21. Jahrhunderts dargestellt.5 Versteht man Geschichte als eine Wissenschaft von den historischen Unterschieden und nicht den vordergründigen Ähnlichkeiten, wird man tatsächlich nicht oder allenfalls nur sehr vorsichtig und thesenhaft von ‚Terrorismus‘ und ‚Terroristen‘ in der Frühneuzeit sprechen können.6 Denn Terrorismus ist „nicht einfach ein evidentes Phänomen, sondern ein komplexes Gebilde aus kriminellen Motiven, normativen Definitionen, devianten Handlungs- und staatlichen Verfolgungsweisen, medialen Darstellungs- und gesellschaftlichen Wahrnehmungsweisen, die dieser Art politischer Gewalt ein ganz spezifisches und […] modernes Gepräge geben“.7 So problematisch es 3 4
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Diana Gonçalves: 9/11. Representations of 9/11 (Culture & Conflict, v.9), Berlin/Boston 2016. Vgl. dazu die Forschungsüberblicke von Martin Schulze Wessel: Terrorismusstudien, in: Geschichte und Gesellschaft 35 (2009), S. 357–367; Sylvia Schraut: Terrorismus und Geschichtswissenschaft, in: Alexander Spencer/ Alexander Kocks/ Kai Harbrich (Hgg.): Terrorismusforschung in Deutschland (= Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik, Sonderheft 1), Wiesbaden 2011, S. 99–122; Sylvia Schraut: Terrorismus und politische Gewalt (= Einführungen in die Geschichtswissenschaft. Neuere und Neueste Geschichte, Bd. 1), Gottingen 2018, 48–63. Klaus Weinhauer/ Jörg Requate/ Heinz-Gerhard Haupt (Hgg.): Terrorismus in der Bundesrepublik. Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren (= Campus Historische Studien, Bd. 42), Frankfurt/ New York 2006; Matthias Dahlke: Demokratischer Staat und transnationaler Terrorismus. Drei Wege zur Unnachgiebigkeit in Westeuropa 1972–1975 (= Quellen und Darstellungen Zeitgeschichte, Band 90), München 2011; Klaus Weinhauer/ Jörg Requate (Hgg.): Gewalt ohne Ausweg? Terrorismus als Kommunikationsprozess in Europa seit dem 19. Jahrhundert, Frankfurt 2012; Karl Härter/ Tina Hannappel/ Conrad Tyrichter/ Thomas Walter: Terrorismus für die Rechtsgeschichte? Neuerscheinungen zur Geschichte politischer Gewalt im 19. und 20. Jahrhundert, in: Rechtsgeschichte 22 (2014), S. 374–385; Carola Dietze: Die Erfindung des Terrorismus in Europa, Russland und den USA 1858–1866, Hamburg 2016; Markus Lammert: Der neue Terrorismus. Terrorismusbekämpfung in Frankreich in den 1980er Jahren (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 114), Berlin/Boston 2017; Marc Sageman: Turning to political violence. The emergence of terrorism, Philadelphia 2017; Heinz-Gerhard Haupt: Den Staat herausfordern. Attentate in Europa im späten 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2019. Gleiches gilt für die antike und mittelalterliche Vormoderne. Dass dies aber dennoch gemacht wird, hat wohl auch mit der Orientierung an einer ‚Ökonomie der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit‘ zu tun: Der Begriff ‚Terrorismus‘ erweist sich in den Arbeiten zur Frühneuzeit durchaus als ‚Hingucker‘, selbst wenn er heuristisch zumindest zweifelhaft ist, ob er von den Verfasser*Innen selbst bisweilen uneigentlich gemeint ist, so etwa bei Robert Appelbaum: Terrorism before the letter. Mythography and political violence in England, Scotland, and France 1559–1642, Oxford, New York 2015. Weitere Beispiele für eine (mehr oder weniger ernst gemeinte) Rückdatierung des Terrorismus in die Zeit vor 1800 sind Brett Bowden: Terror throughout the Ages, in: Brett Bowden/ Michael T. Davis (Hg.): Terror. From tyrannicide to terrorism, St. Lucia 2008, S. 1–20; Chris R. Kyle: Early Modern Terrorism. The Gunpowder Plot and its Aftermath, in: ebd., S. 42–55. André Krischer: Verräter, Verschwörer, Terroristen. Juristische Klassifikationen, gesellschaftliche
Überlegungen zu einer Kriminalitätsgeschichte der Attentate und Verschwörungen
auf der einen Seite ist, mit dem Terrorismus-Begriff Frühneuzeitforschung zu betreiben, so wichtig ist es auf der anderen, dann aber nach spezifischen Ausprägungen von politischer Delinquenz in der Frühneuzeit zu fragen, die in der bisherigen Forschung kaum zum Thema gemacht wurden.8 Auf einer solchen Grundlage kann man versuchen, historische Verbindungslinien und vergleichbare Elemente zwischen politischen Verbrechen vormoderner und moderner Art aufzuzeigen. Von den historischen Terrorismus-Forschungen lässt sich auf jeden Fall lernen, dass dieser Gegenstand immer auch von seinen normativen, kommunikativen und medialen Konstruktionen und Rezeptionen her zu bestimmen ist.9 Dem hier vorliegenden Band liegt die Annahme zugrunde, dass dies genauso für frühneuzeitliche Varianten politischer Delinquenz wie Majestätsverbrechen, Rebellionen oder eben Attentate und Verschwörungen gilt. Bemerkenswerterweise findet sich diese Annahme bereits im deutschen Rechtsdenken des 19. Jahrhunderts: „Politische Kriminalität wurde nicht zu den natürlichen Delikten gezählt. Man wußte um die Rolle der Staatsgewalt bei der willkürlichen Konstruktion von Straftatbeständen.“10 Obwohl konstruktivistische Zugriffe zum Markenkern der historischen Kriminalitätsforschung mit ihrem traditionellen Schwerpunkt in der Frühneuzeit gehören, stand politische Delinquenz bislang kaum auf ihrer Agenda.11 Damit überlässt sie das Thema solchen Zugriffen, die politische Morde und Attentate als historische Universalien behandeln oder vor allem als Wendepunkte der Geschichte betrachten: „Mit einer Kugel die Welt verändern“.12 Das eine kann zu Anachronismen führen, das andere wiederum
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Wahrnehmungen und Visualisierungen von politischer Delinquenz und kollektiver Bedrohung in Großbritannien, 16.–19. Jahrhundert, in: Karl Härter/ Beatrice de Graaf/ Gerhard Sälter/ Eva Wiebel (Hgg.): Vom Majestätsverbrechen zum Terrorismus. Politische Kriminalität, Recht, Justiz und Polizei zwischen Früher Neuzeit und 20. Jahrhundert (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 268), Frankfurt am Main 2012, S. 103–160, hier: S. 104. Politische Delinquenz wird stillschweigend als Phänomen der späten Neuzeit behandelt bei Wolfgang J. Mommsen/ Gerhard Hirschfeld (Hgg.): Sozialprotest, Gewalt, Terror. Gewaltanwendung durch politische und gesellschaftliche Randgruppen im 19. und 20. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, Bd. 10), Stuttgart 1982; Dirk Blasius: Geschichte der politischen Kriminalität in Deutschland (1800–1980). Eine Studie zu Justiz und Staatsverbrechen, Frankfurt am Main 1983. Nicole Colin/ Beatrice de Graaf/ Jacco Pekelder: Der ‚Deutsche Herbst‘ und die RAF in Politik, Medien und Kunst. Nationale und internationale Perspektiven (= Histoire, Bd. 2), Bielefeld 2008, S. 7–13; Klaus Weinhauer/ Jörg Requate: Terrorismus als Kommunikationsprozess. Eskalation und Deeskalation politischer Gewalt in Europa seit dem 19. Jahrhundert, in: dies.: Gewalt ohne Ausweg (wie Anm. 5), S. 11–47. So Blasius: Geschichte der politischen Kriminalität (wie Anm. 8), S. 13. Das hat einer der führenden Vertreter der Kriminalitätsgeschichte im deutschsprachigen Raum selbst eingeräumt: Gerd Schwerhoff: Historische Kriminalitätsforschung (= Historische Einführungen, Bd. 9), Frankfurt am Main 2011, S. 170–171. Zu einem ähnlichen Befund kam zuletzt Karl Härter: Political Crime in Early Modern Europe: Assassination, legal responses and popular print media, in: European Journal of Criminology 11 (2014), S. 142–168, hier S. 142 und Schraut: Terrorismus und politische Gewalt (wie Anm. 4), S. 23. Franklin Ford: Der politische Mord. Von der Antike bis zur Gegenwart, Reinbek bei Hamburg 1992; Alexander Demandt (Hg.): Das Attentat in der Geschichte, Köln 2002; Sven Felix Keller-
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zu problematischen Selektionen, wenn nur jene Attentate als relevant eingestuft werden, die den Gang der Geschichte irgendwie veränderten. In der Wahrnehmung der Zeitgenossen waren misslungene oder nur versuchte Anschläge – Attentate im buchstäblichen Sinne! – aber keineswegs insignifikant. Das gleiche gilt für solche Attentate, die zwar tödlich endeten, aber aus der Vogelflugperspektive den Lauf der Geschichte nicht groß zu tangieren schienen. Für die Zeitgenossen konnten sich solche Taten jedoch als äußerst bedrohlich darstellen, sie wurden rechtlich verhandelt, hatten für die AttentäterInnen existenzielle Folgen und mündeten nicht selten in Diskussionen über Sicherheit und Schutzmaßnahmen. Attentate mit solchen (und weiteren, gleich zu explizierenden) Perspektiven zu untersuchen und damit als eine wichtige Form frühneuzeitlicher politischer Delinquenz zu konturieren, ist die Absicht dieses Bandes und seiner Beiträge. Er knüpft an Diskussionen an, die im deutschsprachigen Raum vor allem von Karl Härter und Gerhard Sälter angestoßen wurden.13 In einem von Härter am Frankfurter Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte geleiteten Forschungsprojekt wurden z.B. Aufstände und Revolten nicht, wie lange üblich, mit Blick auf die von den Beteiligten selbst artikulierten oder von Dritten attribuierten (sozialen, ökonomischen, politischen, rechtlichen, religiösen) Motive untersucht, sondern hinsichtlich der darauf folgenden „rechtlichen Reaktionen und juristisch-politischen Diskurse“.14 Die gerichtlichen Verhandlungen von Revolten etwa zeigen nicht nur, wie die Obrigkeiten derartige Vorgänge wahrnahmen. Vielmehr leisteten Gerichte auch einen erheblichen Beitrag zur sozialen Konstruktion von politischen Verbrechen durch die Delegitimierung widerständiger Handlungen und ihre Bezeichnung als Revolten, Rebellionen, Aufruhr, Empörung usf. Gerichtsprozesse generierten zugleich einen Überschuss an Bedeutungen, wenn sie Revolten als Bedrohung für HerrscherIn, Staat und Gemeinwesen dramatisierten. Nicht selten wurden solche forensischen Konstrukte wiederum von der zeitgenössischen Publizistik aufgegriffen, die auch langfristig wirkmächtige Deutungen in die Welt setzte. Mit dem Frankfurter Projekt wurde eine schon ältere Forderung, nämlich Revolten und Kriminalitäts- oder Strafrechtsgeschichte nicht länger getrennt zu behandeln, sondern nach (langfristigen) Wechselwirkungen zu fragen, vorbildlich
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hoff: Attentäter. Mit einer Kugel die Welt verändern, Köln 2003; Michael Sommer (Hg.): Politische Morde. Vom Altertum bis zur Gegenwart, Darmstadt 2005; Manfred Schneider: Das Attentat. Kritik der paranoischen Vernunft, Berlin 2010; Georg Schild/ Anton Schindling: Politische Morde in der Geschichte. Von der Antike bis zur Gegenwart, Paderborn 2012; Yuval Noah Harari: Fürsten im Fadenkreuz. Geheimoperationen im Zeitalter der Ritter 1100–1550, München 2020. Auch wenn diese Arbeiten aus kriminalitätshistorischer Perspektive als essentialistisch erscheinen, weisen sie als solche und mit Blick auf ihren jeweiligen Gegenstand freilich einen hohen Informationswert auf. Härter/ de Graaf/ Sälter/ Wiebel: Majestätsverbrechen (wie Anm. 7). Karl Härter: Revolten, politische Verbrechen, rechtliche Reaktionen und juristisch-politische Diskurse: einleitende Bemerkungen, in: Angela de Benedictis/ Karl Härter (Hgg.): Revolten und politische Verbrechen zwischen dem 12. und 19. Jahrhundert. Rechtliche Reaktionen und juristischpolitische Diskurse (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 285), Frankfurt am Main 2013, S. 1–13, hier S. 4.
Überlegungen zu einer Kriminalitätsgeschichte der Attentate und Verschwörungen
eingelöst.15 Attentate erschienen ähnlich geeignet, um eine die Frühneuzeit und ihre Sattelzeiten (vom 15. und zum 19. Jahrhundert) übergreifende Perspektive auf das Phänomen „Politische Kriminalität“ und seine Semantiken zu eröffnen.
I. Attentate und Verschwörungen als vormoderne Delinquenz Ein kursorischer Überblick über im französischen Sprachraum im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert veröffentlichte Texte zeigt, dass der Begriff attentat in Bezug auf Königsmord seit der Zeit um 1600 in einem dem heutigen Verständnis ähnlichen Sinn gebraucht wird.16 Darüber hinaus ließ sich mit dem Begriff auch eine widerrechtliche und irreguläre Kriegführung markieren. So verstanden weist attentat eine gewisse Nähe zum Wortfeld von ‚Verrat‘ und ‚Rebellion‘ auf.17 Im Kontext der Auseinandersetzungen mit der Heiligen Liga im Frankreich der Religionskriege führte etwa die Erhebung der Städte Paris und Orléans und anderer Körperschaften gegen die Autorität des Königs dazu, dass diese als Kollektivakteure in einer Erklärung Heinrichs III. des crimes d’attentat, Félonnie & de lèse-Majesté beschuldigt wurden.18 Furetières Wörterbuch definierte den Begriff gegen Ende des Jahrhunderts schließlich als Angriff oder Gewalt, die man versucht jemandem anzutun, also einerseits als tatsächliche oder versuchte Akte physischer Gewalt mit oder ohne politischen Hintergrund, andererseits spreche man von attentat aber auch im übertragenen Sinne von demjenigen, was gegen die Obrigkeiten und ihre Jurisdiktion getan wird.19 In dieser semantischen Tradition konnten im 18. Jahrhundert Aufstände und Revolten als Hochverrat angeklagt werden, insofern Juristen darin einen direkten Angriff auf Leib und Leben des Königs und den ‚body politic‘, also gleichsam ein gruppenförmiges Attentat, sehen wollten.20 15
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Andreas Würgler: Diffamierung und Kriminalisierung von „Devianz“ in frühneuzeitlichen Konflikten. Für einen Dialog zwischen Protestforschung und Kriminalitätsgeschichte, in: Mark Häberlein (Hg.): Devianz, Widerstand und Herrschaftspraxis in der Vormoderne (= Konflikte und Kultur. Historische Perspektiven, Bd. 2), Konstanz 1999, S. 317–374; Schwerhoff: Historische Kriminalitätsforschung (wie Anm. 11), S. 171–172. Siehe etwa: François Du Souhait: Discours sur lattentat à la personne du Roy, par Nicole Mignon : dedié a sa Majesté, Lyon 1600. Thomas Pelletier: Discours lamentable, sur l‘attentat et parricide commis en la personne de [...] Henry IIII [...] ensemble les souspirs de la France […], Lyon 1610. Déclaration du Roy sur les attentats et entreprises commises contre son Estat, par aucuns du comté de Bourgongne […] et à tous les Ordres dudit pays, qui voudront observer inviolablement le traicté de neutralité […], Paris 1636. Declaration du Roy, sur l’attentat, félonnie et rébellion des villes de Paris, Orléans, Amiens, Abbeville, & autres leurs adherans, Bordeaux 1589, S. 7. En terme de Palais, se dit figurément de ce qui est fait contre l’autorité des supérieurs & leur jurisdiction; Art. „Attentat“, in: Antoine Furetière (Hg.): Dictionnaire universel contenant généralement tous les mots françois tant vieux que modernes, & les termes de toutes les sciences et des arts, vol. 1, Paris 1690. André Krischer: Aufruhr als Hochverrat? Drei Londoner „Riots“ vor Gericht (1668, 1710, 1780), in: de Benedictis/Härter: Revolten (wie Anm. 14), S. 381–414, hier 407f.
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Für den vorliegenden Band wollen wir den Gegenstandsbereich der hier untersuchten Phänomene daher erweitern. Der Historiker Franklin Ford hat in seiner Pionierstudie das Attentat als eine Form von Gewalt bestimmt, die aus politischen Gründen und ohne institutionelle Legitimation gegen bestimmte Akteure oder Gruppen verübt wird.21 Dagegen werden in diesem Band sowohl reale, geplante oder auch nur ‚imaginierte‘ Angriffe auf Herrscherpersonen bzw. im weitesten Sinne Repräsentanten eines politisch-gesellschaftlichen System untersucht als auch deren Zuschreibung als politische Kriminalität – verstanden als ein historisch wandelbares Konstrukt, mit dem „in sicherheitspolitischen Diskursen Handlungen etikettiert wurden, die im weitesten Sinne als Bedrohung oder Angriff auf Gesellschaft und politische Ordnung verstanden wurden“.22 Damit wollen wir uns zunächst auf den denkbar direktesten und gravierendsten Aspekt politischer Kriminalität in der Frühen Neuzeit konzentrieren, nämlich die durchgeführte oder die intendierte Tötung von Herrschaftsträgern. Sie hatte in aller Regel schwerwiegende strafrechtliche Folgen – nicht selten ein „Theater des Schreckens“ (Richard van Dülmen) – und brachte ein Maximum an medialer Aufmerksamkeit mit sich. Die Einschränkung auf das Attentat erlaubt es erstens, die sich zwischen Spätmittelalter und Sattelzeit abzeichnenden Wandlungen in Wahrnehmung und Praxis zu verfolgen. Zweitens lässt sich so das Verhältnis zu anderen Formen politischer Delinquenz und zur Kriminalisierung von Vorfeld- und Vorbereitungshandeln für derartige Taten beleuchten.23 In dieser Hinsicht ist die Verbindung von Attentaten und Verschwörungen besonders naheliegend. Zum einen wollten frühneuzeitliche Obrigkeiten gewöhnlich nicht zwischen versuchten und erfolgten Attentaten unterscheiden und vielmehr bereits die Planungen einer Tat mit der vollen Härte der jeweiligen Gesetze bestrafen. Diesen Planungen betrachteten die Obrigkeiten gewöhnlich als Werk einer Verschwörerbande. Während derzeit und vor allem in Deutschland die Staatsanwaltschaften bei politischen Morden häufig von einem „Einzeltäter“ ausgehen24, hielt man den Fokus auf diese Figur in der Frühneuzeit für unplausibel und vermutete hinter dem Beschuldigten bisweilen ein weitverzweigtes und geheimes Netzwerk. Zu dessen ‚Audeckung‘ wurde nicht selten die Folter eingesetzt.25 Umgekehrt gingen Obrigkeiten bis ins 19. Jahrhundert davon aus, dass Verschwörungen in Attentaten mündeten.26 Von der vermuteten Verschwörerbande zur Weltverschwörung war es dabei 21 22 23
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Ford: Mord (wie Anm. 12), S. 20–21. So die treffliche und prägnante Definition im Beitrag von Conrad Tyrichter in diesem Band. Das ist auch ein aktuelles Thema für die Rechtswissenschaft, vgl. Volker Bützler: Staatsschutz mittels Vorfeldkriminalisierung. Eine Studie zum Hochverrat, Terrorismus und den schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (= Gießener Schriften zum Strafrecht und zur Kriminologie, Bd. 49), BadenBaden 2017. Dazu Armin Pfahl-Traughber: Die Besonderheiten des „Lone-Wolf“-Phänomens im Rechtsterrorismus, in: Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung 2015/2016 (2016), S. 230–263. Vgl. für das elisabethanische England, wo die Folter eigentlich verboten war Stephen Alford: The watchers. A secret history of the reign of Elizabeth I, London 2013, S. 163f. sowie den Beitrag von Karl Härter für Beispiele aus Frankreich und dem Alten Reich. Siehe dazu den Beitrag von Friedmann/ Krischer in diesem Band.
Überlegungen zu einer Kriminalitätsgeschichte der Attentate und Verschwörungen
nur ein kleiner Schritt. Nachdem einer Gruppe um Robert Catesby und Guy Fawkes im November 1605 der Versuch misslang, König Jakob I. und das englische Parlament mit Schwarzpulver in die Luft zu sprengen, sah sich nicht nur die dortige Obrigkeit bestätigt, die Katholiken pauschal konspirative Machenschaften unterstellte. Auch der reformierte Basler Theologe Wolfgang Meyer (1577–1653) hielt den (zuerst 1642 so bezeichneten) gunpowder plot für das Werk einer weitverzweigten Verschwörung höllischer Ingenieure um den Jesuiten-Kardinal Roberto Bellarmino.27 Meyer und andere Publizisten zählten auch den Teufel zum Bund der Verschwörer, was zeigt, dass hier auch eschatologische Vorstellungen eine Rolle spielten.28 Inwieweit Attentäter tatsächlich in konspirative Umtriebe verwickelt waren, wird zu prüfen sein. Allerdings gehen wir davon aus, dass es solche Verschwörungen überhaupt nur deswegen ‚gab‘, weil sie durch juristische Konzepte als solche markiert wurden. Verschwörungen ließen sich für die Zeitgenossen nur beobachten, insofern es dafür bereits entsprechende Deutungsmuster gab. Es geht also um jene Narrationen und Signalworte, mit denen Obrigkeiten und/oder Gerichte bestimmte Handlungsweisen als Verschwörung darstellten.29 Wir problematisieren in diesem Band Verschwörungen daher nicht vorrangig im gesellschaftlichen Diskurs, als Verschwörungstheorien, die seit einigen Jahren wieder höchste Konjunktur haben und daher auch verstärkt zum Gegenstand historisch-kulturwissenschaftlicher Forschungen geworden sind.30 Vielmehr interessieren uns Verschwörungen als Delikte oder als die Art und Weise, wie autoritative Instanzen (Obrigkeiten, Medien) Anschläge und Anschlagsversuche als Teil eines größeren Komplotts werteten.31 Dabei gab es verschiedene Interferenzen zwischen Verschwörungstheorien und dem Feld des Rechts – beginnend schon damit, dass es in England, wo es in der europäischen Frühneuzeit die meisten, auf einer Ver27
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Wolfgang Meyer: Historia Des großen Englischen Wunderwercks, Der trefflichen Erlösung/ des Durchleuchtigsten/ und Großmächtigsten Königs auß groß Britannien/ Franckreich/ und Irland/ Jacobi des Ersten [...] von des Verrätherisch undergeschobenen Büchsen-Pulvers grausamen Mördtlichen Gewalt, o.O. 1610, Vorrede. Paradigmatisch zeigte die 1620 von Samuel Ward (aus Protest gegen die Pläne zur Vermählung des englischen Thronfolgers mit einer spanischen Infantin) publizierte Bildflugschrift den Teufel als Vorsitzenden eines Verschwörergremiums, vgl. Krischer: Verräter, Verschwörer, Terroristen (wie Anm. 7), S. 114f. Bereits im Spätmittelalter entstand die konspirationistische Vorstellung einer ‚Teufelsbuhlschaft‘ der ‚Hexen‘, vgl. dazu Werner Tschacher: Vom Feindbild zur Verschwörungstheorie. Das Hexenstereotyp, in: Ute Caumanns/ Mathias Niendorf (Hgg.): Verschwörungstheorien. Anthropologische Konstanten – historische Varianten, Osnabrück 2001, S. 49–74 Vgl. dazu am englischen Beispiel Krischer: Verräter, Verschwörer, Terroristen (wie Anm. 7), S. 233– 236. Vgl. Michael Butter: „Nichts ist, wie es scheint“. Über Verschwörungstheorien, Berlin 2018; Cornel Zwierlein/ Beatrice de Graaf: Security and conspiracy in modern history, in: Historical Social Research 38 (2013), S. 7–45; Barry Coward/ Julian Swann: Conspiracies and conspiracy theory in Early Modern Europe. From the Waldensians to the French Revolution, London 2017. Auch wenn diesbezügliche Erwartungen von zirkulierenden Verschwörungstheorien überformt sein konnten, vgl. Alford: The watchers (wie Anm. 25); Cornel Zwierlein: Tyrannenmord, Majestätsverbrechen und Herrscherwechsel bei Shakespeare. Resonanzen konfessioneller Polarisierung um 1600, in: Shakespeare-Jahrbuch 154 (2018), S. 31–53.
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schwörungsunterstellung basierenden Hochverratsprozesse gab, auch eine konspirationistische Mentalität weit verbreitet war. In England waren Gerichte an der Verbreitung von Verschwörungstheorien beteiligt, so wie umgekehrt eine seit dem 16. Jahrhundert ausgeprägte verschwörungstheoretische Weltsicht Anklagen wegen (vermeintlicher) Staatsverbrechen erleichterte.32 Mit der Idee der Schwureinigung (coniuratio) lieferte das alteuropäische Recht wiederum überhaupt erst die Vorlage für einen auch negativ zu verstehenden Begriff von Verschwörung.33 Mit der coniuratio wurde seit dem 16. Jahrhundert gewöhnlich eine Verbindung bezeichnet, die sich in böswilliger Absicht gegen Fürsten oder Gemeinwesen richtete. Die positive Bedeutung einer Schwureinigung von Bürgern oder Genossen trat demgegenüber zurück, auch wenn sie nicht völlig verschwand.34 Die conspiratio – im Sinne einer ‚Übereinkunft im Geiste‘ – war dagegen bereits seit der römischen Antike negativ konnotiert. Die beiden Begriffe wurden seit dem Frühmittelalter als weitgehend synonym behandelt35, aber im rechtlich unterschiedlich nachgewiesen: die coniuratio über das Ablegen eines Eids, die conspiratio bzw. conspiracy durch den Nachweis wiederholter Zusammentreffen in kleinen und geheimen Zirkeln (conventicula), bevorzugt bei Nacht.36 Im Common Law galt die wiederholte Anwesenheit bei derart konspirativen Treffen als Beweis für Zustimmung zu den dort beschlossenen Sachen, ganz ähnlich sahen das auch die Rechtsgelehrten auf dem Kontinent.37 Wegen des Missbrauchs des Eides und der klandestinen Vorge32 33
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André Krischer: Die Macht des Verfahrens. Englische Hochverratsprozesse 1554–1848 (Verhandeln, Verfahren, Entscheiden. Historische Perspektiven, Band 3), Münster 2017, S. 110–114; 284ff. Dazu klassisch Otto Gerhard Oexle: Frieden durch Verschwörung, in: Johannes Fried (Hg.): Träger und Instrumentarien des Friedens im hohen und späten Mittelalter (= Vorträge und Forschungen. Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, Bd. 43), Sigmaringen 1996, S. 115–150; ferner Mario Müller: Besiegelte Freundschaft: die brandenburgischen Erbeinungen und Erbverbrüderungen im späten Mittelalter (= Schriften zur politischen Kommunikation, Band 8), Göttingen 2010, S. 45f. Zur juristischen ‚Erfindung‘ der Verschwörung vgl. Alan Harding: The Origins of the Crime of Conspiracy, in: Transactions of the Royal Historical Society 33 (1983), S. 89–108; Krischer: Macht (wie Anm. 32), S. 175–181; vgl. zum ideengeschichtlichen Wandel am Beginn der Frühneuzeit auch Cornel Zwierlein: Security politics and conspiracy theories in the emerging European state system (c. 15th/ 16th), in: Historical Social Research 38 (2013), S. 65–95. Peter Blickle: „Coniuratio“. Die politische Karriere einer lokalen Gesellschaftsformation, in: Albrecht Cordes, Joachim Rückert, Reiner Schulze (Hgg.): Stadt – Gemeinde – Genossenschaft. Festschrift für Gerhard Dilcher zum 70. Geburtstag, Berlin 2003, 341–360. Harding: Origins (wie Anm. 33), S. 93; vgl. auch Tiberio Deciani: Tractatus Criminalis [...] Frankfurt am Main 1590, Lib. VII, Cap. VII, § 2: Conspiratio vero idem fere significat, hac sola differentia excepta, quod coniuratio sit cum iuramento, conspiratio vero sine, & dicitur à con & spiro, quasi simul spiro; ähnlich Prospero Farinacci: Iurisconsulti Romani [...] Praxis, et theoricae criminalis pars quarta: de crimine laesae maiestatis [...], Paris 1631, Lib. Quartus, S. 2. Etwa Deciani: Tractatus (wie Anm. 35), Lib. VII, Cap. VII, §7; Fabrizio Dal Vera: Quietis publicae perturbatio: Revolts in the Political and Legal Treatises of the sixteenth and seventeenth Centuries, in: Malte Griesse (Hg.): From Mutual Observation to Propaganda War. Premodern Revolts in Their Transnational Representations, Bielefeld 2014, S. 273–208, hier 302f. Noch am Ende des 18. Jahrhunderts hatten Magistrate gerade darauf ein Auge, vgl. E.P. Thompson: The making of the English working class, New York 1966, S. 476f. Krischer: Macht (wie Anm. 32), S. 234f.; Deciani: Tractatus (wie Anm. 35), Lib. VII, Cap. VII, § 2:
Überlegungen zu einer Kriminalitätsgeschichte der Attentate und Verschwörungen
hensweise galten Verschwörungen rechtlich als besonders verwerflich. Kurzum könnte man sagen, dass das alteuropäische Recht seine eigenen Theorien über Verschwörungen ausbildete und erst mittels dieser Begriffe bestimmte soziale Vorgänge als konspirativ beobachten und kriminalisieren konnte. An diese semantischen Vorleistungen konnten ‚allgemeine‘ Verschwörungstheorien anknüpfen.
II. Vier kriminalitätshistorische Perspektiven: Konstruktionen – Verortungen – Versicherheitlichung – Materialität In den Beiträgen dieses Bandes sollen politische Attentate und Verschwörungen mit den Perspektiven der Kriminalitätsgeschichte betrachtet werden, die ihr Profil im Wesentlichen an einer produktiven Schnittstelle zwischen klassischer Sozialgeschichte und alltagsgeschichtlichen und historisch-anthropologischen Ansätzen herausgebildet hat.38 Mit Blick auf diese Tradition mag man zunächst geneigt sein, nach dem Mehrwert von kriminalitätsgeschichtlichen Perspektiven zu fragen. Schließlich stehen bei Attentaten gerade nicht alltägliche Phänomene aus der lebensweltlichen Erfahrung der einfachen Bevölkerung zur Debatte, sondern gegen Eliten gerichtete und von Eliten verfolgte und verhandelte Kriminalität. Ähnliches gilt für quantifizierende sozialhistorische Ansätze, die neben interpretativen Verfahren ein Kennzeichen der neueren Kriminalitätsgeschichte sind.39 Inwiefern sich gesellschaftliche Strukturen und längerfristige Wandlungsprozesse mit der Häufigkeit von Attentaten in Relation setzen oder sich mithilfe quantifizierender Methoden aus ihnen sozialgeschichtliche Erkenntnisse gewinnen lassen, erscheint zumindest fraglich.40 Dennoch stellt die neuere Kriminalitätsgeschichte ein methodisches Instrumentarium zur Verfügung, das verschiedene kulturgeschichtliche Perspektiven bündelt und die Integration weiterer Ansätze ermöglicht, die geeignet erscheinen, die Geschichte des politischen Attentats in der Neuzeit in den Blick zu nehmen – und zwar jenseits der oben skizzierten, weitgehend ereignisgeschichtlichen Zugänge und jenseits der Engführungen historischer Terrorismus-Studien. So befassen sich etwa historisch-
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necesse est, ut in unum fere spiritum consentiant, ideo conspirare pro consentire, & conspiratio pro consensu accipitur. Joachim Eibach: Kriminalitätsgeschichte zwischen Sozialgeschichte und Historischer Kulturforschung, in: Historische Zeitschrift 263 (1996), S. 681–715; Andreas Blauert: Einleitung, in: Ders./ Gerd Schwerhoff (Hrsg): Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne (= Konflikte und Kultur, Bd. 1), Konstanz 2000, S. 13. Schwerhoff: Historische Kriminalitätsforschung (wie Anm. 11). Der analytische Wert von in dieser Hinsicht unternommenen quantitativen Betrachtungen erscheint eher zweifelhaft, vgl. Manuel Eisner: Killing Kings. Patterns of Regicide in Europe, AD 600–1800, in: British Journal of Criminology 51 (2011), S. 556–577. Dass sich jedoch unter dem Einfluss der französischen Annales-Schule durchaus eine umfassende Geschichte der kollektiven sozialen, kulturellen und mentalen Ermöglichungsbedingungen des Regizids an Heinrich IV. und seiner politischinstitutionellen Folgen schreiben ließ, hat Roland Mousnier schon in den 1960er Jahren unter Beweis gestellt, siehe: Roland Mousnier: L’assassinat d’Henri IV 14 mai 1610, Paris 1964.
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anthropologische Zugänge mit der Rekonstruktion historischer Bedeutungssysteme, die für die Untersuchung politischer Kriminalität fruchtbar gemacht werden können. Dies ermöglicht es, Wahrnehmungen politischer Gewaltverbrechen und Prozesse der Sinnstiftung und Emotionen (z.B. kollektive Ängste) zu erschließen.41 Ebenso lässt sich fragen, inwiefern Bedrohungswahrnehmungen zur Institutionalisierung neuer Sicherheitsregime beitrugen.42 Vor allem aber hat die historische Kriminalitätsforschung schon seit den 1990er Jahren mithilfe des sozialwissenschaftlichen labeling approach Kriminalität als Produkt machtförmigen institutionellen und gesellschaftlichen Zuschreibungshandelns aufgefasst. Damit hat sie sich für ein explizit konstruktivistisches Verständnis ihres Untersuchungsgegenstandes geöffnet.43 So ‚erzeugen‘ die rechtlichen Kategorien für Akte politischer Kriminalität eigene Formen kriminellen Handelns. Der englische Hochverratsbegriff kriminalisierte nicht nur mehr oder weniger ausgereifte Pläne, sondern auch Herrschermordphantasien und stellte solche ‚Imaginationen‘ faktisch mit handgreiflichen Attentatsversuchen gleich. Andernorts konnten beiläufige Beleidigungen und Verleumdungen von Monarchen unter das (gemeinrechtliche) Delikt der verletzten Majestät fallen.44 Zugleich nimmt die Kriminalitätsgeschichte zunehmend Medien und Öffentlichkeit(en) sowie deren Wechselwirkung mit institutionellen Wahrnehmungen von bzw. Reaktionen auf Verbrechen als ein weiteres Feld der „Konstruktion“ von Kriminalität in den Blick.45 Dies geht zunächst einher mit der beschriebenen Verschiebung von Interessenschwerpunkten in der modernen Kriminologie auf den „Umgang“ mit Verbrechen46, aber auch der zunehmenden chronologischen Ausdehnung ihres Gegenstandsbereiches auf die differenzierten „Mediengesellschaften“ des 19. und 20. Jahrhunderts.47 Dass sich eine solche Betrachtungsweise in besonderem Maße für 41
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Zu ‚Angst‘ als zentralem politisierbaren Faktor der Wahrnehmung bestimmter Delikte vor der Emergenz des modernen Terrorismus siehe anhand der Mordbrenner-Panik des 16. Jahrhunderts, Johannes Dillinger: Organized Arson as a Political Crime. The Construction of a „Terrorist“ Menace in the Early Modern Period, in: Crime, Histoire & Sociétés, 10 (2006), S. 101–122. Vgl. dazu zuletzt am Beispiel des frühen 19. Jahrhunderts Beatrice de Graaf/Ido de Haan/Brian Vick: Vienna 1815, in: dies.: Securing Europe after Napoleon 1815 and the New European Security Culture, Cambridge 2019, S. 1–18; ferner Eckart Conze: Geschichte der Sicherheit: Entwicklung – Themen – Perspektiven, Göttingen 2017, S. 71–105. Siehe Schwerhoff: Historische Kriminalitätsforschung (wie Anm. 11), S. 35–39. John Barrell: Imagining the king’s death. Figurative Treason, Fantasies of Regicide 1793–1796, Oxford 2000; Helga Schnabel-Schüle: Das Majestätsverbrechen als Herrschaftsschutz und Herrschaftskritik, in: Aufklärung 7 (1994), S. 29–48; Philip Czech: Der Kaiser ist ein Lump und Spitzbube. Majestätsbeleidigung unter Kaiser Franz Joseph, Wien, Köln, Weimar 2010. Schwerhoff: Historische Kriminalitätsforschung (wie Anm. 11), S. 178ff.; Karl Härter: Strafrechts- und Kriminalitätsgeschichte der Frühen Neuzeit (= methodica, Bd. 5), München, Wien 2017, S. 137–154. Helge Peters/ Michael Dellwing (Hgg.): Langweiliges Verbrechen. Warum KriminologInnen den Umgang mit Kriminalität interessanter finden als Kriminalität, Wiesbaden 2011. Siehe bspw. Philipp Müller: Auf der Suche nach dem Täter. Die öffentliche Dramatisierung von Verbrechen im Berlin des Kaiserreichs (Campus Historische Studien, Bd. 40), Frankfurt am Main 2005.
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moderne politische Kriminalität eignet, liegt allein schon wegen der in analytischen Definitionen des Phänomens Terrorismus stark hervorgehobenen Bedeutung der Instrumentalisierung des Mediensystems durch Täter wie angegriffenes System auf der Hand.48 Dass mediale Öffentlichkeiten jedoch keineswegs erst mit der Emergenz eines ‚modernen‘ Mediensystems und der ohnehin historisch extrem voraussetzungsreichen Charakterisierung politischer Attentate als ‚Terrorismus‘ eine entscheidende Rolle für die Konstruktion von Attentaten als politischer Kriminalität einnahmen, werden die Beiträge dieses Bandes zeigen. Im Folgenden sollen nun einige für den Band besonders relevante Themenfelder skizziert werden, und zwar Konstruktionen des Attentats als politisches Delikt (1), ‚Attentatslandschaften‘, also die historischen Orte der Attentate im frühneuzeitlichen Europa (2), der Zusammenhang von politischen Attentaten und Sicherheitsdiskursen und -praktiken (3) sowie schließlich (im Sinne der Erweiterung des kriminalitätshistorischen Werkzeugkastens) die materielle Dimensionen des Attentats. 1. Konstruktionen des Attentats als politisches Delikt Die moderne Konstruktion von Kriminalität durch Gerichtsverfahren, mediale Berichterstattung oder spätere fiktionale Narrativierung ist bereits seit den 1990er Jahren im Rahmen interdisziplinärer Forschungen von Literatur- und Rechtswissenschaftlern hervorgehoben und konzeptionell ausgelotet worden.49 Die Konstruktion des Attentats als politisches Delikt durch rechtliche Verfahren und mediale Repräsentationen kann jedoch auch ein vielversprechender Ausgangspunkt für einen epochenübergreifenden kriminalitätshistorischen Zugang zur Geschichte des Attentats sein.50 Für das juristische Feld ließe sich etwa herausarbeiten, wie strafrechtliche Kategorien die ‚Erzählbarkeit‘ politischer Kriminalität vorstrukturierten. So zeigt etwa der Beitrag von Friedmann/Krischer, dass die englische Hochverratsdoktrin noch Anfang des 19. Jahrhunderts die Fiktion eines geplanten Herrschermordes erforderlich machte, um etwa 48 49
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Vgl. etwa die Terrorismus-Definition bei Alex P. Schmid/ Albert J. Jongman: Political terrorism. A new guide to actors, authors, concepts, data bases, theories and literature, Amsterdam/ New Brunswick (NJ) 1988, S. 28. Siehe auch Schraut: Terrorismus und politische Gewalt (wie Anm. 4), S. 55. Dieses Verhältnis ist unter einer interdisziplinären literaturwissenschaftlichen und rechtswissenschaftlichen Perspektive schon seit den 1990er Jahren thematisiert worden, siehe: Jörg Schönert: Erzählte Kriminalität. Zur Konstitution des Gegenstandsbereichs und zu interdisziplinären Perspektiven, in: Ders.: Kriminalität erzählen. Studien zu Kriminalität in der deutschsprachigen Literatur (1570–1920), Berlin/ Boston 2015, S. 1–48. Siehe auch: Joachim Linder/ Claus Michael Ort: Zur sozialen Konstruktion der Übertretung und zu ihren Repräsentationen im 20. Jahrhundert, in: Dies. (Hgg.): Verbrechen – Justiz – Medien. Konstellationen in Deutschland von 1900 bis zur Gegenwart, Tübingen 1999, S. 3–80. Zentral hierfür sind die Überlegungen Karl Härters, wie etwa in: Härter: Political crime (wie Anm. 11). Eine mittlerweile vierzig Jahre alte methodisch und in der Durchdringung des Materials eindrucksvolle Pionierleistung für eine „konstruktivistische“ und diskursanalytische Mediengeschichte des politischen Attentats ist: Pierre Rétat u.a.: L’attentat de Damiens. Discours sur l’événement au XVIIIe siècle, Paris 1979.
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völlig anders gelagerte Arbeiterunruhen als politisches Delikt fassbar machen zu können. Ohne den physisch angegriffenen oder bedrohten König war hier politische Kriminalität rechtlich schlicht nicht denk- und erzählbar. Für die Frühe Neuzeit fällt wiederum auf, dass Kriminalfälle vielfach nicht deswegen zu Medienereignissen avancierten, weil sich Publizisten und Zeitungsmacher dafür interessierten und von sich aus berichteten. Vielmehr waren es die Obrigkeiten, die Flugblätter, Bilder und Berichte über Fälle und Hinrichtungen veröffentlichten und damit zur Medialisierung politischer Kriminalität beitrugen.51 Publizisten und Zeitungen beschränkten sich vielfach auf den Wiederabdruck der obrigkeitlichen Versionen. Seit dem 18. Jahrhundert stellten Obrigkeiten durch die Veröffentlichung von Strafprozessakten und Kriminaluntersuchungen ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis und bemühten sich damit um Legitimation für ihre Maßnahmen. Solche Deutungsversuche ‚von oben‘ blieben aber weder unwidersprochen noch sperrten sie sich gegen eigensinnige Aneignungen ‚von unten‘. Ein sensationalistischer Blick auf Kriminalität jenseits obrigkeitlicher Autoritäts- und Moralisierungsabsichten war im deutschsprachigen Raum schon seit dem 16. Jahrhundert gang und gäbe.52 Im 18. Jahrhundert etablierte François Gayot de Pitaval mit seinen Causes célèbres et intéressantes ein neues, auf den ‚Faktor Mensch‘ fokussiertes Muster für die Darstellung von Gerichtsfällen. In dieser Manier ließ sich etwa das Leben des zu europaweiter Berühmtheit gelangten Königs-Attentäters Robert-François Damiens rekonstruieren und psychologisieren.53 Aber genau solche Lebensgeschichten der Attentäter konnten Gegennarrative mobilisieren, die die obrigkeitlichen Narrationen konterkarierten. So wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts um Attentäter wie Karl Ludwig Sand oder Friedrich Staps Heroen- und Märtyrer-Erzählungen gebaut (Karl Härter, Tilman Haug).54 Der Königsattentäter Fieschi erfreute sich im Frankreich der Juli-Monarchie nicht nur durchaus positiver Medien-Aufmerksamkeit. Er traf auch auf eine Stimmung im französischen Bürger51
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Pionierarbeiten von Karl Härter haben dies bereits eindrücklich gezeigt, vgl. Härter: Political Crime (wie Anm. 11); ders.: Cultural Deviance, Political Crime, Public Media and Security: Perspectives on the Cultural History of Crime and Criminal Justice in Early Modern Europe, in: Crime, Histoire & Sociétés/ Crime, History & Societies (2017), S. 261–269; Ders.: Images of Dishonoured Rebels and Infamous Revolts: Political Crime, Shaming Punishments and Defamation in the Early Modern Pictorial Media, in: Carolin Behrmann (Hg.): Images of Shame. Infamy, Defamation and the Ethics of oeconomia, Berlin/Boston 2016, S. 75–101; ders.: Early Modern Revolts as Political Crimes in the Popular Media of Illustrated Broadsheets, in: Griesse, Mutual Obersavtion (wien Anm. 36), S. 309–350. Joy Wiltenburg: Crime and culture in early modern Germany, Charlottesville (VA) 2012, S. 64, 87; Schwerhoff: Historische Kriminalitätsforschung (wie Anm. 11), S. 183–186. Siehe hierzu anhand des Falls Damiens schon die pionierartige Studie von Hans-Jürgen Lüsebrink: Kriminalität und Literatur im Frankreich des 18. Jahrhunderts. Literarische Formen, soziale Funktionen u. Wissenskonstituenten von Kriminalitätsdarstellungen im Zeitalter der Aufklärung, München 1983, S. 64–75. Dass Widerstands- und Freiheitskämpfer für die einen Verbrecher, für die anderen aber Märtyrer waren, wurde im 19. Jahrhundert zu einer topischen Dichotomie, vgl. am irischen Beispiel Gary Owens: Constructing the Martyrs. The Manchester executions and the nationalist imagination, in: Lawrence W. MacBride (Hg.): Images, icons and the Irish nationalist imagination, Dublin 1999, S. 18–36.
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tum, die politisch motivierten Attentätern bis zu einem gewissen Grad ehrenwerte Motive einzuräumen bereit war (Conrad Tyrichter). Politische Kriminalität unterlag also schon seit der Vormoderne, nicht einheitlichen, sondern konkurrierenden Deutungen oder sogar dauerhaften Deutungskonflikten. Solche Deutungskonflikte entstanden oft dann, wenn die Delikte mit übergreifenden machtpolitischen Konflikten verwoben waren wie etwa im von André Krischer beschriebenen Fall Kette oder wie bei der von Sebastian Becker rekonstruierten Auseinandersetzung um die Herrschaft über die Stadt Piacenza im Italien des 16. Jahrhunderts. Hier konnte die Frage im Diskursraum stehen, ob man es überhaupt mit einem Attentat bzw. einer Verschwörung zu tun hatte und nicht vielmehr mit legitimen (Gegen-)Maßnahmen. Besonders virulent wurden die unscharfen Grenzen zwischen illegitimem Attentat und legitimierbarer physischer Gewalt im Konfessionellen Zeitalter. Widerstandslehren verteidigten zwar primär korporativ organisierte, ‚verregelte‘ Gegengewalt. Gerade im Umfeld der zahlreichen Attentate und Attentatsversuchen gegen französische Könige um 1600 konnte der Königsmord jedoch in Rechtfertigungsschriften zum alternativlos gewordenen Tyrannenmord angesichts einer in eine illegitime Despotie verwandelten Herrschaft stilisiert werden.55 Unter dem apologetischen Rubrum ‚Tyrannenmord‘ konnten schließlich auch Morde an Günstlingen oder anderen problematischen Machtfiguren als ‚Störfallbeseitigung‘ im Rahmen prinzipiell legitimer monarchischer Herrschaft markiert werden.56 Ebenso verdeutlicht Sebastian Beckers Beitrag, dass anhand des Tyrannenmordes in Italien um die Mitte des 16. Jahrhunderts öffentlich um die Legitimierbarkeit des Attentats als einer Art von Außenpolitik mit anderen Mitteln gerungen wurde. Die öffentliche Darstellung und Medialisierung politischer Kriminalität durch angegriffenen Obrigkeiten und verletzte Majestäten konnte als Ressource zur Wiederherstellung von Autorität und Ordnung dienen. Aber weil Deutungskontrollen ihren Grenzen hatten, blieben solche Kampagnen zweischneidig. Der intendierte Entzug einer politischen und strafrechtlichen Öffentlichkeit war daher ebenso eine Option und konnte Attentate und Verschwörungen ihrer politischen Relevanz berauben. 55
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Siehe etwa die Kampfschrift: De justa populi gallici ab Henrico tertio defectione, ediert in: Cornel Zwierlein: The Political Thought of the French League and Rome 1585–1589, Genf 2016, S. 207ff. Siehe zum Konzept Tyrannenmord im allgemeinen auch: Conal Condren: The Office of Rule and the Rhetorics of Tyrannicide in Medieval and Early-Modern Europe: An Overview, in: Robert von Friedeburg (Hg.): Murder and monarchy. Regicide in European history, 1300–1800, Basingstoke 2004, S. 48–72; Cesare Cuttica: Tyrannicide and Political Authority in the Long Sixteenth Century, in: Benjamin Hill/ Henrik Lagerlund (Hgg.): Routledge Companion to 16th Century Philosophy, New York 2016, S. 265–292. Unglücklicherweise konnte der vorgesehene Beitrag von Niels Grüne (Innsbruck) zur Ermordung des Herzogs von Buckingham nicht rechtzeitig für die Publikation des Bandes fertiggestellt werden. Einen ähnlichen Fall eines mit nachträglicher königlicher Sanktion zum Tyrannizid stilisierten Günstlingmordes mit ritualisierter öffentlicher Leichenschändung anhand des Mordes am Favoriten Maria de Medicis, Concini, beschreibt Orest Ranum: The French Ritual of Tyrannicide in the Late Sixteenth Century, in: The Sixteenth Century Journal 11 (1980), S. 66–82, hier S. 75–81.
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Schon im Frankreich des 17. Jahrhunderts ignorierte man besonders dilettantische Verschwörungen und Umsturzpläne lieber geflissentlich, als unerwünschter politischer Opposition unfreiwillig die öffentliche Bühne politischer Strafjustiz zu überlassen.57 Seit dem späteren 18. Jahrhundert wurden angesichts neuer Formen medizinischen und proto-psychologischen Wissens eine Pathologisierung von Kriminalität möglich. Es war politisches Kalkül, wenn man Täter geräuschlos in Spitälern verschwinden ließ oder bei der englischen Königsattentäterin Margareth Nicholson auf einen Prozess verzichtete und durch Pathologisierung eine nachhaltige Entpolitisierung von Attentat und Täterin erreichte.58 2. ‚Attentatslandschaften‘: Die historischen Orte der Attentate im frühneuzeitlichen Europa Revolten gab es in Europa zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert in zahlreichen und unterschiedlichen Varianten, und ebenso verschieden gestalteten sich die rechtlichen und politischen Reaktionen darauf.59 Revolten waren von Italien bis Schottland, von Portugal über das Baltikum bis nach Russland eine „Grundgegebenheit“ in Frühneuzeit und Sattelzeit.60 Das war bei Attentaten und Verschwörungen offenbar anders. Man kann mit Blick darauf nicht nur bestimmte Konjunkturen, sondern auch bestimmte politische Räume unterscheiden: Zeitlich im konfessionellen Zeitalter, im späten 17. Jahrhundert und dann während der Französischen Revolution und der nachfolgenden Restaurationsphase. Räumlich gab es für Attentate sowohl Zentren (Frankreich, England, Niederlande, Italien) als auch Peripherien (Römisch-Deutsches Reich, Iberische Halbinsel). Unter den Phasen und regionalen Schwerpunkten des Attentats61 ragt zunächst das westliche Europa im Konfessionellen Zeitalter heraus. 1584 erschoss Balthasar Gérard, vermutlich mit der Billigung Philipps II. von Spanien, den Anführer des Niederländischen Aufstands, Wilhelm von Oranien, in Delft.62 Im Frankreich wurden vor allem in den an Gewaltexzessen reichen religiösen und politischen Bürgerkriegen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in verschiedenen politischen Konstellationen das Attentat von Angehörigen aller Parteien zum Instrument politischer Auseinander57 58 59 60 61 62
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Klaus Malettke: Opposition und Konspiration unter Ludwig XIV. Studien zu Kritik und Widerstand gegen System und Politik des französischen Königs während der ersten Hälfte seiner persönlichen Regierung, Göttingen 1976, S. 299. Siehe Steve Poole: The politics of regicide in England, 1760–1850. Troublesome subjects, Manchester 2000, S. 69–89. Benedictis/ Härter: Revolten (wie Anm. 14). Wolfgang Schmale: Art.: Revolte, in: Enzyklopädie der Neuzeit Online http://dx.doi. org/10.1163/2352-0248_edn_a3637000 (abgerufen 01.04.2020). Nach wie vor geht es um ein konstruktivistisches Verständnis von Attentat. Zur Reduktion von Komplexität nutzen wir den Begriff im Folgenden aber ohne weitere Zusätze. A. D. Harvey: The pistol as assassination weapon. A case of technological lag, in: Terrorism and Political Violence 3 (1991), S. 92–98, hier S. 92f.
Überlegungen zu einer Kriminalitätsgeschichte der Attentate und Verschwörungen
setzung. 1563 ermordete der fanatische Hugenotte Poltrot de Méré den katholischen Feldherren und Staatsmann François de Guise.63 1588 wurde der nächste Herzog von Guise im Auftrag des katholischen König Heinrichs III. ermordet.64 Als Anführer der übermächtigen Katholischen Liga stellte er Heinrichs Königsherrschaft direkt in Frage, sodass das Attentat hier vor allem als verzweifelter Versuch monarchischer Selbstbehauptung erscheint65. Im Jahr darauf erstach der im ligistischen Umfeld radikalisierte Dominikanermönch Jacques Clément Heinrich III.66 Auch nach der Beendigung des offenen Bürgerkrieges wurden gegen seinen Nachfolger, den Konvertiten und ehemaligen Anführer der hugenottischen Partei Heinrich IV., von katholischer Seite zahlreiche Attentatspläne geschmiedet. 1610 starb er schließlich nach einer Messerattacke durch François Ravaillac.67 Diese Verdichtung von politischen Morden ist nicht zuletzt im Kontext entgrenzter und radikalisierter Frömmigkeit zu verstehen, die sich auch in Massenmorden wie dem Massaker von Wassy (1562) und der Bartholomäus-Nacht (1572) manifestierte.68 Dass schließlich auch gekrönte Häupter Ziel von Attentaten wurden, lässt sich auf Delegitimierungen monarchischer Autorität zurückführen. So verdichteten sich insbesondere nach dem Mord am Herzog von Guise 1588 einerseits im Rahmen katholischer Frömmigkeitskultur rituell ‚durchgespielte‘ Insinuationen physischer und symbolischer Gewalt gegen den Monarchen. In diesem Rahmen war nun der Königsmord im Umfeld der radikalkatholischen Heiligen Liga selbst als eine Art religiöser Akt denkbar.69 Zugleich wurde hier basierend auf von im Kontext der konfessionellen Auseinandersetzungen auf beiden Seiten ausgearbeiteten Widerstandstheorien die Königsherrschaft Heinrichs III. mit einem wirkmächtigen Topos als Tyrannei delegitimiert und zur Disposition gestellt. Dies senkte die Hemmschwelle für den nunmehr 63
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Zum Mord an Guise vgl. jetzt Gabriele Haug-Moritz: Verraten und verraten werden. Herzog Moritz von Sachsen (1521–1553) und François de Lorraine, duc de Guise (1520–1563), in: André Krischer (Hg.): Verräter. Geschichte eines Deutungsmusters, Wien/ Köln/ Weimar 2018, S. 93–114, hier 102–109. Siehe: Alphonse de Ruble: L’Assassinat du duc François de Lorraine, Paris 1897. Zur Ermordung Guises, siehe: Jean-Marie Constant: La Ligue, Paris 1996, S. 201–212. Nicolas Le Roux: Un régicide au nom de Dieu. L’assassinat d’Henri III, Paris 2006. Dazu jetzt auch Ronald G. Asch: Herbst des Helden. Modelle des Heroischen und heroische Lebensentwürfe in England und Frankreich von den Religionskriegen bis zum Zeitalter der Aufklärung ein Essay (Helden –Heroisierungen – Heroismen, Bd. 3), Würzburg 2016, S. 27–43. Zu den vielen Versuchen den König gewaltsam zu beseitigen siehe, Pierre Chevallier: Les Régicides. Clément, Ravaillac, Damiens, Paris 1989, S. 121–158. Denis Crouzet: La nuit de la Saint-Barthélemy. Un rêve perdu de la Renaissance. Fayard, Paris 1994, Unter Hervorhebung der (alltags)religiösen Wurzeln: Barbara B. Diefendorf: Beneath the cross. Catholics and Huguenots in sixteenth-century Paris, New York/Oxford 1991. Zur Massengewalt des Massakers als Grundzug der religiösen Auseinandersetzungen im Frankreich des späten 16. Jahrhunderts: David El Kenz: La civilisation des mœurs et les guerres de Religion. Un seuil de tolérance aux massacres, in: Ders. (Hg.): Le massacre, objet d’histoire, Paris 2005, S. 183–197. Denis Crouzet: Les Guerriers de Dieu. La violence au temps des troubles de Religion, vers 1525-vers 1610, Bd. II, Seyssel, 1990. S. 518–520; Mark Greengrass: Regicide, Martyrs and Monarchical Authority in France in the Wars of Religion, in: Robert von Friedeburg (Hg.): Murder and Monarchy. Regicide in European History, 1300–1800, Basingstoke 2004, S. 176–192, hier S. 186–187.
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mit der Figur des Tyrannenmordes von ligistischen Publizisten wie Jean Boucher gerechtfertigten Regizid.70 In einem kleinen, aber gewaltaffinen Milieu blieb dieses Denken unter Heinrich IV. bestehen und führte schlussendlich zu seinem Tod.71 Daher ist in der französischen Historiographie darüber diskutiert worden, ob die im Gefolge der Religionskriege bedrohlich fragil gewordene Legitimität der französischen Monarchie deren spätere Selbstinszenierung als absolute Monarchie beförderte.72 Wie sehr selbst misslungene Attentate eine Gesellschaft in höchste Aufregung versetzen konnten, zeigte sich in England sowohl in elisabethanischer Zeit als auch 1605, am Beginn der Herrschaft Jakobs I., mit der Pulverfassverschwörung.73 Die Komplotte des Herzogs von Norfolk und von Roberto Ridolfi 1570/71 führten zum Aufbau eines Netzwerks von Informanten durch den Staatssekretär Walsingham.74 Mit diesen geheimdienstähnlichen Strukturen wurden tatsächlich weitere Komplotte wie das der Babington-Bande von 1586 aufgedeckt. Die allgemeine Paranoia führte zu mehreren Justizmorden wie bei Francis Throckmorton 1583 und bei William Parry 1585. Obwohl Parry überhaupt nicht in die Nähe der Königin gelangt war, gab er nach seiner Hinrichtung das vielfach wiederverwendete Bild eines Attentäters ab (Abb. 1). Eine ähnlich weitverbreitete Attentatsfurcht wie um 1600 breitete sich ab 1678 erneut in England aus, als das Zusammentreffen sehr unterschiedlicher Problemzusammenhänge (Schwäche des europäischen Protestantismus bei gleichzeitiger Dominanz Frankreichs unter Ludwig XIV., Thronfolgekrise als Verfassungskrise in England, mysteriöse Ermordung eines protestantischen Friedensrichters) den Glauben an eine katholische Superverschwörung nährte (popish plot), bei der der Königsmord im Mittelpunkt stand. 1683 dachten wiederum protestantische Whigs daran, Karl II. zu erschießen, bevor Mitwisser aus den eigenen Reihen solche Pläne verrieten. 1696 planten Anhänger der exilierten Stuarts einen Anschlag auf König Wilhelm III., was die Whigs als Beleg dafür nahmen, dass auch der popish plot eine reale Gefahr gewesen sei.75 Die Bedrohung durch Ludwig XIV. spielte auch eine Rolle beim Lynchmord am 70
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Siehe etwa: Frederic J. Baumgartner: Radical Reactionairies. The political thought of the French catholic League, Genf 1976, S. 101–122. Zu einer neueren Deutung der Legitimations-Figur des Tyrannenmordes als Weiterentwicklung spätscholastischer Ideen im Kontext der Religionskriege, siehe: Cornel Zwierlein: The Political Thought of the French League and Rome (1585–1589), Genf 2016, S. 118–119. Zu den Legitimitäts-Problemen Heinrichs IV., siehe: Chevallier, Les Régicides, S. 159–166 Mousnier: Assassinat (wie Anm. 40), S. 237–238. Zu (diskursiven) Gegenstrategien vgl. auch Ronald G. Asch: Sacral Kingship Between Disenchantment and Re-enchantment. The French and English Monarchies 1587–1688 (Studies in British and Imperial History, Bd. 2), New York 2014, S. 13–58. Alexandra Walsham: „This Newe Army of Satan“. The Jesuit Mission and the Formation of Public Opinion in Elizabethan, in: Claire Walker u.a (Hgg.): Moral panics, the media and the law in early modern England, Houndmills, Basingstoke, Hampshire, New York 2009, S. 41–62. Zur Pulverfassverschwörung gibt es zwar eine ganze Reihe populärer Darstellungen, aber noch keine neuere geschichtswissenschaftliche Studie, vgl. aber nach wie vor Antonia Fraser: The gunpowder plot. Terror & faith in 1605, London 1996. Vgl. dazu und zum Folgenden noch einmal Alford: Watchers (wie Anm. 25). Beth Branscome: Telling a tale with the names changed: contemporary comparisons of the Rye House Plot to the 1696 Assassination Plot, in: Historical Research 91 (2018), S. 255–273.
Überlegungen zu einer Kriminalitätsgeschichte der Attentate und Verschwörungen
Abb. 1: Die Darstellung imaginiert William Parry beim misslungenen Attentat auf Elizabeth I. Diese Szene hat es in Wirklichkeit nicht gegeben, der Mordplan kam über einen wirren Gedanken nicht hinaus, aus: George Carleton A thankfull remembrance of Gods mercy/ In an historicall collection of the great and mercifull deliverances of the Church and state of England, London 1624, wikimedia commons.
niederländischen Ratspensionär und Machthaber Johann de Witt und seines Bruders Cornelis eine Rolle.76 Bereits vor dem Konfessionellen Zeitalter besaß das Attentat einen prominenten Platz in der politischen Landschaft Italiens.77 Viele Attentate des späten 15. Jahrhunderts wie die Ermordung des Herzogs von Mailand, Galeazzo Maria Sforza, und die gegen die Medici in Florenz gerichtete Pazzi-Verschwörung (1478) wurden zumeist gedeutet als missglückte und aussichtslose Versuche von Abkömmlingen städtischer Aristokraten, (quasi)-monarchische Verdichtung von Herrschaft zugunsten republikanischer Ideale rückgängig zu machen.78 Allerdings konnten diese Gewalttaten auch 76 77
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Meredith Hale: Political Martyrs and Popular Prints. The Murders of Jan and Cornelis de Witt in Early Modern Media, in: Martin Gosman u.a (Hgg.): Selling and rejecting politics in early modern Europe (Groningen studies in cultural change, Bd. 25), Leuven 2007, S. 119–134. Während durchaus neuere Ansätze zu einer Art Kulturgeschichte des Mordes im frühneuzeitlichen Italien unter einer kriminalitätshistorischen Perspektive existieren, scheint das politische Attentat nur wenig neuere Aufmerksamkeit zu finden, vgl. die Beiträge in Trevor Dean/ Kate J.P. Lowe (Hgg.): Murder in Renaissance Italy, Cambridge 2017. Zu nennen wäre hier vor allem die detaillierte Studie von: Stefano Dall’Aglio: The Duke’s Assassin. Exile and Death of Lorenzo de Medici, New Haven/ London 2015. Siehe Vincent Ilardi: The assassination of Galeazzo Maria Sforza and the reaction of Italian diplomacy, in: Lauro Martines (Hg.): Violence and Civil Disorder in Italian cities, 1200–1500, Berkeley 1972, S. 72–113; Lauro Martines: April Blood. Florence and the Plot against the Medici, London 2003.
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mit außenpolitischen Auseinandersetzungen verwoben sein, wie die Ermordung des Herzogs von Florenz Alessandro de Medici 1537 durch seinen Cousin Lorenzo oder der von Sebastian Becker behandelte Fall des gewaltsamen Herrschaftswechsels in der Stadt Piacenza.79 In Republiken wie Genua führten von außen beeinflusste Faktionskämpfe zu Umsturzkomplotten, wie etwa die Verschwörung des Giovanni Luigi de Fieschi gegen den Machthaber Andrea Doria. Dies beförderte ein Klima der Angst vor Verschwörungen, das im Laufe des 17. Jahrhunderts zur Herausbildung spezialisierter politischer Justizbehörden führen sollte. Die Verdichtung von Attentaten und Verschwörungen im 15. und 16. Jahrhundert hing hier also mit Herrschaftsbildungsprozessen innerhalb von Gemeinwesen sowie deren außenpolitischen Verwicklungen zusammen.80 Einen ideengeschichtlichen Nachhall erzeugte wiederum die diskursive Bearbeitung der Fälle mit einer antikisierenden Semantik, die sie zum ‚klassischen Muster‘ gerinnen ließ. Attentäter wurden mit der Figur des Brutus als einem Freiheitsheld abgeglichen oder gleichgesetzt.81 Mit solchen Antikebezügen war es für zeitgenössische politische Theoretiker besonders attraktiv, das Attentat als legitimes oder illegitimes politisches Mittel zu diskutieren.82 Trotz zahlreicher politischer Parallelen zu den italienischen Verhältnissen gehörte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation in der Frühneuzeit zu den Peripherien des Attentats. Dafür gab es unterschiedliche Gründe. Anders etwa als in Frankreich und England, wo Angriffe auf den Herrscher bereits im 14. Jahrhundert als politische Verbrechen klassifiziert wurden83, blieben die rechtlichen Regelungen im Alten Reich dazu vage. Damit fehlte jene rechtliche Definitionsmacht, die im westlichen Europa mobilisiert werden konnte, um Handlungen als politische Delinquenz zu beschreiben. Die Goldene Bulle von 1356 drohte denjenigen mit der Todesstrafe, die durch boßhaffte That und Meuterey Kaiser und Kurfürsten an Leib und Leben bedrohten, also an der Majestät schuldig erfunden.84 Da diese auf den Kaiser und seine Wähler beschränk79 80
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Vgl. den Beitrag von Sebastian Becker in diesem Band. Zur Involvierung Karls V. in den Mord an Lorenzo, siehe: Dall’Aglio: Duke’s Assassin (wie Anm. 77), S. 111–116. Siehe hierzu: Diego Pizzorno: La cura del „serviggio pubblico“. Gli Inquisitori di Stato a Genova: il percorso ordinario di una magistratura straordinaria, in: Enza Pelleriti (Hg.): Per una ricognizione degli ‚stati d’eccezione‘. Emergenze, ordine pubblico e apparati di polizia in Europa: le esperienze nazionali (secc. XVII–XXI), Rubbettino 2015, S. 177–188. Zum Tyrannenmord und der Bedeutung der Brutus-Rezeption, siehe: Manfredi Piccolomini: The Brutus Revival. Parricide and Tyrannicide during the Renaissance, Carbondale/ Edwardsville 1991. So stellte auch Niccolò Machiavelli zur Debatte, dass gegen eine außer Kontrolle geratene Fürstenherrschaft letztlich nur der Stahl (ferro) der Dolche helfe. Vgl. Discorsi di Nicolo Machiavelli Cittadino et Segretario Fiorentino, sopra la prima Deca di Tito Livio […], Venedig 1534, S. 81. Vgl. Ford, Mord (wie Anm. 12), S. 178–186. John G. Bellamy: The law of treason in England in the later middle ages, Cambridge 1970; S. H. Cuttler: Law of Treason and Treason Trials in Later Medieval France (Studies in Medieval Life and Thought, Bd. 16), Cambridge 2009. Art. 24, zit. nach Johann Christian Lünig: Das Teutsche Reichs-Archiv, Bd. 1, Leipzig 1713, S. 34– 53, S. 48.
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te Definition von Majestät aber bei den anderen Reichsfürsten hochumstritten war, definierte die Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 nur die Strafe für Verräter (Art. 124), sagte aber nichts darüber aus, wer deren Opfer sein sollten. Obschon ein Thema der Jurisprudenz, „blieb das Majestätsverbrechen ein Ausnahmedelikt“ im Alten Reich.85 Dafür gab es verschiedene Gründe: Zum einen hätte ein Herrscherattentat, sei es auf den Kaiser, sei es auf einen Fürsten, politisch viel weniger bewirkt als in Frankreich oder England.86 Die ‚eine‘ Majestät, deren Ermordung ‚alles‘ verändert hätte, gab es im Reich nicht. Zum anderen gab es zwar auch hier jene Konfessions- und Erbfolgekonflikte, die anderswo Attentäter und Attentate motivierten. Jedoch wurden diese Konflikte im Reich aufgrund seiner territorialen, fürstenstaatlichen Struktur im Gewaltmedium des Krieges ausgetragen.87 Zwar war der Fall Wallenstein sicher ein politischer Mord, sogar der einzige in der deutschen Frühneuzeit.88 Aus Sicht des Kaisers handelte es sich bei dem Geschehen am 25. Februar 1634 in Eger um die legitime Tötung eines Rebellen.89 Als Attentat wurde die Tötung des Feldherrn weder von den Zeitgenossen behandelt noch wäre es heuristisch hilfreich, sie als ein solches zu interpretieren.90 Die Frage ist also, ob die von André Krischer und Thomas Dorfner untersuchten Fälle aus dem Fürstbistum Münster und dem Herzogtum Württemberg ungewöhnlich waren für das Alte Reich, das sonst nicht zu den europäischen Attentatslandschaften gehörte. Oder lassen sich in den deutschen Archiven noch weitere derartige Fälle finden – nämlich solche, die kaum über erste Planungen hinausgekommen waren, die keine Kandidaten für Bücher über ‚berühmte‘ Attentate in der Geschichte waren und die von den Zeitgenossen trotzdem aufmerksam, irritiert oder auch mit Sorge beobachtet worden waren?91 Auf der iberischen Halbinsel schließlich spielte das politische Attentat offenbar eine noch geringere Rolle als im Alten Reich, zumindest vor dem 18. Jahrhundert. Genannt werden kann hier lediglich die Ermordung des verhassten Ministers Miguel de 85
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Angela Rustemeyer: Dissens und Ehre. Majestätsverbrechen in Russland (1600–1800) (Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, Bd. 69), Wiesbaden 2006, S. 39; vgl. ebd. auch für einen hervorragenden Überblick über die rechtliche Lage im Reich und in Europa, S. 30–101; ferner auch Schnabel-Schüle: Majestätsverbrechen (wie Anm. 44), S. 23–26. Die protestantisch-politische Elite England ging davon aus, dass die Ermordung der Königin Elisabeth zu einem Regime- und Religionswechsel führen würde. Dieser Wechsel sollte 1584 durch ein Widerstandsbündnis (Bond of Association) proaktiv verhütet werden, vgl. dazu Stephen Alford: A politics of emergency in the reign of Elizabeth I, in: Glenn Burgess u.a. (Hgg.): English radicalism, 1550–1850, Cambridge, New York 2007, S. 17–36. Dazu immer noch Johannes Burkhardt: Die Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas, in: Zeitschrift für Historische Forschung 24 (1997), S. 509–574. Härter: Political Crime (wie Anm. 11), S. 160. Christoph Kampmann: Wallenstein. Eger, 25. Februar 1634, in: Sommer: Politische Morde (wie Anm. 12), S. 146–156, hier S. 152ff. Hans Medick: Wallensteins Tod. Zeitgenössische Wahrnehmungen in Medien und Selbstzeugnissen, in: Birgit Emich u.a (Hgg.): Wallenstein. Mensch – Mythos – Memoria (Historische Forschungen, Bd. 117), Berlin 2018, S. 140–157. Härter: Political Crime (wie Anm. 11).
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Vasconcelos in Lissabon 1640 infolge einer Revolte portugiesischer Adliger gegen die spanische Herrschaft.92 Im Vergleich zum Konfessionellen Zeitalter gab es im späten 17. und 18. Jahrhundert deutlich weniger Attentate, die dafür aber umso stärker rezipiert und zu regelrechten Medienereignissen wurden.93 Dies traf für das Attentat des Robert-François Damiens auf Ludwig XV. 1757 ebenso zu94 wie ein Jahr später auf den Anschlag auf Joseph I. von Portugal infolge einer Adelsverschwörung. In dessen Nachgang wurden nicht nur opponierende Aristokraten ausgeschaltet, sondern auch die in das Komplott angeblich verstrickten Jesuiten vertrieben.95 Selbst in England/ Großbritannien war das 18. Jahrhundert zunächst keine Zeit von Attentaten und Attentatsfurcht. Auch der Topos der (papistischen) Verschwörung wurde nach seiner inflationären Verwendung im 17. Jahrhundert nach 1700 kaum noch mobilisiert. Das änderte sich aber im Zeitalter der Französischen Revolution, als neben Verschwörungen und Verschwörungstheorien auch politische Attentate eine neue Konjunktur erfuhren. Man denke nur an die Ermordung des radikalrevolutionären Publizisten Jean-Paul Marat durch Charlotte Corday (1793).96 Das noch im selben Jahr von Jacques-Louis David geschaffene Bild vom sterbenden Marat in der Badewanne avancierte zu einer Ikone des politischen Mords. Neben Frankreich wurden um die Wende zum 19. Jahrhundert England bzw. Großbritannien und andere Gemeinwesen (bspw. Ermordung Zar Pauls I. von Russland 1801) Orte politischer Attentate. Ähnliches gilt für Schweden, wo im Falle der Ermordung Gustavs III. 1792 bereits europaweit rezipierte Interpretationen der Ereignisse in Frankreich als illuminatische Verschwörung auf die Wahrnehmung des auf adelige Opposition zurückgehenden Attentats zurückwirkten (Andreas Önnerfors).97 Das 19. Jahrhundert sollte sich dann in ganz Europa als ein regelrechtes „Age of Assassination“ darstellen.98 Im Zeichen von 92
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Siehe hierzu Anthony R. Disney: A History of Portugal and the Portuguese Empire. Bd. 1: From the Beginnings to 1807, Cambridge 2009, S. 218–220. Zu den mächtepolitischen Hintergründen: Fernando Marcos Sánchez: Freiheitsbestrebungen in Katalonien und Portugal, in: Klaus Bussmann /Heinz Schilling (Hgg.): 1648. Krieg und Frieden in Europa. Textband I: Politik, Religion und Gesellschaft, München 1998, S. 207–214. Siehe hierzu bereits: Franklin Ford: Assassination in the Eighteenth Century. The Dog That Did Not Bark in the Night, in: Proceedings of the American Philosophical Society, 120, 3 (1976), S. 211–215. Siehe: Dale van Kley: The Damiens Affair and the Unraveling of the Ancien Régime, 1750–1770, Princeton 1984; Rétat: Damiens (wie Anm. 50). Siehe Kenneth Maxwell: Pombal. Paradox of the Enlightenment, Cambridge 1995, S. 79–86. Zur Vertreibung der Jesuiten: Christine Vogel: Der Untergang der Gesellschaft Jesu als europäisches Medienereignis (1758–1773). Publizistische Debatten im Spannungsfeld von Aufklärung und Gegenaufklärung, Mainz 2006, S. 46–50. Guillaume Mazeau: Le bain de l’histoire. Charlotte Corday et l’attentat contre Marat 1793–2009, Seyssel 2009; Arnd Beise: Charlotte Corday. Karriere einer Attentäterin, Marburg 1992. Siehe den Beitrag von Andreas Önnerfors in diesem Band. Rachel G. Hoffmann: The Age of Assassination. Monarchy and Nation in Nineteenth-Century Europe, in: Jan Rüger/Nikolaus Wachsmann (Hgg.) Rewriting German history. New perspectives on modern Germany (New perspectives on modern Germany), Houndmills, Basingstoke, Hampshire, England, New York, NY 2015, 121–141. Mit französischem Schwerpunkt: Karine Salomé: L’ oura-
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tiefgreifenden politischen Umbrüchen, fundamentalideologisch geprägten revolutionären Bewegungen und intensivierter Nationen, ja Kontinente übergreifenden Kommunikations- und Beziehungskontexte transnationalisierten sich bei allen nationalen Differenzen bis zu einem gewissen Grade auch Attentatslandschaften.99 Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert zeichnete sich in ganz Europa eine Erweiterung der Praxismuster des Attentats zu Gewaltformen ab, die für terroristische Gewalt prägend werden sollten. Opfer von Attentaten waren zudem nicht mehr allein gekrönte Häupter und anderweitig herausgehobene Führerfiguren, sondern unterschiedliche ‚Systemrepräsentanten‘. Derweil wurden die Taten zunehmend als gewaltsame Kommunikationsmittel genutzt, weil es nicht nur um den Sturz der herrschenden Ordnung, sondern auch um die Anstachelung politischer Emotionen ging. Schließlich wurden Attentate und Verschwörungen zunehmend in international vernetzten Handlungskontexten verortet – ein Umstand, der in Form transnationaler Sicherheitsregime neue Mittel und Wege hervorbrachte, um solche Formen der Gewalt zu verhüten oder zu sanktionieren.100 3. Politische Attentate und Diskurse sowie Praktiken von Sicherheit Es dürfte bereits deutlich geworden sein, dass sich eine kriminalitätshistorische Perspektive, wie sie hier skizziert worden ist, nicht allein auf strafrechtliche Kategorisierungen politischer Delinquenz und deren Medialisierung beschränken kann. Bekämpfung und mögliche Prävention von politischen Attentaten ließ sich auch als Sicherheitsproblem beschreiben, das unmittelbare Entscheidungen durch politische Körperschaften, herrscherliche Räte, Parlamente o.ä. erforderte. Dabei schließt der hier verfolgte Ansatz an die in jüngerer Zeit im deutschen Sprachraum florierenden historischen Studien zur „Versicherheitlichung“ in modernen und vormodernen Gesellschaften an.101 Wir wollen gerade nicht schlichte Ursache-Wirkung-Relationen zwischen Attentaten und der Entwicklung von Sicherheitsregimen im politisch-kulturell luftleeren Raum postulieren.102 Weiterführend sind in diesem Kontext vielmehr die von Beatrice de gan homicide: l’attentat politique en France au XIXe siècle, Seyssel 2010. So für die zweite Jahrhunderthälfte Dietze: Erfindung des Terrorismus (wie Anm. 5); vgl. dazu jetzt Heinz-Gerhard Haupt: Den Staat herausfordern. Attentate in Europa im späten 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2019. 100 Siehe hierzu etwa die Überlegungen bei: Karl Härter: Security and Cross-Border Political Crime. The Formation of Transnational Security Regimes in 18th and 19th Century Europe, in: Historical Social Research 38 (2013), S. 96–106. Siehe auch den Beitrag von Conrad Tyrichter in diesem Band. 101 Siehe zur Adaption des politikwissenschaftlichen „securitization“-Konzepts in den Geschichtswissenschaften, siehe: Eckhart Conze: Securitization. Gegenwartsdiagnose oder historischer Analyseansatz?, in: Geschichte und Gesellschaft 38 (2012), S. 453–467. Generell zur historischen Sicherheitsforschung: Christoph Kampmann/ Ulrich Niggemann (Hgg.): Sicherheit in der Frühen Neuzeit. Norm – Praxis – Repräsentation. Köln/ Weimar/ Wien 2013; Christoph Kampmann/ Angela Marciniak/ Wencke Meteling (Hgg.): „Security turns its eye exclusively to the future“. Zum Verhältnis von Sicherheit und Zukunft in der Geschichte, Baden-Baden 2018. 102 So etwa die allerdings in konzeptioneller Hinsicht wenig ambitionierte Arbeit von Marcus Mühlni99
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Graaf und Cornel Zwierlein formulierten Überlegungen zur Korrelation von Verschwörungsdenken und Sicherheitsdiskursen.103 Daran anknüpfend interessiert uns besonders, wie in den jeweiligen politischen Kulturen Sicherheitsdefizite identifiziert, problematisiert und als Entscheidungsproblem gerahmt wurden.104 Wie im britischen Parlamentarismus des frühen 19. Jahrhunderts Informationen über Verschwörungen nicht nur als diskursive Entscheidungsressource eine Rolle spielten, sondern auch die mediale und materielle Form ihrer Präsentation und Aufbereitung auf Prozesse des Entscheidens zurückwirkten, verdeutlicht der Beitrag von Matthias Friedmann und André Krischer. Tilman Haug zeigt dagegen, wie im napoleonischen Frankreich relativ offene Sicherheitsbegriffe und die Intransparenz von Informationen und Verfahren ein auf Prävention politischer Kriminalität ausgerichtetes und von Polizeibehörden getragenes Sicherheitsregime beförderten, das sich juridischer oder parlamentarischer Interventionen entzog. Konzepte und Referenzgrößen von Sicherheit unterlagen freilich dem Wandel. Der popish plot von 1678–1681 war nicht nur Produkt einer unregulierten, faktisch zensurfreien Zirkulation von Flugschriften, in denen die juristische Niedrigschwelligkeit der Zuschreibung von Hochverrat zur Konstruktion einer konfessionell motivierten Verschwörung instrumentalisiert wurde.105 Angesichts einer medial omnipräsenten antikatholischen Attentats- und Verschwörung-Paranoia ließen sich Semantiken politischer Sicherheit und ihr Gegenstandsbereich erweitern, wie Benedikt Nientied anhand der zeitgenössischen Parlamentsdebatten nachweist. Sicherheitsansprüche wurden nicht länger nur auf den Schutz des Monarchen bezogen, sondern auf die protestantische Identität des Königreichs erweitert. Die Beiträge des Sammelbandes zeigen jedoch zugleich, dass in der Vormoderne keine Einbahnstraßen von Attentatswellen und Verschwörungspanik zu nachhaltigen Versicherheitlichungsprozessen und -diskursen oder zum verdichteten Ausbau obrigkeitlicher Straf- und Repressionsinstrumente führten. Im Umfeld des popish plot war das Sprechen über Sicherheit oft eher eine kurzfristig politisch instrumentalisierbare Ressource der frühen Whigs, die wenig später teilweise selbst in die Rolle verschwörerischer ‚Staatsgefährder‘ schlüpfen sollten, als dass es neue Sicherheitsregime beförderte. Im Frankreich des 14. Jahrhunderts wiederum gab die Vielzahl politischer Attentate der Krone zwar neue und legitimierbare juridische Gewaltmittel an die Hand. Diese kel: „Fürst, sind Sie unverletzt?“. Attentate im Kaiserreich 1871–1914, Paderborn 2014, S. 243–245. 103 Zwierlein/ de Graaf: Security and Conspiracy (wie Anm. 30). 104 Dass Sicherheit vor politischer Kriminalität im Zusammenspiel von politischen „Möglichkeitsräumen“ und einer mit groben Strichen und einem implizit auf Nationen als Kollektive bezogenem Begriff von „Kultur“ entsteht, wird mittlerweile auch in den Terrorismus-Studien betont: Hendrik Hegemann/ Martin Kahl: Politische Entscheidungen und das Risiko Terrorismus, in: Christopher Daase/ Philipp Offermann/ Valentin Rauer (Hgg.): Sicherheitskultur. Soziale und politische Praktiken der Gefahrenabwehr, Frankfurt/New York 2012, S. 159–182. 105 Krischer: Verräter, Verschwörer, Terroristen, S. 131–137 (wie Anm. 7); Peter Hinds: The horrid Popish Plot. Roger L’Estrange and the circulation of political discourse in late seventeenth-century London 2010.
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konnten jedoch zugleich als Ressource für jene adeligen Faktionskämpfe angeeignet werden, auf die die politischen Morde zurückgingen. Sie passten sich so oft eher der Logik adeligen Parteienkonflikts an, statt monarchischer ‚Staatsverdichtung‘ Vorschub zu leisten (Georg Jostkleigrewe). Vor dem Hintergrund des Umbruchs der politischen Ordnungen in Europa um 1800 wurde politische Kriminalität dann zunehmend als ‚internationalistische‘ Bedrohung wahrgenommen, wie Andreas Önnerfors am Beispiel konspirativer Bedrohungsszenarien in Schweden zeigt. Die Annahme einer europaweiten Vernetzung gewaltbereiter „Systemgegner“ trug zugleich zur Herausformung transnationaler Regimes von Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung bei, wie Conrad Tyrichter anhand der Folgen eines Attentats mit einer machine infernale auf den französischen König LouisPhilippe demonstriert. Das traditionelle Selbstverständnis europäischer Monarchien und die Praxis monarchischer Repräsentation konnte sich im 19. Jahrhundert jedoch gerade für die Implementierung praktischer Sicherheitsmaßnahmen, die vor solchen Gefahren schützen sollten, als verlangsamender und blockierender Faktor erweisen. Das Erfordernis umfassender repräsentativer Sichtbarkeit des Monarchen in Kombination mit ostentativ zur Schau gestellten militärisch-aristokratischen Tugenden erschwerte nämlich den Schutz durch Leibgarden oder andere Maßnahmen trotz neuer Risiken, etwa die leichtere Verfügbarkeit von Sprengstoff für Attentäter.106 4. Die Dinge des Attentats – Praktiken, Kausalitäten und Zuschreibungen Attentate und Verschwörungen waren nicht nur Produkte medialer Beobachtungen und Zuschreibungen, sondern besaßen auch ihre praktisch-materiellen Dimensionen.107 Es machte einen erheblichen Unterschied, ob Attentäter dem Herrscher ein Messer zwischen die Rippen stießen oder mit einer ‚Höllenmaschine‘ fast einen ganzen Pariser Straßenzug sprengten. Im Frankreich des frühen 19. Jahrhunderts intensivierten solche opferreichen, mechanisierten Sprengstoffanschläge den staatlichen Verfol106 Siehe Carola Dietze/ Frithjof Benjamin Schenk: Traditionelle Herrscher in moderner Gefahr. Soldatisch-aristokratische Tugendhaftigkeit und das Konzept der Sicherheit im späten 19. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 35 (2009), S. 368–401. Dass der Schutz durch Leibgarden zwar notwendig war, jedoch nach Möglichkeit kaschiert und als Ehrengarde umgedeutet werden sollte, um die Wahrnehmung von Furcht und populärer Unbeliebtheit zu vermeiden, schien bereits im frühen 18. Jahrhundert Allgemein-Wissen gewesen zu sein. Der Zedler etwa stellte fest, der Schutz des Fürsten könne am einfachsten gewährleistet werden, wenn er tapffere Trabanten und eine wohl bestellte LeibGuarde hält; Doch ist es von nöthen, daß er sich stelle, als ob solches auf den Staat und eine gute Renommee gegen ausländische Potentaten, angesehen sey, nicht aber von einer heimlichen Furcht herrührte, siehe: Art.: „Verrätherey“, in: Johann Heinrich Zedler: Grosses Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, Bd. 20, Leipzig 1739, Sp. 1637. 107 Vgl. zum material turn in der Frühneuzeitforschung vgl. Marian Füssel: Die Materialität der Frühen Neuzeit. Neuere Forschungen zur Geschichte der materiellen Kultur, in: Zeitschrift für historische Forschung 42 (2015), S. 433–463. Kim Siebenhüner: Things that matter. Zur Geschichte der materiellen Kultur in der Frühneuzeitforschung, in: ebd., S. 373–409.
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gungseifer und stimulierten kriminalforensische Methoden bei der Ermittlung und Bekämpfung politischer Kriminalität. Für den Polizeiminister Joseph Fouché konnte akribische Ermittlungsarbeit anhand der materiellen Überreste eines solchen Mordinstrumentes Kriminaluntersuchungen und Gerichtsverfahren mit Befragung der Angeklagten zweitrangig machen (Haug). Auch lässt sich die Frage stellen, inwiefern wir es in dem hier abgesteckten Zeitraum mit relativ eingeschränkten technischen und kommunikativen Möglichkeiten zu tun haben, die Attentate und Verschwörungen für die Täter mit kaum einzuhegender Kontingenz belegten. Die Gruppe der Pulverfassverschwörer war dem geplanten Unterfangen angemessen groß, damit aber auch anfällig für Leichtsinn und mangelnde Verschwiegenheit. Letzteres traf auf jene radikalen Proto-Whigs zu, die 1683 König Karl II. und seinen Bruder erschießen wollten. Hier wurde die Verschwörung ebenso aus den eigenen Reihen an die Obrigkeit verraten.108 Womöglich war der Informant, Josiah Keeling, auch nicht bereit, bei der nur auf kurze Distanz möglichen Erschießung von König und Thronfolger sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. In den meisten Fällen sollten Attentate nämlich mit Nahkampfwaffen wie Pistolen, Gewehren, Degen oder Messern verübt werden, die vom Täter eine Bereitschaft zum Selbstopfer verlangten.109 Diese hier nur sehr grob skizzierte Geschichte der Praktiken und Dinge des politischen Attentats steht allerdings nicht im Widerspruch zum konstruktivistischen Ansatz politischer Kriminalitätsgeschichte. Es geht hier nicht um ‚harte‘ vs. ‚weiche‘ Geschichtsschreibung. Denn die technisch-instrumentellen Mittel und Praktiken, mit denen Attentäter zu Werke gingen, wurden gleichermaßen von Obrigkeiten, außenstehenden Beobachtern wie auch den Attentätern selbst mit allen Arten von Imaginationen beladen, die die Wahrnehmung der konkreten Umstände (ver)formen konnten. Wie nah Attentäter Königin Elisabeth angeblich gekommen waren, zeigt das Bild des oben bereits erwähnten William Parry mit Dolch, der sich 1584 an die Monarchin schlich – was in Wirklichkeit nie passiert war, aber die Bedrohung, die angeblich von ‚Papisten‘ ausging, eindringlich visualisierte. Bruno Latour hat die Mensch-Ding-Verflechtungen bekanntlich am Beispiel einer Pistole und eines Schützen verdeutlicht, die ihre tödliche Gewalt gemeinsam hervorbringen.110 Genauso wird hier der Attentäter erst durch das Messer und das Messer erst durch den Attentäter zu einer todbringenden Gefahr. Die leichtere Verfügbarkeit von kontrollierbarem, waffenfähigen Sprengstoff führte im späten 19. Jahrhundert Theoretiker anarchistischer Gewalt wie den Deutsch-Ame108 Melinda S. Zook: Radical Whigs and Conspiratorial Politics in Late Stuart England, University Park (PA), S. 109. 109 So wie paradigmatisch bei den konfessionell motivierten Attentätern um 1600 wie Jacques Clément, Jean Châtel und François Ravaillac, vgl. dazu Ronald G. Asch: Herbst des Helden (wie Anm. 66), S. 27–30. Balthasar Gérard, der 1584 das Attentat auf Wilhelm von Oranien verübte, versuchte allerdings nach der Tat vergeblich zu fliehen. 110 Bruno Latour: Die Hoffnung de Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaften, Frankfurt a.M. 2000, S. 213–216.
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rikaner Johann Most nicht nur dazu, das Attentat als erweiterte kommunikative und propagandistische Praxis auszuflaggen. Die nun einfach herzustellenden Brandsätze und Dynamit-Sprengvorrichtungen sollten dabei dem kämpfenden Proletariat die Artillerie ersetzen und schienen eine regelrechte Militarisierung des Sprengstoffanschlags auf Augenhöhe mit der bewaffneten Staatsmacht zu versprechen.111 Während neue Waffentechniken für Attentäter mit übersteigerten Machbarkeitsphantasien einhergingen, steigerten diese auf Seiten der Sicherheitsakteure wiederum die Verwundbarkeitsängste. Auch hier lassen sich Attentäter als Akteure nicht von den Dingen trennen, die sie zu ihren Attentaten überhaupt erst befähigten, realiter und in der politisch-sozialen Imagination. Doch schon in der Vormoderne scheint der Blick auf das Attentat und die Praktiken seiner Durchführung von bestimmten Vorstellungswelten überformt worden zu sein. Dabei unterlagen die Mittel und Umstände der Taten oft Kausalitätsvorstellungen, die für ‚modernes‘ Denken nicht mehr einfach zugänglich sind. In der Adelsgesellschaft des spätmittelalterlichen Frankreich galten, wie Georg Jostkleigrewe in seinem Beitrag herausarbeitet, Attentate mit Zaubersprüchen und „Zauberwaffen“ als ähnlich letal und verdammenswert wie die im gleichen epistemischen Register eingeordneten Giftmorde. Zwar setzte in Frankreich bereits seit dem späteren 16. Jahrhundert mit dem abnehmende Glauben an deren tödliche Wirkung eine schleichende Entkriminalisierung solcher magischer Praktiken ein.112 Allerdings blieben Königsmorde im konfessionellen Zeitalter oft mit (kontrafaktischen) Zuschreibungen des Einsatzes von Gift bzw. schwarzer Magie assoziiert.113 So wurde etwa die Waffe, mit der Jacques Clément König Heinrich III. 1589 erstach, als vergiftetes Messer beschrieben. Der verhinderten Königsmörderin Nicole Mignon wurde unterstellt, sowohl mit Gift als auch dem Dolch hantiert zu haben.114 Nach dem Mord an Heinrich IV. 1610 hielten es die verhörenden Richter für plausibel, dass sich Ravaillac mit Hexerei und Unterstützung des Teufels, der in Gestalt eines großen schwarzen Hundes erschienen sei, auf das Attentat vorbereitet haben sollte.115 Auch in englischen Kontexten finden sich vor dem Hintergrund der in endzeitlichen Begrifflichkeiten gedachten Vorstellung ei111 Johann Most: Revolutionäre Kriegswissenschaft. Ein Handbüchlein zur Anleitung betreffend Gebrauchs und Herstellung von NitroGlycerin, Dynamit, Schießbaumwolle, Knallquecksilber, Bomben, Brandsätzen, Giften usw., New York 1885, S. 55. 112 Roland Villeneuve: Les procès de sorcellerie, Paris 1979, S. 206–209, 239–242; Alfred Soman: La décriminalisation de la sorcellerie en France, in: Histoire – Économie – Société 4 (1985), S. 179–203; Robert Mandrou: Magistrats et Sorciers en France au XVIIe siècle. Une analyse de psychologie historique, Paris 1968, S. 466–472. 113 Vgl. dazu jetzt für England Francis Young: Magic as a Political Crime in Medieval and Early Modern England: A History of Sorcery and Treason, New York 2017. 114 Marie-Céline Daniel: Les récits de la mort d’Henri III publiés en Angleterre. Régicide et fabrication de l’histoire dans les années 1590, in: Études Épistémè 20 (2011), URL: http://journals.openedition. org/episteme/426 (abgerufen 01.04.2020); zum vergifteten Dolch der Nicole Mignon: François du Souhait: Discours sur l’attentat a la personne du Roy, par Nicole Mignon, dedié a sa Majesté, Lyon 1600, S. 12. 115 Mousnier: Assassinat (wie Anm. 40), S. 8–9.
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nes Selbstbehauptungskampfes der protestantischen Monarchie gegen die Mächte des ‚Bösen‘ in Text- und Bild-Medien konkrete Darstellungen des Teufels, der Attentätern und Verschwörern zur Hand geht.116 Im französischen Fall stellte die affaire de poisons, ein dubioses Mordkomplott mit Hexerei und Giftmischerei-Beschuldigungen, unter Beteiligung weiblicher und männlicher Hofadliger in den späten 1670er Jahren in dieser Hinsicht schließlich einen gewissen Wendepunkt dar. In deren Folge verfügte die Krone 1682 – nicht zuletzt, um Reputationsschaden vom Hof abzuwenden – eine partielle Entkriminalisierung von Hexerei bzw. Schadenszauber. Die Verbindung zwischen (politischem) Kapitaldelikt und magischen Praktiken wurde damit rechtlich endgültig gelöst.117 Letztere wurde nunmehr nur noch als Betrug und Scharlatanerie sanktioniert. Auf eine stabile, sozusagen aufgeklärte Zurückweisung der Wirksamkeit magischer Praktiken verwies diese Reform jedoch noch nicht.118 Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts glaubten andernorts die (ausgerechnet) aus religiös-konfessionellen Motiven handelnden Attentäter des Fürsten Friedrich von Hohenzollern im streng lutherischen Württemberg an die Wirksamkeit magischer Praktiken, die einen der ihren für die Ausführung der Tat unsichtbar machen sollte (Thomas Dorfner).
III. Frühneuzeitliche Signaturen von Attentaten und Verschwörungen Der hier abgesteckte Zeitraum von ca. 1350–1850 ist kein beliebig herausgehobener Ausschnitt aus einer Universalgeschichte des politischen Attentats. Ebenso wenig behandeln die Beiträge lediglich die Vorgeschichte einer späteren, durch den Überbegriff „Terrorismus“ strukturierten Epoche fundamentalideologisch motivierter politischer Gewaltkriminalität. Vielmehr waren frühneuzeitliche Attentate und Verschwörungen (sowie die sie umgebenden rechtlichen und medialen Diskurse) Ausdruck jener Gewaltpotentiale, die mit den zeitgenössischen Prozessen äußerer und innerer Staatsbildung einhergingen. Sie gehörten zur Eskalationsdynamik oft eng verbundener Konflikte: um das Verhältnis monarchischer und ständischer Herrschaftsträger, um Konfessionalisierungsprozesse, dynastische Erbfolge oder machtpolitischen Einfluss in fremden Gemeinwesen, die eine ‚Lange Frühneuzeit‘ so charakteristisch „friedlos“ machten. Die Herausbildung von Praktiken und Diskursen der Sicherheit sowie von 116 Siehe etwa: Krischer: Verräter, Verschwörer, Terroristen (wie Anm. 7), S. 114–115. 117 Zur Affaire des Poisons: Arlette Lebigre: L’Affaire des poisons. 1679–1682, Brüssel 2001; JeanChristian Petitfils: L’affaire des poison. Crimes et sorcellerie au temps du Roi, Paris 2010; Zur Verbindung von Gift und schwarzer Magie unter geschlechtergeschichtlicher Perspektive Lynn Mollenauer: Strange revelation. Magic, poison, and sacrilege in Louis XIV’s France, University Park (PA) 2007, S. 53–69. 118 Ulrike Krampl: When Witches became false. Séducteurs and Crédules Confront the Paris Police at the Beginning of the Eighteenth Century, in: Kathryn A. Edwards (Hg.): Werewolves, Witches, and Wandering Spirits. Traditional Belief and Folklore in Early Modern Europe, Kirksville 2002, S. 137–154; Dies.: Les secrets des faux sorciers. Police, magie et escroquerie à Paris au XVIIIe siècle, Paris 2011.
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juridischen Konstrukten, etwa des Hochverrats und der „Verletzten Majestät“, die die Konstruktion politischer Gewaltkriminalität als Delikt ermöglichten, können so in engem Zusammenhang mit der realen oder wahrgenommenen Bedrohung durch Attentaten und Verschwörungen gedeutet werden. Mit den revolutionären politischen Umwälzungen, die die überkommenen Regimes entweder gänzlich beseitigten oder unter enormen politischen Druck setzten, kamen neue Konflikte um politische Ordnung aufs Tapet, die sich in neuen Bedrohungswahrnehmungen und der Transformation von Sicherheitsregimen äußerte. Die politischen Umbruchsphasen restrukturieren politische Kriminalität aus ihrer eigenen Dynamik heraus. Zeitgenossen verübten, deuteten und bekämpften Attentate und Verschwörung aber auch vor dem Hintergrund von bestehenden Rechtsfiguren, Praxisformen und Interpretationsmustern, die sich den Umbruchssituationen anpassen und sich transformieren, jedoch auch vorrevolutionäre Dynamiken beschleunigen oder überraschend unflexibel bleiben können. Die revolutionären Wandlungen seit der Zeit um 1800 werden daher auch nicht als vollständiger kriminalitätshistorischer Bruch oder von einer nachfolgenden Epoche aus als diffuse Übergangsphase in die ‚moderne‘ politische Gewaltkriminalität betrachtet119, sondern als Endphase einer langen Vor- und Frühmoderne. Technische Umwälzungen am Beginn der Neuzeit hatten für eine ‚Medienrevolution‘ gesorgt, die Medienöffentlichkeiten bereits spätestens seit dem 16. Jahrhundert zum konstanten Forum der legitimierenden oder verdammenden Deutung von Attentaten, der (oft eigensinnig angeeigneten) Inszenierung obrigkeitlicher Strafgewalt aber auch der Produktion von Attentatsfurcht und Weltverschwörungen werden ließen. Diese ‚Medialisierung‘ politischer Kriminalität ist somit ein sich durchziehendes Signum der hier behandelten Epoche. Von einer ‚Propaganda der Tat‘, wie sie für anarchistische Attentate seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts kennzeichnend wurde120, kann für die Frühneuzeit aber keine Rede sein. Königsmörder und Pulverfassverschwörer wollten nicht Angst und Schrecken verbreiten, sondern bestimmte Personen aus einem (mehr oder weniger) bestimmten Grund töten. Anders auch als anarchistische ‚Dynamiters‘ waren vormoderne Attentäter bei ihren Praktiken bei vorbereitenden Verschwörungen extrem anfällig für Scheitern – ein Effekt der durch den Gebrauch von Neuerungen wie Schusswaffen und Schießpulver eher noch verstärkt wurde und Attentate zu einem in jeder Hinsicht unzuverlässigen Gewaltmittel machte. Zumindest von den ‚Dingen des Attentats‘ her betrachtet verläuft hier also eine klare Grenze zum späteren 19. und 20. Jahrhundert, als zuerst Dynamitsprengsätze, später Plastiksprengstoff, Zeitzünder und der Gebrauch von Kriegsgerät, waffentechnisch und ideologisch eine Quasi-Militarisierung terroristischer Praktiken untermauern sollten. Als eine weitere Epochenspezifik erscheinen sodann die Sanktionsweisen. Ein blutiges „Theater des Schreckens“ gehörte zu den typisch frühneuzeitlichen Bestrafungspraktiken bei politischer Kriminalität, korrespondierend mit der Auffassung, 119 Schraut: Terrorismus und politische Gewalt (wie Anm. 4), S. 81–96. 120 Zuletzt Haupt: Den Staat herausfordern (wie Anm. 99), S. 39–47.
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dass Attentäter, Verräter und Verschwörer die vermeintlich gottgewollte Ordnung der Dinge in Gefahr gebracht hatten. In den rechtlichen Diskursen über Attentate und Verschwörungen fanden sich zumindest Spuren eschatologischen Denkens. Die Strafrechtsregime des 19. Jahrhunderts nahmen nicht nur von solchen Denkweisen Abstand, sondern auch von blutigen Spektakeln – ohne aber die Todesstrafe als solche abzuschaffen. Politische Delinquenten wurden in Großbritannien nach 1800 nach Australien verbannt, ihre Anklagen niedrigschwelliger angesetzt, sie lauteten vermehrt auf Aufruhr, nicht auf Hochverrat, und konnten daher mit Haftstrafen sanktioniert werden.121 In Deutschland wiederum konnte man sich für politische Kriminalität ‚ehrenwerte‘ Motive vorstellen, so dass die Täter (und es waren tatsächlich ausschließlich Männer) auch zur Festungshaft verurteilt werden konnten, was als eine nicht entehrende Strafe galt.122 Zum Tode verurteilte politische Delinquenten erfuhren in der Frühneuzeit in aller Regel eine seelsorgerische Betreuung wie andere Todeskandidaten auch. Genau diese Praxis war aber nicht einfach mittelalterlich, vielmehr war die Verchristlichung der Todesstrafe ein Prozess des 14. und 15. Jahrhunderts.123 Zum Nachdenken über Signaturen der frühneuzeitlichen Attentate gehört also auch die Frage, welche mittelalterlichen Traditionen fortwirkten. Die Frühneuzeit besaß einen Januskopf, dessen Blick zurückreichte und in die Zukunft wies, und das gilt auch für politische Delinquenz. So spielten magische Praktiken auch noch im 18. Jahrhundert eine Rolle. Aber etwa die Vorstellung vom Herrschermord als Sakrileg gehört eher zum Souveränitätsdenken des 16. Jahrhunderts. Auch die soziale Ausweitung des TäterInnenspektrums war ein Kennzeichen der Frühneuzeit: Gefahren drohten den Herrschenden nicht länger primär aus dem höfischen Umfeld, von machthungrigen Verwandten und treulosen Magnaten, sondern durch fanatische Kleriker, radikalisierte oder auch nur verwirrte Untertanen, die dem fürstlichen Opfer beim Attentat zum ersten Mal begegneten. Die politischen und religiösen Konfliktkonstellationen der Frühen Neuzeit waren ein Katalysator für verschwörungstheoretische Vorstellungen. Konspirationistisches Denken wurde nicht erst in Spätaufklärung und Französischer Revolution virulent, sondern bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, vor allem in England, Frankreich und Italien, aber punktuell auch im deutschsprachigen Bereich. Diese Virulenz lässt sich ideengeschichtlich erklären.124 Mindestens ebenso wichtig war aber der Umstand, dass die rechtlichen Verhandlungen von Attentaten häufig mit einer Semantik des Konspirativen einhergingen. Attentate waren besonders anfällig für verschwörungstheoretische Deutungen, so dass sich die Kriminalisierung von Verschwörungen als wichtiges Vehikel für ihre Bedeutungszunahme während der Frühneuzeit 121 Krischer, Macht (wie Anm. 32), S. 444–459. 122 Blasius, Politische Kriminalität (wie Anm. 8), S. 13 u. 86f. 123 Dazu grundlegend Peter Schuster, Verbrecher, Opfer, Heilige. Eine Geschichte des Tötens 1200– 1700, Stuttgart 2015, hier 55–108. 124 Zwierlein/ Graaf: Security and conspiracy (wie Anm. 30); Zwierlein: Security politics (wie Anm. 33), hier allerdings auch zu Attentatsphantasien, S. 82–88.
