Historische Mitteilungen 28: Der Erste Weltkrieg – Regionale Perspektiven 3515113967, 9783515113960

Die "Historischen Mitteilungen" vereinen einmal mehr innovative Neuansätze und aktuelle historische Forschung.

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German Pages 312 [314] Year 2016

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Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
SCHWERPUNKT: DER ERSTE WELTKRIEG – REGIONALE PERSPEKTIVEN
DER ERSTE WELTKRIEG – REGIONALE PERSPEKTIVEN IM EUROPÄISCHEN KONTEXT.
DAS LINKSRHEINISCHE DEUTSCHLAND IM ERSTEN WELTKRIEG
ZWISCHEN DEN IMPERIEN
SCOTLAND AND THE FIRST WORLD WAR
DER ERSTE WELTKRIEG UND DIE „KRIEGSDIENSTLEISTUNGEN“ DER STEIRISCHEN FRAUEN
DIE TSCHECHISCHEN SOLDATEN ÖSTERREICH-UNGARNS IM ERSTEN WELTKRIEG
ZWISCHEN NATIONAL UND LOKAL
KRIEGERDENKMÄLER IN BAYERN: DIE ERINNERUNG AN DEN ERSTEN WELTKRIEG
HITLER IM BAYERISCHEN HEER
AUFSÄTZE
GESCHLECHTERGESCHICHTE EUROPAS
“THE EINSTEIN OF SEX”
MARITIME MACHTVERSCHIEBUNGEN IM MITTELMEER VOM ERSTEN WELTKRIEG BIS HEUTE
THE ONE THAT GOT AWAY
WHAT WE DO AND DO NOT KNOW ABOUT THE GREAT DIVERGENCE AT THE BEGINNING OF 2016
REZENSIONEN
Ernst Otto Bräuche/Volker Steck (Hrsg.): Der Krieg daheim. und Klaus Schulte/Peter Sardoč: Eiserne Zeiten. Aachen – eine Stadt im Ersten Weltkrieg,
War and Wartime Experience in a Multi-ethnic Metropolis
Jerry White: Zeppelin Nights. London in the First World War
Christoph Nübel: Durchhalten und Überleben an der Westfront. Raum und Körperim Ersten Weltkrieg
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Historische Mitteilungen 28: Der Erste Weltkrieg – Regionale Perspektiven
 3515113967, 9783515113960

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Historische Mitteilungen Band 28 · 2016 Franz Steiner Verlag

Im Auftrage der Ranke-Gesellschaft herausgegeben von jürgen elvert birgit aschmann markus a. denzel jan kusber joachim scholtyseck thomas stamm-kuhlmann

Historische Mitteilungen · Band 28

Historische Mitteilungen Band 28 (2016) Der Erste Weltkrieg – Regionale Perspektiven

Franz Steiner Verlag

Historische Mitteilungen Im Auftrag der Ranke-Gesellschaft. Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben e.V. herausgegeben von Prof. Dr. Jürgen Elvert ( federführend) / Prof. Dr. Birgit Aschmann / Prof. Dr. Markus A. Denzel / Prof. Dr. Jan Kusber / Prof. Dr. Joachim Scholtyseck / Prof. Dr. Thomas Stamm-Kuhlmann Wissenschaftlicher beirat Prof. Dr. Winfried Baumgart / Prof. Dr. Ulrich Lappenküper / Prof. Dr. Ursula Lehmkuhl / Prof. Dr. Bea Lundt / Prof. Dr. Christoph Marx / Prof. Dr. Jutta Nowosadtko / Prof. Dr. Johannes Paulmann / Prof. Dr. Wolfram Pyta / Prof. Dr. Wolfgang Schmale / Prof. Dr. Reinhard Zöllner redaktion Ingo Löppenberg, Universität zu Köln, Historisches Institut, Gronewaldstr. 2, 50931 Köln, E-Mail: [email protected] www.steiner-verlag.de/HMRG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2016 Druck: Laupp & Göbel, Gomaringen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISSN 0936-5796 ISBN 978-3-515-11396-0 (Print) ISBN 978-3-515-11400-4 (E-Book)

INHALTSVERZEICHNIS SCHWERPUNKT: DER ERSTE WELTKRIEG – REGIONALE PERSPEKTIVEN Sönke Neitzel Der Erste Weltkrieg – Regionale Perspektiven im europäischen Kontext. Einführende Bemerkungen .................................................................................... 7 Michael Kißener Das linksrheinische Deutschland im Ersten Weltkrieg. Vergleichende Beobachtungen im frontnahen Heimatgebiet ............................... 15 Jan Kusber Zwischen den Imperien. Baltische Erfahrungen in Weltkrieg und Revolution ............................................. 30 Catriona MacDonald Scotland and the First World War. Identity, Nationhood and Legacy .................. 44 Anita Ziegerhofer Der Erste Weltkrieg und die „Kriegsdienstleistungen“ der steirischen Frauen. Eine Spurensuche ................................................................................................... 59 Richard Lein Die tschechischen Soldaten Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg ................. 74 Elise Julien Zwischen national und lokal. Das Gedenken an den Ersten Weltkrieg in Frankreich .......................................... 94 Katharina Weigand Kriegerdenkmäler in Bayern: die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg .............. 114 Thomas Weber Hitler im Bayerischen Heer. Eine politisch-soziale Binnenperspektive seines Weltkriegsregiments 1914–1945 ......................................................................... 135

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Inhaltsverzeichnis

AUFSÄTZE Wolfgang Schmale Geschlechtergeschichte Europas – Ein ‚anderer‘ Blick auf die Geschichte Europas ............................................................................................................... 145 Christopher Treiblmayr “The Einstein of Sex”. Cinematic experience, homosexual liberation movements and contrasting notions of “gay visibility” in Germany .................. 162 Udo Sonnenberger Maritime Machtverschiebungen im Mittelmeer vom Ersten Weltkrieg bis heute ............................................................................................................... 194 James Stone The One That Got Away. Bismarck’s Imperialism and the Case of the Caroline Islands 1885 ................... 209 Peter Vries What we do and do not know about the Great Divergence at the beginning of 2016 .......................................................................................... 249 REZENSIONEN Stefan Gerber Ernst Otto Bräuche/Volker Steck (Hrsg.): Der Krieg daheim. Karlsruhe 1914–1918; Klaus Schulte/Peter Sardoč: Eiserne Zeiten. Aachen – Eine Stadt im Ersten Weltkrieg ............................................................................................. 298 Andreas Fülberth Mark R. Hatlie: Riga at War, 1914–1919. War and Wartime Experience in a Multi-ethnic Metropolis ....................................................................................... 302 Angela Schwarz Jerry White: Zeppelin Nights. London in the First World War ........................... 306 Ingo Löppenberg Christoph Nübel: Durchhalten und Überleben an der Westfront. Raum und Körper im Ersten Weltkrieg ................................................................................. 309

SCHWERPUNKT: DER ERSTE WELTKRIEG – REGIONALE PERSPEKTIVEN

DER ERSTE WELTKRIEG – REGIONALE PERSPEKTIVEN IM EUROPÄISCHEN KONTEXT. Einführende Bemerkungen Sönke Neitzel So viel Erster Weltkrieg war nie. Das Interesse an diesem Ereignis war 2014 überwältigend – und zwar auf allen Ebenen. Nicht nur in den Medien, auch in Bildungs- und Forschungseinrichtungen wie Universitäten oder Schulen, in den Museen und nicht zuletzt in der Politik bis hinauf zum Bundespräsidenten. Es war eine sich selbst verstärkende Welle, die erst am Ende des Jahres abebbte. Historiker können sicher froh über so viel öffentliche Aufmerksamkeit sein. Freilich ist danach zu fragen, was am Ende an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen übrig bleibt. Christopher Clark legte mit seinem Bestseller „Sleepwalkers“1 sicher die bedeutendste und vor allem die am meisten diskutierte Publikation vor, mit der er die alte Diskussion um den Ausbruch des Ersten Weltkrieges neu entfachte. Er verhalf dabei auch den Forschungsergebnissen etlicher jüngerer deutscher Historiker zu mehr Aufmerksamkeit. Die Debatte bot somit nicht nur alten Wein in neuen Schläuchen. Sie verhalf durch die dezidierte Ausweitung des Blicks auf die internationale Ebene zumindest dem deutschen Diskurs zu einer neuen Perspektive.2 So wichtig und interessant ein frischer Blick auf den Kriegsausbruch war, so erfreulich ist es, dass es dabei nicht blieb und sich der Blick auch auf eine Vielzahl andere wichtige Themen richtete. Neben den globalen fanden nun erstmals auch die regionalen Perspektiven des Ersten Weltkrieges ein

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Christopher Clark, The Sleepwalkers. How Europe went to war in 1914, London 2012, deutsch München 2013. Vgl. hierzu den Literaturbericht von Sönke Neitzel, Der Erste Weltkrieg und keine Ende, in: Historische Zeitschrift, 301/2015, 121–148. Andere Akzente setzt Michael Epkenhans, Der Erste Weltkrieg – Jahrestagsgedenken, neue Forschungen und Debatten einhundert Jahre nach seinem Beginn, in: VFZG 63/2015 2, 135–165.

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Sönke Neitzel

größeres Interesse.3 Und dies mit Recht. Denn unterhalb der Nationalstaaten gab es eine Vielzahl von unterschiedlichen sinnstiftenden Räumen, seien es Teilstaaten, Provinzen oder Landschaften, die für das differenzierte Verständnis des Ersten Weltkrieges von großer Bedeutung sind. Man denke hier nur an die Vielfalt des Deutschen Reiches: Politisch reicht der Bogen von den süddeutschen Staaten, in denen es 1914 de facto eine parlamentarische Monarchie gab, bis hin zu Mecklenburg, das noch nicht einmal eine Verfassung hatte.4 Aber es gab auch keine einheitliche Armee, keine Bundeswehr, wenn man so will. Es gab stattdessen eine preußische, eine bayerische, eine sächsische und eine württembergische Armee mit jeweils eigenen Traditionen. Gewiss unterstanden diese im Krieg alle der Obersten Heeresleitung und kämpften an der Front Seite an Seite. Obwohl die Truppen in den Kriegsjahren eine gewaltige Personalfluktuation erlebten, bewahrten sie zumindest im Kern ihre landsmannschaftliche Geschlossenheit.5 Dies galt im Übrigen nicht nur für die drei Armeen der kleineren deutschen Königreiche. Die anderen Staaten stellten ihre Truppen zwar im Rahmen der preußischen Armee auf, wahrten aber durchaus ein gewisses Maß an regionaler Geschlossenheit und eigenem Brauchtum. Selbst ein Zwergstaat wie das Fürstentum Lippe, das gerade einmal 150.000 Einwohner zählte, stellte ein eigenes Bataillon. Nur die koloniale Schutztruppe und die kaiserliche Marine waren Verbände des Reiches, in denen die Männer aus allen Ecken Deutschlands zusammengewürfelt wurden. Auch die Streitkräfte der anderen Großmächte versuchten den landsmannschaftlichen Charakter ihrer Einheiten zu wahren. In Frankreich gelang dies aber nur in den ersten Jahren, dann verwischte die Zusammensetzung der Armee immer mehr, wie Elise Julien in ihrem Beitrag betont. Zudem darf die Rolle der ethnischen Minderheiten nicht vergessen werden. Dies trifft in erster Linie natürlich auf Österreich-Ungarn und Russland zu. Aber auch für rund acht Prozent der Einwohner des Deutschen Reiches war Deutsch nicht die Muttersprache. Die größte Minderheit waren die drei Millionen Polen, 211.000 Menschen sprachen Französisch, 142.000 Masurisch, 141.000 Dänisch, 106.000 Litauisch. Im Ruhrgebiet war fast ein Drittel der dort lebenden Bergarbeiterschaft polnischsprachig. Es gab im Deutschen Reich also sehr explizite regi-

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Aus der Vielzahl der Publikationen über Deutschland sei hier nur stellvertretend genannt: Maren Ballerstedt (Hg.), Magdeburg im Ersten Weltkrieg 1914 bis 1918: eine Großstadt an der Heimatfront, Halle (Saale) 2014; Michael Hermann / Paul Wessels (Hgg.), Ostfriesland im Ersten Weltkrieg, Aurich 2014; Tayfun Belgin / Ralf Blank / Birgit Schulte (Hgg.), Weltenbrand. Hagen 1914, Essen 2014; Christian Steinhagen, Münster 1914–1918. Eine Stadt im Krieg, Münster 2014; Antje Strahl, Das Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin im Ersten Weltkrieg: von der Friedens- zur Kriegswirtschaft, Köln [u. a.] 2015. Vgl. hierzu die luzide Analyse des Deutschen Reiches von Frank-Lothar Kroll, Geburt der Moderne. Politik, Gesellschaft und Kultur vor dem Ersten Weltkrieg, Berlin 2013. Vgl. Christian Stachelbeck, Militärische Effektivität im Ersten Weltkrieg. Die 11. Bayerische Infanteriedivision 1915 bis 1918, Paderborn 2010, 35. Zur landsmannschaftlichen Zusammensetzung z. B. der 1. Bayerischen Reserve-Division und dem begrenzten politischen Horizont der Mannschaften vgl. BayHSta / Abt. IV, AOK 6 vorl. Nr. 449, I No 3842/110geh. v. 10.5.17.

Einführende Bemerkungen

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onale Identitäten und Traditionen, die sich nicht nur in der Zivilgesellschaft, sondern auch im Militär spiegelten. Die 25 deutschen Bundesstaaten und ihre Provinzen waren in teilweise sehr unterschiedlicher Weise in den Krieg involviert. Die Erfahrungen der Bevölkerung wiesen somit erhebliche Unterschiede auf. Am offensichtlichsten war dies für Ostpreußen und Teile des Oberelsass. So wurde die Bevölkerung Mühlhausens bei den hin- und herwogenden Kämpfen im August 1914 von beiden Seiten schlecht behandelt, da die Elsässer als unzuverlässige Kantonisten galten. Französische Stellen ordneten zudem die Gefangennahme aller Deutschen in öffentlichen Ämtern und die zwangsweise Deportation von 8.000 Männern sowie von 3.000 Frauen und Kindern an. Noch stärker war Ostpreußen vom Krieg betroffen. Bis Februar 1915 waren Teile der Region von russischen Truppen besetzt. Die Ermordung von 1.491 deutschen Zivilisten und die Zerstörung oder Beschädigung von rund 100.000 Häusern weist angesichts des ländlich geprägten Ostpreußens auf einen erheblichen Umfang irregulärer Gewalt hin. Im November 1914 deportierte die zaristische Armee – die Masse der Bevölkerung war mittlerweile geflohen – 13. 000 deutsche Zivilisten ins Innere Russlands. Mehr als 4.000 kamen dabei zu Tode. Angesichts des Massensterbens an den Fronten erscheint die russische Besatzung von Teilen Ostpreußens auf den ersten Blick dennoch nur wie eine Fußnote der Weltkriegsgeschichte. Alexander Watson hat unlängst aber darauf hingewiesen, dass die psychologischen Folgen der Besatzung enorm gewesen sind – und zwar nicht nur für die ostpreußische Bevölkerung selber. Schon bei der ersten russischen Besetzung im Sommer 1914 flohen 800.000 Zivilisten nach Westen, mehr als ein Drittel der ostpreußischen Bevölkerung. Im Herbst folgten nochmals mehr als 150.000. Sie verteilten sich über ganz Preußen und verbreiteten die Angst vor den Folgen einer Invasion feindlicher Truppen über weite Teile des Reiches. So verstärkten sie das bei vielen Deutschen ohnehin vorhandene Gefühl, in einer Art belagerter Festung einem Kampf auf Leben und Tod ausgeliefert zu sein.6 Aber auch die linksrheinischen Gebiete Deutschlands waren durch die Nähe zur Westfront stärker vom Krieg betroffen als Regionen im Inneren des Reiches, wie Michael Kißener in seinem Beitrag herausarbeitet. Truppen- und Verwundetentransporte, die allgegenwärtigen Lazarette, die Einquartierung von Gefangenen und nicht zuletzt die Luftangriffe vermittelten ein zumindest mittelbares Bild des Krieges. Aber auch jenseits der Grenzen hatte der Krieg ganz unterschiedliche Folgen für Städte, Gemeinden und Regionen. In landwirtschaftlich geprägten Gebieten veränderte sich das Wirtschaftsleben weniger als in Städten wie Hamburg, wo der Seehandel fast vollständig zum Erliegen kam. Auch Kurstädte waren vom Krieg in besonderem Maße betroffen. In Wiesbaden war die lokale Wirtschaft ganz auf das Kurgeschäft mit dem europäischen Hochadel ausgerichtet, das praktisch über Nacht zusammenbrach. Die Stadt hat sich erst nach dem Zweiten Welt-

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Vgl. Alexander Watson, Ring of Steel. Germany and Austria-Hungary, 1914–1918, London 2014, 180f.

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krieg von diesem Zusammenbruch erholt und eine neue Wirtschaftsstruktur aufbauen können.7 Die Ernährungssituation war zudem regional denkbar unterschiedlich. Natürlich gab es überall eine Mangelwirtschaft und einen strukturellen Gegensatz von Stadt und Land. Und doch sind einige Kommunen wesentlich besser durch den Krieg gekommen als andere. In Wiesbaden gab es – anders als etwa in Hagen – erst im Sommer 1917 einen merklichen Anstieg der Sterblichkeit. 8 Zweifellos ist eine der dringendsten Aufgaben der Landes- und Regionalgeschichte, die Folgen der Blockade und der Mangelernährung in einer vergleichenden Perspektive aufzuarbeiten. Noch wissen wir über die konkreten Auswirkungen viel zu wenig. Zudem darf der Erste Weltkrieg nicht auf die männliche Perspektive reduziert werden. Frauen erlebten einen ganz anderen Krieg als die Männer, wie Anita Ziegerhofer am Beispiel bürgerlicher und sozialdemokratischer Frauen in der Steiermark verdeutlicht. Dabei geriet zwischen 1914/18 in den einzelnen Ländern und Regionen die Stellung der Frau in der Gesellschaft in unterschiedlichem Ausmaß ins Wanken, freilich ohne zur Emanzipation der Frauen zu führen. In der von Männern dominierten Erinnerung an den Krieg spielte die weibliche Dimension daher auch lange Zeit keine Rolle. Die Frage ist nun, wie sich auf der Grundlage regionaler Strukturen und Traditionen sowie z. T. erheblich unterschiedlicher Kriegserlebnisse auch unterschiedliche Deutungen des Krieges feststellen lassen: Am besten ist dies für die Kriegsbegeisterung im Sommer 1914 („Augusterlebnis“) untersucht. In Studien aus den 1990er Jahren wurde deutlich, dass man von dem Augusterlebnis des deutschen Volkes sicher nicht reden kann, sondern dass die Phase der Kriegsaufregung im Juli 1914 und die Phase des Auszugs der Truppen und der ersten Erfolgsmeldungen im August 1914 sehr unterschiedlich empfunden wurden. Die Begeisterungsstürme waren vor allem eine Angelegenheit des Bürgertums in den größeren Städten – und dies vor allem im Juli. Die Freude über den Auszug der Truppen und die realen oder vermeintlichen deutschen Erfolge war zwar weit verbreitet, aber auch hier reagierten Menschen in den Grenzregionen oder ländlichen Gebieten zurückhaltender.9 Die Frage ist allerdings, wie weit diese unterschiedlichen Deutungen des Krieges trugen: Gab es auch regionale Spezifika bei den Kriegszieldiskussionen oder ganz allgemein bei der Deutung der alltäglichen Erlebnisse im Krieg? War das in Berlin anders als in München oder Breslau, in der bayerischen Pfalz anders als in Pommern oder Mittelfranken? Und wie verhielt es sich mit den zehn Millionen Soldaten an der Front? War es in der Hölle des Stellungskrieges und des nicht minder verlustreichen Kampfes an der Ostfront nicht vollkommen gleichgültig, ob man Bayer, Preuße oder Sachse war? Zählte nicht nur das „Wir gegen die“? Ebnete die Hölle des Krieges nicht alle Identitäten ein? 7 8 9

Hendrik Schmehl bereitet an der Universität Potsdam zu Wiesbaden im Ersten Weltkrieg eine Dissertation vor. Hierzu demnächst Schmehl, Wiesbaden. Vgl. Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkrieges, München 2014, 127–146.

Einführende Bemerkungen

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Liest man die Tagebücher und Briefe von Sachsen, Preußen und Bayern und vergleicht sie mit jenen von Indern, Kanadiern, Australiern, Amerikanern oder Senegalesen, dann verblüfft das Ausmaß der Ähnlichkeiten, das Ausmaß der Überschneidungen. Wüsste man über den Schreiber nicht schon aufgrund seiner Sprache von vornherein Bescheid, es wäre manchmal schwierig, seine Nationalität, geschweige denn seine regionale Herkunft zu erkennen. Hüben wie drüben dominierten die Notizen über das alltägliche Töten und Sterben alles, dominierten die Hoffnungen auf ein Ende dieser Hölle, dominierten Gespräche über das Wetter, das Essen, den nächsten Urlaub; die Freude über eine Siegesmeldung oder einen abgeschlagenen feindlichen Angriff. Der Weihnachtsfrieden von 191410 deutet bereits an, wie sehr sich die gegnerischen Soldaten ohne jeden Hass begegnen konnten und wie sehr in Momenten der Not „nur Mensch neben Mensch lag“, wie der Regimentsarzt Alfred Bauer 1914 in sein Tagebuch schrieb. 11 Man könnte also meinen, dass sich die Unterschiede zwischen den gegnerischen Soldaten aufzulösen begannen. Doch der Stellungskrieg war kein melting pot der identities. Die Männer waren nicht alle gleich, verloren nicht ihre nationale, ja noch nicht einmal ihre regionale Identität. Sie blieben Bayern, Schotten, Sikhs. Die Soldaten kamen aus sehr unterschiedlichen Gesellschaften und kehrten – so sie die Kämpfe überlebten – in diese zurück. Selbst wenn also ihre Erlebnisse sehr ähnlich waren – der Referenzrahmen, vor dem solche Erlebnisse gedeutet und zu Erfahrungen verarbeitet wurden, war nicht der gleiche. Und selbst im Dreck der Schützengräben waren die Männer zu unterscheiden: Ihr Dialekt, ihre Uniformen, ihre Orden wiesen stets auf ihre Herkunft hin. So verwundert es nicht, dass in den Briefen und Tagebüchern deutscher Soldaten die regionale Identität immer noch spürbar ist. Der sächsische Kriegsfreiwillige Georg Schleske berichtete stolz vom Frontbesuch des sächsischen Königs und schreibt in seinem Tagebuch nicht etwa von deutschen Soldaten, sondern von Schwaben, Hannoveranern und Preußen. 12 Auch der Gegner war bei ihm nicht einfach eine große anonyme Masse, sondern er hebt etwa „Senegalneger“, Kanadier und Schotten hervor, vom ihm als Hochländer bezeichnet, da er ihre Toten an der Uniform deutlich erkennen konnte.13 Freilich trugen nicht alle schottischen Soldaten Kilts. Von allen schottischen Einheiten betonte die 51st Highland Division ihre regionale Identität am intensivsten, wie Catriona Macdonald festhält. Im Ersten Weltkrieg ließen es sich HighlandEinheiten nicht nehmen, mit ihren Dudelsack-Spielern in die Schlacht zu ziehen. Dieser Anachronismus kostete rund 1.000 Pipern das Leben, soll sich aber mehrfach positiv auf die Moral der schottischen Soldaten ausgewirkt haben. Ähnlich bizarre Sitten und Gebräuche gab es auf deutscher Seite zwar nicht. Thomas Weber zeigt in seinem Beitrag über das 16. Bayerische Reserveinfanterie10 Vgl. Malcolm Brown / Shirley Seaton, Christmas Truce. The Western Front December 1914, London 1999. 11 Tagebuch Dr. med. Alfred Bauer 16.9.1914 (Privatbesitz). 12 Kriegstagebuch von Georg Schleske (1896–1968), 15. Königlich Sächsisches Infanterieregiment 181, 10, 25f. (Privatbesitz). 13 Ebd., 24–29, 32.

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regiment aber, dass die Soldaten neben einer bayerischen eine außerordentlich starke lokale Verwurzelung aufwiesen. In vielen Fällen scheint ein Nationalbewusstsein kaum ausgeprägt gewesen zu sein. Der Frust über den Alltag des Stellungskrieges führte dann rasch dazu, den Preußen die Schuld an allem Übel zuzuschreiben. Die Kriegserfahrung scheint den bayerischen Partikularismus mindestens konsolidiert zu haben und dies hatte – wenn man an die politische Rolle der BVP denkt – dann auch weitreichende politische Folgen etwa für die Reichspräsidentenwahl von 1925. In summa mag die kulturelle Eigenständigkeit der Schotten noch ausgeprägter gewesen sein als jene der Bayern. Freilich war das Verhältnis von Scottishness zur Britishness komplex und keineswegs nur auf eine möglichst große Unabhängigkeit Edinburghs ausgerichtet. Denn so sehr der Krieg die schottische Identität auf kulturellem oder wirtschaftlichem Gebiet verstärkte, so wenig führte er zu einer kraftvollen politischen Unabhängigkeitsbewegung. Die National Party of Scotland, dem Vorläufer der heutigen SNP, bildete sich überhaupt erst 1928, wie Catriona Macdonald herausstreicht. Während im Fall Bayerns oder Schottlands eigene Identitäten sicher eine besonders große Rolle spielten, wird man dies nicht von allen Landesteilen Großbritanniens oder des Deutschen Reiches in gleichem Maße sagen können. Vom Fürstentum Lippe und dem vom ihm gestellten Bataillon ist dies wohl kaum anzunehmen, ebenso von den rheinhessischen Regimentern des Großherzogtums Darmstadt. Untersuchungen über die regionalen Identitäten der kleineren deutschen Bundesstaaten oder gar innerhalb Preußens während des Ersten Weltkrieges fehlen bislang. Zudem stellt sich die Frage, ob regionale Identitäten nicht nur die Selbstwahrnehmungen und Deutungskulturen, sondern auch das Verhalten der Soldaten beeinflussten. Haben Sachsen anders gekämpft als Preußen und die wiederum anders als Bayern? Seriöse Nachweise lassen sich dazu nicht erbringen, aber die zeitgenössischen Quellen sind voll von Schuldzuweisungen und Stereotypen. Elise Julien betont in ihrem Beitrag etwa, dass die Soldaten aus Südfrankreich im Allgemeinen und aus der Provence im Besonderen dem Vorwurf ausgesetzt waren, feige zu sein. Sie mussten schon früh als Sündenböcke für die Fehlschläge an der Front hinhalten. Ähnliche Vorwürfe gab es seit 1915 in Österreich-Ungarn gegen die Tschechen. Der Zusammenbruch tschechischer Regimenter wurde von den k.u.k. Militärbehörden immer mit der vermeintlichen „panslawistischen Verhetzung“ begründet, wie Richard Lein aufzuzeigen weiß. Freilich haben deren Soldaten nicht besser und nicht schlechter gekämpft als die anderer Nationalitäten der Donaumonarchie. Die Niederlagen tschechischer Einheiten hatten ihren Grund nicht in der Illoyalität der Soldaten, sondern lagen vielmehr an ganz handfesten militärischen Problemen wie mangelnder Kampferfahrung oder schlechter Ausrüstung, wie sie in vielen k.u.k. Regimentern zu finden waren. Die Mär von den unwilligen tschechischen Soldaten hält sich freilich bis heute, weil sie zu gut in den tschechischen wie den deutsch-österreichischen Nachkriegsdiskurs passte und weil sich niemand die Mühe machte, die Vorwürfe anhand der Archivquellen zu überprüfen.

Einführende Bemerkungen

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Regionale Zuschreibungen gab es auch bei der Ausübung von irregulärer Gewalt. So schrieb der Bataillonsarzt Lorenz Treplin aus dem preußischen Infanterieregiment 78 am 5. Oktober 1914 an seine Frau, dass eine bayerische Einheit von hundert gefangenen „Turcos“ siebzig umgebracht habe und meinte dazu lakonisch: „Ganz so grob wie die Baiern sind ja nicht alle.“14 In der Tat findet man immer wieder Belege in den Quellen, dass bayerische Einheiten besonders brutal vorgegangen sind, etwa bei den Kämpfen auf der Krim im Frühjahr 1918.15 Das mit Abstand größte deutsche Kriegsverbrechen im Osten begangen freilich Einheiten der 52. Württembergischen Landwehrbrigade.16 Die Frage, ob es regional oder zumindest national spezifische Gewaltkulturen gab, ist bislang für den Ersten Weltkrieg nicht beantwortet worden. Alan Kramer vertritt die These, dass die Gräueltaten deutscher Einheiten in Belgien mit einem anti-katholischen Reflex zu erklären seien und man dafür in besonderem Maße protestantische preußische Einheiten verantwortlich machen könne.17 Einzelfälle dieser Art mag es gegeben haben, doch insgesamt scheint es weder zwischen protestantischen oder katholischen noch zwischen preußischen oder bayerischen Einheiten große Unterschiede in der Gewaltanwendung gegeben zu haben. Die deutschen Verbrechen in Belgien sind lassen sich vor allem situativ erklären. Regionale Identitäten entfalteten ihre größte Wirkung wahrscheinlich im kulturellen Raum. Catriona Macdonald verdeutlicht in ihrem Beitrag, dass Schottland eine eigene Kriegsliteratur und später dann eine spezifischen Narrativen folgende Erinnerung hervorbrachte. Letztere ist vor allem im nationalen Rahmen untersucht worden. Doch war in der retrospektiven Auseinandersetzung mit dem Krieg die Nation überhaupt der entscheidende Referenzpunkt – oder gab es nicht auch regional spezifische Formen, in Baden anders als in Mecklenburg, in der Bretagne anders als in der Corrèze? Katharina Weigand kann für den Fall Bayern nachweisen, dass es Unterschiede in der Erinnerungskultur selbst innerhalb des Freistaates gab. So sind im rechtsrheinischen Bayern weit weniger Bezüge zum Referenzpunkt „Deutschland“ nachzuweisen als in der linksrheinischen bayerischen Pfalz. Ähnlich wie im Deutschen Reich gab es in Frankreich überwölbende nationale Erzählungen, aber eben auch große regionale Besonderheiten. Elise Julien verweist hier insbesondere auf die Bretagne, das Elsass, den Süden Frankreichs oder auch Korsika. 14 Heilwig Gudehus-Schomerus / Marie-Luise Recker / Marcus Riverein (Hgg.), „Einmal muß doch das wirkliche Leben wieder kommen.“ Die Kriegsbriefe von Anna und Lorenz Treplin 1914, Paderborn [u. a.] 2010, 103. 15 Vgl. Wolfram Dornik / Peter Lieb, Die militärischen Operationen, in: Wolfram Dornik [u. a.] (Hgg.), Die Ukraine zwischen Selbstbestimmung und Fremdherrschaft 1917–1921, Graz 2011, 216–221. 16 Truppen der Bolschewiki landeten am 11. Juni 1918 im Rücken der deutschen Front bei Taganrog und wurden wieder zurückgeschlagen. Dabei machte die 52. Württembergische Landwehrbrigade keine Gefangenen und hat offenbar mehrere Tausend Männer exekutiert. Ebd., 221–225. 17 Vgl. John Horne / Alan Kramer, German Atrocities, 1914. A History of Denial, New Haven 2001, 106. Siehe dazu auch den Beitrag von Thomas Weber in diesem Heft.

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Sönke Neitzel

In den Vielvölkerreichen Österreich-Ungarn und Russland waren die Dinge natürlich noch um ein Vielfaches komplexer. Hier kann man oft noch nicht einmal auf lokaler Ebene einen gemeinsamen Nenner in Erlebnis und Erinnerung benennen. Jan Kusber erklärt am Beispiel Rigas, dass Deutsche, Letten, Russen, Juden, Polen und Litauer in der lettischen Hauptstadt die wechselvollen Ereignisse in Kriegs- und Nachkriegszeit ganz anders erlebten und sich hieraus denkbar unterschiedliche Narrative entwickelten. Eine regionaler footprint bildete sich hier allenfalls für die einzelnen Volksgruppen heraus. Die vorliegenden acht Beiträge verweisen auf die Vielschichtigkeit regionaler Erlebnisse, Erfahrungen und Deutungen des Ersten Weltkrieges. Sie zeigen, wie komplex der Große Krieg gewesen ist und dass wir nicht umhinkommen, dem Großen im Kleinen nachzuspüren, wenn wir die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts verstehen wollen. Es handelt sich um die überarbeiteten Beiträge einer Tagung die vom 11. bis 13. Juni 2014 in einer Zusammenarbeit der London School of Economics and Political Science (LSE), der Universität Mainz, der Landeszentrale für politische Bildung und der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz organisiert und veranstaltet wurde. Prof. Dr. Sönke Neitzel, Potsdam

DAS LINKSRHEINISCHE DEUTSCHLAND IM ERSTEN WELTKRIEG Vergleichende Beobachtungen im frontnahen Heimatgebiet Michael Kißener Abstract: Im linksrheinischen Deutschland war der Erste Weltkrieg sehr nahe. Der Beitrag untersucht anhand von vier Bereichen, inwiefern daraus eine spezifische Kriegserfahrung erwuchs. Mit Blick auf die geostrategische Lage zeigt sich, dass angesichts erwarteter französischer Vorstöße Festungsanlagen ausgebaut wurden. Bei Kriegsbeginn starteten große Bauprogramme. Dies machte deutlich, dass die Heimat zum Kampfschauplatz werden konnte und stellt eine frühe Kriegserfahrung dieses Raumes dar. Aufgrund der Frontnähe wuchsen dem Raum rasch Funktionen bei der Versorgung der Verwundeten zu. Von 242 Schulsälen etwa, die es in Mainz gab, wurden 143 zu Lazarettzwecken genutzt. Das Leiden und der Blutzoll des Krieges waren im linksrheinischen Gebiet folglich sehr präsent. Spezifika zeichneten sich auch beim Thema Kriegsgefangene ab. Quellen deuten darauf hin, dass insbesondere französische Gefangene im linksrheinischen Gebiet nicht selten Hilfsbereitschaft erfuhren. Eine sich verschlechternde Versorgungslage bestimmte jedoch auch deren Lebensrealität. Als besondere Erfahrung des Raumes können ferner Luftangriffe gelten. Diese neuartige Bedrohung ließ in grenznahen Gebieten emotional communities von Menschen entstehen, die sich den Kriegseinwirkungen im Heimatgebiet ausgesetzt sahen.

Der Erste Weltkrieg war im linksrheinischen Deutschland, weit im Westen, 1914– 1918 sehr nahe. Vielfach haben Zeitzeugen berichtet, dass der Geschützdonner von der Westfront bei besonderen Wetterlagen in der Pfalz, im Hunsrück oder in Rheinhessen sogar hörbar gewesen sei. Lässt sich aus der geographischen Lage des Raumes und solcher Eindrücke eine spezifische oder zumindest regional akzentuierte Kriegserfahrung an der linksrheinischen Heimatfront ableiten? Dieser bislang kaum beachteten Frage soll im Folgenden nachgegangen werden. Dazu sollen in einem schlaglichtartigen Problemaufriss vier Themenbereiche beleuchtet werden, die für die Beantwortung der Frage relevant sein dürften, ohne freilich damit einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben: a) die geostrategische Lage des Raumes, b) das Militärsanitätswesen, c) das Kriegsgefangenenwesen und d) der Luftkrieg. A) Die militärstrategische Situation Gut bekannt ist, dass die deutsche Strategie für den Westfeldzug 1914 auf den schon älteren Planungen des Generalstabchefs Alfred Graf von Schlieffen aufbaute, der mit einer starken rechten Flügelarmee eine große Umfassungsschlacht schlagen und

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Michael Kißener

so Frankreich besiegen wollte, bevor er sich dann der Gefahr aus dem Osten zuzuwenden gedachte.1 Weniger bekannt ist, dass diese Strategie schon länger zu Debatten im deutschen Generalstab geführt hatte, die um die dadurch bedingte Gefährdung des nur schwach geschützten linksrheinischen deutschen Raumes durch französische Vorstöße kreisten. Die deutschen Militärs hatten für dieses Bedrohungsszenario eine geradezu klassische Antwort: Der Rhein als natürliches Hindernis und militärische Festungen, die den Gegner auch unter Preisgabe von Gelände im linksrheinischen Gebiet aufhalten sollten, bis die Hauptstreitkräfte den Gegner niedergerungen hatten. Deshalb wurden die seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts in diesem Raum schon angelegten oder, wie im Falle Germersheims, ab 1834 neu gebauten Festungen auch noch an der Wende zum 20. Jahrhundert erhalten, ja weiter ausgebaut, obwohl die moderne Geschütztechnik und neue Munition bekanntermaßen die alten Festungsmauern mühelos durchschlagen und damit eigentlich wertlos machen konnte. Als zentral wurde dabei in einer geheimen Denkschrift des Ingenieur-Komitees des bayerischen Generalstabes, in die auch die Besprechungen mit den preußischen Militärs eingeflossen waren, bereits 1911 die Festung Mainz eingestuft. Der Chef des Generalstabes bezeichnete sie als „von hoher Bedeutung“, „Widerstandskraft und Armierung müssten zur Abwehr eines mit den Mitteln des französischen Feldheeres geführten Angriffes auch ohne Unterstützung des Feldheeres genügen.“

Ja, Mainz solle das „Hauptbollwerk des Widerstandes gegen eine zwischen Strassburg und Metz hindurch vorgehende französische Armee bilden und als vornehmster Stützpunkt unserer auf den Rhein zurückgeworfenen Westarmee dienen.“

Auf die Festung Germersheim glaubte auch der preußische Generalstab als „einzigen geschützten Rheinübergang zwischen Straßburg und Mainz“ nicht verzichten zu können und verlangte deren Ausbau mit einem „Gürtel vollwertiger sturmfreier Nahkampfstützpunkte.“ Zwischen 1906 und 1909 wurden hier deshalb bereits 1.100.000 Mark vom bayerischen Staat für den Ausbau der Festung investiert. Und auch der alten Großfestung Koblenz kam eine wichtige Rolle zu. Zu ihr hieß es in der Denkschrift: „Die Festung soll die bei der Stadt gelegenen Mosel- und Rheinbrücken dem Feinde sperren.“2 Als nun der Krieg im August 1914 begann, war das geplante Bauprogramm noch längst nicht vollendet, deshalb erfolgte an den Festungsstandorten nicht nur

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Vgl. zusammenfassend Sönke Neitzel, Weltkrieg und Revolution. 1914–1918/19, Berlin 2008, 32ff. sowie Hans Ehlert / Michael Epkenhans / Gerhard P. Groß (Hgg.), Der Schlieffenplan. Analysen und Dokumente, Paderborn [u. a.] 2006. Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHSTA) München, Abteilung Kriegsarchiv, MKr Nr. 4605/2, Denkschrift „Die Entwicklung des deutschen Festungswesens seit 1870“, 41, 42, 244, 293, 344, 347. Diese Planungssituation wird bestätigt durch die Erinnerungen des Generalinspekteurs der Festungen Colmar Freiherr von der Goltz: Friedrich Freiherr von der Goltz / Wolfgang Foerster (Hgg.), Denkwürdigkeiten, Berlin 1932, 212.

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die erwartbare Armierung, sondern es lief nun in größter Eile ein umfängliches, den Anforderungen des modernen Krieges entsprechendes großes Bauprogramm ab: Ca. 30.000 Arbeiter schufen bis Mitte 1915 die Festung Mainz und die vorgelagerten Selztalstellungen gleichsam neu in moderner Stahlbetonbauweise, die den französischen Geschützen zu widerstehen vermochten. In Germersheim waren es rund 10.000 Arbeiter, die in einem Dreißig-Kilometer-Radius um die Festungsstadt ganz ähnliche Bauten errichteten, Koblenz bekam immerhin rund zwei Dutzend neuer stahlbetonierter Kampfstände.3 Diese immensen Ausbauarbeiten stellen gewiss eine spezifische Kriegserfahrung dieses Gebietes ganz zu Beginn des Krieges dar, die, was noch zu untersuchen wäre, allenfalls mit anderen Grenzgebieten mit Festungen im Norden oder Osten vergleichbar ist. Es ist zu vermuten, dass die dadurch vor Augen geführte Bedrohung, die reale Gefahr, dass dieses Heimatgebiet zum Kampfschauplatz werden könnte, die altbekannten Ängste der Menschen dieses Grenzraumes vor den schlimmen Folgen von Krieg wiederbelebt und zu verhaltenen Reaktionen auf den Ausbruch des Ersten Weltkrieges geführt haben. In den Festungsstädten wurde, wenn auch nicht überall überschwänglich, gejubelt, womöglich wegen der militärischen Präsenz. In Worms dagegen wusste die Zeitung schon am 1. und 2. August 1914 von verschwindender Heiterkeit in der Bevölkerung zu berichten und der Oberbürgermeister Heinrich Köhler sprach von einer „furchtbar ernsten Zeit“, die über die Menschen „hereingebrochen“ sei.4 Im rheinhessischen Kreisstädtchen Alzey vermerkte ein Chronist, die Menschen blickten gebannt auf den westlichen Kriegsschauplatz, weil dieser „ihnen aus der Vergangenheit bekannter [sei], auch fürchten sie mehr die Gefahren, die von dieser Seite kommen könnten.“5 Im wenige Kilometer entfernten Appenheim hielt der örtliche Pfarrer in seiner Kriegschronik fest, dass dort von Kriegsbegeisterung nichts zu spüren gewesen sei. Vielmehr habe überall „das Gefühl, als sei ein großes Unglück geschehen“ vorgeherrscht, das „eine Art starren Schreckens allen einflößte.“6 Auch in der Garnisonsstadt Darmstadt, rechtsrheinisch unweit des erwarteten Kampfraumes in Rheinhessen gelegen, war 3

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Vgl. Otto Klippel, Germersheim, in: Hans-Rudolf Neumann (Hg.), Historische Festungen im Südwesten der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1995, 16–23, hier 23; Thomas Probst, Die Garnison Germersheim, in: Michael Kißener (Hg.), Germersheim im 20. Jahrhundert. Wege einer Festungsstadt in die Mitte Europas, Ubstadt-Weiher [u. a.] 2008, 355–386, hier 361–365; Rudolf Büllesbach / Hiltrud Hollich / Elke Tautenhahn, Bollwerk Mainz. Die Selzstellung in Rheinhessen, München 2013, 110ff.; Rüdiger Wischemann, Die Festung Koblenz, Koblenz 1978, 46, 154. Zu den Koblenzer Ausbauten vgl. Bundesarchiv (BA), Abteilung Militärarchiv Freiburg, PH 3, Nr. 761, Kommandantur Coblenz und Ehrenbreitstein an Stellv. Generalkommando VIII. Armeekorps, 12. November 1915. Daniel Nagel, „Wir haben den Krieg nicht gewollt“. Julikrise und Augusterlebnis 1914 in der Berichterstattung der Wormser Presse, in: Gerold Bönnen (Hg.), „Eine furchtbar ernste Zeit …“ Worms, die Region und der „Große Krieg“ 1914 bis 1918, Worms 2014, 134–157, hier 151. Hans Bumann, Kriegstagebuch der Stadt Alzey, Alzey o.J., 29. Vgl. Gunter Mahlerwein, Das Dorf als Heimatfront. Rheinhessische Landgemeinden im Ersten Weltkrieg, in: Bönnen, „Eine furchtbar ernste Zeit …“, 408–423, hier 410f.

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die Kriegsbegeisterung ebenfalls sehr begrenzt.7 Ähnlich besorgt war die Stimmung z. B. in Landau und in Pirmasens.8 B) Das Militärsanitätswesen Diejenigen, die skeptisch waren, konnten sich jedenfalls hier, so nahe am Kriegsschauplatz, recht bald von der Richtigkeit ihrer Einschätzung überzeugen. Die modernen Waffen, vor allem das Maschinengewehr und die Artillerie, löschten in Sekunden hunderte von Menschenleben aus und riefen schwerste Verwundungen hervor, die wegen des oft zerfetzten Gewebes und starker Verunreinigungen der Wunden schwer oder gar nicht heilten. Das konnte man schon vor 1914 wissen und hatte in gewissem Maße dafür Vorkehrungen getroffen.9 Doch was sich jetzt einstellte, das war so nicht erwartet worden und überforderte in den ersten Wochen die sanitätsärztliche Versorgung der Truppe.10 Der eigentlich geplante Ablauf, der die Verwundeten vom Verbandsplatz der Truppe in das Feldlazarett, von dort in das Etappenlazarett und dann in die Heimat bringen sollte, war bei dem massenhaften Anfall von Verwundeten und der anfänglichen Vorwärtsbewegung der Truppe zunächst gar nicht einzuhalten. Schon in einem internen Schriftverkehr im Berliner Kriegsministerium vom 3. Oktober 1914 wurden ganz offen die teilweise chaotischen Zustände im Militärsanitätswesen insbesondere nach den großen Schlachten in den Anfangswochen angesprochen. Zügel- und regellos hätten die Verwundeten versucht, so sie nur irgend konnten, sich selbst zu helfen und einen der wenigen Plätze in den Verwundetentransporten Richtung Heimat zu ergattern. „Die zahllosen in Eile zusammengestellten und deshalb mangelhaften Eisenbahnzüge mit ihren ungesicherten Verwundeten rufen in der Heimat lebhafte Anklagen hervor“ – gab man unumwunden zu.11 Dieser kühlen Situationsbeschreibung entspricht ein bisweilen drastischer Erlebnisbericht zweier hessisch-darmstädtischer 7

Vgl. Michael Stöcker, Augusterlebnis 1914 in Darmstadt. Legende und Wirklichkeit, Darmstadt 1994. 8 Heinrich Thalmann, Die Pfalz im Ersten Weltkrieg, Kaiserslautern 1990, 296. 9 Zusammenfassend: Wolfgang U. Eckart, Medizin und Krieg. Deutschland 1914–1924, Paderborn [u. a.] 2014, 75f. 10 Zur Kriegskrankenpflege im Ersten Weltkrieg allgemein vgl. Astrid Stölzle, Kriegskrankenpflege im Ersten Weltkrieg. Das Pflegepersonal der freiwilligen Krankenpflege in den Etappen des Deutschen Kaiserreichs, Stuttgart 2013 und mit regionalem Bezug: Jochen Braselmann, Die militärische und freiwillige Krankenpflege im Ersten Weltkrieg 1914–1918 unter besonderer Berücksichtigung des pfälzischen Heimatgebietes, in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 107/2009, 341–388. 11 BayHSTA München, Abteilung Kriegsarchiv, MKr Nr. 13782, Kriegsministerium Medizinalabteilung Berlin, 3. Oktober 1914, MKr Nr. 10486; Artikel „Verwundeten-Pflege im Kriege – Eine Anregung. Von einem an der Front wirkenden Arzte“, aus der München-Augsburger Abendzeitung Nr. 258, 16. September 1914. Selbst der offizielle Sanitätsbericht über das Deutsche Heer im Weltkrieg beschönigte diese schlimmen Zustände nicht. Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion des Reichskriegsministeriums (Bearb.), Sanitätsbericht über das Deutsche Heer

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Sanitäter, die auf dem Vereinslazarettzug „Großherzogin von Hessen“ Dienst taten. Mit diesem maximal 30 km/h fahrenden Zug wurden Verwundete bis ins Heimatgebiet gebracht; Verwundete, deren Wunden seit Tagen nicht versorgt worden waren und in denen sich schon Ungeziefer verbreitete; Verwundete, die Tag und Nacht vor Schmerzen schrien und in schlechtestem Hygiene- und Gesundheitszustand die Heimat erreichten.12 Auch der Versuch, das Transportproblem auf dem Wasserweg über den in diesem Raum geographisch so günstig gelegenen Rhein mit Lastkähnen, die zu Lazarettschiffen umgebaut wurden, zu lösen, scheiterte an der Langsamkeit dieses Transportmittels.13 Eine erste Lösung des Problems bestand darin, die Verwundetenzüge mit dem Erreichen des Heimatgebietes möglichst bald in die frontnahen Lazarette, also im linksrheinischen Gebiet, zu entleeren, auf jeden Fall aber die Schwerstverwundeten, die gar nicht mehr transportfähig waren, hier zu versorgen.14 Schon im September 1914 wurden die Stellvertretenden Korpsärzte der Grenzliniengebiete angewiesen, hinreichend viele und gut ausgestattete Lagerstellen für Verwundete vorzuhalten, „damit die Verwundeten erkennen sollten, daß ihnen im Heimatgebiet noch erhöhtere Fürsorge zuteil werde, als ihnen im Feindesland gewährt werden könne.“ 15

Dabei sollte allerdings nach einer Weisung aus der Medizinalabteilung des preußischen und bayerischen Kriegsministeriums auf die Sprachführung geachtet werden: „Eine Sanitätsdienststelle hatte bei einer Gemeindebehörde wegen Bereithaltung einer größeren Zahl von Lagerstellen für ‚Verwundete‘ angefragt. Daraus waren beunruhigende Gerüchte

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(Deutsches Feld- und Besatzungsheer) im Weltkriege 1914/1918 (Deutscher Kriegssanitätsbericht 1914/1918), Bd. 1, Berlin 1935, 178f. Vgl. auch Wilhelm Rosenbaum, Das Krankentransportwesen im Weltkriege, in: Wilhelm Hoffmann (Hg.), Die deutschen Ärzte im Weltkriege. Ihre Leistungen und Erfahrungen, Berlin 1920, 315–342. Bei Eckart, Medizin und Krieg, 123 wird diese Problemlage übersehen. Ähnlich katastrophale Verhältnisse im Verwundetentransport sind auch von der österreichisch-italienischen Front bekannt, ohne dass dort allerdings die Auswirkungen auf die Grenzregionen untersucht worden wären. Vgl. Daniela Claudia Angetter, Dem Tod geweiht und doch gerettet. Die Sanitätsversorgung am Isonzo und in den Dolomiten 1915–18, Frankfurt a.M. 1995, 113f., 126, 249 und Brigitte Biwald, Von Helden und Krüppeln. Das österreichisch-ungarische Militärsanitätswesen im Ersten Weltkrieg, 2 Teile, Wien 2002, T. 1, 141. Andreas Greim, „50 Fahrten mit dem Lazarettzuge nach der Westfront“. Die Kriegserlebnisse und -erfahrungen der Darmstädter Sanitäter Alfred Ihne und Alexander Perlyn auf dem Vereinslazarettzug 03 „Großherzogin von Hessen“, in: Ute Schneider / Thomas Lande (Hgg.), Kriegsalltage. Darmstadt und die Technische Hochschule im Ersten Weltkrieg, Darmstadt 2002, 311–356, hier 352f. Die hier zu lesenden Beschreibungen des Arbeitsalltages in einem Lazarettzug kontrastieren in bemerkenswerter Weise mit der Propagandaschrift Bernbeck, o.V., Der Lazarettzug 03 „Großherzogin von Hessen“, Darmstadt 1915. Heeres-Sanitätsinspektion des Reichskriegsministeriums (Bearb.), Sanitätsbericht, Bd. 1, 264. BayHSTA München, Abteilung Kriegsarchiv, MKr Nr. 13782, Bayerisches Kriegsministerium an Medizinalabteilung Berlin, 3. Oktober 1914 und MKr Nr. 10486, Kriegsministerium, Medizinalabteilung an Kommandeur Stellv. Intendantur der Armeekorps, 19. Oktober 1914. Heeres-Sanitätsinspektion des Reichskriegsministeriums (Bearb.), Sanitätsbericht, Bd. 1, 182, Bd. 2, 56, 273, 363.

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Michael Kißener und sonstige Unannehmlichkeiten entstanden. Allen Sanitätsdienststellen wird größte Vorsicht insbesondere mit Zivilverwaltungsbehörden, Gemeinden usw. zur strengen Pflicht gemacht. Es genügt durchaus von Krankenlagerstellen zu sprechen.“16

Die schließlich im Grenzgebiet erreichte Zahl an „Lagerstellern“ war hoch. Die Pfalz hatte die mit Abstand höchste Quote an Lazarettbetten in ganz Bayern 17. Germersheim, dessen Festungslazarett schon im März 1914 eine Kapazität von 3.800 Lagerstellen für Kranke und Verwundete hatte, bekam bald den Ruf einer Verwundetenfestung, so viele hofften hier auf medizinische Hilfe.18 In Mainz hatte die Festungsverwaltung auf die städtischen Medizinaleinrichtungen, auch auf das ganz neue Krankenhaus, die Hand gelegt und einen Großteil der Bettenkapazität reserviert19, vor allem aber waren bis auf drei Ausnahmen alle Volksschulhäuser von der Festungsverwaltung als Hilfslazarette requiriert worden. Von den 242 Schulsälen, die es insgesamt in Mainz gab, dienten 143 Lazarettzwecken. 1918 gab es nicht einmal für wichtige militärische Nutzungen Raum mehr, weil jeder nur irgendwie brauchbare Raum als Hilfslazarett genutzt werden musste. Die Stadtverwaltung fragte bei anderen Städten an, wie viel öffentlicher Raum dort für Lazarettzwecke requiriert worden sei, in Darmstadt, in Wiesbaden oder Frankfurt, sogar in der Festungsstadt Köln – nirgendwo war so viel Raum für die Pflege der Verwundeten vereinnahmt worden wie hier.20 Und das war, je nachdem, wie sich das Kampfgeschehen entwickelte, auch nötig. Listet man allein die im Mainzer Tagblatt ohne Anspruch auf Vollständigkeit im Zeitraum vom 24. August bis 4. September 1914 angegebenen Zahlen der Verwundeten auf, die in Mainz in stationäre Behandlung übernommen oder für einen Weitertransport versorgt werden mussten, so ergibt sich folgendes Bild:

16 BayHSTA München, Abteilung Kriegsarchiv, MKr Nr. 10486, Kriegsministerium, Medizinalabteilung an div. militärische Dienststellen, 15. August 1914. 17 Thalmann, Die Pfalz, 254. Vgl. auch den Bericht der Regierung der Pfalz, Kammer des Inneren, in: Landesarchiv (LA) Speyer, H 3, 12294. 18 Probst, Die Garnison, 360. Zur Kapazität vgl. BayHSTA München, Abteilung Kriegsarchiv, MKr Nr. 10529, Intendantur des II. Armeekorps an bayerisches Kriegsministerium, 11. März 1914. 19 Franz Dumont, Mainz. Die Geschichte der Stadt, Mainz 1998, 797. 20 Stadtarchiv (StA) Mainz 70/4800, Exzerpt aus einem Schreiben des Großherzoglichen Territorialkommandos an das Mainzer Festungsgouvernement, o.J. [vermutlich 1915]. Nach einem Schreiben des Gouvernements an das Territorialkommando, 15. September 1915 ebd. hielt die Mainzer Festungskommandantur regelmäßig 6.304 Lagerstellen vor. Vgl. auch StA Mainz 70/880, Territorialkommando bei der Festung Mainz an Oberbürgermeister Mainz, 11. März 1918.

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Verwundetenversorgung in Mainz 25. August bis 4. September 1914 (Vorbereitung für Weitertransport oder stationäre Aufnahme)21

25. August 27. August

31. August 01. September 02. September 03. September 04. September

250 Verwundete (Bahntransport) 00.00 Uhr: 40 Verwundete; 03.20 Uhr: 90 Verwundete; 14.08 Uhr: 250 Verwundete; 15.24 Uhr: 152 Verwundete (Bahntransport) 150 deutsche und 18 französische Verwundete (Lazarettschiff) 156 deutsche und 32 französische Verwundete (Lazarettschiff) 132 deutsche Verwundete (Lazarettschiff) 180 deutsche Verwundete (Lazarettschiff) 2.30 Uhr: 321 deutsche Verwundete, 108 französische Verwundete (Bahntransport); 140 deutsche und französische Verwundete (Lazarettschiff)

D.s. insgesamt: 2019 versorgte Verwundete an sieben Tagen. Für den Zeitraum vom 2. bis 4. September berichtete das Mainzer Tagblatt zudem von insgesamt 1.700 Verwundeten, die direkt auf dem Bahnhof wohl für den Weitertransport verpflegt worden seien. Das Mainzer Rote Kreuz verkündete am 7. September, dass man sich auf täglich 600 bis 900 Verpflegungsrationen eingerichtet habe, die täglich am Bahnhof für verwundete Soldaten zu verabreichen seien. Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass selbst in der kleinen rheinhessischen Kreisstadt Alzey 200 Lazarettbetten eingerichtet wurden und man dort schon am 12. August 1914 die ersten Verwundeten erwartete.22 Es scheint so, als hätte sich ab Jahresende 1914 durch die Einsetzung von „Sanitätstransportkommissaren“, die für die Aufteilung der Verwundeten auf die Lazarette des Heimatgebietes zuständig wurden, und durch den einsetzenden Stellungskrieg, der einen geordneteren Transport ermöglichte, die Lage der Verwundeten etwas gebessert23, wenn auch später immer wieder in den Unterlagen über Verwundete geklagt wird, die sich wegen mangelnder Fürsorge alleine auf den Weg

21 Zahlen gem. einer Broschüre in der Stadtbibliothek Mainz, Best. Nr. 42/788, „Aus großer Zeit. Eine Chronik von Tag zu Tag seit Ausbruch des Krieges 1914. Zusammengestellt aus dem ‚Mainzer Tagblatt‘“, H. 2, 64, H. 3, 71, 91, H. 4, 98. 22 Bumann, Kriegstagebuch, 26. 23 Heeres-Sanitätsinspektion des Reichskriegsministeriums (Bearb.), Sanitätsbericht, Bd. 1, 179f. Sanitätstransportkommissare waren z. B. zeitweilig in Trier, Dillingen, Landau, Gerolstein und in einer Zweigstelle Hillesheim (Eifel) tätig.

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machten und manch einen Zivilisten in der Heimat in ihrem jämmerlichen Zustand erschreckten.24 Für das frontnahe Heimatgebiet ergab sich, je länger der Krieg dauerte und je elender die Situation der Soldaten in den Schützengräben des westlichen Kriegsschauplatzes wurde, dann aber bald noch eine weitere Problematik: Es musste Sorge dafür getragen werden, dass die Verwundeten nicht hochansteckende Krankheiten und Ungeziefer mitbrachten, die zu Epidemien in der Heimat hätten führen können. Deshalb erhielten die Sanitätstransportkommissare den Auftrag, an der Grenze die Verwundetenzüge anzuhalten und nicht nur für die fachgerechte Lagerung und Versorgung der Verwundeten zu sorgen, sondern auch Maßnahmen der Seuchenbekämpfung, vor allem Desinfektionen, durchzuführen. Eine solche Kontrollstelle gab es z. B. in Trier, später auch in Gerolstein und in Landau.25 Gegen Ende des Krieges schließlich verschlimmerten sich die Zustände erneut, da es mittlerweile wegen der hohen Verluste im Sanitätsdienst ohnehin an Personal fehlte. Der Chef des Feldsanitätswesens im Großen Hauptquartier berichtete ganz ungeschminkt der Medizinalabteilung im bayerischen Kriegsministerium am 2. Mai 1918, die vielen Großkampftage hätten das Sanitätswesen total überfordert: „Der grosse Mangel an Ärzten erschwert ganz ausserordentlich die Versorgung der Verwundeten, zumal wenn diese an einzelnen Stellen in gedrängten Haufen von Tausenden und Abertausenden zuströmen.“

„Wilde eigenmächtige Transporte“ waren nun wieder zu konstatieren.26 Im Durchschnitt, so resümierte später der Sanitätsbericht über das deutsche Heer, wurden pro Monat 86.300 Kranke und Verwundet in das Heimatgebiet transportiert, knapp fünfzig Prozent aller Heilbehandlungen fanden nicht an der Front, sondern in der Heimat statt: Das frontnahe Heimatgebiet bekam dieses ganze Elend zuerst zu Gesicht und musste damit fertig werden, bevor es zumindest etwas geordneter ins Hinterland weitergehen konnte.27

24 BayHSTA München, Abteilung Kriegsarchiv, MKr Nr. 10486, Bericht vom Februar 1915, in dem u. a. von den nach wie vor „sehr ungünstigen Bedingungen beim Transport“ die Rede ist. Vgl. auch Bayerisches Kriegsministerium, Medizinalabteilung an Sanitätsämter der Bayerischen Korps, 19. August 1915, wo die Verschickung von Schwerverwundeten ohne Sanitätspersonal immer noch beklagt wird, weil dies „berechtigten Unwillen“ bei Reisenden im Heimatgebiet hervorrufe. 25 BayHSTA München, Abteilung Kriegsarchiv MKr Nr. 13837, Tätigkeitsbericht des Sanitätstransportkommissars Landau 1.–15.8.1917 sowie Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Abteilung Kriegsarchiv, Stellv. Generalkommando II. Armeekorps, Sanitätsamt Nr. 42. 26 BayHSTA München, Abteilung Kriegsarchiv, MKr. Nr. 10486, Chef des Feldsanitätswesens Großes Hauptquartier an Bayerisches Kriegsministerium, Medizinalabteilung, 2. Mai 1918. 27 Friedrich Ring, Zur Geschichte der Militärmedizin in Deutschland, Berlin 1962, 243f.

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C) Kriegsgefangene Mit all diesen Verwundetentransporten kamen im Übrigen auch verletzte gegnerische Soldaten. Für betont national Denkende ein unerträglicher Übelstand, dass hilflose deutsche Verwundete einfach so neben hilflosen verletzten Franzosen lägen, die sich bei schlechter Versorgung auch noch gegenseitig helfen mussten – eine an sich schon bizarre Situation. Schlimmer als das war aber für das national aufgeladene Bürgertum ausweislich der Zeitungsberichterstattung wie auch der Überlieferung in den Unterlagen der Militärbehörden, dass und wie auch gesunde Kriegsgefangene im linksrheinischen Raum empfangen wurden. Das deutsche Heer machte im Westen schon in den ersten Kriegstagen eine unerwartet hohe Zahl an Kriegsgefangenen. Bis zum Mai 1915 waren es alleine rund 260.000 französische Militärangehörige, die so schnell wie möglich von der Front wegtransportiert werden mussten.28 Wo diese große Zahl an Gefangenen untergebracht werden sollte, war anfänglich völlig unklar. Zunächst behalf man sich damit, die Gefangenen in Garnisonsstädte oder auf Truppenübungsplätze zu bringen, wo sie leichter bewacht werden konnten.29 Eine angemessene Behandlung der Gefangenen, auch die Berücksichtigung religiöser Gebräuche bei der Verpflegung wurde von Anfang an befohlen.30 Ende September 1914 legte der Generalquartiermeister West eine gleichmäßige Verteilung der Kriegsgefangenen über das ganze Reich fest „unter Schonung der Grenzgebiete und Sicherung des weiteren Abschubes aus der Front.“31 In der Folgezeit etablierte sich dann ein strukturiertes Lagersystem, das von den Kriegsgefangenen sehr unterschiedlich erfahren wurde und französischen Forschungen zufolge auch einen regional sehr unterschiedlichen

28 BayHSTA München, Abteilung Kriegsarchiv, MKr Nr. 1765, Denkschrift „Frankreichs innere Lage im Mai 1915“. Die hier genannten Zahlen stimmen in etwa mit denen bei Wilhelm Doegen, Kriegsgefangene Völker, Bd. 1, Berlin 1921, 28 überein. Hier werden für das Stichdatum 10. März 1915 230.503 französische Mannschaftssoldaten und 3.748 Offiziere genannt. Hinzu kamen 643 belgische Offiziere und 39.465 belgische Mannschaftsdienstgrade. 29 BayHSTA München, Abteilung Kriegsarchiv, MKr Nr. 1630 div. Schriftwechsel und ebd. MKr, Nr. 1631, Kriegsministerium Unterkunftsdepartement Berlin an Kriegsministerien der Länder, 11. September 1914. Vgl. zu den unerwartet hohen Zahlen an Kriegsgefangenen und dem organisatorischen Chaos bei ihrer Unterbringung etwa Jochen Oltmer, Unentbehrliche Arbeitskräfte. Kriegsgefangene in Deutschland 1914–1918, in: Ders. (Hg.), Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, Paderborn [u. a.] 2006, 67–96, hier 74. 30 BayHSTA München, Abteilung Kriegsarchiv, MKr Nr. 1630, Kriegsministerium an Stellvertretende Generalkommandos der Armeekorps, 9. September 1914 und Kriegsministerium an Generalkommandos u.a. Dienststellen, 14. September 1914. 31 BayHSTA München, Abteilung Kriegsarchiv, MKr. Nr. 1632, Generalquartiermeister West an Bayerisches Kriegsministerium, 30. September 1914. Von „Leitpunkten“ aus wollte das Preußische Kriegsministerium die Verteilung der Gefangenen regeln.

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Standard aufwies.32 Seuchen und – je deutlicher sich die britische Seeblockade bemerkbar machte – auch Hunger wurden für viele zu einer lebensbedrohlichen Alltagserfahrung.33 Die Quellen deuten allerdings darauf hin, dass die Situation im linksrheinischen Deutschland differenzierter zu beurteilen ist. Selbst bei kritischer Wertung der amtlichen Quellenüberlieferung und der Zeitungsberichterstattung erscheint es bemerkenswert, dass beim Eintreffen der ersten Kriegsgefangenentransporte in diesem Raum sich eine verbreitet positive Reaktion der Bevölkerung insbesondere auf die französischen Kriegsgefangenen zeigte. In Kaiserslautern kam es am 12. August 1914 z. B. geradezu zu einem echten Skandal, der von der Presse auch begierig hochgespielt wurde, weil Rot-Kreuz-Schwestern den französischen Gefangenen so viele Erfrischungen, Nahrungsmittel und Bekleidung reichten, dass besonders national Gesinnte dies für völlig übertrieben hielten und sich über dieses angeblich unpatriotische Verhalten öffentlich entrüsteten:34 „Absolut unangebracht […] ist es, ihnen eine Knackwurst um die andere zu reichen und Zigarren und Zigaretten in Mengen zuzustecken. So ist die Sache dann doch nicht, daß die gefangenen Herren Franzosen eine Vergnügungsfahrt durch Deutschland machen und sich womöglich hinterher über die deutsche Gutmütigkeit ins Fäustchen lachen“,

schimpfte ein Leser in der Pfälzischen Presse am 14. August 1914.35 Auch aus anderen Gegenden Deutschlands, wie etwa Württemberg, sind solche Szenen überliefert,36 sie stellen allerdings einen deutlichen Kontrast zu den von französischen Gefangenen berichteten Anfeindungen durch die Bevölkerung in Nord- und Mitteldeutschland dar.37 Diese Hilfsbereitschaft im Linksrheinischen dauerte an und verstärkte sich gar noch, als man bald dazu überging, die Kriegsgefangenen in Landwirtschaft und Industrie einzusetzen, um die Ernährung der deutschen Bevölkerung und die Kriegsproduktion sicherzustellen. Mehrfach sind Belege in den Quellen zu finden, die zeigen, dass die Menschen im linksrheinischen Gebiet den Gefangenen trotz Androhung von Strafe keineswegs abweisend gegenüberstanden. Russische Kriegsgefangene in der Festung Germersheim etwa erbauten dem Festungskommandanten gegen Kriegsende ein kleines Denkmal zum Dank für die gute

32 Odon Abbal, Soldats oubliés. Les prisonniers de guerre français, Esparon 2001, 39–43, Uta Hinz, Gefangen im großen Krieg. Kriegsgefangenschaft in Deutschland 1914–1921, Essen 2006, 356. 33 Abbal, Soldats oubliés, 43. Zu den auch im linksrheinischen Deutschland wütenden Seuchen unter den Gefangenen vgl. etwa Martin Krauß / Walter Rummel (Hgg.), „Heimatfront“ – Der Erste Weltkrieg und seine Folgen im Rhein-Neckar-Raum (1914–1924), Ubstadt-Weiher 2014, 110–115 sowie Gerold Bönnen, Worms 1914 bis 1918. Annäherungen an einen vergessenen Krieg, in: Bönnen, „Eine furchtbar ernste Zeit …“, 12–132, hier 100–105. 34 LA Speyer, H 1, 1702. 35 Ebd. Pfälzische Presse, 14. August 1914. 36 Hinz, Gefangen im großen Krieg, 192. 37 Vgl. Jean-Claude Auriol, Les Barbelés des Bannis. La tragédie des prisonniers de guerre français en Allemagne pendant la Grande Guerre, Paris 2002, 48, 289.

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Behandlung.38 Auch für andere Regionen der Pfalz oder auch für Bad Kreuznach sind eine gute Behandlung und nicht unerhebliche Schenkungen an die Gefangenen durch die Arbeitgeber vor allem aus der Landwirtschaft belegt.39 Die Regierung der Pfalz reagierte darauf mit einer klaren Drohung: Höre diese freundliche Unterstützung besonders der gefangenen Franzosen nicht auf, so ließ sie die Bürgermeister und Pfarrämter der Region am 4. Dezember 1915 wissen, dann würden eben nur noch russische Kriegsgefangene in der Pfalz stationiert werden.40 Dies scheint nicht nur eine Drohung geblieben zu sein: Orientiert man sich an dem in der ansonsten apologetischen Nachkriegspublikation von Wilhelm Doegen über das deutsche Kriegsgefangenenwesen angeführten Zahlenmaterial, so spiegelt die hier veröffentlichte Statistik für den Oktober 1918 tatsächlich diese Tendenz: In den dort aufgeführten Kriegsgefangenenlagern Worms, Saarbrücken, Diedenhofen und Germersheim lag die Zahl der russischen Gefangenen am Kriegsende schließlich weit über der der französischen Gefangenen. Nur im pfälzischen Landau mit seiner langen französischen Festungstradition bestand ein überwiegend mit Franzosen belegtes Lager. Statistisch gesehen, waren die meisten französischen Kriegsgefangenen schließlich im Bereich des IV., in Mitteldeutschland beheimateten Armeekorps und beim VII. Armeekorps in Westfalen untergebracht. Die überwiegende Zahl der russischen Kriegsgefangenen (rund sechzig Prozent aller Kriegsgefangenen im Reich waren Angehörige der zaristischen Armee) blieb demgegenüber aber in Schlesien (VI. Armeekorps) und Westpreußen (XVII. Armeekorps) einquartiert.41 Ein weiterer, vielleicht noch gewichtigerer Grund für den raschen Weitertransport der Franzosen und später die umgekehrte Stationierung von russischen Kriegsgefangenen hier dürfte der Sicherheitsaspekt gewesen sein:42 Die Flucht nach Frankreich war für einen Franzosen so grenznah vergleichsweise leicht, die Gefahr, dass er dabei militärisch relevante Beobachtungen mitnahm, groß. Nach einer bayerischen Statistik aus dem Jahre 1916 gelang doppelt so vielen Kriegsgefangenen in den zwei linksrheinischen bayerischen Kriegsgefangenenlagern die Flucht wie in den drei rechtsrheinischen.43 Das lag letztlich daran, dass eine ausreichende und qualifizierte Bewachung beim dringend benötigten Arbeitseinsatz der Kriegsgefangenen nicht zu gewährleisten war. Rein statistisch ist insgesamt allerdings die Gefahr der Flucht von Kriegsgefangenen weit überschätzt worden: Glaubt man den

38 Heimatbrief der Stadt Germersheim 28/1988, S. 94f. 39 Thalmann, Die Pfalz, 274–283; Martin Senner, Die Russen in der Klappergasse. Ein Beitrag zur Geschichte Kreuznachs im Ersten Weltkrieg, in: Landeskundliche Vierteljahrsblätter 53/2007, 37–46 und 79–91. 40 LA Speyer, 436 Nr. 410. 41 Doegen, Kriegsgefangene Völker, 16–24. 42 StA Mainz 70/857 Kreisamt Mainz an Gewerbeinspektion Mainz, 17. Juli 1915. Der Brief ist etwas verklausuliert formuliert, diese Sicherheitsperspektive scheint jedenfalls gemeint zu sein. 43 LA Speyer, H 46/574.

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bei Doegen veröffentlichten Zahlen, so flohen bis zum 10. Oktober 1918 wesentlich mehr Russen aus der Kriegsgefangenschaft als Franzosen.44 Angesichts dieser Befunde kann für den linksrheinischen Raum konstatiert werden, dass die in der Forschung bisweilen beschriebene schlechte Behandlung von Kriegsgefangenen durch die Deutschen45 hier offenbar nicht die Regel war. Akten- wie Bildmaterial aus der Pfalz und Rheinhessen deutet, selbst wenn man in Rechnung stellt, dass manches Dokument auch der Propaganda dienen sollte46, eher auf eine im Wesentlichen angemessene Behandlung der Gefangenen, die sich vor allem grundlegend unterscheidet von den Verhältnissen, wie sie dann im Zweiten Weltkrieg üblich wurden.47 Ob dieses Verhalten menschlichem Mitleid gegenüber den Nachbarn von der anderen Seite der Grenze entsprang, die schon vor dem Krieg hier häufig präsent waren, ob es rein ökonomisch zu erklären ist, weil man hoffte, so eine höhere Arbeitsleistung zu erzielen oder aber ob es der Grenzlage geschuldet war, die angesichts einer unsicheren Zukunft eine angemessene Behandlung der Nachbarn angeraten erscheinen ließ, muss dabei offen bleiben. D) Krieg aus der Luft Die geographische Nähe zum westlichen Kriegsschauplatz bedingte es schließlich auch, dass man sich im linksrheinischen Raum bereits im Ersten Weltkrieg mit feindlichen Luftangriffen auseinandersetzen musste. Die technologischen Veränderungen in der Kriegführung beschleunigten sich in diesem Krieg rasant, wollte doch jeder jeden sich bietenden technologischen Vorteil nutzen, um den Krieg zu gewinnen. So nahm auch die Entwicklung der Luftwaffe einen enormen Aufschwung. Die Leistungsfähigkeit der ersten Bombenflugzeuge war jedoch noch nicht sonder-

44 Doegen, Kriegsgefangene Völker, 28 beziffert 4.973 erfolgreiche Fluchten von französischen Mannschaftsdienstgraden, aber 98.272 russische Flüchtlinge, die nicht wieder gefangen wurden. 45 Vgl. Auriol, Les Barbelés des Bannis oder Annette Becker, Oubliés de la Grande Guerre. Humanitaire et Culture de Guerre 1914–1918, Paris 1998, 93ff., 113f.; Heather Jones, Violence against Prisoners of War in the First World War. Britain, France and Germany, 1914–1920, Cambridge 2011; Georg Wurzer, Die Kriegsgefangenen der Mittelmächte in Russland im Ersten Weltkrieg, Göttingen 2005, z. B. 528f. Allerdings konstatiert auch Wurzer eine wesentlich höhere Sterblichkeitsrate von deutschen Kriegsgefangenen in russischem Gewahrsam als von russischen Kriegsgefangenen in deutschem Gewahrsam. Eine abwägende Beurteilung der Kriegsgefangenenbehandlung in Deutschland bietet Hinz, Gefangen im großen Krieg, 201– 203. 46 Vgl. dazu etwa Brigitte Hamann, Der Erste Weltkrieg. Wahrheit und Lüge in Bildern und Texten, München 2009, 155–157. 47 Vgl. z. B. die Berichte über die Gefangenenlager in Mainz, Koblenz und Germersheim in BA Berlin, R 901/84377, R 901/84351 und R 901/54298, StA Mainz BPSP 02990.1C – 02990.Sc. über kulturelle Veranstaltungen, die im Offizierslager Mainz abgehalten wurden. Ebenso für die Pfalz Thalmann, Die Pfalz, 274–283.

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lich ausgereift, die Einsatzplanungen überstiegen meist die tatsächlichen Möglichkeiten. Und zudem verstand die militärische Führung in Frankreich die Luftwaffe noch mehr als eine Art verlängerten Arm der Artillerie, denn als strategische Waffe (wie die meisten britischen Generäle).48 Daher waren es vor allem frontnahe Industrieanlagen und Verkehrsknotenpunkte im linksrheinischen Gebiet, die tatsächlich angegriffen wurden.49 Trier gehörte mit zu den ersten Zielen im August 1914 und erlebte während des Krieges 145 Fliegeralarme mit 22 direkten Luftangriffen auf die Stadt.50 Am 27. Mai 1915 wurde Ludwigshafen und die dortige Pulverfabrik Ziel von einem ersten Luftangriff mit 18 Flugzeugen, der zunächst noch wenig Schaden anrichtete, aber bereits 12 Menschenleben kostete und 25 weiteren teils schwere Verwundungen beibrachte.51 Gegen Ende des Krieges mehrten sich allerdings die Angriffe feindlicher Flugzeuge, forderten mehr Menschenleben und zerstörten Gebäude, auch in Mainz z. B. bei den beiden Angriffen am 9. Mai und 15. September 1918.52 Die militärische Bedeutung dieser Luftangriffe war noch gering, ihre psychologische Wirkung auf die Bevölkerung hingegen am Ende des Krieges sehr groß. Beim Auftauchen feindlicher Flugzeuge gerieten die Menschen vielfach geradezu in Panik.53 Es musste aus dem Nichts ein Warnsystem aufgebaut werden, das sich zunächst äußerst primitiv ausnahm: Luftbeobachter auf Kirchtürmen und auf den Höhen des Pfälzer Waldes etwa, die über telefonische Schnellvermittlung Feindanflüge weitermeldeten – meist zu spät, um noch wirksame Vorsorge zu treffen. Gegen Nachtangriffe versuchte man sich mit Lichtattrappen auf den Feldern der Pfalz zu wehren, die die feindlichen Flugzeugführer irreleiten und zum Abwurf ihrer Bomben auf freiem Felde verleiten sollten.54 In Mainz glaubten Bürger wie Behörden, die Luftangriffe wären zu vermeiden, wenn nur gefangene französische Offiziere in Privatquartieren überall in der Stadt verteilt würden, so dass ein feindlicher Luftangriff auch sie treffen würde. Die militärische Führung wollte sich diesem Anliegen allerdings nicht so einfach beugen, stationierte aber in dem Offiziersgefangenenlager auf der Mainzer Zitadelle wieder mehr Gefangene der westlichen

48 Andrew Barros, Strategic Bombing and Restraint in ‚Total War‘, 1915–1918, in: The Historical Journal 52/2009, 413–431, hier 418–420. 49 Zur Entwicklung des Luftkrieges und den strategischen Planungen der Ententemächte vgl. zusammenfassend etwa Ralf Blank, Strategischer Luftkrieg gegen Deutschland 1914–1918, bes. 4, http://www.erster-weltkrieg.clio-online.de/_Rainbow/documents/einzelne/Luftkrieg14_18 1.pdf , aufgerufen am 08.03.2016. 50 Adolf Weiler, Die Luftangriffe auf Trier und die lokale Flugabwehr 1914 bis 1918, in: Horst Schuh (Hg.), Luftkrieg über Front und Heimat 1914/18. Flieger und Luftschiffer zwischen Westfront und Rhein, Aachen 2014, 98–116, hier 98. 51 Thalmann, Die Pfalz, 263, Vgl. auch Krauß / Rummel (Hgg.), „Heimatfront“, 120–125. 52 Friedrich Schütz, Vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg (1914–1945), in: Dumont, Mainz, 475– 509, hier 478. 53 Vgl. Hans Stahl, Meine Erlebnisse als Militärbranddirektor der Festung Mainz in den Jahren 1914–1918, München 1933, 94–103. 54 StA Mainz 70/863, Thalmann, Die Pfalz, 264–272.

