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German Pages 608 Year 1846
Historische und
philologische Vorträge, an der Universität zu Bonn gehalten von
B. G. Niebuhr.
Erste A b t h e i l u n g : Römische Geschichte bis zum Untergang des abendländischen Reichs.
Berlin. Druck und Verlag von G. Reimer. 4846.
Vortrage über
römische Geschichte, an der Universität zu Bonn gehalten von
B. G. Niet, uhr.
Herausgegeben von
M . I s l e r , Dl-. Erster Band: Von der Entstehung Nom's bis zum Ausbruch des ersten punischen Krieges.
Berlin. Druck und Verlag von G. Reimer. 1846.
Vonede des Herausgebers.
^) unter dem Namen Cäcilius anführt. Dieß kann uns nicht wundern: denn wenn er das römische Bürgerrecht erhielt, so mußte er den Namen einer römischen Gens annehmen. Schwerlich kann es auf Atticus gehen, der allerdings, doch äußerst selten, mit dem Namen Cäcilius genannt wird. Auch in dem Leben der zehn Rhetoren, das unter den plutarchischew Lebensbeschreibungen sich befindet, kommt der Name Cäcilius vor, den einige für den Quastor Cäcilius, der unter Verres in Sicilien war, gehalten, der aber ebenfalls Dionysius zu sein scheint; denn was aus ihm angeführt wird, finden wir alles im Dionysius. Freilich konnten die Sachen, die wir jetzt bei Dionysius lesen, auch bei anderen stehen, doch ist die geäußerte Annahme sehr wahrscheinlich, wie ja Iosephus auch häufig Flavius genannt wird. Seine Geschichte enthält in zwanzig Büchern den Zeitraum von den ältesten Zeiten bis zum Anfang des ersten punischen Krieges. Er geht.nicht weiter, entweder weil Polybius von dieser Zeit anfängt, dem er übrigens nicht hold ist, oder weil hie vielgeltzsene Geschichte des Fabius hier bedeutender eintritt. Diß ersten zehn Bücher sind vollständig, das eilfte in großer Zerrüttung. Ercerpte der anderen finden sich in den Sammlungen des ConstantiNUs Porphyrogemtus äe Virtutitius st v i und de I^eMionidu» und dann in einer Sammlung s«. ^lol-vti/tiv rov ^^xc^«. I . A . d. H .
Entstehungsweise,c. Alte Lieder.
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Untergang wir sehr bedauern müssen. Selbst Plinius führt dieses letztere Buch gar nicht mehr an. Aber im sechzehnten Jahrhundert fand man zwei Tafeln worauf sich Fragmente einer Rede des Kaisers Claudius finden, in welcher er dem Senate vorschlägt den lugdunensischen Galliern das volle Bürgerrecht zu ertheilen und sie in den Senat aufzunehmen wie es in der ?i'ovincil, romimn schon längst der Fall war. Die Einwohner Galliens waren römische Bürger, hatten römische Namen, es fehlte ihnen aber das Recht in den Senat zu kommen; mit diesem Rechte nun beschenkte Kaiser Claudius das lugdunensische Gallien. Die zwei ehernen Tafeln sind noch übrig von mehreren die jene von Tacitus erwähnte Rebe enthielten; sie gehören nicht unmittelbar an einander, oder es muß unten ein bedeutendes Stück fehlen. Vor der französischen Revolution waren sie noch im Stadthause zu Lyon, ob sie noch da sind weiß ich nicht. Lipsins hat sie in seiner Ausgabe des Tacitus, Gruter im (^oipuz in8cri^)t.l0inlln abdrucken lassen, sie sind aber dennoch wenig gelesen worden. Sie geben uns einen Begriff von der Stupidität des Claudius, so daß wir erkennen, die Alten thun ihm nicht Unrecht. I n dieser Rede nun sagt er ausführlich was Tacitus sehr kurz zusammenfaßt: man solle nicht sagen, dieß sei eine Neuerung, vom Anfang des Staates an seien Neuerungen geschehen; Fremde seien von jeher aufgenommen worden, so die Sabiner des T . Tatius; selbst zu K ö nigen habe man Fremde genommen, Numa, Tarquinius den Etrusker einen Abkömmling der Griechen, Servius Tullius der nach unseren Annalen ein Corniculenser war nach tuskischen ein Tusker, Mastarna mit Namen, Anhänger des Cäles Vibenna. Er zog aus, ließ sich auf dem man« 0li6im8, durch ihn nach seinem Führer so genannt, nieder uud nannte sich nun Servius Tullius. Dieß ist also ein directes Zeugniß davon wie es mit den römischen Annalen damals ausgesehen hat. Denn auch nichts können wir von diesem etruskischen Mastarna und vom
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Entstehungsweise ic. Saturnische Versart.