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erwies. Wenn DelinquentInnen nicht für wahnsinnig erklärt wurden, gingen Obrigkeiten nicht von Einzeltätern aus, sondern sahen die Attentäter zumindest mit dem Teufel im Bunde. Die Untrennbarkeit von Attentaten und Verschwörungen wurde in Anklageschriften behauptet, in Verhören und Prozessen nachzuweisen versucht und in Prozessberichten als erwiesen dargestellt. Nach dem gescheiterten Attentat auf König William III von England 1696 etwa fahndete man nicht nur nach Personen, who [...] had Entred into a Horrid and Detestable Conspiracy, to Assassinate and Murder Our Royal Person, sondern betitelte auch die gedruckten Prozessdarstellungen mit der Verbindung von Conspiracy und Assassination.125 Seit dem 16. Jahrhundert bekamen die Zuschauer bei den in England öffentlichen Hochverratsprozessen zu hören, dass jeder (verhinderte) Königsmörder ein Verschwörer und jeder Verschwörer auch ein potenzieller Königsmörder war. Denjenigen, die diese Prozesse nicht miterlebt hatten, wurde diese Botschaft in Predigten vermittelt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich in England eine konspirationistische Mentalität ausbildete, die punktuell paranoide Züge aufwies.126 Daran konnte der Verschwörungsdiskurs am Ende des 18. Jahrhunderts anknüpfen und neue Akzente setzen. Die juristische Engführung von Attentat und Verschwörung sorgte zudem für eine rechtliche Entgrenzung beider Phänomene: So wie man sich Attentate als Folge einer Verschwörung vorstellte, so auch Verschwörungen als Gefährdung und Bedrohung des Gemeinwesens, als Anschlag auf dasselbe und sein Regiment. Städtische Unruhen konnten als ein solcher, aus einer Conspiration erwachsender Anschlag auf das Gemeinwesen dargestellt werden.127 Auch in jenen Fällen, bei denen Bürger die Gegner ihrer eigenen Stadt unterstützt hatten, wurde die Tat insofern als Verrat gewertet, als diese zum Verderben der guten Stadt gerichtet war.128 In Bezug auf eine als korporativ verfasste Stadt wurden Aufruhr und 125 By the King, a proclamation [...] issued for the apprehending several persons therein named who [...] had entred into a [...] conspiracy to assassinate and murder Our Royal Person, London 1696; The tryal and condemnation of Sir William Parkyns, kt., for the horrid and execrable conspiracy to assassinate His sacred Majesty King William, in order to a French invasion of this kingdom who upon full evidence was found guilty of high treason [...], London 1696. Beide Drucke stehen für eine ganze Reihe ähnlicher, die zu gleichen Zeit erschienen sind. 126 Im Sinne von Richard Hofstadter: The Paranoid Style in American Politics, New York 1952. Mit der Paranoia meint Hofstadter keine klinische Diagnose, sondern eine bestimmte, in den Quellen zu greifende Semantik, die sich u.a. durch Überspitzungen, Verdächtigungen und die Unterstellung geheimer Verbindungen auszeichnet. Gerade im England des späten 16. Jahrhunderts prägte diese Semantik auch das politische Handeln, vgl. dazu v.a. Alford, The Watchers (wie Anm. 25). 127 Wahrhafftig-Abbildender Auffruhr- und Empörungs-Spiegel: In welchem Alle unruhige und verwegene Köpffe gahr leicht und eigentlich zu erkennen seyn, beydes Ihnen selbst zu nöthiger Betrachtung, und allen ... bedenckenden Gemüthern zu nützlichem Gebrauche vorgestellet. Worbey Eine kurtze Erzehlung dessen, was in Hamburg etliche Jahre hero durch die beyde hingerichtete Haupt-Redelsführer, Jastram und Schnitger, verübet worden, Friedberg [tats. Hamburg] 1687, S. 66ff. (über die Lübeckische Conspiration); vgl. zur konspirativen Deutung von Unrugen auch Andreas Würgler, Unruhen und Öffentlichkeit. Städtische und ländliche Protestbewegungen im 18. Jahrhundert (= Frühneuzeit-Forschungen, Bd. 1) Epfendorf 1995, S. 140, 155, 240. 128 Auffruhr- und Empörungs-Spiegel (wie Anm. 126), S. 137. Beispiele dafür sind Braunschweig 1604, Bremen 1654 und Hamburg 1686, vgl. zu letztem Kai Lohsträter, Hinter den Kulissen eines Schreckenstheaters: Der Fall Jastram und Snitger in der Theatrum-Literatur des 17. Jahrhunderts http://
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Verrat als genauso fatal gesehen wie das Attentat auf einen König auch. Entsprechend unerbittlich und grausam fiel die Strafe für Stadtverräter aus.129 Attentate, Anschläge und Verschwörungen waren also nicht nur Varianten politischer Kriminalität neben anderen, sondern eine Art von rechtlich-publizistischem Passepartout für unterschiedliche Formen frühneuzeitlicher Politdelinquenz. Diese Verflechtung hielt sich bis in die Sattelzeit, als politische Morde und Verschwörungstheorien zumindest auf diskursiver Ebene getrennte Wege gingen. Staatsbildung, Konfessionalisierung, druckmedial konstituierte Öffentlichkeiten, die definitorische Macht des Rechts mit seinen antiken und christlichen Wurzeln – all das sind Kategorien, die dem vorliegenden Band einen stark auf Westeuropa zentrierten Bias beilegen. Bei den hier eröffneten Analysekategorien und chronologischen Abgrenzungen müsste also in Zukunft danach gefragt werden, wie und ob sie sich auch an den Rändern oder außerhalb Europas bewähren. Die Frage nach der Wahrnehmung und dem Umgang mit Attentaten und Verschwörungen im russischen oder osmanischen Reich, in den spanischen, französischen oder britischen Kolonien wäre in verschiedenen Hinsichten sehr aufschlussreich: zum einen für das jeweilige Verständnis des Politischen, die Strukturen von Öffentlichkeit, die Beschaffenheit und Reichweite von Medien, zum anderen in globalhistorisch vergleichender Weise.130 Ebenso müssten noch weitere Analysekategorien hinzugefügt werden, die hier insgesamt zu kurz kommen. Geschlechtergeschichtliche Perspektiven etwa ließen sich nicht nur auf Hexerei als ein politisches Verbrechen werfen,131,sondern auch auf umkämpfte Männlichkeitskonzepte und -zuschreibungen von Attentätern.132 Insofern ist dieser Band nur Zwischenstation auf dem weiteren Weg einer politischen Kriminalitätsgeschichte, die nicht nur innovative Fragen stellen und anhand einer differenzierten Quellenlage bearbeiten, sondern sich auch ihrer aktuellen Relevanz sicher sein kann. diglib.hab.de/ebooks/ed000156/id/ebooks_ed000156_article09/start.htm (abgerufen 30.04.2020). 129 Vgl. für Braunschweig Schuster: Verbrecher (wie Anm. 123), S. 15–20. 130 Ganz ähnlich wie für Zentraleuropa drehten sich auch außereuropäische Forschungen zur politischen Kriminalität zunächst um Revolten, die von den Zeitgenossen nicht selten verschwörungstheoretisch gedeutet wurden, vgl. Peter Charles Hoffer: The Great New York Conspiracy of 1741. Slavery, Crime, and Colonial Law, Lawrence (KA), 2003; Jason T. Sharples: The World That Fear Made: Slave Revolts and Conspiracy Scares in Early America, University Park (PA), 2020. Zum kolonialen Indien des 19. Jahrhunderts liegen neuere Studien vor, die Aufstände, ihre Eskalationsdynamiken und Sanktionierungen mit konspirativen Deutungsmustern durch die Briten verschränken, vgl. Kim A. Wagner: The Great Fear of 1857. Rumours, Conspiracies and the Making of the Indian Uprising, Oxford 2010; Chandra Mallampalli: A Muslim Conspiracy in British India? Politics and Paranoia in the Early Nineteenth-Century Deccan, Cambridge 2017. Die notorischen Morde an Sultanen und Prinzen im Osmanischen Reich des 16. und 17. Jahrhunderts werden erwähnt von Baki Tezcan: The Second Ottoman Empire: Political and Social Transformation in the Early Modern World, Cambridge 2010; vgl. zum Zarenreich die aus den Quellen gearbeitete Studie von Nancy Kollmann: Crime and Punishment in Early Modern Russia, Cambridge 2012, z.B. S. 231. 131 Peter Elmer: Witchcraft, Witch-Hunting, and Politics in Early Modern England, Oxford 2016, S. 171. 132 Vgl. dazu noch einmal Asch: Herbst des Helden (wie Anm. 66), S. 34.
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Teuflische Taten. Coniurationes und Attentate in der französischen ‚Société politique‘ des Spätmittelalters Georg Jostkleigrewe Morde an Fürsten und obrigkeitlichen Personen kamen im spätmittelalterlichen Frankreich so gut (bzw. so schlecht) wie anderenorts und zu anderen Zeiten vor.1 Gab es aber auch Attentate – in jenem emphatischen Sinn, der unserem modernen Verständnis dieser besonderen Form politischer Gewalt explizit oder implizit zugrunde liegt? Lassen sich die spätmittelalterlichen Mordtaten ebenso als Signum ihrer Epoche begreifen wie die konfessionell geprägten Taten des Guy Fawkes und des Ravaillac, wie die anarchistischen Morde und Dynamitverbrechen des fin de siècle, wie der Kampf der RAF gegen das imperialistisch-kapitalistische System oder gar der globalisierte, medialisierte und automatisierte Widersinn von Terror und Gegenterror im 21. Jahrhundert? Stellen politische Verschwörungen und heimlich vorbereitete Attentate nicht eine höchst atypische Erscheinungsform spätmittelalterlicher Gewalt dar – widersprechen sie nicht den Normen und dem Selbstbild einer Adelsgesellschaft, die der Gewalt zwar eine zentrale Rolle zumisst, aber zugleich auch stets deren ‚ehrliche‘ – d. h. offene und tendenziell symmetrische – Ausübung einfordert?2 1
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Zur Eingrenzung des Fokus auf Attentate als „realen, geplanten oder imaginierten direkten physischen Angriff auf Herrscherpersonen bzw. im weitesten Sinne Repräsentanten eines politisch-gesellschaftlichen Systems“, vgl. Einleitung. Zu spätmittelalterlichen Fürstenmorden vgl. Georges Minois: Le couteau et le poison. L’assassinat politique en Europe (1400–1800), Paris 1997, insbesondere S. 17– 113; Paul-Joachim Heinig: Fürstenmorde. Das europäische (Spät-)Mittelalter zwischen Gewalt, Zähmung der Leidenschaften und Verrechtlichung, in: id. et al. (Hgg.): Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw (= Historische Forschungen, Bd. 67), Berlin 2000, S. 355–388; sowie die Beiträge in Martin Kintzinger (Hg.): Königliche Gewalt – Gewalt gegen Könige. Macht und Mord im spätmittelalterlichen Europa (= ZHF Beiheft 33), Berlin 2004; allgemeiner im Blick auf politische Gewalt auch id./Frank Rexroth/Jörg Rogge (Hgg.): Gewalt und Widerstand in der politischen Kultur des späten Mittelalters (= Vorträge und Forschungen, Bd. 80) Ostfildern 2015. Eine prägnante Skizze dieser als spezifisch adelig begriffenen Auffassung von ‚rechter‘ Gewaltausübung als regelhafter und symmetrischer Form der Konfliktaustragung bietet im Blick auf das spätmittelalterliche Frankreich Christoph Mauntel: Gewalt in Wort und Tat. Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich (= Mittelalterforschungen, Bd. 46), Ostfildern 2014, zusammenfassend im Blick auf kriegerische Gewalt S. 221; ibd, S. 283, im Blick auf sogenannte ‚beaux cas‘ zulässiger oder zumindest moralisch verständlicher Rache für Ehrverletzungen sowie auf moralisch nicht zu rechtfertigende ‚vilain cas‘: „Ehrverletzungen wurden nicht (...) heimlich gerächt, sondern unmittelbar und öffentlich. Entsprechend wurde ein Angriff in der Dunkelheit und aus dem Hinterhalt mit niederen Motiven assoziiert und galt wegen der Asymmetrie zwischen auflauerndem Täter und ungewarntem Opfer als inakzeptabel“; ibd., S. 284–293, zu Duellen bzw. Gerichtskämpfen und der dort geforderten Symmetrie; schließlich ibd., S. 293, im Blick auf „Attentate und Morde“: „Das negative Gegenbild eines (...) auf Symmetrie beruhenden Zweikampfs ist der meurtre, der gezielte Mordanschlag aus dem
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Abstrakter gefragt: Lässt sich auch im Spätmittelalter jener charakteristische Nexus von politisch motivierten Mordtaten, Verfolgungsapparaten und präventiven Sicherheitsregimes beobachten, der das Attentat der Neuzeit zu einem so markanten Beobachtungspunkt für die Entwicklung staatlicher Strukturen macht? (Wo und wie) findet auch im Mittelalter die juristische Konstruktion zurechenbarer Mitwirkung an politischen Straftaten statt, die in der Frühen Neuzeit zumeist als ‚Verschwörung‘ und heute etwa als ‚Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung‘ gefasst wird? Erzeugen mittelalterliche Fürstenmorde jene medialen bzw. öffentlichen Resonanzen, wie sie seit der Frühen Neuzeit unter anderen technologischen Voraussetzungen wesentlich die Wahrnehmung von Attentaten und auch die aufeinander bezogenen Funktionalitäten von Terror und Terrorbekämpfung prägen?3 Kurz: Sind die spätmittelalterlichen Morde an Fürsten und obrigkeitlichen Personen in einer Weise mit herrschaftlichen bzw. staatlichen, ideologischen und medialen Strukturen verknüpft, die es erlaubt, sie als politische Attentate im Sinne unseres heutigen hochkonnotierten Begriffs zu begreifen und sinnvoll mit den in diesem Band untersuchten neuzeitlichen Fallbeispielen zu vergleichen? Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach solchen Verknüpfungen zwischen Mordanschlägen auf fürstliche und obrigkeitliche Personen einerseits und der sie umgebenden politischen Gesellschaft4 andererseits im Blick auf das französische Königreich des 14. und 15. Jahrhunderts nach. Anhand eines ebenso typischen wie vielleicht auch überraschenden Fallbeispiels werden zunächst Spezifika politischer (Mord-)Gewalt im spätmittelalterlichen Frankreich wie auch die Problematik ihrer historischempirischen Erfassung diskutiert. In einem zweiten Schritt wird ein Überblick über die in den Quellen fassbaren Mordanschläge innerhalb der französischen ‚Société politique‘ des Untersuchungszeitraums gegeben und mit grundlegenden Informationen zur historischen Kontextualisierung angereichert. Weitere Kapitel vertiefen schließlich zum einen die Frage nach Wechselwirkungen zwischen der Entwicklung von politischer Gewalt und Repressionsapparaten bzw. Kriminalisierungsdiskursen und fragen zum anderen danach, in welchen Kontexten welche Formen politischer Gewalt (nicht) zum Einsatz kamen.
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Hinterhalt“ (Hervorhebung Mauntel). Vgl. die in der Einleitung dieses Bandes skizzierten Überlegungen, S. xx Das Konzept der ‚politischen Gesellschaft‘ ist in der französischen Mediävistik seit langem eingeführt, vgl. insbesondere Raymond Cazelles: Société politique et crise de la royauté sous Philippe de Valois (= Bibliothèque elzévirienne. N.S. Etudes et documents), Paris 1958, S. 9. Auch in der späteren anglo-amerikanischen Forschung wird das Konzept aufgegriffen, etwa bei Peter Lewis: Later Medieval France. The Polity, London u.a. 1968 (so unterminologisch z. B. S. 378) und vor allem bei John Bell Henneman: Olivier de Clisson and political society in France under Charles V and Charles VI (= The Middle Ages series), Philadelphia 1996. Vgl. ibd., S. 1, in expliziter Anlehnung an Cazelles die vom Autor zugrundegelegte Erläuterung des Begriffs ‚political society‘: „those people who influenced events, whose political power or opinions counted when the French royal government was deciding important matters of policy“.
Teuflische Taten
I. Ein Attentat und seine Verknüpfungen: Der Mordanschlag Roberts von Artois auf die königliche Familie (1334) Im Frühjahr 1334 gelang es mit knapper Not, ein Attentat auf die französische Königin Jeanne de Bourgogne und ihren Sohn, den späteren Johann II., sowie vielleicht auch auf König Philipp VI. selbst zu verhindern. In letzter Minute wurde man der Mordpläne gewahr, während die Agenten des seit Jahren exilierten Drahtziehers und Haupttäters bereits durch Frankreich streiften. Letztere wurden bald nach ihrer Gefangennahme zu Kronzeugen gegen ihren Auftraggeber umfunktioniert. Ihre Einvernahme bildete zudem den Auftakt einer Verfolgungswelle, die sich gegen frühere Unterstützer des Drahtziehers richtete; eine ganze Reihe von diesen wurde gefangengenommen und zu Geld- und Schandstrafen verurteilt – freilich nicht wegen Beteiligung an der Attentatsverschwörung, sondern wegen früherer Delikte im Dienste desselben Auftraggebers. Vorbeugend nahm man auch dessen Gattin mit ihren Söhnen in Haft; pikanterweise handelte es sich dabei um Jeanne de Valois, die Halbschwester des Königs, der man ebenfalls mörderische Absichten zuschrieb. Dem Attentäter selbst, Robert von Artois, einem entfernten Cousin und langjährigen Weggefährten König Philipps VI., gelang es, sich trotz der Überwachung durch ein engmaschiges Spitzelnetz aus seinem niederländischen Exil nach England abzusetzen.5 Im Pariser Milieu der zentralen Verwaltungsinstitutionen sowie in der Adelsgesellschaft wurden Details der Attentatspläne publik gemacht. Vertreter des Pariser Patriziats – auf deren Unterstützung Robert laut Aussage seiner Agenten vertraut hatte – versicherten den König daraufhin unverzüglich und unaufgefordert ihrer Treue.6 Von seinen wichtigsten Amtsträgern sowie den Fürsten vom Geblüt verlangte König Philipp am 17. Juli 1334 in Le Moncel lez Pont-Sainte-Maxence darüber hinaus einen Eid, Robert von Artois nicht zu unterstützen, sondern ihm im Gegenteil nach Kräften zu schaden.7 Schließlich wurde Robert selbst unter Bezug auf sein Mordkomplott 5
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Zum Konflikt zwischen Philipp VI. von Frankreich und Robert von Artois sowie zu dessen Verbannung und Flucht vgl. umfassend meine Habilitationsschrift: Georg Jostkleigrewe: Monarchischer Staat und ‚Société politique‘. Politische Interaktion und staatliche Verdichtung im spätmittelalterlichen Frankreich, Ostfildern 2018, S. 163–229. Vgl. Chronique parisienne anonyme de 1316 à 1339 précédée d'additions à la Chronique française dite de Guillaume de Nangis (1206–1316), ed. Amédée Hellot (=Mémoires de la Société de l'Histoire de Paris et de l'Ile-de-France, Bd. 11 (1884)), § 255, S. 160: Et ces choses publiées en plaine salle, en l’ostel du roy au [Moncel lèz] Pont-Saint-Messant, et venu à la congnoissance dez bourgoiz de Paris tantost de ce que mons. Robert avoit dist de Paris, s’en allerent excuser par devers le roy moult humblement, en disant qu’il ne crust pas telz parollez que Paris eust nulle amour à luy puis qu’il estoit ennemy du roy, et que avec le roy voulloient il vivre et mourir, et se metoient du tout en son aide. Das vom König vorgelegte Eidformular sowie die individuell beurkundeten Eide der Königinwitwe Jeanne d’Évreux, des Königsbruders Karl von Alençon sowie seines Cousins Karl von Étampes sind abschriftlich überliefert im Ms. BnF fr. 18437, im Register AN JJ 20 sowie in zwei weiteren Handschriften; eine Edition nach AN JJ 20, 187v–189r, hat Dana Sample: The case of Robert of Artois (1309–1337), New York 1996, S. 765–770, vorgelegt. In der Literatur zu Robert von Artois werden die Eide von Le Moncel fast überall erwähnt, ihre eigentliche Bedeutung wird aber nirgends erkannt.
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zum Majestätsverbrecher und Todfeind des französischen Königs erklärt; dies geschah allerdings erst drei Jahre später.8 Zu diesem vergleichsweise gut dokumentierten Fallbeispiel wird später noch einiges zu sagen sein. Als Ergebnis unserer ersten Annäherung soll hier indes nur festgehalten werden, dass die vorgestellte Konstellation wesentliche Aspekte der Thematik dieses Bandes berührt. Roberts Attentatspläne erzeugen Resonanzen in der Öffentlichkeit; sie werden vom Königtum wahrscheinlich zielgerichtet publik gemacht. Ihre gerichtliche Aufarbeitung ist in umfassende Aktivitäten der monarchischen Justiz- bzw. Repressionsapparate eingebettet, die über den ursprünglichen Anlass – Roberts Attentatsversuch – hinausweisen. Das präventive Vorgehen gegen tatsächliche oder vermeintliche Unterstützer des Attentäters scheint zudem auf die Existenz spezifisch sicherheitlicher Vorstellungen zu verweisen. Kurz: Wir beobachten anscheinend Verknüpfungen zwischen Attentat, Öffentlichkeit, Repressionsapparat und Sicherheitsarchitektur. Lassen sich diese Verknüpfungen nun in gängige Entwicklungs- und Modernisierungsmodelle einordnen? Konkreter: Stehen Attentate und Entwicklungen im Bereich der Sicherheits- bzw. Repressionsapparate auf die eine oder andere Weise im Verhältnis von Ursache und Wirkung? Und wie wäre dieses Verhältnis genauer zu fassen? Diese Fragen sind keineswegs trivial. Gerade im Blick auf das vorgestellte Beispiel stellen sie sich zudem in besonderer Schärfe. Hier sind nämlich nicht allein die Beziehungen zwischen Attentat und umgebender Welt zu hinterfragen – auch die zentrale Verknüpfung, die im Begriff des Attentats enthalten ist, wird fragwürdig: die spezifische Verknüpfung von Täter, Waffe und Opfer. Denn Roberts Attentatsversuch ist im Wortsinne eine teuflische Tat: Er benutzt weder den Dolch des Ravaillac noch das Pulverfass des Guy Fawkes, sondern die höllische Kraft des Bildzaubers – einer Waffe, die ebenso zu den idealtypischen Werkzeugen mittelalterlicher Attentäter zählt wie das Gift, das im Übrigen nach Auffassung der Zeitgenossen ja im selben, magischen Modus funktioniert.9 Vor dem Hintergrund heutiger Annahmen über die begrenzte Wirksamkeit magischer Mordpraktiken könnte man nun versucht sein, die gerade erst aufgespannte Fragestellung auf die kürzestmögliche Weise abzuwickeln, indem man die gegen Robert erhobenen Vorwürfe etwa als Ausdruck einer Hofkabale, eines Parteikonflikts in der französischen ‚Société politique‘ oder auch als Standardform der Kriminalisierung interpretiert, mittels deren ein entstehender Staatsapparat seine Gegner verfolgt.10 All
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Für eine detaillierte Aufarbeitung und Neudeutung vgl. meine Habilitationsschrift: Jostkleigrewe: Monarchischer Staat und ‚Société politique‘ (wie Anm. 5), S. 195–207. Vgl. die Lettre par laquele le roy a declarie que monsieur Robert dartoys est son anemi mortel (07.03.1337, n. s.), AN JJ 20, 194v–195v, ed. Sample, Case of Robert of Artois (wie Anm. 7), S. 791–794. Zur engen Verwandtschaft von Giftmord und Zauberei in der mittelalterlichen Vorstellungswelt vgl. Franck Collard: Le crime de poison au Moyen Âge, Paris 2003, S. 137, 158f. Der Autor weist indes darauf hin, dass trotz der engen diskursiven Verknüpfung beider Vorwürfe zumindest in den Gerichtsakten des französischen Spätmittelalters in konkreten Prozessen zumeist keine Verbindung festzustellen ist: Nur etwa 10–15% der Gift- bzw. Zaubereiverbrecher werden auch wegen des korrespondierenden Verbrechens angeklagt. Vgl. dazu noch einmal ausführlich meine Habilitationsschrift: Jostkleigrewe: Monarchischer Staat
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dies ist gewiss sehr bedenkenswert und auch richtig – nur sprechen die Quellen eben eine andere Sprache. Dort ist nicht von Intrige und Parteikonflikt und natürlich nicht von politischer Instrumentalisierung des zeitgenössischen Magiediskurses, aber auch nicht vom Zaubereidelikt die Rede, sondern eben von einem Attentat: Vom Angriff auf das Leben der königlichen Familie.11 Im Experiment soll diese an sich triviale Beobachtung nun zum Anlass genommen werden, die Untersuchung von Attentaten im spätmittelalterlichen Frankreich zunächst nicht auf das Fundament moderner Plausibilitätsannahmen zu gründen: Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen ist nicht die Unterscheidung zwischen wirkungsvollen und wirkungslosen Waffen, zwischen ‚echten‘ und fiktiven Attentaten – mit all den Folgerungen hinsichtlich daran anknüpfender historischer Wirkungsrelationen, die üblicherweise an dieser Unterscheidung hängen. Wenn ich daher im Folgenden einige systematische Schneisen durch das Untersuchungsfeld schlage und nach bestimmten Verknüpfungen zwischen Attentat, politischer Gesellschaft und institutionellen Verdichtungen im französischen Königreich frage, so bleibt der Blick nicht auf diejenigen Konstellationen beschränkt, die auch heute eine polizeiliche Verfolgung nach sich ziehen würden, sondern erfasst das weite Spektrum dessen, was mittelalterliche Beobachter als Attentat – als Mordtat an herrschaftlichen Akteuren – wahrnahmen bzw. darstellten. Ein solches Vorgehen entspricht durchaus dem Impetus dieses Bandes, das Attentat als Typus historischer Ereignisse zunächst einmal phänomenologisch zu erfassen. Dass der resultierende Blick auf das spätmittelalterliche Attentat eine Reihe epistemologischer und methodischer Probleme aufwirft, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Erläuterung.
II. Das Attentat im Überblick (I): Blutige Mordanschläge in der französischen ‚Société politique‘ des 14. und 15. Jahrhunderts Bekanntlich hat es im französischen Spätmittelalter einige spektakuläre Mordanschläge auf fürstliche Personen gegeben. Besondere Beachtung haben die Morde an Ludwig von Orléans (1407) und Johann Ohnefurcht von Burgund (1419) erfahren, die bereits die Chronisten des 15. Jahrhunderts als Ausgangspunkt der katastrophalen Bürger11
und ‚Société politique (wie Anm. 5), besonders S. 184–211 sowie S. 273–279. Vgl. in diesem Sinn etwa die – hinsichtlich der Berechtigung des Tatvorwurfs durchaus skeptischen – Formulierungen in den vom König geforderten Sicherheitseiden der Königinwitwe Jeanne d’Évreux sowie Karls von Étampes, AN JJ 20, 188v–189r, ed. Sample, Case of Robert of Artois (wie Anm. 7), S. 770: Pour ce que li Roys se noit pour enfourmez que monsieur Robert dartoys auoit machine en sa mort et de nostre chere Cousine la Royne et de nostre chier cousin le Duc de Normendie... (Jeanne d’Évreux); AN JJ 20, 188v, ed. Sample, Case of Robert of Artois (wie Anm. 7), S. 768: Considerer que le dit monsieur Robert a machine si comme len dit en la mort monsieur le Roy de Madame la Royne sa compaigne & de monsieur le duc de normendie leur filz...(Karl von Étampes).
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kriege in der zweiten Phase des Hundertjährigen Krieges wahrgenommen und bisweilen auch als Symptome eines generellen Verfalls des mittelalterlichen Wertesystems gedeutet haben.12 Sieht man indes von diesen aufsehenerregenden Mordtaten ab, so genießt das hoch- und spätmittelalterliche Frankreich im Hinblick auf politische Gewalt einen eher friedlichen Ruf. Schließt man die auch in Frankreich prinzipiell nicht kriminalisierte offene Fehde- bzw. Privatkriegsführung aus der Betrachtung aus und blickt allein auf blutige Morde an politischen Gegnern, so scheint sich Frankreich „mit lediglich fünf Gewalttaten zwischen 1315 und 1483 wohltuend [von Italien, aber auch England]“ abzuheben.13 Man hat dieses harmonische Bild einer politischen Gesellschaft, die an ihrer Spitze weitgehend auf interne Gewaltausübung oder doch zumindest Mordtaten verzichtet habe, unter anderem durch die Existenz eines Ehrkodexes erklärt, der den heimtückischen Mord ächtet: Tatsächlich spielt die Anwendung von Gewalt zwar eine zentrale Rolle im Selbstbild des Adels, doch wird stets deren ‚ehrliche‘ – das heißt offene und tendenziell auch symmetrische – Ausübung gefordert.14 Das Fehlen von Mord und Totschlag an der Spitze der politischen Gesellschaft lässt sich aber auch strukturell erklären: Die spätmittelalterliche französische Monarchie ist das Ergebnis eines Konzentrationsprozesses, durch den der größte Teil des in viele Einzelherrschaften und Lehensfürstentümer zersplitterten hochmittelalterlichen Königreichs im Laufe des 13. Jahrhunderts unter die direkte Kontrolle des Königtums kommt. Beschränkt sich der königliche Aktionsradius noch um 1180 weitgehend auf das Pariser Becken, so gehört hundert Jahre später der größte Teil des Königreichs zur Krondomäne oder zu den Apanagen kapetingischer Nebenlinien.15 Diese Entwicklung erzeugt zum einen 12
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Zu den Morden und ihren Hintergründen vgl. Bernard Guenée: Un meurtre, une société. L’assassinat du Duc d’Orléans, 23 Novembre 1407 (= Bibliothèque des histoires), Paris 1992; Joachim Ehlers: Ludwig von Orléans und Johann von Burgund (1407/1419). Vom Tyrannenmord zur Rache als Staatsraison, in: Alexander Demandt (Hg.): Das Attentat in der Geschichte, Köln 1996, S. 107–122; Petra Schulte: Treue und Vertrauen im Zeichen der Ermordung Ludwigs von Orléans durch Johann ohne Furcht (23 November 1407), (= FmSt 39), Berlin 2005, S. 315–333; Mauntel: Gewalt in Wort und Tat (wie Anm. 2), S. 297–299 (zu Ludwig von Orléans), 299–301 (zu Johann Ohnefurcht); zur Wahrnehmung und Bewertung der Morde in der Historiographie des 15. Jahrhunderts vgl. ibd., S. 305f. Heinig: Fürstenmorde (wie Anm. 1), S. 361. Auf diese Weise erklärt etwa die insgesamt sehr bedenkenswerte Dissertation von Mauntel: Gewalt in Wort und Tat (wie Anm. 2), S. 293f., die geringe Prävalenz des politischen Mordes in Frankreich bis etwa 1350: „Vor dem Hintergrund der ritterlichen Verhaltensideale war die Ermordung eines Fürsten ein Tabubruch und kam im hochmittelalterlichen Frankreich entsprechend selten vor. (...) Für etwaige Konflikte standen verschiedene Lösungsmechanismen zur Verfügung: Von friedlicher Konfliktlösung über juristische Zweikämpfe bis hin zur offenen Fehdeführung – der Körper des Gegners galt auf jeden Fall als Tabu. Mitte des 14. Jahrhunderts jedoch setzte eine ‚Renaissance des politischen Attentats‘ ein, die auch einen Wandel in der Einstellung zum Körper des Gegners mit sich brachte“. Ob die „Renaissance des Attentats“ ab etwa 1350 indes tatsächlich durch den Wandel soziokultureller Normsysteme und Ideale zu erklären ist – und ob die unterschiedliche Prävalenz des blutigen Attentats im englischen und französischen Raum, die sich hinsichtlich ihrer kulturellen Prägung wenig voneinander unterschieden, einer solchen Deutung nicht widerspricht – wäre ausführlicher zu diskutieren. Für einen knappen Überblick über diese Entwicklung vgl. Georg Jostkleigrewe: Gewalt – Kon-
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ein erhebliches Machtgefälle zwischen Königtum und Hochadel und führt zum anderen zu einer starken sozialen bzw. dynastischen Konzentration innerhalb der französischen Fürstengesellschaft. Fürstliche Politik ist um 1300 weitgehend kapetingische Familienpolitik: Mit Ausnahme Flanderns und des englischen Aquitaniens sind alle großen Lehensfürstentümer in den Händen kapetingischer Nebenlinien, und mit Ausnahme von Burgund und Bretagne stammen alle diese Nebenlinien von Königen des 13. Jahrhunderts ab. Im 13. Jahrhundert stehen also die meisten fürstlichen Akteure agnatisch im Verhältnis von Brüdern, Onkeln bzw. Neffen oder Cousins ersten Grades. Trotz allfälliger interner Konflikte (die die historiographischen Quellen allerdings oft überspielen) ist es daher durchaus denkbar, dass die dynastische Nähe, das Bewusstsein der gemeinsamen Verwandtschaft zum großen kapetingischen Hausheiligen – Ludwig IX. – sowie die tiefe soziale Kluft zum übrigen Hochadel und die daraus resultierende partielle Isolierung von den dortigen Auseinandersetzungen zu einer gewissen Befriedung innerhalb der Spitzengruppe der politischen Gesellschaft geführt hat, die auch die geringe Zahl politischer Morde erklärt. Der skizzierte Befund einer gewalt- und attentatsarmen politischen Gesellschaft bezieht sich nun allerdings weitgehend auf das Fehlen blutiger Gewalttaten, die vi et armis vollbracht wurden. Formen wie Giftmorde und zauberische Attentate hingegen sind bislang nie ernsthaft in einschlägige Untersuchungen einbezogen worden, weil ihre Historizität im ersten Fall fast nie bewiesen wurde und praktisch wohl auch kaum beweisbar ist, während sie im zweiten Fall von vorneherein als ausgeschlossen gilt.16 Können wir sie bei der Analyse spätmittelalterlicher politischer Gewalt gleichwohl sinnvoll berücksichtigen? Und wie ändert sich dann unsere Wahrnehmung der Interaktionsstrukturen und der politischen Kultur innerhalb des französischen Königreichs?
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sens – Recht. Grundstrukturen politischer Kommunikation im französischen Königreich des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Norbert Kersken/Grischa Vercamer (Hgg.): Macht und Spiegel der Macht. Herrschaft in Europa im 12. und 13. Jahrhundert vor dem Hintergrund der Chronistik (= Quellen und Studien. Deutsches Historisches Institut Warschau, Bd. 27), Wiesbaden 2013, S. 173–198. Heinig: Fürstenmorde (wie Anm. 1), S. 381f.: „Der gleich in mehreren Fällen geäußerte GiftmordVerdacht [könnte] tatsächlich einen neuen Mord-Typus des späten Mittelalters darstellen. Weil fundierte Analysen aber kaum ein Verdachtsmoment erhärtet haben, erspare ich mir deren Darlegung mit dem Hinweis, daß es sich wohl überwiegend um ein Erklärungsmodell für das jähe Ableben eines besonders geschätzten Herrn oder Verwandten handelte“; ähnlich auch Martin Kintzinger: Maleficium et veneficium. Gewalt und Gefahr für den Fürsten im französischen Spätmittelalter, in: id. (Hg.): Königliche Gewalt – Gewalt gegen Könige (wie Anm. 1), S. 71–100, hier S. 81.
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III. Das Attentat im Überblick (II): Okkulte Attentate in der französischen ‚Société politique‘ des 14. und 15. Jahrhunderts Hinsichtlich des 13. Jahrhunderts ändert der Einbezug okkulter Attentate in die Betrachtung tatsächlich wenig. Im „inner circle“ der kapetingischen Monarchie wäre nur der Giftmord der Königin Maria von Brabant an ihrem Stiefsohn, dem Thronfolger Ludwig, im Jahre 1276 zu nennen; dieser Mord wurde durch Denunziation aus dem Umfeld des königlichen Chambellans und Günstlings Pierre de la Broce bekannt gemacht. Allerdings waren sich schon die Zeitgenossen nicht ganz einig, ob Ludwig nun wirklich vergiftet worden war oder ob sein Tod nicht vielmehr eine göttliche Strafe für die widernatürlichen Beziehungen König Philipps III. zu Pierre darstellte; wir wissen das aus dem Bericht des Legaten Simon de Brie, des späteren Martin IV.17 Hingerichtet wurde am Ende jedenfalls Pierre de la Broce. Für das 14. und 15. Jahrhundert ist hingegen ein solides Fundament von Giftattacken und zauberischen Attentaten zu konstatieren, die gerichtlich verfolgt oder zumindest von Zeitgenossen vermutet wurden. Der Bischof Guichard von Troyes etwa wurde im Jahre 1308 unter dem Vorwurf verhaftet, die Schwiegermutter des Königs – seine einstige Gönnerin – vergiftet und entsprechende Anschläge auf dessen Bruder und Sohn unternommen zu haben; vor allem aber warf man ihm vor, durch zauberische Mittel die Gattin Philipps IV. ermordet zu haben18. Guichard kam nach fünfjähriger Kerkerhaft frei und wurde auf einen bosnischen Bischofsstuhl transferiert, den er bis zu seinem Tod 1317 innehatte19; er war immerhin glücklicher als der südfran17
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Die betreffenden Aussagen des Legaten sind im Zusammenhang einer Untersuchung gegen Pierre de Benais, Bischof von Bayeux, einen Schwiegercousin und Vertrauten des Pierre de la Broce gemacht worden und im Trésor des Chartes überliefert (AN J 429, Nr. 1); Edition durch de Gaulle, Documents historiques, S. 87–100, hier S. 88 (im Blick auf die von Pierre de Benais erhobenen Giftmordvorwürfe gegen die Maria von Brabant) sowie 89f. (im Blick auf das königliche peccatum contra naturam): Li Rois (...) dist [au legat] que (...) un chanoines de Laon que len apele vidame, li diffamoit moult vileinement et moult outrageusement de pechié contre nature (...). Et demanda li Rois au legat se il en avoit unques oi parler ; et il dist que oil. (...) Et il dist que len li avoit dit (...) que un saint hom avoit dit que il savoit par revelacion de Nostre Seigneur, que li Rois estoit coulpables dou pechié desus dit ; et dist plus, quar il dist que se li Rois ne se repentoit prochainement de ce pechié, il morroit un de ses enfants dedenz demi an. (...). Vgl. zu diesem Beleg Xavier Hélary: Trahison et échec militaire: le cas Pierre de La Broce (1278), in: Maïté Billoré/Myriam Soria (Hgg.): La trahison au Moyen Âge: de la monstruosité au crime politique, Ve – XVe siècle, Rennes 2009, S. 185–196, hier S. 190, sowie die unveröffentlichte Habilitationsschrift desselben Verfassers, für deren Bereitstellung ich herzlich danke: Xavier Hélary: L’ascension et la chute de Pierre de la Broce, S. 214–227, besonders S. 214–219. Vgl. zur detaillierten Aufarbeitung des Prozesses gegen Guichard Alain Provost: Domus diaboli. Un évêque en procès au temps de Philippe le Bel, Paris 2010. Zu Guichards Translation auf den im heutigen Kroatien gelegenen Bischofsstuhl von Diakovár/ Đakovo, der im 13. Jahrhundert dem bosnischen Bischof übertragen worden war, sowie zu seinem vermutlichen Todesdatum vgl. Provost: Domus Diaboli (wie Anm. 18), S. 260f. Wie Provost ibd. ausführt, hat Guichard seinen neuen Bischofsstuhl vermutlich nie persönlich eingenommen; er ist
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zösische Bischof von Cahors, der im selben Jahr auf dem Scheiterhaufen endete, weil er nach Überzeugung der Kurie versucht hatte, Papst Johannes XXII. durch Gift und Bildzauber zu töten.20 Weitere Fälle innerhalb Frankreichs betreffen Pierre de Latilly, den Kanzler des Königreichs; er wurde 1314 unter dem Verdacht verhaftet, den jüngst verstorbenen Philipp IV. sowie seinen eigenen Vorgänger auf dem Bischofsstuhl von Châlons vergiftet zu haben.21 1316 eröffnete Philipp V. eine Untersuchung gegen seine Schwiegermutter Mahaut von Artois, die beschuldigt worden war, Philipps Vorgänger Ludwig X. und dessen postumen Sohn Johann I. vergiftet zu haben; die Gräfin wurde von dem Vorwurf gereinigt.22 1329 und 1330 starben Mahaut selbst und ihre Erbtochter Jeanne kurz hintereinander eines plötzlichen Todes; die Chronique de Flandre berichtet im ersten Fall vom Gerücht eines Giftmordes und schildert im zweiten Fall drastisch die Vergiftungsfolgen (das Gift sei der Sterbenden aus Augen, Mund, Nase und Ohren gedrungen und der ganze Körper habe dunkle Flecken aufgewiesen).23 Die hier referierten Affären aus den ersten drei Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts entstammen einer Periode, die durch scharfe Parteigegensätze innerhalb Frankreichs geprägt ist. Dabei überlagern sich zwei dominante Konfliktlinien, an die wiederum eine Vielzahl kleinerer Auseinandersetzungen agglutinieren. Zum einen ordnen die Zeitgenossen viele Konflikte in den Rahmen eines übergeordneten Gegensatzes zwischen baronialem Adel und königlicher Verwaltung ein; bei diesem Gegensatz handelt es sich freilich weniger um einen Ausfluss sozialer Spannungen als vielmehr um ein – ziemlich stabiles – Diskurskonstrukt.24 Zum anderen beobachten wir, dass verschiedene dynastische und politische Konflikte innerhalb der Société politique von den jeweiligen Akteuren im Kraftfeld des Gegensatzes zwischen zwei großen Fürstengruppierungen verortet werden. Einen der Leitkonflikte im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts bildete dabei die Frage des artesischen Erbgangs, deren Nachwirkungen wir im 20 21 22 23 24
noch im Jahre 1316 zumindest einmal in der Champagne belegt. Vgl. Collard: Crime de poison (wie Anm. 9), S. 35; Provost: Domus diaboli (wie Anm. 18), S. 221. Vgl. Collard: Crime de poison (wie Anm. 9), S. 248f. Vgl. Christelle Balouzat-Loubet: Mahaut d’Artois. Une femme de pouvoir (1302–1329), in: Antoine Destemberg et al. (Hgg.): Faire jeunesses, rendre justice. À Claude Gauvard (= Publications de la Sorbonne. Série Histoire ancienne et médiévale, Bd. 134), Paris 2015, S. 137–140. Vgl. Chronique de Flandre, ed. Kervyn de Lettenhove, S. 350f. Da die Werke, aus denen die Chronique de Flandre schöpft, keine entsprechenden Nachrichten überliefern, handelt es sich wahrscheinlich um eine deutende Interpolation des späteren Kompilators. Zum Charakter der faktionalen Auseinandersetzungen im spätmittelalterlichen französischen Königreich vgl. Georg Jostkleigrewe: Höfischer Streit und literarische Autorität. Literatur als Parteiargument in der französischen „Société politique“ (Paix aux Anglais, Charte aux Anglais, Adam de la Halle, Le Roi de Sezile), in: Susanne Friede/Michael Schwarze (Hgg.): Autorschaft und Autorität in den romanischen Literaturen des Mittelalters (= Zeitschrift für romanische Philologie, Beiheft 390), Berlin/Boston 2015, S. 168–198, besonders S. 176–180, sowie Jostkleigrewe: Monarchischer Staat und ‚Société politique‘ (wie Anm. 5), besonders S. 233–304. Die bislang noch nicht intensiv erforschten Strukturen der innerfranzösischen Faktionskonflikte werde ich in den nächsten Jahren zusammen mit Olivier Canteaut (Paris, École nationale des chartes) in monographischer Form aufarbeiten.
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einleitenden Beispiel bereits berührt haben: Aufgrund einer Besonderheit des dortigen Erbrechts nämlich war das Artois 1302 an die Gräfin Mahaut gefallen und nicht an ihren Neffen Robert, den Chef des Hauses. Gestützt auf eine Gruppe kapetingischer Dynasten um den Königsbruder Karl von Valois kämpfte Robert seither um sein Erbe, während Mahaut sich vor allem auf ihre Schwiegerverwandtschaft am königlichen Hof, in Flandern und Burgund stützen konnte.25 Die hier beobachtete Konstellation eines sich überlagernden Doppelkonfliktes zwischen Adel und Verwaltung einerseits, verschiedenen Fürstengruppen andererseits zieht sich in wandelnden Formen durch das gesamte 14. Jahrhundert. Fürsten vom Geblüt, die sich als Repräsentanten der guten alten Adelswelt stilisieren, sammeln sich hinter den Königsbrüdern Karl von Valois und später Karl von Alençon, hinter den Prinzen aus dem Hause Évreux-Navarra und den Brüdern Karls V., um ihre jeweiligen Gegner und natürlich die überbordende königliche Verwaltung zu bekämpfen. Die Konstellation wirkt noch in die Konflikte des beginnenden Bürgerkriegs in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts hinein, die im Zusammenwirken mit dem englisch-französischen Krieg freilich bald eine darüber hinausweisende Eigendynamik entwickeln; nach dem Ende des Hundertjährigen Kriegs scheint sie unter anderem in der gewandelten Form der Vater-Sohn-Konflikte zwischen König und Dauphin wieder auf. Für Verständnis und Bewertung der okkulten Attentate – der politischen Zauberei- und Giftaffären – ist die grundsätzliche Kenntnis dieser Konfliktstruktur elementar. Die ausführliche Diskussion aller bekannten Attentate bzw. Attentatsvorwürfe ist an dieser Stelle hingegen nicht erforderlich; um gleichwohl einen Eindruck von der Ubiquität dieses Phänomens zu vermitteln, ist im Anhang eine nicht erschöpfende Auflistung einschlägiger Affären beigefügt, die Könige, Fürsten, deren Angehörige und hochrangige Amtsträger als Opfer okkulter Attentate wie als Täter verzeichnet.26 Von innerfranzösischen Giftattacken frei ist allein die Zeit der „France anglaise“ zwischen 1420 und 1450, als das Valois-Königtum angesichts der englischen Besetzung vieler Provinzen um sein Überleben kämpfte.27 Abgesehen von dieser dreißigjährigen Zwischenphase finden sich in allen Zeiten einschlägige Nachrichten. Dies gilt übrigens nicht nur für Phasen offenen Konflikts, sondern auch für ruhigere Zeiten: Im Jahre 1337 etwa erhoben Dienstboten der Königin Jeanne de Bourgogne Vorwürfe des Giftund Zaubereigebrauchs gegen Marie d’Espaigne, die Gattin des Königsbruders Karl von Alençon. Dass auch die Königin Jeanne selbst gerne Gift verwendet habe, um ihre Feinde aus dem Weg zu räumen, ist nur in sehr viel späteren Quellen belegt; dasselbe gilt auch für die Nachricht, dass Ludwig von Anjou 1366 seinen Bruder Karl V. zu 25
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Zur Auseinandersetzung um das Artois vgl. Cazelles: Société politique et crise de la royauté (wie Anm. 4), S. 75–90. Eine erneute Untersuchung und partielle Neudeutung des Falles findet sich in meiner Habilitationsschrift, Jostkleigrewe: Monarchischer Staat und ‚Société politique‘ (wie Anm. 5), besonders S. 163–233. Vgl. unten S. 55–57. Vgl. Franck Collard: Meurtres en famille. Les liens familiaux à l’épreuve du poison chez les Valois (1328–1498), in: Christiane Raynaud (Hg.): Familles royales: vie publique, vie privée aux XIVe et XVe siècles, Aix-en-Provence 2010, S. 185–196, hier S. 189.
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vergiften versucht habe.28 Zeitgenössisch hingegen sind die Giftmordvorwürfe gegen Ludwig von Orléans, dessen Gattin Valentina als Tochter des Giangaleazzo Visconti ja eine familiäre Prädisposition zum Verwandtenmord aufwies.29 Eine Reihe weiterer Giftaffären im französischen Königshaus hat Franck Collard für das 15. Jahrhundert zusammengestellt. Entsprechende Nachrichten betreffen die Dauphins Ludwig von Guyenne und Johann von Touraine sowie Agnès Sorel, die Mätresse Karls VII., und verschiedene Opfer Ludwigs XI. (darunter Vater und Bruder). Dass auch dieser König selbst in großer Furcht vor Attentaten lebte, ist hinreichend belegt.30 Ebenfalls zeitgenössisch sind die Nachrichten über zahlreiche giftmörderische Aktivitäten Karls ‚des Bösen‘; dieser französische Fürst und König von Navarra machte seinem Beinamen – der übrigens erst aus dem 16. Jahrhundert stammt – alle Ehre, indem er mehrfach Anschläge auf seinen Schwager Karl V., aber auch auf konkurrierende Fürsten ins Werk setzte. Aus einer Phase blutig-offener Konflikte stammt ein Bericht des Dauphins Karl (V.) über die Angriffe seines Schwagers, der unter anderem eine idealtypische Beschreibung des Instrumentariums enthält, dessen man sich für okkulte Giftattentate bediente. Tatsächlich stand Karl von Navarra schon seit Jahren immer wieder in offenem Konflikt zu König Johann II., dessen Jugendfreund, den Connétable Charles d’Espaigne, er 1354 hatte ermorden lassen. Johann II. hatte dies mit der extrajudizialen Tötung mehrerer normannischer Adliger beantwortet, die mit Karl von Navarra verbündet waren.31 Nachdem König Johann 1356 in der verlorenen Schlacht von Poitiers durch die Engländer gefangengenommen worden war, habe sich Karl von Navarra nicht nur zum Verderben der Königsfamilie verschworen und den Pariser Aufstand des Jahres 1358 angestiftet, sondern auch okkulte Attentate gegen den Dauphin vorbereitet. Jedenfalls habe man im Hause seines „häretischen Arztes oder Astrologen“ verschiedene Zauberpüppchen, Ringe, Zaubereien, Pulver und andere abscheuliche und widerchristliche Dinge gefunden, von denen man vernünftigerweise annehmen müsse, dass sie gegen ihn – den Dauphin – gerichtet seien.32 28
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Zu Jeanne de Bourgogne vgl. den Bericht bei Pierre Cochon, Chronique normande, ed. Charles de Robillard de Beaurepaire, Rouen 1870, S. 59–63, mit Verweis auf Einsatz von Giften S. 62f.; in der älteren, der Königin ebenso feindlich gesonnenen, aber ebenfalls nicht zeitgenössischen Chronique des quatre premiers Valois, ed. Siméon Luce, S. 17, ist von Gifteinsatz keine Rede: La male royne boiteuse Jehenne de Bourgoingne (...) estoit comme roy et faisoit destruire ceulx qui contre son plaisir aloient, ou du moins elle les exilloit ou leur toulloit le leur. Zu Ludwig von Anjou vgl. Collard: Meurtres en famille (wie Anm. 27), S. 188, mit Nachweis des Vorwurfs in der Lütticher Chronik des Cornelius Zantfliet sowie in der Metzer Chronik des Jacques d’Esch. Vgl. Collard: Crime de poison (wie Anm. 9), S. 223. Collard: Meurtres en famille (wie Anm. 27), S. 189f. Vgl. mit Zusammenstellung der einschlägigen historiographischen Belege Roland Delachenal: Histoire de Charles V, Paris 1909–1931, Bd. 1, S. 147–155. Brief Karls (V.) vom 31.08.[1358], ed. Kervyn de Lettenhove, Œuvres de Froissart. Chroniques, Bd. 6, S. 478: Item, il a esté trouvé en l’ostel d’un hérèse fusicien ou astronomien du dit roy (…) pluseurs vuouls, anneaulx, sorceries, poudres et autres détestables choses et fais contre la foy crestienne (…) lesquels l’en pourroit tenir et suppouser qu’elles eussent esté faictes contre nous.
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An erster Stelle nennt diese Auflistung das Hauptwerkzeug des spätmittelalterlichen französischen Schadenszaubers – das zumeist aus Wachs geformte Püppchen. Diese sogenannten vultūs oder voults wurden „für“ das Opfer der Beschwörungsversuche getauft, um sie dann – je nach Wunsch – weiteren zauberischen Praktiken zu unterziehen (envoûtement, invultuaciones).33 Daneben kamen seltener auch andere Zauberobjekte zum Einsatz: so die hier genannten Ringe, aber auch schriftliche Beschwörungen – breveiz – die in der Attentatsaffäre des Robert von Artois neben den Wachspüppchen genannt werden. Zum großen Kontinuum der Zauberwaffen gehören aber natürlich auch die Gifte: Führten die Zeitgenossen bereits die Wirkung von phytologischen und mineralischen Drogen und Giften auf eine magia naturalis zurück, so wurde deren Wirkung im konkreten Einsatz nicht selten durch Besprechen und andere magische Praktiken verstärkt.34
IV. Vertiefung (I): Attentat, Attentatsdiskurs und staatlicher Apparat Vor dem Hintergrund des bisherigen Befundes soll in einem ersten Vertiefungsschritt nun das Verhältnis von Attentat bzw. Attentatsvorwurf, staatlicher Verdichtung und Entwicklung von Repressionsinstanzen diskutiert werden. Zumindest im Blick auf die ersten Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts hat die jüngste französische Forschung hier sehr klare Entwicklungslinien gezeichnet. Alain Boureau etwa hat die zahlreichen Zaubereiaffären im Umfeld des südfranzösischen Papstes Johannes XXII. vor allem im Blick auf die Zuspitzung des dämonologischen Diskurses betrachtet.35 Tatsächlich hatte Johannes die Zuständigkeit außerordentlicher Inquisitionsgerichte für Zaubereifälle massiv ausgeweitet und in der Bulle Super illius specula auch Grundlagen für eine neue Einschätzung der faktischen Wirkmöglichkeiten von Schadenszauber gelegt, was 33
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Vgl. dazu allgemein Art.: Bildzauber, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 2, München 2003, Sp. 189f. Entsprechende Praktiken sind detailliert beschrieben zum Beispiel in den Zeugenaussagen des gegen Hugues Géraud, Bischof von Cahors, wegen magischen Mordanschlags auf Papst Johannes XXII. 1317 geführten Prozesses, vgl. Edmond Albe: Autour de Jean XXII. Hugues Géraud, évêque de Cahors. L’affaire des Poisons et des envoûtements en 1317, Cahors/Toulouse 1904, S. 56–63. Vergleichbare Fälle sind auch in England belegt, vgl. Richard W. Ireland: Medicine, Necromancy, and the Law: Aspects of Medieval Poisoning (= Cambrian Law Review, Bd. 18), Aberystwyth 1987, S. 52–61, hier S. 57 (unter Verweis auf einen einschlägigen Fall 1331). Zu Überschneidungen bzw. ‚Grauzonen‘ von magia daemoniaca und (prinzipiell zumeist als zulässig erachteter) magia naturalis vgl. Art.: Magie I./II., in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, München 2003, Sp. 82–84. Zur diskursiven und zum Teil auch prozessualen Verknüpfung von Gift- und Zaubermordvorwürfen vgl. Collard: Crime de poison (wie Anm. 9), S. 158f. Alain Boureau: Satan hérétique. Histoire de la démonologie (1280–1330), Paris 2004; vgl. id.: Le pape et les sorciers. Une consultation de Jean XXII sur la magie en 1320 (manuscrit B.A.V. Borghese 348), Rom 2004, für eine Edition der theologischen Gutachten, die Johannes XXII. in diesem Zusammenhang eingeholt hat.
Teuflische Taten
dann 100 Jahre später die ersten Wellen von Hexerverfolgungen ermöglicht habe.36 In dieser Optik führt der ‚Attentats‘-Diskurs also zunächst zu einer Stärkung des Repressionsapparats und dann auch zu dessen massenhafter Tätigkeit. Alain Provost hat demgegenüber gewissermaßen die Kehrseite derselben Medaille beschrieben. Im Blick auf den Prozess gegen Bischof Guichard von Troyes hat er ausgeführt, wie der königliche Verwaltungsapparat seine Gegner mithilfe des – letztlich beliebig gewählten – Zaubereivorwurfs ausgegrenzt habe: Aus dieser Sicht konstruiert der Repressionsapparat überhaupt erst den Diskurs, dessen er sich dann als Waffe bedient.37 Man wird solchen Wertungen die Berechtigung kaum vollständig abstreiten können – vor allem dann, wenn das aus zwei entgegengesetzten Perspektiven skizzierte Verhältnis von Diskurs und Apparat tatsächlich als ein dialektisches begriffen wird. Jedenfalls besteht kein Zweifel an der Fähigkeit spätmittelalterlicher Justizapparate, detaillierte und gerichtsfeste Aussagen zur (Re-)Konstruktion aller möglichen Verschwörungsdelikte zu erzielen. Das berüchtigte Vorgehen Philipps IV. gegen den Tempelorden ist mehr als einmal mit den Stalinschen Säuberungen verglichen worden; und auch in nuancierteren Deutungen sind die politischen Prozesse der spätkapetingischen Zeit als Ausdruck der Verdichtung des monarchischen Staates und seines Souveränitätsstrebens gelesen worden.38 Solche Wertungen fügen sich gut in die mediävistische Wahrnehmung eines gewissermaßen frühabsolutistischen französischen Königtums an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert ein (wenngleich diese Wahrnehmung wahrscheinlich den zielgerichteten, obrigkeitlich geprägten Charakter des spätkapetingischen ‚statebuilding‘ weit überschätzt und insofern dem juristisch geprägten Diskurs der archivalischen Quellen auf den Leim geht).39 Sind solche Deutungen aber übertragbar auf jene späteren Gift36
37 38
39
Vgl. etwa ibd., S. 10: „Cette qualification [de l’invocation des démons et de la magie comme hérésie] ouvrait la voie aux procédures exceptionnelles d’enquête et de répression des tribunaux inquisitoriaux, attachés exclusivement à la poursuite de l’hérésie. De fait, la chasse aux sorciers fut en partie menée par des inquisiteurs. Ce livre entend montrer (...) que [la hantise du diable] a émergé soudainement entre 1280 et 1330. (...) Ce tournant fut décisif: trois siècles d’obsession démoniaque pesèrent lourdement sur l’évolution de l’Europe. Il conduisit notamment à la folie persécutrice des sorciers, de la fin du XVe au milieu du XVIIe siècle“. Provost: Domus diaboli (wie Anm. 18), sowie id.: La procédure, la norme et l’institution. Le cas de Guichard, évêque de Troyes (1308–1314), in: Yves-Marie Bercé (Hg.): Les procès politiques (xive– xviie siècle), (= Collection de l’École Française de Rome, Bd. 375), Rom 2007, S. 83–103. Vgl. in diesem Sinne (und mit Abgrenzung von allzu plakativen Gleichsetzungen) auch Provost: Domus diaboli (wie Anm. 18), S. 11: „L’objectif de [l’ouvrage] n’est ni de résoudre une énigme (...) ni de démonter les rouages d’une machinerie digne d’on ne sait trop quel ‚procès stalinien‘. Néanmoins, l’objet historique qu’est l’enquête relative à l’évêque Guichard de Troyes entretient une relation étroite avec ce qu’étaient les structures du pouvoir dans le royaume de France au début du XIVe siècle, et, plus précisément, avec les processus très concrets par lesquels agissent les mécanismes du gouvernement des hommes et par lesquels s’édifie la souveraineté.“ Tatsächlich ist es überfällig, die unleugbare Verdichtung der Instanzen monarchischer Staatlichkeit in Frankreich und ihre zunehmende Relevanz in der politischen Interaktion weniger als Ergebnis zielgerichteten obrigkeitlichen Handelns denn als Resultat eines ‚statebuilding from below‘ zu begreifen: Die Nachfrage nach und die Nutzung von staatlichen Institutionen durch die Untertanen „macht“
49
Georg Jostkleigrewe
und Zaubereifälle, die oben knapp skizziert worden sind? Betrachten wir in diesem Kontext noch einmal genauer das einleitende Beispiel von Roberts magischem Attentat auf die königliche Familie. Außer Frage steht, dass Attentat bzw. Attentatsvorwurf ebenso wie die anschließende Repression in eine Konstellation des Parteikonflikts eingebunden sind. Insofern weisen sie zweifelsohne einen instrumentellen Charakter auf, der den Beteiligten auch bewusst war – oder mit dem sie zumindest umgehen konnten. Die aus dem Umfeld der Königin geäußerten Giftvorwürfe gegen die Gattin des Königsbruders Karl von Alençon stellen Nachwehen des Konfliktes zwischen Robert von Artois und der Partei der Königin dar; sie wurden indes ohne jedes Problem auf dem kleinen Dienstweg begraben, indem die Denunziantin vom zuständigen Richter und mit Zustimmung von Karls Hofmeistern zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.40 Obwohl schon die Zeitgenossen ihre Parteikonflikte zu Auseinandersetzungen zwischen Adels- und Verwaltungspartei stilisierten,41 lässt sich die Attentatsaffäre um Robert von Artois nur begrenzt in eine stringente Erzählung von der Verdichtung herrschaftlicher Apparate und den dadurch erzeugten Konflikten einordnen: Zu vage und letztlich kontingent erscheinen die Zusammenhänge zwischen Attentatsverschwörung, faktischer Repression und instrumenteller Nutzung der exkludierenden wie stabilisierenden Diskurse, auf die die königlichen Verwaltungsinstanzen ihr Handeln gründen. Einige Unschärfen haben wir einleitend schon benannt: Die Aufdeckung von Roberts Attentatsplänen etwa löst zwar eine Verfolgungswelle gegen dessen niederrangige Unterstützer aus, doch schreiben die in der Folge gefällten Urteile nirgends eine Mittäterschaft an den Attentaten zu; Roberts Erklärung zum Majestätsverbrecher gründet
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den Staat (vgl. in diesem Sinne André Holenstein: Introduction: Empowering Interactions. Looking at Statebuilding from Below, in: id./Wim Blockmans/Jon Mathieu (Hgg.): Empowering Interactions. Political Cultures and the Emergence of the State in Europe 1300–1900, Farnham (Surrey)/ Burlington (Vt.) 2009, S. 1–31). Zu diesem hier nicht ausführlich zu diskutierenden Problemfeld vgl. mit Blick auf Beispielfälle aus dem spätmittelalterlichen Frankreich Georg Jostkleigrewe: Herrschaft im Zwischenraum. Politik von oben, außen und unten in den Küstenlagunen des RhoneMittelmeer-Systems (14. Jahrhundert), in: Gerlinde Huber-Rebenich/Christian Rohr/Michael Stolz (Hgg.): Wasser in der mittelalterlichen Kultur. Gebrauch – Wahrnehmung – Symbolik (= Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung, Beiheft 4), Berlin/Boston 2017, S. 118–133; id.: Entre pratique locale et théorie politique : Consolidation du pouvoir, annexion et déplacement des frontières en France (début xive siècle). Le cas du Lyonnais et des frontières méditerranéennes, in: Stéphane Péquignot/Pierre Savy (Hgg.): Annexer ? Les déplacements de frontières à la fin du Moyen Âge, Rennes 2016, S. 75–96 ; sowie die demnächst veröffentlichte Habilitationsschrift: Jostkleigrewe: Monarchischer Staat und ‚Société politique‘ (wie Anm. 5), vor allem Kap. 1 und 3. Vgl. Registre criminel de Saint-Martin-des-Champs, ed. Louis Tanon, S. 105, Eintrag vom 09.11.1337: Fu détenue en nostre prison, Alips, famé Jehan Nantoys, vallet saucier de madame la Royne de France, si comme elle disoit, pour ce que il fu souffisamment prouvé, de par Marie, famé Jehannin de Trambley, par manière d’injure et en tançant alle, telle paroles ou semblables : Teztoy, orde g...., p..... Je ne scé faire les ordes yaues, les sorceries et poisons aussi comme tu fés, que Ysabel, la saucière, ta mestresse, les t’a aprinses à faire pour porter chiex madame la contesse d’Alençon. (...) – Delivrée, par amende, de l’acort de monsr P. de Argeville, et monsr Jehan de Reblay, chevaliers, maistres d’ostel monseigneur le conte d’Alençon. Verweis auf diese Stelle bei Collard: Meurtres en famille (wie Anm. 27), S. 188. Wie Anm. 24.
Teuflische Taten
sich zwar auf seine Mordpläne, erfolgt aber erst Jahre später im Kontext des englischfranzösischen Konfliktes (und zielt auch mehr auf den englischen König als auf Robert und seine französischen Unterstützer); und selbst die unmittelbar an die Aufdeckung der Pläne anschließende ‚Loyalitätskampagne‘ des Königtums nimmt zwar auf den Mordversuch Bezug, verzichtet aber auf jede Konstruktion eines Verschwörungskontextes und nimmt auch keine entsprechende Bewertung der fortbestehenden Opposition im fürstlichen Adel vor. Anders als – vielleicht – im Falle der großen Prozesse am Beginn des 14. Jahrhunderts folgt die Choreographie von Attentat bzw. Attentatsvorwurf, gerichtlicher Aufarbeitung und Repression also nicht der Betriebslogik der sich verdichtenden staatlichen Instanzen. Die im Rahmen eines Parteikonfliktes durch Attentat bzw. Attentatsvorwurf geschaffene Gemengelage ist hinreichend konkret und zugleich hinreichend unscharf, um den Justizorganen des Königtums sowohl Ansatzpunkte als auch Raum für ihre Tätigkeit zu geben; sie wird aber nicht von diesen dominiert. Vielmehr folgt die Tätigkeit der Apparate – also die (Re-)Konstruktion des Attentatsdelikts, die anschließenden Repressionsmaßnahmen und die Mobilisierung der baronialen Öffentlichkeit – den Konjunkturen des Parteikonflikts. Zumindest im französischen Spätmittelalter bedeutet dies, dass Phasen der Intensivierung und der Verlangsamung des Konfliktgeschehens einander abwechseln. Auch die rechtsförmliche Verfolgung des (tatsächlichen oder vermeintlichen) Attentäters und seiner Komplizen wird daher aus systemfremden Gründen immer wieder unterbrochen und nur bei Bedarf und gegebenenfalls auch nur partiell wieder in Gang gesetzt. An der Attentatsaffäre um Robert von Artois zeigt sich daher, wie sehr die Logik informell konstituierter Hofparteien und deren Konflikte innerhalb der französischen politischen Gesellschaft über die formalisierte Logik des sich herausbildenden monarchischen Staates und seiner Apparate dominieren – ein Aspekt, der auch hinsichtlich anderer okkulter Attentate des Spätmittelalters berücksichtigt werden sollte.
V. Vertiefung (II): Okkulte Attentate und Waffengewalt Gegenstand der vorangehenden Ausführungen war der höchst unvollkommene Versuch, die komplexe Gemengelage von Attentat, Parteikonflikt und staatlicher Verdichtung an einem konkreten Beispiel zu beleuchten. Dabei haben wir die dort zu beobachtenden Unschärfen nicht im Sinne einer eindeutigen Modernisierungserzählung aufgelöst, sondern diese vielmehr als Hinweis auf die Koexistenz formaler wie informeller Interaktionslogiken innerhalb der französischen politischen Gesellschaft ernstgenommen. Im Falle von Gift und Zauberei resultieren diese Unschärfen zum Teil aus dem spezifischen, weil okkulten Charakter der Attentate. Umso schärfer stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von okkulten und offen gewalttätigen Angriffen auf das Leben obrigkeitlicher Personen, und allgemeiner nach der Bedeutung von Zauberei und Giftmorden für unser Verständnis spätmittelalterlicher politischer Gewalt. 51
Georg Jostkleigrewe
Aus moderner, streng faktizistischer Perspektive ändert die Zusammenstellung einer Reihe extrem unwahrscheinlicher Gift- und Zaubermorde sowie entsprechender Verdachtsfälle, in denen kein Schaden zu verzeichnen ist, natürlich nichts am Gesamtbild. Salopp gesprochen, bleiben auch 15- oder 20-mal Null eben Null. Trägt eine solche Betrachtungsweise aber zum Verständnis vormoderner Gesellschaften bei, die angesichts des okkulten Charakters von Gift und Zauber ja nie sicher sein konnten, dass derlei Mittel nicht doch eine Wirkung zeitigten? Angesichts dieser Überlegung scheint ein Vergleich von okkulten und blutigen Attentaten innerhalb der französischen ‚Société politique‘ sowohl berechtigt als auch aussagekräftig. Stellt man einen solchen, zweifellos nur höchst unvollständig umsetzbaren Versuch der vergleichenden Erfassung von okkulten und blutigen Attentaten an, so wird zunächst deutlich, dass Gift- und Zaubereiaffären während des 14. und 15. Jahrhunderts fast durchgängig zu beobachten sind, während der blutige politische Mord letztlich auf zwei relativ eng umgrenzte Perioden des offenen Konflikts und Beinahe-Bürgerkriegs beschränkt bleibt. Zu Attentaten (und extra-judizialen Tötungen seitens des Königtums) kommt es einmal im Kontext der Auseinandersetzungen zwischen den Évreux-Navarra und dem Valois-Königtum42, zum anderen während der Konflikte zwischen der burgundischen und der orleanistischen bzw. armagnakischen Partei in den ersten beiden Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts: Mit der Ermordung der Herzöge von Orléans und Burgund, des Connétable d’Armagnac sowie mehreren Massakern an innerfranzösischen Gegnern zeichnen sich die Jahre zwischen 1407 und 1419 durch ein ausgesprochen hohes Maß an politischer Gewalttätigkeit aus, das auch die Zeitgenossen auffallend fanden.43 Wie ist dieser Befund nun zu bewerten? Zunächst wird man festhalten, dass die Form des Attentats der Art des jeweiligen Konflikts entspricht: Okkulte Attentate verübt – oder vermutet – man im Kontext jener latenten, aber höchst realen Parteigegensätze, die die politische Gesellschaft des Königreichs praktisch durchgängig prägen. Offener Mord geht einher mit dem Aufbruch der politischen Kohäsion; ja die Mordtat fungiert möglicherweise geradezu als Inszenierung des endgültigen Bruchs mit der Gegenpartei. Handelt es sich bei solchen offenen Attentaten aber um einen Tabubruch oder gar um ein Indiz für den grundlegenden Wandel der politischen Kultur, wie etwa die jüngst erschienene Dissertation von Christoph Mauntel vermutet?44 Wenn man die 42 43 44
52
Vgl. Nr. 12–16 der im Anhang beigefügten Auflistung. Vgl. Nr. 22–26 der im Anhang beigefügten Auflistung. Zur Wahrnehmung durch die Zeitgenossen und Chronisten des 15. Jahrhunderts vgl. Mauntel: Gewalt in Wort und Tat (wie Anm. 2), S. 305f. Vgl. Mauntel: Gewalt in Wort und Tat (wie Anm. 2), S. 293f.: „Vor dem Hintergrund der ritterlichen Verhaltensideale war die Ermordung eines Fürsten ein Tabubruch und kam im hochmittelalterlichen Frankreich entsprechend selten vor. (...) Mitte des 14. Jahrhunderts jedoch setzte eine ‚Renaissance des politischen Attentats‘ ein, die auch einen Wandel in der Einstellung zum Körper des Gegners mit sich brachte.“ Vgl. ähnlich Minois: Couteau et poison (wie Anm. 1), S. 24, mit Blick auf den Mordversuch an Olivier de Clisson: „La remarque de Froissart révèle que le recours à l’assassinat d’un grand personnage est encore considéré comme une nouveauté abominable, une ‚trahison‘“.
Teuflische Taten
zeitgenössischen Nachrichten über Giftmorde und Zaubereiattentate irgend ernst nimmt, so stellt der blutige politische Mord wohl eher einen graduellen Eskalationsschritt als den Übergang zu einer völlig neuen Qualität politischer Interaktion dar. Im Gegenzug trägt die Ubiquität okkulter Attentate in Zeiten latenten Konfliktes dann auch zum Verständnis des vergleichsweise lässigen Umgangs mit blutigen Attentaten in Zeiten offenen Konflikts bei – denn jenseits der teils schrillen Diskurse der Parteipropaganda kehrte man nach den Mordtaten eben doch rasch zum Alltagsgeschäft zurück. Politischer Mord, so zeigt dieser vertiefende Blick auf blutige wie okkulte Attentate, widerspricht zwar den rechtlichen und ethischen Normen der spätmittelalterlichen französischen Gesellschaft, gehört aber doch auch außerhalb von Krisenphasen zum normalen Erfahrungsspektrum. Der grundsätzlich illicite offene Mord an obrigkeitlichen Amtsträgern und Fürsten stellt insofern nur eine graduelle Steigerung in einer latent stets zum Mord bereiten und den Mord erwartenden politischen Gesellschaft dar. Diese durchaus im Widerspruch zu den oben skizzierten, gängigen Forschungsmeinungen stehende These findet im Übrigen zusätzliche Stütze, wenn man die Vielzahl der judizialen Tötungen gegnerischer Parteigänger innerhalb der französischen ‚Société politique‘ in die Betrachtung einbezieht. Tatsächlich fällt es schwer, die Beziehungen an der Spitze der französischen politischen Gesellschaft als gewaltarm zu bezeichnen, wenn den dortigen Parteikonflikten nicht selten hochrangige, bisweilen sogar altadelige Amtsträger auf dem Schafott zum Opfer fallen.45 Die genaue Aufarbeitung dieser Beispiele ist freilich nicht mehr Gegenstand dieses Beitrags.
VI. Konklusionen Die Beobachtungen, die bei der Betrachtung der Fallbeispiele angestellt worden sind, möchte ich abschließend in drei knappe, thesenartige Überlegungen zusammenfassen. An diese Thesen knüpfen dann Fragen zum interepochalen Vergleich an, die Ansatzpunkte für das weitere wissenschaftliche Gespräch zwischen den Beiträgen dieses Bandes wie darüber hinaus aufzeigen. a. Attentate – zumal okkulte Attentate – sind charakteristische Elemente der von Parteigegensätzen geprägten politischen Gesellschaft des französischen Spätmittelalters. Insofern können sie ebenso wie die konfessionellen, anti-absolutistischen und anarchistischen Attentate späterer Zeiten als Signum ihrer Epoche betrachtet werden. 45
Zu den einschlägigen Fällen gestürzter Günstlinge vgl. den Überblick von Thierry Dutour: Les affaires de favoris dans le royaume de France à la fin du Moyen Âge (XIIIe–XVe siècle), in: Luc Boltański et al. (Hgg.): Affaires, scandales et grandes causes. De Socrate à Pinochet, Paris 2007, S. 133–148; zu den ebenfalls oft im Kontext von Parteiauseinandersetzungen erfolgenden Hinrichtungen von Hoffinanziers vgl. die Übersicht bei Cazelles: Société politique et crise de la royauté (wie Anm. 4), S. 394f. Zu diesen und einigen weiteren Fällen vgl. außerdem Jostkleigrewe: Monarchischer Staat und ‚Société politique‘ (wie Anm. 5), S. 238–248.
53
Georg Jostkleigrewe
Im Blick auf die neuzeitliche Attentatsgeschichte wäre angesichts dessen zu fragen, welchen Einfluss faktionale Konflikte sowohl auf die Planung und Durchführung wie auch auf die öffentliche Wahrnehmung und Repression von Anschlägen und Anschlagsversuchen ausüben. Spielen Faktionen keine oder nur noch eine geringe Rolle? Oder unterscheidet sich das neuzeitliche Attentat vor allem dadurch vom mittelalterlichen, dass Faktionsgegensätze stärker als im späten Mittelalter hinter ‚ideologischen‘ Motiven verborgen bleiben? b. Okkulte Attentate stellen im Spätmittelalter gewissermaßen Indikatoren für Phasen latenten Konflikts dar. Im interepochalen Vergleich wäre zu fragen, ob – und ggf. bis wann – Gift und Zauberei auch in der neuzeitlichen Attentatsgeschichte eine Rolle spielen. Ab wann lösen sich Repräsentationen von Attentätern und Attentaten also von dem Schreckbild des giftmischenden Arztes, Nekromanten und Schwarzmagiers46? Ab wann erreicht der Verdacht okkulter Mordanschläge keine ausreichend große Öffentlichkeit mehr, um noch gesellschaftlich wirken zu können? Oder anders ausgedrückt: Lassen sich Zeitpunkte oder historische Konstellationen benennen, in denen das okkulte Attentat zu okkult wird, um von einer aufgeklärten Gesellschaft noch als Attentat akzeptiert zu werden47? c. Spätmittelalterliche Attentatskonstellationen sind durch charakteristische Unschärfen geprägt. Wie wir am Beispiel Roberts von Artois gesehen haben, agieren die Justizorgane des sich entwickelnden monarchischen Staates innerhalb eines Bereichs unscharfer, vager Verknüpfungen zwischen Attentat, juristischen Deliktkonstruktionen und Verantwortungszuschreibungen an potentielle Unterstützerkreise, ohne doch diesen Bereich zu dominieren. Ändert sich dies in der Neuzeit? Bemächtigen sich staatliche Instanzen im Laufe der Frühen Neuzeit der Definitionshoheit über Attentate – und stellt dies möglicherweise einen entscheidenden Entwicklungsschritt dar? 46
47
54
Im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert erscheinen im Zusammenhang mit konfessionell motivierten Attentaten in Frankreich auch Zuschreibungen von schwarzmagischen Praktiken und Giftmischerei. Siehe etwa zum Attentat Ravaillacs Roland Mousnier: L’assassinat d’Henri IV 14 mai 1610, Paris 1964, S. 8–9. Siehe auch die Einleitung zu diesem Sammelband, S. 31–32. Für den französischen Fall kann man sicher der Affaire des poisons aus den späten 1670er Jahren den Charakter eines Wendepunkts zuschreiben. Giftmordpläne und magische Praktiken waren hier Teil einer verworrenen höfischen Intrige, in deren Folge Hexerei und magische Praktiken nach 1682 nicht mehr als kapitale Delikte, sondern nur noch als Scharlatanerie bestraft wurden, was zunächst vor allem dazu diente, der Krone einen aufsehenerregenden Prozess zu ersparen; siehe etwa Arlette Lebigre: L’Affaire des poisons. 1679–1682, Brüssel 2001. Ob dies bedeutet, dass magischen Praktiken generell keine Wirksamkeit mehr zugeschrieben wurden, bleibt aber fraglich; siehe Ulrike Krampl: When Witches became false. Séducteurs and crédules confront the Paris Police at the Beginning of the Eighteenth Century, in: Kathryn A. Edwards (Hg.): Werewolves, witches, and wandering spirits. Traditional belief and folklore in early modern Europe, Kirksville 2002, S. 137–154. Dass bestimmte Formen von Magie auch noch im frühen 18. Jahrhundert zum Repertoire von Attentätern gehören konnten, zeigt der Beitrag von Thomas Dorfner in diesem Band. Für die Hinweise zur frühneuzeitlichen Persistenz magischer Attentatspraktiken und zum Umgang damit danke ich sehr herzlich den Herausgebern des Bandes.
Jahr
1305
1314
1315
1316
1317
1320
1326
1329
1330
Nr.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Jeanne de Bourgogne, Gfn. von Artois (†)
Mahaut d’Artois (†)
Karl IV.
Robert v. Béthune, Gf. v. Flandern
Johannes XXII.
Ludwig X; Johann I. (†)
Karl von Valois, Ludwig X.
Philipp IV. v. Frk. (†)
Johanna v. Navarra, Kgn. v. Frk. (†)
Opfer
Robert von Artois
? (Robert von Artois)
Pierre de Via, Neffe Johannes XXII., und Komplizen
Ludwig v. Nevers (Gf. v. Flandern)
Hugues Géraud, Bf. v. Cahors
Mahaut von Artois
Gattin/Schwester des Enguerrand de Marigny
Pierre de Latilly, Kanzler v. Frk.
Guichard, Bf. von Troyes
Beschuldigte (als Täter oder Auftraggeber)
Gift
Gift
Zauber
Gift
Zauber/Gift
Zauber/Gift
Zauber
Gift
Zauber
Art des Attentats
keine Verfolgung; Nachricht möglicherweise nicht zeitgenössisch
Nachricht möglicherweise nicht zeitgenössisch
Pierre de Via freigesprochen; Komplizen verbrannt
Nachricht nur in später chronikalischer Überlieferung
1317 verbrannt
1317 von den Vorwürfen gereinigt
nach Aussage der Beschuldigten zur Erzeugung von Wohlwollen gg. Enguerrand; vor April 1318 begnadigt
Haft 1314, Rehabilitation 1322
Prozeß 1308, (halbe) Rehabilitation 1313
Bemerkungen
Chronique de Flandre (wie Anm. 23), S. 350f.; LEWIN: Gifte in der Weltgeschichte (wie oben Nr. 4), S. 413.
Chronique de Flandre (wie Anm. 23), S. 350f.
JEAN GUEROUT, HENRI JASSEMIN (†), ALINE VALLEE, Registres du Trésor des Chartes. Inentaire analytique, Bd. II, 2, Paris 1999, Nr. 4841.
COLLARD: Crime de poison (wie Anm. 18), S. 85, 244.
COLLARD: Crime de poison (wie Anm. 9), S. 35; PROVOST: Domus diaboli (wie Anm. 18), S. 221; ALBE: Autour de Jean XXII. (wie Anm. 33), S. 5663.
BALOUZAT-LOUBET: Mahaut d’Artois (wie Anm. 22), S. 137-140; LOUIS LEWIN: Die Gifte in der Weltgeschichte. Toxikologische allgemeinverständliche Untersuchungen der historischen Quellen, Hildesheim 1971, S. 260.
Jean Favier, Un conseiller de Philippe le Bel: Enguerran de Marigny, Paris 1963, S. 213f.; ROBERT FAWTIER, JEAN GUEROUT, Registres du Trésor des Chartes. Inentaire analytique, Bd. II, 1, Paris 1966, Nr. 1855, 2740.
COLLARD : Crime de poison (wie Anm. 9), S. 248f.
PROVOST: Domus diaboli (wie Anm. 18), S. 5f., 259-261.
Bibliographischer Nachweis/Quellenangabe
30 Attentate und extrajudiziale/liminale gerichtliche Tötungen in der französischen Société politique
Teuflische Taten
55
1334
1337
1350
1354
1356
1358
1358
1371/ 1377
1384
1385
1392
10
11
56
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Olivier de Clisson, Connétable de France
Hz. Philipp v. Burgund, Hz. Johann v. Berry
Karl VI.
Karl V.
Karl (V.), Dauphin de Viennois, Regent v. Frk.
Jean de Conflans, Robert de Clermont, maréchaux de Champagne/France (†)
Louis, Gf. v. Harcourt, und andere
Charles d’Espaigne, Connétable de France (†)
Raoul de Brienne, Gf. v. Eu, Connétable de France
? (Jeanne de Bourgogne, Kgn. von Frk.)
Jeanne de Bourgogne, Kgn. von Frk., Philipp VI., Johann (II.)
Pierre de Craon
Jean Delstein, Karl der Böse (als Auftraggeber)
Karl ‚der Böse’ von Navarra (als Auftraggeber)
Karl ‚der Böse’ von Navarra (als Auftraggeber)
Karl ‚der Böse’ von Navarra (als Auftraggeber)
Étienne Marcel, Prévôt des marchands de Paris
Johann II.
Philipp von Navarra
Johann II.
Marie d’Espaigne, Gattin Karls v. Alençon
Robert von Artois
blutig
Gift
Gift
Gift
Gift/Zauber
blutig
extrajudiziale Tötung
blutig
liminale Tötung
Gift/Zauber
Zauber
Auftraggeberschaft d. Hz. v. Bretagne vermutet; ‚privater’ Mordversuch?
chronikalischer Beleg; Verurteilung des Attentäters
Denunziation in Verhör des navarresischen Agenten, eines Spielmanns
Denunziation in Verhör navarresischer Familiaren
Nachricht in Schreiben Karls (V.) an Johann v. Poitiers
Mord in Gegenwart des Dauphins; Drahtzieherschaft Karls von Navarra später behauptet
MINOIS: Couteau et poison (wie Anm. 1), S. 24.
LEWIN: Gifte in der Weltgeschichte (wie oben Nr. 4), S. 266.
COLLARD: Crime de poison (wie Anm. 9), S. 68.
COLLARD: Crime de poison (wie Anm. 9), S. 150.
Brief Karls (V.) vom 31.08.[1358], ed. Joseph Kervyn de Lettenhove, Œuvres de Froissart. Chroniques, Brüssel 1867-1877, Bd. 6, S. 478
MAUNTEL: Gewalt in Wort und Tat, (wie Anm. 2), S. 236.
DELACHENAL: Histoire de Charles V (wie Anm. 31), S. 147-155.
MAUNTEL: Gewalt in Wort und Tat, (wie Anm. 2), S. 294f.
gedeckt (veranlasst?) durch Karl ‚den Bösen’ Gründe den Zeitgenossen und bis heute unbekannt
MAUNTEL: Gewalt in Wort und Tat, (wie Anm. 2), S. 336f.
COLLARD: Meurtres en famille (wie Anm. 27), S. 188; Registre criminel de Saint-Martin-desChamps, ed. LOUIS TANON, Paris 1877, S. 105f.
AN JJ 20, fol. 183v-184r, 186r, ed. Sample, Case of Robert of Artois (wie Anm. 7), S. 751753, 759f.
Gründe den Zeitgenossen und bis heute unbekannt
Denunziation aus dem Umfeld der Königin
Untersuchung der Vorwürfe; Reaktion des Königtums: Einforderung von Sicherheitseiden seitens der hochadligen Unterstützer Roberts von Artois
Georg Jostkleigrewe
1395
1407
1415
1417
1418
1419
1450
1461
1474
1474
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
Ludwig XI.
Karl v. Guyenne (†)
Karl VII. (†)
Agnès Sorel, Mätresse Karls VII. (†)
Johann Ohnefurcht, Hz. v. Burgund (†)
Bernard VII. v. Armagnac, Connétable de France (†)
Johann von Touraine (†)
Ludwig v. Guyenne (†)
Ludwig v. Orléans (†)
Ludwig v. Guyenne, Dauphin de Viennois
Jean Hardi; Karl d. Kühne, Hz. v. Burgund (als Auftraggeber)
Ludwig XI.
Ludwig (XI.)
Jacques Cœur? Ludwig (XI.), Dau-phin de Viennois
Karl (VII.), Dauphin de Viennois
Burgund; burgund. Parteigänger in Paris
? (Burgund? Armagnacs?)
? (Burgund?)
Johann Ohnefurcht
Valentina Visconti, Gattin Ludwigs v. Orléans
Gift
Gift
Gift
Gift
blutig
blutig
Gift
Gift
blutig
Gift
Verurteilung und Vierteilung des Attentäters
chronikalisch belegte Gerüchte
Chronikalischer Beleg; Tod Karls infolge Nahrungsverweigerung wg. Giftfurcht
Untersuchung gg. Jacques Cœur; Freispruch
im Rahmen eines Fürstentreffens
im Rahmen eines Massakers an armagnakischen Parteigängern
chronikalische Belege für entsprechende Gerüchte
als Tyrannenmord öffentlich gerechtfertigt
nur chronikalisch belegt; statt Tötung d. Dauphin Tötung des eigenen Sohnes Ludwig
SIMON H. CUTTLER, The Law of Treason and Treason Trials in Later Medieval France, Cambridge 1981, S. 223.
FRANCK COLLARD: Gifteinsatz und politische Gewalt. Die Semantik der Gewalt mit Gift in der politischen Kultur des späten Mittelalters, in: MARTIN KINTZINGER/FRANK REXROTH/JÖRG ROGGE (Hgg.): Gewalt und Widerstand in der politischen Kultur des späten Mittelalters, S. 319-344, hier S. 333.
Thomas Basin: Histoire de Charles VII, ed. CHARLES SAMARAN, Bd. 2 (1445-1450), Paris 1944, S. 277f.
COLLARD: Meurtres en famille (wie Anm. 27), S. 189f.
MAUNTEL: Gewalt in Wort und Tat (wie Anm. 2), S. 299-301.
MAUNTEL: Gewalt in Wort und Tat (wie Anm. 2), S. 204f.
COLLARD: Meurtres en famille (wie Anm. 27), S. 189f.
COLLARD: Meurtres en famille (wie Anm. 27), S. 189f.
GUENÉE: Un meurtre, une société (wie Anm. 12); EHLERS: Ludwig von Orléans und Johann von Burgund (wie Anm. 12).
LEWIN: Die Gifte der Weltgeschichte (wie Nr. 9), S. 93f.
Teuflische Taten
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A proditoribus civibus conturbata patria et Caesari vendita – Die Ermordung des Pier Luigi Farnese 1547 Sebastian Becker Die Ermordung des Pier Luigi Farnese, Herzog von Parma und Piacenza, am 10. September 1547 erregte weit über die Grenzen seiner Herzogtümer und auch weit über die italienische Halbinsel hinaus Aufsehen. Das lag nicht alleine daran, dass sie für erhebliche Unruhe in der Lombardei, dem Brandherd des habsburgisch-französischen Gegensatzes im 16. Jahrhundert, sorgte. Die außerordentliche Aufmerksamkeit, die dem Verbrechen zuteil wurde, resultierte vielmehr aus einer geradezu einzigartigen Konstellation aus Akteuren und dynastischen sowie politischen Interessen. Nach außen hin war Farnese das Opfer einer Verschwörung geworden, in deren Zentrum – klassisch für Verschwörungen in der Frühen Neuzeit – unzufriedene Mitglieder des lokalen Feudaladels standen. Die Fäden gezogen hatten allerdings Kaiser Karl V. und einer seiner engsten Vertrauten in Italien, Ferrante Gonzaga, seit 1546 kaiserlicher Statthalter in Mailand, ehemaliger Vizekönig von Sizilien und vehementester Verfechter einer aktiven kaiserlichen Italienpolitik. Über ihre Beteiligung bestand bei vielen Zeitgenossen sehr bald kein Zweifel mehr, denn Gonzaga hatte das Herzogtum Piacenza, eigentlich ein päpstliches Lehen, unmittelbar nach der Nachricht über den Tod Pier Luigi Farneses für den Kaiser in Besitz genommen. Damit hatte er vollendete Tatsachen geschaffen, die keinen Zweifel daran zuließen, wer der eigentliche Profiteur der Tat war, die im Grunde ein Mittel der kaiserlichen Italienpolitik darstellte. Vor dem Hintergrund der Rolle des Kaisers waren es die Herkunft und Abstammung des ermordeten Herzogs, die den Fall endgültig von vielen anderen Verschwörungen unterschied, die die Politik auf der italienischen Halbinsel im 15. Jahrhundert geprägt hatten. Pier Luigi Farnese war nicht irgendein Lehnsmann des Heiligen Stuhls, er war der leibliche Sohn Papst Pauls III., mit dem der Kaiser bekanntlich zur selben Zeit über Fragen von eminenter politischer und religiöser Bedeutung zu verhandeln hatte. Die Konzilsfrage war noch immer ungelöst, Karl V. stand mitten im Schmalkaldischen Krieg und war auf päpstliche Hilfstruppen angewiesen und überhaupt schien eine Lösung der Kirchenspaltung ferner denn je. Dass der Kaiser in dieser Situation ein Gebiet hatte besetzen lassen, das zumindest aus päpstlicher Sicht zum Kirchenstaat gehörte, und damit auf offenen Konfrontationskurs mit Rom ging, war beachtlich. Zehn Jahre nach dem Sacco di Roma 1527 standen sich Papsttum und Kaiser von neuem als Gegner gegenüber und der Ausbruch einer militärischen Auseinandersetzung, ja sogar ein erneuter Marsch kaiserlicher Truppen auf die Heilige Stadt, schien den Zeitgenossen im Bereich des Möglichen.1 1
Über entsprechende Befürchtungen und Abwehrmaßnahmen aus Rom berichtete der kaiserliche Bot-
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Die Ermordung Pier Luigi Farneses stellte den Papst als gleichermaßen Lehnsherr und Vater also nicht nur vor die Herausforderung, als legitime und handlungsfähige Obrigkeit aufzutreten und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Das politische Verbrechen war derart eng mit drängenden diplomatischen Herausforderungen verwoben, dass genau abzuwägen war, welche Schritte einzuleiten wären und welche Reaktionen die Fronten über das politisch gebotene Maß verhärten würden. Ausgehend von der Ermordung des Herzogs ist es das Ziel des vorliegenden Aufsatzes zu zeigen, auf welche Weise das Aufeinandertreffen von Kaiser und Papst in der politischen Situation der 1540er Jahre den Umgang mit einem politischen Verbrechen beeinflusste. Im Zentrum stehen dabei die konkreten Auswirkungen der beschriebenen Konstellation auf die päpstliche und kaiserliche Diplomatie und die Frage, wie sie mögliche Versuche des Papstes beeinflusste, die Tat durch jurisdiktionellen Zugriff zu sühnen und in einer Zeit der Krise als legitime Obrigkeit aufzutreten. Den Schwerpunkt der folgenden Ausführungen stellt sodann eine Analyse der päpstlichen und kaiserlichen Propaganda dar, mittels derer spezifische Strategien für die Konzeptualisierung und Deutung der Ermordung Pier Luigi Farneses hervortreten werden. Nach einer einführenden Darstellung der außen- und innenpolitischen Hintergründe werden die Strategien beider Parteien in den eng miteinander verwobenen Bereichen Diplomatie, Jurisdiktion und Propaganda analysiert. Ein Ausblick auf die Rezeption des Ereignisses im 19. Jahrhundert soll daran anschließend zeigen, wie schwierig die Frage nach den Gelingensbedingungen einer Etikettierung auch in der longue durée zu beantworten ist.
I. Außen- und innenpolitische Hintergründe: Die Entstehung der Herzogtümer Parma und Piacenza Dass Pier Luigi Farnese nur zwei Jahre nach seiner Erhebung zum Herzog von Parma und Piacenza im Jahr 1545 einer Verschwörung zum Opfer fiel, war im Grunde eine Folge seines kometenhaften Aufstiegs. Im selben Jahr hatte sein Vater Papst Paul III. die beiden an der Grenze zum Herzogtum Mailand gelegenen Städte Parma und Piacenza aus dem Kirchenstaat herausgelöst und in einem auch innerhalb des Kardinalskollegiums umstrittenen Akt des Nepotismus als erbliche Lehen an seinen Sohn übertragen.2 „Wie ein Pilz in einer Nacht“ seien die zwei Herzogtümer erwachsen und
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schafter in Rom, Don Diego Hurtado de Mendoza, schon am 17. September 1547. Siehe Johann Joseph Ignaz von Döllinger: Dokumente zur Geschichte Karls V., Philipp’s II. und ihrer Zeit (= Beiträge zur politischen, kirchlichen und Kultur-Geschichte der sechs letzten Jahrhunderte, Bd. 1), Augsburg/ Wien 1862, S. 114–118, hier S. 116. Castro war in diesem Kontext in einem innerfamiliären Tausch an Pier Luigis Sohn Ottavio Farnese gefallen. Zu den Umständen und Hintergründen der Neuschaffung der beiden Herzogtümer siehe Sebastian Becker: Dynastische Politik und Legitimationsstrategien der Della Rovere (= Bibliothek des Deutsche Historischen Institus in Rom, Bd. 129), Berlin 2015, S. 105–111; Helge Gamrath: Farnese. Pomp, Power and Politics in Renaissance Italy, Roma 2007, S. 47–61. Zur Geschichte der
Die Ermordung des Pier Luigi Farnese 1547
es wäre wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis der „gute Alte“ die Erhebung seines Sohnes zum „König von Spanien, Frankreich und überhaupt aller Länder“ anstrebe, lautete das oft zitierte Urteil Kardinals Ercole Gonzaga.3 Weitreichende Folgen für das Schicksal Pier Luigis hatte letztlich aber nicht die Kritik innerhalb des Kirchenstaats oder gar Italiens, sondern die ablehnende Haltung Kaiser Karls V., der an der Etablierung eines beinahe autonomen Fürsten an der Grenze zu Mailand kein Interesse haben konnte. Das galt besonders, weil die Frage nach der Zugehörigkeit der beiden Städte zum Kirchenstaat oder dem Reich, genauer dem Herzogtum Mailand, trotz einer zeitweiligen Einigung auch 1545 noch strittig war. Die Kompromissbereitschaft Karls V., aufgrund derer die Frage 1521 im Rahmen eines Bündnisvertrags mit Papst Leo X. faktisch zu Gunsten der Kirche entschieden worden war, hatte darauf beruht, dass die Vorteile des Einverständnisses mit dem Heiligen Stuhl seinerzeit eine allenfalls diffuse Bedrohung durch eine schwache päpstliche Administration an der Grenze zu Mailand überwogen hatten.4 Die nun eingetretene Situation, in der sich ein neuer und vielleicht zu Frankreich tendierender Fürst anschickte, eine starke Stellung in der strategisch so wichtigen Grenzregion aufzubauen, war freilich etwas anderes. Mit ihrem umfangreichen Umland waren Parma und Piacenza Brückenköpfe für Angriffe auf wie für die Verteidigung von Mailand. Weil seit dem Frieden von Nizza 1538 französische Truppen das unmittelbar benachbarte Piemont kontrollierten und ihr Vormarsch auf die umkämpfte lombardische Metropole Mailand jederzeit denkbar war, war die Neugründung der beiden Herzogtümer ein Ereignis mit außerordentlicher Tragweite.5 Stimmen am Kaiserhof, die eine Reintegration der beiden Territorien in das Herzogtum Mailand forderten, fanden schnell auch in der Lombardei Unterstützer. Die Abtretung der Gebiete an den Kirchenstaat war dort ohnehin nie wirklich akzeptiert worden und wurde seit jeher als zu korrigierender Fehler betrachtet. Der im Grunde seit 1521 schwelende Konflikt wurde schließlich dadurch von neuem entfacht, dass sich mit Pier Luigi Farnese ein als frankophil und dem Kaiser gegenüber illoyal geltender Herzog zu etablieren versuchte. Für die Verfechter einer
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Farnese grundlegend siehe Giovanni Drei: I Farnese. Grandezza de decadenza di una dinastia italiana, Roma 1954, hier zu ihrem Aufstieg insb. S. 3–80. Zu Pier Luigi siehe Ireneo Affó: Vita di Pier Luigi Farnese, primo duca di Parma, Piacenza e Guastalla, Milano 1821. Kardinal Ercole Gonzaga an den Herzog von Ferrara, in: Ludwig von Pastor: Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, Bd. 5, Freiburg im Breisgau, 1925. S. 858. Trotzdem hatte ein Bündnisvertrag zwischen Karl V. und Leo X. im Mai 1521 den Verzicht des Kaisers auf die beiden Städte – zunächst – faktisch besiegelt. Federico Chabod: Il ducato di Milano e l’impero di Carlo V, 2 Bde., Torino 1971, hier Bd. 1: Lo Stato e la vita religiosa a Milano nell’epoca di Carlo V, Torino 1971, S. 79–80. Vgl. Albano Biondi: L’immagine dei primi Farnese (1545–1622) nella storiografia e nella pubblicistica coeva, in: Antonella Bilotto/ Piero del Negro/ Cesare Mozzarelli (Hgg.): I Farnese. Corti, guerra e nobiltà in antico regime (= Europa delle Corti, Bd. 76), Roma 1997, S. 189–229, hier S. 190. Zu den Hintergründen entsprechender Befürchtungen der Kaiserlichen siehe Gian Luca Podestà: Dal delitto politico alla politica del delitto. Finanza pubblica e congiure contro i Farnese nel Ducato di Parma e Piacenza dal 1545 al 1622, Milano 1995, S. 1–45.
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aktiven kaiserlichen Italienpolitik war diese Situation nicht hinzunehmen. Zumal der neue Fürst von Beginn seiner Herrschaft an keine Bemühungen unternommen hatte, um die spannungsgeladene Beziehung zu dem das benachbarte Herzogtum kontrollierenden Statthalter zu entschärfen oder gar einen Ausgleich zu suchen. Unnachgiebig in zentralen Streitpunkten hatte er stattdessen jede Möglichkeit zur Annäherung oder friedlichen Koexistenz ignoriert.6 Ebenso wenig war aber auch Karl V. aktiv geworden, um den Sohn des Papstes in sein Herrschaftssystem einzubinden. Beharrlich hatte er sich geweigert, ihn als Herzog von Parma und Piacenza anzuerkennen und dies damit begründet, dass am Kaiserhof schließlich niemand um eine solche Investitur nachgesucht habe.7 Die kaiserliche Auffassung, dass die von Pier Luigi beherrschten Gebiete zu Mailand und zum Reich gehörten, hätte nicht deutlicher hervortreten können. Alleine die aus solch einer außenpolitischen Gemengelage erwachsenden Herausforderungen hätten wohl ausgereicht, um einen etablierten und arrivierten Fürsten in Bedrängnis zu bringen. Für Pier Luigi, der in seinem neu geschaffenen Herzogtum weder über eine Hausmacht noch über eine funktionierende Administration verfügte, war die Situation geradezu bedrohlich. Denn auch nach innen gerichtet führte die Etablierung seiner Herrschaft zu Widerstand. Der resultierte daraus, dass der neue Herzog darauf angewiesen war, eine funktionierende Verwaltung aufzubauen und Herrschaftsinstrumente zu installieren, um die Einnahmen aus seinen Territorien zu steuern und zu kontrollieren. Die dafür notwendigen Eingriffe waren aber derart tiefgreifend, dass Konflikte mit den auf ihre alten kommunalen Freiheiten pochenden Städten und dem Feudaladel vorprogrammiert waren. Zirka 2/3 der unter seiner Herrschaft stehenden Territorien waren zu Lehen vergeben, Feudalherren, die bisher von der Schwäche der päpstlichen Administration profitiert hatten, regierten wie Fürsten in kleinen zusammenhängenden Territorien. Die Kontrolle über diese Vasallen zurückzugewinnen war für den neuen Herzog und die von ihm vorangetriebene Entwicklung eines funktionierenden Staatswesens von zentraler Bedeutung. Dazu setzte er auf eine antifeudale Politik, die u.a. Konfiskationen, die Einschränkung der Jurisdiktionsrechte der Feudalherren, die Einführung einer Residenzpflicht für den Feudaladel in den Städten und die Sicherung des Zugriffs auf Einnahmequellen wie den Salzhandel umfasste.8 Eine solche fürstliche Politik musste zwangsläufig zu Konflikten führen. Der neue Herzog stand somit innen- wie außenpolitisch vor genau jenen Herausforderungen, die Niccolò Machiavelli im siebten Kapitel seines „Fürsten“ in extenso dargelegt hatte.9 Umso 6
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Schon seit der Integration Parmas und Piacenzas in den Kirchenstaat hatte es zwischen dem lombardischen Herzogtum und der päpstlichen Administration an Spannungen nicht gefehlt, wobei im Vordergrund vor allem Streitigkeiten über Kontributionen aus und Jurisdiktionsrechte über einige an der Grenze beider Territorien liegende Lehen gestanden hatten. Vgl. Podestà: Delitto (wie Anm. 5), S. 41 sowie Chabod: Ducato (wie Anm. 4), Bd. 2, S. 196–200. Podestà: Delitto (wie Anm. 5), S. 111–112. Letizia Arcangeli: Feudatari e duca negli stati farnesiani (1545–1587), in: Paolo Rossi (Hg.): Il Rinascimento nelle corti Padane (= Societa e cultura), Bari 1977, S. 82–94; Podesta: Delitto (wie Anm. 5), S. 128–153. Niccolò Machiavelli: Il principe, a cura di Giorgio Inglese (= Biblioteca Universale Rizzoli), Torino
Die Ermordung des Pier Luigi Farnese 1547
erstaunlicher ist es, dass Pier Luigi Farnese die drohende Gefahr entweder nicht wahrnahm oder sie schlicht ignorierte. Kaum zwei Jahre nach seinem Herrschaftsantritt fiel er der Verschwörung von 1547 zum Opfer. In Piacenza hatten die mit Ferrante Gonzaga und Karl V. verschworenen piacentinischen Adeligen Giovanni Anguissola, Agostino Landi, Girolamo und Alessandro Pallavicino sowie Gianluigi Gonfalonieri in einem Handstreich die Festung unter ihre Kontrolle gebracht, den überraschten Herzog ermordet und den Erfolg des Unterfangens mit einem Kanonenschuss an bereits in Cremona und Lodi bereitstehende spanische Truppen signalisiert. Kurz darauf war Piacenza durch Ferrante Gonzaga für Kaiser Karl V. in Besitz genommen worden. Im Streit um die Zugehörigkeit des Herzogtums zum Reich oder zum Kirchenstaat waren damit für lange Zeit Fakten geschaffen. Die vom Kaiser und seinem Statthalter eigentlich ebenfalls angestrebte Besetzung Parmas hingegen scheiterte an der schnellen Reaktion von Pier Luigis Sohn Ottavio Farnese, der die Stadt noch vor dem Angriff durch kaiserliche Truppen hatte besetzen und sich zumindest einen Teil der Herrschaft seines Vaters hatte bewahren können.10 Konzeptionen des Verbrechens in Diplomatie, Jurisdiktion und Propaganda Um die Frage nach unterschiedlichen Konzeptualisierungen und Etikettierungen des Verbrechens durch die betroffenen Parteien – den Papst als Lehnsherr und Vater des Opfers einerseits und den Kaiser als Urheber und Profiteur der Tat andererseits – nachzeichnen zu können, ist zunächst ein zentrales Merkmal dieses politischen Verbrechens herauszustellen. Der Mord an Pier Luigi stand nicht für sich alleine, sondern wurde schon von den meisten Zeitgenossen immer als mit der Besetzung Piacenzas durch kaiserliche Truppen verbunden betrachtet. Die kriminalitäts- und rechtshistorische Frage nach den Sanktionsmöglichkeiten der Ermordung des Herzogs muss also berücksichtigen, dass zum gleichen Zeitpunkt diplomatische Verhandlungen um die Restitution Piacenzas geführt wurden, für die ein Ausgleich zwischen Papst und Kaiser unabdingbar war. Diplomatie, Jurisdiktion und letztlich auch die umfangreiche Propaganda stellten nicht voneinander zu trennende Ebenen dar, auf denen parallel agiert wurde und die sich gegenseitig bedingen oder behindern konnten. Eben aus diesem Grund galt es insbesondere für den Papst, in geringerem Maße aber auch für die Verschwörer und die im Hintergrund agierenden Kaiserlichen, auf drei eng miteinander verwobenen Ebenen zu agieren: Diplomatie, Jurisdiktion und wegen ihrer außerordentlichen Verflechtung und Beeinflussung dieser beiden erstgenannten Bereiche besonders auf der Ebene der Propaganda.
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1995, hier Kapitel 7: De principatibus novis qui alienis armis et fortuna acquiruntur. Zur Planung der Verschwörung und für eine detaillierte Darstellung der Korrespondenz zwischen dem Kaiser und seinem Statthalter siehe Podesta: Delitto (wie Anm. 5), S. 45–103.
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a) Diplomatie Bereits am 17. September 1547, nur eine Woche nach der Ermordung Pier Luigis, berichtete der französische Botschafter in Venedig an den französischen Hof, dass beim Papst kein Zweifel mehr daran bestehe, dass Ferrante Gonzaga die Verantwortung für die Tat trage. Den im Konsistorium anwesenden Kardinälen habe er, getrieben vom Zorn, versprochen, zwar nicht für das ihm als Vater zugefügte Leid, wohl aber für den Schaden, der dem Heiligen Stuhl durch die Besetzung Piacenzas beigebracht worden sei, Rache nehmen zu wollen.11 Tatsächlich wusste Paul III. genau, wie eingeschränkt seine Handlungs- und Reaktionsmöglichkeiten waren. Das galt zum einen, weil er in Folge der Besetzung Piacenzas nicht in der Lage war, obrigkeitlich gegen die mutmaßlichen Mörder seines Sohnes vorzugehen, um die Tat zu ahnden. Piacenza wurde von Ferrante Gonzaga kontrolliert, der eine schützende Hand über die Attentäter hielt. Zum anderen stellte ein Bruch mit dem Kaiser ein immenses Risiko dar, weil er jede Möglichkeit einer diplomatischen Verständigung über die Restitution Piacenzas ebenso wie über andere anhängige Fragen von gesamteuropäischer Tragweite unmöglich gemacht hätte. Entsprechend zeigen die Berichte des kaiserlichen Botschafters in Rom, Don Diego Hurtado de Mendoza, vom selben beziehungsweise darauffolgenden Tag, wie zurückhaltend sich Paul III. in Bezug auf eine Beschuldigung des Kaisers verhielt. Dem Botschafter war sogar versichert worden, dass an der Kurie nicht der geringste Zweifel an der Unschuld Karls bestehe und dass die bevorstehende Entsendung eines päpstlichen Legaten, der am Kaiserhof über die Restitution Piacenzas verhandeln solle, auf keinen Fall als Vorwurf gedeutet werden möge.12 Diplomatische Zurückhaltung und Angst vor der Unberechenbarkeit des Gegners lagen in diesen Tagen nahe beieinander. Nur wenig später berichtete Hurtado de Mendoza, dass der Papst Rüstungen zum Schutz Roms angeordnet habe, um einen kaiserlichen Angriff abwehren zu können.13 Statt eines Konfrontationskurses wählte die päpstliche Diplomatie die bestehende dynastische Verbindung zwischen der Familie des Papstes und dem Haus Habsburg als Argument für einen Ausgleich. Ottavio Farnese, Pier Luigis Sohn und Erbe, hatte 1538 die natürliche Tochter Karls V., Margarethe von Österreich, geheiratet. Die Ehe war ein wichtiger Baustein gewesen, um die Zukunft der Farnese auch über das Pontifikat Pauls III. zu sichern.14 Auch wenn sich nun zeigte, dass sie diesen Zweck nicht hatte erfüllen können, sollte sie für die erhoffte Restitution Piacenzas ein wichtiges Argument darstellen: 1545 hatte Margarethe Zwillinge geboren. In Rom bestand daher 11 12 13 14
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Siehe das Schreiben Jean de Morvilliers in Guillaume Ribier: Lettres et memoires d’estat, Bd. 2, Paris 1666, 59–63, hier S. 61–62. Don Diego Hurtado de Mendoza an Kaiser Karl V., Rom am 17. September 1547, in: Döllinger: Dokumente (wie Anm. 1), S. 112–113; Hurtado de Mendoza an Kaiser Karl V., Rom am 18. September 1547, in: ebd., S. 114–118, hier S. 117. Don Diego Hurtado de Mendoza an Kaiser Karl V. (wie Anm. 1). Zur dynastischen Strategie der Farnese, die sich in mehrere Richtungen absicherten, siehe Becker: Politik (wie Anm. 2), S. 79.
Die Ermordung des Pier Luigi Farnese 1547
die Hoffnung, dass der Kaiser die Rechte Ottavios anerkennen würde, weil Piacenza auf diesem Weg früher oder später an einen seiner Neffen fallen würde.15 Vor diesem Hintergrund ist ein Breve Pauls III. vom 20. September zu lesen, in dem erstmals offen auch von einem konkreten Verbrechen die Rede war. Während der Papst durch die Bezeichnung Pier Luigis als NOSTRI PARMÆ ET PLACENTIÆ DUCIS in der Streitfrage um die Zugehörigkeit Piacenzas zum Kirchenstaat eindeutig Stellung bezog, wurde die Gewalttat einigen „verbrecherischen und untreuen Einwohnern Piacenzas“ zugeschrieben, die sich des Verstoßes gegen jedes Recht, ausdrücklich auch das Ius Gentium, sowie des Treuebruchs schuldig gemacht hätten.16 Für ein obrigkeitliches Vorgehen gegen die Täter vor Ort war durch diese Zuschreibung zwar ein Grundstein gelegt. Bevor darauf aber aufgebaut werden konnte, galt es, überhaupt als Obrigkeit aktiv werden zu können, d.h. Piacenza zurückzugewinnen. Vermutlich deswegen verzichtete der Papst gegenüber dem Kaiser auf direkte Vorwürfe und betonte nicht glauben zu können, dass dieser der Besetzung Piacenzas durch seinen Statthalter Ferrante Gonzaga zugestimmt habe. Nichtsdestotrotz war die Forderung nach der sofortigen Rückgabe der Stadt an ihren rechtmäßigen Besitzer Ottavio Farnese vehement, denn Paul III. hob die in Italien erzeugte Unruhe hervor, die aus dem Waffengang des Kaisers gegen den Papst und den Heiligen Stuhl resultiert sei.17 Im Vergleich dazu war der Papst gegenüber dem kaiserlichen Botschafter deutlich zurückhaltender. Hier appellierte man stattdessen an die Gerechtigkeit und Güte des Kaisers, in die man großes Vertrauen setze.18 An dieser Version hielt die kuriale Diplomatie bis zum Tod Pauls III. fest. Gegenüber den Kaiserlichen wurde in den Verhandlungen um die Rückgabe Piacenzas, das ist durchaus beachtlich, nie von der Ermordung Pier Luigis oder gar einem Verbrechen gesprochen. Benannt wurde ausschließlich der Wunsch nach der gerechten Restitution des Herzogtums an den Kirchenstaat.19 Angesichts der übergeordneten politischen Interessen hatte das politische Verbrechen in der Sprache der kurialen Politik keinen Raum.