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Ententemächte.55 Es war sicher nur ein schwacher Trost, dass auf dem Gonsenheimer Flugfeld dann 1918 eine Staffel von Jagdflugzeugen stationiert wurde, die der Bedrohung Abhilfe schaffen sollte.56 So bekamen die Menschen folglich hier schon im Ersten Weltkrieg einen Vorgeschmack von dem, was die Heimatfront im Zweiten Weltkrieg durch die massenhaften und dann viel präziseren Luftbombardements prägen sollte.57 Fazit Überblickt man die hier vorgestellten Beobachtungen, so lässt sich sicher sagen, dass durch die geographische Lage dieses Raumes und die daraus erwachsenden unmittelbaren militärischen Planungen im westlichen, linksrheinischen Grenzgebiet eine spezifische Erfahrungssituation entstanden ist. In der Mitte Deutschlands musste man sich nicht mit einem so umfänglichen Festungssystem auseinandersetzen und die Vorstellung, dass die Heimat direktes Kampfgebiet werden könnte, lag dort sicherlich völlig fern. Auch Luftangriffen, gleichsam Vorboten einer noch radikaleren Kriegführung, war man nicht ausgesetzt. Die Luftkriegsbedrohung rief in den grenznahen Gebieten sogar so etwas wie besondere emotional communities von Menschen aller Klassen hervor, die sich den Kriegseinwirkungen im Heimatgebiet ausgesetzt sahen.58 Reizvoll wäre ein Vergleich der Situation mit anderen Grenzregionen etwa im Osten, für den bislang aber keine Vorarbeiten vorliegen. Das Problem der Kriegsverwundeten und Kriegsgefangenen traf ganz Deutschland. Hier ist es die durch die geographische Lage bedingte Unmittelbarkeit der Konfrontation mit diesen zentralen Problemen und die Intensität der Erfahrung, die eine gewisse Besonderheit darstellt. Die häufig chaotische Rückführung von Verwundeten ins Heimatgebiet offenbarte an der Grenze noch den vollen Schrecken des Kriegserlebnisses. Oftmals erfuhren die Verwundeten im linksrheinischen Heimatgebiet überhaupt erstmals eine geordnete, halbwegs angemessene Versorgung ihrer Wunden. Deshalb massierten sich hier die Lagerstätten, waren durch umfängliche Requisitionen viele öffentliche Gebäude zu Lazaretten umfunktioniert. Umgekehrt verhielt es sich mit den Kriegsgefangenen: diese wurden zunächst gerade aus dem Grenzgebiet herausbefördert ins Hinterland. Dabei spielte der Sicherheitsaspekt, also Bewachungsmöglichkeiten zur Verhinderung von Flucht, eine wichtige Rolle. Als der Arbeitskräftemangel einen Einsatz der Kriegsgefangenen in Industrie

55 StA Mainz 70/880 Div. Briefwechsel in der Angelegenheit. 56 Büllesbach / Hollich / Tautenhahn, Bollwerk Mainz, 164. 57 Vgl. Christian Geinitz, The first Air War against Noncombatants. Strategic Bombing of German Cities in World War I, in: Roger Chickering / Stig Förster (Hgg.), Great War, Total War. Combat and Mobilization on the Western Front, 1914–1918, Cambridge 2000, 207–225, hier 225. 58 Florian Schnürer, Dort übertriebene Besorgnis, hier ebensolche Sorglosigkeit. Zur Ambivalenz des Erlebnisses ‚Bombenkrieg‘ im Ersten Weltkrieg im Rhein-Main-Gebiet, in: Nassauische Annalen 125/2014, 349–393, hier 391.

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und Landwirtschaft unabweisbar erforderte, gelangten auch ins Grenzgebiet wieder Kriegsgefangene. Dabei achtete man darauf, dass sich nicht gerade die Gefangenen des Kriegsgegners im Westen im Grenzgebiet aufhielten, sondern vornehmlich die des Ostens, also vor allem Russen. Dies war nicht zuletzt auch eine Folge der entgegenkommenden Behandlung gerade von Franzosen im westlichen Grenzraum. Es ist davon auszugehen, dass solche spezifischen oder besonders intensiven Kriegserfahrungen Auswirkungen auf die politische Einstellung der Bevölkerung des Raumes gehabt haben. Trotz einer insgesamt schwierigen Überlieferungslage gibt es Hinweise darauf, dass hier schon früh die Kriegsbegeisterung einer pessimistischen Sicht auf den Kriegsausgang gewichen ist und sich bald erste Auflösungserscheinungen in der Kampf- und Einsatzbereitschaft der Bevölkerung gezeigt haben. Das Ende des Krieges scheint privaten Zeugnissen zufolge von Flucht ins rechtsrheinische deutsche Gebiet oder aber von einem steigenden Desinteresse an der nationalen Zuordnung des Raumes geprägt gewesen zu sein. 59 Und sicher kam es auch nicht von ungefähr, dass dieser Raum von einer nicht unerheblichen separatistischen Bewegung zu Beginn der 1920er Jahre geprägt wurde, in deren politischer Argumentation die Idee der Völkerversöhnung und die Vermeidung eines weiteren Krieges mit Frankreich eine wichtige Rolle spielte.60

Prof. Dr. Michael Kißener, Mainz

59 Thalmann, Die Pfalz, 303–313; Michael Kißener, Boehringer Ingelheim im Nationalsozialismus. Studien zur Geschichte eines mittelständischen chemisch-pharmazeutischen Unternehmens, Stuttgart 2015, Kapitel „Ausgangslage und Vorgeschichte“. 60 Vgl. Martin Schlemmer, „Los von Berlin“. Die Rheinstaatbestrebungen nach dem Ersten Weltkrieg, Köln [u. a.] 2007, 706–712.

ZWISCHEN DEN IMPERIEN Baltische Erfahrungen in Weltkrieg und Revolution Jan Kusber Abstract: Mit Krieg und Revolution nach 1914 kamen nicht nur die deutschbaltischen Eliten des untergehenden Zarenreiches in Loyalitätskonflikte, die erstarkenden Nationalbewegungen der Letten, Esten und auch Litauer mussten sich positionieren und zu den russischen Regimen und ihren Armeen verhalten – auch als der Krieg an der Westfront schon vorbei war. Der Aufsatz stellt Riga als Metropole des Baltikums ins Zentrum, weil die Stadt vor dem Ersten Weltkrieg als Musterbeispiel für die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen des Imperiums gelten kann. Verflechtung und Abgrenzung der Bevölkerungsgruppen, so die These für Riga, waren über die Zeitläufte des Epochenbruches hinweg, waren zwei Seiten einer Medaille und bedingten einander. Die wechselnden Besatzungsregime und insbesondere die kurze Herrschaft der Bolschewiki brachten die vor Kriegsausbruch nebeneinanderlebenden Gruppen in der Stadt in gewaltsame Konflikte.

1. Das Baltikum als Erfahrungsraum des Krieges Weltkrieg und Revolution bedeuteten auch und insbesondere für das östliche Europa im gesamteuropäischen und globalen Kontext den aus Anlass des hundertjährigen Jahrestages des Ausbruches des Weltenbrandes viel beschriebenen radikalen Bruch. Für die Bevölkerungen – ob Individuen oder Gruppen – war es ein Urerlebnis, das über die Erfahrungsgeneration hinauswirkte. Die Herrscherdynastien der Romanovs, der Habsburger und der Hohenzollern verloren ihren Thron, Imperien zerfielen, Staaten veränderten ihre politische und geographische Gestalt, entstanden neu. Polen, seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert geteilt zwischen drei Kaiserreichen, kehrte auch deshalb wieder auf die Landkarte zurück, weil die drei alten Teilungsmächte – Gegner im Kriege – zusammenbrachen. Lettland, Litauen, Estland entstanden überhaupt erst aus der Konkursmasse der Imperien. Während sich in Russland die Bolschewiki um Lenin mit und nach der Oktoberrevolution durchsetzten und begannen, in Bürgerkrieg und Kriegskommunismus das sowjetische Experiment zu verwirklichen, scheiterte in Deutschland eine Revolution. In diese Umbrüche gerieten Millionen Menschen als Opfer des Weltkrieges und der Bürgerkriege, als Soldaten und hungerleidende Zivilbevölkerung, als Flüchtlinge, Deportierte und Migranten. Die Erfahrung des Krieges erschütterte soziale Positionen in den Gesellschaften und bedeuteten Veränderungen und Orientierungsprobleme in

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sich wandelnden Lebenswelten. Dies zeigte sich vor allem auch in den Regionen des östlichen Europa, weil dort der Krieg einige Jahre länger dauerte.1 Während sich die historische Forschung lange auf die Ereignisse im Westen konzentrierte, hat sie die Entwicklung im Osten und Südosten, wo die neuen Staaten entstanden, lange vernachlässigt.2 Nicht erst in den aktuellen Forschungen ist konstatiert worden, dass die Ereignisse im Westen durch die Erstarrung der Front und einen massiven Einsatz von moderner, vernichtender Kriegstechnik gekennzeichnet, während im östlichen Europa die Fronten hochmobil, aber auch instabil waren. Dort wechselten Besatzung und Besatzungsregime, Bevölkerungsgruppen wurden zur Migration gezwungen, Kriegsgefangene erfuhren die Ferne von der Heimat in ihrem Schicksal. Für Russland sprach Peter Gatrell vor nun schon fünfzehn Jahren von „a whole Empire walking“.3 Dies unterscheidet den Kontext im Westen und im Osten und bedingt Unterschiede in der regionalen Perspektivierung. Diese Entwicklungen im Blick behaltend möchte ich im Folgenden die Situation im Baltikum diskutieren. Die baltischen Provinzen des Zarenreiches (Livland, Estland und Kurland) sind deshalb so interessante Beispiele, weil sie in regionaler Perspektive sehr gut geeignet sind, Prozesse der Ethnisierung und Nationalisierung in kriegerischen Konflikten zu zeigen. Riga, als Metropole der nordwestlichen Peripherie des Zarenreiches neben Petrograd von besonderer Bedeutung, soll hierbei besondere Aufmerksamkeit gelten.4 Die baltischen Gouvernements zeichneten sich innerhalb des Russischen Vielvölkerreiches durch die Besonderheit aus, dass sich die deutschbaltische Oberschicht auf dem Land und in den Städten den Emanzipations- und Nationalisierungsprozessen der Letten und Esten gegenübersah, aber ihre Privilegien zugleich durch die Regierung Russlands und den von ihr offensiv verfolgten Nationalismus herausgefordert und hinterfragt wurden.5 Mit Krieg und Revolution nach 1914 kamen nicht nur die deutschbaltischen Eliten in Loyalitätskonflikte, die erstarkenden Nationalbewegungen der Letten, Esten und auch Litauer mussten sich positionieren und zu den russischen Regimen und ihren Armeen verhalten – auch als der Krieg an der Westfront schon vorbei

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Jan Kusber, Wegscheide Krieg. Defekte Imperien, defekte Nationalstaaten, in: Osteuropa 64/2014, 233–246. Dies änderte sich u. a. mit Gerhard P. Groß (Hg.), Die vergessene Front – der Osten 1914/15. Ereignis, Wirkung, Nachwirkung, Paderborn 2006. Klassisch: Norman Stone, The Eastern Front 1914–1917, London [u. a.] 1975. Zur langen Vernachlässigung in Russland siehe Nikolaus Katzer, Russlands Erster Weltkrieg. Erfahrungen, Erinnerungen, Deutungen, in: NordostArchiv, 17/2008, 267–292. Peter Gatrell, A Whole Empire Walking. Refugees in Russia during World War I, Bloomington 1999. Włodomierz Borodziej / Maciej Gorny, In der Feuerlinie sind alle gleichberechtigt. Zur Loyalität der Nationen, in: Osteuropa 64/2014, 2–4, 91–108, hier 98. In der Stringenz der Russifizierungsbemühungen sicher überinterpretierend, aber noch immer wertvoll: Edwad C. Thaden (Hg.), Russification in the Baltic Provinces and Finland, 1855– 1914, Princeton, NJ 1981.

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war. Riga kann dabei als Musterbeispiel für die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen gelten. Verflechtung und Abgrenzung der Bevölkerungen, so meine These für Riga, waren über die Zeitläufte des Epochenbruches hinweg zwei Seiten einer Medaille und bedingten einander.6 2. Riga im Krieg Riga, die pulsierende Metropole des Baltikums an der Düna, war wirtschaftlich neben St. Peterburg – Petrograd, wie es nach 1914 hieß – von überragender Bedeutung. Über den Hafen der Stadt erschloss sich das Hinterland Nordwestrusslands. Die spät einsetzende, aber sich dann rasant vollziehende Industrialisierung hatte die Stadt nach Moskau, St. Petersburg und Odessa zur drittgrößten des Imperiums werden lassen. Dessen Besonderheiten ließen sich in der Stadt „in a nutshell“ lesen. War sie um 1850 noch eindeutig deutsch geprägt, so hatten durch Zuwanderung und demographische Entwicklung die Letten ihren Anteil an den 1913 über 500.00 Einwohnern steigern können.7 Große Gruppen von Russen und Juden, aber auch eine erhebliche Zahl von Polen, Litauern und Esten lebten in der Stadt nicht nur, aber auch zum Teil segmentiert – in der Moskauer Vorstadt, der Petersburger Vorstadt, in den noblen Vierteln um den Wöhrmannspark und in der Altstadt. Die Stadtpolitik war auch um 1913 noch deutsch dominiert, während in der Zivilverwaltung der Gouvernements der so genannten Ostseeprovinzen darauf geachtet wurde, dass die führenden Persönlichkeiten russisch und geeignet waren, den Machtanspruch der Zentrale zu repräsentieren und durchzusetzen.8 In der Stadt organisierten sich die jeweiligen Gruppen, teils ethnisch verschränkt, beispielsweise entlang der Arbeiterschaft, teils aber auch inspiriert durch die jeweiligen Ideen der Nationalbewegung zivilgesellschaftlich und mit der Revolution von 1905 an zunehmend auch politisch.9 Vor allem der Lettenverein als organisatorischer Nukleus lettischer Nationsbildung wäre hier zu nennen. Letten holten im Bereich der Bildung auf, absol-

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Erste Überlegungen zu Riga im Ersten Weltkrieg von mir in: Jan Kusber, The Experience of War and Occupation: The Baltic Metropolis Riga during the First World War, in: Latvijas Kara muzeja gadagrāmata XV, Riga 2014, 154–162, lettische Zusammenfassung 163 f. Und zum Folgenden: Erwin Oberländer, Rigas Aufstieg zur multinationalen Wirtschaftsmetropole, in: Ders. / Kristine Wohlfart (Hgg.), Riga. Portrait einer Vielvölkerstadt am Randes des Zarenreiches, 1857–1914, Paderborn [u. a.] 2004, 11–30; Ulrike von Hirschhausen, Die Wahrnehmung des Wandels: Migration, soziale Mobilität und Mentalitäten in Riga 1867–1914, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 48/1999, S. 475–523. Karsten Brüggemann, The Baltic Provinces and Russian Perceptions in Late Imperial Russia, in: Ders. / Bradley D. Woodworth (Hgg.), Russland an der Ostsee. Imperiale Strategien der Macht und kulturelle Wahrnehmungsmuster (16. bis 20. Jahrhundert), Köln [u. a.] 2012, 111– 141. Detlef Henning, Die Revolution von 1905 in den „Deutschen Ostseeprovinzen Russlands“, ihre Ursachen und Bedeutung, in: Jan Kusber / Andreas Frings (Hgg.), Das Zarenreich, das Jahr 1905 und seine Wirkungen. Bestandsaufnahmen, Münster 2007, 247–258.

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vierten das Rigaer Polytechnikum (die heutige Universität) und stiegen in die Wirtschafts- und Funktionselite auf. Die Gleichsetzung von Letten und Bauern, die die Deutschbalten als Stereotyp fortschreiben wollten, stimmte immer weniger.10 Nur noch ein Drittel der Einwohner Rigas war 1913 auch in der Stadt geboren worden, ein zweites Drittel war aus den Gouvernements Livland, Estland und Kurland in die Stadt gezogen, ein drittes aus den anderen Provinzen des Zarenreiches. Auch Tausende von Reichsdeutschen hielten sich in der Stadt nicht nur der Geschäfte wegen auf.11 In einer solchen Gemengelage erlebten die Rigenser den Sommer 1914. „Hochsaison am Rigaer Strand, Das heiße Wetter des Sommers 1914 hält immer noch an und lässt das Badeleben in erhöhtem Reiz erscheinen. Alle Fremdenpensionen sind überfüllt von Sommergästen aus Russland und dem Auslande. Die Polizei visiert im Durchschnitt täglich 500 neue Pässe. In breiter Fröhlichkeit rauscht das Leben. Die Kurhäuser, die Konzert und Theatergärten, die Spielhölle in Edinburg machte glänzende Geschäfte, von denen die Polizei ihren Anteil erhält. Die Sportwettkämpfe der der II. russischen Olympiade in Riga, die sich zum Teil auch am Strande abspielen, locken große Zuschauermengen an. Wieder andere genießen die behagliche Ruhe der weiter ab vom Majorenhof gelegenen Standorte.“ 12

Alfred von Hedenström schildert am Beginn seiner Rigaer Kriegschronik ein Idyll. Riga in der Sommerfrische sei vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges plötzlich getroffen, zumindest hätten die lokalen Eliten, aber auch die wohlhabenden Gästen die sich verschärfenden weltpolitischen Konstellationen anders schlafwandlerisch erlebt, als es Christopher Clarke für die politischen Hauptakteure beschrieben hat.13 Georg von Rauch schrieb über diesen Sommer auf einem estnischen Gutshof, „(…) erst das Telegramm, das die Einberufung des Vaters meldete zeriss jäh das Idyll.“14 Strandleben, allrussische Sommerspiele – Mark Hatlie hat darauf hingewiesen, dass dieses Bild trog:15 Der Sommer 1914 war auch einer der Konflikte, die in Riga die Folgen der Modernisierung offenlegten. In der großen Waggonfabrik Provodnik waren 40.000 Arbeiter in den Streik getreten und gingen auf die Straße, unterstützt und organsiert von radikalen Parteien unterschiedlicher Provenienz. Im August 1914 begannen regionalspezifische Erfahrungen der Bevölkerung Rigas, die der regionalen Exponiertheit der Stadt geschuldet waren. Noch im Juli 1910 hatte man im Beisein des Zaren Nikolaus II. an zentralem Ort eine Statue Peters des Großen feierlich eingeweiht – ein symbolpolitischer Akt, der sich unterschiedlich lesen ließ: Peter als derjenige, der 1710 für den Anschluss der Stadt an

10 Kristine Wohlfart, Der Rigaer Letten-Verein und die lettische Nationalbewegung von 1868 bis 1905, Marburg 2006. 11 Andreas Fülberth, Riga. Kleine Geschichte der Stadt, Wien Köln Weimar 2014, 166. 12 Alfred von Hedenström, Rigaer Kriegschronik 1914–1917, Riga 1922, 1. 13 Christopher Clarke, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 2013. 14 Georg von Rauch, Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und die baltischen Provinzen (1914– 1964), in: Jahrbuch des baltischen Deutschtums 11/1964, 46–51, hier 47. 15 Mark R. Hatlie, Die Welt steht Kopf: Die Kriegserfahrungen der Deutschen in Riga 1914– 1919, in: Jahrbuch des baltischen Deutschtums 49/2002,175–202, hier 175.

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das Russische Reich gesorgt hatte, der als Verkörperung einer Westorientierung Russlands stand, dessen Statue aber gleichzeitig geeignet war, den russischen Anspruch auf die Stadt und Ostseeküste zu unterstreichen. Die deutschsprachige Presse hatte sich seinerzeit in enthusiastischen Schilderungen des Kaiserbesuchs überschlagen16 und auch als im August 1914 Zar Nikolaus erneut Riga besuchte, kam es durchaus zu patriotischen Manifestationen aller ethnischen Gruppierungen der Stadt. Dabei bedeutete für die Deutschbalten, nicht nur in Riga, der Krieg eine besondere Herausforderung. Paul Schiemann, zwischen 1907 und 1914 Redakteur der Rigaschen Rundschau, beschrieb die mit dem Krieg verbundenen Loyalitätsprobleme eindrücklich anhand der eigenen Familie: Zwei seiner Brüder waren deutsche Reserveoffiziere, während er seinen Dienst auf russischer Seite aufnahm. Wie viele andere auch war er der Auffassung, Loyalität und Staatstreue, derer sich die Deutschbalten immer gerühmt hätten, müssten sich auch in Zeiten des Konflikts erweisen.17 In Jur’ev, dem russifizierten Dorpat, gerieten die deutschbaltischen Professoren nun in einen Konflikt zwischen einem deutschen Nationalbewusstsein und Loyalität gegenüber dem Zaren als Landesherren. Während in russischsprachigen Verlautbarungen freilich von der Verteidigung auch der slavischen Sache die Rede war, beschränkte sich der Conseil der Universität auf die Versicherung der „grenzenlosen Ergebenheit und selbstlosen Bereitschaft, dem Thron und dem Vaterland mit allen Kräften zu dienen gegen den anmaßenden Feind“.18 Überall im Zarenreich, aber insbesondere in seiner westlichen Peripherie erschwerte der massive russische Nationalismus und der Generalverdacht der Illoyalität nichtrussischer, insbesondere der deutschen und jüdischen, aber auch der polnischen Untertanen die Beibehaltung von „Eid und Gehorsam“.19 So wurden in Riga demonstrativ bereits kurz nach Kriegsausbruch deutsche Schriftzüge aus dem Stadtbild entfernt, etwa die Inschrift „der Stadt Riga den darstellenden Künsten“ am deutschen Theater. Schon bald wurde die Benutzung der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit verboten. Aufgrund der Anfeindungen begann die deutschbaltische Bevölkerung in der Stadt Schutzeinheiten aufzustellen, analog zur Revolution von 1905. Dies schien den Deutschen in der Stadt notwendig zu sein, weil nicht nur die russische Bevölkerung, sondern auch die lettische sich gegen die Deutschen wandte. Rufe wie „Nieder mit den Deutschen“ bei Demonstrationen in den ersten

16 Mark R. Hatlie, Flags and Bayonets. Mass celebrations in Riga 1910–1920, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 51/2002, 475–499, hier 477–486. 17 Michael Garleff, Die Deutschbalten als nationale Minderheit in den unabhängigen Staaten Estland und Lettland, in: Gert von Pistohlkors (Hg.), Baltische Länder, Berlin 2002, 451–550, hier 454f. Zu Schiemann umfassend: John Hiden, Defender of Minorities. Paul Schiemann, 1876– 1944, London / Hurst 2004. „Oft ging der Riß quer durch die Familien“ (Rauch, Der Ausbruch, 50). 18 Trude Maurer, Fern der Front und fern vom „Volk”: Die „Verteidigung der Heimat” durch Studenten und Professoren des Russischen Reiches, in: Stefan Karner, Philipp Lesiak (Hgg.), Erster Weltkrieg. Globaler Konflikt – lokale Folgen. Neue Perspektiven, Innsbruck 2014, 247– 270, hier 251. 19 Rauch, Der Ausbruch, 46.

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Kriegswochen wurden jedenfalls von deutschbaltischen Bewohnern Rigas so interpretiert.20 Der lettische Dumaabgeordnete Jānis Goldmanis brachte die Haltung, in der jede Vorstellung von einer Eigenstaatlichkeit von Esten, Letten und Litauern noch fehlte, auf den Punkt: „Unter Letten und Esten gibt es niemanden, der sich nicht bewusst wäre, dass alles, was sie erreicht haben, sie nur dank des russischen Adlers erreicht haben, und das alles was es noch zu erreichen gilt, nur dann Möglichkeit wird, wenn das Baltikum auch in Zukunft ein Teil des großen Russland bleibt. (…) Nicht nur unsere Söhne, Brüder und Väter werden in Reih und Glied heldenhaft kämpfen, auch bei jedem von uns (…) wird der Gegner seinen schärfsten Feind antreffen, der zwar seinen Kopf riskieren mag, aber selbst im Sterben nur eines von sich geben wird: Es lebe Russland!“21

Die lettischsprachige Presse in Riga forderte die Letten in Artikelüberschriften auf, von einem Hirtenvolk zu einem Soldatenvolk zu werden und versprach Unterstützung den „mutigen Kosaken, die im Kampf gegen Deutsche die europäische Zivilisation retten“.22 Ein Klima der Denunziation griff um sich. Natürlich versuchten die russischen Behörden, das Hinterland der Front zu kontrollieren und verboten in diesem Zusammenhang nicht nur die Benutzung des Deutschen, sondern auch des Lettischen in bestimmten Kontexten, etwa beim Telefonieren im Februar 1915.23 Aber das Ausmaß an Denunziation von angeblich mit Deutschen kollaborierenden Kriegsfeinden nahm derart überhand, dass der Generalgouverneur Pavel KomarovKurlov am 18. März 1915 in Riga einen Maueranschlag veröffentlichen ließ, dass die anonymen Anzeigen wegen staatsfeindlicher Umtriebe überhandnähmen: „In der Mehrzahl der Fälle stellte die Untersuchung fest, dass die Denunziationen nicht durch patriotische Gesinnung, sondern durch persönliche Motive der Rachsucht hervorgerufen sind.“24

Kurlov ordnete an, es sollte künftighin keine Untersuchung von anonymen Anzeigen mehr geben. Damit war er unter den führenden russischen Entscheidungsträgern eine Ausnahme. Nur kurz nach der russischen Niederlage bei Tannenberg begannen die ersten Anweisungen zur Deportation von Deutschen und Juden, die mit der Wende des Jahres 1914/15 allgemeiner und umfassender wurden. Der Oberkommandierende Großfürst Nikolaj Nikolaevič ordnete höchstselbst die Aussiedlung der Deutschbalten und Juden aus Kurland an,25 was sich letztlich als undurchführbar erwies. Auch protestantische Litauer wurden mitausgesiedelt und teils als

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Hatlie, Die Welt steht Kopf, 180. Daina Bleiere [u. a.], Geschichte Lettlands. 20 Jahrhundert, Riga 2004, 71. Ebd., 79. Hedenström, Rigaer Kriegschronik, 29. Ebd., 34. Jan Kusber, Zwischen Duldung und Ausgrenzung. Die Politik gegenüber den Juden im ausgehenden Zarenreich, in: Annelore Engel-Braunschmidt, Eckard Hübner (Hg.), Jüdische Welten in Osteuropa. Frankfurt/Main [u. a.] 2005, 45–64, hier 46.

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Spione verhaftet.26 Dreiviertel der Bevölkerung Kurlands wurde aus ihrer Heimat verdrängt. Kurlov schildert in seinen Memoiren wenige Jahre später „das Bild dieser neuen Völkerwanderung“ im Frühjahr 1915: „Die Chausseen von der preußischen Grenze bis Schulen und Riga, späterhin aber auch weiter waren dicht besetzt von sich stauenden Flüchtlingen, die sich mit ihren Familien und Habseligkeiten fortzubewegen suchten. Die Errichtung von dringend notwendigen Verpflegungspunkten rief gewaltige Ausgaben und große Mühen hervor. Eine so starke Anhäufung der Volksmassen auf den Wegen hinderte auch den Vorbeimarsch von Truppenteilen (…).“ 27

Er sah das Problem, dass die übrigen Teile Russlands gar nicht in Lage gewesen seien, die Deportierten aufzunehmen, Juden konnten kaum außerhalb des sogenannten Aussiedlungsrayons siedeln.28 So versuchte er sich den Befehlen zu widersetzen. Sein Pragmatismus wurde ihm als Deutschfreundlichkeit ausgelegt und er wurde, auch auf Betreiben des lettischen Dumaabgeordneten und späteren Ministers Jānis Goldmanis, im Sommer 1915 abgelöst.29 Für Riga bedeutete das zunächst, dass all diese Menschen, bei denen zwischen Deportation, Flucht und Evakuierung nicht mehr zu unterschieden war, in die Stadt strömten und das Gemeinwesen überforderten. Getreidemangel stellte sich ein, Inflation grassierte. Von der Stadtverwaltung bestellte Lebensmittel erreichten Riga nicht, weil sie für Armeebedarfe beschlagnahmt wurden. Mitte 1915 rückte die Frontlinie in die unmittelbare Nähe Rigas vor, in der Stadt selbst veränderte sich damit die Situation zum ersten Kriegsjahr entscheidend. Zwei Jahre lang entsprach die Hauptkampflinie in etwa der Grenze zwischen Livland und Kurland und folgte in weiten Teilen dem Lauf der Düna. Riga lag somit in Hörweite der Front. Der Vormarsch der deutschen Armee ging einher mit groß angelegten Evakuierungen. Libaus gesamte Industrie war in die Hände des Feindes gefallen und damit Ähnliches nicht in Riga geschehe, setzten dort Evakuierungen ein. Die Waggonfabrik „Phoenix“ beispielsweise wurde in das 1.000 Kilometer entfernte Rybinsk verlagert – Maschinen und Menschen wurden umgehend in Bewegung gesetzt. Nach Großunternehmen folgten Textil- und Lebensmittelfabriken, bis ab Mitte 1916 nur noch kleinere Firmen in Riga produzierten. Der Zusammenbruch der Infrastruktur im russländischen Imperium gepaart mit der Unfähigkeit des Staates, selbst die Logistik für die Versorgung der Front zu gewährleisten, führte zu einem weitgehenden Zusammenbruch des Wirtschaftslebens in der Stadt. Die Gesamtzahl der evakuierten Wirtschaftsunternehmen wurde auf über 370 geschätzt. 26 Michael Schwartz, Ethnische „Säuberungen“ in der Moderne. Globale Wechselwirkungen nationalistischer und rassistischer Gewaltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert, München 2013, 137f. 27 Pjotr G. Komarow-Kurloff, Das Ende des Russischen Kaisertums, Berlin 1920, 268f. und 316– 318. 28 In der Tat wurde das Siedeln von Juden außerhalb des Rayons aus eben diesem Grund später erlaubt. Schwartz, Ethnische „Säuberungen“, 147. 29 Gemeinsam mit dem auch als deutschfreundlichen Eingeschätzten Gouverneur von Kurland, Nabokov. Schwartz, Ethnische „Säuberungen“, 139.

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Dies wurde als unmittelbarer Akt der Politik gegen eine deutsche Wirtschaftsdominanz interpretiert, traf aber mittelbar alle Bewohner Rigas.30 Evakuiert wurden aber nicht nur Wirtschaftsunternehmen. Die russisch-orthodoxe Kirchenverwaltung wurde nach Nižnij-Novgorod verbracht. Gerätschaften und Personal des vor dem Krieg erst neu gebauten Rigaer Telegrafenamtes wurde Saratov als Zielort zugewiesen, städtische Behörden nach Jur’ev/Dorpat ausgelagert. 1915 musste das Rigaer Polytechnische Institut, Spitzeninstitution der Bildung in der Stadt, nach Moskau umziehen. Im Zuge der Evakuierungen wurde den Deutschbalten schließlich auch vorgeworfen, sie würden die kriegsnotwendigen Maßnahmen verschleppen. So wurde das Rigaer Stadthaupt Wilhelm Robert von Bulmerincq, der dem Zaren Nikolaus II. bei seinem Besuch der Stadt nach Kriegsausbruch die unbedingte Loyalität versichert hatte, 1915 ins sibirische Irkutsk verbannt. Seinem kommissarischen Nachfolger, dem späteren lettischen Finanzminister Robert Erhardt, fiel es schwer, die öffentliche Ordnung in einer Situation aufrecht zu erhalten, in der die Stadt faktisch belagert wurde, auch wenn die Bevölkerungszahl rapide abnahm. Kirchliche Organisationen engagierten sich einerseits in der Stadt und arbeiteten auch überkonfessionell zusammen, andererseits versuchte die orthodoxe Kirche lettische Bürger über die Pflege von Kranken und Verwundeten zur Konversion zu bewegen und damit an Traditionen des 19. Jahrhunderts anzuknüpfen.31 Innerhalb der lettischsprachigen Presse wurde dieses Phänomen unterschiedlich beurteilt und dabei zugleich die Frage nach der Ethnogenese der Letten gestellt. Während auf der einen Seite das Slaventum der Letten verkündet wurde, wurde andererseits darauf verwiesen, dass zwischen den sogenannten Letto-Litauern und den Slaven, man pochte hier auf die historische Landschaft Lettgallen, keinerlei Zusammenhang bestünde. So wurde in der Konsequenz auch kontrovers beurteilt, ob Letten an allslavischen Banketten in St. Petersburg teilnehmen sollten oder nicht.32 Das Kriegsjahr 1916 war durch das vollkommene Erliegen jeglichen gesellschaftlichen Lebens geprägt. Vereine, deutsche wie lettische und auch gemischte, waren geschlossen, ihre Häuser wurden für militärische Zwecke genutzt. Und doch organisierten Deutsche und Letten die Finanzierung von Lazaretten, bildeten sich Damen-Komitees, die für die Front strickten und Krankenschwestern ausbildeten. Insbesondere der im August 1915 gegründete Kongress lettischer Flüchtlinge in Petrograd mit seinem Zentralkomitee erwies sich als Organisationsplattform auch künftiger politischer Aktivität, waren in ihm doch führende Persönlichkeiten der Nationalbewegung versammelt. Dieses Komitee hielt bis in das Jahr 1918 hinein

30 Kārlis Počs, Riga in the Period of Formation of the Latvian State, in: Eduard Mühle / Norbert Angermann, Riga im Prozess der Modernisierung. Studien und Wandel einer Ostseemetropole im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Marburg 2004, 173–185, hier 178. 31 Fülberth, Kleine Geschichte, 169. 32 Hedenström, Rigaer Kriegschronik, 34f.

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die Verbindung zwischen Riga und Livland auf der einen Seite und den Evakuierten in Moskau und Petrograd und der russischen Provinz andererseits.33 Als mit der Februarrevolution Zar Nikolaus abdankte, erlosch für die in der Stadt verbliebenen Deutschbalten wie Letten – Riga hatte zu diesem Zeitpunkt eine Einwohnerzahl von etwa 200.000 – der Treueeid zum Zaren. Nikolaus II. als Landesherr, auf den man seine Loyalität bezog, war abgetreten und dies hatte eine erhebliche Unübersichtlichkeit zur Folge. Einerseits wurde das allseits als drückend empfundene Sprachenverbot aufgehoben, zumindest für Gespräche in der Öffentlichkeit, alsbald aber auch für den Briefverkehr.34 Zugleich aber hatte die Provisorische Regierung das Ziel, Russland an der Seite der Entente im Krieg gegen das Deutsche Reich zu halten, ohne sich dabei aber im Inneren des Reiches Autorität verschaffen zu können. Für Riga bedeutete bereits dies ein Nebeneinander von Organisationsangeboten künftiger Staatlichkeit und Stadtregierungen und damit ein Verfall des Gewaltmonopols. Letten und Deutsche begannen ein Leben außerhalb Russlands spätestens zu diesem Zeitpunkt als reale Option zu denken. Zunächst aber nahm das deutsche Heer Anfang September 1917 Riga ein. 3. Deutsche Besatzung im Baltikum Aus der wechselnden Kriegslage ergaben sich, was die deutschen Besatzungen im Baltikum angeht, drei zeitliche Abschnitte mit qualitativen Veränderungen und unterschiedlicher Intensität. Während die deutsche Militärherrschaft über Kurland dreieinviertel Jahre dauerte, bestand sie für Riga nur eineinviertel Jahre, in Liv- und Estland nur neun Monate.35 So wurde zunächst Kurland (Kurzeme) aufgrund der Länge der Besatzung in die großdeutschen Expansionspläne einbezogen, die die Militärherrschaft in jenem eigentümlichen, semistaatlichen Gebilde Ober Ost prägten.36 In dem Land Ober Ost, welches der Militärverwaltung im Osten unterstand, wurde eine dreifache Strategie verfolgt: Zuerst sollten dem Gebiet eigene, „deutsche“ Regeln und eine ebensolche Ordnung aufgezwungen werden. Anschließend planten Erich Ludendorff und seine Berater, das Land ökonomisch voll auszunutzen, so lange der Krieg an-

33 Bleiere [u. a.], Geschichte Lettlands, 74f.; Ivar Baumert / Gunar Kurlovič / Andris Tomašin, Osnovnye voprosy istorii Latvii, Riga 2002, 53f. 34 Hatlie, Die Welt steht Kopf, 187–189. 35 Garleff, Die Deutschbalten, 457. 36 Und zum Folgenden: Vejas Gabriel Liulevicius, Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonisierung und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg, Hamburg 2002; Abba Strazhas, Deutsche Ostpolitik im Ersten Weltkrieg: Der Fall Ober Ost. 1915–1917, Wiesbaden 1993, sowie pointiert: Herfried Münkler, Der Große Krieg. Die Welt 1914–1918, Berlin 2013, 661–674.

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dauerte. Die dritte und letzte Stufe sollte die anschließende Inbesitznahme des Landes sein. Dieses Konzept sollte nota bene nach der Oktoberrevolution auch auf Teile der Ukraine ausgedehnt werden.37 Die Verwaltung der Besatzungsmacht beherrschte umfassend Handel und Gewerbe, größere Landgüter und die Finanzen. Sie wurde daher schnell zu einem gewichtigen wirtschaftlichen Faktor mit beträchtlichem industriellem Kapital und entsprechender Selbständigkeit. Eines ihrer Hauptziele war die intensive wirtschaftliche Ausbeutung des Landes, aber auch der menschlichen Ressourcen. Gewaltsame Requisitionen von Ernteerträgen und Vieh, aber auch die Zwangsrekrutierung von Arbeitern für die Zwangsarbeit in der deutschen Industrie, in Bergwerken und in der Landwirtschaft waren üblich. Eine in Kowno (Kaunas) eingerichtete Zentralverwaltung sorgte dafür, dass im Militärstaat Ober Ost die Interessen des Heeres denen der Politik vorangingen.38 Mit einer sogenannten Verkehrspolitik versuchte die Militärverwaltung die Kontrolle über sämtliche Waren- und Personenströme zu erreichen und diese zu erfassen. Am Ende waren die Ambitionen der Verkehrspolitik so illusionär, dass ein Scheitern vorprogrammiert war. Dies lag auch daran, dass die Verwaltung gegensätzliche Ziele verfolgte. Es standen sich totale militärische Sicherheit (beziehungsweise Kontrolle) und der Versuch der wirtschaftlichen Belebung gegenüber. Letztendlich wurde keines der beiden Ziele erreicht. Trotz knapper Ressourcen während des Krieges verfolgte die Administration des Landes Ober Ost eine umfassende Kulturarbeit. Diese zielte auf eine Disziplinierung und Manipulation der Bevölkerungsgruppen ab. Deutsche Soldaten und Offiziere im Land spielten die Rolle der Organisatoren. Die Einheimischen sollten lediglich Ausführenden sogenannter deutscher Arbeit sein.39 Die Publikation von Zeitungen unter strenger Zensur, Schulpolitik, Theater und Ausstellungen zur Archäologie, Geschichte und Religion bildeten hierbei die Schwerpunkte der deutschen Anstrengungen. Deutsche Ansiedlungen und Kolonisationen sollten mit der Aussiedlung der Letten und Lettgallen und gleichzeitiger Rekrutierung für den Kriegseinsatz einhergehen.40 Dies hätte bei konsequenter Umsetzung eine systematische Fortsetzung der russischen Deportationspolitik unter anderen Vorzeichen bedeutet. Ethnic-cleansing wurde hier bereits für das östliche Europa vorgedacht.

37 Frank Golczewski, Deutsche und Ukrainer 1914–1939, Paderborn [u. a.] 2010, 136–144, 244– 270, 298–305. 38 Christian Westerhof, Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg. Deutsche Arbeitskräftepolitik im besetzten Polen und Litauen 1914–1918, Paderborn [u. a.] 2012, 67–84. 39 Programmatisch die Publikation: Das Land Ober Ost. Deutsche Arbeit in den Verwaltungsgebieten Kurland, Litauen und Bialystok-Grodno. Hrsg. im Auftrage des Oberbefehlshabers Ost, Stuttgart Berlin 1917. 40 Und dies bis weit in das Jahr 1918 hinein: Westerhof, Zwangsarbeit, 211–220, 262–270.

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4. Welche Staatlichkeit im Baltikum? In Riga, das nie zu Ober Ost gehörte, war der Besuch Kaiser Wilhelms II. wenige Tage nach Einnahme durch die deutschen Truppen im September 1917 ein zentrales Ereignis für die Deutschbalten, die die Wiedererlangung ihrer führenden Position in greifbare Nähe gerückt sahen. Orte des gesellschaftlichen Lebens der Deutschen, aber auch der Letten öffneten wieder, während die russisch-orthodoxe Kathedrale demonstrativ zur lutherischen Garnisonskirche umgewandelt wurde. Deutsche Truppen paradierten am leeren Sockel des Denkmals für Peter I. vorbei, der freilich schon zuvor vom Sockel geholt worden war: Pferd und Reiter waren zum Kanonenbau für die russische Armee eingeschmolzen worden. Aber auf dem Weg nach St. Petersburg wurde das Schiff mit dem Denkmal von einem deutschen U-Boot torpediert – Peter der Große versank in der Ostsee.41 Die deutsche Besatzung Rigas begann mit der Unterstellung der Stadt unter das Kriegsrecht. Rückkehrwillige Rigaer Bewohner waren zunächst nicht erwünscht, sondern wurden nach Möglichkeit nach Kurland weitergleitet. Reichsdeutsche Zeitungen waren in Riga zugelassen, während die lokale deutsche und lettische Presse verboten wurde.42 Die Deutschen wurden also als Besatzer erfahren. Deutschbaltische und lettische sowie estnische Konservative versuchten ab dem Frühjahr des Jahres 1918 mit ihrem Projekt eines „Vereinigten baltischen Herzogtums“ den Plänen zur vollständigen Inkorporation ins Kaiserreich zu begegnen, was von sozialistischer Seite als „romantischer Firlefanz“ verspottet wurde.43 Die Bevölkerung Rigas litt unterdessen 1917/18 unter einem strengen Winter ohne Heizmaterial und verfolgte als Beobachter, wie sich die Geschicke von Stadt und Land in Brest-Litwosk zu entscheiden schienen, während in dem Gebiet um Cesis und Valmiera mit 41 Später hoben estnische Fischer das Monument und der junge lettische Staat zahlte 1934 viel Geld für den Rückkauf. Trotzdem verschwand das Denkmal in den Arsenalen und wurde niemals aufgestellt. Vgl. http://www.deutschlandfunk.de/heikle-denkmalpflege-im-baltikum.724 .de.html?dram:article_id=99293, aufgerufen am 08.06.14. 42 Fülberth, Kleine Geschichte, 169–172. 43 Bernhard Mann, Die Baltischen Länder in der deutschen Kriegszielpublizistik 1914–1918, Tübingen 1965, 128f. Siehe auch Hans-Erich Volkmann, Die deutsche Baltikumpolitik zwischen Brest-Litovsk und Compiègne. Ein Beitrag zur „Kriegszieldiskussion“, Köln / Wien 1970. Pläne zur Gründung eines selbständigen baltischen Herzogtums unter Adolf Friedrich zu Mecklenburg waren von der Ritterschaft entwickelt worden. Sie schienen realistischer zu sein als Überlegungen, die ehemaligen zarischen Gouvernements Estland, Livland und Kurland in einen gesamtbaltischen Staat in Personalunion an Preußen zu binden. Im September 1918 erkannte Wilhelm II. die Selbstständigkeit der baltischen Länder (unter deutscher Kontrolle) an, und am 5. November 1918 wurde das Herzogtum in Riga ausgerufen. Adolf Friedrich zu Mecklenburg sollte die Krone des neuen „Vereinigten Baltischen Herzogtums“ tragen. Diese Versuche waren in dieser Zeit des wachsenden Nationalbewusstseins der Letten, Litauer und Esten ebenso zum Scheitern verurteilt, wie in Litauen ein von Deutschland abhängiges Königtum unter Wilhelm von Urach zu errichten. Vgl. Joachim Tauber, „Die Last der Geschichte“. Zu den Vorstellungen der Taryba über den zukünftigen litauischen Staat 1917−1918, in: Norbert Angermann [u. a.] (Hg.), Ostseeprovinzen, Baltische Staaten und das Nationale, Münster 2005, 389–402.

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der Republik von Iskolat erstmals eine lettische Eigenstaatlichkeit kommunistischen Typs im Entstehen war.44 Für Riga war das Ende des deutschen Kaiserreiches wegweisend. Mit der Abdankung Wilhelms II. wurde auch der Vertrag von Brest-Litowsk für null und nichtig erklärt und der Lettische Volksrat proklamierte die (bürgerliche) Republik Lettland mit Kārlis Ulmanis als Ministerpräsidenten, der sich aber nur wenige Wochen halten konnte. Nach entbehrungsreichen Zeitläuften des Weltkrieges begann in der Nacht vom 2. auf den 3. Januar 1919 das viereinhalbmonatige Regime des Bolschewisten Pēteris Stučka, der die Revolution sowjetischen Typs in Lettland und die Vereinigung mit dem Staate Lenins durchführen sollte.45 Diese Zeit wird in deutschbaltischer Erinnerungsliteratur, wie Mark Hatlie herausgearbeitet hat, als Trauma erlebt.46 Viele Deutschbalten versuchten erst jetzt zu fliehen und gelangten über Kurland nach Deutschland, um nie wieder heimzukehren. Enteignungen waren an der Tagesordnung, lettische und russische Kommunisten verfolgten sogenannte Volks- und Klassenfeinde, nächtliche Haussuchungen, Beschlagnahmungen erfolgten und dies mit einer Brutalität, die weder russische oder deutsche Zwangsmaßnahmen von 1918 gekannt hatten. Lebensmittel wurden unter Klassengesichtspunkten rationiert und verteilt. 20.000 Menschen wurden interniert.47 Diese Bolschewiki repräsentierten Lebensentwürfe der Entgrenzungen, wie sie Jörg Baberowski beschrieben hat.48 Waffen wurden überall im Stadtbild offen getragen und auch benutzt. Als besondere Verletzung der Konvention und Bedrohung wurden von deutschbaltischen Damen und Herren, wie sie sich selbst sahen, die so genannten „Flintenweiber“ empfunden: Anhängerinnen der Bolschewiki, die bewaffnet die neue Ordnung aufrechterhielten. Dieses für die Revolution in Russland schon aufgearbeitete und gendergeschichtlich und kulturgeschichtlich interessante Phänomen bliebe für Riga noch in Detailstudien zu untersuchen. Als Stučka und seine Anhänger Ende Mai 1919 die Stadt nach Kämpfen mit der „Baltischen Landwehr“ und lettischen Schützenregimentern räumen mussten, hatte es an die 9.000 Hungertote in der Stadt gegeben.49 Damit war der Krieg in Riga keineswegs vorbei, eigentlich wurde die Stadt erst im Jahre 1919 zum unmittelbaren Ort des Krieges. Die lettischen Schützenregimenter, die im Verlauf des Krieges auf russischer Seite aufgestellt worden waren, um die lettische Loyalität

44 Hierbei handelt es sich um ein Akronym (Izpol‘nitel’nyj komitet Soveta rabočich, soldatskich i bezzemel’nych deputatov Latvii). Siehe Zigurds L. Zile, Legal Thought and the Formation of Law and Legal Institutions in the Socialist Soviet Republic of Latvia, 1917–1920, in: Journal of Baltic Studies 8/1977, 195–204. 45 Zu seiner Eigensicht und der der Bolschewiki aufschlussreich: Pēteris Stučka, Pjat‘ mesjacev socialističeskoj Sovetskoj Latvii. Sbornik statej i zametok. Čast 1 u. 2, Pskov 1919, 1921. Siehe auch Jānis Šiliņš, Padomju Latvija 1918–1919, Riga 2013, 256–263. 46 Hatlie, Die Welt steht Kopf, 191–200. 47 Počs, Riga, 183f. 48 Jörg Baberowski, Der Rote Terror. Die Geschichte des Stalinismus, München 2003, 34–42. 49 Ausführlich geschildert in: George Popoff, The city of the red plague. Soviet rule in a Baltic town. Translated by Robin John, New York 1932.

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innerhalb der Armee zu sichern,50 wurden nun zum Nukleus einer lettischen Nationalarmee. Sie begannen einen Kampf um die Unabhängigkeit Lettlands nicht mehr gegen die im Baltikum geschlagenen Bolschewiki, sondern gegen russische Weiße, Deutschbalten in der Baltischen Landwehr und reichsdeutsche Freikorps. In und um Riga hatten sich die Motive des Kampfes verändert: Es ging nicht mehr um Loyalität und Zugehörigkeit zu Imperien, bei einer jeweils größtmöglichen Autonomie, sondern um weltanschaulich motivierte Auseinandersetzungen und um – von Seiten der reichsdeutschen Freischärler insbesondere, um eine Hierarchisierung von Ethnien.51 Dies war die Phase, in der das multiethnische Riga deutscher Dominanz zu einem lettischen Riga wurde. Erst im Januar 1920 kam der Bürgerkrieg im Baltikum mit seiner europäischen Dimension an ein Ende. 1919 hatten deutsche Freikorpstruppen noch einmal eine unrühmliche Rolle in der Verlängerung der Gewalt gespielt. 52 Riga als Hauptstadt eines lettischen Staates kehrte erst danach zum zivilen Leben zurück und hatte mit einer Bevölkerung, die zunächst die Hälfte der Zahl von 1914 betrug, noch lange an den Folgen des „Großen Krieges“ zu tragen. In Stadt und Umland mit ihren unterschiedlichen Lebenswelten und Erfahrungen waren in Krieg und Revolution die „Grenzen der Gemeinsamkeit“ (U. von Hirschhausen) deutlich geworden. In unterschiedlichen Konstellationen ging die Sorge um die Existenz mit der schwierigen Frage der Loyalitäten einher. Nation, Ethnos, politische Ideologie brachen in die Lebenswelt des Einzelnen in einer nie gekannten Form ein. Dies ist sicher eine Besonderheit der regionalen Perspektive Rigas und des Baltikums als einen Raum, in dem die imperiale Gegenwart allmählich zur Vergangenheit wurde: Lettland, Estland und Litauen entstanden neu und trugen in sich ethnische Konfliktpotentiale, die sich die deutschen Besatzer zuvor zunutze gemacht hatten und die für eine Verlängerung des Krieges über das Jahr 1918 hinaus sorgten. So prägten Grenzkonflikte und Minderheitenprobleme Nordosteuropa bis weit in die Zwischenkriegszeit. Der Nationalstaatsgedanke erlebte im Ersten Weltkrieg und an dessen Ende einen ungeheuren Aufschwung, vor allem durch das von Woodrow Wilson wie auch von Wladimir I. Lenin geforderte Prinzip des Selbststimmungsrechtes der Völker, wodurch imperiale Formationen, aber auch supranationale Initiativen wie der Völkerbund nur wenige Chancen hatten, an Stärke zu gewinnen. Die neu geschaffenen Nationalstaaten sollten Grenzen erhalten, die möglichst alle Angehörigen der jeweiligen ethnisch verstandenen Staatsnation umfasst. Das Problem dabei war freilich das unbequeme Faktum der weithin ethnisch gemischten 50 Zu den lettischen Schützen: Gunters Ābols, Contribution of History to Latvian Identitiy, Riga 2003, 134–142; sowie Geoffrey Swain, The Disillusioning of the Revolution's Praetorian Guard: The Latvian Riflemen, Summer-Autumn 1918, in: Europe-Asia Studies 51/1999, 667– 686, hier 667–672. 51 Ulrike von Hirschhausen, Die Grenzen der Gemeinsamkeit. Deutsche, Letten, Russen und Juden in Riga 1860–1914, Göttingen 2006, 369. 52 Gerd Koenen, Der Russland-Komplex. Die Deutschen und der Osten 1900–1945, München 2005, 280f.

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Bevölkerung der jeweiligen Staaten, mit anderen Worten: Jetzt gab es wirklich im eigentlichen Sinne Staatsnationen, und es gab nationale Minderheiten. Die „staatstragenden“ Nationen (Titularnationen), also in Lettland die Letten, bildeten nicht nur die Mehrheit, sie bestimmten auch die Politik; die Angehörigen anderer Nationalitäten befanden sich hingegen in der Minderzahl, wurden also als „Minderheiten“ klassifiziert.53 Bei einigen von ihnen hatte sich – so etwa bei den Deutschbalten in Estland und Lettland – durch diese Veränderung der Urteilskriterien ein Wandel von der sozialen Führungsschicht zur kleinen Minderheit vollzogen. Staatsnationen und Minderheiten teilten aber nicht nur im Nordosten Europas die Erfahrung von Krieg und Revolution. Vor ihrem Hintergrund Gemeinwesen aufzubauen, die nach den Maßstäben der Zeit demokratisch verfasst waren, war schwierig. Strategien, die staatliche Unabhängigkeit nach dem Zerfall der Imperien zu bewahren, waren geopolitisch wie innenpolitisch eine Herausforderung. In gewisser Weise blieben die baltischen Staaten zwischen den Imperien. Die Verträge zwischen Hitler und Stalin samt ihrer geheimen Zusatzprotokolle vom August/September 1939, die deutsche Besatzungsherrschaft während des Zweiten Weltkrieges und schließlich die umstandslose Sowjetisierung 1944/45 sollten dies erweisen. Prof. Dr. Jan Kusber, Mainz

53 Benjamin Conrad, Loyalität gegenüber einem lettischen Staat? Deutschbaltische Politiker und die Gründung Lettlands 1918–1920, in: Svetlana Bogojavlenska / Jan Kusber (Hgg.), Tradition und Neuanfang. Forschungen zur Geschichte Lettlands an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert. Kleine Festschrift für Erwin Oberländer, Berlin 2014, 33–53.

SCOTLAND AND THE FIRST WORLD WAR Identity, nationhood and legacy Catriona M.M. Macdonald Abstract: Four years of total war had dramatic consequences for the history of Scotland and accentuated tensions, formerly subdued within the Union state, that still impinge on relations across the UK nations today. Strong local regimental traditions and disproportionate military losses accentuated Scottish difference from England; discrete Scottish offices administering the war effort at home compromised the centralising tendencies of the war machine; and war created a false confidence in staple industries that would suffer the tragedy of the Depression in acute terms, with commensurate social consequences. Politics were not left untouched: after 1918 the Labour party destroyed the Liberal hegemony in Scotland, while in 1934 the Scottish National Party was founded amid concerns that the Union partnership was no longer a guarantor of Scottish national vitality. A literary revival in the inter-war years seemed to confirm that there was a Scottish voice that needed to be heard, yet its internationalism spoke to concerns that crossed borders and national and regional distinctions.

Introduction War histories, like the captions of contemporary postcards, have not always been sensitive to the nuances of region and nation in the Union state. The UK was and is constituted by the different regional experiences that combine to element it, and some of these regional perspectives – the English, the Welsh and the Scottish in particular – are in themselves national. In turn, within Scotland, ideas of national identity have been subject to change, in response to both internal and external pressures, and have been compounded (and confounded) by discrete local identities determined by topography, economics and cultural differences. Telling the story of Scotland’s Great War, therefore, means placing temporal and spatial issues to the fore, and not taking the nation for granted.

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Region or nation? By 1914 Scotland’s commercial core was concentrated in the central belt of the country, with pockets of manufacture also in Aberdeen and in the Border towns.1 Yet it was a land of extreme contrasts. Population densities in Glasgow rivalled those of central London2, while in the Highlands, vast tracts of land sustained little more than memories, the population having been pushed out in earlier years by the Highland Clearances3 or pulled by the allure of the cities and the prospect of a better life overseas.4 The proportion of the population dependent on agriculture was, admittedly, higher than in England5 and fishing remained a major industry in the north6, however, on the eve of war, Glasgow was known as ‘the second city of the empire’. Ship building on Clydeside had encouraged strong vertical integration in heavy industrial production, resulting in tight networks of Scottish employers in related sectors and close relationships that would in turn become tragic chains of dependency in times of economic recession.7 Scotland’s reliance on an export-led economy – born in the heat of Victorian industrialisation and facilitated by the expanding frontier of imperial trade – persisted into the Edwardian years, meaning that Scotland’s coal, steel and engineering capacity was overwhelmingly dependent on the ability of engineering and ship-building firms to sell their wares abroad.8 After all, the Scottish population was relatively small – around 4.8 million in 1901 compared to 36 million in England and Wales. It was also a population that – in comparison to its southern neighbour – was hardly affluent. Scottish wages throughout the twentieth century were typically below those of England, and the cost of living higher. In a country still dominated by the family firm, and where the average business size was relatively small, these were hardly ideal conditions for growing a lucrative internal market, especially for the types of goods in which Scotland specialised at the turn of the century: locomotive engines, bespoke ocean-going ships and precision heavy engineering. New industries were slow to 1

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take root in Scotland, where the number of middle-class households that might sustain a new commercialised lifestyle amounted to a relatively small proportion of the population.9 Not surprisingly, then, Scottish manufacturing interests on the eve of war were conservative in their approach to modernisation, mechanisation and new American management practices: there seemed few pressing reasons to change an economic model that had served the nation well for a century.10 Tradition was a powerful force. Culturally, even in urban Scotland, the influence of the Presbyterian churches was profound.11 The Church of Scotland remained the established church of the country, rites of passage were typically marked by religious ceremonies, a vibrant associational culture had emerged centred on the churches, and evangelicalism remained a powerful influence in the context of social policy.12 But Irish and Italian immigration had increased since the mid-nineteenth century, and the number of Roman Catholics in Scotland’s cities had grown, giving rise to sectarian tensions in a country which still prided itself on its Reformation history.13 Meanwhile, between the north and the south remained that traditional fault line of Highland and Lowland, reinforced by distinctive linguistic and cultural practices. 14 Subsistence agriculture and the persistence of the Gaelic language marked out the Highlands as different, but by 1914 the development of the modern popular press, a more expansive transport infrastructure and the commercialisation of leisure were beginning to have an impact across Scotland which many feared would lead to the homogenisation of Scotland’s distinctive local traditions. Indeed, concerns about the anglicisation of Scottish culture animated civic groups intent on asserting Scotland’s status as a partner – not a vassal – within the Union relationship.15 On the eve of war, pressure for Scottish Home Rule and heightened tensions surrounding the Ulster question, combined with increased industrial strike activity and militant suffragism, implied that the kingdoms that would fight together were far from united.16 Similar regional differences and the contradictory impact of the processes associated with modernism had, by 1914, left their mark on all of the belligerent nations of the First World War. It could be argued, then, that there is little in what has gone before that makes the Scottish case in any way unique: all the nations

9 R.J. Finlay, Modern Scotland, 1914–2000, London, 2004, 77. 10 Peter L. Payne, ‘The Economy’ in: Devine and Finlay (eds.), Scotland in the Twentieth Century, 13–45. 11 Callum Brown, Religion and Society in Scotland since 1707, Edinburgh 1997. 12 M.A. Crowther, ‘Poverty, Health and Welfare’ in: W.H. Fraser and R.J. Morris (eds.), People and Society in Scotland: volume II, 1830–1914, Edinburgh 1990, 265–289. 13 Steve Bruce, Scotland’s Gods: religion in modern Scotland, 1900–2012, Edinburgh 2014, 41–99. 14 C.W.J Withers, Gaelic in Scotland, 1698–1981, Edinburgh 1984. 15 Graeme Morton and R.J. Morris, ‘Civil Society, Governance and Nation, 1832–1914’, in: R.A. Houston and W.W.J. Knox (eds.) The New Penguin History of Scotland, London 2001, 355–416. 16 George Dangerfield, The Strange Death of Liberal England, London 1936.

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were enriched by distinctive regional cultures, and regional economic specialisation had created contrasting industrial geographies across the nations of Europe. What, perhaps, makes the Scottish case distinctive (at least in part), however, was that there was no singular concept of the nation in support of which such regional, ethnic, or religious identities were to be harnessed in war-time or (alternatively) set to one side. The impact of war on Scotland is brought in to relief when we ask the simple question: for which country were Scots fighting in 1914–18? Pick up many texts purporting to address the British experience, and the question is seldom asked: either the authors see Britishness as unproblematic, or they elide England and Britain unproblematically.17

Source: New York Public Library, Miriam and Ira D. Wallach Division of Art, Prints and Photographs, Paul Hoffmann & Co. (1914? –1918?).

As the postcard illustration above suggests, even German contemporaries often failed to appreciate the subtle differences in British national identity. For the Scots, for the Welsh, and most definitely for the Irish, however, this was more

17 Recently (in part because of the impact of works such as Trevor Royle’s The Flowers of the Forest: Scotland and the First World War, Edinburgh, 2006) this tendency is becoming less apparent, yet it can still manifest itself in more subtle ways. David Reynolds, for example, admits that ‘Scotland’s special fervour for the Great War is not easily explained’, and sees Scottish pride ‘expressed within the British war effort’. He fails to probe sufficiently whether such pride might also have been expressed despite the apparently uniform nature of the state that conducted the war, or that Britishness has little meaning without the distinctive national experiences that go towards its making. David Reynolds, The Long Shadow: the Great War and the twentieth century, London 2013, 24.

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than a semantic dilemma. Quite simply, in Scotland on the eve of war, national Identity was complex, multiple and contested. Scotland was and is a nation without a sovereign state that is co-terminous with its borders. In 1914 the Scottish Office – the central government department with responsibility for Scottish issues – was only thirty years old, and its powers were limited: the Secretary for Scotland, for example, did not have a seat in the British cabinet until 1892. Yet, the Scottish Office facilitated unique administrative structures and policies with respect to poor relief, education, and aspects of local government in the north which still strongly bore a Scottish ‘stamp’, and it was (not surprisingly) more sensitive than other governmental departments to Scotland’s national status, its separate legal system and the discrete character of its civic society, its religion and its traditional sensitivities. For all that, however, it was principally responsible for simply administering Westminster’s policies in a Scottish context, although it was impeded in its work on the ground by its Whitehall location18, its reliance on the operation of semi-autonomous boards in the north, and on underfunding.19 In the House of Commons Scottish legislation was typically passed irregularly, given cursory attention, or merely tacked on to the end of bills that had paid scant regard to the peculiarities of Scots law and local government. Increasingly, civic leaders had to make the wearisome journey to London to lobby for and effect much needed changes to local by-laws, and further English overlordship became an increasing concern as safe Scottish Liberal parliamentary seats came to be occupied by carpet-bagging English MPs, Herbert Asquith (East Fife) and Winston Churchill (Dundee) among their number.20 For some Scots, encouraged by the in-roads Irish Home Rulers were making, this state of affairs became a central point of contention in their relationship with the UK state, as it seemed to call into question Scotland’s partner status in the Union.21 For a minority of these, including many Liberals inspired by the Young Scots Society, it prompted expressions of political nationalism and support for parliamentary devolution.22 In this context, it is important to note that in May 1913 a Home Rule Bill for Scotland had passed its second reading in the House of Commons, suggesting that in the early twentieth century Scottish and British interests and identities did not appear as complementary to many Scots as once they had.23

18 Dover House, Whitehall, remains the headquarters of the Scotland Office. 19 I. Levitt, The Scottish Office, 1919–1959, Edinburgh 1992, 1–73. 20 See I.G.C. Hutchison, A Political History of Scotland, 1832–1924, Edinburgh 1986, 218–276; Michael Fry, Patronage and Principle: A Political History of Modern Scotland, Aberdeen 1987, 119–148. 21 Naomi Lloyd Jones, ‘Liberalism, Scottish Nationalism and the Home Rule Crisis, 1886– 1893’, in: English Historical Review 129/2014, 862–887. 22 R.J. Finlay, A Partnership for Good?: Scottish politics and the Union since 1880, Edinburgh 1997, 41–69. 23 House of Commons Debates, 53/30 May 1913, 471–551.

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Fighting the war; administering the state The declaration of war in August 1914 meant that Sir Henry Cowan’s Scottish bill the year before came to nothing: it would take a further eighty-five years before a Scottish parliament would be founded. Yet war brought to the fore many of the tensions in which that bill was rooted, and the nature of total war meant that the identities of both civilians and combatants would be affected, as an increasingly centralising state challenged the interface of locality and nation and sought to restrict regional autonomy. Scottish troops certainly fought for the British state, but they typically fought in Scottish regiments, many of which claimed descent from regiments that pre-dated the Union of the Parliaments in 1707. And in terms of governance, conflict too had paradoxical outcomes: even war could not bring London closer to Scotland, and arguably Whitehall came to rely more not less on Scottish administrative structures and personnel than it had done in the past for the implementation of emergency regulations. In November 1914 the Dundee Advertiser saluted those who had volunteered for service, but cautioned its readership that : ‘We must not let the sons of the Rose [England] or the Leek [Wales] or the Shamrock [Ireland] get in front of the proud Thistle [Scotland].’24 They were not to be disappointed: with the declaration of war in 1914, Scots responded to the call to arms at a greater rate than did men from the other nations of the UK. As Hew Strachan has noted, by July 1915 the average rate of enlistment for all males in Britain was 20%, but in Scotland it was 24%.25 Conscription would later iron-out this disparity – proportionately more Scots were exempt military service due to the preponderance of reserved occupations in the economic profile of the Scottish workforce – but the disproportionate impact on Scotland in the early years of war was undeniable.26 These volunteers generally formed battalions of established Scottish regiments,27 so five New Army battalions were eventually added to the Seaforth Highlanders, seven to the Queen’s Own Cameron Highlanders and eight to the Royal Scots.28 As a consequence, this associated Kitchener’s New Army with the proud and distinctively Scottish traditions of respected regiments.29 It was a state of affairs evoked by the journalist, novelist and (in war-time) the Director of Intel-

24 Dundee Advertiser, 8 November 1914. As cited in W. Kenefick, ‘War Resisters and AntiConscription in Scotland: an ILP perspective’, in: Catriona M.M. Macdonald and E.W. McFarland (eds.), Scotland and the Great War, Edinburgh 1999, 59–80, 61. 25 Hugh Strachan, ‘Scotland’s Military Identity’, in: Scottish Historical Review 85/2006, 315– 332, 328. 26 Clive Lee, ‘The Scottish Economy’, in Macdonald and McFarland (eds.), Scotland and the Great War, 11–35, 20. 27 Royle, Flowers of the Forest, 29. 28 Trevor Royle, Queen’s Own Highlanders: A Concise History, Edinburgh 2007, 114–115; Idem, The Royal Scots: A Concise History, Edinburgh 2006, 117–118. 29 For the Highland experience, see Edward M. Spiers, ‘Highland Soldier: Imperial Impact and Image’, in: Northern Scotland 1/2010, 76–87.

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ligence at the Ministry of Information, John Buchan30, in his post-war publication, The Battle Honours of Scotland: The Royal Scots, the first of the line, are the descendants of the ancient Scottish levée-enmasse (...) Their forebears fought under the great Gustavus, and the French Kings, and after they joined the British establishment took part with distinction in the defeat of Louis Quatorze [Louis XIV], and won great glory under Wellington. 31

The experience of war merely served to reinforce the Scottish identity of these soldiers. Four operational infantry divisions of the British army boasted Scottish appellations (the 9th, the 15th, the 51st (Highland) and 52nd (Lowland)).32 The historian of the 51st Division makes the case that due to the Scottish origins of the majority of infantrymen, the more egalitarian nature of the Scottish education system (thus acting as a leaven on class distinctions), the roots of this Division in the territorial (volunteer) movement and the fact that it was kilted, its Scottish origins were both real and meaningful.33 Similarly, when Scots went in to action, they regularly did so alongside fellow compatriots and – due to the nature of recruitment in the early years at least – even neighbours. ‘Pals battalions’ of volunteers have little resonance in Scotland beyond some notable examples in Glasgow and Edinburgh. The 15th (Tramways) Battalion of the Highland Light Infantry was recruited from Glasgow’s municipal transport department, the 16th (Boys Brigade) Battalion was raised from a local Christian boys’ organisation, and the 17th Battalion was drawn from Glasgow’s Chamber of Commerce. Similarly, two City of Edinburgh battalions were added to the Royal Scots – the 15th and the 16th – respectively ‘Cranston’s battalion’ (after its commanding officer, Sir Robert Cranston, a local draper and former provost) and ‘McCrae’s battalion’, boasting a large proportion of footballers from the Heart of Midlothian Club (after its commanding officer, Sir George McCrae, another draper and local Liberal MP).34 Beyond such examples, what was more telling for the majority of Scots was, less the deliberate and intentional recruitment patterns of occupational groupings, than the historic territorial nature of recruitment. In the Highlands in particular this manifested itself in the role of clan chiefs in the business of recruitment: in Argyll, the Duke appealed for volunteers, evoking the fiery cross his Campbell forebears had used to rouse their clansmen, and Macdonald of Clanranald pointed to the legacy of the Jacobite rebellions to spur his clansmen on against a new German foe (the

30 H. C. G. Matthew, ‘Buchan, John, first Baron Tweedsmuir (1875–1940)’, Oxford Dictionary of National Biography, Oxford University Press, 2004; online edn, Jan 2011, http://www.oxforddnb.com/view/article/32145, accessed 23 Jan 2015. 31 John Buchan, The Battle Honours of Scotland, 1914–1918, Glasgow 1919, 9-10. 32 Trevor Royle, ‘The First World War’, in: Edward M. Spiers, Jeremy A. Crang and Matthew Strickland (eds.), A Military History of Scotland, Edinburgh 2012, 506–535, 509. 33 Colin Campbell, Engine of Destruction: the 51st (Highland) Division in the Great War, Glendaruel 2013, 292–293. 34 Jack Alexander, McCrae’s Battalion: the story of the 16thRoyal Scots, Edinburgh 2004.

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first, of course, being the Hanoverians).35 More prosaically, local men in neighbourhoods near a barracks would simply join the local regiment as generations had done before: the association of Stirling with the Argyll and Sutherland Highlanders, Perth with the Black Watch, and Edinburgh with the Royal Scots persisted. When significant numbers of Scottish regiments saw action together – as they regularly did – in discrete theatres of war, the rhythm of war took on a different ‘beat’ in the north of Britain, and the narrative of warfare came to bear a distinctive Scottish accent.36 The battles of Loos (1915), the Somme (1916), Arras (1917), and Passchendale (1917) and with them the fighting in Gallipoli, Salonika, Mesopotamia and Italy, found Scots in action together. The record of losses from these encounters burst into the regional press, not as in 1914 in the deaths of one or two local ‘lads’, but as almost unending lists of casualties punctuated by a repetitious blur of certain surnames from which it was clear that some families had lost more than one member. The interface between the home and fighting fronts was permeable, and the Scottish losses on the battlefield translated into palpable tragedies at home, mediated by a Scottish press that communicated the war at times and in ways very different to Fleet Street.37 The 1921 British census put the British war dead at 768,000 and of that number 74,000 were Scottish.38 Enumerating the war dead, however, is notoriously difficult (even more so when thousands of Scots fought in imperial regiments) and conventional wisdom now numbers the Scottish dead at around 100,000.39 By whatever measure, Scottish losses were disproportionate: 18,000 Glaswegians did not return from war, 17% of the servicemen from the Hebridean island of Lewis were lost, and over 2,000 students from Scotland’s four universities would never return to their studies. The grief of loss would be a contributing factor to the unifying sentiment which in the 1920s demanded that Scotland build its own National War Memorial. Local monuments proliferated, as in the rest of the UK, and Scottish servicemen participated in commemorations at London’s Cenotaph, but somehow this not enough to express the national heartbreak of the northern kingdom.40 Clearly, by the most tragic of measures, war enhanced Scotland’s sense of itself, as part of but also in addition to (and perhaps in spite of) its contribution to a wider British sacrifice. 35 Ewen A. Cameron and Iain J.M. Robertson, ‘Fighting and Bleeding for the Land: the Scottish Highlands and the Great War’, in: Macdonald and McFarland (eds.), Scotland and the Great War, 81–102, 84. 36 D. Ditchburn and Catriona M.M. Macdonald, ‘Bannockburn, World War One and the Referendum’, in: Scottish Historical Review 93/2014, 161–170, 167. 37 Catriona M.M. Macdonald, ‘May 1915: race, riot and representations of war’, in: Macdonald and McFarland (eds.), Scotland and the Great War, 145–172. 38 Lee, ‘The Scottish Economy’, 20. 39 Royle, Flowers of the Forest, 284. 40 Jenny Macleod, ‘Memorials and Location: Local versus national identity and the Scottish National War Memorial’, in: Scottish Historical Review 89/2010, 73–95.

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One might read a lot into the fact that when the war was over, Scottish exservicemen chose to retain their independence from the London-based British Legion by maintaining a separate Scottish body for old comrades: the British Legion (Scotland). By 1935 there were 15,800 Scottish Legionaires in 303 branches – a smaller operation than even the north-east area of the comparable English body. Yet, despite pressure to amalgamate (and limited resources), the Scots maintained their autonomy, seeing proposals to become the ‘Scottish Area’ of the larger British Legion as contrary to Scottish sentiment and national pride.41 During the war, relations between the UK state and Scottish bodies exhibited similar tensions. The General Register Office for Scotland proved resistant to the sympathies of the Registrar General for England and Wales to exploit war-time conditions to introduce a permanent universal register of all individuals in Britain. A war-time register was necessary to facilitate conscription (from 1916) and ensure a supply of labour into essential industries, but the Scots (while proud of their efficient administration in the regard) baulked at any extension of their responsibilities beyond traditional peace-time boundaries, and were consistent in the interwar years in defending civil liberties against pressure (again from their English counterparts) to extend the information state.42 Even charity work could result in tensions: despite the government’s best efforts to co-ordinate charitable giving to the forces – through prisoners of war bureaux and, from 1916, a national Director General of Voluntary Organisations – independent local initiatives persisted.43 Further, despite the apparent uniformity of munitions tribunals, set up to address industrial militancy under the Munitions of War Act 1915, local conditions often led to differences in approach – something most notable on Clydeside, for example, where the power of the state was already being felt acutely due to the impact of the Defence of the Realm Act [DORA, 1914], and the Admiralty’s take-over of the naval dockyards.44 Similarly, in the countryside it was even found necessary for there to be a Scottish Women’s Land Army (SWLA) from 1917, separate and distinctive in its organisation from the English model, and more attuned to the peculiar character of Scottish agriculture and competing interest groups in the north.45 Such examples could be added to several fold. Centralisation thus failed to deliver the uniform implementation of government policy that was desired in Whitehall, and in the north, government officials had to work through extant Scottish bodies or, indeed, create new Scottish bodies to achieve their goals. Policy demands were also not all one-way: the Rent Re41 Niall Barr, ‘The most happy and cordial relations continue to exist’: the Scottish ex-service movement in the inter-war years’, in: War and Society 29/2010, 47–70. 42 Rosemary Elliot, ‘An Early Experiment in National Identity Cards: the battle over registration in the First World War’, in: Twentieth Century British History 17/2006, 145–176. 43 Sarah Pederson, ‘A Surfeit of Socks? The impact of the First World War on women correspondents to daily newspapers’, in: Scottish Economic and Social History 22/2002, 50–72. 44 G.R. Rubin, ‘The Composition of the Munitions Tribunal in Glasgow during the First World War’, in: Scottish Economic and Social History 1986, 47–64. 45 Bonnie White, The Women’s Land Army in First World War Britain, Basingstoke 2014.

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strictions Act of 1915 was necessitated by rent strike action on Clydeside against profiteering landlords. For the first time a British government compulsorily set the rents that private landlords could demand: the Act was operational across the UK, but its origins were in Scotland and in a history of poor urban housing that would be further exposed when in 1917 the report of the Royal Commission on Housing offered a damning indictment of the Scottish housing stock and the gross overcrowding in the Scottish burghs. Not surprisingly, the Scots assumed that peace would bring the acknowledgement of the contradictions inherent in Scottish governance that had been multiplied by the war. But hopes were soon dashed. Certainly, the boards in the north were reformed in the interwar years, but for some time the Treasury remained resistant to paying the Scottish Secretary the salary of a Secretary of State. Ultimately, there would be no strong Scottish voice in the plans for post-war reconstruction, and it would take until 1939 for the Scottish Office to relocate to Edinburgh.46 Difference: economic, social, political Differences and tensions in advance of war need not necessarily determine a distinctive war-time experience nor guarantee the persistence of pre-war stresses. Indeed, the national cause, patriotism and shared sacrifice generally tend to discourage debate on matters that detract from the singular objective of victory, and diminish the influence of special interest groups whose raison d’être is rooted in precedent when the future appears so much at stake. Yet, by looking at the economy, society and politics of Scotland throughout the war and interwaryears, it is clear that much is to be learned from tracing a distinctively Scottish story. Like elsewhere in the UK, Scotland’s economy was mobilised on a war footing with notable successes: between 1914 and 1918 the naval tonnage launched on the Clyde amounted to 816,984, and mercantile tonnage was over 1.5 million, steel ingot and castings production almost doubled, and the yield of oats – a Scottish staple – rose by over 40%.47 Yet victory cost the Scottish economy dearly. In Dundee, the jute industry was energised during the war years due to military demand for sand bags and the curtailment of foreign competition, but the withdrawal of these guarantors of success, however, meant that decline in the 1920s would be rapid. William Beveridge – the architect of Britain’s welfare state – noted that by 1937, jute had the worst unemployment rate of any industry in Britain. 48 Over all, war – by accentuating Scotland’s reliance on its traditional industries and the interdependence of Scottish firms and sectors without ensuring the necessary mod-

46 Levitt, Scottish Office, 7, 9. 47 Lee, ‘The Scottish Economy’, 12, 16. 48 William Beveridge, Full Employment in a Free Society, London 1944, as cited in Jim Tomlinson, ‘Managing Decline: the case of jute’, in: Scottish Historical Review 90/2011, 257– 279, 263.

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ernisation of methods and plant necessary for success in peace – ensured the vulnerability of the Scottish economic to the crises of the interwar years. Commercial manufacture and exports had been greatly impeded by the government’s direction of war-time production and shipping, and this was a state of affairs that was exacerbated by further disruption to trade caused by Germany’s straitened economic circumstances in the 1920s and the loss of lucrative Russian markets after 1917. Social change is harder to measure, although distinctions based on gender, locality and faith are instructive here. As in other British regions, the contribution of Scottish women to the war effort was notable. The role of the Scottish Women’s Hospitals in the relief of suffering on the battlefields of Europe is well documented49, as is women’s role in the war-time economy.50 Yet conservative social attitudes limiting women’s war and post-war ambitions were hard to break down.51 War also failed to dissolve distinctions between Highland and Lowland society. In the north, land remained a central focus for social reformers and a point of tension for returning ex-servicemen who had wrongly assumed that promises of ‘homes for heroes’ would yield sufficient small-holdings for those who had served their country. Here, land-raiding in the north-west after 1918 illustrated how war would affect different areas in very different ways, compromising claims of a uniform Scottish experience.52 Even religion fails to offer an uncontested narrative: Scotland’s strict Presbyterian tenets were regularly compromised to accommodate the unprecedented losses of the country53, yet – while adherence seemed to grow in the early days of war – by 1917 observers commented on Scottish indifference to claims of faith.54 The Scottish churches also failed to anticipate the response required of them in the post-war world: a retreat to the spiritual failed to address the social trauma of global depression and a generation indelibly marked by grief.55 In

49 E. Crofton, Angels of Mercy: a women’s hospital on the western front, Edinburgh 2013; L. Leneman, Elsie Inglis: founder of battlefield hospitals run entirely by women, Edinburgh 1998. 50 For a local example from the town of Paisley, see Catriona M.M. Macdonald, The Radical Thread: political change in Scotland, paisley politics, 1885–1924, Edinburgh 2000, 208–210. 51 Catriona M.M. Macdonald and L. Snodgrass, ‘Role of Scottish Women in the Great War’, in: History Scotland 13/2013, 24–29. Medico moral arguments relating to war-time ‘khaki fever’ and apparent female licentiousness, for example, influenced a more compulsionist approach to venereal disease in Scotland compared to elsewhere in the UK in the interwar years. See R. Davidson, ‘A Scourge to be firmly gripped’: the campaign for VD controls in interwar Scotland’, in: Social History of Medicine 6/1993, 213–235. 52 I.J.M. Robertson, Landscapes of Protest in the Scottish Highlands after 1914, Farnham 2013; E.A. Cameron, Land for the People?: the British government and the Scottish Highlands, 1880–1925, Edinburgh, 1996. 53 James Lachlan MacLeod, ‘Greater Love Hath No Man Than This: Scotland’s conflicting religious responses to death in the Great War’, in Scottish Historical Review 81/2002, 70–96. 54 Clive Field, ‘Keeping the Spiritual Home Fires Burning: religious belonging in Britain during the First World War’, in: War and Society, 33/2014, 244–268, 257. 55 ‘A Solemn Purification by Fire’: responses to the Great War in the Scottish Presbyterian churches, 1914-1919, in: Journal of Ecclesiastical History 45/1994, 82–104.