Servius Tullius, dem Sohne einer Sclavin, auf einander paffen. Unbezwnfelt ist also die älteste römische Geschichte ans Liedern hervorgegangen. Perizonius führt Beispiele von andern Völkern an, selbst in den historischen Büchern des alten Testaments sind dergleichen Lieder; für die Römer führt er das Zeugniß des Cato an, worauf Cicero an zwei Stellen sich bezieht: „Wären doch noch die Lieder vorhanden," sagt Cicero, „denn „wie Cato sagt, so wurden solche bei der Tafel von den G ä „sten gesungen zum Lobe hingeschiedener Männer." Eine dritte Erwähnung finden wir aus Varro bei Nonius Marcellus, es hätten bei Gastmählern puei-1 Konesti Lieder gesungen zum Lobe hingeschiedener großer Männer, theils zur Flöte theils ohne Begleitung. Diese Zeugnisse muß jeder für gültig ansehen. Bei allen Völkern deren eigenthümliche ältere Litteratur wir übersehen können finden sich theils größere historische Gedichte epischer Art theils sehr kurze zum Lobe einzelner Männer. Um nun die Behauptung einzuleiten, baß wir noch Stücke aus beiden von den Römern übrig haben, muffen wir erst einiges von der ältesten Metrik derselben vorausschicken. Die alten Römer bedienten sich vor Annahme der griechischen Poesie des saturnischen Verses, Horatius sagt von ihm: Hori-ill>.i8 ille DeNuxit n^meiuZ 8^tmniu8, mehrere alte Grammatiker haben von ihm berichtet. Atilius Fortunatianus und andere unter ihnen die nicht wußten wie es damit beschaffen war, hielten sich an ein Paar erhaltene Verse, namentlich an folgenden wo nach der damaligen Ansicht ein hyperkatalektischer Senarius zum Vorschein kommt: Terentianus Maurus der ans Ende des dritten Jahrhunderts gehört redet davon beim anakreontischen Vers, weil die erste Abtheilung des saturnischen diesem ähnlich ist. Aber der wahre saturnische Vers ist ein ganz anderer was ich demnächst in einer
Entstehuugsweise ». Saturnische Versart.
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ausführlichen Abhandlung auseinanderzusetzen gedenke. Er ist vielgestaltig und ganz unabhängig von griechischer Metrik. Der lateinische Ausdruck für Rhythmus der erst später auf die griechischen Metra übergeht ist nmnori. Aber das griechische M e trum ist auf Musik und Zcitmnaß gebaut, bei den Römern wurde wirklich gezählt, die Silben wenig oder gar nicht gemessen; eine bestimmte Anzahl Tactc mußte gegeben werden. Auch unsere Vorfahren hatten keine Idee von kurzen und langen Svlben nach griechischer Weise: die alten lateinischen Kirchenlieder brauchen nicht minder kurze Sylben lang und umgekehrt. Plautus und Tercnz beachten in ihren iambischcn und trochäischen Versen im wesentlichen auch nur den Tact, nicht das Zeitmaaß. So ist es bei allen nordischen Völkern. Der durchgehende Charakter des saturnischen Verses ist, daß er aus einer feststehenden Zahl dreisylbiger Füße bestehe. Meistentheils sind es vier, seien es nun Vacchien oder Krctiker abwechselnd mit Spondeen. Visweilen herrschen die Kretiker, bisweilen die Vacchien vor; rein gehalten haben sie eine sehr schöne Bewegung, gewöhnlich aber sind sie sehr untermischt, so daß es schwer ist sie zu erkennen. Diese Verse finden sich seit den ältesten Zeiten ganz analog den persischen, arabischen und unseren altdeutschen und nordischen Versen, auch den angelsächsischen und allen worin Allitteration herrscht. Der altdeutsche Vers ist in zwei Hälften getheilt und ein verschallender Buchstabe kommt in der ersten Hälfte zweimal, in der zweiten einmal vol, er hat vier Aufschläge. I n der altsächsischen Evangelienharmouie ist dieser vierfache Tact, ebenfalls im Otftid u. a., es können aber auch fünf oder sechs Tacte vorkommen; im Persischen sind durchgehends vier dreisilbige Füße; im Arabischen häusig eben so, oft auch viersilbige. Ganz genau stimmen damit überein die spanischen copias llo nite m^or, die vor der Annahme des Aleranbriners üblich waren und auch zu den Flandrern übergegangen sind.