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Ein entsprechendes Bittschreiben um die Anerkennung Ottavio Farneses als Herzog von Parma und Piacenza an den Kaiser hatte Kardinal Alessandro Farnese bereits vor dem 17. September an Mendoza übergeben. Hurtado de Mendoza an Kaiser Karl V., Rom am 17. September 1547, in: Döllinger: Dokumente (wie Anm. 1), S. 112. Breve Pauls III. an Kaiser Karl V., Rom, 20. September 1547, in: Della Istoria del Dominio Temporale della Sede Apostolica nel Ducato di Parma e Piacenza, Libri III, Roma 1720, S. 378: […] a nonnullis SCELERATUIS & IMPIIS CIVIBUS Placentinis EJUS SUBDITIS CONTRA OMNIA, ETIAM GENTIUM JURA, & CONTRA JUSJURANDUM per illos ci præstitum, perpetratam. (Majuskeln nach der Vorlage, Anm. d. Vf.). Breve Pauls III. (wie Anm. 16), S. 379. So gegenüber Hurtado di Mendoza noch am 28. September, in: Döllinger: Dokumente (wie Anm. 1), S. 124. Vgl. Walter Friedensburg (Bearb.): Nuntiaturberichte aus Deutschland 1533–1559, Bde. 9–11, Frankfurt 1968 [unverändert. Nachdruck Gotha 1899–1910].
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b) Jurisdiktion Die gezeigte Zurückhaltung auf diplomatischer Ebene führte nicht dazu, dass der Papst auf den Versuch verzichtete, die Ermordung seines Sohnes zu ahnden, die Umstände der Tat aufzudecken und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Dabei dürften zwei Interessen gleichberechtigt nebeneinander gestanden haben: Zum einen sollten die Mörder bestraft werden. Zum anderen – und keineswegs nachgeordnet – sollte Rom als handlungsfähige Obrigkeit auftreten, indem der Jurisdiktionsanspruch in dem derzeit verlorenen Lehen aufrechterhalten wurde. Letzteres war als symbolischer Akt von zentraler Bedeutung, um die Aufrechterhaltung der eigenen Ansprüche zu zeigen. Die Eröffnung eines Gerichtsprozesses durch den Governatore di Roma, der vom Papst mit der Untersuchung der Ermordung Pier Luigi Farneses beauftragt worden war, ist in diesem Licht zu betrachten. Über eine Befragung von Augenzeugen ging der Prozess letztlich jedoch nicht hinaus. Das lag vor allem daran, dass weder die piacentinischen Verschwörer noch die Parteigänger des Kaisers, allen voran Ferrante Gonzaga, Interesse an einer gerichtlichen Untersuchung und Aufarbeitung der Ermordung Pier Luigis haben konnten und die Bemühungen entsprechend hintertrieben. Die richterliche Vorladung an die mutmaßlichen Täter blieb von ihnen natürlich unbeantwortet. Stellung bezog stattdessen Ferrante Gonzaga als ihr neuer Herr. Er wies die Jurisdiktionshoheit des römischen Gerichtshofs mit der Begründung zurück, dass es sich bei den Geladenen um kaiserliche Untertanen handele, die einem römischen Gericht nicht zu folgen hätten. Mit einem Schreiben vom 30. September untersagte er den Verschwörern, dem Befehl des Papstes zu gehorchen und setzte damit faktisch auch dem Prozess ein Ende.20 Ein Urteil fiel nie, eine juristische Sanktionierung des Verbrechens blieb aus und das Bestreben des Papstes, sich als Obrigkeit zu präsentieren, scheiterte völlig. Unabhängig davon entfalteten die zwischen dem 20. Mai 1548 und dem 3. August 1549 protokollierten Zeugenaussagen von Personen, die den Übergriff auf die Zitadelle von Piacenza und die Ermordung des Herzogs aus nächster Nähe miterlebt hatten, auf anderer Ebene Wirkung.21 Sie gaben nicht nur einen detaillierten Einblick in den Ablauf des Attentats, sondern zeigten auch jene Details, die von den Verschwörern, die ihre Tat umgehend als Tyrannicid zur Wiederherstellung der Freiheit der Heimat darzustellen versucht hatten, verdeckt und in den Hintergrund gerückt wurden. Die Verbreitung der durch die Aussagen gesammelten Informationen bildete einen wichtigen Baustein im Kampf um die Deutungshoheit über die Ereignisse und deren Konzeptualisierung als politisches Verbrechen. Sie zeigt aber im Fall des Pier Luigi Farnese auch 20 21
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Aldo G. Ricci: Una congiura tra Shakespeare e Machiavelli, in: Ders. (Hg.): Gli atti del procedimento in morte di Pier Luigi Farnese. Un’istruttoria non chiusa, Piacenza 2007, S. 28. Eine erste Veröffentlichung einiger Zeugenaussagen erschien 1878 in Antonio Bertolotti (Hg.): La morte di Pier Luigi Farnese. Processo e lettere inedite, in: Atti e memorie della Reale Deputazione di Storia Patria dell’Emilia. N.S. 3 (1878), S. 25–52. Eine vollständige Edition liegt jetzt vor in Ricci: Atti (wie Anm. 20).
Die Ermordung des Pier Luigi Farnese 1547
eindrücklich, dass Jurisdiktion und Propaganda nicht voneinander zu trennen sind. Während der Kampf um die Deutungshoheit bereits wenige Wochen nach der Ermordung des Herzogs mittels propagandistischer Schriften begonnen hatte, boten die nun aufgenommenen Zeugenaussagen die Möglichkeit, das durch die Publizistik bereits verbreitete Narrativ durch offiziöse Akten und Berichte über einen Gerichtsprozess zu begleiten und zu verstärken. In dieser Hinsicht konnte also auch ein gescheiterter Prozess eine wichtige Funktion haben. Ein Gerichtsurteil war zwar das Ziel, die Eröffnung eines Prozesses aber unabhängig von dessen Erfolg oder Misserfolg reichte als Mittel zur Etikettierung bereits aus. Denn bereits kursierende Deutungen der Ereignisse vom 10. September 1547, die sich im Falle der pro-farnesischen Propaganda mit bereits erschienenen Schriften deckten, konnten nun durch die Zeugenaussagen und ihre offizielle Dokumentation belegt werden und somit besondere Geltung beanspruchen. Der Defenestration des Leichnams Pier Luigis unter den Rufen libertà, libertà, jenem symbolischen Akt, mit dem die Verschwörer dessen Anhänger vor ein fait accompli gestellt hatten, stand durch die Zeugenaussagen nun gegenüber, dass die Attentäter noch 14 weitere unschuldige Opfer in den Graben der Zitadelle geworfen hatten.22 Nicht das hehre Motiv der Befreiung der Heimat und des Tyrannenmords tritt in den Akten hervor, sondern das Bild von gewöhnlichen Dieben und Räubern, die niederen und vor allem privaten Motiven folgten. Die Berichte über die Plünderung und Verwüstung der Festung durch die Attentäter, die nicht nur den Schatz des Herzogs, sondern auch den Besitz der einfachen Bediensteten an sich gerissen hatten, kulminieren in der Zeugenaussage des Dieners Ludovico di Sexto de Frigoli. Ihm zufolge hatte Luigi Gonfaloniere, einer der Hauptverschwörer, angesichts der Verteilung einiger erbeuteter Schmuckstücke enttäuscht ausgerufen, er habe sich selbst einen Anteil an der Beute von 50.000 Goldscudi erhofft.23 Persönliche Bereicherung, nicht Heimatliebe war demnach der Ansporn für die Tat gewesen.24 Eine entsprechende Etikettierung der Täter hatte sich bald nach der Besetzung Piacenzas auch im städtischen Raum gefunden. Als auf dem zentralen Platz der Stadt das Wappen Karls V. mit der beigegebenen Widmung Per optimos cives liberata patria et Caesari restituita angebracht worden war, hatten Anhänger des Herzogs an mehreren Orten mit der Schmähung A proditoribus civibus conturbata patria et Caesari vendita geantwortet.25 22 23 24
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Siehe die Zeugenaussage von Giovanni Battista Giovanni de Lucianis in Ricci: Atti (wie Anm. 20), S. 103–106, hier S. 103. Aussage des Ludovico di Sexto de Frigoli, in: Ricci: Atti (wie Anm. 20), S. 110–112, hier S. 111. Dazu passt ein Schreiben, das vom Rat der Stadt noch am 10. September, also noch vor der Inbesitznahme Piacenzas durch Ferrante Gonzaga an den Papst verfasst worden war. Von einem „Exzess“ ist dort die Rede, an dem die Stadt unschuldig sei. Schuldige werden jedoch nicht genannt. Auch eine Einordnung der Tat als Verbrechen, etwa als Verrat oder Treuebruch, erfolgt nicht. Siehe Della istoria (wie Anm. 16), S. 376–377, hier S. 376: Non lasciamo ancora di significarle qualmente la CITTÀ DI QUESTO ECCESSO ne è INNOCENTISSIMA, e INTENDE PERSEVERARE nella UBBIDIENZA, FEDE, e DIVOZIONE di Vostra Beatitudine […]. Giovanni Curti: La congiura contro Pier Luigi Farnese, Milano 1899, S. 186, Anm. 2.
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c) Propaganda Noch bevor die Zeugenaussagen in Rom aufgenommen wurden, hatten Flugschriften und literarische Texte den Grundstein für die Konzeptualisierung der Ermordung Pier Luigi Farneses gelegt. Im Bereich der Propaganda waren beide Seiten tätig geworden, sodass zeitnah unterschiedliche Berichte über die Tat zirkulierten und im Wettstreit um die Deutungshoheit lagen. Die pro-farnesische Strategie tritt dabei besonders eindrücklich in dem anonym verfassten Lamento in morte di Pier Luigi Farnese hervor, die eine der ersten Etikettierungen der Ermordung Pier Luigis als Verrat und Treuebruch und damit politisches Verbrechen darstellt.26 Inhaltliche Details erlauben es, die Entstehung der aus 656 Versen in elfsilbigen Terzetten bestehenden Dichtung auf die Zeit zwischen September 1547 und März 1548 und damit noch zeitlich vor der Eröffnung des Prozesses in Rom zu datieren.27 Der Text zeigt somit nicht nur eine Strategie, durch die der eigenen Auslegung der Ereignisse zum Durchbruch verholfen werden sollte, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der sich die Parteigänger der Farnese daran machten, die Deutungshoheit über die Ermordung Pier Luigi Farneses für sich zu erlangen. Dabei ist nicht auszuschließen, dass die späteren Zeugen durch den Text bereits beeinflusst waren. Inhaltlich untergliedert werden kann das Lamento in eine detaillierte Beschreibung der Ermordung Pier Luigis und der Besetzung der Zitadelle durch die Verschwörer, die Widerlegung der von den Tätern propagierten Tyrannisvorwürfe gegen den Ermordeten und somit des Narrativs von der Befreiung der Heimat. Darauf folgt – ganz in Übereinstimmung mit den ab 1548 aufgenommenen Zeugenaussagen – eine ausführliche Schilderung des Vandalismus und der niederen Motive der Täter, die als gewöhnliche Diebe dargestellt werden, die die eigenen Taschen durch Übergriffe auf das Gut anderer füllten und deren einzige Motivation der Schutz eigener Privilegien gewesen sei.28 Den programmatischen Abschluss bildet der Aufruf an die Bevölkerung Piacenzas, Ottavio Farnese als legitimen und gerechten Herrn anzuerkennen und sich gegen die kaiserliche Besatzung zu stellen. Aus kriminalitätshistorischer Sicht ist indes nicht alleine die literarische Strategie, mit der die Delegitimation des Verbrechens erfolgen soll, von Bedeutung, sondern 26
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Gaetano Capasso (Hg.): Lamento per la morte di Pier Luigi Farnese in: Archivio Storico per le Provincie Parmensi, 1 (1892), S. 195–228. Der Autor ist unbekannt, Indizien sprechen aber für einen Familiar Pier Luigis, Camillo Fogliano Sforza Terzi. Er war ein Augenzeuge der Ermordung des Herzogs. Vgl. ebd., S. 198. Neben dem emotionalen Stil, der auf eine zeitliche Nähe der Entstehung des Textes zur Ermordung zumindest hinweist, erlauben Hinweise auf spätere Ereignisse eine ungefähre Datierung. Capasso (Hg.): Lamento (wie Anm. 26), S. 199–200. Konkret werden dabei nicht nur die Plünderung und Verwüstung der Zitadelle beklagt, sondern auch Angriffe auf in der Stadt residierende Höflinge und deren Besitz. Vgl. Capasso (Hg.): Lamento (wie Anm. 26), Vers 512–515: Non già, ma finchè non lasciaro ignudi/ ciascun suo cortigian picciolo et grande/ non si satiar li cuor perversi et crudi;/ Anzi per tutta la città si spande/ la trista ciurma et sin al ciel si stride/ in ogni strada per tutte le bande.
Die Ermordung des Pier Luigi Farnese 1547
dessen Konzeptualisierung als politisches Verbrechen. Im Gegensatz zu weiter unten in den Blick rückenden pro-kaiserlichen Darstellungen ist hierfür die spezifische Etikettierung des Verbrechens im Lamento aufschlussreich. Die Täter werden nämlich gerade nicht als Verschwörer bezeichnet, sondern als Verräter (traditori). Indem die Tat durch den Vorwurf des Verrats (crimen perduellionis) in den Kontext des Majestätsverbrechens gestellt wurde, schuf das Lamento die Grundlage für eine konkrete Bestrafung, nämlich den Entzug der Lehen.29 Die Propaganda diente damit als Vorbereitung für ein angestrebtes obrigkeitliches Vorgehen, das unmittelbar beginnen sollte, wenn das Herzogtum wieder unter päpstliche Kontrolle fallen würde. Für die italienischen Verhältnisse zentral ist die hier hervorscheinende Vermeidung des Begriffs der Verschwörung. Anders als beim Verrat hatte sich eine Konzeptualisierung der Verschwörung als politisches Verbrechen im Italien des 16. Jahrhunderts noch nicht durchgesetzt. Verschwörung und das sprichwörtliche Konspirieren im Geheimen konnten zwar durchaus negativ konnotiert sein, jedoch – das zeigen die für das politische Denken der italienischen Renaissance zentralen Schriften Niccolò Machiavellis – waren sie auch ein nach wie vor anerkanntes und häufig genutztes Werkzeug politischer Auseinandersetzung. Semantisch war die Verschwörung zudem noch immer eng mit dem Tyrannicid verbunden und wurde somit in Abweichung von anderen europäischen Rechtsräumen eben nicht per se als politisches Verbrechen betrachtet.30 Zwar beziehen sich die von Machiavelli herangezogenen Beispiele vorrangig auf die die italienischen Kleinstaaten betreffenden Verschwörungen des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts. Das Beispiel der Republik Venedig zeigt aber eindrücklich, dass Verschwörung und in besonderem Maße auch Verschwörung zum Mord politischer Gegner bis ins späte 18. Jahrhundert ein Werkzeug der italienischen, besonders aber venezianischen Außenpolitik war.31 Während die pro-farnesische Propaganda also versuchte, die Tat durch eine eindeutige juristische Zuschreibung zu kriminalisieren und den mit dem Konzept der Verschwörung auch in den Schriften Machiavellis konnotierten Tyrannicid als Mittel zur Legitimation des Mordes aus dem Diskurs auszuschließen, schlug die Gegenseite den umgekehrten Weg ein. Die anti-farnesische, Täter und Tat verteidigende Propaganda nutzte gezielt die eben nicht eindeutige Zuschreibungskategorie 29 30
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Vgl. Rolf Lieberwirth: Art. Crimen laesae maiestatis (Majestätsverbrechen), in: Adalbert Erler/ Ekkehard Kaufmann (Hgg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 648–651. Siehe Elena Fasano Guarini: Congiure nell’opera di Niccolò Machiavelli, in: Yves-Marie Bercé (Hg.): Complots et conjurations dans l’Europe moderne (= Collection de l’Ecole Française de Rome, Bd. 220), Rome 1996, S. 9–52, hier insb. S. 27–34. Hervorgehoben sei hier exemplarisch der Unterschied zur englischen Rechtsauffassung. Dazu André Krischer: Verräter, Verschwörer, Terroristen. Juristische Klassifikationen, gesellschaftliche Wahrnehmungen und Visualisierungen von politischer Delinquenz und kollektiver Bedrohung in Großbritannien, 16.–19. Jahrhundert, in: Karl Härter/ Beatrice de Graaf (Hgg.): Vom Majestätsverbrechen zum Terrorismus: Politische Kriminalität, Recht, Justiz und Polizei zwischen Früher Neuzeit und 20. Jahrhundert (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 268), Frankfurt am Main 2012, S. 103–160. Vgl. Vladimir Lamansky: L’assasinat politique à Venise du XVe au XVIIIe siècle, in: Revue historique 20 (1882), S. 105–122.
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der Verschwörung und verband sie untrennbar mit der Konzeptualisierung der Ermordung des Herzogs als Tyrannicid.32 Auffallend ist, dass das Lamento mit dem vorsichtigen Vorgehen der kurialen Diplomatie korreliert, denn auch hier wurden weder Ferrante Gonzaga noch der Kaiser explizit als Verantwortliche genannt. Die volle Konzentration lag stattdessen auf den verantwortlichen piacentinischen Adeligen. Zwar wird der kaiserliche Statthalter erwähnt, doch sticht er eher dadurch hervor, dass er die Plünderungen in der Stadt unterbunden habe. Und auch die Unkenntnis des Kaisers sowie die Ablehnung der Tat durch ihn werden hervorgehoben und seine Gerechtigkeit gelobt, wobei die Hoffnung geäußert wurde, er werde selbst gegen die Verräter vorgehen.33 Die anti-farnesische Propaganda aus dem Umkreis der Kaiserlichen versuchte naturgemäß einer diametralen Konzeptualisierung zur Deutungshoheit zu verhelfen. Das betraf alleine die behandelten Sachverhalte. Während die pro-farnesisch-propäpstlichen Schriften aus genannten Gründen die Besetzung Piacenzas allenfalls am Rande mit einbezogen und sich vorranging auf die Konzeptualisierung der Ermordung des Herzogs als (politisches) Verbrechen konzentrierten, zielte die Gegenseite darauf, beide Punkte miteinander zu verflechten und als den politischen Gegebenheiten geschuldet und damit notwendig darzustellen. Die Verschwörung war auf dieser Seite semantisch untrennbar mit dem Tyrannicid verbunden. Eine solche Konzeptualisierung stand auch mit einem praktischen Dilemma des Kaisers und seines Statthalters in Zusammenhang. Selbst wenn man die Ermordung Pier Luigis missbilligte und seine lebendige Gefangennahme bevorzugt hätte, die eigene Verwicklung war durch das Bekanntwerden der Zugeständnisse an die Verschwörer bekannt und nicht mehr zu leugnen.34 Zudem hatten sich die Täter auf mailändischem Gebiet in Sicherheit gebracht oder hielten sich unbehelligt auf ihren piacentinischen Lehen und damit im Zugriffsbereich des Kaisers auf. Der Verbindung zu mutmaßlichen Delinquenten, denen vom Papst der Treubruch und Verstoß gegen alle Rechtsnormen vorgeworfen wurde, galt es durch die Verteidigung ihrer Tat einen ehrenwerten Schein zu geben und so zu verhindern, dass das Ansehen des Kaisers Schaden nehmen würde. Dies galt umso mehr, als sich die Nachrichten über die Ereignisse in Piacenza schnell auch über den italienischsprachigen Raum hinaus verbreiteten. Bereits zwischen November 1547 und September 1548 erschien eine in deutscher und lateinischer Sprache gedruckte Flugschrift mit dem Titel Warhafftige Zeittung, 32
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Eine solche strategische Nutzung des Konzepts der Verschwörung wird auf anti-farnesischer Seite deutlich bei Giuliano Gosellini: Congiura contro Pier Luigi Farnese, Firenze 1864, wo im Kontext der Ermordung des Herzogs ganz selbstverständlich von einer Verschwörung gesprochen wird. Demgegenüber steht die sogenannte antikaiserliche Fieschi-Verschwörung zu Genua, die Gosellini eben nicht als Verschwörung, sondern als „Revolte“ etikettiert und von der Ermordung Pier Luigi Farneses entsprechend abgrenzt. Ebd. S. 44. Capasso (Hg.): Lamento (wie Anm. 26), Vers 619–621: Nè vi pensate pur che Carlo apprezze / questi serpenti, anzi fra poco spereo / che facciali Egli fare in mille pezze. Tatsächlich hatte Ferrante Gonzaga gegenüber Karl V. den Plan geäußert, den Herzog lebend gefangen zu nehmen, um die Herausgabe Parmas zu erreichen. Vgl. Podestà: Delitto (wie Anm. 5), S. 92.
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von Eröberung Placentz und Parma, die das pro-kaiserliche Bild der Ereignisse über Italien hinaus verbreitete.35 Im Mittelpunkt standen zwei Aspekte: die Rechtfertigung der Beteiligung Ferrante Gonzagas in seiner Funktion als Statthalter von Mailand und die Etikettierung der Gewalttat als Tyrannicid. Dazu wurden zunächst die chronische Unzuverlässigkeit und der Undank Farneses gegenüber dem Kaiser, von dem er die Markgrafschaft Novara zu Lehen erhalten hatte, hervorgehoben. Bereits vor Neun Monden habe er heimlich ein Practick gemacht / mit dem König aus Franckreich wider den Keiser und diesem angeboten, Parma und Piacenza gegen das Herzogtum Bourbon zu tauschen.36 Konspiration, Handeln im Geheimen und Verrat wurden damit dem Mordopfer zugeschrieben, sein Schicksal als gerechte Strafe für die Missetaten gedeutet. Seine Ermordung mochte ein Mord, auch ein politisch motivierter, bleiben. Sie war aus kaiserlicher Sicht jedoch politisch gerechtfertigt, weil sie präventiv einen durch den Hochverrat des Ermordeten drohenden Schaden von Kaiser und Reich abwandte. Angesichts der außerordentlichen Bedrohung durch den untreuen Vasallen Pier Luigi, so die Schrift, habe der Statthalter von Mailand wol beim Keiser und Hertzogthumb Meyland gethan / das er den Loisium [Pier Luigi] hat lassen umbbringen / und Placentz einnemen.37 Offen wurde also von einem Auftrag zum Mord gesprochen. Der aber war eben ganz durch Staatsräson und die Interessen des Reiches in einer Zeit der Krise gerechtfertigt. Die von der Gegenseite hervorgehobenen privaten Interessen der piacentinischen Verschwörer wurden zudem durch die ausdrückliche Etikettierung des Verbrechens als Tyrannizid beantwortet. Auslöser für die Tat sei die unmittelbar bevorstehende Enthauptung etlicher vornemliche[r] Herrn und ehrlich[er] Leut von Placentz gewesen, weshalb deren Freunde mit Gonzaga practiciert hätten, um ihre Heimat vor weiterem Schaden zu schützen.38 Auch hier wurde das eigentliche Verbrechen auf den Ermordeten projiziert, der seine gerechte Strafe gefunden habe. Die Verschwörung war damit ein gerechtfertigtes Mittel zum Schutz der Heimat. Als Beleg für die Tyrannei Pier Luigis diente nicht zuletzt der Bericht über den sich an seinem Leichnam entladenden Hass der Bevölkerung – die Rede ist von mehrfachen Schändungen und einer Exhumierung – und den freudigen Empfang der spanischen Truppen.39 Und wo die Gegenpropaganda zur Delegitimation der Tat auf die Plünderungen verwies, konnte der Autor der Flugschrift berichten, dass Ferrante Gonzaga den päpstlichen Schatz sowie etliche Waffen und Reichtümer in der Festung vorgefunden habe.40 35
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Warhafftige Zeittung, von Eröberung Placentz und Parma, Und wie Petrus Farnesius, des jetzigen Bapsts Sohn, dis vergangen 1547 Jahr umbkommen ist, Erfurt 1548. Die Flugschrift wurde in zwei Varianten gedruckt, die Auflage ist unbekannt. Eine auch in italienischen und französischen Bibliotheken nachweisbare lateinische Version der Flugschrift ohne Angabe von Ort und Jahr ist laut nicht überprüfbarer Angaben im BVB 1548 bei Rhau in Wittenberg erschienen. Warhafftige Zeittung (wie Anm. 34), unpaginiert. Warhafftige Zeittung (wie Anm. 34), unpaginiert. Warhafftige Zeittung (wie Anm. 34), unpaginiert. Warhafftige Zeittung (wie Anm. 34), unpaginiert. Warhafftige Zeittung (wie Anm. 34), unpaginiert.
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Dieselbe Stoßrichtung wie die Warhafftige Zeittung hatte der ebenfalls bereits im Jahr 1547 verfasste und dem kaiserlichen Botschafter in Rom, Diego Hurtado de Mendoza, zugeschriebene Diálogo entre Caronte y el ánima de Pedro Luis Farnesio, hijo del Papa Paulo III.41 In dem Dialog zwischen dem Fährmann Charon und der Seele Pier Luigis werden die Ermordung des Herzogs und die Beteiligung der Kaiserlichen allenfalls am Rande erwähnt. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die Verfehlungen des Ermordeten und seines Vaters, begonnen mit der unrechtmäßigen Übertragung Parmas und Piacenzas, dem angeblichen Verrat am Kaiser durch Bündnisse mit Gian Luigi Fieschi, Franz I. von Frankreich sowie mit dem Barbaresken Chaireddin Barbarossa und der Tyrannisvorwurf. Auch hier wird seine Ermordung als Tyrannicid und Präventivschlag verteidigt, geradezu gelobt.42 Nicht Verschwörung und Mord, nicht ein politisches Verbrechen, sondern die Sicherung der Zukunft Italiens und der Schutz der Halbinsel vor den Franzosen stehen im Vordergrund. Hurtado de Mendozas Diálogo ist nicht nur wegen der Konzeptualisierung des Verbrechens in der politischen Propaganda interessant. Er zeigt auch, welche Rolle gattungsspezifische Formen und literarische Strategien bei der sozialen Konstruktion oder eben Dekonstruktion von Delinquenz spielen konnten. Grundlegend sind hier die literarischen Eigenheiten der Dialogform zu nennen, die nicht nur, aber eben besonders in der Renaissance und im Kontext der Reformation ein beliebtes Stilmittel war.43 Als Medium zur Darstellung politischer Argumente, zur Reflexion historischer Hintergründe aber eben auch zur Satire ermöglichte sie mittels der richtigen Dramaturgie die Verschleierung von Positionen, weil die Interpretation der Ereignisse nicht durch den Autor selbst, sondern durch die Protagonisten erfolgte. Im vorliegenden Fall ließ der teilweise satirische Stil, den Hurtado in Anlehnung an Lukian nutzte, die Aussagen in die Gedankenwelt der Leser eindringen. Und eben darin liegt die große Stärke des Dialogs im Kontext der sozialen Zuschreibung von Devianz oder Delinquenz allgemein: Er erzeugt Meinungen, nicht Wahrheiten, und ist im Kampf um Deutungshoheiten eine besonders spitze Waffe, weil jedes Gespräch wie ein Rechtsstreit entwickelt werden kann.44 Es ist folglich kein Wunder, dass das Genre des Dialogs im 16. Jahrhun41
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Diego Hurtado de Mendoza: Diálogo entre Caronte y el alma de Pedro Luis Farnesio, hg. von Adolfo de Castro, in: Coriosidades Bibliográficas, Biblioteca de Autores Españoles, Madrid 1885, S. 1–7. Zur Diskussion um die Autorschaft Hurtado de Mendozas siehe Juan Varo Zafra, Il diálogo entre Caronte y el ánima de Pedro Luis Farnesio attribuito a Diego Hurtado de Mendoza, in: Victoriano Peña (Hg.): Scrittura e potere: intorno all’impegno politico nella letteratura italiana (= Biblioteca di cultura, Bd. 713), Roma 2010 S. 43–67, hier S. 46. Mit Blick auf die Zirkulation der prokaiserlichen Propaganda ist die Verbreitung des Textes in Italien, Spanien und Frankreich beachtlich. Vgl. José Bertomeu Masiá: Literatura de propaganda: obras sobre la muerte de pier Luigi Farnese (1547), in: Cartaphilus 3 (2008), 7–19, hier S. 11–13. Hurtado de Mendoza: Diálogo (wie Anm. 40), S. 2. Vgl. etwa zu den in Deutschland bekannteren Reformationsdialogen Jürgen Kampe: Problem „Reformationsdialog“. Untersuchungen zu einer Gattung im reformatorischen Medienwettstreit (= Beiträge zur Dialogforschung, Bd. 14), Tübingen 1997. Vgl. hier und im Folgenden Markus Fauser: Art. Dialog. In: Volker Meid (Hg.): Literaturlexikon. Begriffe, Realien, Methoden, Bd. 13, Gütersloh/ München 1992, S. 170–174.
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dert besonders häufig genutzt wurde, um in Literatur und Publizistik die kaiserlichen Interessen in Italien zu begründen und zu vertreten.45 Hurtado dürfte sich darüber im Klaren gewesen sein und mag sich an etwaigen Vorbildern orientiert haben. Besondere Wirkung entfaltete der Dialog aber, weil sein Autor durch die Wahl seines Protagonisten Charon an die von Lukian begründete Gattung der Toten- und Göttergespräche anknüpfte. Damit machte er sich ein klassisches Stilmittel zu eigen, das in besonderer Weise Glaubwürdigkeit suggerierte. Als Symbol für den Übergang zum Tod als dem Moment der Wahrheit, in dem menschliche Ambitionen, Selbstdarstellung, Rang und Reichtum keine Rolle mehr spielen, wird Charon zu einem die Delinquenz Pier Luigis entlarvenden Richter.46 Für eine Schrift, die den Mord rechtfertigen und die Besetzung Piacenzas legitimieren will, ist er zudem aus einem weiteren Grund brillant gewählt: Der Fährmann verfügt über das Wissen, was nach dem Tod Pier Luigis in Piacenza und Parma passieren würde und kann die Vollendung der Pläne des Kaisers prophezeien. Karl V. erscheint so als Vollstrecker der göttlichen Vorsehung.47 Literarische Texte wie Hurtados Diálogo, über deren Rezeption und Wirkung meist kaum Aussagen zu treffen sind, verfügen damit über Potentiale, die eine gegenüber der Flugpublizistik geringere Verbreitung ausgleichen konnten. Wie relevant ein solcher Vergleich, der auf Mutmaßungen über Auflagenzahlen basiert, überhaupt ist, wäre indes zu hinterfragen. Denn Werke wie diejenigen Hurtados konnten schließlich alleine dadurch an Bedeutung gewinnen, dass sie in der höfischen Öffentlichkeit und damit wesentlich im Feld der politischen Entscheidungsträger zirkulierten. Noch 38 Jahre nach der Ermordung Pier Luigi Farneses erschien 1585 die bis heute am häufigsten rezipierte anti-farnesische Darstellung der Ereignisse des Jahres 1547: Congiura contro Pier Luigi Farnese von Giuliano Gosselini, dem ehemaligen Sekretär Ferrante Gonzagas.48 Zum Erscheinungszeitpunkt hatte Ottavio Farnese bereits seit 1556 Piacenza durch den Vertrag von Ghent als Lehen von Philipp II. von Spanien erhalten und das Herzogtum damit für seine Familie zurückgewonnen. Der Vertrag hatte auch geregelt, dass der nunmehr anerkannte Herzog Leben und Eigentum der Mörder seines Vaters zu respektieren und ihnen, sollten sie ihr Vaterland verlassen wollen, einen gerechten Preis für ihren Besitz zu zahlen habe.49 Die Frage nach einer 45 46 47 48
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Vgl. Varo Zafra: Diálogo (wie Anm. 40), S. 48. Vgl. Varo Zafra: Diálogo (wie Anm. 40), S. 50. Vgl. Varo Zafra: Diálogo (wie Anm. 40), S. 47; Hurtado de Mendoza, Diálogo (wie Anm. 42), S. 7. Gosellini: Congiura (wie Anm. 32). Vermutlich hoffte der Autor sich durch die Schrift auch nach dem Tod seines Dienstherrn 1557 für die Patronage des Hauses Gonzaga zu empfehlen. Zu Gosellini siehe Massimo Carlo Giannini: Art. Gosellini, Giuliano, in: Dizionario Biografico degli Italiani 58 (2002), online abrufbar unter http://www.treccani.it/enciclopedia/giuliano-gosellini_(DizionarioBiografico)/ (03.07.2020). Ottavio war es gelungen, gestärkt aus einem Krieg gegen Papst und Kaiser um das Herzogtum Parma hervorzugehen. Den Hintergrund hatte die Politik des Kaisers in der Piacenzafrage dargestellt. Statt den päpstlichen Forderungen nach der Restitution Piacenzas nachzukommen, hatte Karl V. 1549 einen Beleg für die vom Papst geltend gemachten Rechte verlangt, der aber nicht vorgezeigt werden konnte. In der Hoffnung, dass der Kaiser eher einem Farnese als dem Kirchenstaat ein Territorium
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Sanktionierung der Tat oder gar der Rache an den Verschwörern stellte sich zu diesem Zeitpunkt also nicht mehr und die Konzeptualisierung des Verbrechens als Tyrannicid oder Verrat war irrelevant, denn eine Bestrafung der Täter war nun ausgeschlossen.50 Gosellinis Werk zielte stattdessen auf die Verteidigung des am Hof Philipps II. zuletzt in Ungnade gefallenen und 1557 verstorbenen Ferrante Gonzaga, seines ehemaligen Herrn. Seine Strategie für die Konzeptualisierung der Verschwörung deckte sich dabei aber grundsätzlich mit den früheren anti-farnesischen Schriften. Das Werk stellt die bekannte Argumentation aber auf 107 Druckseiten deutlich ausführlicher dar als die Vorlagen.51 In einer breiten Darstellung erhebt Gosellini die Täter zu Erlösern Piacenzas, die die Stadt von „dem großen Unglück“, unter dem sie „kläglich lag“, befreit hatten und verteidigt auch Ferrante Gonzagas und den Kaiser nach bekanntem Muster.52 Zentrale Bedeutung für die Verteidigung der Hintermänner nimmt dabei der Hinweis ein, dass die Besetzung Piacenzas auf den ausdrücklichen Wunsch des Rates der Stadt erfolgt und nicht auf Widerstand gestoßen sei.53 Und überhaupt wird die Durchsetzung der geopolitischen Interessen des Kaisers vom Mord getrennt. Ausdrücklich hebt Gosellini hervor, weder Karl V. noch Ferrante Gonzaga hätten dem Tod Pier Luigis zugestimmt. Ob dies aus Güte oder strategischen Interessen erfolgt sei, lässt er jedoch offen.54 Wie sich zeigen sollte, war aber damit für spätere Deutungsversuche noch ausreichend Interpretationsspielraum übrig.
II. Zwischen Fremdherrschaft und Revolution. Die Rezeption der Ermordung Pier Luigi Farneses im 19. Jahrhundert Gerade vor dem Hintergrund der italienischen Einigungsbewegung stieg das Interesse an den Hintergründen der Ermordung Pier Luigi Farneses erneut. Die Umstände seines Todes waren prädestiniert dafür, um sie in den Kontext der durch Fremdherrschaft bestimmten italienischen Geschichte zu setzen. Vor den Herausforderungen des 19. Jahrhunderts bot sein Tod vielfältige Anknüpfungspunkte, um mit den drängenden Fragen der entstehenden italienischen Nation in Verbindung gesetzt zu werden. 1848 widmete Aristide Caimi sein Drama Pier Luigi Farnese dem „glorreichen Volk
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entreißen würde, hatte Paul III. seinem Neffen nur kurz vor seinem Tod die Titel des Herzogs von Parma und Piacenza entzogen und beide Städte in den Kirchenstaat reintegriert. Ottavio widersetzte sich und führte mit französischer Unterstützung bis 1552 Krieg um Parma. Zum Krieg um Parma und siehe Drei: Farnese (wie Anm. 2), S. 72–129. Vor der Einigung mit Philipp II. hatte Ottavio versucht, durch den Einsatz von Meuchelmördern Rache an den Mördern seines Vaters sowie auch an Ferrante Gonzaga zu nehmen. Siehe Curti: Congiura (wie Anm. 25), S. 211–218. Gosellini: Congiura (wie Anm. 32), S. 39–44. Gosellini: Congiura (wie Anm. 32), S. 75: […] solelvar la patria dall’infelicità grande in che ella giaceva miseramente. Gosellini: Congiura (wie Anm. 32), 62–63. Gosellini: Congiura (wie Anm. 32), S. 89.
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von Mailand“, dass sich in diesem Jahr gegen die österreichische Fremdherrschaft erhoben hatte und nach den Cinque giornate di Milano den Anschluss der Lombardei an das Königreich Sardinien-Piemont erklärt hatte. Angelehnt an die 1821 veröffentlichte Biografie Pier Luigis von Irenio Affó55 stellte er nicht die Verschwörung von außen und die Besitznahme Piacenzas durch Karl V. in den Vordergrund. Es war der Widerstand tapferer und moralisch integrer Untertanen gegen die Tyrannei des Herrschers, der zu einer legitimen und notwendigen Revolution geführt hatte. Die Beteiligung Karls V. spielt demgegenüber nur eine nachgeordnete Rolle, als die Verschwörer den „Verkauf“ des Herzogtums an Ferrante Gonzaga hier ablehnen.56 Im Jahr der italienischen Einigung 1861 schließlich wertet Rafaele Garilli die Verschwörung von Piacenza als nicht zu rechtfertigenden Verrat am eigenen Volk, der von einigen Unzufriedenen begangen worden sei. Passend zur Auflehnung gegen die österreichische Fremdherrschaft im Risorgimento stand die Ermordung Pier Luigis hier ganz im Zeichen der Fremdherrschaft Karls V. und der Etablierung der spanischen Hegemonie in Italien seit dem Frieden von Cateau-Cambrésis 1559.57 In diesem Kontext ist auch die Edition ausgewählter Briefe zwischen Karl V. und seinem Statthalter zu werten, die die Quellen zur Beteiligung des Kaisers erstmals als eigenständige Publikation zugänglich machte.58 Ein Urteil über das Gelingen und die Gelingensbedingungen, unter denen die Konzeptualisierung der Tat als Verrat oder als Tyrannenmord erfolgreich sein konnte, ist im Falle der Ermordung Pier Luigi Farneses offensichtlich auch mit viel Abstand kaum zu fällen. Was die Frage nach der Rolle des Kaisers betrifft, erwies sich die analysierte Propaganda aber in der longue durée als äußerst fruchtbar. Karl V., dessen Ritterethos in einschlägigen Biografien gerne hervorgehoben wird, wird trotz der seit dem 19. Jahrhundert bekannten Belege über seine Beteiligung erst in einigen jüngeren Biografien persönlich mit der Ermordung Pier Luigi Farneses in Verbindung gebracht.59 55 56 57 58 59
Affó: Vita (wie Anm. 2). Aristide Caimi: Pier Luigi Farnese. Drama in cinque atti, Milano 1848, S. 41. Rafaele Garilli: I fasti di Piacenza, Piacenza 1861, S. 51. Federico Odorici: Pier Luigi Farnese e la congiura piacentina del 1547 con documenti inediti, Milano 1863. Dabei handelt es sich wohl nicht allein um eine Folge der beiden Interpretationsmodelle von Karls Herrschaft (südeuropäisch oder mitteleuropäisch orientiert). Karl Brandi: Kaiser Karl V.: Werden und Schicksal einer Persönlichkeit und eines Weltreiches, München 1941, S. 495, schob die Verantwortung in einer einzigen Erwähnung der Ermordung Pier Luigis ganz dem Statthalter von Mailand, Ferrante Gonzaga, zu. Bedeutung hat die Tat dabei einzig wegen der Folgen für die Beziehung zwischen Papst und Kaiser. Royall Tyler: Kaiser Karl V., Stuttgart 1959, S. 90; S. 116; S. 143; S. 248, verweist zwar auf Hinweise auf die Mitwisserschaft des Kaisers, die aber allenfalls in Nebensätzen angedeutet wird und betont dann, der Kaiser habe wohl nicht früh genug Bescheid gewusst, um Gonzaga von der Tat abzuhalten. Alfred Kohler: Karl V. 1500–1558. Eine Biographie, München 1999, S. 324, spricht im Vorfeld fälschlich von einer Zustimmung Karls zur Belehnung Pier Luigis mit Parma und Piacenza und erwähnt die Beteiligung Karls an dessen Ermordung, die selbst nur am Rande anklingt, überhaupt nicht. Gleiches gilt für Ernst Schulin: Kaiser Karl V. Geschichte eines übergroßen Wirkungsbereiches, Stuttgart 1999. Mia J. Rodriguez-Salgado: The Changing Face of Empire: Charles V, Philip II and Habsburg Authority, 1551–1559, Cambridge 1988, 41–42, erwähnt
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Im Grunde folgten Karls Biografen damit nicht nur der pro-kaiserlichen, sondern auch der pro-farnesischen Propaganda, die in einem ganz wesentlichen Punkt übereinstimmte: Die Inbesitznahme Piacenzas durch Ferrante Gonzaga erfolgte auf den ausdrücklichen Wunsch der Stadt, die sich für den Kaiser als starken und durch Mailand benachbarten Herrn entschieden habe.60 Eben diese ausweichende Darstellung, insbesondere in der pro-farnesischen Propaganda, war, wie gezeigt, der politischen Situation und der Hoffnung auf den notwendigen Ausgleich zwischen Papst und Kaiser geschuldet gewesen.
III. Fazit Der Umgang mit der Verschwörung gegen Pier Luigi Farnese und seiner Ermordung sowie die Konzeptualisierung des Verbrechens durch die jeweiligen Parteien waren in erheblichem Maße durch die politischen Rahmenbedingungen des Jahres 1547 geprägt. Das direkte Aufeinandertreffen von Papst und Kaiser, das angesichts der drängenden Religionsfrage notwendige Auskommen zwischen den Universalgewalten und ganz besonders die Folgen der Besetzung Piacenzas bestimmten den Umgang beider Parteien mit dem Verbrechen. Auf diplomatischer Ebene blieben direkte Vorwürfe gegen den Kaiser, an dessen Beteiligung am Verbrechen kein Zweifel bestand, aus. Versuche, obrigkeitlich gegen die Täter vorzugehen, bezogen sich ausschließlich auf die
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die Ermordung Pier Luigis nur auf Grund ihrer Implikationen für die Italienpolitik Karls V. Das gilt im Übrigen auch für andere politische Verbrechen und Verschwörungen, mit denen der Kaiser zumindest in Verbindung stand. Die Ermordung des französischen Botschafters Rincon auf dem Po im Jahr 1546 durch spanische Truppen hatte er zumindest hingenommen. Vgl. Kohler: Karl V. (wie Anm. 60), S. 256; Brandi: Karl V. (wie Anm. 60), S. 389–390. Von den älteren Biografien geht einzig Ludwig Cardauns: Von Nizza bis Crepy. Europäische Politik in den Jahren 1534–1544, Rom 1923, S. 132, auf die wenig ritterliche Seite Karls V. ein, indem er ihm die Überzeugung zuspricht, dass er sich für politische Morde durchaus berechtigt gefühlt habe. In den jüngeren Biografien findet die Beteiligung Karls V. dann deutlicheren Niederschlag. Denis Crouzet: Charles Quint: Empereur d’une fin des temps, Paris 2016, S. 421–425, betont, dass der Kaiser schon seit Anfang März 1547 über die Vorbereitungen auf dem Laufenden gewesen sei, er das Verbrechen also zumindest billigend in Kauf genommen habe. Geoffrey Parker: Emperor: A New Life of Charles V, New Haven/London 2019, S. 338–340, zeichnet den Kaiser als Getriebenen, der angesichts der Beteiligung Pier Luigis an der Fieschi-Verschwörung in Genua und auch an weiteren Umsturzversuchen in Norditalien nicht anders habe handeln können. Er betont jedoch, dass Karl bis zuletzt daran festgehalten habe, dass keine Hand an den Farnese-Herzog gelegt werden dürfe. Ob der Kaiser tatsächlich daran glaubte, erscheint aber zumindest zweifelhaft. Zuletzt bezog sich Heinz Schilling: Karl V.: Der Kaiser, dem die Welt zerbrach, München 2020, S. 175, auf Crouzet, wenn er erklärt, es erscheine „heute sehr wahrscheinlich“, dass Karl wie sein Gouverneur „ihre Hände im Spiel hatten, jedenfalls von den Plänen der Verschwörer wussten.“ Auch er stellt das politische Verbrechen in den Kontext einer dringend notwendigen Stabilisierung Oberitaliens und sieht es in der Tradition der „dunklen, machiavellistischen Machenschaften“, die in Italien seit der Renaissance allen Potentaten vertraut gewesen seien. Vgl. Capasso (Hg.): Lamento (wie Anm. 26), V. 143 sowie für die prokaiserliche Seite Gosellini: Congiura (wie Anm. 32), S. 82.
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beteiligten piacentinischen Adeligen. Das diplomatische Tagesgeschäft und damit die Haltung gegenüber dem Kaiser war alleine durch die Forderung nach der Restitution Piacenzas bestimmt. Der Mord an Pier Luigi Farnese und die Beteiligung Karls V. und seines Statthalters wurden nicht erwähnt. Neben dem Versuch, den Tod des Herzogs zu rächen, bestand das Ziel Roms darin, in einem derzeit zwar vom Feind besetzten Gebiet mittels Sanktionierung der Straftat als legitime und durchsetzungsfähige Obrigkeit aufzutreten und die beanspruchten Rechte für spätere, möglicherweise bessere Zeiten, aufrecht zu erhalten. Dieser Versuch schlug in dem Moment fehl, als ein Prozess in Rom, der die Umstände der Ermordung Pier Luigi Farneses hätte aufklären sollen, daran scheiterte, die mutmaßlichen Täter vorzuladen und somit Jurisdiktionshoheit zu beanspruchen. Die Analyse einiger Propagandaschriften zeigt, wie schnell und umfassend die beteiligten Parteien, eine pro-farnesisch-päpstliche und eine pro-kaiserliche, Maßnahmen trafen, um der von ihnen angestrebten Konzeptualisierung des Verbrechens zur Durchsetzung zu verhelfen. Die pro-farnesische Seite zielte darauf, die Täter als einfache Diebe zu entlarven und etikettierte die Tat als Verrat und Verstoß gegen das ius commune. Offenkundiges Ziel war es, dem Verbrechen jedwede Legitimation abzusprechen und es als Majestätsverbrechen darzustellen. Beachtlich ist dabei, dass in diesem Kontext vollständig darauf verzichtet wurde, von einer Verschwörung zu sprechen. Anders verhielt sich die pro-kaiserliche Seite, deren erklärtes Ziel es war, die Besetzung Piacenzas, die auf Wunsch der Einwohner des Herzogtums erfolgt sei, als Reaktion auf einen Tyrannenmord darzustellen. In diesem Kontext war es unproblematisch, die Täter als Verschwörer zu bezeichnen. Zwar konnten Verschwörungen und Agieren im Geheimen auch im Italien des 16. Jahrhunderts negativ konnotiert sein, doch war die Verschwörung noch immer verbreitetes Mittel der politischen Auseinandersetzung und wurde, anders als der Verrat, nicht per se als Verbrechen konzeptualisiert. Weil nicht zuletzt in den Schriften Niccolò Machiavellis die Verschwörung semantisch mit dem Tyrannicid verbunden war, konnten die Autoren das Vorgehen gegen Pier Luigi Farnese mit Verweis auf dessen Verbrechen legitimieren und die Tat als politisch notwendig und moralisch gerechtfertigt darstellen. Der Kampf um die Durchsetzung solcher Etikettierungen wurde spätestens 1556 durch den Vertrag von Ghent obsolet. Als Ottavio Farnese Piacenza als Lehen von Philipp II. von Spanien zurückerhielt, musste er versichern, nicht weiter gegen die Mörder seines Vaters vorzugehen. Die Lösung der politischen Frage der Restitution des Herzogtums war weitaus wichtiger als ihre Ursache, das politische Verbrechen selbst. Unter Pier Luigis Nachfolgern zeigte sich aber, dass diese aus den Ereignissen von 1547 insofern gelernt hatten, als sie das Potential der Aufdeckung und juristischen Aufarbeitung politischer Verbrechen erkannt hatten und für die Durchsetzung und Stärkung ihrer Herrschaft einzusetzen wussten. Die Sanktionierung politischer Verbrechen bot ein starkes Werkzeug, um den Einfluss des Feudaladels, an dessen Loyalität auch weiterhin Zweifel bestanden, dauerhaft zurückzudrängen. Vermutlich aus den Erfahrungen des Jahres 1547 heraus begründete Ottavio Farnese eine Strate77
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gie, die Gian Lucca Podestà in einer umfassenden Studie als „Politik des Verbrechens“ bezeichnete.61 Die Aufdeckung einiger Verschwörungen, bei denen nicht einmal sicher festzustellen ist, ob es sie tatsächlich gab oder ob es sich um Übertreibungen der herzoglichen Behörden handelte, ermöglichte die Verurteilung einiger der mächtigsten Mitglieder des piacentinischen Feudaladels. Die Konfiskation von deren Gütern zu Gunsten des herzoglichen Besitzes bildete eine entscheidende Grundlage für die Festigung der farnesischen Herrschaft in Parma und Piacenza. Die Nachfolger Pier Luigis hatten also auf eine ganz eigene Art und Weise aus der Ermordung ihres Stammvaters gelernt.
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Podestà: Delitto (wie Anm. 5).
Security of the Crown, Safety of the Nation? Verschwörungsszenarien und parlamentarische Sicherheitsdiskurse in England, ca. 1570–1680 Benedikt Nientied Im nachreformatorischen England wurde ab den 1570er Jahren eine Vielzahl echter und vermeintlicher Verschwörungen gegen das Leben des Monarchen gezählt.1 Dazu gehörte der auch heute noch bekannte Gunpowder Plot von 1605, dessen Wiederkehr alljährlich am 5. November mit dem rituellen Verbrennen von Guy-Fawkes-Puppen im ganzen Land begangen wird.2 Viele weitere, wie etwa der Bye Plot von 1603 oder der Meal-Tub Plot von 1680, sind dagegen kaum bekannt.3 Diese – realen und imaginierten – plots erzeugten ein Gefühl der Bedrohung durch einen politischen und religiösen Umsturz. Attentate auf Herrscher wie Wilhelm von Oranien 1584 in den Niederlanden oder Heinrich IV. von Frankreich 1610 ließen einen Anschlag auf das Leben der Königin oder des Königs als reale Gefahr erscheinen.4 Insbesondere die Angst vor einem katholischen Umsturz war allgegenwärtig.5 Nach der kurzen, aber durch brutale Rekatholisierung gekennzeichneten Herrschaft Maria Tudors erschien ein solcher Umsturz als nationales Trauma.6 Englische Katholiken standen fortan im Verdacht der Illoyalität gegenüber der Krone und der sich zunehmend als protestantisch verstehenden englischen Gesellschaft.7 Bei den von Rom entsandten Missionaren befürchtete man vielfach, dass sie Anschläge auf das Leben der Königin Elisabeth im Sinn hatten.8 Die tatsächliche Zahl der geplanten und durchgeführten Attentate war 1
Einen Überblick gibt Francis Edwards: Plots and Plotters in the Reign of Elizabeth I, Dublin 2002. Ich danke André Krischer für wichtige Anregungen und Ergänzungen. 2 Vgl. Philip Sidney: A History of the Gunpowder Plot: the Conspiracy and its Agents, London 1904; Alan Haynes: The Gunpowder Plot. Faith in Rebellion, London 1994. 3 Vgl. Mark Nicholls: Treason’s Reward: the Punishment of Conspirators in the Bye plot of 1603, in: Historical Journal 38/4 (1995), S. 821–842; Frances E. Dolan: Whores of Babylon: Catholicism, Gender, and Seventeenth-Century Print Culture, Ithaca/ London 1999, S. 160–164. 4 Vgl. Lisa Jardine: The Awful End of Prince William the Silent. The First Assassination of a Head of State with a Handgun (Making History Series), London 2005. 5 Vgl. dazu John Miller: Popery and Politics in England, Cambridge 1978; Franklin Lewis Ford/ Ilse Utz: Der politische Mord. Von der Antike bis zur Gegenwart, Hamburg 1990, S. 191–221. 6 Vgl. William Wizeman: The religious Policy of Mary I, in: Thomas S. Freeman/ Susan Doran (Hgg.): Mary Tudor: Old and New Perspectives, Basingstoke 2011, S. 153–170. 7 Vgl. Michael C. Questier: Catholicism and Community in Early Modern England. Politics, Aristocratic Patronage and Religion, c. 1550–1640 (Cambridge Studies in Early Modern British History), Cambridge 2008, S. 124–129; Ders.: Catholic Loyalism in Early Stuart England, in: English Historical Review 123/504 (2008), S. 1132–1165. 8 Vgl. Alexandra Walsham: ‚This Newe Army of Satan‘: The Jesuit Mission and the Formation of Public Opinion in Elizabethan England, in: Claire Walker/ David Lemmings (Hgg): Moral Panics,
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dagegen äußerst gering, „the dog which failed to bark in the nightime“, wie Alan Marshall unter Bezug auf eine bekannte Kurzgeschichte Arthur Conan Doyles’ treffend anmerkt.9 Die juristische Rubrik, unter der solche Anschuldigungen gefasst wurden, war Hochverrat, high treason.10 Nach dem wegweisenden Gesetz von 1351 war damit nicht erst die Ermordung des Königs gemeint, sondern vielmehr bereits die Intention oder Planung dieser Tat. Eben diese Möglichkeit der ‚Vorfeldkriminalisierung‘ verschränkte Hochverratsdiskurse mit Verschwörungstheorien.11 Spätestens in elisabethanischer Zeit wurden hochverräterische Machinationen vermehrt auch als Sicherheitsproblem diskutiert. Führte die reale und imaginierte Bedrohung des königlichen Lebens durch ‚Papisten‘ also zur Etablierung einer neuen Begrifflichkeit zur Erfassung, Deutung und Bekämpfung politischer Kriminalität? Deuteten sich in der Verwendung dieses Begriffs durch die Mitglieder des englischen Unterhauses ein neues Verständnis von Sicherheit, vielleicht sogar Umrisse einer frühen Sicherheitspolitik an? Diese Frage soll im Folgenden am Beispiel von vier gut bekannten und erforschten Verschwörungsszenarien aus der elisabethanischen Zeit (1571/72, 1583, 1586) und der späten Stuartzeit (1678/79) beantwortet werden. Zuvor ist jedoch ein zumindest knapper Blick auf die Begriffsgeschichte von Sicherheit nötig.
I. Security und Safety: Sicherheit als Begriff und Konzept in der englischen Frühen Neuzeit Die Forschung zum Themenkomplex ‚Sicherheit‘ hat in der Geschichtswissenschaft in jüngerer Zeit unter dem Schlagwort der ‚Sicherheitsgeschichte‘ einen neuen Aufschwung erfahren.12 Neben den Forschungen zum Sicherheitsbegriff des 20. Jahrhun-
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the Media and the Law in Early Modern England, Houndmills/ Basingstoke/ Hampshire/ New York 2009, S. 41–62, zuletzt dazu auch André Krischer: ‚Papisten‘ als Verräter. Gewaltimaginationen und Antikatholizismus im frühneuzeitlichen England, in: Ders (Hg.): Verräter. Geschichte eines Deutungsmusters, Köln / Weimar / Wien 2018, S. 175–194. Alan Marshall: Intelligence and Espionage in the Reign of Charles II, 1660–1685, Cambridge 1994, S. 280. Zu den Begrifflichkeiten vgl. André Krischer: Verräter, Verschwörer, Terroristen. Juristische Klassifikationen, gesellschaftliche Wahrnehmungen und Visualisierungen von politischer Delinquenz und kollektiver Bedrohung in Großbritannien, 16.–19. Jahrhundert, in: Karl Härter/ Beatrice de Graaf (Hgg.): Vom Majestätsverbrechen zum Terrorismus, (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 268), Frankfurt a. M. 2012, S. 103–160; André Krischer: Die Macht des Verfahrens. Englische Hochverratsprozesse 1554–1848 (= Verhandeln, Verfahren, Entscheiden. Historische Perspektiven 3), Münster 2017, S. 12–16. John Bellamy: The Law of Treason in England in the Later Middle Ages, Cambridge 1970, S. 59ff.; zur Engführung von Hochverrat und Verschwörungsdenken vgl. Krischer: Macht des Verfahrens (wie Anm. 10), S. 175ff. Vgl. dazu Eckart Conze: Securitization. Gegenwartsdiagnose oder historischer Analyseansatz?, in: Geschichte und Gesellschaft 38 (2012), S. 453–467; Cornel Zwierlein: Sicherheitsgeschichte. Ein neues Feld der Geschichtswissenschaften, in: Geschichte und Gesellschaft 38/3 (2012), S. 365–386; Christoph
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derts, der auch in den Politik- und Sozialwissenschaften breit untersucht worden ist, hat auch die Genese des Konzeptes Sicherheit in einem modernen Verständnis am Wendepunkt zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit Aufmerksamkeit erfahren.13 Während der italienischen Renaissance bildete sich im Umfeld der norditalienischen Stadtstaaten ein neuer Sicherheitsbegriff, der die bis dahin vorherrschenden mittelalterlichen Konzepte von ‚Friede‘ und ‚Schutz und Schirm‘ (auxilio vel consilio) ablöste.14 ‚Sicherheit‘ (securitas) wurde bis dahin nur als Sicherstellung eines Schutzes vor Bedrohung im Sinne von Geleit etc. gebraucht. Er war in seiner Bedeutung zumeist auf zwischenmenschliche Beziehungen oder Orte bezogen (Sicherheit einer Stadt, eines Geleits etc.). Der Begriff wurde jedoch in diesem Zusammenhang viel seltener gebraucht als ‚Friede‘. Nun trat die ‚öffentliche Sicherheit‘ in den Vordergrund, die im Reich ab dem 15. Jahrhundert als ‚gute Policey‘ Form annahm.15 Sie umfasste die Sicherstellung der öffentlichen Ordnung durch obrigkeitliche Gesetzgebung und Durchsetzung mittels entsprechender Organe und Verfahren. Im Zuge des 17. Jahrhunderts weitete sich die Bedeutung des Begriffs und wurde nun auch auf die äußere Sphäre bezogen: die Schutzpflicht des Landesherrn wurde zum einen durch die Befriedung im Innern mithilfe eines allgemeinen Landfriedens und zum anderen durch die Sicherung nach außen mithilfe militärischer Maßnahmen und einer umsichtigen Außen- und Bündnispolitik wahrgenommen. Bei der Erforschung dieser ‚Versicherheitlichung‘ handelt es sich bis jetzt um einen primär im deutschsprachigen Raum angesiedelten Forschungsansatz, sodass vor allem das Reich und Norditalien im Mittelpunkt des Interesses standen. Die englische Frühneuzeit hingegen hat bis jetzt unter diesem Gesichtspunkt kaum Beachtung gefunden. Die englische Sprache kennt mit safety und security zwei Begriffe der Sicherheit mit unterschiedlichen Konnotationen. Der safety-Begriff ist der ältere und lässt sich bereits im 14. Jahrhundert nachweisen, hier vor allem im heilsgeschichtlichen Sinne der Si13
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Daase: Die Historisierung der Sicherheit, in: Geschichte und Gesellschaft 38/3 (2012), S. 387–405. Vgl. dazu die Beiträge von Luise Schorn-Schütte, Ronald G. Asch und Randolph C. Head in: Christoph Kampmann u.a. (Hgg.): Sicherheit in der Frühen Neuzeit. Norm, Praxis, Repräsentation (Frühneuzeit-Impulse, Bd. 2), Köln 2013, S. 251–264; Horst Carl: Landfriedensbrecher und „Sicherheitskräfte“: Adlige Fehdeführer und Söldner im 16. Jahrhundert, in: Christoph Kampmann u.a. (Hgg.): Sicherheit in der Frühen Neuzeit. Norm, Praxis, Repräsentation (= Frühneuzeit-Impulse 2), Köln 2013, S. 273–287. Vgl. zuletzt auch für Frankreich Lothar Schilling: Beobachtungen zum Gebrauch und zur Semantik von seur(e)té im Französischen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, in: Horst Carl/ Rainer Babel/ Christoph Kampmann (Hgg.), Sicherheitsprobleme im 16. und 17. Jahrhundert. Bedrohungen, Konzepte, Ambivalenzen, Baden-Baden 2019, S. 29–58. Vgl. Art.: Sicherheit, Schutz, in: Otto Brunner/ Werner Conze/ Reinhart Koselleck: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 8, Stuttgart 1972–1997, Sp. 831–862; Cornel Zwierlein/Beatrice de Graaf: Security and Conspiracy in Modern History, in: Dies. (Hgg.): Security and Conspiracy in History, 16th to 21st Century (Historical Social Research Nr. 38,1, Special Issue 143), Köln 2013, 7–45; Cornel Zwierlein: Security Politics and Conspiracy Theories in the emerging European State System (15th/ 16th c.), in: ebd., S. 66–95. Vgl. Karl Härter: Security and „gute policey“ in Early Modern Europe. Concepts, Laws and Instruments, in: Historical Social Research 35/4 (2010), S. 41–65.
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cherheit über die Erlösung.16 Thomas Hobbes gebraucht den Begriff der security um einen durch konkretes, eben auch politisches Handeln herzustellenden Zustand der Sicherheit zu beschreiben (estate of security). Sicherheit erscheint hier als Gegenbegriff zur Bedrohung gegen Leib und Leben. 17 An anderer Stelle definiert er safety jedoch auch anders: In De Cive schreibt er, [by] safety one should understand not mere survival in any condition, but a happy life so far at that is possible.18 Safety erscheint hier als (passiver) Zustand des Wohlbefindens und der Sorglosigkeit. In diesem Sinne wurde er bereits im Parlament der elisabethanischen Zeit gebraucht, um einen (erhaltenswerten) Zustand der Sicherheit zu beschreiben: Safety of the crown, safety of the realm, safety of the religion. Die Erhaltung dieses Zustands der Sicherheit war das Ziel der Politik. Security wurde dagegen als expliziter Begriff aktiven politischen Handelns erst seit dem Bürgerkrieg im Parlament präsent.
II. Security of the Crown: Die Sicherheit der Monarchin im parlamentarischen Diskurs des 16. Jahrhunderts Mit der durch Heinrich VIII. ab 1532 eingeleiteten Trennung der englischen Kirche von Rom und der nachfolgenden Reformierung von Lehre und Liturgie unter Edward VI. und Elisabeth I. veränderte sich auch das Verhältnis von Religion und Politik.19 Der Status Englands als protestantische Nation kulminierte in der Rolle des Monarchen als Oberhaupt der Kirche. Seine Person garantierte – oder gefährdete – den Fortbestand der religiösen Ordnung: Every prince beinge the minester of God and a publicke person ought by Gode’s worde to have an especiall care of his owne safetie more than a private person, and cheefely when the case soe standeth that the safetie of his realme and country and the true worshippinge of God […] may seem to depend on him.20 Durch die Struktur der unter Heinrich VIII. konstituierten Staatskirche und der darauf folgenden ‚Reformation von oben‘ hatte die Krone großen Einfluss auf die konkrete Ausgestaltung der Konfession. Problematisch wurde die Stellung des Monarchen als Oberhaupt der Kirche, sobald die Gefahr bestand, dass ein katholischer oder dem Katholizismus verdächtiger Thronfolger an die Macht gelangen könnte. Dass in einem solchen Fall die Eigenständigkeit von Rom und die protestantische Lehre in Frage stehen konnte, hatte 16 17 18 19 20
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The state of salvation (of the soul); spiritual safety, zit. nach „safety, n.“, in: OED Online, Oxford University Press, September 2019, www.oed.com/view/Entry/169687 (abgerufen am 13.11.2019). Vgl. Jeremy Waldron: Safety and Security, in: Nebraksa Law Review 85/2 (2006), S. 454–507, hier S. 456–458. Zitiert nach Waldron: Safety and Security (wie Anm. 17), S. 454–507, hier S. 458. Vgl. Arthur G. Dickens: The English Reformation, 2. Auflage, University Park (Pa.) 1991, und jüngst Peter Marshall: Heretics and Believers. A History of the English Reformation, New Haven 2017. Arguments against Mary Queen of Scots presented to Elizabeth by some of both Houses, 26 May, T. E. Hartley: Proceedings in the Parliaments of Elizabeth I. 1559–1581 (Proceedings in the Parliaments of Elizabeth I, Bd. 1), Leicester 1981, S. 274–290, hier S. 281.
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die kurze Amtszeit Maria Tudors 1553–1558 gezeigt. Ihre Nach-Nachfolger aus der schottischen Stuart-Dynastie gerieten über Fragen der Religion immer wieder in Konflikt mit dem Parlament. Alle drei hier untersuchten konspirativen Szenarien – die Ridolfi- (1571), die Throckmorton- (1583) und die Babington-Verschwörung (1586) – waren eng mit dem Schicksal der katholischen schottischen Königin Maria Stuart (1542–1587) verbunden.21 Seit 1567 befand Maria sich im englischen Exil, da sie in Schottland des Mordes an ihrem Ehemann Lord Darnley bezichtigt wurde. Den Thron hatte sie an ihren minderjährigen Sohn Jakob VI. verloren, der protestantisch erzogen wurde. Maria war die Enkelin der älteren Schwester Heinrichs VIII. von England und hatte damit aus der Sicht vieler englischer und europäischer Katholiken einen valideren Anspruch auf den Thron als Elisabeth, die Tochter aus zweiter Ehe Heinrichs VIII. mit Anne Boleyn. Marias Anwesenheit auf englischem Boden wurde deshalb sowohl vom Kronrat (privy council) als auch im Parlament als potentiell gefährlich angesehen. Während ihrer Zeit in England wurde sie auf unterschiedlichen Schlössern und Burgen untergebracht, die weit genug von London entfernt waren. Von hier aus versuchte sie, über ein Netzwerk von Unterstützern Einfluss auf die englische Politik zu nehmen. Dazu bediente sie sich eines weitverzweigten Netzwerkes, mit dem sie sich trotz einer Kommunikationssperre über verschlüsselte Nachrichten und Kuriere austauschen konnte. Ein Teil dieser Korrespondenz wurde von den Spitzeln des Staatssekretärs Francis Walsingham abgefangen und später gegen sie verwendet.22 In diesen konspirativen Netzwerken wurde eine Ermordung Elisabeths zumindest nicht ausgeschlossen. Die Ridolfi-Verschwörung von 1571 stand wiederum in engem Zusammenhang mit dem Scheitern der Northern Rebellion 1569 und wurde von dem namensgebenden florentinischen Banker Roberto Ridolfi erdacht.23 Geplant war die Ermordung Elisabeths und eine Invasion spanischer Truppen von den Niederlanden aus.24 Außerdem setzten die Verschwörer auf eine Erhebung einer großen Zahl von englischen Katholiken, die jedoch ausblieb. Der Plan war dennoch schon weit fortgeschritten, als die Verschwörung 1571 durch die Spitzel des Staatssekretärs Walsingham zerschlagen wurde.25 Der Kronrat drängte Elisabeth im folgenden Jahr ein Parlament einzuberufen, um eine Anklage Marias wegen Hochverrats auf den Weg zu bringen.26 21 22
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Vgl. Causes against Mary Queen of Scots shewn to a committee of both Houses, 13 May [1572], British Library, Add MS 48049, abgedruckt in Hartley: Proceedings (wie Anm. 20), S. 270–272. Vgl. auch Francis Edwards: Plots and Plotters in the Reign of Elizabeth I, Dublin 2002, S. 29–73; S. 77–99; S. 125–168. Vgl. dazu die Arbeiten von Stephen Alford: The Watchers: A Secret History of the Reign of Elizabeth I, London 2012, S. 210–240; John P. D. Cooper: The Queen’s Agent: Francis Walsingham at the Court of Elizabeth I, London 2011, S. 190–233; Robert Hutchinson: Elizabeth’s Spy Master: Francis Walsingham and the Secret War that saved England, London 2006. Zu diesem Aufstand vgl. Krista J. Kesselring: Mary Queen of Scots and the Northern Rebellion of 1569, in: Peter Iver Kaufman (Hg.): Leadership and Elizabethan Culture, New York 2013, S. 51–72. Cyril Hamshere: The Ridolfi Plot, 1751, in: History Today 26 (1976), S. 32–39. Vgl. Stephen Alford: The Watchers: A Secret History of the Reign of Elizabeth I, London 2012, S. 125–138. Vgl. Hartley: Proceedings (wie Anm. 20), S. 261–264.
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Einen ähnlichen Plan wie Ridolfi verfolgten 1583 Verschwörer um Francis Throckmorton. Dieser wurde jedoch noch früher aufgedeckt und die Beteiligten wegen Hochverrats hingerichtet. Als Folge wurde vom Kronrat der sogenannte bond of association geschlossen, der jeden Unterzeichner verpflichtete, Usurpatoren und Verschwörer zu bekämpfen und gegebenenfalls hinzurichten.27 Die Übertragung dieser Verpflichtung in statuarisches Recht war der zentrale Anlass für die Einberufung eines Parlaments im folgenden Jahr, 1584.28 Das Thema ‚Sicherheit der Königin‘ dominierte die Versammlung jedoch nicht so weitgehend wie 1572, als kaum andere Vorhaben im Parlament zur Sprache kamen. Unter der Führung von Anthony Babington planten verschiedene Akteure erneut, Elisabeth um- und Maria auf den Thron zu bringen. Ein Briefwechsel zwischen Babington und der gefangenen Königin brachte Walsinghams Männer 1586 schließlich auf die Spur dieser Verschwörer.29 Die Babington-Verschwörung lieferte nicht nur Argumente für die Hinrichtung Maria Stuarts. Sie trug auch dazu bei, Katholiken und Hochverräter in der öffentlichen und juristischen Wahrnehmung praktisch in Eins zu setzen.30 Das infolge der Babington-Verschwörung 1586 einberufene Parlament befasste sich fast ausschließlich mit der Frage der Hinrichtung Maria Stuarts, die implizit auch eine Frage der Sicherheit von Königin, Staates und Religion war. Über matters of religion mitzuentscheiden hatte das Parlament schon in der Zeit Heinrichs VIII. für sich reklamiert. Auch später verlangte vor allem das Unterhaus Mitsprache in Fragen der Religion. Dabei machten die Abgeordneten eine persönliche Betroffenheit geltend, die es ihnen erlaubte, die Grenzen der parlamentarischen Redefreiheit im Konflikt mit den Monarchen zum äußersten zu dehnen. Sie machte die Sicherheit des Monarchen (safety of the crown) zur Sicherheit der Religion (safety of the religion) und damit der Nation (our safety). In der Auseinandersetzung mit dem Attentatsversuch von 1572 ging es im Parlament noch darum, Maria Stuart von der Thronfolge ausschließen und damit den Bestrebungen für eine Ermordung der regierenden Königin ein für alle Mal die Grundlage entziehen könnte. Die Königin selbst gab sich in dieser Frage aus politischen und dynastischen Überzeugungen zögerlich und zog eine Politik des Abwartens vor. Die Parlamentarier gruppierten ihre Argumente dabei um den Begriff safety, der immer wieder gebraucht wurden, wenn das Wohl der Untertanen gegen das Recht der Monarchin auf die Regelung der Nachfolge in Stellung gebracht werden sollte. So formuliert der Parlamentarier Peter Wentworth 1572 in einer gemeinsamen Petition an Elisabeth: That it would please your Grace with all convenient speede in Parliament, to cause all titles and claimes to the Crowne of England after your Maiesties decease, throughlie to be tried and examined […]. [T]hen you see, that it is not enough for the tyme present […] 27 28 29 30
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David Cressy: Binding the nation. The Bonds of Association 1584 and 1696, in: Ders. (Hg.): Society and culture in early modern England, Aldershot 2003, S. 217–234. Vgl. T. E. Hartley: Proceedings in the Parliaments of Elizabeth I. 1584–1589 (Proceedings in the Parliaments of Elizabeth I, 2), London/ New York 1995, S. 11–19. Krischer: Die Macht des Verfahrens (wie Anm. 19), 173ff. Vgl. Krischer: Verräter, Verschwörer, Terroristen (wie Anm. 10), S. 108.
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to provide for the safetie and welfare of your subiectes […], but also that you are bound to doe what lyeth in you for their peace & safetie, wealth and prosperitie after you are gone.31 In seiner Rede zur Eröffnung erklärte der Sprecher des Unterhauses im Angesicht der Monarchin: But though the lawe be sufficient, yet two principall causes why such matter may best be dealt with in Parliament, first for satisfaction of the common error receaved, wherein as long as the worst sorte of people are not satisfied they cease not to continue their evill proceedings, secondarily in such an assemblie the whole circumstances of a cause may be best considered and further remedie provided.32 Das hochverräterische Verbrechen wird hier als gegen das ganze Gemeinwesen gerichtet, als common error received bezeichnet. An anderer Stelle wird ausgeführt: An offence in the higheste degree againste a prince beinge a heade of of the politicall bodie is an offence to every member of the same and requireth sharpe punishmente for preservac[i] one of the wholl.33 Die persönliche Sicherheit der Königin wird hier in Beziehung zu Sicherheit und Wohlergehen (safety) aller Untertanen gesetzt. Folgt man dieser Argumentation, wird die Entscheidung über die Sicherheit der Königin aus ihrer Hand genommen. Sie wird zu einer Frage von übergeordneter Bedeutung für das gesamte Königreich, des body of the whole realm, als dessen Repräsentanten sich das Parlament auch zu dieser Zeit bereits begriff.34 Aber erst die persönliche Betroffenheit gab den Parlamentariern die Möglichkeit, in dieser Frage überhaupt in den Konflikt mit der Krone zu treten. Nicht die Entscheidung über Sachthemen stand hier im Vordergrund, sondern der Vertretungscharakter der Versammlung gegenüber der Königin. Die reale Entscheidungskompetenz des Parlaments in dieser politischen Frage war sehr begrenzt, ohne die Zustimmung der Krone konnten sie keine eigenen Maßnahmen ergreifen. Die Parlamentarier wählten deshalb den Weg über eine Petition. Stellvertretend für alle Engländer traten sie – buchstäblich – vor die Königin. Allerdings verfing selbst diese mit persönlichem Nachdruck vorgebrachte Argumentation nicht. Das Parlament von 1586, das nach der Aufdeckung der Babington-Verschwörung einberufen worden war, folgte einem anderen Argumentationsmuster: Under the warrant of God’s law, what may not this House do? […] To deny the power of this House, ye know, is treason: therefore, to say that this House is not able to cut off ten such serpent’s heads […] is treason. The issue then […] is that we all be joint suitors to her Majesty that Jezebel may live no longer […], that so the land may be purged […] and her Majesty’s days prolonged in peace, to the comfort of us and our posterity.35 Wenn Elisabeth erneut nicht zum Handeln bereit war, sahen sich die Parlamentarier nun geradezu dazu gezwungen, 31 32 33 34 35
Peter Wentworth: A Pithie Exhortation to her Majestie for Establishing her Successor to the Crowne, whereunto is added a Discourse Containing the Author’s Opinion of the True and Lawfull Successor to her Majestie, Edinburgh 1598, S. 5, 7. Hartley: Proceedings (wie Anm. 20), S. 340. Arguments against Mary Queen of Scots, Hartley: Proceedings (wie Anm. 20), S. 287. Vgl. dazu Geoffrey R. Elton: ‚The Body of the whole Realm‘: Parliament and Representation in Medieval and Tudor England, in: Ders. (Hg.): Studies in Tudor and Stuart Politics and Government, Bd. 2, Cambridge 1974, S. 19–61. Zitiert nach John E. Neale: Elizabeth I and her Parliaments, 1584–1601, o. O. 1957, S. 111.
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zu ihrem eigenen Wohl und dem Wohl der Königin einzugreifen, auch wenn dies deutlich über ihre eigentlichen Kompetenzen hinausging. Doch all denjenigen, die an ihren Kompetenzen zweifelten, auch radikale Schritte zur Wahrung der Sicherheit zu unternehmen, warfen die Parlamentarier Verrat vor. Allerdings war in diesem Falle Marias Beteiligung an der Verschwörung auch klar nachweisbar, sodass eine zusätzliche Rechtfertigung vorhanden war. Auch der Kronrat setzte nun die Hoffnung in das Parlament als Druckmittel. Der Staatssekretär Lord Burghley legte seine Gründe dafür in einem Schreiben an Francis Walsingham offen: We stick upon Parliament, which her Majesty mislikes to have. […] But we all persist, to make the burden better borne and the world abroad better satisfied. Der zusätzliche Druck durch das Parlament sollte Elisabeth nun zur Zustimmung bewegen, indem ihr durch einen Parlamentsbeschluss die Zustimmung erleichtert würde.36 Die Königin wiederum machte ihre Ablehnung deutlich, in dem sie erstmalig ihrem Parlament fernblieb. Auch bei diesem Parlament stand der safety-Begriff im Zentrum: The summary cause of the sommons of this parliament is to provyde for the safetie of our most gracyous sovereigne, whose goverment is the minister of Gode’s goodnes to us and our felicitie, yet is not without troble […].37This Queen of Scottes hath bene the cawse of much blode, who remaininge, her Majestie, whose saftie we all owght to provide for, cannot be in saftie […].38 Therefore my trust is, as I sayed in the begyninge, that the whole House will willingly without any farther questioninge or replye, yeald theire free assentes and allowance unto the cause and that cum applausu, even with joyning of handes and joye of harte in respecte of her Majestie’s safetye […].39 Parallel zum Parlament lief das juristische Verfahren, das Maria am 25. Oktober zum Tode verurteilte. Dies musste durch Elisabeth bestätigt werden. Genau wie 1572 konnte das Parlament sie nicht zwingen; dazu fehlte die rechtliche Grundlage. Es konnte jedoch mit Billigung des Kronrates zusätzlichen Druck erzeugen.40 Erneut wurde nach intensiver Diskussion über die gebotenen Mittel zur Petition gegriffen, in der das eigene Selbstverständnis noch einmal sehr deutlich wurde: We, […] representing […] the universal state of your people of all degrees in this your Realm […] find that if the said Lady should now escape […] death […], your Highness’s person shall be exposed to many more […] secret and dangerous conspiracies than before, and such as shall not or cannot be foreseen and discovered.41 Die Ausübung eines solchen Drucks 36 37 38 39 40 41
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Vgl. Neale 1957 (wie Anm. 35), S. 104. Sir Christopher Hatton’s Speech against Mary Queen of Scots, 3 November 1586, in: T. E. Hartley: Proceedings in the Parliaments of Elizabeth I. 1584–1589 (Proceedings in the Parliaments of Elizabeth I, Bd. 2), London and New York 1995, S. 215–217, hier S. 215. Sir Walter Mildmey’s Speech, in: Hartley: Proceedings (wie Anm. 37), S. 217. Job Throckmorton against Mary Queen of Scots, 4 November 1586, in: Hartley: Proceedings (wie Anm. 37), S. 229–232, hier S. 230. Zum parlamentarischen „Management“ durch den Kronrat in elisabethanischer Zeit vgl. Michael Graves: Managing Elizabethan Parliaments, in: David M. Dean/ Norman L. Jones (Hgg.): The Parliaments of Elizabethan England, Oxford 1990, S. 37–63. Neale: Elizabeth I (wie Anm. 35), S. 114f.
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auf eine Königin war bis dahin singulär. Dieser Weg konnte nur gegangen werden, da Kronrat, Oberhaus und Unterhaus in gleicher Weise daran beteiligt waren. Kronrat und Parlament hatten sich auf diese Weise gegenüber einer selbstbewussten Königin exponiert, die sich der Möglichkeiten und Grenzen ihrer Untertanen sehr bewusst war. Die Vertagung des unbotmäßigen Parlaments stand erneut im Raum: but if […] they [the Parliament] have not some comfort also to see the fruits of their cares […] the thanks will be of small weight to carry into the countries; and then the Realm may call this a vain Parliament, or otherwise nickname it a Parliament of Words.42 Maria wurde am 8. Februar 1587 hingerichtet, nach dem ihr Kronrat Königin Elisabeth schließlich dazu gebracht hatte, ein Blanko-Todesurteil zu unterschreiben. Das Parlament war zu diesem Zeitpunkt bereits wieder vertagt. Während es im Kronrat vor allem um das prekäre Urteil gegen eine Person ging, die der Königin verwandtschaftlich verbunden war ([who is] of that estate and quallity soe nere of her bloud and of her owne sexe43), hatten sich die parlamentarischen Debatten um Maria Stuart als kollektives Sicherheitsproblem gedreht. Weil die kollektive Sicherheit, ausgedrückt in der Formel our safety, als bedroht wahrgenommen wurde, erachteten sich die Parlamentarier des Unterhauses zum Handeln genötigt: Since the Queen, in respect of her own safety, is not to be induced hereunto, let us make petition she will do it in respect of our safety. I have heard she delighteth to be called our mother. Let us desire her to be pitiful over us her children, who have not deserved death.44 Die individuelle Sicherheit der Königin wurde also in Kontrast gesetzt zur ‚eigenen‘ Sicherheit (our safety). Die Königin wurde zugleich zu einer Mutter stilisiert, die für die Sicherheit ihrer Kinder zu sorgen habe. Ein abstrakter Begriff der Sicherheit des Staates oder der Religion hatte sich also noch nicht herausgebildet.
III. Safety of the Nation Rund einhundert Jahre später, im Herbst 1678, sah sich England erneut einer scheinbar groß angelegten Konspiration gegen das Leben des Monarchen ausgesetzt.45 Die Legende vom popish plot war durch den mehrfach konvertierten Hochstapler und zeitweiligen Jesuitenschüler Titus Oates verbreitet worden. Gerüchte darüber breiteten sich rasch aus und befeuerten erneut Ängste vor einem katholischen Umsturz.46 Oates 42 43 44 45 46
Neale: Elizabeth I (wie Anm. 35), S. 132. Ebd. John E. Neale: Elizabeth I and her Parliaments, 1559–1581, o. O. 1953, S. 266. Schon 1673 hatte es jedoch Hinweise auf eine neue Pulververschwörung gegeben, die im Parlament eine Reaktion auslöste. Auch diese erwies sich im Nachhinein als unbegründet. Vgl. Kenneth Harold Dobson Haley: The First Earl of Shaftesbury, Oxford 1968, S. 356. Vgl. John P. Kenyon: The Popish Plot, London 1972; Harris, Tim: Restoration. Charles II and his Kingdoms, 1660–1685, London, New York 2005, S. 136–202; Harris, Tim: London Crowds in the Reign of Charles II. Propaganda and Politics from the Restoration until the Exclusion Crisis (= Cambridge Studies in Early Modern British History), Cambridge 1990.
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behauptete, dass eine vom Papst befohlene Gruppe von Jesuiten und ihre englischen Unterstützer im Adel und der Londoner Kaufmannschaft vorhabe, den kinderlosen Karl II. zu ermorden. So sollte der Weg frei gemacht werden für seinen offen katholischen Bruder Jakob, Herzog von York.47 Ihren Höhepunkt erreichte die Aufregung, als am 12. Oktober 1678 der angesehene Friedensrichter Edmund Berry Godfrey, bei dem Oates seine Geschichte zu Protokoll gegeben hatte, unter mysteriösen Umständen ermordet wurde.48 Von Anfang an gab es im Umfeld des Königs Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Aussagen des notorisch wichtigtuerischen Informanten, doch passten seine Informationen zu gut in das allgemeine Bild einer Bedrohung Englands durch die katholischen Mächte des Kontinents und zum Misstrauen gegenüber dem konvertierten Bruder des Königs.49 Erst zwei Jahre später wurde allgemein anerkannt, dass die Verschwörung und all ihre Verästelungen nur eine Erfindung des nach Aufmerksamkeit suchenden Oates waren. Ob der popish plot von Anfang an von der als Whighs bezeichneten Gruppe um den Earl of Shaftesbury lanciert wurde, ist umstritten.50 Die Verschwörungstheorie spielte ihren Parlamentariern aber bei ihren Bemühungen, den Herzog von York von der Thronfolge auszuschließen, in die Karten.51 Diese exclusion blieb jedoch erfolglos, und der seit 1685 als Jakob II. regierende Stuart wurde erst durch die Glorious Revolution von 1688/98 vom Thron vertrieben.52 Trotz des zeitlichen Abstands hatten die konspirativen Szenarien eines gemeinsam: Die Kinderlosigkeit des Monarchen, freiwillig gewählt oder Schicksal, öffnete den Weg für neue Abzweigungen in der Thronfolge, die beide zu einem katholischen Nachfolger führten. Während es zu elisabethanischer Zeit tatsächlich noch englische Katholiken gab, die einen Umsturz begrüßt hätten, so war dies ein Jahrhundert später nicht mehr der Fall. Auch erschien eine gewaltsame Gegenreformation, wie sie unter Maria Tudor verfolgt und unter Maria Stuart befürchtet worden war, kaum mehr denkbar. 47 48
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Zum Bild James II. als Thronfolger und Katholiken vgl. Kevin Sharpe: Rebranding Rule. The restoration and revolution monarchy, 1660–1714, New Haven (CT) 2013, S. 225–340. Vgl. Claire Walker: ‚Remember Justice Godfrey‘: The Popish Plot and the Construction of Panic in Seventeenth-Century Media, in: Dies./ David Lemmings (Hgg.): Moral Panics, the Media and the Law in Early Modern England, Houndmills/ Basingstoke/ Hampshire/ New York 2009, S. 117–138; Stephen Knight: The Killing of Justice Godfrey. An Investigation into England’s most remarkable unsolved Murder, London 1984. Vgl. zur Angst vor ‚Papisten‘ John Miller: Popery and Politics in England, Cambridge 1978; Krischer: ‚Papisten‘ (wie Anm. 8). Gary Stuart de Krey: The London Whigs and the Exclusion Crisis reconsidered, in: A. L. Beier u.a. (Hgg): The first modern society. Essays in English history in honour of Lawrence Stone (Past and present publications), Cambridge, New York 2005, S. 457–482. Mark Knights: Politics and opinion in crisis, 1678–81 (Cambridge studies in early modern British history), Cambridge 1994. Vgl. Tim Harris: Revolution. The Great Crisis of the British Monarchy, 1685–1725, London 2006; Steven C. A. Pincus: 1688. The First Modern Revolution (The Lewis Walpole Series in EighteenthCentury Culture and History), New Haven 2009.
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In der öffentlichen Meinung der Zeit war diese Gefahr jedoch nach wie vor präsent. Zudem war die Erinnerung an die Verschwörungen der elisabethanischen Zeit, wachgehalten durch verschiedene Publikationen dazu, ein wichtiger Faktor für die Wirkung der Geschichten vom popish plot.53 Auch in der parlamentarischen Debatte spielten Erinnerungen an diese und der Vergleich mit diesen Szenarien eine wichtige Rolle.54 Die zunächst skeptische Haltung der Krone führte in Verbindung mit der aufgeheizten Stimmung in der Stadt nach der Ermordung von Friedensrichter Godfrey dazu, dass das Parlament bzw. die Abgeordneten des Unterhauses den Druck verspürte, Maßnahmen zur Wiederherstellung der Sicherheit zu beschließen.55 Das Parlament trat am 21. Oktober 1678, wenige Tage nach dem Mord, wieder zusammen.56 Schon zu Beginn der ersten Unterhaus-Sitzung verlor die Krone die Kontrolle über die Vorgänge in beiden Häusern.57 Sie scheiterte mit dem Vorhaben, die Behandlung der Angelegenheit wegen der vielfältigen politischen Implikationen den juristischen Instanzen zu überlassen. Die Parlamentarier waren nicht bereit, sich angesichts dieser nationalen Krise völlig auf die zögerliche Regierung zu verlassen. Das Unterhaus stellte aktiv selbst Ermittlungen an, verhörte Zeugen, ließ Häuser durchsuchen und Korrespondenz beschlagnahmen. Dabei bediente man sich der Vollmachten jener Mitglieder, die als Friedensrichter auch Teil des Justizwesens waren. Vor allem in der Anfangsphase spielten dabei Denunziationen und Gerüchte eine wichtige Rolle in der Auseinandersetzung. Sogar Samuel Pepys wurde als papist verdächtigt und hatte Mühe, seinen Ruf vor dem Unterhaus zu verteidigen.58 Die sich an die Parlamentseröffnung anschließenden Debatten auf politischer Ebene bis zur erneuten Vertagung im Januar waren ebenfalls gekennzeichnet von einem akuten Gefühl der Bedrohung und der Angst der Parlamentarier vor persönlichem Schaden durch die Verschwörung: The danger is, as to our Lives, and Liberties, and Religion, and all we have dear to us in the world.59 Zu diesem Gefühl der akuten Bedrohung und der Dringlichkeit trug auch die gewandelte Rolle der Öffentlichkeit bei, die für die politischen Diskussion des späten 16. Jahrhunderts noch keine so besondere Rolle gespielt hatte.60 In der Stadt und im gan53 54 55 56
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Krischer: ‚Papisten‘ (wie Anm. 8), S. 186ff. Vgl. beispielsweise Anchitell Grey: Debates of the House of Commons, from 1667 to 1694: Collected by the Hon. Anchitell Grey (Debates of the House of Commons, Bd. 6) 1763, S. 140. Vgl. Gary Stuart de Krey: London and the Restoration, 1659–1683 (Cambridge studies in early modern British history), New York 2005, S. 157–166; John P. Kenyon: The Popish Plot, o. O. 1972, S. 132–176. Vgl. House of Commons Record Office: Journals of the House of Commons. From October the 10th 1667, In the Nineteenth Year of the Reign of King Charles the Second, to April the 28th 1687, In the Third Year of the Reign of King James the Second, IX (Journals of the House of Commons, Bd. 9), London 1803, 516ff. Vgl. dazu auch Ruth Paley (u.a.): Honour, Interest and Power. An illustrated History of the House of Lords, 1660–1715, Woodbridge 2010, S. 116–124. Vgl. J. R. Tanner: Pepys and the Popish Plot, in: English Historical Review 7 (26/1892), S. 281–290. House of Commons Record Office: Journals (wie Anm. 56), S. 541. Vgl. Jason Peacey: Print and public politics in the English Revolution (Cambridge Studies in Early
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zen Land verbreiteten sich die Nachrichten über die Verschwörung nun in Windeseile. Die neu entstandene Kaffeehauskultur und die leichte Verfügbarkeit von Druckmedien trugen wesentlich dazu bei, dass Informationen schneller verbreitet wurden als noch in den Dekaden vor Beginn des Bürgerkrieges, mit dem das Druckwesen in der Hauptstadt seinen Aufschwung genommen hat.61 Auch Oates veröffentlichte seine Version der Geschichte in Druckform.62 Dies führte zu unzähligen ‚fake news‘ über papistische Umtriebe. Kronrat, Parlament und Justizbehörden waren von dieser Flut an Meldungen zeitweise überfordert.63 Diese Informationen erzeugten wiederum auch häufig erst das diffuse Gefühl der Unsicherheit, das die Beteiligten angesichts unwahrscheinlicher oder beseitigter Gefahren zu starkem Handeln drängte. Massenhafte Berichte über Verschwörungen und Anschlagsversuche entwickelten bereits am Ende des 17. Jahrhunderts eine ungeheure Dynamik. Gerade angesichts der Ungeheuerlichkeiten des popish plot nahm die gefühlte Bedrängung ungeheure Ausmaße an: There is so strange a concurrence of ill accidents at this time, that ’tis not to be wondered at if some very honest and good men begin to have troubled and thoughtful hearts, spricht ein Parlamentarier den Druck an, dem sich auch vernünftige Männer kaum entziehen konnten.64 Angesichts dieser empfundenen Bedrohung hielt es das Unterhaus für notwendig, den Druck auf die zögerliche Obrigkeit zu verstärken. Politisch stand deshalb erneut vor allem die Sicherheitsfrage im Mittelpunkt der Debatten.65 Hatte man zur elisabethanischen Zeit das Problem, wie dargestellt, aus-
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Modern British History), Cambridge, United Kingdom/ New York 2013 (für die Entstehung während des Bürgerkrieges); Alexandra Walsham: ‚This Newe Army of Satan‘: The Jesuit Mission and the Formation of Public Opinion in Elizabethan England, in: Claire Walker/ David Lemmings (Hgg.): Moral Panics, the Media and the Law in Early Modern England, Houndmills/ Basingstoke/ Hampshire/ New York 2009, S. 41–62 (wie Anm. 8) (für die elisabethanische Zeit); Walker: ‚Remember Justice Godfrey‘ (wie Anm. 48); Tim Harris: ‚A sainct in shewe, a Devill in deede‘: Moral Panics and Anti-Puritanism in Seventeenth-Century England, in: Claire Walker/ David Lemmings (Hgg.): Moral Panics, the Media and the Law in Early Modern England, Houndmills/ Basingstoke/ Hampshire/ New York 2009, S. 97–116; Mark Knights: Politics and Opinion in Crisis, 1678–81 (Cambridge Studies in Early Modern British History), Cambridge 2006; Harris, Tim: London Crowds in the Reign of Charles II. Propaganda and Politics from the Restoration until the Exclusion Crisis (Cambridge studies in early modern British history), Cambridge 1990, S. 96–188. Zur Kaffeehauskultur vgl. Brian W. Cowan: The Rise of the Coffeehouse Reconsidered, in: Historical Journal 47/1 (2004), S. 21–46; Steven C. A. Pincus: „Coffee Politicions Does Create“: Coffeehouses and Restoration Political Culture, in: Journal of Modern History 67 (1995), S. 807–834. Vgl. Titus Oates: A true Narrative of the horrid Plot and Conspiracy against his sacred Majesty, the Government, and the Protestant Religion, London 1679. Peter Hinds: ‚The horrid Popish plot‘. Roger L’Estrange and the circulation of political discourse in late seventeenth-century London (British Academy postdoctoral fellowship monographs), Oxford 2010. Vgl. Cornel Zwierlein: Security Politics and Conspiracy Theories in the emerging European State System (15th/ 16th c.), in: Historical Social Research 38/1 (2013), S. 65–95, hier S. 68–73. Das Zitat stammt aus Anon.: The History and Proceedings of the House of Commons from the Restoration to the Present Time, Vol. 1, London 1714, S. 295. Vgl. dazu Anchitell Grey: Debates of the House of Commons, from 1667 to 1694: Collected by the Hon. Anchitell Grey (Debates of the House of Commons, Bd. 6), o. O. 1763, S. 112–114.
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schließlich unter dem Schlagwort safety debattiert, wurde nun vermehrt auf den Begriff security rekurriert. Nicht mehr die Sicherung eines Zustands des wellbeings der Untertanen stand im Vordergrund, sondern die Sicherung der Religion wurde explizit als politisches Ziel benannt: „We are satisfied, both Lords and Commons, that there is a Plot; let us do our part. If this be not done, farewell any attempts to preserve the Protestant Religion!“66 Im Unterschied zur früheren Zeit wurden nun auch konkrete politische Maßnahmen zur Herstellung von Sicherheit diskutiert und beschlossen, die über die Beseitigung von Unsicherheitsfaktoren (wie Maria Stuart) hinausgingen. In diesem Zusammenhang ist der security-Begriff nun in der parlamentarischen Auseinandersetzung besonders präsent: the King is not safe, and we ought by all ways and means to secure the King’s person.67 Security benennt hier nicht den Zustand der Sicherheit, sondern eine Handlung. Sicherheit erscheint nun als vorbeugende Maßnahme, die politisch ergriffen werden kann. Die sprachliche Ausdifferenzierung kennzeichnet damit auch die Entstehung eines neuen Politikfeldes, das explizit als Sicherheitspolitik aufgefasst werden kann.68 Die Parlamentarier waren nicht mehr darauf beschränkt, Bezug auf ihre eigene Sicherheit und ihr Wohlbefinden als Argumentationsmuster zu nehmen, auch wenn diese nach wie vor in den Debatten präsent war. Es kristallisiert sich an dieser Stelle jedoch ein politischer Sicherheitsbegriff heraus, wie er zur elisabethanischen Zeit noch nicht präsent ist: I am as ready to join with you in all the Ways and Means that may establish a firm Security of the Protestant Religion, as your own Hearts can wish: And This not only during My Time (of which I am sure you have no Fear), but in all future Ages, even to the End of the World, versichert der Monarch in einer Rede vor beiden Kammern des Parlaments Anfang November 1678, nachdem er von den Abgeordneten durch Petitionen und Gesetzesentwürfe zum Handeln mehrfach aufgefordert worden war.69 In den Debatten im Unterhaus stand der Begriff im Zentrum der Diskussionen um die Thronfolge und die Sicherheit der Religion: Now it is apprehended that the removal of the Duke [of York] leaves you at full ease and security, that you may act for the safety of Religion and the King’s person.70 I think I have ground to say, that any Laws now in agitation, or others, that may be prepared for the security of the Protestant Religion, will not be opposed by the Duke [of York].71 If we may not make our own Securities, I had rather lay the whole thing upon the King, and leave it to the King, for him to secure it which way he
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Grey: Debates (wie Anm. 65), S. 137. Ebd., S. 134 (Hervorhebung durch den Verfasser). Das tritt besonders deutlich hervor, wenn man zum Vergleich moderne Debatten über ‚innere Sicherheit‘ heranzieht, wie sie in den 1970er Jahren im Zeichen der Bedrohung durch die ‚RAF‘ geführt wurden, vgl. Stephan Scheiper: Innere Sicherheit. Politische Anti-Terror-Konzepte in der Bundesrepublik Deutschland während der 1970er Jahre, Paderborn 2010. Rede des Königs vor beiden Kammern, CJ 09.11.1678. Grey: Debates (wie Anm. 65), S. 136. Ebd.
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please.72 The King’s heart was never more open than in this business. He says, ‚to you it is left entirely to make what security you please‘.73 Das Herstellen von Sicherheit durch aktives politisches Handeln, make security, rückte nun ins Zentrum der Auseinandersetzung zwischen Krone und Unterhaus. Das Aufrechterhalten eines Zustands der Sicherheit (safety) war nur noch ein Teilaspekt hiervon. Politische Maßnahmen wurden nun explizit mit dem Schlagwort security in Verbindung gebracht und als solche sprachlich markiert. Die Ausschaltung des Herzogs von York aus der Thronfolge diente nicht nur der Wahrung der bestehenden Ordnung, sondern erscheint explizit als Maßnahme der Herstellung von Sicherheit für das protestantische Staatswesen. Auch unterhalb dieser hochpolitischen Ebene lassen sich um 1680 zahlreiche Beispiele für diese Begriffsverwendung finden: Die 1678 aktualisierte Testakte, die von allen Akteuren im staatlichen Dienst und im Parlament verlangte, katholischen Dogmen abzuschwören, wurden ebenso als Beitrag to the security of His Majesties sacred person, and government, and the Protestant religion verstanden wie eine königlicher Proklamation, die anordnete, popish recusants in Haft zu nehmen. Parlamentarische Debatten über eine Neuauflage des Bond of Association ließen sich ebenfalls als Beitrag for the preservation of the king’s person, and the security of the Protestant religion erfassen.74 Aber auch jeder einzelne Protestant wurde aufgefordert, sein Handeln und auch seine alltägliche Frömmigkeit darauf hin zu überprüfen, was diese zur security against the designs of our popish enemies beitragen könne.75 Gerade letzteres, der Aufruf an die Gläubigen, zeigt, dass trotz der semantischen Innovationen, der Herausbildung eines Verständnisses von Sicherheit als einem politisch gestaltbaren Zustand, von einer ‚Verstaatlichung‘ dieses Konzepts noch nicht wirklich die Rede sein konnte. Die Herstellung von security galt nicht als eine exklusiv obrigkeitliche, sondern auch als gesellschaftliche Aufgabe. Es gab am Ende des 17. Jahrhunderts noch keine Sicherheitspolitik im modernen Sinne und dem Parlament waren bei der Sicherung des Protestantismus, um das sich das Denken in den Kategorien von safety und security ja vornehmlich drehte, eben doch Grenzen gesetzt. Insofern war es durchaus konsequent, dass jene Akteure, die sich die Sicherung der seit dem Bürgerkrieg erkämpften politisch-religiösen Ordnung auf die Fahnen geschrieben hatten, also die seit dieser Zeit sogenannten Whigs um den Earl of Shaftesbury, an72 73 74 75
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Ebd. Ebd. Anon.: The history of the Association, containing all the debates, in the last House of Commons, at Westminster concerning an association [...], London 1682. Francis Brokesby: A perswasive to reformation and union as the best security against the designs of our popish enemies, London 1680; ferner Joseph Glanville: The zealous, and impartial Protestant, shewing some great, but less heeded dangers of popery. In order to thorough and effectual security against it. In a letter to a member of Parliament, London 1681 oder Anon.: A seasonable advice to all true Protestants in England, in this present posture of affairs. Discovering the present designs of the papists, with other remarkable things, tending to the peace of the Church, and the security of the Protestant relion [sic]. / By a sincere lover of his King and countrey, London 1679.
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gesichts der Erfolglosigkeit ihrer Exklusionspolitik selbst in den Untergrund gingen. Einige besonders radikalisierte Mitglieder dieser Bewegung fassten 1683 den Plan, König Karl II. und den Herzog von York zu erschießen, also eben jenen plot ins Werk zu setzen, den man den ‚Papisten‘ immer unterstellt hatte.76 Interessanterweise blieben infolge dieser Verschwörung, die im Unterschied zum popish plot keine reine Theorie war, Sicherheitsdebatten aus, schon deswegen, weil kein neues Parlament einberufen wurde.77 Doch auch als das Parlament nach der Glorious Revolution wieder regelmäßig tagte, lässt sich eine spezifische Begriffsverwendung nicht nachweisen. Security und safety wurden häufig und in Bezug auf die verschiedensten Gegenstände verwendet. Das fehlgeschlagene Attentat auf König Wilhelm III. 1696 wurde daher auch nicht als Triumph der Sicherheit, sondern der Vorsehung gedeutet.78
IV. Fazit Das frühneuzeitliche England war ein fruchtbarer Boden für allerlei Verschwörungstheorien, Verschwörungen und Anschlagspläne. Während von Seiten der Juristen dabei in erster Linie die Hochverratsgesetzte mobilisiert wurden, auf denen die gerichtlichen Anklagen fußten, die in verbindlichen Entscheidungen bzw. Urteilen münden konnten, diskutierten die Parlamentarier – und hier vor allem die Mitglieder des Unterhauses – derartige Vorgänge mit den Vokabeln safety und security. Der vorliegende Beitrag hat diesen Umstand zum Anlass für eine diskursive Probebohrung genommen: Lassen sich die Wortverwendungen als Indiz für die Anfänge eines Denkens in Sicherheitskategorien deuten, als weiterer Beleg für frühneuzeitliche ‚securitizations‘? Führte zumindest das im späten 16. und 17. Jahrhundert immer wieder aufkeimende kollektive Gefühl der Bedrohung durch ‚papistische‘ Verschwörer und Attentäter zu einer proaktiven Sicherheitspolitik? Die Antwort fällt negativ aus, allerdings in differenzierter und nuancierter Weise. Nach einer historischen Wortfeldskizze und einer historischen Kontextualisierung der untersuchten Verschwörungsszenarien wurde gezeigt, dass die Verwendung von Sicherheitsbegriffen in den Parlamenten von 1571 und 1586 (und hier vor allem der Begriff safety) durchaus als Krisendiagnose und Handlungsprogramm verstanden werden kann. Allerdings diente der Begriff vor allem puritanischen Hardlinern als diskursive Ressource, um eine als zu zögerlich empfundene Königin unter Handlungsdruck zu setzen. Wie eine Mutter habe die Königin den Erhalt der 76 77
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Dazu Melinda Zook: Radical Whigs and Conspiratorial Politics in Late Stuart England, University Park (PA) 1999. Die in diesem Jahr erschienenen Publikationen drehten sich stattdessen um Sicherheit in der Kreditwirtschaft, vgl. etwa Robert Murray, An account of the constitution and security of the general bank of credit, London 1683; Anon., Bank-credit, or, The usefulness & security of the bank of credit examined in a dialogue between a country gentleman and a London merchant., London 1683. Anon., The triumph’s of providence over hell, France & Rome in the defeating & discovering of the late hellish and barbarous plott, for assassinating his Royall Majesty King William ye III, lively display’d in all its severall branches [London] [1696].
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protestantischen Nation zu sichern, und zwar durch die Hinrichtung nicht nur der Verschwörer, sondern auch Maria Stuarts. Besaß der Begriff safety damit eine eher konservative Schlagseite, insofern er auf den Erhalt des Status quo gerichtet war, so implizierte der security-Begriff, der in den parlamentarischen Debatten im Umfeld des popish plot virulent wurden, ein proaktives Element. Diese semantische Verschiebung war auf die im Laufe des 17. Jahrhunderts gewandelte Rolle des englischen Parlaments und insbesondere des Unterhauses zurückzuführen. Waren die konkreten Handlungsmöglichkeiten der Versammlung durch Beschlüsse im 16. Jahrhundert gegenüber dem Monarchen und der Regierung noch sehr begrenzt, hatte sich das Parlament mit der Wiederaufrichtung der Stuart-Monarchie einen größeren Anteil an der Politik des Königreiches gesichert. Es konnte deshalb auch in einer konkreteren Weise über zu ergreifende Maßnahmen beraten. Allerdings zeigten sich hier, dass es vom Sagbaren noch keinen direkten Weg zu Machbaren gab. Der security-Begriff wurden diesmal vor allem von König, Karl II., selbst aufgegriffen, um seine Entschlossenheit gegenüber ‚papistischen‘ Gefährdern zu markieren. Er übernahm damit die von den Whigs verfochtene Sichtweise, dass die Sicherung des Protestantismus und damit die Existenz des englischen Staatwesens von der Sicherheit seiner Person und seines Lebens abhing – jedenfalls so lange, bis nur noch hartgesottene Stuart-Gegner von der Realität des popish plot überzeugt waren. Dass die frühen Whigs allerdings ein eher flexibles Verständnis von staatlicher Sicherheit besaßen, zeigte sich auch daran, dass sie 1683 selbst zum Ausgangspunkt staatlicher Verunsicherung wurden. Der Beitrag kann daher nicht wirklich mit Bausteinen zu einer frühneuzeitlichen Sicherheitsgeschichte im Kontext historisch-politischer Kriminalitätsforschung aufwarten. Wohl aber mit Beispielen dafür, wie flexibel und strategisch Sicherheitsbegriffe in Zeiten der Bedrohung durch Verschwörungen und Attentate gebraucht worden waren. Allerdings wurde durch die Verankerung der Sicherheitsbegriffe safety und security in der parlamentarischen Semantik ein diskursives Fundament geschaffen, auf dem politische Sicherheitsdebatten am Ende des 18. Jahrhunderts aufbauen konnten.