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1929 the largest Presbyterian churches unified – mending a fissure in the Scottish ecclesiastical landscape of over seventy years standing – but the churches failed to mend the wounds of war. On the eve of war Scottish politics were distinctive within the UK. In 1910 the Liberal party held 58 of the 70 Scottish seats, and Liberalism (evoking a commitment to Free Trade) was the political gospel of the majority of Scots who knew their economic health lay in continued imperial success and who were sceptical of tariff reform and Tory ‘Little Englandism’. War reinforced this political distinctiveness, but in ways that few could have predicted: war destroyed Scottish Liberalism.56 By illuminating tensions in the party leadership and compromising the party’s commitment to individualism (many opposed conscription, for example) fighting a modern war showed the Liberal party to be out of step with the forces of history - a point reaffirmed when (following the passage of the Fourth Reform Act, enfranchising women over 28 years) – it proved incapable of cashing in on victory without the endorsement of Conservative coalition partners. Only eight independent Liberal MPs were returned for Scottish constituencies in the 1918 election.57 The Tories – the party of opposition in 1914 – claimed the peace by courting the business vote, nurturing the protestant vote and exaggerating the socialist menace. In the interwar years, the Scottish press went ‘Tory’, and the party boasted a stronger organisation and electoral record than the Liberals, who had dominated politics in the north since 1832: in 1924 the Conservatives returned more than four times as many Scottish MPs as the Scottish Liberals.58 Meanwhile, a third party was encroaching on the two-party system: the Labour Party. This party, with a strong Scottish lineage, drew both inspiration and electoral capital from the war years. Between 1914 and 1918, membership of the Independent Labour Party, the trade unions and the co-operative movement grew significantly in Scotland, thus adding both supporters and much needed financial resources to the Labour movement. The idealism evoked by a socialist cadre in war-time Glasgow also offered Labour a claim on the past: Red Clydeside was born in the strikes and protests of the war years and its legacy was real, even if its revolutionary potential was in part imagined.59 The government took the threat seriously enough to suppress Forward, a local Labour newspaper, during the war years, to deport many anti-war activists and, in 1919, to deploy tanks on the streets of Glasgow during an industrial dispute. But the real threat to the establishment was to be measured at the ballot box: having secured only six seats in 1918, Labour’s Scottish haul rose to an interwar high point of 36 seats in 1929, with the major breakthrough being recorded in 1922 (the first election following

56 James Smyth, Labour in Glasgow, 1896–1936, East Linton 2000. 57 I.G.C. Hutchison, Scottish Politics in the Twentieth Century, Basingstoke 2001, 156. 58 I.G.C. Hutchison, ‘Scottish Unionism Between the two World Wars’, in: Catriona M.M. Macdonald (ed.), Unionist Scotland, Edinburgh 1998, 73–99. 59 I. Maclean, The Legend of Red Clydeside, Edinburgh 1999.

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full demobilisation) when 29 Scottish Labour MPs were returned to Westminster.60 During the interwar years, Scottish Labour became increasingly centralist in nature – abandoning earlier tendencies of working in partnership with other working-class organisations. The rationale was a simple one: as a potential party of government – a feat realised in 1924 and 1929 – Labour saw its future in London, and the influence of the Parliamentary Labour Party grew in comparison to its regional offices.61 It was a strategy that made perfect sense when one realises that war had convinced Labour that government control of industry was best executed at the level of the UK. But some Scots (many of them Labour sympathisers) took a different message from the war years. In 1918 a Scottish Home Rule Association was formed, and in 1928 the National Party of Scotland was established – a fore-runner to the Scottish National Party (SNP, est. 1934).62 In the short term, however, the politicisation of Scottish difference attracted little in the way of electoral support: the first SNP member of parliament was not elected until a second world war had re-drawn the Scottish political map for the second time in a generation.63 That said, however, there are other measures of change that point to shifts in national consciousness. Cultural Conclusions A convincing sign that war initiated (though, perhaps, did not deliver) a paradigm shift in the way in which national identity was perceived in Scotland is to be found in Scottish literary culture. The literature of war, however, did not directly anticipate what was to follow 1918. Indeed, much of Scotland’s war-time literature is somewhat derivative in nature (claiming little beyond accent, language and historical antecedents as signs of national origins64), or comedic in intent (resting on caricature and the well-worn stereotypes of the music hall65), or, like John Buchan’s novels, foundational to the later thriller genre, although somewhat exploitative of earlier Scottish successes in adventure novels, like Robert Louis Ste-

60 Michael Dyer, Capable Citizens and Improvident Democrats: the Scottish electoral system, 1884–1929, Aberdeen 1996. 61 W.W. Knox and A. MacKinlay, ‘The Re-making of Scottish Labour in the 1930s’, in: Twentieth Century British History 6/1995, 174–93. 62 Richard J. Finlay, Independent and Free: Scottish Politics and the Origins of the Scottish National Party, 1918–1945, Edinburgh 1994. 63 Robert McIntyre, Motherwell, 1945. 64 David Goldie and Roderick Watson (eds.), From the Line: Scottish War Poetry, 1914–1945, Glasgow, 2014, 1–85. An exception is tentatively offered in the case of Gaelic poetry in Niall Bartlett, ‘The First World War and the Twentieth Century in the History of Gaelic Scotland’, MPhil Thesis, University of Glasgow, 2013. 65 See Ian Hay, First Hundred Thousand, Edinburgh 1915.

Scotland and the First World War. Identity, Nationhood and Legacy

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venson’s Kidnapped (1886).66 Little of it heralds the renaissance in Scottish arts observable in the interwar years, though that in itself is telling. The Scottish literary revival of the 1920s and 1930s alerts us to the dilemmas of cause and effect that are writ large in regional experiences of the First World War. It is too easy to presume that just because changes are observable after 1918, that they were (even in part) caused by what happened in the four years before 1918. Equally, how (or more accurately when) we measure the changes wrought by war ought to be approached cautiously. Do we address the war experience simply in terms of what happened between 1914 and 1918? Ought we to distinguish ‘experience’ from ‘legacy’ by using November 1918 as a definitional divide? Should the wider context of the interwar years be allowed to influence our analysis of war’s afterlife? Do we measure war by how it was experienced, how it was remembered, or how it was imagined? The most radical of Scotland’s writers in the interwar years identified a malaise in Scottish culture that spoke to the eclipse of the nation within the UK and its reduced position on the world stage. The experience of the war years was certainly part of that interpretation, but it was also its antithesis. Hugh MacDiarmid (born Christopher Murray Grieve, 1892–1978), the leading voice of the ‘Scottish Renaissance’, had reluctantly served in the Royal Army Medical Corps in Salonika. It was MacDiarmid who would identify in the Scots language a powerful means of resistance against the anglicisation of the Union state – he was a founder member of the National Party of Scotland. War, meanwhile, confirmed John Buchan in his commitment to the Union state as a valuable brotherhood of nations. Yet many influences on the arts are difficult to attribute, even tentatively, to the war alone: the rhetoric of Versailles promised a new future for small nations in which many Scots hoped to share, as imperial fortunes declined and Commonwealth replaced colonies, and trade contracted. MacDiarmid’s nationalism also combined with a powerful inter-nationalism that was shared by other Scottish writers such as Edwin and Willa Muir.67 Yet industries through which Scottish pride had been fostered were by the early 1930s in near terminal decline, unemployment was the scourge of communities across the country, social problems persisted and the failure of Labour (even in office) to deliver the fruits of socialism encouraged a profound scepticism about the future and the strength of the international community to change things. Lewis Grassic Gibbon’s powerful trilogy, A Scots Quair, showed that only the land was a constant.68 War reinforced Scottish identity in various forms and offered new spaces in which it could thrive, but it also reinforced alternative and complimentary identities (including Britishness) which often also required Scottishness to function. Many writers, like Buchan, eschewed the shrill protestations of many in the Renaissance ‘school’. It would, therefore, be foolish to measure the impact of war 66 John Buchan, The Thirty Nine Steps, Edinburgh 1915. 67 Edwin Muir, Scottish Journey, London 1935. 68 Lewis Grassic Gibbon, A Scots Quair, London 1932–34.

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solely in terms of the national movement in politics or to identify in the Scottish literary renaissance an outcome of war, uncontested and unmediated by its own times. War conditioned how Scottish decline would be interpreted in the interwar years and influenced how its future would be imagined. It was never entirely a regional enterprise nor exclusively a national one, and the pain of loss acknowledged no boundaries. Dr. Catriona M.M. Macdonald, Glasgow

DER ERSTE WELTKRIEG UND DIE „KRIEGSDIENSTLEISTUNGEN“ DER STEIRISCHEN FRAUEN Eine Spurensuche1 Anita Ziegerhofer Abstract: Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges bedeutete eine Verschiebung der Geschlechterverhältnisse. Diese Veränderung wird für das damalige Herzogtum Steiermark anhand von Zeitungsrecherchen dokumentiert, wozu die bürgerliche „Tagespost“ und der sozialdemokratische „Arbeiterwille“ herangezogen wurden. Während die Männer an der Front ihren Dienst für das Vaterland leisteten, hielten die Frauen als „Soldaten des Hinterlandes“ die Heimatfront aufrecht. Kontinuierlich mit Kriegsverlauf begannen zunächst die Arbeiterinnen und dann die Bürgerinnen die Position der Männer in der Arbeitswelt einzunehmen. Die „Kriegsdienstleistungen“ der Frauen umfassten zunächst soziale Hilfeleistungen wie etwa die Versorgung der in den Krieg ziehenden Männer. Die Sendung von „Liebesgaben“ an die Front bedeutete die Aufrechterhaltung der Verbindung „Hinterland – Front“. Die Versorgung der Front und schließlich die Aufrechterhaltung des Alltags an der „Heimatfront“ erfolgten strukturiert. Die bürgerlichen Frauen im Herzogtum Steiermark gründeten unmittelbar nach Kriegsbeginn den Frauenhilfsausschuss, die Arbeiterinnen den Arbeiterinnenhilfskorps. Es kann aufgezeigt werden, dass der Erste Weltkrieg wesentlicher Anstoß für die Veränderung der Geschlechterverhältnisse war, was auch für die rechtlichen Gleichstellung gilt: Die Frauen erhielten nicht nur das Wahlrecht oder den Zugang zu den öffentlichen Ämtern ohne zölibatäre Bestimmungen, sondern auch etwa die Vormundschaft über ihre eigenen Kinder. Die Forderung „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist bis heute noch nicht umgesetzt! Während die Männer für ihre Leistungen an der Front ausgezeichnet wurden, gerieten die „Soldaten des Hinterlandes“ relativ rasch nach Kriegsende in Vergessenheit.

I. Allgemeine Vorbemerkungen Das Jahr 2014 stand vollends im Zeichen des 100. Jahrestages des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges. Zahlreiche umfassende Monografien und Sammelbände sind erschienen, die in unterschiedlichsten Zugängen die Ereignisse vor, während und unmittelbar nach dem Ende des Weltkrieges sowie dessen Bedeutung eingehend

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An dieser Stelle möchte ich meiner Mitarbeiterin Edith Fuchsbichler herzlichst für ihre vorzügliche Recherche-Arbeit in der Tagespost und im Arbeiterwillen danken. Dieser Beitrag stellt die um die Situation steirischer Arbeiterinnen erweiterte Fassung folgenden Beitrages dar: Anita Ziegerhofer, „Soldaten des Hinterlandes“. Der Erste Weltkrieg und der Anteil der steirischen Frauen, in: Nicole-Melanie Goll / Werner Suppanz (Hgg.), Heimatfront. Graz und das Kronland Steiermark im Ersten Weltkrieg, Essen 2016 (im Druck).

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beleuchten.2 Auch für die Steiermark liegen einige Publikationen vor (wie etwa von Stefan Karner und Philipp Lesiak3 sowie Martin Moll4) oder erschienen Ausstellungskataloge wie jene des Steiermärkischen Landesarchives5 und des Grazer Stadtarchives.6 Allen Publikationen gemeinsam ist, dass der Anteil der Frauen im Krieg wenig oder gar keine Beachtung findet, obwohl die Genderperspektive bereits ab den 1980er Jahren in die Weltkriegshistoriographie eingebracht wurde.7 Eine Ausnahme bildet der von Nicole Goll und Werner Suppanz 8 herausgegebene Sammelband, der einige Beiträge beinhaltet, die sich mit den steirischen Frauen an der Heimatfront auseinandersetzen. Für Österreich-Ungarn liegt der Sammelband von Christa Hämmerle9 vor, in dem aus unterschiedlichen Blickpunkten die Kriegsdienstleistungen der Frauen eingehend erörtert werden. In dem hier vorliegenden Beitrag wird es darum gehen, die Rolle der bürgerlichen und sozialdemokratischen Steirerinnen während des Ersten Weltkrieges zu skizzieren. Es soll aufgezeigt werden, welche Dynamik der Erste Weltkrieg hinsichtlich der Veränderung der Geschlechterverhältnisse vor allem in normativer Hinsicht auslöste und der Frage nach der regionalen Identität nachgegangen werden. Der Ausbruch und weitere Verlauf des grand guerre sollte die Stellung der Frau und überhaupt das Geschlechterverhältnis ins Wanken bringen, allerdings – dies sei hier schon vorweggenommen – nur ansatzweise zur Emanzipation der Frau führen. Frauen werden im öffentlichen, aber zunächst auch im wissenschaftlichen Diskurs in erster Linie mit „Friedensarbeit“ und weniger mit Krieg in Verbindung gebracht. Dieser Feststellung versuchte die erste Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner, deren 100. Todestag am 21. Juni 2014 gedacht wurde10, zeitlebens zu begegnen:

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Hier sei exemplarisch verwiesen auf Christopher Clark, Die Schlafwandler: Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 2013 oder für Österreich Manfried Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien 2013. 3 Stefan Karner / Philipp Lesiak (Hgg.), Erster Weltkrieg. Globale Konflikte – lokale Folgen. Neue Perspektiven, Innsbruck 2014. 4 Martin Moll, Die Steiermark im Ersten Weltkrieg: Der Kampf im Hinterland ums Überleben 1914–1918, Graz 2014. 5 Josef Riegler (Hg.), „Ihr lebt in einer großen Zeit,…“. Propaganda und Wirklichkeit im Ersten Weltkrieg, Graz 2014. 6 Helmut Konrad / Nicole-Melanie Goll, Die Steiermark und der „Große Krieg“. Ausstellungskatalog im Museum im Palais/Universalmuseum Joanneum, Graz 2014. 7 Gunda Barth-Scalmani / Gertrud Margesin, Frauen in der Landwirtschaft während des Ersten Weltkrieges. Annäherung an einen blinden Fleck in der Weltkriegshistoriografie aus regionaler Perspektive, in: Karner / Lesiak (Hgg.), Erster Weltkrieg, 273–306, 276. 8 Goll / Suppanz, Heimatfront, (im Druck). 9 Christa Hämmerle, Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkrieges in Österreich-Ungarn, Wien 2014. 10 Anita Prettenthaler-Ziegerhofer, Tribute to Bertha von Suttner. Pacifist, Human Rights Activist, Early Voice for Peace, Security and Development, in: Manfred Novak / Ursula Werther-

Der Erste Weltkrieg und die „Kriegsdienstleistungen“ der Steirischen Frauen

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„Soweit meine persönlichen Erfahrungen reichen, besteht mit Bezug auf ihre Stellung zur Friedensfrage kein Unterschied zwischen den Menschen männlichen und weiblichen Geschlechts. Begeisterung für Kriegsthaten und Kriegshelden findet man bei Frauen so gut wie bei Männern, Begeisterung und Energie für die Friedensbewegung wird von Frauen ebenso intensiv an den Tag gelegt wie von Männern.“11

Die ältere Forschung zeichnet in Bezug auf „Frauen und Krieg“ genau das Bild, wogegen Bertha von Suttner ankämpfte. Dieses „Dogma“ kann den Ergebnissen der Gender-Forschung längst nicht mehr standhalten, die Thematik lässt sich nicht auf zwei Kategorien (Krieg und Frieden) reduzieren, sondern ist vielschichtiger.12 Frauen waren direkt oder indirekt am Krieg beteiligt, waren aktive oder passive Kriegsdienstleisterinnen und umschrieben bzw. beschrieben ihre Kriegsdienstleistungen mit den Worten Patriotismus, Wirtschaftlichkeit und Fürsorge. Unter den Begriff Patriotismus ließen sich alle Kriegsdienstleistungen subsumieren, denn es galt, alles dem Patriotismus unterzuordnen. Das beinhaltete sogar die Aufgabe der traditionellen Geschlechterrollen und schließlich die Aufgabe der regionalen Identität zugunsten der nationalen. Zu den Kriegsdienstleistungen zählte der Einsatz direkt an der Front: in ganz seltenen Fällen als „Soldatinnen“ (immerhin durfte man Frauen ab November 1915 die Tapferkeitsmedaille verleihen13), in der Mehrzahl als Krankenschwestern im Lazarett, als Telefonistinnen, Postangestellte, Etappenhelferinnen oder Funkerinnen im Feld. Auch das Motivieren von Söhnen und Ehemännern14, in den Krieg zu ziehen, etwa „um die zaristische Unkultur, den zaristischen Despotismus von unseren Landgebieten fernzuhalten“15 kann man zu den direkten Kriegsdienstleistungen zählen. Im indirekten Sinne bedeuteten Kriegsdienstleistungen die Tätigkeiten der Frauen an der Heimatfront als sogenannte „Soldaten im Hinterland“. Sie waren jene Frauen, die an der Heimatfront „mobilisiert“ wurden, um so den Alltag während des Krieges aufrecht zu erhalten. Dadurch ergab sich eine dichte Vernetzung zwischen Front und Heimatfront, Kriegsgebiet und Hinterland.16

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13 14

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Pietsch, All Human Rights for All. Vienna Guidebook on Peaceful and Inclusive Societies, Wien 2014, 15–18. Bertha von Suttner, Die Waffen nieder, in: Monatsschrift zur Förderung der Friedensbewegung 7, IV/1895, 254. Etwa Christa Hämmerle / Oswald Überegger / Brigitta Bader-Zaar (Hgg.), Gender and the First World War, New York 2014; Susan R. Grayzel, Women and the First World War, Essex 2002; Susan R. Grayzel, Women’s Identities at War. Gender, motherhood, and politics in Britain and France during the First World War, Chapil Hill, NC [u.a.] 1999. Ernst Rutkowski, Ein leuchtendes Beispiel von Pflichttreue – Frauen im Kriegseinsatz 1914– 1918, in: Scrinium 28/1983, 343–353. Vgl. Karin M. Schmidlechner-Lienhart, Überlegungen zur Thematik „Frauen und Krieg als Gegenstand der Geschlechtergeschichte“, in: Wolfram Dornik / Johannes Gießauf / Walter M. Iber (Hgg.), Krieg und Wirtschaft. Von der Antike bis ins 21. Jahrhundert, Innsbruck 2010, 67– 77, 71. An die Arbeiterschaft. Arbeiter, Arbeiterinnen, Parteigenossen und Parteigenossinnen von Graz und Umgebung, in: Arbeiterwille, 12. August 1914, 2. Siehe dazu ausführlich Hämmerle, Heimat/Front, 20.

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Mit Ausbruch des Krieges stellten die Frauen, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur national, sondern auch international in der Frauenbewegung vernetzt waren, zunächst ihre Forderungen nach Gleichberechtigung und politischer Partizipation zugunsten der Kranken- und Verwundetenpflege hintan, wie es z. B. 70.000 Berlinerinnen vor dem Reichstag taten. Sie demonstrierten damit den „gewaltigen Durchbruch jenes lange verschütteten weiblichen Gefühls, das nichts anderes will als: helfen und heilen, – jenes primitiven Geschlechtsgefühls, das ein einziges Wort am reinsten darstellt: Mütterlichkeit.“17 Mütterlichkeit wird nun zur „politischen“, „öffentlichen“ Mütterlichkeit: Caritas zur Sozialpolitik, Wohlfahrt zur Massenfürsorge. Der Krieg führte zur „Verflechtung von Staat und Einzelleben“ von „Öffentlichkeit und Privatheit“18, es begann sich somit schon im Laufe des Ersten Weltkrieges die Transformation des Privaten zum Öffentlichen in schwachen Konturen abzuzeichnen, was dann in der „zweiten Frauenbewegung“ in den Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts unter dem Motto „Das Private ist öffentlich“ geradezu explodieren sollte. II. Die Kriegsdienstleistungen der Steirerinnen an der Heimatfront Wie veränderte der Krieg in der Steiermark das Geschlechterverhältnis und welchen Anteil hatten die Frauen im damaligen Herzogtum Steiermark am Krieg? Als Grundlage zur Beantwortung dieser Frage diente die Recherche in der bürgerlichliberalen Tagespost und im sozialdemokratischen Arbeiterwillen. Beide Zeitungen waren Tageszeitungen, die in der Steiermark über eine hohe Abonnentenzahl verfügten.19 Die nun folgenden Ausführungen sind Ergebnisse einer Spurensuche, die thematisch in Hilfs- und Arbeitsleistungen sowie in die normativen Veränderungen gegliedert wurden. Aufgrund der gebotenen Kürze finden Frauen in der Landwirtschaft20 keine Berücksichtigung, wie auch nicht die Auseinandersetzung mit Frauen als Krankenschwestern, Pflegerinnen oder Ärztinnen.21 Diesbezüglich sei lediglich darauf verwiesen, dass beide Tageszeitungen oftmals Annoncen über die Abhaltung

17 Lily Braun, Die Frauen und der Krieg, Berlin 1915, 11. 18 Vgl. Irene Stöhr /Detel Aurand, Opfer oder Täter. Frauen im I. Weltkrieg, in: Courage 11/1982, 43–50, 50. 19 Vgl. Nora Aschacher, Die Presse in der Steiermark von 1918 bis 31. Juli 1955, phil. Diss. Wien 1972, 56–62. 20 Dieser Themenbereich stellt im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg ein Forschungsdesiderat dar. Vgl. dazu Barth-Scalmani /Margesin, Frauen in der Landwirtschaft, 276. 21 Vgl. Elke Hammer-Luza, „An den Schmerzenslagern unserer verwundeten Krieger.“ Die Krankenschwester im Ersten Weltkrieg – Ideal und Realität, in: Josef Riegler (Hg.) „Ihr lebt in einer großen Zeit, …“ Propaganda und Wirklichkeit im Ersten Weltkrieg, Graz 2014, 171–185; oder Heidrun Zettelbauer, Ideelle und materielle Kriegsfürsorge als Ort der Aushandlung geschlechtsspezifischer Handlungsräume vor und im Ersten Weltkrieg, in: Goll/Suppanz, Heimatfront (im Druck).

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von Pflegekursen schalteten und die Frauen zum Besuch bzw. Absolvierung dieser Kurse ermutigten. Dies war eine Folge des eklatanten Mangels an ausgebildeten Krankenschwestern zu Beginn des Ersten Weltkrieges22 und der unmittelbar vor Ausbruch des Krieges erstmals für ganz Österreich gesetzlich geregelten Ausbildung der Krankenpflegerinnen. Diese Regelung, so Hammer-Luza, dürfte bereits in Hinblick auf „künftige kriegerische Ereignisse erlassen“ worden sein.23 Die ersten Mitteilungen in Bezug auf die Kriegsdienstleistungen der Frauen liegen ab August 1914 vor. Die Tagespost berichtete über die Gründung des Frauenhilfsausschusses.24 Dieser nahm unmittelbar nach Kriegsbeginn unter der Patronanz der Frau „Statthalter [sic!], Franziska Gräfin von Clary und Aldringen“ seine Arbeiten auf.25 Damit folgten die steirischen Bürgerinnen dem Aufruf der damaligen Vorsitzenden des Bundes österreichischer Frauen, Marianne Hainisch, den sie einen Tag vor der Kriegserklärung Österreichs an Serbien „An Österreichs Frauen“ tätigte und in dem sie zu Hilfsleistungen aufrief.26 Zu den Tätigkeiten des Frauenhilfsausschusses zählte z. B. das Anfertigen von warmer Wäsche und gestrickten Ausrüstungsartikeln für das Dritte Korps, das von der Steiermark gestellt und an die Ostfront geschickt worden war.27 Der Frauenhilfsausschuss versorgte außerdem sechs öffentliche Spitäler und die freiwillige Sanitätsabteilung Graz des Roten Kreuzes mit 7.311 Stück Wäsche, Kissen, „Kotzen“ (Decken) und sonstigen Ausrüstungsgegenständen. Außerdem fertigte man für 15 Spitäler und die Bahnhoflabestelle ungefähr 2.700 Gläser Fruchtsäfte und Kompotte an.28 Einen wesentlichen Aufgabenbereich bildeten die Näharbeiten. Sie wurden nicht nur von freiwilligen Helferinnen getätigt, sondern auch von bezahlten Näherinnen. Auf diese Weise erhielten einige wenige Frauen (wieder) eine Verdienstmöglichkeit, was damals – angesichts der großen Arbeitslosigkeit – von wesentlicher Bedeutung war.29 Von der Arbeitslosigkeit waren in erster Linie die sozialdemokratischen Frauen betroffen, weshalb man im Arbeiterwillen bereits am 1. August auf das Komitee verwies, das der Allgemeine deutsche Frauenverein mit dem Zweck gegründet hatte, weibliche Arbeitskräfte zu vermitteln. Man forderte die Arbeiterinnen auf, sich dort zu melden.30

22 Hammer-Luza, „An den Schmerzenslagern unserer verwundeten Krieger.“, 174. 23 Ebd. 24 Allgemeine Frauenhilfsstelle in der Burg, in: Tagespost, 25. September 1914, 5. Sylvia Glowacki, Kriegshilfsaktionen der Grazer Frauen, in: Almanach des Kriegsjahres 1914/15 der patriotischen Frauen Österreichs, hrsg. zu Gunsten des Witwen- und Waisenhilfsfonds für die gesamte bewaffnete Macht, Wien (o.J.), 33. 25 Allgemeine Frauenhilfsstelle in der Burg, in: Tagespost, 25. September 1914, Morgenblatt, 5. 26 Marianne Hainisch, Frauen Österreichs!, in: Der Bund. Zentralblatt des Bundes österreichischer Frauenvereine, 9, 8/1914, 3. 27 Steiermark, in: Neues Frauenleben 16, 11/1914, 258. 28 Allgemeine Frauenhilfsstelle in der Burg, in: Tagespost, 25. September 1914, Morgenblatt, 5. 29 Ebd. 30 Rubrik: Grazer Lokalnachrichten, Arbeitshilfskorps des Allgemeinen deutschen Frauenvereins, in: Arbeiterwille, 1. August 1914, 4.

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Am 12. August 1914 erfolgte die Gründung eines Arbeiterhilfskorps, um die Arbeiterschaft für Kriegsdienstleistungen zu organisieren. In dessen Statuten findet man in Artikel X die Nennung eines Frauenarbeiterhilfskorps. Dieses kann man durchaus als sozialdemokratisches Pendant zum Frauenhilfsausschuss bezeichnen. Neben den Hilfsleistungen, die Männer und Frauen zu gleichen Teilen zu leisten hatten, führte man zusätzliche Hilfsleistungen an, die Frauen kraft des Frau-Seins zusätzlich erbringen mussten wie etwa Kranken- und Wochenbettpflege, Kinderfürsorge oder öffentliche Armen- und Waisenfürsorge.31 Bereits ab Kriegsbeginn bis ca. Mitte 1915 gab es Aufrufe, die Soldaten mit Liebesgaben zu versorgen. Mit diesem offenen Appell an die Opferbereitschaft von Frauen, an die weibliche Liebe und Fürsorge versuchte man, Heimat und Front über Ausweitung der „familiären Bande zwischen Mutter und Sohn, Vater und Tochter, Ehefrau und Ehemann, Bruder und Schwester“32 zu verbinden. Als Liebesgaben, die Frauen und Kinder als Ausdruck ihres Dankes für die Kampfbereitschaft der Männer anfertigten, galten Wäsche und Bekleidungsstücke, Tabakwaren, ToiletteArtikel, Briefpapier, Notizblöcke etc.33 Die Sammeltätigkeit im Sinne der Liebesgaben beschränkte sich nicht nur auf den Frauenhilfsausschuss oder auf einzelne Frauenvereine, sondern auch Einzelpersonen traten als InitiatorInnen auf. So berichtete die Tagespost über Gräfin Anna Wels-Colloredo, Gemahlin des Bezirkshauptmanns von Parenzo (Poreč/Kroatien), die seit Ausbruch des Krieges eine große Spendenaktion leitete.34 Im Zusammenhang mit der Herstellung von Liebesgaben soll nicht unerwähnt bleiben, dass man dazu auch Kinder heranzog, die darüber hinaus auch Ziel der Kriegspropaganda waren.35 In Hinblick auf die Zigarettenspenden, zu denen vor allem in den ersten beiden Kriegsjahren angeregt wurde, sei auf einen „Aufruf an die Frauen und Mädchen in Graz“ aus dem Jahr 1916 hingewiesen. Darin appellierte man an die Frauen, das Zigarettenrauchen, das für Frauen „etwas Gewohnheit, etwas Spielerei, vielleicht auch etwas Koketterie, sonst nichts sei“36, zugunsten der Soldaten aufzugeben: Für diese sei das Zigarettenrauchen „ein unerläßliches Genußmittel, vollends heute, da jeder Mann, in welchem Berufe er auch immer stehen mag, eine erhöhte Leistungsfähigkeit bekunden muss.“37

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An die Arbeiterschaft, in: Arbeiterwille, 12. August 1914, 2. Vgl. Hämmerle, Heimat/Front, 141. Liebesgaben für die Truppen im Felde, in: Tagespost, 23. Mai 1915, Morgenblatt, 24. Rubrik: Aus den Nachbarländern, in: Tagespost, 26. April 1916, Morgenblatt, 4. Vgl. Franz Mittermüller, Kinder, Kindheit und Propaganda im Ersten Weltkrieg – eine Spurensuche, in: Riegler (Hg.), „Ihr lebt in einer großen Zeit, …“, 145–170. 36 Offene Sprechstelle. Aufruf an die Frauen und Mädchen in Graz!, in: Tagespost, 26. April 1916, o. S. 37 Ebd.

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Die Sendung von Liebesgaben blieb nicht unvergolten: So erhielt das steirische Kriegsfürsorgeamt des k.u.k. Kriegsministeriums viele Dankesschreiben für die Weihnachts-Liebesgabensammlung aus dem Jahr 1915.38 Unter den Persönlichkeiten, die im Namen der Soldaten des Dritten Korps den Dank aussprachen, befanden sich Feldmarschall Erzherzog Friedrich, der Chef des Generalstabes Conrad von Hötzendorf und Ministerpräsident Karl Graf Stürgkh: „Die Gewißheit, dass die Lieben in der Heimat der draußen zum Schutze des Vaterlandes schwer kämpfenden Soldaten gedenken und ihnen liebe, schätzbare Gaben widmen, wird den braven Kriegern des Korps ein erneuter Ansporn in ihrer eisernen, nie erlahmenden Ausdauer sein.“39

Die Arbeiterinnen hießen die Tätigkeiten des Frauenhilfsausschusses gut, konnten sich jedoch nicht an den Spendenaufrufen oder dem Anfertigen von Liebesgaben beteiligen mit der Begründung: „Wir, die proletarischen Frauen, müssen uns dies leider versagen, da wir nur wieder zu unseren Frauen, zu den Allerärmsten gehen müssen. Wir wagen es nicht von einer Familie, die selbst in Not und Elend geraten ist, Almosen für noch Ärmere zu verlangen.“ 40

Ihre Kriegsleistung erstreckte sich in erster Linie auf die Aufrechterhaltung der Organisation, also der sozialdemokratischen Partei: „Parteigenossinnen! Gegenwärtig ist in Österreich der Ausnahmezustand, alle Rechte der Völker sind beschränkt, wir müssen unser Leben nun danach einrichten. Das Vereins- und Versammlungsrecht ist aufgehoben, Rede- und Pressefreiheit ist eingeschränkt und gerade deshalb müssen wir trachten, unsere Organisation zu erhalten, gerade in dieser Zeit müssen wir beweisen, dass wir empfinden, wie sehr wir zusammenstehen müssen.“41

Die Organisation bot Hilfe und Unterstützung, Trost und Hoffnung für die Arbeitenden; so erschienen während der Kriegszeit laufend Meldungen aus der Frauenbewegung, in welchen nicht nur über neue Vereinsgründungen berichtet wurde, sondern auch über einen Zuwachs an neuen Mitgliedern. Die Arbeit in der politischen Organisation war der Arbeit in den Fabriken etc. gleichgestellt und zählte wohl auch zu den Kriegsdienstleistungen.42 Einen wesentlichen Bereich der Berichterstattung in der Tagespost nahm die Ernährung ein. Bereits am 1. August 1914 forderte man die Hausfrauen „dringend“ auf, „derzeit vorwiegend jene Lebensmittel zu verwenden, die für die Verpflegung des Heeres nur in geringen Mengen nötig sind.“43 Ab dem Frühjahr 1915 gehörten Berichte über die Einschränkung und Rationierung von Fleisch- und Fettverbrauch, des Brot-, Mehl- und Milchverkaufs etc. genauso zu den alltäglichen Meldungen

38 Rubrik: Grazer und Tagesnachrichten, Der Dank der Armee, in: Tagespost, 16. Jänner 1916, Morgenblatt, 9. 39 Ebd. 40 Arbeiterfrauen, Arbeiterinnen und Parteigenossinnen, in: Arbeiterwille, 13. August 1914, 4. 41 Ebd. 42 Ebd. 43 An die Hausfrauen von Graz! in: Tagespost, 1. August 1914, Morgenblatt, 15.

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wie jene über die Front. Als Gegenmaßnahme organisierte der Frauenhilfsausschuss ab Anfang April 1915 eine Ausspeiseaktion.44 Als Begleitmaßnahme begann der Frauenhilfsausschuss mit Vorträgen in den steirischen Bezirken z. B. über Gemüseanbau, wozu man die Heimgärten verwenden sollte45, über die Kriegsküche, die Verwertung von Küchen- und Wirtschaftsabfällen oder hielt Kriegskochkurse in der gesamten Steiermark ab. Einige Mitglieder des Frauenhilfsausschusses unternahmen im Frühjahr 1915 sogar eine Studienreise nach Berlin und Dresden, um Möglichkeiten der Beschaffung billigerer Lebensmittel und die Verabreichung der billigen Mittagsküche zu studieren.46 Mit der Vortragstätigkeit über die Kriegsküche waren meistens auch Vorträge über „Sparen und Durchhalten“ verbunden47, was einen Journalisten dazu verleitete, eine „Medaille für das Durchhalten“ für die Frauen zu fordern.48 Im Arbeiterwillen zählte man die Versorgung der Familie zur Kriegsleistung aller Frauen, doch erschienen die eben aufgezählten Maßnahmen des Frauenhilfsausschusses wie das Publizieren von Kriegskochbüchern den Arbeiterinnen geradezu lächerlich. Folgende Aussage entbehrt nicht eines gewissen Zynismus: „Die Behörden und bürgerlichen Frauenvereine meinen zwar, den Minderbemittelten und Arbeiterfrauen entgegenzukommen, wenn sie Merkblätter und Kriegskochbücher herausgeben. Die Absicht ist ja löblich, aber wenn sich diese Kochbücher im Druck befinden, haben sie viele Kochrezepte überlebt. Was nützt das beste Kochbuch, wenn die Eier, Bohnen, Kraut, Milch nicht zu kaufen sind, weil sie durch Knappheit einen unerschwinglichen Preis erlangen[.]“49

Und schließlich: „Die Arbeiterfrauen kochen weiter in ihrem Sparsystem, weil sie nicht die Mittel haben, nach diesen Kriegskochbüchern zu kochen.“50 Hier prallen wohl die Gegensätze zwischen bürgerlicher und sozialdemokratischer Lebenswelt aufeinander! Hinsichtlich der allgemeinen Versorgungslage in der Steiermark, die vom Wirtschaftsraum der Gesamtmonarchie abhängig war, sei angemerkt, dass bereits am 8. Juni 1916 500 bis 600 Frauen vor allem von Staatsbahnbediensteten vor der Bezirkshauptmannschaft Leoben demonstrierten und nicht nur höhere Löhne (für die

44 Rubrik: Grazer und Tagesnachrichten, Die Ausspeiseaktion des Steiermärkischen Frauenhilfsausschusses, in: Tagespost, 15. April 1915, Morgenblatt, 7–8. 45 Rubrik: Grazer und Tagesnachrichten, Vortrag über Gemüseanbau, in: Tagespost, 21. April 1915, Morgenblatt, 8. 46 Rubrik: Grazer und Tagesnachrichten, Steiermärkischer Frauenhilfsausschuss, in: Tagespost, 28. April 1915, Mittagsblatt, 4. 47 Vgl. etwa Rubrik: Grazer und Tagesnachrichten, Voitsberg, Kriegskochkurs oder Rottenmann, Kriegskochkurs, in: Tagespost, 7. Mai 1915, Morgenblatt, 8. 48 Unsere Frauen, in: Tagespost, 8. Dezember 1916, Morgenblatt, 5. 49 Rubrik: Grazer Lokalnachrichten, in: Arbeiterwille, 4. April 1915, 2. 50 Rubrik: Frauenbewegung, Wie wir jetzt leben. Zwei Grazer Haushaltungsrechnungen, in: Arbeiterwille, 25. April, 9.

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Männer) forderten, sondern auch die Freigabe von Polenta (Mais) und Rollgerste.51 Die ersten Mehldemonstrationen setzten Ende September 1916 ein, Demonstranten waren in erster Linie Frauen, teilweise gemeinsam mit ihren Kindern. Einige waren derart radikal, dass ihnen nur mit Waffengewalt Einhalt geboten werden konnte. In Graz häuften sich die Lebensmittelunruhen im Laufe des Jahres 1917 und wurden vor allem von den Arbeiterinnen getragen, zumal sie sich gegen eine Bevorzugung der Offiziers- und Beamtenfamilien richteten.52 Aber nicht der Versorgung galt das Hauptaugenmerk der Berichterstattung im Arbeiterwillen, sondern ab Juni 1915 im zunehmenden Maße dem ungeheuren Anwachsen der Frauenarbeit, verbunden mit der Sorge, es könne in der Öffentlichkeit ein falsches Bild entstehen: „Je größer die Schar der Frauen wird, die für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen muss, desto mehr finden wir, dass ihre Leistung in der Presse eine andere Wertung erfährt. Dabei gehen die Schriftsteller allerdings vielfach von ganz falschen Voraussetzungen aus. Sie schieben dem weiblichen Geschlecht Motive unter, die tatsächlich gar nicht existieren. Sie verschließen künstlich die Augen davor, dass einfach die bittere Not die Frauen zur Arbeit zwingt. Dadurch schädigen sie wahrscheinlich, ohne es zu wollen, die weiblichen Arbeitssuchenden, denn sie bestärken die breite Öffentlichkeit in dem Glauben, dass die Frauen nicht aus materiellen Gründen, sondern aus Patriotismus in die Reihe der Arbeiterinnen hineintreten und dass ihnen die Höhe des Lohnes deshalb verhältnismäßig gleichgültig ist.“53

Ab diesem Zeitpunkt begannen erste Überlegungen, im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit der Frauen, an die Zeit nach dem Krieg zu denken. Dem Artikel mit dem Titel Kriegsheldinnen? im Arbeiterwillen entnimmt man die Sorge, dass Frauen, da sie weniger als die Männer verdienten, zur Konkurrenz der Männer und somit zu Lohndrückern würden. Es bedeute schwere Überzeugungsarbeit, dass Frauen nicht aus Gier oder aus Sehnsucht nach Selbstständigkeit und Ungebundenheit Geld verdienen wollten, sondern aus der bitteren Not heraus und aus Patriotismus, so die Bestandsaufnahme.54 Um sich ein Bild von der arbeitenden Frau zu machen, seien hier einige Zahlen wiedergegeben: In der Steiermark waren im Juni 1914 1.676 Frauen in 29 Betrieben beschäftigt, im Oktober 1916 3.430 Frauen in 27 Betrieben. Im Jahr 1917 beschäftigte die Alpine Montangesellschaft 400 Arbeiterinnen; sie arbeiteten in den Stahlwerken in Zwölf-Stunden-Schichten, am Hochofen teilweise in 18-Stunden-Schichten, mit einer Stunde Pause. Im Hüttenbetrieb wurden ihnen leichtere Arbeiten zugeteilt, z. B. an den Drehbänken, Hebeln, Bohrund Fräsmaschinen. Am steirischen Erzberg waren 300 Frauen beschäftigt, davon 160 unter Tage. Frauen erhielten zwar den gleichen Lohn wie die Männer, doch

51 Franz Christian Weber, „Wir wollen nicht hilflos zu Grunde gehen!“ Zur Ernährungskrise der Steiermark im Ersten Weltkrieg und ihren politisch-sozialen Auswirkungen, in: Blätter für Heimatkunde 74/2000, 96–131, 117. 52 Ebd. 53 Kriegsheldinnen?, in: Arbeiterwille, 18. Juni 1915, 18. 54 Ebd.

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keine Teuerungszulage und mussten zusätzlich, wenn sie nach Hause kamen, die Hausarbeit und Kindererziehung bewerkstelligen.55 Während die Berufstätigkeit zum Alltag der Arbeiterinnen gehörte, wurden erst durch den Krieg die bürgerlichen Frauen allmählich in den Arbeitsprozess eingebunden. Neben den Haus- und Erziehungsarbeiten, dem Spenden und Sammeln, zog man sie kontinuierlich zu Arbeiten im öffentlichen Dienst heran, die zuvor Männer verrichtet hatten. So erfolgte bereits im Frühjahr 1916 ein Erlass des Eisenbahnministeriums über die „versuchsweise Verwendung weiblicher Kräfte im Eisenbahnfahrdienste während der Kriegsdauer“.56 Allerdings blieb der Einsatz weiblicher Hilfskräfte vorläufig auf den Fahrkartenrevisionsdienst bei den Lokalpersonenzügen beschränkt sowie auf jene Personenzüge, die auf Teilstrecken der Hauptlinien oder auf Seitenlinien verkehrten. Bei der Aufnahme instruierte man die Frauen ausdrücklich, dass ihre Verwendung nur für die Zeit des Bedarfs und für die Dauer des Krieges beabsichtigt sei.57 Neben der Tätigkeit bei der Eisenbahn fanden Frauen schon früher eine Anstellung bei den Straßenbahnen als Schaffnerinnen. So erschien im September 1915 in der Tagespost ein Bericht über die bestens bewährten Straßenbahnschaffnerinnen in Linz.58 Deshalb plante die dortige Direktion der Straßenbahngesellschaft versuchsweise den Einsatz von Frauen als Straßenbahnlenkerinnen und hatte bereits sechs theoretisch geschulte Mädchen zu den ersten Probefahrten zugelassen.59 Aus einem Feuilleton in der Tagespost vom September 1916 geht hervor, dass die Schaffnerin bereits zu diesem Zeitpunkt zum gewohnten Bild einer Großstadt gehörte.60 Ein Kommuniqué der Heeresleitung vom 1. Dezember 1915 erschien in der Tagespost unter dem Titel Die Mobilisierung der Frauen für die Heeresarbeit.61 Wieder appellierte man an die patriotische Opferbereitschaft und die moralische Verpflichtung der Frauen und argumentierte geschickt, dass die Verwendung von Frauen mehrfache Vorteile biete wie etwa die Steigerung der Leistungsfähigkeit der für die Wehrmacht tätigen Fabriken durch Anstellung zahlreicher weiblicher Arbeiter. Der Appell verfolgte jedoch einen eindeutigen Zweck – die Gewinnung von Männern für die Front:62 „Dass nicht nur der einfache Arbeiter von der Arbeiterin abgelöst werden soll, sondern dass auch manche industriellen Beamten von unserer intelligenten Frauenwelt ersetzt werden können, wodurch die Armee zahlreiche Offiziere gewänne, ist selbstverständlich. Dies gilt übrigens nicht allein für die Industrie, sondern für jede anderen Berufe, in denen heute noch so mancher

55 Die Frauenarbeit im Krieg, in: Arbeiterwille, 25. März 1917, 7. 56 Verwendung von Frauen im Eisenbahndienst, in: Tagespost, 23. April 1916, Morgenblatt, 13. 57 Vgl. dazu allgemein Anita Prettenthaler-Ziegerhofer, … sag mir, wo die Frauen sind … Gedanken zur Geschichte der Eisenbahnerinnen anlässlich des Jubiläums „150 Jahre Südbahn“, in: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 37/2007, 223–239. 58 Weibliche Motorführer in Linz, in: Tagespost, 21. September 1915, o.S. 59 Ebd. 60 R. Adelsberger, Die brave Schaffnerin, in: Tagespost, 10. September 1916, Morgenblatt, 3. 61 Die Mobilisierung der Frauen für Heeresarbeit, in: Tagespost, 11. Dezember 1915, Morgenblatt, 9. 62 Ebd.

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kriegstüchtige und felddiensttaugliche jüngere Mann an den Schreibtisch gebunden ist, obschon ein gescheites Mädchen während des Krieges dort schalten und walten könnte.“ 63

Der Autor gelangte zur Erkenntnis, dass „die Verwendbarkeit der Frauen im praktischen Leben eines der großen Erkenntnisse dieses Krieges [ist]. Wo man das Weib auch hinstellte, hatte es entsprochen. (…) Die männlichen Kollegen aber sehen mit Achtung auf diese tüchtigen Arbeiterinnen. Ja es hat sich vielfach eine erfreuliche Art von Wettbewerb aus diesem Nebeneinander von Mann und Frau ergeben. Kein Zweifel, die für das Heer arbeitende Frau ist der Soldat des Hinterlandes.“ 64

Der Verfasser dieses Beitrages verfolgte die Intention, die Frauen „ganz zu Soldaten des Hinterlandes“ zu machen, weshalb er Frauenvereine und Beratungsstellen aufforderte, Frauen zur vermehrten Anstellung zu motivieren: „So manche Mutter, die vormittags ihre Kinder betreut, könnte nachmittags, wo sie ihre Familie, sei es bei Verwandten, sei es in Kindergärten und dgl. beaufsichtigt weiß, industrielle oder sonstige Halbtagsarbeit leisten und dadurch zur Verbesserung ihrer und ihrer Familie Lebensführung beitragen.“65

Um den Frauen die Arbeit „schmackhaft“ zu machen, wies er auf die Folgen der Frauenmobilisierung im kommenden Frieden hin. Fest stand für ihn, dass die Verdrängung des Mannes nicht zulässig sei, man sich aber auf eine Steigerung des wirtschaftlichen Lebens gefasst machen müsse.66 Der Arbeiterwille konnotierte mit der Frauenarbeit die politische Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitszeit und erörterte die Problematik, dass durch schwere Arbeit nicht nur die Gesundheit arbeitender Frauen, sondern auch die ihrer Kinder bedroht sei. Im April 1916 verknüpfte der Arbeiterwille die Arbeit der Frauen in den ihnen zugewiesenen Männerberufen, die „drehen, feilen, hämmern und hobeln, schuhwerken und ackern …“67, mit dem Frauenwahlrechts-Postulat: „Was muss eine Frau empfinden, wenn sie zusehen muss, wie etwa ein simpler Kastanienbrater, der weder schreiben noch lesen kann, das Wahlrecht ausüben darf und sie nicht!“68 Die Forderung nach dem aktiven und passiven Wahlrecht rechtfertigte man damit, dass sich die zukünftige Gesetzgebung mit Arbeiterinnen-, Mutter-, Kinderschutz sowie Witwen- und Waisenversorgung zu beschäftigen haben würde. Die Werbung um die Arbeitskraft der Frauen erhielt im September 1917 eine weitere Dimension, als man „weibliche Hilfskräfte des Heeres im Feld“69 suchte. Man wollte das „lächerliche“ Vorurteil aus der Welt schaffen, Frauen könnten nicht an der Seite der Männer in Kasernen arbeiten – im Gegenteil, sie könnten ihren

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Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ehret die Frauen…, in: Arbeiterwille, 2. April 1916, 1–2. Ebd. Die weiblichen Hilfskräfte des Heeres, in: Tagespost, 16. September 1917, Morgenblatt, 10.

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Beruf zu den gleichen Konditionen ausüben wie die Männer!70 Da dieser Aufruf erfolgreich war, verbesserte die Heeresverwaltung die Anstellungsbedingungen.71 Im April 1918 verkündete Generaloberst Freiherr Samuel von Hazai (1851–1942), „Chef des Ersatzwesens“, auf der ersten Frauenkonferenz, die in Wien am 19. April stattfand, dass bereits 30.000 weibliche Hilfskräfte für einen Monatslohn von 200 Kronen im Feld dienten.72 Um diesen Frauen auch die Sicherheit zu bieten „daß ihre weibliche Eigenart volle Rücksicht finde“ schuf man die Stelle einer Fraueninspektorin und eine Frauenschutzkommission. Da aufgrund der im Krieg gemachten Erfahrungen die Frauenarbeit nun allgemeine Anerkennung fand, könnten jetzt die Frauen nicht nur für sich das Recht auf Arbeit ableiten, „sondern auch auf wirkliche Staatsbürgerschaft.“73 Diese Ansage wies bereits in Richtung Einführung des Frauenwahlrechts! Die Tagespost erörterte im Herbst 1918 die Frage, wie man nach Kriegsende die Frauen in ihre „angestammte“ Rolle als Hausfrau und Mutter reintegrieren könne: Eine – versteckte – Möglichkeit, Frauen von der Berufstätigkeit fern zu halten, bot die Schaffung einer Berufsberatung für Frauen. 74 Diese sei notwendig, zumal „Umwälzungen auf dem weiblichen Arbeitsmarkt nicht ohne verderbliche Folgen“ blieben: „Viele Frauen haben sich einem schädlichen Berufswechsel unterzogen, viele durch augenblicklich bessere Bezahlung. […] Dieses wahllose Zuströmen zu vorübergehend ungeeigneten Posten wird verderbliche Wirkungen zeigen.“75

Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, erfolgte die Errichtung einer Berufsberatungsstelle beim steirischen Arbeitsausweis in der Hofgasse 14 in Graz. Hier sollte Frauen jener Beruf zugewiesen werden, zu dem sie „nach geistiger und körperlicher Veranlagung am meisten“76 geeignet erschienen. Die Berufsberatungsstelle kann man durchaus als Versuch der Re-Etablierung traditioneller Geschlechterverhältnisse ansehen, immerhin hatte man die Jahre zuvor Frauen „bedenkenlos“ Männerberufe ausüben lassen. Der Erste Weltkrieg bedeutete – wie bereits einleitend angedeutet – den Anstoß für eine rechtliche Gleichstellung von Männern und Frauen. So erfolgte die erste von insgesamt drei (Kriegs-) Novellen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) im Jahr 1914, derzufolge Frauen eine Teilerbfähigkeit, die Testierfä-

70 Ebd. 71 Anstellung weiblicher Hilfskräfte bei der Armee im Felde, in: Tagespost, 31. Oktober 1917, Abendblatt, 2. 72 Die Frauenarbeit im Krieg, in: Tagespost, 20. April 1918, Morgenblatt, 4. 73 Ebd. 74 Rubrik: Grazer und Tagesnachrichten, Einführung der Berufsberatung für Frauen beim Steirischen Arbeitsnachweis, in: Tagespost, 11. September 1918, Abendblatt, 3. 75 Ebd. 76 Ebd.

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higkeit und die Vormundschaft über die ehelichen (!) und über fremde Kinder zuerkannt wurde.77 Der Arbeiterwille ging einen Schritt weiter und forderte eine vollständige Reform der rechtlichen Stellung unehelicher Kinder, die von ihren Vätern anerkannt werden sollten. Dazu verlangte die Zeitung auch, ledigen Müttern gesellschaftliche Anerkennung zukommen zu lassen.78 Das neue Vormundschaftsrecht musste umgesetzt werden, weshalb nicht nur in Graz, sondern auch in den steirischen Bezirken Informationsabende abgehalten wurden bzw. in der Zentrale des Frauenhilfsausschusses in der Albrechtgasse die Errichtung einer diesbezüglichen Anlaufstelle erfolgte.79 Nicht nur die bürgerlichen Frauen wurden in diese neue Rechtslage instruiert, sondern auch die Arbeiterinnen. Dieser konkreten rechtlichen Gleichstellung folgte eine weitere Gleichstellung, ebenfalls aus der Not heraus und nur für die Kriegszeit, und zwar im Versicherungswesen, bei der Waisen- und Witwenrente sowie hinsichtlich des Unterhaltsbeitrags. Als weiteres Resultat des Ersten Weltkrieges erfolgte die Einführung des Frauenwahlrechts mittels Gesetz vom 12. November 1918.80 Wenngleich auf der Bundesebene die Frauen bereits in der zweiten Hälfte des Krieges über die Einführung des Frauenwahlrechts diskutierten, erfolgte die diesbezügliche Berichterstattung in der Tagespost erst einen Tag nach Verlautbarung des Frauenwahlrechts. Der Arbeiterwille thematisierte das Frauenwahlrecht bereits ab 1916! Der Berichterstattung der Tagespost entnimmt man, dass die Frauen nun würdige Trägerinnen dieses Rechts und dieser Pflicht seien, da sie sich als „Soldaten des Hinterlandes“ verdient gemacht hätten. Darüber hinaus wurde ihnen in Art. 7 Bundesverfassungsgesetz die „Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz ohne Ausnahme des Geschlechts (…)“81 garantiert, was allerdings nur im Sinne der Rechtsanwendungsgleichheit interpretiert werden kann. III. Ausblick Die steirischen Frauen hielten die Heimatfront aufrecht, indem sie ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten aus Patriotismus dem Vaterland zur Verfügung stellten. Aufgrund dieser Leistungen konnten sie die ihnen vermeintlich fehlende Wehrhaftigkeit kompensieren, die bis dato dem Gesetzgeber als Legitimation diente, Frauen von der Staatsbürgerpflicht, bzw. dem Staatsbürgerrecht – dem aktiven und passiven Wahlrecht – fernzuhalten. Das Wahlrecht sowie die oben genannten normativen Regelungen zählten wohl zu den wesentlichen Errungenschaften für die Frauen nach

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§ 193ff. ABGB. Elfriede Friede: Wir unehelichen Mütter, in: Arbeiterwille, 8. August 1917, 5. Rubrik: Vereinsnachrichten, Allgemeiner deutscher Frauenverein, in: Tagespost, 21. Mai 1915. Vgl. Brigitta Bader-Zaar, Wahlrecht. Die Gründung der Republik und der Grundsatz des „allgemein, gleichen, direkten und geheimen Stimmrechts aller Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts“, in: Stefan Karner / Lorenz Mikoletzky (Hgg.), Österreich. 90 Jahre Republik. Beitragsband zur Ausstellung im Parlament, Innsbruck 2008, 25–34. 81 Art. 7 BV-G.

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dem Ersten Weltkrieg. Schon am 30. Mai 1917, als das Abgeordnetenhaus wieder eröffnet wurde, forderte der sozialdemokratische Abgeordnete Karl Seitz die volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Frauen. Es war ihm wichtig zu betonen, dass das Wahlrecht keine „Entschädigung für die Kriegsleiden“ bedeute, „sondern der tatsächlichen Leistungen wegen, die alle Frauen in dieser schweren Zeit vollbracht haben, und weil die Mitarbeit der Frauen an den Aufgaben der Verwaltung sich als dringende Notwendigkeit für das Gemeinwohl erwiesen habe.“82 In seiner historischen Sitzung vom 6. November 1918 beschloss der provisorische Steiermärkische Landtag, dass das Herzogtum Steiermark in seiner Gesamtheit als „Bundesland Steiermark“ der Republik Deutsch-Österreich beitreten würde. Unter den Repräsentanten befand sich eine Frau, die Sozialdemokratin Martha Tausk.83 Sie war eine der vier Frauen, die bald darauf in den Steiermärkischen Landtag gewählt wurde. Sowohl der Frauenhilfsausschuss wie auch das Frauenarbeiterhilfskorps lösten sich nach Beendigung des Krieges so schnell auf wie sie sich anfangs gebildet hatten. Dies kann auch für die Frage der steirischen Identität angenommen werden, die im Vaterlandspatriotismus aufging. Diese Vermutung kann durch folgende Beispiele verstärkt werden: Der Diskurs im deutschnationalen, völkischen Verein „Südmark“ über die „völkische Ehe“, der seit den frühen 1890er Jahren geführt wurde, erlebte in den letzten Kriegsjahren einen neuerlichen Aufschwung. Man diskutierte die „Notwendigkeit völkischer Ehen“ vor allem für die hinterbliebenen Kriegerwitwen von „deutschen“ Unternehmern und Geschäftsleuten.84 Interessant wäre die Klärung der Frage, wie sich die deutschnational-völkisch gesinnten Steirerinnen hinsichtlich der Abtretung der „Untersteiermark“ an dem im Entstehen begriffenen SHS-Staat verhielten. Während diese Frage für die Steiermark noch erforscht werden muss, liegen für Kärnten Ergebnisse vor; die Frauen entschieden gemeinsam mit den Männern in einer Volksabstimmung über den neuen Grenzverlauf.85 Im Sinne des nationalen Patriotismus sind auch die Vorkehrungen im Umgang mit den „Fremden“ zu deuten: Diese waren notwendig geworden, als die ersten russischen Kriegsgefangenen Ende Oktober 1914 am Bahnhof in Knittelfeld in der

82 Gabriella Hauch, Vom Frauenstandpunkt aus. Frauen im Parlament 1919–1933, Wien 1995, 61. 83 Brigitte Dorfer, Die Lebensreise der Martha Tausk, Graz 2008. 84 Vgl. Heidrun Zettelbauer, Imaginierte Körper. Geschlecht und Nation im deutschnational-völkischen Verein Südmark 1894–1918, in: Johanna Gehmacher / Gabriella Hauch / Maria Mesner (Hgg.), Bodies/Politics, Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 15, 1/2004, 9–35, 28. 85 Tina Bahovec, grenzraum.frauen – frauenraum.grenzen, in: Dies. (Hg.) frauen.männer Universitäten, Universitá, Univerze, Klagenfurt Koper Ljubljana Maribor Trieste Udine, Klagenfurt 2007, 59–80, 59. Hierbei handelte es sich um die Volksabstimmung am 10. Oktober 1920 über die Zugehörigkeit von Südkärnten zur Republik Deutsch-Österreich oder zum SHS-Staat.

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Obersteiermark ankamen, wo sich ein großes Kriegsgefangenenlager befand.86 Man versuchte, den Kontakt der Kriegsgefangenen zur einheimischen weiblichen Bevölkerung zu unterbinden, intime Beziehungen von Mädchen und Frauen mit den Kriegsgefangenen wertete man als Schande und Verrat am Vaterland und wurden mit schwerer Strafe belegt.87 Diese Vorgehensweise begründete man mit der Verpflichtung der Behörden, „reine Volksstämme“ erhalten zu wollen und mit der Einhaltung des Grundsatzes: „Feind bleibt Feind, auch in der Kriegsgefangenschaft. Darnach [sic!] hat jeder deutsche Volksgenosse zu handeln.“88 In der Realität dürfte das Verbot der Kontaktaufnahme wohl nicht durchführbar gewesen sein, da der Großteil der Kriegsgefangenen in der Landwirtschaft eingesetzt wurde (1916 und 1917 betrug der Anteil 64,49 Prozent) und die Frauen gemeinsam mit den Kriegsgefangenen Arbeiten verrichten mussten.89 Gegen Ende des Krieges besann man sich, offenbar aus pragmatischen Überlegungen, der steirischen Identität: Anlässlich des bevorstehenden Geburtstages von Kaiser Karl am 17. August 1917 appellierte man an die „Steirer und Steirerinnen“, zu spenden: „Unser steirisches Heimatland hat fürwahr in dieser Kriegszeit eine Gebefreudigkeit an den Tag gelegt, die ohnegleichen ist, und es wird daher auch zur Kaiser-Geburtstagsfeier 1917 nicht zurückbleiben wollen (…) So rufen wir denn alle die getreuen Steirer und gemütreichen Steirerinnen auf, aus ihren besten Kräften an der allgemeinen Sammlung am 17. August 1917 werktätig teilzunehmen, damit sich auch diese Veranstaltung heimatlicher Fürsorgebestrebung ebenbürtig den glanzvollen Äußerungen der steirischen Volksseele aus früheren Kriegsjahren anreihe.“90

Und im selben Jahr erfolgte abermals ein Aufruf an die Steirer und Steirerinnen durch Ottokar Kernstock – es ging darum, die 7. Kriegsanleihe zu zeichnen.91 Während die Männer aus dem Krieg als Helden heimkehrten, gedachte man der Leistungen der Frauen sowohl an der Front als auch an der Heimatfront mit keinen Worten. Die Frau blieb dem weiblichen Tugendkatalog entsprechend als stille Dulderin im Hintergrund und empfand sich qua Frau-Sein als selbstverständliche Repräsentantin der „Heimatfront“.92 Ihre Kriegsdienstleistungen wurden aus einer gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit jenen der Männer untergeordnet und für lange Zeit oder überhaupt nie für würdigungswert erachtet. Prof. Dr. Anita Ziegerhofer, Graz 86 Anita Prettenthaler-Ziegerhofer, Eine Ära geht zu Ende. Streiflichter aus dem Leben des Gewerken Otto Zeilinger, in: ARGE Knittelfeld (Hg.): Geschlossene Gesellschaft. Der weite Weg vom Gefangenenlager zur Knittelfelder Neustadt, Knittelfeld 2009, 40–47. 87 Elisabeth Schöggl-Ernst, Der Feind im eigenen Land. Kriegsgefangene in der Steiermark, in: Riegler (Hg.), „Ihr lebt in einer großen Zeit, …“, 127–144, 133. 88 Ebd., 134. 89 Ebd., 136–137. 90 Steirer! Steierinnen!, in: Tagespost, 22. Juli 1917, Morgenblatt, 12. 91 Ottokar Kernstock, Herzliebe Steirer und Steirerinnen!, in: Tagespost, 21. November 1917, Mittagsblatt, 2. 92 Hammer-Luza, „An den Schmerzenslagern unserer verwundeten Krieger“, 171.

DIE TSCHECHISCHEN SOLDATEN ÖSTERREICH-UNGARNS IM ERSTEN WELTKRIEG Richard Lein Abstract: Seit dem Jahr 1918 galt es in der deutsch-wie tschechisch-sprachigen Historiografie als Faktum, dass die militärische Niederlage der Habsburgermonarchie maßgeblich vom illoyalen Verhalten ihres tschechischen Bevölkerungsteils mitverursacht worden wäre. Ins Treffen geführt werden dabei zumeist die schlechte Kampfesleistung der aus Böhmen und Mähren stammenden Soldaten slawischer Nationalität sowie ihre wiederholte Kollaboration mit dem Gegner, allen voran der russischen Armee. Ein intensives Studium der Feldakten der k.u.k. Armee zeigt jedoch, dass die genannten Vorwürfe aus militärischer Sicht größtenteils haltlos sind und statt dessen die Handlungen hochgestellter Politiker und Militärs dafür verantwortlich waren, dass insbesondere den tschechischen Regimenter spätestens seit Kriegsbeginn mit Misstrauen begegnet wurde. Der Beitrag legt die Entwicklung der „tschechischen Frage“ in der österreichisch-ungarischen Armee zwischen 1914 und 1918 dar und versucht die Frage zu beantworten, warum die Legende des tschechischen Hochverrats so rasch Eingang in die Historiografie der Zwischenkriegszeit fand und auch später kaum noch hinterfragt wurde.

Am 5. Dezember 1917 überreichten sechs dem deutschen Nationalverband des österreichischen Reichsrats1 angehörende Abgeordnete dem k.k. Minister für Landesverteidigung eine parlamentarische Anfrage mit dem Titel „Das Verhalten der Tschechen im Weltkrieg“, in der dem tschechischen Bevölkerungsteil der Habsburgermonarchie kollektiv staatsfeindliches Verhalten unterstellt wurde.2 Einen der Hauptpunkte des 400 Seiten starken Dokuments bildete die Haltung tschechischer Offiziere und Soldaten, die beschuldigt wurden sich der Mobilisierung widersetzt, schlecht gekämpft und schließlich durch den Eintritt in gegnerische Armeen Hochverrat begangen zu haben.3 Obwohl die Urheber der Anfrage für ihre Behauptungen keine Beweise vorlegten, wurde die Thematik von den

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Zum Parlamentarismus in Österreich-Ungarn vgl. Helmut Rumpler / Peter Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. 7: Verfassung und Parlamentarismus, Wien 2000. Anfrage betreffend das Verhalten der Tschechen im Weltkriege, 5. Dezember 1917, k.k. Hofund Staatsdruckerei (Hg.), Stenographische Protokolle des Hauses der Abgeordneten des Reichsrates. XXII. Session 30. Mai 1917–12. November 1918, Wien 1920, Anfrage 1749/I; Deutschnationale Geschäftsstelle (Hg.), Das Verhalten der Tschechen im Weltkrieg. Die Anfrage der Abg. Dr. Schürff, Goll, Hartl, Knirsch, Dr. v. Langhan und K.H. Wolf im österreichischen Abgeordnetenhause, Wien 1918. Geschäftsstelle (Hg.), Verhalten, 323–347.

Die tschechischen Soldaten Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg

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Medien aufgegriffen und schon bald auch in der Öffentlichkeit diskutiert. 4 Wiewohl das Ereignis eine Schlüsselstelle in der Entstehung des Mythos der „hochverräterischen Tschechen“ Österreich-Ungarns, der von mehreren Personengruppen aus unterschiedlichen Motiven verbreitet wurde, darstellt, reichen dessen Wurzeln jedoch zum Teil noch in die Zeit vor dem Jahr 1914 zurück. Ziel dieses Beitrags ist es vor diesem Hintergrund, die Stellung der in der k.u.k. Armee Dienst tuenden Tschechen vor bzw. im Ersten Weltkrieg näher zu beleuchten und darzulegen, ab wann und vor allem aus welchem Grund seitens politischer wie militärischer Autoritäten ihre Loyalität in Zweifel gezogen wurde. 1) Die Landstreitkräfte Österreich-Ungarns Die k.u.k. Armee war vor 1918 eine multinationale Streitmacht, die sich aus Deutsch-Österreichern (Deutschen), Ungarn, Tschechen, Polen, Ukrainern, Rumänen, Slowaken, Slowenen, Italienern, Kroaten und Serben zusammensetzte. Der Aufbau der Truppenkörper war jedoch in ethnischer Hinsicht nicht homogen, viel mehr führten die überlappenden Siedlungsgebiete der einzelnen Nationalitäten5 sowie die Einteilung des Staates in 106 Ergänzungsbezirke6 dazu, dass es kaum Einheiten gab, die ausschließlich aus Mannschaftspersonen einer einzigen Sprachgruppe bestanden.7 Die Tschechen bildeten die drittgrößte Gruppe sowohl innerhalb des Staatsverbands als auch in den österreichisch-ungarischen Streitkräften, wo sie rund 13 Prozent der Soldaten stellten.8 Dabei stellten sie die Mehrheit der Soldaten in 58 (12,92 Prozent9) der insgesamt 449 Truppenkörper der k.u.k. Armee, ihr Anteil lag jedoch nur in sechs Verbänden bei über neunzig Prozent.10 In den übrigen 52 Truppenkörpern dienten sie dagegen gemeinsam mit 4

Pester Lloyd, 6. Dezember 1917; Deutsches Volksblatt, 6. Dezember 1917; Neue Freie Presse, 6. Dezember 1917; Neues Wiener Tagblatt, 23. Dezember 1917; Die Zeit, 6. Jänner 1918; Frankfurter Zeitung, 10. Jänner 1918. 5 Helmut Rumpler / Peter Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. 9/2: Soziale Strukturen. Die Gesellschaft der Habsburgermonarchie im Kartenbild. Verwaltungs-, Sozial- und Infrastrukturen. Nach dem Zensus von 1910, Wien 2010, 59–69. 6 Walter Wagner, Die k. (u.) k. Armee – Gliederung und Aufgabenstellung, in: Adam Wandruszka / Peter Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie, 1848–1918, Bd. 5: Die bewaffnete Macht, Wien 1987, 142–633, hier 492 und Karte 3. 7 István Deák, Der k.(u.)k. Offizier 1848–1918, Wien/Köln/Weimar 1995, 122; Johann C. Allmayer-Beck, Die bewaffnete Macht in Staat und Gesellschaft, in: Wandruszka / Urbanitsch (Hgg.), Bewaffnete Macht, 1–141, hier 98. 8 Deák, Offizier, 216; Hew Strachan, The First World War. Volume I: To Arms, Oxford/New York 2001, 284; Allmayer-Beck, Macht, 93; Helmut Rumpler / Anatol Schmied-Kowarzik (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. 11/2: Weltkriegsstatistik ÖsterreichUngarn 1914–1918. Bevölkerungsbewegung, Kriegstote, Kriegswirtschaft, Wien 2014, 156. 9 Maximilian Ehnl, Ergänzungsheft 9 zum Werke Österreich-Ungarns letzter Krieg. Die Österreichisch-Ungarische Landmacht nach Aufbau, Gliederung, Friedensgarnison, Einteilung und nationaler Zusammensetzung im Sommer 1914, Wien 1934. 10 Rumpler / Schmied-Kowarzik (Hgg.), Weltkriegsstatistik, 147–153.

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anderen Nationalitäten, zumeist mit Deutschen,11 die in großer Zahl in Böhmen und Mähren ansässig waren. Gleichzeitig diente eine große Zahl von Tschechen in 23 mehrheitlich deutschen Truppenverbänden,12 deren Heimatgarnison ebenfalls in den tschechischen Ländern lag. Obwohl es bis zum Jahr 1914 keinen nennenswerten Fall national motivierter Insubordination gegeben hatte, stand der k.u.k. Generalstab den Soldaten slawischer Nationalität dennoch kritisch gegenüber. Grund dafür war vor allem die von Russland ausgehende Idee des Panslawismus, der zumindest Teile der tschechischen Intelligenz positiv gegenüberstanden. Dieser Umstand wurde von den k.u.k. Militärbehörden mit Sorge betrachtet, fürchtete man doch um die Loyalität der slawischen Soldaten im Fall eines Krieges gegen Russland oder Serbien. Gänzlich grundlos war diese Angst nicht, hatten sich doch bei der Teilmobilisierung im Zuge der Balkankriege einige tschechische Reservisten Befehlen widersetzt. Obwohl dieser Vorfall die Operation nicht beeinträchtigt hatte,13 herrschte spätestens ab diesem Zeitpunkt im k.u.k. Generalstab die Sorge vor, dass sich in einem zukünftigen Krieg tschechische Soldaten weigern könnten, gegen ihre „slawischen Brüder“ zu kämpfen. Diese „Urangst“ vor einem möglichen tschechischen Verrat war jedoch nicht nur das Ergebnis der erwähnten Insubordinationen, sondern ging auch auf die Tätigkeit deutschnationaler Politiker des österreichischen Reichsrates zurück. Diese hatten sich vor dem Hintergrund des deutsch-tschechischen Nationalitätenstreits14 bereits vor dem Ersten Weltkrieg darauf verlegt, die angebliche Unzuverlässigkeit der österreichisch-ungarischen Staatsbürger tschechischer Nationalität darzulegen, um so die kaiserliche Regierung von Konzessionen an diese Bevölkerungsgruppe abzuhalten. Zu den von ihnen aufgegriffenen Fällen angeblicher Illoyalität gehörte auch ein Zwischenfall mit dem mehrheitlich aus Tschechen bestehenden Infanterieregiment (in Folge: IR) 28, dessen Soldaten im November 1905 nach einem Sicherungseinsatz in Budweis (České Budějovice) das von den Stadtobrigkeiten angebotene Mittagessen ob seiner schlechten Qualität abgelehnt hatten. 15 Dieser Vorfall wurde in Folge von den deutschnationalen Politikern umgedeutet als sie behaupteten, die tschechischen Soldaten hätten sich geweigert, von den deutschen

11 Ehnl, Landmacht, 19–83; Rumpler / Schmied-Kowarzik (Hgg.), Weltkriegsstatistik, 147–153. 12 Ehnl, Landmacht, 33–83. 13 Allmayer-Beck, Macht, 116f.; Österreichisches Bundesministerium für Heerwesen – Kriegsarchiv Wien (in Folge: BMHW-KA) (Hg.), Österreich-Ungarns letzter Krieg 1914– 1918 (in Folge: ÖUlK), Bd. 1, Wien 1930–1938, 41. 14 Zum deutsch-tschechischen Konflikt vgl. Jan Křen, Die Konfliktgemeinschaft. Tschechen und Deutsche 1780–1918, München 2000; Jörg L. Hoensch, Geschichte Böhmens. Von der slavischen Landnahme bis zur Gegenwart, München 1987, 338–384; Otto Urban, Die tschechische Gesellschaft 1848–1918, 2 Bde., Wien / Köln / Weimar 1994. 15 Allmayer-Beck, Macht, 116; Protokolle über die Einvernahme von Offizieren und Soldaten des IR 28 zum Vorfall in Budweis 1905, Vojenský ústřední archív Praha (in Folge: VUA), Fond Vojsková tělesa – Pěší pluk 28; Untersuchungsakten zu den Vorfällen beim IR 28 in Budweis, k.u.k. Kriegsministerium-Präsidiale (in Folge: KM-Präs) 59/48/6 ex 1905, 8. Jänner 1906, Beilage, Österreichisches Staatsarchiv (in Folge: ÖStA)/ Kriegsarchiv (in Folge: KA)/KM-Präs.

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Bürgern von Budweis etwas anzunehmen.16 Trotz der Unwahrheit dieser Behauptung gelangte der Fall rasch in die Tagespresse und führte neben einer militärgerichtlichen Untersuchung auch zu hitzigen Debatten im österreichischen Reichsrat.17 Dass derartige Vorfälle nicht geeignet waren, das Vertrauen der politischen wie militärischen Führung in die Integrität der k.u.k. Armee zu stärken, liegt auf der Hand. 2) Die ersten Kriegsmonate (1914–1915) Als Österreich-Ungarn im Juli/August 1914 Serbien und Russland den Krieg erklärte, bewahrheiteten sich die Befürchtungen jedoch zunächst nicht. So beteiligte sich der Großteil der Bevölkerung Böhmens und Mährens, Tschechen wie Deutsche, an den patriotischen Kundgebungen anlässlich des Kriegsbeginns18 und die Soldaten rückten anstandslos zu ihren Regimentern ein. Zwar wurden einzelne Fälle von Reservisten registriert, die in zumeist im Rausch erklärten, nicht in den Krieg gehen zu wollen,19 derartige Vorfälle bildeten jedoch eher die Ausnahme. Zwar begrüßten sicher nicht alle Bürger der Habsburgermonarchie den Krieg gegen Russland und Serbien, vorerst jedoch war noch fast jeder von ihnen bereit, seine Pflicht zu tun, sodass die k.u.k. Armee Anfang August in bester Ordnung ins Feld abging.20 Die gute Stimmung hielt jedoch nicht lange an, da sie im Frühsommer 1914 eine Reihe schwerer Niederlagen erlitt und auf breiter Front den Rückzug antreten musste.21 Die Ursache für diese Rückschläge lag primär in den zu optimistischen Kriegsplänen sowie der Inkompetenz einiger Kommandanten, die bei der Führung ihrer Truppen versagt hatten. In dieser Situation übten sich viele Offiziere jedoch nicht in Selbstkritik, sondern griffen auf die vor dem Krieg kultivierten Vorurteile zurück und legten nahe, dass vor allem das passive Verhalten ihrer tschechischen, slowakischen, slowenischen und serbischen Soldaten die Niederlage zumindest mitverursacht habe.22 Auch wenn sich diese Behauptungen

16 Richard G. Plaschka, Zur Vorgeschichte des Überganges von Einheiten des Infanterieregiments Nr. 28 an der russischen Front 1915, in: Hugo Hantsch (Hg.), Österreich und Europa – Festgabe für Hugo Hantsch zum 70. Geburtstag, Graz / Wien / Köln 1962, 455–464, hier 458. 17 k.k. Hof- und Staatsdruckerei (Hg.), Stenographische Protokolle des Hauses der Abgeordneten des Reichsrates. XVII. Session 31. Jänner 1901–30. Jänner 1907, Wien 1907, 32549– 32550 (Anfrage) sowie 32379–32380 (Anfragebeantwortung). 18 Urban, Gesellschaft, Bd. 1, 837; Manfried Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg, Graz 1993, 106. 19 Zbyněk Zeman, The Break-Up of the Habsburg Empire 1914–1918, London / New York / Toronto 1961, 42; Státni ústřední archiv (Hg.), Sborník Dokumentů k Vnitřnímu vývoji v Českých Zemích za 1. Světové Války 1914–1918, Bd. 1, Praha 1993, 31–32, 92–93, 95–97. 20 BMHW-KA (Hg.), ÖUlK, Bd. 1, 37–47; Rauchensteiner, Tod, 115–116. 21 Strachan, War, 335–357; BMHW-KA (Hg.), ÖUlK, Bd. 1, 91–338. 22 John Bradley, The Czechoslovak Legion in Russia 1914–1920, New York 1991, 27–31; Carl Bardolff, Soldat im alten Österreich. Erinnerungen aus meinem Leben, Jena 1938, 236; Hew

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größtenteils als unwahr herausstellten,23 zeigte sich das österreichisch-ungarische Armeeoberkommando (in Folge: k.u.k. AOK) dennoch alarmiert, schien doch ein ernster national motivierter Zwischenfall nur eine Frage der Zeit zu sein. Tatsächlich begann die k.u.k. Armee im Dezember 1914 bedeutende Auflösungserscheinungen zu zeigen, was jedoch nicht mit nationalen Problemen, sondern mit dem Umstand zusammenhing, dass die Streitkräfte seit Kriegsbeginn mehr als der Hälfte der im Frieden Dienst tuenden Offiziere und Soldaten verloren hatten.24 Eine Verbesserung dieser Situation war vorerst nicht zu erwarten, da der Großteil der zur Deckung der Verluste eingezogenen Reservisten nie zuvor in der Armee gedient hatte und nun lediglich sechs bis acht Wochen Ausbildung erhielt.25 In Folge dessen erholte sich zwar die numerische Stärke der k.u.k. Armee bis zum Frühjahr 1915 weitgehend, ihre Schlagkraft blieb jedoch deutlich hinter jener der ersten Kriegsmonate zurück. In dieser kritischen Situation wurde am 3. April 1915 das IR 28 (Heimatgarnison Prag, 95 Prozent Tschechen26) bei einem gegnerischen Angriff fast völlig zerschlagen. Diese Niederlage kam überraschend, hatte das Regiment doch seit August 1914 erfolgreich an zahlreichen großen Schlachten auf dem russischen Kriegsschauplatz (Komarów, Rawa Ruska, Limanowa-Lapanow, erste und zweite Karpatenoffensive27) teilgenommen. Im Zuge der Operationen hatte der Verband jedoch immer wieder schwere personelle Verluste erlitten, die man durch die regelmäßige Zuführung von Ersatzformationen zwar zahlenmäßig hatte ausgleichen können. In Folge der unzureichenden Ausbildung der Reservisten war jedoch die Kampfkraft des Verbands, ähnlich wie bei anderen k.u.k. Truppenkörpern, immer weiter abgesunken. Deutlich wurde dies im Fall des IR 28 erst Ende März 1915, als das Regiment gemeinsam mit anderen Truppen eingesetzt wurde, um eine strategisch wichtige Hügellinie zurückzuerobern,28 was nicht zuletzt aufgrund der Erschöpfung der k.u.k. Soldaten scheiterte. Als wenige Tage später ein russischer Gegenstoß die ausgedünnten österreichisch-ungarischen Linien traf, kollabierten

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Strachan, The First World War. A new Illustrated History, London [u. a.] 2006, 270; Norman Stone, The Eastern Front 1914–1917, London 1998, 126–127. Anfragebeantwortung, 8. Mai 1918, k.k. Hof- und Staatsdruckerei (Hg.), Stenographische Protokolle XXII. Session, Anfragebeantwortung 621. Deák, Offizier, 232–235; Schmied-Kowarzik (Hg.), Weltkriegsstatistik, 161; BMHW-KA (Hg.), ÖUlK, Bd. 2, 10; John Keegan, Der Erste Weltkrieg. Eine europäische Tragödie, Reinbek 2001, 32. Deák, Offizier, 234; BMHW-KA (Hg.), ÖUlK, Bd. 1, 55–57; Rudolf Hecht, Fragen zur Heeresergänzung der gesamten bewaffneten Macht Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkriegs, ungedr. geisteswiss. Diss. Wien 1969, 29–35, 64–69, 128–129, 177. Ehnl, Landmacht, 22; Rumpler / Schmied-Kowarzik (Hgg.), Weltkriegsstatistik, 147. Josef Fučík, Osmadvacátníci. Spor o českého vojáka I. světové války, Praha 2006, 39–100; Richard Lein, Pflichterfüllung oder Hochverrat? Die tschechischen Soldaten ÖsterreichUngarns im Ersten Weltkrieg, Wien / Berlin 2011, 57–72. Befehl des III. Korpskommandos an 28. ITD betr. die Durchführung des Gegenangriffs, 28. ITD Op. 260/19, 26. März 1915, ÖStA/KA/NFA/28. ITD; IR 28. Tagebuch ab 25. Juli 1914, 1–2, Vojenský ústřední archív Praha, Fond Vojsková tělesa – Pěší pluk 28.