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Entstehungsweisc :c. Nenien.
Vcrmuthlich findet sich dieses Versmaaß auch in den längeren provenzalischen Gedichten. Durchgehende ist dieses alte römische Sylbcnmaaß in den römischen Gedichten bis zum siebenten Jahrhundert. Ich habe eine lange Kette derselben gefunden und ein Capitel eines alten Grammatikers mit wunderschönen Fragmenten, besonders des Nacvius. Diese wichtige Abhandlung über den saturnischen Vers werde ich herausgeben; dieser Grammatiker hat den Vers wirklich verstanden ' ) . Bei Plautns ist er sehr schön in hohem Grade ausgebildet. Es gab auch kleinere alte Gedichte in diesem Versmaaß. Bei den Leichenbegängnissen der Römer wurden sogenannte Nenien zur Flöte gesungen, das sind nicht wehmüthige weiche Lieder, sondern sie müssen denselben Charakter wie die I^imäntiop.68 gehabt haben; die Todtcn traten nun zu den gefeierten Ahnen über, ihr Ruhm wurde zum Prunk und zur Aufmunterung benutzt, und da ward denn in diesen Nenien ihr einfaches Lob gegeben. Wenn Horaz sagt: ndzii^ inani lunei-e neniae u. s. w . , so bezieht sich das, wenn überhaupt bei Leichenbegängnissen gesungen wurde, auf Klagelieder der späteren Zeit; die Römer waren ursprünglich nicht zärtlich. Sie brauchten den Tobten noch für den Staat, er munterte die Männer noch aus ') Der Grammatiker dessen Fragment über dcn saturnischen Vers hier erwähnt wird ist Charistus. Niebuhr hat es aus einem neapolitanischen Codex im 1.1823 abgeschrieben und seine Abschrift ist Herrn Prof. Lachmann in Berlin anvertraut drr die Herausgabe desselben vorbereitet. Nach einer von O . Müller gefertigten Abschrift hat Herr Prof. Schneidewin in Göttingen dasselbe in einem Programme vom Jahre 1841 „I^Iavii „8o5ip2tl'i (Üiariäii «1« versn Katurnio commontÄriolu« ex collic« „^ealiolitano nnno primum e^itu«" abdrucken lassen und dabei Niebuhrs Aeußernngcn über den saturnischen Vers hart mitgenommen. Ein einziger Blick auf das Fragment das bei ihm abgedruckt ist zeigt aber, daß Müllers Abschrift sehr ungenügend ist, und es hätte sich daher wohl geziemt erst genauere Nachforschungen nach dem Inhalte der Niebuhrschen Abschrift anzustellen ehe er Ausdrücke niedergeschrieben die zwar nicht dem Andenken NiebuhrS zum Nachtheil gereichen, auf die Bescheidenheit des Verfassers selbst aber keinesweges das günstigste Licht fallen lassen. A . d. H .
Eutstehungsweise ic. Nenien.