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Der versuchte Anschlag auf Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen im Februar 1673. Politische Kriminalität im Zeitalter Ludwigs XIV.? André Krischer Am Morgen des 8. April 1673 wurde auf dem Markt zu Münster ein Endlicher Rechtstag gehalten.* Dabei handelte es sich um den rituellen Abschluss eines Inquisitionsprozesses, bei dem es nur noch darum ging, dass der Verurteilte sein bereits abgelegtes Geständnis öffentlich wiederholte.1 Johann Adam von der Kette erfüllte diese Erwartung und er fügte sich mit einem Fiat voluntas tua in sein Schicksal. Die Hinrichtung wurde ebenfalls auf dem Markt vollzogen, was zuvor nur in wenigen Fällen praktiziert worden war, so etwa bei den Anführern des Täuferreichs.2 Sie sei inhalts der vorgelesenen Urtheil vorgenohmmen, und recht vollzogen worden. Das Urteil hatte bestimmt, dass Kette zu wohl verdienter Straf, anderen aber zum abscheulichen „Exempel“, erst mit dem Schwerd vom Leben zum Tode hingerichtet, demnächst durch seinen ganzen Leib zu 4 Stücken zerschnitten und zerhauen [...] und solche Viertel nebenst dem Kopf an 4 verschiedenen Orten offentlich gehangen und gesteckt werden.3 Laut der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 (im Folgenden: Carolina), an der sich die Münsterschen Richter orientierten, wurde die Strafe der Vierteilung nur bei einem ganz besonders schweren Verbrechen verhängt, nämlich bei verreterey (Art. 124).4 Dass Kette eben dieses Delikt zum Vorwurf gemacht worden war, zeigt auch ein umfänglicher, in mehreren Abschriften überlieferter Bericht, der offenbar in den Druck gehen sollte, tatsächlich aber nicht publiziert wurde. In großer Ausführlichkeit wurde darin beschrieben, was für eine grausame und gefehrliche Verräterey und Conjuration der Hingerichtete ins Werk gesetzt hatte: Demnach sollte die Stadt Münster ihrem Herrn, dem Fürstbischof von Münster, Christoph Bernhard von Galen, entzogen und *
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Ich danke Johanna Knuf, Miklas Böhmer und Julia Langenbach für die gründliche Lektüre! Die Hinrichtung Kettes folgte weitgehend dem Muster, das Richard van Dülmen: Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafrituale in der frühen Neuzeit, München 1995, S. 105–107 skizziert hat. Zur Geschichte der frühneuzeitlichen Todesstrafe jetzt auch Peter Schuster: Verbrecher, Opfer, Heilige. Eine Geschichte des Tötens 1200–1700, Stuttgart 2015. Die übliche Richtstätte befand sich außerhalb des Ägidiitors auf der sog. Galgheide, vgl. Klaus Gimpel: Nachrichten über die Henker (Büttel, Scharfrichter) in Münster. Henkersturm und Büttelei, in: Westfälische Zeitschrift 141 (1991), S. 151–168. Landesarchiv NRW, Abteilung Westfalen, Best.: Verein für Geschichte und Alterstumskunde Westfalen, Handschriften, Nr. 93, ohne Seitenzählung. Im Folgenden wird daraus zitiert als VGAW 93. Ich zitiere im Folgenden aus Gustav Radbruch, Arthur Kaufmann (Hgg.): Die peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532, Stuttgart 1996.
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in andere Hände geliefert werden, der Fürst aber entweder gefenglich weggeführt, oder gahr umbs Leben gebracht werden.5 Mit anderen Delikten (Majestätsbeleidigung, Verschwörungen, Gefangenenbefreiung, Aufruhr, Geldfälscherei usf.) wurde die Verräterei von den frühneuzeitlichen Juristen zu den Majestätsverbrechen (crimen laesae maiestatis) gezählt. Allerdings waren diese im weitesten Sinne politischen, in irgendeiner Weise gegen die Herrschaftsordnung gerichteten Delikte im 16. und 17. Jahrhundert vor allem Gegenstand der gelehrten Jurisprudenz, während sie im Alten Reich nur in wenigen Fällen praktische Relevanz entfalteten.6 Karl Härter hat gezeigt, wie der Frankfurter Fettmilch-Aufstand von 1614 als Majestätsverbrechen gewertet und bestraft wurde.7 Thomas Dorfner berichtet in diesem Band von einem geradezu aberwitzigen Mordkomplott gegen den Fürsten von Hohenzollern-Hechingen um 1710, das nach seiner Aufdeckung und im Verlauf des gerichtlichen Prozesses aber „entpolitisiert[]“ werden sollte.8 In ihrer Freiheit bedrohte Städte wie Hamburg, Bremen oder Braunschweig führten im 17. Jahrhundert Verratsprozesse gegen Bürger, die den jeweiligen ‚Aggressor‘ unterstützt haben sollten.9 Renate Blickle hat untersucht, wie bayerische Bauern, die während des 5 6
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LWL-Archivamt für Westfalen, Archiv Assen, L.II.B.I.a.64, a (Relatio über die vorgewesene der Statt Münster Verreterey). Das Urteil selbst findet sich in VGAW 93 (wie Anm. 3). Entsprechend fokussierte die Rechtsgeschichte nur die normative Seite dieser Deliktgruppe, vgl. Friedrich Schaffstein: Verräterei und Majestätsdelikt in der gemeinrechtlichen Strafrechtsdoktrin, in: Hans Schneider (Hg.): Im Dienst an Recht und Staat. Festschrift für Werner Weber zum 70. Geburtstag, Berlin 1974, S. 53–68; Friedrich-Christian Schroeder: Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht. Eine systematische Darstellung, entwickelt aus Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung (= Münchener Universitätsschriften Reihe der Juristischen Fakultät, Bd. 9), München 1970. Einen knappen und instruktiven Überblick über die Sanktionspraxis im Reich, allerdings bezogen auf Majestätsbeleidigung, bietet Angela Rustemeyer: Dissens und Ehre. Majestätsverbrechen in Russland (1600–1800) (= Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, Bd. 69), Wiesbaden 2006, S. 36–45. Auf die Diskrepanz zwischen der Prominenz des Delikts in den Normen und seiner geringen Relevanz in der historischen Realität verwies schon Gerd Schwerhoff: Köln im Kreuzverhör. Kriminalität, Herrschaft und Gesellschaft in einer frühneuzeitlichen Stadt, Bonn 1991, S. 205. Vgl. zur Geschichte der politischen Kriminalität in der Frühen Neuzeit und den Tendenzen der Forschung allg. Ders.: Historische Kriminalitätsforschung (= Historische Einführungen, Bd. 9), Frankfurt am Main 2011, S. 170–177; Karl Härter: Political crime in early modern Europe: Assassination, legal responses and popular print media, in: European Journal of Criminology 11 (2014), S. 142–168 sowie den Beitrag von Härter: Attentatsbilder in populären Druckmedien, in diesem Band. Karl Härter: Early Modern Revolts as Political Crimes in the Popular Media of Illustrated Broadsheets, in: Malte Griesse (Hg.): From Mutual Observation to Propaganda War. Premodern Revolts in Their Transnational Representations, Bielefeld 2014, S. 309–350, hier S. 325. Die Kriminalisierung von Protest hatte im Alten Reich Tradition, vgl, Peter Blickle: The Criminalization of Peasant Resistance in the Holy Roman Empire: Toward a History of the Emergence of High Treason in Germany, in: The Journal of Modern History 58 (1986), S. 88–97; Andreas Würgler: Rechtliche Reaktionen auf Revolten – Revolten als rechtliche Reaktionen? Herrschaft und Protest in den frühneuzeitlichen Medien, in: Angela de Benedictis/Karl Härter (Hgg.): Revolten und politische Verbrechen zwischen dem 12. und 19. Jahrhundert. Rechtliche Reaktionen und juristisch-politische Diskurse (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 285), Frankfurt am Main 2013, 147–172. Vgl. den Beitrag von Thomas Dofner in diesem Band, das Zitat auf S.#. Vgl. zu Braunschweig Schuster, Verbrecher, Opfer, Heilige (wie Anm. 1), S. 15–20. Zu Hamburg
Der versuchte Anschlag auf Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen im Februar 1673
Dreißigjährigen Kriegs die Einquartierung von Söldnern ihres Kurfürsten mit einem Aufstand abzuwehren versuchten, vor Gericht zu Verrätern gemacht wurden.10 Helga Schnabel-Schüle hat schließlich herausgestellt, wie durch die Majestätsgesetze Herrschaftskritik unterdrückt werden sollte, wobei es ein Interesse daran gab, dass solche Vorkommnisse nicht allzu publik wurden.11 Der Fall Kette war demgegenüber nicht nur ein Medienereignis, sondern stand als versuchter Anschlag auf einen regierenden Reichsfürsten (soweit ich sehe) im 17. Jahrhundert allein.12 Dabei ist die Quellenlage dazu ausgesprochen gut. Anhand des Falls lässt sich daher zeigen, wie im Alten Reich des späten 17. Jahrhunderts mit einem solchen Vorkommnis umgegangen werden konnte. Das Geschehen ist in der westfälischen Landesgeschichte zwar durchaus bekannt. Es wurde aber stets als kuriose Episode in der Außen- und Kriegspolitik Christoph Bernhards von Galen behandelt.13 Einer kriminalitätshistorischen Lesart, die hier verfolgt werden soll, wurden die Vor-
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Kai Lohsträter: Hinter den Kulissen eines Schreckenstheaters. Der Fall Jastram und Snitger in der Theatrum-Literatur des 17. Jahrhunderts. URL: http://diglib.hab.de/ebooks/ed000156/id/ebooks_ ed000156_article09/start.htm [01.04.2020] und zu Bremen Herbert Schwarzwälder: Geschichte der Freien Hansestadt Bremen, Bd. 1, Bremen/ Hamburg 1975, S. 356ff. Renate Blickle: Rebellion oder natürliche Defension. Der Aufstand der Bauern in Bayern 1633/34 im Horizont von gemeinem Recht und christlichem Naturrecht, in: dies.: Politische Streitkultur in Altbayern. Beiträge zur Geschichte der Grundrechte in der frühen Neuzeit, Berlin/Boston 2017, S. 60–90 (zuerst 1990). Bei Wallenstein handelte es sich zwar um einen politischen Mord, aber um einen solchen ‚von oben‘, der nachträglich damit legitimiert werden sollte, dass der böhmische Feldherr von kaiserlicher Seite als Rebell dargestellt wurde, vgl. dazu Christoph Kampmann: Wallenstein, Eger, 25. Februar 1634, in: Michael Sommer (Hg.): Politische Morde. Von Xerxes bis Zoran Djindjic, Darmstadt 2005, S. 146–156. Zur kaiserlichen Rechtsposition im Fall Wallenstein vgl. ders.: Reichsrecht und politische Strafjustiz im 17. Jahrhundert. Der Wiener Hof und Wallensteins Untergang, in: Heinz Mohnhaupt/ Dieter Simon (Hgg.): Vorträge zur Justizforschung. Geschichte und Theorie, Bd. 2, Frankfurt a.M. 1993, S.175–212. Helga Schnabel-Schüle: Das Majestätsverbrechen als Herrschaftsschutz und Herrschaftskritik, in: Aufklärung 7/2 (1994), S. 29–48. Injurien lagen auch den Anklagen wegen Majestätsbeleidigung im Frankfurt des 18. Jahrhunderts zugrunde, vgl. Joachim Eibach: Frankfurter Verhöre. Städtische Lebenswelten und Kriminalität im 18. Jahrhundert, Paderborn 2003, S. 138. Ganz anders als in England, wo Anschlagsvorwürfe und deren gerichtliche Verhandlungen über die ganze Frühneuzeit verteilt vorkamen, vgl. dazu die Beiträge von Benedikt Nientied und Matthias Friedmann in diesem Band. Allerdings blieb es in England beim Vorwurf der Anschlagsplanung, während in Frankreich mit der Ermordung Heinrichs III. (1589) und Heinrichs IV. (1610) Anschläge auch durchgeführt und mit der Attacke des Robert François Damiens auf Ludwig XV. zumindest versucht wurde, vgl. dazu den Beitrag von Tilman Haug in diesem Band. Für die älteren Historiker stand Christoph Bernhard von Galen dabei in einer Reihe mit dem Kölner Kurfürsten Max Heinrich oder Wilhelm Egon von Fürstenberg-Heiligenberg, deren Nähe zu Frankreich immer auch als ein Zeichen an mangelnder Reichstreue gewertet wurde. Eine alternative, die komplexen politisch-sozialen Verflechtungen der Zeit berücksichtigende Interpretation bietet Tilman Haug: Ungleiche Außenbeziehungen und grenzüberschreitende Patronage. Die französische Krone und die geistlichen Kurfürsten (1648–1679) (= Externa, Bd. 6), Köln 2015; ders.: Small powers and great designs. Subsidies, diplomacy, and state formation in Europe, 1494–1789, in: Erik Bodensten/ Svante Norrhem/ Erik Thomson (Hgg.): The problems with receiving subsidies. Sweden and the lesser powers in the long eighteenth century, Lund 2020, S. 188–212.
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gänge im Frühjahr 1673 noch nicht unterzogen. Was aber impliziert diese Lesart? Ich werde in den Abschnitten II und III herausarbeiten, wie das Deutungsmuster von der gefehrliche[n] Verräterey an Kontur gewann, wer diese Deutung unterstützte, wie sie zum Gegenstand eines gerichtlichen Prozesses gemacht wurde, welche (öffentlichen) Resonanzen und Deutungskonflikte damit einhergingen – und wie diese auf den Fall zurückwirkten. Es geht dabei weniger um eine Ideengeschichte des Verrats14, sondern um die Frage, wie diese Deutung ‚fabriziert‘, wie sie also innerhalb eines Kontextes von Fahndungs- und Sicherungsaktivitäten praktisch erzeugt und mit Relevanz aufgeladen wurde.15 Auf diese Weise soll verdeutlicht werden, wie sich die Kriminalisierung des Vorfalls konkret „als Interaktions- und Zuschreibungsprozess“ zwischen unterschiedlichen Akteuren und widersprüchlichen Informationslagen vollzog.16Abschließend soll gefragt werden, ob der Fall Kette ein Indiz dafür ist, dass die Beseitigung von Fürsten, die aus kaiserlicher Sicht illoyal agierten, im Zeitalter Ludwigs XIV. denkbar geworden war (IV). Zunächst seien aber kurz die Vorgeschichte des Plans und Kettes Aktivitäten bis zu seiner Verhaftung skizziert (I).
I. Galens Außenpolitik, Kettes Plan und das Kalkül des Kaisers Christoph Bernhard von Galen (1606–1678) gehörte bekanntlich zu jenen Reichsfürsten, die sich nach dem Westfälischen Frieden auf energische Weise einen Platz in der europäischen Fürstengesellschaft zu erkämpfen versuchten – auch im Wortsinn.17 Galen wurde zwar 1651 zum Bischof geweiht, aber das stand seinen kriegerischen Aktivitäten nicht im Weg.18 Vielmehr formte der Bischof in den 1650er Jahren aus ehemaligen kaiserlichen Söldnern ein stehendes Heer von rund 3000 Mann und quar14 15
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Vgl. dazu André Krischer: Von Judas bis zum Unwort des Jahres 2016. Verrat als Deutungsmuster und seine Deutungsrahmen im Wandel. Eine Einleitung, in: ders. (Hg.): Verräter. Geschichte eines Deutungsmusters, Wien/ Köln/ Weimar 2019, S. 7–44. ‚Deuten‘ wird damit nicht als mentaler oder kommunikativer Vorgang, sondern als eine soziale Praxis mit materiellen, körperlichen und zeitlichen Dimensionen gefasst, im Sinne von Marian Füssel: Praxeologische Perspektiven in der Frühneuzeitforschung, in: Arndt Brendecke (Hg.): Praktiken der Frühen Neuzeit. Akteure, Handlungen, Artefakte (= Frühneuzeit-Impulse, Bd. 3), Köln/ Weimar/ Wien 2015, S. 21–33. Schwerhoff: Historische Kriminalitätsforschung (wie Anm. 6), S. 36. Für eine gesellschaftliche Einbettung des Inquisitionsprozesses mit Blick auf vorausgehende, einhergehende und nachfolgende Interaktionen mit der sozialen Umwelt plädierte bereits Karl Härter: Strafverfahren im frühneuzeitlichen Territorialstaat. Inquisition, Entscheidungsfindung, Supplikation, in: Andreas Blauert/ Gerd Schwerhoff (Hgg.): Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne (= Konflikte und Kultur, Bd. 1), Konstanz 2000, S. 459–480. Grundlegend dazu ist immer noch Wilhelm Kohl: Christoph Bernhard von Galen. Politische Geschichte des Fürstbistums Münster 1650–1678, Regensburg 1964. Zum Verhältnis von geistlichem Amt und weltlich-militärischer Machtpolitik bei Galen und anderen Fürstbischöfen um 1700 vgl. Bettina Braun: Princeps et episcopus. Studien zur Funktion und zum Selbstverständnis der nordwestdeutschen Fürstbischöfe nach dem Westfälischen Frieden (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Bd. 230), Göttingen 2013.
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tierte diese in den Städten seines Hochstifts ein, sehr zum Missfallen der jeweiligen Einwohner. Als Verbündeter des englischen Königs ließ er 1665 seine Truppen in die Niederlande einfallen. Als Verbündeter Ludwigs XIV. belagerte er 1672, am Beginn des Holländischen Kriegs, mit einem Heer von rund 25.000 Mann (erfolglos) die Stadt Groningen, was ihm in den Niederlanden wegen des massiven Artillerieeinsatzes den Schimpfnamen Bommen Berend (‚Bomben Bernd‘) einbrachte.19 Bereits 1660/61 hatten Galens Soldaten die Stadt Münster bezwungen, die ihre während der westfälischen Friedensverhandlungen zugestandene Autonomie bei Gelegenheit gern zu einem reichsstädtischen Status ausgebaut hätte.20 Einige Protagonisten der Unabhängigkeitsbewegung verließen nach der Kapitulation die Stadt, die in den folgenden Jahrzehnten durch eine vom Bischof eingesetzte Ratsobrigkeit regiert wurde.21 Ins Exil nach Wien ging auch der Bürger und kaiserliche Rittmeister Jakob von der Kette, dessen Sohn Johann Adam wiederum in die Dienste des einflussreichen Reichshofrats Ferdinand Graf von Harrach trat. Durch dessen Fürsprache gelang es dem jungen Kette, Kaiser Leopold I. am 14. Januar 1673 einen durchaus abenteuerlichen Plan vorzulegen.22 Demnach wollte Kette in Münster dafür sorgen, dass die bischöflichen Soldaten, ohne verlierung einiges mans, zum Kaiser überliefen. Und auf allergnädigste beliebungh wäre es auch möglich, den herren bischoffen in dero [also kaiserliche, A.K.] hände zu liefern. Für machbar hielt Kette diesen Coup deswegen, weil in Münster die vornembste obriste kriegsofficierer und commendanten ob der Allianz ihres Fürsten mit Frankreich voller Skrupel seien und einen Seitenwechsel zum Kaiser ohnehin in Erwägung zögen. Kette wollte all dies aus sicherer Quelle wissen, nicht zuletzt, weil er mit verschiedenen Offizieren dem geblüth nach alliirt sei.23 Kette lief mit seinem Plan im Prinzip offene Türen ein. Alles, was zur Schwächung des Bischofs von Münster führen konnte, lag im kaiserlichen Interesse. Galens Vorstöße gegen die Niederlande, in einem Offensivbündnis mit Frankreich, wurden in Wien als Bedrohung der post-westfälischen Friedensordnung und als Infragestellung der kaiserlichen Autorität gesehen.24 Wegen der bischöflichen Aggressionen hatte der Kaiser Truppen unter der Führung der Feldherren Raimondo Montecuccoli und Alexander von Bourneville ins südliche Münsterland verlegt und war eine Allianz mit dem Kurfürsten von Brandenburg eingegangen. Zudem rief der Kaiser durch sogenannten 19 20 21 22 23 24
Vgl. etwa Jutta Nowosadtko: Stehendes Heer im Ständestaat. Das Zusammenleben von Militärund Zivilbevölkerung im Fürstbistum Münster 1650–1803 (= Forschungen zur Regionalgeschichte, Bd. 59), Paderborn 2011, S. 6. Dieter Zeigert: Die Artillerietruppe des Fürstbistums Münster 1655–1802, in: Westfälische Zeitschrift 134 (1984), S. 9–106. Vgl. dazu Uwe Goppold: Politische Kommunikation in den Städten der Vormoderne. Zürich und Münster im Vergleich (= Städteforschung Reihe A, Darstellungen, Bd. 74), Köln 2007, S. 149–151. Kohl: Christoph Bernhard (wie Anm. 17), S. 376. nennt noch weitere Personen, die als Fürsprecher in Frage kamen. Wilhelm Kohl (Hg.): Akten und Urkunden zur Außenpolitik Christoph Bernhards von Galen, Münster 1983, Bd. 3, Nr. 975. Karl Ottmar Freiherr von Aretin: Das Alte Reich 1648–1806. Föderalistische oder hierarchische Ordnung (1648–1684), Stuttgart 1993, S. 247–249.
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Avokatorialmandate die Soldaten des Bischofs auf, abzudanken und aus einander zu gehen.25 Wie so vieles im Alten Reich war allerdings auch die Verbindlichkeit und Durchsetzbarkeit solcher Mandate unklar. Womöglich sah man in Kette eine Art von Resonanzverstärker, der die Mandate vor Ort an die Landstände des Hochstifts (Domkapitel, Ritterschaft und Städte) im kaiserlichen Namen aushändigen sollte, wozu er sich mit eigenen Beglaubigungsschreiben (Kreditiven) als Wiener Emissär vorstellen konnte.26 Am 23. Januar wurde ihm aber zunächst ein an Montecuccoli adressierter Brief ausgestellt, der besagte, dass dem Kaiser die in einem geheimben negotio vogestellten Pläne allergnedigt gefallen haben und Kette nun bestendtig unter kaiserlicher Protektion stehe.27 Ob es der Kaiserhof aber auch für gut hielt, Galen gefangen zu nehmen, ging aus dem Schreiben nicht hervor.28 Deutlich wurde daraus nur, dass Kette in das Kalkül eingebunden war, Galens Soldaten mittels der Mandate zum Abdanken zu bringen.29 In Montecuccolis Feldlager wurde Kette mit einem Schutzbrief ausgestattet, der ihn als Beauftragten des Grafen Harrach auswies, für den er in Münster eine Erbsache zu regeln vorgab. Am 7. oder 8. Februar erreichte Kette dann Münster30, einen Tag zuvor hatte Bourneville ein neuerliches Avokatorialmandat publizieren lassen.31 Nach seiner Ankunft quartierte sich Kette bei seinem Schwager Dr. Göckmann ein. In dessen Haus am Dom fanden an den nachfolgenden Abenden verschiedene Zusammenkünfte mit Personen statt, die Kette für sein Vorhaben gewinnen wollte. Darunter waren Bürger wie der Altermann (= Gildemeister) Klute, der Ratsherr Schwick, der Gerichtsprokurator Zurwellen, der Syndikus der Ritterschaft, Wittfeld, und ein Dr. Lagemann. Um diese Männer für sich einzunehmen, insinuierte Kette, dass Münster bei Gelingen des Vorhabens mit der Erhebung zur Reichsstadt belohnt und damit ein alter bürgerlicher Traum wahr werde.32 Bei einem dieser Treffen waren auch der malkontente Stadtkommandant Johann Ludwig Rheingraf von Salm-Dhaun (1620–1673), dessen Obristwachtmeister Göcking sowie andere Offiziere zugegen.33 25
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So die Definition eines Mandatum avocatorium in Johann Heinrich Zedler: Grosses Vollständiges Universal-Lexicon [...], Bd. 19, Halle / Leipzig 1739, Sp. 891. Es handelte sich dabei rechtlich gesehen nicht um einen Aufruf zum Desertieren, weil sich der Aufruf an die Soldaten eines Unruhestifters und Rebellen richtete, dessen Kriegführung als illegitim galt. Ausgestellt am 23. Januar 1673, abgedruckt bei Eberhard Wiens: Sammlung fragmentarischer Nachrichten über Christoph Bernard von Galen, Fürstbischof zu Münster, Münster 1834, S. 445. Kohl: Akten (wie Anm.23), Nr. 981. Helmut Lahrkamp: Galens städtische Widersacher. Streiflichter zur Erhellung der münsterischen Opposition gegen den Fürstbischof Christoph Bernhard. In: Westfalen 51 (1973), S. 238–253, hier: S. 252–253. Kohl: Akten (wie Anm. 23). So die Vermutung der Münsterschen Räte in ihrem Bericht zur Generalinquisition, vgl. VGAW 93 (wie Anm. 3), Bericht vom 28.02.1673. Kohl: Christoph Bernhard (wie Anm. 17), S. 375. Wiens: Sammlung (wie Anm. 26), S. 417. Diese Vorgänge werden im Detail geschildert bei Karl Tücking: Geschichte des Stifts Münster unter Christoph Bernard von Galen unter Benutzung vieler bisher ungedruckter, archivalischer Dokumente,
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Kette fühlte sich offenbar durch Schutzbrief und Kreditive so sicher, dass er am 12. Februar sogar den Erbmarschall Morrien einlud, der mit Galen noch eine alte Rechnung offen hatte.34 Während Morrien die Einladung ausschlug, folgte ihr jedoch Oberst Fisnack, der Kommandant der Coesfelder Festung, wo sich Galen häufig aufhielt. Beim nächsten Treffen wurde folgender Plan ausgeheckt: Salm sollte die Stadttore für die kaiserlichen und brandenburgischen Truppen öffnen. Göcking und Zurwellen sollten Galen derweil gefangen nehmen. Sofern man ihn lebend ergreife, müsse er gezwungen werden, eine Kapitulation zu unterzeichnen.35 Umgesetzt werden sollte dieser Plan am 24. Februar, als Galen zur Priesterweihe in der Stadt erwartet wurde. Als aber wenige Tage später klar wurde, dass er nicht nach Münster reisen würde, aktivierte Kette seinen Plan B: Er suchte am Morgen des 20. Februar unter einem Vorwand den Obristen Meinartshagen auf und bat ihn um ein Gespräch unter vier Augen.36 Der Oberst sagte später aus, dass ihn Kette mit erhobener Hand Verschwiegenheit an Eidesstatt angeloben ließ und ihm anschließend 10.000 Reichstaler an Belohnung versprochen habe, wenn er den Bischof verhaftete – lebendig oder todt.37 Der Oberst fragte daraufhin, wie Kette sich den Anschlag auf Ihr. H. Fürstl. Gn. Person denn praktisch vorstelle. Kette soll ihm das dann damit verdeutlicht haben, dass er gegen die Thüre mit dem Degen Zeichen gegeben wie man einen durchstoßen sollte, und wie er sich recht erinnert, hätte er dazu gesagt ‚kapot, kapot‘.38 Kette widersprach dieser Behauptungen bei den Vehören auch unter Anwendung der Folter vehement. Unabhängig davon war es aber leichtsinnig, sich mit seinem gewagten Vorhaben an den ihm kaum bekannten Meinartshagen zu wenden. Offenbar überschätzte er die Bereitschaft der Offiziere, ins kaiserliche Lager zu wechseln. Oberst Meinartshagen machte jedenfalls unmittelbar nach der Unterredung mit Kette Meldung beim Hofkammerpräsidenten Dietrich Hermann Freiherr von Merveldt. Kette kontaktierte derweil weitere Offiziere, darunter den Kommandanten der Münsteraner Zitadelle, Oberst Töllner. Am 21. Februar ließ er diesem Obristen die schriftliche Mitteilung zukommen, dass er im Auftrag des Kaisers gekommen sei, um die Fürstl. Münstersch. Soldatesca abzudanken und des Herrn Bischoffen fürstl. Gnaden eigener Persohn in Sicherheit zu nehmen. Töllner möge ihm daher die Schlüssel zur Zitadelle in sein Quartier bringen und fernere Ordre abwarten. Das Schreiben schloss mit per Imperatorem. J.A.v.d. Ketten, kayserl. Abgeordneter.39 Töllner leitete dieses Schreiben unmittelbar an
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Münster 1865, S. 199–201, kursorisch auch bei Kohl: Christoph Bernhard (wie Anm. 17), S. 375– 378. Galens Vater hatte Morriens Vater 1607 auf dem Domplatz in Münster erstochen, vgl. dazu Frank Dierkes: Streitbar und ehrenfest. Zur Konfliktführung im münsterländischen Adel des 16. und 17. Jahrhunderts (= Westfalen in der Vormoderne, Bd. 1), Münster 2007, S. 146ff. Tücking: Geschichte (wie Anm. 33), S. 202–203. Ebd., S. 203. Wiens: Sammlung (wie Anm. 26), S. 434. Ebd. VGAW 93 (wie Anm. 3), vom 21.02.1673.
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Galen weiter, der sich in Kloster Kappenberg aufhielt und am Abend des 22. Februar den Befehl erteilte, Kette zu verhaften, was am nächsten Morgen auch geschah.40
II. Die Fabrikation eines Verbrechens Sieben Tage später, am Nachmittag des 1. März, begann der Prozess gegen Kette auf der großen Stube des Rathauses. Zunächst wurden mehrere bischöfliche Räte als Richter vereidigt und die damit für die Dauer des Verfahrens von ihren Verpflichtungen gegenüber dem Bischof entbunden. Danach ließ man Kette vor die Richter treten.41 Anschließend übergab der als Ankläger fungierende Landfiskal Beckhaus die Kriminalartikel und warnte Kette davor, die Unwahrheit zu sagen und Meineid zu begehen. An diesem Punkt ergriff Kette das Wort und protestirte über den Ausdruck ‚Criminal‘, da er nicht als ein privatus, sondern als Mandatarius des Kaisers und des heil. Röm Reichs Wohlfahrt gehandelt habe.42 Kette gründete seine Verteidigung im Folgenden ganz wesentlich auf die Behauptung, als Beauftragter des Kaisers gar nichts Strafwürdiges begangen haben zu können. Auch seine Anwälte, die ihm später von Amts wegen zur Seite gestellt wurden, pochten vor allem auf diesen Umstand. Beim Prozessauftakt lehnten die Richter die Entscheidung über diese Statusfrage allerdings ab und verfügten, dass er vielmehr auf die Klageartikel zu antworten habe. Eingangs wurde Kette daher gefragt, ob die Verrätehery nicht ein grobes und schändliches Laster sey, welches in allen Rechten und kayserl. peinlicher Halsgerichtsordnung bei großen und schweren Strafen verboten, ob es nicht wahr sei, dass den Verdacht eines so abscheulichen Lasters diejenige auf sich laden, welche eine sichere Ursache ihres Anwesens vorwenden und prätextieren, in der That aber und heimlich ein anderes handeln und negotiieren?43 Die Vorwürfe der Verrätherey und der Täuschung waren für diesen Prozess sorgsam vor- und aufbereitet worden. Im Folgenden soll rekonstruiert werden, wie diese Verratsvorwürfe in den Tagen zwischen der Verhaftung Kettes und dem Prozessbeginn Gestalt annahmen und manifestiert wurden. Damit soll gezeigt werden, wie der Vorwurf allmählich von unterschiedlichen Akteuren in einem spezifischen medialen und praktischen Gefüge ‚fabriziert‘ wurde. Fabrizieren bedeutet nicht fingieren, sondern verweist auf die kooperativen Dimensionen einer Deliktkonstruktion, auf die verteilte Herstellung von Textmaterial und 40 41 42 43
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Tücking: Geschichte (wie Anm. 33), S. 204–205. Die Prozessakten wurden auszugsweise und in moderner Schreibweise ediert von Wiens: Sammlung (wie Anm. 26), S. 424–444. Ebd., S. 424. Ebd., S. 425. Die zweite Frage diente vor allem dazu, nach Art. 42 der Carolina (wie Anm. 4) den Anfangsverdacht der verreterey zu bestätigen, wonach gnugsam anzeygung zur Einleitung der der Spezialinquisition, also auch der Folter, vorlagen, wenn sich der Verdächtigte in vngewonlicher und geferlicher weiß bei denjenigen verhalten, die er zu verraten vorhabe, vnd sich doch stellet, als sei er vor denselben vnsicher.
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Wissensbeständen.44 Denn was sich rückblickend als kompakter Fall erzählen ließ, beruhte tatsächlich auf heterogenen Textbausteinen aus Verhörprotokollen, Berichten, Dekreten und abgefangener Korrespondenz. Erst die Verknüpfung dieser Bausteine in den Berichten der Inquisitoren verlieh Kettes Machenschaften eine strafrechtlich relevante Finalität. So wurde darin z.B. jedes abendliche Treffen im Hause Göckmann als konspirativ dargestellt, während Kette aber dort auch Personen empfing, für die er bei seiner Rückkehr nach Wien ein gutes Wort einlegen sollte, die ihn somit als Patronagemakler und nicht als Verschwörer betrachteten.45 Ohne Frage mochte es bedrohlich geklungen haben, was die beiden pflichtbewussten Obristen Meinartshagen und Töllner dem Hofkammerpräsidenten über Kettes Pläne und Umtriebe berichteten. Aber erst, indem die Informationen über diese Umtriebe in spezifischer Weise versprachlicht und vor allem verschriftlicht wurden, entstand daraus ein fassbares und verhandelbares Bedrohungsszenario. Dieses Szenario gewann für die Beteiligten durch die dichte Korrespondenz zwischen Galen und seinen in Münster befindlichen (heimgelassenen) Räten eine geradezu objektive Gestalt.46 Die Räte hatten die Vorgänge zu untersuchen, Verdächtige zu verfolgen, zu verhaften und zu verhören, und später sollten sie auch als Richter fungieren. Schauen wir uns die einzelnen Schritte dieser Fabrikation nun genauer an: In Galens Haftbefehl vom 22. Februar, mit dem Kette und Göckmann in der Zitadelle festgesetzt wurde, stand noch nichts von Verrat. Im Schreiben der Räte am folgenden Tag war davon die Rede, was fur grausame und gefehrliche Sachen man durch die Hinweise von Meinartshagen aufgedeckt und was für gefehrliche Schreiben man bei seiner Verhaftung im Hause Göckmann gefunden habe.47 Damit befanden sich die Schutzbriefe, Avokatorialmandate und Kreditive nun in den Händen der Räte, die sie kopierten und an Galen weiterleiteten. Während die Räte aber noch überlegten, wie diese Schreiben strafrechtlich zu bewerten waren, ob etwas darin begriffen, wonach man sich in formirung des criminal processus zu richten haben mögte48, hatten Galens Soldaten einen Boten mit einem noch viel heikleren Schriftstück abgefangen, nämlich mit einem Brief Kettes an Bourneville. Darin wollte Kette den kaiserlichen Feldherrn eigentlich nur mit ein paar Zeilen daran erinnern, dass man beim Erfolg des bewussten dessein bzw. der entrepise auch an den 44
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In der Kriminalitätsgeschichte verwendet wurde diese Formulierung bereits im Titel des Buches von Regula Ludi: Die Fabrikation des Verbrechens. Zur Geschichte der modernen Kriminalpolitik 1750– 1850 (= Frühneuzeit-Forschungen, Bd. 5), Tübingen 1999. Beim Begriff der „Fabrikation“ beziehe ich mich hier jedoch auf Bruno Latour, der Recht nicht als individuell-gedankliche, sondern als soziomaterielle Leistung versteht, vgl. Bruno Latour: Die Rechtsfabrik. Eine Ethnographie des Conseil d'État, Konstanz 2016; vgl. dazu demn. auch Alexander Georg Durben: Die Fabrikation der Entscheidung. Der Court of King’s Bench und der Court of Common Pleas ca.1750–1850 (= Verfahren, Verhandeln, Entscheiden, Bd. 7), Münster 2020. Wiens: Sammlung (wie Anm. 26), S. 200. Die ‚heimgelassenen Räte‘ waren die in Münster ansässigen Geheimräte des Fürstbischofs, vgl. dazu Goppold: Politische Kommunikation (wie Anm. 21), S. 66f. VGAW 93 (wie Anm. 3), Schreiben vom 23.02.1673. Ebd., Schreiben vom 24.02.1673.
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Stadtkommandanten Graf Salm und dessen Wachtmeister Göcking denken möge. Besonders Göcking habe ihm nämlich in dieser Sache mitt allen Eiffer assistirt. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Briefs wurden Salm und Göcking in Burgsteinfurt verhaftet, konnten aber in der darauffolgenden Nacht schon wieder entfliehen. Gleichwohl hatten die Räte mit diesem Schreiben nunmehr ein corpus deliciti in der Hand49, war hier doch Schwarz auf Weiß von einer entreprise bzw. einem dessein die Rede, beide Begriffe konnten in dieser Zeit als Synonyme für Verschwörung verstanden werden.50 Tatsächlich wurden die Räte von den Begriffen geradezu alarmiert: Den Bürgern wurden zusätzliche Wachdienste anbefohlen, die Posten an den Stadttoren verstärkt, Soldaten in der Stadt auf Patrouille geschickt und auch sonsten solche Anstalten gemacht, daß hiesige Statt gegen einen feindtlichen Uberfall und einige unentdeckter entreprise nach Muglichkeit versichert sei.51 Durch das Schreiben an Bourneville müsse man nämlich davon ausgehen, dass Kette bei der incaminirung (Anstiftung) des Anschlags Komplizen gehabt habe, deren Namen man nun dringend in Erfahrung bringen müsse. Von Kette gehe allerdings keine Gefahr mehr aus, der sei zu mehrerer seiner Versicherung nunmehr ahn Handt und Fußen in Eisen gelegt worden.52 In Kenntnis dieses Schreibens wählte Galen von nun an drastische Worte. In seiner noch am Abend desselben Tages in Münster eingetroffenen Antwort nannte er die Vorgänge eine gegen uns und unseren Statum in unserer Statt Münster höchstgefehrliche Verrähterey. Er stellte fest, dass Kette und Göckmann zwar in der Zitdadelle, aber an dieser Verrahtsache unterschiedtliche Persohnen werden schuldig seien, weswegen alle, die mit Kette in Kontakt standen oder sonst suspect sein, ohne alles respect der persohnen, der familie, geist- oder weltlichen standt und wesens, aller orthen, woh dieselbe sich auffhalten, dieselben sei immun oder nicht, kirchen oder clöster […] in arrest zu nehmen. Auch bei suspecten ordens persohnen sei eine starcke handt angezeigt. Werde man aber gewahr, dass der verrath so groß sei, dass die örtliche militz damit überfordert sei, oder sollte sich zeigen, dass kaiserliche und brandenburgische Truppen anrückten, möge man sich hilfesuchend an den französischen Feldherrn Turenne wenden, der am Niederrhein zu finden sei. Vor allem sei mit allem Eifer nach dem entflohenen Grafen Salm und nach Göcking zu fahnden.53 Mit welchen Bedeutungen wurde der bis dahin für eine grausame und gefehrliche Sache[] gehaltene Vorfall aufgeladen, wenn der Begriff ‚Verrat‘ ins Spiel kam? Sollte Galen, der selbst Jurist war, dabei auf den Tractatus Criminalis des Tiberio Deciani zurückgegriffen haben, den zumindest sein Landfiskal Beckhaus im Regal stehen hatte54, dann konnte er daraus entnehmen, dass Verrat das crimen atrocissimum sei, weil 49 50 51 52 53 54
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Wiens: Sammlung (wie Anm. 26), S. 440, Nr. 3.3. Guy Miege: The Short French Dictionary, in Two Parts. The 1. English and French, 2. French and English; According to the Present Use, and Moden Orthography, London 1690, Lemma 'Plot'; Pierre Jurieu: Les derniers efforts de l'innocence affligée, Amsterdam 1682, S. 206. VGAW 93 (wie Anm. 3), Schreiben vom 24.02.1673. Ebd. Ebd., Schreiben Galens vom 24.02.1673. Tiberio Deciani: Tractatus Criminalis [...] Frankfurt am Main 1590. Beckhaus fertigte unter Verweis
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es jenes Vertrauen zersetze, das die societas humana im Innersten zusammenhalte.55 Verrat galt im 17. Jahrhundert zwar immer noch als die Judas-Tat56, besaß aber auch schon säkulare Dimensionen, wenn Kette der Verrat an sein eigen Vaterland (also der Stadt Münster) vorgeworfen wurde.57 Der Verräter galt damit nicht nur als ein besonders schlimmer Verbrecher, sondern noch mehr als das: Er galt als Feind, für den ein qualvoller Tod die angemessene Strafe war.58 Nicht nur die Münsteraner Räte übernahmen in ihrem Schreiben vom 25. Februar den Begriff der Verrätherey und damit Galens Situationsdefinition. Auch der Generalvikar Johann von Alpen, der von Galen wegen der suspecten Kleriker angeschrieben worden war, unterstützte die Deutung seines Bischofs, wenn er erklärte, dass bei dieser unerhörte[n] verretherey geistliche Immunitäten nicht zählten und auch dort nach Verdächtigten gefahndet werde.59 Indem Bischof, Räte und Angehörige des Klerus darin übereinkamen, mit ‚Verräterei‘ konfrontiert zu sein, erhoben sie diese Deutung zugleich auch zu einem diskursiven Objekt, zu einem im Schriftbild akzentuierten, geradezu vergegenständlichten Begriff, der in der nachfolgenden Korrespondenz gewissermaßen hin- und hergereicht und dabei als immer bedrohlicher erachtet wurde. Am 2. März erklärte Galen, dass ihm dieser verraht wie länger so gefehrlicher vorkombt.60 Allerdings erwuchs die Deutung des Geschehens als einer bedrohlichen, gefährlichen und unübersichtlichen Verräterei nicht nur kommunikativer Abstimmung, sondern auch aus nicht-diskursiven Aktivitäten wie der Verstärkung der Torwachen, innerstädtischen Patrouillen oder Galens ständigen Ortswechseln. Fast jedes Schreiben an seine Räte Ende Februar und Anfang März ging von einer anderen Burg oder Feste im Hochstift aus. Bis zum Ende des Prozesses pendelte Galen zwischen Kappenberg, Sassenberg, Rheine, Ostendorf, Wolbeck, Warendorf, Assen und der Ludgerusburg in Coesfeld. Die rasche, fast schon hektische Abfolge der Korrespondenzen trug zur Erzeugung des Bedrohungsszenarios ebenfalls bei. Galen hatte befohlen, zweimal täglich über die Ermittlungen informiert zu werden, um punktgenaue Entscheidungen treffen zu können.61 Boten waren also die ganze Zeit über zwischen Münster und Galens jeweiligen Aufenthaltsorten unterwegs.62 Über die ‚anhaltende Gefahr‘ (pericula per-
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auf Deciani seine rationes decidendi an, vgl. unten, S. 110–111. Maximum & atrocissimum est hoc crimen proditionis, nam cum il magis homini conueniat quam fidem seruare […], consequens est, vt fidem frangere, ius gentium laedat, ac vinculam quo humana societas contineatur, disrumpat […], ebd., Lib. VII. Cap. XXX, §1. Ebd. Wiens: Sammlung (wie Anm. 26), 427, Klagartikel Nr. 21. Die konfessionsübergreifende Gleichsetzung von Verräter und Feind findet sich etwa bei Johann Jacob Bauller: Hell-polirter Laster-Spiegel. Underschiedlich in sich haltend alle und jede Fugienda, was ein Christ Böses fliehen soll […], Ulm 1681, S. 919. VGAW 93 (wie Anm. 3), Schreiben vom 25.03.1673. Ebd., Schreiben Galens vom 02.03.1673. Ebd., Schreiben Galens vom 24.02.1673. Wiens: Sammlung (wie Anm. 26), S. 446, Nr. 7.
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manens) wollten die Räte Ew Hochfü. Gn. stündtlich gehorsambst berichten – was freilich aber in der Dichte doch nicht möglich war. Die Räte befeuerten die Alarmstimmung aber auch insofern, als sie die Verhöre der Verdächtigten (neben Kette saßen ab dem 26.02. auch Klute, Wittfeld und Schwick in der Zitadelle) unter großer Hast durchführten und ebenso rastlos nach Zurwellen fahndeten, von dem man nur wusste, dass er aus der Stadt heraus geritten war, um im benachbarten Altenberge Holz zu hauen. Um ihm Fluchtwege abzuschneiden, wurden verschiedene Emsbrücken zerstört. Als Zurwellen am 2. März immer noch frei herumlief, setzte man in Münster schließlich auf eine Art Öffentlichkeitsfahndung: Per Trommelschlag wurde die Aufmerksamkeit der Leute eingefordert.63 Auf Hinweise, die zur Ergreifung des Flüchtigen führten, wurde sodann eine Belohnung von 100 Dukaten angekündigt, denjenigen aber härteste Strafen angedroht, die etwas verheimlichten. Damit war nun innerhalb der Stadt allgemein bekannt, was auf dem Spiel stand. Galen hatte bereits am 1. März verfügt, dass sich die Münsterschen Räte in zwei Kollegien aufteilten, um parallel gegen Kette und andere Angeklagte wie den Syndikus Wittfeld prozessieren zu können.64 Die dezentral, auf verschiedene Akteure verteilten und kommunikativ miteinander vernetzten Ermittlungen wiesen durchaus einen „paranoiden Stil“ (Richard Hofstadter) auf, der sich durch überspitzte Formulierungen, selbsterzeugte Zeitknappheit und Verhöre auszeichnete, die nicht zu mehr Klarheit führten, sondern zu der Befürchtung, gerade einmal nur die Spitze eines großen Komplotts enttarnt zu haben. Kette trug zu dieser Paranoia insofern bei, als er am 27. Februar auf die (foltergestützte) Frage, was es denn nun mit dem geheimben negotio, mit der entreprise und dem dessein auf sich habe, antwortete, dass er dies nur den Räten Bischoping und Cramer im Vertrauen sagen werde. Nachdem Kette die beiden Räte in einem Nebenzimmer tatsächlich dazu gebracht vermittels Handerhebung Geheimhaltung zu schwören, bekamen sie zu hören, dass der Kaiser die im Westfälischen Frieden an die Niederlande gekommenen Gebiete des Herzogtums Geldern wieder zum Reich holen und Galen mit der Verwaltung betrauen wolle.65 Was immer es mit diesem Plan in Wirklichkeit auf sich hatte: Die Bischöflichen wollten davon nichts hören. Unglaubwürdig klang dieser Geldern-Plan für die Räte wohl auch deswegen, weil Kette beim Verhör noch zwei andere Ausflüchte probiert hatte: Zuerst hatte er darauf beharrt, kein Verräther, sondern ein kaiserlicher Mandatarius zu sein. Wenn ihm als solchem etwas zustoße, dann könnten sich Statt und Landschafft Münster auf kaiserliche Rache gefasst machen, und zwar so, dass auch so gar die Kinderen in den Wiegen nicht verschont werden sollten.66 Nachdem diese Drohungen nicht gefruchtet, aber protokolliert worden waren, versuchte Kette das dessein damit zu erklären, dass kaiserliche und brandenburgische Truppen vor der Stadt Münster 63 64 65 66
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VGAW 93 (wie Anm. 3), Schreiben vom 02.03.1673 Die Akte zu dessen Prozess finden sich in LAV NRW W, Msc. VII, Nr. 449. VGAW 93 (wie Anm. 3), Protokoll Nr. 2, vom 27.02.1673. Ebd.
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hätten aufziehen und Galen lediglich zum Einlenken (accomodation) bringen sollen. Auf die Frage, was mit dem Bischof geschehen wäre, erklärte Kette, dass dieser angesichts der Truppen schon klein beigegeben hätte, für Gewaltanwendung hätte es dann überhaupt keine Veranlassung gegeben.67 Landfiskal Beckhaus interessierte sich nicht für solche Beschwichtigungsversuche, als er aus den Verhörprotokollen die Klageartikel für den bevorstehenden Prozess erarbeitete. Seine Anklage fußte stattdessen auf systematischen Übertreibungen.68 Kette wurde nicht nur unterstellt, den Bischof entführen zu lassen, sondern vielmehr ihn zu massakriren und ums Leben bringen zu wollen. Auch seine Getreuen sollten massakrirt werden. Und er müsse wohl zugeben, dass solche Verrätereien nicht ohne großes Blutvergießen hätten vonstattengehen können.69 Denn Begriff des ‚Massaker‘ hatte Oberst Meinartshagen bei seinem Zeugenverhör ins Spiel gebracht. Als er einmal mit Göcking über die Sache gesprochen habe, soll dieser gesagt haben, dass die Entführung Galens großes Aufsehen erregen werde, deswegen il faut mieux le massacrer.70 Kette bestritten später vehement, mit diesem ‚Massaker‘ etwas zu tun zu haben. Außerdem sei der fast siebzigjährige Meinartshagen schwerhörig und damit als Zeuge ohnehin nicht qualifiziert.71 Doch dieser Einwand interessierte die Ankläger ebenso wenig wie die Frage, warum sich der Oberst eigentlich mit Göcking getroffen hatte. Es lässt sich auch nicht mehr rekonstruieren, ob Galen an der Abfassung der Artikel mitgewirkt hatte. Dass er aber daran interessiert war, die Tat als besonders schändlich und gefährlich darzustellen, liegt auf der Hand. Ohnehin rechnete er zu dieser Zeit mit Anschlägen. Im Mai 1672, am Beginn des Niederländischen Kriegs, sorgte sich Galen vor Leuten, die im Auftrag des Ratspensionärs Jan de Witt meiner eigenen Person nachstellen wollen.72 Ebenfalls im Mai 1672 kam heraus, dass unter den Münsterischen Obristen über einen Mordanschlag auf Galen geraunt worden war.73 Der Alarmismus der Anklageschrift hatte also eine Vorgeschichte, er beruhte auf Erfahrungen und Erwartungen seiner Verfasser.
67 68 69 70 71 72 73
Ebd. Ebd. Nach Wiens: Sammlung (wie Anm. 26), S. 427. Die Schreibweise der Quellen wurde von Wiens auch hier modernisiert (k statt c). Ebd., S. 437. Auch zu Kettes Degen-Geste hatte sich Meinartshagen uneindeutig ausgelassen und am Ende seiner Aussage hinzugesetzt: wiewohl Inhafftirter nach seinem Degen nur so gewiesen, nicht aber wirklich gegriffen, ebd., S. 434. Zit. aus einer Edition des 19. Jahrhunderts nach Kohl: Christoph Bernhard (wie Anm. 17), S. 359, Anm. 17. Ebd., S. 360.
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III. Öffentliche und juristische Deutungskontrollen Die Vor- und Zeugenverhöre und ihre Protokolle dienten nicht nur zur Vorbereitung der Hauptverhandlung im Rathaus. Vielmehr wurden hier auch eine ganze Reihe von Aussagen produziert, die für die öffentliche Darstellung des Falls und seiner Deutungskontrolle gebraucht wurden. Schon mit Beginn der Spezialinquisition Anfang März erschien ein Ausführlicher Bericht / von der in / Münster / Jüngst vorgegangenen Verrätherey / und was bey derselben sich / zugetragen.74 Übersetzungen ins Niederländische, Französische und Lateinische folgten.75 Der Bericht war voll mit Versatzstücken aus den Verhörprotokollen und den Korrespondenzen zwischen Bischof und Räten. Man las über ein gefehrliches Dessein, über eine schändtliche Verrätherey, über Kettes Täuschungsmanöver, über Salm und Göcking, die bey incarminirung des Anschlags / als ein Principal Instrument mit allem Eyffer sich gebrauchen lassen, über die Münstersche Reuterey […] welche mit fleißigen Patrolliren / nebenst Soldaten und Bürgern / so alle in Wehr und Waffen gestanden / ihre Posten versehen und gute Wacht gehalten oder darüber, dass Kette, zu mehrer versicherung an Händ und Füße geschlossen, auf seinen Prozess warte. Die frühe Publikation diente auch dazu, dem Gerücht zu widersprechen, wonach der Anschlag gelungen sei. Dieses Gerücht wurde nicht nur durch ein am 3. März in den Niederlanden erschienenes Pamphlet gestreut76, sondern auch durch kaiserliche Akteure im „Kommunikationszentrum“ Köln.77 Selbst in Wien glaubte man kurz an einen Erfolg Kettes. Der Münstersche Gesandte berichtete von dort über „unsägliche Freude“.78 Über Majestätsbeleidigungen der leichteren Art, etwa durch Kritik am Herrscher, wurde gewöhnlich der Mantel des Schweigens ausgebreitet, um keine Anhaltspunkte für Akzeptanzkrisen zu liefern.79 Von einer solchen Politik des Verschweigens konnte im Münsteraner Fall jedoch keine Rede sein. Die Nachrichtenlage war ohnehin kaum zu kontrollieren. Über die entdeckte Verrätherey auff Münster berichteten Zeitungen bereits während des Prozesses.80 Die Kopenhagener Ordinarie Post-Zeitung publizierte 74 75 76 77
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O.O., o.J., Exemplar in der HAB Wolfenbüttel, Signatur: M: QuN 422 (12), online unter: http:// diglib.hab.de/drucke/qun-422-12s/start.htm?image=00001 [01.04.2020]. Die niederländische Version lässt sich unter dem Titel Den Aenslagh op Munster ontdeckt, Amsterdam 1673 nachweisen (Koninklijke Bibliotheek, pflt 10715), die anderen Ausgaben nennt Tücking: Geschichte (wie Anm. 33), S. 220. Verhael, hoedanigh de Stadt Munster door den Ceurvorst von Brandenburgh is ingenomen, nachgewiesen bei Kohl: Christoph Bernhard (wie Anm. 17), S. 379, Anm. 52. Urheber des Gerüchts war der kaiserliche Obrist Otto de Grana, darüber berichtete sogar die in Zürich erscheinende Montägliche Wochenzeitung vom 27.03.1673 (SuUB Bremen); vgl. zur Rolle Kölns in der Medienlandschaft Georg Mölich/ Gerd Schwerhoff (Hgg.): Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte, (= Der Riss im Himmel, Bd. 4), Köln 1999. Beide Nachweise bei Kohl: Christoph Bernhard (wie Anm. 17), S. 370, Anm. 32. Schnabel-Schüle: Majestätsverbrechen (wie Anm. 11), S. 37–39. Es geht hier um Fälle aus dem 18. Jahrhundert. Etwa Extraordinaire Relationes Aus Allerley Orten (Kopenhagen), Nr. 41, 15.03.1673, Appendix, S. 335. Allerdings war hier (Nr. 51, S. 411) auch ausführlich von dem kaiserlichen Avokatorialschreiben
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am 1. April eine Meldung, die im Grunde den Ausführlicher Bericht plagiierte.81 Durch ihre Wortwahl reproduzierten die Zeitungen die Deutung der Bischöflichen, die diese, wie gesehen, allerdings auch selbst publiziert hatten. Es verwundert daher nicht, dass darauf auch entsprechende Reaktionen einliefen. Bereits am 4. März gratulierte der Paderborner Bischof Ferdinand von Fürstenberg zur Aufdeckung des verrhäterliche[n] desseins. Die grausamb- und gemeinigkeit dieses vorhabens habe Gott nicht zulassen wollen. Galen solle trotzdem auf der Hut sein und über den verrhäter eine solche bestraffung ergehen lassen wollen, damit poena in paucos terror in universos.82 Etwas länger Zeit mit dem Gratulieren ließ sich das Domkapitel, mit dem Galen seit seiner umstrittenen Wahl (1650) kein harmonisches Verhältnis hatte herstellen können. Am 17. März versicherten die Kapitulare Galen dann allerdings ihre Erleichterung über das Scheitern des verrätherischen[n] vorhaben[s] und erklärten, dass diese coniuration jeden redlichen patrioten bestürze und bekümmere.83 Keine Woche später, am 23. März, sollte schon das Todesurteil gegen Kette gefällt werden. Anders als die englischen state trials war ein deutscher Inquisitionsprozess aufgrund seiner Verfahrensweise – diskontinuierlich, ohne Publikum, weitgehend schriftlich, unter Anwendung der Folter – kaum dazu geeignet, den Fall öffentlich darzustellen und zu dramatisieren.84 Und wenn er dazu dienen sollte, druckreife Erklärungen, Aussagen oder Geständnisse zu produzieren wie bei der Vorverhandlung, so erwies er sich auch dazu als unergiebig. Nach dem fast schon dramatischen Auftakt im Ratssaal mit der Frage nach dem Wesen des Verrats drehte sich der Prozess in den folgenden Tagen nämlich nicht mehr um dieses Thema, sondern um die Frage, ob der Angeklagte nun einen Diplomatenstatus hatte oder nicht. Dabei wurde der Prozess auch nicht länger mündlich und in Anwesenheit der Beteiligten geführt, sondern rein schriftlich. Kette blieb dabei im Kerker und wurde durch seine Anwälte Knippenberg und Bisping vertreten. Im Lichte der zeitgenössischen Strafrechtsdiskussion, die Angeklagten bei Majestätsverbrechen ihre Verteidigung erschweren wollten85, war diese Herstellung von rechtlicher ‚Waffengleichheit‘ einerseits durchaus bemerkenswert.86 Andererseits aber war Kette mit der Leistung seiner Anwälte überhaupt nicht zufrieden. Unter anderem meinte er, dass Knippenberg und Bisping als Galens Untertanen viel zu vorsichtig agierten. Am 8. März griff er daher durch eine schriftliche Eingabe wieder aktiv in den
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zu lesen, das so ebenfalls allgemein bekannt wurde. Teils sehr ausführliche Berichte über die Münsteraner Vorgänge lieferte auch die Ordinarie Post-Zeitung (Kopenhagen) Nr. 19, 08.03.1673; Nr. 21, 16.03.1673; Nr. 23 (01.04.1673). Dass die meisten Berichte aus dänischen Zeitungen stammten, dürfte an der Auswahl des an der SuUB Bremen ansässigen Digitalisierungsprojekts „Zeitungen des 17. Jahrhunderts“ liegen. Ordinarie Post-Zeitung (Kopenhagen), Nr. 23 (01.04.1673). VGAW 93 (wie Anm. 3), Schreiben vom 04.03.1673. Ebd., Schreiben vom 17.03.1673. Vgl. dazu auch André Krischer: Die Macht des Verfahrens. Englische Hochverratsprozesse 1554– 1848 (= Verhandeln, Verfahren, Entscheiden. Historische Perspektiven, Bd. 3), Münster 2017. Schnabel-Schüle: Majestätsverbrechen (wie Anm. 11), S. 35. Auch im Vergleich mit den englischen Hochverratsprozessen, wo den Angeklagten erst seit 1696 Anwälte gewährt wurden, vgl. Krischer: Die Macht des Verfahrens (wie Anm. 84), S.357–359.
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Prozess ein. Darin forderte er auswärtige Anwälte. Dann verlangte er, die Akten einer Universität oder dem Kaiser zum Urteilen zu überlassen.87 Davon wollten die Richter, der Fiskal und Galen aber nichts wissen.88 Vielmehr drängte man sich wechselseitig zur Eile und machte auf diese Weise mit Kette am Ende buchstäblich kurzen Prozess.89 Das passte dann doch wieder zu den Sonderrechten bei Majestätsprozessen90, ebenso wie die eilig vorgenommene Folter Kettes im Anschluss an die Zeugenaussage des Obristen Meinartshagen, bei der dieser vom ‚Massaker‘ gesprochen hatte. In seiner Eingabe hatte sich Kette im Übrigen auch über seine Haftbedingungen beschwert, darüber dass man ihn in der Zitadelle in einem dunklen Loch mit Eisen und Ketten gefangen halte und daß ihm kein Feder, Dinte, Licht und Papier verstattet werden sollte.91 Man fragt sich zwar, wie er dann eigentlich seine Eingabe hatte verfassen können, aber klar ist, dass diese nicht nur Richter und Fiskal erreichte, sondern in Kopie auch den Korrespondenten der Kopenhagener Ordinarie Post-Zeitung und damit die Öffentlichkeit. Die Zeitung meldete am 16. März, dass Kette, unerachtet Er eyn Kayserlicher Agent daselbst / sehr scharff tractiret / und in ein Gefängnuß drin in 15. Jahren kein Mensch gesessen / geleget worden / weil Er beschuldiget wird / daß Er umb den Anschlag gewußt habe.92 Einfluss auf den Prozess hatte dieses ‚Leak‘ aber nicht. Die vermutlich erhoffte Skandalisierung des Verfahrens blieb aus. Am Morgen des 23. März legte der Fiskal den Richtern vielmehr eine Schrift mit ‚Entscheidungsgründen‘ (rationes decidendi) vor. Darin versuchte er auf den Punkt zu bringen, was hier erstens eigentlich der Fall war und wie dieser zweitens rechtlich zu bewerten sei.93 Trotz des ‚kurzen Prozesses‘ trieb der Ankläger einen hohen rechtlichen Begründungsaufwand. Der Schein des Rechts sollte gewahrt bleiben, auch wenn die rationes decidendi nicht zur Publikation gedacht waren. Als erstes stelle sich die Frage, welches Verbrechen der Angeklagte eigentlich begangen habe (Quale crimen Inhaftatus commisserit). Seine Antwort formulierte der Fiskal unter Rückgriff auf die Kapitel zum Majestätsverbrechen der gemeinrechtlichen Autoritäten des 16. und 17. Jahrhunderts wie Marcus Antonius Blancus94 und Tiberio Deciani95. Demnach sei Kette pro proditore, also für einen Verräter zu halten, weil er sich gegen Fürst und Gemeinwesen aufgelehnt sowie Soldaten zu Aufruhr oder Tumult verführt habe (in crimen enim proditionis incidit quando quis aliquid facit contra 87 88 89 90 91 92 93 94 95
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Tücking: Geschichte (wie Anm. 33), S. 211. Beim Stuttgarter Prozess gegen die ‚Hechinger Verschwörer‘ war die Aktenversendung Teil der Legitimation durch Verfahren, vgl. in diesem Band den Beitrag von Thomas Dorfner, S. #. Tücking: Geschichte (wie Anm. 33), S. 220. Schnabel-Schüle: Majestätsverbrechen (wie Anm. 11), S. 35. Wiens: Sammlung (wie Anm. 26), S. 430. Ordinarie Post-Zeitung (Kopenhagen), Nr. 21, 16.03.1673. Der Prozess, der hier nur sehr kursorisch rekonstruiert wurde, wird im Detail von Tücking: Geschichte (wie Anm. 33), S. 208–215, wiedergegeben. Marcus Antonius Blancus: Tractatus de indiciis homicidii […], Paris 1546. Deciani: Tractatus Criminalis (wie Anm. 54).
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principem vel contra remp[ublicam] […]. Item, qui milites ad seditionem vel tumultum sollicitaverit). Zudem habe er sich des Aufruhrs (crimen seditionis) schuldig gemacht, weil er in verräterischer und umstürzlerischer Weise die öffentliche Ordnung habe stören wollen und dies durch geheime Treffen vorbereitet habe: seditiosique dicuntur, qui furtiva conventicula parant, wie dann Inhaftirter in unterschiedlichen bei Tag und Abend=Zeit heimlich über sein Vorhaben traktirt. So kam dann auch der Vorwurf der Verschwörung (coniuratio) ins Spiel, der bei den publizistischen Darstellungen des Falls ebenfalls mobilisiert wurde. Er stützte sich auf die bei den Vorverhören gewonnenen Informationen über abendliche Treffen im Hause Göckmann, auf die Trinkgemeinschaften (als Mitwisser galten diejenigen, die von Kette ein Glas Wein angenommen hatten) und das Ablegen vonVerschwiegenheitseiden, also Verschwörungen im eigentlichen Sinne.96 Schließlich warf der Fiskal dem Angeklagten auch versuchten Mord vor (crimen assassinii […] in actu remoto).97 An Beweisen und corpora delicti für dies Vergehen nannte Beckhaus die Aussagen von Meinartshagen, die bei Kette gefundenen bzw. abgefangenen Schriftstücke sowie seine unter der Folter abgelegten (allerdings widerrufenen) Geständnisse. Dabei sei die Folter ebenso mit Recht angewendet worden wie man die Versendung der Akten an eine auswärtige Universität verweigert habe.98 Auf Verrat stehe nach Artikel 124 der Peinlichen Halsgerichtsordnung der Tod. Die Strafe könne durch Schleifen und Zangenreissen verschärft werden, wann die Verrätherei große Ärgernüß und Schaden bringen mögte, als, so die ein Land, Stadt und seinen eigenen Herrn betrifft. Davon wolle er aber hier Abstand nehmen und auch die obligatorische Vierteilung erst nach dem Tod durch das Schwert vornehmen lassen. Denn der Mord sei über den Gedanken nicht hinausgekommen, und die Verräterei sei zwar grob, gefähr= und ärgerlich, aber eben nicht zum Ende (ad effectum) geführt und daher ebenfalls beim Versuch geblieben (pro conatu zu halten).99 Beckhaus legte seine rationes decidendi nicht nur den Richtern vor, die darüber noch am selben Tag entscheiden wollten, sondern auch Galens Vizekanzler Dr. iur. Werner Zurmühlen. Als dieser gewahr wurde, dass die Richter dazu neigten, dem Urteilsvorschlag des Fiskals zu entsprechen, intervenierte er energisch: Die Idee des versuchten Verrats, der milder zu bestrafen sei, sei ein Widerspruch in sich. Denn in diesem Fall würden Verräter niemals zur Verantwortung gezogen werden können. Sei der Verrat nämlich erst einmal ad effectum gekommen, würde man den Thäter nicht haben können; alles wäre concertirt, crimen consumirt, nichts mehr übrig als fiat et exequatur etc. gegen eine fürstliche Person, gegen eine ganze Stadt, Stift und statum und gegen so viel tausend Seelen.100 96 97 98 99 100
Wiens: Sammlung (wie Anm. 26), S. 443. Ebd., S. 440. Ebd. Ebd., S. 443. Eberhard Wiens: Beiträge zur Geschichte der Verschwörung des Adam von der Kette gegen das Land und Leben des Fürstbischofs von Münster, Christoph Bernhard von Galen, in: Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde 4 (1841), S. 289–321, hier: S. 290–292.
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Zurmühlens Auslegung der Verräterei, bei der der Versuch mit der ganzen Härte des Gesetzes zu bestrafen sei, weil die ausgeführte Tat ja nicht mehr bestraft werden könne, konnte sich auf Rechtsautoritäten wie Prosper Farinacus berufen, den der Fiskal bei seinen rationes decideni zu Rate gezogen hatte.101 Die Auslegung erinnert zudem an das englische high treason-Konzept, bei dem auch schon die bloße ‚Imagination‘ des Königsmords den Tatbestand erfüllte.102 Eher politischer Natur war hingegen Zurmühlens zweites Argument gegen den Strafvorschlag des Fiskals, wonach sich der Bischof vor der ganzen Welt zum Gespött machen würde, wenn es nicht gelingen sollte, Kette des crimen proditionis wegen zu verurteilen und hinzurichten. Hier zeigte sich, dass sich die frühe publizistische Offensive, das öffentlich verbreitete und von anderen Fürsten und Zeitungen aufgegriffene Deutungsmuster ‚Verrat‘, gegen den Urheber richten konnte. Ein abgeschwächtes Urteil hätte Galens Außendarstellung als energischer und kompromissloser Herrscher schaden können. Galen und seine Berater hatten wohl gehofft, an Kette ein ähnlich blutiges Exempel zu statuieren wie Bischof Franz von Waldeck 1536 an den Anführern des Täuferreichs.103 Durch das Schleifen des Delinquenten zum Schafott und seiner Vierteilung bei lebendigem Leibe sollte der terror in universos erzeugt werden, zu dem auch der Paderborner Bischof Fürstenberg ermuntert hatte. Allein, nach eingehender Beratung, blieben die Richter bei der vom Landfiskal Beckhaus vorgezeichneten Position. Sie hielten die Vergehen zwar für schwer und todeswürdig, aber sie seien ad crimen laesae maiestatis nicht wohl zu bringen.104 Im Urteil war daher von einer gantz gefährlich understandener Entziehung dieser Stadt Münster, von der Verführung ihrer Bürger und Kriegsoffiziere gegen ihren Fürsten und schließlich von dessen höchstärgerlicher […] gefänglicher Anhaltung und thot oder lebendiger Lieferung die Rede – aber an keiner Stelle von Verräterei. Das einzige Zugeständnis an die bischöflichen Straf- und Racheansprüche war, daß der todter Leib geviertheilt und öffentlich uff Pfählen gesteckt werde neben dem Kopfe.105 Auf diese Weise ließ sich zumindest der diffuse öffentliche Eindruck erzeugen, dass Kette als Verräter starb. Es war Johann von Alpen (1630–1698), also jener Generalvikar, der sich im Briefwechsel mit Galen über die unerhörte Verretherey empört und die entschlossene Verfolgung der complices angekündigt hatte, der die juristische Schlappe noch in einen 101 Wiens.: Sammlung (wie Anm. 26), S. 440. Den Verweis auf die Vorsatzlehre bei Farinacus entnehme ich dem Art.: Verrätherey, in: Johann Heinrich Zedler: Grosses Vollständiges Universallexicon aller Wissenschafften und Künste, Bd. 47, Leipzig/ Halle 1746, Sp. 1623–1639, hier Sp. 1630. 102 Krischer: Die Macht des Verfahrens (wie Anm. 84), S. 15–16. Im politischen Strafrecht gehörte der sog. Vorfeldkriminalisierung auch die Zukunft, vgl. dazu jetzt Volker Bützler: Staatsschutz mittels Vorfeldkriminalisierung. Eine Studie zum Hochverrat, Terrorismus und den schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (= Gießener Schriften zum Strafrecht und zur Kriminologie, Bd. 49), BadenBaden 2017. 103 Ralf Klötzer: Herrschaft der Täufer, in: Barbara Rommé (Hg.): Das Königreich der Täufer. Reformation und Herrschaft der Täufer in Münster, Münster 2000, S. 104–131, hier: S. 129. 104 Wiens: Sammlung (wie Anm. 26), S. 439; Wiens: Verschwörung (wie Anm. 100), S. 292. 105 Wiens: Verschwörung (wie Anm. 100), S. 292.
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Prestigegewinn ummünzen konnte: So behauptete er später in seiner De vita et rebus gestis Christophori Bernardi, dass der Bischof das rigorose Urteil der Richter aus fürstlicher Gnade abgemildert habe.106 Erst der Münsteraner Gymnasialprofessor Eberhard Wiens konnte mit dieser Legende aufräumen, nachdem 1840 die Briefwechsel und Akten zum Fall Kette gefunden worden waren.107
IV. Anschläge als politisches Mittel im Zeitalter Ludwigs XIV.? Nach dem Urteil wollten Galen und seine Räte Kette so schnell wie möglich hinrichten lassen, um zu vermeiden, dass sein Anwalt noch an das Reichskammergericht oder den Reichshofrat appellierte. Doch auch hier machten ihnen die Richter einen Strich durch die Rechnung: wegen des uff Morgen [d.i. 26.03.1673] einfallenden Festes s. Ludgeri und dann der heiligen Wochen [der Ostertag fiel 1673 auf dem 2. April] [solle] in denen peinlichen und Halsgerichtssachen still gestanden und mit der Execution eingehalten werden.108 Allerdings wussten die Bischöflichen die Zeit durchaus zu nutzen. Sie stellten für den 5. April eine Kommission zusammen, um Kette im Ratssaal erneut zu verhören, und zwar als eine Art Amtshilfe für den Bischof von Straßburg, Franz Egon von Fürstenberg-Heiligenberg. Er und sein Bruder Wilhelm Egon (der Galen am 16. März sehr herzlich zu Aufdeckung der entreprise und Verhaftung des dheters gratuliert hatte109) galten in Wien als skrupellose Agenten der französischen Krone im Reich. Den Fürstenbergs war nun zugetragen worden, dass am Kaiserhof folgender Satz gefallen war: Man würde Ihre Fürstl. Gnd. zu Straßburg auch emportiren, und die Räte wollten nun von Kette wissen, was das zu bedeuten habe. Der Verurteilte erklärte zunächst, das beziehe sich auf den hohen und hizigen esprit Fürstenbergs, so wie man auf Französisch sage L’est un homme emporté.110 Die Räte wandten darauf ein, dass man emportiren aber auch anders verstehen könne, nämlich als ‚fortschaffen‘. Kette aber beteuerte, das habe höchstens zu bedeuten, dass die Kai106 Johann von Alpen: De vita et rebus gestis Christophori Bernardi, Episcopi et Principis Monasteriensis Decas […], Bd. 1: Coesfeld 1694, Bd. 2: Münster 1703, hier Bd. 2, S. 349. Alpens Biograph Raßmann in der ADB geht davon aus, dass diese Vita die Reaktion war auf eine unmittelbar nach Galens Tod 1678 in den Niederlanden erschienene Schmäh-Biographie (Historisch Verhael van’t Leven en Oorlogs-Bedryf van de Heer Christoph Bernard van Galen), die ein Jahr später (1679) auch (s.l.) unter dem Titel Lebens- und Kriegs-Beschreibung Herrn Christoph Bernhard von Galen, Bischoffs von Münster auf Deutsch erschien und die seine militärischen Erfolge immer wieder auch auf Verräterei zurückführt (S. 102, 282, 304, 358, 390). 107 Wiens: Verschwörung (wie Anm. 100), S. 289–290. Die Akten lagerten in der ehemaligen Margarethenkapelle am Domplatz, die nach der Säkularisierung des Hochstifts als Übergangsarchiv für die fürstbischöflichen Akten genutzt wurden, vgl. Wilhelm Kohl: Das Bistum Münster 7,1. Die Diözese (= Germania Sacra, Bd. 37/1), Berlin/Boston 1999, S. 50–51. 108 Wiens: Verschwörung (wie Anm. 100), S. 293 u. 314. 109 VGAW 93 (wie Anm. 3), Schreiben aus Wien vom 16.03.1673. 110 ‚Er ist ein hitzköpfiger Mann‘.
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serlichen den Bischof von Straßburg und den Kurfürsten von Köln gerne gewinnen, oder auff selbige seithen bringen würden. Etwas böses oder ärgerliches, gar ein dessein, sei damit nicht gemeint.111 Am folgenden Tag wurde Kette noch einmal befragt, man wollte wissen, ob der kaiserliche Obrist und Diplomat Otto de Grana in das dessein verwickelt war, was Kette ebenfalls verneinte.112 Szenenwechsel: Als sich im Oktober 1673 niederländische Truppen der kurkölnischen Residenzstadt Bonn nährten, floh Kurfürst Maximilian Heinrich in die Reichsstadt Köln, wo er im Kloster St. Pantaleon Zuflucht suchte und zehn Jahre verblieb.113 Die Historiker haben diese Episode lange Zeit kopfschüttelnd registriert. Dieser Kurfürst habe zu „Menschscheu, Unbeständigkeit“ sowie zu „Melancholie und Hypochondrie“ geneigt.114 Tatsächlich aber realisierte sich mit den heranrückenden niederländischen Truppen und zuvor publizierten Avokatorialmandaten an die kurkölnischen Truppen ein Szenario, das auch in Kettes Plan vorkam Man kann davon ausgehen, dass Max Heinrich diesen Plan, also das dessein, kannte.115 Am 14. Februar 1674, während des Kölner Friedenskongresses, wurde Wilhelm von Fürstenberg dann tatsächlich in einer spektakulären Aktion von Granas Soldaten verhaftet, als er sich gerade auf den Weg zum klösterlichen Refugium seines Kurfürsten machte.116 War es da wirklich nur eine persönliche Schrulle, wenn Max Heinrich in der Folge „aus Besorgnis vor einem Attentat es nicht wagte, durch den von der Stadtmauer einzusehenden Klostergarten von St. Pantaleon zu gehen“?117 Oder rechneten die mit Frankreich verbündeten Reichsfürsten nicht vielmehr damit, dass Anschläge – und als ein solcher wurde auch die Entführung Fürstenbergs bezeichnet118 – für den Kaiser bei dieser unübersichtlichen Konfliktlage und angesichts eingeschränkter Machtmittel tatsächlich eine Option darstellten?119 Möglicherweise wird man auch den Anschlagsversuch auf Galen in diesem Zusammenhang sehen müssen: Handelte es sich dabei um ein politisches Mittel, zu dem unterschiedliche Akteure unter dem 111 VGAW 93 (wie Anm. 3), Protokoll vom 05.04.1673. 112 Ebd., Protokoll vom 06.04.1673. Franz Egon war vom französischen Kriegsminister Louvois davor gewarnt worden, dass de Grana infâmes projets lancieren würde, zit. nach Théodor Iung: La vérité sur le Masque de fer (les empoisonneurs). D'après des documents inédits des archives de la guerre et autres dépôts publics (1664–1703), Paris 1873, S. 355. 113 Klassisch dazu Max Braubach: Der Einsiedler von St. Pantaleon, in: ders.: Kurkölnische Miniaturen, Münster 1954, S. 1–24. 114 Günter Christ: Art.: Maximilian Heinrich, in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), S. 496–500. Psychologisierend sind auch Braubachs vielfältige Beschäftigungen mit dieser Person. 115 Die Fürstenbergs waren auch kurkölnische Minister, vgl. Haug: Ungleiche Außenbeziehungen (wie Anm. 13), S. 150–152. 116 Vgl. wiederum Max Braubach: Der Kölner Kongress und die Gefangennahme Wilhelm von Fürstenbergs, in: ders., Kurkölnische Miniaturen (wie Anm. 113), S. 25–77. 117 Braubach: Der Einsiedler (wie Anm. 113), S. 16. 118 Markus Baumanns: Das publizistische Werk des kaiserlichen Diplomaten Franz Paul Freiherr von Lisola (1613–1674). Ein Beitrag zum Verhältnis von absolutistischem Staat, Öffentlichkeit und Mächtepolitik in der frühen Neuzeit (= Historische Forschungen, Bd. 53), Berlin 1994, S. 332. 119 In Wien wollte man alles dafür tun, damit aus den geistlichen Reichsfürsten nicht ‚französische Kapläne‘ wurden, vgl. Kohl: Christoph Bernhard (wie Anm. 17), S. 379, Anm. 54.
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Eindruck der exzeptionellen Bedrohung durch Ludwig XIV. griffen – die Mörder des niederländischen Ratspensionärs Jan den Witts 1672 ebenso wie die englischen Rye House-Verschwörer, die mit der (gescheiterten) Erschießung Karls II., die Thronfolge seines Bruders Jakob, der als französische Kreatur galt, verhindern wollten?120 Dass der Kaiser nicht weiter auf die Option eines Anschlags setzte, hatte vermutlich viele Gründe – darunter wohl auch den, dass es sich als nahezu unmöglich herausstellte, solchen Unternehmen einen legalen Anstrich zu verpassen und etwa Fürstenberg eindeutig zum Verräter und damit zum politischen Verbrecher zu deklarieren.121 Die Kaiserlichen standen in diesem Fall rechtlich also vor einem ähnlichen Problem wie die Bischöflichen bei Kette.122 Allerdings besaß ‚Verrat‘ neben seiner rechtlichen Dimension auch ein Potenzial als Dramatisierungs- und Schmähbegriff. Gerade dieses Potenzial vermochten die Bischöflichen erfolgreich zu mobilisieren. Im Diskurs des 16. und 17. Jahrhundert galt Verräterei als abschewliche Ubelthat123, während ihr Misslingen als Indiz dafür gewertet werden konnte, dass Gott mit dem Verratenen gewesen war – ein Hinweis, den Galen in einer nach der Hinrichtung Kettes verfassten Relation über die grausame und gefehrliche Verräterey und Conjuration einfügen ließ.124 Womöglich rührte man auch wegen dieser Diffamierung in Wien für Kette keinen Finger. Mit einem ‚Verräter‘ wollte man am Kaiserhof auch nichts zu tun haben.125 Das invektive Potenzial des Verratsvorwurfs zeigte sich auch daran, dass sich Johann Ludwig von Salm-Dhaun am 14. Juni 1673 mit einer Flugschrift dagegen verwahrte, ein Komplize der Kettischen Verrätherey zu sein und durch diesen Vorwurf beschimpffet und dehonestiret zu werden. Er sei ein 120 Meredith Hale: Political Martyrs and Popular Prints. The Murders of Jan and Cornelis de Witt in Early Modern Media, in: Martin Gosman/Joop W. Koopmans (Hgg.): Selling and rejecting politics in early modern Europe (= Groningen studies in cultural change, Bd. 25), Leuven 2007, S. 119–134; Melinda Zook: Radical Whigs and Conspiratorial Politics in Late Stuart England, University Park (PA) 1999. 121 Dazu im Detail Tilman Haug: ‚Eine Unvereinbarkeit der Chargen‘? Wilhelm von Fürstenberg (1629– 1704) als Verräter an Kaiser und Reich, in: Krischer: Verräter (wie Anm. 14), S. 153–174. Dafür kamen aber Entführungen weiterhin in Betracht, vgl. Christoph Kampmann: Völkerrechtsbruch als politische Strategie? Ein bekannter Fall und ein unbekannter Plan der Diplomatenentführung unter Kaiser Leopold I., in: Guido Braun/Arno Stromeyer: Frieden und Friedenssicherung in der Frühen Neuzeit. Das Heilige Römische Reich und Europa. Festschrift für Maximilian Lanzinner zum 65. Geburtstag (= Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., Bd. 36), Münster 2013, S. 323–348. 122 Deswegen wurden auch von einem (zumindest angedachten) Gerichtsprozess gegen Fürstenberg Abstand genommen, vgl. Haug, Ungleiche Außenbeziehungen (wie Anm. 13), S. 445–447. 123 Thomas Stapleton: Promptuarium Morale, Das ist, Sittliche Speißkammer […], Ingolstadt 1597, S. 177. 124 Siehe oben, Anm. 5. 125 Mit seiner beim Verhör geäußerten Drohung, von kaiserlichen Offizieren gerächt zu werden, hatte Kette aber Recht: Der Überfall kaiserlicher Soldaten auf die zum Hochstift gehörende Stadt Werne im April 1674 wurde auch mit der Rache für Kette gerechtfertigt, vgl. Wiens: Verschwörung (wie Anm. 100), S. 295–296.
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Graff des Reichs und kein Verräter.126 Diese Rechtfertigung machte den Vorwurf allerdings erst richtig bekannt.127 Dass Galen seine Deutung, von Verräterei bedroht und errettet worden zu sein, erfolgreich etablieren konnte, zeigen nicht nur entsprechende Thematisierungen dieser Episode in der Historiographie des späten 17. und 18. Jahrhunderts128, sondern auch ein anderer Umstand: Obwohl von Kettes Komplizen und Mitwisser nur noch Oberst Fisnack zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde129, ließ Galen Klute, Schwick, Göckmann und Wittfeld noch jahrelang im Kerker sitzen, Wittfeld sogar bis 1678.130 Er hielt sie nämlich auch ohne Gerichtsurteil für Verräter.
V. Ergebnisse Im Februar 1673 kehrte der in Wien aufgewachsene Sohn von Exilmünsteranern, Johann Adam von der Kette, in seine Vaterstadt zurück und versuchte dort einen Coup zu lancieren, mit dem Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen entmachtet werden sollte. Was lehrt uns dieses Vorkommnis über politische Kriminalität im Alten Reich am Ende des 17. Jahrhunderts? Dazu fünf abschließende Überlegungen: 1. Dilettantismus und Verunsicherung Kettes Coup war dilettantisch geplant. Er beruhte vor allem auf der Überzeugung, dass seine Selbstinszenierung als kaiserlicher Mandatarius ausreichte, um die bischöflichen Offiziere zum Überlaufen und zur Öffnung der Stadt für die kaiserlichen und brandenburgischen Truppen zu bewegen. Der Plan war im Grunde von Beginn an zum Scheitern verurteilt, von ‚höllischen Ingenieuren‘ kann hier keine Rede sein. Trotzdem reagierte Galen auf die Aufdeckung des Vorhabens mit maximaler Verunsicherung, die 126 Anon.: Außführlicher Apologetischer Bericht/ Wider alle ungütliche Zulagen/ Welche Ihro HochGräffl. Excellentz, Dem […] Herrn Johann Ludwigen/ Wildgraffen zu Dhaun und Kyrburg […] Wie auch Dessen Obrist Wachtmeistern/ Herrn von Göckingen/ Wegen der Kettischen Verrätherey/ unbilligster weise auffgebürdet werden wollen […], [s.l] 1673. 127 Auch deswegen, weil Göcking ebenfalls eine Apologie aufsetzte: Apologetische Widerlegung der von Münster auß wider Herrn Obrist-Wachtmeister Göcking außgesprengten Scartequen. Meit Beylagen Sub Lit. A B. & C., [s.l.] 1673. 128 Eberhard Werner Happel: Kern-Chronica der merckwürdigsten Welt- und Wunder-Geschichte […]. Erster Theil [...], Hamburg 1692, 1673, S. 8; Heinrich Rudolph Heydenreich: Denckwürdige Annales, Was von Anno 1665. bis 1690. So wohl im H. Röm. Reiche, als andern auswärtigen Königreichen, Fürstenthümen […] zugetragen […]., Gotha 1721, 1673, S. 81. 129 Das Urteil wurde am 22.04.1673 wiederum auf dem Münsteraner Markt vollstreckt, vgl. Tücking: Geschichte (wie Anm. 33), S. 215. 130 Wittfeld kam allerdings ohne Stigma aus dieser Affäre heraus, 1682 wurde er Bürgermeister von Münster. Dass Wittfeld nicht zum ‚Verräter‘ wurde, hatte er wohl auch seiner Frau zu verdanken, die unermüdlich an seinem Image arbeitete, u.a. mit einer großen Zahl an Suppliken, mit denen sie um die Freilassung ihres Mannes warb, indem sie immer wieder seine Integrität unterstrich. Die Suppliken finden sich in VGAW 93 (wie Anm. 3).
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sich nicht nur durch den häufigen Wechsel des Aufenthaltsorts manifestierte, sondern auch in einem hektischen Briefwechsel mit seinen Münsteraner Räten. Solche Unsicherheitserfahrungen prägten nachhaltig die Ermittlungen und nahm für Galen schon das Urteil vorweg. Solche Erfahrungen waren (und sind) daher ein relevanter Faktor für die Geschichte politischer Kriminalität.131 Sie trugen bei zur Rahmung und Definition einer Situation als bedrohlich und zur Stimulierung von Maßnahmen, Ermittlungen und juristischen Prozeduren. Allerdings erwuchsen aus diesen Unsicherheitserfahrungen keine über den Fall hinausreichenden sicherheitspraktischen Maßnahmen. 2. Verrat als Signalwort und Konstruktion Der Begriff der ‚höchstgefährlichen Verräterei‘ fungierte nicht nur als Interpretation der Sachlage, sondern auch als Signalwort, das weitere Aktivitäten auslöste und zugleich dramatisierte. Mit ihm setzten sich die Beteiligten allerdings auch selbst unter (Fahndungs-)Druck. Ermittlungen und Gerichtsprozess zeigen, dass es hier nicht lediglich um eine Reaktion auf politische Verbrechen ging, sondern um Interaktionen, um ein Bündel von Aktivitäten, um die Fabrikation eines Verbrechens durch Schreibarbeit, Verhöre und Fahndungen unter dem Eindruck von Unübersichtlichkeit und (selbst erzeugtem) Zeitmangel. Etikettierungen und Zuschreibungen versahen das Geschehen nicht nur mit einer bestimmten Deutung, sondern brachten es in bestimmter Weise erst hervor. Beides besaß nicht nur interpretative, sondern auch performative Dimensionen. Umgekehrt ist politische Kriminalität ein Phänomen, anhand dessen die Grundüberzeugung des ‚Labeling approach‘, wonach Devianz erst durch normative Definitionen und autoritative Reaktionen zu einem sozialen Faktum wird132, besonders klar vor Augen tritt. Verräter ‚gibt‘ es nur, weil sie von anderen so bezeichnet und ggf. als solche verfolgt werden. 3. Öffentliche Dimensionen Der Fall bekam sehr schnell auch öffentliche Dimensionen: Galen selbst ließ einen Bericht darüber publizieren, um seine Sicht auf die Dinge, das Signalwort der Verräterei und vor allen deren Fehlschlag zu postulieren. Zeitungen berichteten, die Fahndungen nach Komplizen in und um Münster sorgten für Aufsehen, Landstädte und Reichs131 Die hier wiederum von den Forschungen zur frühneuzeitlichen „Versicherheitlichung“ profitieren kann, vgl. dazu etwa Christoph Kampmann/ Ulrich Niggemann: Sicherheit in der Frühen Neuzeit – Zur Einführung, in: dies.: Sicherheit in der Frühen Neuzeit. Norm – Praxis – Repräsentation, Köln/ Weimar/ Wien 2013 (Frühneuzeit-Impulse, Bd. 2), S. 12–27; Horst Carl/ Rainer Babel/ Christoph Kampmann: Sicherheitsprobleme im 16. und 17. Jahrhundert. Bedrohungen, Ambivalenzen, Konzepte im deutsch-französischen Vergleich, in: dies. (Hgg.), Sicherheitsprobleme im 16. und 17. Jahrhundert – Bedrohungen, Konzepte, Ambivalenzen/Problèmes de sécurité au XVIe et XVIIe siècles – menaces, concepts, ambivalences (= Politiken der Sicherheit, Bd. 6), Baden-Baden 2019, S. 9–26. 132 Die Etikettierungstheorie gehört zu den besonders attraktiven Methoden der historischen Kriminalitätsforschung, vgl. Schwerhoff: Historische Kriminalitätsforschung (wie Anm. 6), S. 35–36.
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fürsten gratulierten zum Scheitern des Verrats, während Galens Gegner anderslautende Gerüchte streuten. Eine Vertuschung des Falls war weder möglich noch gewollt. 4. Legitimation durch Verfahren? Das Gerichtsverfahren changierte zwischen Förmlichkeit und ‚kurzem Prozess‘. So wurde Kette zwar ein Anwalt zu Seite gestellt. Rechtsmittel, der Antrag auf Aktenversendung oder eine Appellation aber verwehrt. Gleichzeitig wirkte die Anklage aber diffus und tastete sich eher an die Sachlage heran als dass sie diese präzise definierte. Belastbare Aussagen oder solche, die man als Beleg für die Verräterei und die überstandene Gefahr hätte veröffentlichen können, ließen sich Kette nicht abringen. Der Prozess drehte sich nach dem Auftakt auf dem Ratssaal ebenfalls nicht mehr um den Vorwurf des Verrats, sondern um die Frage nach dem Status des Angeklagten. Diese Frage war zwar für eine mögliche Verurteilung als Verräter entscheidend, brachte aber keine zitierfähigen, publizistisch nutzbare Aussagen und Wendungen hervor. Allerdings zeigte das Verfahren ein gewisses Maß an Autonomie gegenüber den Vergeltungsinteressen des Bischofs, als im Ergebnis weder der Anklagevertreter noch die Richter ein glasklares Majestätsverbrechen erkennen konnten sowie bei Verrat und Mord auch nur den Versuch sehen wollten. Galen wollte Kette als Verräter sterben sehen – das stand nach dem Urteil ebenso zur Disposition wie die frühzeitige öffentliche Behauptung des Bischofs, es hier mit Verräterei zu tun zu haben. Recht und gerichtliche Verfahren fungierten in diesem Fall also nur eingeschränkt als Instanzen zur Markierung politischer Kriminalität, zur Konstruktion eines Attentats mit gemeingefährlichen Konsequenzen. Das hatte auch mit den unklaren oder zumindest inkohärenten normativen Grundklagen zu tun, auf die Ankläger und Richter hier zurückgreifen mussten. Ein kompaktes, eingängiges und zugleich im Sinne der Anklage dehnbares Gesetz wie das englische Hochverratsstatut von 1351 gab es im römisch-deutschen Reich nicht. Obwohl rechtlich nicht gedeckt, hielt Galen allerdings an der Diffamierung Kettes als Verräter fest, womit das invektive Potenzial des Begriffs gegenüber dem juristischen Konzept in den Vordergrund trat.133 Wie bei anderen Fällen politischer Kriminalität auch, zumal in ihren spektakulären Varianten wie Attentaten, generierte der Fall Kette einen Bedeutungsüberschuss, der losgelöst von seiner juristischen Behandlung und Entscheidung in eine andere Erzählung überführt werden konnte.
133 Zur kulturellen Dynamik von Schmähungen vgl. jetzt Dagmar Ellerbrock (u.a.): Invektivität – Perspektiven eines neuen Forschungsprogramms in den Kultur- und Sozialwissenschaften, in: Kulturwissenschaftliche Zeitschrift 2 (2017), S. 2–24; Gerd Schwerhoff: Invektive Hände. Schmähgesten im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Robert Jütte/ Romedio Schmitz-Esser (Hgg.): Handgebrauch. Geschichten von der Hand aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit. München 2019, S. 211–234
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5. Anschläge als politisches Mittel? Im Fall Kette paktierte ein empörter und tatbereiter Bürgerssohn mit einem Kaiser, der angesichts der französischen Übermacht auch ‚asymmetrische‘ Formen der Kriegführung in sein Kalkül einbezog, der aber vorsichtig genug war, durch widersprüchliche Schutzbriefe keine offizielle Verbindung zu Kette erkennen zu lassen oder gar einen Auftrag zu erteilen. Obwohl es kurz den Anschein hatte – siehe die Fürstenberg-Entführung – avancierten Anschläge und Entführung nicht zu einem politischen Mittel im Alten Reich. Sie entbehrten nicht nur jeder Rechtfertigung, sondern hätten bei der hochgradig dezentralen Struktur des Reichs und seinen Wahlfürstbistümern auch weitaus geringere Effekte gehabt als etwa in England, wo es die Vorstellung gab, dass sich durch einen verräterischen Anschlag ‚alles‘ ändern konnte.134
134 Siehe dazu den Beitrag von Benedikt Nientied in diesem Band.
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Mit Magie und Jagdgewehr für ein protestantisches Herzogtum Das Mordkomplott württembergischer Untertanen gegen Fürst Friedrich Wilhelm von Hohenzollern-Hechingen (1708–1712) Thomas Dorfner
Einleitung Unter dem weithin hörbaren Geläut der Malefizglocke wurden in Stuttgart am 23. Februar 1712 fünf Gefangene aus ihren Arrestzellen auf das Rathaus geführt. Alle fünf waren wegen geplanten Fürstenmordes angeklagt worden und sollten nun ihre Urteile erfahren. Im schlimmsten Fall drohte drei der Verschwörer die vom fiskalischen Anwalt erbetene Enthauptung mit dem Schwert.1 Damit näherte sich ein außeralltäglicher Gerichtsprozess seinem Ende, der das herzogliche Stadtgericht ein Jahr beschäftigt hatte. Die fünf Gefangenen, bei denen es sich ausnahmslos um protestantische Bedienstete bzw. Untertanen Herzog Eberhard Ludwigs von Württemberg handelte, hatten in den Jahren 1708 und 1709 nachweislich konkrete Pläne entwickelt, um Reichsfürst Friedrich Wilhelm von Hohenzollern-Hechingen aus dem weeg zu räumen.2 Das Mordkomplott der Verschwörer richtete sich somit nicht gegen ihren eigenen protestantischen Landesherrn, sondern gegen einen fremden Fürsten katholischer Konfession, der sich jedoch regelmäßig am Hof des württembergischen Herzogs aufhielt. Als besonders gute Gelegenheit, um dem Hohenzollern aufzupassen und Ihn todt zu schiessen, erachteten die Komplottisten die regelmäßig von Eberhard Ludwig veranstalteten Jagden.3 Bevor das Attentat allerdings zur Ausführung kam, wurde das Komplott aufgedeckt. Die Urteile hatten indes nicht die vom Fiskal erbetene Hinrichtung der complotisten, sondern lediglich die Verbannung der fünf Delinquenten zur Folge.4 Küchenmeister Johann Michael Glaser, Kammerdiener Johann Michael Ritter und Jagdgehilfe Abra1
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Der fiskalische Anwalt Dr. Philipp Christoph Vischer hatte das Gericht beispielsweise am 2. Mai 1711 gebeten, dass der Angeklagte Abraham Läudel mit dem Schwert vom leben zum Tod hingerichtet […] werden solle. Siehe hierzu die Defensionsschrift für Abraham Läudel, 30.5.1711. Hauptstaatsarchiv Stuttgart (im Folgenden: HStAS), A 210, Bü 422. Regierungsräte an Eberhard Ludwig, 12.4.1712 [Konzept]. HStAS, A 210, Bü 422. Gutachten der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen, 11.9.1711. HStAS, G 184, Bü 25. Siehe allgemein zur Verbannung Falk Bretschneider: Art.: Verbannung, in: Friedrich Jaeger (Hg.): Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 14, Stuttgart/ Weimar 2011, S. 29–36; sowie Gerd Schwerhoff: Vertreibung als Strafe. Der Stadt- und Landesverweis im Ancien Régime, in: Sylvia Hahn/ Andrea Komlosy/ Ilse Reiter (Hgg.), Ausweisung – Abschiebung – Vertreibung. 16. – 20. Jahrhundert, Innsbruck 2006, S. 48–72.
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ham Läudel wurden auf ewig aus dem Herzogtum sowie den umliegenden vier Reichskreisen verbannt. Die beiden anderen Angeklagten – Forstmeister Samuel Heller und Kaufmann Ehrhard Andrä – wurden hingegen nur bis zu einer fürstlichen Wiederbegnadigung verbannt. Die ausnehmend milden Urteile sowie die Verwendung eines signifikant anderen Labels (Delinquenten statt complotisten) sind erklärungsbedürftig.5 Es stellt sich die Frage, weshalb Herzog Eberhard Ludwig, seine Regierungsräte sowie das Stadtgericht das Verbrechen binnen weniger Monate entpolitisierten. Augenfällig ist zudem, dass eine weitere Anschuldigung, die von mehreren Zeugen dargelegt worden war, im letzten Drittel der Verfahrensgeschichte sowie in den Urteilen keine Rolle mehr spielte. Zwei der Verschwörer hatten sich nachweislich um magische Mittel bemüht, um das Attentat einfacher umsetzen zu können. Das Mordkomplott ist jedoch noch in zwei weiteren Hinsichten kein „langweiliges“, sondern ein für die historische Kriminalitätsforschung aufschlussreiches Verbrechen.6 Erstens verdeutlicht das Komplott exemplarisch, dass Johannes Dillingers interessante These, wonach „konfessionell motivierte Mordanschläge auf Herrscherpersönlichkeiten […] eine katholische Domäne“ gewesen seien, einer deutlichen Relativierung bedarf.7 In diesem Beitrag wird argumentiert, dass die protestantischen Verschwörer den (vermuteten) katholischen Einfluss des Hohenzollern auf Eberhard Ludwig beenden wollten. Bemerkenswert ist dabei weniger die Existenz protestantischer Verschwörer im Alten Reich,8 sondern ihr spezifisches Bemühen, durch ein Attentat den eigenen Landesherrn vor einer Konversion zum Katholizismus zu bewahren. Zweitens kann das Mordkomplott eine Antwort auf die Frage liefern, wo sich im Alten Reich des 18. Jahrhunderts Räume für ein Attentat auf Herrscher eröffneten. Die höfische Jagd mit ihrem informelleren Rahmen erlaubte es Adeligen und Bediensteten gleichermaßen, sich einem Herrscher mit geladenen Schusswaffen zu nähern. In Anbetracht der zahlreichen, nicht selten tödlichen Jagdunfälle durfte der Attentäter zudem auf ein kleines Schlupfloch hoffen.9 Er konnte im Falle seiner Festnahme be5 6 7
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Eine gute Zusammenfassung des „labeling-approach“ bietet Gerd Schwerhoff: Historische Kriminalitätsforschung (= Historische Einführungen, Bd. 9), Frankfurt/ New York 2011, S. 35–39. In Anlehnung an den provokanten Titel des Sammelbandes von Helge Peters (Hg): Langweiliges Verbrechen. Warum KriminologInnen den Umgang mit Kriminalität interessanter finden als Kriminalität, Wiesbaden 2011. Johannes Dillinger: Attentate und Aufstände. Zur religiösen Bedeutung politischer Kriminalität in der Frühen Neuzeit, in: Eric Piltz / Gerd Schwerhoff (Hgg.): Gottlosigkeit und Eigensinn. Religiöse Devianz im konfessionellen Zeitalter (= Zeitschrift für Historische Forschung, Bd. 51), Berlin 2015, S. 237–258, hier S. 248. An dieser Stelle sei auf ein weiteres, jedoch erfolgreiches Mordkomplott im Südwesten des Reiches verwiesen. 1590 wurde Markgraf Jakob III. von Baden-Hachberg wenige Wochen nach seiner Konversion zum Katholizismus mit Arsen vergiftet. Für diesen Hinweis danke ich herzlich Lorenz Baibl (Münster/ Regensburg), der aktuell eine Dissertation mit dem Titel „Gräfliche Glaubenswechsel. Konversionen und konfessionelle Differenz im Hochadel des Alten Reiches“ erarbeitet. Stellvertretend sei auf Kaiser Karl VI. verwiesen, der bei einer Hirschjagd im Jahr 1732 versehentlich seinen Oberstallmeister Adam Franz Karl von Schwarzenberg erschoss. Vgl. Martin Scheutz: Die Elite der hochadeligen Elite. Sozialgeschichtliche Rahmenbedingungen der obersten Hofämter
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teuern, der (tödliche) Schuss auf den Herrscher habe sich versehentlich gelöst. Der Beitrag wird daher auch belegen, dass im Norden des Alten Reiches Verschwörer rund ein Jahrzehnt später die höfische Jagd ebenfalls als beste Gelegenheit erachteten, um ein Attentat auf einen Herrscher durchzuführen. In der historischen Forschung ist die „Hechinger Verschwörung“ bis dato faktisch unbekannt.10 Lediglich der vierte, im Jahr 2015 publizierte Band der Reihe „Hie gut Wirtemberg allewege“ verweist knapp auf die Verschwörung sowie die im Hauptstaatsarchiv Stuttgart überlieferten „Bruchstücke der Processe gegen […] den Hausund Landküchenmeister Glaser, den Cammerdiener Ritter, den Kaufmann Andrä“.11 Die Bezeichnung „Bruchstücke“ verdeutlicht bereits, dass die Verschwörung nur sehr fragmentarisch überliefert ist. Im Detail konnten die Defensionsschriften von Kammerdiener Ritter und Jagdgehilfe Läudel sowie ein ausführliches Gutachten der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen zur Rolle Samuel Hellers untersucht werden. Die publizierten Urteile, die geschworenen Urfehden sowie Teile der Korrespondenz Eberhard Ludwigs mit seinen Räten liegen ebenfalls vor und wurden ausgewertet. Die Analyse wird zusätzlich durch den Umstand erschwert, dass die Archivalien auf vier Bestände verteilt sind, wobei nicht auszuschließen ist, dass in anderen Beständen noch einschlägige Archivalien zu finden sind.12 Um die Quellenbasis zu erweitern, wurden im Staatsarchiv Sigmaringen u. a. noch die Jagdbücher Friedrich Wilhelms gesichtet, die für die Jahre 1706 bis 1708 erhalten sind.13 Diese enthalten handschriftliche Aufzeichnungen des Fürsten über die Jagdgesellschaften, an denen er teilgenommen hat, sowie die Art und Anzahl der erlegten Tiere. Ein Hinweis auf das Mordkomplott findet sich darin hingegen nicht. Der Beitrag gliedert sich in drei aufeinander aufbauende Teile. Einleitend sollen die Position Friedrich Wilhelms am württembergischen Hof sowie seine Rolle in der Affäre Grävenitz knapp dargelegt werden. Im zweiten Teil werden sowohl der Attentatsplan der Verschwörer als auch die Suche von Glaser und Heller nach einem Schadenzauber sowie einem Mittel, um sich unsichtbar zu machen, analysiert. Abschließend gilt das Augenmerk dem Prozess gegen die Verschwörer und der Frage, warum das Verbrechen letztlich entpolitisiert wurde. In diesem Kontext soll auch nach sicherheitspraktischen Maßnahmen sowie nach der medialen Resonanz auf das Mordkomplott gefragt werden.
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am Wiener Kaiserhof im 18. Jahrhundert, in: Ders./ Gerhard Ammerer/ Elisabeth Lobenwein (Hgg.): Adel im 18. Jahrhundert. Umriss einer sozialen Gruppe in der Krise (= Querschnitte, Bd. 28), Innsbruck/Wien/Bozen 2015, S. 141–194, hier S. 173. So die Bezeichnung für die einschlägigen Akten im Bestand HStAS, A 6, Bü 188. Gerhard Raff: Hie gut Wirtemberg allewege. Das Haus Württemberg. Bd. 4: Das Haus Württemberg von Herzog Eberhard Ludwig bis Herzog Carl Alexander unter besonderer Berücksichtigung der Christina Wilhelmine von Grävenitz, Schweigern 2015, S. 165. HStAS, A 5, Bü 144; A 6, Bü 188; A 210, Bü 422; G 184, Bü 25. Staatsarchiv Sigmaringen (im Folgenden: StAS), FAS HH 1–50, T 6, R 70,2.
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I. Friedrich Wilhelm von Hohenzollern-Hechingen und der Hof Eberhard Ludwigs Friedrich Wilhelm (1663–1735) trat Ende des Jahres 1681 als Reichsfürst die Regentschaft in Hechingen an.14 In den folgenden 30 Jahren hielt er sich jedoch nur sehr selten in seinem Territorium auf, sondern diente als Offizier in der kaiserlichen Armee. Im Zuge der militärischen Auseinandersetzungen mit dem Osmanischen Reich sowie der Reichskriege gegen Frankreich nahm er unter anderem am Entsatz Wiens (1683), der Schlacht bei Slankamen (1691) sowie der Schlacht von Höchstädt (1704) Teil. Friedrich Wilhelm konnte durch seine dezidierte Kaisertreue bedeutende symbolische Profite für sich und sein Haus erzielen: Mit der Ernennung zum Feldmarschall im Jahr 1707 erreichte er den höchsten militärischen Rang in der kaiserlichen Armee.15 Bereits 1692 hatte Kaiser Leopold I. die Reichsfürstenwürde, die bis dato dem erstgeborenen Sohn Friedrich Wilhelms vorbehalten war, auf alle seine ehelichen Nachkommen ausgedehnt. Ökonomisches Kapital erwarb er hingegen primär durch die Generalverpachtung sämtlicher Einnahmen aus seinem Territorium an seinen Geheimen Rat Johann Paul Baratti, den er zugleich mit der Verwaltung betraut hatte.16 Friedrich Wilhelm erhielt auf diese Weise pro Jahr die vertraglich fixierte Summe von 22.000 Gulden. Befand sich Friedrich Wilhelm nicht bei den kaiserlichen Truppen, hielt er sich bevorzugt am württembergischen Hof auf. Trotz des Konfessionsunterschieds [Abbildung 1: Reichsfürst Friedrich Wilhelm von Hohenzollern-Hechingen; Kupferstich v. Martin Bernigeroth. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A 9931] 14 15 16
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In Ermangelung neuerer Darstellung immer noch unverzichtbar: Gustav Schilling: Geschichte des Hauses Hohenzollern in genealogisch fortlaufenden Biographien, Leipzig 1843, S. 238–245. Zu den einzelnen Stationen der militärischen Laufbahn siehe die knappen Ausführungen bei Erik Lund: The Generation of 1683. Habsburg General Officers and the Military Technical Corps, 1686– 1723, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 46 (1998), S. 189–213, hier S. 207. Fritz Kallenberg: Hohenzollern im Alten Reich, in: Ders. (Hg.): Hohenzollern (= Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs, Bd. 23), Stuttgart/ Berlin/ Köln 1996, S. 48–128, hier S. 78.
Mit Magie und Jagdgewehr für ein protestantisches Herzogtum
war der katholische Hohenzoller ein „vertrauter Freund“, einflussreicher Ratgeber und vor allem passionierter Jagdbegleiter Eberhard Ludwigs.17 Zu den bevorzugten Jagdgebieten der beiden Herrscher zählten dabei die herzoglichen Wälder zwischen Stuttgart und Tübingen.18 Die enge Freundschaft der beiden Fürsten belegt überdies die Rolle, die Friedrich Wilhelm im Kreis der Träger des württembergischen Hubertusordens von der Jagd einnahm: Nachdem Eberhard Ludwig den Orden 1702 gestiftet und 15 Mitglieder ernannt hatte, übertrug er das Amt des Ordensgroßkanzlers dem Hohenzollern.19 In den Jahren 1707 und 1708 avancierte Friedrich Wilhelm jedoch für große Teile des Hofes, namentlich die Parteigänger von Herzogin Johanna Elisabeth, zur Unperson. Wie Sybille Oßwald-Bargende treffend konstatiert, gehörte er „zu jener Intrigentruppe, die das Fräulein von Grävenitz zur herzoglichen Mätresse lancierte.“20 Eberhard Ludwig war seit 1697 mit Johanna Elisabeth von Baden-Durlach verheiratet, hatte jedoch bereits in den ersten Ehejahren Umgang mit Mätressen gepflegt, ohne dass dies übermäßig problematisiert worden wäre.21 Die Beziehung zu Wilhelmine von Grävenitz, die erst Ende 1706 an den Herzogshof gekommen war, überschritt jedoch binnen Jahresfrist die Schwelle des Skandals. Im Juli 1707 vermählte sich Eberhard Ludwig heimlich in morganatischer Ehe mit Wilhelmine und betrieb ihre Erhebung in den Grafenstand. Am 13. November 1707 setzte er schließlich seine Geheimen Räte in Kenntnis und ließ in den folgenden Tagen die Eheschließung allgemein publik machen.22 In den kommenden Monaten bemühten sich beide Fraktionen, die Deutungshoheit über die Geschehnisse zu erlangen und Unterstützer an auswärtigen Höfen zu gewinnen. Eberhard Ludwig und seine Vertrauten betonten die Rechtmäßigkeit der morganatischen Ehe und konnten, dank entsprechender Hinweise des Tübinger Rechtsprofessors Johann Andreas, zwei gewichtige Präzedenzfälle anführen.23 Landgraf Philipp von Hessen (1540) und Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz (1658) waren ebenfalls morganatische Ehe eingegangen, wobei erstere von Martin Luther gebil17 18 19 20 21
22 23
So die treffende Einschätzung von Paul Sauer: Musen, Machtspiel und Mätressen. Eberhard Ludwig – württembergischer Herzog und Gründer Ludwigsburgs, Tübingen 2008, S. 72. StAS, FAS HH 1–50, T 6, R 70,2. Zur Gründung des Hubertusordens und der Rolle Friedrich Wilhelms siehe Sauer: Musen (wie Anm. 17), S. 72–74. Sybille Osswald-Bargende: Die Mätresse, der Fürst und die Macht. Christina Wilhelmine von Grävenitz und die höfische Gesellschaft (= Geschichte und Geschlechter, Bd. 32), Frankfurt/ New York 2000, S. 88. Zur sog. „Doppelhochzeit“ der Häuser Württemberg und Baden-Durlach im Jahr 1697 siehe Jacqueline Maltzahn-Redling: „ …[die] glückseligste [Verbindung], so in der Welt hätte ersonnen werden können“. Doppelhochzeit in Basel 1697 – Baden und Württemberg rücken zusammen, in: Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hg.), Karl Wilhelm 1679–1738, München 2015, S. 67–73. Der herzogliche Gesandte am Regensburger Reichstag, Johann Hiller, wurde am 14. November angewiesen, die Vermählung bekannt zu geben. Vgl. Raff: Hie gut Wirtemberg allewege, Bd. 4 (wie Anm. 11), S. 154. Sauer: Musen (wie Anm. 17), S. 79.