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diese rasch, wobei auch große Teile des IR 28, etwa tausend Offiziere und Soldaten eingekreist und gefangen genommen wurden.29 Das Ereignis erregte naturgemäß die Aufmerksamkeit des zuständigen Armeekommandos, das über die Gründe für die hohen Verluste des Regiments zu spekulieren begann. Die Tatsache, dass der russische Angriff mit überlegenen Kräften geführt worden war, war dem Kommandanten der k.u.k. 3. Armee jedoch ebenso wenig bekannt wie der Umstand, dass über hundert Offiziere und Soldaten des IR 28 in dem Gefecht gefallen waren.30 Als das Armeekommando darüber hinaus die Falschmeldung erhielt, dass das Regiment ohne Gegenwehr zum Feind übergelaufen sei,31 ordnete es am 11. April 1915 die vorläufige Auflösung des IR 28 an.32 Dieser Schritt hätte an sich noch durch das AOK und den Kaiser verhindert werden können, was jedoch offenbar aus zweierlei Gründen nicht erfolgte: Einerseits schien das „Überlaufen“ des IR 28 die Annahmen des AOK betreffend die Unzuverlässigkeit der tschechischen Soldaten zu bestätigen, sodass man es nicht für notwendig erachtete, den Fall näher zu untersuchen. Andererseits bemühten sich zu diesem Zeitpunkt Teile der militärischen Führung der Habsburgermonarchie gerade, den Kaiser von der Notwendigkeit der Etablierung eines Militärregimes in Böhmen und Mähren zu überzeugen.33 Die angebliche Massendesertion tschechischer Soldaten stellte ein gewichtiges Argument für eine so einschneidende Maßnahme dar. Auch wenn Kaiser Franz-Joseph diesem Plan letztlich nicht zustimmte, genehmigte er dennoch die Auflösung des IR 28 am 17. April 1915.34 Die Richtigkeit dieser Entscheidung wurde jedoch schon bald in Frage gestellt, da es den mit der Untersuchung eingesetzten Militärgerichten nicht gelang, auch nur Indizien für die vom AOK als Ursache für den Kollaps des Verbands

29 Gefechtsbericht über die Ereignisse beim IR 28 am 3. April 1915, ÖStA/KA/Gefechtsberichte (in Folge: GB)/IR 28; Gefechtsbericht der 55. Infanteriebrigade (in Folge: IBrig) über den 3. April 15, ÖStA/KA/GB/55. IBrig; Gefechtsbericht der k.u.k. 56. IBrig über die Ereignisse vom 3. und 4. April 1915, ÖStA/KA/GB/56. IBrig; Bericht 28. ITD an III. Korps, 28. ITD, Sammelakt „Affäre IR 28“, Res. 314, 4 April 1915, ÖStA/KA/NFA/28. ITD; Kriegsgliederung des III. Korps, 19. April 1915, ÖStA/KA/Armeeoberkommando (in Folge: AOK)/Kriegsgliederungen (in Folge: KG)/III. Korps. 30 IR 28, Namentliche Verlustliste Nr. 1–62 für den Zeitraum 1. März bis 30. April 1915, k.u.k. Kriegsministerium (in Folge: KM) ohne Zahl, ÖStA KA/KM/Verlustlisten. 31 Bericht III. Korps an k.u.k. 3. Armee, III. Korps Op. 359/32, 8. April 1915, ÖStA/KA/NFA/III. Korps. 32 K.u.k. 3. Armee an III. Korps, III. Korps, Sammelakt „Affäre IR 28“, Reservat Nr. 652, 10. April 1915, ÖS-tA/KA/NFA/28. ITD. 33 K.u.k. Armeeoberkommando Op. 8619 und Op. 10511, ÖStA/KA/AOK; Vorschlag, die Verwaltung von Böhmen und Mähren einer bewährten Persönlichkeit zu übertragen, Militärkanzlei Seiner Majestät (in Folge: MKSM) 28/3/5/2 ex 1915, September 1915, ÖStA/KA/MKSM. Ein möglicher Kandidat für diesen Posten war General Franz Kanik. Vgl. Ernst Birke, Der Erste Weltkrieg und die Gründung der Tschechoslowakei 1914–1919, in: Karl Bosl (Hg.), Handbuch der Geschichte der Böhmischen Länder, Bd. 3, Stuttgart 1968, 239–445, hier 277. 34 Allerhöchster Befehl zur Auflösung des IR 28, MKSM 69/6/14/1 ex 1915, 17. April 1915, ÖStA/KA/MKSM.

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vermutete panslawistische Verhetzung der Reservisten zu finden.35 Darüber hinaus zeichnete sich die noch bestehende Ersatzformation des IR 28 im Sommer 1915 an der Isonzofront mehrfach aus,36 woraufhin das zuständige Armeekommando forderte, die herausragende Leistung der Soldaten durch die Wiederaufstellung ihres Regiments zu würdigen.37 Dieser Bitte wurde vom AOK wohl nicht zuletzt aus politischen Überlegungen entsprochen, woraufhin das IR 28 am 21. Dezember 1915 per kaiserlichem Dekret wiedererrichtet wurde.38 Die damit scheinbar abgeschlossene Causa kam jedoch im Frühjahr 1916 erneut auf die Tagesordnung, als das mit der Untersuchung des letztjährigen Vorfalls beauftragte Feldgericht eine abschließende Stellungnahme vorlegte, der zufolge eine kampflose Waffenstreckung oder ein Überlaufen auch nur von Teilen des IR 28 in der Schlacht des 3. April 1915 ausgeschlossen werden konnte.39 Dieses Urteil war den k.u.k. Militärbehörden ungelegen, hatten sie doch in offiziellen Communiqués verbreitet, dass das IR 28 wegen Hochverrats vor dem Feind aufgelöst, jedoch aufgrund der herausragenden Leistungen seiner Ersatzformation wieder aufgestellt worden sei.40 Vor dem Hintergrund der zu erwartenden politischen wie medialen Polemik entschied sich das AOK letztlich dazu, trotz des Urteils des Militärgerichts an seiner ursprünglichen Stellungnahme festzuhalten, was gerade in Hinblick auf die spätere Mythenbildung weitreichende Folgen hatte. 3) Konsolidierung und Krise (1915–1917) Das IR 28 war jedoch nicht das einzige mehrheitlich tschechische Regiment, das im Frühjahr 1915 in Schwierigkeiten geriet. So wurde am 27. Mai selben Jahres das IR 36 (Heimatgarnison Jungbunzlau/Mladá Boleslav, 95 Prozent Tschechen 41) bei einem russischen Angriff in der Nähe von Sieniewa fast völlig aufgerieben. Nachdem der Verband bereits in der Vergangenheit mehrfach Rückschläge hatte einstecken müssen, wurde seitens der Militärbehörden beschlossen, ein Exempel zu statuieren und am 16. Juli 1915 auch das IR 36 aufgelöst. Ähnlich wie im Fall des Prager Regiments wurde auch hier behauptet, dass die panslawistische Ver35 Untersuchungsergebnis beim IR 28, KM-Präs 49/2/4/3 ex 1915, 22. April 1915, ÖStA/KA/KM-Präs; Beschluss des Militärgerichts Temesvár, VUA, Fond Vojsková tělesa – Pěší pluk 28; Sammelakt des Feldgerichts (in Folge: FG) der 28. ITD, FG 28. ITD, Res. No. 496/16, 2. Juni 1915, ÖStA/KA/Gerichtsakten/28. ITD. 36 Bericht über das Verhalten des XI.MB/28 an der Front, KM-Präs 49/2/11 ex 1916, 10. August 1915, ÖStA/KA/KM-Präs. 37 IR 28 – Antrag auf Wiederaufstellung, 2, AOK Op. 17859, 18. Dezember 1915, ÖStA/KA/AOK. 38 Wiederaufstellung des IR 28 – Allerhöchstes Handschreiben, MKSM 69/6/14/11 ex 1915, 21. Dezember 1915, ÖStA/KA/MKSM. 39 Obstlt Florian Schaumeier, Obstlt Theodor Praschak, Ehrenangelegenheit, KM-Präs 14/627/1 ex 1916, 29. Dezember 1916, ÖStA/KA/KM-Präs. 40 Geschäftsstelle (Hg.), Verhalten, 326; Anordnung zur Neuformierung des IR 28, KM-Präs 49/2/12 ex 1915, 16. Jänner 1916, ÖStA/KA/KM-Präs. 41 Ehnl, Landmacht, 148; Rumpler / Schmied-Kowarzik (Hgg.), Weltkriegsstatistik, 148.

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hetzung der Rekruten in der Heimatgarnison Ursache für den Zusammenbruch des Verbands gewesen sei.42 Einige Militärs hinterfragten diese Theorie bald und verwiesen darauf, dass panslawistische Propaganda im ländlichen Jungbunzlau so gut wie unbekannt sei. Tatsächlich legen die im Wiener Kriegsarchiv aufbewahrten Dokumente nahe, dass die Kampfkraft des IR 36 bereits vor dem Frühsommer 1915 durch verschiedene Faktoren, darunter häufige Kommandowechsel, sprachunkundiger Offiziersersatz und schlechte Ausbildung, gelitten hatte und nicht zuletzt Fehler seitens der vorgesetzten Offiziere mit zum Zusammenbruch des Verbands am 27. Mai 1915 beigetragen hatten. Ungeachtet dieser Tatsache wurde der Fall des IR 36 jedoch nicht erneut aufgerollt, sodass der Verband aufgelöst blieb.43 Bis zur Jahresmitte 1915 wurden noch einige weitere mehrheitlich aus Tschechen bestehende Truppenkörper beschuldigt, schlecht gekämpft zu haben.44 Nachdem zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits die gesamte k.u.k. Armee ernste Überlastungserscheinungen zu zeigen begann, sah das AOK von ähnlich weitreichenden Maßnahmen wie im Fall der IR 28 und 36 ab. Die schwierige Situation der Streitkräfte besserte sich erst im Sommer 1915, als es den militärischen Zentralstellen gelang, den Nachschub von Truppen und Material in Gang zu bringen sowie durch die Verbesserung der Ausbildung und organisatorische Reformen die Schlagkraft der Truppen wieder zu stärken.45 Gleichzeitig wurde ein striktes Überwachungssystem eingeführt, mit dem potentielle politische Aufrührer und Agitatoren bereits im Hinterland erkannt und abgesondert werden sollten.46 Insgesamt trugen die genannten Reformen gemeinsam mit der im Herbst 1915 abflauenden Kampfestätigkeit an der russischen Front wesentlich dazu bei, die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte Österreich-Ungarns größtenteils wiederherzustellen.47 Die Umsetzung der meisten organisatorischen Maßnahmen fiel mit der Mobilisierung gegen Italien zusammen, das der Habsburgermonarchie am 23. Mai 1915 den Krieg erklärt hatte.48 Infolgedessen mussten zahlreiche Verbände, darunter auch mehrere mehrheitlich aus Tschechen bestehende Truppenkörper, an die neu entstandene Front verlegt werden, wo sie sich vor allem aufgrund der Wirkung zeigenden organisatorischen Reformen gut schlugen. Dieser Umstand wurde jedoch von vielen Militärs grundlegend fehlinterpretiert, welche die deutlich verbesserte Kampfesleistung der slawischen Solda-

42 BMHW-KA (Hg.), ÖUlK, Bd. 1, 428–429. 43 Christian Reiter, Der Fall des k.u.k. Infanterieregiments 36. Zur Desertionsproblematik der Tschechen an der Ostfront in den Kriegsjahren 1914/15, ungedr. geisteswiss. Diss. Wien 2012. 44 BMHW-KA (Hg.), ÖUlK, Bd. 2, 605; Tarnopoler Schlacht – Ergebnis der Untersuchung bei der 19. ITD, AOK Op. 20810, 17. Februar 1916, ÖStA/KA/AOK; Bradley, Legion, 31–32. 45 BMHW-KA (Hg.), ÖUlK, Bd. 2, 8–30; BMHW-KA (Hg.), ÖUlK, Bd. 4, 85–142. 46 Überwachung unzuverlässiger Elemente, AOK Op. 20870, 3. Februar 1916, ÖStA/KA/AOK. 47 BMHW-KA (Hg.), ÖUlK, Bd. 2, 8–30. 48 David Stevenson, 1914–1918. The History of the First World War, London 2005, 110–112; Rauchensteiner, Tod, 234; Strachan, War, 150.

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ten primär darauf zurückführten, dass diese nunmehr nicht mehr gegen Russen oder Serben zu kämpfen hatten.49 Daher blieb das AOK misstrauisch und glaubte nach wie vor, seine slawischen Truppen mit militärischen Rückschlägen in Verbindung bringen zu müssen. Das bedeutendste Beispiel in diesem Zusammenhang ist die im Juni 1916 beginnende Brusilov-Offensive, in deren Zuge es der russischen Armee gelang, die Truppen der Mittelmächte auf breiter Front zum Rückzug zu zwingen und über 260.000 k.u.k. Soldaten gefangen zu nehmen.50 In dieser Situation sah sich die österreichisch-ungarische Führung mit unangenehmen Fragen seitens der Deutschen Obersten Heeresleitung (in Folge: OHL) konfrontiert, die eine Erklärung für das Debakel forderte. Das AOK war sich der Tatsache durchaus bewusst, dass die russischen Truppen neuartige Taktiken angewendet und die k.u.k. Verbände überrumpelt hatten. Letzteren Umstand zuzugeben kam jedoch aus Prestigegründen nicht in Frage, sodass man den Verbündeten indirekt wissen ließ, dass die passive Haltung der slawischen Soldaten wesentlich zu der Niederlage beigetragen habe.51 Damit beschädigte man jedoch nicht nur das Ansehen der Streitkräfte der Habsburgermonarchie in den Augen des Bündnispartners, sondern schürte auch unter den k.u.k. Soldaten in zunehmendem Maß Misstrauen und gefährdete so den Zusammenhalt der multinationalen Armee auf Dauer. Ab dem Frühjahr 1917 entspannte sich die Situation an der russischen Front wesentlich, da die russische Armee in Folge der Februarrevolution ihre Operationsfähigkeit eingebüßt hatte. Da man vor diesem Hintergrund allgemein davon ausging, der Krieg an der Nordostfront sei zu Ende, begann die militärische Führung der Mittelmächte damit, Truppen auf andere Kriegsschauplätze zu verlegen.52 Zu den Verbänden, die an der russischen Front verblieben, gehörten unter anderem das IR 35 (Heimatgarnison Pilsen/Plzeň) und das IR 75 (Neuhaus/Jindřichův Hradec), die jeweils zu etwa zwei Dritteln aus tschechischer und einem Drittel aus deutscher Mannschaft bestanden53 und im Frühjahr 1917 als voll einsatzfähig galten.54 Der Frontabschnitt der beiden Truppenkörper, der sich südlich der Ortschaft Zborów erstreckte, war jedoch so weitläufig, dass die vorhan-

49 Paul Molisch, Vom Kampf der Tschechen um ihren Staat, Wien / Leipzig 1929, 84; BMHWKA (Hg.), ÖUlK, Bd. 4, 137–142, Rauchensteiner, Tod, 236. 50 Stevenson, History, 166–168; Rumpler / Schmied-Kowarzik (Hgg.), Weltkriegsstatistik, 164; BMHW-KA (Hg.), ÖUlK, Bd. 4, 663; Stone, Front, 261. 51 Anton Wagner, Der Erste Weltkrieg. Ein Blick zurück, Wien 1968, 191. Diese Behauptung gilt als widerlegt. Vgl. Rudolf Jeřábek, Die Brussilowoffensive 1916. Ein Wendepunkt der Koalitionskriegsführung der Mittelmächte, ungedr. geisteswiss. Diss. Wien 1982, 258–264, 536–546; Stone, Front, 249–250, 262–263. 52 BMHW-KA (Hg.), ÖUlK, Bd. 6, 108, 215–216; Zur Dislozierung der k.u.k. Truppen im Raum Zborów Ende 1916 bzw. Anfang 1917 vgl. ÖStA/KA/Kriegsgliederungen/2. Armee, Band 13 und 14. 53 Ehnl, Landmacht, 23, 30; Rumpler / Schmied-Kowarzik (Hgg.), Weltkriegsstatistik, 148–149. 54 19. Infanteriedivision (in Folge: ID) – Kriegsgliederung am 1. Juni 1917, ÖStA/KA/AOK/KG/19. ID.; Gliederung des IX. Korps, Gefechtsbericht des IX. Korps, Beilage 1, ÖStA/KA/GB IX. Korps.

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denen Truppen kaum ausreichten, diesen wirksam zu verteidigen.55 Dieser Umstand hatte in der Vergangenheit kaum eine Rolle gespielt, da in Frontnähe immer genug Reservetruppen zur Verfügung gestanden hatten, um bei einem gegnerischen Angriff eingreifen zu können. Mit deren Wegverlegung waren die Kräfte in dem betroffenen Sektor jedoch so stark ausgedünnt, dass es den beiden Regimentern nunmehr an Reserven für den Fall eines gegnerischen Einbruchs fehlte.56 Dieser Umstand war den vorgesetzten Kommandos zwar bekannt, in Hinblick auf die Ruhe an der Front wurde ihm jedoch kaum Bedeutung beigemessen. Tatsächlich liefen im Frühjahr 1917 jedoch bereits intensive Bemühungen seitens der neuen russischen Regierung, die Schlagkraft der eigenen Streitkräfte so weit wiederherzustellen, dass sie wieder zur Offensive übergehen konnten.57 Als Angriffsziele wurden dabei zwei Frontabschnitte gewählt, die von deutschen bzw. von österreichisch-ungarischen Truppen verteidigt wurden, wobei in letzterem die IR 35 und 75 stationiert waren.58 Unter den Verbänden, die auf russischer Seite für die Offensive zusammengezogen wurden, befand sich auch die Tschechoslowakische Schützenbrigade, eine Formation, die sich aus ehemaligen österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen tschechischer Nationalität zusammensetzte.59 Während die alte Führung vor dem Hintergrund völkerrechtlicher Bedenken darauf verzichtet hatte, den Verband einzusetzen, griff die neue russische Regierung, die nur über eine begrenzte Zahl ihr loyal ergebener Truppen verfügte, bereitwillig auf diese Personalreserve zurück. Ein bewusster Einsatz der als Legionäre bezeichneten Angehörigen der Schützenbrigade gegen die IR 35 und 75 dürfte jedoch nicht erfolgt sein, da der russischen Führung die genaue Zusammensetzung der k.u.k. Truppen im Angriffsraum nicht bekannt war.60 Stattdessen sollten die Legionäre, die als überaus motiviert und kampfkräftig galten, den Angriff anführen und den russischen Soldaten den Weg durch das Stellungssystem der k.u.k. Truppen bahnen. Die sich aufbauende Bedrohung wurde auch von der österreichisch-ungarischen Führung registriert, nachdem es jedoch lange Zeit nicht ge55 Ausbau der Stellungen im Bereich der k.u.k. 2. Armee – Weisung des Oberbefehlshabers Ost, 2. AK Op. Nr. 3444, 9. August 1916, VUA Praha, Fond Vojsková tělesa – Pěší pluk 75; Stellungskampf und Stellungskrieg, IX. Korps an 37. IBrig Op. Nr. 37/14, 8. Februar 1917, ÖStA/KA/NFA/37. IBrig. 56 Vormerkbuch zur Kriegsgliederung des k.u.k. IX. Korps, ÖStA/KA/KG/IX. Korps. Bericht von General Köppl und Generalmajor Werdan zu den Kämpfen des IR 35 bei Zborów am 1. und 2. Juli 1917, 64-68, Manuskriptsammlung zum Ersten Weltkrieg, Russland 1917, Manuskript 8 (in Folge: MS-WK/R.1917/8), ÖStA/KA/MS-WK; Sammelakt „Zborów 1917“, Bericht Obstlt Köppl über die Besichtigung des Gefechtsfelds, 1–8, 30. Juli 1917, ÖStA/KA/Archiv der Truppenkörper (in Folge: ADTK)/IR 35. 57 Helmut Altrichter, Russland 1917. Ein Land auf der Suche nach sich selbst, Paderborn [u. a.] 1997, 162–172. 58 BMHW-KA (Hg.), ÖUlK, Bd. 6, 236–238; Erfahrungen in den Abwehrschlachten des Ostens 1917, Oberbefehlshaber Ost (in Folge: Ober Ost) Abt. Ia/Id Nr 8331/17 geh., 1-3, 10. November 1917, ÖStA/KA/GB/Allgemeine Erfahrungen 1918. 59 Gerburg Thunig-Nittner, Die Tschechoslowakische Legion in Russland. Ihre Geschichte und Bedeutung bei der Entstehung der 1. Tschechoslowakischen Republik, Wiesbaden 1970; David Bullock, The Czech Legion 1914–20, Oxford 2009. 60 Vladimír Klecanda, Bitva u Zborova, Praha 1927, 67–96.

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lang, den gegnerischen Angriffsschwerpunkt zu ermitteln, kamen die schließlich in Marsch gesetzten Reserven zu spät in den bedrohten Sektoren an.61 Die russische Offensive begann im Zborów-Abschnitt am 1. Juli 1917 mit einem Großangriff auf den rechten Flügel des IR 75, wobei es den Angreifern gelang, die k.u.k. Soldaten bis in die zweite Grabenlinie zurückzudrängen, ohne dabei jedoch einen Durchbruch zu erzielen.62 Dabei erlitten sowohl das IR 75 als auch das IR 35, das während des Tages mehrere Kompanien zur Unterstützung seines bedrängten Nachbarn detachiert hatte, zum Teil schwere personelle Verluste,63 sodass ihre Kräfte nun kaum mehr ausreichten, die Stellung zu behaupten.64 Dieser Umstand wurde dem zuständigen Armeekommando zwar gemeldet, es gelang ihm jedoch aufgrund organisatorischer Probleme nicht, rechtzeitig Verstärkungen heranzuführen. Als die russischen Truppen in den Morgenstunden des nächsten Tages die Angriffe wieder aufnahmen und dabei den Legionären der Einbruch in die Stellungen des IR 35 glückte, waren keine Reserven mehr vorhanden, die zur Schließung der entstandenen Lücke hätten eingesetzt werden können. Daher gelang es den Angreifern mühelos, in das Zwischengelände vorzudringen und von dort aus die Verteidiger in Flanke und Rücken anzugreifen. Nachdem die österreichisch-ungarischen Soldaten den Befehl erhalten hatten, um jeden Preis in der ersten Grabenlinie auszuharren, wurden viele von ihnen von dem rasch vordringenden Gegner in der Stellung eingekreist und zur Aufgabe gezwungen. Ein Zusammenbruch der Verteidigung in dem Frontabschnitt konnte jedoch verhindert werden, da es den Resten der IR 35 und 75 gemeinsam mit den ab dem Nachmittag eintreffenden Truppenreserven schließlich gelang, den gegnerischen Angriff in der dritten Grabenlinie endgültig zum Stehen zu bringen.65 Trotz des Abwehrerfolgs waren die Verluste der österreichisch-ungarischen Armee hoch, hatten doch alleine die IR 35 und 75 in der zweitägigen Schlacht mehr 61 BMHW-KA (Hg.), ÖUlK, Bd. 6, 229–230; Beurteilung des Gefechtswertes des Feindes, 1.– 15. Juni 1917 – Bericht der Nachrichtenstelle der k. u. k. 4. Armee, AOK Op. Nr. 42210, 18. Juni 1917, ÖStA/KA/AOK/Op; Flugaufklärung – Übersicht über die bis 3. Juni 1917 beobachteten feindlichen Aktivitäten, 37. IBrig Op. 154/4, 13. Juni 1917, ÖStA/KA/NFA/37. IBrig. 62 Gefechtsbericht 19. ID für den Zeitraum 29. Juni–2. Juli, 27, ÖStA/KA/GB/19. ID.; Gefechtsbericht des IR 75 über die Kämpfe vom 29. Juni–2. Juli 1917, ÖStA/KA/NFA/37. IBrig; Gefechtsbericht des IR 35 über die Kämpfe 2. Juli 1917, ÖStA/KA/NFA/37. IBrig; Gefechtsbericht des Brigadebeobachters Oblt Ladislaus Kubeš, 37. IBrig Op. 188/1, 7. Juli 1917, VUA, Fond Vojsková tělesa – 19. Pěší divize. 63 Auf Grund der Gefangenenaussagen festgestellte eigene Widerstände und fdl. Verluste am 1. Juli, Gefechtsbericht des IX. Korps, Beilage 11, ÖStA/KA/GB/IX. Kps; IR 35, Namentliche Verlustliste Nr. 57 für die Zeit vom 1. Juli bis 2. Juli 1917, ÖStA/KA/KM/Verlustlisten; IR 75, Namentliche Verlustliste Nr. 1–62 für den Zeitraum 1. bis 2. Juli 1917, ÖStA/KA/KM/Verlustlisten. 64 Verluste des IX. Korps in den Kämpfen vom 30. Juni bis 2. Juli 1917, 2. AK Op. 3921, 5. Juli 1917, ÖStA/KA/NFA/2. AK; 37. IBrig, Tagebuch, 37. IBrig Op. Nr. 180, 20–29, ÖStA/KA/NFA/37. IBrig. 65 Für detaillierte Informationen vom Verlauf der Schlacht von Zborów vgl. Lein, Pflichterfüllung, 265–317; Gefechtsbericht des IX. Korps, ÖStA/KA/GB/IX. Kps.

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als 4.400 Mann eingebüßt,66 von denen der Großteil als vermisst gemeldet wurde. Auch wenn klar war, dass in dieser Zahl auch all jene Toten und Verwundeten enthalten waren, die auf dem Schlachtfeld zurück geblieben waren,67 erregten die hohen Verluste der beiden Regimenter die Aufmerksamkeit des Kommandanten der k.u.k. 2. Armee, der eine genaue Untersuchung der Ereignisse anordnete. Noch bevor die Ermittlungen aufgenommen werden konnten, legten am 4. Juli 1917 57 dem Deutschen Nationalverband angehörende Abgeordnete des österreichischen Reichsrats dem k.k. Minister für Landesverteidigung eine Anfrage vor, in der dieser aufgefordert wurde, über das Verhalten der tschechischen Soldaten bei Zborów Auskunft zu geben.68 Der Minister, der nicht für operative Belange zuständig war, reichte die Anfrage mit der Aufforderung an das AOK weiter, die für die Beantwortung notwendigen Informationen bereitzustellen. Das AOK reagierte prompt und wies das Kommando der k.u.k. 2. Armee an, den Verlauf der Schlacht untersuchen zu lassen und festzustellen, ob das Verhalten der tschechischen Soldaten den Ausgang des Gefechts beeinflusst hatte.69 Tatsächlich schienen erste Ermittlungsergebnisse, die größtenteils auf Gefangenenaussagen beruhten, die Vermutung des AOK zu bestätigen, dass die tschechischen Soldaten in den Reihen der k.u.k. Armee nicht mit besonderem Elan gekämpft hatten. Als wenig später auch noch ein russischer Gefangener als Tschechoslowakischer Legionär identifiziert wurde,70 drängte sich darüber hinaus die Vermutung auf, dass die Soldaten in der IR 35 und 75 bereits vor der Schlacht von ihren Landsleuten kontaktiert worden waren und diesen während des Gefechts keinen Widerstand entgegengesetzt hatten. Einige dieser Zwischenergebnisse wurden vom Feldgericht an das AOK weitergeleitet, das sie unkommentiert an Personen innerhalb der politischen und militärischen Führung der Habsburgermonarchie weitergab 71 – ein voreiliges Vorgehen. Tatsächlich zeichnete sich im Rahmen der weiteren Untersuchungen deutlich ab, dass die ursprünglichen Theorien hinsichtlich des Verhaltens der tschechi66 Telegramm k.u.k. 2. Armee an Abschnittskommando Złozow, 2. Juli 1917, 2. AK Op. Nr. 3849/I, ÖStA/KA/NFA/2. AK; Zurückgekehrte Mannschaft aus den letzten Kämpfen – Bericht der 37. IBrig, 19. ID Op. Nr. 188/4, 7. Juli 1917, ÖStA/KA/NFA/19. ID; Verluste des IX. Korps in den Kämpfen vom 30. Juni bis 2. Juli 1917, 2. AK Op. 3921, 5. Juli 1917, ÖStA/KA/NFA/2. AK. 67 Verluste des IX. Korps in den Kämpfen vom 30.VI. bis 2.VII., Beilage k.u.k. IR 75 – Verlustliste, 2. AK Op. 3921, 5. Juli 1917, ÖStA/KA/NFA/2. AK. 68 Anfrage betr. das Verhalten der tschechischen Mannschaften der 19. ID bei Zborów, 4. Juli 1917, k.k. Hof- und Staatsdruckerei (Hg.), Stenographische Protokolle XXII. Session, Anfrage 443/I. 69 Verhalten tschechischer Regimenter der 19. ID am 2. Juli 1917, AOK Op. 42582, 4. Juli 1917, ÖStA/KA/AOK. 70 Tschechischer Legionär Paul Jerzabek – Überstellung an das Feldgericht des 2. AKs, AOK Op. 42805, 9. Juli 1917, ÖStA/KA/AOK. 71 Verhalten tschechischer Regimenter der 19. ID am 2. Juli 1917 – Bericht Obstlt Ditersdorf, AOK Op. 42582, Beilage 5, 5. Juli 1917, ÖStA KA/AOK; Verhalten tschechischer Regimenter der 19. ID am 2. Juli 1917 – Bericht Obstlt Tombor, AOK Op. 42582, Beilage 6, 9. Juli 1917, ÖStA/KA/AOK; Verhalten tschechischer Regimenter der 19. ID am 2. Juli 1917 – Bericht für Exzellenz Czernin, AOK Op. 42582, Beilage 6, ÖStA/ KA/AOK.

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schen Soldaten revidiert werden mussten. So sagten zahlreiche an der Schlacht beteiligte Personen, darunter auch viele Offiziere und Soldaten deutscher Nationalität, aus,72 dass die beiden Regimenter während der beiden Tage der Schlacht aufopfernd gekämpft hätten und der unglückliche Verlauf des Gefechts auf die Überlegenheit des Gegners und das Fehlen von Truppenreserven zurückzuführen seien.73 Das AOK weigerte sich jedoch, einen entsprechenden Bericht des Feldgerichts zu akzeptieren und wies dieses stattdessen an, im Detail über das Verhalten aller in den Reihen der 2. Armee kämpfender Tschechen Bericht zu erstatten.74 Der Umstand, dass das AOK auf den Bericht des Feldgerichts derart ungehalten reagierte und diesem eine de facto unmögliche Aufgabe stellte, lässt Spekulationen über die Motive des Oberkommandos zu. Tatsächlich drängt sich der Eindruck auf, dass seitens des AOK auch in diesem Fall wider besseres Wissen versucht wurde, den tschechischen Soldaten die Verantwortung für einen militärischen Rückschlag zu übertragen, der vor allem durch organisatorische Unzulänglichkeiten verursacht worden war. Ob dies auf Vorurteile des Generalstabs, den Rechtfertigungsdruck gegenüber der deutschen OHL oder vielmehr die Sympathien einzelner Stabsoffiziere für den Deutschen Nationalverband zurückzuführen ist,75 der als Reaktion auf den Amnestieerlass Kaiser Karls76 eine anti-tschechische Kampagne gestartet hatte, ist nicht eindeutig nachzuvollziehen. Tatsache ist, dass die Haltung des AOK sowie der von politischer Seite ausgeübte Druck den Kommandanten der k.u.k. 2. Armee schließlich dazu bewegte, die noch nicht abgeschlossene Untersuchung zu beenden und auf Basis der vorliegenden Ergebnisse einen Abschlussbericht zu erstellen. In diesem wurde betont, dass die Ehre der IR 35 und 75 nicht in Frage gestellt werden würde, auch wenn es Teile der beiden Regimenter verabsäumt hätten, während der Schlacht in der zu erwartenden Form Widerstand zu leisten.77 Diese Aussage, die vom Minister für Landesverteidigung als Stellungnahme zur Anfrage vom 4. Juli 1917 veröffentlicht wurde,78 löste in Folge eine hitzige Debatte über die Loyalität der tschechischen Soldaten aus, wobei der Umstand, dass sich während der Schlacht das gleichfalls mehrheitlich 72 Vgl. u. a. Majestätsgesuch des Oberst Otto Husserl betreffend die Wiederherstellung der öffentlich angetasteten Ehre des IR 75, AOK Pers 34204, ÖStA/KA/AOK; Meldung der 37. IBrig über die aus den Kämpfen zurückgekehrte Mannschaft der IR 35 und 75, 37. IBrig Op. 188/4, 6. Juli 1917, ÖStA/KA/NFA/37. IBrig. 73 Telefondepesche des Feldgerichts der k. u. k. 2. Armee, 2. AK Op. 4082, 10. Juli 1917, ÖStA/KA/NFA/2. AK. 74 Verhalten tschechischer Regimenter der 19. ID am 2. Juli 1917 – Urgenz AOK, AOK Op. 42582, Beilage 8, 11. Juli 1917, ÖStA/KA/AOK. 75 Das prominenteste Beispiel ist Hauptmann des Generalstabes Edmund Glaise-Horstenau, nach 1918 Direktor des Wiener Kriegsarchivs. Vgl. Peter Broucek (Hg.), Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaise von Horstenau, 3 Bde., Wien / Köln / Graz 1980–1988. 76 Rauchensteiner, Tod, 478–479; Urban, Gesellschaft, Bd. 1, 888. 77 Verhalten der k. u. k. 19. ID in den Kämpfen vom 29.6. bis 2.7. – Antrag Böhm-Ermolli, AOK Op. 43718, Beilage 1, 6. August 1917, ÖStA/KA/AOK. 78 Anfragebeantwortung, 11. Oktober 1917, k.k. Hof- und Staatsdruckerei (Hg.), Stenographische Protokolle XXII. Session, Anfragebeantwortung 92.

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tschechische IR 88 ausgezeichnet hatte, unberücksichtigt blieb.79 Ebenso wenig diskutiert wurde die Tatsache, dass nur wenige Tage nach dem 2. Juli 1917 zwei mehrheitlich aus Ungarn bestehende Regimenter in der Schlacht von Stanislau eine schwere Niederlage hatten einstecken müssen, die einen dreimal so großen Gebietsverlust verursacht hatte als er bei Zborów zu verzeichnen gewesen war.80 Nachdem jedoch die Treue der ungarischen Soldaten außer Frage zu stehen schien, war klar, dass sich die Diskussion auch weiterhin primär um die Loyalität der Tschechen drehen würde. 4) Der Wendepunkt (1917–1918) Letztlich erwies sich die nach der Schlacht von Zborów losgetretene politische Debatte für die Entstehung des Mythos der „unzuverlässigen“ Tschechen als fast genauso bedeutend wie die Ereignisse auf dem Schlachtfeld. Dies war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die in der Öffentlichkeit diskutierten Fälle angeblichen tschechischen Verrats auch von mehreren im Exil befindlichen Politikern wie Tomáš G. Masaryk, Milan R. Štefánik und Edvard Beneš 81 aufgegriffen wurden. Diese hatten spätestens 1914 Österreich-Ungarn verlassen und bereits bald begonnen, bei den Ententemächten für die Errichtung eines unabhängigen Tschechoslowakischen Staates zu werben.82 Da die Habsburgermonarchie in Mitteleuropa ein Gegengewicht zum Deutschen Reich bildete und der überwiegende Teil der Tschechen pflichtgemäß in der k.u.k. Armee Dienst tat, konnten Paris und London sich zunächst kaum für diese Pläne erwärmen.83 Diese Situation änderte sich jedoch im Frühjahr 1915, als die Auflösung der IR 28 und 36 über die Grenzen des Habsburgerreiches hinaus bekannt wurde. Diese Fälle wurden nun von den Exilpolitikern den Ententemächten als Widerstandstaten der tschechischen Soldaten präsentiert, die nicht mehr länger für die Habsburgermonarchie hatten kämpfen wollen.84 Dies, sowie eine Reihe weiterer, in ähnlicher Weise umgedeu79 Gefechtsbericht des IX. Korps, Vormerkbuch, 15R, ÖStA/KA/GB/IX. Korps; Oskar Hofmann / Gustav Hubka (Hgg.), Der Militär-Maria Theresien-Orden. Die Auszeichnungen im Weltkrieg 1914–1918, Wien 1944, 340. 80 BMHW-KA (Hg.), ÖUlK, Bd. 6, 261–282; Erfahrungen in den Abwehrschlachten des Ostens 1917, Ober Ost Abt. Ia/Id Nr 8331/17 geh., 3, 10. November 1917, ÖStA/KA/GB/Allgemeine Erfahrungen 1918. 81 Alain Soubigou, Tomáš Garrigue Masaryk, Praha 2004; Zbyněk Zeman, The life of Edvard Beneš 1884–1948. Czechoslovakia in peace and war, Oxford 1997; Ferdinand Pisecky, General M(ilan) R(atislav) Stefanik, Praha 1929. 82 Edvard Beneš, Der Aufstand der Nationen, Berlin 1928, 49–114; Molisch, Kampf, 49–81; Josef Kalvoda, The Genesis of Czechoslowakia, New York 1986, 60–158; Křen, Konfliktgemeinschaft, 306–381. 83 Zbyněk Zeman, Der Zusammenbruch des Habsburgerreiches 1914–1918, München 1963, 77–104; Hoensch, Geschichte, 413–414, Křen, Konfliktgemeinschaft, 324; Kalvoda, Genesis, 10–74; Stevenson, History, 141–151. 84 Edvard Beneš, Detruisez l'Autriche-Hongrie! Le martyre des Tscheco-Slovaques a travers l'histoire, Paris 1916.

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teter Zwischenfälle, beeindruckte die französischen und britischen Politiker tatsächlich bis zu einem gewissen Grad, sodass sie schließlich die Aufstellung von Freiwilligenformationen aus im Exil lebenden bzw. in Gefangenschaft der Ententemächte geratenen Tschechen gestatteten.85 Als besonders förderlich für die Sache der Exilpolitiker erwiesen sich jedoch die Auseinandersetzungen der Nationalitäten des Habsburgerreiches, die ab dem Sommer 1917 offen im Wiener Reichsrat ausgetragen wurden. Besonders aktiv waren dabei wiederum die Abgeordneten des Deutschen Nationalverbandes, welche die k.k. Regierung in einen regelrechten parlamentarischen Kleinkrieg verwickelten. So brachten sie zwischen Juni 1917 und Oktober 1918 insgesamt 14 parlamentarische Anfragen an den k.k. Minister für Landesverteidigung ein, die alle mit dem Verhalten tschechischer Soldaten oder mehrheitlich tschechischer Truppenkörper in Zusammenhang standen.86 Dass die Abgeordneten dabei mitunter sogar aus Propagandaschriften von Beneš zitierten, um ihre Thesen zu untermauern87, zeigt deutlich, mit welcher Nachdrücklichkeit die Debatte geführt wurde. Wegen des großen Aufwandes, den die Bearbeitung dieser umfangreichen Interpellationen erforderte, konnte nur ein Teil von ihnen bis zum Kriegsende tatsächlich beantwortet werden. Hinzu kam, dass durch die Medienberichterstattung über die Reichsratssitzungen die heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Abgeordneten schon bald zum Tagesgespräch wurden,88 was den nationalen Gegensatz innerhalb des Habsburgerreiches zusätzlich vertiefte. Während Deutsche und Ungarn zunehmend den Eindruck hatten, den Krieg aufgrund des staatsfeindlichen Verhaltens der slawischen Nationalitäten des Habsburgerreiches zu verlieren, fühlten sich diese zu Sündenböcken für die sich abzeichnende Niederlage jenes Staates gestempelt, dem sie zumeist treu gedient hatten.89 Spätestens ab dem Frühsommer 1918 begann Österreich-Ungarn darüber hinaus auch auf wirtschaftlichem wie militärischem Gebiet ernste Zersetzungserscheinungen zu zeigen. Obwohl der Friede von Brest-Litowsk im März 191890 85 Thunig-Nittner, Legion, 9–16, 38; Bradley, Legion, 13–46; Kalvoda, Genesis, 180–206. 86 k.k. Hof- und Staatsdruckerei (Hg.), Stenographische Protokolle XXII. Session, Anfrage 443/I, 687/I, 1091/I, 1459/I, 1362/I, 1441/I, 1749/I, 1770/I, 1861/I, 1914/I, 2008/I, 2032/I, 2145/I, 3092/I. 87 Anfrage betr. das Verhalten tschechischer Regimenter, 14. Juli 1917, k.k. Hof- und Staatsdruckerei (Hg.), Stenographische Protokolle XXII. Session, Anfrage, 687/I; Verhalten tschechischer Regimenter, Anfragebeantwortung – Bericht des AOK, 5, k.k. Ministerium für Landesverteidigung (in Folge: Min.f.LV), Parlamentarische Gruppe (in Folge: Pa.G.), Präs 968 ex 1918, Beilage 3, 3. Jänner 1918, ÖStA/KA/k.k. Min.f.LV/Pa.G. 88 Lothar Höbelt, Parteien und Fraktionen im cisleithanischen Reichsrat, in: Rumpler / Urbanitsch (Hgg.), Verfassung und Parlamentarismus, 895–1006, hier 996–1006. Vgl. Vossische Zeitung, 8. April 1918, 24. Oktober 1918; Die Zeit, 6. Jänner 1918, 21. Oktober 1918; Österreichische Volkszeitung, 9. Jänner 1918, 5. April 1918; Neues Wiener Tagblatt, 23. Dezember 1917; 18. Juli 1918; 3 August 1918; Reichspost, 6. Februar 1918, 29. April 1918, 11. Oktober 1918; Berner Tagblatt, 2. September 1918, 14. Oktober 1918; Tägliche Rundschau, 22. Mai 1918; 9 Oktober 1918. 89 Urban, Gesellschaft, Bd. 2, 902–904; Kalvoda, Genesis, 251–270; Křen, Konfliktgemeinschaft, 306–381. 90 Rauchensteiner, Tod, 526–528; Stevenson, History, 384–395.

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den Krieg mit Russland beendet hatte, war es dennoch nicht gelungen, an der Italienfront einen entscheidenden Erfolg zu erzielen. Nach dem Scheitern der letzten Offensive der k.u.k. Armee am Piave im Juni 191891 war die Moral der bereits zuvor kriegsmüden österreichisch-ungarischen Soldaten endgültig am Tiefpunkt angelangt. Hinzu kam, dass es aufgrund des Mangels an Ressourcen sowie des Zusammenbruchs des Transportwesens kaum noch gelang, Zivilisten wie Soldaten mit dem Notwendigsten zu versorgen, was an manchen Frontabschnitten sowie in den Großstädten zu Hungersnöten führte.92 In Folge stieg die Zahl der Deserteure in der k.u.k. Armee im Sommer 1918 drastisch an, ein Umstand, für den das k.u.k. AOK jedoch in Verkennung der Lage primär staatsfeindliche Propaganda verantwortlich machte und nicht die katastrophale Versorgungslage.93 Gleichzeitig begann es jedoch auch im Hinterland zu brodeln, wo sich Polizei und detachierte Militärformationen fast täglich mit Streiks und Demonstrationen der Arbeiterschaft sowie mit Heimkehrermeutereien konfrontiert sahen.94 Ähnlich hoffnungslos war auch die außenpolitische Situation der Donaumonarchie, hatte doch Kaiser Karl I. nach einer gescheiterten Fühlungnahme mit den Ententemächten im Mai 1918 ein Abkommen unterzeichnen müssen, das Österreich-Ungarn zu einem Satelliten des Deutschen Reiches degradierte.95 Dieser Schritt hatte weitreichende Konsequenzen, da die Ententemächte die Habsburgermonarchie in Konsequenz nur noch als willfähriges Anhängsel Berlins betrachteten, durch dessen Zerschlagung der Krieg schneller beendet werden konnte. Deswegen erkannten sie die von den Exilpolitikern gegründeten Nationalkomitees offiziell an und sagten ihnen die staatliche Unabhängigkeit ihrer jeweiligen nationalen Siedlungsgebiete nach dem Ende des Krieges zu.96 In der Hoffnung, sein 91 BMHW-KA (Hg.), ÖUlK, Bd. 7, 177–359. 92 Deak, Offizier, 243–244; Zeman, Zusammenbruch,151; Jan Opočenský, Umsturz in Mitteleuropa. Der Zusammenbruch Österreich-Ungarns und die Geburt der kleinen Entente, Hellerau 1931, 336–338; Roman Sandgruber, Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Wien 2005, 319–323; Christian Mertens, Die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf die Ernährung Wiens, in: Alfred Pfoser / Andreas Weigl (Hgg.), Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 162–171. 93 Bardolff, Soldat, 324–337; Rauchensteiner, Tod, 546–552; Zeman, Zusammenbruch, 151– 154. Zur Frage von Desertion und militärischem Widerstand vgl. Oswald Überegger, Politik, Nation und Desertion. Zur Relevanz politisch-nationaler und ideologischer Verweigerungsmotive für die Desertion österreichisch-ungarischer Soldaten im Ersten Weltkrieg, in: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 8/2/2008, 109–119; Bernadette Schuh, Geschichte der Desertion in Österreich, ungedr. geisteswiss. Diss. Wien 2006. 94 Rauchensteiner, Tod, 598–600; Richard Plaschka, Horst Haselsteiner, Arnold Suppan, Innere Front. Militärassistenz, Widerstand und Umsturz in der Donaumonarchie 1918, 2 Bde., Wien 1974, Bd. 1: 59–106, 159–277, Bd. 2: 9–105; Zeman, Zusammenbruch, 226–227; Ernst Bruckmüller, Sozialgeschichte Österreichs, Wien 2001, 358–363; Sandgruber, Ökonomie, 332; Karl Friedrich Nowak, Der Sturz der Mittelmächte, München 1921, 47–103. 95 Robert Kann, Geschichte des Habsburgerreiches 1526 bis 1918, Wien / Köln / Weimar 1993, 426–428; Rauchensteiner, Tod, 553–560; Strachan, War, 291–292. 96 Zeman, Zusammenbruch, 185–223; Hoensch, Geschichte, 415–416; Křen, Konfliktgemeinschaft, 363–365; Kalvoda, Genesis, 417–434.

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Reich doch noch retten zu können, erließ Kaiser Karl am 16. Oktober 1918 das „Nationalitätenmanifest“, das allen Volksgruppen Cisleithaniens das Selbstbestimmungsrecht innerhalb des Staatsverbandes einräumte.97 Abgesehen von der Tatsache, dass das Dokument die in der ungarischen Reichshälfte lebenden Nationalitäten explizit ausklammerte, wurde es von den meisten Betroffenen – bewusst oder unbewusst – fehlinterpretiert, setzte sich doch rasch die Meinung durch, der Kaiser habe den Nationalitäten gestattet, sich aus dem Staatsverband zu lösen. Infolgedessen sowie aufgrund der Ohnmacht der staatlichen Autoritäten erklärten Ende Oktober 1918 die Nationalräte der Tschechen, Slowaken, Ungarn, Südslawen und Deutsche ihre Unabhängigkeit von der Habsburgermonarchie.98 Diese Vorgänge wirkten sich desaströs auf die Integrität der k.u.k. Armee aus, die sich zwar nach dem Zusammenbruch der Balkanfront im September 1918 in einer kritischen militärischen Lage befand, jedoch Ende Oktober noch einen weitgehend intakten Machtfaktor darstellte.99 Dies änderte sich jedoch rasch, als die Nachricht von den Unabhängigkeitserklärungen die Front erreichte: Keiner der Soldaten war länger bereit, sein Leben für einen Staat zu riskieren, der nicht mehr existierte. In Folge begannen viele Truppenkörper sich aufzulösen oder geschlossen von der Front abzuziehen, um die Rückreise in ihre neuen Heimatländer anzutreten.100 Dieser Prozess ging so schnell vor sich, dass die k.u.k. Armee bereits vor der Unterzeichnung des Waffenstillstands am 3. November 1918 de facto zu existieren aufgehört hatte. Im Gegensatz zu den Behauptungen in der älteren Historiografie betraf diese Zersetzung keineswegs nur die mehrheitlich aus Slawen bestehenden Truppenkörper, sondern die ganze Armee. So geht aus zeitgenössischen Berichten recht deutlich hervor, dass im Oktober 1918 nicht einmal mehr überwiegend aus Deutschen bestehende Eliteregimenter wie die Tiroler Kaiserjäger bereit waren, weiterzukämpfen und nachdrücklich ihre Heimbeförderung forderten.101 Der Wunsch, nach vier Jahren Krieg endlich nach Hause zurückkehren zu können, einte somit zum letzten Mal die Nationalitäten des Habsburgerreiches.

97 Rauchensteiner, Tod, 603–608; Strachan, War, 318–319; Zeman, Zusammenbruch, 229–230; Opočenský, Umsturz, 263–268. Für den Wortlaut vgl. Wiener Zeitung, Extraausgabe, 17. Oktober 1918. 98 Plaschka, Haselsteiner, Suppan, Front, Bd. 2, 143–316; Zoltán Szende, Die Ungarn im Zusammenbruch 1918. Feldheer/Hinterland, Oldenburg 1931; Opočenský, Umsturz, 387–436, 400–426; Zeman, Zusammenbruch, 230–252; Ivan Šedivý, Češi, české země a velká válka, Praha 2001, 339–353; Stevenson, History, 485–491. 99 Rauchensteiner, Tod, 601–602; BMHW-KA (Hg.), ÖUlK, Bd. 7, 399–406, 514–538, 765– 794; Nowak, Sturz, 201–244. 100 Deak, Offizier, 245–246; Opočenský, Umsturz, 275–286, 359–370; BMHW-KA (Hg.), ÖUlK, Bd. 7, 565–800; Rauchensteiner, Tod, 608–624. 101 Hugo Kerchnawe, Der Zusammenbruch der Österreichisch-Ungarischen Wehrmacht im Herbst 1918, München 1921, 103–108.

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5) Mythenbildung Die Fortführung der Kriegserzählungen in der Historiografie der Nachfolgestaaten stellte den letzten großen Schritt auf dem Weg zur Mythenbildung rund um das Verhalten der Tschechen im Weltkrieg dar. Beide Seiten gelangten dabei zu einer recht ähnlichen Deutung der Ereignisse, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. In Österreich war es das primäre Ziel der offiziellen Geschichtsschreibung, eine Erklärung für die Niederlage im Ersten Weltkrieg zu finden, welche eine Verantwortung der politischen wie militärischen Eliten der Donaumonarchie, deren Tradition man sich verpflichtet fühlte, möglichst ausschloss. Daher verbreitete man allgemein die Behauptung, dass zwar die deutschen und ungarischen Soldaten der k.u.k. Armee stets tadellos gekämpft hätten, die Niederlage jedoch aufgrund des hochverräterischen Verhaltens der slawischen Nationalitäten der Habsburgermonarchie letztlich unvermeidlich gewesen sei.102 Diese österreichische Variante der Dolchstoßlegende, die nicht zuletzt über die Publikationen des Wiener Kriegsarchivs (dessen Personal sich größtenteils aus ehemaligen k.u.k. Stabsoffizieren zusammensetzte103) verbreitet wurde, fand auch in der Tschechoslowakei großen Anklang, wenn auch aus anderen Gründen. So stand man in Prag bereits Ende 1918 vor dem Problem, dass sich zwar einige zehntausend Tschechen den Freiwilligenverbänden angeschlossen, gleichzeitig jedoch mehr als eine Million ihrer Landsleute in der k.u.k. Armee gedient hatten,104 was die Tschechoslowakei auf der Pariser Friedenskonferenz in Erklärungsnöte hätte bringen können. Vor diesem Hintergrund konzentrierte man sich in der Berichterstattung fast ausschließlich auf die Waffentaten der Legionäre und wies in Hinblick auf die übrigen Tschechen und Slowaken lediglich darauf hin, dass diese zum Dienst in der k.u.k. Armee gezwungen worden wären und nur auf die Gelegenheit zur Desertion gewartet hätten.105 Dieses Erzählmuster wurde, nicht zuletzt gestützt auf die deutschsprachige Historiografie, auch nach dem Krieg beibehalten, sodass auch das staatliche Gedenken an den Ersten Weltkrieg in der Tschechoslowakei alleine auf die Legionäre ausgerichtet blieb. Der auf diese Weise entstehende inhaltliche Konsens der tschechisch- wie deutschsprachigen Geschichtsschreibung zu der Thematik verfehlte, trotz der auf den zweiten Blick erkennbaren Gegensätze, seine Wirkung auf die breite Öffentlichkeit nicht. Hier 102 Bardolff, Soldat; Molisch, Kampf; BMHW-KA (Hg.), ÖUlK; Wagner, Weltkrieg; Václav Husa, Geschichte der Tschechoslowakei, Praha 1963; Edmund Glaise-Horstenau, Die Katastrophe. Die Zertrümmerung Österreich-Ungarns und das Werden der Nachfolgestaaten, Zürich / Wien / Leipzig 1929; Rudolf Kiszling, Österreich-Ungarns Anteil am Ersten Weltkrieg, Graz 1958. 103 Graydon A. Tunstall, The Habsburg Command Conspirancy. The Austrian Falsification of Historiography on the Outbreak of World War One, in: Austrian History Yearbook 27/1996, 181–198. 104 Während des Ersten Weltkriegs zog Österreich-Ungarn mehr als 8 Millionen Männer zum Militärdienst ein, ca. 13 Prozent davon waren Tschechen. Vgl. Deák, Offizier, 217; BMHWKA (Hg.), ÖUlK, Bd. 7, Beilage 37. 105 Beneš, Aufstand; Josef Kudla, Československý odboj doma, Praha 1928; Vladimír Klecanda, Slovenský Zborov, Praha 1934.

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entstand der Eindruck, dass wenn eine Angelegenheit von zwei so gegensätzlichen Parteien wie Deutschen und Tschechen in fast identischer Weise geschildert wurde, die Wahrscheinlichkeit sehr groß war, dass sich die Ereignisse tatsächlich in der geschilderten Art und Weise zugetragen hatten. Vor allem dieser Umstand führte dazu, dass die Legende der „generellen Unzuverlässigkeit“ der Tschechen in der Historiografie wie im kollektiven Gedächtnis geradezu einzementiert wurde, wo sie bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts regelmäßig anzutreffen ist. 6) Schlussbemerkung Legt man die überlieferten Primärquellen der zivilen und militärischen Zentralstellen der Habsburgermonarchie sowie die aktuelle Historiografie zugrunde, wird deutlich, dass das über Jahrzehnte als Faktum gehandelte Dogma der generellen Unzuverlässigkeit des tschechischen Bevölkerungsteils der Habsburgermonarchie während des Ersten Weltkriegs in das Reich der Mythen zu verweisen ist. Ausgehend von den seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehegten Vorurteilen der militärischen Zentralstellen der k.u.k. Armee waren es vor allem nationalistische Politiker deutscher Nationalität, die zur Durchsetzung ihrer Ziele die angebliche staatsfeindliche Haltung der österreichisch-ungarischen Tschechen thematisierten. Diese Strategie wurde von beiden Gruppen auch während des Ersten Weltkriegs fortgesetzt, in dem insbesondere die militärische Führung der k.u.k. Armee viele sich bietende Gelegenheiten nutzte, die Verantwortung für erlittene Rückschläge auf slawische Truppen abzuschieben. Im Fall der deutschnationalen Politiker bestand das Ziel primär darin, die insbesondere gegen Ende des Krieges zunehmend konsensbereite österreichische Regierung von Zugeständnissen gegenüber dem tschechischen Bevölkerungsteil abzuhalten. Den lachenden Dritten in dieser Konstellation bildeten die tschechischen und slowakischen Exilpolitiker, die unter Verweis auf die angeblichen Widerstandstaaten ihrer Landsleute ihren eigenen Forderungen gegenüber den Ententestaaten Nachdruck verleihen konnten. Der Mythos war jedoch erst in jenem Augenblick perfekt, als sich nach dem Ende des Krieges die Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie bei der Erstellung ihrer nationalen Historiografie zum Ersten Weltkrieg wiederum der alten Stereotype bedienten, was zu einem erstaunlichen Gleichklang der Erzählungen führte. Der Grund für das lange Überdauern der Legende ist jedoch vor allem darin zu suchen, dass lange Zeit kein ernsthafter Versuch unternommen wurde, sie zu dekonstruieren. So schwand das Interesse an der Thematik des Verhaltens der Tschechen im Weltkrieg sowohl in Österreich als auch in der Tschechoslowakei nach 1945 rasch, wenn auch wiederum aus unterschiedlichen Gründen. Während in Österreich der Fokus auf die Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs gelegt wurde, unterband das kommunistische Regime in der Tschechoslowakei nach 1948 aus ideologischen Gründen jede weitere Auseinandersetzung mit der Geschichte

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der tschechischen Länder im Ersten Weltkrieg.106 Erst nach dem Fall des Kommunismus in Ostmittel- und Südosteuropa im Jahr 1989 und der damit verbundenen freien Verfügbarkeit des relevanten Archivmaterials knüpften österreichische, deutsche und tschechische Kollegen wieder an die früheren Forschungen an, wobei es durch die Auswertung von bis dahin nicht zugänglichem Quellenmaterial gelang, mehrere Mythen rund um das deutsch-tschechische Verhältnis vor bzw. während des Krieges zu widerlegen.107 Weitere Publikationen zu dem Themenfeld befinden sich aktuell in Vorbereitung, sodass zu erwarten ist, dass es in absehbarer Zeit zu einer Neubewertung des Verhältnisses der Nationalitäten des Habsburgerreiches kommen wird. Dr. Richard Lein, Budapest/Graz

106 Nancy Wingfield, The Battle of Zborov and the Politics of Commemoration in Czechoslovakia, in: East European Politics and Societies 17/2003, 654–681, hier 678–681. 107 Vgl. Křen, Konfliktgemeinschaft; Jan Galandauer, 2.7.1917 Bitva u Zborova. Česká Legenda, Praha 2002; Martin Zückert, Zwischen Nationsidee und staatlicher Realität. Die tschechoslowakische Armee und ihre Nationalitätenpolitik 1918–1938, München 2006; Fučík, Osmadvacátníci; Richard Lein, Pflichterfüllung oder Hochverrat? Die tschechischen Soldaten Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg, Wien / Berlin 2011; Nancy Wingfield, Flag wars and stone saints. How the Bohemian lands became Czech, Cambridge 2007.

ZWISCHEN NATIONAL UND LOKAL Das Gedenken an den Ersten Weltkrieg in Frankreich Elise Julien Abstract: In Frankreich wird der Erste Weltkrieg heutzutage immer noch als der Große Krieg bezeichnet; dieser wurde schnell zu einem nationalen Gründungsmythos und hat sich in letzter Zeit in diesem Sinn sogar verstärkt. Die Entstehung der starken Präsenz des Konflikts in der französischen Öffentlichkeit ein Jahrhundert nach seiner Entwicklung ist bedenklich. Fraglich ist außerdem, ob die Stärke eines solchen nationalen Mythos Raum für lokale Erfahrungen, Geschichten und Erinnerungen überlässt. Gab es im Krieg eine Art Auflösung der Regionen in die Nation? Wurde der Konflikt zum Schmelztiegel, in dem lokale Eigenheiten schmolzen? Oder bleiben lokale Besonderheiten im Gegenteil maßgebend, um jenseits des nationalen Rahmens das Engagement der Menschen in den Krieg und ihre Erinnerung daran zu verstehen? Dieser Aufsatz versucht, die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Frankreich zu überdenken: zum einen, um ihre nationalen Spezifika klarzustellen, zum anderen, um lokalere Ebenen zu beleuchten. Ferner zieht dieser zweifache Ansatz die Verbindungen zwischen nationaler und regionalen Perspektiven sowie die Wechselwirkungen zwischen ihnen in Betracht.

Schon früh zeigten die französischen Behörden besonderes Engagement bei der Vorbereitung auf das 2014 anstehende Jahrhundertgedenken (Centenaire) an den Ersten Weltkrieg – ein Konflikt, der in Frankreich seit einigen Jahrzehnten weit mehr im Fokus des öffentlichen Interesses steht als in anderen Ländern, wie zum Beispiel Deutschland. Die Befassung mit diesem Thema hat sehr alte Wurzeln: In Frankreich hat sich das, was hundert Jahre nach dem Geschehen immer noch als Großer Krieg (Grande Guerre) bezeichnet wird, rasch zum nationalen Gründungsmythos entwickelt, der in den letzten Jahren immer größere Bedeutung gewonnen hat.1 Diese Bestandsaufnahme wirft Fragen auf: die nach den Ursachen von Mythisierung und Omnipräsenz dieses Krieges in der französischen Öffentlichkeit noch ein Jahrhundert nach seiner Entfesselung sowie jene nach Räumen für lokale bzw. regionale Erfahrungen, Geschichten und Erinnerungen angesichts der Macht eines solch national konnotierten Mythos.2 Oder anders formuliert: Ging während des Krieges das Regionale im Nationalen auf? War der Erste Weltkrieg eine Art

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Vgl. Nicolas Offenstadt, La Grande Guerre aujourd’hui, Paris 2010. Vgl. Anne-Marie Thiesse, La création des identités nationales, Paris 1999; Gérard Noiriel, A quoi sert l’identité nationale?, Marseille 2007.

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Schmelztiegel lokaler Identitäten? Oder bleiben diese doch maßgeblich, um das Engagement der Bevölkerung im Kriege und die daran bewahrte Erinnerung zu verstehen und dabei den allzu starren nationalen Rahmen zu durchbrechen? Der vorliegende Aufsatz thematisiert das Gedenken an den Ersten Weltkrieg in Frankreich auf diesen zwei Ebenen: der nationalen wie der regionalen bzw. lokalen. Dieser doppelte Ansatz hilft, die Kontaktpunkte zwischen nationaler und regionaler Perspektive zu erhellen wie auch die Reziprozität beider zu erkennen. Das erfordert jedoch ein diachrones Innehalten an verschiedenen wichtigen Punkten der Geschichte: Zunächst einmal ist der Rückblick auf den Krieg selbst und die unmittelbare Folgezeit notwendig, um die Grundbedingungen des sich konstituierenden Gedenkens an den Krieg zu verstehen. Weiterhin wichtig ist eine Analyse der Entwicklung der Erinnerungskultur im 20. Jahrhundert, insbesondere der Ausweitungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese historischen Wegmarken sind wesentlich für das grundlegende Verständnis der aktuellen Situation in Frankreich. 1. Kriegserfahrung am Kriegsende: am Ausgangspunkt der französischen Erinnerungskultur Wie in anderen Ländern auch formte sich die Erinnerung an den Krieg in Frankreich bereits im Kriege selbst. Schon 1914 dienten Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster den Zeitgenossen dazu, Vergangenheit und Gegenwart, den Zustand der Nation wie der internationalen Beziehungen zu erfassen und eine eigene, sinnstiftende Deutung der Geschehnisse zu konstruieren. Gewisse Erfahrungen und Überzeugungen, die auch zum Teil die Erinnerung an den Krieg bestimmten, teilen alle kriegführenden europäischen Mächte, auch wenn das Kriegsende einige neue Interpretationen mit sich brachte.3 Wie alle anderen kriegführenden Bevölkerungen in Europa sahen sich die Franzosen als Opfer aggressiver Gegner und den zu führenden Konflikt als Verteidigungskrieg.4 Die deutsche Kriegserklärung an Frankreich sowie die direkt darauf folgende Invasion des neutralen Belgiens und des französischen Nordostens machten die Notwendigkeit einer defensiven Mobilisierung deutlich. Obschon die territorialen Streitigkeiten vor allem um Elsass-Lothringen wie auch die sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zuspitzenden kolonialen Rivalitäten zwischen Deutschland und Frankreich zweifelsohne keine hinreichenden Kriegsgründe darstellten, hatten diese Streitpunkte die Überzeugung beider Seiten verstärkt, für ihr vermeintlich gutes Recht notfalls auch zu kämpfen. Das erklärt zum

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Vgl. Elise Julien, Paris, Berlin, la mémoire de la guerre (1914-1933), Rennes 2010, 33–72. Vgl. Les Entrées en guerre en 1914, in: Guerres mondiales et conflits contemporains 179/1995; Jean-Jacques Becker, 1914, comment les Français sont entrés dans la guerre, Paris 1977; Gerd Krumeich, Vorstellungen vom Krieg vor 1914, in: Sönke Neitzel (Hg.), 1900. Zukunftsvisionen der Grossmächte, Paderborn 2002, 173–186.

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großen Teil, dass sich so viele Franzosen der nationalen Sache anschlossen, darunter auch Sozialisten oder Katholiken, die die Politik der Regierung eigentlich ablehnten. Für sie alle war der Krieg in erster Linie ein Verteidigungskrieg. Der Glaube, angegriffen worden zu sein, führte zu einer umfassenden Mobilisierung riesiger Wehrpflichtarmeen, und der französische Frontsoldat (le poilu) machte dabei ganz ähnliche Erfahrungen wie seine europäischen Schicksalsgenossen. Dies betraf etwa die Veränderungen der Kampfhandlungen, das Leben in den Schützengräben, die Entwicklung neuer Waffen oder die Anpassung seiner Ausrüstung. Im Rücken der Kämpfenden musste die Heimat die nötigen Güter bereitstellen, obwohl ihr viele Männer im arbeitsfähigen Alter entzogen worden waren: Das an der Front kämpfende Heer brauchte Nahrung, Kleidung und Waffen. Dies verlangte nach einer umfassenden wirtschaftlichen Mobilisierung von Industrie und Landwirtschaft an der Heimatfront, die mit einer sozialen, politischen und kulturellen Mobilisierung der im Kriegseinsatz stehenden Zivilisten einherging, gestützt auf ein weitverbreitetes patriotisches Gefühl. Schließlich verspürte die französische Gesellschaft, ebenso wie die Bevölkerung anderer kriegführender Mächte, die Gewissheit, in eine besondere Zeit einzutreten und Zeuge historischer Ereignisse zu sein, während sie sich gleichzeitig durch die horrende Anzahl an Toten und Verwundeten mit den schlimmsten Auswirkungen dieser neuen Art der Kriegführung konfrontiert sah. Ganz gleich ob die Jahre von 1914 bis 1918 nun als heroische oder tragische Zeit gedeutet wurden, die Franzosen waren sich einig, dass die Erinnerung nicht verloren gehen durfte, deshalb ist die Erinnerung an den Krieg im Krieg selbst zu suchen. Zunächst setzte sich die Idee durch, dass es angesichts der von den Toten geleisteten Pflichterfüllung gleichsam eine Pflicht der Überlebenden gebe, die Gefallenen vor dem Vergessen zu bewahren – eine Kultur des Gedenkens und der Ehrerbietung prägte die Zeitgenossen. Schon bald weckte das Gefühl, solch einschneidenden Geschehnissen beizuwohnen, das Bedürfnis, sie zu konservieren – in Form eines individuellen Niederschreibens insbesondere in Tagebüchern, aber auch durch das Zusammenstellen von Erinnerungen oder das Sammeln verschiedenster Publikationen, Schriften und Objekte, deren späterer Wert anfangs kaum abzusehen war und die den Nukleus der großen privaten wie öffentlichen Bibliotheken und Sammlungen zum Kriege bildeten. Diese Erfahrungen, die alle am Krieg teilnehmenden europäischen Nationen teilten, dürfen aber nicht über nationalspezifische Variationen in der Kriegsdeutung und -verarbeitung hinwegtäuschen: In Frankreich fügte sich die historische Erzählung des Großen Krieges nahtlos in jene der Vorkriegszeit ein, die geprägt war von der manichäischen Sicht auf die internationalen Beziehungen nach der Französischen Revolution, die Frankreich als Stifter von Freiheit und Fortschritt wertete und die ihre vermeintliche Bestätigung in der Entfesselung des Krieges fand. Dessen Ursachen sah man in der Verfassung des Deutschen Reiches angelegt, die dem Feinde angelasteten Verheerungen außerdem als Zeugnis besonderer deutscher Grausamkeit. In diesem Lichte erschien der Krieg nicht als Selbstzweck, sondern als Weg zur Errichtung einer neuen internationalen (Friedens-) Ordnung, getragen vom Selbstbestimmungsrecht der Völker. Während man in

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Deutschland gemeinhin vom „Geist von 1914“5 spricht, beriefen sich die Franzosen zurückbesinnend auf den „Geist von 1789“.6 Darüber hinaus gründete sich die Mobilisierung der Erinnerung während des Krieges überall auf die tiefe Überzeugung, dass der Sieg die Genugtuung eines guten und dauerhaften Friedens bringen werde. Als der Waffenstillstand vom November 1918 das lang ersehnte Ende des Krieges brachte, wurde dieser nunmehr Gegenstand einer kollektiven wie individuellen Neubewertung im Lichte seines Ergebnisses und seiner Folgen. In Frankreich verband sich die Erleichterung über das Ende der schrecklichen Belastungsprobe dieses Großen Krieges mit dem Stolz über den Sieg zunächst zu einem kollektiven Jubel. Der Sieg über Deutschland schien die eigene Schuldlosigkeit am Ausbruch und Verlauf der Feindseligkeiten zu bestätigen. Der zukünftige Friedensvertrag sollte, auf dem Völkerrecht basierend, eine neue Ordnung von Eintracht und Verständigung begründen. Doch als die Euphorie über den Sieg langsam abebbte, begann sukzessive eine umfassende Neuinterpretation des Geschehenen. Die nationale Begeisterung wich einer allgemeinen Erschöpfung, die in eine Verurteilung des Krieges mündete. Der enttäuschende Frieden und das Scheitern der Versailler Nachkriegsordnung desillusionierten die Franzosen nachhaltig: Der Krieg hatte nicht die ersehnte und den erbrachten Opfern gerecht werdende stabile und ausgeglichene Friedensordnung hervorgebracht, stattdessen wurde er in der Retrospektive mehr und mehr als rein destruktives Zerstörungswerk wahrgenommen, dessen Wiederholung unbedingt zu vermeiden war. Der Sieg hatte nationalistische Anliegen gestillt und damit den Weg für die pazifistischen Umorientierungen geebnet. Den Franzosen fiel es nach 1918 leicht, deutschen Revanchismus anzuprangern, da sie ihre eigene Revanche für die Niederlage von 1871 nun bekommen hatten – auch wenn das nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass der französische Wunsch nach Frieden ein aufrichtiger war.7 Trotz seiner nachgerade notwendigen verbindend-globalen Konnotation kann dieses nationale Narrativ jedoch kaum akkurat regionale Besonderheiten des Kriegserlebens der französischen Bevölkerung wiedergeben. 1922 veröffentlichte Joseph-Emile Poirier im L’Almanach du Combattant unter dem Titel Le régionalisme à la guerre einen Text, in dem er schrieb: „Dans les armées de la guerre, combien il était facile de sentir, sous l’uniforme et l’uniformité apparente, vivre nos provinces françaises.“ Poirier lag viel daran, auf diese regionalen Feinheiten zu achten und eine allzu gleichmacherische Betrachtung der poilus zu vermeiden, die ihnen nicht gerecht werden könne. Seinen Standpunkt untermauerte er durch die Schilderung eines Soldaten, der während

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Vgl. Jeffrey Verhey, Der „Geist von 1914“ und die Erfindung der Volksgemeinschaft, Hamburg 2000. Vgl. Julien, Paris, Berlin, 45ff. Vgl. Antoine Prost, Les Anciens combattants et la société française, Band 3, Mentalités, Paris 1977, 78–89.

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der Kämpfe im Artois 1915 immer wieder in die Nacht rief: „Y a-t-il par là un gars du Poitou?“8 Zu Beginn des Krieges stärkte das Rekrutierungsverfahren des französischen Heeres regionale Identitäten im Militär: Es führte die Männer in landsmannschaftlich geschlossene Verbände, was es den Soldaten an der Front über ihre Einheit erleichterte, Kontakte mit ihrer Heimatregion zu pflegen.9 Regionale Identitäten offenbarten sich zunächst über die Sprache: Regiolekte oder sogar lokale Mundarten zeigten den Soldaten, wer mit ihnen den Heimatort oder die Heimatregion teilte. Auch Kochkunst und Geschmack konstituierten (regionale) Identität: Man teilte per Post gekommene Nahrungsmittel aus der Heimat miteinander – regional unterschiedliche Produkte wie gesalzene Butter aus der Bretagne, Olivenöl aus der Provence, Wein aus der Gironde oder verschiedene andere alkoholische Getränke. Schließlich spielten auch Gesang und Musik eine große Rolle, um in der soldatischen Lebenswelt von Front und Etappe Identitäten bzw. Herkunft zu erkennen.10 Allerdings brachen sich regionale Identitäten nicht nur im Alltag Bahn, sondern mit aller Macht auch durch verschiedenste Verhaltensweisen im Krieg. So hatten Soldaten aus den von Deutschland besetzten Gebieten Nordostfrankreichs eine besondere Motivation zu kämpfen: die Befreiung ihrer Heimat. Andere wiederum, wie manche Basken, beheimatet fern der Fronten in den Pyrenäen, nutzten die Ausnahmesituation, um ihren eigenen Widerstand gegen den französischen Zentralstaat wiederaufleben zu lassen und den Kämpfen fern der eigenen Heimat durch einen Grenzübertritt nach Spanien zu entrinnen. Ende August 1914 eskalierte der ohnehin vorhandene Gegensatz zwischen Nord- und Südfrankreich, und in dieser Krise brachen alte und tief verwurzelte Vorurteile über die jeweils andere Region wieder hervor: Nach dem Scheitern der im Plan XVII ausgearbeiteten französischen Strategie, durch Großangriffe in Lothringen den Krieg nach Deutschland zu tragen, fanden der Generalstabschef des Heeres Joseph Joffre und Kriegsminister Adolphe Messimy in den Truppen des XV. Korps, beheimatet in der Provence, schnell einen Sündenbock für den operativen Fehlschlag. Diese Anschuldigungen fanden ihren Widerhall in Politik und Presse. Am 24. August 1914 griff Senator Auguste Gervais die Vorwürfe auf, als er in der Zeitung Le Matin die „impardonnable faiblesse“ der Truppen der „aimable Provence“ anprangerte.11 Da die Provence ohnehin als Region des ange8

Zitiert bei Nicolas Offenstadt, Le Monde, Supplément 14–18, Le Journal du centenaire, mai 2014. 9 Vgl. Philippe Boulanger, La France devant la conscription. Géographie historique d'une institution républicaine 1914–1922, Paris 2001. 10 Vgl. Michaël Bourlet / Yann Lagadec / Erwan Le Gall (Hgg.), Petites patries dans la Grande Guerre, Rennes 2013. 11 Vgl. Maurice Mistre, La Légende noire du 15e corps. L’honneur volé des Provençaux par le feu et l’insulte, Forcalquier 2009; Laurent Ségalant, 1914: Une campagne orchestrée contre les soldats méridionaux?, in: Christian Amalvi / Alexandre Lafon / Céline Piot (Hgg.), Le Midi, les Midis dans la IIIe république (1870–1940), Nérac 2012, 281–303.

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nehmen und ruhigen Lebens bekannt war, unterstrich diese Wortwahl die vermeintlich fehlende Entschlossenheit ihrer Bewohner im Kampf. Die Klage über vermeintliche militärische Unfähigkeit oder sogar Feigheit französischer Soldaten aus dem Süden des Landes weitete sich in der Folge auf andere Regionen außerhalb der Provence aus.12 Die Notizbücher und Briefe der Soldaten wimmelten von harter Kritik, sogar von Spott über und Anschuldigungen gegen die midis, die Soldaten aus dem Süden des Landes. Die Frau des Politikers und Soldaten Abel Ferry schrieb sogar: „Les uns rachètent les autres; il faudrait que la France s’arrête à Orléans.“13 Die Südfranzosen waren angesichts solcher Anklagen zutiefst getroffen, vor allem weil die Konsequenzen der Anfeindungen nicht nur rhetorischer Natur waren: Ihre schlechte Reputation brachte Soldaten aus Südfrankreich mitunter Schikanen ihrer Vorgesetzten oder sogar schlechtere medizinische Behandlung ein, allzu oft aber auch die Feindseligkeit der Zivilisten an ihren Stationierungsorten, die immer wieder in Schlägereien ausarteten. Die regional strukturierte Rekrutierung von Soldaten am Kriegsbeginn, die für eine gewisse Homogenität der Regimenter sorgte, konnte angesichts des Ausmaßes der Verluste nicht aufrechterhalten werden. Um die zerschlagenen Verbände wieder aufzufüllen, griff man bald auf Soldaten aus ganz Frankreich zurück und achtete nicht mehr auf die landsmannschaftliche Geschlossenheit. Bretonen dienten gemeinsam mit Parisern, Soldaten aus dem südfranzösischen Department Tarn mit jenen aus dem nördlichen Pas-de-Calais. Nun war den Männern die Herkunft ihrer Kameraden aber nicht gleichgültig. Der Historiker Marc Bloch verurteilte die in seinem Regiment dienenden Bretonen, insbesondere „les hommes de l’intérieur des terres“, als „médiocres guerriers“.14 Dagegen bezeichneten die Bretonen die Südfranzosen als „tireurs au flanc“, um sich selbst ins bessere Licht zu rücken. Und der Hauptmann Jean Leddet schrieb, dass „[ses] Bretons ne pouvaient pas les souffrir. Ils avaient payé trop cher, quelque fois, le résultat de leur incurie.“15 Diese gegenseitigen Anfeindungen führten zu internen Spannungen in den französischen Regimentern. 2. Die Folgen für die Entstehung einer Kriegserinnerung Jenseits der durch das nationale Gedenken vorgeschriebenen Einigkeit zeigt sich doch, dass der Krieg sehr heterogen erlebt wurde, was wiederum lang- wie kurz12 Vgl. Jean-Yves Le Naour, Désunion nationale. La légende noire des soldats du midi, Paris 2011. Alexandre Lafon, Le Midi au front : représentations et sentiment d’appartenance des combattants méridionaux, 1914–1918, in: Le Midi, les Midis, 257–279. 13 Helène Ferry, lettre du 13 septembre 1914. Clémentine Vidal-Naquet, Correspondances conjugales 1914–1918. Dans l'intimité de la Grande guerre, Paris 2014, 74. 14 Marc Bloch, Ecrits de guerre, Paris 1997, 146. 15 Zitiert bei Yann Lagadec, L’approche régionale, quelle pertinence? Le cas des combattants bretons de la Grande Guerre, in: Petites patries, 46.