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dem Grabe auf, seinen Thaten zu folgen. Nenien und Laudationen waren daher gewiß ganz schlicht und einfach, nach dem alten Stil der noch keinen Pcriodenbau kannte, in gar keinem Verhältnis zu den ^o^ot? k7r^«s/,lcil3 bei Thucydides und den späteren Griechen. Zwei solcher Gedichte sind uns offenbar noch erhalten auf den Grübern der Scipionen die 4780 an der appischen Straße entdeckt worden sind; das obere Stockwerk wo der Sarg des jüngeren Africanus und die Bildsäule des Ennius war fehlt, aber das untere war in den Berg hineingearbeitet und fand sich verschüttet. Hier war der Sarg des L. Scipio Barbatus der im fünften Jahrhundert (454) Consul war. Schon früher ' ) war man von oben in dieses Grab hineingestiegen und hatte eine Tafel herausgenommen die jetzt im Pallast Barberini eingemauert ist. Das kam aber wieder in Vergessenheit. Die Leichname der Cornelier wurden bis auf Sulla nicht nach ftelasgischer und griechischer Weise verbrannt, sondern in Särgen begraben. Auf diesen herrlichen Särgen nun sind Verse, allerdings wie Prosa geschrieben allein mit Strichen abgetheilt; bei dem Sarge des Sohnes sind die Verse sogar abgesetzt; daß «es Verse sind kann man aus der ungleichen Länge sehen, indem sonst die Römer jede Zeile immer ganz ausschrieben. E s sind Hieß ganz schlichte einfältige Verse aber es ist doch Versmaaß ldarin:
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korlis vir 8l»^ien8^ue — , . L^antnlm. I^n^. Lat. 1684. sal.
Salmasius war weit weniger klar als er.
Netteste Geschichte. Pelasger. 97 calt gegen die andere für barbarisch, und von einem andem Gesichtspunkte aus, kann man sie doch nahe verwandt nennen. Hn ähnlichem Verhältnisse stehen mehrere lebende Sprachen noch j^tzt zu einander, das polnische und böhmische, das italienische ind spanische; und wenn wir die Verwandtschaft auch nicht s) nah nehmen, das polnische und litthauische. Letztere beide Sprachen sind himmelweit von einander verschieden, haben aber toch eine charakteristische Aehnlichkeit, die Grammatik beider hat tenselben Gang, dieselbe Eigenthümlichkeit, die Zahlwörter sind ftst dieselben, eine große Menge von Wörtern ist beiden geneinschastlich. Die Sprachen sind also verschwistert, und doch versteht der Pole den Litthauer nicht. Dieß ist nun die Weise nie wir uns die so oft aufgeworfene Frage über die Verschiedenheit oder Identität der Griechen und der Pelasger lösen. Venn Herodot sagt daß sie verschieden waren, so müssen wir es ihm doch glauben; er stellt aber auf der andern Seite Hellfnen und Pelasger wieder zusammen. Also können die beiden Nationen nicht ftammverschieden sein. I n den ältesten Zeiten wo die griechische Geschichte für uns noch in unauflösliche Räthsel gehüllt ist war der größte Theil von Italien, vielleicht das ganze östliche Ufer des adriatischen Meeres, Epnus, Macedonien ' ) , die Südküste von Thracien mit den macedonischen Halbinseln, die Inseln des ägäischen Meeres so wie die Küste von Kleinasien bis an den Bosporus von Pelasgern bewohnt"). Auch die Troer sind als Pelasger zu betrachten; daß sie keine Barbaren waren, ist die Meinung aller Griechen wie wir es auch schon aus Homer sehen; ihr Sitz ist ganz im pelasgischen Lande, ihre Namen sind griechisch. Sie stehen bald mit den Arkadern, einem andem wesentlich pelasgischen Volke, bald mit den E p i ') Die alten ursprünglichen Macedonier sind weder Illyrler noch Thracler sondern eben Pelasger. Vgl. O . Müller's Schrift über Macedonien. ') Schon Aeschylui bevölkert fast ganz Griechenland mit Pelasgern. Niebuhr Vorl. üb. d. N . G . 7
9 8 Aelteste Geschickte. Pelasger u. Troer in Zusammenhang. Samothrake der