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ligt worden war.24 Die Mehrzahl der Geheimen Räte, die wiederum die mächtigen württembergischen Landstände hinter sich wussten, sodann die Anhänger Johanna Elisabeths sowie die Landstände deuteten die Zweitehe hingegen als Bigamie. Letztere überreichten eine Interzessionsschrift, in der sie darlegten, der Herzog lebe in Todsünde, für die man einfache Untertanen mit dem Tode bestrafe. Das Konsistorium positionierte sich ebenfalls in eindeutiger Weise, indem es Eberhard Ludwig und seiner Zweitfrau die Teilnahme am Abendmahl verweigerte.25 Bei Hof sowie im Landschaftshaus kursierten daher rasch Gerüchte, der Herzog werde eine Changirung […] der Religion vornehmen, sobald der Papst sich bereit erkläre, die Ehe mit Johanna Elisabeth zu annullieren.26 Der weitere Verlauf der Affäre soll nur kurz skizziert werden: In Anbetracht der massiven Widerstände im Herzogtum durch Landstände, Klerus und Beamtenschaft sowie einer von Kaiser Joseph I. ernannten Kommission, die Eberhard Ludwig zur Beendigung der Bigamie bewegen sollte, erklärte sich dieser im Juni 1708 bereit, seine Zweitehe annullieren zu lassen.27 Wilhelmine von Grävenitz verließ daraufhin Ende 1708 das Herzogtum in Richtung Schweiz. Die förmliche Versöhnung des Herzogspaares konnte jedoch erst am 11. Mai 1710 erfolgen und war maßgeblich von Markgraf Karl Wilhelm, dem Bruder der Herzogin, sowie Friedrich Wilhelm vorangetrieben worden.28
II. Die Verschwörer und das Mordkomplott Wie eingangs erwähnt, kann der herzogliche Küchenmeister Johann Michael Glaser als Initiator und Principal des Mordkomplotts identifiziert werden.29 Im Verlauf des Jahres 1708 wandte er sich an den herzoglichen Kammerdiener Johann Michael Ritter und gewann ihn für seinen Plan, den Fürsten von Hohenzollern zu erschießen. 24
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Sybille Osswald-Bargende: Eine fürstliche Hausaffäre. Einblicke in das Geschlechterverhältnis der höfischen Gesellschaft am Beispiel des Ehezerwürfnisses zwischen Johanna Elisabetha und Eberhard Ludwig von Württemberg, in: Ulrike Weckel/ Claudia Opitz/ Brigitte Tolkemitt/ Olivia Hochstrasser (Hgg.): Ordnung, Politik und Geselligkeit der Geschlechter im 18. Jahrhundert (= Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa, Bd. 6), Göttingen 1998, S. 65–88, hier S. 74. Sauer: Musen (wie Anm. 17), S. 80. So Geheimrat Seubert an den Stuttgarter Bürgermeister Johann Daniel Hoffmann im Jahr 1708. Zitiert nach Raff, Hie gut Wirtemberg allewege, Bd. 4 (wie Anm. 11), S. 163, 399. Osswald-Bargende, Fürstliche Hausaffäre (wie Anm. 24), S. 78; Zu Aufgaben und Bedeutung kaiserlicher Kommissare siehe grundlegend Eva Ortlieb: Im Auftrag des Kaisers. Die kaiserlichen Kommissionen des Reichshofrats und die Regelung von Konflikten im Alten Reich (1637–1657) (= Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 38), Köln/ Weimar/ Wien 2001. Osswald-Bargende, Fürstliche Hausaffäre (wie Anm. 24), S. 79. Die herzoglichen Regierungsräte versuchten 1711 zu ergründen, wer der Principal der Verschwörer bzw. der principal complotist war. Die Zitate entstammen dem Gutachten der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen, 11.9.1711. HStAS, G 184, Bü 25.
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Die Motive für das Mordkomplott lassen sich vergleichsweise gut rekonstruieren. An erster Stelle muss die bereits erwähnte Befürchtung genannt werden, der katholische Hohenzollernfürst werde Eberhard Ludwig über kurz oder lang zum Glaubenswechsel bewegen. Das Szenario einer Changirung […] der Religion zum Katholizismus sorgte also auch im Württemberg des frühen 18. Jahrhundert für eine Alarmstimmung und für ein Attentats-Motiv.30 Wie groß die Sorgen vor einer Konversion des Herzogs waren, belegen exemplarisch die Aussagen des herzoglichen Forstmeisters und Mitangeklagten Samuel Heller. Zu seinen Treffen mit Glaser befragt, gab Heller zu Protokoll, er sei Ende des Jahres 1708 erstmals zu dem Glaser gekommen, der gleich angefangen: Gott im Himmel, wie gehets so übel zu! Der Herr zieht hinauß, und wirdt Catholisch. Heller könte der Sache am besten helfen, er gehe allezeit mit dem Fürsten von Zollern auf die Jagd hinaus, könte machen, daß er todt geschossen würde, und die Herren also voneinander kämen.31 Der Glaser zugeschriebene, kryptische Ausruf, der Herzog zieht hinauß, bedarf der Interpretation. Es handelt sich hierbei vermutlich um eine Anspielung auf das seit 1704 im Bau befindliche, vor den Toren Stuttgarts gelegene Residenzschloss Ludwigsburg. Bei den Parteigängern Johanna Elisabeths konnte die repräsentative Dreiflügelanlage leicht zum Symbol für die (räumliche) Trennung von Herzog und Herzogin sowie das Leben Eberhard Ludwigs in Sünde werden.32 Denkbar ist jedoch auch, dass Glaser auf die gemeinsame Reise von Eberhard Ludwig und Friedrich Wilhelm an den Dresdner Hof im Jahr 1708 anspielte.33 Da Kurfürst Friedrich August bereits 1697 zum Katholizismus konvertiert war, könnte Glaser die Reise als Menetekel interpretiert haben. Darüber hinaus nahmen Glaser und Ritter den Zustand des gesamten Herzogtums als desolat wahr, wofür sie jedoch nicht ihren eigenen Landesherrn, sondern ausschließlich Friedrich Wilhelm verantwortlich machten. Wie verschiedene knappe Aussagen von angeklagten sowie nicht angeklagten Personen belegen, äußerte Glaser wiederholt Vorwürfe, wonach der Fürst von Zollern dem Land so viel Schaden gethan bzw. dieser das Elend im Herzogtum verursacht habe.34 Auf einer abstrakteren Ebene lässt sich zu den Motiven von Glaser und Ritter somit festhalten, dass sie durch die Ermordung Friedrich Wilhelms einerseits die als verloren gegangen erachtete Ordnung am Herzogshof wiederherstellen wollten. Andererseits sollte durch das Attentat zusätzliche Unordnung im Herzogtum, versursacht durch die perhorreszierte Konversion, verhindert werden.35 30 31 32 33 34 35
Ähnlich wie in England im 16. und 17. Jahrhundert, vgl. dazu den Beitrag von Benedikt Nientied in diesem Band. Hellers Aussage wird zitiert im Gutachten der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen, 11.9.1711. HStAS, G 184, Bü 25. Zur Errichtung Ludwigsburgs siehe Osswald-Bargende, Mätresse (wie Anm. 20), S. 20f. Zur Reise siehe auch die knappen Ausführungen bei Sauer: Musen (wie Anm. 17), S. 83f. So beispielsweise die Zeugenaussage von Hofpächter Köster. Die Aussage wird zitiert im Schreiben der Regierungsräte an Eberhard Ludwig, 12.4.1711 [Konzept]. HStAS, A 210, Bü 422. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass nach Eberhard Ludwigs Tod der katholische Karl Alexander die Herrschaft im Herzogtum antrat.
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II.a.
… den Fürsten auf der Jagd hinzurichten – Überlegungen zum Raum für Attentate im 18. Jahrhundert
Küchenmeister Glaser und Kammerdiener Ritter waren überzeugt, dass die Jagdveranstaltungen Eberhard Ludwigs die beste Gelegenheit boten, den Hohenzollern zu töten. Allerdings konnten beide aufgrund ihrer jeweiligen Funktion bei Hof nicht daran teilnehmen.36 Aus diesem Grund traten sie Ende des Jahres 1708 mit dem herzoglichen Forstmeister Samuel Heller in Kontakt, der beide Fürsten bereits mehrfach bei der Jagd begleitet und dabei als büchsen spanner fungiert hatte.37 Heller war somit wiederholt mit der verantwortungs- wie ehrenvollen Aufgabe betraut gewesen, Friedrich Wilhelm das abgefeuerte Gewehr aus den Händen zu nehmen, es hurtig, geschwind zu säubern, eiligst nachzuladen und dann zurückzureichen.38 Es muss nicht ausführlich dargelegt werden, dass Heller prädestiniert gewesen wäre, aus nächster Nähe ein Attentat auf den Hohenzollern auszuführen. In mehreren konspirativen Treffen äußerte dieser jedoch keinerlei Bereitschaft, das Attentat auszuführen. Allerdings machte er beide auf den jungen, unverheirateten Jagdgehilfen Abraham Läudel aufmerksam und stellte schließlich auch den Kontakt her. In der Folgezeit bemühten sich Glaser und Ritter intensiv, Läudel für die Umsetzung des Attentatsplans zu gewinnen. Sie luden ihn mehrfach in der Gaststube des Stuttgarter Kaufmanns Andrä ein, machten ihn betrunken und versprachen ihm 100 Louis d´or für den Fall, dass er den Hohenzollern bei der Jagd erschieße.39 Außerdem gaben sie ihm konkrete Anweisungen, wie das Attentat auszuführen sei: Sollte wieder eine Jagd angesetzt werden, an der der Fürst von Hohenzollern-Hechingen teilnehme, solle Läudel beispielsweise bereits im Vorfeld ein Gewehr im Wald deponieren, um dann bei passender Gelegenheit aus dem Unterholz das Attentat ausführen zu können. Die höfische Jagd wurde nicht nur im Südwesten, sondern auch im Norden des Alten Reichs als aussichtsreichste Gelegenheit wahrgenommen, einen Herrscher zu ermorden. Am 10. November 1721, d.h. ein Jahrzehnt nach der „Hechinger Verschwörung“, wurde Reichsgraf Christian Detlef von Rantzau bei einem Jagdausritt erschossen und einer der Jagdbegleiter verletzt. Wie Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt betont, hatte es bereits vor dem 10. November „verschiedene Anschläge“ auf das Leben des Grafen gegeben.40 Den – aus Sicht der Verschwörer – gewünschten Erfolg 36 37 38 39 40
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Zur höfischen Jagd in der Frühen Neuzeit siehe beispielsweise Cecilie Hollberg: „Die Lust am Jagen“. Höfische Jagd vom 16. bis 18. Jahrhundert, in: Gerhard Quaas (Hg.): Hofjagd. Aus den Sammlungen des Deutschen Historischen Museums, Wolfratshausen 2002, S. 9–27. Hellers konkrete Aufgabe bei den Jagden erhellt u. a. die Defensionsschrift Abraham Läudels, 30.5.1711. HStAS, A 210, Bü 422. Der einschlägige Zedler-Artikel betont, wie zügig und zugleich vorsichtig ein Büchsenspanner mit dem Herrschafftlichen Gewehr umgehen müsse. Siehe Art.: Büchsen-Spanner, in: Johann Heinrich Zedler: Großes vollständiges Universallexikon, Bd. 4, Halle/ Leipzig 1733, Sp. 1840–1841. Defensionsschrift Abraham Läudels, 30.5.1711. HStAS, A 210, Bü 422. Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt: Die Reichsgrafen von Rantzau, in: Carsten P. Rasmussen (Hg.): Die Fürsten des Landes. Herzöge und Grafen von Schleswig, Holstein und Lauenburg, Neu-
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erbrachten jedoch erst die Schüsse aus dem Unterholz. Bis zum heutigen Zeitpunkt ist nicht letztgültig geklärt, ob Wilhelm Adolf, der jüngere Bruder des kinderlosen Reichsgrafen, der Anstifter des Attentats war. Dieser hatte die Grafschaft bereits von 1715 bis 1720 regiert, als Christian Detlef in Berlin inhaftiert war und sich gegen den Vorwurf eines Hofbeamten, homosexuelle Kontakt gesucht zu haben, verteidigen musste.41 Nach einer kaiserlichen Intervention wurde er jedoch zu Beginn des Jahres 1720 freigelassen und übernahm umgehend wieder die Herrschaft in Rantzau. Für das tödliche Attentat ließ der dänische König, in seiner Rolle als Herzog von Holstein, im Jahr 1725 einen Hauptmann anklagen, verurteilen und enthaupten. Im April 1726 wurde schließlich Wilhelm Adolf von Rantzau wegen Anstiftung zum Mord zu lebenslanger Haft in der Festung Akershus verurteilt.42 II.b.
Das magische Wissen der Verschwörer
Den württembergischen Verschwörern war von Anbeginn überaus bewusst, dass eine Ausführung des Attentatsplans ihr eigenes Leben hochgradig gefährden würde. Küchenmeister Glaser und Forstmeister Heller hegten jedoch phasenweise die Hoffnung, mit Hilfe magischer Mittel das Risiko für alle beteiligten Verschwörer reduzieren zu können. Das Interesse Glasers galt zunächst einem Schadenzauber, mit dessen Hilfe man Zwietracht zwischen Eberhard Ludwig und Friedrich Wilhelm stiften könne.43 Hätte es Glaser vermocht, feindschaft zwischen diesen beyden Fürsten zu stiften, wäre der (angenommene) negative Einfluss des Hohenzollern auf Eberhard Ludwig gebannt und ein Attentat obsolet gewesen.44 Im Laufe der Zeit interessierten sich Glaser und Heller jedoch zunehmend für ein magisches Mittel, um den designierten Attentäter unsichtbar zu machen, damit dieser den Hohenzollern erschießen und anschließend gefahrlos entkommen könne. Beide hatten eine präzise Vorstellung, wie dieses Mittel – der Stein der Unsichtbarkeit – zu erlangen sei: mit Hilfe eines Kielraben. Diese Vorstellung scheint zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Alten Reich durchaus einen nennenswerten Verbreitungsgrad besessen zu haben. Als Beleg kann der im Jahr 1746 veröffentlichte 49. Band des Zedler´schen Universallexikons dienen, der einen ausführlichen, vier Seiten umspannenden Artikel mit dem Titel „unsichtbar machen“ enthält.45 Bemerkenswert ist zunächst, dass der Autor explizit betont, es sei eine ausgemachte Wahrheit, daß die zum unsichtbar machen angegebene Mittel dazu nicht 41 42 43 44 45
münster 2008, S. 405–417, hier S. 414. Siehe hierzu ausführlich Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt: Reichsgraf Christian Detlef Rantzau ein Sodomit? Eine politische Affäre im Norden des Alten Reiches (1715–1720), in: Invertito 8 (2006), S. 9–34. Lorenzen-Schmidt: Reichsgrafen von Rantzau (wie Anm. 40), S. 415. Zur Kriminalisierung magischer Praktiken siehe Michael Ströhmer, Art.: Zauberei, in: Friedrich Jaeger (Hg.): Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 15, Stuttgart/ Weimar 2012, Sp. 314–324, hier Sp. 323. Gutachten der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen, 11.9.1711. HStAS, G 184, Bü 25. Art.: unsichtbar machen, in: Johann Heinrich Zedler: Großes vollständiges Universallexikon, Bd. 49, Halle/ Leipzig 1746, Sp. 2012–2017.
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hinlänglich seien.46 Gerade die Tatsache jedoch, dass der Autor explizit betont, man könne sich nicht unsichtbar machen, lässt bereits Rückschlüsse auf den Verbreitungsgrad derartiger Vorstellungen zu.47 Im weiteren Verlauf des Artikels werden gleichwohl die gängigsten Hypothesen geschildert. Dabei geht der Autor auch auf die Bedeutung des Kielraben ein. Demnach würden Personen immer wieder vorgeben, dass der Stein, um sich unsichtbar zu machen, bey den Raben zu finden sey, wenn man nehmlich einen jungen Raben aus dem Neste nähme, ihn erwürgte, und bey dem Nest an einem Faden aufhenckte; Denn solte der alte Rabe wegfliegen, und den Stein der Unsichtbarkeit bringen, welcher, wenn er den todten Jungen in den Schnabel gestecket worden, denselben unsichtbar macht, daß er von keinen Menschen gesehen würde. Deswegen hänge man dem Raben einen langen rothen Faden an den Fuß, damit man durch denselben den jungen Raben bemercken, und also den Stein der Unsichtbarkeit erlangen könnte.48 Glaser und Heller hegten ebenfalls die Hoffnung, mit Hilfe eines Kielraben und dessen Nest an den Stein der Unsichtbarkeit zu gelangen. Im Gutachten der Tübinger Juristen werden Zeugenaussagen verschiedener Personen konzis zusammengefasst. So habe beispielsweise Forstmeister Heller bei einem konspirativen Treffen berichtet, dass er ein solches Nest in dem Thiergartten bey Degerloch, und eines bey Bebenhausen gewusst, er wäre zwahr darnach hinauf gestiegen, aber nicht getraut solche zu erreichen, weilen sie ihm zu hoch gewesen, und ihm daran gegrauet, dan er gern deren eines gehabt, zu dem ende, damit er sich durch dessen mittel unsichtbar machen könne.49 Wie im folgenden Kapitel zu zeigen sein wird, war sich der Forstmeister sehr bewusst, dass magische Künste von Seiten der Obrigkeit formal verboten waren. Die „Hechinger Verschwörung“ liefert somit auch einen eigentümlichen Beleg für das von Richard van Dülmen konstatierte „Neben- und Miteinander“ von Magie und (protestantischer) Religion in der Frühen Neuzeit.50 Glaser und Heller bemühten sich, ihr spezifisches magisches Wissen zum Wohl der protestantischen Konfession einzusetzen.51 Allerdings realisierten beide im Verlauf des Jahres 1709 offenbar, dass die Suche nach dem Stein der Unsichtbarkeit in absehbarer Zeit keine Resultate erbringen würde. Entsprechend rückte der konventionellere Plan, den Hohenzollern bei der Jagd zu erschießen, in den Fokus.
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Art.: unsichtbar machen (wie Anm. 45), Sp. 2013. Das populärwissenschaftliche, streckenweise ungenügende Werk von Philip Ball lässt ebenfalls erahnen, wie sehr dieser Glaube im frühneuzeitlichen Europa verbreitet war. Philip Ball: Invisible. The Dangerous Allure of the Unseen, London 2014, S. 9–12. Art.: unsichtbar machen (wie Anm. 45), Sp. 2014. Gutachten der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen, 11.9.1711. HStAS, G 184, Bü 25. Richard van Dülmen: Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit. Bd. 3: Religion, Magie, Aufklärung, München 32005, S. 79. Zu frühneuzeitlichen Fürstenberatern mit magischem Wissen siehe Monika Neugebauer-Wölk: Magieglaube und Esoterik. Brauchen wir eine neue europäische Religionsgeschichte?, in: Thomas Pfeiffer (Hg.): Zauber und Magie, Heidelberg 2010, S. 131–161, hier S. 155f.
Mit Magie und Jagdgewehr für ein protestantisches Herzogtum
III. Der Prozess vor dem Stuttgarter Stadtgericht (1711–12) Im Verlauf des Jahres 1710 kamen am Herzogshof Gerüchte auf, dass ein Attentat auf den Hohenzollern geplant sei, was im Kreis der Verschwörer nachweislich Unruhe verursachte.52 Glaser und Ritter hegten vor allem die Befürchtung, der junge Jagdgehilfe Abraham Läudel könnte sich stellen und den Attentatsplan offenbaren. Aus diesem Grund bedrängten sie ihn, das Herzogtum vorübergehend zu verlassen, bis die Gerüchte abgeklungen seien. Nachdem sich Läudel zunächst mit Verweis auf seine unlängst eingegangene Verlobung geweigert hatte das Territorium zu verlassen, setzte er sich letztlich doch mit falschen Papieren in die Reichsstadt Nürnberg ab.53 Wenig später wurde die Verschwörung tatsächlich aufgedeckt, wobei sich nicht mehr rekonstruieren lässt, ob die Verschwörer denunziert worden waren.54 Gesichert ist lediglich, dass zunächst Kaufmann Andrä, in dessen Gaststube sich die Verschwörer mehrfach getroffen hatten, inhaftiert wurde.55 Wenig später wurden auch Küchenmeister Glaser und seine Ehefrau, Kammerdiener Ritter, Forstmeister Heller, der Bruder von Kaufmann Andrä sowie einige weitere Personen gefangen gesetzt. Abraham Läudel hingegen wurde auf brandenburg-ansbachischem Territorium gefasst und in Ketten nach Stuttgart überführt.56 Vor Beginn der Verhöre bzw. des Prozesses wies Eberhard Ludwig seine Regierungsräte im Februar 1711 explizit an, das Komplott auf das schärpfiste, jedoch auch dabey auf das legaleste zu untersuchen.57 Der Herzog war augenscheinlich von Anfang an sehr darauf bedacht, die Legalität des Verfahrens zu sichern und zum Ausdruck zu bringen, um (zusätzliche) Kritik an seiner Person zu unterbinden. Genau besehen kam der Prozessauftakt für Eberhard Ludwig zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, hatte er doch Anfang Februar 1711 Wilhelmine von Grävenitz an seinen Hof zurückgeholt.58 Das Bemühen um ein legales Verfahren zeigt sich exemplarisch an der Aktenversendung nach Tübingen. Zwar handelt es sich bei der Einbindung einer Universität um eine gängige Praxis in Strafprozessen, allerdings stellten die Regierungsräte in diesem Fall sicher, dass keiner der involvierten Tübinger Juristen eine Ratsstelle bei Fürst Friedrich Wilhelm innehatte.59 52 53 54 55 56 57 58 59
Zeitgleich kursierte im Herzogtum sowie in Frankfurt das Gerücht, Unbekannte hätten Versuche unternommen, Herzog Eberhard Ludwig mit Gift zu töten. Siehe hierzu den Brief von Greiffencron an Eberhard Ludwig, 11.2.1710. HStAS, G 184, Bü 25. Gutachten der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen, 11.9.1711. HStAS, G 184, Bü 25. Siehe grundlegend Achim Landwehr/ Friso Ross: Denunziation und Justiz. Problemstellungen und Perspektiven, in: Dies (Hgg.): Denunziation und Justiz. Historische Dimensionen eines sozialen Phänomens, Tübingen 2000, S. 7–24. Regierungsräte an Eberhard Ludwig, 17.4.1711. HStAS, A 210, Bü 422. Relation der Regierungsräte an Eberhard Ludwig, 17.10.1711. HStAS, A 210, Bü 422, S. 37. Die Regierungsräte bestätigten diese Anweisung in ihrer Relation an Eberhard Ludwig, 17.3.1711. HStAS, A 210, Bü 422, S. 1. Osswald-Bargende, Fürstliche Hausaffäre (wie Anm. 24), S. 81f. Zur Aktenversendung siehe Peter Oestmann: Art.: Aktenversendung, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1: Aachen – Geistliche Bank, Berlin 22008, S. 128–132.
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Angesichts der fragmentarischen Überlieferung lässt sich die Verfahrensgeschichte nicht im Detail rekonstruieren. Das erwähnte Gutachten der Tübinger Juristen ermöglicht jedoch zumindest eine detaillierte Analyse der Verteidigungsstrategie von Samuel Heller. Der Forstmeister sah sich mit dem Vorwurf der Anklage konfrontiert, er sei ein Principal von denen complotisten und habe es überdies gewagt, nach verbottenen künstlein zu fragen.60 Es ist nicht verwunderlich, dass Heller die Strategie verfolgte, Glaser und Ritter als Hauptverantwortliche der Verschwörung zu präsentieren.61 Er selbst sei hingegen lediglich als Randfigur anzusehen, die überdies dafür gesorgt habe, dass der Attentatsplan nicht umgesetzt werde. Zwar konnte Forstmeister Heller nicht leugnen, Glaser auf Läudel aufmerksam und beide miteinander bekannt gemacht zu haben. Er beteuerte jedoch zugleich, zu einem späteren Zeitpunkt ein eindringliches Vieraugengespräch mit Läudel geführt und ihn ermahnt zu haben, falls Glaser ihn auffordere, das Attentat auszuführen, solle er nur ja sagen, er wolle es thun, aber er solle es bey leib nicht thun. Diese Aussage wurde von Läudel in einem separaten Verhör bestätigt, was offenbar maßgeblich zur Entlastung des Forstmeisters beigetragen hat. In Bezug auf den zweiten Anklagepunkt, die verbotenen magischen Praktiken, bemühte sich Heller ebenfalls, Küchenmeister Glaser als den uhrheber und anfänger zu präsentieren, war hierbei jedoch weit weniger überzeugend.62 Im Verhör gab er zu Protokoll, er habe Glaser, als dieser bei einem Treffen auf magische Praktiken und ein einschlägiges Buch zu sprechen kommen wollte, umgehend entgegnet, er glaube nicht an derartiges narrenwerck. Außerdem, so Heller weiter, habe er in diesem Gespräch erwidert, die Obrigkeit würde Bücher mit magischem Wissen niemals unter die Leute kommen lassen, wan etwas daran wäre. Hellers Bemühen, den eigenen Magieglauben zu leugnen, war jedoch nur schwer mit dem Umstand in Einklang zu bringen, dass er in der Nähe der Ortschaft Bebenhausen selbst nach einem Kielrabennest Ausschau gehalten hatte. Diese Suche, so Hellers wenig überzeugende Rechtfertigung, sei jedoch nur aus bloser curiosität geschehen. In den Verhören war somit der Magieglaube des Forstmeisters manifest geworden, allerdings konnte kein Beweis erbracht werden, dass durch Heller oder Glaser tatsächlich eine zauberey beschehen sei.63 Entsprechend spielte der Schadenzauber im weiteren Verlauf des Verfahrens keiner Rolle mehr. Noch wichtiger jedoch war, dass den Angeklagten kein konkreter Attentatsversuch nachgewiesen und auch der Vorwurf, sie hätten eine Büchse in dem Wald fast bey 2en Jahren parat gehabt, nicht erhärtet werden 60 61
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Die Zitate im folgenden Absatz entstammen Gutachten der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen, 11.9.1711. HStAS, G 184, Bü 25. Zu Aussagestrategien in frühneuzeitlichen Zeugenverhören vgl. Ralf-Peter Fuchs/ Winfried Schulze: Zeugenverhöre als historische Quelle – einige Vorüberlegungen, in: Dies. (Hgg.): Wahrheit, Wissen, Erinnerung. Zeugenverhörprotokolle als Quelle für soziale Wissensbestände in der Frühen Neuzeit, Münster/ Hamburg/ London 2002, S. 7–40. Die wörtlichen Zitate im folgenden Absatz entstammen Gutachten der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen, 11.9.1711. HStAS, G 184, Bü 25. In Anlehnung an Art. LII der Constitutio Criminalis Carolina (1532).
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konnte.64 In den Defensionsschriften, die im Mai 1711 abgefasst wurden, räumten Glaser, Ritter und Läudel expressis verbis ein, über die Ermordung des Fürsten von Hohenzollern-Hechingen gesprochen zu haben.65 Sie betonten allerdings mit größtem Nachdruck, dass Ihnen eine Umsetzung niemals in den Sinn gekommen sei. In den Wochen vor der Urteilsverkündung nahmen die Regierungsräte sehr genau wahr, dass Eberhard Ludwig gewillt war, den Angeklagten einige Gnade widerfahren [zu] lassen.66 Sie unterbreiteten dem Herzog daraufhin ihrerseits Vorschläge, wie man den Angeklagten bzw. deren Angehörigen Gnade widerfahren lassen könnte.67 Die Vermutung liegt nahe, dass die starken Friktionen am Stuttgarter Hof, die nach der Rückkehr der von Grävenitz wieder aufgebrochen waren, den Herzog bewogen, eine Hinrichtung seiner Bediensteten abzulehnen und stattdessen demonstrativ die Fürstentugend der Clementia walten zu lassen. Die am 23. Februar verkündeten milden Urteile, namentlich die lebenslange Verbannung von Glaser, Ritter und Läudel aus dem Herzogtum sowie den vier umliegenden Kreisen, sind somit wenig überraschend. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass diese Art der weiträumigen Verbannung zugleich eine sicherheitspraktische Maßnahme war. Wie Eberhard Ludwig in einem Schreiben an Kaiser Karl VI. darlegte, erachteten er und seine Räte diese Verbannungsart als besonders wirkungsvoll, um sich zukünftig vor dergleichen Fürsten Mörder[n] um so besser hüten zu können.68 Diese sicherheitspraktische Überlegung kann überdies erklären, warum das Stadtgericht im Falle von Samuel Heller nicht dem Urteil der Tübinger Juristen folgte. Diese hatten geurteilt, Heller habe drei Monate Fronarbeit im Herzogtum zu leisten, davon eineinhalb Monate in einer Erzmine. Das Stadtgericht hingegen verhängte eine Verbannung aus dem Herzogtum sowie den vier angrenzenden Kreisen, die bis zu einer Begnadigung durch den Herzog gültig sein sollte. Abschließend soll kurz gefragt werden, ob das Mordkomplott bzw. die Verurteilung und Verbannung der fünf Verschwörer Niederschlag in der Publizistik gefunden haben. Keine zwei Wochen nach dem Urteil wies Eberhard Ludwig seine Räte an, den Inhalt der Urteile an eine Reihe von Zeitungen zu schicken. Als Adressaten werden die Frankfurter Postzeitung sowie Zeitungen in der Schweiz und den Niederlanden genannt. Der Herzog befand es für gut, denen offentlichen Zeitungen einverleiben zulaßen, wie die verwichenen Dienstag ausgesprochene Urtheil an denen propter attentatum assassinium alhier in verhaft gewesenen sambtlichen complicibus eigentlich gelautet, und nahmentlich […] vollzogen worden seyen, umb männiglich dem wahren verlauf der sach kund zumachen.69 Es steht außer Frage, dass diese ,Pressemitteilung‘ dazu dienen sollte, 64 65 66 67 68 69
Regierungsräte an Eberhard Ludwig, 12.4.1712 [Konzept]. HStAS, A 210, Bü 422. Die Verteidigungsschriften finden sich im Bestand HStAS, A 210, Bü 422. Regierungsräte an Eberhard Ludwig, 15.2.1712 [Konzept]. HStAS, G 184, Bü 25. Die Räte unterbreiteten u. a. den Vorschlag, mit Rücksicht auf die Angehörigen der Angeklagten auf das Läuten der Malefizglocke zu verzichten. Regierungsräte an Eberhard Ludwig, 15.2.1712 [Konzept]. HStAS, G 184, Bü 25. Eberhard Ludwig an Karl VI., 6.10.1714 [Konzept ]. HStAS, A 210, Bü 422. Eberhard Ludwig an Regierungsräte, 26.2.1712. HStAS, A 210, Bü 422.
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Thomas Dorfner
die Legalität des gesamten Verfahrens zum Ausdruck bringen. Allerdings konnte kein Nachweis erbracht werden, dass die entsprechenden Zeitungen tatsächlich angeschrieben wurden bzw. einen entsprechenden Bericht publizierten.70
IV. Zusammenfassung Die Analyse der „Hechinger Verschwörung“ hat gezeigt, dass konfessionell motivierte Verschwörungen gegen Herrscherpersönlichkeiten keine genuin „katholische Domäne“ waren.71 Bei den fünf Verschwörern handelte es sich um protestantische Bedienstete bzw. Untertanen des württembergischen Herzogs, die überzeugt waren, Friedrich Wilhelm übe einen katholischen Einfluss auf ihren Landesherrn aus. Durch die Ermordung des Hohenzollern wollten sie die befürchtete Konversion Eberhard Ludwigs abwenden und die als verloren gegangen erachtete Ordnung bei Hof wiederherstellen. Für Glaser und Ritter stand dabei von Anbeginn fest, dass der Mordanschlag nur bei einer der höfischen Jagdveranstaltungen ausgeführt werden könne. Dass die Jagd mit ihrem informellen Rahmen eine gute Gelegenheit für einen Mordanschlag auf einen Herrscher eröffnete, haben Verschwörer andernorts nicht nur erkannt, sondern auch genutzt. Wie ein Exkurs gezeigt hat, wurde Reichsgraf Christian Detlef von Rantzau am 10. November 1721 bei einem Jagdausritt von einem Attentäter erschossen. Der Prozess vor dem Stuttgarter Stadtgericht, der auf Anweisung Eberhard Ludwigs auf das legaleste geführt werden sollte, endete mit der weiträumigen Verbannung der Angeklagten. Die Bereitschaft des Herzogs, den Angeklagten Gnade widerfahren [zu] lassen, sowie die milden Urteile müssen vor dem Hintergrund der massiven Kritik an Eberhard Ludwig im Jahr 1711 interpretiert werden: Kurz vor Prozessbeginn war Wilhelmine von Grävenitz nach Stuttgart zurückgekehrt – ein Vorgang, der von Teilen des Hofes sowie der württembergischen Landschaft als Skandal gewertet wurde. Die weiträumige Verbannung stellte – genau besehen – zudem eine sicherheitspraktische Maßnahme dar. Der Herzog und seine Räte erachteten sie als bestes Mittel, um sich zukünftig vor dergleichen Fürsten Mörder[n] um so besser hüten zu können.
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Es wurden u.a. das „Wienerische Diarium“, der „Historische Mercurius“ (Augsburg) sowie „`s Gravenhaegse courant“ (Den Haag) gesichtet. Dillinger: Attentate und Aufstände (wie Anm. 7), S. 248.
Criminal Cosmopolitans: Conspiracy theories surrounding the assassination of Gustav III of Sweden in 1792 Andreas Önnerfors Le roi de Suède étoit l’allié de Louis XVI: lors de la suite à Varennes, Gustave vint jusqu’aux frontiers pour le recevoir et le protéger; mais le duc de Sudermanie fit assasiner son frère par Ankastroeum [sic!], franc-maçon.1 Cadet Gassicourt, Le Tombeau de Jacques Molai, Paris 1797 On 16 March 1792 Swedish king Gustav III (1746–1792) was shot at the Stockholm Opera by captain Jacob Johan Anckarström (1762–1792) during a masked ball.2 The projectile hit slightly above the king’s left hip and next to his spine; it was a mixture of a bullet and small spikes, which caused tremendous pain. Thirteen days later the king died of his infected wounds. The police investigation commencing immediately after the assassination at the opera was carried out with meticulous effectiveness. It revealed a huge political plot among parts of the Swedish aristocracy that for multiple reasons were opposed to the king and his growing abuse of power. Although the criminal investigation and the court procedures were conducted in remarkable transparency and their results publicised across Europe, the assassination fired the imagination of those who in it identified a greater evil. The regicide provided an important jigsaw piece in the big narrative of conspiracy that surrounded the French revolution as a massive game changing threat and challenge to the existing order of different ‘anciens régimes’ across Europe. It is this interrelationship that will be investigated subsequently, how the local criminal fact of a true political conspiracy was fictionalized and turned into an ingredient of a global conspiracy theory, an imagined political master crime. This switch from local to global was facilitated by the murder of Gustav III as a trans-national media event. It was covered in the press across Europe as various images of the king disseminated among European readerships. Another question possible to ask is whether the treat1
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Charles-Louis Cadet de Gassicourt: Le Tombeau de Jacques Molai, Paris 1797. A number of digitized copies of Le Tombeau are in the public domain. The one used in this article is available on google books. The quote in translation (by the author of this article): “The King of Sweden was allied with Louis XVI: during the escape to Varennes, Gustav came right to the borders to meet him and to protect him; but the duke of Sudermania had his brother assassinated by Anckarström, a free-mason [all translations by the author].” For a comprehensive overview over the events, see Leif Landen: Gustaf III. En biografi, Stockholm 2004, p. 340–353 and Herman Lindqvist: Historien om Sverige: Gustavs dagar, Stockholm 1997, p. 460–540. See also Ernst Brunner: Anckarström och kungamordet. Historien i sin helhet, Stockholm 2010.
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ment of regicide in the aftermath of the French revolution opened up new trajectories of interpretation related to political crimes? Is it possible to state that the political ‘conspiracy theory’ emerged as a distinctly modern mode of quasi-scientific and quasirational world explanation compensating for and complementing more religiously charged imaginaries? Whether regicide previously either was perceived as outcome of secret manipulation (as with manifold accusations of Jesuit involvement in murder of European rulers) or radical constitutional politics (as with the execution of James I of England in 1649), the reasons for its moral condemnation were mainly religious. Regicide represented an attack against divine order and thus monarchical power Dei Gratia. However, in a context where religion and religiously motivated indignation cannot be mobilized to the same extent (or monarchical power is absent), would it make sense to assume that secular narratives of conspiracy fulfil a similar need to make sense of dramatic political change – such as the killing of a political leader? Whereas these larger questions not are immediately related to the case discussed below, they highlight that a such a shift in the perception of ‘hellish engineers’ of radical political change feed into a subsequent and our contemporary political discourse in which political crimes, plots and assassinations (for instance of JFK) constitute the bulk of vivid conspiratorial imagination. The occurrences in Swedish domestic politics that led to an ever-growing opposition to Gustav III are of minor interest to this chapter, however they deserve at least a summary treatment. In 1772 Gustav III rose to power by staging a royalist coup d’état stripping the Swedish parliament of its authority it had exercised since 1738. During this previous period of primarily parliamentary rule, also called ‘The Age of Liberty’, Sweden saw a liberalization of economy, the development of a bipartisan structure, the emergence of an active political press and the passing of constitutional laws such as the Press Freedom Act of 1766, one of the first and most radical in Europe. But this embryo of a Swedish constitutional monarchy with democratic elements was vulnerable to persistent internal quarrels and to foreign intervention. Thus, Gustav III’s restoration of royal authority was hailed in positive terms as a revolution aimed at safeguarding Swedish liberty and independence. Inspired by the progressive politics of his uncle Frederic II of Prussia, Gustav III engaged during the first decade of his reign in ambitious plans for the rationalization of Swedish society and sophistication of its culture in the spirit of a patriotic revival. However, during the 1780s, Gustav’s policies increasingly were met with larger suspicion, as despite his normative tolerance he did not accept any opposition. The situation escalated in 1788 when Sweden, unconstitutionally as it was argued by many, declared war against Russia and attempted to re-conquer Finnish territory lost during the 1740s. Substantial parts of the Swedish army were barely equipped and trained for such a mission and moreover since more than two and a half decades lacked significant battlefield experience. A group of mostly noble officers engaged in the so-called ‘Anjala-mutiny’, an act of unprecedented insurrection against the king. Moreover, calling in the diet in 1789 to the small city of Gävle in northern Sweden, Gustav III eliminated opposition from the nobility by passing 136
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a sweeping ‘unification and security act’ with support from the lower estates of the realm. This act gave the king almost unlimited powers. Although the Swedish-Russian war ended in a stalemate (mostly due to mildness from the side of Gustav III’s cousin, Catherine the Great) and was hailed as a Swedish victory, bitterness over royal authority prevailed, especially among the nobility. It was in these circles ‘anti-gustavianism’ was particularly persistent and where ideas for radical changes to Swedish political order were discussed, also inspired by the American and French developments. An even smaller circle of radicalized noblemen agreed secretly on the necessity for a violent removal of the king and finally planned and executed his assassination. Duke Charles of Sudermania (1748–1818) took charge of royal power in his brother’s place and led the government until the maturity of the legitimate heir to the throne, Gustav IV Adolf in 1796. Swedish popular historiography has for a long time perpetuated the image of masonic involvement in both the Anjala-mutiny 1788 and the murder of Gustav III.3 This is possibly down to the fact that Duke Charles since the middle of the 1770s was the head of the Swedish Order of Freemasons and that a substantial part of the Swedish functional elite were freemasons, among them Gustav III himself. During the eighteenth century, Swedish freemasonry organized approximately 4300 members in lodges across the entire realm and more than twenty per cent belonged to the officer corps.4 The image of an assumed masonic involvement in the violent opposition against Gustav III has only recently been refuted. Concerning the Anjala-mutiny it has been ascertained that only a handful of the insurgent officers belonged to masonic lodges.5 And only parts of the leadership of the mutiny were members of a patriotic fraternal ‘Order of Wallhall’, which might have reinforced their frustrations with a king who did not fulfil their high expectations.6 When it comes to the assassination of Gustav III, it has been claimed that “all involved in the conspiracy against the king were freemasons”, that the regicide was carried out by a secret network of freemasons headed by Duke Charles himself and using Anckarström as their tool.7 3
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One of the most prolific contemporary writers in the conspiracy genre, Jüri Lina, holds that Anckarström received his orders from France, but more directly from Duke Charles. It is also claimed that a statue of Anckarström is raised in the temple of the French Masonic Order Grand Orient de France. See (accessed 6 December 2016). Andreas Önnerfors: Mystiskt brödraskap – mäktigt nätverk: studier i det svenska 1700-talsfrimureriet, Lund 2003. Sixteen out of 109 who were sentenced for insurgency, see Göran Anderberg: Frimuraren Gustaf III (as note 2) p. 121. Andreas Önnerfors: Knights of Freedom? The Swedish ‘Order of Wallhall’ as a secret network of officers and the Anjala-Mutiny in 1788, in: Gundula Gahlen, Daniel M. Segesser, Carmen Winkel (Eds..): Geheime Netzwerke im Militär 1700–1945, Paderborn 2016, P. 66–84; Idem: Ritter der Freiheit? Der Wallhall-Orden in der schwedischen Armee und seine Verbindungen zur Anjala-Meuterei 1788, in: Stephanie Stockhorst (ed..): Krieg und Frieden im 18. Jahrhundert: Kulturgeschichtliche Studien, Hannover 2015, p. 305–329. Anderberg: Frimuraren Gustaf III (as note 5), p. 111.
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However, by analysing available sources closely, Göran Anderberg has arrived to the conclusion that there is no historical evidence for involvement of freemasonry as an organization whatsoever, apart from the fact that some of the conspirators also were freemasons. Concerning Duke Charles, the first rumours of his personal involvement or at least cognisance were circulated already at the time of the police investigation.8 It is however not the task of this study to determine any potential delinquency of Duke Charles. Rather the case of Gustav III’s murder proves the narrative power of assassination as a motif in fictionalization and political imagination of conspiracy. The Swedish regicide was for the first time turned into a drama in 1799 under the title Gustavs III. Tod: ein psychologisch-moralisches Gemählde der Verirrungen des Enthusiasmus und der Leidenschaften; Dramatisch dargestellt in vier Büchern. The review of the play in Neue Allgemeine deutsche Bibliothek was quite favourable and lauded the author for his ability to use the court proceedings in his account and at the same time creating a psychologicalmoral drama adapted to a broad readership.9 From there it would be possible to draw a straight line to Verdi’s opera Un ballo in maschera (1859), in turn based upon a French original from 1833 and August Strindberg’s drama Gustav III (1902), which has inscribed the assassination of Gustav III into a Western cultural canon. But what is the origin of the criminalization of the regicide as part of a larger conspiracy narrative? The introductory quote is taken from one of the most virulent antirevolutionary publications appearing during the 1790s, Charles-Louis Cadet de Gassicourt’s (1769–1821) Le Tombeau de Jacques Molai.10 Gassicourt’s career oscillated between law, literature and medicine. At this particular point in time he primarily wrote theatre plays, which – as we will see – might have influenced his design of the plot in Le Tombeau. It was first published in 1795 with the subtitle The secret of the conspirators; a second edition appeared two years later and found a far broader readership. This tract, covering 160-odd pages, will be treated extensively later since assassination in it is described as the political master crime per se. As matter of introduction it suffices to say that it establishes the argument that the French revolution was orchestrated by dark forces, the infamous Knights Templar above all, who sought revenge for the execution of their last Grand Master Jacques de Molay by the French king and the Pope in 1314. Since Duke Charles headed a chivalric branch of freemasonry operating within an imagined realm of Knights Templar symbolism, Gassicourt bundled him together with other masonic leaders of the period. Le Tombeau claimed that the secret Templar-masonic network exercised control over the developments leading to the French revolution and in fact most of world history since the middle ages. If this 8 9 10
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Anderberg: Frimuraren Gustaf III (as note 5), p. 125–130. The review is signed GD.[?]: Gustavs III. Tod, in: Neue Allgemeine deutsche Bibliothek 48 (1799), p. 172–174. Gassicourt’s fascinating biography is treated in Jean Flahaut: Charles-Louis Cadet de Gassicourt (1769–1821), bâtard royal, pharmacien de l’empereur, Paris 2001.
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mélange of facts and fictions appears to be completely far-fetched from a modern perspective, for the contemporary readership it clearly was not.
I. The emergence of the post-revolutionary conspiracy narrative It was in connection with the French revolution the first modern conspiracy myth was born, that political events had been triggered and orchestrated deliberately by dark (and irreligious or even atheist) forces opposed to crown and church and ultimately hostile to humankind. Of course, such conceptualizations had also occurred earlier, but as I argued at the outset, the modern political conspiracy theory served to explain political events beyond merely religiously charged frames of sense-making. This idea was furthered by the writings of the Jesuit Augustin Barruel who in his London exile published the four-volume work Mémoires pour servir à l’histoire du Jacobinisme (1797/98). Barruel’s theories were also popularized in English by John Robison, an Edinburgh professor, in his Proofs of a Conspiracy against all the Religions and Governments of Europe, carried on in the secret meetings of Freemasons, Illuminati and Reading Societies (1797). In the German-speaking world, it was Johann August Starck who in his work Triumph der Philosophie (1803) acted as a mouthpiece of conspiratorial and anti-revolutionary ideas. In the opinion of contemporaries, there was no doubt that illuminism in both guises had contributed to undermining the foundations of l’Ancién regime. These ideas were also transported across the Atlantic: In 1802 Charlestown congregational preacher Seth Payson (1758–1820) published his Proofs of the real existence and dangerous tendency of illuminism, drawing on the writings of Barruel and Robison with collateral proofs and general observation, as the title continues. For Payson, illuminism was a system of deception; this was the first step in a recruitment process luring adepts into anti-Christian, anti-monarchical and anti-social ideology and action. Once this myth was floated it was impossible to take ashore. Fuelled by conspiracy literature and spectacular press accounts, the so-called ‘proofs of a conspiracy’ turned into commonplaces in public perception and were adopted by growingly suspicious and nervous conservative governments in a clampdown on voluntary associations among their citizens. Governmental regulations and prohibitions codified distrust and scapegoating across Europe. Prussia passed legislation against secret societies in 1798, followed by Britain in 1799 and Sweden in 1803. Barruel accused the purported anti-Christian enlightenment philosophy for undermining the old order of crown and church. According to Barruel, freemasonry furthered this development by promoting freedom and equality. Finally, the Illuminati in their anarchist, atheist and Satanist spirit were immediately held responsible for the revolution. All these groups were in the final volume of his work linked back to major heresies in world history. Barruel established however also a chronology of the rise of various forms of illuminism. Whereas he devotes the lion’s share of his writings to the historical Bavarian Order of Illuminati, Barruel identified the worst of the whole clan 139
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[as] a sort of Illuminees, calling themselves Theosophists (translation by the author), in direct relationship to the esoteric teachings of the Swedish mystic Emanuel Swedenborg and Martinism.11 Taken together, there were thus two forms of ‘illuminism’ undermining the existent order, one rational and one irrational. That the term was understood in this way in the contemporary context emerges also from correspondence of Swedish envoy to Britain, George Ulrik Silfverhielm (1762–1819, a relative to Swedenborg). In early 1799, in a letter to Duke Charles, Silfverhielm discussed the political impact of Barruel’s and Robison’s anti-masonic writings on public opinion in Great Britain. He outlined that there existed two kinds of Illuminatism, one atheistic (Adam Weishaupt and the Illuminati) and one mystical (represented by John Joseph Gassner, Alessandro Cagliostro and other charlatans). These two types of Illuminatism had made use of the three craft degrees of freemasonry, but a particular shadow had been thrown on its supreme secrets.12 For our study it is important that Duke Charles in his reply to Silfverhielm commented on the allegations forwarded by Gassicourt: […] I have recently read a book in which the author aimed to prove that I as the head of Swedish freemasonry was an instrument for the murder of my brother in my capacity as the head of the Swedish Jacobins, such as the Duke of Orléans [see below] was in France. But when such rude and inconsistent accusations are brought forward, they eventually collapse by their own weight, because there is only one truth. And sooner or later it will be entirely revealed, when a just public cannot act differently than choose the side of those who without blame have been reprimanded and repressed. […; translation by the author]13. In his recent analysis of the three authors Barruel, Robison and Starck, Claus Oberhauser has discerned a “hermeneutics of suspicion” with six narrative elements:14 (1) something horrible has happened, (2) it was no coincidence, (3) behind the dreadful events hides a group that consciously has plotted and manufactured them, (4) everything is interconnected, (5) if we are on the good side, the members of this covert group are evil, it is impossible to trust anybody, (6) nothing is as it appears. In the same vein, Chip Berlet has identified four more or less constant elements of conspiratorial narratives: (1) dualism, (2) scapegoating, (3) demonization and (4) apocalyp11 12
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Augustin Barruel: Mémoires pour servir à l’histoire du Jacobinisme, London 1798, p. 119. Andreas Önnerfors: Envoyés des Glaces du Nord jusque dans ces Climats. Swedish Encounters with Les Illuminés de Avignon at the End of the Eighteenth Century, in: Pierre-Yves Beaurepaire, Kenneth Loiselle, Jean-Marie Mercier, Thierry Zarcone (Eds.): Diffusions et circulations des pratiques maçonniques, XVIIIe–XXe siècle, Paris 2012, p. 171. Kungliga Biblioteket Stockholm, Duke Charles to Silfverhielm, 16 February 1799, Ep. S. 16: ”[…] jag har nyss läst en bok uti hvilken man vill bevisa att jag såsom Chef af Svenska Mureriet varit [inblandad uti] ett medel till min broders Mord [och att jag uti Sverige var] såsom Svenska Jacobinernas hufvud [på] lika [sätt] som [fordom] Hertigen af Orleans var uti Frankriket. Men då sådane grofva och orimmeliga osanningar anföras förfalla de omsider af [sig sjelfva] sin egen tyngd, ty sanningen är en, och tôt ou tard blifver den alledeles uppdagad, då en rättvis allmänhet ej annat kan än taga parti af den, som oskyldigt blifver tadlad och förtryckt.” See also Anderberg: Frimuraren Gustaf III (as note 4), p. 130 and Kjell Lekeby: Gustaviansk mystik, Stockholm 2010, p. 467. Claus Oberhauser: Die verschwörungstheoretische Trias: Barruel – Robison – Starck, Innsbruck 2013, p. 20–21.
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tic aggression.15 ‘Dualism’ provides a narrative meta-frame whereby the world can be clearly divided into good and evil; or “absolute contrast categories” like ‘us’ and ‘them’. ‘Scapegoating’ is an extreme form of stereotyping, specifically when a particular group in society is blamed for negative developments, whereas the primary causes of problems are overlooked or unaddressed. ‘Demonising’ relates to ostracising individuals or groups as embodiments of pure evil; de-humanized, subhuman or even non-human (e.g. magic creatures or the devil himself ). Both scapegoating and demonising can be understood as elements in the construction of virulent enemy images and exclusionary, identification processes. ‘Apocalypticism’, finally supplies yet another explanatory meta-frame. In the post-revolutionary period, a majority of conspiratorial narratives were advanced against the backdrop of apocalyptic aggression; an eschatological – in most cases, religiously motivated – interpretation that time and society as we know it soon will or has come to an end (coinciding with the end of the century), leading to a decisive battle between the forces of good and evil. These models of understanding the conspiracy narrative can be applied to large parts of the post- and anti-revolutionary discourse in Europe, a labelling exercise criminalizing the legitimacy of violent political change. Those blamed for the outbreak and course of revolutionary transformation of France were the rational philosophes of the enlightenment, secret societies like the freemasons, Illuminati and other groups. As a political movement, Jacobinism was identified as the archenemy of any instances of ‘ancient regimes’ across Europe, theocratic forms of monarchical government in particular. And indeed were the decades around 1800 infused and highly charged with eschatological ideas about the end of time, the Second Coming of Christ and the final battle between good and evil. For instance, the international religious sect Les Illuminés d’ Avignon, already during the time of their existence confused with the Bavarian Illuminati, cultivated a prophetic language in which visions of change and redemption could be read both politically and religiously.16 As I have argued elsewhere, the borders between political visions and visionary politics was very thin – the revolutionary era opened up a function for esoteric utopia in the formation of political ideas.17
II. ‘Regicidal fanaticism’: assassination as a political master crime Gassicourt’s book Le Tombeau has an emblematic frontispiece worth dwelling on. Inside a cave with a well is placed a tomb with the inscriptions J.B.M. (Jacobus Burgundus Molay) and the year 1314. At the centre of the scenery lies a naked beheaded male body, stretched out in a scandalized pose. To the left of the entry we find an inscrip15 16 17
Chip berlet: Toxic to Democracy: Conspiracy theories, demonization and scapegoating, Political Research Associates 2009, p. 10–13. Rob Collis and Natalie Beyer: Initiating the Millennium. The Avignon Society and Illuminism in Europe, Oxford 2020. Önnerfors: Envoyés des Glaces (as note 12), p. 193.
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tion, NEKOM, which according to Gassicourt signifies ‘vengeance’ and is used as a password in the Masonic degree of ‘Maître élu’.18 To the right of the beheaded body we see the figure of a blindfolded perpetrator of the crime dramatically displayed against the background of a rising or setting sun (strangely, his head resembles the blindfolded Corsican coat of arms before 1755, which was used as a sign of protest against French rule). He holds a dagger in his left hand and the skull of his victim in the right by the shock of hair. On the ground of the cave we find a broken sceptre, a crown and mitre. A knight in armour (with a St. Andrew’s cross, most likely pointing towards a ‘Scottish’ connection) outside the cave raises a sword in his right hand and overlooks the scenery. To unpack the symbolism of the image we need to resort to Gassicourt’s account of freemasonry and other secret societies. Gassicourt describes in his tract a subterranean ceremony of the secret society of Asiatic Brethren, active in German territories at the end of the eighteenth century: One of the sublime trials of this degree is to kill with a dagger, in a cavern, the assassin of Hiram and to carry his head to the altar and to drink from a human skull.19 This quote refers however to the (so called ecossaise, ‘Scottish’) masonic degree in which according to Gassicourt the password ‘Nekom’ is used, the Maître élu, who as his attribute carries a dagger. The sign of the degree is to raise the dagger as if he would stab someone, and the description goes on: the eyes of the initiate are blindfolded […] and after having decapitated his victim [a living sheep] he washes his hands and the head of the sheep is substituted with a bloody human head made out of wax or that of a corpse, which the freemason catches sight of once the blindfold is removed. During the initiation of the Duke of Orleans [Philippe Égalité (1747–1793)], the head carried a golden crown.20 Furthermore, to fully understand the reference, we need shortly to engage with the eighteenth-century masonic mythology surrounding the architect of the Temple of Solomon, Hiram.21 In the legend of the third degree of freemasonry, Hiram is killed by three fellow craft masons. And the continuation of the legend in a subsequent degree reads that Solomon appointed a number of masters (therefore ‘Masters elected’) to look for and to punish Hiram’s assassins. In some versions of the legend, one of the perpetrators hides in a cave, is detected and killed in revenge.22 As we will see, Gassicourt in line with a likely master copy interprets this legend as a hidden call for regicide, since Hiram is identified with Jacques de Molay and his murderers in turn with the French king Phillippe IV le Bel and pope Clement (responsible for the trials against the Knights Templar 1307–1314). This reading is obviously intended by 18 19 20 21 22
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Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 30 and 211. See also ”Nekham” in: Daniel Ligou (Ed.): Dictionnaire de la Franc-Maçonnerie, Paris 2006, p. 847. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 194–195. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 195. A reference is made to a publication, ’Histoire de la conspiration de Phillippe’. The correct title is though Histoire de la conjuration de Louis Phillippe Joseph D’Orleans, Paris 1796, which on pages 54–57 claims to recount the entire initiation. The ultimate treatment of different versions is Jan Snoek: The Evolution of the Hiramic Legend in England and France, in: Heredom 11 (2003), p. 11–53. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 118.
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the frontispiece since a broken crown and a sceptre as well as a papal mitre lie on the ground of the cave in front of Molay’s tomb. Gassicourt claims furthermore that the same symbolism was displayed on a revolutionary medal.23 This begs also the question of the identity of the beheaded body. In the context of the French revolution, and Gassicourt’s aim is to delineate a legacy of guilt on behalf of the Knights Templar, it is of course not far-fetched to identify the body as Louis XVI. Finally, the (Scottish?) knight placed outside the cavern is witnessing/monitoring the cruel ceremony, which ritually prepares the initiate for the ultimate crime of assassination. But let us now turn to the book as such. It is principally divided into two large parts, under the heading Le Tombeau de Jacques Molai the large narrative of conspiracy is outlined on about 130 pages. The second part, La Clef des Loges, exposes the rituals and symbols of freemasonry. In the introduction Gassicourt declares that he is going to talk about the adepts, the initiated, the freemasons, the Illuminated, develop their terrible mysteries, their political assassinations, and make known the influence they have exercised upon our revolution.24 These secret adepts are united by homicide since six centuries, dating back to the historical Knights Templar who aimed at a project to usurp the sovereignty of all empires.25 Incarcerated by the French king at the Bastille, their Grand Master Jacques de Molay formed four mother lodges or chapters: in the East, Naples, in the West, Edinburgh, in the North, Stockholm and in the South, Paris.26 These four lodges, Gassicourt claimed, took an oath to exterminate all kings and the race of the Capetian dynasty, to destroy the power of the Pope, to preach liberty to the people and to establish a world republic.27 Universal aspirations are also vilified in other parts of the text. For that purpose, the Knights Templar established freemasonry and used it as a tool to bring about la grande conspiration; masonic ceremonies were simply allegories of the history of the Templars, first revealed in the ultimate degrees of revenge. This spirit of theft, hereditary vengeance, regicidal fanaticism had its religious precursors in the Syrian Islamic sect of Assassins.28 Gassicourt claims that the Knights Templar united with this religious sect and incorporated their doctrines into their own. But also the Jesuits belonged to the initiated, famous for their assassinations of kings and statesmen, accused of thirty-nine conspiracies and twenty-one regicides.29 Gassicourt now developed the subject with a huge number of historical examples and asked rhetorically who else than the eternal enemies of the kings dare to consecrate their revolutionary system in such a monument!30 Speaking about the organization of the conspiracy, he claimed that each chapter consisted of 27 members, one of them a travelling member with the task to 23 24 25 26 27 28 29 30
Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 44. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 18. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 21. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 25 and 30 not reflecting upon that Stockholm barely was existing at that point in time. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 28. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 31–32. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 40–41. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 44.
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establish communication between them. One of these travelling agents, he went on comprehensively, was the infamous mystic Cagliostro who was said to have predicted the French revolution and the destruction of the Bastille.31 The trial of Cagliostro in 1790 in Rome revealed according to Gassicourt, a vast plot to overturn France, Italy and Rome. Despite the closure of masonic lodges in revolutionary France, the conspiring chapters of the Knights Templar still survived, the current Grand Master is the Duke [Charles] of Sudermania, regent of Sweden.32 It was now Gassicourt developed that Gustav III was murdered by order of his own brother because of the king’s support for the French monarchy. And he commented as well upon the contemporary Swedish government: As every Templar can govern, but not reign, the Duke of Sudermania has immediately made an alliance with the Jacobins in Paris, depriving the Swedish nobles of much of their privileges, restricting the rights of the king of whom he is the guardian, and who has been exposed to assassination attempts already twice.33 In contrast to the murder of Gustav III, these assassination plots are entirely fictional, the brainchild of Gassicourt; perhaps echoing the post-revolutionary European press which was replete with tense rumours of Jacobin misdoings and which ascribed them almost supra-human power. As head of the Jacobins in France it was Phillippe d’Orléans (who adopted a new name, Egalité, after the revolution) who conspired to bring about revolution, not only in France but across Europe, among other evils, they prepared the assassination of Gustav.34 The Irish uprisings and attempts to assassinate George III were blamed upon the existence of a Templar’s chapter in Ireland, directed from London, masonic lodges were equated with the revolutionary Irish Defenders. Frederick William II of Prussia (1744–1797) was said to be surrounded by the evil initiates and it was very likely that he would follow the fate of the Swedish king.35 These instances and a thousand others, says Gassicourt, are a proof that if the strangers, the anti-religious, the anarchists without interruption are troubling public tranquillity, they are nothing else than the instruments of a constantly conspiring faction – of the initiates, which, always talking about the great interests of the people, only is occupied with its own.36 It is in this faction you find all kind of parties and terrorists. Great political troubles are organised close to the reunion of the Templar chapters. It is in Sweden, in England, in Italy, in France, where the thrones are attacked, where they stagger or fall, where the ecclesiastical power is destroyed, 31 32 33 34 35 36
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Cagliostro and his fate as travelling agent of the most diverse esoteric practices during the immediate pre-revolutionary era was well-known to the European reading public. The German database Zeitschriften der Aufklärung lists no less than forty articles on him. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 59 and 120. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 61. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 64. In a note Gassicourt assured that all the journals of the time agreed to say that these events were prepared in the masonic lodges; in time they were stopped by the authorities. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 120. See also Jaques Fabry: Frédéric-Guillaume II (1747– 1797) in Charles Porset / Cécile Révauger (Eds.): Le Monde maçonnique des Lumières, Paris 2013, p. 1222–1224. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 71.
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and where the true freemasons, the Jacobins, reunited around the tomb of Jacobus Molay establish independence, seize wealth and government.37 Everything is in their hands: We shall not be surprised if the king of England, of Sweden, the Pope and the Emperor will fall under their sword.38 But it is not only exoteric political violence which constitutes the power of the initiated, it is also their esoteric skills. Studies in the secrets of nature create an inconceivable power.39 Gassicourt describes at length the hermetic skills of the initiates, which for instance contribute to an instant communication among them, only to be compared to the telegraph (that at the time was developed); their coordinated action makes them appear as supranatural men.40 As an example Gassicourt recounts an anecdote from the Swedish mystic Swedenborg who (without knowing it of course) revealed the content of a letter from Frederik the Great of Prussia to his sister Louise Ulrika, queen of Sweden, about a royalist coup d’etat in 1756.41 These people constitute a society of new beings, who know each other without having seen each other, who understand each other without explanation, and who serve without friendship. This society has the project of governing the world, of appropriating the authority of sovereigns, of usurping their place […] Its aim is universal domination.42 The neophytes of the society take a horrible oath which prepares them for violence, poisoning and assassination. How is it, asks Gassicourt, that the doctrines of the initiates and that of the Jacobins overlap? Both preach agrarian law, both foment anarchy, both strike kings, both seize power, and both demoralize the people, both of them are enriched at the expense of the states, and both are fanatical.43 Gassicourt devoted the last twenty pages of the first part of his tract to the question of credulity, how is it possible to find people who believed in debauching promises? Whereas his remarks on the issue not are of primary interest to this study, some passages merit presentation. How is it possible that the initiates themselves believed in the universal adoption of their regicidal doctrine? Even in a century of thinkers people are inclined to believe the most bizarre novels.44 The love of the marvelous, Gassicourt claimed further, gave birth to all theologies, to all religious beliefs among the people, it was with this love Zoroaster, Jesus and Muhammad founded their religions.45 Most of the reformers of the nations were driven by occult truths which informed a mystical language used in their revolutions, preaching a new morality.46 This was also the driv37 38 39 40 41
42 43 44 45 46
Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 72. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 73. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 78–79. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 92. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 92–95 and 101. Gassicourt was obviously familiar with German journals and literature in general. His quotes suggest furthermore a line of continuity between the immediate pre-revolutionary discourse and post-revolutionary conspiracy theories, worth exploring more in future studies. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 103 and 106. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 111. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 124. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 133. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 142.
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ing force of Jacques Molay who believed that he could establish in Europe a society of men, united by the same interests and the same passions and who would guard the secret of their union and working on a general reform. But despite of his death, his doctrine survived and prepared the majority of the events of our revolution.47 However it was not enough to reveal the crimes of the initiated, the second part of his book aimed to deliver a key to the lodges with which their system of illumination, that is fanatization could be destroyed.48 Gassicourt now quoted extensively from an English title on The use and abuse of freemasonry (1783) and which painted the gloomy picture of a close link between the Knights Templar and freemasonry, its symbolism and rituals. Again Gassicourt dwelled extensively on the similarity between Jesuits, freemasons and Knights Templar in their doctrines and crimes, supported by the dagger and by poison.49
III. Mediating murder between the local and the global It would be easy to dismiss Gassicourt’s book as the paranoid result of “heated exaggeration, suspiciousness and conspirational phantasy”.50 But his biography suggests otherwise. In 1787, Gassicourt worked as a lawyer, before quitting this job in the immediate aftermath of the revolution and picking up his pen as poet, writer and playwright. Finally, he also left the world of theatre to publish a work on the necessity for the poet to study natural history (1799). In Napoleonic France, he then embarked upon his most successful career: as pharmacist and natural scientist. Under the Restoration regime, he engaged in educated networks, was member of a number of scientific and cultural societies, editor and contributor to scientific journals. But as Hofstadter writes, “the higher paranoid scholarship is nothing if not coherent – in fact the paranoid mind is far more coherent than the real world.”51 Unusual in his genre, Gassicourt even added a multi-page bibliography to Le Tombeau with no less than 33 titles. So it would be misguided to simply dismiss his writings as the outcome of fanatic imagination, Gassicourt is an expression of that the educated and political elites of revolutionary France quickly adapted conspiratorial mindsets of world explanation. In this vein, Le Tombeau represents a typical example of the conspiracy genre in the aftermath of the French revolution. It has almost all key ingredients of Barruel, Robison and Starck who published their work just shortly afterwards and who all in different degrees were trained scientifically. The murder of Gustav III was easily incorporated into the global Manichaean narrative of scapegoating and demoniza47 48 49 50 51
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Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 144. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 145. Gassicourt: Le Tombeau (as note 1), p. 174. A look into the source text reveals that Gassicourt did not quote correctly from the book at all. Richard J. Hofstadter: The Paranoid Style in American Politics, in: Harper’s Magazine, November 1964, p. 77–86, p. 77. Hofstadter: The Paranoid Style (as note 49), p. 77.
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tion, but it still remains to be established how the local fact of political murder was disseminated across Europe. In the German press, during 1792 alone, journals like Historisch-politisches Magazin, Berlinische Monatsschrift, Deutsches Magazin or StatsAnzeigen covered the events in Sweden extensively. Approximately five hundred pages were dedicated to the regicide, the criminal investigation and the court proceedings.52 News coverage remained strong during subsequent years and sparked a wave of publications also establishing a link between the events in Sweden and France, for example the anonymous Gespraech im Reich der Todten zwischen Ludwig XVI., Leopold II. und Gustav III. (1793). Gassicourt quoted from German journals and it is possible that his conspiracy narrative concerning the assassination of the Swedish monarch was informed by German sources. The assassination was of course also discussed in the French press (for instance in Mercure de France, Journal politique or L’esprit des journaux) and the Swedish king was furthermore the motive of contemporary political caricatures. One of them is of particular interest, Le nouvel Astre français ou la cocarde tricolore suivant le cour du zodiaque (1792).53 Surrounded by busts of European monarchs, the god of time, Chronos (possibly wearing a revolutionary liberty cap), swings his scythe. The bust of Louis XVI on its circular pillar (with the inscription Louis XVI the traitor and the last) is already tumbled down, head, crown, coat of arms and sceptre are scattered on the ground. They are replaced with a triangular pillar of egalité on the top of which burns a fire and is raised a freedom pole with a liberty cap and the inscription liberté. Chronos’ scythe has also a candlesnuffer with which he obviously extinguishes candles on top of the crowns of the monarchs surrounding him. The candle of the pope is broken, the candles of the Spanish and British monarch have expired out of their own. To the left of Louis XVI also the busts of Joseph II and Leopold II already are (consciously?) extinguished and at next the candle of Gustav III is snuffed. The entire scenery is displayed beneath the signs of the zodiac, a radiant sun in the shape of the revolutionary cockade and a motto that reads: Notice to future centuries / The work of time or: prejudice defeated / Pride finished them, reason defeated them / Triumph of philosophy and reason. Chronos tells the readers Let me at last destroy this cohort of ambitious, usurping masters of the rights of their equals. And under the heading People, get your rights we can read Shortly there will be no Tyrants anymore, time, too, just gives you freedom and equality.54 With such visual representations at hand, it does not surprise that the general search for culprits directed its attention to the (imagined and 52 53 54
References were extracted from the database ”Zeitschriften der Aufklärung” and are only tentative due to technical limitations: < http://ds.ub.uni-bielefeld.de/viewer/browse/zeitschriftenderaufklrung*/-/1/ SORT_TITLE/-/> (accessed 8 December 2016). The image was retrieved on the French database Gallica: (accessed 8 December 2016). Avis au siècles futurs / le oeuvre du tems ou le préjugé vaincu/ L’orgueil les ferma / la raison les détruit / Triomphe de la Philosophie et de la raison. Chronos: Que je détruise enfin cette cohorte d’ambitieux, ces mils usurpateurs des droits de leurs semblabes. Motto: Peuples rentres dans vos droits. / Sous peu il n’y aura plus des Tirans, le tems trop juste vous donne la liberté et l’égalité.
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real) proponents of philosophy and reason. Now it was just a matter of piecing together a consistent narrative with the necessary ingredients of intentionality and conspiracy, to paint a tantalizing picture of the absolute evil others, a “community of conspiracy”, who behind the galleries have fabricated a plot and maliciously work on the downfall of traditional political, spiritual and social order. Thus, the secret has turned into the sinister.55 For Gassicourt and other representatives of the post-revolutionary conspiracy genre the scapegoats were identified as a confederacy of demonic wirepullers, oscillating between esoteric mysticism and exoteric rationality, united in their vicious quest to undermine church and crown. One issue remains to be addressed shortly, that of templates and followers. In 1797 appeared an anonymous and voluminous Histoire de l'assassinat de Gustave III, written by an alleged Polish officer, an eyewitness.56 It is obvious that this work was modelled on the basic narrative of conspiracy as outlined by Gassicourt. Anckarström was affiliated with a sect of Illuminés, the author claimed, nothing else than the descendants of the Knights Templar and a sect of villains, assassins, and disorganizers, by horrible trials, by execrable oaths, by a kind of adherence and complicity to the great crimes which destroy the social order.57 According to the anonymous author, it is in Sweden the Illuminati are particularly strong, where they multiply their proselytes and have most of followers and power. Stockholm is one of the four main chapters in Europe and Duke Charles is generally known as one of their most ardent sectators.58 And yes, it is the sect of illuminated which has assassinated Gustav, which has revolutionized France, which has thrown Europe into fermentation, which today devastates Italy and which will put on fire and ravage the entire surface of the globe.59 This anonymous development of the story line in Gassicourt finally found its way into Barruel’s Mémoires. Anckarström was just an emissary of the Parisian Jacobins and all authors direct their suspicion towards the Duke of Sudermania, head of the illuminated freemasons.60
IV. Labelling crime as a conspiracy The murder of Gustav III constitutes a paradoxical example. Seen as a simple crime case, it was easily investigated: the murderer confessed almost immediately, and his accomplices were arrested within days of the offense. The investigation and subsequent trial were carried out with almost complete transparency; the murder weapons were 55
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Oberhauser: Die verschwörungstheoretische Trias (as note 13), p. 32–33, where, in according to Freud it is discussed “wie aus dem Heimlichen das Unheimliche werden kann”, difficult to translate to English, since “heimlich” originally denotes “belonging to the home” or “to the private spehere” and “unheimlich”, the threatening “unfamiliar”, which you haven’t familiarized with (“stranger danger”). Anonymous [Artaud de Montor]: Histoire de l'assassinat de Gustave III, Paris 1797. Anonymous: Histoire de l'assassinat (as note 55), p. 111 and 135. Anonymous: Histoire de l'assassinat (as note 55), p. 128. Anonymous: Histoire de l'assassinat (as note 55), p. 148. Barruel: Mémoires (as note 11), p. 217–218.
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found at the spot and the motive was crystal clear: a radicalized part of the opposition to the Swedish monarch had rationalised regicide as a way forward for the transformation of politics. Some of them were filled by hatred and revenge, some simply worried about increasingly autocratic tendencies, others were inspired by the occurrences in America and France. That the transitional government was placed in the hands of Duke Charles was no surprise at all. What upset people was the mildness he displayed towards the perpetrators: only one death sentence, against Anckarström, was executed. Rumors circulated about Charles’ involvement in or at least knowledge of the plot.61 This, together with his publicly known engagement in freemasonry served as building bricks to switch from the fact of a local crime (with all its particular reasons and preconditions) to the narrative of global conspiracy (with its generalizing claims). Duke Charles’ engagement in chivalric branches of freemasonry working within the imaginary world of Knights Templar had been publicized already during the late 1770s and early 1780s. There is no space here to develop the quarrels within European freemasonry and between different fraternal orders of this period, but it suffices to say that they were the object of heated debates among intellectuals. The tensions culminated in the second half of the 1780s with the exposure and prohibition of the Bavarian Illuminati. Although all trivial and spectacular facts of the crime were known to the European reading public, it was consciously labelled with the counter-factual attractiveness of the conspiracy theory. The murder of Gustav III could assume new scandalized meaning when assembled into the larger theory of a huge revolutionary conspiracy against the ‘old regimes’ of Europe and their instances. To bring about this shift of meaning, authors like Gassicourt just needed to write the particular crime and its ingredients into the universal ‘big story’. Thus, the assassination was not only or rather was more than the killing of an individual. Whereas the old order also implied a sovereignty of interpretation within a clearly defined framework of Christian ethics, Gassicourt represents a far more modern approach in political rhetoric. It is here his argumentation on contemporary credulity and inclination towards the marvelous assumes meaning. As we recall, Gassicourt disregarded religious traditions of all kinds and he can therefore be seen as a representative of secularist positions. How then morally condemn crimes such as assassinations? If religion alone does not provide support for demonization, then a modernized version of political theology must find pre-political arguments somewhere else: in the realm of rationalized pseudo-science, of which the modern conspiracy theory is the ultimate representation. The fact of political murder as a particular crime thus turns into the factoid of a universal criminalization.
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This subject is developed on numerous pages in Anonymous: Histoire de l’assassinat (as note 55).
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Attentatsbilder in populären Druckmedien: Politische Attentate und strafrechtlich-polizeiliche Reaktionen in Europa zwischen Aufklärung, Revolution und Vormärz (1757–1820) Karl Härter
I. Einleitung: Attentat, politische Gewalt, strafrechtlichpolizeiliche Reaktionen und Attentatsbilder Als Manifestation von politischen und auch gesellschaftlichen Konflikten intensivierte und differenzierte sich politische Gewalt in Europa seit dem 16. Jahrhundert. Dies betrifft die jeweiligen Konfliktlagen, die Akteure bzw. Täter und ihre Motive, die Handlungsformen, die konkreten Zielobjekte und die Reaktionen der betroffenen politischen und Rechtssysteme. Politisch motivierte Gewalt war zunächst ein Phänomen, das sich auf die Herrschafts- und Funktionselite konzentrierte, durch Konflikte und Konkurrenz um Herrschaftsausübung und Herrschaftsrechte gekennzeichnet war und sich in Königsmorden oder Komplotten (vorwiegend innerhalb des Adels) manifestierte.1 Bedingt durch soziale und religiöse Konflikte nahm seit dem 16. Jahrhundert politische Gewalt zu, die von Herrschaftsunterworfenen ausging, sich kollektiv in Form von Aufständen und Revolten äußerte und gegen die Obrigkeit, die politische und religiöse Ordnung oder schließlich gegen den Staat richtete. Auch diese Formen politischer Gewalt manifestierten sich zunehmend in Angriffen bzw. Attentaten Einzelner auf den Herrscher oder Repräsentanten von Ordnung und Staat, konnten aber von den betroffenen Obrigkeiten bzw. den jeweiligen Rechtssystemen als Verschwörungen interpretiert und als politische Verbrechen verfolgt werden.2 Beispiele für At1
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Ein befriedigender systematischer Überblick zur historischen Entwicklung politischer Gewalt seit der Frühen Neuzeit liegt nicht vor; vgl. daher einstweilen die Teilaspekte abdeckenden oder auch nur einzelne Fallstudien zusammenfügenden Sammelbände und Darstellungen: Wolfgang Plat: Attentate. Eine Sozialgeschichte des politischen Mordes, Düsseldorf u. a. 1982; Franklin L. Ford: Political murder. From tyrannicide to terrorism, Cambridge, Mass. 1985; Alexander Demandt (Hg.): Das Attentat in der Geschichte, Augsburg 2000; Sven Felix Kellerhoff: Attentäter – Mit einer Kugel die Welt verändern, Köln 2003; Robert von Friedeburg (Hg.): Murder and monarchy. Regicide in European history, 1300–1800, Houndmills u.a. 2004; Michael Sommer (Hg.): Politische Morde. Vom Altertum bis zur Gegenwart, Darmstadt 2005; Ian Hernon: Assassin! 200 years of British political murder, London 2007; Georg Schild/ Anton Schindling (Hgg.): Politische Morde in der Geschichte – Von der Antike bis zur Gegenwart, Paderborn 2012. Peter Blickle: The Criminalization of Peasant Resistance in the Holy Roman Empire: Toward a History of the Emergence of High Treason in Germany, in: Journal of Modern History 58 (1986), S. 88–97; Andreas Würgler: Diffamierung und Kriminalisierung von „Devianz“ in frühneuzeitli-
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tentate, die als Produkt von Verschwörungen wahrgenommen oder konstruiert wurden, sind der Gunpowder Plot in England und weitere Komplotte, für die katholische Gruppen und Jesuiten verantwortlich gemacht wurden,3 oder die Attentate auf die französischen Könige Heinrich III. und Heinrich IV., hinter denen ebenfalls religiöse Gruppen und ausländische Mächte vermutet wurden.4 Angriffe auf Herrscher wurden zudem in einen Zusammenhang mit kollektiven Formen politischer Gewalt gebracht und als Initialzündung für Revolte und Umsturz interpretiert.5 In der Frühen Neuzeit gewann das politische Attentat als gewaltsamer Angriff auf den Herrscher oder Mitglieder/Repräsentanten der Herrschafts- und Funktionselite folglich neue Dimensionen: Der konzentrierte Einsatz funktionaler und symbolischer politischer Gewalt zielte nicht mehr allein auf die Eliminierung von Herrschaftskonkurrenten, sondern richtete sich auch gegen Repräsentanten einer politischen, religiösen und sozialen Ordnung und konnte damit ebenfalls die Veränderung des jeweiligen politischen und schließlich auch des gesellschaftlichen Systems beinhalten. Seit der Reformation und dann erneut beschleunigt durch die Französische Revolution entwickelte sich das Attentat zu einer gewaltsamen öffentlichen Manifestation eines gesellschaftspolitischen Konflikts, der zudem – sowohl was Attentäter, Ursachen und Motive als auch die strafrechtlich-polizeilichen und medialen Reaktionen betrifft – grenzübergreifende Dimensionen gewann. Als ein performativer öffentlicher Akt zielte es auf die Destabilisierung politischer und gesellschaftlicher Ordnung, die Artikulierung von Kritik oder Protest gegen einen Herrscher oder eine Ordnung, die als tyrannisch, despotisch, ungerecht oder illegitim desavouiert werden sollte, die Mobilisierung weiterer Personen auch im Hinblick auf massenhafte und gewaltsame Aktivitäten wie Aufstände, Revolten und Umsturz und damit auch auf die Erzeugung von Aufmerksamkeit, Angst und Unsicherheit.6
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chen Konflikten. Für einen Dialog zwischen Protestforschung und Kriminalitätsgeschichte, in: Mark Häberlein (Hg.): Devianz, Widerstand und Herrschaftspraxis in der Vormoderne. Studien zu Konflikten im südwestdeutschen Raum (15.–18. Jahrhundert), Konstanz 1999, S. 317–347; Karl Härter/ Angela De Benedictis (Hgg.): unter redaktioneller Mitarbeit von Tina Hannappel und Thomas Walter: Revolten und politische Verbrechen zwischen dem 12. und 19. Jahrhundert. Rechtliche Reaktionen und juristisch-politische Diskurse / Revolts and Political Crime from the 12th to the 19th Century. Legal Responses and Juridical-Political Discourses, Frankfurt am Main 2013. Antonia Fraser: The Gunpowder Plot. Terror and Faith in 1605, London 1997; Jane Garrett: The triumphs of providence. The Assassination Plot, 1696, Cambridge 2008. Pierre Chevallier: Les régicides: Clément, Ravaillac, Damiens, Paris 1989; Lucien Bély: Murder and Monarchy in France, in: Friedeburg, Murder and monarchy (wie Anm. 1), S. 195–211. Jean Bérenger: La conjuration des Magnats hongrois (1664–1671), in: Yves-Marie Bercé/ Elena Fasano Guarini (Hgg.): Complots et conjurations dans l’Europe moderne. Actes du colloque international organisé par l’École Française de Rome, l’Institut de Recherches sur les Civilisations de l’Occident Moderne de l’Université de Paris-Sorbonne et le Dipartimento di Storia Moderna e Contemporanea dell’Universita degli Studi di Pisa […], Rom 1996, S. 317–345. Karl Härter: Political crime in early modern Europe: Assassination, legal responses and popular print media, in: European Journal of Criminology 11 (2014), S. 142–168; Karl Härter: Early Modern Revolts as Political Crimes in the Popular Media of Illustrated Broadsheets, in: Malte Griesse (Hg.): From Mutual Observation to Propaganda War. Premodern Revolts in Their Transnational Represen-
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Die während der Frühen Neuzeit und dann insbesondere in der „Sattelzeit“ zwischen Aufklärung und Vormärz (1750–1848) zunehmende symbolische und diskursive Dimension des politischen Attentats veränderte auch die jeweiligen politischen und strafrechtlich-polizeilichen Reaktionen der betroffenen Obrigkeiten.7 Neben der Verfolgung und Bestrafung von Attentätern durch das bekannte Theater der öffentlichen Hinrichtungen gewannen das Strafverfahren und öffentliche, teils populäre (Druck-) Medien als Forum der Deutung des zugrundeliegenden politischen Konflikts, der Motive, der Akteure, ihrer Handlungsformen und der jeweiligen obrigkeitlichen Reaktionen wesentliche Bedeutung. Letztere bedienten sich in strafrechtlicher Beziehung vor allem der Konzeptualisierung von Attentaten als politische Verbrechen, die ausgehend von den politischen/gesellschaftlichen Konflikten und Motiven, aber auch durch die jeweiligen Zielobjekte politischer Gewalt definiert werden können.8 Die in der historischen Kriminalitätsforschung in der Regel zugrunde gelegte jeweilige zeitgenössische Legaldefinition von Kriminalität/Devianz ist daher gerade bei politischen Delikten schwierig anzuwenden, denn die Bewertung, Konzeptualisierung und Zuschreibung von politischer Kriminalität weisen einen großen Interpretationsspielraum und differente Etiketten bzw. Narrative auf, die von Widerstand und Protest über Verschwörung bis zu Verrat, crimen laesae maiestatis, perduellio, seditio oder regicide reichen konnten.9 Noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein wurden daher Attentate kaum trennscharf von anderen Formen politischer Gewalt unterschieden, da sie z.B. häufig als Manifestationen von Verschwörungen oder Initialzündung eines Aufstands/ Revolte interpretiert und verfolgt wurden. Daher geht beispielsweise der schematische quantitative Ansatz von Manuel Eisner teilweise fehl, der für den langen Zeitraum 600–1800 die Patterns of Regicide in Europa glaubt erfassen zu können, ohne die unterschiedlichen zeitgenössischen Kontexte zu berücksichtigen.10 Ebenso eindimensional erscheint es, das Problem von Wirkung
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tations, Bielefeld 2014, S. 309–350; Karl Härter: Images of Dishonoured Rebels and Infamous Revolts: Political Crime, Shaming Punishments and Defamation in the Early Modern Pictorial Media, in: Carolin Behrmann (Hg.): Images of Shame. Infamy, Defamation and the Ethics of oeconomia, Berlin/ Boston 2016, S. 75–101. Thomas Scheffler: Vom Königsmord zum Attentat. Zur Kulturmorphologie des politischen Mordes, in: Trutz von Trotha (Hg.): Soziologie der Gewalt, Opladen 1997, S. 183–199; Gilles Malandain/ Guillaume Mazeau/ Karine Salomé: Introduction: L’attentat politique, objet d’histoire, in: La Révolution française 1 (2012), online: http://lrf.revues.org/363 (zuletzt konsultiert 1.11.2016). Generell zu der sich wandelnden rechtlichen Konzeptualisierung politischer Verbrechen: Barton L. Ingraham: Political crime in Europe. A comparative study of France, Germany, and England, Berkeley 1979; Karl Härter/ Beatrice de Graaf (Hgg.), in Zusammenarbeit mit Gerhard Sälter und Eva Wiebel: Vom Majestätsverbrechen zum Terrorismus: Politische Kriminalität, Recht, Justiz und Polizei zwischen Früher Neuzeit und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2012. Mario Sbriccoli: Crimen laesae maiestatis. Il problema del reato politico alle soglie della scienza penalistica moderna, Mailand 1974; Andreas Pesch: De perduellione, crimine maiestatis et memoria damnata, Aachen 1995; Dirk Lange: Die politisch motivierte Tötung, Frankfurt am Main u.a. 2007. Manuel Eisner: Killing Kings. Patterns of Regicide in Europe, AD 600–1800, in: British Journal of Criminology 51 (2011), S. 556–577.
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und Effektivität auf die Frage nach dem tatsächlich erreichten politischen Wandel und die Ereignisgeschichte im jeweiligen Einzelfall zu begrenzen.11 Vielfach beschränkt sich dann auch die bisherige Forschung darauf, einzelne Attentate ereignisgeschichtlich darzustellen, wobei den strafrechtlich-polizeilichen und medialen Reaktionen im Vergleich zu Tätern, Motiven, Opfern und Handlungsformen meist geringere Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Nur wenige neuere Untersuchungen fokussieren auf die strafrechtlich-polizeilichen, medialen, diskursiven und transnationalen Aspekte von Attentaten und politischer Gewalt.12 Über eher phänomenologisch ausgerichtete Ansätze und einzelne Fallstudien lassen sich Formen politischer Gewalt anhand der Reaktionen der damit befassten Strafrechtssysteme, die insbesondere durch den Inquisitionsprozess polizeiliche Elemente beinhalteten, und der Attentatsbilder in populären Diskursen/Medien längerfristig vergleichend untersuchen. Dies soll im Folgenden exemplarisch für politische Attentate zwischen Aufklärung, Französischer Revolution und Vormärz (genauer: 1757– 1820) unternommen werden, um den Wandel von der Frühen Neuzeit zur Moderne beobachten zu können. In diesem Zeitraum entwickelte sich das Attentat zu einer wichtigen Form von politischer Gewalt und politischem Verbrechen, dessen symbolisch-öffentliche Dimension noch zunahm: Als performative, symbolische und teils inszenierte Handlung dissentierender Individuen und Gruppen zielte es auf die diskursiv-mediale Verbreitung einer (politischen) „Botschaft“, die fundamentalen Protest am politischen System und revolutionären Wandel beinhaltete. Damit wurde es von den Obrigkeiten bzw. Staaten noch stärker als eine Manifestation von Verschwörung und Revolte/Revolution und damit grenzübergreifende Bedrohung der politischen Ordnung und öffentlichen Sicherheit wahrgenommen.13 Freilich veränderten sich nicht nur Formen und Wahrnehmung von politischer Gewalt, die vor allem durch die Französische Revolution eine völlig neuartige Dimension erhielten, sondern Rechtssysteme (bzw. Strafrecht und Strafjustiz) und populäre Medien/Diskurse unterlagen ebenfalls diesem beschleunigten Wandel. Damit stellt sich die Frage nach den Kontinuitäten im Hinblick auf die Kriminalisierung und Ver11 12
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Michael Sommer: Attentate in der Weltgeschichte: Was haben sie bewirkt?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 45/46 (2013), S. 3–10. Karine Salomé: Les représentations iconographiques de l’attentat politique au XIXe siècle, in: La Révolution française 1 (2012) (wie Anm. 7), online: http://lrf.revues.org/402 (zuletzt konsultiert 1.11.2016); Denise Turrel: Les usages iconographiques de l’assassinat d’Henri IV au XIXe siècle, in: La Révolution française 1 (2012) (wie Anm. 7), online: http://lrf.revues.org/408 (zuletzt konsultiert 1.11.2016); André Krischer: Juristische Klassifikationen, gesellschaftliche Wahrnehmungen und Visualisierungen von politischer Delinquenz und kollektiver Bedrohung in Großbritannien, 16.–19. Jahrhundert, in: Härter/ de Graaf: Majestätsverbrechen (wie Anm. 8), S. 103–160; Charlotte Klonk: Macht der Bilder – Attentate als Medienereignis, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 45/46 (2013), S. 30–39. Karine Salomé: L’ouragan homicide. L’attentat politique en France au XIXe siècle, Seyssel 2010; Rachel Hoffman: The Age of Assassination: Monarchy and Nation in Nineteenth-Century Europe, in: Jan Rüger/ Nikolaus Wachsmann (Hgg.): Rewriting German History: New Perspectives on Modern Germany, New York 2015, S. 121–141.
Attentatsbilder in populären Druckmedien
folgung von Attentaten als politische Gewaltverbrechen und die zugrunde liegenden Konzepte, Etikettierungen und Narrative, welche die strafrechtlich-polizeilichen und medialen Reaktionen weiterhin prägten.14 Unter Reaktionen von Rechtssystemen bzw. strafrechtliche Reaktionen auf politische Gewalt fasse ich Strafverfolgung, Strafverfahren und Bestrafung, die man auch als politische Justiz beschreiben könnte, weiterhin Gesetzgebung und Veränderungen des Strafrechts insbesondere im Hinblick auf die Konzeptualisierung und Kriminalisierung von politischer Gewalt (oder Dissidenz) sowie die Ausdehnung formeller präventiver und polizeilicher Kontrolle. Die Reaktionen von Rechtssystemen sind folglich nicht auf einen eng verstandenen Bereich von Recht begrenzt, sondern beinhalten staatliche und nicht-staatliche Akteure, sich anschließende mediale und populäre Diskurse sowie den politischen und öffentlichdiskursiven (Entscheidungs-)Raum. Sie konstituierten in der Sattelzeit zwischen Aufklärung und Revolutionen ein „Sicherheitsregime politischer Gewalt“, das als eine transnational orientierte Agglomeration von Akteuren, Normen bzw. Recht, Praktiken und Diskursen verstanden werden kann, in welchem dem Zusammenhang von Attentaten als Manifestation von politischer Gewalt, den Reaktionen von Strafrecht und Strafjustiz und populären (Druck)Medien eine besondere Bedeutung zukam.15 Im Rahmen dieses „Sicherheitsregimes politische Gewalt“ nahm die symbolischöffentliche Dimension der strafrechtlichen Reaktionen auf Attentate während der Frühen Neuzeit zu, da diese als spezifische, gewaltsame Manifestation von politischer Dissidenz und Konflikten zudem auf Anschlusskommunikationen und Anschlusshandlungen zielten. Gericht, Verfahren und Strafe fungierten damit als eine öffentliche Arena, um die in Frage gestellte politische (oder gesellschaftliche) Ordnung als legitim und stabil darzustellen, die Motive des Angriffs (und damit Kritik und Protest) als kriminell zu delegitimieren und eine angemessene Reaktion der angegriffenen Obrigkeit gegenüber einem politischen Verbrechen zu vermitteln. Darüber hinaus sollten weitere Gesetzgebung und Maßnahmen z.B. gegen Mittäter oder Mitverschwörer staatliche Handlungsfähigkeit demonstrieren, Kritik und Protest an einer politischen, ungerechten Justiz unterbinden und politisch motivierte Dissidenz und Gewalt präventiv verhindern. Über die Kriminalisierung von politischer Dissidenz/Gewalt hinaus entwickelte sich die polizeiliche Kontrolle von Öffentlichkeit, Druckmedien, Ver14
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Zu diesem Ansatz: Härter: Political crime (wie Anm. 6), S. 142–168; Härter: Revolts as Political Crimes (wie Anm. 6), S. 309–350; Härter: Images of Dishonoured Rebels (wie Anm. 6), S. 75–101; Karl Härter: Legal Responses to Violent Political Crimes in 19th Century Central Europe, in: Härter/ de Graaf: Majestätsverbrechen (wie Anm. 8), S. 161–178. Zum Konzept des Sicherheitsregimes: Vgl. Karl Härter: Die Formierung transnationaler Strafrechtsregime: Auslieferung, Asyl und grenzübergreifende Kriminalität im Übergang von gemeinem Recht zum nationalstaatlichen Strafrecht, in: Rechtsgeschichte 18 (2011), S. 36–65; Karl Härter: Security and Cross-border Political Crime: The Formation of Transnational Security Regimes in 18th and 19th Century Europe, in: Historical Social Research 38 (2013), Special Issue: Security and Conspiracy in History, 16th to 21st Century, Cornel Zwierlein/ Beatrice de Graaf (Hgg.), S. 96–106; Karl Härter: Security and Transnational Policing of Political Subversion and International Crime in Central Europe after 1815, in: Beatrice de Graaf/ Ido de Haan/ Brian Vick (Hgg.): Securing Europe. 1815 and the new European security culture, Cambridge 2019, S. 193–213.
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Karl Härter
sammlungen oder dissidenter „Milieus“ durch Zensur, Versammlungsverbote, sedition laws, strafrechtliche Verfolgung von Majestätsbeleidigung, seditious libel and unlawful assembly und seditious and treasonable speech sowie andere Maßnahmen formeller sozialer Kontrolle zu einem wichtigen Element der strafrechtlich-polizeilichen Reaktionen bzw. des Sicherheitsregimes. Die Intensivierung polizeilicher Kontrolle von öffentlichen Kommunikationen und Medien sollte zudem die obrigkeitliche Deutung politischer Gewalt stärken und verhindern, dass die symbolisch-politische „Botschaft“ eines Attentats bzw. politischer Gewalt oder „terroristischer Akte“ weiter verbreitet oder dieses gerechtfertigt wurde.16 Dabei konnte sich die Obrigkeit im Hinblick auf Öffentlichkeit, Medien und Diskurse nicht nur auf strafrechtliche und polizeiliche Kontrolle beschränken, sondern sie entwickelte allmählich eine aktive Medienpolitik. Die legitime Reaktion des Staates auf politische wie allgemeine Kriminalität sollte in Druckmedien – und zwar auch in populären oder illustrierten – vermittelt werden, um so Etikettierung und Narrative von Attentaten als mit Verschwörung und Umsturz verbundene politische Verbrechen zu vermitteln. Die Obrigkeit inszenierte daher nicht nur die öffentliche Bestrafung politischer Verbrecher, sondern verbreitete ihre Deutung des Verbrechens und legitimer („gerechter“) Strafen mittels populärer Medien im öffentlichen und politischen Raum, und zwar auch transnational, um Attentate zu delegitimieren, die eigene angemessene strafrechtliche Reaktion und damit letztlich auch Sicherheit zu kommunizieren.17 Neben dem allgemeinen Interesse des Publikums an Kriminalität und gewaltsamen politischen Konflikten, die zweifellos die Sensationslust weckten und ein kommerziell attraktives Thema bildeten, entwickelte sich das Attentat seit dem späten 16. Jahrhundert zu einem beliebten Thema populärer Druckmedien und der Bildpublizistik, zu denen illustrierte Einblattdrucke, Pamphlete (crime pamphlets), Flugschriften (oftmals illustriert) sowie seit dem 18. Jahrhundert „Bilderbögen“, Zeitungen/Zeitschrif16
17
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Vgl. beispielhaft Michael Lobban: From Seditious Libel to Unlawful Assembly: Peterloo and the Changing Face of Political Crime c1770–1820, in: Oxford Journal of Legal Studies 10 (1990), S. 307– 352; David Cressy: Dangerous talk. Scandalous, seditious, and treasonable speech in pre-modern England, Oxford 2010; Elisabeth Hüls: Vom Spottgedicht zum Attentat. Angriffe auf König Ludwig I. von Bayern (1825–1848), Frankfurt am Main 1994; Philipp Czech: Der Kaiser ist ein Lump und Spitzbube. Majestätsbeleidigung unter Kaiser Franz Joseph, Wien 2010; Thomas Austenfeld/ Dimiter Daphinoff/ Jens Herlth (Hgg.): Terrorism and Narrative Practice, Wien 2011; Klaus Weinhauer/ Jörg Requate (Hgg.): Gewalt ohne Ausweg? Terrorismus als Kommunikationsprozess in Europa seit dem 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2012. Zu dieser generellen Funktion von populären Medien im Hinblick auf Verbrechen und rechtliche Reaktionen siehe: Karl Härter/ Gerhard Sälter/ Eva Wiebel (Hgg.): Repräsentationen von Kriminalität und öffentlicher Sicherheit. Bilder, Vorstellungen und Diskurse vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2010; Jörn Robert Westphal: Die Darstellung von Unrecht in Flugblättern der Frühen Neuzeit, Mönchengladbach 2008; Joy Wiltenburg: Crime and culture in early modern Germany, Charlottesville 2012; Daniela Kraus: Kriminalität und Recht in frühneuzeitlichen Nachrichtendrucken. Bayerische Kriminalberichterstattung vom Ende des 15. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Regensburg 2013; Richard M. Ward: Print culture, crime and justice in 18th-century London, London 2014.
Attentatsbilder in populären Druckmedien
ten und schließlich literarische Werke zählen. In diesen Medien ging es auch um die Narrative, Etikettierungen, Visualisierungen und Attentatsbilder bzw. die Deutung von politischer Gewalt und der jeweiligen (straf-)rechtlichen Reaktionen in einem spezifisch öffentlich-rechtlichen Raum. Hinzu kamen während oder nach einem Prozess publizierte, auf ein breiteres Publikum zielende Druckschriften mit Auszügen aus Gerichtsakten, Verhörprotokollen, Urteilen und juristischen Stellungnahmen, die seit dem 18. Jahrhundert Eingang in Sammlungen von Kriminalfällen und Prozessen fanden. Ebenso bedienten sich politische Gewalttäter bzw. Gruppen, denen sie womöglich angehörten, „Sympathisanten“ und die allmählich entstehende politische Öffentlichkeit populärer Druckmedien, um die Motive eines Attentats oder die Reaktionen der Obrigkeit zu diskutieren, gegebenenfalls eine abweichende Deutung zu verbreiten oder sogar Protest und Kritik (teils mit den Mitteln der Satire) zu formulieren.18 Im Folgenden soll dieser Zusammenhang von politischen Attentaten, strafrechtlich-polizeilichen Reaktionen und populären, insbesondere bildhaften Druckmedien anhand ausgewählter Beispiele der „Sattelzeit“ zwischen Aufklärung und Vormärz untersucht werden, die grenzübergreifend mediale Reaktionen hervorriefen, und zwar der Attentate auf Ludwig XV. von Frankreich (1757), Joseph I. von Portugal (1757), den schwedischen König Gustav III. (1792), Jean Paul Marat (1793), August von Kotzebue (1819) und Charles Ferdinand d’Artois, Duc de Berry (1820). Der eigentliche Ablauf der Attentate, die Täter und ihre Motive sowie Strafverfolgung, Strafprozesse und Bestrafungen werden dabei lediglich knapp und im Hinblick auf die mediale Repräsentation dargestellt, die im Mittelpunkt der Analyse steht. Insgesamt konnten zu diesen sechs Attentaten und zwei weiteren (1800 auf den ersten Konsul Napoleon Bonaparte und 1819 auf Carl Friedrich von Ibell) über 140 unterschiedliche illustrierte Druckmedien sowie zusätzliche Publikationen ermittelt und untersucht werden, die in zeitlicher Nähe zu Attentat, Prozess und Bestrafung erschienen und auf ein breiteres Publikum zielten.19 Die in der folgenden Tabelle genannten Zahlen sind gleichwohl nicht vollständig, da nicht alle Drucke bibliographisch nachgewie18
19
Härter: Political crime (wie Anm. 6), S. 142–168; Ders.: Revolts as Political Crimes (wie Anm. 6), S. 309–350; Härter: Images of Dishonoured Rebels (wie Anm. 6), S. 75–101.Vgl. für Revolten: Andreas Würgler: Unruhen und Öffentlichkeit. Städtische und ländliche Protestbewegungen im 18. Jahrhundert, Tübingen 1995; Andreas Würgler: Revolts in Print: Media and Communication in Early Modern Urban Conflicts, in: Rudolf Schlögl (Hg.): Urban Elections and Decision-Making in Early Modern Europe, 1500–1800, Newcastle-upon-Tyne 2009, S. 257–275. Die Recherche bedient sich vor allem der allgemein zugänglichen Online-Portale und Kataloge wie insbesondere: KVK (https://kvk.bibliothek.kit.edu), Gallica (http://gallica.bnf.fr), Deutsche Digitale Bibliothek (https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/) und Wikipedia (https://commons.wikimedia.org). Bei den im Beitrag enthaltenen Abbildungen handelt es sich ausschließlich um Bildzitate zu wissenschaftlichen Zwecken. Bei im Internet verfügbaren, gemeinfreien Abbildungen, deren Urheberrechte erloschen sind, wurden die entsprechenden Bibliotheken und Datenbanken – insbesondere die vier oben genannten – nicht angegeben. Soweit Abbildungen gedruckten Werken entnommen sind, wurden die jeweiligen Fundstellen angegeben, sind keine angegeben, befinden sich die Abbildungen und Werke, denen sie entnommen wurden, im Besitz der Bibliothek des Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt a. M., oder des Autors.
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Gustav III., König
Jean Paul Marat Publizist / Politiker
1792 Schweden
1793 Frankreich
1820 Frankreich
1819 Deutscher Bund
1819 Deutscher Bund
Ch. Corday
J.J.v. Ankarström Mitverschwörer
Adelsfamilie Tavora Mitverschwörer
R.F. Damiens
Täter
J.P.d. Limoëlan, Napoleon Bonaparte, P. Robinault, F.-J. 1. Konsul Carbon Mitverschwörer August von Kotzebue, Publizist / russi- C.L. Sand scher Generalkonsul Carl Friedrich von Ibell, K. Löning Regierungspräsident Charles Ferdinand d’Artois, Duc de L.P. Louvel Berry, Neffe des Königs
Joseph I., König
1757 Portugal
1800 Frankreich
Ludwig XV., König
Opfer
1757 Frankreich
Jahr Land
Tabelle 1: politische Attentate in Europa 1757 - 1820
Messer Tod
Messer Verwundung
Messer Tod
Bombe Tötung Unbeteiligte
Messer Tod
Pistole Tod
Pistole Verwundung
Messer Verwundung
Form
Mord Verschwörung (vermutet)
Mord Verschwörung (vermutet) Mordversuch Verschwörung (vermutet)
Verrat Verschwörung
Mord
Majestätsverbrechen / Königsmord Verschwörung
Majestätsverbrechen Verschwörung
Majestätsverbrechen Verschwörung (vermutet)
Verbrechen
Hinrichtung
Selbsttötung Haft
Hinrichtung
Hinrichtungen Freiheitsstrafen
Hinrichtung
Folter Hinrichtungen Konfiskation Verbannung Ausweisung (Jesuiten) Folter Hinrichtung Verbannungen
Folter Hinrichtung
Verfahren/ Strafe
44 Aktenpubl.
1
22 Aktenpubl.
6 Aktenpubl.
26
12 Aktenpubl.
10 Aktenpubl.
27 Aktenpubl.
Illustrierte Drucke zusätzl. Aktenpubl.
Karl Härter
Attentatsbilder in populären Druckmedien
sen sind oder zugänglich waren und zudem die exakte Unterscheidung gelegentlich schwierig ist, da zahlreiche Nachdrucke und Varianten existieren.20 Zu allen Attentaten erschienen teils in mehreren Sprachen und Ländern weitere Druckschriften wie Pamphlete, Darstellungen der Strafverfahren, Publikationen mit Gerichtsakten oder Biographien, einige davon ebenfalls illustriert (in der Tabelle ohne Zahlenangabe als Aktenpubl. vermerkt). Teilweise stammten auch separat publizierte Illustrationen aus diesen Druckerzeugnissen oder sie integrierten umgekehrt zuvor als Einblattdrucke erschienene Illustrationen. Zu den Strukturen der untersuchten Medien und dem zugrunde gelegten Modell von Druck- bzw. Massenmedien (Produzenten, Autoren, Zeichner, Drucker, Verleger, Verbreitung, Formen, Inhalte/Botschaften, Rezipienten, Wirkung) können hier nur wenige zentrale Eckpunkte zusammenfassend referiert werden.21 Bei den illustrierten Einblattdrucken und crime pamphlets handelt es sich in der Regel um billige Drucke (Holzschnitte und vor allem Kupferstiche) von einer oder wenigen Seiten Umfang, die in einer Auflage von 1000–2000 publiziert und zu einem günstigen Preis verkauft wurden. Im 19. Jahrhundert kam verstärkt die Lithografietechnik zum Einsatz, was zu einer deutlichen Erhöhung der Auflagen und einer weiteren Verbilligung der Drucke führte. Einige illustrierte Drucke und auch umfangreichere Druckschriften wie insbesondere Auszüge aus den Gerichtsakten erschienen mehrsprachig oder wurden in anderen Sprachen und Ländern (aber mit teils übereinstimmenden Abbildungen) verbreitet. Wie bereits bei den Attentaten auf Heinrich III. und Heinrich IV. benutzten einige deutsche Drucker zudem Einblattdrucke und Flugschriften aus dem jeweiligen Land, in dem das Attentat stattgefunden hatte, als Vorlage, um daraus eine deutschsprachige Variante herzustellen. Insbesondere der Augsburger Verleger und Kupferstecher Johann Martin Will produzierte zwischen 1755 und 1817 eigene mehrsprachige illustrierte Einblattdrucke zu den Attentaten auf Ludwig XV., Joseph I. und Gustav III. In einigen Fällen erschienen auch deutsche Druckerzeugnisse in Frankreich und England in der jeweiligen Landessprache (so z.B. im Fall des Attentats auf August von Kotzebue). Grundsätzlich versuchten solche illustrierten, populären Drucke den Nachrichtencharakter und die Authentizität durch entsprechende Überschriften und Textpassagen 20
21
Zahlreiche der hier ermittelten und untersuchten illustrierten Einblattdrucke werden von Kraus: Kriminalität und Recht (wie Anm. 17), S. 68–70, nicht berücksichtigt; dies gilt ebenso für frühere Attentate oder andere politische Verbrechen oder Verbrechen gegen Staaten wie z.B. Revolten. Insofern kann ich die dort (S. 69) für den Zeitraum 15. bis Mitte 19. Jahrhundert getroffene Aussage, „Verbrechen gegen den Staat spielen in den Flugschriften und Einblattdrucken eine deutlich untergeordnete Rolle“, nicht nachvollziehen; vgl. dazu auch meine Untersuchungen: Härter: Political crime (wie Anm. 6), S. 142–168; Ders.: Revolts as Political Crimes (wie Anm. 6), S. 309–350; Ders.: Images of Dishonoured Rebels (wie Anm. 6), S. 75–101. Vgl. für das Folgende die ausführlicheren Darstellungen bei: Karl Härter: Criminalbildergeschichten: Verbrechen, Justiz und Strafe in illustrierten Einblattdrucken der Frühen Neuzeit, in: Härter/ Sälter/ Wiebel: Repräsentationen von Kriminalität (wie Anm. 17), S. 25–88; Westphal: Darstellung von Unrecht (wie Anm. 17); Kraus: Kriminalität und Recht (wie Anm. 17); Wiltenburg: Crime and culture (wie Anm. 17).