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fristige Konsequenzen für die traditionell das Kriegsgedenken tragenden Akteure zeitigt, aber auch für die Fundamente des Erinnerns selbst sowie für die Möglichkeiten eines nationalen Gedenkens. Die Französische Republik ging gestärkt aus dem Krieg hervor und verfolgte die im Krieg begonnene Erinnerungspolitik weiter. Sie etablierte einen öffentlichen Totenkult, der letzten Endes den Schmerz der Trauernden und Hinterbliebenen einrahmen, lenken und lindern sollte – sah man doch in individueller, ungesteuerter Trauer die Gefahr einer sozialen und politischen Destabilisierung. In diesem Prozess gelang es dem Staat, die Nation einigende Symbole zu schaffen, die imstande waren, Trost zu spenden und gleichzeitig der Bildung eines konsensstiftenden Kultes zu dienen: das Grab des unbekannten Soldaten als Verortung des nationalen Gedenkens, lokale Kriegsdenkmale als Orte dezentralen Gedenkens und nicht zuletzt die jährlichen und landesweiten offiziellen Gedenkfeiern am 11. November, dem Tag des Waffenstillstandes.16 Um das Gedenken an den Ersten Weltkrieg zu sozialisieren, musste der Staat jedoch die Zustimmung der Veteranen gewinnen, die sich nach 1918 in zahllosen Vereinen organisierten. Viele davon definierten sich über verschiedenste Merkmale wie Dienstgrad, Korps, aber auch über Berufsgruppen oder Verwundungsarten ihrer Mitglieder. Insgesamt organisierten sich so auf eine bis dato in Frankreich unbekannte Art und Weise über drei Millionen Weltkriegsveteranen, zu Beginn der 1930er Jahre war dies immerhin die Hälfte aller ehemaligen Soldaten. Dieses dichte Vereinsnetz organisierte sich innerhalb großer Nationalverbände, die sich von 1927 an unter der Confédération nationale des anciens combattants sammelten, bei der man von einer wichtigen Veteranenbewegung mit gemeinsamen Zielen sprechen kann.17 Diese Bewegung verstand sich zunächst als eine Art Gewerkschaft der Kriegsopfer und übernahm eine bedeutende Rolle in der Leitung karitativer Einrichtungen für Kriegsversehrte und Veteranen, betrieb dann aber auch die Vergesellschaftung und Durchführung von Gedenkfeiern. Oft waren es die Veteranen, von denen Denkmalinitiativen ausgingen. Auch waren sie es, auf deren Betreiben der 11. November zum gesetzlichen Nationalfeiertag wurde. In den Augen des Staates war ein Gedenktag am Sonntag nach dem 11. November ausreichend, die Veteranen aber pochten auf den Tag des Waffenstillstandes selbst: als Feiertag für das Ende des Gemetzels, für den Tag der Befreiung. 1922 setzten sie ihr Anliegen durch.18 In ihrem Engagement ging es den Veteranen auch darum, eine moralische Botschaft an die Gesellschaft insgesamt, vor allem aber an die Jugend zu senden: Der Krieg schlachte Massen unter abscheulichen Bedingungen ab, man müsse alles dafür tun, seine Wiederholung zu verhindern. Um ihrer Botschaft Nachdruck zu verleihen, setzten die Veteranen auf ihre durch den Kampfeinsatz gewonnene

16 Julien, Paris, Berlin, 73-147. 17 Vgl. Prost, Les Anciens combattants, 3 Bände, Paris 1977. 18 Das Gesetz vom 24. Oktober 1922 machte den 11. November zum Gedenktag für den Sieg und den Frieden.

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Glaubwürdigkeit und Integrität und machten sich zum Sprachrohr der gefallenen Kameraden. Antoine Prost betonte die zutiefst pazifistische Ausrichtung der in Frankreich entstandenen Soldatenbewegung, auch wenn sie trotz alledem eine kleine Minderheit militaristischer Gruppierungen beherbergte.19 Neben dieser Besonderheit der national wirkenden Akteure gibt es noch weitere Bedingungen, die in die Ausprägung des Kriegsgedenkens in Frankreich hineinspielen. Die sterblichen Überreste jener Gefallenen, die nicht an ihre Familien übergeben wurden20, sind in Nekropolen entlang der alten Frontlinie von der belgischen bis zur Schweizer Grenze bestattet. Diese Nekropolen müssen es ermöglichen, dass der Boden den Lebenden zur Verfügung steht und beispielsweise für die Landwirtschaft genutzt werden kann. Ebenso müssen sie die Pflege der Kriegsgräber durch den Staat ermöglichen, der verantwortlich für den Fortbestand und die Gleichbehandlung der Morts pour la France (für Frankreich Gestorbenen) zeichnet.21 Einmal errichtet, waren diese Orte der Bevölkerung zugänglich und boten die Gelegenheit, die ehemaligen Schlachtfelder zu besichtigen, zu den Gräbern zu pilgern22 und letztlich sogar einen richtiggehenden Schlachtfeldtourismus mit Führungen und entsprechender Infrastruktur entstehen zu lassen. Weit entfernt von der ehemaligen Front und den dortigen Gräbern finden sich im Hinterland Ehrenmale, die ihren Platz inmitten der zivilen Lebenswelt einnehmen. Eine Vielzahl von Denkmalen wurde von Gemeinden errichtet, oft in Form einer Stele oder eines Obelisken, aber auch in standardisierter Optik Soldaten zeigend. Errichtet auf öffentlichen Plätzen ergreifen sie nicht zwangsläufig Partei für Sinn oder Unsinn des Krieges; man kann sie auch als monuments civiques (bürgerliche Denkmale) bezeichnen. Andere Ehrenmäler sind heroischer konnotiert und fokussieren auf den Sieg, sie kann man als monuments patriotiques klassifizieren. Wieder andere rücken den Soldatentod und den Schmerz der Überlebenden ins Blickfeld, verbunden mit einer teils christlichen Bekundung der Trauer, und können daher als monuments funéraires eingestuft werden.23 Oft gehen die verschiedenen Konnotationen ineinander über. Jenseits und innerhalb des kommunalen Gedenkens gibt es darüber hinaus Denkmale, die spezifischen Gemeinschaftsformen mit besonderer Bedeutung für die Lebenden zugehörig sind: in

19 Vgl. Prost, Les Anciens combattants, Band 3, Mentalités, 98–111. 20 Die Genehmigung, die sterblichen Überreste zu überführen, wird durch das Finanzgesetz vom 31. Juli 1920, Art. 106, erteilt, das eine Übernahme der Kosten durch den französischen Staat vorsieht. Rund 30 % der identifizierten Gefallenen werden von ihren Familien zurückgeholt. 21 Diese Formulierung geht auf das Gesetz vom 2. Juli 1915 (geändert durch das Gesetz vom 22. Februar) zurück und soll die Soldaten (aber auch Zivilisten) ehren, die durch direkte Einwirkung des Krieges ums Leben kamen. 22 Das Gesetz vom 29. Oktober 1921 gewährt Familien eine jährliche kostenfreie Reise, um ihnen die Möglichkeit zu geben, das Grab eines Angehörigen zu besuchen, wenn dieses sich nahe der alten Frontlinien befindet. 23 Vgl. Antoine Prost, Les monuments aux morts, in: Pierre Nora (Hg.), Les Lieux de mémoire, Band 1, La République, Paris 1984, 195–225.

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Schulen, Universitäten, Verwaltungen, Unternehmen und an anderen Arbeitsplätzen sowie in Kirchen oder den verschiedensten anderen militärischen, beruflichen oder kulturellen Körperschaften. Die unterschiedliche konnotative Ausprägung der Denkmale wird dadurch nivelliert, dass sie letzten Endes einem gemeinsamen Zweck dienen. Sie alle sind Kristallisationspunkte einer sich seit den 1920er Jahren durchsetzenden Trauerliturgie am 11. November, eines kodifizierten Zeremoniells: beginnend mit einer von Schulkindern angeführten Prozession, deren Abschluss Veteranen bilden. Vor dem Denkmal hört die Menge den Reden zu, dann folgt der appel des morts. Seit Anfang der 1930er Jahre endet die Feier mit dem Totengeläut. Letztlich stellt dieser ritualisierte Trauerakt eine Würdigung seitens der Bürger und des Vaterlandes für die im Krieg ums Leben Gekommenen dar. Kranzniederlegungen am Denkmal durch Behörden, aber auch durch Kinder und Jugendliche, stellen eine Verneigung vor den Toten dar, an derer statt Veteranen diese Würdigung empfangen. Diese Ehrung der Soldaten und Gefallenen soll jedoch keineswegs der Verherrlichung des Krieges dienen, sondern stellt vielmehr eine Anerkennung derjenigen dar, die die gemeinsame Heimat verteidigten und dafür ihr Leben gaben. Innerhalb dieser nationalen Ausprägung des Gedenkens gab es jedoch zusätzlich Raum für regionale Differenzierung. Die anhaltenden Kontroversen um die Rolle der Regionen wurden vor allem durch die Hinterfragung ihrer Bedeutung für die nationalen Kriegsanstrengungen deutlich: Gewisse Gebiete hätten mehr Tote zu beklagen als andere. Wurden sie von gewissenlosen und vorurteilsvollen Kommandeuren nachgerade verheizt? Oder kämpften sie aufopferungsvoller für die Verteidigung der Heimat? Die nach dem Krieg gehaltenen Reden, die die Ausmaße regional unterschiedlicher Verluste unterstrichen und die in gleicher Weise aus der Bretagne oder etwa aus Korsika ertönen konnten, wiesen zwei verschiedene Deutungsvarianten auf: Partikularistische oder „nationalistische“ Ansätze prangerten den Missbrauch ihrer Provinz als Kanonenfutter des Zentralstaates an, während staatsaffine Eliten regionale Verluste zu freiwilligen Opferungen für das Vaterland stilisierten. Die Debatten kreisten dabei immer wieder um die Opferzahlen selbst, wobei Vertreter beider Standpunkte nicht davor zurückschreckten, Zahlen in ihrem Sinne zu verzerren. So findet sich in der oberen Galerie im Ehrenhof des Hôtel des Invalides (des Invalidenheims) in Paris, das in der Zwischenkriegszeit zu einem zentralen Gedenkort avancierte, eine Gedenktafel aus dem Jahre 1935, welche die bretonischen Veteranen des Weltkrieges und ihre 240.000 Toten ehrt (Abbildung 1).

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Abbildung 1: Gedenktafel für die für Frankreich gestorbenen Bretonen (Hôtel des Invalides, Paris), aufgestellt 1935.

Dieselbe Zahl findet sich bei einem Denkmal in der bretonischen Gemeinde Sainte-Anne-d’Auray: „Construit de 1922 à 1932 par les catholiques des cinq diocèses de Bretagne pour garder le souvenir des 240.000 Bretons, soldats, marins, aviateurs et civils, victimes de la Grande Guerre 1914–1918.“ Nun beträgt die tatsächliche Zahl der bretonischen Kriegsopfer nicht 240.000, sondern eher 140.000.24 Die hier stattfindende Überhöhung der Opferzahlen erlaubt es den Republiktreuen, die Bretonen als ebenso opferbereit wie andere Franzosen darzustellen, gleichsam dient sie der (partikularistischen) katholischen Rechten, das Martyrium der Bretonen herauszustellen. Aber auch die Überzeugung, dass Bretonen mehr als andere in die vordersten Linien geschickt worden seien, hält sich hartnäckig. Eine dem General Robert Nivelle zugeschriebene Aussage vom April 1917, getätigt nach dem Beginn der nach ihm benannten Offensive an der Aisne, wird bis heute weitererzählt: „Ce que j’en ai consommé de Bretons!“ Aber auch diesem Ausspruch liegt wahrscheinlich nicht mehr Wahrheit zugrunde als den allzu hohen Schätzungen der bretonischen Opfer.25 Es gibt keinerlei Belege dafür, dass sich bestimmte Einheiten aufgrund ihrer regionalen Herkunft bereitwillig geopfert hätten. Neuere Forschungsarbeiten weisen vielmehr auf strukturelle demografische wie soziale Ursachen für die unterschiedlichen Opferzahlen einzelner Departements oder Regionen hin – wie zum Beispiel die wirtschaftlichen Schwerpunkte oder die Anzahl der Bauern in einem Gebiet.26 24 Vgl. Lagadec, L’approche régionale, 29. 25 Vgl. Claude Gueslin / Jacqueline Sainclivier, La Bretagne dans l'ombre de la IIIème République (1880–1939), Rennes 2005 ; Didier Guyvarc'h / Yann Lagadec (Hgg.), Les Bretons et la Grande Guerre, Rennes 2013. 26 Vgl. Henri Gilles / Jean-Pascal Guironnet / Antoine Parent, Géographie économique des morts de 14–18 en France, in: Revue économique 65-3/2014, 519–532.

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Regionale Ausprägungen des Gedenkens zeigen sich auch in der Gestaltung lokaler Denkmale. Zahlreiche Stimmen betonen, dass eine national geprägte Erinnerungskultur nicht die Bindungskraft regionaler Identitäten und die Verbundenheit der Soldaten mit ihrer Heimat oder ihrer petite patrie überdecken sollte. Auch beklagen sie die wachsende Zahl seriell gefertigter Statuen für die Denkmale, deren Einheitsoptik und zweifelhafte Ästhetik. Sie fordern demgegenüber Denkmale mit lokalen und individuellen Konnotationen, um die Herkunft und Lebenswelt der Soldaten zum Ausdruck zu bringen, die die Gefallenen im Moment ihres Todes vor Augen hatten. Aus diesem Grunde sind viele Ausschreibungen für Denkmalentwürfe lokalen Künstlern vorbehalten. Schon über ihre Form können diese Denkmale lokale Besonderheiten zum Ausdruck bringen, zum Beispiel durch die Verwendung eines bestimmten Materials (wie Kalkstein oder Granit) oder durch kulturelle Attribute: So weisen Monumente in den katholischen Regionen Westfrankreichs wie der Bretagne oder der Vendée öfter ein lateinisches Kreuz auf als jene in anderen Gebieten (Abbildung 2).27

Abbildung 2: Ehrenmal in Bénodet (Departement Finistère, Bretagne), errichtet 1923.

27 Vgl. Antoine Prost, Mémoires locales et mémoires nationales : les monuments de 1914–1918 en France, in: Guerres mondiales et conflits contemporains 167/1992, 41–50.

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Darüber hinaus werden auch immer wieder Männer und Frauen in der für die Region typischen Tracht dargestellt (Abbildungen 3, 4, 5).

Abbildung 3: Ehrenmal in Fouesnant (Departement Finistère, Bretagne), errichtet 1922.

Abbildung 4: Ehrenmal in Fief-Sauvin (Departement Maine-et-Loire, Region Pays de la Loire), errichtet 1923.

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Abbildung 5: Ehrenmal in Royat (Departement Puy de Dôme, Auvergne), errichtet 1923.

Schließlich stellen auch steingewordene spezifische Erfahrungen der Kriegszeit lokale Ausprägungen von Denkmalkulturen dar, wie zum Beispiel die Darstellung nicht nur soldatischen Leidens, sondern auch desjenigen der Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten Nordostfrankreichs. So ehren z. B. die Mahnmale in Avion im Pas-de-Calais oder jenes in Lille gleichermaßen Soldaten wie Zivilisten (Abbildungen 6, 7).

Abbildung 6: Ehrenmal in Avion (Departement Pas-de-Calais, Region Nord-Pas-de-Calais), errichtet 1927.

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Abbildung 7: Ehrenmal in Lille (Departement Nord, Region Nord-Pas-de-Calais), errichtet 1927.

Auf letzterem zeugen drei Flachreliefs von der Not der Zivilbevölkerung (viele Einwohner wurden während des Krieges nach Deutschland verschleppt), der Ablösung von Soldaten und zuletzt vom Frieden, der alle erlöst. In Rethel, gelegen in den Ardennen, illustriert das örtliche Denkmal die Zerstörung der Stadt, die während des deutschen Einmarsches 1914 zu mehr als achtzig Prozent dem Erdboden gleichgemacht wurde. Dementsprechend zeigt das Flachrelief auf dem Denkmal brennende und zerstörte Häuser (Abbildung 8).

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Abbildung 8: Ehrenmal in Rethel (Departement Ardennes, Region Champagne-Ardenne), errichtet 1930.

Die 1871 von Deutschland annektierten und nach 1918 wieder an Frankreich angegliederten Regionen Elsass und Lothringen erlebten den Krieg wiederum anders und erinnern entsprechend spezifisch an ihn, kämpfte doch die große Mehrheit der dort verwurzelten Soldaten in deutscher Uniform.28 In diesen östlichen Grenzregionen finden sich viele Ehrenmale für die Toten, auf denen die abgebildeten Soldaten keinerlei Uniform tragen, durch die man sie als einer konkreten Armee zugehörig identifizieren könnte. Das Straßburger Denkmal trägt die lakonische Inschrift „A nos morts“ und zeigt eine Mutter (als Personifizierung der Stadt), auf deren Schoß zwei nackte Soldaten ruhen, ein französischer und ein deutscher, die sich, nachdem sie sich im Leben bekämpft haben, im Tode die Hand reichen (Abbildung 9).

28 Vgl. Jean-Noël Grandhomme / Francis Grandhomme, Les Alsaciens-Lorrains dans la Grande Guerre, Straßburg 2013; Raphaël Georges, Les combattants alsaciens-lorrains de la Grande Guerre, du Reichsland Elsass-Lothringen aux provinces recouvrées, in: Petites patries, 177– 188; Raphaël Georges, L’identité tourmentée des soldats alsaciens-lorrains au sortir de la guerre, in: François Bouloc / Rémy Cazals, André Loez (Hgg.), Identités troublées 1914– 1918. Les appartenances sociales et nationales à l’épreuve de la guerre, Toulouse 2011, 115–128.

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Abbildung 9: Ehrenmal in Straßburg (Departement Bas-Rhin, Elsass), errichtet 1936.

Letzten Endes scheint der Große Krieg regionale Unterschiede ebenso abgeschwächt wie bekräftigt zu haben. Das politische Fundament des Nationalstaates bröckelte nicht, aber auch partikulare Loyalitäten nahmen keinen Schaden. Neben der Entstehung einer national-französischen etablierten sich verschiedene regionalspezifische Erinnerungskulturen, zum Beispiel in der Bretagne, im Elsass, im Süden oder auf Korsika. Neben der gemeinsamen Trauer aller Franzosen finden sich in unterschiedlichen Bereichen verschiedene Ausformungen eines auf der Mikroebene anders, individuell erlebten Krieges. 3. Zwischen Kontinuität und Wandel: das Gedenken an den „Großen Krieg“ seit 1945 Nach dem Zweiten Weltkrieg überschatteten in Europa die Erfahrungen von zwölf Jahren Nationalsozialismus und mehreren Jahren der Fremdherrschaft diejenigen des nun weiter zurückliegenden Ersten Weltkrieges. Wie auch in anderen Ländern trat der nunmehr schlicht als Erster Weltkrieg titulierte Konflikt von 1914 bis 1918 in Frankreich hinter den Schrecken des Zweiten von 1939 bis 1945 zurück. Der 11. November wurde weiterhin als Gedenktag jährlich gefeiert, jedoch auf nationaler Ebene vor allem zur „runden“ zehnjährigen Wiederkehr von Ereignissen wie dem Kriegsende 1918 oder der Schlacht von Verdun 1916. Das Grab des unbekannten Soldaten am Pariser Triumphbogen blieb für diese Gedenkfeiern ein zentraler Ort, jedoch wurde das ins Grabmal integrierte Feuer von nun an jeden Abend von Veteranenverbänden auch des Zweiten Weltkrieges und der Kolonialkriege neu entflammt. Je weiter die

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Jahre voranschritten, desto weniger Zeitzeugen der Jahre 1914 bis 1918 versammelten sich zu den Gedenkfeiern. Darüber hinaus verkörperten der unbekannte Soldat, Ehrenmäler, Gedenkfeiern oder Veteranenverbände während der politischen Auseinandersetzungen der 1960er und 1970er Jahre eine allzu patriotische Vergangenheit, mit der es zu brechen galt, und avancierten damit zu Zielscheiben politischen Protestes. Im öffentlichen Raum nahm die Bedeutung des Ersten Weltkrieges für einige Jahrzehnte ab. Seit dem Ende der 1980er Jahre ruft der Erste Weltkrieg in Frankreich entgegen aller Erwartungen wieder ein verstärktes öffentliches Interesse hervor. Die Debatten um den Zweiten Weltkrieg sind zweifelsohne intensiv, sie verhindern jedoch nicht die erneuerte Aufmerksamkeit für den Ersten. Dieses neue Interesse betrifft vor allem das Leben der Soldaten und der Zivilisten, es richtet sich auf die Individuen und das von ihnen im Krieg Erlebte. In den letzten zwanzig Jahren avancierte der Große Krieg in Frankreich zu einem nicht mehr nur Historikern vorbehaltenen Thema. Man kann sogar von einer „pratique sociale et culturelle“29 sprechen. Die Aktivitäten örtlicher Vereine zur Bewahrung des historischen Erbes, ob direkt an der ehemaligen Front oder andernorts, sind Zeugnis dieser neuen Hinwendung, ebenso wie die Zahl pädagogischer Projekte zum Ersten Weltkrieg oder die Besucherzahlen der entsprechenden Museen (vom Historial de la Grande Guerre, eröffnet 1992 in Peronne, bis zum Musée de la Grande Guerre, eröffnet 2011 in Meaux, um nur die größten zu nennen). Dazu treten ein großes Interesse an genealogischer Forschung auf individueller Ebene und zahllose erfolgreiche geschichtswissenschaftliche und belletristische Publikationen. Die Verleihung des Prix Goncourt 2013 an den Roman Au revoir là-haut von Pierre Lemaître ist nur das letzte Beispiel dieser Entwicklung. Schließlich kommt die kulturelle Produktion hinzu, sei es in den Bildenden Künsten, im Theater, mit Dokumentationen oder Spielfilmen. Diese Entwicklung ist seit den 1990er Jahren zu beobachten und hat sich in den 2000ern enorm verstärkt. Für diese neue Präsenz des Ersten Weltkriegs in der Öffentlichkeit gibt es bestimmte Ursachen, die in eine Richtung weisen: Ganz allgemein ist eine größere Rückwärtsgewandtheit der Öffentlichkeit, einhergehend mit einem Bedeutungsschwund großer gemeinschaftsstiftender Kollektiverzählungen, insbesondere nach dem Fall der Berliner Mauer, zu konstatieren. Solche Tendenzen scheinen in Reden über die devoir de mémoire durch, im Interesse am historischen Erbe oder im Erfolg von historischen Sendungen und Publikationen. Darüber hinaus hat insbesondere der Erste Weltkrieg ein aktivierendes Potential für die Gegenwart, das der Zweite Weltkrieg nicht aufweist. Letzterer spaltete die französische Gesellschaft tiefgreifend, der Große Krieg dagegen war, ist und bleibt eine konsensbildende Erinnerung. In seiner Rede zur Eröffnung des Centenaire am 7. November 2013 griff François Hollande, wie auch zu früheren Anlässen bereits seine Vorgänger, auf die Geschichte des Ersten Weltkrieges zurück, um einen Appell an seine 29 Offenstadt, 14–18 aujourd’hui, 8.

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Landsleute zu richten, angesichts kontemporärer und zukünftiger Herausforderungen zusammenzustehen.30 Vor allem in diesem Kontext erweist sich der poilu als Ikone, die nicht einer gewissen Formbarkeit entbehrt und – vielleicht aus eben diesem Grund – besonders anschlussfähig ist: Er kann zugleich mutiger Held, Opfer inkompetenter oder vorurteilsbeladener Kommandeure oder des Krieges selbst sein oder aber der sich dem Sturmbefehl widersetzende Meuterer wie auch der Pazifist der Nachkriegszeit, Wegbereiter der Völkerversöhnung und der europäischen Einigung. Besonders vielsagend ist der Umgang mit dem Tod der letzten Veteranen des Ersten Weltkrieges, der als Verlust eines fundamental wichtigen Bausteins der Erinnerungskultur empfunden wurde. Als Lazare Ponticelli, der letzte verbliebene poilu, am 12. März 2008 verstarb, erhielt er eine landesweite Würdigung mit einer Zeremonie im Hôtel des Invalides, die im Fernsehen übertragen und während der die Flaggen überall in Frankreich auf Halbmast gesetzt und nicht zuletzt eine Schweigeminute in Behörden und Schulen eingelegt wurde.31 Schließlich weist der Erste Weltkrieg aufgrund der Mobilisierung von mehr als 8 Millionen französischen Soldaten die Besonderheit auf, dass er für alle von Interesse sein kann. Von den genealogischen Befunden und Familiengeschichten bis hin zu den pazifistisch motivierten Berichten (besonders über Meuterer, pazifistische Denkmale oder Kolonialsoldaten) gibt es zahlreiche Mittel, um sich mit der Geschichte des Krieges zu beschäftigen. Unter ihnen haben auch die lokalen Erzählungen einen wichtigen Platz. Anfang 2012 setzte die französische Regierung eine interministerielle „Mission“ ein, die ein offizielles Gedenkprogramm zum Centenaire vorschlagen und umsetzen, verschiedenste Initiativen koordinieren und auch als Anlaufstelle für die interessierte Öffentlichkeit dienen sollte.32 Die Onlinepräsenz des Centenaire bietet eine Fülle an Informationen über die Geschichte des Ersten Weltkrieges selbst, aber auch für all jene, die sich aktiv in den zahlreichen Initiativen zum Jahrhundertgedenken einbringen wollen. Tausende Aufsätze wurden verfasst, tausende Projekte beim Wissenschaftsbeirat eingereicht (und vorher von den regionalen Ausschüssen des Centenaire geprüft), ausgewählt und in verschiedenen Rubriken eingestellt: Pädagogik, Wissenschaft, Quellenkunde, kulturelle Veranstaltungen usw. Die breite Nutzung der Website in Frankreich ist ein weiterer Be-

30 Rede von François Hollande am 7. November 2013: http://www.elysee.fr/declarations/article/ allocution-pour-le-lancement-des-commemorations-du-centenaire-de-la-premiere-guerremondiale-4/, aufgerufen 08.03.2016. 31 Einige Wochen zuvor war der letzte deutsche Veteran, Erich Kästner, gestorben, ohne dass das irgendeine öffentliche oder staatliche Reaktion hervorgerufen hätte. 32 Dieses ehrgeizige Programm erstreckt sich auf über vier Jahre und kann unter http://www.centenaire.org/de, aufgerufen am 08.03.2016, eingesehen werden. Die Mission orientiert sich dabei an jener der Zweihundertjahrfeier der Französischen Revolution im Jahr 1989. Vorsitzender ist der General und ehemalige Generalstabschef der Armee Elrick Irastorza, geleitet wird sie von Joseph Zimet. Darüber hinaus besteht sie aus ca. 15 festen Mitarbeitern, einem Verwaltungsrat, einem Kuratorium sowie einem Wissenschaftsbeirat.

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leg für das große Interesse, das dem Krieg auf nationaler Ebene entgegengebracht wird, und belegt gleichsam, dass dieses Interesse auch zum großen Teil auf lokaler Ebene wirksam ist. Sehr viele Regionen, Departements, Gemeinden oder verschiedenste Institutionen organisieren eigene Projekte zum Ersten Weltkrieg.33 Die Vielzahl solcher Initiativen wie auch die positive Resonanz, die sie erhalten, zeugen davon, dass der regionale Ansatz ein immanenter Bestandteil der gegenwärtigen Wiederentdeckung des Ersten Weltkrieges durch Wissenschaft und Öffentlichkeit ist. Er steht dabei in keinem Gegensatz zum nationalen Gedenkrahmen, sondern ergänzt ihn vielmehr um konkrete Geschichten.34 4. Ausblick: Welche Perspektiven hat das Centenaire? Einhundert Jahre danach erlebt die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Frankreich Hochkonjunktur. Diese aktuelle Hinwendung hat jedoch sehr alte Wurzeln. In der Zwischenkriegszeit sprachen die Franzosen, nicht wie die Deutschen vom Weltkrieg, sondern viel häufiger vom Großen Krieg, oftmals attribuiert als der des ders (dernière des dernières – der letzte aller Kriege). Bis heute bleibt dieser erste Weltkrieg in Frankreich der Große Krieg. Für das gegenwärtige Frankreich avancierte er zum Gründungsmythos, dem man nach dem Muster der Zweihundertjahrfeier der Französischen Revolution von 1789 gedenkt. In Deutschland spricht man dagegen ausschließlich vom Ersten Weltkrieg. Besser könnte man nicht betonen, dass es auch einen zweiten gab. Die Tatsache nun, dass die Terminologie einen ersten und zweiten Weltkrieg kennt, dient weniger dazu, diese beiden zu trennen, sondern betont vielmehr, dass beide Ausformungen ein und desselben spezifischen Phänomens des 20. Jahrhunderts sind. Der Erste Weltkrieg wird gemeinhin als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“35 angesehen. In diesem Kontext dienen die Kriegsjahre 1914-1918 in erster Linie als Schlüssel zum Verständnis des 20. Jahrhunderts insgesamt, vor allem aber als Zugang zum Nationalsozialismus.

33 An dieser Stelle nur einige der zahlreichen Ausstellungen: „Visages d’Ardennais dans la Grande Guerre“; „La Guerre vue par les peintres de Bretagne“; „Les Corses et la Grande Guerre“; „Vivre en temps de guerre des deux côtés du Rhin“; „Eté 1914: Nancy et la Lorraine dans la guerre“; „14–18, Lyon sur tous les fronts“ ; „Paris 14–18: la Guerre au quotidien“; „L’Assistance publique de Paris dans la Guerre de 1914–1918“. Diese Ausstellungen finden sich auf der Homepage der Mission. Dasselbe gilt für Tagungen, die Erschließung von Quellen oder kulturelle Veranstaltungen. 34 Ähnlich wie vor über einem Jahrhundert in der Dritten Französischen Republik (1870–1940) scheinen sich Region und Nation nicht diametral gegenüberzustehen, sondern gegenseitig zu ergänzen. Vgl. Anne-Marie Thiesse, Ils apprenaient la France. L’exaltation des régions dans le discours patriotique, Paris 1997; Jean-Franҁois Chanet, L´Ecole républicaine et les petites patries, Paris 1996. 35 George Kennan, The Decline of Bismarck’s European Order. Franco-Russian Relations, 1875–1890, Princeton 1979.

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Welche Bedeutung dem Kriege im nationalen Rahmen auch zukommen mag, es scheint doch erstrebenswert zu sein, ihn gleichsam innerhalb und außerhalb des eigenen nationalen Standpunktes zu betrachten. Regionale und lokale Ansätze stellen einen konstruktiven Rahmen zu Wahrnehmung und Verstehen dar, und das seit nunmehr hundert Jahren. Der französische Staat ignorierte diese Bestrebungen keineswegs. An vorderster Stelle stand das Anliegen, die Beziehungsgeflechte von Individuum und direkter Umwelt zu erhellen – die Verbindung von Lokalem und Nationalem geht in Wahrheit aber viel weiter: Die Fokussierung lokaler Erfahrungsmuster bildet das Fundament einer Art „propédeutique indispensable au sentiment d’appartenance nationale“.36 Der Staat suchte Zugriff auf regionale Wahrnehmungsmuster, um deren einheitsstiftende Elemente innerhalb einer republikanischen Gemeinschaft hervorzuheben, die regionale Diversität in nationaler Einheit integriert. Noch heute lassen sich mit lokalen Geschichten der Krieg selbst wie auch das Schicksal der Menschen in ihm neu entdecken, indem man diese lokalen Erfahrungen in das nationale Narrativ einbettet. Doch ein Gedenken und eine Erinnerungskultur, deren höchste Ebene national ist, sind am Beginn des 21. Jahrhunderts ein anachronistischer Ansatz. Daher beinhaltet das offizielle französische Gedenken zum Centenaire eine Komponente der Internationalisierung, ehemalige Alliierte und Gegner, aber auch den Krieg im globalen Maßstab, besonders in den ehemaligen Kolonien, berücksichtigend – sie alle dürfen und sollen partizipieren. Die geographischen Gegebenheiten Frankreichs ermöglichen das: Während des Krieges kamen Menschen aus verschiedensten Ländern nach Frankreich. Anstatt also ein rein nationales – vielleicht sogar nationalistisches – Gedenken zu fördern, bietet das Centenaire die Möglichkeit, Friedensbewusstsein in Europa zu stärken und selbst zu einer neuen Versöhnungsfeier der Völker zu werden. Dr. Elise Julien, Lille

36 Thiesse, Ils apprenaient la France, 5.

KRIEGERDENKMÄLER IN BAYERN: DIE ERINNERUNG AN DEN ERSTEN WELTKRIEG Katharina Weigand Abstract: Eine besonders prominente Inschrift an vielen Kriegerdenkmälern aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg lautet: „Sie starben für König und Vaterland“. Nach 1918, nach der Revolution, blieb davon nur mehr das „Vaterland“ als Sinnstiftungsperspektive übrig. Doch welches Vaterland war gemeint, wenn es nach 1918 zu Denkmalerrichtungen in Preußen, Sachsen, Württemberg und Baden kam? Sahen die Initiatoren der neuen Kriegerdenkmäler Deutschland als jenes Vaterland an, für das zu sterben man weiterhin bereit war? Und war das auch in Bayern so, wo das eigenstaatliche Bewußtsein nach 1871, aber wohl auch noch nach 1918 sicherlich stärker ausgeprägt war als anderswo in Deutschland? Nutzte man in Bayern tatsächlich den Appell an ein deutsches Vaterland, um die Hinterbliebenen der zwischen 1914 und 1918 Gefallenen zu trösten und um die nachfolgende Generation möglicherweise auf einen neuen, kommenden Krieg vorzubereiten? Ausgewählte bayerische Kriegerdenkmäler (in München, Furth i. Wald, Würzburg sowie in der bayerischen Pfalz, in Speyer, Kaiserslautern und Zweibrücken) sollen in diesem Zusammenhang auf ihre jeweilige diesbezügliche Botschaft hin befragt werden.

Einige Hinweise zum Typus des Kriegerdenkmals1 sollen am Anfang dieser knappen Skizze stehen. Den meisten Betrachtern sind diese aufgrund ihrer im-

1

Den Kriegerdenkmälern als eigenem Typ von Denkmälern hat sich zuerst Reinhart Koselleck zugewandt. Vgl. hierzu Reinhart Koselleck, Kriegerdenkmale als Identitätsstiftungen der Überlebenden, in: Odo Marquard / Karlheinz Stierle (Hgg.), Identität, München 1979, 255– 276. Inzwischen ist freilich auch zu den Kriegerdenkmälern eine Fülle von wissenschaftlicher Literatur erschienen. Vgl. u. a. Bernd Nicolai / Kristine Pollack, Kriegerdenkmale – Denkmale für den Krieg, in: Skulptur und Macht. Figurative Plastik im Deutschland der 30er und 40er Jahre, Berlin 1983, 61–93; Meinhold Lurz, Kriegerdenkmäler in Deutschland, Bde. 1–6, Heidelberg 1985–1987; Volker Probst, Bilder vom Tode. Eine Studie zum deutschen Kriegerdenkmal in der Weimarer Republik am Beispiel des Pietà-Motives und seiner profanierten Varianten, Hamburg 1986; Gerhard Armanski, „... und wenn wir sterben müssen“. Die politische Ästhetik von Kriegerdenkmälern, Hamburg 1988; Reinhart Koselleck / Michael Jeismann (Hgg.), Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler in der Moderne, München 1994; Katharina Weigand, Kriegerdenkmäler im Wandel, in: Hans-Michael Körner / Katharina Weigand, Denkmäler in Bayern, Augsburg 1997, 25–28; Reinhart Koselleck, Zur politischen Ikonologie des gewaltsamen Todes. Ein deutsch-französischer Vergleich, Basel 1998; Katharina Weigand, Kriegerdenkmäler. Öffentliches Totengedenken zwischen Memoria-Stiftung und Politik, in: Markwart Herzog (Hg.), Totengedenken und Trauerkultur. Geschichte und Zukunft des Umgangs mit Verstorbenen, Stuttgart / Berlin / Köln 2001, 201–218; Manfred Hettling / Jörg Echternkamp (Hgg.), Bedingt erinnerungsbereit. Soldatengedenken in der Bundesrepublik, Göttingen 2008; Michaela Stoffels, Kriegerdenkmale als Kulturobjekte.

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mensen Verbreitung bis in die allerkleinsten Dörfer derart vertraut, dass darüber häufig vergessen wird, dass Kriegerdenkmäler eine Erfindung des 19. Jahrhunderts sind. Der Umstand, dass an den Befreiungskriegen gegen Napoleon 1813/14 auch Freiwillige teilgenommen hatten, die nicht um Sold und Beute, sondern um höherer Ziele willen kämpften, führte dazu, dass das Ansehen des einzelnen Soldaten von da an eine bedeutende gesellschaftliche Aufwertung erfuhr. Sein Einsatz für ideelle Ziele, damals konkret für die Befreiung von der so empfundenen napoleonischen Fremdherrschaft, ließ den einfachen im Kampf gefallenen Soldaten denkmalwürdig werden2, während man im 18. Jahrhundert – wenn überhaupt – nur verdienten Generälen und Heerführern Denkmäler gewidmet hatte. Den einfachen Soldaten, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Söldner waren, eine vergleichbare Ehrung zukommen zu lassen, war bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts schlichtweg unvorstellbar gewesen. Den Anfang im Hinblick auf die posthume Ehrung der Soldaten machte im Kreis der deutschen Monarchen der preußische König Friedrich Wilhelm III. Er befahl 1813, im Jahr der Leipziger Völkerschlacht, in den Kirchen Tafeln anzubringen, auf denen die Namen aller aus dem jeweiligen Ort stammenden und im Kampf gegen Napoleon Gefallenen unter folgendem Spruch zu verzeichnen waren: „Aus diesem Kirchspiel starben für König und Vaterland“3; 1816 führte Friedrich Wilhelm III. außerdem einen eigenen Gedenktag für die gefallenen Soldaten der Befreiungskriege ein. Ihnen billigte man auf diese Weise eine deutlich hervorgehobene Ehrung zu, vor allem wenn man sie mit derjenigen für die zivilen Kriegsopfer vergleicht. Außerdem wurde die christliche, auf das Jenseits verweisende Deutung des Todes durch innerweltliche, vor allem aber politische Deutungen wenn nicht ersetzt, so doch zumindest ergänzt. Ähnliche Bestimmungen wie in Preußen wurden auch in anderen deutschen Staaten erlassen, etwa 1830 in Bayern, hier auf Vorschlag des Generalkommissärs des Oberdonaukreises4, Ludwig Fürst zu Oettingen-Wallerstein.5

2

3

4 5

Trauer- und Nationskonzepte in Monumenten der Weimarer Republik, Köln / Weimar / Wien 2011. Vgl. hierzu Koselleck, Kriegerdenkmale, 267–274; Michael Jeismann / Rolf Westheider, Wofür stirbt der Bürger? Nationaler Totenkult und Staatsbürgertum in Deutschland und Frankreich seit der Französischen Revolution, in: Koselleck / Jeismann, Totenkult, 23–50. Zitiert nach Meinhold Lurz, Kriegerdenkmäler in Deutschland. Künstlerische Formen zwischen Totenkult und prospektivem Anspruch, in: Freiburger Universitätsblätter 68/19/1980, 27–47, hier 28. Heute würde dieser Posten dem eines Regierungspräsidenten des Regierungsbezirks Schwaben entsprechen. Zu Oettingen-Wallerstein vgl. Karl Möckl, Oettingen-Wallerstein, Ludwig Kraft Fürst zu, in: Neue Deusche Biographie, Bd. 19, Berlin 1999, 476f.; Karl-Heinz Zuber, Der „Fürst Proletarier“ Ludwig von Oettingen-Wallerstein 1791–1870, München 1978; zu seiner Initiative des Jahres 1830 vgl. Wolfgang Schmidt, Denkmäler für die bayerischen Gefallenen des Rußlandfeldzugs von 1812, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 49/1986, 303–326, hier 318–322; Hans-Michael Körner, Staat und Geschichte im Königreich Bayern, München 1992, 227f.

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Der bayerische König, Ludwig I.,6 wollte allerdings noch differenzierter vorgehen: Er befahl, zwei getrennte Gedenktafeln in den Kirchen aufzuhängen. Es sollte fein säuberlich unterschieden werden zwischen jenen bayerischen Soldaten, die zwischen 1805 und 1812, zuletzt beim verheerenden Russlandfeldzug, an der Seite Napoleons gekämpft hatten, und denen, die 1813 freiwillig gegen den französischen Kaiser ins Feld gezogen waren.7 In Preußen war außerdem 1818/22 das erste Denkmal für die Gefallenen der Befreiungskriege, ein kollektives Kriegerdenkmal, errichtet worden: das Berliner Kreuzbergdenkmal.8 Dessen vom Altertums- und Sprachenforscher August Boeckh entworfene Inschrift lautet: „Der König dem Volke, das auf seinen Ruf hochherzig Gut und Blut dem Vaterlande darbrachte, den Gefallenen zum Gedächtnis, den Lebenden zur Anerkennung, den künftigen Geschlechtern zur Nacheiferung.“ Hier ist nun nicht mehr zu übersehen, worauf es bei dieser und jeder weiteren Denkmalerrichtung ganz besonders ankam! So sollte zwar auch der Einsatz der Gefallenen selbst gelobt und geehrt, noch mehr aber sollte dieser das eigene Leben nicht schonende Einsatz den nachfolgenden Generationen als leuchtendes Beispiel vor Augen geführt werden. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft konnten auf diese Weise sinnstiftend miteinander verknüpft werden. Die Erinnerung an die Gefallenen wurde also von nun an gezielt für politische Zwecke instrumentalisiert, wobei diese Entwicklung geradezu zwangsläufig dazu führen musste, dass es immer wichtiger wurde, wer die Deutungshoheit über die jeweilige inhaltliche Ausrichtung dieser Erinnerung besaß. Wer diese inne hatte, konnte die Überlebenden entweder auf den verdienten Frieden oder – etwa aus Rache – auf einen als notwendig erachteten neuerlichen Krieg einschwören und moralisch verpflichten. Der Umstand wiederum, dass in den deutschen Einzelstaaten – also vor der Reichsgründung von 1871 – Kriegerdenkmäler errichtet wurden, die nicht als gesamt-deutsche Monumente gedacht und auch nicht als solche zu interpretieren waren, zeigt, dass diese Denkmäler einerseits als Reflexe auf die damalige nationalpolitische Verfasstheit des Deutschen Bundes, andererseits als Wunsch der deutschen Monarchen, die jeweils eigene staatliche Souveränität zu bewahren, verstanden werden müssen. Lediglich Ludwig I. von Bayern hat mit der Kelheimer Befreiungshalle9 den Versuch unternommen, dem Kampf gegen Napoleon ein 6 7

8 9

Vgl. Heinz Gollwitzer, Ludwig I. von Bayern. Königtum im Vormärz. Eine politische Biographie, München 1987. Hier muss man freilich einschränken, dass nicht immer zwei Erinnerungstafeln angefertigt wurden. Außerdem sind nicht mehr allzu viele derartige Tafeln überliefert. Auf jener Tafel aber, die in der Irseer Klosterkirche hängt, sind die Gefallenen der Kriege von 1805 bis 1815 immerhin getrennt von denen, die ausdrücklich als „Freywillige“ tituliert wurden, verzeichnet. Vgl. Katharina Weigand, Politische und religiöse Sinngebung des Gefallenengedenkens. Die Gedenktafeln und das Kriegerdenkmal in Markt Irsee, in: Herzog, Totengedenken, 219235, hier 220ff. Zum Kreuzbergdenkmal vgl. Michael Nungesser, Das Denkmal auf dem Kreuzberg von Karl Friedrich Schinkel, Berlin 1987. Vgl. Christoph Wagner (Hg.), Die Befreiungshalle Kelheim. Geschichte, Mythos, Gegenwart, Regensburg 2012.

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gesamt-deutsches Monument zu widmen, wobei hinzugefügt werden muss, dass dies in keiner Weise bedeutet, dass der bayerische König auf ein politisch geeintes Deutschland hingearbeitet hätte. Er war stattdessen davon überzeugt, die Souveränität seines Königreichs gerade dann stärken zu können, wenn es Bayern gelänge, sich, auch mit Hilfe der Kelheimer Befreiungshalle, an die Spitze der Verfechter einer deutschen Kulturnation – aber eben nicht einer deutschen Staatsnation – zu setzen. Mit den Einigungskriegen wurde in der Geschichte des deutschen Kriegerdenkmals ein neues Kapitel aufgeschlagen. Dabei erwies sich das öffentliche Gedenken an den Krieg von 1866 als besonders schwierig, weil sich kurze Zeit später, nach dem Krieg von 1870/71, die vormaligen Gegner, also etwa Bayern und Preußen, nicht nur als Waffengefährten – nun gegen den „alten Erbfeind“ Frankreich –, sondern rasch als geeint, staatlich geeint im Deutschen Kaiserreich wiederfanden. Daher wurde der Gefallenen von 1864, 1866 und 1870/71 mitunter in Sammelmonumenten gedacht.10 Die häufiger anzutreffenden Denkmäler nur für den Krieg von 1870 wiederum – deren Aufstellung staatlicherseits gerne gesehen und häufig auch tatkräftig unterstützt wurde – waren gleichzeitig und vielleicht vor allem Siegesdenkmäler. Das führte dazu, dass sich die Ehrung der Gefallenen immer mehr zu einer Art von profanem Heiligenkult wandelte, der freilich gleichzeitig auf ein hohes Identifikations- und Integrationsbedürfnis im kleindeutschen Kaiserreich von 1871 verweist. Mit dem Ersten Weltkrieg kamen noch einmal neue Formen und Varianten des Gedenkens an die Gefallenen hinzu: Bereits am Ende des Krieges von 1870/71 hatten Deutschland und Frankreich vereinbart, denjenigen Toten, die in Massengräbern im sogenannten Feindesland begraben waren, dort ein ewiges Ruherecht zuzugestehen.11 Im Laufe des Ersten Weltkrieges erkannten schließlich alle kriegführenden Mächte diese Regelung als verbindlich an. Die gleichfalls während des Ersten Weltkrieges eingeführten Erkennungsmarken für jeden einzelnen Soldaten machten darüber hinaus zum ersten Mal die Identifizierung – idealiter – aller Toten möglich. Nur unter diesen Bedingungen konnten jene Soldatenfriedhöfe entstehen, wie wir sie etwa von der ehemaligen deutsch-französischen Front kennen, Soldatenfriedhöfe mit ihren scheinbar endlosen Reihen von Einzelgräbern, auf deren Kreuzen oder Stelen jeweils nur ein Name verzeichnet ist.12

10 Vgl. Koselleck, Kriegerdenkmale, 267. Koselleck weist hier besonders auf Denkmäler in und um Bad Kissingen (Rhön) hin. Vgl. dazu auch: Führer zu den Kriegergräbern und Kriegermalen aus dem deutschen Bruderkriege 1866 in und um Bad Kissingen, Bad Kissingen 1935. 11 Vgl. Meinhold Lurz, Architektur für die Ewigkeit und dauerndes Ruherecht. Überlegungen zu Gestalt und Aussage von Soldatenfriedhöfen, in: Ekkehard Mai / Gisela Schmirber (Hgg.), Denkmal, Zeichen, Monument. Skulptur und öffentlicher Raum heute, München 1989, 81–91, hier 82. 12 Vgl. Lurz, Architektur; George L. Mosse, Soldatenfriedhöfe und nationale Wiedergeburt. Der Gefallenenkult in Deutschland, in: Klaus Vondung (Hg.), Kriegserlebnis. Der Erste Weltkrieg in der literarischen Gestaltung und symbolischen Deutung der Nationen, Göttingen 1980, 241–261.

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Gleichzeitig aber waren Gemeinden und Städte, schließlich sogar einzelne Vereine, Behörden und Betriebe bemüht, das Gedenken an ihre toten Soldaten auch in der Heimat wachzuhalten. Erste Initiativen zur Aufstellung von Denkmälern für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges in der Heimat gab es bereits 1914/15, was jedoch bei den staatlichen Behörden zumeist auf Ablehnung stieß: Zu frühes Totengedenken drohte die Siegesgewissheit und den Durchhaltewillen von Truppe und Bevölkerung zu beschädigen. Deren Anstrengungen sollten während des Krieges stattdessen allein auf die Überwindung des Feindes ausgerichtet sein. Die 1916 eingeführten staatlichen Beratungsstellen für die Errichtung von Kriegerdenkmälern in der Heimat hatten u. a. die Aufgabe, in diesem Sinne ihren Einfluss geltend zu machen.13 Auch deswegen dauerte es nach 1918 in vielen Städten und Gemeinden recht lange, bis schließlich ein Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges enthüllt werden konnte. Für derartige Verzögerungen waren freilich noch ganz andere Faktoren mit verantwortlich: Das Entsetzen der Bevölkerung darüber, dass dieser Krieg – verglichen mit jenem von 1870/71 – so außerordentlich lange gedauert hatte, darf man in diesem Zusammenhang keinesfalls unterschätzen. Die Folgen dieser langen Kriegsjahre waren zum einen bis dato gänzlich unvorstellbare Opferzahlen an sämtlichen Fronten, zum anderen eine gesamtwirtschaftliche Überanstrengung, die sich in Deutschland, das anschließend ja noch Reparationen an die Siegermächte zu leisten hatte, besonders dramatisch auswirkte. Darüber hinaus mussten die jeweiligen Denkmal-Initiatoren in Deutschland damit zurechtkommen, dass die zu errichtenden Monumente die Gefallenen nicht mehr als Sieger feiern konnten. Wofür hatten also die Gefallenen ihr Leben gegeben, wenn alles in einer umfassenden militärischen Niederlage geendet hatte? Aber noch ein weiterer Umstand verkomplizierte das Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges zusätzlich: Wie sollte man damit umgehen, dass der Krieg zu Zeiten der Monarchie geführt worden war, dass man sich nun aber – nach mitunter blutigen revolutionären Wirren – in einer vielfach ungeliebten Republik wiederfand? Somit war nach 1918 die traditionelle Sinnstiftung des großen Sterbens im Krieg („für König und Vaterland“) nicht mehr anwendbar, denn der Kaiser und die Monarchen der deutschen Einzelstaaten waren gestürzt, viele hatten ihr Heil in der Flucht gesucht. Also blieb nur mehr das „Vaterland“, die Verteidigung und Rettung des „Vaterlandes“ vor der Übermacht der Feinde, als alleinige Sinnstiftungsperspektive übrig, die von den Denkmal-Initiatoren dann auch reichlich bemüht wurde.14 Hinzufügen muss man an dieser Stelle freilich, dass zumeist nicht näher darauf eingegangen wird, was denn – im Zusammenhang mit der Errichtung von Kriegerdenkmälern nach 1918 – unter „Vaterland“ zu verstehen sei. Davon wird noch zu handeln sein. 13 Vgl. Gerhard Schneider, „... nicht umsonst gefallen“? Kriegerdenkmäler und Kriegstotenkult in Hannover, Hannover 1991, 125. Zu den staatlichen Beratungsstellen für die Gestaltung von Kriegerdenkmälern sowie von Soldatenfriedhöfen vgl. Meinhold Lurz, Kriegerdenkmäler in Deutschland, Bd. 3: 1. Weltkrieg, Heidelberg 1985, 29–67. 14 Vgl. Meinhold Lurz, Kriegerdenkmäler in Deutschland, Bd. 4: Weimarer Republik, Heidelberg 1985, 315–321.

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Bei den ersten Denkmalinitiativen für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges herrschte – angesichts des bereits erwähnten Massensterbens an der Front – eher Trauer, ja Sprachlosigkeit vor, und in diesem Sinne gestaltete man auch diese besonders früh errichteten Denkmäler für die Toten der Jahre 1914 bis 1918. Je mehr aber die Erinnerung an die Schrecken des Krieges verblasste und die nationalistische Emotionalisierung im Gefolge des Versailler Friedensvertrages zunahm, umso stärker traten Pathos und Heroisierung in den Aussagen der neu errichteten Kriegerdenkmäler in den Vordergrund. Die Gefallenen wurden oft geradezu sakralisiert und ausnahmslos, ohne Unterscheidung der Dienstgrade, zu „Helden“ stilisiert. Ihren Tod stellte man immer häufiger als ein freiwilliges, ja als ein weiterhin zur Nachahmung aufforderndes Opfer dar. Da vor allem Veteranenund Kriegervereine bei der Initiierung und Gestaltung dieser Denkmäler eine führende Rolle spielten, wurden darüber hinaus die Betonung und das Lob der Kriegskameradschaft, der Kameradschaft im Schützengraben, zu einem Thema der nach 1918 errichteten Monumente.15 Auch diese Kriegerdenkmäler lassen sich somit einerseits als nachmalige, von der sich rasch wandelnden politischen Situation nach 1918 maßgeblich beeinflusste Deutung des vorausgegangenen Kriegsgeschehens interpretieren. Andererseits – und erneut spielten politische Zielsetzungen eine nicht zu unterschätzende Rolle – muss man die Kriegerdenkmäler gleichermaßen als Identifikationsangebot an die Überlebenden und Nachgeborenen verstehen. Bezeichnenderweise kam es, vor allem zum Ende der Weimarer Republik hin, zur vermehrten Aufstellung von Monumenten, die mit Statuen des Typs des „trotzigen Kriegers“ sowie dem Motto „Und Ihr habt doch gesiegt“ versehen wurden. Die bei den zwischen 1918 und 1933 errichteten Kriegerdenkmälern häufig anzutreffende direkte Mahnung an die nachfolgende Generation, das „Opfer“ der „Helden“ des Weltkrieges nicht sinnlos werden zu lassen (Motto: „Ihr seid nicht umsonst gefallen“16), sondern stattdessen an der Wiederaufrichtung Deutschlands kräftig mitzuwirken (Motto: „Deutschland muss leben – und wenn wir sterben müssen“17), eignete sich dann freilich vortrefflich für die Instrumentalisierung der Kriegerdenkmäler im Dienst der nationalsozialistischen Propaganda und Militarisierung. Bevor jedoch im Folgenden einige ausgewählte Kriegerdenkmäler, die in Bayern für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges errichtet wurden, vorgestellt werden, bedarf es noch einiger weiterer grundsätzlicher Überlegungen sowie eini15 Beispiele sowohl für Kriegerdenkmäler, die Trauer und Sprachlosigkeit ausdrücken, als auch für solche, die für Trotz und den Aufruf zur Revanche nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg stehen, bei: Nicolai / Pollack, Kriegerdenkmale. 16 Dieser Spruch war etwa an dem 1933 für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges errichteten Kriegerdenkmal in Stralsund zu lesen. Vgl. Nicolai / Pollack, Kriegerdenkmale, 80. 17 So lautet die letzte Zeile des „Soldatenabschiedsliedes“ von Heinrich Lersch aus dem Jahre 1914. Vgl. hierzu Meinhold Lurz, Kriegerdenkmäler in Deutschland, Bd. 5: Drittes Reich, Heidelberg 1986, 16 sowie 407, Anm. 24 und 408, Anm. 28. Gedruckt ist das „Soldatenabschiedslied“ von Heinrich Lersch in: Kurt Ziesel (Hg.), Krieg und Dichtung. Soldaten werden Dichter – Dichter werden Soldaten. Ein Volksbuch, Wien 1943, 20.

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ger methodischer Hinweise. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Interpretation des vergangenen Krieges und welches auf die Zukunft ausgerichtete Deutungsangebot diese Denkmäler vermitteln sollten. Nimmt man noch einmal die bisherige, seit den Befreiungskriegen traditionelle Rechtfertigung des Soldatentodes in den Blick („für König und Vaterland“) – es war schon die Rede davon – so blieb nach 1918, also nach dem Zusammenbruch der Monarchie, einzig die Sinnstiftungsperspektive „Vaterland“ übrig. Doch welches Vaterland konnte nun gemeint sein? Sahen die Initiatoren der Kriegerdenkmäler Deutschland als dieses „Vaterland“ an18 oder gab es auch andere Interpretationen? Gerade ein landesgeschichtlicher Zugriff auf das Thema der Kriegerdenkmäler für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges, ein Zugriff also, der auch noch hinsichtlich der Jahre nach 1918 einzelstaatliche Verortungen und Identitäten ernst nimmt, ist berufen, hier kritisch nachzuhaken. Zu fragen ist somit, ob die auf Deutschland hin ausgerichtete Nationalisierung im vormaligen Kaiserreich mehr als vierzig Jahre nach der Bismarckschen Reichsgründung tatsächlich überall erfolgreich abgeschlossen war? In Zusammenhang damit steht die Überlegung, ob die zwischen 1914 und 1918 an der Front eingesetzten Soldaten möglicherweise eine Art von homogenisierendem Nationalisierungsschub erfahren haben.19 Das gemeinsame Erleben von Angst und Bedrohung sowie von räumlicher Enge an der Front, besonders aber die Erkenntnis, dass man auf seinen Kameraden neben sich im Schützengraben – ob er nun aus Bayern, Preußen, Hessen, Sachsen oder Hamburg stammte – möglicherweise auf Tod und Verderben angewiesen sein würde, all dies könnte zumindest bei den aktiven Kriegsteilnehmern zu einer stärkeren Identifikation mit Deutschland, zu einem nationalen Zusammenwachsen geführt haben.20 Oder wur18 Vgl. vor allem Georg L. Mosse, Die Nationalisierung der Massen. Politische Symbolik und Massenbewegungen in Deutschland von den Napoleonischen Kriegen bis zum Dritten Reich, Frankfurt/M. 1976 (am Beispiel des Tannenberg-Denkmals, hier 87ff.); Peter Schuster, Die Nation und ihre Toten. Denkmale des 20. Jahrhunderts, in: Sekretariat für kulturelle Zusammenarbeit nichttheathertragender Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen (Hg.), Deutsche Nationaldenkmale 1790–1990, Gütersloh / Bielefeld 1993, 115–127, hier 117f.; Wolfgang Hardtwig, Der bezweifelte Patriotismus. Nationales Bewußtsein und Denkmal 1786 bis 1933, in: Ulrich Borsdorf / Heinrich Theodor Grütter (Hgg.), Orte der Erinnerung. Denkmal, Gedenkstätte, Museum, Frankfurt/M. / New York 1999, 169–188, hier 185–188; aber auch noch Jeismann / Westheider, Bürger, 32f. sowie 42f. 19 Vgl. George L. Mosse, Gefallen für das Vaterland. Nationales Heldentum und namenloses Sterben, Stuttgart 1993, 82–86; Jean-Jacques Becker / Gerd Krumeich, Der Große Krieg. Deutschland und Frankreich 1914–1918, Essen 2010, 240. 20 Dazu hat auch beigetragen, dass das zu Beginn noch gesondert kämpfende bayerische Heer schon kurze Zeit nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges bis hinunter auf Bataillonsebene mit anderen deutschen Kontingenten vermischt wurde. Vgl. Dieter Albrecht, Von der Reichsgründung bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1871–1918), in: Alois Schmid (Hg.): Handbuch der bayerischen Geschichte, begründet von Max Spindler, Bd. IV: Das Neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart, Teilbd. 1: Staat und Politik, München 2003, 318–438, hier 416; Dieter J. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern. Eine politische Biographie, Regensburg 2007, 96–112; Daniel Burger, Die bayerische Armee im Kriegsjahr 1914, in: Krieg! Bayern im Sommer 1914. Eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, München 2014, 73– 94, hier 90.

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den solche Interpretationen erst im Nachhinein, nach der deutschen Niederlage, von den Überlebenden verbreitet, um das Gedenken an die Getöteten nicht vollends ins Leere laufen zu lassen? Wenn man sich also mit den Kriegerdenkmälern für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges beschäftigt, dann kommt man nicht umhin zu fragen: Haben sich diejenigen Soldaten, die den Krieg überlebt hatten, die sich anschließend in Veteranenvereinen organisierten und sich häufig besonders aktiv für die und bei der Errichtung besagter Kriegerdenkmäler engagierten, nach 1918 auch dafür eingesetzt, mit Hilfe besagter Denkmäler die Botschaft eines aufgrund des gemeinsamen Fronterlebnisses forcierten nationalen Zusammenwachsens zu verbreiten?21 Sind in dieser Hinsicht Unterschiede in den verschiedenen deutschen Regionen zu beobachten? Und konkret auf Bayern bezogen: Wie viel gesamtdeutsche Verbundenheit, wie viel deutscher Patriotismus bzw. Nationalismus tritt uns in der Bildsprache sowie in den eingemeißelten Sinnsprüchen nach 1918 errichteter Kriegerdenkmäler tatsächlich entgegen, wenn wir solche Monumente sowohl im rechtsrheinischen als auch im linksrheinischen Bayern, also in der Pfalz, betrachten? Dabei muss berücksichtigt werden, dass das eigenstaatliche Bewusstsein in Bayern nach 1871, aber wohl auch noch nach 1918, sicherlich stärker ausgebildet war – vielleicht heute noch ist – als in anderen Teilen Deutschlands: War also – um konkreter zu werden – dieses „Vaterland“, für das zu sterben sich selbst während des Ersten Weltkrieges gelohnt haben sollte, für jene Soldaten, die aus dem vormaligen Königreich Bayern, seit November 1918 aus dem Volksstaat Bayern stammten, tatsächlich Deutschland? Und gibt es möglicherweise weitere Unterschiede zu konstatieren, wenn man einerseits Altbayern und andererseits Neubayern, also Franken und Schwaben, in den Blick nimmt? Ist vielleicht die Pfalz als zusätzlicher Sonderfall einzustufen, schließlich wurde sie erst 1815/16 an Bayern angegliedert und tat sie sich während des gesamten 19. Jahrhunderts erkennbar am schwersten damit zu akzeptieren, von München aus regiert zu werden. Doch es soll an dieser Stelle nicht nur dafür sensibilisiert werden, was sich unter Umständen im Einzelnen hinter dem Begriff „Vaterland“ im Hinblick auf die Sinngebung des Todes der zwischen 1914 und 1918 Gefallenen verbergen mag. Darüber hinaus gilt es, gerade wenn anschließend konkrete Beispiele herangezogen werden, drei in diesem thematischen Zusammenhang notwendige methodische Überlegungen bzw. Schwierigkeiten zu benennen: 21 Bislang wurden hinsichtlich der Kriegerdenkmäler für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges und hinsichtlich des Befundes, dass in Deutschland kein allgemein akzeptiertes gesamtdeutsches Kriegerdenkmal nach 1918 errichtet werden konnte, ausschließlich die politischen Verwerfungen zwischen Konservativen und Linken, die sich aufgrund der Kriegserlebnisse und der revolutionären Ereignisse 1918/19 noch verschärften, in den Blick genommen. Zuletzt etwa Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs, München 2014, 990f. Zum Grabmal des Unbekannten Soldaten in der Berliner Neuen Wache, das als gesamtdeutsches Kriegerdenkmal für 1914 bis 1918 eigentlich geplant war, vgl. Jürgen Tietz, Schinkels Neue Wache Unter Den Linden. Baugeschichte 1816–1993, in: Christoph Stölzl (Hg.), Die Neue Wache Unter Den Linden. Ein deutsches Denkmal im Wandel der Geschichte, Berlin 1993, 9–93.

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Erstens: Die meisten Denkmäler für die Gefallenen der Jahre 1914 bis 1918 sind nach 1945 verändert worden. Auf diese Weise konnte man – ohne in neue Monumente investieren und ohne möglicherweise lange andauernde staatliche Genehmigungsverfahren durchlaufen zu müssen – rasch auch der während des Zweiten Weltkrieges umgekommenen Soldaten gedenken. Verändert wurden die Denkmäler für den Ersten Weltkrieg nicht nur, indem man lediglich die Namen der zwischen 1939 und 1945 Gefallenen hinzufügte. Häufig wurden auch die am Denkmal eingemeißelten Widmungs- und Sinnsprüche verändert, einerseits um die Kriegsjahre 1939 bis 1945 mit aufzunehmen, andererseits um Sprüche, die nach 1945 etwa als zu martialisch, als zu aggressiv empfunden wurden, abzumildern. Man wollte auf diese Weise den Eindruck vermeiden, dass Deutschland erneut auf Revanche hoffe, nun für die Niederlage im Zweiten Weltkrieg. Nicht selten strebte man aber auch danach, einen unübersehbaren Nie-Wieder-Appell öffentlich zu machen. Für die hier traktierte Fragestellung muss man jedoch genau den Sinnspruch kennen, der vor 1945 auf den Denkmälern zu lesen war. Allerdings lässt sich bei einigen dieser veränderten Denkmäler die vormalige Inschrift nicht mehr rekonstruieren, sei es, weil die Veränderung keinen Niederschlag in den Archivalien gefunden hat, sei es, weil sich niemand mehr erinnert oder weil nicht einmal auswertbares Bildmaterial vorhanden ist. Mit solchen Problemen ist man z. B. beim Kriegerdenkmal in Irsee im Allgäu konfrontiert (Abb. 1). Errichtet

Abbildung 1: Kriegerdenkmal in Markt Irsee (Allgäu), Foto: K. Weigand

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wurde es tatsächlich für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges; nach 1945 fügte man die Namen der zwischen 1939 und 1945 Gefallenen hinzu. Darüber setzte man nach 1945 folgenden Spruch: „Unseren gefallenen Helden 1914–1918. 1939– 1945. Marktgemeinde Irsee“.22 Wie aber hatte die Inschrift zuvor gelautet? Konnte man ihr einen konkreten Bezug auf Deutschland als Vaterland entnehmen, als das Vaterland, für das zu sterben sinnvoll gewesen war? Diesen vorherigen Zustand zu rekonstruieren, ist freilich bisher nicht gelungen, denn einschlägiges Aktenmaterial ist nicht überliefert und weder die originalen Baupläne noch die ansonsten recht ausführliche Chronik des Irseer Krieger- und Veteranenvereins geben dazu irgendwelche Informationen. Zweitens ist zu fragen, ob die kürzeren oder auch längeren Texte, die – abgesehen von den reinen Namensnennungen mal mit, mal ohne Geburts- und Sterbedatum – an den jeweiligen Denkmälern zu lesen sind, tatsächlich jene Sinnstiftungsperspektive wiedergeben, die bei der Initiative für das Denkmal und bei dessen Enthüllung maßgeblich gewesen war. Hat man möglicherweise einfach nur den Text, den man am Denkmal des Nachbarorts lesen konnte, reproduziert? Oder hat man aus Platzgründen die denkbar knappste Formulierung gewählt, die kaum oder gar keine Schlüsse auf eine beabsichtigte nationale Botschaft des Denkmals zulässt? Ist der schließlich eingemeißelte Spruch vielleicht das Produkt eines Kompromisses, nachdem man sich im Denkmalkomitee lange nicht hatte einigen können hinsichtlich einer lokalen, bayerischen oder deutschen Ausrichtung? Der Historiker muss sich angesichts derartiger Probleme fragen, ob er – wenn er den denkmalimmanenten Botschaften auf die Spur kommen will – daher nicht besser all jene Reden heranziehen sollte, die bei der Grundsteinlegung und bei der Enthüllung gehalten wurden. Oder spielte bei solchen Reden möglicherweise die aktuelle Tagespolitik eine viel größere Rolle als Bekenntnisse zu einem damals wie auch immer definierten – oder auch nur gefühlten – Vaterland? Und dabei ist noch nicht einmal ins Kalkül gezogen, dass viele dieser Reden gar nicht überliefert sind. Mit Blick auf den Entstehungszeitraum der hier in Rede stehenden Denkmäler ist drittens eine Einschränkung in zeitlicher Hinsicht vorzunehmen. Wenn man nach der nationalpolitischen Botschaft der Kriegerdenkmäler für den Ersten Weltkrieg fragt, dann darf man nur solche heranziehen, die vor 1933 errichtet wurden. Die Nationalsozialisten brachten zwar den Kriegerdenkmälern ein ganz besonderes Interesse entgegen, was sich u. a. darin niederschlug, dass ab 1933 die Errichtung weiterer Monumente für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges massiv gefördert wurde.23 Doch mussten die sinnstiftenden Texte an diesen Denkmälern 22 Vgl. Weigand, Sinngebung, 231ff. 23 Vgl. Karl Arndt, Die NSDAP und ihre Denkmäler oder: das NS-Regime und seine Denkmäler, in: Mai / Schmirber, Denkmal, 69–80, hier 69–75; Sabine Behrenbeck, Der Kult um die toten Helden. Nationalsozialistische Mythen, Riten und Symbole 1923 bis 1945, Vierow 1996; Winfried Nerdinger (Hg.), Bauen im Nationalsozialismus. Bayern 1933–1945, München 1993, 331–363. Speziell zum für Berlin geplanten „Triumphbogen“, auf dem die Namen aller deutschen Gefallenen des Ersten Weltkrieges eingemeißelt werden sollten, sowie zur Berliner „Soldatenhalle“ vgl. Wolfgang Schäche, Als aus Berlin „Germania“ werden sollte. Zum Ver-

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nun vor allem der nationalsozialistischen Ideologie entsprechen, was eine freie Wahl zwischen lokaler, regionaler oder national deutscher Verortung zumindest massiv erschwerte. Die Beschränkung auf vor 1933 errichtete Denkmäler aber lässt die Zahl der in Frage kommenden prominenteren pfälzischen Kriegerdenkmäler drastisch sinken, da in der Pfalz überhaupt erst nach dem Ende der französischen Besatzung im Sommer 1930 in größerem Maße damit begonnen wurde, das ehrende Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges in Stein zu meißeln.24 In der kurzen Zeitspanne zwischen 1930 und 1933 konnten solche Monumente vielerorts nicht vollendet werden, andere kamen erst nach 1933 über das Planungsstadium hinaus. Da aber das Gefallenengedenken per se umso verherrlichender ausfiel, je weiter die Zeit seit dem Kriegsende vorangeschritten war, so ist zumindest zu vermuten, dass die in der Spätzeit der Weimarer Republik in der Pfalz errichteten Denkmäler grundsätzlich einen anderen Ton anschlugen als jene früheren Datums im rechtsrheinischen Bayern.

Abbildung 2: Kriegerdenkmal in München, vor der heutigen Staatskanzlei, Foto: K. Weigand

hältnis der „Neugestaltungsplanungen“ zu Kriegs- und Todeskult, in: Helmut Engel / Wolfgang Ribbe (Hgg.), Hauptstadt Berlin. Wohin mit der Mitte? Historische, städtebauliche und architektonische Wurzeln des Stadtzentrums, Berlin 1993, 161–168, hier 164f. 24 Vgl. Sönke Neitzel, Mainz und das Zeitalter der Weltkriege. Ereignis und Erinnerung, in: Joachim Schneider / Matthias Schnettger (Hgg.): Verborgen – Verloren – Wiederentdeckt. Erinnerungsorte in Mainz von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, Darmstadt / Mainz 2012, 127–137, hier 130.

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Das erste Kriegerdenkmal25 auf das hier näher eingegangen werden soll, ist das 1924 enthüllte, 1928 in allen Details fertiggestellte Denkmal vor dem ehemaligen Armeemuseum in München, vor der heutigen Bayerischen Staatskanzlei. Die Initiative für dieses Monument26 in der bayerischen Hauptstadt ging freilich nicht – wie man vielleicht vermuten könnte – vom bayerischen Staat, auch nicht von der Stadt München aus, sondern von der Münchner Sektion des „Bayrischen Kriegerbundes“ (Abb. 2). Gestaltet als groß dimensionierter Sarkophag bzw. als groß dimensionierte Gruft, weist es mehrere Inschriften auf: Am oberen Deckstein ist auf der einen Seite zu lesen, „Unseren Gefallenen“, auf der anderen, „Sie werden auferstehen“. Weder Deutschland noch Bayern werden in irgendeiner Form erwähnt. Die Inschrift „Unseren Gefallenen“ weist, wenn man den Initiator dieses Denkmals kennt, noch am ehesten einen städtischen Bezug auf. Eine solche Interpretation wird von einer weiteren Inschrift im Innern erhärtet: „Erbaut vom Obmannsbezirk München-Stadt des Bayr. Kriegerbundes. Den 13.000 gefallenen Heldensöhnen der Stadt München 1914–1918“. Eigentlich war geplant gewesen, die Gruft im Inneren leer zu lassen, hier also nichts aufzustellen, dafür aber die Namen der 13.000 Münchner Gefallenen an den Innenwänden anzubringen. Die vorhandenen Wandflächen erwiesen sich aber rasch als nicht ausreichend. Die Lösung dieses Problems bestand darin, dass man den Sarkophag mit einer größeren Freifläche umgab, das übrige Terrain aber aufschüttete; und da die Freifläche mit Steinwänden umgeben, ja eingegrenzt wurde, fanden alle 13.000 Namen schließlich – samt stilisierten marschierenden Soldaten sowie stilisierten Grabhügeln mit Kreuzen – auf diesen Wänden ihren Platz. Zur selben Zeit plante man, im Kuppelsaal des Bayerischen Armeemuseums ein Kriegerdenkmal für alle Gefallenen des bayerischen Heeres aufzustellen. Hierfür konzipierte der Bildhauer Bernhard Bleeker27, der während des Dritten Reiches noch einmal Karriere machen sollte, die liegende Figur eines toten, aber wie schlafend anmutenden jungen Soldaten in zeitgenössischer Montur. Da es wegen des Aufstellungsortes zu Auseinandersetzungen mit Bleeker kam, entschied man sich, diese Figur in die leere und ohne die Präsentation der Namen der Münchner Gefallenen gänzlich funktionslose Gruft vor dem Bayerischen Armeemuseum zu transferieren (Abb. 3). Zu Füßen des toten Soldaten ist – gemäß seiner Bestimmung – zu lesen: „Bayerns Heer seinen Toten“, darüber ist das bayerische Rautenwappen angebracht. Somit beinhaltet das gesamte Kriegerdenkmal eine seltsame Mischung aus lokalem sowie eigenstaatlich-bayerischem Gedankengut,

25 Die bei den hier vorgestellten Denkmälern nach 1945 vorgenommenen Veränderungen werden nur dann erwähnt, wenn sie ihre Aussage verändert haben. 26 Zu diesem Münchner Kriegerdenkmal vgl. Stoffels, Kriegerdenkmale, 164–223. 27 Vgl. Peter Wiench, Bleeker, Bernhard, in: Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker, Bd. 11, München / Leipzig 1995, 480f.; Frank Henseleit, Der Bildhauer Bernhard Bleeker (1881–1968). Leben und Werk, Bd. 1: Textband, Diss. masch. Augsburg 2005.

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Abbildung 3: Figur des toten Kriegers in der Gruft des Münchner Kriegerdenkmals, Foto: K. Weigand

während man einen Verweis auf Deutschland als sinnstiftendes Element, auf Deutschland als „Vaterland“ der Gefallenen, vergeblich sucht – die Initiatoren beabsichtigten offensichtlich nicht, ihr Denkmal mit einer derartigen Botschaft auszustatten! Stattdessen stellt sich das Gefallenengedenken in München in regionaler Hinsicht noch deutlich differenzierter dar. Denn die aus der bayerischen Pfalz stammenden Soldaten erhielten ein eigenes, ein zusätzliches Denkmal (Abb. 4). Im selben Jahr 1924 wurde am Münchner Odeonsplatz, genauer an der Hofgartenmauer, der sogenannte Pfalzstein28 enthüllt, ein auf Initiative von in München tätigen Pfälzern errichteter Gedenkstein. Ihn widmete man den 30.000 getöteten pfälzischen Soldaten der bayerischen Armee mit den Worten: „Der Pfalz und ihren im Weltkrieg gefallenen Soehnen“. Auf der anderen Seite des Denkmals werden nun auch Bayern und vor allem Deutschland explizit genannt. Hier ist zu lesen: „Pfalz, Bayern und Reich in Treue unloeslich verbunden“. Außerdem betonte der bayerische Mi-

28 Vgl. Karl-Ulrich Gelberg, Die bayerische Pfalzpolitik 1945–1956, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 58/1995, 637–672, hier 651. Heute steht der Pfalzstein in den Grünanlagen an der Münchner Ottostraße. 1933/34 war er aus verkehrstechnischen Gründen dorthin versetzt worden. Dies nach Auskunft des Direktors des Münchner Stadtarchivs, Dr. Michael Stephan.

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nisterpräsident Heinrich Held bei der Enthüllung des Steins: „Auf immer und ewig vereint die liebe treue Pfalz mit Bayern und Reich!“29

Abbildung 4: Kriegerdenkmal für die pfälzischen Gefallenen in München, Foto: K. Weigand

Wenden wir uns nach Osten, in die Oberpfalz, genauer nach Furth im Wald. Hier kam 1924 der damalige Bürgermeister Karl Clos zusammen mit dem örtlichen Krieger- und Veteranenverein auf die Idee, am Rande der Stadt eine groß dimensionierte Denkmalanlage30 zu errichten (Abb. 5). Vier Jahre später begann man mit den Bauarbeiten, die 1932 abgeschlossen waren. Inmitten einer Parkanlage entstand eine Art von kleinem Tempelbau, darin ein Altar, mit einem mit Eichenlaub bekränzten Stahlhelm. Bekrönt war dieser Tempel von einer großen Flammenschale, die – 1955 aus statischen Gründen abgenommen – heute zwischen dem Tempelbau und dem sogenannten Ehrengrab steht. An den das Grab umschließenden Steinen ist zu lesen: „In diesem Ehrengrab ruhen“. Außerdem sind die Namen jener sieben Soldaten aus Furth, allesamt gefallen 1916 bzw. 1917, die in die Heimat überführt und hier beerdigt wurden, angebracht. Tempel und Ehrengrab sind jeweils mit einem Kreuz versehen. Die ursprüngliche – heute verän29 Zitiert nach Gelberg, Pfalzpolitik, 651. 30 Alle Informationen zu dieser Denkmalanlage verdanke ich Werner Perlinger, dem Archivar der Stadt Furth im Wald. Die Geschichte des Further Kriegerdenkmals wird demnächst nachzulesen sein im noch ausstehenden Band 3 der Further Stadtgeschichte.

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derte – Inschrift auf dem Altar lautete: „Den toten Kriegern 1914–1918“. Auch bei diesem Denkmal fehlte somit jeglicher Verweis auf Deutschland, auf das Deutsche Reich; selbst auf die Nennung Bayerns bzw. der Stadt Furth wurde verzichtet.

Abbildung 5: Kriegerdenkmal in Furth im Wald, Foto: K. Weigand

Im neubayerischen Unterfranken, genauer in Würzburg, dauerte es ebenfalls geraume Zeit, bis nach 1918 ein Kriegerdenkmal der Öffentlichkeit übergeben werden konnte. Geplant schon während der 1920er Jahre, wurde die wiederum sehr großzügig dimensionierte Denkmalanlage31 1931 fertiggestellt (Abb. 6). Man betritt das Areal, eine Art von Ehrenhain im Würzburger Husarenwäldchen, vorbei an vier steinernen Pfeilern, die mit Eisernen Kreuzen und Flammenschalen versehen sind. In der Mitte der Anlage ist eine überlebensgroße Figurengruppe platziert: Sechs Soldaten tragen auf einer Bahre einen offensichtlich toten Kameraden. Den Hintergrund bilden mehrere mannshohe Steintafeln, auf denen die Namen 31 Vgl. Peter Springer, Denkmal und Gegendenkmal, in: Mai / Schmirber, Denkmal, 92–102, hier 92ff.; Katharina Weigand, Denkmäler zwischen Geschichte, Politik und Kunst. Das Würzburger Beispiel, in: Mainfränkisches Jahrbuch 53/2001, 123–161, hier 146.

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aller aus Würzburg stammenden Gefallenen eingemeißelt sind. Der begleitende Text ist denkbar knapp gehalten, denn es heißt hier nur: „Die Stadt ihren Söhnen“. Ganz allein der lokale Bezug schien den Initiatoren also sinngebend zu sein.