roten, bald mit den Thessalern in genauer Verbindung, Aeneas geht in der einen Sage nach Arkadien und stirbt daselbst, in einer andern nach Epirus wo sich Helenus niederläßt. So finden wir bei Pindar in dem Gedichte auf Cyrene Aristäus, einen pelasgischen Heros aus Arkadien, mit den Antenoriden. Der Zusammenhang der Pelasger und Troer gebt weit durch, vornehmlich ist Samothrake Metropolis von Ilium, Dardanus kommt aus Arkadien, geht aber über Samothrake und von da mit der Chryse vermählt nach Troas. Die Samothraker sind nach einem Grammatiker ein römisches Volk, als verschwistert mit den Römern anerkannt, d. h. mit den troisch-tyrrhenischen Pelasgern. Dieser Zusammenhang hat keine andere Quelle als die gemeinschaftliche Verwandtschaft zwischen Tyrrhenern, Troern und Samothrakern. Nach einigen Angaben kommt Dardanus aus Tprrhenien nach Troas, nach andern die Troer nach Tyrrhenien. I m Tempel und in den Mysterien von Samochrake war ein Vereinigungspunct vieler Menschen aus allen Gegenden ! ) ; er war für einen großen Theil der damaligen Welt wie die Kaaba von Mekka, das Grab des Propheten zu Medina, das heilige Grab zu Jerusalem. Für die pelasgischen Völker waren dieß Samothrake und Dodona, wie für die hellenische Welt vielleicht Delphi und Delos. Die Entfernung von einem großen Theil der Stammgenossen bedeutet hier eben so wenig, wie sie die Mohammedaner von der Wallfahrt nach dem heiligen Ort abhält. Dieser Volksstamm der Pelasger den wir bis nach Ligurien verfolgen können, der auch die Küsten von Corsica und Sardinien bewohnte, verschwindet in der historischen Zeit als Masse von Nationen, bestand aber ursprünglich aus einer Menge von Völkerschaften die verschiedene Namen führten. Ein sehr weit ^) Wir dürfen dleß allerdings als gesichertes Resultat ansehen, wenn auch die Untersuchungen über die Mysterien selbst stets fruchtlos bleiben werden.
Mittelpunkt. Siculer, Italer desselben Stammes mit den Pelasgcrn.
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verbreiteter Name für den Theil der in Epirus, dem südlichen Theil des heutigen Italiens bis in Latium hinein und bis an die Küste des adriatischen Meeres wohnte, war Siculer, auch Vituler, Viteller, Vitaler, Italer; von diesen hat Italia seinen Namen. Ungeachtet der weiten Verbreitung diesessiculischenoder italischen Namens scheint jedoch Italia in den ftühestm Zeiten nicht wie gegenwärtig das Land bis unter die Alpen bezeichnet zu haben: es ist möglich allerdings daß die Veränderungen die durch die Einwanderung nördlicher Stämme erfolgten das Küstenland von Etrurien getrennt, und den Namen Italia auf das Land südlich von der Tiber, ja südlich von Latium beschränkt haben. Jedoch ist dieß nur Vermuthung, gewiß ist daß einst Italien im Norden durch eine Linie vom Garganus auf der einen Seite bis Terracina auf der andern begränzt wurde, und daß der Name, nachdem er enger beschränkt war, sich in den Zeiten nach Alexander dem Großen und vor der Ausbreitung Roms wieder auf jenen weiteren Umfang ausdehnte. Von diesem früheren Italien ist es wohl daß Plinius sagt, es sei yuerna lolio 8iinili8, ein merkwürdiges Beispiel von der Art wie Plinius schrieb; er spricht bald im eigenen Namen bald gibt er Ercerpte; seine Ercerpte aber sind leider in historischen Dingen eben so wenig durchdacht wie in natuchistorischen. Diese Angabe hat er ohne Zweifel aus Timäus genommen, von dem auch die Vergleichung Sardiniens mit einer Sandale ober einem Fußtapfen herrührt. Daß zu seiner Zeit Italien gar nicht so bezeichnet werden konnte entging dem Plinius ganz. I n Süditalien heißt die älteste Bevölkerung auch Oenotrer und Peuketier, im Norden ohne Zweifel auch Liburner, an der Küste von Latium Tyrrhener. Ob nun die Niederlassungen an der Küste nördlich von der Tiber Trümmer eines zurückgedrängten Volkes oder vielleicht nur Colonisation gewesen, können wir nicht mehr bestimmen. Es erscheinen aber mitten in Italien neben den, Griechen ana7*
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Aelteste Geschichte. Opiser. Sabeller.