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Karl Härter
zu stärken, verwendeten aber häufig Illustrationen, die kaum die „Realität“ darstellten, sondern ein spezifisches Image von Tat, Täter, Opfer, Verbrechen und staatlich-rechtlichen Reaktionen transportierten. Seit der Französischen Revolution zeigt sich ein Medienwandel und eine stärkere mediale Differenzierung zwischen reinen Bildmedien mit geringem Textanteil (Bilderbögen), nur gelegentlich illustrierten Zeitungsberichten sowie umfangreicheren Druckwerken und Pamphleten. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass in der Sattelzeit die Verbreitung und Leserschaft – wie generell bei populären Medien und Druckerzeugnissen – deutlich zunahm und populäre Medienerzeugnisse nicht nur passiv von Einzelnen konsumiert, sondern in Gruppen rezipiert und diskutiert wurden.22 Die Forschung hat dies überzeugend am Beispiel der Bildpublizistik während und zur Französischen Revolution herausgearbeitet.23 Populäre und insbesondere bildhafte populäre Medien bildeten damit ein wesentliches Element der sich ausdifferenzierenden politischen Öffentlichkeit und insofern auch allgemeiner Sicherheitsdiskurse über politische Konflikte, Kriminalität, Bedrohungen, Verschwörungen oder Attentate. In dieser Hinsicht konnten sie auch Unsicherheit verstärken, moral oder crime panics auslösen und „Verschwörungstheorien“ verbreiten helfen.24
II. Attentate im Zeitalter der Aufklärung: Ludwig XV. und Joseph I. Am 5. Januar 1757 griff Robert-François Damiens den französischen König Ludwig XV. in seiner Kutsche an und verletzte diesen mit einem Messer leicht am Arm, angeblich um ihn zu touchieren und ein Zeichen gegen das moralisch und religiös korrupte Regime zu setzen. Damiens wurde sofort festgenommen und in dem unmittelbar einsetzenden inquisitorischen Untersuchungsverfahren intensiven Verhören unterworfen, bei denen bald die Folter angewandt wurde. Denn das Parlament von 22
23
24
160
Allgemein zur Entwicklung der Druckmedien zwischen Früher Neuzeit, Französischer Revolution und 19. Jahrhundert: Andreas Würgler: Medien in der frühen Neuzeit, München 2009; Werner Faulstich: Die bürgerliche Mediengesellschaft (1700–1830), Göttingen 2002; Jörg Requate (Hg.): Das 19. Jahrhundert als Mediengesellschaft. Les médias au XIXe siècle, München 2009. Klaus Herding/ Rolf Reichardt: Die Bildpublizistik der Französischen Revolution, Frankfurt am Main 1989; Christoph Danelzik-Brüggemann: Ereignisse und Bilder. Bildpublizistik und politische Kultur in Deutschland zur Zeit der Französischen Revolution, Berlin 1996; Sven Grampp u.a. (Hgg.): Revolutionsmedien – Medienrevolutionen, Konstanz 2008; und zusammenfassend Rolf Reichardt: Die Französische Revolution als europäisches Medienereignis, in: Europäische Geschichte Online (EGO), hg. vom Institut für Europäische Geschichte (IEG), online: http://www.ieg-ego.eu/ reichardtr-2010-de, URN: urn:nbn:de:0159-2010101173 (zuletzt konsultiert 12.1.2017). Zu Wirkungen und Verschwörungstheorien: David Lemmings/ Claire Walker (Hgg.): Moral panics, the media and the law in early modern England, New York 2009; Peter Robert Campbell/ Thomas E. Kaiser/ Marisa Linton (Hgg.): Conspiracy in the French Revolution, Manchester/ New York 2007; Barry Coward/ Julian Swann (Hgg.): Conspiracies and Conspiracy Theory in Early Modern Europe From the Waldensians to the French Revolution, Aldershot 2004.
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Paris als zuständiges Kriminalgericht akzeptierte weder die moralisch-religiöse Motivation Damiens noch seine Alleintäterschaft, sondern versuchte mit allen strafrechtlichen und polizeilichen Mitteln, eine Konspiration zu entdecken bzw. zu konstruieren sowie die intendierte Mordabsicht und einen geplanten Umsturz nachzuweisen. Trotz zahlreicher weiterer Verhaftungen und Verhöre angeblicher Mittäter konnten weder eine Verschwörung noch „Hintermänner“ oder weitere Komplizen ermittelt werden. Das Gericht bewertete die Tat dennoch als Majestätsverbrechen und paricidium (Vatermord am König als dem Vater der Nation) einer Verschwörung sowie als Angriff auf die staatliche Ordnung und verurteilte Damiens zu einer öffentlichen, entehrenden und beschämenden Todesstrafe mit Vierteilung und Verbrennung, Zerstörung seines Hauses, Auslöschung des Familiennamens und Verbannung der unmittelbaren Verwandten. Beim Vollzug der Strafe am 28. März 1757 wurden nochmals Folter (question préalable) und Verweigerung des Sterbesakraments angewandt, um Damiens zur Nennung von Mitverschwörern zu zwingen, was erneut misslang.25 Attentat und Strafverfahren fanden von Beginn an ein starkes, grenzübergreifendes Medienecho und es entfaltete sich ein kontroverser öffentlicher Diskurs, der auch um die Motivation Damiens und den Zustand des Königtums, die angebliche Verschwörung, hinter der insbesondere die Jesuiten vermutet wurden, und das Vorgehen des Staates kreiste. Die rechtlich-politische Konstruktion der Tat als ein politischer, „terroristischer“ Gewaltakt einer Verschwörung und die strafrechtlichen Reaktionen – Verhör, Folter und Strafe – wurden in zahlreichen illustrierten Einblattdrucken, sonstigen Abbildungen und Pamphleten thematisiert und dabei auch Parallelen zu den Attentaten auf Heinrich III. und Heinrich IV. gezogen.26 Von den untersuchten 27 illustrierten Einblattdrucken und Pamphleten (davon vier mit mehreren Illustrationen) erschienen 17 in Frankreich bzw. in französischer Sprache, acht in deutscher Sprache bzw. im Reich (meist ohne Angabe des Druckortes oder in Augsburg) und zwei in beiden Sprachen27. Lediglich vier Einblattdrucke zeigen das eigentliche Attentat als Messerattacke auf den an der Kutsche stehenden König, darunter findet sich aber nur eine Abbildung, die nur die Tat zeigt; bei den anderen ist sie dagegen lediglich als ein Motiv z.B. zum dominierenden Porträt des Attentäters integriert.28 Vier weitere Abbildungen präsentieren nur das Messer und sieben Drucke porträtieren Damiens (davon nur einer in deutscher Sprache), sechs davon mit dem 25 26 27 28
Pierre Chevallier: Les régicides: Clément, Ravaillac, Damiens, Paris 1989, S. 314–383. Zur question préalable, der Anwendung der Folter zwecks Ermittlung von Komplizen, auch bei bereits geständigen und verurteilten Delinquenten siehe unten Anm. 33. Pierre Rétat (Hg.): L’attentat de Damiens. Discours sur l’événement au XVIIIe siècle, Lyon 1979; Dale K. van Kley: The Damiens affair and the unraveling of the Ancien Régime, 1750–1770, Princeton 1984. Monstre Assassin du Roy / Vorstellung des Francisci Roberti Damien, Augsburg: Iohann Andreas Steißlinger, 1757 bzw. als Variante Straßburg: Striedbeck. L’Horrible attentat du 5 janvier 1757 [Paris 1757]; Johann Martin Will: Vorstellung der verruchten That des Mörders Damien so er an Ihro Königl. Maj. Ludwig dem XV. 1757 den 6ten Jenner begangen und wie dieser Könige Mörder den 28. Martii darauf ist hingerichtet worden, Augsburg 1757.
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Karl Härter
Messer, das er meist in der Hand hält. Elf Illustrationen zeigen Folterung, Verhör und die Untersuchungshaft sowie sechs den Ablauf der Hinrichtung, wobei vier nur die Exekutionsszenerie darstellen. Abweichend zu den frühneuzeitlichen Einblattdrucken zu Kriminalität und Strafjustiz, deren Illustrationen überwiegend Tat und Strafe zeigen, stehen im Fall von Damiens Untersuchungsverfahren und Folter, der Täter und das „Mordwerkzeug“ im Mittelpunkt. Dies korrespondiert mit der rechtlichen Konstruktion der Tat als ein heimtückisches Majestätsverbrechen eines einer Verschwörung angehörigen „Monsters“.29 Ikonographie und Botschaften der Illustrationen und Texte stimmen in den Grundzügen überein, so dass im Folgenden insbesondere der comicartige Einblattdruck von Johann Martin Will Vorstellung der verruchten That des Mörders Damien exemplarisch und vergleichend analysiert werden kann (Abb. 1). Das Blatt greift erkennbar, aber meist ohne direktes Kopieren auf frühere und französische Einblattdrucke zurück und kombiniert in drei separaten Illustrationen, die wiederum mittels der Bild im Bild Technik Abläufe zeigen, die Sujets „Attentat und Festnahme“, „Mordmesser“, „Verhör und Folter“ und „Exekution“. Die Abbildungen sind mit Buchstaben versehen, die auf den knappen Text verweisen, so dass der Einblattdruck wie ein moderner Comic als fließende Kombination von Bild und Text rezipiert werden kann. In der ersten Illustration wird mit parallelem Text die Darstellung des Attentatsversuchs am König („A“) durch die Messerattacke des Mörders Damiens („B“) mit der sofortigen Verhaftung des Attentäters durch Amtsträger („C“) kombiniert, womit der trotz der Attacke auf
Abb. 1: Johann Martin Will: Vorstellung der verruchten That des Mörders Damien 29
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Vgl. Härter: Political crime (wie Anm. 6), S. 157–160 und allgemein Härter: Criminalbildergeschichten (wie Anm. 21), S. 25–88.
Attentatsbilder in populären Druckmedien
das Staatsoberhaupt handlungsfähige Staat demonstriert werden soll. Auch die beiden das Attentat illustrierenden französischen Einblattdrucke vermitteln diese Botschaft.30 Das zweite Bild zeigt das Mordmesser und die Folterung Damiens auf einem speziellen „eisernen Bett“ (lit de fer), auf das er gefesselt ist. Auch in diesem Fall greift Will auf französische und deutsche (auch seine eigenen) Einblattdrucke zurück, die das „Mordwerkzeug“ oder die Haft, Verhör und Folterung darstellen.31 Diese Illustrationen repräsentieren die rechtlich-politischen Reaktionen und die Deutung des Attentats als ein politisch-terroristischer Akt einer Verschwörung. Denn das Messer wird als ein technisch komplexes, mit vergifteten, sich erst beim Zustechen ausklappenden kleinen Klingen oder Stacheln versehenes Mordwerkzeug dargestellt (Abb. 2). Es dient damit einem heimtückischen Mord und der einfache Diener Damiens kann es kaum selbst hergestellt, sondern „Hintermänner“ oder eine „Verschwörung“ müssen ihm das Tatwerkzeug verschafft haben.
Abb. 2: Wahrhafter Abriss des Messers, welches am 5. Januar 1757 zu Versailles der Unmensch, namens Robert Fransciscus Damiens … gerbrauchet hat 30
31
L’Horrible attentat sowie ein nur R. F. Damiens [Portrait de Damiens, en buste, de 3/4 dirigé à droite dans un cartouche ovale autour duquel sont représentés le crime de Damiens et son exécution, Paris 1757] betitelter Druck, der um das Porträt des Attentäters vier weitere Abbildungen gruppiert, von denen zwei Attentat und Festnahme zeigen. Johann Martin Will: Darstellung desjenigen sehr gefährlichen zugerichten Mord-Messers oder Dolchs Womit Se. Maj. Ludwig der XV. König von Franckreich, ums Leben sollte gebracht werden, welches der verruchte Mörder Pierre Damien diesen Königs-Mord zu verrichten, sich bedienet, und auch zur Zeit ins Werck zu richten vornahme, das geschahe A. 1757 zwischen den 5. und 6. Januarii Abends um 3. Viertel nach 6 Uhr, da der König in die Carosse steigen, und nach Trianon sich verfügen wollte, Augsburg: Johann Martin Will, 1757; Wahrhafter Abriss des Messers, welches am 5. Januar 1757 zu Versailles der Unmensch, namens Robert Fransciscus Damiens … gerbrauchet hat, 1757.
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Abb. 3 und 4: Die Folterung des Monstre Assassin du Roy
Diese Botschaft wird durch die Darstellung von Haft, Verhör und Folter noch verstärkt: Der als Unmensch oder Monstre Assassin du Roy bezeichnete Damiens muss aufgrund seiner Gefährlichkeit dauerhaft und mit zahlreichen Bändern auf eine spezielle Vorrichtung gefesselt werden, damit eine Befreiung durch die Mitverschwörer oder ein Entkommen unmöglich wird. In den korrespondierenden französischen Einblattdrucken wird er zusätzlich durch mehrere Soldaten bewacht, und auch bei Verhör und Folter bleibt Damiens an das Bett gefesselt, so dass man denselben ohn ihn loß zumachen noch anzurühren foldern kann (Abb. 3 und 4).32 Folter und Verhör werden dabei durch die Darstellung von Richtern, Schreibern, Soldaten oder die geometrischrationale Anordnung der Szenerie als juridische Handlung und rechtliche Reaktion des Staates auf ein politisches Gewaltverbrechen dargestellt, die auch dem Zweck der Informationsermittlung dienten bzw. diese rechtfertigen, um die Verschwörung aufzudecken.33 Die dritte Illustration im Einblattdruck von Will, die den gesamten unteren Bereich ausfüllt, stellt in mehreren Bildern (von links nach rechts) den Ablauf der öffentlichen Hinrichtung von Damiens dar und repräsentiert damit ebenfalls die strafrechtlichen Reaktionen und die Deutung des Angriffs auf den König als ein gegen die staatliche Ordnung gerichtetes Majestätsverbrechen einer Verschwörung: Damiens wird zuerst zur Kirche gebracht, wo er seine Tat bereuen und Gott den König und das Volck um 32 33
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Monstre Assassin du Roy/ Vorstellung des Francisci Roberti Damien, Augsburg und Straßburg 1757, davon insgesamt neun Varianten (sechs französische, zwei deutsche und eine zweisprachige); RobertFrançois Damiens [Damiens couché sur un lit de fer subit l’interrogatoire de deux magistrats]. Zu dieser Funktion der Folter im Inquisitionsprozess vgl. Karl Härter: Die Folter als Instrument policeylicher Ermittlung im inquisitorischen Untersuchungs- und Strafverfahren des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Karsten Altenhain/ Nicola Willenberg (Hgg.): Die Geschichte der Folter seit ihrer Abschaffung, Göttingen 2011, S. 83–114; Lisa Silverman: Tortured subjects. pain, truth, and the body in early modern France, Chicago 2001, S. 80–81; Laurence Montazel: Les parlements de France et la torture judiciaire du XVe au XVIIIe siècle, in: Bernard Durand (Hg.): La torture judiciaire. Approches historiques et juridiques, Lille 2002, S. 613–641.
Attentatsbilder in populären Druckmedien
Abb. 5 und 6: Portrais des soufrance de R. F. Damien; R. F. Damiens
Verzeichung bitten muss („G“). Darauf folgt die Szenerie auf dem von Soldaten bewachten Schafott mit Scharfrichter, Gehilfen, Amtsträgern und Priestern, die Damiens foltern, ihn dabei erneut befragen und ihm die Sakramente verweigern. Dargestellt ist folglich ebenfalls die noch während der Hinrichtung mögliche question préalable zwecks Entdeckung von Komplizen oder der Konspiration, wobei insbesondere diese Verfahrensweise und die Verweigerung der Sakramente nach der Hinrichtung in der Öffentlichkeit kritisch diskutiert und von der Obrigkeit als mauvais discours etikettiert wurden. Die Illustration zeigt weiterhin die charakteristische frühneuzeitliche Bestrafung eines Attentäters als Majestätsverbrecher: die verräterische Hand, mit der er das Messer gegen den König geführt hatte, wird durchstochen bzw. abgetrennt und später vom Scharfrichter verbannt („H“), danach wird er durch Pferde in Stücke gerissen bzw. gevierteilt („K“, „L“), gefolgt vom Verbrennen der Leichenteile („M“); deren Asche wurde danach unter Beteiligung der Bevölkerung zerstreut (was nicht dargestellt bzw. nur angedeutet ist). Die Hinrichtung ist folglich nicht nur als Reaktion des Staates dargestellt, sondern die Bevölkerung und unterschiedliche Stände sind an der Auslöschung und damnatio memoriae34 des Monsters beteiligt, das letztlich ohne legitime politische Gründe als ausführendes Organ einer Verschwörung König, Staat und Ordnung angegriffen hatte. Ähnlich stellen auch fünf weitere (vier französische, ein deutscher) illustrierte Einblattdrucke die Hinrichtung dar, wobei allerdings nur zwei mehrere Szenen zeigen (Abb. 5 und 6).35 Der zweite Einblattdruck (Abb. 6) kombiniert die in drei Illustrationen dargestellte Hinrichtung mit der Darstellung des Attentats und dem dominierenden Porträt Damiens. Es handelt sich dabei um den einzigen französischen Einblattdruck, der 34 35
Hierzu allgemein Andreas Pesch: De perduellione, crimine maiestatis et memoria damnata, Aachen 1995. Portrais des soufrance de R. F. Damien, attantateur de las personnes sacré du Roy Louis XV le 5 jeanvier 1757 [Paris 1757]: R.F. Damiens [Paris 1757].
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Abb. 7 und 8: Damiens als mörderisches Monster und Delinquent
comicartig Attentat, strafrechtliche Reaktionen und Täter illustriert, wobei die Darstellung des letzteren dominiert. Dies folgt der bereits bei den Attentaten auf Heinrich III. und Heinrich IV. etablierten Ikonographie, kann aber – mit den anderen nur das Porträt Damiens zeigenden Drucken – als eine gerade bei politischen Verbrechen wie Attentaten einsetzende stärkere Personalisierung des Täters in populären Medien und öffentlichem Diskurs gedeutet werden. Damiens wird in diesen sowohl als heimtückischer bösartiger Messerattentäter und monstre dämonisiert, teilweise aber auch eher als verschlagen oder einfältig dargestellt (Abb. 7 und 8).36 Auch wenn die populären illustrierten Medien primär die obrigkeitliche Deutung des Attentats und die strafrechtliche Reaktion vermittelten und in kommerzieller Absicht die Sensationslust des Publikums ansprechen wollten, so stimulierte letztlich die Person Damiens, seine Motive, die vermeintliche Verschwörung und die Reaktion der französischen Strafjustiz – Informationsfolter und physische wie soziale Auslöschung des Täters – einen öffentlich-politischen Diskurs, der die obrigkeitlich-staatliche Perspektive auch kritisch diskutierte. Dabei wurden ebenfalls die „Verschwörungstheorie“ hinterfragt und generelle Einflüsse des kritischen politischen Diskurses bzw. dissidenter Propaganda auf die Motivation des Täters diskutiert. Insofern wurde nicht nur ein zentraler Zweck der strafrechtlichen Reaktion – die physische und soziale Auslöschung 36
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R.F.D. [Portrait de Robert François Damiens, en buste, de 3/4 dirigé à droite dans une bordure ovale, Paris 1757]; Robert-François Damiens [Portrait de Damiens en buste, de profil dirigé à droite, Paris 1757].
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des Täters und die Verdammung der Tat bzw. die Diskreditierung politisch womöglich „gerechter“ Motive – konterkariert, sondern letztlich die durch das Attentat womöglich beabsichtigte Kritik am König bzw. Herrschaftssystem zumindest ansatzweise und mit grenzübergreifender Wirkung weitergeführt.37 König und Pariser Parlament reagierten auf solche mauvais discours mit Zensur, Strafverfolgung und der Bestrafung von Autoren, deren Pamphlete in einigen Fällen durch den Henker öffentlich verbrannt wurden. Insofern evozierten politische Gewalt/Attentate, Strafjustiz und populäre Medien nicht nur weitere politische Diskussionen, sondern auch weitere strafrechtlichpolizeiliche Reaktionen: Gesetzgebung, Zensur, Überwachung und Strafverfolgung.38 Strafjustiz und polizeiliche Maßnahmen reichten jedoch nicht aus, um die fortdauernde öffentlich-mediale Wirkung des Attentats zu annullieren. Daher publizierte die französische Obrigkeit noch während des Verfahrens Gerichtsakten und juristische Schriften des Pariser Parlaments, wie die Pièces originales et procédures du procès oder die relation detaillée du supplice de Robert-François Damiens, in denen Verhörprotokolle, Geständnis, Gerichtsakten, Urteil und Hinrichtungsberichte enthalten waren.39 Deren Funktion bestand auch darin, die angemessene rechtliche Reaktion der Obrigkeit auf das Attentat und die Handlungsfähigkeit des Staates zu untermauern, der potentiellen Interpretation als „politische Justiz“ (im modernen Sinn) entgegenzutreten und damit insgesamt die Deutungshoheit über den politischen Konflikt zu gewinnen. Insofern blieb es nicht bei rechtlichen und polizeilichen Reaktionen, sondern der Staat initiierte (wie bereits auch ansatzweise bei früheren Attentaten) eine aktive Medienpolitik, um insbesondere durch die Publikation ausgewählter Rechtsdokumente (vor allem der Gerichtsakten) den Diskurs zu beeinflussen. Damit weitete auch die Obrigkeit die Konstruktion und Deutung des Attentats durch Strafverfahren und Strafe auf eine zweite Kommunikationsebene aus. Nur ein Jahr später ereignete sich ein weiteres Attentat, das bezüglich Tat, strafrechtlich-polizeilichen Reaktionen und populären Medien/Diskursen ähnlichen Mustern folgte: Am Abend des 3. September 1758 wurde der portugiesische König Joseph 37
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Vgl. z.B. Les iniquités découvertes ou recueil des pièces, curieuses & rares qui ont paru lors du procès de Damiens, London 1760; Histoire de Robert François Damiens, contenant les particularités de son parricide et de son supplice, Amsterdam 1757; A particular and authentic narrative of the life, examination, tortures and execution of Robert Francis Damien, who attempted to kill Lewis XV. King of France, by stabbing him in the right side, as he was stepping into his coach, January the 5th, 1757. ... Translated from the French by Thomas Jones, Es, London 1757; Gespräch im Reiche der Todten zwischen dem Urheber der Zusammenverschwörung wider den König in Portugall Joseph de Mascarenhas, ehemaligen Herzog von Aveiro und Robert Franz Damiens, bekannten Königsmörder in Frankreich in welchem die wahre und aus den besten Quellen gezogene Geschichte beyder Persohnen kurz, deutlich, und der Sache gemäß vorgetragen, […], Frankfurt/ Leipzig 1759. Van Kley: Damiens affair (wie Anm. 26), S. 230–232; Rétat: L’attentat de Damiens (wie Anm. 26), S. 145–166. Pièces originales et procédures du procès, fait à Robert-François Damiens, Paris 1757; Relation detaillée du supplice de Robert-François Damiens, exécuté en place de Grève, le lundi 28 Mars 1757 [Paris 1757]; Arrest de la cour de Parlement, contre Rob. François Damiens [… Paris 1757]; vgl. dazu insgesamt Van Kley: Damiens affair (wie Anm. 26); Rétat: L’attentat de Damiens (wie Anm. 26).
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I. auf dem Weg nach Lissabon in seiner Kutsche überfallen und durch zwei Schüsse leicht verwundet. Die darauf folgenden Ermittlungen, die von zahlreichen Gerüchten begleitet waren, führten schließlich nach mehreren Wochen zur Verhaftung von zwei Tätern, die unter der Folter die Adelsfamilie Tavora als Anstifter und Mitverschwörer benannten, die zu den bekanntesten politischen Gegnern des ersten Ministers Marquês de Pombal gehörte. Zahlreiche Mitglieder der Familie (darunter auch Ehefrauen, Kinder und ein Erzieher aus den Reihen der Jesuiten) wurden im Dezember 1758 verhaftet, von denen zwölf der Teilnahme an einer Verschwörung gegen den König und der Anstiftung zu Attentat beschuldigt, verhört, gefoltert, am 12. Januar als Majestätsverbrecher und Verräter verurteilt und mit einer Ausnahme am 13. Januar 1759 hingerichtet wurden. Wie bei Damiens beinhalteten die Todesstrafen öffentliche Entehrung, Zerstörung der Häuser, Konfiskation der Güter, Tilgung des Familiennamens und Auslöschung durch Verbrennung der Leichen und Zerstreuung der Asche. Am Hinrichtungsplatz wurde eine Schandsäule errichtet und die angebliche Verwicklung der Jesuiten in die Verschwörung wurde zum Anlass genommen, den Orden zu verbieten und die Mitglieder auszuweisen.40 Auch dieses Attentat erzeugte ein europaweites Medienecho und mauvais discours um eine politische Strafjustiz, die scheinbar noch offensichtlicher als im Fall von Damiens auf als oppositionell oder dissident eingeschätzte Gruppen (Adel und Jesuiten) abzielte. Im deutschen Sprachraum erschienen fünf illustrierte Drucke sowie Übersetzungen der obrigkeitlichen Druckschriften, die vor allem mittels Auszügen aus den Gerichtsakten die rechtlich-politischen Reaktionen des portugiesischen Staates rechtfertigen sollten. Die Illustrationen stellten vorwiegend die Hinrichtungsszenerie dar; nur eine Abbildung widmet sich dem Attentat und lediglich der 1759 in Augsburg gedruckte Einblattdruck Erschröckliche und grausame That von verfluchten Königs-Mördern kombiniert Tat und Hinrichtung in zwei Illustrationenen (Abb. 9).41 Grundsätzlich vermittelten jedoch auch diese Drucke die obrigkeitliche Deutung des Attentats als eine gegen König, Staat und Ordnung gerichtete hochverräterische Verschwörung, auf welche eine angemessene rechtliche Reaktion erfolgte. Im Unterschied zu Damiens fällt bei der Hinrichtungsszenerie auf, dass nahezu alle Illustrationen die Präsenz von Militär hervorheben und die Bevölkerung nicht oder bestenfalls undeutlich im Hintergrund auftaucht. Die Delinquenten werden zwar gezeigt und teilweise namentlich benannt, aber weder im Porträt dargestellt noch dämonisiert. Die Einblattdrucke betonen dagegen die grausame Execution oder scharffe Execution durch Hervorhebung der Hinrichtungsmethoden und Darstellung der verstümmelten, teils aufgehäuften Leichen, wie insbesondere in der Vorstellung der grossen und merkwürdigen Execution 40 41
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I. F. M. von Olfers: Über den Mordversuch gegen den König Joseph von Portugal am 3. September 1758. Eine historische Untersuchung, in: Abhandlungen der Königlichen Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1838, Berlin 1840, S. 273–361. Josef Erasmus Belling: Erschröckliche und grausame That von verfluchten Königs-Mördern, so an dem König in Portugall Iosepho dem ersten, durch den Herzog von Aveiro, und seine anhengere zwischen Lisabon und Belem, den 3. Sept. 1758 geschehen, Augsburg 1759.
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Abb. 9: Erschröckliche und grausame That von verfluchten Königs-Mördern
Abb. 10: Vorstellung der grossen und merkwürdigen Execution
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(Abb. 10).42 Die eigentlichen Täter werden dagegen meist nicht einmal erwähnt und der Fokus liegt völlig auf der Verschwörung und der Adelsfamilie Tavora: beides eignete sich allerdings nicht für eine mediale Personalisierung wie bei Damiens. Um den mauvais discours über eine für politische Zwecke – die Ausschaltung einer oppositionellen Adelsfamilie und die Ausweisung der Jesuiten – funktionalisierte grausame Strafjustiz entgegen zu treten, initiierte auch die portugiesische Obrigkeit zahlreiche offiziöse Aktenpublikationen mit Aussagen, Geständnissen, Beweisen und Urteilen, die ein rechtlich angemessenes Strafverfahren und die Verbrechen belegen sollten. Einige erschienen zudem in Frankreich, England und im deutschen Sprachraum, wie z.B. das Criminal-Factum und Bekenntniß, nach welchem die Verschwornen gegen das Leben Sr. Allergetreuesten Majest. des Königes von Portugal, zu Lissabon den 9. Januar 1759. verurtheilet, und den 13ten Januar hingerichtet worden. Auf Befehl des Königes den 18. Jan. publiciret (Leipzig 1759).43 Wie im Fall von Damiens führte diese Form der obrigkeitlichen Medienpolitik dazu, dass Attentat und strafrechtliche Reaktion weiter in der Öffentlichkeit präsent blieben und diskutiert wurden und zudem das Arkanum des nicht-öffentlichen Inquisitionsprozesses zumindest teilweise durchbrochen wurde. Dies eröffnete Spielraum für fortdauernde, kritische rechtlich-politische Bewertungen beispielsweise als obscure methods of proceeding in matters of justice as are too frequently practiced in countries where despotism is either assuming or become established.44
III. Attentate und Revolution 1789–1815: Gustav III. und Jean-Paul Marat Wie die Beispiele gezeigt haben, hatte sich bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine enge Verbindung von Strafjustiz und populären Medien als öffentliche Foren der Deutung von Attentaten als politische Verbrechen ausgeformt. Dies sollte 42
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Johann Neuhofer: Vorstellung und Beschreibung der den 13. Jan. 1759. zu Lissabon, an denen Königs-Mördern vollzogenen scharffen Execution, Augsburg 1759; Johann Martin Will: Accurate Vorstellung der grausamen Execution an denen verruchten Mördern, so an Ihro Königliche Majestät von Portugall den 3. September 1758. Nachts um 11. Uhr einen Meuchelmord ausüben wollen, Augsburg 1759; Vorstellung der grossen und merkwürdigen Execution, welche in Lisabona d. 13ten Jan. 1759 an den Hoch-verräthern vollzogen worden, enthalten in: Umständlich wahrhafte Beschreibung, so wohl des grausamen Unternehmens gegen Ihro Majestät den König von Portugal Josephum I., welches an allerhöchst-deroselben geheiligten Person den 3. Sept. 1758 ausgeübet, als auch der grossen und merkwürdigen Execution, welche in Lisabon den 13. Januarii 1759 an diesen Hochverräthern vollzogen worden, 1759. Ein weiteres Beispiel: Der Portugiesische Hochverrath und Proceß, der verurtheilten und hingerichteten Personen, wie ihn der Hof selbst öffentlich bekannt machen lassen Nebst dem Decret des Cardinal Saldanha, Frankfurt/ Leipzig 1759. William Shirley: Observations on a pamphlet lately published, entitled the genuine and legal sentence pronounced by the high court of judicature of Portugal upon the conspirators against the life of his most faithful majesty; with the just motives for the same, London 1759, S. 71. Vgl. weiterhin Olfers: Mordversuch (wie Anm. 40), S. 304–305.
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sich mit der Französischen Revolution noch verstärken, die allerdings auch Motive und Formen politischer Gewalt sowie die strafrechtlich-polizeilichen und medialen Reaktionen veränderte. Mit den Attentaten auf Jean Paul Marat (1793) und den Ersten Konsul Napoleon Bonaparte (1800) richtete sich politische Gewalt nun auch gegen Repräsentanten des politischen Systems und bediente sich, wie bei dem Bombenattentat auf Napoleon, ubiquitärer Gewalt im öffentlichen Raum, die Unbeteiligte treffen konnte und ein Klima der Angst erzeugen sollte. Auch die Form der Inszenierung änderte sich, indem durch „Bekennerschreiben“ im Fall von Charlotte Corday und Carl Ludwig Sand eine breitere Öffentlichkeit hergestellt werden sollte. Im Hinblick auf die politische Motivation traten die politische Ideologie, der Angriff auf das politische System und dessen Destabilisierung sowie der beabsichtigte Umsturz ebenfalls stärker in den Vordergrund.45 Damit gewann das politische Attentat, wenn man so will, eine stärkere propagandistisch-terroristische und auch transnationale Dimension, die sich freilich in Ansätzen insbesondere im Hinblick auf die religiös-politische Dimension bereits in der Frühen Neuzeit findet. Die Veränderung der Formen und Motive politischer Gewalt wie der strafrechtlichen und medialen Reaktionen, aber auch einige Kontinuitäten, lassen sich exemplarisch an dem Attentat auf den schwedischen König Gustav III. (1792) und die Tötung Jean Paul Marats durch Charlotte Corday (1793) zeigen. Das Attentat auf den schwedischen König Gustav III. am 16. März 1792 folgte noch weitgehend dem bekannten Muster des vormodernen Königsmords: Der adlige Attentäter Jacob Johan Anckarström verwundete den König bei einem Maskenball in der königlichen Oper mit einem Pistolenschuss, an dem Gustav zwei Wochen später aufgrund einer Blutvergiftung starb. Anckarström wurde festgenommen, als Mitglied einer Verschwörung verhört und gefoltert und am 27. April 1792 öffentlich, in entehrender Form hingerichtet. Zwar nannte er keine Komplizen, dennoch führte die rasch durchgeführte Untersuchung zur Verhaftung zahlreicher adliger Mitverschwörer, von denen fünf zu Verbannungsstrafen verurteilt wurden. Der Attentäter bzw. die Verschwörer begründeten die Tat mit „Tyrannenmord“, benannten aber auch aufklärerische, revolutionäre Motive und Sympathie zur Französischen Revolution bzw. ihnen wurde diese Motivation im Prozess und in den Medien zugeschrieben.46 Die zwölf im deutschen Sprachraum publizierten illustrierten Drucke (Einblattdrucke und mehrseitige Druckschriften) fokussieren auf den Königsmord im öffentlichen Raum der Oper, den „unerschrockenen“, „heroischen“ König, der trotz seiner Verwundung kommuniziert und Befehle erteilt, den „verruchten“ „Meuchelmörder“ 45 46
Vgl. dazu insgesamt Salomé: L’ouragan homicide (wie Anm. 13); Hoffman: The Age of Assassination (wie Anm. 13), S. 121–141. R. Nisbet Bain: The Assassination of Gustavus III of Sweden, in: The English Historical Review 2 (1887), S. 543–552; Stig Jägerskiöld: Tyrannicide and the right of resistance, 1792–1809. A study of J. J. Anckarström, in: Scandinavian Studies in Law 8 (1964), S. 67–103; Klaus Zernack: Medieval and Early Modern Constitutionalism and Autocracy: Monarchy in Sweden and Russia and the Eighteenth-Century Regicides, in: Friedeburg, Murder and monarchy (wie Anm. 1), S. 239–258, hier S. 248–254.
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und dessen entehrende Bestrafung. Insgesamt dominiert die Porträtierung Anckarströms als ein vor der Hinrichtung an den Schandpfahl angeketteter Delinquent (an dem auch Pistole und Messer angebracht sind) in vier weitgehend übereinstimmenden Illustrationen (Abb. 11), zwei weitere zeigen ihn als heimtückischen Mörder mit Pistole und Messer.47 Der zweisprachige, von Will 1792 in Augsburg gedruckte Einblattdruck stellt die Hinrichtungsszenerie ausführlicher in drei Illustrationen mit Abhacken der Hand, Vierteilung und Ausstellung der Leichenteile dar, kombiniert mit einer Abbildung des verwundeten Königs unmittelbar nach dem Attentat.48 Das auch in deutscher Sprache als Flugschrift in drei Varianten mit unterschiedlichen Titelillustrationen publizierte Urtheil zeigt ebenfalls die Abb. 11: Sehr ähnliches, nach der StockholVierteilung und die entehrenden Rituale wie mer Originalzeichnung gestochenes Profil, Schandpfahl und Auspeitschen mit Ruten, die des Königsmörders Ankarström Strafe des vormodernen peinlichen Strafrechts für das crimen laesae maiestatis (Abb. 13). Das Urteil des Hofgerichts als authentisches rechtliches Dokument wird damit mit der Illustration der Hinrichtung kombiniert, was womöglich einen höheren Grad an offiziöser Authentizität erzeugen sollte.49 Die schwedische Regierung publizierte auch im deutschen Sprachraum (Schwedisch-Pommern war Mitglied des Alten Reiches) sehr umfangreiche Auszüge aus den 47
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Sehr ähnliches, nach der Stockholmer Originalzeichnung gestochenes Profil, des Königsmörders Ankarström, so, wie er, vor seiner Hinrichtung am Schaffot gestanden hat, 1792, 2 Varianten und auch als Titelillustration von: Kurze Erzählung des vom Capitain Jacob Johann Ankarström, zu Stockholm in der Nacht vom 16ten zum 17ten Merz 1792 verübten grausamen Königs-Mordes. Aus den glaubhaftesten öffentlichen Nachrichten gezogen, Greifswald 1792; Gustav III. König von Schweden. Zweiter Theil. Mit dem Bildnisse seines Mörders, Chemnitz 1793. Vgl. auch Danelzik-Brüggemann: Ereignisse und Bilder (wie Anm. 23), S. 146–148. Johann Martin Will: Exécution à le assassin de Roi, de Roide Schwede […] / Exercuzion an dem Mörder des Konigs von Schweden […], Augsburg 1792. Urtheil über den verruchten Königs-Mörder in Schweden, Johann Jakob von Ankarström, welches den 27ten April, 1792. an ihm vollzogen wurde, Augsburg 1792; Peinliches Urtheil über den Königsmörder in Schweden Johann Jakob von Ankarström, welcher am 27. April hingerichtet worden ist, Stockholm 1792; Umständliche Nachricht von dem an dem Königs-Mörder, Johann Jakob Ankärström, zu Stockholm vollzogenen Urtheil, wie selbiger vom 19ten April an drey Tage nacheinander öffentlich auf einen Schavott am Pranger gestanden, mit Ruthen gepeitscht, und ihm am 27sten April darauf die rechte Hand und Kopf abgeschlagen, und sodann der geviertheilte Körper auf Pfähle gesteckt worden. Nebst der rührenden Zubereitung des Höchstseligen Königs zum Tode, und andern merkwürdigen Umständen, 1792.
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Abb. 12 und 13: Titelillustrationen von ‚Urtheil über den verruchten Königs-Mörder in Schweden und Umständliche Nachricht‘
Strafverfahren des königlichen Hofgerichts gegen Anckarström und seine Mitverschwörer (mit Verhörprotokollen, Geständnissen, Urteilen), um die öffentliche Meinung zu beeinflussen, mauvais discours zu verhindern, die strafrechtlichen Reaktionen zu rechtfertigen und Attentat und Verschwörung zu diskreditieren.50 Letzteren wurde zudem eine aufklärerisch-revolutionäre Intention zugesprochen, die angesichts des Medienechos auf die Französische Revolution, der sich verstärkenden expansion révolutionnaire und der Hinrichtung Ludwigs XV. eine besondere Brisanz besaß.51 Die mediale Wirkung der Revolution – insbesondere in der Bildpublizistik – zeigte sich bei einem weiteren Attentat, der Tötung Jean-Paul Marats durch Charlotte Corday am 13. Juli 1793. Mit dem Publizisten, Politiker und Jakobiner Marat wurde erstmals ein Repräsentant einer politischen Richtung und eines „revolutionären“ politischen Systems von einer weiblichen Attentäterin und politischen Gegnerin, Marie Anne Charlotte Corday d’Armont, einer verarmten Adligen und Anhängerin der Girondisten, im privaten Raum des bürgerlichen Badezimmers getötet. Das Attentat war zwar als öffentlicher symbolischer Akt am Jahrestag des Bastillesturms geplant, Corday erstach den erkrankten Marat aber einen Tag früher in dessen Wohnung und hatte ein „Bekennerschreiben“ an das französische Volk bei sich. Sie wurde noch am Tatort festgenommen und sofort verhört, um insbesondere Komplizen und Mitverschwörer zu ermitteln. Das nur vier Tage später am 17. Juli durchgeführte öffentliche Verfahren vor dem Revolutionstribunal nutzte Corday ebenfalls als öffentliches Forum, um das Attentat als symbolische patriotische Tat gegen ein politisches Unrechtssystem zu rechtfertigen. Die Gegenstrategie bestand darin, sie als geisteskrank darzustellen, was misslang. 50
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Des Königl. Schwedischen Hofgerichts Untersuchung und Urtheile über den Königsmörder, Jacob Johann Ankarström und übrige Mitschuldige, Greifswald 1792; Protocolle des Königlichen Schwedischen Hofgerichts zu Stockholm betreffend die, wegen der am hochseligen Könige verübten Mordthat, und dessen, was sich darauf bezieht, angestellten Untersuchungen, Stralsund 1792. Siehe dazu Danelzik-Brüggemann: Ereignisse und Bilder (wie Anm. 23); Grampp u.a.: Revolutionsmedien – Medienrevolutionen (wie Anm. 23); Reichardt: Französische Revolution als europäisches Medienereignis (wie Anm. 23).
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Corday wurde am selben Tag verurteilt und mittels der Guillotine hingerichtet.52 Bereits unmittelbar nach der Tat setzte ein kontroverser Diskurs ein, der sich auch in illustrierten Einblattdrucken niederschlug. Darin wurden sowohl das Opfer Marat als auch die Attentäterin Corday jeweils als Märtyrer für eine politische Richtung oder Botschaft heroisiert. In Frankreich erschienen über 25 illustrierte Einblattdrucke, von denen die meisten die Tötung des in heroischer Pose als Märtyrer der Revolution dargeAbb. 14: Assassinat de J.P. Marat, ne le pouvant stellten Marats in der Badewanne zeigen; corrompre, ils l’ont assassiné das Motiv erlangte durch das Gemälde Der Tod des Marat von Jacques-Louis David eine bis heute andauernde ikonographische Wirkung.53 Charlotte Corday wird dagegen als bösartige heimtückische Mörderin dargestellt, die den hilflosen Marat ersticht, wobei einige Varianten ihre Festnahme durch bewaffnete Jakobiner/Uniformierte integrieren, um die sofortige Reaktionen des Volkes und die Handlungsfähigkeit des politischen Systems zu demonstrieren (Abb. 14).54 Hinsichtlich der Porträtierung und „Dämonisierung“ der Täterin und der unmittelbaren strafrechtlich-polizeilichen Reaktionen (Festnahme und sofortiges Verfahren) bleibt die Bildpublizistik folglich in den bereits während des Ancien Régime etablierten ikonographischen Mustern. Lediglich zwei französische Einblattdrucke zeigen Charlotte Corday im Gefängnis, einen letzten Rechtfertigungsbrief an ihren Vater schreibend, in dem sie ihn um Vergebung bat. Anders als bei Damiens zielt die Darstellung aber nicht auf das Untersuchungsverfahren, sondern die Täterin und ihre Motive bilden die Botschaft.55 Nur ein weiteres Blatt bildet die verurteile Attentäterin im Karren auf dem Weg zur Guillotine ab, und weder der Prozess noch die eigentliche Hinrichtung werden illustriert, abgese52
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Thomas W. Gaehtgens: Davids Marat (1793) oder die Dialektik des Opfers, in: Alexander Demandt (Hg.): Das Attentat in der Geschichte, Erfstadt 2003, S. 187–213; Sylvia Schraut: Charlotte Corday und Karl Ludwig Sand: Populäre Repräsentation von Geschlecht und politischer Gewalt im 19. Jahrhundert, in: Elisabeth Cheauré/ Sylvia Paletschek/ Nina Reusch (Hgg.): Geschlecht und Geschichte in populären Medien, Bielefeld 2013, S. 137–152, hier S. 138–144. Für dieses Attentat konnte die umfangreiche Bildpublizistik nicht vollständig ausgewertet werden; ebensowenig ist es hier möglich, die 26 untersuchten illustrierten Einblattdrucke bibliographisch nachzuweisen, die sich aber durch eine entsprechende Recherche bei Gallica (http://gallica.bnf.fr, Charlotte Corday und/oder Marat assassinat) ermitteln lassen. Vgl. weiterhin Arnd Beise: Charlotte Corday. Karriere einer Attentäterin, Marburg 1992; Guillaume Mazeau: Le bain de l’histoire. Charlotte Corday et l’attentat contre Marat, 1793–2009, Seyssel 2009. Assassinat de J.P. Marat, ne le pouvant corrompre, ils l’ont assassiné, Paris 1793. Marie Anne Charlotte Corday ci-devant Darmans âgée de 25 ans Assassin de Marat écrivant sa dernière lettre à son père [Paris 1793] (2 Varianten).
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hen von zwei englischen Einblattdrucken: The heroic Charlotte la Cordé, upon her trial, at the bar of the revolutionary tribunal of Paris stellt sie als Heroine dar, die den karikaturhaft verzeichneten äffischen Revolutionären trotzt. Der zweite zeigt sie als unschuldige „Jungfrau“ auf dem Schafott, die sich mit Bekennerschreiben in der Hand an das Volk wendet.56 Die fünf ermittelten deutschsprachigen Illustrationen folgen dieser Deutung, orientieren sich aber im Hinblick auf die Szenerie an den französischen Vorbildern: Vier zeigen das Messerattentat im Bad mit Charlotte Corday als Heldin, die die Erde von einem Ungeheur dem Jacobiner Marat dem grössten Feind des unglücklichen Königs befreite und heldenmüthig auf dem Blutgerüste starb (Abb. 15). Lediglich eine Illustration integriert die Festnahme, wobei sowohl Corday als auch Marat in heroisch stilisierter Pose dargestellt sind.57 Da Charlotte Corday in einem Abb. 15: Charlotte Corday befreyete die Erde von einem öffentlichen mündlichen Verfahren Ungeheur dem Jacobiner Marat verurteilt worden war, verzichtete die Revolutionsregierung auf die Publikation von Akten, förderte aber durch Publikationen und Propaganda den entstehenden Kult um Marat als Helden und Märtyrer der Revolution. Durch den Sturz der Jakobiner endete dieser jedoch allmählich und die zunächst nur in ausländischen Medien verbreitete Deutung von Corday als Heldin und Märtyrerin fand auch in Frankreich Verbreitung.58 56
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James Gillray: The heroic Charlotte la Cordé, upon her trial, at the bar of the revolutionary tribunal of Paris, July 17, 1793, London 1793; The Execution of Charlotte Corde, Paris Sunday July 17. 1793, zusammen gedruckt mit: The Death of Marat at Paris who was stabbed by Charlotte Corde of Caen Sunday July 14 1793, London 1793. Charlotte Corday befreyete die Erde von einem Ungeheur dem Jacobiner Marat dem grössten Feind des unglücklichen Königs und starb heldenmüthig auf dem Blutgerüste d. 18 Jul. 1793 in Paris (2 Varianten); Marat stierbt des Tod’s, den er für andere gepredigt hatte, 1793; Marat wird durch Charlotte Corday erstochen, 1793. Dazu: Beise: Charlotte Corday (wie Anm. 53); Mazeau: Le bain de l’histoire (wie Anm. 53).
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IV. Attentate und Sicherheitsregime im Vormärz: August von Kotzebue und Charles Ferdinand d’Artois, Duc de Berry Die starke, gegensätzliche Personalisierung von Opfer und Täter und deren repräsentative Bedeutung der dem Attentat zugrunde liegenden politischen Konflikte lassen sich im 19. Jahrhundert auch anhand der Attentate auf August von Kotzebue (1819) und Charles Ferdinand d’Artois, Duc de Berry (1820) und den darauf folgenden strafrechtlich-polizeilichen und medialen Reaktionen beobachten. Mit dem Attentat des Studenten Carl Sand auf den russischen Staatsrat und Schriftsteller August von Kotzebue am 23. März 1819 in Mannheim verfestigte sich der Wandel von politischer Gewalt, strafrechtlich-polizeilichen Reaktionen und populären Diskursen. Wie bei der Tötung Marats war auch dieses Messerattentat ein öffentlicher symbolischer Akt gegen Kotzebue als Repräsentanten eines abgelehnten politischen Systems. Sand tötete Kotzebue in dessen Wohnhaus und hatte ein „Bekennerschreiben“ vorbereitet, mit dem er seine Motive der Öffentlichkeit kommunizieren und das er angeblich mit dem Messer an die Haustür heften wollte. Zudem nutzte er wohl die Straße als Bühne, wo er sich angeblich selbst töten wollte und letzte Worte deklamierte. Der Attentäter war folglich bereit, unter Rekurs auf Nation, Religion/Reformation und Tyrannenmord für seine politische Vorstellung (und die der liberalen Studenten/Burschenschaftler) zu sterben. Diese Deutung kam jedenfalls im Strafverfahren und vor allem in dem öffentlichen Diskurs zum Tragen und wurde in zahlreichen illustrierten und populären Druckmedien vermittelt.59 Sand wurde noch am Tatort festgenommen und eine Untersuchungskommission führte als politisches Sondergericht in Mannheim ein inquisitorisches Verfahren mit intensiven Verhören und weiteren Festnahmen durch, um Mitwisser, Komplizen und die vermutete Verschwörung aufzudecken; Folter setzte sie allerdings nicht ein. Das Gericht lehnte die von Sand vorgebrachten patriotischen, moralischen und religiösen Motive ab und bewertete die Tat als verräterischen, heimtückischen, geplanten „Meuchelmord“ einer Konspiration mit Umsturzabsicht. Das im Mai 1820 verhängte Todesurteil wurde als öffentliche Hinrichtung vollzogen, aber in Form einer Enthauptung und damit unter Verzicht auf Entehrung, Beschämung und Auslöschung. Das Medienecho war enorm: Im deutschen Sprachraum erschienen 1819/20 mindestens 22 illustrierte Einblattdrucke bzw. Lithografien, „Bilderbögen“ und weitere, teils bebilderte biografische Darstellungen von Attentäter und Opfer sowie offiziöse Aktenpublikationen zum Strafverfahren. Obwohl in diesen Publikationen die obrigkeitliche Deutung des Attentats dominierte, entstand dennoch eine kontroverse Debatte um 59
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Hagen Schulze: Sand, Kotzebue und das Blut des Verräters, in: Alexander Demandt (Hg.): Das Attentat in der Geschichte, Köln 1996, S. 215–233; Sylvia Schraut: „Wie der Hass gegen den Staatsrath von Kotzebue, der der Gedanke, ihn zu ermorden, in Sand entstand“: Ein politischer Mord und seine Nachwirkungen, in: Christine Hikel/ Sylvia Schraut (Hgg.): Terrorismus und Geschlecht. Politische Gewalt in Europa seit dem 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2012, S. 145–168; Härter: Political crime (wie Anm. 6), S. 160–162.
Attentatsbilder in populären Druckmedien
Abb. 16: Kotzebues Tod
die Bewertung von Attentat, Täter, Motiven und Opfer und deren politische Rollen, die zwischen klarer Ablehnung von Tat und Motiven, aber auch verhaltener Zustimmung und Verteidigung oszillierte.60 In den Illustrationen werden das Attentat (7), das Opfer (2), der Täter (3), dessen Haft (3) und die Hinrichtung (7) dargestellt: Die sieben das eigentliche Attentat behandelnden Abbildungen fokussieren auf Opfer und Täter und den Raum: Fünf Varianten stellen Sand in Studententracht mit dem Messer als Mörder dar, der in das Wohnzimmer und damit in die Privatsphäre der bürgerlichen Familie eindringt, Kotzebue unter den Augen seiner Familie ersticht und sich davon schleicht (Abb. 16). Das Opfer erscheint – ähnlich wie Marat – in theatralisch leidend-heldenhafter Pose als Repräsentant der bürgerlichen Ordnung und Opfer eines Meuchelmörders. Die Familienmitglieder wenden sich meist dem Sterbenden zu und zeigen gegenüber Sand Abscheu und Erschrecken (Abb. 17): Der Terror des politischen Attentats ist in das 60
Zahlreiche Illustrationen finden sich in: Hermann Sand: Carl Ludwig Sand im Bildbericht der Zeit, München 2011. Vgl. weiterhin: George S. Williamson: What Killed August von Kotzebue? The Temptations of Virtue and the Political Theology of German Nationalism, 1789–1819, in: The Journal of Modern History 72 (2000), S. 890–943; Pierre Mattern : „Kotzebue’s Allgewalt“. Literarische Fehde und politisches Attentat, Würzburg 2011; Schraut: Ein politischer Mord (wie Anm. 59), S. 145–168.
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Karl Härter
Abb. 17: Kotzebue’s Tod
Abb. 18: Karl Ludw: Sand empfängt am 17. May 1820 zu Mannheim sein Todes Urtheil 61 62 63 64
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bürgerliche Wohnzimmer bzw. die bürgerliche Gesellschaft eingedrungen, deren Sicherheit gefährdet ist.61 Zwar erscheint Sand in den meisten Illustrationen als heimtückischer, das Messer versteckender Verschwörer, aber eine Abbildung zeigt ihn auch als zielgerichteten, religiös-politisch motivierten Selbstmordattentäter und lässt damit seine Deutung als ein von seiner gerechten Sache überzeugter Märtyrer zu, der bereit ist, für seine Überzeugung zu sterben bzw. dem moralischen Dilemma durch Selbsttötung zu begegnen.62 In einer dritten Variante (Abb. 17) erscheint er eher als religiöser und womöglich fehlgeleiteter Schwärmer, der moralische (legitime) Motive verfolgte, aber zu dem falschen Mittel der Gewalt griff, was ebenfalls eine Deutung als politischer Märtyrer und reuiger Sünder zulässt.63 Mit diesen ambivalenten Attentatsbildern von Täter und Motiven korrespondieren die drei Illustrationen, die Sand in der Haft zeigen: In Sand der Gefangene spielt er vor dem Kreuz Gitarre und liest die Bibel; die offiziöse Variante zeigt den ärztlich Betreuten im Bett beim Verlesen des Urteils durch uniformierte Amtsträger. Das Untersuchungsverfahren erscheint folglich als Veranstaltung des rationalrechtlich agierenden Staates, der auch Attentätern angemessene Haftbedingungen gewährt und keine Folter anwendet (Abb. 18).64 Die offiziösen Publikationen der Untersuchungs- und Gerichtsakten ver-
Tod des Herrn von Kotzebue am 23. März 1819; August v. Kotzebues Ermordung; Ermordung des August Fried: Ferdinand v. Kotzebue den 23. Merz 1819; Kotzebues Tod; Kotzebue’s Tod, in: Sand: Bildbericht (wie Anm. 60), S. 57, 59, 60, 62, 64. Selbstmord des Carl Ludwig Sand den 23. Merz 1819, in: Sand: Bildbericht (wie Anm. 60), S. 70. Kotzebue’s Tod, in: Sand: Bildbericht (wie Anm. 60), S. 64. Karl Ludw. Sand empfängt am 17. May 1820 zu Mannheim sein Todes Urtheil (2 Varianten), in: Sand: Bildbericht (wie Anm. 60), S. 76–77.
Attentatsbilder in populären Druckmedien
Abb. 19: Sand auf dem Blutgerüste zu Manheim den 20n May 1820
wenden allerdings die Abbildung Sands als heimtückischen, das Mordmesser verbergenden Verschwörer, in der ikonographischen Tradition der Darstellung der Attentäter Ravaillac und Damiens (vgl. Abb. 20).65 Auch die Hinrichtung wird mehrdeutig als legitimer, staatlicher und religiöser Akt in Szene gesetzt, ohne jedoch den Vollzug der Strafe zu zeigen: Nach Sands Abführung zum Richtplatz in einer von Militär begleiteten Kutsche wird er in vier weiteren Illustrationen auf dem Schafott stehend gezeigt, in heroischer Pose, die Hand zum Himmel reckend und seine Religiosität bekräftigend: „Mein Vertrauen steht zu Gott“ bzw. „Ich sterbe in der Kraft meines Gottes“ (Abb. 19). Im Publikum weinen ein Student und eine Frau; der Hinrichtungsplatz ist von einem massiven Militäraufgebot umgeben.66 65
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Levin Karl von Hohnhorst: Vollständige Uebersicht der gegen Carl Ludwig Sand, wegen Meuchelmordes, verübt an dem k. Russischen Staatsrath v. Kotzebue, gefuhrten Untersuchung. Aus den Originalakten ausgezogen, geordnet, und herausgegeben von dem Staatsrath von Hohnhorst, Stuttgart/ Tübingen 1820, Titelkupfer; Friedrich Matthias Gottfried Cramer: Acten-Auszüge aus dem Untersuchungs-Prozess über Carl Ludwig Sand nebst andern Materialien zur Beurtheilung desselben und Augusts von Kotzebue, Altenburg/ Leipzig 1821, Titelkupfer; vgl. dazu auch Sand: Bildbericht (wie Anm. 60), S. 20, 30, 31, 57–66; Turrel: usages iconographiques (wie Anm. 12). Sand auf dem Blutgerüste zu Manheim den 20n May 1820; Ich sterbe in der Kraft meines Gottes, auf einem Blatt mit: Karl Ludw. Sand empfängt am 17. May 1820 zu Mannheim sein Todes Urteil, in: Sand: Bildbericht (wie Anm. 60), S. 81 Sands Abführung zum Richtplatz, ebd. S. 85, S. 86 und S. 87 f. die Varianten.
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Der Vollzug der Todesstrafe wird nicht direkt dargestellt, sondern zwei Illustrationen zeigen Sand auf dem Richtstuhl während der Scharfrichter mit dem Schwert zum Schlag ausholt.67 Statt Vergeltung und entehrender auslöschender Strafe wird das Bild einer wohlgeordneten, rationalen, ehrlichen Hinrichtung mit zahlreichen Amtsträgern, starker militärischer Präsenz sowie Bürgern und Studenten als passive und mitleidende Zuschauer gezeichnet. Der Staat erscheint als rechtlich agierende Ordnungsmacht, die im Hinblick auf das Publikum aber eher kontrollierend und abschreckend wirkt. Der Attentäter wird als reuiger, bußfertiger Sünder dargestellt, der die religiöse Ordnung anerkennt, aber seine politisch-religiöse Motivation bei der Hinrichtung bekräftigt. Diese Darstellung ließ – wie das tatsächliche Strafverfahren und die Hinrichtung – aber auch mehrdeutige InterpreAbb. 20: Titelillustration von Acten-Auszüge aus dem tationen zu: Der politische Sünder Untersuchungs-Prozess über Carl Ludwig Sand konnte zum Märtyrer umgedeutet werden, der „gerechte“ Ziele verfolgt, aber die falschen Mittel gewählt hatte. Strafjustiz wie populäre Medien und Bildpublizistik boten damit Ansatzpunkte für die politische Opposition, Kritik zu formulieren und den politischen Konflikt weiter öffentlich zu deuten. In der Folge erschienen weitere Druckschriften, die verhaltene Kritik am Verfahren und dem Todesurteil transportierten und das Bild eines jugendlich irrenden Studenten, Träumers und religiösen Patrioten stärkten, indem sie biographische Deutungsangebote, Emotionalisierung und Psychologisierung verwendeten und Sand als verführt, aber nicht voll zurechnungsfähig deuten. Auch in England und Frankreich erschienen zwei populäre Darstellungen, die das Attentat als patriotische Tat erscheinen ließen.68 67 68
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Hinrichtung des Carl Ludwig Sand den 21. May 1820; Sands Ende auf dem Schaffott den 20n May 1820, beide in: Sand: Bildbericht (wie Anm. 60), S. 89 und 91. Memoir of Charles Louis Sand (1819). A Memoir of Charles Louis Sand: including a narrative of the circumstances attending the death of Augustus von Kotzebue: also, a defence of the German
Attentatsbilder in populären Druckmedien
Staat und Justiz reagierten darauf mit Zensur und Verfolgung (auch einiger der illustrierten Einblattdrucke), lancierten aber auch in diesem Fall die Publikation von Untersuchungs- und Gerichtsakten, um den Diskurs aktiv im Sinne der obrigkeitlichen Deutung zu beeinflussen. In den Illustrationen zu diesen Aktenpublikationen wird Sand als verräterischer Mörder in Studentenkleidung mit verstecktem Messer dargestellt, aber auch seine Eltern erscheinen als dunkle Figuren im Hintergrund, was die Psychologisierung stützte (Abb. 20). Insgesamt entfaltete sich damit ansatzweise eine neue medizinisch-kriminologischbiographische Variante im juristisch-politischen Diskurs von Attentaten, die Motivation und Tat in der Psyche des Attentäters, der Erziehung – bei Sand vor allem durch die Mutter –, naiver Emotionalität/Religiosität oder in der Verführung durch (falsch verstandene) politische Ideologien oder Freunde bzw. peer-groups (wie den Burschenschaften) verortet. Dieses Deutungsmuster, das Verschwörung, Attentat und Umsturz als intentional-aktive politische Gewalt ersetzte, konnten sowohl der Staat als auch Kritiker partiell akzeptieren. Es bedeutete allerdings auch eine Entpolitisierung des Attentats und des politischen Konflikts zugunsten der Unterscheidungssemantik „Gesundheit/Krankheit“ und einer geschlechterspezifischen Deutung, die bereits bei Charlotte Corday ansatzweise zum Tragen kam.69 Allerdings entfaltete die obrigkeitliche Deutung des Attentats als gezielter Angriff einer Verschwörung auf die staatliche Ordnung und die Sicherheit der bürgerlichen Gesellschaft dennoch Wirkung, zumal sich das psychisch-biographische Deutungsmuster durchaus mit der Entwicklung von einer vergeltenden und abschreckenden Strafjustiz zu einem polizeilich-präventiven Sicherheitsregime vereinbaren ließ. Das vor allem im Strafverfahren konstruierte und teilweise in den populären Druckmedien kommunizierte Narrativ einer die Sicherheit von Staat und Gesellschaft gefährdenden Verschwörung legitimierte weitere Untersuchungskommissionen und Verhaftungswellen und im Gefolge eines weiteren Attentatsversuchs im Juli 1819 die Etablierung eines politischen Sicherheitsregimes. Zwar misslang das Attentat des Apothekers Karl Löning auf den nassauischen Regierungspräsidenten Carl Friedrich von Ibell und Löning tötete sich selbst in der Haft, was ein Grund dafür sein mag, dass dieses Attentat kaum mediale Aufmerksamkeit fand und lediglich ein illustrierter Einblattdruck erschien.70 Dennoch ermöglichten und legitimierten die beiden Attentate auf Repräsentanten des politischen Systems durch Attentäter aus dem Umfeld der politischen Opposition die Karlsbader Beschlüsse vom August 1819, die der Bundestag im September als Bundesgesetze verabschiedete. Damit wurde ein politisches Sicherheitsregime etabliert, das Staatsschutz, Verbot der geheimen Verbindungen und nicht autorisierten Studenten-
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universities, London 1819; Mémoires de Charles Louis Sand, avec le récit des circonstances qui ont accompagné l’assassinat d’Auguste de Kotzebue, et une justification des universités d’Allemagne, trad. de l’anglais, Paris 1819. Vgl. Schraut: politischer Mord (wie Anm. 59), S. 145–168; Schraut: Charlotte Corday und Karl Ludwig Sand (wie Anm. 52); Williamson: August von Kotzebue (wie Anm. 60), S. 890–943. Löning’s Mordversuch des Präsdienten Ibell, Nürnberg 1819.
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organisationen, Überwachung der Universitäten und Kontrolle der Funktionseliten, Verschärfung der Zensur und Kontrolle der öffentlichen Medien und die Etablierung der Zentraluntersuchungskommission in Mainz beinhaltete. Insbesondere die Zentraluntersuchungskommission sollte als politische Bundespolizei durch Informationsgewinnung revolutionäre Umtriebe und demagogische Verbindungen aufdecken und strafrechtliche Verfolgung ermöglichen. In dieser Beziehung diente das transnational orientierte Sicherheitsregime des Deutschen Bundes sowohl der Verhinderung politischer Gewalt bzw. weiterer Attentate als auch der Kontrolle der entsprechenden Diskurse und Medien sowie der Verfolgung der politischen Opposition insgesamt. In dieser Hinsicht steht es folglich in einer Kontinuität zu den obrigkeitlichen Reaktionen auf die Attentate des 18. Jahrhunderts, die sich auch nach 1819 noch aufzeigen lässt.71 Das Attentat von Louis Pierre Louvel, der wenige Monate später am 13. Februar 1820 in Paris den Sohn des französischen Thronfolgers und späteren Königs Karl X., Charles Ferdinand d’Artois, Duc de Berry, tötete, rief ebenfalls ein starkes, teilweise grenzübergreifendes Medienecho hervor, in dem auch Parallelen zu den Attentaten von Charlotte Corday und Carl Sand gezogen wurden, denn sowohl das Attentat als auch die strafrechtlichen Reaktionen weisen ähnliche Muster wie bei Gustav III., Marat und Kotzebue auf.72 Louvel erstach den Duc de Berry als dieser mit seiner Ehefrau die Pariser Oper verließ und in seine Kutsche steigen wollte, wurde sofort verhaftet, verhört und benannte seine Gegnerschaft zur Bourbonenmonarchie als Motiv, als deren Symbolfigur und Repräsentant der Duc de Berry galt. Trotz intensiver Verhöre nannte der Attentäter aber keine Komplizen, und auch die auf 450 Verdächtige ausgedehnte Untersuchung konnte die vermutete Verschwörung nicht ermitteln.73 In Frankreich erschienen zahlreiche illustrierte Einblattdrucke (ausgewertet wurden 39) sowie drei weitere in Deutschland und je einer in England und in den Niederlanden. Wie bei Kotzebue zeigen die meisten das Attentat vor der Kutsche (14) und den 71
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Eberhard Büssem: Die Karlsbader Beschlüsse von 1819. Die endgültige Stabilisierung der restaurativen Politik im Deutschen Bund nach dem Wiener Kongreß von 1814/15, Hildesheim 1974; Wolfram Siemann: Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung. Die Anfänge der politischen Polizei 1806–1866, Tübingen 1985; George S. Williamson: ‘Thought Is in Itself a Dangerous Operation’: The Campaign Against ‘Revolutionary Machinations’ in Germany, 1819–1828, in: German Studies Review 38 (2015), S. 285–306; Karl Härter: Schlichtung, Intervention und politische Polizei: Verfassungsschutz und innere Sicherheit im Deutschen Bund, in: Thomas Simon/ Johannes Kalwoda (Hgg.): Schutz der Verfassung: Normen, Institutionen, Höchst- und Verfassungsgerichte. Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 12. bis 14. März 2012, Berlin 2013, S. 129–154; Härter: Security and Transnational Policing (wie Anm. 15). Vgl. Salomé: L’ouragan homicide (wie Anm. 13), S. 157 f. und 205. Zu Attentat, Strafverfahren und Medienecho siehe umfassend: Gilles Malandain: La conspiration solitaire d’un ouvrier théophilanthrope: Louvel et l’assassinat du duc de Berry en 1820, in: Revue Historique 302 (2000), S. 367–393; Gilles Malandain: Ouverture et aporie de l’enquête judicaire: à la recherche des complices de Louvel (1820), in: Jean-Claude Farcy/ Dominique Kalifa/ Jean-Noël Luc (Hgg.): L’enquête judiciaire en Europe au xixe siècle. Acteurs Imaginaires Pratiques, Grâne 2007, S. 317–326; Gilles Malandain: L’introuvable complot. Attentat, enquête et rumeur dans la France de la Restauration: L’affaire Louvel ou L’incroyable complot, Paris 2011.
Attentatsbilder in populären Druckmedien
sterbenden Herzog im Kreis von Familie, Amtsund Würdenträgern (10). Das in heroisch-leidender Pose dargestellte Opfer und sein mitleidendes, auch Abscheu zeigendes soziales Umfeld symbolisieren den Angriff auf die königliche Familie bzw. die Herrschaftselite, deren Herrschaftssystem (der Duc de Berry war ein potentieller Thronfolger) Abb. 21: Horrible attentat commis à Paris sur S. A. R. M.gr le Duc de Berry und Sicherheit gefährdet erscheinen. Das Attentatsopfer wird als Märtyrer stilisiert, der stellvertretend für die restaurative Gesellschaftsordnung der Bourbonenmonarchie ermordet wird bzw. stirbt. Die Illustrationen zeigen aber auch den reagierenden, handlungsfähigen Staat, dessen Amtsträger in den meisten Illustrationen das Opfer stützen, mit ihm kommunizieren oder den Attentäter verfolgen und festnehmen Abb. 22: Louis Pierre Louvel assassin du Duc de Berry / Louis Pierre und damit Sicherheit ge- Louwel. Mörder des Herzogs von Berry währleisten (Abb. 21).74 Die drei deutschsprachigen illustrierten Einblattdrucke folgen diesem Muster; zwei zeigen das Attentat und ein weiteres porträtiert einander gegenübergestellt Attentäter (mit Messer) und Opfer (Abb. 22).75 74 75
Vgl. exemplarisch: Horrible attentat commis à Paris sur S. A. R. M.gr le Duc de Berry le 13 février 1820 à 11 heures du soir [Paris 1820]. Ermordung Des Herzogs Von Berry. 13 Febr. 1820; Die Ermordung des Herzogs von Berry den 13. Februar 1820; Louis Pierre Louvel assassin du Duc de Berry / Louis Pierre Louwel. Mörder des Herzogs von Berry, S. A. R. Le Duc de Berry / S. K. H. der Herzog von Berry, zweisprachige Lithografie von G. Engelmann.
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Louvel wird, dem ikonographischen Muster der Attentäter Ravaillac und Damiens folgend, in acht Porträts und weiteren Einblattdrucken meist als finsterer, dämonischer oder heimtückischer Mörder – monstre exécrable, nommé Louis-Pierre Louvel – dargestellt,76 der wie Sand ein Messer hat bzw. dieses verbirgt. Zwei Illustrationen zeigen den gehbehinderten Attentäter in seinem Zimmer (mit an die Wand gelehnter Krücke), wie das monstre farouche mit dem Messer in der Hand über das Attentat brütet oder dieses plant. Die dargestellten Schreibutensilien und Briefe deuten auf eine Kommunikation mit Komplizen und damit auf die vermutete Verschwörung hin; die BüAbb. 23: Louvel, über seine Attentatspläne brütend cher, Zeitschriften und Pamphlete und der lesende Louvel symbolisieren dessen „Verführung“ durch die Lektüre politisch schädlicher Schriften (mauvais livre) (Abb. 23).77 Vier weitere Einblattdrucke zeigen ihn allerdings auch in der Untersuchungshaft beim Verhör durch Richter und Amtspersonen.78 Wie bei Corday und Sand kommen folglich auch bei Louvel Person und partiell die Psyche in den Blick bzw. ins Bild, Haft und Strafverfahren werden als rational-rechtliche Veranstaltung (ohne Folter) dargestellt. Der eigentliche Prozess, den nur ein Blatt zeigt, und die Bestrafung rücken dagegen in den Hintergrund. Wie bei Sand wird Louvel nur als Delinquent im Karren auf dem Weg und vor der Besteigung des Schafotts, aber ohne den Vollzug der Strafe dargestellt. Den aufkommenden mauvais discours begegnete der französische Staat auch in diesem Fall mit Zensur und der Publikation der Prozessakten in verschiedenen Ausgaben, um die obrigkeitliche Deutung als horrible attentat und die angemessene rechtliche Reaktion aktiv in den Medien zu verbreiten. Wie bei dem Attentat auf Kotzebue wurden auch in Frankreich politische Gewalt und mauvais discours instrumentalisiert, um strafrechtlich-polizeiliche Kontrolle und Verfolgung auszuweiten. 76 77 78
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Précis Historique del’horrible assassinat, commis le 13 février 1820, sur la personne de Son Altesse Royale Monseigneur le Duc de Berri, par un monstre exécrable, nommé Louis-Pierre Louvel [Paris 1820]; vgl. Turrel: usages iconographiques (wie Anm. 12). Ohne Titel [Louvel, dans sa chambre, assis derrière une table chargée de journaux libéraux, a saisi un poignard et médite son projet criminel, Paris 1820]. Interrogatoire De Louvel, Assassin De S. A. R. Le Duc De Berry, [Paris 1820], vier Varianten.
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Allerdings konnte die Bourbonenmonarchie ebenso wenig wie das Sicherheitsregime des Deutschen Bundes dem damit entstehenden Sicherheitsdilemma entrinnen: Strafrechtlich-polizeiliche und mediale Reaktionen löschten nicht nur das Attentat als illegitimen Angriff auf das politische System aus und erzeugten damit Sicherheit, sondern sie stimulierten fortdauernde Auseinandersetzungen um Deutung und Legitimität von politischer Gewalt, Attentätern, Opfern und rechtlichen Reaktionen, die letztlich auch Unsicherheit erzeugen konnten.79
V. Fazit In der Bildpublizistik zwischen 1757 und 1820 lassen sich Kontinuitäten und Wandel der Attentatsbilder beobachten, die auch auf Veränderungen politischer Gewalt und strafrechtlich-polizeilicher Reaktionen verweisen. Populäre, bildhafte Druckmedien spiegeln dies aber nicht nur wider, sondern sie waren Teil des politischen Konflikts, der auf mehreren Ebenen ausgetragen und reguliert wurde: – im öffentlichen Raum des Attentats als gewaltsame, symbolische Manifestation politischer Gewalt und eines politischen Konflikts; – im partiell öffentlichen Raum der Strafjustiz und der entstehenden polizeilichen Sicherheitsregime, die nicht nur Attentäter verfolgten und bestraften, sondern Attentate deuteten, konstruierten und instrumentalisierten, um allgemein die Kontrolle politischer Dissidenz und Öffentlichkeit auszuweiten; – und in den öffentlichen Diskursen und Druckmedien, die unterschiedliche Deutungen erlaubten, aber prinzipiell die obrigkeitliche Interpretation von Attentaten vermittelten. Diese Interdependenz zwischen politischer Gewalt/Attentaten, rechtlich-polizeilichen Reaktionen und populären Medien/Diskursen könnte man als Ausformung eines strafrechtlich-polizeilichen Sicherheitsregimes beschreiben, das nicht nur unmittelbar auf politische Gewalt/Attentate mit abschreckender Strafjustiz reagierte, sondern Kontrolle und Zensur der öffentlichen Diskurse und Medien intensivierte und zunehmend eine aktive Medienpolitik mittels der Publikation von Untersuchungs- und Gerichtsakten betrieb. Die spezifischen Attentatsbilder und Deutungen von Attentaten als politische Verbrechen und die gerechtfertigten, angemessenen strafrechtlich-polizeilichen Reaktionen, die illustrierte populäre Druckmedien kommunizierten, gingen folglich über die 79
Procès de Louvel, Tl. 1–7, Paris 1820; Procès-verbal des séances relatives au jugement de Louis-Pierre Louvel 1820, Paris 1820/21; Maurice Méjan: Histoire du procès de Louvel, assassin de S.A.R. Mgr. le duc de Berry, Bd. 1–2, Paris 1820. Vgl. weiterhin Natalie Scholz: «Quel spectacle!». Der Tod des Herzogs von Berry und seine melodramatische Bewältigung, in: Zeitenblicke 3 (2004), Nr. 1, online: http://zeitenblicke.historicum.net/2004/01/scholz/index.html (zuletzt konsultiert 10.1.2017); Bettina Frederking: Auf der Suche nach dem ‚wahren‘ Frankreich: Das Attentat auf den Duc de Berry am 13. Februar 1820, in: Michael Einfalt u.a. (Hgg.): Konstrukte nationaler Identität. Deutschland, Frankreich und Großbritannien (19. und 20. Jahrhundert), Würzburg 2002, S. 35–57.
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Bedürfnisse von Konsumenten (wie Sensationslust) und die kommerziellen Interessen der Produzenten hinaus, die Inhalte und Botschaften ebenfalls mit bestimmten. Grundsätzlich vermittelten die untersuchten illustrierten Druckmedien bzw. Attentatsbilder die obrigkeitliche Deutung eines illegitimen grundlosen Angriffs auf die politische, gesellschaftliche und rechtliche Ordnung und einer gerechten adäquaten rechtlichen Reaktion einer handlungsfähigen Obrigkeit – nicht zuletzt aufgrund von Zensur, obrigkeitlicher Beeinflussung und aktiver Medienpolitik. Andererseits konnten Wahrnehmung, Interpretation und Nutzung der Attentatsbilder, Medien und Diskurse von der Obrigkeit nicht vollständig beeinflusst werden und andere Interpretationsmuster waren möglich. Insofern reflektieren die Attentatsbilder ambivalente, mehrdeutige Interpretationen, Argumente und Diskussionen über politische Gewalt und die rechtlichen Reaktionen oder konnten eine öffentliche Auseinandersetzung darüber induzieren. Dieser öffentlich-politische Diskurs kreiste um die Sinndeutung gewaltsamer politischer Konflikte und die diskursive-mediale Deutungsherrschaft über das Attentat. Die Obrigkeit entwickelte dabei eine zunehmende Verschärfung polizeilicher Prävention und Kontrolle der Öffentlichkeit sowie einer aktiven Medienstrategie mittels Publikation strafrechtlicher Akten, um die Deutungsherrschaft über das Attentat zu gewinnen und damit auch den Sicherheitsdiskurs zu beeinflussen. Dabei wandelten sich die Attentatsbilder im Untersuchungszeitraum 1757–1820 bzw. der Sattelzeit zwischen Aufklärung und Vormärz. Insbesondere das eigentliche Attentat bzw. die politische Gewalttat wurde häufiger dargestellt, wobei Attentäter und Attentatsopfer mit ihrem sozialen Umfeld in den Mittelpunkt gerückt wurden. Die Darstellung der Bestrafung – vor allem der Vollzug der symbolischen, vergeltenden, entehrenden und auf Auslöschung bzw. damnatio memoriae zielenden Strafen sowie die Teilnahme der Bevölkerung am Strafritual – verschwand dagegen und der rational-rechtlich agierende, handlungsfähige Staat rückte stärker in den Mittelpunkt. Attentate, die nicht zur Tötung des Opfers führten und ohne strafrechtliche Reaktion blieben – wie beim Anschlag Lönings auf Ibell (1819) – wurden kaum mehr thematisiert. Offenbar erreichten erfolgreiche Attentate, insbesondere wenn sich Strafverfahren daran anschlossen und ein öffentlicher Diskurs entstand, eine höhere mediale Aufmerksamkeit. Im Fall der Anschläge von Damiens auf Ludwig XV. und der Tavora auf Joseph I. hatte dagegen die bloße Verletzung des Herrschers genügt, um Strafrituale und entsprechende Attentatsbilder einer Verschwörung, die es im Sinne der damnatio memoriae auszulöschen galt, zu induzieren. Die Verschwörung blieb gleichwohl auch im 19. Jahrhundert als Narrativ präsent und wurde mit neuen ikonographischen Mitteln in die Attentatsbilder eingefügt, insbesondere durch die Visualisierung der Täter und ihre ansatzweise Pathologisierung. Zwar finden sich weiterhin ältere ikonographische Muster wie die Dämonisierung des Attentäters als verräterischer Meuchelmörder, doch insgesamt kann eine stärkere Personalisierung der Täter, insbesondere mittels Porträtdarstellungen beobachtet werden. Dies bedeutete ebenfalls eine Differenzierung der Motive, Gründe und Anlässe für 186
Attentatsbilder in populären Druckmedien
die politische Gewalttat, die neben der Verschwörung auch die Beeinflussung durch das soziale Umfeld oder Medien/Diskurse eines psychisch schwachen/kranken, fehlgeleiteten Individuums beinhalten konnte. Diese Ausdifferenzierung der Figur des politischen Attentäters korrespondiert mit der ausgeprägteren Visualisierung der Attentatsopfer. Dies gilt für die Darstellung der eigentlichen Gewalttat wie auch für die z.B. durch Sterbeszenen dargestellten Folgen für das Opfer und sein soziales Umfeld: Das Attentatsopfer stirbt als Repräsentant, Held und Märtyrer der angegriffenen politischen oder gesellschaftlichen Ordnung, die Abscheu, Entsetzen und Angst zeigt, aber auch mit entschlossenem staatlichen Handeln reagiert; letzteres kommunizieren allerdings auch bereits die frühneuzeitlichen Attentatsbilder. Durch diese mediale Repräsentation und Konstruktion der charakteristischen Attentatsbilder von Attentäter, Opfer und gesellschaftspolitischem Umfeld wird die Deutung des Attentats und des politischen Konflikts noch stärker in den Mittelpunkt gerückt. Diese über strafrechtlich-polizeiliche Reaktionen und populäre Druckmedien vermittelten Attentatsbilder konnten insofern den allgemeinen „Sicherheitsdiskurs“ beeinflussen, und zwar durchaus auch entgegen der obrigkeitlichen Intention, das Attentat, den Attentäter und seine Motive auszulöschen und angemessene rechtliche Reaktionen zu legitimieren. So konnte das Bild des „terroristischen“ Attentäters, der sich als Agent einer Verschwörung elaborierter Tötungsinstrumente bediente, Bedrohungsnarrative erzeugen und die beabsichtigte Wirkung von Attentaten im Hinblick auf Ambiguiäten und Verunsicherung auch verstärken. Einerseits entwickelten sich politische Attentate – aus der Perspektive der Obrigkeit – gleichsam zur Matrix des im 19. Jahrhundert entstehenden Narrativs der trans- oder internationalen politischen Verschwörung, andererseits konnte auch das psychisch-biographische Deutungsmuster des Attentäters als verführten, psychisch labilen Täter politische Märtyrer kreieren, ambivalente Deutungen zulassen und weitere Auseinandersetzungen – und damit Unsicherheit – befördern. Dies gilt ebenso für die Intensivierung repressiver strafrechtlicher und polizeilicher Reaktionen, um Diskurse und Medien zu kontrollieren, oder die Publikation von Untersuchungs- und Gerichtsakten, die letztlich ein Aufbrechen der vormodernen arkanen inquisitorischen Strafjustiz bedeuteten. Insofern produzierte die Interdependenz zwischen politischer Gewalt/Attentaten, rechtlich-polizeilichen Reaktionen und populären Druckmedien populäre, lang wirkende, ambivalente Attentatsbilder, die das Sicherheitsdilemma auch verstärken konnten.
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„Rasereien der Anarchie“ und „moralische Krankheit“. Politische Attentate und ihre Deutung und Medialisierung in Frankreich 1799–1815 Tilman Haug Setzt man sich mit der im Laufe der 2010er Jahre nicht zuletzt durch Vorkommnisse in französischen Städten, die Anschläge in Paris 2015 und in Nizza 2016, wieder virulent gewordenen Frage nach Vorläufern jener terroristischen Gewalt auseinander, die sich auch gegen die breite Bevölkerung richtet, stößt man fast unweigerlich auf einen Gewaltakt, der sich vor über 200 Jahren in Paris ereignete. Am 3. Nivôse des Jahres IX bzw. am 24. Dezember 1800 explodierte in der Pariser Rue St. Nicaise eine als machine infernale bekannt gewordene Sprengvorrichtung, mit deren Hilfe der in seiner Kutsche vorbeifahrende Erste Konsul der Französischen Republik, Napoleon Bonaparte, ermordet werden sollte. Dieser überlebte zwar unverletzt. Allerdings riss die Explosion auch bis zu 12 gewöhnliche Pariserinnen und Pariser in den Tod, verletzte ca. 50 teilweise schwer und zerstörte überdies beinahe einen ganzen Straßenzug. Es schien zunächst nahezuliegen, den Anschlag einer jakobinischen oder sansculottischen Verschwörung zuzuschreiben. Dies war nicht nur für das konsularische Regime politisch opportun. Der Verdacht lag auch tatsächlich auf der Hand, da kurz zuvor eine von Polizeispionen unterwanderte Gruppe von Jakobinern, die bereits im Oktober 1800 ein allerdings äußerst unausgegorenes Messer-Attentat auf den Ersten Konsul in der Pariser Oper geplant hatten, zerschlagen wurde.1 Zudem hatte offenbar eine weitere radikalrevolutionäre Gruppe eine eigene Höllenmaschine gebaut, die jedoch von der Polizei entdeckt wurde. Erst die vom Polizeiminister und Ex-Jakobiner Joseph Fouché und dessen Agenten geleiteten minutiösen Ermittlungen erwiesen, dass es sich um einen royalistischen Umsturzversuch handelte. Für die Tat wurden schließlich die Monarchisten Pierre Robinault de Saint Régent, Joseph Picot de Limoëlan und François Jean Carbon zum Tode verurteilt, die im Auftrag des royalistischen Generals Georges Cadoudal, der 1804 selbst im Zentrum einer weiteren Verschwörung gegen Bonaparte stand, sowie britischen Agenten als Drahtziehern gehandelt hätten. Das Attentat mit der machine infernale stand im Focus zeitgenössischer öffentlicher Aufmerksamkeit und hatte auch Konsequenzen für zur gleichen Zeit stattfindende nachhaltige rechts- und sicherheitsgeschichtliche Transformationsprozesse. Die Geschichtsschreibung zur Französischen Revolution hat kultur- und mentalitätsgeschichtlich auch die Rolle von Verschwörungen und Verschwörungstheorien als die 1
In neueren Forschungen ist immer wieder spekuliert worden, inwieweit sich die Attentats-Pläne ohne die Unterwanderung durch Polizeispione konkretisiert hätten. Siehe Thierry Lentz: Le Grand Consulat, Paris 1999, S. 255; Jean Tulard: Fouché, Paris 1998, S. 148–149.
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Radikalisierungs- und Gewaltspirale beschleunigende Faktoren in den Blick genommen2 und dabei spektakuläre Attentate wie die Ermordung Jean-Paul Marats und ihre Folgen wie etwa Guillaume Mazeau in jüngerer Zeit unter einer kulturgeschichtlichen Perspektive methodisch anregend untersucht.3 Die machine infernale hingegen wurde wie die meisten anderen Attentate und Attentatspläne der napoleonischen Epoche zumeist nur im Rahmen einer positivistischen Ereignis- oder Politikgeschichte abgehandelt.4 Gerade ältere Darstellungen schwelgten in dramatischen Schilderungen spektakulärer Gewalt und verschwörerischem ‚suspense‘.5 Eine bemerkenswerte Ausnahme stellt Karine Salomés Studie zu Attentaten im Frankreich des 19. Jahrhundert dar, die in einer geradezu als „histoire totale“ angelegten Studie spektakulärer Attentate im Frankreich des 19. Jahrhunderts in kultur- und erfahrungsgeschichtlicher Perspektive sich auch mit dem Bombenanschlag in der Rue St. Nicaise beschäftigt. In diesem Zuge wurde das Attentat auch vergleichend und kontextualisierend mit terroristischer Gewalt des späteren 19. Jahrhunderts betrachtet.6 Eine derart methodisch wie zeitlich weit ausholende Perspektive kann und will der vorliegende Beitrag freilich nicht einnehmen. Vielmehr soll hier versucht werden, das Attentat in der Rue St. Nicaise (sowie punktuell auch andere Attentatsversuche der napoleonischen Epoche) unter einer diskurs- und mediengeschichtlichen Perspektive in den Blick zu nehmen. Dabei werden vor allem zeitgenössische Zuschreibungen und Einordnungen von Attentaten und Verschwörungen im Vordergrund stehen und verschiedene Formen der ‚Konstruktion‘ politischer Kriminalität im napoleonischen 2
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So etwa für die Frühphase der Revolution: Georges Lefèbvre: La grande peur de 1789, Paris 1932. Zu Wahrheit und Mythos einer groß angelegten ausländischen Verschwörung klassisch: Albert Mathiez: La Conspiration de l’étranger, Paris 1918. Siehe auch Lynn Hunt: Symbole der Macht, Macht der Symbole. Die Französische Revolution und der Entwurf einer politischen Kultur, Frankfurt a. M. 1989, S. 58–65; siehe auch die Beiträge in: Thomas E. Kaiser / Marisa Linton / Peter Campbell (Hgg.): Conspiracy in the French Revolution, Manchester 2007. Guillaume Mazeau: Le bain de l’histoire: Charlotte Corday et l’attentat contre Marat 1793–2009, Seyssel 2009. Für einen konzisen Überblick zur Machine infernale siehe: Michael J. Sydenham: The Crime of 3 Nivôse (24. December 1800), in: J.F. Bosher (Hg.): French Government and Society 1500–1800. Essays in Memory of Alfred Cobban, Bristol 1973, S. 295–320. Mit Blick auf die konspirativen Aktivitäten der radikalrevolutionären Opposition: Frédéric Masson: Les complots jacobins au lendemain de Brumaire, in: Revue des Études napoléoniennes 18 (1922), S. 5–28. Aus der Perspektive einer „Oppositionsgeschichte“ Louis de Villefosse / Janine Bouissounouse: L’Opposition à Napoléon, Paris 1969, S. 137–170; Jacques-Olivier Boudon: Histoire du Consulat et de l’Empire 1799–1815, Paris 2003, S. 86–103; Jean Tulard: Napoleon oder der Mythos des Retters. Eine Biographie, Tübingen 1978, S. 151–154. Aus der Sicht polizeilicher Ermittlungsarbeit: Jacques-Olivier Boudon: L’Empire des Polices. Comment Napoléon faisait régner l’ordre, Paris 2017, S. 61–73. Siehe allgemein zu den Verschwörungen der napoleonischen Zeit: Henri Gaubert: Conspirateurs au temps de Napoléon Ier, Paris 1962. Jean Lorédan: La Machine infernale, Paris 1924; Jean Thiry: La Machine infernale, Paris 1952. Siehe auch jetzt: Jonathan North: Killing Napoleon. The Plot to Blow up Bonaparte, Stroud 2019. Karine Salomé: L’ouragan homicide: l’attentat politique en France au XIXe siècle, Seyssel 2010. Dass Salomé dabei nicht einfach den Anschlag an den Beginn einer Ahnenreihe des modernen Terrorismus setzt, wird verdeutlicht in: Dies.: L’attentat de la Rue Nicaise en 1800. L’irruption d’une violence inédite?, in: Revue d’histoire du XIXe siècle 40 (2010), S. 59–75.
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Frankreich im Wechselspiel mit den Logiken ihrer Medialisierung und Öffentlichkeit thematisiert werden. Dabei wird erstens vor allem anhand von politischer Rhetorik, Presseberichterstattung aber auch anhand von Praktiken symbolischer Kommunikation und deren Beobachtung nach der zeitgenössischen Einordnung und Verarbeitung der Folgen des Anschlags mit der machine infernale gefragt werden. Inwieweit wurde das Attentat in einer politischen Umbruchssituation als ein in Durchführung und Intentionen wirklich neuer Typus von politischem Verbrechen beschrieben? Welche Rolle spielte das im Ancien Régime ausgearbeitete diskursive und symbolische Repertoire des Umgangs mit Herrscherattentaten für die Thematisierung eines zunehmend als charismatische Retter- und Heroenfigur inszenierten ‚Staatschefs‘ in einer formell republikanischen politischen Ordnung? Zweitens wird der Beitrag nach einer kurzen Betrachtung zu den Rückwirkungen des Attentats auf Praktiken des Rechts und der Sicherheit nach Logiken und Dynamiken der Veröffentlichung von Polizeiberichten, Kriminaluntersuchungen und deren Dokumentation zu Attentaten und Verschwörungen durch Obrigkeiten und Sicherheitsakteure fragen. Welches Bild vermittelten gerade zeitnahe, oft in der Tagespresse publizierte offizielle Informationen sowohl von den Tätern als auch den sie bekämpfenden Sicherheitsakteuren? Welche kommunikativen Absichten standen hinter solchen Veröffentlichungen und welche Verschwörungsdiskurse und Bilder von politischen Gewalttätern wurden hier verarbeitet? Drittens wird mit dem Attentatsversuch des Einzeltäters Friedrich Staps im Jahr 1809 zum Vergleich ein kontrastierender bewusst nicht öffentlich gemachter Fall eines politischen Einzeltäters thematisiert, für dessen Attentatsversuch die Zuschreibung eines konspirativen politischen Verbrechens nicht greifen konnte. Welche Rolle spielten Geheimhaltung und Öffentlichkeit einerseits, und andererseits die Bestimmung von politischen und religiösen Motiven aber auch die Pathologisierung des Verbrechens sowohl von seiten der französischen Regierung aber auch aus der Perspektive späterer deutscher Rezipienten?
I. Herrscherattentat oder Attacke auf Bevölkerung und Gesellschaft? „Bürger strömten in Scharen zu ihm, Freunde, Ihr dürft nicht zu mir kommen, man komme, man komme jenen Unglücklichen zu Hilfe, die die Höllenmaschine verletzen konnte“.
Diese (angebliche) Äußerung Bonapartes unmittelbar nach dem Anschlag wurde sehr rasch als Teil der Memorial-Kultur in einer offiziellen Medaillenprägung quasi kanonisiert.7 7
Siehe die Rede des Generalsekretärs der Pariser Präfektur, Etienne Méjan, in: Moniteur universel, Nr. 96, 5 Nivôse IX (= 26.12.1800), S. 389. Vgl. die zeitnahe Ankündigung der Ausgabe der Medaille in:
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Abbildung 1: Medallic history of Napoleon Bonaparte translated by Miss Ann Mudie Scargill from the original manuscript intended to have been published by the late government of France, London 1819, Plate XIV.
Die Medaille inszenierte buchstäblich zwei Seiten der Reaktion auf das Attentat aus Sicht der Regierenden: Zum einen manifestierte sich in der unmittelbaren Folge offenbar die Popularität des knapp dem Tode entronnenen Ersten Konsuls, der amour du peuple pour le premier consul, zum anderen stellte dieser jedoch in seiner angeblich spontanen Reaktion klar, dass die machine infernale vor allem eine Attacke auf die Pariser Bevölkerung bzw. „die Gesellschaft“ war. Tatsächlich insinuierte Bonaparte auch genau deswegen und explizit nicht wegen der Gefährdung seiner Person außerordentliche Formen der Gewalt in Form eines Massakers an gefangengesetzten Jakobinern, deren Gesinnungsgenossen man hinter dem Attentat vermutete, als Vergeltungsmaßnahme. Denn so erklärte er kurz nach dem Attentat: Hätte diese Handvoll Briganten mich direkt angegriffen, ich hätte ihre Strafe den Gesetzen und den regulären Tribunalen überlassen müssen, aber da sie […] einen Teil der Bevölkerung der Stadt in Gefahr gebracht haben, wird ihre Bestrafung so rasch wie exemplarisch sein.8 Als Sinn einer solchen Strafe wurde explizit die notwendige Stützung des Vertrauens einer als ‚Mehrheitsgesellschaft‘ vorgestellten verunsicherten classe intermédiaire in die Republik in ihrem gegenwärtigen Zustand vorgestellt. Der geplante aber nie durchgeführte Gewaltexzess gemahnte gerade an die so sehr verabscheute Zeit der terreur. Offenbar wurde er dennoch als eine Maßnahme betrachtet, die das Vertrauen einer verängstigten Bevölkerung wiederherstellen sollte. Damit thematisierte man explizit die Terrorisierung einer gesellschaftlichen Mittelschicht durch einen beispiellosen Akt radikalrevolutionärer Gewalt, den man mit offener und außerordentlicher
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Mercure de France, Nr. 18. (1801), S. 478. Zu Medaillen als Medien bonapartischen Personenkultes siehe: Lisa Zeitz / Joachim Zeitz: Napoleons Medaillen. Herrscherkult in Miniatur, in: Rüdiger Schmidt / Hans-Ulrich Thamer (Hgg.): Die Konstruktion von Tradition. Inszenierung und Propaganda napoleonischer Herrschaft (1799–1815), Münster 2010, S. 265–276. Ein originales Exemplar der Medaille befindet sich heute im Pariser Musée Carnavelet. Tant que cette poignée de brigands m’a attaqué directement, j’ai dû laisser aux lois et aux tribunaux ordinaires leur punition; mais puis qu’ils viennent […] de mettre en danger une partie de la population de la cité, la punition sera aussi prompte qu’exemplaire; Moniteur universel, Nr. 96, 6 Nivôse IX (=27.12.1800), S. 389.
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Gegengewalt vergelten wollte.9 Dementsprechend bekamen auch die konkreten Opfer unter der Pariser Bevölkerung als Leidtragende beispielloser entgrenzter politischer Gewalt ebenfalls mediale Aufmerksamkeit. Neben der Forderung nach genereller Solidarität wurden auch Spendenaktionen und finanzielle Hilfeleistungen der Regierung für diese hervorgehoben10; und zur Dramaturgie des späteren Prozesses gegen die tatsächlichen royalistischen Attentäter Carbon und St. Régent gehörte es auch, den anscheinend desinteressierten Angeklagten ein Defilee teilweise stark versehrter Opfer bzw. Angehörige von Anschlagstoten vorzuführen, die eindringlich die Verheerungen des Attentats schilderten.11 Praktiken und Wahrnehmungen der Tat deuten hier zunächst tatsächlich ganz auf die Genese eines neuen Typs stärker terrorismusförmiger politischer Attentate hin. In Bevölkerung und Gesellschaft sollte Schrecken verbreitet werden, auf den Regierungen und Sicherheitsakteure demonstrativ reagieren müssen. Die besonders spektakuläre, propagandawirksame Durchführung der Tat zielte gemäß dieser Definition nicht mehr wie in der Frühen Neuzeit auf den unmittelbaren Umsturz der in Herrscherfiguren buchstäblich verkörperten politischen Ordnungen. Sie richtete sich eher gegen als Systemrepräsentanten wahrgenommene Akteure, die darum auch nicht notwendigerweise Staatschefs sein mussten.12 Allerdings lässt sich das Pariser Attentat nach diesen Kriterien, folgt man weiter seiner zeitgenössischen Diskursivierung, gar nicht so eindeutig als Prototyp eines ‚modernen‘, terroristischen politischen Mordes einordnen. Inwiefern der Plan der Attentäter einer tatsächlichen Terror-Strategie entsprach, die mit symbolischen Gewaltwirkungen und der Verängstigung der Bevölkerung operierte, ist höchst unklar.13 Die royalistischen Hintermänner distanzierten sich jedenfalls selbst später von diesem Typ der Gewalttat und bekannten sich nur zu Plänen, die Gewalt ausschließlich gegen die Person Bonapartes bzw. seine Entourage vorsah, wie etwa der frühere Plan, diesen mithilfe eines Kavallerie-Trupps zu entführen.14 Zugleich 9
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Villefosse/Bouissounouse: Opposition (wie Anm. 4), S. 122. Ebenso schienen jedoch Polizeiberichte zu implizieren, dass die Massaker-Pläne positive Resonanz fanden, vgl. Tableau de la Situation de Paris du 6 Nivôse IX [5. Nivôse IX (= 26.12.1800)] in: François-Alphonse Aulard (Hg.): Paris sous le Consulat, recueil de documents pour l’histoire de l’esprit public à Paris, Bd. 2. Paris 1904, S. 90. Salomé: Ouragan (wie Anm. 6), S. 45–46. Siehe: Procès instruit par le tribunal criminel du département de la Seine, contre les nommés SaintRéjan, Carbon et autres, prévenus de conspiration contre la personne du Premier Consul […], vol. 2, Paris 1801, S. 312–328. Zur Thematisierung der Opfer siehe auch: Salomé: Ouragan (wie Anm. 6), S. 42–43. Siehe auch den Beitrag von Karl Härter in diesem Band, Sylvia Schraut: Terrorismus und politische Gewalt, Göttingen 2018, S. 81–96; Thomas Scheffler: Vom Königsmord zum Attentat. Zur Kulturmorphologie des politischen Mordes, in: Trutz von Trotha (Hg.): Soziologie der Gewalt, Wiesbaden 1996, S. 183–199. Salomé: Ouragan, (wie Anm. 6), S. 184 vermutet eine Übertragung der Destabilisierungs-Taktik der ländlichen chouans in einen urbanen Kontext, ohne allerdings diese sehr spannende These weiter zu untermauern. So die Aussagen: in: Procès instruit par la Cour de Justice criminelle et spéciale du département de la Seine [...] Paris, contre Georges, Pichegru et autres, prévenus de conspiration contre la personne du
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lässt sich im vorliegenden Fall nicht ohne weiteres ein klarer Übergang von Attentaten auf eine sakralisierte vormoderne Herrscherperson zu einem moderneren Typus politischer Gewalt gegen System-Repräsentanten mit seinen symbolischen Implikationen ausmachen. Zunächst einmal war auch vor der Französischen Revolution die für dieses Erklärungsmodell zentrale Vorstellung der verkörperten Einheit von Herrscher, Dynastie und Reich nicht notwendigerweise eine permanent sämtliche Repräsentationen der politischen Ordnung der Monarchie strukturierende oder gar zum Teil einer konsistenten Untertanenmentalität gewordene Größe, die dann mit der Revolution zusammenbrach.15 Allerdings waren es gerade Attentate, wie etwa die Messerattacke Robert-François Damiens’ auf Ludwig XV. 1757, anhand derer besonders in der offiziösen Rhetorik diese Vorstellungen eindringlich und überexplizit wiederholt und hervorgehoben wurden.16 Nach der Revolution und dem Ende der Monarchie löste sich auch die Sprache der politischen Rhetorik und die symbolische Repräsentation der Republik keineswegs völlig von solchen Topoi einer überhöhten Einheit.17 Dies zeigte sich gerade im Nachgang von Attentaten: Die politischen Totenreden in den sansculottischen Sektionen der commune de Paris und die Begräbnisfeierlichkeiten nach dem Mord an Jean-Paul Marat 1793 deuten darauf hin, dass sich in der Folge eines spektakulären Mordes auch eine an neue politische Leitnormen und Semantiken angepasste Fiktion personalisierter politischer Einheit situativ auf eine emblematische Einzelfigur wie Marat übertragen ließ, der hier weniger als Systemrepräsentant denn als die Republik als Ganze verkörpernder Volksvertreter inszeniert wurde.18 Diese Tendenz wird noch deutlicher im Nachgang des spektakulären Attentats auf Napoleon Bonaparte, dessen schon um 1800 bestehender Heroen- und Retter-Mythos sich mit dem Attentat in offiziösen Reden weiter intensivierte.19 Besonders die Rhe-
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premier Consul, Paris vol. 2, Paris 1804, S. 176. Ebenso die Beteuerungen des englischen Agenten Hyde de Neuville, vgl. Mémoires et souvenirs du baron Hyde de Neuville, vol. 1, Paris 1888, S.360– 363. Siehe auch: Salomé: Ouragan (wie Anm. 6), S. 190. Zu den Umsturzplänen der Royalisten um 1800: siehe: Jean-Paul Bertaud: Les Royalistes et Napoléon, Paris 2009, S. 79–92. Siehe hierzu vor allem Jens-Ivo Engels: Königsbilder. Sprechen, singen und schreiben über den französischen König in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, Bonn 2000. Andererseits gab es auch entsprechende Verschiebungen in juristischen Diskursen: G.A. Kelly: From Lèse-Majesté to Lèse-Nation. Treason in Eighteenth-Century France, in: Journal of the History of Ideas 42 (1981), S. 269–286. Vgl. zum Attentat von Damiens, siehe Dale van Kley: The Damiens Affair and the Unravelling of the Ancien Régime; 1984; Pierre Rétat.: L’attentat de Damiens. Discours sur l’événement au XVIIIe siècle, Paris 1979; Pierre Chévallier: Les régicides. Clément, Ravaillac, Damiens, Paris 1989, S. 291–383. Hunt: Macht der Symbole (wie Anm. 2), S. 47–65. Mazeau: Le bain de l’histoire (wie Anm. 3), S. 183–185. Siehe hierzu bereits: Hans-Ulrich Gumbrecht: Funktionen parlamentarischer Rhetorik in der Französischen Revolution: Vorstudien zur Entwicklung einer historischen Textpragmatik, München 1978, S. 117–122. Vgl. hierzu: Tulard: Mythos des Retters (wie Anm. 4). Annie Jourdan: Mythes et légendes de Napoléon. Un destin d’exception entre rêve et réalité, Toulouse 2004, S. 17–33. Rüdiger Schmidt: „Ce héros fantastique restera le personnage réel“: Die Inszenierung Napoleon Bonapartes als militärischer Held, in: Ders. /Hans-Ulrich Thamer (Hg.): Die Konstruktion von Tradition. Inszenierung und
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torik hoher Amtsträger war dabei nicht nur strukturell an einem im Ancien Régime eingespielten Schema „epideiktischer“ politischer Rede20 orientiert, die angesichts des nur knapp abgewendeten Mordes an Bonaparte politische Leitnormen bekräftigte und die als Publikum vorgestellten Nation aufrief, in allen Herzen die Liebe für die Freiheit, den Ruhm und das Vaterland wiederzubeleben.21 Deren Einheit dürften die ähnlich wie frühere Königsattentäter als ‚monströse Andere‘ angesprochenen Mörder und Verschwörer nicht zerstören.22 Hier wurde ebenso eine unentflechtbare und sakral überhöhte Einheit Bonapartes mit der Nation konstruiert. Der neuartige Schrecken der machine infernale wurde vor allem als eine Gefahr für das Heil der Nation in Gestalt des Verlusts seiner im premier magistrat personifizierten Schutzinstanz und der union intime et sacrée de la République et de son premier magistrat stilisiert.23 Verknüpft mit der Erwartung, dass einzig Bonaparte der militärischen Bedrohung des Zweiten Koalitionskrieges ein Ende machen und für einen erlösenden Friedensschluss sorgen könne, müsste, wie es der Präsident des Tribunats ausdrückte, sein gewaltsamer Tod die Folge haben, der Nation ihren Ersten Konsul zugleich mit ihrer Freiheit zu nehmen.24 Um eine solche Katastrophe zu verhindern, wurde dann auch das schützende Eingreifen transzendenter göttlicher Mächte beschworen, la providence, le dieu qui veille sur la France.25 In der Folge des Attentats mit der machine infernale ließen sich an den bonapartischen Personenkult eindeutig eine Identifikation des Konsuls mit der Nation und idealisierte Einheitsvorstellungen anlagern. Vor diesem Hintergrund war der knapp abgewendete gewaltsame Tod Bonapartes nicht als idealtypischer ‚moderner‘ (versuchter) politischer Mord denk- und verarbeitbar. Der diskursive Umgang mit politischen Attentaten und Verschwörungen bot vielmehr Raum für eine übersteigerte personalisierende Identifikation von Nation und Führerfigur, die gerade zeigt, wie wenig sich in diesem Kontext der Erste Konsul Bonaparte als moderner Staatschef begreifen lässt.26 Da es aber zur Fiktion der sakral überhöhten Einheit kein Äquivalent für die Fiktion der Kontinuität des politischen Körpers des Monarchen gab, wurde die identifizierende Personalisierung auf die Spit-
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Propaganda napoleonischer Herrschaft (1799–1815), Münster 2010, S. 191–208. Unter historiographiegeschichtlicher Perspektive: Natalie Petiteau: Napoléon. De la mythologie à l’histoire, Paris 1999, S. 199–208. Hans-Jürgen Lüsebrink: Kriminalität und Literatur im Frankreich des 18. Jahrhunderts. Literarische Formen, soziale Funktionen und Wissenskonstituenten von Kriminalitätsdarstellungen im Zeitalter der Aufklärung, München 1983, S. 64–75. […] ranimer encore dans tous les cœurs l’amour de la liberté, de la gloire et de la patrie; Moniteur Universel Nr. 95, 5. Nivôse IX (= 26.12.1800), S. 388. Ces monstres ennemis jurés de tout gouvernement doux et tranquille; Moniteur Universel Nr. 97, 7. Nivôse IX (= 28.12.1800), S. 393. Moniteur universel, Nr. 109, 19. Nivôse IX (= 9.1.1801), S. 441. L’intention des conspirateurs était de perdre en même tems le premier consul et la liberté que le repos de 30 millions d’hommes; Journal des débats, Nr. 109, 5. Nivôse IX (= 26.12.1800), S. 336. Jourdan: Mythes (wie Anm. 19), S. 25. Martyn Lyons: Napoleon Bonaparte and the Legacy of the French Revolution, Basingstoke 1994, S. 64–65.