Abbildung 6: Kriegerdenkmal in Würzburg, Foto: Stadtarchiv Würzburg

Die völlig anders geartete Aussage eines weiteren in Würzburg errichteten Kriegerdenkmals für 1914/18 verweist darauf, dass bei diesem Denkmal ganz andere Initiatoren am Werk waren, die außerdem ganz andere Ziele mit ihrem Monument, dem sogenannten Studentenstein32, verfolgten (Abb. 7). 1919 hatte man in Würzburg die gesamtdeutsche Organisation der „Deutschen Studentenschaft“ gegründet, die hier auch ihren Sitz hatte. Von der „Deutschen Studentenschaft“ wurde 1927 in den Würzburger Ringparkanlagen ein mit einem Adler bekrönter, ansonsten schlicht gehaltener Granitwürfel aufgestellt, der ganz explizit allen deutschen während des Ersten Weltkrieges gefallenen Studenten gewidmet war. Weiter verstärkt wurde die von diesem Denkmal ausgehende nationale deutsche Botschaft von dem darauf eingemeißelten Sinnspruch: „Deutschland muß leben / und wenn wir sterben müssen“. Dass dieses tatsächlich die deutsche Nation in den Vordergrund stellende Denkmal gerade in einer neubayerischen Stadt, in Würzburg errichtet wurde, verdankte es freilich nicht einer dezidiert deutschen Gesin-

32 Vgl. hierzu Weigand, Denkmäler, 144f.; zu den Veränderungen des Studentensteins während der NS-Zeit sowie nach 1945 vgl. Johannes Schellakowsky, Vom nationalen Monument zum Mahnmal des Friedens: der Würzburger Studentenstein – ein fast vergessenes Denkmal der deutschen Studentengeschichte, in: Mainfränkisches Jahrbuch 53/2001, 229–237.

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nung der Würzburger Bevölkerung, sondern allein dem Zufall, dass die „Deutsche Studentenschaft“ an der Würzburger Universität gegründet worden war.

Abb. 7: Der sogenannte Studentenstein in Würzburg, hier bei einer Gedenkfeier im Jahre 1932, Foto: Stadtarchiv Würzburg

Abbildung 8: Kriegerdenkmal in Speyer, Foto: Stadtarchiv Speyer

Aber wie stellte sich das Gedenken in der Pfalz dar? Dass hier überhaupt erst 1930, nach dem Abzug der Franzosen, Kriegerdenkmäler für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges aufgestellt werden konnten, darauf wurde bereits hingewiesen. Ein solches noch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten auch einzuwei-

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hen, das gelang nur in wenigen Städten in der Pfalz. Da aber der „Kriegerverein der Stadt Speyer“ schon längere Zeit geplant hatte, ein Kriegerdenkmal zu errichten, konnte ein solches hier33 bereits 1930 der Öffentlichkeit übergeben werden (Abb. 8).34 Während der Planungsphase, etwa seit 1927, war es allerdings zu recht heftigen Auseinandersetzungen über den Ort der Aufstellung – Friedhof oder Marktplatz – und über die angestrebte Botschaft gekommen. In den Zeitungen prallten die Meinungen aufeinander, Konservative befürworteten ein „kraftvolles Sicherheben im Sinne einer Stärkung vaterländischer Tugenden“35, Mitglieder der SPD fürchteten, dass ein „chauvinistisches Denkmal“36 errichtet würde. Am 29. Juni 1930 – einen Tag später war Speyer auch offiziell nicht mehr französisch besetzt – konnte das umstrittene Monument, ein Denkmalbrunnen, eingeweiht werden, tatsächlich am Marktplatz und mit unübersehbarer pro-deutscher und damit auch anti-französischer Aussage.37 Bekrönt von einem heiligen Georg mit Schwert und Schild samt besiegtem Drachen, zeigt es Löwen- und Widderköpfe aus Bronze sowie vier Reliefs, denen wiederum Texte zugeordnet waren bzw. bis heute sind: Bei der Darstellung eines Schwertes mit den Jahresangaben 1914 und 1918 heißt es: „Unseren Gefallenen zum Gedächtnis / Und uns selbst als stete Mahnung“. Marschierenden Soldaten, die einen Gefallenen hinter sich zurücklassen, ist zugeordnet: „Ich hatt’ einen Kameraden / Einen bessern findst du nit“. Zum Relief, das Frauen zeigt, die die „Heimaterde“ umgraben, gehört der Spruch: „Deutsche Frauen / Deutsche Treue“. Das vierte und letzte Relief samt Text aber wurde nach 1945 entfernt. Darauf waren Soldaten zu sehen gewesen, die Handgranaten warfen, verbunden mit der Inschrift „Deutschland muß leben / und wenn wir sterben müssen“.38 Die Namen der 515 Gefallenen der Stadt wiederum wurden – da am Brunnen nicht genügend Platz zur Verfügung stand – in einem städtischen „Ehren- und Gedächtnisbuch“ eingetragen. Insgesamt ist unübersehbar, dass das Speyrer Denkmal aggressiver und stärker national deutsch ausgefallen ist als die meisten Vergleichsbeispiele aus dem rechtsrheinischen Bayern. Die Nähe zur französischen Grenze und somit zur Frontlinie des Ersten Weltkrieges, die Jahre der französischen Besetzung, aber auch der späte Aufstellungszeitpunkt dürften für diese andersgearteten Botschaften ebenso mit verantwortlich gewesen sein wie die bereits angesprochenen Probleme, die Pfalz erfolgreich ins Königreich Bayern zu integrieren. 33 In Speyer hatte seit der Angliederung der Pfalz an Bayern die Bezirksregierung ihren Sitz. Zur Integrationsproblematik der Pfalz vgl. Celia Applegate, Zwischen Heimat und Nation. Die pfälzische Identität im 19. Und 20. Jahrhundert, Kaiserslautern 2007. 34 Die Geschichte dieses Denkmals ist noch nicht geschrieben; die folgenden knappen Hinweise stützen sich auf zeitgenössische Zeitungsartikel sowie eine kleine Broschüre: St. Georgsbrunnen am Alten Marktplatz, Speyer 1998. Für die diesbezüglichen Informationen danke ich Katrin Hopstock vom Stadtarchiv Speyer. 35 Vgl. Rheinisches Volksblatt, 6.2.1928. 36 Vgl. Pfälzische Post, 26.11.1927. 37 Die Einweihungsfeier ist ausführlich dokumentiert in: Rheinisches Volksblatt, 30.6.1930. 38 Rheinisches Volksblatt, 27.6.1930.

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Abschließend sollen noch jeweils ein Denkmal in Kaiserlautern sowie eines in Zweibrücken erwähnt werden. Bei beiden handelt es sich um Regimentsdenkmäler, die erwartungsgemäß militärische sowie deutsche Aspekte stärker betonen. So wurde in Kaiserlautern im Sommer 1931 ein Denkmal für die fast 4.000 Gefallenen des 23. Infanterie-Regiments eingeweiht39; seinen Namen „Alte Marschierer“ hat das sechs Meter hohe Monument nicht zu Unrecht (Abb. 9).

Abbildung 9: Kriegerdenkmal in Kaiserslautern, Foto: Stadtarchiv Kaiserslautern

Auf eine lokale, regionale oder nationale Zuordnung wurde bei diesem Denkmal allerdings verzichtet, stattdessen ist an diesem Monument u. a. zu lesen: „Ehret die Toten. Sie sind nicht vergeblich gefallen. Das Licht ihrer Tat kündet den Enkeln das Heil.“40 Außerdem wurden alle Gefechtsabschnitte aufgezählt, an denen das 23. Infanterie-Regiment zum Einsatz gekommen war. Und doch kamen national deutsche Töne auch hier nicht zu kurz. Denn am Abend vor der Einweihung legten ehemalige Angehörige dieses Regiments vor dem Denkmal ein dreifaches Treuegelöbnis ab: für das Vaterland – hier also für Deutschland –, für das Bayern39 Erneut konnten nur zeitgenössische Zeitungsartikel herangezogen werden, Literatur gibt es zu diesem Denkmal nicht. Mein Dank gilt Dieter Kämmer vom Stadtarchiv Kaiserslautern. Einige Details der Entstehung des Denkmals sowie die Einweihungsfeierlichkeit sind dokumentiert in: Pfälzer Tagblatt, 13.7.1931. 40 Pfälz. Volkszeitung, 11./12.7.1931.

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land, für die Heimat. Und auch die Einweihungsreden hatten einen eindeutigen Schwerpunkt: die Treue zu Deutschland.41 Marschierende Soldaten zeigt gleichermaßen das Denkmal für die Gefallenen des 22. Infanterie-Regiments in Zweibrücken42, zudem halten die abgebildeten drei Soldaten Handgranaten in den Händen – sie sollen einen Sturmtrupp darstellen (Abb. 10).

Abbildung 10: Kriegerdenkmal in Zweibrücken, Foto: Stadtarchiv Zweibrücken

Während die eigentliche Inschrift sehr schlicht gehalten ist – „Unseren 5129 gefallenen Kameraden“ –, brachte man an diesem Denkmal auch einige Wappen an: das bayerische für die Zugehörigkeit des Regiments; das Wappen von Zweibrücken, da man sich zudem als Pfälzer Regiment verstand; das Wappen des Hauses Hohenzollern stellvertretend für den Regimentsinhaber, der diesem Haus entstammte. Hinzu kam noch die Abbildung eines Reichsadlers, um daran zu erin-

41 Vgl. Pfälzer Tagblatt, 13.7.1931. 42 Die archivalische Überlieferung zu diesem Denkmal stellt sich noch defizitärer als bei den anderen hier beschriebenen Denkmälern dar. Für Hinweise danke ich Florian Fottner vom Stadtarchiv Zweibrücken.

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nern, „daß das Regiment unter schwarz-weiß-rot gekämpft hat für Deutschlands Größe, Freiheit und Recht.“43 Angesichts der vorgestellten Beispiele ist abschließend auf die Frage zurückzukommen, ob diese Kriegerdenkmäler für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges von einem seit 1914 möglicherweise verstärkten Zusammenwachsen der Bayern, Württemberger, Preußen usw. hin zu Deutschen künden? Ja und Nein! Je länger dieser verlorene Krieg zurücklag, umso stärker wurde wohl tatsächlich die Neigung, ein deutsches Vaterland als Sinnstiftungsinstanz für die abertausenden an Gefallenen heranzuziehen. Doch darf bei einem solchen Erklärungsversuch die jeweilige Region, in der es zu Denkmalerrichtungen kam, nicht außer Acht gelassen werden – man denke nur an die Nähe der Pfalz zur Front während des Ersten Weltkrieges sowie an die als Unterdrückung empfundenen Jahre der französischen Besetzung. Unübersehbar ist aber gleichermaßen, dass im rechtsrheinischen Bayern weit weniger „Deutschland“ auf den Kriegerdenkmälern zu entdecken ist als auf denjenigen, die in der Pfalz errichtet wurden, wobei noch einmal darauf hinzuweisen ist, dass diese pfälzischen Denkmäler erst sehr spät aufgestellt wurden. Somit bleibt als vorsichtiges und – angesichts der geringen Zahl der hier vorgestellten Denkmäler – vorläufiges Fazit: Die Vorkriegsloyalitäten, die vor 1914 dominierenden Identitäten, scheinen, trotz aller denkbaren Verbundenheit in den Schützengräben, das Jahr 1918 überdauert zu haben. Fühlte man bereits vor 1914 mehr deutsch als bayerisch, wie dies sicherlich in der Pfalz der Fall war, so dürfte sich dies weiter vertieft haben. Definierte man sich aber vor 1914 mehr als Bayer denn als Deutscher, so reichten die Fronterfahrungen anscheinend nicht aus, eine solche Befindlichkeit – war man erst einmal in die Heimat zurückgekehrt – maßgeblich zu verändern oder gar zu zerstören. Um jedoch einen solchen Befund – zumindest für Bayern – weiter zu erhärten, wäre es sinnvoll, noch mehr bayerische Kriegerdenkmäler heranzuziehen. Hierbei könnte man Denkmäler aus traditionell katholischen solchen aus traditionell evangelischen Orten gegenüberstellen. Und gleichermaßen sollte man Denkmäler aus Regionen berücksichtigen, die einerseits erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu Bayern gekommen waren und in denen sich andererseits schon früh Sympathien für einen geeinten deutschen Nationalstaat gezeigt hatten, wie etwa in Nürnberg, der vormals Freien Reichsstadt, oder z.B. in Ansbach, in Erinnerung an markgräfliche bzw. preußische Zeiten. Dr. Katharina Weigand, München

43 Zitiert nach der Broschüre 22er Denkmal-Wiedereinweihung und Wiedersehensfeier am 7., 8. und 9. Juni 1958, 19.

HITLER IM BAYERISCHEN HEER Eine politisch-soziale Binnenperspektive seines Weltkriegsregiments 1914–19451 Thomas Weber „Der Zorn auf die Etappenschweine, der auch mich zeitig ergriff, war ausnahmslos verbreitet“, schrieb Victor Klemperer in einem der Dresdner Judenhäuser, als er im Frühjahr 1941 ein Kapitel zum Ersten Weltkrieg für seine auf den eigenen Kriegstagebüchern basierenden Memoiren erstellte. Der jüdische Romanist widmete sich nun der brisantesten Episode seiner Lebenserinnerungen. Klemperer beschrieb eindringlich, wie wenig die Soldaten der 6. Bayerischen Reserve-Division, in der er 1915 für ein Jahr an der Westfront gedient hatte, mit dem Idealbild nationalsozialistischer Kämpfer gemein hatten. Dies äußerte sich auch darin, dass Klemperer unter den Soldaten der Division „keiner antisemitischen Regung begegnet“ sei. Dafür kursierte „ein bitterböses Lied auf die ‚Etappenschweine’, Melodie: ‚Lützows verwegene Jagd’, überall in Notizbüchern und mündlich.“2 Der Hass der bayerischen Soldaten richtete sich laut Klemperer nicht gegen Juden. Er richtete sich nicht einmal nur gegen den Feind. Schon 1915 richtete sich die Aversion ganz besonders gegen die Preußen, wofür Klemperer als preußischer Jude in einer bayerischen Einheit sehr sensibilisiert war. Regelmäßig hörte der Romanist die Soldaten seiner Division über die Preußen schimpfen. Mal wurde gefragt: „Was geht uns überhaupt Ostpreußen an? Gerade so viel wie China. Es liegt nicht in Bayern.“ Dann lautete der Vorwurf: „Natürlich ist er ein falscher Hund, er ist ja ein Preuß.“ Wiederholt wurde Klemperer Zeuge von antipreußischen Ausfällen, die er in seinen Erinnerungen wiedergab: „Immer müssen wir den Kopf hinhalten; die Preußen verlieren die Stellung, die Bayern müssen sie zurückerobern.“ Einmal wurde Klemperer Zeuge einer Szene, in der ein bayerischer und ein preußischer Soldat mit der Peitsche aufeinander loszugehen versuchten. Erst im letzten Moment wurden sie von einem Feldgendarmen gestoppt, nachdem der bayerische Soldat den preußischen Soldaten einen „Drecketer Saupreiß!“ gescholten hatte.3

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Die Forschungen, auf denen dieser Beitrag beruht, wurden großzügig von der Gerda Henkel Stiftung und vom Herodotus Fund des Institute for Advanced Study in Princeton gefördert. Victor Klemperer, Curriculum Vitae. Jugend um 1900. Zweites Buch, 1912–1918, Berlin 1989, 362, 369. Klemperer, Curriculum Vitae, 366.

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Klemperers 1941 aufgeschriebenen Erinnerungen an seine Zeit in der 6. Bayerischen Reserve-Division war so brisant, dass er sich offensichtlich nicht traute, offenzulegen, wer der berühmteste Soldat seiner Division gewesen war und wieso der in der Division vorhandene Hass auf Etappenschweine diesen potentiell in Bedrängnis zu bringen vermochte. Klemperer erklärte auch nicht explizit, wieso die Tatsache, dass es in der 6. Bayerischen Reserve-Division einen größeren Hass auf die Preußen als auf Juden gegeben hatte, den Gründungsmythos der von dem berühmtesten Veteranen der Division geführten Partei in Gefahr zu bringen vermochte. Dies hatte zur Folge, dass Victor Klemperers Tagebücher aus dem Zweiten Weltkrieg heute als bewegendstes Dokument eines deutschen Juden während des Holocaust gelten, während seine Memoiren über den Ersten Weltkrieg ein Schattendasein fristen. Unbekannt bis heute ist, dass Klemperer in seinen Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg den berühmtesten Soldaten seiner Division demaskierte. Dieser Soldat war natürlich der Gefreite Adolf Hitler, Meldegänger des Regimentsstabes des zumeist List-Regiment genannten 16. Bayerischen ReserveInfanterieregiments. Mit seinen Kriegserinnerungen kratzte Klemperer am Ursprungsmythos von Hitlers Werdung zum ‚Führer’ der Deutschen. Diesem zufolge war Hitler Deutschlands personifizierter unbekannter Soldat, der den Großen Krieg wie alle anderen Deutschen erlebt hatte und genauso dachte wie sie, aber durch seine Führereigenschaften hervorstach. Seine Erfahrungen als mutiger und von allen Seiten geschätzter Meldegänger hätten ihn ‚geschaffen’. Sein Regiment sei eine Keimzelle eines egalitären nationalsozialistischen Deutschlands und einer neuen ‚Volksgemeinschaft’ gewesen. Kurzum: Hitler sei gemeinsam mit den Männern seines Regiments aus dem Krieg zurückgekehrt, um Deutschland zu retten und zu erlösen.4 Schon im Reichspräsidentschaftswahlkampf 1932 hatten einige Veteranen aus Hitlers Regiment versucht, dem Diktator-in-spe die Maske vom Gesicht zu reißen. Sie hatten das Leben in Hitlers Regiment in ähnlicher Manier wie Klemperer beschrieben und Hitler selbst als ‚Etappenschwein’ tituliert.5 Hitler war jedoch gegen diese Angriffe so geschickt vorgegangen, dass selbst spätere Generationen seiner Version Glauben schenkten. Dabei hatte bereits 1932 ein Kriegskamerad Hitlers bestätigt, dass die Angriffe auf ihn der Wahrnehmung der Soldaten ihrer Einheit entsprächen. Er schrieb Hitler in einem Brief, dass die Kernaussage seiner Kritiker doch beinahe deckungsgleich mit der allgemeinen 4

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Für eine ausführliche Diskussion über Hitlers Zeit im Ersten Weltkrieg und deren Bedeutung, siehe Thomas Weber, Hitlers erster Krieg. Der Gefreite Hitler im Weltkrieg – Mythos und Wahrheit, Berlin 2011. Stadtarchiv Braunschweig, Z2, Volksfreund, 3. März 1932, Ein Kriegskamerad erzählt: Mit Adolf im Felde, von Josef Stettner; The United States National Archives and Records Administration, College Park, MD (NARA), RG 242, T-581/1A, Zeitungsausschnitt, Fränkischer Volksfreund, 12. März 1932, Kamerad Hitler. Hierbei handelt es sich um einen Nachdruck des Echo der Woche-Artikels. NARA, RG 242, T-581-52, Landgericht Hamburg, Urteil, Hitler gegen Echo der Woche, 9. März 1932.

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Wahrnehmung der Frontsoldaten ihrer Einheit gewesen sei: „Nun es ist einmal Ansicht sämtlicher Grabensoldaten, dass die vom Regimentsstab schon zu den Etappenschweinen gehörten.“6 Genaugenommen war das Gebiet, in dem Hitler als Stabsmeldegänger operieren musste, wenn auch in der Regel ein paar Kilometer hinter der Front gelegen, immer noch Teil des Kampfgebiets und nicht der Etappe. Auch war Hitler objektiv betrachtet ein guter, äußerst gewissenhafter und keinesfalls feiger Soldat gewesen: Er hatte sich gleich im Sommer 1914 als Kriegsfreiwilliger gemeldet. Auch wenn Hitler als Meldegänger des Regimentsstabs weniger als die Soldaten in den Schützengräben dem Infanteriefeuer und den Elementen ausgesetzt war, war die Gefahr durch Artilleriefeuer hoch. Tatsächlich wurde Hitler zweimal so stark verwundet, dass er in Lazarette in Deutschland verlegt werden musste. Ferner wurde Hitler sogar das Eiserne Kreuz Erster Klasse verleihen. Es gibt keine Hinweise, dass er sich vor Aufgaben drückte. Im Rahmen dessen, was ihm aufgetragen wurde, enttäuschte er seine Vorgesetzen nie. Kurzum: Hitler war ein guter Soldat.7 Dennoch waren Hitlers tatsächliche Kriegserfahrungen politisch und propagandistisch wertlos. Denn da ihn die Frontsoldaten seiner Einheit als Resultat der Spannungen, die zwischen den Soldaten der Schützengräben und den Angehörigen des Regimentsstabs bestanden, als ‚Etappenschwein’ wahrgenommen hatten, war Hitler alles andere als die Verkörperung des deutschen unbekannten Soldaten, dessen Erfahrungen im Krieg ihn zum ‚guten’ Nationalsozialisten gemacht hatten. Ein ebenso großes Problem war die bei Victor Klemperer bereits angeklungene starke bayerische Identität vieler Soldaten des List-Regiments. Denn wenn die NS-Propaganda predigte, dass Hitler aus dem Kreise der Soldaten seines Regimentes hervorgekommen sei, um Deutschland zu retten und dass er den Krieg wie alle Deutschen erlebt habe, passte es natürlich nicht, dass viele Soldaten von Hitlers Regiment den Krieg in erster Linie gar nicht als Deutsche, sondern als Bayern erlebten. So erklärte z. B. Anton Haimbacher, ein Landarbeiter aus dem provinziellen Oberbayern und Infanterist in der 2. Kompanie des List-Regiments, nachdem er Anfang Oktober 1916 nach seiner Fahnenflucht wieder aufgegriffen worden war, aus Furcht vor der Schlacht an der Somme davongelaufen zu sein. Und dass seine Loyalität vor allem seinem Heimatdorf Mintraching gelte. Die Nation bedeute ihm nichts: „Mir ists gleich, ob i zu Bayern gehör oder zu Frankreich.“8 Es fällt auf, dass Haimbacher eine Wahl zwischen Bayern und Frankreich sah; eine deutsche nationale Identität fehlte ihm völlig. Sein Beispiel ruft uns in Erinnerung, dass zumindest ein Teil der deutschen Soldaten aus dem ländlichen Raum – so wie manche Soldaten aus dem ländlichen Frankreich – noch bis zum Ersten 6 7 8

NARA, T-581-1, Brief, Ferdinand Widman an Hitler, 9. März 1932. Weber, Hitlers Erster Krieg, 44–298. Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abteilung IV Kriegsarchiv, München (=BHStA/IV), Militärgerichtsakten, Reserve Division 6, Anton Haimbacher.

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Weltkrieg überhaupt kein Nationalbewusstsein entwickelt hatte.9 Viele bayerische Bauern hatten immer noch eine vorrangig regionale Identität, was z. B. aus dem ersten Satz eines nicht datierten Manuskripts für einen Vortrag zur ‚Patriotischen Anleitung’ in der zweiten Kriegshälfte hervorgeht: „Die Bauern sagen vielfach, dass es ihnen ganz gleichgültig sei, ob Elsass-Lothringen deutsch bliebe oder französisch werde, da sie ja doch ihre Saat weiter säen, ihr Getreide und ihre Kartoffel weiter ernten und ihre Felder weiter pflügen würden, ob nun die französische oder deutsche Fahne über Straßburg wehe.“10

Im Gegensatz zu vielen anderen Männern seines Regiments scheint Haimbacher aber keine Ressentiments gegenüber preußischen Soldaten empfunden zu haben. Zumindest war er nach seinem Desertieren zwei Wochen lang von preußischen Soldaten im nahe gelegenen Aubers versteckt und mit Nahrung versorgt worden.11 Insgesamt hatte sich aber spätestens ab 1915, und nicht erst nach dem sich das Kriegsglück der Deutschen gewendet hatte, eine antipreußische Grundhaltung in Hitlers Regiment breitgemacht. Die Stimmung im List-Regiment war damals unter anderem deshalb schlecht, da sich Soldaten aufgrund des endlos scheinenden Ausbaus des Schützengrabensystems nicht wie Krieger, sondern wie schlecht behandelte Bauarbeiter vorkamen.12 Der Soldat Alexander Weiß beschrieb den Alltag des List-Regiments zu Ostern 1915 so: „Posten stehen, Sandsackfüllen, Trägertrupps lösen sich gleich unerfreulich ab.“ Unter seinen Kameraden, fügte Weiß hinzu, mache sich zunehmende Verbitterung breit.13 Diese Verbitterung fand immer wieder in Hass auf Preußen ihren Ausdruck. Antipreußische Regungen unter bayerischen Soldaten waren so verbreitet, dass sie auch der Zivilbevölkerung im besetzten Frankreich nicht entgingen. So vertraute ein Augenarzt aus Lille seinem Tagebuch wenige Tage vor Weihnachten 1915 an: „Kürzlich entstand im Kaffee Bellevue eine kleine Meinungsverschiedenheit zwischen bayerischen und preußischen Offizieren. Die Bayern beklagen sich, dass die Reihe, um in die Feu-

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Eugen Weber, Peasants into Frenchmen. The Modernization of Rural France, 1870–1914, Stanford 1976; Benjamin Ziemann, Front und Heimat. Ländliche Kriegserfahrungen im südlichen Bayern 1914–1923, Essen 1997. Zitiert in Ziemann, Front und Heimat, 136. BHStA/IV, Militärgerichtsakten, Reserve Division 6, Anton Haimbacher. Fridolin Solleder, Zwischen zwei Gefechten, 120–129, in: Ders. (Hg.), Vier Jahre Westfront. Geschichte des Regiments List R.I.R. 16, München 1932, 120–129, hier 120ff.; BHStA/IV, 16. Bayerisches Reserve-Infanterie-Regiment, Band 1, Tagebuch, 17. März–8. Mai 1915; BHStA/IV, 17. Bayerisches Reserve-Infanterie-Regiment, Band 1, Tagebuch, 29. März–8. Mai 1915. Alexander Weiß, Bei Fromelles, März 1915 bis Sept. 1916, zitiert in: Solleder, Zwischen zwei Gefechten, 122; siehe auch Fritz Wiedemann, Der zweite Kriegswinter bei Fromelles, in: Solleder (Hg.), Vier Jahre Westfront, 189–201, hier 189.

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erstellung zu gehen, zu oft an sie käme. Man spricht von zahlreichen bayerischen Überläufern.“14

Zu Beginn des Jahres 1915 begannen die Soldaten des List-Regiments, Preußen für ihre missliche Lage verantwortlich zu machen. Der nagende Zweifel, der Krieg sei möglicherweise nicht nur auf die Niedertracht Großbritanniens, den ‚Revanchismus’ Frankreichs und den Expansionsdrang Russlands, sondern auch auf die Entscheidungen Berlins zurückzuführen, hatte sich in den Augen vieler Soldaten in eine Gewissheit verwandelt. Nachdem zahlreiche Soldaten des ListRegiments und seiner Schwesterregimenter Soldaten nichtbayerischer Einheiten beschimpft und bedroht hatten, wurden die Männer an drei aufeinanderfolgenden Tagen beim Appell zurechtgewiesen, da ihr Verhalten weder „der deutschen Kameradschaft noch dem Ansehen der Division“ diene. Ferner wurden sie gewarnt, dass derartige Ausfalle von nun an „auf das Strengste“ bestraft würden.15 Die wachsende antipreußische Stimmung in Hitlers Regiment, die symptomatisch für jene der gesamten bayerischen Armee und der Heimatfront war,16 verdeutlicht, dass die nationale Einheit bei Kriegsausbruch, der ‚Burgfrieden’ – bei dem nationalistische Empfindungen die Oberhand über das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gesellschaftsschicht, einer Religion oder einer regionalen Kultur gewonnen hatten – nicht von Dauer gewesen war und bereits 1915 in den Hintergrund trat. Von nun an musste der Zusammenhalt des deutschen Heeres auf pragmatischen und zeitweiligen Bündnissen beruhen. Auch an der Einschätzung König Ludwigs III. und seines Sohnes Kronprinz Rupprecht lässt sich die starke regionale bayerische, anti-preußische Grundhaltung bayerischer Soldaten und Zivilisten ablesen. Manche Historiker sind in ihrer Bewertung der Einstellungen der bayerischen Bevölkerung gegenüber der Königsfamilie während des Krieges in eine historische Rückschaufalle getappt. Diese besteht darin, dass sie aus der während des Krieges in Bayern manchmal geäußerten Kritik an Ludwig III. und dem Sturz der bayerischen Monarchie Ende 1918 eine grundsätzliche Erosion der Königsherrschaft geschlossen haben.17 Die Kritik an Ludwig während des Krieges hatte aber zumeist nicht der Monarchie an und

14 BHStA/IV, Handschriften, Nr. 1952, Kriegstagebuch eines namentlich nicht identifizierbaren französischen Arztes, 17. Dezember 1914. 15 BHStA/IV, 17. Bayerisches Reserve-Infanterie-Regiment, Band 2, Divisionsbefehl der 6. Reserve Division, 5. Mai 1915. 16 Weber, Hitlers Erster Krieg; siehe auch Ziemann, Front und Heimat. 17 Solche Behauptungen sowohl auf die bayerische Monarchie als auch auf das Reich gemünzt finden sich beispielsweise bei Michaela Karl, Die Münchener Räterepublik: Porträts einer Revolution, Düsseldorf 2008, 8–9; Hartmut Mehringer, Die KPD in Bayern, 1919–1945, in: Martin Broszat / Hartmut Mehringer (Hgg.), Bayern in der NS-Zeit, Band 5, München 1983, 1–286, hier 5; Ulrich Kluge, Die Weimarer Republik, Paderborn 2006, 28; Richard Bessel, Germany after the First World War, Oxford 1993, 48; John Horne, Remobilizing for „Total War“. France and Britain, 1917–1918, in: Ders. (Hg.), State, Society, and Mobilization in Europe during the First World War, Cambridge 1997, 195–211, 211.

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für sich gegolten. Kritisiert wurde vielmehr die als allzu nachgiebig und unterwürfig wahrgenommene Haltung Ludwigs gegenüber den Preußen.18 Auf eine Abschaffung der Monarchie hatte nur eine sehr kleine, wenn auch lautstarke Minderheit gedrängt. Im Gegensatz zu seinem als Diener der Preußen gescholtenen Vater wurde Kronprinz Rupprecht zumeist von der Kritik ausgenommen und sogar für seine eigenen Beanstandungen der Reichsleitung gelobt. Obwohl Kronprinz Rupprecht, der als Heeresführer an der Front immer wieder mit der Obersten Heeresleitung aneckte, seine Kritik an der deutschen Kriegführung zumeist hinter verschlossenen Türen übte, kannte die Bevölkerung Südbayerns seine ablehnende Haltung gegenüber Hindenburg und Ludendorff. Ein Beleg hierfür ist das im Frühsommer 1918 in den ländlichen Gebieten Oberbayerns und Schwabens umhergehende Gerücht, Kronprinz Rupprecht habe sich als bayerischer Heerführer geweigert, seine Soldaten weiterhin für einen bereits verlorenen Krieg zu opfern, und Hindenburg daher in einem Duell erschossen.19 Und als im Jahr 1932 die offizielle Geschichte des List-Regiments erschien, unterstrich Hans Ostermünchner von der 3. Maschinengewehr-Kompanie in seinem Exemplar des Buches als Zeichen der Zustimmung sämtliche Hinweise auf Rupprechts Ablehnung der deutschen Kriegsführung.20 Auch machte sich während des Krieges der Glauben breit, preußische Soldaten bekämen größere Essensrationen und besseres Essen als ihre bayerischen Kameraden. Nach Aussage von Hauptmann Karl Mayr, Hitlers Führungsoffizier und Mentor im Reichswehrgruppenkommando IV im Sommer 1919, entbehrte das zwar jeder objektiver Grundlage. Jedoch, so Mayr, bräuchten die Bayern mehr Essen als Preußen, um glücklich zu sein. Dies habe im Krieg dazu geführt, dass in der subjektiven Wahrnehmung die Versorgungslage der preußischen und bayerischen Soldaten falsch wahrgenommen worden sei und sich daher antipreußische Ressentiments im bayerischen Heer weiter verstärkt hätten.21 Schon zur Zeit des Weihnachtsfriedens 1914 hatte sich gezeigt, wie wichtig die Wahrnehmung von landsmannschaftlichen Unterschieden war. So glaubten Bayern und Sachsen, aufgrund ihrer unterschiedlichen Mentalitäten und kulturellen Prägungen viel eher als Preußen bereit zu sein, am Weihnachtsfrieden teilzunehmen.22 Wie ich anderswo argumentiere,23 war dies objektiv gesehen überhaupt nicht der Fall, aber die Wahrnehmung dieser Unterschiede verstärkte die Wahrscheinlichkeit, dass Soldaten den Krieg mindestens ebenso sehr als Bayern oder Sachsen denn als Deutsche wahrnahmen. 18 Weber, Hitlers Erster Krieg, Kapitel 10. 19 Dieter Weiss, Kronprinz Rupprecht von Bayern (1869–1955). Eine politische Biographie, Regensburg 2007, 123. 20 Vgl. Hans Ostermünchners Exemplar von Solleder, Vier Jahre Westfront aus dem Besitz seines Enkels Hans. 21 BHStA/IV, Reichswehrgruppenkommando 4, Nr. 314, Briefe Karl Mayrs an Kursteilnehmer. 22 Vgl. z. B. Modris Eksteins, Rites of Spring. The Great War and the Birth of the Modern Age, Toronto 1989, 127, 133. 23 Weber, Hitlers Erster Krieg, Kapitel 3; Thomas Weber, Buchmanuskript von Islands of Peace (Arbeitstitel), Kapitel 3.

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Die hier zu Tage tretenden Klischees über landsmannschaftliche Unterschiede wirken bis heute in der Wissenschaft nach. So werden die in Belgien am Beginn des Weltkriegs begangenen Kriegsgräuel auf einen norddeutschen protestantischen Antikatholizismus zurückgeführt24 und nicht wahrgenommen, dass es keine nennenswerte Varianz zwischen katholischen und protestantischen sowie zwischen preußischen und nicht-preußischen Soldaten in ihrer Bereitschaft gab, auf Jagd nach vermeintlichen und tatsächlichen Freischärlern in Belgien zu gehen.25 Hitler, der sich als ein in einer deutschen Einheit kämpfender österreichischer Deutscher verstand, passte die starke bayerische, antipreußische Grundhaltung der Soldaten des List-Regiments überhaupt nicht. Er führte sie später auf die erfolgreiche Wirkung der britischen Propaganda zurück. Laut Hitler lasen die bayerischen Soldaten auf Flugzetteln, die über den deutschen Stellungen abgeworfen wurden, dass die Briten angeblich ausschließlich gegen den preußischen Militarismus kämpften, jedoch keinerlei Feindseligkeit gegen Bayern hegten.26 Hitler verstand nicht, dass nicht die (überlegene) britische Propaganda, sondern das harte Leben in den Schützengräben die Begeisterung seiner Kameraden für den Krieg untergrub und sie dazu bewegte, sich von Preußen zu distanzieren. Hitler erlebte eine antipreußische Grundhaltung auch an der Heimatfront, als er nach seiner Verletzung an der Somme den Winter 1916/17 in München verbrachte. In Mein Kampf berichtete er, er habe in der bayerischen Hauptstadt überall antipreußische Regungen beobachtet. Ebenso wie an der Front sei auch in der Heimat nichts gegen diese „Giftpropaganda“ unternommen worden: „Man schien nicht zu ahnen, dass der Zusammenbruch Preußens noch lange keinen Aufschwung Bayerns mit sich bringe, ja dass im Gegenteil jeder Sturz des einen den anderen rettungslos mit sich in den Abgrund reißen musste.“27

In Mein Kampf sah Hitler hinter den antipreußischen Regungen in München sogar eine jüdische Verschwörung. Der in der Festung Landsberg inhaftierte Agitator konnte darin „nur den genialsten Trick des Juden sehen, der die allgemeine Aufmerksamkeit von sich ab- und auf andere hinlenken sollte. Während Bayer und Preuße stritten, zog er beiden die Existenz unter der Nase fort; während man in Bayern gegen den Preußen schimpfte, organisierte der Jude die Revolution und zerschlug Preußen und Bayern zugleich.“28 Aufschlussreich ist, dass Hitler in Mein Kampf erklärte, in München habe während des ‚Steckrübenwinters’ eine antipreußische Stimmung geherrscht. Nicht einmal Hitler behauptete, die Bevölkerung sei außerordentlich antisemitisch gewesen. Interessanterweise kehrte Hitler bis zum Kriegsende nicht nach München zurück. Er verspürte zunächst keinerlei Bedürfnis, zu den antipreußischen Regungen und dem bayerischen Katholizismus Münchens zurückzukehren. Er zog es vor, 24 John Horne / Alan Kramer, German Atrocities, 1914. A History of Denial, New Haven 2001, 106. 25 Weber, Hitlers Erster Krieg, 56f. 26 Adolf Hitler, Mein Kampf, 9. Aufl., München 1932, 207. 27 Ebd., 212. 28 Ebd., 212.

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seinen Heimaturlaub im Herbst 1917 in Berlin zu verbringen. Erst das Kriegsende brachte Hitler nach München zurück.29 Aufgrund der Spannungen zwischen Regimentsstäblern und den Soldaten der Schützengräben, aufgrund der großen Dissonanz zwischen der Kriegsverarbeitung Hitlers und einer großen Anzahl von Soldaten aus seiner bayerischen Einheit und aufgrund der Dissonanz zwischen Wahrheit und Mythos von Hitlers Kriegserfahrung sah sich Hitler nach dem Krieg einem großen Problem ausgesetzt: Die Mehrzahl der Veteranen seines Regiments zeigte ihm die kalte Schulter. Noch 1934 schrieb die Frau eines Kriegskameraden Hitlers in einem Brief an einen anderen Kriegskameraden des „Führers“, nachdem letzterer es vorgezogen hatte, nicht einmal an dem von NS-Propagandisten organisierten List-Veteranentreffen zwanzig Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs teilzunehmen: „Möge bald der Tag kommen, wo unser Führer bei seinen treuen Kameraden weilt. Das Herz könnte einem Wehe tun, dass es doch noch Kameraden geben kann, denen die heiligste, innerste Überzeugung fehlt, dass die Zukunft Hitler ist.“30

Für Hitlers Propagandisten war es überlebenswichtig, die Legenden über seinen ersten Krieg mit aller Kraft zu verteidigen, da sie den Gründungsmythos des Nationalsozialismus konstituierten. Auch ging es darum, die Erinnerung der Deutschen an den Ersten Weltkrieg so zu instrumentalisieren, dass sie politisch nutzbar wurde. So begann Hitler über die aus der angeblichen Kameradschaft des Weltkrieges zu ziehenden Lehren für eine künftige Volksgemeinschaft zu dem Zeitpunkt zu reden, als es für die NSDAP alles andere als rund lief und als gleichzeitig Politiker aller Richtungen die Kameradschaft der Schützengräben feierten. 31 Und nach 1933 beruhigte der neue Reichskanzler ausländische Besucher mit Kriegsgeschichten, die zeigen sollten, dass er als Kriegsveteran natürlich keinen neuen Konflikt vom Zaun brechen würde.32 In all diese Geschichten passte die spezifisch bayerische Komponente der Kriegserfahrung Hitlers ehemaliger Kameraden überhaupt nicht hinein. Die NS-Propaganda sah sich aber nicht nur genötigt, Legenden über Hitlers Kriegsjahre zu verbreiten, weil das Verhalten der Soldaten von Hitlers Regiment so gar nicht dem nationalsozialistischen Ideal entsprach. Genauso wichtig war, dass sich Hitler selbst politisch und weltanschaulich ganz anders geriert hatte, als später ins Bild passte. Er kehrte mit noch formbaren Ideen politisch desorientiert aus dem Krieg zurück. Hitlers politische Zukunft war nicht vollkommen offen, konnte sich aber noch innerhalb bestimmter Pole in verschiedene kollektivistische linke und rechte Richtungen entwickeln. Auch Antisemitismus hatte für Hitler im Krieg keine nennenswerte Rolle gespielt.33 29 30 31 32 33

Weber, Hitlers Erster Krieg, 269f., 293, 303. Privatnachlass von Jakob Weiß, Beatrix Weichenrieder an Jakob Weiß, 15. Oktober 1934. Weber, Hitlers Erster Krieg, 362–394. Ebd., 419ff. Ebd., Kapitel 10.

Hitler im Bayerischen Heer

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Erst 1919 und 1920 fand Hitlers Metamorphose von einem Eigenbrötler mit formbaren Ideen zu einem radikal-antisemitischen faschistischen charismatischen Führer statt. Wie und wieso diese Transformation erfolgte und wann sie abgeschlossen war, ist immer noch ein ungelöstes Rätsel. Im Nachhinein spielte der Erste Weltkrieg aber eine große Rolle für Hitler. Und er war nicht nur Mittel zum politischen Zweck. Hitler benutzte für den Rest seines Lebens seine nachträglich konstruierten Weltkriegserinnerungen als Inspiration in der Formung seiner Weltanschauung. Auch versuchte er, als Feldherr des Zweiten Weltkriegs aus den Fehlern seines ersten Krieges zu lernen.34 Der Erfolg der Geschichten, die Goebbels‘ Propagandisten und Hitler selbst immer wieder geschickt erzählten, war erstaunlich. Auch Jahrzehnte nachdem sich Hitler und Goebbels im Führerbunker umgebracht hatten, lebten ihre Geschichten fort. Natürlich wurden die Erzählungen über Hitlers Kriegsjahre immer als Übertreibung angesehen, aber eben nur als Übertreibung einer Geschichte, die in ihrem Kern als richtig galt. Die bayerische Identität von Hitlers Regiment war einer der Hauptgründe, wieso es für Hitler politisch so wichtig war, einen Mythos über seine Zeit im Ersten Weltkrieg zu errichten. Ob darüber hinaus die Tatsache, dass der Krieg eine bayerische Identität nicht geschwächt, sondern vielleicht sogar gestärkt hatte, ein Problem für die politische Entwicklung der Zwischenkriegszeit hin zur radikalen De-Demokratisierung Deutschlands darstellte, ist nicht einfach zu beantworten. Einerseits waren die Angriffe auf die Berliner Politik gerade in den ersten fünf Jahren nach dem Krieg sehr stark dem bayerischem Partikularismus (und einem Versuch, mehr Rechte für Bayern zu erfechten) geschuldet. Dies schwächte natürlich moderate, politische Kräfte auf der Reichsebene. Auch führte die Abspaltung der Bayerischen Volkspartei von der Zentrumspartei dazu, dass Paul von Hindenburg und nicht der Zentrumspolitiker und Demokrat Wilhelm Marx Nachfolger Friedrich Eberts als Reichspräsident wurde. Auch entwickelte sich zur Zeit des Kapp-Putsches im Frühjahr 1920 die bayerische Regierung nachhaltig in eine rechts-autoritäre Richtung. Dies erlaubte rechtsradikalen Gruppierungen wie Hitlers NSDAP in Bayern mehr oder weniger ungestört zu operieren und zu wachsen. Andererseits war das Wachstumspotential der NSDAP in Altbayern (im Gegensatz zu Franken und den protestantischen Gegenden Norddeutschlands) begrenzt. Dies lag auch daran, dass die DAP/NSDAP eben eine dezidiert deutsche Partei in einem politischen Milieu war, in der bayerischer Partikularismus durch die Kriegserfahrung bayerischer Soldaten zumindest konsolidiert worden war. Auf das ‚D’ im Parteinamen von Hitlers Partei kommt es an, wenn wir verstehen wollen, wieso das Wachstumspotential für seine Partei in Altbayern begrenzt war; und auf das ‚B’ in der BVP kommt es, wenn wir nachvollziehen wollen, wieso die Bayerische Volkspartei ab 1920 die bayerische Regierung anführte. Auch dies mag helfen zu verstehen, wieso bis 1933 nur gut zwei Prozent der Veteranen von

34 Weber, Hitlers Erster Krieg, Kapitel 13.

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Thomas Weber

Hitlers Weltkriegsregiment der Partei ihres ehemaligen Kriegskameraden beigetreten waren.35 Wie der Harvarder Politikwissenschaftler Daniel Ziblatt argumentiert, wird oftmals vergessen, dass der Kollaps Weimars und die ‚Machtergreifung’ durch die NSDAP Folge nicht der Stärke, sondern der institutionellen Schwäche rechtskonservativer Parteien war.36 Im umgedrehten Sinne auf Bayern angewandt mag dies erklären, wieso die Stärke der Bayerischen Volkspartei, die eine halb rechtsautoritäre, halb moderatdemokratische Zwitterpartei war, sicherstellte, dass die Weimarer Republik in Bayern am längsten überlebte. Anders als im Reich gab es kein großes Vakuum im rechten Spektrum, welches durch radikale rechte Parteien ausgefüllt werden konnte. Dies soll nicht heißen, dass die NSDAP in Altbayern eine Splitterpartei blieb. Im Gegenteil. Dennoch wurde die Partei in Altbayern niemals in freien Wahlen zur stärksten politischen Kraft. Und erst im März 1933, zwei Monate nach der ‚Machtergreifung’ in Berlin, wurde Bayern ‚gleichgeschaltet’. So brachte die bayerische Kriegserfahrung des Ersten Weltkriegs einerseits ein politisches System hervor, ohne welches die Sektierergruppe der Deutschen Arbeiterpartei nicht zu einer ernsthaften Partei namens NSDAP hätte mutieren können. Andererseits wäre die NSDAP wohl kaum jemals an die Macht gekommen, wenn die Kriegserfahrung des restlichen Reiches und das politische System des Gesamtreiches mehr der Kriegserfahrung der Bayern und dem politischen System der Bayern entsprochen hätten. Dann hätte Victor Klemperer nach seiner Emeritierung in aller Ruhe seine Kriegsmemoiren über seine Zeit in der bayerische Armee schreiben können. In diesem Fall hätte er wohl auch nicht den Gefreiten Adolf Hitler erwähnt. Die Gründe der Nichterwähnung wären aber ganz andere gewesen. Es hätte einfach keine Veranlassung gegeben, einen Regimentsstabsmeldegänger eines der vier Regimenter von Klemperers Division zu erwähnen. Prof. Dr. Thomas Weber, Aberdeen

35 Weber, Hitlers Erster Krieg, 350. 36 Dies ist eines der Argumente von Daniel Ziblatts Buchprojekt über Conservative Political Parties and the Birth of Modern Democracy, 1848–1950.

AUFSÄTZE

GESCHLECHTERGESCHICHTE EUROPAS Ein ‚anderer‘ Blick auf die Geschichte Europas Wolfgang Schmale Abstract: Im Gegensatz zur etablierten Geschlechtergeschichte geht es bei „Geschlechtergeschichte Europas“ um „Europa“ als Proprium und dessen Geschlecht – das Geschlecht der Europa und Europas Geschlecht. Bis ins frühe 17. Jahrhundert wird das Bild von Europa durch das weibliche Geschlecht der Europa dominiert, während es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts durch Europas männliches Geschlecht ersetzt wird. Europa wird als Kultur definiert, diese Kultur ist jedoch männlich bestimmt und realisiert sich als „Eurozentrismus“. Seit den 1970er-Jahren scheint die historische Identifizierung Europas als entweder weiblich oder männlich abzunehmen und dabei der Auflösung der sozialen Verbindlichkeit des Geschlechtermodells der Aufklärung zu folgen. Europabilder, -konzepte, -ideen, -vorstellungen usw. sind grundlegend durch die geschlechtliche Identifizierung Europas geprägt. Dies trifft z.B. auch auf die EGKS zu. Es stellt sich die Frage, wie sich das Verständnis von Europa verändert, wenn diese Identifizierung in der Gegenwart nicht mehr funktioniert und Europa weder männlich noch weiblich ist.

Vorbemerkung Zu Beginn dieses Essays1 erscheint es nützlich, kurz über zwei Formulierungen nachzudenken: „Geschlechtergeschichte Europas“ und „europäische Geschlechtergeschichte“. In der Regel werden beide Formulierungen auf austauschbare Weise verwendet, aber sie lassen sich auch für eine vielleicht hilfreiche Unterscheidung heranziehen. „Europäisch“ ist alle Geschichte von Frauen und Männern, von Weiblichkeit(en) und Männlichkeit(en), von sozialen Geschlechterordnungen, von Genderdiskursen, von Handlungsfeldern der Geschlechter etc. im europäischen Raum. Entsprechende Studien aufzuzählen, würde keine Mühe ma-

1

Ich danke Christoph Treiblmayr für die kritische Durchsicht des Textes.

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Wolfgang Schmale

chen, beginnend mit epochenübergreifenden Handbüchern wie „Geschichte der Frauen“2 und „Histoire de la virilité“3. In der Formulierung „Geschlechtergeschichte Europas“ oder „Europas Geschlechtergeschichte“ hingegen stellt „Europa“ ein Proprium dar, um dessen Geschlechtergeschichte es geht. Der Titel eines Themenheftes der Zeitschrift „L’Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft“ aus dem Jahr 2000 lautete „Das Geschlecht der Europa“.4 Er traf die Problemstellung, um die es geht, sehr gut, auch wenn es in der Gegenwart weniger um das Geschlecht der Europa als um Europas Geschlecht gehen dürfte. Der Verfasser des vorliegenden Essays steuerte den Aufsatz „Europa – die weibliche Form“ bei, die anderen Hauptaufsätze befassten sich mit „Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft und politische Gelegenheitsstruktur – Feministische Anfragen und Visionen“ (Ute Gerhard), mit „Wohlfahrtsstaat und unbezahlte[r] Betreuungsarbeit“ (Jane Lewis) sowie mit „Migrationsräume[n] von Frauen. Geographische Mobilität und Migrationsrouten marokkanischer und somalischer Migrantinnen“ (Francesca Decimo). Aus den Titeln ist zu erkennen, dass das Generalthema des Zeitschriftenheftes eher ‚traditionell‘ geschlechtergeschichtlich ausgeführt wurde, auch wenn der Beitrag des Verfassers versuchte, den Titel so wörtlich wie möglich zu nehmen. Geschlechtergeschichte Europas mit „Geschlecht der Europa“ und „Europas Geschlecht“ als Thema ist weitgehend ein Desiderat geblieben.5 Das Geschlecht der Europa – Europas Geschlecht Auf den ersten Blick ist das Wesentliche schnell gesagt: Europa als Name und Figur (Mythos, Allegorie, Karikatur) ist weiblich. Das Geschlecht der Europa scheint damit geklärt – aber ob Europas Geschlecht damit ebenfalls umfassend identifiziert ist, stellt eine ganz andere Frage dar. Auf den zweiten Blick ist auch die erste Gewissheit zweifelhaft: Europa kann durch männliche Figuren (Allegorie, Karikatur) dargestellt werden. Aber bedeutet dies dann automatisch, dass Europas Geschlecht männlich ist? Zwar kann davon ausgegangen werden, dass das Geschlecht der Europa sowie Europas Geschlecht

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3 4 5

Georges Duby / Michelle Perrot (Hgg.), Geschichte der Frauen, 5 Bde., Frankfurt am Main / New York / Paris 1993–1995 (Originalfassung Französisch, Übersetzungen auch ins Englische und Italienische). Alain Corbin / Jean-Jacques Courtine / Georges Vigarello (Hgg.), Histoire de la virilité, 3 Bde., Paris 2011. Ute Gerhard / Edith Saurer (Hgg.): Das Geschlecht der Europa. = L’Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 11/2000, 2. Zur geringen Rolle der Genderperspektive in der Forschung zur europäischen Integration: Annica Kronsell, Gender, power and European integration theory, in: Journal of European Public Policy, 12/2005, 6, 1022–1040. Demnächst erscheint im Steiner-Verlag in der Reihe „Studien zur Geschichte der Europäischen Integration“: Wolfgang Schmale, European History from the Perspective of Gender and Eurocentrism (vorauss. Herbst 2016).

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auf verschiedene, also auch bildliche Weise, zum Ausdruck gebracht wurden, aber sobald die Zusammenhänge etwas komplexer sind, lassen sie sich nicht durch einfache Ikonen wie allegorische Figuren visualisieren. Das heißt, weibliche oder männliche Visualisierungen Europas sind wichtig für die Interpretation, aber sie sind nicht alles. Bei „Geschlecht der Europa – Europas Geschlecht“ geht es darum, das Reden und Schreiben über Europa, das Beschreiben und Visualisieren von Europa, das Denken Europas usf. systematisch auf der Grundlage der Kategorie Geschlecht, systematisch in der Perspektive von Gender zu reflektieren. Das Folgende beschränkt sich aus pragmatischen Gründen auf die neuzeitliche Geschichte Europas und versteht sich als vorerst aufrissartige Auseinandersetzung mit dem Thema. Die neue Europa-Imago des 16. Jahrhunderts6 Im 16. Jahrhundert entstand die allegorische Figur der Europa. 1535 (gedruckt 1537) gab Johannes Putsch dem Kontinent die Gestalt einer Frau, genauer gesagt einer Königin mit Bügelkrone.7 Die iberische Halbinsel bildet das gekrönte Haupt, Frankreich ist im Bereich der oberen Brust gelegen, es folgt das Heilige Römische Reich mit dem Kurfürstentum Böhmen als Bauchnabel (oder Herz), der rechte Arm ist Italien, Sizilien hält den Reichsapfel usw. Grundsätzlich handelt es sich bei dieser Europa von 1537, die nur noch in einem einzigen Originalexemplar überliefert ist, um ein habsburgisches und reichisches Propagandablatt, das den tradierten Anspruch des römischen Kaisers als Haupt der Christenheit ebenso aufnimmt wie den Anspruch Kaiser Karls V. auf die europäische weltliche Univer-

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Mit der Thematik dieses Abschnitts habe ich mich in mehreren sukzessiven Studien auseinandergesetzt, auf die ich hier zurückgreife. Detailliertere Nachweise können in diesen Arbeiten gefunden werden. Im Wesentlichen handelt es sich um: Europa – die weibliche Form, in: L’Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 11/2000, 2, 211–233; Europa als Paradiesgarten. Zum politischen Gebrauch von Metaphern, in: Siegfried Lamnek / MarieTheres Tinnefeld (Hgg.), Privatheit, Garten und politische Kultur. Von kommunikativen Zwischenräumen, Opladen 2003, 238–254; Europa, Braut der Fürsten: Die politische Relevanz des Europamythos im 17. Jahrhundert, in: Klaus Bußmann / Elke Anna Werner (Hgg.): Europa im 17. Jahrhundert. Ein politischer Mythos und seine Bilder, Stuttgart 2004, 241–267; Europapropaganda, in: Rainer Gries / Wolfgang Schmale (Hgg.): Kultur der Propaganda, Bochum 2005, 285–304. Zu verweisen ist auf zwei Forschungsdatenbanken, die aus von mir geleiteten Forschungsprojekten hervorgegangen sind: http://www.univie.ac.at/igl.geschichte/ europaquellen/ sowie erdteilallegorien.univie.ac.at, aufgerufen am 08.03.2016. Die erste Datenbank bezieht sich auf Europaquellen des 17. Jahrhunderts, die zweite auf Erdteilallegorien mit dem Barock als zeitlichem und den südlichen deutschsprachigen Regionen des Heiligen Römischen Reiches als räumlichem Schwerpunkt. Abbildung in: https://belgeo.revues.org/7711?lang=de, 18. Peter Meurer, Europa Regina. 16th century maps of Europe in the form of a queen, in: Belgeo 3–4/2008, online erschienen am 22.5.2013: http://belgeo.revues.org/7711, aufgerufen am 14.01.2016.

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salherrschaft im Sinne eines Oberhaupts der Respublica Christiana, als die Europa verstanden wurde. Diese neuartige8 Darstellung Europas, die eine ausdrückliche Verkörperung und damit mehr eine Imago denn schon eine Allegorie ist, wurde im Lauf des 16. Jahrhunderts mehrfach leicht modifiziert, besonders in der Zeit Rudolfs II. Ab ca. 1580 wurde die Allegorie regelmäßig (freilich posthum) in die verschiedenen Ausgaben und Übersetzungen von Sebastian Münsters Universalkosmografie, einem der Bestseller des 16. Jahrhunderts, aufgenommen9 und darüber europaweit bekannt. Eine weitere, offenkundig sehr verbreitete Variante10 ist dem Werk „Itinerarium Sacrae Scripturae“ von Heinrich Bünting aus den 1580ern (mehrere Auflagen und Ausgaben) zu verdanken. Ab den 1570er-Jahren (Ortelius, „Theatrum Orbis Terrarum“, 157011) begegnen uns häufiger vier Erdteilpersonifikationen (Europa, Asien, Afrika und Amerika), wobei die Figur der Europa oftmals auch ganz alleine ‚auftritt‘. Europa ist dabei eine Herrscherin, welcher die anderen drei Kontinent-Personifikationen huldigen; sie verkörpert die Respublica Christiana. Spätestens mit der Kanonisierung der Vierergruppe von Erdteilpersonifikationen ab dem späteren 16. Jahrhundert scheint die Identifizierung Europas als Respublica Christiana, bildlich durch die Allegorie der Europa ausgedrückt, im größten Teil Europas bekannt gewesen zu sein. Das Entstehen einer neuartigen Darstellung der Europa, die von der überlieferten Mythos-Figur der Europa abwich, war kein Zufall, sondern hing mit dem Bedürfnis zusammen, in Europa eine essentielle Identität zu erkennen und diese auszudrücken. Zu all diesem ließe sich sehr viel mehr sagen, aber die Ausdifferenzierung der Befunde ist nicht Gegenstand des Essays. Von Interesse ist, dass schon im 16. Jahrhundert bei Hochzeiten zwischen den bedeutenden Dynastien die Figur der Europa auf vielfältige Weise in das Festgeschehen und die unumgänglichen allegorischen Szenen und Bilder eingebaut wurde. Fürsten mit hohen Machtambitionen nahmen im übertragenen Wortsinn Euro8

Theoretisch gab es einen Vorgänger, eine Zeichnung des Opicinus de Canistris von 1335/ 1336: Die europäische Mittelmeerküste nimmt bei ihm die Konturen einer weiblichen Figur an, die afrikanische Mittelmeerküste jene eines Mannes. Allerdings ist davon auszugehen, dass niemand vor 1927 (Entdeckung der Zeichnungen durch Faustino Gianani) Kenntnis von diesen Zeichnungen hatte. Sie kommen daher nicht als Modell aus dem frühen 14. Jahrhundert für Putsch oder andere in Frage. Richard G. Salomon, A Newly Discovered Manuscript of Opicinus de Canistris: A Preliminary Report, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 16/1953, 1/2, 45–57, online: http://www.jstor.org/stable/750226, aufgerufen am 14.01.2016. 9 Abbildungsbeispiel: https://en.wikipedia.org/wiki/Europa_regina#/media/File:Europe_As_A _Queen_Sebastian_Munster_1570.jpg, aufgerufen am 14.01.2016. 10 Abbildungsbeispiel: https://en.wikipedia.org/wiki/Europa_regina#/media/File:Europe_as_a_ queen_map.JPG, aufgerufen am 14.01.2016. 11 Abraham Ortelius, Theatrum Orbis Terrarum, Antwerpen 1570: Frontispiz mit den 4 Erdteilen (und Feuerland als weitere Allegorie, die sich in der weiteren Rezeption jedoch nicht durchsetzt).

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pa zur Braut und unterstrichen damit ihren Anspruch auf eine zentrale europäische Rolle bzw. auf die ‚Universalherrschaft‘ in Europa. Diesen Anspruch vertraten nicht nur die Habsburger, sondern auch die Bourbonen und weitere Dynastien. In der Frühen Neuzeit wird Europa überraschend konkret als Frau verstanden, die geheiratet wird oder der durch Kriege aus unterschiedlichen Anlässen übel mitgespielt wird. Die Zeichnung des Kontinents als Frauenfigur bei Putsch verweist auch auf das essentialistische geografische Verständnis vom Kontinent als Körper – geografische Beschreibungen folgten im 16. Jahrhundert regelmäßig dem Körperschema. Der aus der Antike überlieferten Dreiheit der Kontinente Europa, Asien und Afrika oder Libyen war im 16. Jahrhundert Amerika als vierter Kontinent hinzugefügt worden. Der Namenspatron ist zwar männlich (Amerigo Vespucci), aber der Name wird nach dem Vorbild der ‚alten drei‘ Kontinente als Femininum festgesetzt – America. Es ging aber nicht nur darum, gut humanistisch einer antiken Tradition zu folgen, sondern die schon am Beispiel Europa feststellbare Inszenierung einer Mann-Frau-Beziehung – der Fürst, der die Europa zur Braut nimmt –, wiederholt sich in Bezug auf Amerika, das wie eine Frau erobert12 wird. Alles in allem ‚passiert‘ im 16. Jahrhundert etwas Neues in Bezug auf das Verständnis von Europa, das sich trotz einiger Traditionen und der Fortführung gewisser darstellerischer Elemente so weder im Mittelalter noch in der Antike finden lässt. Äußere Faktoren wie die europäische Entdeckung Amerikas, das heißt, eines nicht im bisherigen Weltbild enthaltenen Kontinents und seiner Bewohner/innen, die erst in einer mühsamen Debatte der Spezies Mensch zugeordnet werden, die militärische Bedrohung durch das Osmanische Reich, dessen Truppen rund 70 Jahre nach dem Fall Konstantinopels vor den Toren Wiens stehen, aber auch die wissenschaftlich-empirische Erforschung Europas selber geben eine ganze Menge von Gründen ab, warum Europa in gewisser Weise definiert wird oder gesagt wird, was Europa „ist“. Das „Sein Europas“ wird nicht als historisch-kulturelles Resultat, sondern als Teil des göttlichen Schöpfungsplans verstanden. Deshalb ist das Verständnis des Kontinents als für sich stehender Körper, wie Gott ihn geschaffen hat, wesentlich. Manchmal wird Europa (ebenso wie einzelne Monarchien) sogar mit dem Paradies verglichen. Die Imago des Johannes Putsch und die späteren Varianten beinhalten Anspielungen auf bestimmte biblische Attribute des Paradieses. Implizit sind in dem einfach wirkenden Holzschnitt deshalb mehrere Analogien enthalten. Der Kontinent ist so gestaltet, dass er rundherum von Wassergrenzen (Meere und Flüsse) begrenzt, also abgegrenzt wird. Das Paradies, auf das angespielt wird, war von einer Mauer umgeben und eingegrenzt. Die eingegrenzte, abgeschlossene Form ist zugleich das Charakteristikum des Frauenkörpers. Zahlreiche Quellen

12 Sabine Schülting, Wilde Frauen, Fremde Welten. Kolonisierungsgeschichten aus Amerika, Reinbek bei Hamburg 1997. Generell zu europäischer Expansion und Weltbildern: Reinhard Wendt, Vom Kolonialismus zur Globalisierung. Europa und die Welt seit 1500, 2., überarb. Aufl., Paderborn 2015.

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des 17. Jahrhunderts13 belegen das Andauern dieses im 16. Jahrhundert entwickelten Verständnisses von Europa. Performativer Sprechakt Am besten lässt sich das, was im 16. Jahrhundert passierte, als „performativer Sprechakt“ bzw. präziser als „historischer kollektiver performativer Sprechakt“ bezeichnen. Bei performativen Sprechakten14 handelt es sich um solche Sprechakte, durch die ein/e Sprecher/in ein „Sein“, eine „Identität“ ausspricht. Dieses Sein, diese Identität gelten in der Gesellschaft als nicht hintergehbar, und zwar zum Teil über Jahrtausende. Judith Butler15 und andere haben diese Nichthintergehbarkeit inzwischen in Frage gestellt: Typische performative Sprechakte beziehen sich auf die Bestimmung des Geschlechts eines Menschen, historisch betrachtet bei der Geburt, heute schon bei der Ultraschalluntersuchung, oder auf die Namensgebung, die nach wie vor, aber eben nicht mehr ausschließlich, geschlechtsspezifisch ist. Mit dem Ausspruch „Es ist ein Mädchen!“ oder „Es ist ein Junge!“ (oder ähnliche Formulierungen) wird nicht nur das biologische Geschlecht gesagt, sondern eine sozial und kulturell unterstellte weibliche bzw. männliche Identität mit ausgesprochen. ‚Jede/r weiß‘, so unterstellt es der performative Sprechakt, was es soziokulturell bedeutet, ein Mädchen (später Frau) oder ein Junge (später Mann) zu sein. In Wirklichkeit bringt ein performativer Sprechakt nicht schlicht ein objektives „Sein“, eine objektive „Identität“ zur Kenntnis der sozialen Gemeinschaft, an die er gerichtet ist, sondern der/die Sprecher/in weist faktisch im und durch den Sprechakt dieses Sein, diese Identität zu. Daher ist es bemerkenswert, wenn diese vermeintliche Selbstverständlichkeit seit zwei oder drei Jahrzehnten verstärkt in Frage gestellt wird und immer mehr Menschen auch die nach wie vor sehr große Mühe und mitunter intensive gesellschaftliche Stigmatisierung auf sich nehmen, den spätestens bei ihrer Geburt getätigten performativen Sprechakt „das ist ein Mädchen“, „das ist ein Junge“ zurückzuweisen und eine Geschlechtsumwandlung durchführen zu lassen. „Historische kollektive performative Sprechakte“ funktionieren ebenso. Der Unterschied ist, dass sie nicht von einzelnen Sprecher/innen getätigt werden, sondern von einem Sprecher/innenkollektiv – deshalb „kollektiver“ performativer Sprechakt –, und sie sind in dem doppelten Sinn „historisch“, dass sich erstens die Vorgeschichte des Sprechakts, bis er als performativer getätigt wurde, erforschen lässt, wie auch zweitens aufgrund des Umstands, dass sich solche Sprechakte einander im Lauf der Geschichte abgelöst haben. Performative Sprechakte zeichnen

13 Siehe Datenbank www.univie.ac.at/igl.geschichte/europaquellen. 14 Ursprünglich: John Langshaw Austin, How To Do Things With Words, Cambridge 1962. 15 Judith Butler, Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity, London 1990 (dt. Ausg.: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main 1991).

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sich durch ihre lange Gebrauchszeit aus, weil sie sich auf das vermeintlich Nichthintergehbare beziehen. Sie zeichnen sich außerdem durch Reiterativität und Zitativität sowie eine gewisse Ritualität aus. All dies setzt die lange Dauer voraus. Die Identität Europas, wie sie in den entsprechenden historischen kollektiven performativen Sprechakten gesagt wird, ist auf auffällige Weise geschlechtlich unterlegt. Deshalb unterliegt dem hier entwickelten Ansatz ein tieferer Sinn: Die performativen Sprechakte, die in Alltagssituationen, aber eben besonderen wie Geburt, Heirat usw., getätigt werden, hängen eng mit sozialen Konventionen über Geschlechtsidentitäten, Geschlechterrollen und Geschlechterrelationen zusammen. Es macht daher ‚doppelt‘ Sinn, das Konzept des performativen Sprechakts in Bezug auf Europa auszuprobieren, da es diese geschlechtliche Unterlegung gibt. Europa als Zivilisation/Kultur – das Geschlecht der Zivilisation/Kultur – das Geschlecht Europas In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kommt es in Bezug auf Europa zu einem neuen performativen Sprechakt. Das Sprecher(innen)kollektiv hat sich nicht wesentlich gewandelt, am besten eignet sich als ‚Kürzel‘ der Begriff der République des Lettres, die sich vom frühneuzeitlichen Sprecherkollektiv der Humanisten vor allem quantitativ unterscheidet. Das Kollektiv umfasst zahlenmäßig mehr Mitglieder als das humanistische, es reicht gewissermaßen vom ‚Atlantik bis an den Ural‘, es ist breiter auch im Bürgertum verankert. Wie schon bei den Humanisten zählen nicht nur Gelehrte und „Dilettanten“ im Wortsinn des 18. Jahrhunderts, sondern auch Fürsten dazu. Der Anteil von Sprecherinnen am Kollektiv dürfte deutlich höher sein als in der Renaissance. Der Inhalt des performativen Sprechakts im späteren 18. Jahrhundert lässt sich in etwa so paraphrasieren: „Du, Europa, bist die Zivilisation!“ Die Paraphrasierung des Sprechakts des 16. Jahrhunderts könnte in etwa lauten: „Du, Europa, bist eine Frau!“ Die Bedeutung von „Frau“ ist dabei vielschichtig, aber die weibliche Personifikation fasst ein unterstelltes „Sein“ – wie bei allen Personifikationen – ein. Die Personifikation der Tugend beispielsweise verweist auf ein bestimmtes „In-der-Welt-sein“, nämlich jenes der Tugend. Die Zivilisation, oder im deutschen Sprachgebrauch die Kultur, ist keine Personifikation mehr wie im 16. Jahrhundert. Orientiert man sich an dem Gemälde von Jacques Réattu mit dem Titel „Triumph der Zivilisation“ von 1793/95 (Hamburger Kunsthalle)16, so sucht man eine Personifikation der „Zivilisation“ vergeblich. Ähnlich verhält es sich mit den bis in die 1790er-Jahre allenthalben noch weiterhin gebrauchten Erdteilallegorien (nach 1800 ändert sich manches diesbezüglich), die gelegentlich in ausführliche Darstellungen der jeweils mit den Kontinenten assoziierten Kulturen oder Zivilisationen eingebunden sind, die aber Erd16 Abbildungsbeispiel: https://en.wikipedia.org/wiki/Jacques_R%C3%A9attu#/media/File:The_ Triumph_of_Civilization.jpg, aufgerufen am 14.01.2016.

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teilallegorien bleiben. Es erhöht sich die Zahl der Attribute und der zugeordneten allegorischen Personen, zumeist männliche Figuren. Die Verwendung von weiblichen und/oder männlichen Erdteilallegorien sowie von Frauen- und Männerfiguren in den breiter angelegten Erdteilallegorien ist ein eigenes Thema, auf das hier nicht eingegangen werden soll. Wenn es eine Allegorie der „Kultur“ oder „Zivilisation“ gibt, dann ist es Apoll wie in der Würzburger fürstbischöflichen Residenz oder in Pommersfelden in Schloss Weißenfels.17 In Réattus Gemälde steht Herkules im Mittelpunkt, er beschützt die weibliche Personifikation Frankreichs. Dies ist ein allgemeines Motiv in der Revolutionskunst, wo Herkules zeitweise als Personifikation des Volks (und nicht mehr des Herrschers wie vor der Revolution) verwendet wird. Es handelt sich hier um einige Beobachtungen, die freilich nicht zufällig gemacht werden können, denn sie sind symptomatisch. Der Zivilisations- oder Kulturbegriff der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist nicht geschlechtsneutral. Das heißt, die Bilder, sowohl des 16. wie des 18. Jahrhunderts, die den jeweiligen performativen Sprechakt ins Bild setzen, erschließen sich erst dann vollständig, wenn sie mit der jeweils geltenden Geschlechterlehre korreliert werden. Die Ambivalenz und in gewissem Sinn Vagheit der Europa des 16. Jahrhunderts erklärt sich durch ihre enge Verwandtschaft – insbesondere, wenn sie ausdrücklich die Respublica Christiana ist – mit der Idee des mystischen politischen Körpers, die auf die Respublica Christiana (Corpus Reipublicae Christianae Mysticum) unzweifelhaft zutraf. Zugleich ist der männliche Herrscher auch eine Verkörperung, nämlich die der Monarchie in allen ihren Bezügen. 18 Für Elisabeth I. von England ist bekannt, dass sie die Idee der zwei Körper des Königs auf sich übertrug. In der Idee des mystischen politischen Körpers treffen sich die Europa und ein Herrscher des 16. Jahrhunderts. Auch in der Geschlechterlehre der Renaissance bleibt die Unterscheidung der Geschlechter auf aufschlussreiche Weise vage, nicht nur in Bezug auf die Genitalienlehre19, sondern ebenfalls in Bezug auf ausübbare Rollen und Funktionen, insbesondere in der gesellschaftlichen Alltagspraxis. Jedenfalls sind wir im 16. Jahrhundert weit entfernt von der systemischen, bürgerlichen und hegemonialmännlichen Geschlechterlehre und -ordnung des späteren 18. und dann des 19. Jahrhunderts. Wenn Europa im performativen Sprechakt des späten 18. Jahrhunderts die Zivilisation oder Kultur schlechthin ist, dann folgt dies der ‚Sortierung‘ und Präzisierung der Vorstellungen über den Verlauf der Menschheitsgeschichte, den Fortschritt des menschlichen Geistes und die Situierung der verschiedenen Kulturen in der eigenen Gegenwart in einem asymmetrischen Verhältnis zueinander. Voraus17 Bilder und Beschreibung in: erdteilallegorien.univie.ac.at. (Zugang am besten über das Ortsregister). 18 Ernst Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters [1957], 2. Aufl., München 1994. 19 Ursprünglich: Thomas Laqueur, Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud, Frankfurt am Main 1992 (engl. 1990).

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setzung ist eine Bedeutungserweiterung des Begriffs Zivilisation oder Kultur, die erst es möglich macht, Europa als eine und im doppelten Wortsinn singuläre Kultur oder Zivilisation zu denken. Über den Kultur- oder Zivilisationsbegriff20 des 18. Jahrhunderts verfügte das 16. Jahrhundert noch nicht. Was europäische Kultur oder Zivilisation ausmacht, wird in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ausdifferenziert und an vielen ‚Orten‘ (Historiografie, Reise- und Expeditionsberichte, Belletristik, Theater, Wissenschaften) dargelegt. Der über ein Jahrhundert dauernde Streit zwischen den „Anciens“ und den „Modernes“ geht zugunsten der „Modernes“ aus.21 Die Antike bleibt ein Modell für vieles, aber die eigene Gegenwart übertrifft in der Selbstinterpretation schlussendlich „die Alten“. Dieser in gewissem Sinn Ablösungsprozess von „den Alten“ ist bedeutsam für den Kultur- oder Zivilisationsbegriff. Die europäische Kultur oder Zivilisation im Singular wird in Raum und Zeit nach allen Seiten hin abgegrenzt. Sie gewinnt dadurch an (vermeintlicher) Schärfe und Klarheit. Europa ist nun kein politischer mystischer Körper mehr, sondern eine Kultur oder Zivilisation, der aber eine Personifikation, die für sich stehen könnte und dabei alles Wesentliche sagt, abgeht. Die Geschlechterlehre der Aufklärung22 sieht zwischen dem männlichen Geschlecht und Kultur einen engen Zusammenhang. Der Mann ist der Akteur der Kultur, er erschafft diese. Die europäische Kultur ist in diesem Sinne eine männliche Veranstaltung. Nicht zufällig profiliert sich die Idee des „grand homme“, der ja zunächst weniger ein Kriegsheld und Herrscher denn ein Mann ist, der sich um die Kultur besonders verdient gemacht hat.23 Schon 1735 schuf Carl von Linné in „Systema Naturae“ den Begriff des „homo europaeus“. Linné teilte innerhalb der Gruppe der Säugetiere die Menschheit in den homo europaeus, homo asiaticus, homo afer oder africanus sowie den homo americanus (zuzüglich weiterer Gruppen) auf, meinte also vermutlich „Mensch“ und nicht exklusiv „Mann“. In der weiteren Verwendung der Bezeichnung homo europaeus in verschiedenen Sprachen erschließt sich jedoch aus den Kontexten, dass üblicherweise „der Europäer“ im Sinne von „Mann“ gemeint ist.24 Das schließt fallweise einen weiblichen Bezug überhaupt nicht aus. Dieser männliche Europäer ist im Prinzip christlich, weiß und heterosexuell. Die beiden

20 Jörg Fisch, Art. Zivilisation, Kultur, in: Otto Brunner/ Werner Conze / Reinhart Koselleck (Hgg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7, Stuttgart 1992, 679–774. 21 François Hartog, Anciens, Modernes, Sauvages, Paris 2008. 22 Ursprünglich: Londa Schiebinger, Am Busen der Natur. Erkenntnis und Geschlecht in den Anfängen der Wissenschaft, Stuttgart 1995. 23 Jean-Claude Bonnet, Naissance du Panthéon. Essai sur le culte des grands hommes, Paris 1998. 24 Zu „homo europaeus“ bzw. „homo europeanus“ oder „europäischer Mensch“ habe ich an verschiedenen Stellen publiziert. Eine Zusammenfassung meiner Forschungsergebnisse bietet mein in Anmerkung 5 angekündigtes Buch „European History from the Perspective of Gender and Eurocentrism“, Kapitel 4.

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letzten Eigenschaften bezeichnen die Schnittstellen zwischen der Rassenlehre25 der Anthropologie der Aufklärung und dem Rassismus des 19. Jahrhunderts, welcher das Christsein einbezieht, während die Aufklärung in Bezug auf die Religiosität des Europäers mehr Unbestimmtheit zuließ. Das heißt, die Geschlechterordnung der Aufklärung mit ihren Annahmen über spezifische Rollen für Männer und Frauen, die sich aus ihrem Geschlecht deduzieren ließen, fand sich auch in der Idee des kulturschaffenden europäischen Mannes wieder und beschränkte sich keinesfalls auf die Implementierung der bürgerlichen Gesellschaft, die meistens genannt wird, wenn es darum geht, die Geschlechterordnung der Aufklärung in der Praxis aufzusuchen. Der performative Sprechakt des späten 18. Jahrhunderts, oben paraphrasiert als „Du, Europa, bist die Zivilisation!“ verbirgt die männliche Interpretation von Zivilisation oder, im Deutschen, Kultur. Europa ist Kultur und Kultur ist männlich. Für einige Jahrzehnte nach der Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jahrhundert wird die Personifikation der Europa wie auch der anderen Erdteile auffälligerweise nur mehr relativ selten verwendet, obwohl sie zu keinem Zeitpunkt ganz aus dem Repertoire der Künstler/innen verschwindet. 26 Sie erlebt ihre Renaissance mit den Weltausstellungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, also zu einem Zeitpunkt, wo die europäischen Gesellschaften mittlerweile hegemonialmännlich organisiert sind und ‚Missverständnisse‘ über den männlichen Charakter Europas ausgeschlossen sind. Der historische kollektive performative Sprechakt des späten 18. Jahrhunderts oder, was in diesem Fall dasselbe ist, der Aufklärung, zeichnet sich bis in die 1950er-/1960er-Jahre durch die genannten Eigenschaften von Reiterativität, Zitativität und zweifellos Ritualität aus. Als rituell lassen sich beispielsweise die vielen intellektuellen Europakongresse, auf denen Europa als Kultur oder Zivilisation eine zentrale Rolle spielte, ansehen ebenso wie (feierliche) Reden oder die Memoirenliteratur. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg wird vergleichsweise unmittelbar an die Bestandteile des performativen Sprechakts der Aufklärung angeknüpft. Auffällig ist die Bedeutung der Vorstellung von Modellen des „europäischen Menschen“, der in den Quellen des 20. Jahrhunderts bis in die 1960er-Jahre immer ein Mann ist: Odysseus, Herkules, Prometheus, Adam, Noah, David, Christus, Faust – usw. Eurozentrismus Der historische kollektive performative Sprechakt des späteren 18. Jahrhunderts führt zum Eurozentrismus. Der Eurozentrismus ist gewissermaßen das Mannsein

25 Sehr gute historische Einführung: Francisco Bethencourt, Racisms. From the Crusades to the Twentieth Century, Princeton 2013. 26 In der Datenbank erdteilallegorien.univie.ac.at haben wir Beispiele für eine völlig traditionelle Weiterverwendung in Südtiroler Kirchen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts publiziert.