logen Volkern, und zwar sie erdrückend, Völker anderer Art. Es scheint, daß es mit diesen Völkerwanderungen zugegangen ist wie mit denen in der neueren Geschichte. Das Volk welches sich unmittelbar auf die Siculer in Latium und die Italer im eigentlichen südlichen Italien wirft, sie theils verdrängt theils in sich aufnimmt und assimilirt, sind die Opiker, ein Mittelvolk das eigentlich als Opiker nur an wenigen Orten Bestand hat, sondern wieder von einem andern Volk aufgenommen wird und neue Formen hervorbringt. Sie sind dieselben die unter dem Namen Apuler vorkommen, denn die Endungen -icus und -uius sind von gleicher Geltung; daher hört in Apulien die italische Bevölkerung auf, dem Ansehen nach bis in Messapien hinein wo sich nur ein Theil der Italer isolirt behauptet hat. Ferner waren sie in Samnium, Campanien, an der Gränze von Latium als Volsker und Aequer. Diese Opiker wurden wieder vorwärts gedrängt von den Sabinern (Sabellein) diesichein Urvolk nannten und ihren Ursprung von den höchsten Alpen Abruzzo's bei Majella und Gran Saffo d'Italia herleiteten. Cato läßt sie etwas wunderlicherweise aus dem kleinen Amiternum stammen. Ob nun die S a beller und Opiker von einander verschieden waren, wie etwa Gallier und Ligurer, oder in einem niederen Grade wie Gallier und Kymren, bder ob sie demselben Stamme angehörten und nur politisch von einander geschieden waren, das sind Fragen die wir nicht lösen können. Die Alten haben es nicht gewußt und auch wenig beachtet. Wenn wir wo kein historisches Licht zu erlangen ist durchaus sehen wollen, so verdirbt das geistige Auge wie das leibliche, wenn es im Dunkel sich gewaltsam anstrengt. Varro unterscheidet allerdings die sabinische und die oskische Sprache, aber so wenig er Kenner der älteren Sprachen war, in dem Sinne wie wir W . v. Humboldt so nennen, so wenig läßt sich auf seine Angabe über Verwandtschaft von Sprachen bauen. Der allgemeinen Analogie nach nehme ich
Aelteste Geschichte. Umbrer mit Opikern verwandt. Siculer in Latium.