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ze getrieben. Der Tod Bonapartes wurde von allen Seiten als drohendes unmittelbares Ende einer politischen Ordnung beobachtet.27 Dies äußerte sich auch in der von Agenten der Geheimpolizei formulierten Erwartung von Invasions- und Umsturzplänen unmittelbar nach einem erfolgreichen Attentat der das zu gewärtigende Chaos ausnutzenden Kriegsgegner Frankreichs.28 Im Nachgang des Anschlags lassen sich jedoch auch öffentliche Inszenierungen und Rituale beobachten, die, zumindest so wie sie die Zeitgenossen interpretierten, durchaus an ältere Praktiken des Umgangs mit der Errettung des Monarchen aus konkreter Lebensgefahr anknüpften. Dies manifestierte sich beispielsweise in einem Ritual, das zu den unbestrittenen Grundfesten monarchischer Devotion im Ancien Régime gehört hatte.29 Denn die katholische Bevölkerung versammelte sich in großer Zahl in den erst kürzlich wiedereröffneten Kirchen zum Singen des Te Deum und dem Abhalten von Messen zum Dank für die Errettung des Konsuls. Da der offizielle Status des Katholizismus in Frankreich jedoch noch in der Schwebe war, handelte es sich freilich nicht mehr um einen Teil der symbolischen Verarbeitung von Lebensgefahr für den Monarchen im Medium einer dominanten konfessionellen Kultur.30 Vielmehr eigneten sich die Gläubigen das Ritual hier durchaus eigensinnig und wohl auch opportunistisch neu an, gewissermaßen als eine gruppenspezifische Version des bonapartischen Heroen-Kults. Der erste öffentliche Auftritte Bonapartes zwei Tage nach dem Attentat bei einer Militärparade auf der Place de Caroussel wurde dagegen vor allem in der Presse als Manifestation überschwänglicher politischer Emotionen der breiten Bevölkerung inszeniert. Dabei wurde deren enthousiasme und die schon in der Medaillenprägung zur Leitdevise erklärte Liebe der Bevölkerung besonders hervorgehoben.31 Dass er der Explosion der machine infernale gleichmütig getrotzt hatte und, wie es die Medaillenprägung insinuierte, das Wohlergehen der Opfer ostentativ über sein eigenes stellte, ordnete sich selbstverständlich in den Heroen-Mythos ein und könnte als Teil der Zuschreibung eines militärisch-aristokratischen Herrscherideals gelesen werden, das sich 27 28 29
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Salomé: Ouragan (wie Anm. 6), S. 179–180. Vgl. Rapport de la Préfecture de la Police du même jour [5. Nivôse IX (= 26.12.1800)], in: Aulard (Hg.): Paris sous le Consulat (wie Anm. 9), S. 91. Engels: Königsbilder (wie Anm. 15), S. 197. Dass die Bevölkerung selbst noch in der finalen Krise der Monarchie des Jahres 1791 während einer kurzen Krankheit des Königs dieses Ritual ernst nahm, zeigt: Timothy Tackett: Conspiracy Obsession in a Time of Revolution. French Elites and the Origins of Terror, 1789–1792, in: The American Historical Review 105 (2000), 691–713, hier S. 710, Anm. 81. Vgl. etwa Tableau de la Situation de Paris du 12. Nivôse IX [11. Nivôse IX (= 2.1.1801)], in: Aulard (Hg.): Paris sous le Consulat (wie Anm. 9), S. 110. Siehe zur Rehabilitation der katholischen Kirche überblicksartig: Olwen Hufton: The reconstruction of a Church 1796–1801, in: Gwynne Lewis/ Colin Lucas (Hgg.): Beyond the Terror. Essays in French Regional and Social History 1794–1815, Cambridge 1983, S. 21–52. So etwa die Schilderung im Moniteur universel, Nr. 96, 6 Nivôse IX (= 27.12.1800), S. 389; Journal de débats, 7 Nivôse IX (= 28.12.1800).
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auch im späteren 19. Jahrhundert in Berichten über die Reaktionen von gekrönten Häuptern als Attentatsopfer häufig findet.32 Die Bezeugung überschwänglicher öffentlicher Zuneigung dagegen konnte und durfte Bonaparte nicht kalt lassen. Angesichts der Bekundung von Bürgerliebe seien, wie es ein anonymer Publizist hyperbolisch ausdrückte, seine Gesichtszüge, von einem durchdringenden Charakter von Empfindsamkeit geprägt gewesen […] es war dieses Mal die Explosion der Seelen [...] und hierauf reagierte seine Seele.33 Das Journal des débats hob hervor, dass solche Bezeugungen politischer Emotionen eben nicht auf die hauptstädtische Öffentlichkeit beschränkt blieben. Vielmehr erreichten den Ersten Konsul täglich Briefe, die angeblich die aufrichtige Liebe des französischen Volkes zu seiner gegenwärtigen Regierung widerspiegelten. Mit den eitlen Protokollen, die an frühere Regierungen adressiert waren, hätten sie nichts mehr zu tun. Sie hätten vielmehr den Charakter von Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit.34 Tatsächlich haben sich über tausend solcher Schreiben in den Archives Nationales erhalten. Ihre Stilisierung als authentische Zeugnisse von aufrichtiger Zuneigung der breiten Bevölkerung dürfte jedoch wohl übertrieben sein. Stichproben deuten darauf hin, dass in die Briefe nicht nur opportunistisch auch eigene und lokale Interessen einflossen. Die sehr oft von lokalen Notabeln verfassten Briefe reproduzierten auch die in der Pariser Presse veröffentlichte hyperbolische Rhetorik von höheren Amtsträgern; wie im Übrigen auch ein im (allerdings latent oppositionellen) journal des débats abgedrucktes Beispiel, das eigentlich die ‚echte Liebe‘ aus der Provinz untermauern sollte.35 Das ostentative Hervorheben dieser politischen Emotionen war jedoch gerade nicht nur Ausdruck eines Bonaparte-Personenkults oder der seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts raumgreifenden Sentimentalisierung von Monarch-UntertanenVerhältnissen.36 Die stark emotionalisierte aber auch potenziell übergriffige und höchst eigensinnige Bezeugung von Untertanenliebe angesichts des aus Lebensgefahr errette32 33
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Siehe Carola Dietze/ Frithjof Benjamin Schenk: Traditionelle Herrscher in moderner Gefahr. Soldatisch-aristokratische Tugendhaftigkeit und das Konzept der Sicherheit im späten 19. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 35 (2009), S. 368–401, hier: S. 371–373. Ses traits ont paru se marquer d’un caractère profond de sensibilité […] mais c’était ici l’Explosion, pour ainsi dire, des âmes, et son âme y répondait; Parade du Quintidi, 5. Nivôse, abgedruckt, in: [Charles Augustin Bassompierre] Sewrin: Hilaire et Berthille, ou La machine infernale de la rue S. Nicaise, Paris 1801, S. 210. Journal des débats, 10 Nivôse IX (= 31.12.1800), S. 3. 1368 dieser Adressen aus ganz Frankreich und einigen überseeischen Kolonien finden sich im Bestand Archives Nationales, Pierrefitte-sur-Seine, im Folgenden: AN, AF/IV/1445–1448. In einem dieser Schreiben stellte die Einwohnerschaft von Bergerac in der Dordogne lokale Bezüge durch die Parallelisierung des Pariser Attentat mit „anarchischer“ Gewalt vor Ort her oder man äußerte Friedenswünsche, um die eigenen Angehörigen vom Krieg wieder in die Heimat zu bringen. Siehe etwa: Einwohnerschaft von Bergerac an Bonaparte, Bergerac, 14. Nivôse IX (= 4.1.1801) (AN, AF/IV/1446); Baysselance an Bonaparte, [Queyssac], 20. Nivôse, An IX (= 10.1.1801). Siehe etwa anhand deutscher Fallbeispiele Hubertus Büschel: Untertanenliebe. Der Kult um deutsche Monarchen 1770–1830, Göttingen 2006; Ute Frevert: Gefühlspolitik. Friedrich II. als Herr über die Herzen?, Göttingen 2012, S. 74–114.
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ten Monarchen war, wie Jens-Ivo Engels gezeigt hat, spätestens seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vor allem für die Pariser Bevölkerung charakteristisch.37 Auch hier knüpfte man also an ein traditionelles bereits im Ancien Régime ausgearbeitetes Repertoire von Diskursen und symbolischen Praktiken des Umgangs mit politischen Attentaten an. Typischerweise als Kennzeichen einer neuen Art politischer Attentate geltende Elemente wie die Terrorisierung der Bevölkerung und die symbolische Wirkung von Anschlägen wurden in der Folge des Anschlags mit der machine infernale absorbiert durch eine personalisierende Identifikation der Nation und ihrem Erstem Konsul, der sich eben gerade nicht als von traditionalen monarchischen Bezügen abgelöste Figur eines Staatschefs beschreiben ließ.
II. Vorbeugen und Strafen – Politische Kriminalität und Prozesse der Versicherheitlichung in Frankreich um 1800 Wie wirkten die angesichts der enormen Aufladung als politisiertes Verbrechen gegen Bevölkerung und Gesellschaft wie auch gegen eine zunehmend personal mit Wohl und Wehe der Nation identifizierten Figur wie Bonaparte auf Praktiken und Diskurse des Rechts und der öffentlichen Sicherheit zurück? Wie erwähnt bot das Attentat in der Rue Nicaise zunächst Anlass für rabiate Justizphantasien. Allerdings schien dies und die eminent politische Dimension der Tat die Praxis der gerichtlichen Strafverfahren gegen die Täter und deren öffentliche Hinrichtungen nicht unmittelbar zu beeinflussen. Sowohl den für den Anschlag mit der machine infernale Verantwortlichen als auch den Verschwörern im Umfeld des geplanten Opern-Attentats wurde ein regulärer Prozess gemacht, der ebenso wie deren spätere Hinrichtung dem Strafgesetz von 1791 folgte. Carbon und Saint Régent wurden nach dem schon bestehenden Mord-Paragraphen abgeurteilt. Die symbolische Stigmatisierung der Delinquenten auf dem Schafott durch ein rotes Hemd stand auch genau hierfür und nicht, wie in älterer Literatur zu lesen ist,38 für die verschärfte Sanktion als parricide, einem Delikt, das neben dem Vater– und Verwandtenmord auch den Herrschermord bezeichnete.39 37
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Anhand der außerordentlichen populären Bekundung von Sorge, Angst aber ebenso Erleichterung und Untertanenliebe angesichts der Genesung Ludwigs XV. von schwerer Krankheit im Jahre 1744 Engels: Königsbilder (wie Anm. 15), S. 183–205. Rétat: Damiens (wie Anm. 16), S. 342 zeigt, dass auch die Reaktionen auf das Damiens-Attentat auf die Ereignisse des Jahres 1744 Bezug nahmen. Siehe Gaubert: Conspirateurs (wie Anm. 4), S. 118; Tulard: Napoleon oder der Mythos des Retters (wie Anm. 4), S. 153. Der Code pénal von 1791, Artikel 4 legt das Rote Hemd als Strafe für Mörder, Giftmischer und Brandstifter fest, genau darauf bezieht sich das Urteil des Gerichts, siehe: Procès instruit par le tribunal criminel du département de la Seine, contre les nommés Saint-Réjan, Carbon et autres, prévenus de conspiration contre la personne du Premier Consul […], vol. 2, Paris 1801, S. 338. Zur semantischen Doppeldeutigkeit von Verwandten- und Herrschermord, siehe: Art. „parricide“, in: Dictionnaire de l’Académie française, vol. 2, Paris 1762, S. 306. Erst später stellte der napoleonische
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Dennoch beförderten und beschleunigten die Attentate und Verschwörungen des Jahres 1800 eine grundlegende Transformation und Dynamisierung der politischen Justiz und des Polizei- und Sicherheits-Apparates. Im Kontext sowohl einer auch in der zweiten Hälfte der 1790er Jahre als scheinbar unüberwindbarer Dauerzustand konservierten regelrechten ‚konspirationistischen Gouvernementalität‘40, aber auch, wie Howard Brown gezeigt hat, der bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen mit der im Süden und Westen der Republik operierenden royalistischen Guerilla, den chouans, fielen sie mit einer zwischen 1797 und 1802 zu verortenden Phase zusammen, die Brown als entscheidend für die Herausbildung eines das 19. Jahrhundert prägenden Sicherheitsstaates beschrieben hat.41 Vor diesem Hintergrund führten die Ereignisse des machine infernale-Anschlags in Paris den politischen Entscheidungsträgern und der hauptstädtischen Bevölkerung das dergestalt manifest gewordene Bedrohungspotential bewaffneter Opposition gegen die Republik eindrucksvoll vor Augen. Das Attentat eröffnete so einen politischen Möglichkeitsraum für die Legitimierung bestehender bzw. die Einführung neuer Justiz- und Sicherheitspraktiken besonders in den von den Auseinandersetzungen mit den royalistischen Rebellen stark in Mitleidenschaft gezogenen Gebieten. So ließen sich nun nicht nur der verstärkte Einsatz von mobilen Militäreinheiten in Kombination mit der Brachial-Justiz von Militärtribunalen als effektive counter insurgency-Maßnahmen rechtfertigen.42 Ebenso konnte unter Wiederaufnahme von Justizpraktiken des Ancien Regime die Einführung neuer Sonderjustiztribunale ohne Geschworene und Appellationsinstanzen zur raschen Aburteilung von Rebellen durchgesetzt werden.43 Über die Veränderungen im System der politischen Justiz hinaus zeichnete sich im direkten Ereigniskontext der Anschläge des Jahres 1800 auch der Ausbau und eine zunehmende Differenzierung des Polizeiapparates als zentralem Sicherheitsakteur ab.
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Code pénal von 1810 eine vage Koppelung des tatsächlich mit körperlichen Martern vor der Hinrichtung zu sanktionierenden parricide zur Strafe für Attentate auf den Kaiser der Franzosen her, siehe: Code pénal von 1810, Sektion II, § 1, Art. 86. L’attentat ou le complot contre la vie ou contre la personne de l’Empereur est crime de lèse-majesté. Ce crime est puni comme parricide. Zum Konzept des parricide im französischen Strafrecht, Gilles Trimaille: La sanction des parricides du droit romain au Code pénal napoléonien, in: Droit et cultures 63 (2012), S. 203–211. Thomas E. Kaiser: Conclusion: Catilina’s revenge. Conspiracy, revolution, and historical consciousness from ancien regime to the Consulate, in: Ders. / Marisa Linton / Peter Campbell (Hgg.): Conspiracy in the French Revolution, Manchester 2007, S. 189–216, hier S. 204–209. Howard G. Brown: From Organic Society to Security State: The War on Brigandage in France 1797–1802, in: Journal of Modern History 69 (1997), S. 661–695. Siehe auch: Malcolm Crook: Napoleon comes to power. Democracy and dictatorship in Revolutionary France, 1795–1804, Cardiff 1998, S. 83 –84. Howard G. Brown: Ending the French Revolution. Violence, Justice and repression from the Terror to Napoléon, Charlottesville / London 2006, S. 326. Ebd., S. 326–330. Der Widerstand liberaler Gegner wie Benjamin Constant blieb vergeblich, siehe: Opinion de Benjamin Constant. Sur le projet de loi concernant l’établissement de Tribunaux criminels spéciaux. Séance du Pluviôse an 9, in: María Luisa Sanchez-Mejía / Kurt Kloocke (Hgg.): Benjamin Constant. Discours au Tribunat. De la possibilité d’une constitution républicaine dans un grand pays (1799–1803), Tübingen 2005, S. 215–246.
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Seit dem späten 18. Jahrhundert verstärkte sich nämlich nicht nur über die schon im Ancien Regime hochentwickelten Polizeibehörden der Stadt Paris hinaus44, die Durchdringung der Provinzen mit lokalen Gendarmerien. Zugleich bildeten sich nun auch stärker spezialisierte kriminal- und geheimpolizeiliche Institutionen heraus.45 Kurz nach dem Attentat mit der machine infernale wurden deren Kompetenzen massiv erweitert. So wurden nun ohne gerichtliche Anordnung und ohne gesetzliche Grundlage an die hundert Jakobiner auf unbestimmte Zeit festgesetzt und dann später in die überseeischen Kolonien verbannt.46 Derartige Zwangsmaßnahmen waren freilich keineswegs neu, sondern knüpften fraglos an die umstrittenen Praktiken vor allem der Pariser Polizei des Ancien Régime an.47 Kritik an Überwachung, Polizeiwillkür und Festsetzung ohne gerichtlichen Prozess waren vor der Revolution explosive Themen populärer Obrigkeitskritik gewesen.48 Im Falle der hierfür instrumentellen lettre de cachet waren sie auch mit der Bastille als signifikantes Symbol der Unterdrückung verknüpft.49 Während die Praktiken an sich also keinesfalls neu und durchaus zweifelhaft und umstritten waren, war es jedoch von entscheidender Bedeutung, dass der Senat der Republik als eine parlamentarische Institution dabei half, die vom Ersten Konsul verfügte, zentrale Freiheitsrechte der liberal geprägten Verfassung von 1795 außer Kraft setzende Polizeimaßnahme zu legitimieren und faktisch auf Dauer zu stellen. Zwar wurde diese polizeiliche Kompetenz nicht gesetzlich geregelt, jedoch nun selbst als mesure conservatrice de la constitution, also als sicherheitspraktische Bestandsgarantie für verfassungsmäßige Freiheitsrechte legitimiert, ohne sich dafür notwendigerweise in 44 45
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Siehe zur Pariser Polizei des Ancien Régime: Vincent Milliot: L’admirable Police. Tenir Paris au siècle des Lumières, Ceyzérieu 2016; Alan Williams: The Police of Paris, 1778–1789, Baton Rouge (LA) 1979. Siehe Pierre Miquel: Les Gendarmes, Paris 1990; Clive Emsley: Gendarmes and the state in nineteenth-century Europe, Oxford 1999, S. 56–77. Die Effizienz dieses Polizei- und Sicherheitsapparates darf allerdings freilich angesichts des selbstproduzierten information overload, interner institutioneller Rivalitäten und opportunistischer Denunziationspraktiken nicht überschätzt werden, siehe: Jean Tulard, Art. „Police“, in: Ders. (Hg.): Dictionnaire Napoléon, Paris 1987, S. 1341–1342, hier S. 1342; Jean Rigotard: La Police parisienne de Napoléon. La préfecture de police, Paris 1990; Boudon, Empire des Polices (wie Anm. 4), S. 19–31. Zum Exil der jakobinischen Opposition: Jean Destrem: Les Déportations du Consulat et de l’Empire, Paris 1885; Robert C. Cobb: Notes sur la répression contre le personnel sansculotte de 1795 à 1801, in: Annales de l’Histoire de la Révolution Française 26 (1954), S. 23–46. Vgl. hierzu: Michael D. Sibalis: Prisoners by Mesure de Haute Police under Napoleon I. reviving the Lettres de Cachet, in: Proceedings of the Annual Meeting of the Western Society for French History 18 (1990), S. 261–269. Siehe etwa: David Andress: Social Prejudice and Political Fears in the Policing of Paris. January–June 1791, in: French History 9 (1995), S. 202–226, hier 219–223. Hans-Jürgen Lüsebrink / Rolf Reichhardt (Hgg.): Die Bastille: zur Symbolgeschichte von Herrschaft und Freiheit, Frankfurt am Main 1990. Zur Entstehung und Praxis der polizeilichen Inhaftierung: Gerhard Sälter: Polizeiliche Sanktion und Disziplinierung. Die Praxis der Inhaftierung durch die Polizei in Paris (1697–1715), in: Andreas Blauert / Gerd Schwerhoff (Hgg.): Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne, Konstanz 2000, S. 481–500, hier S. 484–489.
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den von der Verfassung gesteckten gesetzlichen Beschränkungen bewegen zu müssen.50 Bereits hier und nicht erst im späteren 19. Jahrhundert wurde eine zentrale Blaupause der Aushandlung einer Koexistenz von Polizei- und Sicherheitsstaat sowie einer mehr oder minder Freiheitsrechte garantierenden politischen Ordnung im Rahmen eines „liberalen Autoritarismus“ entworfen.51 Um Auswüchsen der Praktiken dieses Polizeiapparats gegenzusteuern, schuf der französische Senat wenig später das parlamentarische Kontrollgremium der Commission de la liberté individuelle, welches die Legalität von Polizeimaßnahmen auf Einzelfallbasis prüfen und gegebenenfalls korrigieren sollte.52 Auch wenn die Kommission durchaus partiell erfolgreich gegen Polizeiwillkür intervenierte, blieb sie bei der Revision des Vorgehens gegen angebliche politische Kriminelle und Verschwörer praktisch machtlos.53 Stattdessen strebten insbesondere Fouché und dessen Polizeiministerium gegenüber Gerichten, Justizbehörden und parlamentarischen Institutionen eine weitgehende eigene Definitionshoheit über politische Kriminalität an. Dabei rechtfertigten nicht zuletzt Verweise auf Staatsräson oder die allgemeine Sicherheit, die mit Begriffen wie mesure de sûreté oder mesure de raison d’état in eine breit generalisierende Sicherheits-Semantik eingefasst wurden, ihr oft höchst intransparentes Vorgehen.54 So erklärte Fouché 1804 der Senats-Kommission, dass wenn die Gerichte sich außer Stande sähen, einen gewissen La Grimaudière trotz angeblich sehr konkreter Beweise als Verschwörer abzuurteilen, müsse dieser Missstand mit dessen weiterer Einkerkerung als einer mesure de sûreté générale behoben werden.55 Auch Maßnahmen wie die für die Betroffenen oftmals tödliche Verbannung wurden als kontrollierte Überwachung (surveillance) semantisch eher als temporärer Teil der Ermittlung denn als Strafmaßnahme ausgeflaggt. Der Schutz politischer und sozialer Ordnung legitimierte nun eine Bekämpfung politischer Kriminalität, die sich in einen intransparenten, gegebenenfalls auch permanenten Vorhof der Justiz verlagern konnte.56 50
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Siehe Sénatus Consulte, 11. Nivôse IX (= 1.1.1801), in: Moniteur Universel, Nr. 109, 19. Nivôse IX (= 9.1.1801). Als Schlüssel zur Akzeptanz dieser Maßnahmen beschreibt dies auch Jean-Jacques Régis de Cambacérès: Mémoires inédits. Éclaircissements publiés par Cambacérès sur les principaux événements de sa vie politique, hrsg. v. Laurence Chatel de Brancion, Paris 1999, S. 544–545. Brown: Ending (wie Anm. 42), S. 236. Siehe etwa François-Alphonse Aulard, La liberté individuelle sur Napoléon Ier, in: Ders.: Études et leçons sur la Révolution française, Série 3, Paris 1902, S. 290–313. Michael D. Sibalis: Arbitrary detention, human rights and the Napleonic Senate, in: Howard G. Brown/ Judith A. Miller (Hgg.): Taking liberties. Problems of a new order from the French Revolution to Napoleon, Manchester/New York 2003, S. 166–184. Siehe etwa Fouché an Commission sénatoriale de la liberté individuelle Paris, 8.9.1807, (AN, O/2/1432); Fouché an Commission sénatoriale de la liberté individuelle, Paris, 24. Brumaire XIII (=15.11. 1804), (AN, O/2/1435). Fouché an Commission sénatoriale de la liberté individuelle, Paris, 24. Brumaire XIII (= 15.11. 1804), (AN, O/2/1435). 1811 behauptete der Polizeipräfekt des Départements Seine-inférieure, dass er generell versuche, die Ermittlung von Verschwörungen an den Justizbehörden vorbeilaufen zu lassen und Verdächtige längerfristig ins lokale Polizeigefängnis zu verlegen. Polizeipräfektur Seine Inférieure an Savary, Rouen,
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Dabei folgte man auch einer Logik der Prävention von politischen Verbrechen, die kollektive Maßnahmen gegen als potenzielle Sicherheitsrisiken betrachtete Akteure rechtfertigen sollten, bevor diese offene Akte politischer Kriminalität begingen. Im Falle des inhaftierten angeblich in die Verschwörung George Cadoudals verstrickten François Mingaud erklärte Fouché die abzusehende Gefährdung der Gesellschaft durch einen notorischen Abenteurer und zur Verschwörung nahezu prädestinierten Intriganten zur Grundlage für dessen Verbleib in Polizeigewahrsam.57 Hinsichtlich der im Zusammenhang mit den Attentaten des Jahres 1800 massenhaft internierten Jakobinern machte Fouché den präventiven, auch über tatsächliche individuelle Vergehen hinausgehenden Sinn dieser Maßnahme explizit: Unter diesen Männern […] haben nicht alle den Dolch in die Hand genommen, aber alle sind weithin bekannt dafür, dass sie in der Lage sind ihn zu wetzen und zu führen […] Es geht heute nicht nur darum, die Vergangenheit zu bestrafen, sondern darum, die soziale Ordnung zu schützen.58 Dieser Logik der Verbrechens-Vorbeugung sollte sich schließlich das Rechtssystem mit dem Code pénal von 1810 und dessen wegweisender systematischer Kodifizierung politischer Vorfeldkriminalität anpassen.59
III. Noch nie gab es besser enttarnte und wohlbekanntere Verbrecher. Polizei, mediale Öffentlichkeit und die Verschwörungen des Jahres 1800 Der Anspruch auf die Definitionshoheit über politische Delikte und ihre Abschirmung gegen politische und juridische Interventionen seitens der Polizeibehörden verlieh diesen zwar unabhängige Handlungsspielräume. Das Verhältnis von Öffentlichkeit und Geheimnis der Ermittlung und Aufklärung von politischen Attentaten blieb jedoch ein zwiespältiges. So wurden etwa nach dem verhinderten Attentat in 57 58
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6.7.1811 (AN, F/7/6383). Fouché an Commission sénatoriale de la liberté individuelle, Paris, 1.11.1807 (AN, O/2/1432). Parmi ces hommes […] tous n’ont pas été pris le poignard à la main; mais tous sont universellement connus pour être capable de l’aiguiser et de le prendre […] il ne s’agit pas seulement aujourd’hui de punir le passé, mais de garantir l’ordre social, Rapport du ministre de la police générale aux consuls de la République, 11 Nivôse IX (=1.1.1801), in: F. Leclerq (Hg.): Rapports et proclamations du Ministre de la police générale, Paris 1998, S. 71. Zur Kriminalisierung von Vorfeldkriminalität und Beihilfedelikten: Code penal (1810) Artikel 96–100; Zu Polizeistaat und Präventionslogik siehe Karl Härter: Legal Concepts of Terrorism as Political Crime and International Criminal Law in Eighteenth and Nineteenth Century Europe, in: Aniceto Masferrer (Hg.): Post 9/11 and the State of Permanent Legal Emergency. Security and Human Rights in Countering, Dordrecht 2012, S. 53–75.
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der Pariser Oper die Pariser Justizbehörden weder über das Attentat selbst und noch über die Ermittlungen, die als Geheimangelegenheit des Polizeiministers [Fouché, TH] behandelt würden, in Kenntnis gesetzt.60 Sie erfuhren von dem Attentat über Meldungen aus den Pariser Zeitungen!61 Dass dies möglich war, verweist zum einen darauf, dass die stark anziehende Pressekontrolle in Frankreich um 1800 noch keineswegs so effektiv war, wie dies gegen Ende des Jahrzehnts der Fall sein sollte. Zeitungen gaben zwar kein breites Meinungsspektrum zu politischen Verbrechen wieder, konnten Meldungen über politische Kriminalität aber auch ohne obrigkeitliches Gängelband lancieren.62 Zum anderen bestand auch keinerlei Einigkeit darüber, inwiefern Attentate bzw. die Aufdeckung von Attentatsplänen überhaupt publik werden oder unter Verschluss bleiben sollten. Der Publizist und Diplomat Pierre Louis Roederer beschrieb generell die mediale Öffentlichkeit von Attentatsplänen und Verschwörungen gegen Bonaparte als Erstem Konsul als einheitsstiftend und herrschaftsstabilisierend; und auch Bonaparte selbst befürwortete aus ähnlichen Gründen grundsätzlich das öffentliche Bekanntwerden des geplanten Opern-Attentats. Fouché dagegen warnte vor jeder öffentlichen Thematisierung lebensgefährlicher Gewalt gegen Bonaparte.63 Dennoch spekulierte auch er öffentlich und ‚medienwirksam‘ nach der aufgedeckten OpernVerschwörung über ein größeres Verschwörer-Netzwerk, war jedoch zugleich bemüht, Gerüchte über solche Verschwörungen sowie angebliche Verhaftungswellen in diesem Zusammenhang, wie sie vor allem von Zeitungsverkäufern verbreitet würden, möglichst zu unterdrücken.64 Der Anschlag vom 3. Nivôse war jedoch ein politisches Verbrechen, welches sich schlechterdings nicht geheim halten ließ. Allerdings intensivierte sich hier die Publizität des Attentats insofern, als dass hier nicht erst im Nachhinein und auf der Grundlage von Gerichtsakten und abgeschlossenen Kriminaluntersuchungen Öffentlichkeit hergestellt wurde. Stattdessen wurden nun Polizeiberichte über teilweise noch laufende Ermittlungen überaus zeitnah, unter anderem in den Pariser Gazetten, veröffentlicht, die zugleich den Polizeibehörden bzw. ihren publizistisch aufbereiteten Praktiken der Dokumentation von Ermittlungen eine wichtige Funktion für die öffentliche Deutungshoheit über politische Kriminalität einräumte. 60 61 62 63 64
Les renseignemens qui pourroient éclairer sur cette affaire restent encore dans le secret du ministre de la police Gaultier-Biauzat an Justizminister André-Joseph Abrial, Paris, 28. Vendémiaire IX (= 20.10.1800) (AN, BB/3/140). Gaultier-Biauzaut an Friedensrichter Delorme, 26. Vendémiaire IX (= 18.10.1800) (AN, BB/3/140, Nr. 2). Dennis A. Trinkle: The Napoleonic Press. The Public Sphere and Oppositionary Journalism, Lewiston u.a. 2002, S. 3–4; Zur verstärkten Pressekontrolle und Ausdünnung der Presselandschaft: Gustave Le Poittevin: La Liberté de la Presse depuis la Révolution, 1789–1815, Paris 1901, S. 125ff. Pierre-Louis Roederer: Des Conspirations [April 1800], in: Antoine Marie Roederer (Hg.): Œuvres du Comte P.L. Roederer, vol. 6, Paris 1857, S. 404–405. Zu Fouchés Position: André Cabanis: La Presse sous le Consulat et l’Empire (1799–1814), Paris 1975, S. 220. Zur Einordnung des Opern-Attentats: Rapports du ministre de la police général, aux consuls, in: Moniteur Universel, Nr. 33, 3. Brumaire IX (= 25.10.1800), S. 126. Vgl. Tableau de la Situation de Paris du 23 Frimaire [22. Frimaire IX (=14.12.1800)], in: Aulard (Hg.): Paris sous le Consulat (wie Anm. 9), S. 61.
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Nach der Publikation erster Auszüge aus Polizeiberichten unmittelbar nach dem Attentat65, erschien in den Zeitungen (wie auch wenig später in gedruckten Broschüren) wenige Tage später, offenbar veranlasst durch den Polizeipräfekten Louis Nicolas Dubois ein umfängliches Dossier von Berichten der Pariser Polizei, das scheinbar lückenlos dokumentiert ein großangelegtes Komplott radikaler revolutionärer Gruppen konstruierte, welches die Pläne der in der Pariser Oper organisierten Attentäter, die Verbreitung umstürzlerischer Pamphlete, eine der machine infernale ähnliche Sprengvorrichtung eines gewissen Chevalier sowie verschiedene weitere Attentatspläne gegen Bonaparte zum scheinbar eindeutigen Bild einer weitläufigen mörderischen Verschwörung zusammensetzte, die dann im Anschlag in der Rue St. Nicaise gipfelte.66 Doch warum wurde das Vorgehen der Polizei gegen Attentäter und Verschwörer unmittelbar und geradezu dokumentarisch öffentlich transparent gemacht? Und an welche Täterbilder und imaginaires von Attentaten und Verschwörungen schlossen solche nur vermeintlichen objektiven Berichte an? Und wie stellten sich die polizeilichen Ermittler in diesem Zuge selbst dar? Die von der Polizeipräfektur veröffentlichten Berichte folgten in ihren Schilderungen und ihrer Diktion relativ stereotypen politischen Verbrechens-Diskursen, die sich vor allem während der scharfen und gewaltsamen politischen Auseinandersetzungen der Direktoriumszeit verfestigt hatten. Diese betrachteten das Attentat neben der hier ebenfalls traditionellen Bezugnahme auf die Monstrosität der Attentäter67, nicht zuletzt unter Verwendung politischer Kampfbegriffe (exclusif, enragé) als ein in der Tradition enthemmter politischer Gewalt der revolutionären terreur stehendes Verbrechen.68 Während einer Debatte um Gesetzesverschärfungen erklärte ein Senator, die Revolution habe bei einer bestimmten Klasse von Menschen alle Leidenschaften freigesetzt und gewissermaßen zur brutalsten politischen Kriminalität prädisponierte Täter produziert. Diese betrieben, offenbar durch die Erfahrung bisheriger faktischer Straflosigkeit ermutigt, den gewaltsamen Sturz von Regierungen und politischen Ordnungen gleichsam als Selbstzweck und setzten Frankreich den fureurs de l’anarchie aus. Damit wurde eine Kontinuität zu den traumatischen Erfahrungen politischer Gewalt der Jahre 1792 bis 1794 hergestellt, als deren gesellschaftliches Produkt die nunmehr mit geänderter Taktik umso skrupelloser aus dem Untergrund agierenden Verschwörer und Attentäter dargestellt wurden.69 Dementsprechend beschrieben auch die Polizei65 66 67 68 69
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Moniteur universel, Nr. 94, 4. Nivôse IX (= 25.12.1800), S. 382. Das Dossier wurde separat veröffentlicht, als: Rapports officiels et complets fait au Gouvernement par le préfet de Police de Paris, Paris 1801 und erschien auch in den Zeitungen, siehe etwa: Le Moniteur universel, Nr. 104, 14. Nivôse IX (= 4.1.1801), S. 419–424. Zur Persistenz der Monstrosität als Beschreibungskategorie für Attentäter bis weit ins 19. Jahrhundert, siehe: Salomé: Ouragan (wie Anm. 6), S. 147–148. Zur ursprünglich polemischen Bedeutung des Begriffes enragé, siehe: Denis Richet: Art. „enragés“, in: François Furet / Mona Ozouf (Hgg.): Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution. Bd. 1. Ereignisse, Akteure, Frankfurt am Main 1996, S. 565–572, hier S. 565. Extrait du registre des déliberations du conseil d’état, in: Moniteur universel, Nr. 109, 19. Nivôse IX (= 9.1.1801), S. 441. Zur Verfestigung der Anarchie-Semantik für derartige Gewaltakte, siehe: Marc
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berichte die Motivation der Täter: Es sind enragés, die nur ihrer eigenen Wut folgen, in dem sie Tollkühnheit mit der Erfahrung der revolutionären Bewegungen verbinden […] Zerstören zuerst! Das ist ihr einziger Gedanke.70 Solche Charakterisierungen in den Polizeiberichten bedienten sich wie gesagt aus einem Reservoir zugespitzter Diskurse über Verschwörer und Gewalttäter, die sich in der politisch nach wie vor gespaltenen und von teilweise brutalen politischen Auseinandersetzungen geprägten Französischen Republik nach 1795 allmählich über die Lager hinweg angeglichen hatten.71 Dabei setzte sich, wie erwähnt, auch die beständige Thematisierung konspirativer Bedrohungen auch nach der verschwörungstheoretischen Konjunktur der frühen 1790er Jahre weiter fort.72 Während der politischen Dauerkrise der Direktoriums-Zeit geriet dabei, nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Gracchus Babeufs conspiration des égaux und dem letztendlichen Scheitern einer regulären politischen Vertretung der Jakobiner vor allem ein jakobinisch-sansculottischer Untergrund in den Fokus von Verschwörungsvorwürfen.73 Dementsprechend konnte auch der machine infernale-Anschlag als konspirative Fortsetzung der terreur und der revolutionären Gewalt der Straße repräsentiert werden. Dies untermauerte auch eine offenbar sehr zeitnah entstandene Abbildung, die einen grotesk überzeichneten, wütenden mit noch weiteren Mordwerkzeugen ausgerüsteten Attentäter beim Zünden der machine infernale zeigt. Diese wurde offensichtlich direkt aus einer wohl 1797 entstandenen Darstellung eines sansculottischen Extremisten, eines exclusif generiert.
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Deleplace: L’anarchie de Mably à Proudhon (1750–1850). Histoire d’une appropriation polémique, Paris 2001, S. 132–149. Zur semantischen Engführung revolutionärer terreur und oppositionellem radikalrevolutionärem terrorisme Gerd van den Heuvel: Art. „Terreur, Terroriste, Terrorisme“, in: Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe 1680–1820 Heft 3, hrsg. v. Rolf Reichardt /Eberhard Schmitt, München 1985, S. 89–132, hier S. 127–128. Ce sont des enragés agissant d’après leur propre fureur, réunissant l’audace à l’expérience des mouvemens révolutionnaires […] ils n’ont qu’un but, le renversement du gouvernement […] détruire d’abord, voilà leur unique pensée; Rapports Officiels (wie Anm. 66), S. 12. Siehe hierzu Christina Schröer: Republik im Experiment. Symbolische Politik im revolutionären Frankreich (1792–1799), Köln / Weimar/ Wien 2014, S. 530–532. Zur notwendigen Ähnlichkeit kriminalpraktischer und normativer bzw. fiktionaler Beschreibungen von Kriminalität, siehe: Achim Landwehr: Jenseits von Diskursen und Praktiken. Perspektiven kriminalitätshistorischer Forschung in: Rebekka Habermas/ Gerd Schwerhoff (Hgg.): Verbrechen im Blick. Perspektiven der neuzeitlichen Kriminalitätsgeschichte, Frankfurt a.M./New York 2009, S. 42–67. Thomas E. Kaiser: Conclusion (wie Anm. 40), S. 209–210. Laura Mason: „Never Was a Plot So Holy.“ Gracchus Babeuf and the End of the French Revolution, in: Thomas E. Kaiser / Marisa Linton / Peter Campbell (Hgg.): Conspiracy in the French Revolution, Manchester 2007, S. 172–188. Zu Babeuf und dem babouvisme, Robert B. Rose: Gracchus Babeuf: The First Revolutionary Communist, Stanford 1978; Isser Woloch: Jacobin Legacy. The democratic movement under the directory, Princeton 1970. Siehe hierzu: Lynn Hunt / David Lansky / Paul Hanson: The Failure of the Liberal Republic in France, 1795–1799: The Road to Brumaire, in: Journal of Modern History 51 (1979), S. 734–759, hier S. 751–753. Vgl auch die im royalistischen Umfeld entstandene alphabetisch geordnete Abrechnung mit scheinbar unbehelligt lebenden Ausführenden der revolutionären terreur in ganz Frankreich in: [L. Calinau], Dictionnaire des Jacobins vivans, dans lequel on verra les hauts faits de ces messieurs. Dédié aux frères et amis, par Quelqu’un citoyen français, „Hambourg“ 1799.
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Solche Darstellungen fanden auch Eingang in unmittelbar nach dem Anschlag entstandene populäre Literatur wie etwa dem Roman Hilaire et Berthille des populären Schriftstellers und Bühnenautors CharlesAugustin Bassompierre, der unter dem Pseudonym Sewrin schrieb. Der machine infernale-Anschlag dient hier als Folie für die symbolisch aufgeladene tragische Liebesgeschichte um das Paar Hilaire und BertAbb 2: „L’exclusive“, wikimedia commons. hille. Die melodramatische Geschichte des durch ebenso revolutionäre wie schlicht habgierige Gewalt getrennten, durch die Machtübernahme Bonapartes mit der Hoffnung auf Wiedervereinigung erfüllten Paares endet schließlich tragisch mit dem Tod der Liebenden durch den Anschlag am 3. Nivôse.74 Auch die radikalrevolutionäre Antagonisten-Figur des Romans, die sich selbst Brutus nennt, wird nicht nur Abb 3: „La Machine infernale“, wikimedia commons. geradezu exakt der obigen zerrbildartigen Darstellung radikalrevolutionärer Extremisten entsprechend beschrieben. Im Roman steht sie auch für eine Art doppelter Überblendung nämlich sowohl von vergangener revolutionärer und gegenwärtig erfahrener Gewalt, aber auch von Akten politisierter und gewöhnlicher Kriminalität, die von habituellen Verbrechern, Mordgesellen, von der öffentlichen Meinung Geächteten, entflohenen Galeerensträflingen und Räubern verübt wurden.75 Die Ausgaben des Romans enthielten dabei nicht nur Illustrationen, die die Brutalität des Anschlags drastisch ins Bild setzten.76 Sie stellten 74 75 76
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Sewrin: Hilaire et Berthille (wie Anm. 33). Ce sont tous des égorgeurs, des hommes tarés dans l’opinion publique, des échappés des galères, des brigands; Sewrin: Hilaire et Berthille (wie Anm. 33), S. 16–17. Zum hier abgedruckten Bild des Bombenattentats siehe Karine Salomé: Les représentations iconographiques de l’attentat politique au XIXe siècle, in: La Révolution française 1 (2012) online: http://
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Abbildung 4: Darstellung des Sprengstoffanschlags mit der Machine infernale, wikimedia commons.
auch intermediale Bezüge zu den aktuellen veröffentlichten Polizeiberichten her. Dem Roman wurden in einem Anhang Auszüge aus publizierten offiziellen Darstellungen und den veröffentlichten Polizeiberichten beigefügt, die hier als eine Art authentifizierender Para-Text für das Erzählte fungieren konnten. Aber auch die veröffentlichten Polizeiberichte bedienten sich solcher Engführungen herkömmlicher Kriminalität und politischer Attentate und Verschwörungen. Sie charakterisierten die Verschwörer als Personen sans état, die sich in den Hinterzimmern der cabarets, konspirativen Treffpunkten und nicht zuletzt im Umfeld von Prostituierten bewegten.77 Sie waren also kaum von der kriminellen Pariser Halb- und Unterwelt zu trennen. Dadurch aber, und dies unterstrich die delegitimierende Absicht solcher Schilderungen, hätten sie sich von der gewöhnlichen Bevölkerung nachhaltig isoliert.78 Auch und gerade bei den ehemals sozial abgehängten Bevölkerungsschichten, die nun genügend Arbeit hätten und die die gegenwärtige Regierung für den wirtschaftlichen Aufschwung schätzten, fänden sie keinen Anklang mehr. Die Darstellung der Verschwörer als mit gewöhnlichen Kriminellen assoziierten gesellschaftlichen Außenseitern nahm so nicht nur etablierte Topoi der Delegitimierung von politischer
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lrf.revues.org/363 [21.3.2019]. Zur Überblendung visueller, offiziöser und fiktionaler Medien bei der Darstellung frühneuzeitlicher Kriminalität siehe: Gerd Schwerhoff: Kriminalitätsgeschichte – Kriminalgeschichten. Verbrechen und Strafen im Medienverbund des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Rebekka Habermas/ Ders. (Hgg.): Verbrechen im Blick. Perspektiven der neuzeitlichen Kriminalitätsgeschichte, Frankfurt am Main 2009, S. 295–322. Rapports officiels et complets (wie Anm. 66), S. 13–14. Ebd., S. 15.
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Kriminalität auf, sondern auch ideologisierte Selbstbeschreibungen des konsularischen Regimes.79 Im Kontext der relativ zeitnahen und aktuellen Veröffentlichung von polizeilichen Ermittlungsberichten in der Tagespresse lagerten sich an solche Verbrecherbilder jedoch auch noch die spezifische Logik des Mediums veröffentlichter Polizeiberichte und die damit verbundenen Kommunikations- und Selbstdarstellungsabsichten an. Die Berichte führten nicht nur eine politisch opportune ideologische Affiliation der Attentäter vor und deren hoffnungslose politisch-soziale Isoliertheit. Sie vermittelten auch ein enormes Maß an Kontrolle und Durchdringung der Verschwörung durch die Polizei. Denn aus den Berichten wurde auch deutlich, dass es gelungen war, die konspirativen Kreise der Opposition zu unterwandern und signifikantes Insider-Wissen zu sammeln. Damit demonstrierte das Dossier nicht nur wie bei den veröffentlichten Gerichtsakten obrigkeitliche Handlungsfähigkeit, sondern konnte so sowohl gegenüber der Öffentlichkeit, der Regierung aber eben auch gegenüber Verschwörern und möglichen Sympathisanten, Umsturzängsten wie Umsturzhoffnungen gleichermaßen eine Absage erteilen. Dafür stand allein schon die am Ende vieler der Berichte stehende Feststellung, in Paris herrsche völlige Ruhe.80 Allerdings war die Suggestion völliger Kontrolle der Situation angesichts eines verheerenden Anschlags keineswegs das Einzige, was die Berichte vermitteln sollten. Für die Pariser Polizeipräfektur wäre sie in dieser Eindeutigkeit auch kontraproduktiv gewesen. Denn warum hatte es dann am 3. Nivôse überhaupt zu dem katastrophalen Anschlag kommen können? Tatsächlich machten die offenbar auf laufenden Ermittlungen beruhenden veröffentlichten Berichte auch die Lücken polizeilicher Aufklärung und Kontrolle deutlich und versuchten diese zu erklären. Mit ihrer politisch opportunen Charakterisierung als isolierte Außenseiter ließ sich auch plausibilisieren, dass die im zwielichtigen bzw. offen kriminellen Milieu verkehrenden Verschwörer über besonders raffinierte Taktiken und geheime Kommunikations-Codes verfügten, die die Verschwörung trotz aller Ermittlungserfolge zu einem nur langsam durchdringbaren Netz machte.81 Ebenso müsse es, so insinuierten die Berichte im Einklang mit gängigen Verschwörungsdiskursen verborgene und noch nicht ermittelte Organisatoren und Geldgeber hinter der Verschwörung geben.82 Glaubt man den Memoiren des in die Beratungen nach dem Anschlag involvierten Staatsrats Antoine Claire Thibaudeau, entsprach das im Polizeidossier vermittelte Bild von einerseits weitgehend kontrollierten und isolierten Verschwörern, deren Pläne, Operationen und Verbindungen aber andererseits realistischerweise nicht vollständig zu überwachen waren, auch der persönlichen Rechtfertigungsstrategie des unmittelbar nach dem Anschlag von Bonaparte unter Druck gesetzten Polizeipräfekten Dubois. Eine völlige präventive Kontrolle von Verschwörungen war nicht möglich. Seine Aufgabe sei es, so (angeblich) 79 80 81 82
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Siehe hierzu: Salomé: Ouragan (wie Anm. 6), S. 141–145. Rapports officiels et complets (wie Anm. 66), S. 4, 13, 16, 20, 21, 26, 28, 29, 31. Ebd., S. 4. Ebd., S. 11.
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der Polizei-Präfekt, die öffentliche Sicherheit und Ruhe aufrechtzuerhalten und Aufstände zu verhindern […] es ist aber unmöglich zu erraten, was sich im Kopf eines Menschen abspielt.83 Dass Dubois’ Dossier jedoch eine falsche Fährte verfolgte, legte wenige Wochen später der ebenfalls zwischenzeitlich unter erheblichen Druck geratene Ex-Jakobiner Fouché in einem wiederum in den Zeitungen abgedruckten eigenen Ermittlungsbericht dar. Dieser wies nämlich richtigerweise nach, dass es sich eindeutig um ein royalistisches Attentat handeln müsse.84 Der Bericht räumte so nicht nur mögliche Zweifel an Fouché als Polizeiminister aus. Er demonstrierte in der minutiösen Darlegung der Ermittlung der Attentäter und ihrer Komplizen ebenfalls Handlungsfähigkeit und Situationskontrolle der polizeilichen Ermittler. Dabei räumte er jedoch weniger der Überwachung und Unterwanderung der Verschwörung größte Bedeutung ein. Er sollte vor allem die kriminalistischen Fähigkeiten von Fouchés Geheimagenten in Szene setzen und führte dabei Praktiken der unfehlbaren forensischen Rekonstruktion und Darlegung von Evidenz vor Augen. Letztlich brachte auch der relativ neue Verbrechenstypus des Sprengstoffanschlages neuartige, zunächst unwahrscheinliche Ermittlungstechniken hervor. Die Überreste und die Spuren des Verbrechens schienen ausgelöscht oder verschollen durch die Gewalt der Explosion. Dagegen wurden alle Trümmer, von denen die Straße bedeckt war, bewahrt und befragt. Daraus konnten dann mehr Erkenntnisse fließen, als man sich jemals davon erhofft hätte. Dingliche Spuren, die scheinbar unbrauchbaren Überreste der machine infernale oder der Kadaver eines bei der Explosion verendeten Pferdes waren nun forensisches Beweismaterial, die richtig ‚befragt‘ und kombiniert, auf die Spur der Täter führten. Die Ermittlungen führten dann zu wachsamen Zeugen, die Aussagen über die Käufer der Bestandteile der Sprengvorrichtung und andere scheinbar beiläufige Vorbereitungshandlungen zuließen, was schließlich die Identifizierung der wahren Verschwörer und der Hintergründe ihrer Taten ermöglichte.85 Fouchés Bericht gab sich seiner Sache so sicher, dass er behauptete, es gab noch nie wohlbekanntere und besser enttarnte Verbrecher. Die hier ohne Befragung der Täter von den Kriminalen dokumentierte Beweiskette machte weitere Untersuchungen und 83 84
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Une bonne police consiste à maintenir la sûreté et la tranquillité publique et à prévenir les séditions . Mais il est impossible de deviner ce qui de passe dans la tête d’un homme, Antoine-Claire Thibaudeau: Mémoires sur le Consulat, 1799 à 1804. Par un ancien conseiller d’État, Paris 1827, S. 27–28. [Joseph Fouché]: Rapport aux consuls de la République sur les auteurs de l’attentat du 3 nivôse, Paris 1801; Vgl. Le Moniteur universel, Nr. 132, 12. Pluviôse IX (= 2.1.1801), S. 549. Boudon: Empire des Polices (wie Anm. 4), S. 70. Zu den Vorwürfen an Fouché wegen dessen Vergangenheit: Tulard: Fouché (wie Anm. 4), S. 151–154. Les débris et les traces du crime semblaient avoir été effacées ou emportées dans la violence de l’explosion; cependant tous les débris dont la rue était semée, furent conservées et interrogés, et on en vit sortir bientôt plus de lumière qu’on n’en espérait, [Fouché]: Rapport aux consuls de la République (wie Anm. 84), S. 6. Von forensischen Evidenzen war freilich auch in Dubois’ Dossier die Rede. Ein als Experte tätiger Ingenieur bestätigte anhand von machine infernale, dass die Attentäter scheinbar mit dem Massenmord kalkulierten. Die Maschine sei geeignet pour blesser et même tuer indistinctement une grande quantité des personnes réunies, Rapports officiels et complets (wie Anm. 66), S. 24.
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Verhöre auch gegen noch nicht gefangengesetzte Mitverschwörer geradezu überflüssig: Selbst ihre Geständnisse können den Beweisen, die existieren, nichts hinzufügen.86 Mit der Enthüllung als royalistische Verschwörung wurde im selben Bericht zugleich ein zentraler Topos aus dem verschwörungstheoretischen Repertoire der Revolutionszeit aufgerufen. Denn die Attentäter waren nicht nur Befehlsempfänger royalistischer Rebellenführer, als solche waren sie für Fouché zugleich Teil einer ausländischen, namentlich britischen Verschwörung.87 Triebkraft hinter dem Attentat sei nämlich die politisch und militärisch von Frankreich erfolgreich unter Druck gesetzte Regierung in London. Erst nach eingehender Beratung mit dem englischen Agenten Jean Guillaume Hyde de Neuville hätten die Royalisten überhaupt entschieden, einen Anschlag auf Bonapartes Leben zu verüben. Hyde de Neuville wiederum, so der Bericht, sei eine Figur, die man in der Korrespondenz des comité anglais auftauchen sah.88 Damit verwies Fouché als konkreten Ausgangspunkt für die Unterstellung einer ausländischen Verschwörung nicht nur auf ein mit dem royalistischen Widerstand kooperierendes britischen Agenten-Netzwerk, ebenjenes comité anglais, sondern auch auf eine weitere aus polizeilichen Ermittlungen hervorgegangene publizierte Dokumentation einer Verschwörung gegen Bonaparte. Fouchés Geheimpolizei war es nämlich gelungen, einen Teil der Korrespondenzen des Netzwerks zu beschlagnahmen, welche die Regierung kurz vor dem Anschlag vom 3. Nivôse veröffentlichen ließ.89 Aus der Auswertung der Papiere ergab sich tatsächlich ein konkreter Versuch der Unterwanderung des französischen Verwaltungs- und Sicherheitsapparates durch eine sogenannte royalistische contre-police. In deren Umkreis wurde dann auch eine aber nur vage definierte gewaltsame Aktion (frapper) gegen Bonaparte diskutiert.90 Die Veröffentlichung der Korrespondenzen hatte den nachhaltigen Effekt zur weiteren Diskreditierung der Royalisten als britische Kollaborateure beizutragen. Denn weite Teile der Pariser Bevölkerung betrachteten bereits vor Fouchés Ermittlungsbericht bald nach dem Anschlag in der Rue St. Nicaise, weiteren Polizeiberichten zufolge, das Attentat als Machination des zu jeder Hinterlist fähigen Premierministers Pitt. Dazu bezog man sich auch auf die veröffentlichten Korrespondenzen, die bereits genug aussagekräftige preuves morales für eine royalistische Verschwörung mit britischer 86
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Leurs aveux même ne peuvent rien ajouter aux preuves qui existent […] s’il n’y eut jamais un forfait plus horrible, il n’y eut jamais non plus de scélérats mieux dévoilés et mieux connus [Fouché]: Rapport aux consuls de la République (wie Anm. 84), S. 9. Bezeichnenderweise wurde einer der Editionen der Prozess-Akten auch Fouchés Bericht vorangestellt; Procès instruit par le tribunal criminel […], vol. 1, Paris 1801, S. v–xi. Zum Topos der ausländischen Verschwörung, siehe: Mathiez: La Conspiration de l’étranger (wie Anm. 2). Le même personnage qu’on a vu figurer dans la correspondance du comité anglais; [Fouché]: Rapport aux consuls de la République (wie Anm. 84), S. 4. Siehe das gedruckte Dossier mit der beschlagnahmten Korrespondenz in: Conspiration Anglaise, Paris 1800. Précis de la Correspondance d’Angleterre à Paris, et de Paris en Angleterre, in: Conspiration Anglaise (wie Anm. 89), S. 1–12, hier: S. 4–8.
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Unterstützung böten.91 Allerdings waren auch für diese Veröffentlichung verschiedene kommunikative Anschlüsse möglich: An sie ließen sich einerseits alarmistische Bedrohungsszenarien knüpfen, sodass nicht nur Fouché alle möglichen Attentats- und Umsturzpläne mit dem comité anglais in Verbindung brachte, sondern auch die parlamentarischen Verfechter einer gegen den royalistischen Widerstand gerichteten Sondergerichtsbarkeit energisch auf das aus den ‚geleakten‘ Korrespondenzen hervorgehende Bedrohungspotential verwiesen.92 Die vom Innenminister geleitete Untersuchungskommission, deren Bericht ebenfalls mit abgedruckt wurde, legte jedoch eine andere Interpretation nahe. Die Aufdeckung der Verschwörung und die Publikation ihrer Papiere demonstriere nicht nur Handlungsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit einer von solchen Intrigen eben nicht irritierbaren Regierung. Auch führte die Korrespondenz gerade die Unfähigkeit der Verschwörer, die politische Ordnung zu gefährden, deutlich vor Augen und zeige wie klein deren Zahl, wie schwach ihre Mittel sind, wenngleich sie nicht zimperlich sind bei deren Auswahl, wie chimärisch das Ziel auch ist, das sie zu erreichen vermeinen.93
IV. Der Attentatsversuch des Friedrich Staps und das Problem des fanatischen Einzeltäters Während sich der Anschlag mit der Machine Infernale in ein während der Revolutionszeit eingespieltes Deutungsmuster als Verschwörung fanatisierter Gewaltverbrecher mit ausländischer Unterstützung einordnen ließ, deren Verfolgung partiell öffentlich wurde, hatten es die französischen Polizeibehörden im Kontext der Besatzungsregime des Empire mit einem neuen Typ von Attentätern zu tun, der anderer Deutungsmuster und Verfolgungspraktiken bedurfte. Als sich im Herbst 1809, während der Friedensverhandlungen nach dem Fünften Koalitionskrieg Napoleon Bonaparte, nunmehr der siegreiche Kaiser der Franzosen, im Schloss Schönbrunn aufhielt, reiste Friedrich Staps, Sohn eines sächsischen Predigers nach Wien, um ihn unter dem Vorwand, eine Bittschrift überreichen zu wollen, mit einem großen Küchenmesser zu ermorden. Nachdem die Entourage des Kaisers das Attentat in letzter Minute verhindert hatte, gab der festgehaltene Staps unumwunden zu, den Kaiser im göttlichen Auftrage töten zu wollen. Seinem Vaterland wollte er so Frieden und Freiheit von französischer Besatzung verschaffen. 91
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Tableau de la Situation de Paris du 12 Nivôse IX [11. Nivôse IX (= 2.1.1801)], in: Aulard (Hg.): Paris sous le Consulat (wie Anm. 9), S. 110. Tableau de la Situation de Paris du 19 Nivôse IX [18. Nivôse IX (= 9.1.1801)], in: Ebd., S. 120. Zur delegitimierenden Wirkung der Veröffentlichung der Korrespondenzen siehe auch: Bertaud: Napoléon et les Royalistes (wie Anm. 14), S. 83. Rapport du ministre de la police général, aux consuls, in: Moniteur Universel, Nr. 33, 3. Brumaire IX (= 25.10.1800), S. 126; Moniteur Universel, No. 138, 18. Pluviôse IX (= 7.2.1801), S. 574. Combien leur moyens sont faibles, quoiqu’ils ne soient pas scrupuleux sur le choix, combien est chimérique le but auquel ils prétendent arriver; Précis de la Correspondance (wie Anm. 90), S. 12.
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Inwiefern die Episode direkte politische Konsequenzen hatte, indem sie den Abschluss des Schönbrunner Friedens beschleunigte, Napoleon bewog, die Besatzungspraxis in den deutschen Staaten zu überdenken und zur Absicht beitrug, durch die Heirat mit der österreichischen Prinzessin Marie-Louise die Errichtung einer dynastischen Erbmonarchie anzustreben, lässt sich nicht mit Bestimmtheit feststellen.94 Im Hinblick auf Folgen und Hintergründe des Attentatsversuches, der Täterwahrnehmung und Deliktisierung als auch bezüglich der Publizität des Attentats finden sich hier jedoch signifikante Unterschiede im Vergleich zu den oben behandelten Akten politischer Kriminalität, die hier kontrastierend analysiert werden sollen und auf einen eigenen Typus politischer Kriminalität verwiesen. Zunächst einmal ließ sich dieses Attentat, trotz vereinzelter dahingehender zeitgenössischer Spekulationen, nicht plausibel auf eine Verschwörung zurückführen.95 Vielmehr schienen sich die meisten Akteure im Umfeld des Kaisers einig zu sein, dass es sich bei Staps um einen ‚selbstradikalisierten’, mehr oder weniger verwirrten Einzeltäter handelte. Ebenso wurde die Frage nach der Publizität des Attentats von französischer Seite eindeutig entschieden. Der Attentatsversuch sollte keinerlei Öffentlichkeit bekommen, sondern vielmehr geheim bleiben. Dies entsprach einer im Gefolge der Cadoudal-Verschwörung auch mithilfe einer nun zunehmend effektiven Pressekontrolle durchgesetzten Strategie, politische Kriminalität lieber totzuschweigen, als ihr mit öffentlicher Sanktionierung und Verdammung eine Öffentlichkeit mit möglicherweise unintendierten Konsequenzen zu verschaffen.96 Dementsprechend instruierte der Kaiser Joseph Fouché unmittelbar nach der Tat: Ich hoffe, dass es nicht nach außen dringt. Wenn davon die Rede sein sollte, so müsste man dieses Individuum als verrückt hinstellen.97 Staps sollte also, wenn die Geheimhaltung nicht funktionierte, als wahnsinnig dargestellt werden. Die bekannte Behauptung, das napoleonische Regime habe Oppositionelle schlicht willkürlich in Irrenspitäler einsperren lassen und politische Kriminalität rein opportunistisch pathologisiert, ist mittlerweile erheblich relativiert worden. Nicht nur wurde hier die Polizei in aller Regel erst auf Initiative von Angehörigen tätig, ebenso bedurfte es zumindest einer rudimentären glaubwürdigen medizinischen Begutachtung.98 Dies scheint auch im Falle Staps geschehen und ergebnislos gewesen zu sein99; trotz des ex94 95
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Jean Tulard: Napoléon. Jeudi 12 octobre 1809, le jour où Napoléon faillit être assassiné, Paris 1994, S. 133–144. Napoleon spekulierte offenbar über einen von österreichischen oder preußischen Hoffaktionen durchgeführten Attentatsversuch, vgl. Mémoires du Général Rapp, hrsg. v. Jean-Antonin Bulos, Paris 1823, S. 145, während der französische Geheimagent Toussaint Staps im Umfeld einer in Preußen und im Königreich Westphalen operierenden Verschwörung vermutete, siehe [Bericht des Charles B. Toussaint], Wien, 27.10.1809 (AN, AF/IV/1676, pl. 1, fol. 94). Trinkle: Napoleonic Press (wie Anm. 62), S.70–71; Cabanis: Press (wie Anm. 63), S. 219–220. J’espère qu’il ne pénétrera pas; s’il en était question, il faudrait faire passer cet individu pour fou. Napoleon I. an Fouché, Schönbrunn, 12.10.1809, in: Correspondance de Napoléon Ier, Bd. 19, Paris 1866, S. 572. Siehe etwa Michael D. Sibalis: Un aspect de la légende noire de Napoléon: le mythe de l’enfermement des opposants comme fous, in: Revue de l’Institut Napoléon 156 (1991), S. 9–26. Vgl. etwa: Mémoires du Général Rapp, hrsg. v. Jean-Antonin Bulos, Paris 1823, S. 144; Pierre-Marie Desmarest: Témoignages historiques, ou quinze ans de haute police sous Napoléon, Paris 1833, S.
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altierten Fiebers, das der Kaiser erkannt haben wollte.100 Ebenso bekräftige Staps trotz aller Gnadenangebote seine von ihm rationalisierte Tötungsabsicht. Diese machte es unmöglich, ihn als unzurechnungsfähigen Wahnsinnigen zu behandeln.101 Insofern wurde hier das vergleichsweise weiche Unterscheidungskriterium „krank/gesund“ durchaus ernstgenommen. Allerdings lag es dem Regime dennoch keineswegs fern, den zugeschrieben ‚Irrsinn‘ des Täters sehr wohl mit der opportunistischen Absicht einer diskreten und pragmatischen Entpolitisierung des Attentats zu verbinden. Dies zeigt der der Fall eines weiteren verhinderten Kaiser-Attentäters, Ernst Christoph August von der Sahla. Der aus einer einflussreichen sächsischen Familie stammende von der Sahla102 reiste 1811 offenbar mit der Absicht, ein Attentat auf den Kaiser zu verüben, nach Paris. Dort wurde er von der bereits vorab informierten Polizei festgesetzt. Dabei sei man, so berichten es die Memoiren von Fouchés Nachfolger Anne-JeanMarie-René Savary, über sein schwaches Gehirn und die Folgen seiner Epilepsie sowie der gescheiterten Therapieversuche auf seinen Geisteszustand vorab informiert gewesen.103 Der Kaiser selbst traf schließlich die Anordnung, den verhinderten Attentäter nicht hinrichten, sondern als seelisch Kranken ins Spital nach Vincennes zu verlegen, um ihm die Pflege, die sein Kopf zu benötigen scheint, zukommen zu lassen. Auch hier machte der Kaiser selbst das politische Kalkül hinter dieser Maßnahme transparent. Es sei schlicht nicht opportun, die Angelegenheit mit éclat zu bestrafen. Man würde später bereuen, einen Wirrkopf geopfert und eine angesehene Familie in Trauer gestürzt zu haben.104 Hier ging es also nicht nur um eine kalkuliert entpolitisierende Strategie von Geheimhaltung und Pathologisierung, sondern offenbar auch um kalkulierte Rücksicht auf Befindlichkeiten von Eliten in den Rheinbund-Staaten. In späterer rückblickender Perspektive waren Memorialisten wie Fouchés Nachfolger Savary oder der hohe Polizeibeamte Pierre Marie Desmarest der Meinung, der auch nicht von einem regulären Gericht sondern im Schnellverfahren von einem Militärtribunal abgeurteilte, erschossene und anonym bestattete Staps hätte eine solche gnädige Behandlung weit eher verdient als Sahla. Die hartnäckige und perfide Akribie, mit der dieser seine Pläne verfolgte und seine angebliche kalkulierte Konversion zum Katholizismus ließen Zweifel an seiner Unzurechnungsfähigkeit aufkommen.105 Mög-
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245; Anne-Jean-Marie-René Savary, Mémoires pour servir à l’histoire de l’empereur Napoléon, Paris 1828, S. 224. Napoleon I. an Fouché, Schönbrunn, 12.10.1809, in: Correspondance de Napoléon Ier (wie Anm. 97), S. 572. Mémoires du Général Rapp (wie Anm. 99), S. 145–146; Savary: Mémoires (wie Anm. 99), S. 225. Gaubert: Conspirateurs (wie Anm. 4), S. 278–286; Roman Töppel: Sahla, Ernst Christoph August von der, in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V. Online-Ausgabe: http://www.isgv.de/saebi/ [Letzter Zugriff: 6.4.2019]. Savary: Mémoires (wie Anm. 99), S. 99, 374. Mettez-le à Vincennes, faites-lui donner les soins dont il paraît sa tête a besoin […] Il ne faut point ébruiter cette affaire, afin de n’être obligé de la finir avec éclat […] on serait aux regrets d’avoir immolé un étourdi et plongé une famille estimable dans un deuil; ebd., S. 102. Vgl. hierzu die in den 1820er Jahren virulente kriminalpsychologische Debatte um die Koexistenz von Wahnsinn und verstandesklarer krimineller Energie, siehe: Jürgen Martschukat: Von Seelen-
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licherweise unter dem Eindruck einer neuen Konjunktur anti-jesuitischer Verschwörungs-Theorien im Frankreich der 1820er Jahre insinuierte Savary in seinen Memoiren auch Einflüsterungen durch einen Jesuiten-Pater im Vorfeld der Tat.106 Im Fall Staps stellte der Wegfall sowohl einer ausmachbaren Verschwörung als auch patenten Wahnsinns als Erklärungsmuster sowohl die direkt beteiligten Zeitgenossen als auch die späteren Memoirenschreiber vor die Frage nach seinen Motiven und Antrieben aber auch nach seinem geistigen Zustand. Der mit Staps’ Verhör betraute Polizeiagent Charles-Louis Schulmeister akzeptierte etwa, dass Staps wohl kein Teil einer Verschwörung war und fragte ihn nach möglichen historischen Vorbildern sowohl aus der antiken Geschichte, bspw. Brutus oder aus der jüngsten französischen Geschichte (Charlotte Corday, Georges Cadoudal) oder nach auf intensive Lektüre von Romanen oder Dramen zurückgehende irregeleitete Selbstentwürfe, die Staps’ Attentatspläne erklären konnten.107 Staps’ Antworten deuteten jedoch auf eher rudimentäre historische Bildung und wenig Kenntnis belletristischer Literatur hin. Was sich allerdings eruieren ließ, war eine tiefsitzende religiöse Überzeugung, dass seine Aktion notwendig und vor Gott gerechtfertigt sei und dieser ihn im Jenseits belohnen werde; was Staps auf Nachfrage freilich selbst als eine von seiner angestammten lutherischen Konfession abweichende conviction intime auswies.108 Auch Savary und Desmarest sprechen in ihren Memoiren von diesen fixen religiösen Ideen als einer wahrhaften Krankheit bzw. einer maladie morale, pathologisierten die Tat also und schlossen gerade deshalb einen direkten konspirativen Hintergrund aus. Denn die Art von Delirium, die diesen unglücklichen jungen Mann beherrschte, pflegt gemeinhin in der Einsamkeit zu entstehen.109 Dies ließ Staps gerade nicht als monströsen und enthemmten Attentäter oder gar habituellen Verbrecher erscheinen, sondern die Memoiren berichteten von einem sanftmütigen und höflichen jungen Mann, der eher Mitleid aber auch eine gewisse Sympathie für die Naivität seiner Überzeugungen hervorrief. In einer auch geschlechtergeschichtlich interessanten Wendung wollte Savary in Staps’ Äußerem weibliche Züge erkannt haben, während Desmarest auf die von religiösen und patriotischen Emotionen durchdrungene Jeanne d’Arc als historische Referenz für die Deutung seiner Tat zurückgriff.110 Hinter dem in diesem Kontext etwas obskur anmutenden Verweis auf
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krankheiten und Gewaltverbrechen im frühen 19. Jahrhundert, in: Richard van Dülmen/ Erhard Chvojka/ Vera Jung (Hgg.): Neue Blicke. Historische Anthropologie in der Praxis, Köln /Weimar/ Böhlau 1997, S. 223–247, hier S. 227–228. Savary: Mémoires (wie Anm. 99), vol. 4, S. 374; Zu anti-jesuitischen Verschwörungstheorien im Frankreich der Restaurationszeit Geoffrey Cubitt: The Jesuit Myth. Conspiracy theory and politics in nineteenth century France, Oxford 1993, S. 55–104. Verhöre und persönliche Dokumente von Staps finden sich abgedruckt bei Edouard Gachot: Un Régicide Allemand. Frédéric Staps, in: Revue des Études Napoléoniennes 18 (1922), S. 181–202, hier S. 193–194. Ebd., S. 186, S. 189. Le genre de délire qui dominait ce malheureux jeune homme prend ordinairement naissance dans la solitude; Savary: Mémoires (wie Anm. 99), S. 370; Desmarest: Témoignages (wie Anm. 99), S. 251. Savary: Mémoires (wie Anm. 99), S. 221; Zum Topos geschlechtlicher Uneindeutigkeit politischer Attentäter im frühen 19. Jahrhundert, siehe: Sylvia Schraut: „Wie der Hass gegen den Staatsrath
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Jeanne d’Arc, die im frühen 19. Jahrhundert für die romantische Vorstellung einer individuellen Absorption kollektiver Stimmungen und Ideen stand111, verbarg sich jedoch eine interessante und sehr aktuell anmutende soziale Kontextualisierung des Einzeltäters Staps. Denn es sei nicht zuletzt die aggressive und medial vermittelte patriotische Rhetorik deutscher Fürsten, Publizisten und organisierter Widerständler gewesen, die einem gesellschaftlichen Klima Vorschub geleistet hätten, in dem ein beeinflussbarer, mit eigenwilligen religiösen Anschauungen familiär sozialisierter naiver Schwärmer wie Staps zu einem politischen Attentat verleitet wurde.112 Völlig konträr zu den Intentionen der französischen Geheimhaltungsstrategie transformierte sich jedoch bald im Kontext des patriotischen Taumels der Befreiungskriege die in der Zwischenzeit nach außen gedrungene Staps-Episode in genau jenen Kreisen, deren Rhetorik die französischen policiers für Staps’ Radikalisierung verantwortlich machten, in einen politischen Helden- und Märtyrer-Mythos. Nachdem August von Kotzebues Russisch-deutsches Volksblatt auf den Napoleon-Attentäter aufmerksam gemacht hatte113, suchte der Allgemeine Anzeiger der Deutschen 1814 fieberhaft die Identität des zunächst anonymen Freiheitshelden ausfindig zu machen. Das diffuse Halbwissen über den Fall machte Staps umso mehr zu einer Projektionsfläche. Er konnte nun als heroischer, furchtloser und viriler Patriot inszeniert werden. Dabei spielte auch eine Rolle, dass er die Zurückweisung der Kennzeichnung als Wahnsinniger als billiges Gnadenangebot abgelehnt und sich damit als Märtyrer zur ‚Wahrheit‘ der Sache der Patrioten bekannt hatte.114 Schließlich identifizierte Staps’ Vater seinen Sohn als den verhinderten Attentäter und kam später auch der Aufforderung nach, mit einer Lebensbeschreibung die Erinnerung an den heldenhaften nationalen Märtyrer aufrechtzuerhalten.115 Inwiefern die einen sensiblen aber ansonsten unauffälligen jungen Mann beschreibende Biographie diesen Zweck erfüllen konnte, ist unklar. Die Mythisierung des von französischer Seite verheimlichten Attentats und des hingerichteten Staps als Musterbild eines mit äußerster Entschlossenheit den Helden- und Märtyrertod sterbenden Freiheitshelden hatte sich jedoch ohnehin bereits weitgehend verselbständigt.116
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von Kotzebue, und der Gedanke, ihn zu ermorden, in Sand entstand“. Ein politischer Mord und seine Nachwirkungen, in: Christine Hikel / Dies. (Hgg.): Terrorismus und Geschlecht. Politische Gewalt in Europa seit dem 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2012, S. 145–169, hier S. 160–161. Zur Rezeption der Jungfrau von Orléans als Freiheitsheldin und romantisch-religiös verklärter Spiegel der „Volksseele“ im Frankreich des frühen 19. Jahrhunderts siehe: Michel Winock: Art. „Jeanne d’Arc“, in: Pierre Nora (Hg.): Erinnerungsorte Frankreichs, München 2005, S. 365–410, hier S. 371–372. Desmarest: Témoignages (wie Anm. 99), S. 251. „Der deutsche Brutus“, in: Russisch-deutsches Volksblatt, Nr. 26, 29.5.1813. „Wie heißt der herrliche Jüngling?“, in: Allgemeine Anzeiger der Deutschen, Nr. 167, 22.7.1814, Sp. 1749. [Friedrich Gottlob Staps]: Friedrich Staps: Erschossen zu Schönbrunn, bei Wien, auf Napoleons Befehl im October 1809, Berlin 1843; Allgemeiner Anzeiger der Deutschen, Nr. 222, 20.9.1814, Sp. 2396–2397. Siehe etwa: Christian Vollrath von Sommerlatt: Züge teutschen Muthes und Hochsinns nebst ei-
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V. Zusammenfassung Fassen wir die Befunde des Textes kurz zusammen: Erstens kann das Bombenattentat in der Rue St. Nicaise, wiewohl späteren Akten des Terrorismus phänomenologisch durchaus ähnlich, in Motivation und diskursiver Verarbeitung nicht eindeutig als politisches Attentat „neuen Typs“ eingeordnet werden. Während auf der einen Seite Verunsicherung und „Terrorisierung“ der Bevölkerung zu prominenten Gegenständen der Diskussion über die Folgen des Attentats wurden und diese als Opfer inszeniert wurde, griff man auf der anderen Seite auf etablierte, während der Revolution in vielerlei Hinsicht nur modifizierte semantische und symbolische Repertoires der Verarbeitung von Herrscherattentaten im Ancien Régime zurück, die an einen bonapartischen Heroen- und Retter-Mythos anschlossen und die Tat als knapp abgewendeten Herrschermord mit einem im Unterschied zur alten Monarchie mitimplizierten drohenden Kollaps politischer Ordnung deuteten. Zweitens trug das Attentat dazu bei, länger- und mittelfristige Dynamiken der Versicherheitlichung zu kanalisieren, nicht nur ein verstärkter Anspruch auf Deutungshoheit über politische Kriminalität beobachten, ebenso wurden Ermittlungsberichte und Kriminaluntersuchungen einer Medienöffentlichkeit zugänglich gemacht, wobei die Öffentlichkeitsstrategien opportunistisch zwischen der Inszenierung von obrigkeitlicher Situationskontrolle und Sicherheit und der Rest-Kontingenz anhaltender Bedrohungspotenziale changierte. Dabei „externalisierten“ die veröffentlichten Berichte die Attentäter und Verschwörer anhand von während der 1790er Jahre eingespielten konventionalisierten Verbrechensszenarien als radikalisierte habituelle Gewaltverbrecher und soziale Außenseiter oder als Werkzeuge einer vom britischen Kriegsgegner gesteuerten Verschwörung. Drittens verweist der spätere Fall Staps auf ein gänzlich anderes Muster der Konstruktion und Zuschreibung von politischen Attentaten. Der Fall sollte gerade keine Öffentlichkeit bekommen und die politischen Intentionen ließen sich von französischer Seite zeitgenössisch und in der Rückschau nicht ohne Rückgriff auf semantische Register der Pathologisierung thematisieren, während zugleich der allgegenwärtige Verschwörer-Topos durch das Sprechen über ein diskursives und soziales Klima ersetzt wurde, in dem sich Täter mit einer Disposition zu einem schwärmerisch-religiösen Fanatismus radikalisieren konnten.
nigen Gedichten verschiedenen Inhalts, Ulm 1823, S. 163–165; [Karl Julius Weber]: Deutschland, oder Briefe eines in Deutschland reisenden Deutschen, Stuttgart 1826, S. 326.
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Informationen über Verschwörungen? Entscheiden in Fragen der ‚Inneren Sicherheit‘ im britischen Parlament (1811–1819) Matthias Friedmann & André Krischer In diesem Aufsatz soll anhand von drei Beispielen gezeigt werden, wie im englischen Parlament Gesetze zur Stärkung der ‚inneren‘ oder nationalen Sicherheit verabschiedet und dabei diffuse Informationslagen im vermeintlich sicheres Wissen transformiert wurden. Man könnte dieses Problem auch als Beitrag zur Emergenz eines Politikfelds – ‚Innere Sicherheit‘ – behandeln, aber das kann hier nicht geleistet werden.1 Vielmehr geht es darum, wie die politische Spitze Großbritanniens – Regierung und Parlament – Unruhen als das Ergebnis von Verschwörungen deutete und daraufhin schärfere Gesetze verabschiedete, die die konspirationistischen Deutungen sanktionierten, reproduzierten und festschrieben. Im Kontext dieses Bandes steht damit eine andere soziale Ebene unter Beobachtung: Es geht nicht um rechtliche Reaktionen auf (oder Konstruktionen von) Verschwörungen, sondern um politische. Die politische Ebene konnte nicht, wie ein Gericht, politische Kriminalität unmittelbar sanktionieren, aber doch den Rahmen dafür setzen, wie damit umgegangen werden konnte und sollte. Die politische Verhandlung von Bedrohungslagen sorgte zudem für einen Bedeutungsüberschuss, die Debatten drehten sich um die als gefährdet beschriebene ‚Lage der Nation‘ und adressierten mit entsprechenden Botschaften eine weitere Öffentlichkeit. Im Untersuchungszeitraum wies dieser parlamentarische Öffentlichkeitsbezug durchaus alarmistische Züge auf und verstärkte die verbreitete Sorge vor revolutionären Umstürzen durch Jakobiner, Ludditen und Chartisten. Hier interessiert aber vor allem die Frage, wie das Parlament die in Frage stehenden Vorgänge: die Ludditen-Unruhen von 1811/1812, die Spa-Fields-Riots von 1816/1817 sowie das Peterloo Massacre von 1819, überhaupt zur Kenntnis nehmen konnte. Es geht nicht um die Frage, wann und wie die einzelnen Parlamentarier von den Vorkommnissen gehört oder gelesen hatten, sondern wie diese in mediale Formaten überführt wurden, die für parlamentarische Verfahren anschlussfähig waren. Dahinter steht die auf Niklas Luhmann zurückgehende Beobachtung, dass Verfahren nicht beliebige, sondern nur spezifisch codierte Informationen als relevant markieren und berücksichtigen können (zumindest in formaler Weise).2 Vor Gericht konnten Zeugen derartige Informationen 1 2
Vgl. dazu für die Bundesrepublik Stephan Scheiper: Innere Sicherheit. Politische Anti-Terror-Konzepte in der Bundesrepublik Deutschland während der 1970er Jahre, Paderborn 2010. Vgl. dazu am Beispiel gerichtlicher Verfahren und mit weiterer Literatur André Krischer: Die Macht des Verfahrens. Englische Hochverratsprozesse 1554–1848 (= Verhandeln, Verfahren, Entscheiden Bd. 3), Münster 2017, S. 58.
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liefern. Welche medialen Äquivalente wurden dazu im Parlament genutzt? Wie wurden auf der Grundlage spezifisch codierter Informationen Entscheidungssituationen gerahmt sowie Argumentationsspielräume erzeugt und zugleich begrenzt? Diese drei Fälle wurden bisher vor allem unter sozialgeschichtlichen Fragestellungen untersucht.3 Im Fokus standen die Beweggründe und Organisationsformen der Arbeiter. Die Reaktionen der Obrigkeit wurden hingegen relativ einseitig beschrieben: als Repressionsversuche oder panikartige Reaktionen. Ihr Ziel soll vornehmlich darin bestanden haben, die eigene Machtbasis zu wahren und Reformen zu unterdrücken. Die Informationsbasis, auf der die politischen Debatten beruhten – zumeist handelte es sich sich dabei um Berichte und Dossiers aus dem Home Office –, wurden als Teil von Überwachungsmaßnahmen beschrieben, wobei stillschweigend vorausgesetzt wird, dass sie als Grundlage der getroffenen Entscheidungen fungierten.4 Wenn also von Informationen die Rede ist, dann geht es nicht darum, einen ‚Informationsfluss‘ nachzuzeichnen und die Nutzung von Informationen als rational oder irrational zu qualifizieren. Wir fragen auch nicht nach ihrem Wahrheitsgehalt. Es geht uns stattdessen um die Frage, wie Informationen dazu beitrugen, die Aufstände auf konspiratives Handeln zurückzuführen. Es soll gezeigt werden, wie verschwörungstheoretische Deutungen nicht trotz, sondern gerade auch wegen einer guten Informationsbasis entstehen konnten.5 Die drei Beispiele umspannen einen recht kurzen Zeitraum, was den Vorteil hat, dass die entscheidenden Akteure – also die Members of Parliament – weitgehend identisch blieben. Außerdem wurden in allen drei Fällen 3
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Besonders die Ludditen standen dabei im Fokus, zuletzt bei Katrina Navickas: Luddism, Incendiarism and the Defence of Rural ‚Task‐Scapes‘ in 1812, in: Northern History 48 (2011), S. 59–73; dies.: The Search for ‚General Ludd‘: The Mythology of Luddism, in: Social History 30 (2005), S. 281–295; Kevin Binfield: Ned Ludd and Laboring‐Class Autobiography, in: Romantic autobiography in England, hg. v. Eugene L. Stelzig, Farnham 2009, S. 161–177; Ders.: Writings of the Luddites, Baltimore 2004. Bei John Brewer heißt es dazu: „This information was not, of course, assembled out of curiosity and inquisitivness. It was gathered with a number of particular ends in mind“, ders.: The Sinews of power. War, money and the English state, 1688–1783, London/ Boston/ Sydney 1989, S. 221ff. Katrina Navickas reagierte die Obrigkeit auf Informationen über die Ludditen „panicked if not severe“, dies.: Luddism, Incendiarism and the Defence of Rural ‚Task‐Scapes‘ in 1812, in: Northern History 48 (2011), S. 59–73, hier S. 59. Zur frühneuzeitlichen Informationskultur und dem Zusammenhang von Informationen und Entscheiden vgl. hingegen auch allg. Arndt Brendecke: Imperium und Empirie. Funktionen des Wissens in der spanischen Kolonialherrschaft, Köln 2009; ders./ Markus Friedrich/ Susanne Friedrich (Hgg.): Information in der Frühen Neuzeit. Status, Bestände, Strategien (= Pluralisierung & Autorität, Bd. 16), Berlin 2008; speziell zu England: Edward Higgs: The information state in England. The central collection of information on citizens since 1500, Basingstoke 2004; Peter Jupp: The governing of Britain, 1688–1848. The executive, Parliament and the people, London 2006, S. 207f. Wir verstehen Verschwörungstheorien in Anlehnung an Richard Hofstadter als „paranoid style“. Damit ist keine psychologische Disposition gemeint. Vielmehr habe der “paranoid style […] to do with the way in which ideas are believed and advocated rather than with the truth or falsity of their content.” Richard Hofstadter: The paranoid style in American politics. And other essays, New York 1965, S. 5.
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vergleichbare Gesetze verabschiedet: Der Besitz von Waffen und das Leisten von Eiden wurden mehrfach unter Strafe gestellt und die Magistrate erhielten temporär die Befugnis, Häuser zu durchsuchen. Schließlich basierten alle Debatten auf Berichten von Magistraten, militärischen Befehlshabern oder gar gezielt eingesetzten Spitzeln, die vom Home Office seit den 1790er Jahren gesammelt wurden.6 Anhand dieser Berichte wurde die Notwendigkeit von Maßnahmen diskutiert und es wurde bewertet, inwiefern eine Gefahr für das Land vorlag, ob neue Gesetze notwendig waren oder ob die bestehenden ausreichten. Diese Berichte waren allerdings nicht die Ergebnisse von polizeilichen Untersuchungen, sondern basierten auf zufälligen Beobachtungen und Hörensagen. Bisweilen wurden sie auch von Spitzeln erheblich überarbeitet und dramatisiert.7 Diese Berichte waren die wesentlichen Quellen, über die die Regierung erfuhr, was in den anderen Teilen des Landes vor sich ging.8 Trotz ihrer – auch zu der Zeit schon diskutierten – Unzuverlässigkeit bestärkten sie die Regierung in der Ansicht, dass hinter den Vorkommnissen verschwörerische Umtriebe am Werk waren, deren Ziele darin bestanden, die politische Ordnung revolutionär zu stürzen.
I. Der Ludditen-Aufstand, 1812 Seit November 1811 erhielt das Home Office unter Lord Sidmouth beunruhigende Berichte von den Magistraten der Regionen Lancashire, West Riding of Yorkshire und Nottinghamshire. Die Berichte darüber waren so zahlreich, dass man im Home Office später sogar eine separate Akte unter dem Namen disturbance correspondence anlegte.9 In diesen Berichten war die Rede von zahlreichen Maschinenstürmereien sowie von nächtlichen Versammlungen, bei denen illegale Eide geleistet sowie Geld und Waffen 6 7 8
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Siehe dazu exemplarisch Andrew Simon Campbell: Government, Spies and Informers, 1792–1822, London 1989. Edward P. Thompson: The Making of the English Working Class. London 1965, S. 535. Eine Verbindung zwischen der „Zentrale“ in London und den jeweiligen Provinzen und Städten war zu Anfang des 19. Jahrhunderts nur in geringem Umfang etabliert. Siehe dazu exemplarisch David Eastwood: Governing rural England. Tradition and transformation in local government 1780–1840. Oxford 1994. Eine Polizei im modernen Sinne stand ebenfalls nicht zur Verfügung. Zur Entwicklung der Polizei siehe exemplarisch Stanley H. Palmer: Police and protest in England and Ireland. 1780–1850, Cambridge 1990; Clive Emsley: The English Police: A Political and Social History, New York 1991. Wolfgang Knöbl: Polizei und Herrschaft im Modernisierungsprozeß. Staatsbildung und innere Sicherheit in Preußen, England und Amerika 1700–1914, Frankfurt/Main 1998; Porter Bernard: The Origins of the Vigilant State: The London Metropolitan Police Special Branch before the First World War. Rochester 1991. Es gab daher im Falle der Ludditen auch keine „systematische Beweisaufnahme“; Bernadette Turner: Luddism and the Law. University of Queensland 1993 (unveröffentlichte Dissertation), S. 53. The National Archives (London) (im Folgenden TNA): HO 40. Die Texte wurden bisher vor allem in sozialgeschichtlicher Perspektive gelesen und gelten Robert Poole als „the single most important resource for the study of popular protest in the industrial revolution period“, University of Central Lancashire, Dr. Robert Poole. http://www.uclan.ac.uk/staff_profiles/dr_robert_poole.php (04.07.2014).
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gesammelt wurden. Man vermutete, dass hinter diesen Vorkommnissen eine Gruppe von Arbeitern stand. Wer genau die so genannten Ludditen waren, worin ihre Ziele lagen, wurde nur oberflächlich und in moralisierender Weise benannt. Zwar ging man davon aus, dass die Masse der Arbeiter lediglich reflexartig auf soziale Missstände reagiere. Man vermutete allerdings, dass es Rädelsführer gebe, die von London aus die Massen manipulierten und steuerten. Man nahm weiterhin an, dass sie ein Netzwerk aus geheimen Zellen im ganzen Land gebildet und sogar Verbindungen nach Irland und Frankreich aufgebaut hätten. Diesen disaffacted men würde es um nichts geringeres als den Umsturz der Verfassung gehen. Auch wenn man im Home Office der Ansicht war, dass viele Berichte übertrieben seien10, so zweifelte man nicht an der Existenz einer Verschwörung. Im Gegenteil: Gerade die Unglaubwürdigkeit mancher Berichte wurde als Desinformationskampagne der Ludditen gewertet.11 Die führenden Minister gaben sich fest davon überzeugt, dass sie es mit einer umfassenden Verschwörung zu tun hatten. Auf Bitte des Prinzregenten George sollte das Parlament die Vorfälle untersuchen und die entsprechenden Maßnahmen ergreifen. Dazu sollten die Abgeordneten Einsicht in die disturbances correspondences erhalten.12 Diese Einsichtnahme muss man sich ganz praktisch vorstellen, denn am ersten Sitzungstag zur Public Peace Bill brachte Home Secretary Sidmouth einen sealed bag mit in das Parlament, den er demonstrativ auf den Tisch des Hauses legte.13 Diese Einführung von Dokumenten in das Unterhaus in einem (zumeist grünen) Sack war bereits ein erster Schritt bei ihrer Codierung zu relevanten Informationen – freilich nicht in allen, sondern nur in speziellen Fällen. Gleichwohl handelte sich bei diesen Säcken um eine bereits etablierte (und bei Petitionen bis heute gebräuchliche) Praxis. Die Säcke symbolisierten vor allem das Vorliegen von Informationen. Ihr Inhalt wurde nicht vor Ort von den Parlamentariern gelesen. Vielmehr machten die Säcke im House of Commons nur Zwischenstation, um dann an ein eigens einberufenes Committee of Secrecy, in das regierungsnahe und -ferne Abgeordnete gewählt wurden, übergeben zu werden. Dieses Gremium sollte nicht nur die Wahrheit über die Vorgänge zutage fördern. Vielmehr sollte sein Bericht dem Gesetzesvorhaben in der Öffentlichkeit auch Akzeptanz verschaffen: The report of such a committee would be the best and recorded justification of the Bill when enacted and would shew to all the country the reasons and grounds on which parliament had proceeded in increasing the severities of the penal law.14 Zur Ak10 11 12
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Z.B. bezeichnet Major Cartwright die Berichte der Magistrate in einem Brief an das Home Office als „extremely exaggerated”, TNA HO 40/1/1/2, 54. Vgl. Brief von Lord Sidmouth, TNA: HO 43/21, 12. Prince Regent’s Message Respecting the Disturbed State of Certain Countries of England, Hansard, 27. Juni 1812, Sp. 795. Der ‚Hansard‘, eine zunächst unsystematische und ab 1909 systematische Sammlung von Wortlautprotokollen der Parlamentssitzungen, steht online frei zur Verfügung, alle Zitate stammen daraus: https://api.parliament.uk/historic-hansard/index.htm. Prince Regent’s Message Respecting the Disturbed State of Certain Countries of England, Hansard, 29. Juni 1812, Sp. 796. Frame Breaking and Nottingham Peace Bill, Hansard, 14. Februar 1812, Sp. 818.
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zeptanzbeschaffung beitragen sollte auch der Umstand, dass der Bericht die vielen einzelnen Stimmen und Meinungen der Abgeordneten in ein gemeinsames Ergebnis transformierte. Der Bericht sprach gleichsam mit einer Stimme, die bei den Verhandlungen geführten, teils kontroversen Diskussionen wurden durch das gewählte Ausgabeformat ebenso invisibilisiert wie die tatsächlich widersprüchliche Informationslage. Der fünfseitige Bericht lag bereits wenig später vor.15 Er konstruierte eine alarmistische Sichtweise auf die Ereignisse: Es wird von geheimen und konspirativen Treffen, dem Diebstahl von Waffen und der Zerstörung von Webstühlen berichtet. Als Motiv hinter den destructive proceedings erkannte man durchaus die soziale Unzufriedenheit der Arbeiter. Allerdings wurde auch unterstellt, dass diese Vorgänge ein revolutionäres Potenzial besaßen. Selbst wenn dafür keine unmittelbaren Beweise vorlagen, so behandelte der Bericht es doch als evident, dass die Umtriebe im Zusammenhang mit anderen Vorgängen im Land standen: It appears also […] that their proceedings are likely to be supported by similar combinations in London and in other parts of Great Britain.16 Der Bericht postulierte also ohne klare Beweise die Existenz einer bedrohlichen Verschwörung, zu deren Abwehr gesetzliche Maßnahmen zwingend seien. Lord Castlereagh beteuerte: It had been their wish and their endeavour to preserve the public peace by an ordinary course of law, and it was their hope that they would have been enabled to abstain from proposing such measures as now appeared to be necessary.17 Der Bericht konnte sich zwar nicht auf konkrete Beweise für Verschwörungen stützen, wurde dafür aber als solcher wie ein Beweis behandelt. Anders ausgedrückt: Nicht die für den Bericht herangezogenen Informationen aus den Berichten lokaler Magistrate und Spitzel waren im Folgenden entscheidend, vielmehr wurde der Bericht selbst zu einer im Gesetzgebungsprozess relevanten, differenzsetzenden Information. Dieses Vorgehen entspricht dem, was die Organisationstheoretiker Herbert A. Simon und James March unter „Unsicherheitsabsorption“ fassen: „Uncertainty absorption takes place when inferences are drawn from a body of evidence and the inferences, instead of the evidence itself, are then communicated“.18 In den Worten der Parlamentarier: The subject now therefore came before parliament, not merely on the ground of the notority of the danger, but of that danger being confirmed by the Report of the Secret Committee.19 Allerdings wurde die Verlässlichkeit des Berichts vielfach angezweifelt. Die Befürworter und Gegner von Sicherheitsgesetzen mobilisierten Argumente für oder gegen dessen Glaubwürdigkeit. Man präsentierte kontradiktorische Informationen aus eige15
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Hansard, 8. Juli 1812. Sp. 954. Der Report liegt in zwei unterschiedlichen Fassungen vor, eine für das House of Commons, eine andere für das House of Lords. Erster ist in Kurzfassung in den Parliamentary Reports enthalten, Hansard, 8. Juli 1812. Sp. 951–955, zudem druckte Cobbett sie im Political Register ab, Cobbet’s Political Register, 22. 15. August 1812. Sp. 207–217. Der Report des House Of Lords wurde separat gedruckt, vgl. Report of the Committee of Secrecy, 8. Juli 1812. Inhaltlich unterschieden sie sich jedoch lediglich in der Ausführlichkeit. Report of the Committee of Secrecy, Hansard, 8. Juli 1812. S. 5. Frame Breaking and Nottingham Peace Bill, Hansard, 21, 14. Februar 1812. Sp. 962. Herbert A. Simon/James March: Organizations. New York 1958, S. 165. Hansard, 14. Februar 1812, Sp. 965.
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nen Quellen oder äußerte grundsätzliche Zweifel.20 Die evidenzerzeugende Macht des Berichts war also viel begrenzter als seine Urheber und Befürworter gedacht hatten. Kritiker verwiesen zudem auf die um 1800 notorischen agents provocateurs, insinuierte also, dass die Aufstände von der Obrigkeit mitangestachelt worden seien.21 Bei den Versammlungen hätten sich bisweilen mehr Spione als Aufständische befunden. Zudem wurde gefragt, wo denn genau die vorhandenen Gesetze überhaupt versagt hätten.22 Der liberale Abgeordnete Francis Burdett, ein ausgewiesener Kritiker von notstandsähnlichen Maßnahmen, erklärte, ihm habe ein ehrenwerter Gentleman versichert, dass die Berichte der Magistrate stark übertrieben seien. Warum vertraue man auf die Aussagen zwielichtiger Spitzel, wenn es auch solche Zeugnisse gebe? Burdett warf den Kommissionsmitgliedern vor, nur an solchen Aussagen interessiert zu sein, die mit ihrer Sichtweise übereinstimmten. Der Bericht zeige schließlich kaum etwas, was nicht schon aus den Zeitungen bekannt sei.23 Andere Abgeordnete pochten indes unbeirrt auf die Validität des Berichts: Dieser habe den Sachverhalt sogar eher noch untertrieben als übertrieben dargestellt. Castlereagh gestand zwar ein, dass man durchaus noch weitere Aussagen in Betracht hätte ziehen können. Doch stehe die Glaubwürdigkeit und Relevanz der ausgewerteten Berichte nicht in Frage.24 Diese Ansicht wurde von den meisten Abgeordneten geteilt: Es gebe genug Beweise für die Existenz einer Verschwörung und die Maßnahmen seien auf Grundlage der Untersuchungen sorgfältig bedacht worden. Die Fakten würden keine andere Wahl lassen.
II. A traitorius conspiracy? Die Spa-Fields-Riots 1816 1816 war das Jahr ohne Sommer. Eine Kaltfront, ausgelöst durch einen Vulkanausbruch in Südostasien, führte in Europa zu Ernteausfällen, die auch in England in Hungersnöten mündeten.25 Vor diesem krisenhaften Hintergrund organisierten die Anhänger von Thomas Spence (1750–1814) – ein radikaler Reformer, der für die Vergemeinschaftung von Grundbesitz eingetreten war26 – mehrere Versammlungen auf den Spa Fields in Islington mit dem Ziel, dem Prinzregenten eine Petition zu überreichen. Damit sollten politische und soziale Reformen angestoßen werden. Am 2. Dezember 1816 lief eine der Demonstrationen jedoch aus dem Ruder.27 Vermutlich 20 21 22 23 24 25 26 27
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Ebd. Sp. 964. John E. Archer: Social Unrest and Popular Protest in England, 1780–1840, Cambridge 2000, S. 53, 66, 89. Hansard, 14. Februar 1812, Sp. 981. Ebd. Ebd. Sp. 985. Wolfgang Behringer: Tambora und das Jahr ohne Sommer. Wie ein Vulkan die Welt in die Krise stürzte, München 2015. Malcolm Chase u.a. (Hgg.): Thomas Spence. The poor man’s revolutionary. London 2014. Das Vorgehen stand in der Tradition der monster petitions, bei denen bereits im 17. Jahrhundert die
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erneut von agents provocateurs angestachelt, marschierte eine aufgebrachte Menge in Richtung Tower und wurde dort von der Miliz erwartet und aufgelöst, einige Protestierer wurden verhaftet.28 Die Debatte in Folge dieser Ereignisse wurde in ähnlicher Weise geführt wie bei den Ludditen. Das Parlament kam im Januar 1817 zusammen. Im House of Lords wurde die Sitzung unerwartet mit einer dringenden Nachricht eröffnet: Es habe einen Übergriff auf den Prinzregenten gegeben, als dieser gerade in seiner Kutsche zur Residenz fuhr: the glass of the carriage window had been broken by a stone, as some represented it, or by two balls, fired from an air-gun, as others stated it.29 Am folgenden Tag wurde eine Rede des Regenten respecting certain dangerouse combinations verlesen.30 Darin wurde angekündigt, weitere Dokumente über practices, meetings and combinations in the metropolis, and in different parts of the kingdom, evidently calculated to endanger the public tranquility […] and to bring into hatred and contempt the whole system of our laws and constitution vorzulegen.31 Das Parlament, so Sidmouth, sollte nun über diese Dokumente beraten. Wieder bildeten also materialisiert vorliegende Informationen – und nicht frei zirkulierende Gerüchte oder das allen Beteiligten wohlbekannte Faktum des Steinwurfs auf die Kutsche des Regenten – die Grundlage der Verhandlungen. Wie schon 1812 wurde auch diesmal ein Committee of Secrecy konstituiert, dessen Bericht wiederum bereits zwei Wochen später druckbereit dem Parlament vorlag. Erneut standen die Machenschaften von Arbeitern und radikalen Reformern in Verdacht, Teil eines größeren Plans zu sein, bei dem unter dem Deckmantel von Reformforderungen in Wirklichkeit ein Umsturz vorbereitet worden sei: they have found therein such evidence as leaves no doubt in their minds that a traitorous conspiracy has been formed in the metropolis for the purpose of overthrowing, by means of a general insurrection, the established government, laws, and constitution of this kingdom, and of effecting a general plunder and division of property. Das Zusammentreffen auf den Spa Fields habe dazu gedient, um diese von langer Hand geplante, hochverräterische Verschwörung (traitorous conspiracy) in die Tat umzusetzen. Geplant gewesen sei eine allgemeine Gefangenenbefreiung (a general and forcible liberation of all persons confined in the different prisons in the metropolis), die Bewaffnung der Befreiten und die Anwendung massiver Gewalt (to co-operate by the most violent and sanguinary means to ensure success). Die Kasernen sollten in Brand gesteckt, der Tower und die Bank of England besetzt, die Massen mit einer inflammatory language aufgehetzt und mit Piken ausgerüstet werden. An diesem Plan werde auch erkennbar, dass die vielen und mitgliederstarken Sozietäten und Clubs, die sich unter
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Übergabe der Bittschriften von einer großen, eben ‚monströsen‘ Menge an Menschen begleitet worden war, vgl. dazu Mark Knights: London’s ‚monster‘ petition of 1680, in: Historical Journal 36 (1993), S. 39–68. Vgl. zum Ablauf Arthur Calder-Marshall: The Spa Fields riots, 1816, in: History Today 21 (1971), S. 407–415. Attack on the Prince Regent, Hansard, 28. Januar 1817, Sp. 4. Prince Regent’s Message Respecting Certain Dangerous Combinations, Hansard, 3. Februar 1817, Sp. 173. Ebd.
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dem Vorwand politischer Reformen formiert hatten, tatsächlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellten: societies of this denomination have been most widely extended, and appear to have become some of the chief instruments of disseminating doctrines, and of preparing for the execution of plans, the most dangerous to the public security and peace. Die zahllosen Clubs, die mittlerweile nicht mehr nur in London, sondern allenthalben im Lande zu finden seien, rekrutierten Mitglieder durch Verführung und Erpressung und verpflichteten die Neulinge durch Eide auf Verschwiegenheit und übelste Vorhaben: In addition to all the arts of seduction, resort is also had to a system of intimidation, and threats are held out to those who refuse to join. Their combinations are artfully contrived to secure secrecy in their proceedings, and to give to the leading members undisputed authority over the rest. Oaths of secrecy have been frequently administered, some of which are of the most atrocious and dreadful import. In diesem Zusammenhang müsse auch der Steinwurf auf die Regentenkutsche gesehen werden: Nicht als spontaner Übergriff, sondern als Symbol und Aufruf zur allgemeinen Gehorsamsverweigerung, ein erster Schritt zur Lahmlegung der Exekutive: The committee cannot but consider the late attack upon his royal highness the Prince Regent, on his way from opening the present session of parliament, as an additional and melancholy proof of the efficacy of this system to destroy all reverence for authority, and all sense of duty, and to expose to insult, indignity, and hazard the person of the immediate representative of the sovereign, even in the exercise of one of the most important parts of his royal functions.32 Genau wie bei den Ludditen beruhte der Bericht auch diesmal wieder auf dem Prinzip der Unsicherheitsabsorption: Die Parlamentarier bekamen nicht die Fakten im Einzelnen präsentiert, sondern nur jene Schlussfolgerungen, die die Kommissionsmitglieder aus den ihnen vorgestellten mündlichen und schriftlichen Informationen zogen. Kaum verwunderlich, dass sich die Debatten daher wie schon 1812 um die Frage drehten, ob man die Situationsdefinition einer Großverschwörung, die weitergehende Gesetze rechtfertigte, teilte oder nicht. Obwohl es also Parlamentarier gab, die sich den konspirationistischen Deutungen nicht anschließen wollten, bestimmten diese weiterhin den Diskurs. Kaum verwunderlich, dass in weiteren Debatten Bezüge zu den Ludditen hergestellt wurden, die Vorgänge von 1812 und 1816 somit als Teil eines großen Komplotts gesehen wurden. Der Whig-Abgeordnete Viscount Milton erklärte, he considered the disaffection to be nothing but the system of the Luddites five years ago.33 Andere sprachen sich mit Bezug auf die Ludditen allerdings gerade gegen weitere Maßnahmen aus, da die Magistrate auch im Jahr 1812 ohne zusätzliche Gesetze in der Lage gewesen seien, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Dennoch wurde der Seditious Meetings Act im März 1817 beschlossen.34 Aufschlussreich für den Zusammenhang von Verschwörungsdenken und Attentatsfurcht waren auch die Hochverratsprozesse gegen die vermeintlichen Drahtzieher 32 33 34
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Alle Zitate aus Hansard, 18. Februar 1817, Sp. 411–418. Committee of Secrecy, Hansard, 20. Juni 1817, Sp. 1082. 57 Geo. III c. 19.
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dieser traitorous conspiracy, u.a. Arthur Thistlewood (einer der späteren Cato StreetVerschwörer) und James Watson d.Ä. In seiner Anklagerede setzte der Kronanwalt, Sir William Garrow, einen Aufstand (rechtlich gedeutet als levying war) mit einem kollektiven Attentatsversuch gleich: a man who will be wicked enough to levy war against the Crown, would not [...] stop, till he had destroyed, or at least removed from the throne, that person whose duty it would be, to punish the treason, if he were permitted to live, and continued in the possession of his power; and therefore the act of levying war is considered evidence, or [...] an overt act of compassing and imagining the king’s death, and an overt act of compassing and imagining the deposal of the king.35 Die Fälle von 1812 und 1816/17 zeigen also zwei Möglichkeiten, wie das Parlament mit unsicheren Wissenslagen umgehen und diese so formieren konnte, dass darüber Entscheidungen getroffen werden konnten: Zum einen handelte es sich um Unsicherheitsabsorption in der Weise, dass nicht mehr über die Informationen im ‚Rohzustand‘, also über die aufgeregten Schreiben der Magistrate und Spitzel beraten und entschieden wurde, sondern über einen Bericht, der mit diesen Schreiben zwar noch lose gekoppelt, aber in einer für den parlamentarischen Betrieb anschlussfähigen Sprache verfasst worden war, der vor allem Eindeutigkeit insinuierte und eine Gefährdungslage postulierte, die eine gesetzesverschärfende Entscheidung als geradezu auf der Hand liegend erscheinen ließ: the system of terror so industriously enforced by threats, assassination, and attempts at assassination, the oath administered, the eagerness and activity in procuring arms, and the training, before mentioned, are all circumstances which have not failed to impress upon the minds of your committee, a strong sense of the danger arising from such combinations, to the peace and security of the country.36 Zum anderen ging es hier um ‚demonstrativen Informationskonsum‘: Aufschlussreich ist nämlich nicht nur, was aus den provinziellen Schreiben gemacht wurde, sondern wie diese jeweils ins Parlament eingebracht wurden, und zwar ganz konkret: Sie wurden in beiden Fällen vom Home Secretary persönlich und demonstrativ auf dem markanten Speaker’s table zwischen den beiden Bankreihen in einem versiegelten Beutel abgelegt. Sie blieben dort nur kurz, wurden dann weiterverteilt und nicht gelesen. Diese Praxis erinnert an das, was die Organisationssoziologen Martha Feldman und James March als die symbolischen Dimensionen bei der Nutzung von Informationen beschreiben: Informationen können nicht nur einen Unterschied machen durch das, was sie berichten, sondern auch allein schon dadurch, dass sie als existent, als buchstäblich in großer Zahl gesammelt und nunmehr als eindrucksvoll vorliegend inszeniert werden.37 35 36 37
Die Rede wurde zitiert nach André Krischer: Conspiracy as a political crime in England: Early modern traditions and early 19th century appropriations, Working Paper 2020, doi:##, S. 9. Report of the Committee of Secrecy, Hansard, 8. Juli 1812. S. 5. Martha S. Feldman/James G. March: Information in Organizations as Signal and Symbol, in: Administrative Science Quarterly 26 (2), 1981. S. 171–186, hier S. 178; vgl. dazu bezogen auf Verfahren André Krischer: Das Problem des Entscheidens in systematischer und historischer Perspektive, in: Barbara Stollberg–Rilinger/ André Krischer (Hgg.): Herstellung und Darstellung verbindlicher Entscheidungen. Verhandeln, Verfahren und Verwalten in der Vormoderne (= Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 44), Berlin 2010, S. 35–64, hier S. 51–57.