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der Kultur Europa. Damit lässt sich Eurozentrismus auf eine neue Weise interpretieren. „Eurozentrismus“ ist seit dreißig Jahren ein ‚heißes‘ Thema, obwohl die Debatte kaum über das grundlegende Werk von Samir Amin von 1988 hinausgekommen ist. „L’Eurocentrisme. Critique d’une idéologie“ wurde 1989 als Eurocentrism ins Englische übersetzt, 2009 in einer etwas ergänzten 2. Auflage und 2011 von einem in Afrika tätigen Verlag nochmals aufgelegt. 27 2015 erschien der Sammelband „Eurocentrism. Racism and Knowledge“28 und zwischen diesen beiden Eckdaten 1988 und 2015 so manches andere Werk, nicht zu reden von vielen weiteren Debattenbeiträgen in Zeitschriften und Sammelbänden. „Eurozentrismus“ als Thema hat üblicherweise seinen Platz in der Globalgeschichte, es geht um die Auswirkungen des europäischen Kapitalismus, Kolonialismus und Imperialismus. Sklaverei, Sklavenhandel und Rassismus sind ebenso Themen dieser kritischen Forschung wie der vielen Wissenschaften inhärente Eurozentrismus, um nur einige Schlagwörter zu nennen. Die Verknüpfungen mit Ansätzen wie Postkolonialismus und „Provinzialisierung Europas“ liegen auf der Hand. Schon Amin hatte darauf hingewiesen, dass Eurozentrismus eine Sache des „Westens“ sei. Der Westen schließt die USA, Kanada, Australien und Japan mit ein, je nach Betrachtungszeitpunkt. In Bezug auf Europa selber, so müsste man folgern, beträfe dieser dann aber vorwiegend das atlantische Europa und eventuell noch koloniale Nachzügler des späten 19. Jahrhunderts wie das Deutsche Kaiserreich und noch später Italien. Der Begriff ließe sich also zerlegen und die mit dem Begriff verbundene Grundaussage über einen europäischen ökonomischen, politischen und kulturellen Imperialismus in Zweifel ziehen. Ähnliche strukturelle Schwächen besitzen aber auch andere Begriffe wie „Europäisierung der Erde“, die sich dennoch behaupten, weil sie bestimmte realhistorische Vorgänge bezeichnen, die von Europa ihren Ausgang nahmen. Wird der Begriff hingegen einmal wörtlich genommen, so meint er eine Zentrierung des Blicks in Europa auf Europa selber. Dies ist ein neuzeitlicher Vorgang, dem zum Teil allerdings weit zurückreichende Wurzeln nachgesagt werden: Piotr Kochanek betitelte seine Habilitationsschrift als „Die Vorstellung vom Norden und der Eurozentrismus. Eine Auswertung der patristischen und mittelalterlichen Literatur“.29 Danach läge der ‚Sündenfall‘, nämlich die Zentrierung des Blicks in Europa auf Europa selber, sehr früh in der europäischen Geschichte. Ob diese aber auch schon eine „Geschichte Europas“ war, lässt sich bezweifeln. Europa als ein Teil der Welt für sich, mit eigenem Bewusstsein und als formulierbare Identität gibt es nicht vor der Renaissance. Ab der zweiten Hälfte des 27 Samir Amin, Eurocentrism. Modernity, Religion, and Democracy: a critique of eurocentrism and culturalism, 2. Aufl., Nairobi / New York 2010. 28 Marta Araújo / Silvia Rodríguez Maeso (Hgg.), Eurocentrism, Racism and Knowledge. Debates on history and power in Europe and the Americas, Houndmills 2015. 29 Piotr Kochanek, Die Vorstellung vom Norden und der Eurozentrismus. Eine Auswertung der patristischen und mittelalterlichen Literatur, Mainz 2004.

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15. Jahrhunderts kumulieren sich Entwicklungen und Bedingungen und verknoten sich – der Fall Konstantinopels, weitere Schlachten gegen die Osmanen wie bei Mohács, die Reconquista, die Entdeckung Amerikas, Karl V. als Universalmonarch, die Anfänge eines Staatensystems in Europa. Der entscheidende Schritt, Europa als Europa sich selbst begreifbar zu machen, wird jedoch erst im 18. Jahrhundert als der ‚zitierte‘ performative Sprechakt getätigt. Anders als in der (wissenschaftlichen) Eurozentrismus-Diskussion stellt sich als das Entscheidende am Eurozentrismus der oben skizzierte Sprechakt dar. Und dieser wird im Kontext des Konzepts der Aufklärung von einer hegemonialmännlichen Geschlechterordnung getätigt. Anders als bei Amin und vielen anderen ist Eurozentrismus daher in erster Linie geschlechtergeschichtlich zu interpretieren. Er ist wesentlich kulturell/zivilisatorisch, was die Wirtschaftskultur natürlich einschließt. Diese steht bei Amin im Vordergrund, er schreibt allerdings weniger von Wirtschaftskultur als von Kapitalismus. Conchita Wurst und das Geschlecht der Europa Der Österreicher Tom Neuwirth alias Conchita Wurst30 ist als Gewinner/in des Eurovision-Song Contest 2014 in Kopenhagen in Europa und darüber hinaus bekannt geworden. Auf Einladung der österreichischen „Grünen“ gab Conchita Wurst im Oktober 2014 vor dem Europaparlament in Brüssel ein Konzert. Fotos der Presseagenturen zeigen Conchita Wurst vor der Europa-Flagge.31 Diese Fotos haben etwas eingefangen, was bei der Beantwortung der Frage nach dem Geschlecht Europas im 21. Jahrhundert weiterhilft. Tom Neuwirth alias Conchita Wurst ist beides, Mann und Frau, ohne dabei auf den Stil des Androgynen zurückzugreifen und ohne sich als transsexuell zu verstehen. Besonderes Kennzeichen ist der Bart, aber auch der Kunstname, bestehend aus einem spanischen bzw. hispanischen Vornamen (Conchita) und dem deutschen umgangssprachlichen Ausdruck „wurst“ (ist doch wurs(ch)t, ist doch egal, spielt keine Rolle, ob so oder so, usw.). Die Kunstfigur Conchita Wurst ist eine Gesamtbotschaft, die sich gegen die starren und in der sozialen Praxis diskriminierend auswirkenden Elemente der ursprünglich in der bürgerlichen Gesellschaft realisierten Geschlechterordnung der Aufklärung wendet. Das Foto, das Conchita Wurst vor der Europaflagge eingefangen hat, lässt die Deutung zu, dass das Geschlecht Europas „wurst“, also unbestimmt ist. Ist das so oder handelt es sich um eine irrelevante Assoziation? Der performative Sprechakt des späteren 18. Jahrhunderts basierte auf einer hegemonialmännlichen Konzeptualisierung der Lebenswelt. Das im Sprechakt

30 Für die Fakten: https://de.wikipedia.org/wiki/Conchita_Wurst, aufgerufen am 14.01.2016. 31 Kurzbericht mit Fotostrecke: http://www.spiegel.de/politik/ausland/conchita-wurst-escgewinnerin-besucht-eu-parlament-in-bruessel-a-996139.html, Seite auf 08.10.2014 datiert, aufgerufen am 14.01.2016.

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getätigte Zurkenntnisbringen des „Seins“ Europas (Kultur/Zivilisation) bezog sich darauf und funktionierte nur in diesem Zusammenhang. Die Veränderung der Geschlechterbeziehungen in der Gesellschaft muss(te) sich daher auf den Sprechakt auswirken bis hin zur Verunmöglichung. Unbestreitbar haben sich die Geschlechterbeziehungen in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Ausmaß und Umfang sind jedoch regional bzw. national sehr unterschiedlich entfaltet. Dieser Wandel nahm meistens erst mit der 1968er-Revolte Fahrt auf – bis dahin wurde der Sprechakt aus dem 18. Jahrhundert, wie oben am Thema des „europäischen Menschen“ kurz erörtert, weiterhin getätigt. Man könnte sogar sagen, dass es in der Logik des Sprechaktes lag, dass die institutionelle europäische Integration so recht eigentlich erst mit der Montanunion, der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) in Gang kam. Das heißt, sie kam mit der Einrichtung von Institutionen in Gang, deren Ziel es war, zentrale kriegsorientierte Produktionsmittel und -mechanismen der hegemonialmännlich organisierten Gesellschaft zu kontrollieren. Die Integration ändert die Zielrichtung von Krieg auf Frieden, aber sie stützt sich wesentlich auf ein Kernelement des historischen kollektiven performativen Sprechakts. Die EWG erweiterte das Zuständigkeits- und Handlungsfeld, operierte aber nach wie vor im Rahmen der ‚traditionellen‘ Geschlechterordnung. Wie sah es in „der“ Wirtschaft aus? So gut wie alle Manager- und Führungspositionen waren männlich besetzt und nicht einmal der Europäische Verband der Unternehmerinnen32 rebellierte dagegen. Diese 1950 aus dem 1945 in Frankreich begründeten Unternehmerinnenverband hervorgegangene Organisation (seit 1965 Weltverband der Unternehmerinnen) befürwortete die Prinzipien der europäischen Integration, stellte aber keine feministischen Forderungen auf. Solche lassen sich andeutungsweise erst seit den 1970er-Jahren feststellen. Das ist nur ein einziges Beispiel, das allerdings für die Gesamtverhältnisse bis ca. 1970 absolut repräsentativ ist. 2016 stellt sich die Situation, trotz großer regionaler Unterschiede, vielfach anders dar. Zu prüfen ist, wie sich der Begriff Kultur bzw. Zivilisation geändert hat. Denkbar wäre es, dass der Sprechakt „Du, Europa, bist die Zivilisation/Kultur!“ weiterhin getätigt werden kann, obwohl sich die Bedeutung der Elemente geändert hat. Statt „die“ würde es einfach „eine“ heißen. „Eine“ würde vor allem auch „einheitliche“ bedeuten. Der Zivilisations- oder Kulturbegriff würde nicht mehr auf ein hegemonialmännliches Modell rekurrieren, sondern auf ein Konzept vielfältiger zulässiger Geschlechterbeziehungen und -realitäten. In Bezug auf den Kultur- oder Zivilisationsbegriff des 21. Jahrhunderts in Europa wird dies alles prinzipiell zutreffen, es zeigt sich aber ein Dilemma, denn Kultur oder Zivilisation ist aus dem Zentrum (des Sprechakts des 18. Jahrhunderts) verdrängt worden: Sämtliche seit 1945 geschaffenen Institutionen, die eine

32 Christiane Eifert, Das Europa der Unternehmerinnen. Beitrag zum Themenschwerpunkt „Europäische Geschichte – Geschlechtergeschichte“, in: Themenportal Europäische Geschichte (2009): http://www.europa.clio-online.de/2009/Article=392, aufgerufen am 14.01.2016. Christiane Eifert, Deutsche Unternehmerinnen im 20. Jahrhundert, München 2011.

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europäische Integration befördern helfen sollen, zählen „Kultur“ zwar unter ihre Aufgaben – mal mehr, mal weniger, mal von Anfang an wie beim Europarat, mal viel später wie bei der EU –, aber ihre Existenz begründet sich nicht in dieser Aufgabe. Als satzungs- bzw. vertragsgemäße Aufgabe kommt Kultur bzw. Zivilisation weder in der Satzung des Europarats vom 5. Mai 1949 (Artikel 1a), noch im EWG-Vertrag vom 25. März 1957 (Artikel 2) vor. In der Satzung kommt „Kultur“ insoweit vor, als Artikel 1b vom Ziel „gemeinschaftliche(n) Vorgehen(s) auf wirtschaftlichem, sozialem, kulturellem und wissenschaftlichem Gebiet“ (etc.) spricht.33 Die EU nimmt sich inzwischen vieler kultureller Aufgaben an und hat auch in dieser Beziehung, sowohl was ihre Ressourcen angeht wie die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, den Europarat in den Schatten gedrängt. Allerdings kommt Kultur/Zivilisation in der Liste der Ziele des die EU begründenden Vertrags von Maastricht vom 7. Februar 1992 in Artikel B nicht vor. Der derzeit gültige Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007 nennt in der Präambel das „kulturelle, religiöse und humanistische Erbe Europas“, während z. B. in der Europaratssatzung von 1949 allgemein der Begriff „Erbe“ ohne den Zusatz „kulturell“ vorkam. Artikel 2 des Vertrags von Lissabon zählt die Ziele der EU auf und nennt ausdrücklich in Art. 2(3): „Sie wahrt den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt und sorgt für den Schutz und die Entwicklung des kulturellen Erbes Europas.“34 Eine detaillierte Untersuchung der zitierten Formulierungen, die um weitere Grundlagentexte der europäischen Institutionen ergänzt werden könnte, würde zeigen, dass der Begriff „Kultur“ (in den deutschen Fassungen der Texte heißt es „Kultur“ oder „kulturell“) nicht Teil eines Sprechaktes ist. Das liegt daran, dass die vertragschließenden Parteien nicht als Sprecher/innenkollektiv auftreten, was wiederum damit zu tun hat, dass es um die rechtliche Regelung gemeinsamer Ziele und der praktischen Tätigkeit hierfür geht, nicht aber darum, Europa zu definieren bzw. zu sagen „Du, Europa, bist…!“. Es kann jedoch anderswo ebenso wenig ein Sprecher/innenkollektiv ausgemacht werden. Die beiden historischen Sprecher(innen)kollektive waren nicht Folge von Institutionen, sondern organisierten sich, vereinfacht ausgedrückt, selbst, wobei es zur Bildung von Institutionen wie den Akademien kommen konnte, die aber keine völkerrechtlich begründeten Institutionen wie heute im Fall des Europarats oder der EU waren. Die Existenz der heutigen Institutionen erschwert paradoxerweise die Ausbildung eines Sprecher/innenkollektivs, denn im Grunde wird z. B. von der EU erwartet, dass sie diese Rolle übernimmt. Das könnte funktionieren, obwohl es nicht Gegenstand der Verträge ist, wenn der häufig be33 Die Ursprungsfassung der Satzung des Europarats ist abgedruckt in: Michael Brückner / Roland Maier / Andrea Przyklenk, Der Europa-Ploetz. Basiswissen über das Europa von heute, Freiburg 1993, 340–347, hier 340. Kursive Hervorhebung nicht im Originaltext sondern W.S. 34 Vgl. Amtsblatt der Europäischen Union 2007/C 306/01 (50. Jg., 17.12.2007): http://eurlex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:C:2007:306:FULL&from=DE, aufgerufen am 17.02.2016.

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obachtbaren umgangssprachlichen Ineinssetzung von EU = Europa eine Realität entsprechen würde – was hingegen nicht der Fall ist. Es kann zu keinem Sprechakt der Art „Du, Europa, bist die EU!“ kommen, weil es keine Wirklichkeit gibt, über die sich ein gesellschaftlicher Konsens, sie sei unhintergehbar, einstellen könnte. Dieses Konsenses – als Folge gesellschaftlicher Konstruktionsprozesse – bedürfen aber performative Sprechakte. Eine derartige Konsensbildung erweist sich, womöglich erstmals in der Geschichte überhaupt, als grundsätzlich schwierig, seit durch den philosophischen und wissenschaftlichen Dekonstruktivismus die Existenz objektiver Realitäten oder Wahrheiten in Kulturen in Frage gestellt wurde und zahllose inzwischen vorgenommene Dekonstruktionen gezeigt haben, dass die vermeintlichen Wahrheiten oder objektiven Realitäten Ergebnis sozialer Konstruktionsprozesse, das heißt: relativ und relational, sind. Wird die Frage wiederholt, ob der performative Sprechakt der Form „Du, Europa, bist…!“ heute immer noch getätigt wird oder werden kann, lautet die Antwort klar nein. Er kann nicht mehr getätigt werden, denn alles, was dem historischen kollektiven performativen Sprechakt des späteren 18. Jahrhunderts zugrundelag, hat sich weitgehend transformiert. Das gilt hinsichtlich des einzigartigen Zivilisationsanspruchs und des Eurozentrismus, das gilt hinsichtlich der Auflösung der ‚Geschlechterordnung‘ mit all ihren Implikationen für Geschlechterrollen, das gilt hinsichtlich der religiösen und rassistischen Implikationen, das gilt hinsichtlich der Möglichkeiten, europäische Sprecher/innenkollektive zu bilden, das gilt hinsichtlich der Annahme unhintergehbarer Wahrheiten, die der performative Sprechakt zum Ausdruck bringt. Zweifellos finden sich entsprechende Vorstellungen, Überzeugungen oder Glaubenssätze nach wie vor in den europäischen Gesellschaften, aber sie bedeuten keinen sozialen, keinen europäischen Konsens mehr wie zuvor. Sie können zu Konflikten führen, aber sie können keine performativen Sprechakte mehr ermöglichen. Sprecher/innen von performativen Sprechakten sind durch die Gesellschaft dazu autorisiert – nicht in einem jeweiligen bürokratischen Akt der Ermächtigung, sondern aufgrund ihrer sozialen Rolle. Der performative Sprechakt ist jeweils, wenn er getätigt wird, ein konkreter Einzelfall, aber er ist Teil der Verfahrensweisen, über die eine Gesellschaft Kohäsion erzeugt. Moderne Gesellschaften funktionieren allerdings, um es kurz zu machen, in vieler Hinsicht anders als ihre historischen Vorgänger. Performative Sprechakte werden weiterhin getätigt, auch ganz traditionell hinsichtlich Geschlechtsbestimmung und Namensgebung usw., aber es werden administrative und rechtliche Wege eröffnet, abhängig von einer subjektiven Entscheidung des betroffenen Menschen, die Wirkung eines einmal getätigten performativen Sprechakts aufzuheben oder diesen durch einen neuen, anderen zu ersetzen. Wie die Position einzelner Sprecher/innen erschüttert ist, ist dies auch der Fall mit den Sprecher/innenkollektiven. Ein den beiden Sprecherkollektiven der Humanisten bzw. der République des Lettres vergleichbares europäisches Sprecher/innenkollektiv existiert heute nicht. Es gibt zwar viele Menschen, die sehr ähnlich über Europa denken, aber sie bilden kein Sprecher/innenkollektiv, obwohl

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viele von ihnen Zugang zu Medien, das heißt zu einer Öffentlichkeit, haben. Das EU-Parlament füllt diese Funktion ebenso wenig aus, noch weniger die Beschäftigten der EU-Institutionen oder der Institutionen des Europarates. Derselbe negative Bescheid gilt dem Ministerkomitee und der Beratenden Versammlung des Europarats oder dem EU-Ministerrat und dem Europäischen Rat. Schlussfolgerungen Der historische kollektive performative Sprechakt des 16. Jahrhunderts brachte das Geschlecht der Europa zur Kenntnis – Europa ist eine Frau; der Sprechakt des späteren 18. Jahrhunderts brachte Europas Geschlecht zur Kenntnis – Europa ist als Kultur/Zivilisation männlich. Nehmen wir Conchita Wurst als Allegorie, so ist Europa im 21. Jahrhundert weder weiblich noch männlich, weder eine Frau noch ein Mann. Ein performativer Sprechakt ist theoretisch weiterhin möglich, er müsste die Form haben: „Du, Europa, bist die Vielfalt!“ Die Organisation, nicht Ordnung, von Geschlechterbeziehungen, die in einem Teil Europas soziale Realität geworden ist, lässt sich sehr gut mit „Vielfalt“ charakterisieren. Trotzdem würde ein solcher Sprechakt vorerst aber wirkungslos bleiben, weil er sich auf keinen europäischen gesellschaftlichen Konsens beziehen kann, den er bräuchte, weil ein performativer Sprechakt ja dem Selbstverständnis nach ein „Sein“ zur Kenntnis bringt. Da ein „Sein“ keine objektive Realität, sondern eine soziale Konstruktion ist, bedarf es des sozialen Konsenses, dass ein „Sein“ so und nicht anders ist und infolgedessen durch den Sprechakt zur Kenntnis gebracht werden kann. Hierfür reicht es aus, auf die Länder zu schauen, die keine gleichgeschlechtlichen Ehen gesetzlich zulassen, wo Volksabstimmungen dazu negativ ausgegangen sind (jüngst Slowenien) oder wo Politiker/innen öffentlich gegen alles hetzen, was nicht der sprichwörtlichen bürgerlichen Geschlechterordnung entspricht (Polen, Russland, teilweise Serbien, u. a.). Der Zusammenhang zwischen Europa und Geschlecht/Gender ist konstitutiv für Aussagen dazu, was Europa ist oder sein soll. Alles, was sich üblicherweise unter der Überschrift ‚Idee Europa‘, Europavorstellungen, Europapläne, Europakonzepte, Definitionen Europas etc. findet, ist an diese Beziehung zwischen Europa und Geschlecht gebunden. Die Verbindung zwischen Europa und Geschlecht wird bereits im antiken Europamythos offensichtlich. Eine korrekte Interpretation des Mythos ist wesentlich komplexer als allgemein praktiziert, aber sie verstärkt den Befund vom originären Zusammenhang zwischen Europa und Geschlecht.35 Bis heute konnte nicht geklärt werden, ob der Name des Kontinents – Europa – mit der mythischen Europa zusammenhängt, wie nicht erst seit der Gegenwart immer wieder, aber ohne Be35 Meine bevorzugte Interpretation des Mythos ist jene von Gange: Françoise Gange, Le Mythe d‘Europe dans la grande histoire. Du mythe au continent, Tournai 2004.

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weise, angenommen wird36. Dieser Zusammenhang wird seit der vorchristlichen Antike behauptet und ist in diesem Sinne ‚in der Welt‘. Der Mythos wird im Mittelalter christlich anverwandelt, aus der Europa wird teilweise die Seele, teilweise, ab dem 14. Jahrhundert, Maria; aus Zeus wird Jesus, das heißt, der Mythos wird im Zuge der christlichen Anverwandlung entsexualisiert. Dies erscheint als Voraussetzung für die Aneignung der ‚heidnischen‘ Figur der Europa und ihrer Umwandlung in die Allegorie der Respublica Christiana im 16. Jahrhundert. Die Entsexualisierung trennt allerdings den Zusammenhang zwischen Europa und Geschlecht nicht auf. Begriff und Idee Europa bleiben sexuiert, insoweit das Sowohlals-auch der allegorischen Conchita Wurst einen sexuierten, aber entsexualisierten Europabegriff voraussetzt. Der Zusammenhang zwischen Europa und Geschlecht ist und bleibt seit der Antike ‚in der Welt‘. Spielt man diese Gedankengänge weiter, müsste das ‚Europa denken‘ bzw. ‚Europa weiter denken‘ sehr viel umfassender, als es gegenwärtig der Fall ist, in der Perspektive von Geschlecht geschehen und sich weniger an die europäischen Institutionen anhängen. Der Kultur- bzw. Zivilisationsbegriff und der Genderbegriff lassen sich sehr gut aufeinander beziehen, umso mehr als das Hemmnis der Vorausbedingungen des performativen Sprechakts des 18. Jahrhunderts nicht mehr besteht, weil diese sich aufzulösen begonnen haben. Von dem geschlechtergeschichtlichen Ansatz, wie er hier in Bezug auf Europa vorgestellt wurde, geht folglich ein Impuls für das aktuelle, in die Krise geratene, ‚Europa denken‘ aus. Entweder trennt man in Zukunft genauer zwischen gemeinsamen Institutionen in Europa, die bestimmte Aufgaben erfüllen sollen, und dem kulturellen Europabegriff, oder man verbindet beides, was jedoch dazu führen wird, dass ein europäischer Staat entsteht, in dem kulturelles Selbstverständnis und politischen Institutionen tatsächlich zusammengehören. Das ist vorerst nicht der Fall. Prof. Dr. Wolfgang Schmale, Wien

36 Dieser Frage lässt sich gut anhand der Anthologie zum Europa-Mythos von Renger nachgehen: Almut-Barbara Renger (Hg.), Mythos Europa. Texte von Ovid bis Heiner Müller, Leipzig 2003.

“THE EINSTEIN OF SEX” Cinematic experience, homosexual liberation movements and contrasting notions of “gay visibility” in Germany Christopher Treiblmayr Abstract: Ausgehend von der Geschichte Deutschlands, wo 1869 der Terminus „Homosexualität“ als Neologismus geprägt wurde, behandelt der Beitrag eine neue Sichtbarkeit homosexueller Identitätsentwürfe gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Deren Enttabuisierung resultiert, so das Argument, nicht zuletzt aus einer Krise des „hegemonialen Männlichkeitsmodells“ (Connell), dessen Entwicklung im ersten Abschnitt parallel zur mehr als einhundertjährigen Geschichte der Homosexuellenbewegungen in Deutschland nachgezeichnet wird. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Medium Film und speziell dem Kino, da seine Bedeutung für individuelle und kollektive Identitätskonstruktionen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Der zweite Abschnitt geht diesen Zusammenhängen anhand eines exemplarischen close readings des Films „Der Einstein des Sex“ (1999) nach. Rosa von Praunheims Historiendrama über Magnus Hirschfeld, den Begründer der Ersten Homosexuellenbewegung, stellt eine Bestandsaufnahme homosexueller Identitätsentwürfe eines knappen Jahrhunderts dar und ist ein Beitrag zu den identitätspolitischen Debatten um eine „schwule Identität“ in der deutschen Gesellschaft der 1990er Jahre.

Introduction In Germany as well as in other “Western” countries, a historically new visibility of homosexual identities at the end of the 20th century has been noted in various social sciences and cultural studies disciplines. It is in particular male homosexualities that have become the centre of attention, and from which the stigma has been lifted.1 As this article is meant to show, the specificities of sexual activity are

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The present article is based on my PhD thesis, which was approved at the Department of History at the University of Vienna in 2009 and supervised by Wolfgang Schmale and Christa Hämmerle. A revised and expanded version of the study was published in 2015 in the series L’HOMME Schriften, vol. 19: Christopher Treiblmayr, Bewegte Männer, Männlichkeit und männliche Homosexualität im deutschen Kino der 1990er Jahre, Köln / Weimar / Wien, 2015. I would like to thank the editors of the series, in particular Christa Hämmerle, and the Böhlau Verlag team for their permission to publish the English translation of excerpts here. The translation was done by Brita Pohl, Vienna. Further publications in the context of my PhD project are listed below. I would also like to thank Stefan Drößler (Filmmuseum München) and André Mieles (Bildarchiv Deutsches Filminstitut Wiesbaden) for their permission to use images. Andreas Brunner and Hannes Sulzenbacher from “QWIEN – Zentrum für

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socially and culturally constructed and thus “changeable phenomena”. Historical research was able to demonstrate that a number of highly diverse manifestations of same-sex love and sexuality can be found from Antiquity until today. The use of “homosexualities” in the plural form takes this insight into account.2 This variability is particularly evident in the history of Germany, where the term “homosexuality” was newly coined in 1869. Karl Maria Benkert, an Austro-Hungarian writer who became known under his pseudonym Kertbeny, “invented” it in the context of the debates surrounding the proposed criminal legislation of the North German Confederation as opposed to the Prussian sexual crime legislation in order to indicate the criminal offence that had so far been identified as “unnatural fornication” and associated with “sodomy”. Kertbeny’s neologism asserted itself globally. At the same time, it points to an exceptional position of Germany, as this nation was influenced like no other by arguments regarding the issue of malemale love since the turn of the 19th and 20th centuries, which culminated in the National Socialist persecution of homosexuals as “enemies of the state”. Homophobia outlasted the “Third Reich” by decades, and finally only started to break towards the end of the 20th century.3 Following Ohms, we may say that, for the first time in the 1990s, it not only seemed possible for homosexual artists and fashion designers in Germany to openly admit to their homosexuality; gay doctors, lawyers, teachers, athletes etc., too, united in associations and went more public in a scene that was iconographically informed by media images like those of the Christopher Street Day parades with their exotic ambience, gay characters in television series and guests in talk shows, or stars who openly flirted with bisexuality, such as the British football player, media phenomenon and “metrosexual” David Beckham. Particularly in major German cities like Berlin, Cologne or Hamburg, where an ever more professionalized gay and lesbian sub-culture established itself as a visible factor within the public sphere, there was a growing tendency to regard gay and lesbian lifestyles as “normal” and to respond to them not with defence or disparagement, but rather with indifference: “What about it? Everybody should live the way s/he wants” – the 1990s leitmotiv. This included not least the debates regarding so-called “homo marriage” that led to the introduction of registered partnerships in Germany in 2001.4

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schwul/lesbische Kultur und Geschichte” have generously provided valuable suggestions and hints in many interesting conversations. See Franz X. Eder, Editorial, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 9/1998, 309–310, esp. 309; Vittorio Lingiardi, Men in Love. Male Homosexualities from Ganymede to Batman, Chicago / La Salle 2002. See Susanne zur Nieden, Homophobie und Staatsräson, in: idem (ed.), Homosexualität und Staatsräson. Männlichkeit, Homophobie und Politik in Deutschland 1900–1945, Frankfurt am Main 2005, 17–51. See also Nicolaus Sombart, Männerbund und politische Kultur in Deutschland, in: Joachim H. Knoll / Julius H. Schöps (eds.), Typisch deutsch: die deutsche Jugendbewegung, Opladen 1998, 155–176, 167ff. Constance Ohms, Die Sehnsucht der Lesben und Schwulen nach Normalität, in: Ilona Bubeck (ed.), Unser Stück vom Kuchen? Zehn Positionen gegen die Homo-Ehe, Berlin 2000, 23–41, esp. 23f. See also Selbstbehauptung und Beharrlichkeit. 200 Jahre Geschichte, ed. by Schwules Museum Berlin / Andreas Sternweiler, Berlin 2004, 180.

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The dynamics underlying this “process of normalization” also is evident in the fact that as late as 1994, the “last residues” of paragraph 175 were definitely struck from the German penal code. Since its coming into force in 1872, this paragraph had, in a form changed several times, rated same-sex acts between men as “criminal” and “morally reprehensible”.5 When it was repealed, one of the central demands of the homosexual’s movement was met, which had been active for about one hundred years and which, in the aftermath of the protests of 1968, had acquired a new self-confidence after the terrors of two World Wars and especially National Socialism, and the conservative 1950s and 1960s as the so-called “new gay liberation movement” at the end of the 20th century. Even initial fears of many activists that AIDS, the immunodeficiency syndrome rapidly spreading since roughly the mid-1980s, might lead to another setback for their emancipation movement, over the course of the 1990s proved to be unfounded. On the contrary, what transpired was that increased media coverage of HIV/AIDS actually led to lifting the taboo of “homosexual issues”.6 These examples are aspects of a social evolution in which a centuries-old history of repression, stigmatization and criminalization in German society seems to have “turned” at the end of the 20th century7 – a development that is still ongoing today. This essay aims first of all to look into the reasons for this rapid social change; its method of choice is a men’s history approach. It is based on the assumption that the new visibility of homosexual identities at the end of the 20th century can be explained by means of the concept of a “crisis of masculinity” – or rather, a crisis of the “hegemonic model of masculinity”. Using a longue durée perspective, we shall argue that “the homosexual” was constructed as its “antitype”8 in the process of the formation of a hegemonic model of masculinity at the end of the 19th century, which also was a cornerstone of the formation of “affected” individuals in the so-called “first homosexual rights movement” – which is for instance reflected in the foundation of the “Wissenschaftlich-humanitäres Komitee” (WhK, Scientific-Humanitarian Committee) in 1897 in Berlin. The main influence on this association came from Magnus Hirschfeld (1868–1935), a medical doctor and sexologist, and is generally known as the first homosexuals’ organization9 as well as the starting point of more than one hundred years of liber5 6

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See zur Nieden, Homophobie und Staatsräson, 42. See Wolfgang Theis, AIDS – oder die teuer erkaufte Professionalisierung, in: Goodbye to Berlin? 100 Jahre Schwulenbewegung. Eine Ausstellung des Schwulen Museums und der Akademie der Künste, 17. Mai bis 17. August 1997, Berlin 1997, 327–339, 329; Michael Bochow, Hat AIDS die Situation schwuler Männer verändert?, in: Detlef Grumbach (ed.), Was heißt hier schwul? Politik und Identitäten im Wandel, Hamburg 1997, 139–149; Volker Woltersdorff, Coming out. Die Inszenierung schwuler Identitäten zwischen Auflehnung und Anpassung, Frankfurt am Main / New York 2005, 82f. See Matti Bunzl, Symptome der Moderne. Juden und Queers im Wien des späten 20. Jahrhunderts, Wien 2004. George L. Mosse, The Image of Man. The Creation of Modern Masculinity, Oxford 1996. While Karl Heinrich Ulrichs had already drafted the articles of association for a so-called “Urningsbund” in 1865, this project lacked members and did not take off. See Rainer Herrn, Anders bewegt. 100 Jahre Schwulenbewegung in Deutschland, Hamburg 1999, 8.

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ation movement. Befitting this approach, the focus here lies on the representation of male homosexualities. The medium film and in particular the cinema are this paper’s main interest, as their role in the individual and collective construction of identities cannot be overestimated.10 Cinema, and in particular feature films, according to Lagny, can often seem “reactionary or at least conservative because its images are informed not by novelty but by long-established role models”. At the same time, it may also promote wishful thinking “that is new and sometimes socially controversial”.11 The history of the homosexual liberation movement in Germany shows that both assessments are correct. Besides the reactionary function of cinema, which had long contributed to maintain the taboo of homosexuality, this medium also played an important role in the self-assurance and political formation of homosexuals. In the second part, we shall further explore these issues with an exemplary close reading of a film that is particularly suited to such a procedure: Rosa von Praunheim’s “Der Einstein des Sex” (“The Einstein of Sex”, 1999). Rosa von Praunheim, whose film “Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt” (“It is not the Homosexual Who Is Perverse, but the Society in Which He Lives”, 1971) is regarded as the starting point for the gay liberation movement in the Federal Republic of Germany12, memorialized his “precursor” Magnus Hirschfeld in this film. This posthumous homage will be analysed regarding the question of how it constructed, against the contemporary backdrop of the German “reunification”, a line of tradition between the first and the second homosexual liberation movements that contributed to a “gay identity” and thus to the identity-political debates regarding such an identity at the high point of “gay visibility” in 1990s German society described above. “Der Einstein des Sex” can, we propose, be read as a “stocktaking” of concepts of homosexual identities over nearly a century as well as of thirty years of explicit gay identity politics since the beginning of the “new gay liberation movement” in the early 1970s. The final section will summarize our findings and contextualize them regarding current debates within the LGBTI movement.13 I. “Gay visibility” and the “hegemonic model” of masculinity In 1984, in his song “Männer” (“Men”), the famous German musician and actor Herbert Grönemeyer sang: “Men have it rough, and take things lightly, their out10 See Richard Dyer, The Matter of Images. Essays on Representation, London /New York 1993, reprinted 2000; José Arroyo, Film Studies, in: Andy Medhurst / Sally R. Munt (eds.), Lesbian and Gay Studies. A Critical Introduction, London / Washington 1997, 67–83. 11 Michele Lagny, Kino für Historiker, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 8/1997, 457–483, 467. 12 See Wolfgang Theis, Mach Dein Schwulsein öffentlich – Bundesrepublik, in: Goodbye to Berlin?, 279–293, 280f. See also Hans-Georg Stümke, Homosexuelle in Deutschland. Eine politische Geschichte, München 1989, 161f. 13 This abbreviation refers to lesbian, gay, bi-, trans- and intersexual.

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side hard, inside quite soft, programmed from childhood to be a man. When is a man a man?”, and struck a chord at the time. Over the following years, an intense social and media debate of masculinity began in German society. Concepts of “the new man” and “the new father” were discussed; for the first time, people discovered erotic representations of men in marketing campaigns, and even special cosmetics and underwear lines didn’t seem “unmanly” to the “new man”. More and more women were able to compete in formerly all-male professions and questioned traditional separations of “male and female spaces” and men’s claim to power. Gradually it became more difficult to define “masculinity” as opposed to “femininity”. A considerable number of “men’s guidebooks” as well as the publication of so-called “men’s journals” in the 1990s, aiming to give answers to recently “questionable” gender relations also point to crisis symptoms of “masculinity”. In addition, at least in cities, the traditional nuclear family and marriage lost their dominant position vis-à-vis other ways of life, and the number of one-person households and alternative forms of living together increased steadily. This “individualisation of ways of life” and “pluralisation of living environments” is to be regarded as a decisive factor in the analysis of the new visibility of homosexuals.14 They ultimately refer to symptoms of crisis of what Connell calls “hegemonic masculinity”15, which may be regarded as a precondition for lifting the stigma of homosexual male identities. “Hegemonic masculinity” can be understood as male attributes that are considered as a socially desirable ideal, but also as norms and practices of masculinity that are highly valued by the dominant class and that underpin its power.16 Schmale, in developing Connell’s concept, suggests that in Europe a hegemonic masculinity had formed since the Enlightenment, and that this development was closely connected to the rise of bourgeois society. In particular in the 19th century, hegemonic masculinity – intimately linked to capitalism, nationalism and imperialism – spread rapidly and became the dominant model within the working classes, too. Soldierly virtues, certain social and political – “state-forming” – skills, the role as the provider of the family as well as het-

14 See Sonja Kutschera-Groining, „Vorhang auf – Männer unter sich“. Sozialkritische Studien in Männergruppen, Wien 2005, 10f.; Holger Brandes / Herrmann Bullinger, Männlichkeit im Umbruch. Soziologische Aspekte der Veränderung männlicher Lebenswelt, in: idem (eds.), Handbuch Männerarbeit, Weinheim 1996, 36–59, 40f., 50f.; Alexander Ihrcke, Krise der Männlichkeit? Männlichkeit aus dem Blickwinkel des studentischen Milieus, Saarbrücken 2007, 17ff., 34ff., 82ff.; Wolfgang Schmale, Geschichte der Männlichkeit in Europa (1450– 2000), Wien / Köln / Weimar 2003, 262. 15 For a detailed presentation of this concept, see Robert Connell, Masculinities, Cambridge 1995. For a critical assessment, see e. g. Christopher Treiblmayr, Wowereit, Westerwelle und andere Queers. Einige Anmerkungen zum Verhältnis von hegemonialer Männlichkeit und männlichen Homosexualitäten. Kommentar zum Hauptartikel von Michael Meuser: Geschlecht, Macht, Männlichkeit – Strukturwandel von Erwerbsarbeit und hegemoniale Männlichkeit, in: Erwägen – Wissen – Ethik 21/2010, 403–406. 16 See John Tosh: Hegemonic Masculinity and the History of Gender, in: Stefan Dudnik / Karen Hagemann / John Tosh (eds.), Masculinities in Politics and War: Gendering Modern History, Manchester / New York 2004, 41–58, 47f.

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erosexuality were cornerstones of this hegemonic model of masculinity. 17 Its consolidation over the 19th century also involved a redefinition of homosexuality as the “Other” of the purified national “Volkskörper”18; men regarded as “homosexual”, according to Connell, became “subordinate” masculinities.19 This re-definition of homosexuality as the “Other” of a purified national “Volkskörper” and thus of hegemonic masculinity had a “side effect”, which Foucault pinpointed with a famous dictum: The “sodomite” of the late Middle Ages had evolved into a separate “species” that was primarily regarded as pathological.20 While this process of construction was shaped by inconsistencies, fault lines and asynchronies, as the wide spectrum of research following Foucault has shown21, it led to the concept of a distinct identity of individuals thus labelled – captured in designations like “homosexuality”, “uranism”, “contrary sexual sentiment”, or the “third sex”, amongst others – and to those “concerned” beginning to realign and organise.22 The foundation of the WhK in Berlin and the significant involvement of Magnus Hirschfeld in this process have already been mentioned. Beyond this, Hirschfeld’s “Institut für Sexualwissenschaft” (“Institute of Sexology”), established in 1919, decisively influenced Berlin’s reputation as a liberal, cosmopolitan metropolis.23 At the turn of the years 1918/19, Hirschfeld collaborated with Richard Oswald, the director of the Oswald film company, in shooting an “educational film” on homosexuality. “Anders als die Andern” (“Different from the Others”) was the first film ever to “openly” represent male homosexuality; it premiered in Berlin on May 24, 1919.24

17 Schmale, Geschichte der Männlichkeit, esp. 152. See Thomas Kühne, Rezension zu: Wolfgang Schmale, Geschichte der Männlichkeit in Europa (1450–2000), Wien 2003, in: H-Sozu-Kult, 17.2.2004, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-1-093, consulted 04.01.2016, and, also on the following, Christopher Treiblmayr, Männerbünde und Schwulenbewegung im 20. Jahrhundert, in: Europäische Geschichte Online (EGO), ed. by the Institut für Europäische Geschichte (IEG), 03.12.2010, http://www.ieg-ego.eu/treiblmayrc-2010de, consulted 04.01.2016. 18 See Bunzl, Symptome der Moderne. 19 Connell, Masculinities, 76–81. See, in particular on the role of science in this process of constructing the “modern homosexual”, e. g. Franz X. Eder, Homosexualitäten. Diskurse und Lebenswelten 1870–1970, Wien / Weitra 2011, 25–40. 20 Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit, vol. 1: Der Wille zum Wissen, Frankfurt am Main 1983, 58. 21 See Bernd-Ulrich Hergemöller, Von der „stummen Sünde“ zum „Verschwinden der Homosexualität“. Zuschreibungen und Identitäten, in: Wolfram Setz (ed.), Die Geschichte der Homosexualitäten und die schwule Identität an der Jahrtausendwende. Eine Vortragsreihe aus Anlaß des 175. Geburtstags von Karl Heinz Ulrichs, Berlin 2000, 13–41. 22 See zur Nieden, Homophobie und Staatsräson; Claudia Bruns, Skandale im Beraterkreis um Kaiser Wilhelm II. Die homosexuelle „Verbündelung“ der „Liebenberger Tafelrunde“ als Politikum, in: zur Nieden, Homosexualität und Staatsräson, 52–80. 23 See Selbstbehauptung und Beharrlichkeit, 81ff., 91f.; Roy Grundmann, Gay-Themed Films of the German Silent Era, in: Cineaste 31/2005, 1, 63–66, 63. 24 See Manfred Herzer, Das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee – Vom Institut für Sexualwissenschaft bis zur Selbstauflösung, in: Goodbye to Berlin?, 83–88, 83f. Stefan Drössler,

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Figure 1. Film still from “Anders als die Andern”. The main character, the homosexual violin virtuoso Paul Körner (Conrad Veidt, right) meets his later blackmailer, rent boy Franz Bollek (Reinhold Schünzel) for the first time at a transvestites’ ball. Their acquaintance will end in tragedy; Körner commits suicide after being sentenced for an offence according to paragraph 175. Hirschfeld, who appears in the film himself, cannot prevent this tragic fate of an “honourable personage”. © Filmmuseum München

The film can be interpreted as a crisis symptom of hegemonic masculinity, as rapid social change in the wake of World War I had provoked “insecurities” in traditional gender hierarchies; scope for their development had opened up.25 Before concepts of a militarized masculinity, constructed in strict dichotomy to femininity, were radicalized, especially under National Socialism26, crisis symptoms of hegemonic masculinity began to show in the first two decades of the century. These allowed homosexually marked characters to appear in German cinema. Even though “Anders als die Andern” was not screened very often because of the re-introduction of cinema censorship in 1920, and screenings of the film were regularly disrupted by antisemitic aggressions against the Jews Hirschfeld and Oswald27, it constituted a leading role of German cinema regarding its openness towards homosexuals in this period. In addition, it constitutes a visualized expresDer Fall „Anders als die Andern“, in: DVD „Anders als die Andern“ (Richard Oswald 1919). Edition Filmmuseum München/Goethe-Institut München, 2007, accompanying booklet. 25 See Grundmann, Gay-Themed Films, 63; Richard Dyer, Less and More than Women and Men: Lesbian and Gay Cinema in Weimar Germany, in: New German Critique 51/1990, 5– 60. 26 See Schmale, Geschichte der Männlichkeit, 232. 27 See Drössler, Fall „Anders als die Andern“. See also Stefan Volk, Skandalfilme. Cineastische Aufreger gestern und heute, Marburg 2011, 19, and, in more detail on the history of the film’s censorship, James D. Steakley, Cinema and Censorship in the Weimar Republic. The Case of Anders als die Andern, in: Film History 11/1999, 181–203, 188ff.

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sion of a social climate in which it was possible for the first time to explore homosexual identities in more detail. In cooperation with other organizations – of some variety, like the “Gemeinschaft der Eigenen” (“Community of the Unique”) led by Adolf Brand, which aligned with virile concepts of masculinity28, or the “Freundschaftsbünde” (“Leagues of Friends”)29 – the first homosexual rights movement in the Weimar Republic, founded with the WhK, grew, in particular in Berlin, which was internationally renowned for its network of meeting points of the homosexual subculture.30 With the seizure of power by the National Socialists the first emancipation movement came to a sudden end. On May 6, 1933, Hirschfeld had to witness the looting and destruction of his “Institut für Sexualwissenschaft” from his Paris exile. Its assets were seized and partly burned at the book burning of May 10. In June 1933, the WhK dissolved itself.31 At the latest, an active persecution of homosexuals began after the so-called Röhm Putsch in 1934. Over the following years, they were interned, sterilized or murdered in National Socialist concentration camps as “unwanted elements”.32 However, the stigmatization and persecution of homosexuals did not end with the collapse of the National Socialist regime; they continued to be prosecuted and socially marginalized, although, obviously, not murdered any longer.33 Debates regarding homosexuality in the post-war era are again part of an intense examination of gender relations and concepts of masculinity and femininity. The collapse of National Socialism and the end of World War II had brought “confusion”34 to the order of sexes. These conflicts took different forms in the two German states; however, in both cases, they ultimately resulted in the reconstruction of the hegemonic model of masculinity. In the West, it was integrated into

28 See Manfred Herzer: Adolf Brand und Der Eigene, in: Goodbye to Berlin?, 49–53. 29 See Stefan Micheler: Zeitschriften und Verbände gleichgeschlechtlich begehrender Menschen in der Weimarer Republik. Ansätze einer Organisationsgeschichte, in: Invertito. Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten 10/2008, 10–56. 30 For a European contextualization of the German situation, see Florence Tamagne: Das homosexuelle Zeitalter, in: Robert Aldrich (ed.), Gleich und anders. Eine globale Geschichte der Homosexualität, Hamburg 2007, 167–195. 31 See Selbstbehauptung und Beharrlichkeit, 103. 32 See Till Bastian, Homosexuelle im Dritten Reich. Geschichte einer Verfolgung, München 2000, 27. The most up-to-date research, also on female homosexuality, trans- and intersexuals as well as on the question of homosexuals as perpetrators and bystanders, is summarized in: Michael Schwartz (ed.), Homosexuelle im Nationalsozialismus. Neue Forschungsperspektiven zu Lebenssituationen von lesbischen, schwulen, bi-, trans- und intersexuellen Menschen 1933–1945, München 2014. 33 See Burkhard Jellonnek, Homosexuelle unter dem Hakenkreuz. Die Verfolgung von Homosexuellen im Dritten Reich, Paderborn 1990, 11f. 34 Karen Hagemann, Nach – Kriegs – Helden. Kulturelle und politische DeMobilmachung in deutschen Nachkriegsgeschichten, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 60/2001, 291–296, 293.

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consumer and bourgeois society35, in the East, it was revived in the model of the “Socialist hero” of labour.36 As late as 1957 – the so-called Adenauer era and the reconstruction of the hegemonic model of masculinity after World War II were in full swing – another film was made that “openly” addressed male homosexuality in Western Germany: Veit Harlan’s “Anders als du und ich” (“Different From You and Me”), in which, of all people, the director of “Jud Süß” (“Süss the Jew”, 1940) was the first one to address the issue of homosexuality after World War II. Even though Harlan believed his intentions to be educational, and while he possibly wanted to distract from his active role in National Socialism, this film, too, ultimately served to safeguard structural restoration at the time of the so-called “economic miracle”.37 While “Anders als du und ich” offered (somewhat negative) possibilities of identification for those – mostly male – homosexuals who tentatively started to associate towards the end of the 1940s in the bourgeois and moderate “Homophilenbewegung” (“homophile movement”), these groups, operating under extremely difficult conditions, were hardly able to oppose the continuing prosecution of homosexuality. The “Homophilenbewegung” had largely dissipated by the end of the 1950s.38 Nevertheless the phase of a reconstruction of hegemonic masculinity after World War II did not last. Thus, re-masculinization was unable to prevent the slow disintegration or radical questioning of the hegemonic model of masculinity towards the end of the 20th century. The so-called “movement of ’68”39 and related liberation movements, such as the new women’s and homosexuals’ movements, as well as the so-called men’s movement at a later stage, increasingly put pressure on dominant concepts of masculinity, and the logic of exclusion described above began to weaken.40 This meant that alternative concepts of mascu35 See Robert G. Moeller, Heimkehr ins Vaterland: Die Remaskulinisierung Westdeutschlands in den fünfziger Jahren, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 60/2001, 403–436. 36 See Sven Glawion, Sauberkeit und Sozialismus. Heteronormativität, Männlichkeit und die DDR: Ein Blick in Siegfried Schnabls Mann und Frau intim, in: Robin Bauer / Josch Hoenes / Volker Woltersdorff (eds.), Unbeschreiblich männlich. Heteronormativitätskritische Perspektiven, Hamburg 2007, 75–89. 37 See Sabine Hake, Film in Deutschland. Geschichte und Geschichten seit 1895, Reinbek bei Hamburg 2004, 194f.; Stefan Drössler, Der Fall „Anders als du und ich“, in: DVD „Anders als du und ich“ (Veit Harlan 1957). Edition Filmmuseum München/Goethe-Institut München, 2006, accompanying booklet. 38 See for an overview of the “Homophilenbewegung”: Andreas Pretzel / Volker Weiß (eds.), Ohnmacht und Aufbegehren. Homosexuelle Männer in der frühen Bundesrepublik. Geschichte der Homosexuellen in Deutschland nach 1945, vol. 1, Hamburg 2010; Raimund Wolfert, Zwischen den Stühlen – die deutsche Homophilenbewegung der 1950er Jahre, in: Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (ed.), Forschung im Queerformat. Aktuelle Beiträge der LSBTI*-, Queer- und Geschlechterforschung, Bielefeld 2014, 87–104. 39 For a historical evaluation and on the transnational and global importance of the collective term “movement of ’68”: Ingrid Bauer, Editorial, in: L’Homme. Europäische Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 20/2009, 2, 5–12. 40 See in more detail Schmale, Geschichte der Männlichkeit, chapter 5.

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linity, for instance subordinate homosexual masculinities, moved into public view in a new manner. Rosa von Praunheim’s notorious film “Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt” is the most famous and probably the most influential example of this trend. The pseudonym of this writer-director, who was born in Riga, Lithuania in 1942, was chosen for its reference to the “Rosa Winkel” (“pink triangle”) marking out homosexual men in National Socialist concentration camps.41 This film, provocatively described by its author as a “Schwulenfilm” (“faggot film”), was produced in the context of the 1968 student movement in 1970, i. e. one year after paragraph 175 had been liberalized and the “Totalverbot” (total prohibition) of consensual homosexual acts between adults over 21 had been lifted. Its TV broadcasts – on WDR in January 1972 and on ARD in January 1973 – initiated far-reaching social debates and were the immediate occasion for the foundation of the first gay groups in Western Germany, for instance the “Homosexuelle Aktion Westberlin” (HAW) or the “Rote Zelle Schwul” (ROTZSCHWUL) in Frankfurt am Main.42 “Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt” intended to provoke and call upon gay men to “stand up for their rights themselves”, without blindly accepting the “conservative sexual ethics of dominant heterosexual society”.43 Indecent exposure was a conscious strategy applied to express pride in a homosexuality that was socially ostracized.44 The political implications of the film were also stressed by an excessive mention of the catchword “schwul” (gay). Such intentional use of this originally deprecating term45 was meant to convey that one was ready to confront the social mechanisms of oppression as a part of the movement. It also involved a political demarcation against those homosexuals who used terms like “homophile” or “homoerotic” to characterize their sexual orientation, which, the activists thought, also meant a failure to take a stand for their own interests.46 In order to achieve its provocative intentions, the film employs “counter-cinema

41 Praunheim is the – according to him – “ugly” district of Frankfurt am Main where he had lived as a teenager. Rosa von Praunheim, Vorwort, in: idem, Rosas Rache. Filme und Tagebücher seit 1960, Berlin 2009, 13–32, 26. 42 See Dietrich Kuhlbrodt, Kommentierte Filmographie, in: Rosa von Praunheim, München 1984, 79–250, 113–126. 43 Rosa’s memories, in: stern 20.2.1986, reprinted in: Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt. Ein Buch von Rosa von Praunheim, Berlin 2007, 98. 44 See Theis, Mach Dein Schwulsein öffentlich, 280. 45 Although “schwul” was occasionally used in the German language to denote identity-relevant male-male sexual relations since the 18th century, the term gained currency via urban jargon (in particular in Berlin) at the beginning of the 20th century. See Schmale, Geschichte der Männlichkeit, 213f. 46 See Stümke, Homosexuelle in Deutschland, 161f. This meant not least that the “homophile movement” remained unmentioned in many histories and narratives of the homosexual rights movement until the beginning of the 2000s; nor was it comprehensively explored in academic research. See Andreas Pretzel / Volker Weiß, Überlegungen zum Erbe der Zweiten Deutschen Homosexuellenbewegung. Ein Generationenkonflikt und seine Folgen, in: idem, Ohnmacht und Aufbegehren, 9–36, 9.

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practices drawn from Brechtian techniques”.47 The “intentional dilettantism” which characterizes von Praunheim’s œuvre, and which was also used in “Der Einstein des Sex”48, is already present in this film. It narrates the story of Daniel (Bernd Feuerhelm), who has moved to Berlin and who experiences his “coming out” as a gay man and – the film suggests at the end – as a member of the gay liberation movement. The last stop of Daniel’s odyssey across “homosexual Berlin” for example is a Commune. There, we see him naked and surrounded by men, also lounging around naked, who relentlessly analyse his development into a “Berufsschwuler” (“professional gay”) and the current living conditions of homosexuals. They recite a manifesto of emancipation – grounded in the theories of sexologist Martin Dannecker49 – which aims to enable “public toilet gays” and “park fuckers” to “escape their awful situation”. It appeals to the gays to stop fighting each other and to stand “against oppression with the Black Panthers negroes and the women’s movement”.50

Figure 2. Daniel (front, lying down) at the Commune while the manifesto is read by an off voice. Photo: Bavaria Atelier, image source: Deutsches Filminstitut

Rosa von Praunheim’s scandal film set in motion a machinery of representation that finally came fully into its own in the 1990s’ context of social tendencies of 47 Randal Halle, From perverse to queer: Rosa von Praunheim’s films in the liberation movements of the Federal Republic, in: David Clarke (ed.), German Cinema since unification, London / New York 2006, 207–232, 212. 48 See for example Rainer Gansera, Aus Liebe zum Kitsch. Hilflos: Rosa von Praunheims „Der Einstein des Sex“, in: Süddeutsche Zeitung 16.03.2000. 49 See Kuhlbrodt, Kommentierte Filmographie, 115. 50 Nicht der Homosexuelle ist pervers, 56. It should be noted, however, that women do not play any important role in the film, while the discussions it sparked also gave the lesbian movement a boost. See Volk, Skandalfilme, 187.

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pluralisation. His more than 140 films to the present day51 have always closely followed and supported the process of growing emancipation and legal equality of homosexuals and thereby also influenced younger generations of activists and filmmakers.52 Good cases in point are von Praunheim’s films about HIV/AIDS. Since the beginning of the 1980s, more and more alarming reports reached Germany from the U.S. of an illness that seemed only to affect gay men and that was interpreted as a “punishment of God” for homosexuality and promiscuity by religious fanatics.53 In 1985, von Praunheim responded with “Ein Virus kennt keine Moral” (“A Virus Knows No Morals”), the first German feature film on the issue of HIV/AIDS. The subject continued to concern von Praunheim – who is, according to himself, seronegative – over the following years, and to have a decisive influence on the identity concepts presented in his films.54 In his “Aids-Trilogie” (“The AIDS Trilogy”), he presents three further documentaries that explicitly address this issue. “Positiv – Die Antwort schwuler Männer in New York auf AIDS” (“Positive – the Answer of Gay Men in New York to AIDS”, 1990) presents interviews with members of support and activist groups like “ACT UP” (“AIDS Coalition To Unleash Power”). “Schweigen = Tod – Künstler in New York kämpfen gegen AIDS” (“Silence = Death – Artists in New York Fight AIDS”, 1989) is the second part of “Die AIDS Trilogie” and consists of a number of short portraits of active members of the New York art scene, for instance Keith Haring. The third part of “Die AIDS Trilogie”, “Feuer unterm Arsch – Vom Leben und Sterben schwuler Männer in Berlin” (“Fire Under Your Ass – Life and Death of Gay Men in Berlin”, 1990) finally documents the attitudes of Berlin homosexuals towards HIV/AIDS. Von Praunheim mainly focuses on two “radical positions”: on the one hand those infected men and activists who saw the promotion of “safer sex” as “hetero terror”, i. e. one more attack of the heterosexual world against their sexual freedom. The other faction was mainly concerned with prevention and care for those affected. By drawing a provocative line between “good gays” and those who endanger innocent people with their irresponsible attitude, von Praunheim, in the third part of his “AIDS Trilogie”, sparked heated debates in Germany, in particular by viciously attacking the “AIDS-Hilfe” (“AIDS Service Or51 See Rosa von Praunheim’s website: http://www.rosavonpraunheim.de, consulted 04.01.2016. 52 According to Kuzniar, Rosa von Praunheim and his work can be understood as a “link” between the internationally renowned “New German Cinema” of the 1960s to the early 1980s, epitomized among others by Rainer Werner Fassbinder, and a subsequent generation of LGBTI filmmakers. Besides the experimental shorts of Matthias Müller or Michael Brynntrup, the films of Frank Ripploh or Elfi Mikesch’s and Monika Treut’s depictions of lesbian and non-heterosexual sexuality became known to a larger audience. In the 1990s, it were especially the works of Michael Stock, like “Prinz in Hölleland” (“Prince in Hell”, 1993), that followed in von Praunheim’s vein. Alice A. Kuzniar, The Queer German Cinema, Stanford 2000, esp. 91. 53 See Theis, AIDS, 327. 54 See Beate Schappach, Positiv. Rosa von Praunheim und Aids. Vortrag am 22.11.2002, Herbstworkshop Zürich 22.–23.11.2002, Wissenschaftskulturen Kulturwissenschaften Schweiz. Gesellschaft für Kulturwissenschaften SGKW, http://www.culturalstudies.ch/pdf/ schappraun.pdf, consulted 08.02.2014.

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ganization”) for its alleged failure to act.55 “AIDS-Hilfe” promptly and decisively responded by speaking of “treason” and “slander”, and called for a boycott of “Feuer unterm Arsch” in a leaflet. It also issued an appeal to address Rosa von Praunheim by his civil name Holger Mischwitzky, as he no longer earned the “gay badge of honour”.56 Just over a year later, von Praunheim initiated another controversial action in this tense situation: In December 1991, at the height of the AIDS crisis, he announced the sexual orientation of popular TV stars Alfred Biolek and Hape Kerkeling against their express wishes in the RTL broadcast “Der heiße Stuhl” as a “desperate measure”. With this “outing”, von Praunheim said he wanted to rouse people and force well-known homosexuals in particular to commit to the fight against HIV/AIDS.57 Later he said on this subject: “It turned me from the most beloved into the most hated gay man in Germany, and I still haven’t outlived that.”58 II. “Reclaiming the Past“: Rosa von Praunheim’s “Der Einstein des Sex“ Against the backdrop of these debates and his personal stocktaking within the German gay liberation movement, we can also identify a “historical turn” 59 of Rosa von Praunheim in the 1990s.60 Following his autobiography, published in 199361, the film “Neurosia – 50 Jahre pervers” (“Neurosia – 50 Years of Perversity”, 1995) traces his life and career and places both in the broader social context. “Neurosia” aimed to react to and parody the prejudices that had developed in the debates with the AIDS-Hilfe and concerning the involuntary “outings”, and to some extent to offer conciliation to his enemies.62 True to the catchword of the “second women’s movement”, this “documentary with a feature film storyline”63 aims to make public the “private” of Rosa von Praunheim’s life and work with lots of material like film clips, photos, newspaper articles and diary entries read by an off voice – using, amongst others, “private” videos featuring his excessive 55 See Axel Schock / Manuela Kay, Out im Kino. Das lesbisch-schwule Filmlexikon, Berlin 2003, 121, 284, 304. 56 „Dieser Mann ist gefährlich“. Hans-Peter Hauschild vom Vorstand der Deutschen AIDSHilfe über Rosa von Praunheims umstrittene Thesen zur schwulen Szene in der Aids-Krise, in: die tageszeitung/taz 26.5.1990. 57 See Praunheim, Vorwort, 28f. 58 Quoted from: Detlef Kuhlbrodt, Allerlei Transvestitenfische, in: die tageszeitung/taz 16.3.2000. 59 Halle, From perverse to queer, 229. 60 See for the following Christopher Treiblmayr, Schwule Identität durch Geschichte. Rosa von Praunheims Kinofilme der 1990er Jahre als kinematographische Alternativen zu hegemonialen Männlichkeitskonzepten, in: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 10/2010, 1, 148–163. 61 Rosa von Praunheim, 50 Jahre pervers. Die sentimentalen Memoiren des Rosa von Praunheim, Köln 1993. 62 See Kuzniar, Queer German Cinema, 208, footnote 5. 63 According to the assessment of http://www.filmportal.de, consulted 04.01.2016.

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sexual life.64 The film not only takes stock of more than 20 years of gay liberation movement in Germany, but can be interpreted as a plea for a “gay identity politics” based in the ideals of the 1970s radical gay liberation movement. This is just as true for the 1999 production “Der Einstein des Sex”, which goes even further back in the history of homosexual liberation movements in Germany – to the beginnings of the first homosexual rights movement and early representations of male homosexualities in German cinema. To analyse this film, we first need to sketch its historical context as well as the state of the gay and lesbian movement in 1990s Germany. The fall of the Berlin Wall on November 9, 1989 not only meant the end of the post-war era, but also the starting point of the process of German “reunification”, which had far-reaching consequences in the “new” as well as in the “old” federal states. The Federal Republic had prevailed in the confrontation between the systems. Its capitalist, neo-liberal economic and social system was implemented in a united Germany in the context of the changes in global economy that are subsumed under the catchword of “globalization”.65 This also had repercussions on the gay and lesbian rights movement, which increasingly lost its radical and critical momentum with the progressive integration of homosexuals into general society. In the course of tendencies of professionalization and commercialization, political organisations active on the federal level lost a lot of influence since “reunification”. One example for this tendency towards depoliticization – or at least differentiation – is the “Schwulenverband in der DDR” (SVD, “Gay Association in the GDR”), which later became the “Schwulenverband Deutschlands” (“Gay Association of Germany”), and which progressively developed an identity as a gay civil rights movement over the 1990s.66 In addition, a socalled “gay lifestyle” as a hegemonic lifestyle of male homosexuals can be identified in “reunified” neo-liberal Germany.67 An orientation towards a “paradigm of individualization”68 and its consumerist orientation69 are integral “parts” of this “gay lifestyle”, which helped to enable the “insertion” into majority society – longed-for and much welcomed by many homosexuals.70 Rosa von Praunheim’s “Der Einstein des Sex”, released onto the big screen on March 16, 200071, con64 65 66 67 68

See Neurosia. Öffentlich privat, in: Stuttgarter Zeitung 18.11.1995. See Hake, Film in Deutschland, 303f. See Theis, Mach Dein Schwulsein öffentlich, 292f. See Woltersdorff, Coming out, 88. Antke Engel, Gefeierte Vielfalt. Umstrittene Heterogenität. Befriedete Provokation. Sexuelle Lebensformen in spätmodernen Gesellschaften, in: Rainer Bartel et al. (eds.), Heteronormativität und Homosexualitäten, Innsbruck / Wien / Bozen 2008, 43–63, 45. 69 See Lüder Tietz, Schwule Sexualität und die Sehnsucht nach Erfüllung: Zwischen (Selbst-) Normalisierung und Transgession, in: idem / Volker Weiß, Normierung und Diskriminierung. Grundkurs Homosexualität und Gesellschaft II, Göttingen 2003, 59–98, 67. 70 See Woltersdorff, Coming out, 58. 71 The film, distributed by Ventura, was produced in 1999 following years of preparation, and was first screened at the São Paulo International Film Festival on October 27, 1999. On April 14, 2000, it was also shown at the Miami Gay and Lesbian Film Festival, followed by other festival screenings in the Netherlands, Switzerland, Colombia, the Czech Republic and Iceland. See Release dates “Der Einstein des Sex”, http://www.imdb.com/title/tt0161542

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fronts these concepts of identity and the zeitgeist with alternatives by going back in history. Hake groups Rosa von Praunheim’s work into three categories: firstly polemical anti-discrimination films like “Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt” or “Die Aids-Trilogie”, secondly low-budget melodrama like “Die Bettwurst” (“The Bolsters”, 1971) and lastly his documentaries about unorthodox characters.72 While “Neurosia” might in a certain sense be included in the third group, the “Einstein of Sex” on the life and work of Magnus Hirschfeld demands a new category. It is a feature-film-length period film with a budget of DM 1.8 million, unusually high for a Praunheim film.73 The film is a co-production of “Rosa von Praunheim Filmproduktion”, Hessischer Rundfunk/ARTE/Argus-Film/VPRO-television and Studio Babelsberg.74 In media societies, conceptions of the past are decidedly influenced by the period film genre, in particular through an “entertaining reception of a staged past”, as exemplified in “sandal movies” on Antiquity, in “knight movies” about medieval times or in the Western.75 Period films often generate a form of mythical history76, they reinterpret historical facts and discuss current issues and conflicts based on a historical backdrop.77 Like any period drama, Rosa von Praunheim’s film, too, writes history “twice: that of the past, and that of its present”.78 In order to understand von Praunheim’s approach to this past from his present, one has to start with remembering Magnus Hirschfeld’s insignificance after World War II. There were some tentative efforts in Germany to connect to the WhK and sexology in Hirschfeld’s tradition, but these had no lasting success. Until the 1980s, Hirschfeld’s role in international sexological literature as well as for the

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/releaseinfo, consulted 04.01.2016. In 2003, the film was released on video and DVD by “absolut MEDIEN”. The following quotations from the film are taken from the DVD version published by “absolut MEDIEN” in 2007 on the occasion of Rosa von Praunheim’s 65th birthday with four other DVDs including his most important films. Hake, Film in Deutschland, 298f. See Verena Rall, Der Einstein des Sex. Rosa von Praunheims Versuch über Leben und Werk von Dr. Magnus Hirschfeld, in: epd Film 3/2000, 49; Schock / Kay, Out im Kino, 106. As Rosa von Praunheim notes, this was one of his most expensive films. “That wasn’t always good for me. The more expensive films, with those I had my difficulties, expectations in those cases were more that you do something for the film market and that you are successful in the cinemas, too, and that, for the most part, didn’t work out.” Author’s interview with Rosa von Praunheim, Berlin, 23.6.2009. See Rall, Einstein des Sex; Klaus Löser, Der Einstein des Sex, in: film-dienst 6/2000, 25. See Quellen: Film, in: LWG. Lernwerkstatt Geschichte. Historisches Seminar Hannover, http://www.lwg.uni-hannover.de/wiki/Quellen:_Film, consulted 04.01.2016. See Lagny, Kino für Historiker, 468. See Maria Fritsche, Zwischen Irakkrieg und amerikanischem Bürgerkrieg. Die Desertion des Soldaten Inman im Film „Cold Mountain“, in: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 8/2008, 2, 88–108, 91. This also is what has always lent period drama its subversive potential, as criticism “dressed up“ in historical costume can be harsher or harder to censor. See ibidem, 92. Lagny, Kino für Historiker, 471.

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gay and lesbian movement was negligible.79 This slowly began to change after the hegemonic model of masculinity was “fractured” in the context of the protests of 1968, the newly formed homosexual rights movement and the emergence of a critical sexology. A new generation of researchers began to return to the “classics” of early sexology by means of a critical re-reading – which also had to face the fact that its influence in some respects paved the way for the ideological principles of National Socialism.80 This also initiated renewed work on Hirschfeld and his theories. In 1982, members of the West Berlin gay and lesbian movement founded the “Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft”, still active today. This was based on the obvious fact that the official memorials for the 50th anniversary of the National Socialists’ seizure of power would once again fail to include the victims’ group of homosexual men and women. The society therefore defined its goals as raising awareness of this fact, studying the history of the “Institut für Sexualwissenschaft”, the history of sexology as well as the sexual reform movement. It also worked towards a re-establishement of sexology at one of the Berlin universities.81 On the initiative of the society, several memorial efforts for Magnus Hirschfeld were instigated, such as the erection of two memorial stelae at the former Berlin sites of the “Institut für Sexualwissenschaft” and at the site of the WhK’s foundation at Hirschfeld’s former residence in Charlottenburg, Otto-SuhrAllee 93.82 In 1991, Verlag “rosa Winkel”, Germany’s first “gay publisher”83 also 79 See Friedemann Pfäfflin, Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, in: Elke-Vera Kotowski / Julius H. Schoeps (eds.), Der Sexualreformer Magnus Hirschfeld. Ein Leben im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, Berlin-Brandenburg 2004, 11–29, 15, 21. See also Andreas Seeck, Einführung, in: idem (ed.), Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit? Textsammlung zur Rezeption des Schaffens von Magnus Hirschfeld, Münster 2003, 7–23. 80 See Pfäfflin, Relevanz Hirschfelds, 17–19. In 1983, at the 6th Congress of the World Association for Sexology in Washington, an exhibition was dedicated to early sexology, curated by Erwin J. Haeberle, then director of advanced studies at the “Institute for Advanced Study of Human Sexuality” in San Francisco. It was also shown in Hamburg, Frankfurt am Main, Berlin and Kiel. At the opening in Hamburg on October 20, 1983, Martin Dannecker amongst others held a lecture in which he focused on Magnus Hirschfeld and his role within sexology. In this context, individual researchers also began to critically address the post-war era, e. g. the “Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung” founded in 1950, which was infiltrated with National Socialist careerists. See ibidem, 19f. 81 See the website of the “Magnus-Hirschfeld- Gesellschaft”: http://www.hirschfeld.in-berlin.de /frame.html? http://www.hirschfeld.in-berlin.de/v_mhg.html, consulted 04.01.2016. These goals were partly reached; since 1996, the Humboldt University in Berlin again has a department of sexology and sexual medicine which follows the traditions of the sexology originally founded in Berlin. See the website of the “Charité” hospital in Berlin: http://www.sex ualmedizin. charite.de/index.php, consulted 04.01.2016. Simone Mahrenholz, Junge Gesichter im Zwielicht. „Der Einstein des Sex“: Rosa von Praunheim verfilmte das Leben von Magnus Hirschfeld, in: Die Welt 16.3.2000. 82 See http://www.hirschfeld.in-berlin.de/frame.html?http://www.hirschfeld.in-berlin.de/ausstell ungen.html, consulted 04.01.2016. 83 It was founded in 1975 by “Homosexuelle Aktion Westberlin” members Volker Bruns and Peter Hedenstrom in order to publish texts that would not be accepted by commercial publishers. See Theis, Mach Dein Schwulsein öffentlich, 286. From 2001, however, the publisher’s activities nearly stopped; in 2005, it was finally struck from the register of associations.

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reprinted Hirschfeld’s 1904 book “Berlins Drittes Geschlecht” (“Berlin’s Third Sex”).84 In 1994, Erwin J. Haeberle founded the “Archiv für Sexualwissenschaft” (“Archive of Sexology”), which was to make his private library and collection accessible to the public, and was named “Magnus Hirschfeld Archive” in memory of the “Institut für Sexualwissenschaft”.85 When the “Schwules Museum” (“Gay Museum”)86 cooperated with the “Akademie der Künste” (“Academy of Arts”) in Berlin in the creation of the pioneering exhibition “Goodbye to Berlin? 100 Jahre Schwulenbewegung” (“100 Years of Gay Liberation Movement”) in 1997, it chose the foundation of the WhK as the “moment of birth” of the gay liberation movement, and ample space was dedicated to Hirschfeld.87 What is striking is that they explicitly did not refer to 100 years of homosexual rights movement – or, to be more precise, homosexual rights movements – but projected the political catchword “schwul” (“gay”) of the 1970s movement back on history. This identity politics strategy also grounds Rosa von Praunheim’s “Der Einstein des Sex”, and had also been used two years earlier, in his film “Schwuler Mut” (“Gay Courage”, 1997), which was made on the occasion of the “Goodbye to Berlin?” exhibition. This film can therefore be regarded as preparatory work to “Der Einstein des Sex”.88 In the context of this “queer spotting” or “reclaiming of the past” by the gay and lesbian movement89, Rosa von Praunheim’s hommage to Hirschfeld plays an important role as it is the first comprehensive cinematographic appraisal of the

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The series “Bibliothek rosa Winkel”, founded in 1991 by Wolfram Setz in the context of this publisher, of pivotal importance for the gay and lesbian movement, is since published at Verlag MännerschwarmSkript. See Bernd König, Rosa Winkel – Nachruf auf einen Verlag, http://archive.is/8LG61, consulted 08.02.2014. Magnus Hirschfeld, Berlins Drittes Geschlecht, Berlin 1991. See http://info.ub.huberlin.de/bibliothek/sammlungen/haeberle/hha_informationen.htm, consulted 08.02.2014. In 2004, the archive was incorporated into the Humboldt University’s library and since 2006, it is known as the “Haeberle-Hirschfeld Archive”. This institution was founded in 1985. In 2011, an asterisk was added to its name (Schwules Museum*) in order to point out an extension in the range of its activities in collecting, research, and exhibitions and to signal a “programmatic openness beyond binary notions of gender and sexuality”. Homosexualität_en, ed. by Brigit Bosold / Dorothée Brill / Detlef Weitz. Im Auftrag des Deutschen Historischen Museums und Schwulen Museums*, Dresden 2015, 89. See the exhibition catalogue “Goodbye to Berlin?”, already quoted several times, especially the introduction by Andreas Sternweiler and Manfred Herzer, 13–16. Rosa von Praunheim also organised the supporting programme for the exhibition, which included, besides talks, theatre, performances and film screenings, the premiere of Praunheim’s film “Verliebt in einen tätowierten Schwanz” (“In Love With A Tatooed Dick”). See Peter Berger, Goodbye and Happy Birthday. 100 Jahre Schwulenbewegung: Akademie der Künste Berlin und Schwules Museum bereiten Ausstellung vor, in: Neues Deutschland 24.4.1997; Begegnungen und Diskussionen. 100 Jahre Schwulenbewegung mit 100 Veranstaltungen in der Akademie der Künste, in: Neues Deutschland 17.5.1997. See Arroyo, Film Studies, 71f.

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German homosexual rights movement’s “founding father”.90 It aims to contribute to re-establishing Hirschfeld’s important role in the history of sexology that the National Socialists took from him, as von Praunheim says: “I hope my film will contribute to the name of Hirschfeld becoming better known again, and that the Nazi won’t be proved correct, as they did everything they could so his name would be forgotten.”91 The nationwide release of the film in Germany was preceded by a “Magnus Hirschfeld Week” which aimed to show aspects of the “founder of sexology” in numerous events.92 These efforts also aimed to contribute to further the debates concerning the reparations for the National Socialist destruction of Hirschfeld’s institute and the establishement of a MagnusHirschfeld foundation “to the memory and for the promotion of the cultural heritage of gays and lesbians”.93 The film thus takes up an issue that clearly was “overdue”, as Müller noted in the “Frankfurter Rundschau” on occcasion of the cinema release: “This belated interest highlights the enduring effects of the National Socialists’ efforts to efface all memory of Hirschfeld.”94 However, National Socialism and its lopsided handling in (West) German post-war society are not the only reasons that led to Hirschfeld’s playing “only an anything but central role in sexological debates even today” 95 which results in limiting his “connectivity” for the gay and lesbian movement. Besides his writing style, which Dannecker classifies as “higher verbiage”96 and which – unlike the case of Freud, for example – made it extremely difficult “to read his writings with pleasure”97, one could pinpoint three central problem areas here. What is confounding from a current perspective is, firstly, Hirschfeld’s search for the “causes” of homosexuality98, which he compared with deformities like the harelip, cleft 90 See Klaus Müller, Die Spielarten des Sexuellen. Rosa von Praunheims Film über Magnus Hirschfeld, in: Frankfurter Rundschau 16.3.2000. 91 Quoted from: Rupert Koppold, „Der Einstein des Sex“: Rosa von Praunheim erinnert an Magnus Hirschfeld. Großer Aufklärer mit kleinen Marotten, in: Stuttgarter Zeitung 19.7.2000. See also Caroline M. Buck, Das dritte Geschlecht. Mit Friedel von Wangenheim im Gespräch zu „Der Einstein des Sex“, in: Neues Deutschland 16.3.2000. 92 See „Magnus-Hirschfeld-Woche“ beginnt, in: Die Welt 6.3.2000. 93 http://www.hirschfeld.in-berlin.de/frame.html?http://www.hirschfeld.in-berlin.de/v_mhg.html consulted 08.02.2014. These debates also concerned the assets confiscated by the National Socialists after the closure of the Institute, around 132,000 Marks according to Hirschfeld’s statements. See Ralf Dose, Magnus Hirschfeld. Deutscher – Jude – Weltbürger, Teetz 2005, 32, 90. 94 Müller, Spielarten des Sexuellen. 95 Pfäfflin, Relevanz Hirschfelds, 21f. 96 Martin Dannecker, Magnus Hirschfeld und seine Rolle in der Sexualwissenschaft. Vortrag gehalten anlässlich der Eröffnung der Ausstellung Die Geburt der Sexualwissenschaft am 20.10.1983 in der Universität Hamburg (Typoskript), 7, quoted from: Pfäfflin, Relevanz Hirschfelds, 22. 97 Pfäfflin, Relevanz Hirschfelds, 7. 98 See Hergemöller, Von der „stummen Sünde“, 29. As Herzer says, putting this into perspective, Hirschfeld never directly conducted causal research, but clearly was active as a “propagandist and vulgarizer” of such research. Manfred Herzer, Magnus Hirschfeld. Leben und Werk eines jüdischen, schwulen und sozialistischen Sexologen, Hamburg 2001, 23.