eine Völkerwanderung in verschiedenen Strömen an, und so mögen auch die Sabiner durch den ersten Impuls derselben aus dem höheren Norden herabgedrängt sein. Doch ist dieß bloße Vermuthung. Zu den Ovikern mögen dem Stamme nach die Umbrer gehört haben. Ich möchte nicht zu viel auf die Namensähnlichkeit geben, die verwandtesten Völker haben sehr oft die verschiedensten Namen, die verschiedensten ganz ähnliche. S o hielt man lange fälschlich Geten und Gothm für dasselbe Volk. Vor fünfzig Jahren war es in Irland und Schottland die allgemeine Ansicht, daß die F i r - B o l g s ' ) die alten Belgier seien. Aber dieß ist falsch, sie sind eine dänische Colonie, wie mir ein sehr kundiger Engländer schrieb. Wenn ich nicht andere Gründe hätte als die Namen, so würde ich mich scheuen die Identität der Oviker und Umbrer auszusprechen. Philistus aber nannte das Volk das die Siculer in Latium überwältigte Ombriker, auch ist die Verwandtschaft der Sprachen aus den Resten derselben deutlich zu erkennen. Diese Veränderungen der Völker daß die älteren Bewohner von einem anderen Stamme und dieser wiederum von einem andern verdrängt wird, machen uns die alte italische Völkergeschichte so unbeschreiblich dunkel und schwer. Zu einer Zeit die wir chronologisch nicht bestimmen können bestand in dem nachmaligen Latium das aber vielleicht diesen Namen von uralten Zeiten her trug eine Bevölkerung von Siculern. Das Andenken davon war in Tibur erhalten wo nach Cato ein Theil der Stadt
Siculio hieß'). Auch sonst finden sich erstaunlich viele Anfüh') Die Fir-B?lgs gehören der Laräic lüstor? Irlands an, welche sie als die dritte Einwanderung in Irland bezeichnet, die Scoten fanden sie von Königen beherrscht in Irland vor. Ihnen wird die Errichtung der cyclopischen Mauern in Irland zugeschrieben. A. d. H . ') I n den vorliegenden Fragmentsammlungen des Cato finde ich diese Angabe nicht, ich vermuthe daher, daß hier eine Verwechslung mit Dionysius stattgefunden welcher ^. l i . I , 16 die angezogene Mittheilung hat. A. d. H .
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Aelteste Geschichte. Nboriglnes.
rungen bei alten Schriftstellern die die Enstenz dieses Volkes daselbst außer allem Zweifel stellen. Unter demselben Namen finden wir es im südlichen Italien und auf der noch heute danach benannten Insel. Nach einer Sage ist Sikelus aus Latium zu den Oenotrern gekommen, nach einer anderen wären die Siculer unter verschiedenen Namen von den Opikern oder Ombrikern aus ihren alten Wohnsitzen vertrieben und nach der Insel gezogen. Diese Wanderung deutet nur auf die Combinationen derer die die gleichzeitige Enstenz desselben Volkes in Latium und auf Sicilien erklären wollten. Möglich ist die Wanderung, möglich auch daßsiein ganz verschiedener Richtung geschehen. Sicher ist daß Siculer zur Zeit Homer's in Süditalien en'stirten, dafür findet sich eine Beweisstelle aus Mnaseas, einem Schüler des Aristarchus, einem gelehrten Grammatiker und Historiker den der Scholiast zur Odyssee anführt. Er sagt auch, baß Echetos in Epiros Fürst der Sikeler war, so daß er diesen Namen auch in diesen Gegenden anerkennt; aus seiner Erläuterung ersehen wir, daß der Dichter der Odyssee wo er von Sikelern spricht nicht die Bewohner Siciliens, eines ihm dunklen Landes, meint, sondern die von Süditalien oder die Pelasger von Evirus. Die Siculer sind dieselben die Cato Aborigines nennt. Dieser Name wird erklärt ?eva^«t) Vorfahren, oder auch Umherirrende, llderrißines, wahrscheinlicher aber heißt es: die vom Ursprünge her, ad orißins, sind; der Nominativus Singularis muß nach lateinischem Sprachgebrauch adm-i^inu» gelautet haben. E s war die Sage daß Latium ursprünglich von Autochthonen bewohnt gewesen, Cato aber und C. Sempronius ^) sagten, die Aboriginer seien aus Achaja gezogen, in dem Sinne wie damals der ganze Peloponnes den Römern Achaja hieß. Andere nennen
die einzelnen Ortschaften die sonst siculisch hießen, argivisch, und ') Vermutlich C. Sempronius Tuditcmus, derselbe den Dionysius ä . N . I, II ^o^ic^rnrov ^cöv ' i ' ^ n ^ v nennt.
A.b.H.
Aelteste Geschichte. Latiner. Polarität der Sagen.
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das hatte Cato selbst bei Tibur gethan. Argos und Larissa sind pelasgische Namen die überall wo Pelasger sind sich wiedersinden, Argos wahrscheinlich S t a d t , Larissa B u r g . S o lange der Peloponncs pelasgisch war, hieß er Argos, eben so Thessalien, in diesem Sinne sind Argiver Pelasger, die 5^/e7ob H e ^a