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Diese Inszenierung unterstützte auf der visuellen Ebene der prall gefüllte, grüne Sack. Die so präsentierten Informationen eröffneten den Abgeordneten neue Argumentationsspielräume. Es führte quasi kein Weg mehr an ihnen vorbei: Sie wurden zu einem festen Bestandteil der Debatte und konnten nicht einfach übergangen und ignoriert werden. Schon ihr bloßes Vorliegen erforderte eine Reaktion. Den Kritikern von weiteren Maßnahmen blieb nur der Versuch, die Informationen zu entwerten, indem sie auf eigene Kenntnisse oder die Unglaubwürdigkeit der Berichte verwiesen: Auf einer solchen Informationsbasis seien schärfere Gesetze ein gefährlicher Eingriff in die traditionellen Freiheiten. Die Inszenierung des sealed bag war einerseits an die Parlamentarier selbst gerichtet. Im Kontext einer intensiven öffentlichen Beobachtung des parlamentarischen Betriebs am Beginn des 19. Jahrhunderts38 wurden diese Inszenierungen aber andererseits auch von einem unbeteiligten Publikum registriert. In der öffentlichen Diskussion wurden sie vielfach hinterfragt, kritisiert oder ins Lächerliche gezogen. Der radikale Publizist William Cobbett kommentierte die gesamte Debatte über die Ludditen in einer Artikelreihe unter dem Titel The Luddites; or the history of the Sealed Bag.39 In einem Flugblatt in Folge der Spa Field Riots heißt es: They have put it [die Spa Field-Petition] into the green bag […] to see whether they can smell out any treason in it.40 Ein anderer Beobachter wunderte sich später angesichts einer wachsenden Zahl ähnlich gelagerter Fälle über den fast schon naiven Glauben der Parlamentarier an die Aufrichtigkeit der Briefe aus der Provinz, deren Prüfung man ohne weiteres Aufhebens einer Kommission überlasse, die damit ähnlich unkritisch umging.41 Allerdings vermochten die Kritiker es bei allem Spott nicht, diese Praxis insgesamt zu diskreditieren. Sie wurde nämlich auf zweierlei Weise verfestigt und normalisiert: Einmal dadurch, dass die Parlamentarier unbeirrt an ihr festhielten, ein anderes Mal dadurch, dass diese Praxis auch beiläufig in ‚neutralen‘ Zeitungsartikeln und anderen Berichten über die parlamentarischen Maßnahmen erwähnt wurde. In ihrer Massenhaftigkeit und Alltäglichkeit überwogen solche Erwähnungen in der Presse die kritischen Stimmen bei weitem und zogen normalisierende Effekte nach sich. Für den gewöhnlichen Leser gehörten sealed bags und ihre Nutzungsweisen zum parlamentarischen Betrieb und zu der Art und Weise, wie dort Entscheidungen getroffen wurden. Im Diskurs der kleinteiligen Zeitungsberichte war der grüne Sack eher Routine als Skandal.42 Dass die Disambiguierung von entscheidungsbezogenen Informationen 38
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Vgl. dazu etwa Andreas Wirsching: Parlament und Volkes Stimme. Unterhaus und Öffentlichkeit im England des frühen 19. Jahrhunderts (= Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, Bd. 26), Göttingen 1990; Willibald Steinmetz: Das Sagbare und das Machbare. Zum Wandel politischer Handlungsspielräume, England 1789–1867 (= Sprache und Geschichte, Bd. 21), Stuttgart 1993. Cobbett’s Weekly Political Register, Vol. XXII, 11. Juli 1812, Sp. 55ff und Vol. XXII, 25. Juli 1812, Sp. 97–101. Anon.: Full Report of the third Spa-Fields meeting: with previous arrests. London 1817. Sp. 12. [Peter Mackenzie]: An Exposure of the Spy-system pursued in Glasgow during the years 1816–17– 18–19 and 20 [...], Glasgow 1833, 17. Gegen eine Forschungstradition, die v.a. das kritische Potenzial von öffentlichen und publizistischen
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Abb. 1: Ein grüner „sealed bag“ wurde auch zum Motiv der bissigen Karikaturen des frühen 19. Jahrhunderts. In diesem Fall ging es um Beweise im Prozess gegen Caroline von Braunschweig-Wolfenbüttel, die vom Prinzregenten Georg verstoßene Gemahlin. Als Georg 1820 den Thron bestieg und Caroline Anspruch auf den Königinnen-Titel erhob, strengte Premierminister Liverpool einen als skandalös wahrgenommenen Prozess wegen Ehebruchs gegen sie an. Lord Sidmouth, die zweite Figur v.l., hatte auch hier wieder ‚Beweise‘ in einem grünen Sack vorgelegt. Die Karikatur erschien 1820 und stammt von Charles Williams, aus dem Digital Repository des Trinity College, Dublin, Nicholas K. Robinson Collection of Caricature, OLS CARI-ROB-211.
von solchen Praxen profitieren konnte, aber nicht notwendig darauf angewiesen war, zeigt das abschließende Beispiel.
III. Das Peterloo Massacre, 1819 In der ersten Hälfte des Jahres 1819 wurden immer wieder Unruhen aus der Region Manchester gemeldet. Mehrfach kam es zu Massenkundgebungen, zudem war von illegalen militärischen Übungen und privatem Waffenbesitz die Rede. Das Home Office Beobachtungen gerichtlicher und politischer Verfahren betont, wurden diese nicht-subversiven, stützenden und normalisierenden Effekte massenmedialer Berichterstattung betont von André Krischer: Legitimation durch Verfahren in der Zeitung. Machtstützende Effekte von Prozessberichterstattung in England im frühen 18. Jahrhundert, in: Bernd Klesmann/Christine Vogel/Patrick Schmidt (Hgg.): Jenseits der Haupt- und Staatsaktionen. Neue Perspektiven auf historische Periodika, Bremen 2017, S. 35–48.
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ließ sich von den örtlichen Magistraten und ihren Spitzeln regelmäßig und detailliert über die Lage berichten. Lord Sidmouth hoffte vor allem, eine Verbindung zwischen den Unruhen und radikalen Reformern wie Henry Hunt beweisen zu können, der damit als Drahtzieher und Oberverschwörer hätte beschuldigt werden können.43 Über mehrere Monate hinweg wartete man daher auf ein Treffen zwischen Hunt und den disaffacted people, das als seditious conspiracy hätte gewertet werden können.44 Als jedoch am 16. August eine Kundgebung von Hunt vor über 60.000 Menschen von der örtlichen Kavallerie gewaltsam aufgelöst wurde, starben fünfzehn Menschen, darunter Frauen und Kinder.45 Die Presse bezeichnet diesen Vorfall in Anlehnung an Waterloo als das Peterloo Massacre. Sogar konservativere Zeitungen wie die Times machten das Verhalten der Magistrate und der Obrigkeit in London für die Eskalation verantwortlich.46 Als das Parlament im November wieder zusammentrat, um über die Lage der Nation (state of the country) und notwendige Maßnahmen zu beraten, verwies der Prinzregent in seiner Eröffnungsrede nachdrücklich auf die Allgegenwart aufrührerischer Praktiken (seditious practices): Seit geraumer Zeit stellten namentlich die manufacturing districts durch derartige Praktiken Verfassung, Institutionen und Eigentumsordnung des Landes infrage: They have led to proceedings incompatible with the public tranquillity, and with the peaceful habits of the industrious classes, of the community; and a spirit is now fully manifested, utterly hostile to the constitution of this kingdom, and aiming not only at the change of those political institutions which have hitherto constituted the pride and security of this country, but at, the subversion of the rights of property and of all order in society.47 Die Regierung Liverpool ging wiederum davon aus, dass hinter den Vorkommnissen nicht bloß unzufriedene Arbeiter standen. Vielmehr lasen die Minister die Berichten der Spitzel und Magistrate (those papers) so, dass die Unruhen ein Angriff seien on authority, although no immediate danger was to be apprehended, there was reason to suppose that a conspiracy of a most alarming and extensive character would burst forth, unless great precautions were taken to surpress it48. Für die Regierung waren die Kundgebungen ein Indiz dafür, dass eine Revolution nach französischem Vorbild durchaus im Bereich des Möglichen stand.49 Unterstützt wurde diese Deutung auch vom oppositionellen Lord Grenville, für den sich Großbritannien in einer ähnlichen 43 44 45 46 47
48 49
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Vgl. dazu Robert Poole: ‚By the Law or the Sword‘: Peterloo Revisited, in: History 91 (2006), 254–276. Krischer: Conspiracy as a political crime in England, (wie Anm. 35), S. 11. Vgl. zuletzt zu diesem Ereignis Katrina Navickas: Protest and the politics of space and place 1789– 1848, Manchester 2016, Part I/3. Krischer, Conspiracy as a political crime (wie Anm. 35), S. 11. The prince regent’s speech on opening the session, Hansard, 23. November 1819, Sp. 2. Zur rechtlichen Bewertung der Vorgänge vgl. Michael Lobban: From Seditious Libel to Unlawful Assembly: Peterloo and the Changing Face of Political Crime, c. 1770–1820, Oxford Journal of Legal Studies 10 (1990), S. 307–352. Seditious Meeting Prevention Bill, Hansard, 2. Dezember 1819, Sp. 597. Jennifer Mori: Britain in the Age of the French Revolution, 1785–1820, Abingdon 2014 (zuerst 2000), S. 93ff.
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Lage befand, wie Frankreich kurz vor der Revolution: Auch dort habe es mit aufrührerische Publikationen begonnen, es folgten Treffen in geheimen Clubs und daraus hervorgegangen seien hetzerische Kundgebungen. Dieses nur allzu gut bekannte Muster wiederhole sich gerade in Yorkshire. Eine energische Reaktion sei daher das Gebot der Stunde, wolle man die British constitution gegen diese schon im Betrieb befindlichen revolutionary engines verteidigen.50 Um das Parlament in die Lage zu versetzen, die entsprechenden Maßnahmen zu beschließen, wurde angeordnet, dass the necessary information on this subject shall be laid before you [das Parlament]51. Diesmal war jedoch kein sealed bag im Spiel wie in den Fällen zuvor. Vielmehr wurden die Berichte gedruckt und veröffentlicht. Der Vorschlag, ein Committee einzurichten, kam diesmal aber nicht von den Ministern Castlereagh und Sidmouth, sondern von den Kritikern der Gesetzesinitiative. Lord Grey forderte eine Untersuchung, um festzustellen, ob die Maßnahmen, vor allem der Einsatz der Kavallerie, verhältnismäßig waren. Er stellte darüber hinaus in Frage, ob die Kundgebung in Manchester überhaupt, wie ständig behauptet wurde, illegal waren, also unter den Seditious Meetings Act von 1817 fielen.52 Lord Althorp, ein Verfechter umfassender Reformmaßnahmen in den 1830er Jahren, forderte sogar eine Untersuchung über grundsätzliche Missstände im Land. In seinen Augen habe die Regierung versäumt, auf die Notstände der Arbeiter zu reagieren und so diese Entwicklung selbst verschuldet. Zudem hielt er die Angaben der Minister für ungenügend und verwies auf Widersprüche zwischen den Aussagen der Minister sowie denen des Magistraten William Hay. Es sei zum Beispiel unklar ob Hay das übliche Verfahren, den Riot Act zu verlesen, bevor die Kavallerie eingesetzt wurde, angewendet habe oder nicht.53 Auch der Umstand, dass der kommandierende Offizier John Byng nicht vor Ort war, erschien Althorp bemerkenswert. Zwar wolle er die Notwendigkeit von schärferen Gesetzen nicht grundsätzlich in Frage stellen, doch ginge er davon aus, dass es sich um bloß lokale Unruhen, denen keine Verschwörung zu Grunde liege, handle. Mit Verweis auf diese Unklarheiten sprach sich Althorp für eine gründliche Untersuchung der Dokumente aus, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können: Full and complete information was necessary in order that the proposed measures should not act merely as a palliative or a temporary, but should operate as an effectual and permanent remedy54. Die Freiheiten der Briten sollten nicht aufgrund einer undurchsichtigen Faktenlage beschnitten werden: he conceived it dishonourable and disgraceful to sacrifice the rights and privileges of the people in a case of only temporary alarm55. Colonel Davies griff die Regierung ebenfalls scharf an: It appeared from the papers before the House, that there was a design on the part of ministers to introduce despotism, and trample on the liberties of 50 51 52 53 54 55
State of the Country, Hansard, 30. November 1819, Sp. 462. Seditious Meeting Prevention Bill, Hansard, 29. November 1819, Sp. 379. State of the Country, Hansard, 30. November 1819, Sp. 479–494. Zu diesem Verfahren vgl. klassisch Wilfried Nippel: Reading the Riot Act. The Discourse of Law– Enforcement in 18th Century England, in: History and Anthropology 1 (1985), S. 399–426. Select Committee on the State of the Country, Hansard, 30. November 1820, Sp. 519. Ebd., Sp. 523.
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the people56. Die verfügbaren Berichte über den Vorfall in Manchester waren in seinen Augen eher ein Argument gegen als für weitere Gesetze. Das sahen die Mitglieder der Regierung anders. Die vorliegenden Fakten summierten sich zu einer erdrückenden Beweislage. Zudem, so Lord Liverpool, ignorierten Althorp und seine Mitstreiter das Offensichtliche: Warum sollten sich so viele Menschen versammeln und infame Plakate zeigen, wenn es nicht um eine Revolution ginge? Die Einberufung eines Ausschusses sei daher Zeitverschwendung. Zudem bedeute jede weitere Verzögerung von entsprechenden Maßnahmen eine Zumutung für alle loyalen Untertanen: Yet in the face of those loyal subjects, who where so anxiously expecting protection and security at the hands of the legislature, what was parliament called upon to do by gentleman on the other side? To postpone those necessary measures of safety.57 Um erfolgreich gegen ein combined system aus Verschwörern vorzugehen, bedürfe es eines combined system passgenauer Strafgesetze. Medientheoretisch gesehen wurde in diesem Fall anders verfahren als in den vorherigen. Zum einen verließ man sich auf die allgemeine Publizität des Geschehens in Manchester, zu dem auch jene kritischen Stimmen beitrugen, die das Geschehen als Peterloo Massacre (erfolgreich) zu diskreditieren versuchten.58 Zum anderen rekurierten die Parlamentsdebatten selbst auf das Notorische als Faktenbasis. Man schuf sich in selbstreferenzieller Weise jene Narrationen, mit denen sich die Verabschiedung des (1824 allerdings wieder aufgehobenen) Seditious Meetings Act begründen ließ. Das Beispiel mahnt somit, bei der Ausweitung des Blicks auf die vielfältigen Kommunikationskanäle des Politischen die parlamentarischen Debatten nicht aus den Augen zu verlieren und als entscheidungsbezogene Medien ernst zu nehmen. Zudem eröffneten die Debatten den Akteuren Foren für dramatisierende Zuspitzungen und alarmistische Warnungen, die über die Sitzungen hinaus ihr Publikum erreichten.59
IV. Fazit Sicherheit ist eine soziale Konstruktion und eine historische Variable.60 Sie ist, genau wie Unsicherheit, nicht einfach ein objektiver Zustand der Welt, sondern ein komplexes Bündel aus Zuschreibungen und Symbolisierungen einerseits sowie Institutionen andererseits, die diese Zuschreibungen und Symbolisierungen produzieren, reprodu56 57 58 59
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Ebd., Sp. 524. Ebd., Sp. 558. Vgl. zur Rezeption des Geschehens als Massacre zuletzt Terry Wyke: Remembering the Manchester Massacre, in: Manchester Region History Review 23 (2012), S. 111–132, 216–223. Vgl. dazu neben den in Anm. 38 genannten Arbeiten auch John R. Oldfield: Popular politics and British anti–slavery. The mobilisation of public opinion against the slave trade, 1787–1807, London 1998; Malcom Chase: Caroline fever, Robert Chaloner and the North Riding Whigs, in: Northern History 52 (2015), S: 85–100. Eckart Conze: Securitization. Gegenwartsdiagnose oder historischer Analyseansatz?, in: Geschichte und Gesellschaft, 38 (2012), S. 453–467, hier besonders S. 457–462.
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zieren oder modifizieren. In den hier untersuchten Fällen kamen das Parlament und die Druckpublizistik als derartige Institutionen in Betracht. Als historische Variable war das Verständnis von Unsicherheit zudem Wandlungen unterworfen. Es ist daher nicht einfach vorauszusetzen, sondern anhand von geeigneten Fällen zu überprüfen, was von einer Gesellschaft als unsicher bzw. als Unsicherheitsfaktor etikettiert wurde. Handelte es sich um bestimmte Konstellationen, Vorgänge oder Personen? Galten ‚die Zeiten‘ insgesamt als unsicher? Daran schließen sich weitere Fragen an, wie mit dieser Etikettierung umgegangen wurde: Identifizierte man Handlungsbedarf, wurden Zuständigkeiten erkannt und zugewiesen, sah man überhaupt Optionen zum Handeln – oder konnte man nur auf Gott hoffen? Die Geschichte der politischen Kriminalität ist sicher eine Möglichkeit, um solche Fragen exemplarisch durchzuspielen, vorausgesetzt, dass politische Kriminalität dabei selbst als Teil der sozialen Konstruktionen und nicht als ein unabhängig davon existierendes Faktum verstanden wird.61 England/ Großbritannien konnte um 1800 auf eine lange Tradition der Identifizierung solcher Arten von Devianz zurückblicken. Die Furcht vor Verschwörern, Verrätern und anderen staatsgefährdenden Aufwieglern reichte bis ins 16. Jahrhundert zurück und führte immer wieder zu ‚Unsicherheitskrisen‘.62 Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wurden solche Krisen63 überwiegend auf juristischem Wege zu bewältigen versucht, mit öffentlichen Gerichtsprozessen gegen die angeblichen Verräter und Verschwörer sowie daran anschließende Hinrichtungen, die sich als Theater maximalen Schreckens darstellten. Mit dem 19. Jahrhundert trat nun das Parlament als eine weitere Bewältigungsinstanz in Erscheinung. Sicherlich hatten auch schon die Parlamente des 16., 17. und 18. Jahrhunderts politische Devianz registriert.64 Aber erst seit der Zeit um 1800 versuchte man, diesen Unsicherheitskrisen auch durch immer weitergehende Strafgesetze beizukommen – ein Modus, der heute ebenfalls nicht ganz unbekannt ist. Diese parlamentarischen Bewältigungsstrategien zeitigten unterschiedliche Effekte: 1. Sie markierten bestimmte Vorgänge – gewaltsamen Protest, massenhafte öffentliche und mobile Unmutsbekundungen und Versammlungen mit Bannern – als Bedrohung für Verfassung und politische Ordnung, als sichtbar gewordene Indizien für eine im Untergrund sich ausbreitende Großverschwörung. 2. Diese narrativ und rhetorische aufwändig gestaltete Markierung diente als Voraussetzung für die Verabschiedung entsprechender Gesetze, die die Unsicherheitsdiagnose der politischen Elite offizi61 62
63 64
Vgl. dazu Gerd Schwerhoff: Historische Kriminalitätsforschung (= Historische Einführungen, Bd. 9), Frankfurt am Main 2011, S. 36. Vgl. dazu den Beitrag von Benedikt Nientied in diesem Band; ferner Krischer: Macht des Verfahrens (wie Anm. 2), S. 93ff., 158ff., 278ff., 444ff., ders.: ‚Papisten‘ als Verräter. Gewaltimaginationen und Antikatholizismus im frühneuzeitlichen England, in: Der. (Hg.), Verräter. Geschichte eines Deutungsmusters, Köln/ Weimar/ Wien 2018, S. 175–193; Davin Lemmings/ Claire Walker (Hgg.): Moral panics, the media and the law in early modern England, Basingstoke/ New York 2009. Nur um Missverständnisse zu vermeiden: Krisen waren freilich auch soziale Konstrukte, vgl. dazu wiederum Rudolf Schlögl/Philip R. Hoffmann-Rehnitz/Eva Wiebel (Hgg.): Die Krise in der Frühen Neuzeit (= Historische Semantik, Bd. 26), Göttingen 2016. Vgl. dazu den Beitrag von Benedikt Nientied in diesem Band.
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ell sanktionierte. Zudem konnten Reformer mit diesen Gesetzen weiter drangsaliert werden. 3. Durch die Verabschiedung dieser Gesetze inszenierte sich die Regierung als Krisenbewältiger. Die oppositionellen Parlamentarier unterstützten sie bei dieser Inszenierung insofern, als sie die Krisendiagnose keineswegs bestritten, sogar vor revolutionären Umstürzen warnten und allenfalls nach dem Nutzen neuer Gesetze fragten. Genau an diesem Punkt hat der Beitrag angesetzt: Es ging um die Frage, wie Informationen über die fraglichen Vorgänge so codiert werden konnten, dass sie nicht nur zur Behauptung einer bedrohlichen Situation herangezogen werden, sondern auch die Grundlage parlamentarischer Entscheidungen abgeben konnten. Dabei konnten unter Rückgriff auf organisationssoziologische Anregungen drei Praktiken beobachtet und gedeutet werden: Erstens praktizierte man ‚demonstrativen Informationskonsum‘, der sich vor allem in der schieren Anhäufung von informationssymbolisierenden Berichten örtlicher Magistrate und Spitzel materialisierte, und zwar wortwörtlich, nämlich in Form eines dem Parlament vorgezeigten grünen und versiegelten Sacks. Dieses Informationsbündel insinuierte Handlungsbedarf, ohne dass im Einzelnen klar war, was überhaupt Sache war. Die Berichte wurden nicht im Parlament gelesen, sondern nur in ihrer Massenhaftigkeit vorgezeigt. Zweitens praktizierte man ‚Unsicherheitsabsorption‘, insofern die Lektüre und Bewertung der Berichte einem Ausschuss (Committee of secrecy) überantwortet wurde, der überraschend eindeutige Schlussfolgerungen aus diesen tatsächlich widersprüchlichen Berichten in das Parlamentsverfahren zurückspielte. In dessen weiteren Verlauf fungierten dann diese Kommissionsberichte und nicht die diffuse Menge an Briefen aus der Provinz als Evidenzbasis. Drittens besaß gerade das Parlament als etabliertes und öffentlich beobachtetes Forum politischer Oratorik auch die Macht, eine Unsicherheitskrise buchstäblich herbeizureden, diesmal unter Bezugnahme auf das, was ‚jeder‘ weiß. Entschieden wurde dann über das, was vorher verhandelt und dramatisiert worden war – eine Art von Selbstreferenzialität, die nicht ‚überall‘, aber im Rahmen des Parlamentsverfahren durchaus verfügbar war. Der Beitrag ist damit auch ein Plädoyer dafür, bei der Erforschung politischer Kriminalitätsgeschichte unterschiedliche Ebenen zu berücksichtigen – sofern diese vorhanden waren. Um 1800 zirkulierten Unsicherheits- und Bedrohungszuschreibungen zwischen örtlichen Magistraten und Spitzeln, Ministerbüros, Parlamentsdebatten oder Gerichtsprozessen, die diese Zuschreibungen formulierten, weiterleiteten, sanktionierten, in Gesetze transformierten oder in Urteile überführten, die für die Betroffenen auch real wirksam wurden. Die meisten Unsicherheitsdiagnosen identifizierten tatsächlich keine staatsgefährdenden Aktivitäten, sondern erleichterten repressive Maßnahmen gegen Reformer.
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Das Attentat auf König Louis-Philippe I. am 28. Juli 1835 und die Formierung transnationaler Sicherheitsregime in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Conrad Tyrichter
Einleitung Seit der Französischen Revolution entwickelte sich die Abwehr von neuen Revolutionsversuchen zu einem Leitmotiv europäischer Sicherheitspolitik. Der Bekämpfung oppositioneller Gruppen wurde dabei zunehmend eine transnationale Dimension zugesprochen, denn die Erfahrungen mit den Auswirkungen der Französischen Revolution hatten den europäischen Regierungen gezeigt, dass solchen Bewegungen trotz ihrer „nationalen“ Zielsetzungen eine grenzübergreifende Dimension zugemessen werden musste. Kooperationen und Kollisionen zwischen den europäischen Staaten beim Umgang mit politischer Dissidenz zeigten sich besonders in Interaktionen an den Schnittstellen der einzelstaatlichen Strafrechtssysteme. Diese Interaktionen unterlagen wiederum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einem grundlegenden Wandel. Die Entstehung geschlossener territorial- und nationalstaatlicher Rechtsräume sowie das allgemeine Ansteigen von grenzübergreifender Mobilität und Kommunikation hatte seit dem Ende des 18. Jahrhunderts einen Neuaushandlungsprozess in Gang gesetzt, der sich in Verhandlungen über Auslieferungsverträge, Diskursen über Themen wie Asyl oder die Implementierung neuer Methoden transnationaler Polizeikooperation manifestierte.1 Hiervon ausgehend ist es das Hauptziel des Beitrags, am Beispiel strafrechtlicher und sicherheitspraktischer Reaktionen auf das Attentat auf den französischen König Louis-Philippe I. am 28. Juli 1835, der Praxis transnationaler Sicherheitsregime zum Umgang mit politischer Kriminalität in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert nachzugehen. Unter einem Regime wird dabei ein sektoral eingrenzbares Bündel von Normen, Diskursen und Praktiken verstanden, die der Bewältigung eines spezifischen Problem- oder Regelungsfelds in einem transnationalen Kontext dienen.2 Stimuliert durch die veränderten gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen lässt sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Formierung mehrerer solcher als 1
Karl Härter: Die Formierung transnationaler Strafrechtsregime, in: Rechtsgeschichte 18 (2011), S. 36–65. 2 Vgl. Jost Dülffer: Recht, Normen und Macht, in: Ders./Wilfried Loth (Hgg.): Dimensionen internationaler Geschichte (= Studien zur internationalen Geschichte, Bd. 30), München 2012, S. 169– 189; Reinhard Wesel: Internationale Regime und Organisationen, Konstanz 2012.
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Regime konzipierbarer Formen zwischenstaatlicher Kooperation beobachten, die im Unterschied zu universalistisch legitimierten vormodernen Kooperationsformen auf dem Prinzip nationalstaatlicher Souveränität basierten. Beispiele sind etwa die verkehrspolitische Kooperation der Anrainerstaaten des Rheins oder das sich in mehreren bilateralen Konferenzen manifestierende „Konzert der Großmächte“, das dem europäischen Friedens- und Konfliktmanagement diente.3 „Transnationalität“ ist also nicht einfach nur ein Synonym für „Zwischenstaatlich“ oder „Grenzübergreifend“. Vielmehr soll zum Ausdruck gebracht werden, dass diese Regimeformierungen unter den spezifischen Rahmenbedingungen von „Nationalstaatlichkeit“ stattfanden, wie sie sich während der Sattelzeit ausbildeten. Die Verwendung von Transnationalität hat also eine analytische und eine periodisierende Funktion.4 „Politische Kriminalität“ entwickelte sich seit der Französischen Revolution zu einem der bedeutendsten dieser transnationalen Regelungsfelder. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, auf die unterschiedlichen Bedeutungsgehalte des Begriffs der politischen Kriminalität hinzuweisen, die gerade in interdisziplinären Kontexten regelmäßig zu Schwierigkeiten und Missverständnissen führen. Werner Giesselmann führt hierzu prägnant aus: „Der uns von den Quellen aufgezwungene Begriff des ,politischen Verbrechens‘ bzw. des ,politischen Delikts‘ trägt in der Tat einen essentiell empirischen, relativen und vagen Charakter und läßt sich nur schwer in eine rationale Strafrechtstheorie einfügen. Fragwürdig erscheint insbesondere die in dem Begriff implizierte Unterscheidung zwischen einer politischen und nicht politischen, also ,gewöhnlichen‘ Kriminalität. Aufgrund dieser Definitions- und Abgrenzungsprobleme wird er in der modernen Rechtswissenschaft und Kriminologie sehr unterschiedlich gebraucht und hat Anlaß zu heftigen Kontroversen geboten. Dabei konkurrieren subjektive und objektive Konzeptionen, die bei den Motiven und Intentionen der Täter bzw. der Natur des verletzten Rechtsguts ansetzen, mit alternativen Modellen des labelling approach, für den, ausgehend von der Reaktion der Instanzen sozialer Kontrolle, politische Kriminalität das Ergebnis selektiver Kriminalisierung durch die staatliche Definitionsmacht darstellt.“5
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4 5
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Vgl. Guido Thiemeyer/Isabel Tölle: Supranationalität im 19. Jahrhundert? Die Beispiele der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt und des Octroivertrages 1804–1832, in: Journal of European Integration History 17 (2011), S. 177–196; Matthias Schulz: Normen und Praxis. Das Europäische Konzert der Grossmächte als Sicherheitsrat, 1815–1860 (= Studien zur internationalen Geschichte, Bd. 21), München 2009. Jean Conrad Tyrichter: Die Erhaltung der Sicherheit. Deutscher Bund, politische Kriminalität und transnationale Sicherheitsregime im Vormärz, Frankfurt am Main 2019, S. 6–7. Werner Giesselmann: „Die Manie der Revolte“. Protest unter der französischen Julimonarchie (1830–1848). 1 Halbband (= Ancien Régime, Aufklärung und Revolution, Bd. 25), München 1993, S. 357.
Das Attentat auf König Louis-Philippe I. am 28. Juli 1835
Im letzteren Sinne wird im Folgenden unter politischer Kriminalität weder eine strafrechtsheoretische Figur noch ein phänomenologisch ableitbarer Verbrechenstyp verstanden, sondern ein in historischer Perspektive diachron und synchron variables Konstrukt, durch das in sicherheitspolitischen Diskursen Handlungen etikettiert wurden, die im weitesten Sinne als Bedrohung oder Angriff auf Gesellschaft und politische Ordnung verstanden wurden.6 Dieses Konstrukt hatte dabei eine explizit transnationale Komponente. Die Angst vor politischer Kriminalität als transnationaler Sicherheitsbedrohung manifestierte sich besonders in Narrativen grenzübergreifender politischer Verschwörungen, Sekten und Geheimbünde und stimulierte die Formierung transnationaler Sicherheitsregime.7 Dieser Prozess verlief nicht eindimensional und linear. Vielmehr fand er in Schüben und synchron auf verschiedenen zwischenstaatlichen Interaktionsebenen statt und war durch ambivalente Ordnungsinteressen motiviert. Insbesondere stand er im Spannungsfeld nationaler Souveränität, kollektiver Sicherheitsbedürfnisse und humanitärer, zivilgesellschaftlicher Forderungen. Stimulierend wirkten sich häufig als konkret und gravierend empfundene Sicherheitsbedrohungen aus. In diesem Zusammenhang waren es besonders Attentate, die als symbolisch aufgeladene, transnationale Ereignisse Verdichtungen von Normen, Institutionen und Praktiken zur Handhabung politischer Kriminalität auslösten. Ein prominentes Beispiel wäre etwa das auf den Karlsbader Konferenzen 1819 konstituierte transnationale Sicherheitsregime des Deutschen Bundes, dessen Ausgangspunkt die Attentate auf den Schriftsteller und russischen Staatsrat August von Kotzebue durch Karl Ludwig Sand in Mannheim und auf den nassauischen Regierungspräsidenten Carl Friedrich Emil von Ibell durch Karl Löning im Sommer 1819 waren.8 Ausgehend von dem Attentat auf Luis Phillipe 1835 soll im Folgenden exemplarisch ein Einblick in diesen Prozess gegeben werden. Über das Fallbeispiel hinaus geht es darum, wesentliche Strukturen, Problemstellungen und Entwicklungstrends transnationaler 6
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Vgl. Dirk Blasius: Geschichte der politischen Kriminalität in Deutschland (1800–1980). Eine Studie zu Justiz und Staatsverbrechen, Frankfurt am Main 1983, S. 10–14; Karl Härter/Beatrice de Graaf: Vom Majestätsverbrechen zum Terrorismus. Politische Kriminalität, Recht, Justiz und Polizei zwischen Früher Neuzeit und 20. Jahrhundert, in: Karl Härter/Beatrice de Graaf (Hgg.): Vom Majestätsverbrechen zum Terrorismus. Politische Kriminalität, Recht, Justiz und Polizei zwischen Früher Neuzeit und 20. Jahrhundert (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 268), Frankfurt am Main 2012; Barton L. Ingraham: Political crime in Europe. A comparative study of France, Germany, and England, Berkley u.a. 1979, S. 3–23; Gerd Schwerhoff: Historische Kriminalitätsforschung (= Historische Einführungen, Bd. 9), Frankfurt am Main/New York 2011, 70–77; Tyrichter: Die Erhaltung der Sicherheit (wie Anm. 4), S. 39 ff. Vgl. Beatrice De Graaf/Cornel Zwierlein: Historicizing Security – Entering the Conspiracy Dispositive, in: Beatrice De Graaf/Cornel Zwierlein (Hgg.): Security and Conspiracy in History, 16th to 21st Century (= Historical Research/Historische Sozialforschung, Bd. 38/1), Köln 2013, S. 7–45. Vgl. Karl Härter: Schlichtung, Intervention und Politische Polizei. Verfassungsschutz und innere Sicherheit im Deutschen Bund, in: Michael Kotulla/Johannes Kalwoda (Hgg.): Schutz der Verfassung. Normen, Institutionen, Höchst- und Verfassungsgerichte, Berlin 2013, S. 129–154; Tyrichter: Die Erhaltung der Sicherheit (wie Anm. 4).
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Conrad Tyrichter
Sicherheitspolitik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufzuzeigen. Das Ziel ist entsprechend nicht eine detaillierte Deskription und Phänomenologie des Attentats, sondern das Attentat als Analysezugang zu breiteren historischen Prozessen zu nutzen.9 Der Artikel beschränkt sich dabei auf „strafrechtliche und sicherheitspolitische Reaktionen“ in Frankreich und im Deutschen Bund sowie auf Interaktionen zwischen Frankreich und Staaten des Deutschen Bundes.10
I. Das Attentat vom 28. Juli 1835: Kontext und innenpolitische Folgen In Frankreich hatte sich nach der Julirevolution 1830 ein Konflikt zwischen der gemäßigt-liberalen bürgerlichen Regierung und einer radikal-republikanischen Oppositionsbewegung zugespitzt, bei dem politische und soziale Motive miteinander verschmolzen. Dieser Konflikt äußerte sich in einer Welle von Aufständen, Revolten und Streiks, deren besonderes Bedrohungspotential aus der Perspektive der Regierung darin lag, dass lokale Ereignisse durch überregionale Vereins- und Parteibildungen und Presseberichtserstattung politisch kanalisiert wurden.11 Das Attentat auf Louis-Philippe I. stellte den Höhepunkt dieser Entwicklung dar. Am symbolträchtigen fünften Jahrestag der Julirevolution, dem 28. Juli 1835, attackierte der napoleonische Kriegsveteran Giuseppe Fieschi (auch Gérard, Joseph oder Marco genannt) während einer Parade den Tross des Königs mit einer aus vierundzwanzig Flintenläufen bestehenden „Höllenmaschine“. Der König blieb unverletzt, jedoch forderte der Anschlag etwa zwanzig Tote. Die Bedeutung des Attentats lag damit neben der als neuartig empfundenen und dem zeitgenössischen Ehrverständnis widersprechenden Attentatsästhetik insbesondere in der bewussten Inkaufnahme ziviler Opfer. Hierin unterschied es sich erheblich von bekannten Attentaten in der Zeit nach dem Wiener Kongress wie beispielsweise denen durch Karl Ludwig Sand, Karl Löning oder Pierre Louis Louvel, die gezielt mit Stichwaffen durchgeführt wurden. 9
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Vgl. Karl Härter/Conrad Tyrichter/Tina Hannappel/Thomas Walter: Terrorismus für die Rechtsgeschichte? Neuerscheinungen zur Geschichte politischer Gewalt im 19. und 20. Jahrhundert, in: Rechtsgeschichte 22 (2014), S. 374–385; Sylvia Schraut: Terrorismus – Geschlecht – Erinnerung. Eine Einführung, in: Christine Hikel/Dies. (Hgg.): Terrorismus und Geschlecht. Politische Gewalt in Europa seit dem 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main/New York 2012, S. 7–22. Vgl. Karl Härter: Revolten, politische Verbrechen, rechtliche Reaktionen und juristisch-politische Diskurse. Einleitende Bemerkungen, in: Angela De Benedictis/Karl Härter: Revolten und politische Verbrechen zwischen dem 12. und 19. Jahrhundert. Rechtliche Reaktionen und juristisch-politische Diskurse (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 285), Frankfurt am Main 2013, S. 1–13. Vgl. Giesselmann: „Die Manie der Revolte", S. 326–348 (wie Anm. 5); Klaus Malettke: Die Bourbonen. Bd. 3: Von Ludwig XVIII. bis zu Louis Philippe, 1814–1848, Stuttgart 2009, S. 169 ff; Adam Zamoyski: Phantome des Terrors. Die Angst vor der Revolution und die Unterdrückung der Freiheit,1789–1848, München 2016, S. 443–460.
Das Attentat auf König Louis-Philippe I. am 28. Juli 1835
Besonders war aber nicht nur die hohe Opferzahl und die angewandte Technik, sondern auch die nachträgliche Inszenierung des Attentäters. So entwickelt sich ein regelrechter Kult um Fieschi, der durch sein unbedarftes Auftreten während der öffentlichen Gerichtsverhandlung und eine wohlwollende prozessbegleitende Presseberichterstattung angefacht wurde.12 Es entstand etwa ein Devotionalienhandel mit persönlichen Gegenständen Fieschis und nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland, England oder den Niederlanden wurden Gedichte, Biographien und sogar Theaterstücke über Fieschi veröffentlicht.13 In Frankreich wurde Fieschi auch nach seiner Hinrichtung im Februar 1836 zum Symbol des politischen Protests gegen die Julimonarchie. Gleichzeitig war das Attentat der Auftakt einer Serie von sechs weiteren typologisch ähnlichen Anschlägen auf Louis-Philippe I., die bis 1846 andauerte und sich durch den Einsatz von Schusswaffen auszeichnete.14 Die französische Regierung versuchte der positiven Darstellung Fieschis mit umfassender Gegenberichterstattung zu begegnen, die Fieschi als Kriminellen entlarven und ihr eigenes Vorgehen legitimieren sollte.15 Hierzu wurde eine mehrbändige Prozessdokumentation herausgegeben, die einen Untersuchungsbericht des Mitglieds der Pairskammer Joseph-Marie Portalis, die Vernehmungen der Angeschuldigten, die Zeugenaussagen und das Protokoll der Verhandlung umfasste. In Deutschland und anderen europäischen Staaten erschienen kurz darauf viele „aktenmäßige“ Darstellungen des Prozesses, die auf den französischen Quellen basierten.16 Die Wirkung dieser Maßnahme war ambivalent. Insbesondere der Bericht Portalis’, der detailliert über Fieschis Lebensumstände und seine pikante sexuelle Beziehung zu einem MutterTochter-Gespann berichtete, fachte das Interesse der Öffentlichkeit erst recht an und lieferte den Stoff für den Ausbau des Kults um Fieschi. Eine in mehreren deutschen Zeitschriften erschienene Rezension beurteilte den Bericht folgendermaßen: 12
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Vgl. Beatrice De Graaf: Terroristen vor Gericht. Terrorismusprozesse als kommunikative Fortsetzung des Kampfes um Recht und Gerechtigkeit, in: Klaus Weinhauer/Jörg Requate (Hgg.): Gewalt ohne Ausweg? Terrorismus als Kommunikationsprozess in Europa seit dem 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main/New York 2012, S. 281–298. A. Bouveiron: An historical and biographical sketch of Fieschi 1835, with anecdotes relating his life: Predeeded by a narrative of the circumstances attending the events of the 28 july, 1835, London 1835; Henry Hallam: Fieschi the Assassin; or, the Machine Infernal! A Drama in three acts!, Blackburn 1835; Ernst Ortlepp: Fieschi. Ein poetisches Nachtstück, Leipzig 1835; Levensbijzonderheden van Fieschi, zich noemende Gérard, tot aan den dag van den verschrikkelijken moord den 28 July 1835 te Parijs. Gevolgd van een berigt over Vrouw Petit en Nina Lasalle, Utrecht 1835. Giesselmann: „Die Manie der Revolte“ (wie Anm. 5), S. 362–363. Cours des Pairs (Hg.): Attentat du 28 Juillet. Rapport fait a la cour par M. le comte Portalis ; Paris 1835 ; Attentat du 28 Juillet. Interrogatoires des Accusés, Paris 1835 ; Attentat du 28 Juillet. Procédure. Dépositions de Témoins, Paris 1836; Attentat du 28 Juillet. Procès-Verbal des Séances Relatives au Jugement de cette Affaire, Paris 1836. Z. B. Merkwürdiger Prozeß und Verurtheilung des Mörders Fieschi und seiner Mitangeklagten vor dem Pairshofe von Paris. Aus authentischen Quellen gesammelt und getreu der Wahrheit dargestellt, Berlin 1836; Auszug aus dem Berichte des Grafen Portalis, eines der mit der Instruction des Fieschischen Prozesses beauftragt gewesenen Commissaire, in: Politisches Journal 57 (1836), S. 97–150.
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„Der Bericht des Hrn. v. Portalis über den Mordanschlag Fieschi’s ist in psychologischer Hinsicht ein mit Liebe ausgearbeitetes Meisterwerk, in politischer Hinsicht eine schülerhaft verzeichnete Stümperei, die sich ein etwas geschickterer Graubart, als Hr. Portalis ist, niemals hätte zu Schulden kommen lassen.“17 Darüber hinaus erließ die französische Regierung am 9. September 1835 ein Bündel legislativer Maßnahmen, das in erster Linie unter dem Namen „Septembergesetze“ bekannt geworden ist. Dieses zielte insgesamt auf eine Verschärfung des politischen Strafrechts ab. Damit reagierte man auf eine 1830 erfolgte Reform desselben, durch die politische Straftäter privilegiert worden waren. Diese Reform war nach der Julirevolution Kernforderung des bürgerlichen Juste Milieu gewesen und war von der Erfahrung häufiger Systemwechsel und der massiven Verfolgung napoleonischer und republikanischer Oppositioneller durch die restaurierten Bourbonen-Regierungen in den 1820er Jahren geprägt. Hiergegen hatte sich zunehmend öffentlicher Widerstand formiert, der auf folgende Kernforderungen hinauslief: Erstens sollten politische Prozesse öffentlich und vor Geschworenengerichten verhandelt werden; zweitens sollte die Todesstrafe bei politischen motivierten Handlungen abgeschafft werden; drittens sollte auch ausländischen Oppositionellen Schutz vor willkürlicher und ungerechter Strafverfolgung gewährt werden.18 Ausgehend von diesen Forderungen führte Frankreich 1830 ein neuartiges politisches Strafrechtssystem ein: So wurde zwischen „gemeinen“ und „politischen“ Delikten unterschieden, wobei die politischen Delikte wegen ihrer moralisch integren Motivation und ihrem von politischen Konstellationen abhängigen Charakter weniger schwer bestraft werden sollten. Politisch waren etwa Pressevergehen, Verstöße gegen Vereinsgesetze aber auch Aufstände und Amtsvergehen.19 Eine für die Strafrechtspraxis besonders einschneidende Maßnahme war, dass diese politischen Delikte vor Geschworenengerichten verhandelt werden sollten. Ausgenommen waren lediglich Handlungen, die sich unter die Bestimmungen zum Hoch- und Landesverrat fassen ließen. Hier war weiterhin die durch den König einberufene und politisch zuverlässige „Pairskammer“ zuständig. Fieschis Fall wurde beispielsweise als Hochverrat durch die Pairskammer verhandelt. In der Folge war es in einer Reihe von politischen Prozessen zu milden Urteilen und spektakulären Freisprüchen durch Geschworenengerichte gekommen. Die französische Regierung nutzte nun das Attentat, um diese Situation in ihrem Sinne zu klären. So argumentierte sie, das Attentat sei das Resultat der durch die Presse aufgeheizten öffentlichen Stimmungen gegen den König gewe17 18
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Allgemeine Zeitung 359 (1835), S. 2868. Vgl. Christian Baltzer: Die geschichtlichen Grundlagen der privilegierten Behandlung politischer Straftäter im Reichsstrafgesetzbuch von 1871, Bonn 1966, S. 37–40; Bram Delbecke: The Political Offence and the Safeguarding of the Nation State. Constitutional ideals, French Legal Standards and Belgian Legal Practice, 1830–70, in: Comparative Legal History 1 (2013), S. 45–74; Herbert Reiter: Politisches Asyl im 19. Jahrhundert. Die deutschen politischen Flüchtlinge des Vormärz und der Revolution von 1848/49 in Europa und den USA, Berlin 1992 (= Historische Forschungen, Bd. 47), 19–34. Vgl. Adolphe Chaveau/Faustin Hélie: Théorie du Code Pénal (Bd. 2), Paris 51872, S. 12ff.
Das Attentat auf König Louis-Philippe I. am 28. Juli 1835
sen. Negative und aggressive Presseberichte gegen König und Regierung seien also mit einem Attentat auf den König vergleichbar. Hiervon ausgehend schuf sie zwei neue, als Hochverrat klassifizierbare Straftatbestände nämlich 1) Schüren von Hass gegen den König sowie 2) Anstiftung zum Umsturz des Staatswesens. Hierdurch konnten nahezu alle Pressevergehen in die Kompetenz der Pairskammer gelegt werden, sodass das Attentat der Ausgangspunkt einer massiven Kriminalisierung und Verfolgung der liberalen französischen Presse war.20
II. Auswirkungen des Attentats auf den Deutschen Bund Ähnlich wie die französischen Behörden waren die deutschen Regierungen um die Kontrolle des Diskurses über das Attentat bemüht. Nachdem am 22. August 1835 im Pfennigmagazin eine Abbildung der Höllenmaschine und des Tatorts erschienen war (Abb. 1), wurde in Preußen im Blick auf Nachahmungstäter die Berichterstattung über das Attentat unter verschärfte Zensur gestellt. So sollte die gesamte Berichterstattung über den Prozess auf Hinweise auf Bau- und Funktionsweise sowie Bilder der Höllenmaschine überprüft werden.21 Sachsen wurde ab Oktober von Österreich massiv unter Druck gesetzt, als in Leipzig durch Ernst Ortlepp das Gedicht „Fieschi, ein poetisches Nachtstück“ veröffentlicht wurde, in dem das Attentat religiös verklärt und als versuchter Tyrannenmord heroisiert wurde.22 Metternich wandte sich persönlich an die sächsische Regierung und wies darauf hin, dass solche Publikationen nicht nur den Fanatismus potentieller Attentäter in Deutschland anheizen würden, sondern auch ein außenpolitischer Affront gegen Frankreich seien und ein schlechtes Licht auf den gesamten Bund werfen würden.23 Tatsächlich hatte der der Bundesversammlung zu diesem Zeitpunkt stellvertretend vorstehende bayerische Bundestagsgesandte von Mieg unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Attentats dem französischen Gesandten in Frankfurt „sowohl die gerechte Indignation über dieses verabscheuungswürdige Attentat, als die aufrichtigsten Glückwünsche über die von der Person Seiner Königlichen Mayestät abgewendeten Gefahr“ ausgesprochen.24 Diese symbolische Versicherung von Anteilnahme und Solidarität unter Betonung der gemeinsamen zivilisatorischen
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Vgl. Gustav Carl Nicolaus Rintel: Von der Jury. Ihre Nothwendigkeit und Stellung im Strafverfahren ; ihre Geschichte und verschiedene Bedeutung in England und Frankreich; ihre Einführung in Preussen, eine Monographie, Münster 1844, S. 203–204; von Tippelskirch: Beiträge zur künftigen Strafprozeß-Ordnung für Preußen. Von dem Geschworenengerichte und dessen Bedeutung für uns im Allgemeinen, in: Archiv für Preußisches Strafrecht 3 (1855), S. 444. Manfred Neuhaus: Ernst Ortlepp und die Zensur. Eine Dokumentation, Berlin 2013, S. 62–63. Ortlepp: Fieschi. Ein poetisches Nachtstück (wie Anm. 13). Neuhaus: Ernst Ortlepp und die Zensur (wie Anm. 21), S. 66–69. Das gegen Seine Majestät den König der Franzosen am 28. Julius d. J. versuchte Attentat betreffend, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1835, 18. Sitzung, § 283, S. 576.
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Abb. 1: Das Haus N° 50. Boulevard du Temple in Paris; Ansicht der Höllenmaschine; Bildniss des bei derselben ergriffenen Gérard, in: Das Pfennig-Magazin der Gesellschaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse, Außerordentliche Beilage zu Nr. 125 (1835), wikimedia commons.
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Das Attentat auf König Louis-Philippe I. am 28. Juli 1835
Werte nach politischen Gewaltereignissen entwickelte sich zu einem wesentlichen diskursiven Element der „europäischen Sicherheitskultur“.25 Auch auf der Ebene des Deutschen Bundes hatte das Attentat Konsequenzen. Wichtig ist, dass Deutschland sich zu diesem Zeitpunkt in einer Phase der sicherheitspolitischen Entspannung befand. 1832/33 war es durch Ereignisse wie das Hambacher Fest und ganz besonders den Frankfurter Wachensturm zu einem Ausbau der sicherheitspolitischen Kompetenzen und Institutionen des Bundes gekommen.26 Wichtigstes Instrument des Bundes war die Frankfurter Bundeszentralbehörde, eine Kommission, die die politischen Untersuchungen in den einzelnen Bundesstaaten koordinierte und kontrollierte.27 Nach dem Abklingen der akuten Bedrohungslage war es seit dem Frühjahr 1835 zu einer Diskussion um die Auflösung dieser Kommission gekommen, die von den kleineren Bundesstaaten als zu kostenintensiv und als Eingriff in ihre Souveränität empfunden wurde. Die Kommission stand im Juli 1835 kurz vor der Auflösung, als die Nachricht von dem Attentat eintraf. Metternich machte die oppositionellen Gruppen „Junges Italien“ und „Junges Europa“ für das Attentat verantwortlich.28 Dabei bewertete er das Attentat nicht als singuläres Ereignis, sondern als Teil einer Serie von politisch motivierten Gewalttaten am Beginn der 1830er Jahre, die von multinationalen Tätergruppen durchgeführt und transnational rezipiert worden waren. Beispiele wären der Frankfurter Wachensturm, der Savoyerzug oder der Arbeiteraufstand von Lyon, an denen besonders militärisch erprobte polnische Revolutionsflüchtlinge beteiligt waren. Gegenüber dem österreichischen Gesandten in Paris führte er aus: Ist das Attentat vom 28. Juli ein isoliertes Verbrechen? So lautet die erste Frage, die sich jeder Mensch, der nachdenkt, stellen musste […] Wir zögern nicht, das „Junge Italien“ oder vielmehr das „Junge Europa“, in welchem die Vertreter der Republika25
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Vgl Christopher Daase: Sicherheitskultur als interdisziplinäres Forschungsprogramm, in: Ders. / Valentin Rauer: Sicherheitskultur. Soziale und politische Praktiken der Gefahrenabwehr, Frankfurt am Main u.a. 2012, S. 23–44. Zu ähnlichen Praktiken schon im 17. Jahrhundert vgl. aber in diesem Band auch Krischer, S.##. Vgl. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. II: Der Kampf und Einheit und Freiheit 1830 bis 1850, Stuttgart 31988, S. 125 ff.; Wolfram Siemann: „Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung“. Die Anfänge der politischen Polizei 1806–1866, Tübingen 1985, S. 93 ff.; Tyrichter, Die Erhaltung der Sicherheit (wie Anm. 4), S. 178 ff. Vgl. Adolf Löw: Die Frankfurter Bundeszentralbehörde von 1833–1842, Gelnhausen 1932; Siemann: „Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung“ (Anm. 26), S. 93–108.; Jean Conrad Tyrichter, Die sicherheitspolitischen Kommissionen des Deutschen Bundes im Vormärz. Die Mainzer Zentraluntersuchungskommission und die Frankfurter Bundeszentralbehörde, in: Jürgen Müller (Hg.): Deutscher Bund und innere Nationsbildung im Vormärz (1815–1848), Göttingen 2018, S. 99–123. Vgl. Wolfgang Schieder: Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung. Die Auslandsvereine im Jahrzehnt nach der Julirevolution von 1830, Stuttgart 1963, S. 29–44; Ernst Schraepler: Handwerkerbünde und Arbeitervereine, 1830–1853. Die politische Tätigkeit deutscher Sozialisten von Wilhelm Weitling bis Karl Marx, Berlin 1972 (= Publikationen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Bd. 4), S. 29 ff.
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ner von allen Ecken unseres Kontinents miteinander verschmelzen, dieses schrecklichen Verbrechens zu bezichtigen. Diese Besessenen, die zuvor auf Frankreich zählten, um Europa nach ihrer Manier zu erneuern, sind von ihrer Geneigtheit, die sie prinzipiell für einen vom souveränen Volk auf den Schild gehobenen König hatten, zu einem unbändigen Hass übergegangen, angesichts der Tatsache, dass ihnen am Tag der Explosion jene Unterstützung fehlte, mit der man ihnen geschmeichelt hatte. Die Korrespondenz der italienischen und anderen Exilanten atmet diesen Geist der Vergeltung seit einer gewissen Zeit, vor allem aber seit dem Ausgang der savoyischen Expedition, und seit der Niederschlagung der Revolten in Lyon und Paris.29 Insbesondere hatte Metternich erfahren, dass es in Frankfurt schon lange Gerüchte über ein Attentat auf Louis Philippe während der Jubiläumsfeierlichkeiten gegeben hatte. Diese waren so konkret, dass bereits eine Warnung an die französischen Behörden ergangen war.30 Für Metternich bedeutete dies, dass die Bundeszentralbehörde auf keinen Fall aufgelöst werden durfte, sondern versuchen musste, mögliche Verbindungen zwischen Deutschland und dem Pariser Attentat aufzudecken, worin Preußen übereinstimmte.31 Vor dem Hintergrund, dass es der Bundeszentralbehörde nicht gelang, solche Verbindungen aufzudecken,32 wäre es leicht, diesen Vorgang als politische Instrumentalisierung eines unbedeutenden, zeitlich und räumlich begrenzten Ereignisses zu interpretieren, zumal das Attentat gar nicht innerhalb des Bundes stattfand. Hierbei muss jedoch bedacht werden, dass die deutschen Regierungen erst 1830 erfahren hatten, wie ein von Paris ausgehendes, revolutionäres „Signal“ innerhalb des „europäischen Kommunikationsraums“ eine Welle sozial und politisch motivierter Unruhen ausgelöst hatte, sodass das Attentat tatsächlich eine erhebliche Bedrohungs29
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L’attentat du 28 Juillet est-il un crime isolé? Telle est la première question qu’a dû se faire tout homme qui réfléchit. (…) Nous n’hésitons pas à accuser de cet horrible crime la Jeune Italie, ou plutôt la Jeune Europe, dans laquelle sont venus se fondre les représentants des républicains de tous les points de notre continent. Ces énergumènes, qui d’abord avaient compté sur la France pour régénérer l’Europe à leur manière, voyant que l’appui dont on les avait flattés leur manquait au jour de l’explosion, ont changé en haine implacable le penchant qu’ils avaient montré dans le principe pour un Roi élevé sur le pavois par le peuple souverain. La correspondance de réfugies italiens et autres respirait cet esprit de vengeance depuis un certain temps, mais surtout depuis l’issue de l’expédition de Savoie, et depuis la répression de révoltes de Lyon et Paris; Metternich an Apponyi, 14. August 1835, in: Richard Metternich-Winnerburg (Hg.): Aus Metternich’s nachgelassenen Papieren (Bd. 6), Wien 1881, S. 43; Vgl. Wolfram Siemann: Metternich. Staatsmann zwischen Restauration und Moderne, München 2010, S. 67–68. Welden an Metternich, 1. August 1835, in: Haus-, Hof und Staatsarchiv Wien (im Folgenden: HHStAW), Staatskanzlei, Deutsche Akten, 34; Vgl. Auszug aus dem Berichte des Grafen Portalis (wie Anm. 16), S. 148–149. Metternich an Trautmannsdorff, 17. August 1835, in: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (im Folgenden: GStA PK), I. HA, Rep. 77, Ministerium des Innern, Tit. 10, Nr. 11, Bd. 1; Metternich an Münch-Bellinghausen, 7. August 1835, in: HHStAW, Staatskanzlei, Deutsche Akten, 34; Vgl. Siemann: „Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung“ (Anm. 26), S. 102; Tyrichter, Die Erhaltung der Sicherheit (wie Anm. 4), S. 294–295. Schoeler an Ancillon, 17. Oktober 1835, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77, Ministerium des Innern, Tit. 10, Nr. 11, Bd. 1.
Das Attentat auf König Louis-Philippe I. am 28. Juli 1835
lage kreierte.33 Von den Regierenden wurde die erneute Verdichtung von Unruhen als Hinweis auf das Erstarken einer gesamteuropäischen Umsturzpartei gewertet, die durch spektakuläre und symbolträchtige Aktionen das politische System destabilisieren wollte. Metternich nannte diese politische Strategie später einmal „Terrorismus“.34 Diese Anfang der 1830er unter den Regierenden herrschende Furcht vor politischen Gewalttaten wird häufig als nicht authentisch und lediglich als Vorwand der restaurativen Elite zur Durchsetzung reaktionärer Politik abgetan. Es darf jedoch nicht ignoriert werden, dass die Grundlage dieser Furcht nicht nur erfolgreiche Attentate waren, sondern auch sich häufende Nachrichten und Gerüchte über gescheiterte, vereitelte oder auch nur geplante Attentate, die mit Ausbau der Sicherheitsapparate sogar noch zunahmen. Angesichts der großen Zahl von tatsächlich durchgeführten Attentaten ist es jedoch wenig zielführend, diese Sorge vor Attentaten einfach als paranoid abzutun bzw. sie wegen des ausbleibenden Erfolgs der meisten Attentate rückwirkend zu banalisieren. Wenn etwa Adam Zamoyski behauptet, es habe es sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lediglich um ein „Phantom Terror“ gehandelt, ist dies angesichts der hohen Zahl der von ihm selbst aufgeführten, politisch motivierten Gewalttaten nicht nur empirisch kaum haltbar,35 sondern auch analytisch fragwürdig.36 Eine solche Bewertung ignoriert das komplexe Wechselspiel von diskursiv erzeugter Bedrohungslage und Sicherheitsproduktion und rationalisiert situativ getroffene sicherheitspolitische Entscheidungen nachträglich. Ein Problem ist dabei auch eine erhebliche Differenz zwischen historiographischer und zeitgenössischer Bewertung bestimmter Ereignisse, ein Phänomen, das sich besonders eindrücklich am Frankfurter Wachensturm beobachten lässt und das zeigt, dass der Begriff „Attentat“ wegen der impliziten Wertung des Ereignisses eine problematische heuristische Kategorie ist. Beim Wachensturm handelte es sich um einen Angriff einer Gruppe von Burschenschaftern und polnischen Exilanten auf mehrere Polizeiwachen in Frankfurt, der locker mit mehreren gescheiterten Anschlägen und Aufständen in anderen Bundesstaaten verbunden war.37 Dabei kam es im Zentrum Frankfurts verschiedentlich zu Schießereien bei denen es mindestens neun Tote (sechs Soldaten, zwei Aufständische, ein Zivilist) und 24 Verletzte gab.38 Während dieses Ereignis von den Regierenden als gravierender Angriff auf Frankfurt als „Hauptstadt“ des Deutschen Bundes und Fanal einer Revolution wahrgenommen wurde, wurde das 33 34 35 36 37 38
Wolfram Siemann: Metternich. Stratege und Visionär, München 2016, S. 770–772. Siemann: Metternich. Staatsmann zwischen Restauration und Moderne (wie Anm. 29), S. 67. Siemann: Metternich. Stratege und Visionär (wie Anm. 33), S. 722. Vgl. Zamoyski: Phantome des Terrors ( wie Anm. 11). Siehe hierzu: Gad Arnsberg: … über die Notwendigkeit einer deutschen Republik. Die württembergische Militär- und Zivilverschwörung 1831–1833 (= Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B: Forschungen 211), Stuttgart 2017. Vgl. Zusammenstellung der gerichtlichen Untersuchungs-Resultate in Betreff der Meuterei zu Frankfurt a. M. vom 3. April 1833, nach den, der Bundeszentralbehörde bis Ende März 1834 zugekommenen Akten, in: Reinhard Görisch/Thomas Michael Mayer (Hgg.): Untersuchungsberichte zur republikanischen Bewegung in Hessen. 1831–1834, Frankfurt am Main 1982, S. 37 ff.
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Ereignis später entweder wegen des fehlenden Erfolgs marginalisiert oder als nationaler Meilenstein inszeniert.39 Diesen Deutungsmustern folgend, hat Zamoyski den Wachensturm als amüsante Episode dargestellt, die von den Regierenden künstlich aufgebauscht worden sei.40 Die unterschiedliche Bewertung des Ereignisses zeigt sich auch in der Namensgebung. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sprach man in Anlehnung an den offiziösen Diskurs vom „Frankfurter Attentat“. Erst durch Heinrich von Treitschke wurde der Begriff „Wachensturm“ systematisch verwendet und nationalgeschichtlich aufgewertet.41 Hieran zeigt sich auch eine andere Besetzung oder Verwendung des Begriffs „Attentat“. Im frühen 19. Jahrhundert wurde er nicht nur auf Angriffe auf Personen oder Staatsoberhäupter angewandt, sondern beschrieb allgemein gesetzwidrige Handlungen. Die diskurs- und mentalitätsgeschichtlichen Auswirkungen der durch Fieschi ausgelösten Attentatsserie der 1830er und 1840er Jahre lassen sich eindrücklich anhand der Begriffsgeschichte verfolgen. Brockhaus’ „Conversations-Lexikon“ widmete dem Begriff „Attentat“ im ersten Band der 1833 erschienen 8. Auflage beispielsweise nur einen kurzen und sehr allgemeinen Eintrag, in welchem er als „Unternehmung, und zwar gesetzwidrige“ definiert wurde, sowohl in zivil- als auch strafrechtliche Kontexten.42 In der 9. Ausgabe vom 1843 wurde diese Definition weitgehend beibehalten. Jedoch enthielt das 1838 ebenfalls bei Brockhaus erschienene und als Ergänzungsband konzipierte „Conversations-Lexikon der Gegenwart“ unter dem Begriff „Attentate“ eine fast 15 Seiten lange Darstellung der Attentatsversuche auf Louis-Philippe I., wobei der Prozess gegen Fieschi den größten Raum einnahm.43 In der 10. Ausgabe des Conversations-Lexikons von 1851 erfolgte die Ergänzung, dass der Begriff neben seiner juristischen Verwendung besonders für Angriffe auf Staatsoberhäupter verwendet werde: „In neueren Zeiten hat man den Ausdruck Attentat ganz besonders auf mißglückte Versuche der Ermordung eines Regenten angewendet, wozu namentlich die zahlreichen Mordversuche auf Ludwig Phillip Veranlassung gaben.“44 Diese Definition nahm in den folgenden Ausgaben zunehmend mehr Raum ein, wobei insbesonde39 40 41 42 43
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Vgl. Sarah-Lena Schmidt: Der Frankfurter Wachensturm von 1833 und der Deutsche Bund. Deutungen in verfassungsgeschichtlichem Kontext, Hamburg 2011 (= Schriftenreihe rechtsgeschichtliche Studien, Bd. 46). Zamoyski: Phantome des Terrors (Anm. 11), S. 429. Heinrich von Treitschke: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Vierter Theil: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III (= Staatengeschichte der neuesten Zeit, Bd. 27), Leipzig 2 1889, S. 293 ff. Art.: Attentat, in: Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände. ConversationsLexicon (Bd. 1), Leipzig 81833, S. 487. Art.: Attentate, in: Conversations-Lexikon der Gegenwart. Ein für sich bestehendes und in sich abgeschlossenes Werk, zugleich ein Supplement zur achten Auflage des Conversations-Lexikons, sowie zu jeder frühern, zu allen Nachdrucken und Nachbildungen desselben (Bd. 2), Leipzig 1838, S. 259– 274. Art.: Attentat, in: Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände. ConversationsLexicon (Bd. 2), Leipzig 101851, S. 6.
Das Attentat auf König Louis-Philippe I. am 28. Juli 1835
re auf aktuelle Attentatsversuche verwiesen wurde. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich bei „Meyers Konversationslexikon“ beobachten. Hier ging man in der ab 1885 erschienen vierten Auflage endgültig zu einer mehr oder weniger exklusiven Verwendung des Begriffs für einen „politischen Mord“ über, wobei der Begriff auf historische Ereignisse bis zum Mittelalter übertragen wurde. Attentat wurde hier als Versuch einer gesetzwidrigen Handlung, insbesondere der Angriff auf das Leben eines Regenten oder einer sonstigen hervorragenden Persönlichkeit definiert.45
III. Interaktionen zwischen Staaten des Deutschen Bundes und Frankreich Zwar hatte Fieschi zwei Finanziers und Helfer denunziert, jedoch beteuert, dass er selbst für Idee und Durchführung des Attentats verantwortlich sei. Gleichzeitig machte er aber in den Verhören immer wieder kryptische Andeutungen über weitere Hintermänner und hatte Angst davor, in der Haft vergiftet zu werden.46 Die französischen Behörden vermuteten angesichts des organisatorischen, technischen und finanziellen Aufwands, der bei dem Attentat betrieben worden war, eine tiefergehende und umfassende Verbindung ins republikanische Milieu und ins Ausland. Portalis’ Bericht zeigt, dass gegen fast 250 Personen ermittelt und Amtshilfegesuche an Behörden in Preußen und Sardinien gestellt wurden.47 Vor dem Hintergrund der grenzübergreifenden Ermittlungen der französischen Behörden erwies sich ein weiterer wichtiger Aspekt des politischen Strafrechts in Frankreich als problematisch, nämlich das Prinzip der Nichtauslieferung politischer Verbrecher. Nach einer durch das Königreich Neapel unter Verschleierung der eigentlichen Motive erwirkten Auslieferung des politischen Flüchtlings Antonio Galotti und sich anschließender massiver öffentlicher Proteste hatte Frankreich kurz nach der Julirevolution erklärt, jeglichen Rechtshilfeverkehr, also auch bei gemeinen Verbrechen, einzustellen. Aus eigenen kriminalpolitischen Interessen konnte diese Haltung nicht lange aufrechterhalten werden, Frankreich lieferte schon bald wieder gemeine Verbrecher aus. Politische Flüchtlinge wurden jedoch nicht ausgeliefert und zudem mit erheblichen Geldmitteln unterstützt.48 Vor diesem Hintergrund war es für die französische Regierung besonders unangenehm, dass sie im Zuge ihrer Ermittlungen in die Verlegenheit kam, bei der preußischen Regierung einen Auslieferungsantrag wegen eines vermeintlichen politischen Delinquenten zu stellen. Unmittelbar nach dem Attentat hatte die französische Re45 46 47 48
Art.: Attentat, in: Meyers Konversations-Lexikon. Eine Encyklopädie des allgemeinen Wissens (Bd. 2), Leipzig 1885, S. 27–28. Vgl. Auszug aus dem Berichte des Grafen Portalis (wie Anm. 16), S. 126–127. Vgl. Attentat du 28 Juillet. Rapport fait a la cour par M. le comte Portalis, S. 293–441. Ferdinand Von Martitz: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen. Beiträge zur Theorie des positiven Völkerrechts der Gegenwart (Bd. 2), Leipzig 1897, S. 336 ff.; Reiter: Politisches Asyl im 19. Jahrhundert (wie Anm. 18) , S. 28–34 und S. 111–116; Tyrichter: Die Erhaltung der Sicherheit (wie Anm. 4), S. 353 ff.
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gierung die preußischen Behörden gebeten, ihre Grenzkontrollen zu verschärfen und verdächtige Personen festzunehmen.49 Ein ähnliches Verfahren hatte man auch infolge des Wachensturms angewendet, als die französischen Behörden ihre Grenze schlossen und Teilnehmer des Aufstands an der Grenze abgewiesen wurden.50 Anfang August wurde in Saarbrücken ein verdächtiger Franzose mit dem Namen Gilbert Simeon Bardon verhaftet, nach dem im Zusammenhang mit dem Attentat gefahndet wurde.51 Als Frankreich die Auslieferung Bardons verlangte, kam es innerhalb der preußischen Regierung zu einer Diskussion, ob und wie die Situation politisch nutzbar zu machen sei. Der preußische Polizeiminister von Rochow forderte, die Auslieferung Bardons an die Bedingung zu knüpfen, dass Frankreich in Zukunft selbst politische Delinquenten ausliefere oder zumindest Amtshilfe in Form von Verhören leisten müsse. 52 Am Ende verzichtete Preußen jedoch auf eine solche Forderung, da klar war, dass die französische Regierung ihr nicht zustimmen konnte. Da man aber kein Interesse daran hatte, Bardon selbst in Haft zu nehmen und es angesichts der Schwere des Verbrechens auch nicht vertretbar war, ihn frei zu lassen, lieferte man ihn trotzdem aus. Anstatt einen kaum erfolgversprechenden rechtspolitischen Konflikt zu beginnen, erhoffte man sich ein Entgegenkommen der Franzosen auf polizeilicher oder nachrichtendienstlicher Ebene. Tatsächlich spielte sich in der Folgezeit ein Verfahren ein, bei dem die französischen Behörden zwar nicht von sich aus, jedoch bei Beschwerden deutscher Regierungen gegen Flüchtlinge und Emigranten vorgingen, was deren Tätigkeit in Frankreich erheblich erschwerte.53 Metternich versuchte nach dem Attentat sogar, über das so genannte „Informationsbüro“ eine systematische sicherheitspolitische Kooperation mit Frankreich aufzubauen.54 Zu diesem Zweck wurde ein hochrangiger Polizeibeamter im Frühjahr 1836 für Verhandlungen nach Paris geschickt. Das Vorhaben scheiterte jedoch an unterschiedlichen Zielvorstellungen: Während die Österreicher planten, transnational koordiniert gegen politische Vereine und Presse in ganz Europa vorzugehen, und hierzu ein umfassendes Programm an polizeilichen Maßnahmen vorlegten, wollten die Franzosen die Kooperationen lediglich auf Informationsaustausch über gefährliche Personen, geplante Attentate und Anschläge begrenzen, um „Wiederho49 50 51 52 53 54
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Nagler an Bodelschwingh, 30 Juli 1835, in: Landeshauptarchiv Koblenz (im Folgenden: LA Koblenz), Bestand 403, Nr. 2150. Vgl. Reiter: Politisches Asyl im 19. Jahrhundert (wie Anm. 18), S. 114; Paul Wentzcke: Straßburg als Zufluchtsort deutscher politischer Flüchtlinge in den Jahren 1819 bis 1850, in: Elsass-Lothringisches Jahrbuch 12 (1933), S. 240 ff. Dern an Bodelschwingh, 14. August 1835, in: LA Koblenz, Bestand 403, Nr. 2150; Bodelschwingh an Rochow,19. August 1815, in: GStA PK, III. HA, Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, III. HA, Nr. 5403. Vgl. Attentat du 28 Juillet. Rapport fait a la cour par M. le comte Portalis, S. 438–440. Rochow an Ancillon, 27.8.1835, in: GStA PK, III. HA, Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 8012; GStA PK, III. HA, Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, III. HA, Nr. 5403. Vgl. Reiter: Politisches Asyl im 19. Jahrhundert (wie Anm. 18), S. 111–116. Vgl. Fritz Reinöhl: Die österreichischen Informationsbüros des Vormärz, ihre Akten und Protokolle, in: Archivalische Zeitschrift 38 (1929), S. 266–267; Tyrichter: Die Erhaltung der Sicherheit (wie Anm. 4), S. 395 ff.
Das Attentat auf König Louis-Philippe I. am 28. Juli 1835
lungen Fieschischer Attentate von einzelnen Fanatikern“ zu verhindern.55 Da die österreichische Regierung Frankreich zudem verdächtigte, ihr wichtige Informationen vorzuenthalten, scheiterten die Verhandlungen.
IV. Schluss Überblickt man die sicherheitspolitischen Reaktionen auf das Attentat Fieschis, fällt zunächst deren kommunikative Dimension auf. In Frankreich und in Deutschland ging es den Behörden vor allem darum, die Deutungshoheit über das Attentat zu gewinnen. Auch wenn dies von Fieschi selbst wahrscheinlich gar nicht beabsichtigt war – bei ihm überwogen wohl eher persönliche Motive – wurde das Attentat als eine umfassende Bedrohung für Stabilität und Legitimität des Herrschaftssystems wahrgenommen. Weniger in den unmittelbaren materiellen Auswirkungen des Attentats als in seiner Funktion als Katalysator politischen Protests wurde die Gefahr gesehen. Wichtig ist dabei, dass dieses Bedrohungsszenario nicht auf Frankreich begrenzt blieb. Vor dem Hintergrund des seit der Französischen Revolution omnipräsenten Narrativs einer paneuropäischen, revolutionären Verschwörungen und eines zunehmend dynamischen und schwer zu kontrollierenden öffentlichen Diskursraum wurde es auch im Ausland als unmittelbare Sicherheitsbedrohung wahrgenommen. Der Fall zeigt aber auch, dass die symbolisch-diskursive Dimension des Attentats sich nicht nur destabilisierend, sondern umgekehrt auch stimulierend und stabilisierend auswirkte. Innenpolitisch und ganz besonders im Blick auf die Formierung transnationaler Sicherheitsregime. So ließ sich die Aufnahme transnationaler sicherheitspolitischer Kooperationen innerhalb der Regierungen und gegenüber der Öffentlichkeit überhaupt erst durch den Verweis auf außerordentliche Sicherheitsbedrohungen wie Attentate rechtfertigen. Dabei ist es charakteristisch, dass sich solche Kooperationen weniger im Rahmen von Strafjustiz abspielten, sondern stärker auf polizeiliche und nachrichtendienstliche Zusammenarbeit abzielten. Der Fall Bardon zeigt, wie schwierig es war, angesichts divergierender rechtlicher Konzepte über den Umgang mit politischen Delinquenten in den europäischen Staaten hier zu einem Konsens zu gelangen. Gleichzeitig wurde der strafrechtlichen Sanktionierung von Individuen angesichts der als umfassend empfundenen Bedrohungslage geringere Bedeutung zugemessen. In diesem Zusammenhang stellte das Attentat auf Louis-Philippe I. ein Schlüsselereignis dar. So beruhte die in aufgeklärten Diskursen geforderte privilegierte Behandlung politischer Straftäter auf einer idealisierten Vorstellung des politischen Kriminellen als Mitglied des „Juste Milieu“, das primär wegen Meinungsverbrechen verfolgt wurde. Fieschi war dagegen der „Prototyp“ einer neuen Art von Attentäter. So traten seit der Mitte der 1830er Jahre neben bürgerlichen und akademischen Eliten zunehmend auch untere Bevölkerungsgruppen als Träger politischen Protestes in Erscheinung, deren Motive aber als weniger authentisch empfunden wurden. Dabei 55
Noé von Nordberg an Metternich, 12. April 1836, in: HHStAW, Staatskanzlei, Deutsche Akten 289.
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Conrad Tyrichter
verfestigte sich das Bild des aufgrund seiner Herkunft sowie rücksichts- und ehrloser Handlungsweisen „asozialen“ Gewalttäters ohne echte politische Motive. Mittel- bis langfristig führte dies sogar zu einer Abschwächung des Grundsatzes des politischen Asyls. Schon während der Revolution von 1848 wurden Attentäter durch Frankreich ausgeliefert und Belgien führte 1856 die so genannte Attentatsklausel ein, die Attentate auf Staatsoberhäupter von den schützenswerten Handlungen ausnahm.56 Die Konstruktion neuer Label von politischer Kriminalität wie „Terrorismus“ und „Anarchismus“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kann dabei als direkte Reaktion auf die Radikalisierung und Popularisierung politischen Protests gesehen werden und hatte aus sicherheitspolitischer Perspektive vor allem die Funktion, diese Handlungen und Gruppen aus dem ambivalenten Feld der politischen Kriminalität zu exkludieren.57
56 57
248
Reiter: Politisches Asyl im 19. Jahrhundert (wie Anm. 18), S. 41 ff. u. 153 ff. Vgl. Richard Bach Jensen: The Rise and Fall of the ‘Social Crime’ in Legal Theory and International Law. The Failure to Create a New Normative Order to Regularize Terrorism, 1880–1930s, in: Karl Härter/Tina Hannappel/Jean Conrad Tyrichter (Hgg.): The Transnationalisation of Criminal Law in the Nineteenth and Twentieth Century, Frankfurt am Main 2019, S. 197–212.
Danksagung
Die Beiträge dokumentieren eine Tagung, die im Dezember 2015 als Veranstaltung des Sonderforschungsbereichs 1150 „Kulturen des Entscheidens“ an der Westfälische Wilhelms-Universität Münster stattgefunden hat. Sie sollten vor allem Graduierten und Post-Docs die Gelegenheit bieten, laufende Projekte vor- und zur Diskussion zu stellen. Wir danken dem SFB, namentlich dem Sprecher, Prof. Dr. Ulrich Pfister, und dem Wissenschaftlichen Koordinator, Dr. Philip Hoffmann-Rehnitz, für die Förderung von Tagung und Drucklegung. Bei der Vorbereitung der Drucklegung wurden wir ganz erheblich von den Studentischen Hilfskräften Miklas Böhmer, Julia Langenbach (geb. Möhlmann), Johanna Knuf, Franziska Thole, Lucas Engbers, Hannah Scherz und Paul-Simon Ruhmann unterstützt – vielen Dank dafür! Wir sind sehr froh darüber, dass der Band in der Reihe „Konflikte und Kultur“ erscheinen darf und danken der HerausgeberInnen sehr herzlich für die Aufnahme in dieselbe. Uta Preimesser danken wir für die Begleitung von Seiten des Verlags. Danken wollen wir nicht zuletzt auch den Beiträgern für die Geduld, mit der sie mit uns an diesem Projekt gearbeitet haben. Verzichten mussten wir zu unserem Bedauern auf die Drucklegung der Vorträge von Tina Hannappel und Rachel G. Hoffman.
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Ortsregister Amerika 137, 149 Aquitanien 43 Assen 96, 105 Augsburg 134, 151, 159, 161, 163f., 168, 170, 172 Bebenhausen 130, 132 Belgien 248 Bonn 96, 114, 194, 238 Braunschweig 35f., 96, 227 Bremen 35, 96f., 108f., 227 Bretagne 43, 56 Burgund 41f., 43, 46, 52, 56f., 141
Gävle 136 Groningen 99 Großbritannien 26, 34, 140, 217, 221, 228, 231 Hamburg 7, 35, 96 Hechingen 96, 121, 124, 128, 133 Höchstädt 124 Irland 144, 220 Islington 222 Italien 19f., 23, 34, 42, 59, 61, 65, 69, 71–73, 75–77, 81, 144, 148, 241
Charlestown 139 Coesfeld 105
Kappenberg 100, 105 Köln 108, 114
Deutschland 12, 34, 72, 182, 237, 239, 242, 247
Lancashire 219 Le Moncel lez Pont-Sainte-Maxence 39 Leipzig 170, 239, Lissabon 26, 168, 170 London 83, 139, 220f., 228 Lyon 241f.
Edinburgh 139, 143 England 12f., 14, 20, 22–26, 31, 34f., 39, 42, 48, 79, 82f., 84, 87f., 93, 97, 119, 127, 136, 144f., 152, 159, 170, 180, 182, 222f., 231, 237 Europa 7, 17, 20, 24, 26f., 29, 36, 49, 130, 135f., 139, 141, 144–146, 148f., 151, 153, 158, 222, 241f., 246 Flandern 43, 45 Frankfurt am Main 10, 96f., 131, 133, 239, 241–244 Frankreich 11, 18, 20–22, 24–26, 28f., 31, 34, 37–39, 41f., 45f., 49, 52, 54, 56f., 61, 72, 79, 97, 99, 114, 124, 137, 140f., 144, 146–149, 157–159, 161, 167, 170, 174f., 180, 182, 184, 189–192, 195–198, 203f., 210, 214, 220, 229, 236–399, 242, 245–248
Mailand 23, 59–62, 71, 75f. Manchester 227, 229f. Mannheim 175f., 178f., 236 Münster 25, 95, 99–101, 103–106, 108, 112f., 116f., 249 Neapel 143, 245 Niederlande 20, 79, 83, 99, 106, 108, 113, 133, 182, 237 Niederrhein 104 Nizza 61, 189 Norditalien 76, 81 Nottinghamshire 219 Nürnberg 131
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Ortsregister
Ostendorf 105 Österreich 239 Paris 11, 39, 56f., 135, 143f., 161, 175, 182, 189, 194, 199f., 204, 208, 2010, 213, 216, 240–242, 246 Parma 59–63, 65, 70–75, 78 Piacenza 19, 24, 59–68, 70–78 Portugal 20, 26, 157f., 170, Preußen 139, 212, 239, 242, 245f. Rantzau 128f., 134 Rheine 105 Rom 59f., 64–66, 68, 72, 77, 79, 82, 144, Russland 20, 136 Saarbrücken 246 Sachsen 239 Sardinien 245 Sardinien-Piemont 75
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Sassenberg 105 Schloss Schönbrunn 211 Schweden 26, 29, 135f., 139, 144, 147f., 158, 172f. Schweiz 126, 133 Sigmaringen 123 Slankamen 1 24 Stockholm 135, 140, 143, 148, 172f. Stuttgart 121, 123, 125, 127, 131, 134 Südostasien 222 Tübingen 123, 125, 131 Versailles 163 Warendorf 105 Wien 108, 113–116, 124, 211 Wolbeck 105 Württemberg 25, 32, 127 Yorkshire 219, 229
Personenregister Addington, Henry, 1. Viscount Sidmouth (1757–1844), britischer Home Secretary und Premierminister 219f., 223, 227–229 Affó, Irenio (1741–1797), italienischer Historiker und Hofbibliothekar 75 Alpen, Johann von (1630-1698), Generalvikar im Fürstbistum Münster 105, 112 Althorp (siehe: Spencer, John Charles) Anckarström, Jacob Johan(n) (1762– 1792), schwedischer Offizier und Königsattentäter 135, 137, 148f., 158, 171–173, 191 Andrä, Ehrhard, württembergischer Kaufmann und Verschwörer 122f., 128, 131 Andreas, Johann, württembergischer Rechtsgelehrter 125 Anguissola, Giovanni (1514-1578), italienischer Heerführer 63 Anne Boleyn (1501–1536), Königin von England 83 Artois, Charles Ferdinand de, Duc de Berry (1778–1820), Heerführer und Mitglied des französischen Königshauses 157f., 176, 182f. Artois, Mahaut/ Mathilde, Gräfin von (ca. 1268–1329) 45f., 55 Artois, Robert (III.), Graf von (1287– 1342), französischer Königsattentäter 39, 40, 48, 50f., 54, 55 Babeuf, François Noël „Gracchus” (1760–1797), französischer Journalist und Agitator 205 Babington, Anthony (1561–1586), englischer Verschwörer 84
Baratti, Johann Paul, hohenzollernhechingischer Kammerdirektor und Regierungsrat 124 Bardon, Gilbert Simeon, französischer politischer Aktivist und Exilant 246f. „Barbarossa“ (siehe: Khair ad-Din) Barruel, Augustin, SJ (1741–1820), französischer Schriftsteller und Verschwörungstheoretiker 139f., 146, 148 Bassompierre, Charles-Augustin, genannt „Sewrin“ (1771–1853), französischer Schriftsteller 206 Beckhaus, fürstbischöflich Münsterischer Landfiscal 102, 104, 107, 111f. Bellarmino, Roberto, SJ (1542–1621), Kardinal 13 Bernard VII. (ca. 1360–1418), Connétable von Frankreich und Graf von Armagnac 57 Berry, Duc de (siehe: Artois, Charles Ferdinand de) Béthune, Robert de/ Robert III., Graf von Flandern (1249–1322) 55 Bischoping, Heinrich, Dr. fürstbischöflich Münsterischer Rat 106 Bisping/Bispinck, Johann Caspar (†1675), fürstbischöflich Münsterischer Rat, Syndikus der Stadt Münster und Anwalt 109 Boucher, Jean (1548–1644), französischer Publizist 22 Bourneville/ Bournonville, Alexandre II., de (1616–1690), kaiserlicher Heerführer 99f., 103f. Brienne, Raoul I. de, Comte d’Eu (1302–1344), Connétable von Frankreich 56 Burdett, Francis (1770 –1844), britischer Reformpolitiker 222
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Personenregister
Burghley (siehe: Cecil, William) Byng, John (1704–1757), britischer Admiral 229 Cadoudal, Georges (1771–1804), royalistischer französischer Rebellenführer 202, 214 Cagliostro, Alessandro (1743–1795), italienischer Abenteurer und Okkultist 140, 144 Carbon, François-Jean (1755–1801), französischer Royalist und Attentäter 158, 189, 198 Caroline von Braunschweig-Wolfenbüttel (1768–1821), Königin von Großbritannien und Hannover 227 Castlereagh (siehe: Stewart, Robert) Catesby, Robert (1572–1605), englischer Verschwörer 13 Cecil, William, 1st Baron Burghley (1521–1598), englischer Secretary of State 86 Charles d’Espagne, genannt de la Cerda (1326–1354), Connétable von Frankreich und Graf von Angoulême 47, 56 Chevalier (sansculottischer Verschwörer) 204 Clemens V. (Bertrand de Got) (ca. 1250–1314), Papst 142 Clément, Jacques (1567–1589), französischer Dominikanermönch und Königsattentäter 21, 30f. Clermont, Robert de (†1358), Maréchal de Normandie 56 Clisson, Olivier de (1336–1407), Connétable von Frankreich 56 Cobbett, William (1762–1835), britischer Publizist 221, 226 Cœur, Jacques (1395–1456), französischer Kaufmann und Financier 57
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Conflans, Jean de, Maréchal de Champagne (†1358) 56 Cooper, Anthony Ashley, 1. Earl of Shaftesbury (1621–1683), englischer Politiker 88, 92 Corday d’Armont, Marie Anne Charlotte (1768–1793), französische Attentäterin 26, 158, 171, 173–175, 181f., 184, 214 Cramer, Henrich, Dr., fürstbischöflich Münsterischer Rat 106 Craon, Pierre de (ca. 1345–1409), französischer Adeliger und Attentäter 56 Damiens, Robert François (1715–1757), französischer Königsattentäter 18, 26, 97, 158, 160–168, 170, 174, 179, 184, 186, 194 Darnley, Henry Stuart, Lord (1545– 1567), 2. Gemahl Maria Stuarts 83 David, Jacques-Louis (1748–1825), französischer Maler 26, 174 Davies, (Colonel) Thomas 229 Deciani, Tiberio (1509–1582), italienischer Rechtsgelehrter und Humanist 104f., 110 Desmarest, Pierre Marie (1764-1832), französischer Polizei-Agent 213f. Doria, Andrea (1466-1560), genuesischer Admiral und Staatsmann 24 Doyle, Arthur Conan (1859–1930), britischer Schriftsteller 80 Dubois, Louis Nicolas (1758–1847), Pariser Polizeipräfekt 204, 208f. Eberhard Ludwig (1676–1733), Herzog von Württemberg 121–129, 131, 133f. Edward VI. (1537–1553), König von England 82 Elisabeth I. (1533–1603), Königin von England 30, 79. 82–87
Personenregister
Farnese, Alessandro (1520-1589), Kardinal 65 Farnese, Ottavio (1524–1586), Herzog von Parma und Piacenza 60, 63–65, 68, 73, 77 Farnese, Pier Luigi (1503–1547), Herzog von Parma und Piacenza 59–61, 63–77 Fawkes, Guy (1570–1606), englischer Verschwörer 13, 37, 40, 79 Fieschi, Gian Luigi (1522–1547), genuesischer Verschwörer 24, 72 Fieschi, Joseph / Giuseppe (ca. 1790– 1836), französischer Verschwörer 18, 147, 236–238, 244f., Fisnack/Fissnack, Johann Franz von, münsterischer Obristleutnant, Unterkommandant der Coesfelder Festung 116 Fouché, Joseph (1759–1820), französischer Polizeiminister, nach 1809: Duc d’Otrante 30, 189, 201–203, 209–213 Franz I. (1494–1547), König von Frankreich 72 Friedrich II. (1712–1786), König von Preußen 136 Friedrich IV. (1671–1730), König von Dänemark und Norwegen sowie Herzog von Schleswig und Holstein 129 Friedrich Wilhelm (1663–1735), Fürst von Hohenzollern-Hechingen 32, 121, 123–129, 131, 134 Friedrich Wilhelm II. (1744–1797), König von Preußen 144 Frigoli, Ludovico di Sexto de, Diener des Herzogs von Piacenza 67 Fürstenberg-Heiligenberg, Franz Egon von (1626–1682), kurkölnischer Minister und Bischof von Straßburg 113f.
Fürstenberg-Heiligenberg, Wilhelm Egon von (1629–1704), kurkölnischer Minister und diplomatischer Vermittler in französischen Diensten, nach 1682 Bischof von Straßburg, nach 1686 Kardinal 97, 113f. Galen, Christoph Bernhard von (1606– 1678), Fürstbischof von Münster 95, 97–107, 109–118 Galotti, Antonio, italienischer politischer Exilant 245 Garrow, Sir William (1760–1840), britischer Kronanwalt 225 Gassicourt, Charles-Louis Cadet de (1731–1799), französischer Schriftsteller und Pharmazeut 135, 138, 140–141, 143–149 Gassner, John Joseph (1727–1779), österreichischer Geistlicher, Exorzist und Wunderheiler 140 Georg III. (1738-1820), König von England, Kurfürst von Hannover 144 George Prince of Wales (1762–1830), später Georg IV., König von England, Kurfürst von Hannover 220, 227 Gérard, Balthasar (1557–1584), burgundischer Attentäter 20 Géraud, Hugues, Bischof von Cahors (†1317) 55 Glaser, Johann Michael, württembergischer Küchenmeister und Verschwörer 121, 123, 126–134 Godfrey, Edmund Berry (1621–1678). englischer Magistrat 88f. Göcking, münsterischer Obristwachtmeister 101f., 104, 107f., 116 Göckmann, Alexander, Dr., Münsteraner Bürger 100, 103f., 111., 116
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Personenregister
Gonfalonieri/ Confalonieri, Gianluigi, italienischer Priester und Verschwörer 63, 67 Gonzaga, Ercole (1505–1563), Kardinal 61 Gonzaga, Ferrante (1507–1557), italienischer Heerführer 59, 63–67, 70f., 73–76 „Gracchus“ (siehe Babeuf, François Noël) Grävenitz, Wilhelmine von (1685– 1744), Gräfin von Würben, mecklenburgische Adlige und Mätresse des Herzogs von Württemberg 123, 125f., 131, 133f. Grenville, William, 1st Baron Grenville (1759–1834), britischer Parlamentarier und Premierminister 228 Grey, Charles, 2nd Earl Grey (1764– 1845), britischer Parlamentarier und Premierminister 229 Guichard, Bischof von Troyes (1299– 1314) 44, 49, 55 Guise, Herzog von (siehe: Lorraine) Gustav III. (1746–1792), König von Schweden 26, 135–138, 144, 146– 149, 157–159, 170f., 182 Gustav IV. Adolf (1778–1837), König von Schweden 137 Harrach, Ferdinand Graf von (1637– 1706), kaiserlicher Rat und Diplomat 99f. Hay, William, englischer Magistrat 229 Heinrich III. (1551–1589), König von Frankreich, 1573–1573 König von Polen-Litauen 11, 21, 31, 97, 152, 159, 161, 166 Heinrich IV. (1553–1610), König von Frankreich und Navarra 15, 21f., 31, 79, 97, 152, 159, 161, 166
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Heinrich VIII. (1491–1547), König von England 82–84 Heller, Samuel, württembergischer Forstmeister und Verschwörer 122f., 127–133 Hobbes, Thomas (1588–1679), politischer Philosoph 82 Hunt, Henry (1773–1835), britischer Reform-Politiker 228 Hyde de Neuville, Jean Guillaume (1776–1857), Baron, französischer royalistischer Agent und Diplomat 194, 210 Ibell, Carl Friedrich von (1780–1834), hessischer Amtmann 157f., 181, 186, 235 Jakob I. (1566–1625), nach 1605 König von England und Irland, nach 1567 als Jakob VI. König von Schottland 13, 22, 83, 136 James Stuart, Herzog von York (1633– 1701), 1685–1689 als Jakob II. König von England und Irland, als Jakob VII. König von Schottland 88, 115 Jakob III., Markgraf von Baden-Hachberg (1562–1590) 122 Jeanne d’Arc (1412–1431), französische Kriegsheldin und Nationalheilige 214f. Jeanne de Bourgogne (1293–1348), Königin von Frankreich 46f., 55f. Jeanne de Valois (1294–1352), französische Prinzessin, Halbschwester Philipps VI. von Frankreich 39 Jenkinson, Robert, 2nd Earl of Liverpool (1770–1828), britischer Parlamentarier und Premierminister 227f., 230 Jesus Christus, Begründer des Christentums 145
Personenregister
Johann I. genannt Ohnefurcht (1371– 1419), Herzog von Burgund 41f., 52, 57 Johann I. (1316), König von Frankreich und Navarra 45, 55 Johann II. (1316–1364), König von Frankreich 3 9, 47, 56 Johann Ludwig (1620–1673), Rheingraf von Salm-Dhaun 100f., 104, 108, 115 Johann von Touraine (1398–1417), Sohn Karls VI. von Frankreich 47, 57 Johanna von Navarra (1273–1305), Königin von Frankreich 44, 55 Johanna Elisabeth von Baden-Durlach (1680–1757), Herzogin von Württemberg 125–127 Johannes XXII. (Jacques Arnaud Duèze) (1249–1334), Papst 45, 48, 55 Joseph I. (1678–1711), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und König von Böhmen, Kroatien und Ungarn 126 Joseph I. (1714–1777), König von Portugal 26, 157–160, 167f., 186 Joseph II., (1741–1790), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, König von Böhmen und Ungarn 147 Khair ad-Din („Barbarossa“) (1478– 1546), maghrebinischer Korsar und Militärunternehmer, nach 1518: Bey von Algier 72 Karl I. von Valois (1270–1325), König von Frankreich 46, 55 Karl I. ‚der Kühne‘ (1433–1477), Herzog von Burgund 57 Karl II. (1297–1346), Graf von Alençon und Le Perche 39, 46, 50, 56
Karl II. (1630–1685), König von England, Schottland und Irland 22, 30, 88, 93f., 115 Karl II. (1332–1387), genannt ‚der Böse‘, König von Navarra 47, 56 Karl Ludwig (1617–1680), Kurfürst von der Pfalz 125 Karl V. (1500–1558), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und König von Spanien 24f., 59–65, 67, 70, 73–77, 95 Karl V. (1338–1380), König von Frankreich 46f., 56 Karl VI. (1685–1711), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 122, 133 Karl VII. (1403–1461), König von Frankreich 47, 57 Karl X. (1757–1836), König von Frankreich 182 Karl III. Wilhelm (1679–1738), Markgraf von Baden-Durlach 126 Karl Alexander (1684–1737), Herzog von Württemberg 127 Karl von Guyenne, Sohn Karls VII. von Frankreich (1446– 1472) 57 Katharina II. (1729–1796), Kaiserin von Russland 137 Keeling, Josiah, englischer Verschwörer 30 Kette, Jakob von der 99 Kette, Johann Adam von der, westfälischer Verschwörer (†1673) 19, 95, 97–116, 118f. Kotzebue, August von (1761–1819), deutscher Dichter und Publizist 158f., 176–178, 182, 184, 215, 235 Klute, Walter, Münsteraner Aldermann 100, 106, 116 Knippenberg, Johann, Lic.iur. Münsteraner Anwalt 109
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Personenregister
La Broce, Pierre de (ca. 1230–1278), französischer Adeliger und Favorit König Philipps III. 44 La Grimaudière, Yves Rubin, französischer politischer Gefangener 201 Lagemann, Franz Wilhelm, Dr. 100 Landi, Agostino (ca. 1500–1555), italienischer Staatsmann und Diplomat 63 Latilly, Pierre de (ca. 1283–1328), französischer Kanzler, nach 1313: Bischof von Châlons 45, 55 Läudel, Abraham, württembergischer Verschwörer 121–3, 128, 131–133 Leo X. (Giovanni de Medici) (1475– 1521), Papst 61 Leopold I. (1640–1705), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und König von Böhmen und Ungarn 99, 124 Leopold II. (1747–1792), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, König von Böhmen und Ungarn 147 Limoëlan, Joseph Picot de (1768–1826), französischer Verschwörer 158, 189 Liverpool, Earl of (siehe: Jenkinson, Robert) Löning, Karl (1791–1819), hessennassauischer Attentäter 158, 181, 186, 235f. Lorraine, François de (1519–1563), Duc de Guise 21 Lorraine, Henri I. de (1550–1588), Duc de Guise 21 Louis-Philippe I. (1773–1850), König von Frankreich 29, 233, 236f., 242, 244, 247 Louise Ulrika von Preußen (1720– 1782), Königin von Schweden 145 Louvel, Louis Pierre (1783–820), französischer Attentäter 158, 182–184, 236 258
Ludwig I. (1339–1384), Graf von Anjou 46f. Ludwig IX. (1214–1270), König von Frankreich 43 Ludwig von Guyenne (1397–1415), Sohn Karls VI. von Frankreich 57 Ludwig von Valois (1372–1407), Herzog von Orléans, Graf von Angoulême 41f., 47, 52, 57 Ludwig X., (1289–1316), König von Frankreich 45, 55 Ludwig XI., genannt ‚die Spinne‘ (1423– 1483), König von Frankreich 57 Ludwig XIV. (1638–1715), König von Frankreich und Navarra 22, 95, 97–99, 113 Ludwig XV. (1710–1774), König von Frankreich und Navarra 26, 97, 157–161, 163, 173, 186, 194, 198 Ludwig XVI. (1754–1793), König von Frankreich und Navarra 135, 143, 147 Lukian von Samosata (ca. 120– ca. 180 n. Chr.), antiker Satiriker 72f. Machiavelli, Niccolò (1469–1527), italienischer Politik-Theoretiker 24, 62, 69, 77 Marat, Jean-Paul (1743–1793), französischer Publizist und Demagoge 26, 157f., 170f., 173–177, 190, 194 Marcel, Étienne (1302/10–1358), Vorsteher (Prévot) der Pariser Kaufmannschaft 56 Marcus Antonius Blancus (1498–1548), italienischer Humanist 110 Margarethe von Österreich (1522– 1586), Statthalterin der Niederlande 64 Maria Stuart (1542–1587), Königin von Schottland, 1559–1560 Königin von Frankreich 83f., 87f., 91, 94
Personenregister
Maria Tudor (1516–1558), Königin von England 79, 83, 88 Maria von Brabant (1254–1321), Königin von Frankreich 44 Maria/ Marie von Kastilien, genannt Maria de la Cerda (1319–1375), kastilische Prinzessin und Gräfin von Alencon 50, 56 Marie-Louise von Habsburg-Lothringen (1791–1847), 1810–1814: Kaiserin der Franzosen, nach 1817 Herzogin von Parma, Piacenza und Guastella 212 Maximilian Heinrich von WittelsbachBayern (1621–1688), Erzbischof und Kurfürst von Köln 97, 114 Medici, Alessandro de (1510–1537), Herzog von Florenz 24 Medici, Lorenzo (Lorenzino) de (1514– 1548), italienischer Attentäter 24 Meinartshagen/Meinerzhagen, Johann Albert von (†1677), münsterischer Obrist 101, 103, 107, 110f. Mendoza, Diego Hurtado de (1504– 1575), kaiserlicher Diplomat und Schriftsteller 60, 64f., 72 Merveldt, Dietrich Hermann, Freiherr von (1624–1688), Münsteraner Geheimer Rat und Domherr in Minden und Osnabrück 101 Metternich, Clemens Wenzel Lothar, Fürst von (1773–1859) 239, 241– 243, 246 Meyer, Wolfgang, Baseler Theologe (1577–1653) 13 Mieg, Arnold Friedrich von (1778– 1842), bayerischer Verwaltungsbeamter und Politiker 239 Mignon, Nicole, französische Königsattentäterin 31 Mingaud, François, französischer politischer Gefangener 202
Milton, Viscount (siehe: WentworthFitzwilliam, Charles William) Molay, Jacques de (Jacobus Burgundus), (Ca.1240/1250–1314), Großmeister des Templer-Ordens 138, 141–145 Montecuccoli, Raimondo Graf (1609– 1680), kaiserlicher Feldmarschall 99f. Morrien zu Nordkirchen, Ferdinand Freiherr von (†1680), Erbmarschall des Fürstbistums Münster 109 Most, Johann (1846–1906), deutschamerikanischer Anarchist 31 Napoleon Bonaparte (1769–1821), 1799–1804: Erster Konsul der Französischen Republik, 1804–1814/15: Napoleon I., Kaiser der Franzosen 157f., 171, 189, 191f., 193–198, 203f., 206, 208, 210–212 Nicholson, Margareth (ca. 1750 – 1828), englische Königsattentäterin 20 Oates, Titus (1649–1705), englischer Verschwörungstheoretiker 87f., 90 Orléans, Louis Philippe II. de Bourbon, Duc d’Orléans, genannt: „Philippe Égalité“ (1747–1793), Mitglied des französischen Königshauses 140, 142, 144 Ortlepp, Ernst (1800–1864), deutscher Dichter und Oppositioneller 239 Osemund, Friedrich Christoph (1655– 1723), westfälischer Polyhistor und Alchemist 250 Pallavicino, Alessandro, italienischer Adeliger und Heerführer 63 Pallavicino, Girolamo, italienischer Adeliger 63
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Personenregister
Parry, William (†1585), englisch-walisischer Verschwörer 22f., 30 Paul I. (1754–1801), Kaiser von Russland 26 Paul III. (Alessandro Farnese) (1468– 1549), Papst 59f., 64f., 75 Payson, Seth (1758–1820), amerikanischer Prediger und Publizist 139 Pepys, Samuel (1633–1703), englischer Verwaltungsbeamter und Schriftsteller 89 Philipp I. (1504–1567), Landgraf von Hessen 125 Philipp II. (1527–1598), König von Spanien, nach 1580: König von Portugal 20, 73f., 77 Philipp III. (1245–1285), König von Frankreich 44 Philipp IV. (1268–1314), genannt ‚der Schöne‘, König von Frankreich und Navarra 44, 49, 55 Philipp V., (1293–1322), genannt ‚der Lange‘, König von Frankreich und Navarra 45 Philipp VI. (1293–1350), König von Frankreich 39, 56 Philipp von Navarra, Comte de Longueville (1336–1363) französischer Hochadeliger und Attentäter 56 Pitaval, François Gayot de (1673–1743), französischer Jurist und Publizist 18 Pitt, William d. J (1759–1806), britischer Premierminister 210 Poltrot, Jean, Sieur de Meré, (1537– 1563), französischer Attentäter 21 Portalis, Joseph-Marie (1778–1858), französischer Politiker und Diplomat 237f., 245 Pombal, Sebastião José de Carvalho e Melo, Marquês de (1699–1782), erster Minister Portugals 168
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Prosper Farinacius (1544–1618), italienischer Rechtsgelehrter 112 Rantzau, Christian Detlef zu (1670– 1721), Reichsgraf von Rantzau 128 Rantzau, Wilhelm Adolf von (1688– 1734), Reichsgraf von Rantzau 129 Ravaillac, François (1578-1610), französischer Königsattentäter 21, 30f., 37, 40, 54, 179 Ridolfi, Roberto (1531–1612), italienischer Verschwörer 22, 83f. Ritter, Johann Michael, württembergischer Verschwörer 121, 123, 127f., 131–134 Rochow, Gustav von (1792–1847), preußischer Minister 246 Roederer, Pierre-Louis (1754–1835), französischer Politiker und Publizist 203 Sahla, Ernst Christoph August von der (1791–1815), (verhinderter) sächsischer Attentäter 213 Saint Régent, Pierre Robinault de (1766–1801), französischer Attentäter 158, 189, 198 Salomon, biblischer König der Juden 142 Sand, Carl Ludwig (1795–1820), deutscher Attentäter 18, 158, 171, 176–182, 184, 235f. Savary, Anne-Jean-Marie-René: nach 1808, Duc de Rovigo (1774–1833), französischer Polizeifunktionär und -minister 213f. Schulmeister, Charles-Louis/ Karl Ludwig (1770–1853), französischer Geheimagent 214 Schwick, Henrich, Münsteraner Ratsherr 100, 106, 116
Personenregister
Shaftesbury (siehe: Cooper, Anthony Ashley) Sidmouth Lord (siehe: Addington, Henry) Silfverhielm, Georg Ulrik (1762-1819), schwedischer Diplomat 140 Simon de Brie (1210–1285), päpstlicher Legat, späterer Papst Martin IV. 44 Sforza, Galeazzo Maria (1444–1476), Herzog von Mailand 23 Södermanland, Karl, Herzog von (1748– 1818), 1809–1818: als Karl XIII., König von Schweden, 1814-1818: als Karl II., König von Norwegen) 137f., 140, 144, 148f. Sorel, Agnès (1422–1450), Mätresse Karls VII. 47, 57 Spence, Thomas (1750–1814), radikaler englischer Sozialreformer 222 Spencer, John Charles, 3rd Earl Spencer, genannt Viscount Althorp (Lord Althorp) (1782–1845), britischer Politiker 229, 230 Staps, Friedrich (1792–1809), deutscher Napoleon-Attentäter 18, 191, 211–216 Starck, Johann August (1741–1816), preußischer Theologe und Freimaurer 139 Stewart, Robert, 2. Marquess of Londonderry, Viscount Castlereagh (1769–1822), britischer Politiker 221f., 229 Strindberg, August (1849–1912), schwedischer Schriftsteller 138 Swedenborg, Emanuel (1688–1772), schwedischer Philosoph 140, 145 Thibaudeau, Antoine Claire (1765– 1854), Mitglied des französischen Staatsrats 208
Thistlewood, Arthur (1774–1820), britischer radikaler Aktivist und Verschwörer 225 Throckmorton, Francis (1554–1584), englischer Verschwörer 22, 84 Töllner/Toller, Lothar, münsterischer Obrist, Stadtkommandant von Münster 101, 103 Treitschke, Heinrich von (1834–1896), deutscher Historiker 244 Turenne, Henri de La Tour d’Auvergne, Vicomte de (1611–1675), französischer Heerführer 104 Vasconcelos e Brito, Miguel de (ca.1590–1640), portugiesischer Verwaltungs-Chef 25f. Verdi, Giuseppe (1813–1901), italienischer Komponist 138 Via, Pierre de, Neffe Papst Johannes’ XXII., angeblicher französischer „Attentäter“ 55 Visconti, Gian Galeazzo (1351–1402), Herzog von Mailand 47 Visconti, Valentina (ca. 1368–1408), Gräfin von Vertus und Herzogin von Orléans 47, 57 Waldeck, Franz von (1491–1553), Bischof von Münster, Minden und Osnabrück 112 Wallenstein, Albrecht Wenzel Eusebius von (1583–1634), Herzog von Friedland und Sagan, kaiserlicher Heerführer und Politiker 25, 97 Walsingham, Francis (1532–1590), englischer „Geheimdienst-Chef“ 22, 83, 86 Watson, James d.Ä. (1799–1874), englischer radikaler Aktivist und Publizist 255
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Personenregister
Wentworth, Peter (1529–1596), puritanischer englischer Politiker 84 Wilhelm I. von Oranien-Nassau (1533– 1584), niederländischer Rebellenführer und Stadtholder 20, 30, 79 Wilhelm III. von Oranien (1650–1702), Generalstatthalter der Niederlande, nach 1689: König von England, Irland und Schottland 22, 93 Will, Johann Martin (1727–1806), Verleger und Kupferstecher 159, 162 Williams, Charles (†1830), Karikaturist 227 Witt, Cornelis de (1623-1672), niederländischer Politiker 23
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Witt, Johan de (1625–1672), Ratspensionär der Vereinigten Niederlande 23, 107, 115 Wittfeld, Peter, Lic. iur., Syndikus der münsterischen Ritterschaft 100, 106, 116 Zurmühlen, Werner, Dr. iur. (16281690), münsterischer Vizekanzler 111f. Zurwellen, Johann, münsterischer Gerichtsprokurator 100f., 106
Die Autoren
Sebastian Becker, Promotion 2013, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Arbeitsbereich Neuere Geschichte. Thomas Dorfner, Promotion 2014, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehr- und Forschungsgebiet Geschichte der Frühen Neuzeit der RWTH Aachen. Matthias Friedmann, Promotion 2019, arbeitet in einer Agentur für Unternehmenskommunikation Karl Härter, Promotion 1991, Habilitation 2002, Wissenschaftler am Max-PlanckInstitut für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main und außerplanmäßiger Professor für Neuere und Neuste Geschichte am Fachbereich 2, Institut für Geschichte der Technischen Hochschule Darmstadt. Tilman Haug, Promotion 2012, Post-Doc am Graduiertenkolleg 1919 „Voraussicht, Vorhersage, Vorsorge“ an der Universität Duisburg-Essen Georg Jostkleigrewe, Promotion 200#, Habilitation 2015, Professor für Geschichte des Mittelalters am Institut für Geschichte der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg. André Krischer, Promotion 2005, Habilitation 2015, Privatdozent am Historischen Seminar der WWU Münster Benedikt Nientied, Promotion 2019, Referendar am Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen Andreas Önnerförs, Promotion 2003, Universitetslektor am Institutionen för litteratur, idéhistoria & religion, Göteborgs universite Conrad Tyrichter, Promotion 2017, arbeitet als Wirtschaftsarchivar in Frankfurt am Main.
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