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palate or anaspadias, that is firmly based on genetic-biological basic notions.99 Certainly this causal research rested upon an emancipatory-political impetus that was carried by the argument that something “inborn” eluded free will and therefore could be neither “immoral” or “depraved”, nor should it be prosecuted. Nevertheless, this constitution-biological view led Hirschfeld to suppose, amongst other things, that hormone production in homosexual men’s testes was different from their heterosexual peers’. From 1917, such assumptions resulted in his collaboration with the Viennese physiology professor Eugen Steinach, who on his part tried to “heal” homosexuals by means of testes transplants. 100 With (indirect) co-operation from Hirschfeld, male homosexuals – some of whom were suicidal because of their difference – received transplants of heterosexual men’s testes. It soon became evident, however, that the implanted testicular tissue was not, as expected, accepted by the patients’ bodies and started to produce hormones, but was absorbed or died off. In such cases, it had to be removed surgically. Because of the unilateral or complete castration resulting from this treatment – and not least because of subsequent mental problems – the method was finally dismissed around 1924.101 Secondly, the links to Hirschfeld’s terminus technicus “transvestite” that he coined in 1910 for individuals who enjoy wearing clothes attributed to the other sex102 were problematized. Referring to Herrn, Pfäfflin for example emphasizes the political background of this coinage. Hirschfeld wanted to counter prejudice which despised homosexual men as generally “effeminate” by extracting and separating transvestitism from the spectrum of homosexual concepts. This was aimed at avoiding any danger to the efforts at reforming paragraph 175 and of a division of the homosexuals’ movement.103 Thirdly, and this point probably meets with the most intense rejection today, Hirschfeld was an energetic proponent of eugenic measures for the improvement of “Volksgesundheit” (public health). He repeatedly argued that, though the homosexual himself was neither ill nor degenerate, homosexuality might be a “trick” of nature in order to avoid genetically damaged offspring; and that therefore, marriage and reproduction were unsuitable for homosexuals. Of course this position has to be placed in the context of the eugenics debates of the time, in which Hirschfeld held views also widespread amongst doctors on the political left.104 However, an alternative position would have been possible105, and he also continued to promote eugenics after the

99 See Pfäfflin, Relevanz Hirschfelds, 22. 100 See Hergemöller, Von der „stummen Sünde“, 20–30; Dose, Magnus Hirschfeld, 104f.; Pfäfflin, Relevanz Hirschfelds, 22f. 101 See Dose, Magnus Hirschfeld, 105f. 102 Magnus Hirschfeld, Die Transvestiten: Eine Untersuchung über den erotischen Verkleidungstrieb, mit umfangreichem kasuistischem und historischem Material, Berlin 1910. 103 Pfäfflin, Relevanz Hirschfelds, 23f.; Rainer Herrn, Vom Geschlechtsumwandlungswahn zur Geschlechtsumwandlung, in: Pro Familie Magazin 2/1995, 14–18. 104 See Dose, Magnus Hirschfeld, 109ff. 105 See Christiane Leidinger, Zur Politik der Platzbenennung – Überlegungen für eine Geschichtspolitik und historische Erinnerungskultur als gegenhegemoniale Wissensbildung ent-

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summer of 1933, when National Socialist forced sterilization laws “to prevent progeny with hereditary diseases” were passed, which are known to have formed a preliminary stage for the programme of mass murder of Nazi “euthanasia”.106 Obviously, for a balanced assessment, Hirschfeld’s pioneering scientific achievements need to be considered as well. For example he not only published widely and held numerous public lectures, but also designed a so-called psychoanalytical questionnaire to record data on sexual behaviour patterns – an absolute novelty.107 Another innovation was his concept of “sexual intermediary”.108 It assumes that all human beings can be located along a “biological spectrum”, which, however, can be subdivided in a number of intermediate sexual stages.109 The “intermediate classification” was “the only major effort at a new conception of body construction with a view to emancipation” in the 20th century, as Lindemann put it in 1993.110 This radical challenge to the categories of “masculinity” and “femininity” resurfaced in the “queer movement” of the 1990s, which was rooted in the context of the effects of HIV/AIDS. “Queer” is based in a dissident stance and involves, in its rejection or critical challenge of heteronormative structures, an emancipatory politics that analyses and criticises power relations111 as well as tries to sketch “new political identities”.112 Although it would be ahistorical to attribute such intentions to Hirschfeld, we may still identify a tradition. Hirschfeld also demonstrably encouraged people “to live the way they were”113, and developed a relevant therapy with his “adaptation therapy”, which, however, he hesitated to present or was kept from presenting to the experts. 114 In this therapy the doctor should only clarify whether an organic condition can be diagnosed in the homosexual, and examine his general mental state. If no condition is diag-

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lang von Intersektionalität(-sbewusstsein), Empowerment und Powersharing, in: Invertito. Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten 17/2015 (forthcoming). See Dose, Magnus Hirschfeld, 112. See also Andreas Seeck, „… Dunstkreis der Täter“? Zur kritischen Hirschfeldrezeption, in: Kotowski / Schoeps, Sexualreformer Magnus Hirschfeld, 317–328, esp. 320f. See Erhard Köllner, Homosexualität als anthropologische Herausforderung. Konzeption einer homosexuellen Anthropologie, Bad Heilbronn 2001, 98f., which also offers a list of Hirschfeld’s publications. Magnus Hirschfeld, Sexualpathologie. Ein Lehrbuch für Ärzte und Studierende, vol. 2: Sexuelle Zwischenstufen. Das männliche Weib und der weibliche Mann, Bonn 1918. See Hergemöller, Von der „stummen Sünde“, 28f. Gesa Lindemann, Magnus Hirschfeld, in: Rüdiger Lautmann (ed.), Homosexualität. Handbuch der Theorie- und Forschungsgeschichte, Frankfurt am Main / New York 1993, 91–104, 97f. See Sebastian Scheele, „Schwul leben – heterosexuell lieben“. Metrosexualität als homophobe Modernisierung hegemonialer Männlichkeit, in: Bauer / Hoenes / Woltersdorff, Unbeschreiblich männlich, 213–229, 224. See Annamarie Jagose, Queer Theorie. Eine Einführung, ed. by Corinna Genschel et al., Berlin 2001, 122f. Köllner, Homosexualität, 116. Once, in 1914, “hidden” in his voluminous book “Die Homosexualität des Mannes und des Weibes” (“Male and Female Homosexuality”) and a second time in 1927 at the Congress for Psychotherapy in Bad Nauheim. See Dose, Magnus Hirschfeld, 106f.

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nosed or any condition is exclusively due to the patient’s or his/her surroundings negative disposition towards homosexuality, the doctor should explain that homosexuality is no illness and therefore need not be treated. Of course, Hirschfeld had to adhere to the legal framework and could hardly advocate illegal sexual activity. But at least he was able to give homosexual patients self-esteem and to recommend contact with “similar people” – for example at the WhK or the “Institut für Sexualwissenschaft”. Thus, he was the first person to initiate something similar to “self-help groups”.115 Manfred Herzer, Hirschfeld’s biographer and co-founder of the “Schwules Museum” Berlin, who acted as Rosa von Praunheim’s history consultant for his film116, also emphasizes Hirschfeld’s pioneering work, for example in the field of empirical social studies. In his general assessement of his life and work, however, his opinion is the following: To the extent that this era sank in the tides of history, his era’s description of sexualities became antiquated and obsolete. What is left is maybe only the ethos of the unflinching empirical researcher with his burning love for truth and justice – and that is no mean thing.117

Clearly this is the starting point of von Praunheim’s film. It focuses less on Hirschfeld’s theoretical concepts and models, but concentrates on aesthetically – and with strongly didactic traits – staging his pioneering achievements in sex education and his indefatigable political and social commitment, in particular to the struggle for the removal of discriminations against homosexuals. To this end, von Praunheim strongly foregrounds Hirschfeld’s personality. The fact that research was so far only able to capture Hirschfeld’s “screened-off private sphere” in a “strangely colourless and fragmentary manner”118 allows the film, which is otherwise very true to detail, great scope for its representation, and it makes full use of it. The film starts with Hirschfeld’s childhood and a sequence showing little Magnus at the Baltic coast, painting copulating cows and dogs. We are right at the core of the subject. Immediately, the hand of the state intervenes – the boy is caught by a policeman and brought before his father, a liberal Jewish doctor. The father does not punish him but rather encourages Magnus “in wanting to see the things of this world”. In spite of all resistance, Hirschfeld pursues this life motto through the whole film. Subsequently, three main lines of action structure the film’s chronological narrative, the sequences of which are linked by a voice-over commentary: first Hirschfeld’s political and scientific career shown from his studies to the foundation of the WhK and the “Institut für Sexualwissenschaft” and its looting and destruction by the National Socialists.119 Second Hirschfeld as a pri115 See Dose, Magnus Hirschfeld, 107f.; Köllner, Homosexualität, 116f. 116 See Rosa von Praunheim’s interview with Herzer that is included in the DVD version’s specials. 117 Herzer, Magnus Hirschfeld, 24f. 118 Herzer, Magnus Hirschfeld, 20. 119 See Silvia Hallensleben, Bieder, Mann! Rosa von Praunheims „Der Einstein des Sex“, eine Art Lehrfilm, in: Der Tagesspiegel 16.3.2000. Not without reason, Harald Peters characterises the voice-over commentary as “frumpish”, read “in the tone of a storyteller”. Harald Pe-

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vate individual who cannot admit to his homosexuality for many years because this would mean losing his professional reputation and social status. In addition to a boyhood friendship with his foster brother Richard, who later turns away from Hirschfeld because of the latter’s obsession with sexuality and “perversion”, which is however depicted as homo-erotically tinted, and a cautious allusion to an affair with Hirschfeld’s collaborator at the WhK, Baron von Teschenberg – also lacking historical proof 120 – the film focuses on the two historically proven partners who influenced Hirschfeld’s later life. Karl Giese on the one hand, who approaches him at a lecture in Munich and subsequently saves his life from an assassination attempt. Giese later lived with Hirschfeld at the “Institut für Sexualwissenschaft”; his official role, however, was the institute’s archivist. Besides Giese, Hirschfeld, during his tour of the world in 1931, meets Li Shiu Tong (called Tao Li), a 24-year-old medical student in Shanghai, who accompanies him on his further travels and becomes his companion.121 In the third line of action, finally, the hostilities against the “educator” Hirschfeld as a Jew and a Socialist, but also from the ranks of the early homosexual rights movement, in particular from Adolf Brand, are one of the film’s threads.122 The film ends with the destruction of the “Institut für Sexualwissenschaft”, and only an epilogue offers some information on the main characters’ later fates.123 The detailed depiction of Hirschfeld and his time with numerous historical references that the film draws is explicitly shown to be a construct by von Praunheim’s “familiar style of caricatured and emotional simplification carried to parody and persiflage”124 and thus undermines the “myth of authenticity and immediacy”125 that often pervades period film in particular. Strong signals of irony are also present in the characterization of personalities, when for example Hirschfeld constantly eats chocolate in order to compensate for his sexual drive, or when during the foundation of the WhK, his early affair Baron von Teschenberg (Gerd Lukas Storzer) impishly grinning adds “Homosexualité” to “Liberté, Égalité, Fraternité”.

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ters, Trash wider Willen. Rosa von Praunheim hat seinen ersten Mainstream-Film gedreht. Mit „Der Einstein des Sex“ porträtiert er Magnus Hirschfeld, in: Freitag 17.3.2000. See Rall, Einstein des Sex. See Dose, Magnus Hirschfeld, 84. See Hallensleben, Bieder, Mann!; Manfred Herzer, Das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee, in: Goodbye to Berlin?, 37–47, 47. The film shows Li Shiu Tong with Hirschfeld in exile, but fails to address that in December 1933, Karl Giese also joined Hirschfeld in France via Brno and was deported in late summer 1934. As the film reports, Giese committed suicide in Brno in 1938, while fleeing from the National Socialists. The historic Li Shiu Tong later lived amongst others in Switzerland and in the U.S. Hirschfeld’s wish for his two disciples to inherit his fortune and continue his life’s work with it did not come true. See Dose, Magnus Hirschfeld, 91, 113ff. Müller, Spielarten des Sexuellen. Rolf Aurich, Wirklichkeit ist überall. Zum historischen Quellenwert von Spiel- und Dokumentarfilmen, in: Irmgard Wilharm (ed.), Geschichte in Bildern. Von der Miniatur bis zum Film als historische Quelle, Pfaffenweiler 1995, 112–128, 122.

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Figure 3. Film poster “Der Einstein des Sex” with the younger Hirschfeld (Kai Schumann). Photo: Ventura / Rosa von Praunheim Filmproduktion, image source: Deutsches Filminstitut

The “camp” or “trash elements” typical of von Praunheim126 are present in “Der Einstein des Sex”, though used more sparingly than in other works. A sabre dance of exotically marked sailors that Hirschfeld watches during his first visit to America and which animates him to such an extent that he loses his countenance and, for the first time in the film, kisses a man, or the extremely staged mise-en-scène in which Hirschfeld is shown working as a military doctor during World War I, however, tend in this direction. The resulting portrait of manners thus largely eludes the danger of being completely absorbed in a “sensitive staging of a ‘this is what it was like‘”.127 The camera work of Elfi Mikesch, von Praunheim’s collaborator since the 1960s, sustains these ironic twists with frequent medium shots and

126 See Klaus Kreimeier, Das große hermaphroditische Tableau-Theater, in: Rosa von Praunheim, 7–46. 127 Quellen: Film.

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an aesthetic sometimes evocative of video quality.128 Regarding the camera work, what is also striking are the strongly eroticising representations of young, athletic men’s bodies. The camera’s eye offers them without barriers, but hardly distinguishes or judges in its aesthetic arrangement: Followers of the circle around Adolf Brand, organised as a male society, become passive objects in its gaze as well as young Giese or the National Socialist sports students looting the “Institut für Sexualwissenschaft”. These proffered gazes produce an erotic tension over the whole of the film, but are also disturbing in their omnipresence and the lack of visual commentary.129 Rosa von Praunheim explains: It was like that after all, when you watch Leni Riefenstahl’s films, for example. Young sports students simply are very erotic, they always are young and strong, and that’s always erotic. When you see those crowds, the way they were staged, with bare chests and spades etc., these were extremely erotic moments, the photos as well as the film clips, no question. And this eroticism was consciously used as a means of propaganda (…). Homoeroticism is often used in dictatorships, such as by Stalin in workers’ sculptures and so on. 130

These moments of confusion in “Der Einstein des Sex” are strongly reminiscent of the period films of another “master” of “queer cinema”, with whom von Praunheim shares his painters’ training131, the struggle against HIV/AIDS and his political commitment: Derek Jarman (1942–1994). In particular with “Caravaggio” (UK 1986) and later “Edward II” (UK 1991) and “Wittgenstein” (UK 1993), Jarman staged re-appropriations of history from a gay perspective132 that are markedly different from classic narrative cinema: “they are much more concerned with a flow of imagery, a series of two-dimensional compositions on screen, very much like paintings and collages”.133 One of the disrupting techniques Jarman uses regularly is to intersperse historicizing sets with “modern” implements, such as a telephone in a historical setting (in “Caravaggio”)134, or Tilda Swinton’s designer outfits in “Edward II”, which clash with the period. In spite of these analogies, however, “Der Einstein des Sex” has a much more decidedly didactic turn than Jarman’s period films135, and possibly for this reason it is much more realistic and less experimental than Jarmanian “reclaimings”, in spite of all ruptures. As von Praunheim conceded, “Der Einstein des Sex” is his “most conventional film”. He 128 See Peters, Trash wider Willen. On the collaboration with Mikesch see: Kuzniar, Queer German Cinema, 88f. 129 Zander actually thinks this “denunciatory” and contradictory to the educating impulse of the film. Peter Zander, Dr. Sommers Urahn. Filmbiographie über den Sexualforscher Hirschfeld: „Der Einstein des Sex“, in: Berliner Morgenpost 16.3.2000. 130 Author’s interview with Rosa von Praunheim, 23.6.2009. 131 See Kuzniar, Queer German Cinema, 88. 132 See Arroyo, Film Studies, 79; Michele Aaron, New Queer Cinema: An Introduction, in: idem (ed.), New Queer Cinema. A Critical Reader, Edinburgh 2004, 3–14, 4. 133 Roger Wollen, Introduction, Facets of Derek Jarman, in: Derek Jarman: A Portrait. Artist, Film-maker, Designer, London 1996, 15–31, 15. 134 See Quellen: Film. 135 See James Cary Parker, Et In Arcadia ... Homo. Sexuality and the Gay Sensibility in the Art of Derek Jarman, in: Derek Jarman, 137–152, 137.

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wanted “the historical figure of Magnus Hirschfeld, the father of the gay liberation movement, to be taken seriously and the history of manners of the turn of the century to be credible.”136 In order to bridge the historical distance between the end of the 20th century and Hirschfeld’s era and to allow for an identification with the main character, von Praunheim in some instances “saves” his film’s “hero”137 from the historical person and his theoretical œuvre. Thus Hirschfeld’s – in today’s diction – biologist assumptions are only touched upon, and regarding the Steinach experiments, the cinematic Hirschfeld takes a much less problematic stance than the historical person. Steinach and the experiments are introduced, but Hirschfeld immediately intervenes when, during his first visit to Vienna, Steinach talks of “healing” homosexuality, and says this was probably not the proper word. Soon the voice-over also distances itself from the experiments and retrospectively calls them a mistake. This is historically false, because Hirschfeld never explicitly addressed the contradiction between these experiments and his postulation of an “inborn naturalness” of homosexuality, which was no illness and therefore had no need for healing.138

Figure 4. The older Hirschfeld (Friedel von Wangenheim) with professor Steinach (Otto Sander). Photo: Ventura / Rosa von Praunheim Filmproduktion, image source: Deutsches Filminstitut

136 Quoted from: Gansera, Aus Liebe zum Kitsch. 137 Thus Rosa von Praunheim on Magnus Hirschfeld in the accompanying documentary “Magnus und Rosa” by Tom Abell, which is included in the bonus material on the “absolut MEDIEN” DVD. 138 See Dose, Magnus Hirschfeld, 105f.; Stefan Zweifel, Opus minus über Dr. Magnus. Rosa von Praunheim und „Der Einstein des Sex“, in: Neue Zürcher Zeitung 19.5.2000.

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In a similar procedure, the coinage of the word “transvestite” is ascribed to Baron von Teschenberg.139 Regarding the representation of differences between Hirschfeld and Brand, who rejected Hirschfeld’s publication “Berlins Drittes Geschlecht” in particular, as according to him, it represented a specially “wretched caricature of the love of friends” and a “disgusting and repulsive travesty” 140, the film clearly takes Hirschfeld’s side. Narratively as well as iconographically, it hardly offers alternative identifications. Neither Brand himself (played by Ben Becker) nor his followers – who the film mostly characterizes as young and foolish and playing ball naked – can “hold a candle” to the humanist and “grandfather of the gay liberation movement” in any way, which certainly does not correspond to the historical setting of the “Gemeinschaft der Eigenen”. Also, the initial enthusiasm for World War I that was typical for large parts of the German population is ascribed exclusively to Brand and his followers. That the supporters of the WhK mostly followed official war propaganda and were willing to sacrifice their lives “for the fatherland” and “Germany’s honour” is deliberately overlooked in the film.141 The fact that “Der Einstein des Sex” addresses the first homosexual rights movement and its era from the perspective of the second, and that it aims to highlight their common ground as a political programme is also evident in the casting. Friedel von Wangenheim, who hails from a family of actors whose tradition reaches back to Weimar cinema, plays the older Magnus Hirschfeld.142 Wangenheim’s father Gustav played, amongst others, Thomas Hutterer in Murnau’s “Nosferatu” (1922), and his grandfather Eduard von Winterstein appeared in Josef von Sternberg’s “Der blaue Engel” (“The Blue Angel”, 1930).143 One of the central characters, Dorchen, is portrayed by a “Polit-Tunte” (“political fairy”): “Tima die Göttliche”, alias Timo Lewandovsky. This identity con139 However, in the interview with the author, Rosa von Praunheim points to the fact that Hirschfeld’s strategy of establishing a separate category for transvestites had been proved right: “Later, in transsexuality for example, it was often said about those concerned that they did not feel gay or lesbian, but that they are their own category. There are now so many names and intermediate stages, as Hirschfeld invented them, especially with transgender people. Hirschfeld also says that eighty per cent of transvestites are heterosexual, he does not say this is a gay phenomenon, but that men wearing women’s clothes is mainly a heterosexual phenomenon. Insofar he naturally excluded, not for diplomatic reasons, but he observed a phenomenon in practice.” Author’s interview with Rosa von Praunheim, Berlin, 23.6.2009. 140 Adolf Brand, Afterkultur und Homosexualität, in: Die Gemeinschaft der Eigenen. Flugschrift für Sittenverbesserung und Lebenskunst 3/1906, 29–33, quoted from: Herzer, Adolf Brand, 51. 141 See Herzer, Das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee, 47. Likewise that Hirschfeld, who is portrayed as a pacifist, had published two nationalist brochures based on lectures at the beginning of the war (“Why Do Other Peoples Hate Us?” and “On the Psychology of War”) and only became a member of the pacifist-oriented “Bund Neues Vaterland” when confronted with the horrors of this war. See Dose, Magnus Hirschfeld, 60. 142 Young Hirschfeld is played by Kai Schumann. As von Praunheim ironically notes in one of the interviews in the DVD version specials, he is cast much “prettier” than the young Hirschfeld actually was. 143 See Der Einstein des Sex, in: Kino 2/1998.

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struction, which developed in the context of the radical gay liberation movement since the 1970s, is an alternative concept to the hegemonic model of masculinity and mainly animated and still animates the environment of the “SchwulenZentrum” (SchwuZ).144 Under the impact of the HIV/AIDS crisis from the mid1980s, this movement increasingly tended to “be political using humour and entertainment”, as Rosa von Praunheim puts it.145 The “fairy” is a concept that consciously and strikingly deviates from the heterosexual model of masculinity and challenges it – but, at the same time, it offers a “visible” alternative to the type of the “accommodating gay” that shaped the socially dominant image of the male homosexual in the 1990s German cinema through productions of the “new German romantic comedy”. Blockbusters like Sönke Wortmann’s “Der bewegte Mann” (“The Most Desired Man”, 1994), as part of the “gay boom” in German cinema, were the first to show gay characters to a mass audience who were clearly likeable. However, the price to pay for this integration into majority society was in many cases their “depoliticization” and “taming”.146 In February 1995, explicitly referring to Rosa von Praunheim and these representations of the “gay next door”, the “Süddeutsche Zeitung” even titled “The Fairy is Dead”. 147 The figure of Dorchen in “The Einstein of Sex” aims to demonstrate that it is by no means dead; it is consciously staged as a political counter-model to these representations. In a way, Dorchen functions as a link between the different generations of the German homosexual rights movement. She is introduced to the storyline as an “emergency” Hirschfeld is called to after she has been beaten up. He spots her male genital, which Dorchen has bound up as it prevents her from being a full “woman”. Hirschfeld can soothe her and explains that she has a female soul in a male body, which is completely natural. As Dorchen has also lost her job because of social stigmatization of her sexual ambiguity, Hirschfeld, who is presented as warm and caring, employs her as a housekeeper. Dorchen becomes his faithful companion, the “heart and soul” of the “Institut für Sexualwissenschaft”, and in spite of her illiteracy she advises the “great scientist” in private matters. Hirschfeld’s private problems are addressed in a sequence showing a conversation between her and Hirschfeld in the institute’s kitchen, in which intimacy is created by a prevalence of close-ups. He talks about Giese, who, within the storyline, he has recently met in Munich and who he cannot get out of his mind, not only because he has saved his life by intervening in the assassination attempt. Hirschfeld confesses to Dorchen that in spite of his international success, he is a very lonely man. Dorchen, lovingly addressing him as “Dokterchen”, expresses her belief, which is shared in the presentation of Hirschfeld’s private life in the film: “You 144 See Patrick Hamm (ed.), Die Diva ist ein Mann. Das große Tuntenbuch, Berlin 2007, esp. 100–123. 145 Author’s interview with Rosa von Praunheim, Berlin, 23.6.2009. 146 See in further detail Christoph Treiblmayr, Von „bewegten Männern“ und „queeren GenderUtopien“. Männliche Homosexualitäten im deutschen Kino der 1990er Jahre, in: Bartel et al., Heteronormativität, 85–107, esp. 96ff. 147 Bernd C. Sucher, Die Tunte ist tot. Der schwule Mann im Film der neunziger Jahre, in: Süddeutsche Zeitung 25.2.1995.

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are probably the greatest expert in love in the universe”, she tells him, “but you know as little about love as the edge of this table.” In this sequence, she also confesses her unhappy love to him, but nevertheless advises him to take “little Siegfried” (Giese) to Berlin. Besides some dramaturgic effects which result from petty jealousy between her and Giese, who subsequently moves to Berlin, her “big moment” finally comes towards the end of the film when she confronts the National Socialist sports students who storm the “Institut für Sexualwissenschaft” and are busy beating up Giese in an emotional but identification-prone appearance. Dorchen already had succeeded in flying from the institute, but turns around at the gate, observes the devastation in progress, and decides to take a stand against them as a “Schwuchtel” (“fag”) – as she calls herself confronting the National Socialists. By accusing them of “unmanly” behaviour and cowardice she can even convince the students to leave Giese alone and get them to retreat. This sequence shows very clearly that the issue here is not so much historical accuracy, but bridging the gap between the first and the second homosexual rights movement and their concepts of identity and “coming out”.148 This is also true for the narrative of “coming out” which underlies the presentation of Hirschfeld’s private life and his dealing with his own homosexuality. The film shows Hirschfeld slowly learning to accept and “own up” to his homosexuality after Giese’s arrival in Berlin. Although in his time, Hirschfeld was unable to “openly” live his sexuality, his “teacher-pupil-relationship” with Giese and later with Li Shiu Tong now clearly involves a physical-sexual component as well. At some points in the film, however, it is evident that bridging the gap between the first and the second homosexual rights movement only succeeds to a point, as for example in the presentation of Hirschfeld’s collaboration with the Berlin police. The historical reference is Hirschfeld’s cooperation with Leopold von Meerscheidt-Hüllessem, the director of the “paederast department” of the Berlin police, who joined the WhK at an early stage. His successors continued to collaborate with this institution.149 Cinematically, von Praunheim translates this with Wolfgang Völz, a convincing Berlin police president, by showing Hirschfeld, who is under observation, being taken to this department against his will, and being so to speak blackmailed with his homosexuality and forced to collaborate: “A highly-placed personality wishes blackmailing to be addressed.” Hirschfeld, fearing for his career, accepts and then takes the police president on an expedition into Berlin nightlife, the grand finale of which is a transvestite ball. Soon it becomes apparent that the police president is not quite as disgusted by these colourful goings-on as he first indicated at the start of the sequence. Especially a dance with Baron Teschenberg, transformed into “Empress Elizabeth”, seems to give 148 Thus Adelheid Schulz, Hirschfeld’s housekeeper at the “Institut für Sexualwissenschaft”, also protested fiercely when she saw von Praunheim’s film. She had really been present during the looting of the institute by the National Socialists, but she was the only one. Schulz also thought other events completely misrepresented. See Alexandra Ripa, Hirschfeld privat. Seine Haushälterin erinnert sich, in: Kotowski / Schoeps, Sexualreformer Magnus Hirschfeld, 65– 70, 68. 149 See Köllner, Homosexualität, 112.

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him pleasure. This sequence definitely is one of the most entertaining in the film and constitutes a direct reference to the cinematic transvestite ball at which Körner meets his blackmailer in “Anders als die Andern”. The association is continued in the narrative when Teschenberg is soon afterwards victimized by a blackmailer and has to leave Berlin for Italy, where he – as the voice-over reports – later met his death. It is interesting, however, that there is no clip from “Anders als die Andern” in “Der Einstein des Sex”, and no direct reference to Hirschfeld as a film-maker.150 This is all the more astonishing as the film uses a number of period photographs and film clips from the era, such as images of men who committed suicide for fear of stigmatization as homosexuals, or shots from the Reichstag and the era of World War I. The Depression and the rise of National Socialism are also staged exclusively with footage from the era, while the voice-over provides a counterpoint by commenting the increasing reputation and the success of the “Institut für Sexualwissenschaft”. Also one of the most moving film sequences uses a film quote: Hirschfeld and Li Shiu Tong are in a Paris cinema, watching the “Wochenschau” newsreel about the book-burning and thus having to witness the destruction of Hirschfeld’s life’s work. It is maybe Hirschfeld’s initially forced cooperation with the police, which is later resolved in comedy, that shows a tension inherent to the film as a whole: the fundamental difference between Hirschfeld as a founder of the first and von Praunheim as a focal figure of the second homosexual rights movement in Germany, which can be pinpointed in their relationship to bourgeois society. While Hirschfeld valued and sought bourgeois recognition throughout his life, von Praunheim always staged himself as a “Bürgerschreck” (enfant terrible), which implies a reserved attitude towards state institutions in general and probably towards the German police in particular. When asked about this difference, Rosa von Praunheim responds: Yes, of course, Hirschfeld was not openly gay, could not allow himself to be, and you might actually compare him to Beate Uhse: an educator for the masses. This is what he wanted to be, and he did not write science but popular scientific literature. That’s his great merit, too, that he did not take one case to deduce a whole theory, as Freud did, but studied practices. My roots are more in artistic underground film, using provocation, and the student’s movement. This was a completely different approach.151

Blanking out differences, concentrating on Hirschfeld as a “private individual”, the chronological film narrative, the manner of the voice-over leading through the film – these often led to film critics’ reproaching “Der Einstein des Sex” for being too “harmless” or “accommodating”.152 Of course, “Der Einstein des Sex” does 150 In the interview, von Praunheim attributed this to pragmatic reasons, as in a “rich life with so many aspects, so many publications and so many working areas” such as Hirschfeld’s one simply had to choose. Author’s interview with Rosa von Praunheim, Berlin, 23.6.2009. He does, however, comment on Hirschfeld as a film-maker in Tom Abell’s accompanying documentary “Magnus und Rosa” on the DVD. 151 Author’s interview with Rosa von Praunheim, 23.6.2009. 152 See for example Zweifel, Opus minus über Dr. Magnus; Derek Elley, The Einstein of Sex, in: Variety 23.–29.08.1999.

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not challenge established concepts of “normality” as radically or as provocatively as “Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt” or “Die Aids-Trilogie”. However, it seems reductive to judge the film only along those lines. Even though the “educational” character of the film has led to more conventional narrative modes – and its reaching a total of 12,490 cinema-goers153 – the film nevertheless succeeds in drawing a multi-layered historical portrait that is rich in detail and takes Hirschfeld as well as his times into the cinematic framework of experience of the late 20th century. Thus “The Einstein of Sex” puts forward two essential political statements: It contributes to the historical appraisal of National Socialism and to “overcoming” the National Socialists policies of extinction. And it proposes an emphasis in contrast to the cinematic experience of “gay visibility” in the 1990s. Towards the end of the 20th century, the film showed the refractory and crusading mind of a man and a “consciousness” for the “history of one’s own history”154 at a time when, in large parts of the gay liberation movement in Germany, fears about a de-politicization became more and more prevalent. III. Conclusion The efforts of activists like Rosa von Praunheim to reinsert Magnus Hirschfeld in the collective consciousness of the German public were successful. After a pertinent resolution of the German Bundestag in 2000 and an intensive process of discussions, the aim of establishing a Hirschfeld foundation was finally realized in 2011. The “Bundesstiftung Magnus Hirschfeld” (“Federal Magnus Hirschfeld Foundation”) is active in the three fields of research, education and memory, and aims to counter social discrimination of lesbian, gay, bisexual, transsexual, transand intragender, and queer people in Germany. It was endowed with initial assets of ten million Euros and is managed by an executive board and a board of trustees as well as an advisory committee, which is to ensure its broad public base.155 The establishment of the foundation in honourable memory of the sexologist and its being embedded in the midst of German society are additional proof that the structural logic of exclusion has softened at the end of the 20th century. The present contribution has argued that this social process of transformation is not least due to a decline of the hegemonic model of masculinity towards the 153 Information by SPIO – Spitzenorganisation der deutschen Filmwirtschaft, message to the author, 19.9.2008. 154 Marita Keilson-Lauritz, Die Geschichte der eigenen Geschichte. Literatur und Literaturkritik in den Anfängen der Schwulenbewegung, Berlin 1997. 155 See Gegen Diskriminierung. Bundesstiftung Magnus Hirschfeld nimmt Arbeit auf, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 11.11.2011; Website of the “Bundesstiftung Magnus Hirschfeld”: http://mh-stiftung.de/ueber-die-stiftung, consulted 19.12.2015. The foundation’s website not only offers a comprehensive documentation of the press coverage, but also information on its numerous projects and co-operations, e. g. with the already-mentioned “Magnus-HirschfeldGesellschaft” or, since 2013, with the Institut für Zeitgeschichte München-Berlin.

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end of the 20th century. In order to explore the increased visibility of homosexual concepts of identity, we have traced a historical development reaching from the establishment of the hegemonic model of masculinity since the Enlightenment and its consolidation in the 19th century, which is closely connected to militarism and nationalism, across two World Wars to its partial erosion at the end of the 20th century. What has become apparent was, on the one hand, that the successful emancipation efforts of homosexuals would not have been possible without a “crisis of masculinity” that was decisively provoked by the women’s movements. Homosexuals were thus simultaneously agents and “war profiteers in the battle of the sexes”.156 On the other hand, the “macro-historical effect”157 of individual militants of the homosexual rights movement and their films was shown. Without a doubt, Rosa von Praunheim is one of these outstanding individuals. With ironic undertones, his film “Der Einstein des Sex” creates a link between Magnus Hirschfeld and von Praunheim himself, and thus between one hundred years of history of the movement and of eighty years of cinematic history. Against the backdrop of thirty years of explicit gay identity politics, “Der Einstein des Sex” offers an “inventory” of homosexual concepts of identity over nearly a century, and thus also points towards their situation and context-specific dimensions. In 1919, “Anders als die Andern” had brought the beginnings of a “positive” view of homosexuality to the German cinema. The next milestone only came in 1971 with “Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt”. While this film still primarily visualizes the blank spaces of “modern” constructions of homosexuality at the beginning of a new phase of homosexual emancipation efforts, “Der Einstein des Sex” makes up the balance of the following developments over 30 years. One may criticise its accepting the ahistorical and simplistic narrative of “one hundred years of gay liberation movement” in accordance with its political agenda. By speaking of “100 years of gay liberation movement”, according to Pretzel and Weiß, the latter becomes “a collective imaginary of same-sex loving men” that seemed to form simply because gay desire per se was opposed to patriarchy and constituted a provocation. They propose to “name differences in historical comparison” and to identify historically correct content or demands and forms of organization and action of protest that have in a particular stage constituted something like a movement and that transcend the contexts of a “gay community”.158

156 Bochow, AIDS, 146. 157 Wolfgang Schmale, Grund- und Menschenrechte in Vormodernen und Modernen Gesellschaften Europas, in: idem / Margarete Grandner / Michael Weinzierl (eds.), Grund- und Menschenrechte. Historische Perspektiven – aktuelle Problematiken, Wien / München 2002, 29–76, 31. 158 Andreas Pretzel / Volker Weiß, Die westdeutsche Schwulenbewegung der 1970er Jahre. Annäherungen an ein legendäres Jahrzehnt, in: idem (eds.), Rosa Radikale. Die Schwulenbewegung der 1970er Jahre. Geschichte der Homosexuellen in Deutschland nach 1945, vol. 2, Hamburg 2012, 9–26, 21.

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In the case of Magnus Hirschfeld, this clearly also means addressing “unpleasant” aspects like his eugenic positions. In particular with respect to a critically reflected LGBTI culture of memory that is often invoked in current debates, this raises the question, following Leidinger, of how we can deal with “biographic Janusfacedness”. From an emancipation-motivated perspective, she proposes to adopt both the positive and the negative orientations of the homosexual rights movement, and to develop a “memory of conflict”. Transparent differences can open history to new adaptations and put the knowledge of past battles to use for an alternative perception of present conflicts. Regarding the representation of Hirschfeld’s conflict with Adolf Brand, or the issue of eugenics, “Der Einstein des Sex” appears to be a wasted opportunity.159 At the same time, its implicit protest against the depoliticization and commercialisation of the gay community in neoliberalism and its appeal to remember the principles and goals of the 1970s gay and lesbian liberation movement are more pertinent than ever. It would therefore be a fallacy to contend that there was no discrimination of homosexuals in German society today (varying according to gender, “race”, class, age etc.), or of other individuals who do not conform to the “hetero-normative matrix”, or as though gender democracy in the sense of a non-hierarchic recognition of difference160 already was a reality. This is all the more true for the global situation. Achievements in many countries may not hide the fact that currently, homophobic criminal legislation is still in place in more than seventy states across the world, and that a conviction may in the worst case carry the death penalty in states like Iran, Yemen, Sudan, Mauretania, Saudi Arabia and in parts of Somalia and Nigeria.161 In particular on the global scale, the LGBTI movement is still facing a long struggle. As we hope to have shown, the cinema can be an important ally in this struggle. The “last word” shall therefore be left to a cinematic quotation: Magnus Hirschfeld’s closing words of his lecture in “Anders als die Andern”, which is met with frenetic applause: “May in this field, too, justice soon prevail over injustice, science over superstition, human love over the hatred of men!” Dr. Christopher Treiblmayr, Wien

159 Leidinger, Politik der Platzbenennung. I would like to thank Christiane Leidinger for the critical discussion of the film. 160 See Andrea Maihofer, Geschlecht als Existenzweise. Macht, Moral, Recht und Geschlechterdifferenz, Frankfurt am Main 1995. 161 See the website of the “Hirschfeld-Eddy-Stiftung”, which was founded in 2007 on the initiative of the “German Association of Gays and Lesbians”, named after Hirschfeld and the lesbian human rights activist Fannyann Eddy. The foundation globally advocates for LGBTI rights. http://www.hirschfeld-eddy-stiftung.de, consulted 04.01.2016.

MARITIME MACHTVERSCHIEBUNGEN IM MITTELMEER VOM ERSTEN WELTKRIEG BIS HEUTE Udo Sonnenberger Abstract: Der Beitrag untersucht die Fragestellung welche Seemächte das Mittelmeer seit Beginn des 20. Jahrhunderts beherrschten und aufgrund welcher Faktoren Machtverschiebungen stattfanden. Ausgehend von der Seemachtslehre Alfred Thayer Mahans wird hinterfragt inwiefern die von ihm postulierten Paradigmata überhaupt auf die besonderen geographischen Gegebenheiten des Mittelmeeres Anwendung finden können. Es wird zudem analysiert wie es insbesondere zunächst der britischen und später der amerikanischen Marine gelang in Friedenszeiten, während der Weltkriege und im Zuge der Ost-West-Konfrontation eine beherrschende Stellung in der Region einzunehmen. Anhand der waffentechnischen Weiterentwicklungen der U-Boote, Torpedos und Seeminen wird aufgezeigt, wie durch Innovationen die beherrschende Stellung einer Marine insbesondere in einem Randmeer, gefährdet werden kann. Abschließend werden die sicherheitspolitischen und militärischen Herausforderungen des beginnenden 21. Jahrhunderts in diesen Kontext eingeordnet.

1. Einleitung Der damals amtierende Außenminister Fischer postulierte auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2004, dass „es für unsere gemeinsame Sicherheit von strategischer Bedeutung sein [wird], ob das Mittelmeer im 21. Jahrhundert zu einem Raum der Kooperation oder der Konfrontation wird.“1 Die Entwicklungen der letzten Jahre und Monate sind ambivalent. Einerseits gibt es zahlreiche Kooperationsversuche insbesondere unter Federführung der Europäischen Union, andererseits hat sich der „Arabische Frühling“ in vielen Staaten an der südlichen Mittelmeerküste als Euphemismus von tragischer Dimension gezeigt. Auch aktuell ist keine Beendigung des Syrienkrieges, des gesamten latenten Nahostkonflikts und den krisenhaften Entwicklungen in vielen Staaten Nordafrikas zu erkennen. Mittelbar ist ganz Europa durch zunehmende Flüchtlingsströme betroffen. Die Historisch-Taktische Tagung der Marine 2014 stand unter dem Generalthema: „100 Jahre „Weltenbrand“ – Die Gegenwärtigkeit des Ersten Weltkrieges“. Für das kollektive Gedächtnis der Deutschen ist der damalige Kriegsschauplatz Mittelmeer allenfalls ein Randthema. „Gegenwärtigkeit“ bemisst sich aber nicht an der „Allgegenwärtigkeit“ für eine mehr oder weniger informierte Öffent1

Joschka Fischer, Den Frieden gemeinsam gewinnen, Rede anlässlich der Münchener Sicherheitskonferenz 2004, zitiert bei ZEIT Online: http://www.zeit.de/reden/deutsche_aussenpoli tik/200407_fischer_muenchen/seite-6, aufgerufen 08.03.2016.

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lichkeit: Eine englische Tageszeitung sprach metaphorisch bereits im Jahre 1912 vom Mittelmeer als „Hauptschlagader“. Ein Vergleich der bis heute Gültigkeit besitzt. 2. Das Mittelmeer: Geographie und Strategie Keine andere Region der Welt kann für sich in Anspruch nehmen, ähnlich oft an vorderster Front großer historischer Konflikte gestanden zu haben. Einst als Zentrum der gesamten bekannten Welt wahrgenommen und dementsprechend umkämpft, während der Entdeckung der „neuen Welt“ für einen Wimpernschlag aus dem Fokus gerückt, war es im 16. Jahrhundert Schauplatz einer Auseinandersetzung des osmanischen mit dem habsburgischen Reiches und dessen Verbündeten. Bekämpften sich in diesem Konflikt Islam und Christentum, fochten im Zeitalter der Reformation die progressiven nordeuropäischen Mächte gegen den eher reaktionären Süden. Während der folgenden zwei Jahrhunderte bestimmte dann der Aufstieg der nordeuropäischen Reiche auf Kosten Südeuropas auch die gesamte Mittelmeerregion. Spätestens als die europäischen Mächte sich im 19. und frühen 20. Jahrhundert aufschwangen, große Teile des osmanischen Herrschaftsbereiches unter ihre Kontrolle zu bringen, lag das Mittelmeer erneut im Blickpunkt der Weltgeschichte. Nicht nur der südliche und östliche Teil des Mittelmeeres fielen damit unter europäische Kontrolle, auch entwickelte sich Großbritannien zum maritimen Hegemon in der Region und versuchte einerseits seine Interessen als imperialistische Macht durchzusetzen, andererseits aber aus dieser Position auch Einfluss auf die übrigen europäischen Mächte auszuüben. Doch welche Entwicklung vollzog sich im Zeitraum der beiden Weltkriege, in denen Großbritannien ja jeweils auf der Seite der Sieger stand und den Seekrieg im Mittelmeer maßgeblich zum Schutz seiner Seeverbindungen in die östlichen Teile des Empire ausfocht?2 Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es nämlich nicht mehr die Briten als raumfremde, aber dominierende Seemacht im Mittelmeer, sondern die NATO, insbesondere die Sechste Flotte der US-Navy. Sie schützte die metaphorisch als „weicher Unterbauch“ bezeichnete Südflanke des Bündnisses. Sowohl die NATO als auch später die russische Flotte nutzten es als Manövergebiet und um maritime Präsenz zu zeigen. Mehrfach standen sich während regionaler Konflikte die Verbände „Aug‘ in Aug‘“ gegenüber, ohne dass es zur „heißen“ Eskalation zwischen Ost und West kam. Die bis heute nachwirkenden Konfliktfelder der Dekolonialisierung wiederum sehen das Mittelmeer in der Mitte eines Nord-Süd-Konfliktes. Auch die asymmetrischen Bedrohungen und Herausforderungen des beginnenden 21. Jahrhunderts, die sich einer klaren geographischen Verortung häufig entziehen, haben zweifellos das Mittelmeer als einen zentralen Schauplatz. Folgt man gar Samuel Hunting-

2

Dominic Fenech, The Mediterranean Region during the Cold War and after, in: John B. Hattendorf (Hg.), Naval Strategy and Policy in the Mediterranean, London 2000, 226–240, 226.

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tons Theorie des „Clash of Civilizations“, stünde die gesamte Region unter dem Einfluss eines kulturellen Antagonismus zwischen Islam und Christentum.3 Wenn in aktuellen Veröffentlichungen in Bezug auf das Mittelmeer „neudeutsch“ von den Sealines of Communication und Choke Points die Rede ist, handelt es sich um „alten Wein in neuen Schläuchen“. An den geographischen Verhältnissen und der Abhängigkeit von störungsfrei verlaufender Handelsschifffahrt hat sich in den vergangenen 100 Jahren wenig verändert. „Gegenwärtigkeit“ bezieht sich also darauf, Parallelen zu ziehen und geostrategische Verwerfungen und Konfliktlinien nachzuzeichnen, die trotz teilweise wechselnder Akteure bis heute Gültigkeit besitzen. Es ist darzustellen, wer in bestimmten Phasen seit dem Ersten Weltkrieg einen maritimen Machtfaktor im Mittelmeer bildete und diese Position aus unterschiedlichen Gründen auch wieder verlor. Aussagen zu strategischen Gesamtentwicklungen fordern eine olympische Perspektive, auf Einzelereignisse wird im Folgenden nur eingegangen, wenn sie exemplarisch für die Gesamtlage sind oder Zäsuren darstellen. Welcher Staat, welches militärische Bündnis war in der Lage, Seemacht und womöglich Seeherrschaft im Mittelmeer auszuüben? Seeherrschaft ist in der „klassischen“ Seekriegstheorie der Machtzustand, in dem eine Kriegspartei die Kontrolle über die Seewege in einem Gebiet ausübt. Objekt dieser Herrschaft ist ausdrücklich nicht der Seeraum an sich, sondern die Schifffahrt. „Seeherrschaft schützt eigenen, unterbindet feindlichen Seeverkehr im beherrschten Meer“.4 Diese Unterbindung führt im Extremfall zur wirtschaftlichen Erdrosselung des Gegners. Darüber hinaus können Seestreitkräfte auch militärische Macht an Küsten und mittlerweile auch weit darüber hinaus zum Tragen bringen. Das Instrument zur Erlangung von Seeherrschaft ist Seemacht. Admiral Wegener fasste es prägnant in einer Formel zusammen: Seemacht ist das Produkt aus Flotte und seestrategischer Position. Ist einer der Faktoren null, ist keinerlei Seemacht vorhanden.5 Es handelt sich dabei natürlich nicht um eine exakte Operationalisierung im Sinne eines Zahlenwertes.6 Einer der Väter der klassischen Seekriegslehre, Alfred Thayer Mahan, unterschlug zunächst wie auch andere Zeitgenossen den Faktor der seestrategischen Position und setzte Seemacht mit Flottenstärke gleich. Die deutsche Hochseeflotte in der Nordsee im Ersten Weltkrieg ist ein Beispiel für diese Fehleinschätzung.7 In Bezug, insbesondere auf das Mittelmeer ist auch hervorzuheben, dass innerhalb eines Bündnisses einige Partner seestrategische Positionen und andere wiederum ihre Flotte einsetzen, um gemeinsam Seemacht zu generieren. 3 4

5 6 7

Samuel Huntington, Der Kampf der Kulturen: Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München 1996. Edward Wegener, Die Rolle der Seemacht in unserer Zeit, in: Elmer B. Potter / Chester W. Nimitz / Jürgen Rohwer (Hgg.), Seemacht – Von der Antike bis zur Gegenwart, Herrsching 1986, 1084–1097, 1085. Wegener, Seemacht, 1086. Jörg Duppler, Seemacht, Seestrategie, Seeherrschaft, in: Jörg Duppler (Hg.), Seemacht und Seestrategie im 19. und 20. Jahrhundert, Hamburg 1999, 13–19, 19. Wegener, Seemacht, 1086.

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Der heute nicht mehr zeitgemäß erscheinende Begriff des Kreuzerkrieges bedarf ebenfalls einer Erläuterung: Wenn es an einem der eben genannten Faktoren für Seemacht fehlt, besteht für eine kriegführende Partei die Möglichkeit, durch punktuelle Angriffe auf Transportschiffe den Gegner zu schwächen und Kräfte in Seeräumen zu binden. Diese ursprünglich im Wesentlichen durch Kreuzer und Hilfskreuzer getragene Kampfführung hat bereits in den Weltkriegen eine wesentliche Veränderung erfahren: Das U-Boot trat in dieser speziellen Rolle mehr und mehr an die Stelle von Überwassereinheiten. Dabei hat der Kreuzerkrieg ein entscheidendes Defizit: Er kann Seewege für eigenen Verkehr nicht öffnen, sondern nur die des Gegners unterbinden. Am Beginn des 21. Jahrhunderts mit seinen asymmetrischen Bedrohungsszenarien sei eine Parallele insbesondere in Bezug auf das Mittelmeer zu vergegenwärtigen: Hinsichtlich seiner Konsequenzen – eine moralische und völkerrechtliche Differenzierung ist obgleich angebracht – unterscheidet sich der Kreuzerkrieg nicht wesentlich von maritimen Terrorakten gegen Schiffe, beispielsweise mit dem Ziel, diese in einer Meerenge gezielt zu versenken. Mehr noch: Es bedarf heute womöglich viel kleinerer Angriffe auf unsere komplexen und globalisierten Warenströme, um einen spürbaren Effekt zu erzielen, als dies früher der Fall war. Eine Prämisse blieb bisher unerwähnt: Die Termini „Seeherrschaft“, „Seemacht“ wie auch der „Kreuzerkrieg“ werden ausschließlich für den Kriegszustand verwendet. Zu Recht kann in Bezug auf das Mittelmeer angemerkt werden, dass in den vergangenen 100 Jahren zwei Weltkriege ausgetragen wurden, die zusammen einen Zeitraum von rund 9 Jahren umfassten. Zählt man die Auseinandersetzungen nach 1945 insbesondere im östlichen Mittelmeer hinzu, erhöht sich diese Spanne nur geringfügig, da es sich um kurze Kriege handelte, in denen der Seekrieg allenfalls eine Randerscheinung war. Auch wenn das Mittelmeer bis heute eine Region zahlreicher Konflikte ist: Es herrschte meistens ein Zustand des Nicht-Krieges, also eine Situation, in der aufgrund des fehlenden Spielraums für offenen Krieg die Machtkonflikte innerhalb eines formellen Friedenszustandes ausgetragen werden. Ohne Zweifel dennoch Momente höchster weltpolitischer Anspannung. Die Ost-West-Konfrontation ist dafür das prägnanteste Beispiel. Aber auch hier sei die herrschende Bedrohungslage zu vergegenwärtigen: Eine wesentliche Herausforderung besteht eben auch derzeit darin, dass wir uns im Zustand des Nicht-Krieges dieser Angriffe erwehren müssen. Für maritime Macht im Frieden oder Zustand des Nicht-Krieges ist damit die Präsenz von Seestreitkräften zur Demonstration von politischer und militärischer Macht und Entschlossenheit maßgeblich. Diese Begriffsklärungen gewinnen eine strategische Relevanz erst dadurch, dass man sie in Verbindung mit den geographischen Gegebenheiten setzt: Die lateinische Bezeichnung mediterraneus, – inmitten von Land –, ist hinsichtlich einer geographischen Beschreibung so trivial wie treffend. Auf natürlichem Wege war das Mittelmeer zunächst nur über die rund 14 Kilometer breite Straße von Gibraltar mit einem der Weltmeere verbunden. Eine weitere Verbindung besteht zum Schwarzen Meer über die Dardanellen, das Marmara-Meer und den Bosporus

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sowie seit 1869 durch den Suezkanal zum Roten Meer. Erst mit dem Bau des Suezkanals wurden die Voraussetzungen für die heutige Bedeutung als Seeverkehrsroute globaler Bedeutung geschaffen. Wohl keine andere künstliche Wasserstraße hat die geostrategische Bedeutung einer Region so nachhaltig verändert hat, wie der Bau dieses Kanals. Neben den direkten Anrainern war Großbritannien seit dem 18. Jahrhundert die bestimmende Seemacht. Dem Empire wurde Gibraltar, das „Eingangstor zum Mittelmeer“, im Vertrag von Utrecht 1713 zugesprochen, seit 1830 ist es eine britische Kolonie. Die Schlüsselstellung war neben dem Stützpunkt Malta und der bis 1956 andauernden Kontrolle über den Suezkanal sowie einer starken Mittelmeerflotte der wesentliche Faktor für die Vormachtstellung der Briten. Ein weiterer externer Akteur war Russland, das zwar seinen Fokus als Landmacht nicht in maritimer Rüstung sah, aber stets nach dem warmen Wasser, also einem eisfreien Hafen mit Zugang zu den Weltmeeren, strebte. 3. Die Machtverschiebungen im Mittelmeer seit 1914 3.1 Der Erste Weltkrieg 1914-1918 Der englische Marinehistoriker Michael Simpson umschrieb die Bedeutung des Mittelmeeres für das britische Empire metaphorisch als: „Superhighway to the World Wide Web“. Er prophezeite damit nicht etwa die Entwicklungen des Internetzeitalters, sondern stellte pointiert die Wichtigkeit des schnellen Seeweges in die Kolonien durch das Mittelmeer und den Suezkanal heraus. Trotzdem sah sich Großbritannien am Beginn des 20. Jahrhundert mit der Notwendigkeit einer tiefgreifenden Entscheidung konfrontiert: Unbestritten war das gesamte Mittelmeer eine hoch priorisierte geostrategische Region. Verstärkt wurde dies noch dadurch, dass nicht nur der Seeweg durch das Mittelmeer von großer wirtschaftlicher Bedeutung war. Mit der steigenden Ölförderung im Nahen Osten rückte auch die Küstenregion um das östliche Mittelmeer an sich in den Fokus. Gleichzeitig musste sich aber die Royal Navy mit dem Deutschen Kaiserreich und seiner aufstrebenden Marine auseinandersetzen. Mit dem Tirpitzschen Zweiten Flottengesetz 1900 begann der Rüstungswettlauf zur See, und die noch zum Ausgang des 19. Jahrhunderts gepflegte „Juniorpartnerschaft“ endete.8 Großbritannien musste nun dafür Sorge tragen, dass ausreichend defensive Kapazitäten für die Home Fleet vorhanden waren. Wie auch heute galt es, angesichts knapper Haushaltsmittel zu priorisieren: Trotz der Erkenntnis, dass das Mittelmeer eine angemessene Risikovorsorge verdient hätte, wurde die maritime Schlagkraft mit dem beginnenden 20. Jahrhundert immer weiter reduziert. Während sich 1902 noch 14 Schlachtschiffe vor Ort befanden, waren es zwischen 1907 und 1912 8

Rüdiger Schiel, Die Beziehungen zwischen der deutschen kaiserlichen Marine und der österreich-ungarischen k.u.k. Kriegsmarine 1871–1914, München 2007, 70.

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noch sechs Schiffe, die auf Malta stationiert waren. Weitere sechs befanden sich in Gibraltar, zählten aber offiziell zur Atlantikflotte. Unter Winston Churchill, der von 1911 bis 1915 als Erster Lord der Admiralität diente, fand eine weitere Verschiebung statt. Zusätzliche Einheiten wurden aus dem Mittelmeer abgezogen und nach Gibraltar verlegt. Im Falle eines Krieges sollten sie ohne Verzug in die Heimat zurückkehren. Die im Mittelmeer verbleibenden schweren Einheiten wurden so durch kleinere verstärkt, dass der sogenannte one-power-standard erreicht werden sollte: Die eigenen Kräfte sollten ausreichen, zumindest gegen jede andere einzeln agierende Seemacht auf dem Kriegsschauplatz zu bestehen. Man plante gemeinsam mit Frankreich, seit 1904 durch die Entente cordiale ein Verbündeter, den Marinen Italiens und Österreich-Ungarns auch dann überlegen zu sein, wenn diese Seite an Seite kämpfen sollten, was angesichts ihrer Mitgliedschaft im Dreibund zunächst anzunehmen war. In einer Vereinbarung aus dem August 1914 hatten England und Frankreich hinsichtlich der Dislozierung ihrer Seestreitkräfte eine Aufteilung vorgenommen: Die Briten sollten ihren Schwerpunkt auf den Atlantik, die Franzosen auf das Mittelmeer setzen. Für die Franzosen war die Konzentration unabhängig von den Abmachungen mit Großbritannien von vitalem Interesse. Sie beäugten einerseits argwöhnisch den Bau moderner Dreadnoughts durch Italien und ÖsterreichUngarn, andererseits war ein sicherer Seeweg in die nordafrikanischen Kolonien entscheidend, um bei Kriegsausbruch Nachschub und Truppen in das französische Mutterland verlegen zu können. Zusätzlich war diese Priorisierung auf nur einen Kriegsschauplatz ohnehin angesichts politischer und strategischer Fehlentscheidungen geboten, die dazu führten, dass Frankreich bereits 1905 als zweitstärkste Marine durch das Deutsche Reich abgelöst wurde. Erst ab 1912, als ein ambitioniertes Bauprogramm aufgelegt wurde, wuchs die Schlagkraft der französischen Marine wieder allmählich auf, auch wenn bis Kriegsausbruch noch längst nicht die geplante Anzahl an neuen Schiffen in Dienst gestellt war. Die Deutschen wiederum banden nicht nur britische Seestreitkräfte in den Heimatgewässern, sie streckten ihre diplomatischen Fühler auch in Richtung des Balkans und der Türkei aus und bildeten zudem im Zuge der Balkankriege seit 1912 mit dem Schlachtkreuzer Goeben und dem leichten Kreuzer Breslau die Mittelmeerdivision. Zwei Schiffe, die im Verlauf des Krieges eine Rolle von strategischer Dimension einnehmen würden. Die k.u.k. Marine hatte sich mit Beginn des Jahrhunderts von einer reinen Küstenverteidigungsmarine zu einer ernstzunehmenden Flotte entwickelt, die zwischenzeitlich sogar eine größere Anzahl moderner Einheiten als die Italiener besaß. Sie konnte allerdings für sich alleine genommen, weder die britischen Einheiten auf Malta noch die Frankreichs gefährden. Auch ihre seestrategische Position in der Adria sollte sich im Verlauf des Krieges als sehr nachteilig erweisen. Italien sollte sich am Vorabend des Ersten Weltkrieges als Zünglein an der Waage herausstellen. Die Überlegungen Großbritanniens und Frankreichs gingen davon aus, dass Italien als Mitglied des Dreibundes an der Seite des Deutschen Reiches und Österreich-Ungarns in den Krieg ziehen würde. Auf Seiten der Mit-

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telmächte versuchte man auf Drängen Deutschlands die Marinen des Dreibundes für den Kriegsfall besser zu koordinieren. Die am 1. November 1913 abgeschlossene Marinekonvention, wurde durch die italienische Neutralitätserklärung jedoch obsolet.9 Die Gesamtlage im Sommer 1914 lässt sich wie folgt zusammenfassen: Großbritannien hatte seinen Schwerpunkt zwangsläufig auf die Kriegsführung in den Heimatgewässern verlagert. Da ungewiss war, auf welche Seite sich Italien bei Eröffnung der Feindseligkeiten schlagen würde, hatten die Briten nur die Franzosen als Verbündete, um ihre strategisch wichtige Ost-West-Verbindung in die Kolonien zu schützen. Die Franzosen ihrerseits befanden sich 1914 noch in einer Phase der Reorganisation ihrer Kräfte und hatten neben der Unterstützung der Royal Navy sicherzustellen, dass der Nachschub aus Nordafrika ungehindert anlief. Es war durchaus ungewiss, ob dieses Bündnis einer vereinten italienischen und österreichisch-ungarischen Flotte würde standhalten können. Letztlich verhielt sich Italien bei Kriegsausbruch neutral, die Kräftebalance schlug zu Gunsten der Entente aus. Dennoch: Die global führende Seemacht Großbritannien war weit davon entfernt, diese dominierende Stellung auch weiterhin im Mittelmeer wahrzunehmen. Den Beginn des Ersten Weltkrieges beschreibt der amerikanische Marinehistoriker Paul Halpern bezogen auf das Mittelmeer als eine „Antiklimax“:10 Es kam nicht zur erwarteten großen Seeschlacht zwischen den hochgerüsteten Mittelmeermächten. Den Auftakt bildete vielmehr die Flucht der Goeben und Breslau aus der Adria zunächst vor die Küste Algeriens. Mit einem Küstenbeschuss durch beide Schiffe begann der Erste Weltkrieg im Mittelmeer. Zu großen Kampfhandlungen wie in der Nordsee kam es im gesamten Kriegsverlauf nicht. Die Kräftedisparität, nachdem sich Italien zunächst neutral verhalten hatte und schließlich die Entente verstärkte, war so erheblich, dass sich die Mittelmächte darauf beschränken mussten, Handelskrieg gegen die alliierten Nachschubrouten zu führen. Die k.u.k. Marine verkam gänzlich zur „fleet in being”, eingeschlossen in der Adria, durch italienische, französische und englische Einheiten bewacht. Mehrfach unternahmen die Österreicher Vorstöße, die Seesperre zu durchbrechen, ein Versuch mündete in der Seeschlacht von Otranto, die für die k.u.k.-Marine zwar siegreich endete, aber keine strategischen Auswirkungen hatte. Aus der Retrospektive verdient ein damals revolutionäres Seekriegsmittel Beachtung: der U-Bootkrieg, der ab Frühjahr 1915 durch vornehmlich deutsche und einige wenige k.u.k.-Einheiten geführt wurde, stellte die Entente vor große Schwierigkeiten und störte den Nachschub erheblich. Für die deutschen und österreichischen U-Boote stellte die Blockade der Meerenge von Otranto kein großes Hindernis dar.

9 Schiel, Beziehungen Kaiserliche Marine und k.u.k. Marine, 70. 10 Paul G. Halpern, A Naval History of World War I, Annapolis 1994, 51.

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Die Briten verloren zeitweise ihre Route durch das Mittelmeer, spätestens mit erneuter Erklärung des uneingeschränkten U-Bootkrieges im Februar 1917, und mussten den langen Seeweg um Südafrika in Kauf nehmen. Die Versenkungen, insbesondere bei Nachschubkonvois, stiegen im Verlauf des Jahres 1916 stetig an und verharrten bis Ende 1917 auf hohem Niveau. Die U-Boote erwiesen sich als wirksame Waffe für den Kreuzer- oder Handelskrieg und störten massiv den gegnerischen Seeverkehr durch das Mittelmeer. Welche Gegenmaßnahmen ergriffen die Entente-Mächte? Zunächst rieben sich Italiener und Franzosen in zahlreichen politischen Konflikten und aufgrund fehlender Koordinierung ihrer Maßnahmen untereinander auf, anstatt gemeinsame Anstrengungen gegen die U-Boot-Bedrohung zu unternehmen. Erst im Herbst 1917 wurden mit Einführung von Konvois und Eskortierungen wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen. Zwar kam es dennoch fortlaufend zu hohen Verlusten, der langfristige Trend war aber rückläufig. Weiter band die Sperrung der Straße von Otranto große Kapazitäten. Der materielle Beitrag der Amerikaner, die am 6. April 1917 Deutschland den Krieg erklärten, war im Mittelmeer nicht ausschlaggebend. Sie waren es aber, die mit einer Gruppe jüngerer Offiziere aus der Admiralität das Konvoisystem entwickelten und im Gegensatz zu den Briten die Schiffsverluste akribisch erfassten und kategorisierten, um geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Sie fanden so heraus, dass der Schutz für Geleitzüge nicht etwa durch Seepatrouillen, sondern durch direkte Eskortierung verbessert werden konnte und bestätigten dabei das bereits genannte Credo, dass das Objekt des Seekriegs nicht der Seeraum, sondern die Handelsschiffe sind.11 Ein wesentliches Ziel erreichten die Mittelmächte und begünstigten damit den Sieg im Osten gegen Russland. Die Goeben und Breslau sowie deren Besatzungen unter Admiral Souchon leisteten einen wichtigen materiellen und personellen Beitrag unter osmanischer Flagge. Sie trugen dazu bei, dass es den Ententemächten bis zum Kriegsende nicht gelang mit Seestreitkräften die Dardanellen zu passieren. Damit wurde der Nachschub für die russische Front unterbunden. Die Blockade der Seeverbindungen sowohl in der Ostsee, als auch am Zugang zum Schwarzen Meer entfaltete strategische Wirkung, sie trug ihren Teil zum Zusammenbruch der russischen Front 1917 bei. Als Fazit des Ersten Weltkriegs lässt sich hinsichtlich der Machtverschiebungen im Mittelmeer festhalten, dass durch den Abzug schwerer Einheiten bereits zu Beginn des Jahrhunderts die britische Vormachtstellung zu Gunsten der Verteidigung der britischen Inseln aufgegeben wurde. Die strategischen Positionen blieben mit Suez, Malta und Gibraltar zwar in den Händen des Empires, das Produkt Flotte wurde jedoch so stark reduziert, dass die britische Seemacht im Mittelmeer allenfalls einen one-power-standard besaß. Interessant ist auch der Umstand, dass vor dem Krieg die Einschätzung maritimer Stärke an der Anzahl großer Einheiten bemessen wurde, kriegsentscheidend im Mittelmeer jedoch Zerstörer, U-Boote und übrige kleine Einheiten waren.

11 Wegener, Seemacht, 1085.

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Die strategischen Positionen Gibraltar und Suez verhinderten allerdings weiterhin das Eindringen zumindest großer Überwassereinheiten raumfremder Seemächte in das Mittelmeer hinein. Eine Verschiebung der maritimen Machtverhältnisse zu Ungunsten der Briten war kein Ergebnis des Kriegsverlaufs, sondern vielmehr eine Konsequenz der Konstellation zu Beginn des Krieges. Der größte Teil der Flotte musste als Bestandteil der Home Fleet als Gegengewicht zur deutschen Flotte eingesetzt werden. Im Mittelmeer war Großbritannien insbesondere auf die Unterstützung durch Frankreich und später auch Italien angewiesen. 3.2 Zwischenkriegszeit 1918-1939 Nach dem „Great War“ verstärkten die Briten ihre Flotte im Mittelmeer wieder durch nun für die Verteidigung heimischer Gewässer nicht mehr benötigte Einheiten. Eine Entscheidung, die zunächst verwundert, waren doch keine feindlichen Seemächte mehr im Mittelmeer vorhanden. Das erneute Engagement hatte drei wesentliche Gründe, die auch heute teilweise für maritime Präsenz herangezogen werden. Erstens war es auch nach damaligen Quellen ein angenehmeres Manövergebiet als die ungemütliche Nordsee. Zweitens besann man sich wieder auf eine nicht zu unterschätzende Aufgabe von Marinen im Frieden: Sie dienen als „Botschafter in Blau“ und sind geeignete Transporteure von Diplomatie und Einflussnahme. Drittens gärten damals Konflikte in Palästina und Ägypten und erforderten etwas, das unserer Tage unter „show of force“ oder „force enabling“ subsumiert wird.12 Doch die Anzeichen für neue Auseinandersetzungen im Mittelmeer verdichteten sich schon ab 1935 mit den aufkeimenden Expansionsbestrebungen Italiens in Richtung Afrika und dessen massiver Aufrüstung. Zwar bestand in den 30erJahren zunächst kein feindseliges Verhältnis zu Italien unter Diktator Mussolini, doch die Briten erkannten, dass sich Italien an einem Krieg beteiligen würden, unklar war aber zunächst auf welcher Seite. Dabei überschätzten aber insbesondere die Deutschen den Wert ihres späteren südlichen Verbündeten Ende der 1930er-Jahre maßlos, hielten sie Italien doch gar dazu in der Lage, im Alleingang die Seeherrschaft im Mittelmeer zu erringen.13 3.3 Der Zweite Weltkrieg im Mittelmeer 1940–1943 Zwar blieb Italien bis Juni 1940 ein „nicht kriegführender Staat“, England und Frankreich trafen dennoch umfangreiche Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Nachschubverbindungen für den Kriegsfall. Der Kriegseintritt Italiens und der 12 Bundesministerium der Verteidigung, Konzeptionelle Grundvorstellungen-Die See als Basis für streitkräftegemeinsame Operationen (KGv Basis See), Berlin 2007, 2. 13 Gerhard Schreiber, Italien im machtpolitischen Kalkül der deutschen Marineführung 1919 bis 1945, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 62/1982, 222–269, 250.

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schnelle Zusammenbruch Frankreichs zwangen die Briten zur Initiative, um zumindest ihre Positionen im Nahen Osten zu halten. Um eine Verschiebung der maritimen Kräfteverhältnisse zu unterbinden, leiteten die Briten nach der französischen Niederlage drastische Maßnahmen ein und versenkten Teile der französische Flotte vor Mers-el-Kebir, um zu verhindern, dass sie durch Vichy-Frankreich auf Seiten der Italiener und Deutschen eingesetzt würde und sich damit das Kräfteverhältnis im Mittelmeer zu Ungunsten der Alliierten verschieben könnte. Zusätzlich wurde neben der bestehenden Mittelmeerflotte die „Force H“ in Gibraltar aufgestellt, die Durchbrüche schwerer Einheiten in das Mittelmeer unterbinden sollte und auch als „Feuerwehr“ und Geleitverband im Mittelmeer eingesetzt wurde. Der Mittelmeerraum war wie auch im Ersten Weltkrieg ein Raum großer strategischer Relevanz. Es kreuzten sich hier einerseits die schnellste und kürzeste Verbindung Großbritanniens zu seinen kolonialen Besitzungen im Nahen Osten und in Indien. Insbesondere für die Ölversorgung war dieser Seeweg unverzichtbar. Andererseits benötigte Italien das gleiche Gebiet für seine Nord-SüdVerbindungen in seine afrikanischen Kolonien. Nur scheinbar hatte Großbritannien geostrategisch wie auch rund 20 Jahre zuvor alle Trümpfe in der Hand, verfügte es doch mit Gibraltar im Westen und Suez im Osten über Stützpunkte an beiden Zugängen des Mittelmeeres. Zusätzlich war es insbesondere mit Malta „gesegnet“, wie eine Spinne im Netz auf halbem Wege auf der italienischen Transportroute nach Nordafrika gelegen. Der technische Fortschritt schmälerte erneut diese Gunstfaktoren: „Durch die Verwendung von Flugzeugen, U-Booten, Minen und leichten Seekampfmitteln waren Einsatz und Operationsmöglichkeiten schwerer Seestreitkräfte weitgehend eingeschränkt worden.“14 Mehr noch: Gelänge es, die britischen Stützpunkte im und am Mittelmeer mit überlegenen Land- und Luftstreitkräften einzunehmen, wäre eine gänzliche Abschnürung des britischen Nachschubs durch das Mittelmeer möglich gewesen. Zumindest in der Anfangsphase des Krieges lagen diese Voraussetzungen im Bereich des Möglichen. Aus Sicht der Wehrmachtsführung wurden Überlegungen für ein verstärktes Engagement im Mittelmeer erst intensiviert, als die Operation Seelöwe, also die Invasion der britischen Inseln, zunehmend unwahrscheinlich wurde, anderseits aber noch keine endgültige Entscheidung für das Unternehmen Barbarossa gefallen war. Zwar traute man dem italienischen Bündnispartner nicht viel zu, so ist von Generalstabschef Halder die Aussage überliefert, er hätte die Italiener lieber zum Feind als zum Freund gehabt. Letztlich führte aber der hartnäckige britische Widerstand an ihrer Heimatfront dazu, Ideen zu entwickeln, diese durch einen Angriff auf ihre Positionen im Mittelmeer zunächst indirekt zu schwächen. Die Kriegsführung wäre an die Peripherie verlegt worden.

14 Lothar Gruchmann, Die “verpassten strategischen Chancen” der Achsenmächte im Mittelmeerraum 1940/1941, in: Vierteljahresheft für Zeitgeschichte 4/1970, 456–475, 456.

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Letztlich agierte das Deutsche Reich im Mittelmeerraum vornehmlich reaktiv. Der Afrika- und auch der Balkanfeldzug unter dem Operationsnamen „Marita“ 1941 wurden nur begonnen, um die ursprünglich eigenmächtig von Italien begonnenen Unternehmungen nicht in einem Fiasko enden zu lassen und den Verbündeten militärisch zu stabilisieren. Weitere Operationen wie eine Eroberung Gibraltars oder der Angriff auf die britischen Schlüsselstellungen im östlichen Mittelmeerraum wurden nicht verwirklicht. Die „Operation Merkur“, die Einnahme Kretas, war strategisch wenig bedeutend, weil die ursprünglich vorgesehene Folgeoperation, eine Invasion Maltas, nicht durchgeführt wurde.15 Die Eroberung Kretas zeigte aber erstmals, dass es möglich war, eine Insel zu erobern, auch wenn das umliegende Meer von der gegnerischen Flotte beherrscht wird. Eine Erkenntnis, die sich im weiteren Kriegsverlauf bestätigte, als es insbesondere durch das auf Seekrieg spezialisierte X. Deutsche Fliegerkorps gelang, trotz alliierter Übermacht zur See den britischen Nachschub durch das Mittelmeer, vor allem auch nach Malta, weitgehend zu unterbinden. Einen erheblichen Beitrag leisteten dazu aber Ende 1941 auch deutsche U-Boote und die italienischen Kleinkampfverbände. Da Malta trotz schwerster, bis Ende 1942 andauernder Angriffe durch deutsche und italienische Luftstreitkräfte gehalten werden konnte, blieb die von Westen nach Osten verlaufende Kette „Gibraltar - Malta - Suez“ für die Briten erhalten. Die zu Kriegsbeginn „verpasste“ Möglichkeit, nämlich die durchaus umsetzbare Eroberung Maltas, beschleunigte zumindest die alliierten Landungen, die mit der Operation Torch gegen die nordafrikanische Küste begannen und damit die Niederlage im Mittelmeerraum einleiteten. Drei Faktoren trugen dann maßgeblich zum Sieg der Alliierten auf dem Kriegsschauplatz Mittelmeer bei. Erstens zeigte es sich, dass die Italiener insbesondere zu Kriegsbeginn ihre schweren Einheiten nur zögerlich selbst gegen unterlegene Feindkräfte einsetzten. Schließlich wurden von den sechs italienischen Schlachtschiffen drei ausgeschaltet und die übrigen zum Rückzug nach La Spezia gezwungen. Im weiteren Verlauf des Krieges sollten die Italiener im wesentlichen Boote und Kleinkampfmittel, wenn auch recht erfolgreich, im Mittelmeer einsetzen. Der zweite Umstand, der sich auch in der Atlantikschlacht ausgewirkt hatte, war mit entscheidend. Früh schafften es die Briten, durch ihre Dechiffrierexperten in Bletchley Park in die deutsche und italienische Funkverschlüsselung einzubrechen. Es gelang so, insbesondere die italienischen Konvois trotz nur geringer Kräfte, die für diese Aufgabe abgestellt wurden, erfolgreich zu bekämpfen. Drittens trug die Verlegung von deutschen Fliegerkräften an die Ostfront ihr Übriges dazu bei, dass es den Briten zunächst gelang, Konvois nach Malta durchzubringen, die Verteidigung zu stärken und dann weitreichende Operationen gegen den Nachschub des Gegners zu führen. Dies wirkte sich zusammen mit der Funkauf-

15 Christian Hartmann, Halder – Generalstabschef Hitlers 1938–1942, Paderborn 2010, 218ff.

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klärung auf den nordafrikanischen Kriegsschauplatz für die Deutschen und Italiener verheerend aus.16 Im Mai 1943 kapitulierten die deutschen und italienischen Kräfte in Nordafrika, im September unterzeichnete Italien nach der Landung der Alliierten den Waffenstillstand. Von da an beschränkte sich der Krieg im Mittelmeer auf vereinzelte Angriffe durch deutsche U-Boote. Das Eingreifen der Amerikaner im November 1941 trug nicht mehr erheblich zur Entscheidung im eigentlichen Seekrieg im Mittelmeer bei. Amerikanische Kräfte ermöglichten vielmehr die amphibischen Operationen gegen Nordafrika und Italien. Hier zeigte sich erstmals der Wert gezielter Feuerunterstützung von See aus. Mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht im Mai 1945 endete zwar der Zweite Weltkrieg in Europa, aber der sich bereits abzeichnende Kalte Krieg sah erneut auch das Mittelmeer im Fokus. 3.4 Die Ost-West-Konfrontation 1945–1990: Der „NATO-See“? Die ersten Jahre der sich verfestigenden Ost-West-Konfrontation waren von einer Übermacht der NATO-Marinen, insbesondere der US-Navy im Mittelmeer, geprägt. Pointiert sprach man innerhalb des Bündnisses vom „NATO“- oder „American Lake“. Insbesondere die Amerikaner konnten es sich nicht leisten, ihre Präsenz im Mittelmeer zu reduzieren, auch wenn innenpolitisch großer Druck unter dem Credo: „Bring our boys home“ herrschte. Schon 1946 wurden kampfkräftige Einheiten wie das Schlachtschiff Missouri in das östliche Mittelmeer entsandt, um vornehmlich als Abschreckung gegenüber den russischen Expansionsbestrebungen in Richtung der Türkei und Griechenland zu dienen. Bis zum Beitritt der beiden Staaten am strategisch wichtigen Zugang zum Schwarzen Meer 1952 galt die Südflanke der NATO, wie bereits eingangs von mir erwähnt, als „soft underbelly“, als weicher Unterleib der NATO-Verteidigungsstrategie. Schärfstes Schwert der Abschreckung gegenüber dem Warschauer Pakt war seit 1947 insbesondere die 6. US-Flotte. Ein Faktor der Instabilität für die NATO war der schwelende Zypern-Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei, der bis heute nicht politisch gelöst ist. Dabei sei bemerkt, dass die Rolle der Türkei in Bezug auf die strategische Lage im östlichen Mittelmeer bis heute ambivalent ist. Einerseits kontrolliert sie mit den Dardanellen und dem Bosporus den Zugang zum Schwarzen Meer. Sie besitzt zudem die zahlenmäßig zweitgrößten Streitkräfte der NATO. Anderseits klafften die eigene Perzeption als Regionalmacht und die tatsächliche insbesondere maritime Macht vom Ersten Weltkrieg bis heute weit auseinander. Zu Lande ist die Türkei ein gut gerüsteter östlicher Vorposten der NATO, zur See konnte sie diesen Status nie erreichen. 16 Jürgen Rohwer, Der Kampf um das Mittelmeer 1940–1942, in: Potter, Nimitz, Rohwer (Hgg.), Seemacht, 572–601.

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Die Royal Navy, die die Hauptlast der Gefechte im Mittelmeer während des Zweiten Weltkrieges getragen hatte, büßte nach dem Krieg an Schlagkraft ein. Die schlechte wirtschaftliche Lage äußerte sich auch in einem sinkenden Verteidigungsbudget. Veraltete Einheiten wurden außer Dienst gestellt, aber nicht durch Neubauten ersetzt. Eine Zäsur hinsichtlich der vormaligen britischen Seeherrschaft im Mittelmeer war die Suezkrise. Die Intervention durch britische, französische und israelische Streitkräfte erreichte mit der Eroberung der Kanalzone zwar ihr unmittelbares militärisches Ziel. Sie mussten sich aber auf Druck der UNO zurückziehen und stärkten damit den ägyptischen Präsidenten Nasser und seine Position im Nahen Osten. Neben den innenpolitischen und wirtschaftlichen Konsequenzen für Großbritannien zeigte sich vor allem, dass ein Alleingang ohne Zustimmung und Unterstützung der USA in dieser Region keine Erfolgsaussichten mehr bot. Großbritannien musste sich eingestehen, als Weltmacht zur See und Regionalmacht im Mittelmeer abgelöst worden zu sein. In der Libanon-Krise 1958, die durch religiöse und politische Spannungen innerhalb des Landes ausgelöst wurde, zeigten die USA erstmalig im Sinne der Eisenhower-Doktrin, dass sie geeignete Kräfte für amphibische Landungen an allen Krisenherden der Welt bereitstellen konnten. Auf Bitten des Staatspräsidenten Chamoun, dem Wahlmanipulationen vorgeworfen wurden, landeten US-Truppen in Beirut und stützten zunächst die westlich orientierte Regierung, die allerdings in der Folge abgewählt wurde. Insbesondere die Flugzeugträgerverbände der USNavy sind seitdem das Mittel der Wahl für power projection im Zustand des Krieges wie auch Nicht-Krieges. Eine weitere Zäsur stellte der 6-Tage-Krieg 1967 dar: Unter Chruschtschow wurde die Flotte der Sowjetunion so ausgebaut, dass sie im Mittelmeer ein Eingreifen der Sechsten Flotte zu Gunsten Israels unterband. Andererseits konnte sie aber aufgrund der amerikanischen Präsenz wiederum keine Unterstützung für ihre arabischen Verbündeten leisten. Symptomatisch für diese Phase war die zu Beginn von mir dargestellte Differenzierung: Die Gesetzmäßigkeiten zur Ausübung von Seemacht folgen denen des Krieges. Während des Nicht-Krieges in der OstWest-Konfrontation war glaubwürdige maritime Präsenz ausschlaggebend. Dass die Präsenz beider Supermächte in einem Randmeer auch die stete Gefahr der Eskalation beinhaltet, zeigt die amerikanisch-russische Konfrontation im Zuge des Jom-Kippur-Krieges. Mit der Fünften Flotte der sowjetischen Marine war ein Verband im östlichen Mittelmeer präsent, der zwar in den meisten Belangen der Sechsten US-Flotte unterlegen war, aber zumindest ein aktives Eingreifen der US-Navy zu Gunsten Israels unterband. Die Beinahe-Konfrontation von 1973 zeigte, dass sich maritime Machtverhältnisse auch binnen zehn Jahren deutlich verschieben können. Noch eine Dekade zuvor war die Sowjetunion, genauso wie einst das zaristische Russland, eine reine Landmacht und offenbarte insbesondere während der Kubakrise, dass sie kaum „blue-water“-Kapazitäten hatte. Es fehlte freilich aber auch der zweite Faktor für Seemacht, die seestrategische Position. Zusätzlich zeigte sich während der Krise insbesondere bei den Amerikanern, dass Flugzeugträger im östlichen Mit-

Maritime Machtverschiebung im Mittelmeer

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telmeer einen wesentlichen Vorteil einbüßten: Sie waren aufgrund des begrenzten Seeraums in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt und damit potentiell verwundbarer.17Eine Erfahrung, die sich mit dem Einsatz von größeren Einheiten sowohl im Ersten als auch Zweiten Weltkrieg deckt. 4. Ausblick: Aufmarschgebiet und Konfliktbogen des 21. Jahrhunderts Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Warschauer Pakt sehen wir uns mit den veränderten Sicherheitsherausforderungen einer mittlerweile zunehmend multipolaren Welt konfrontiert. Neben den konventionellen militärischen Herausforderungen werden wir seit rund 25 Jahren auch mit Aufgaben konfrontiert, die sich deutlich von jenen aus der Phase der bipolaren Weltordnung unterscheiden. Die mögliche Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Menschen- und Drogenschmuggel und Terrorismus haben ihren Ursprung in Anrainerstaaten des Mittelmeers oder nutzen diese als Transitroute oder Abstützpunkte. Die militärische Kooperation im Rahmen der NATO mit Active Endeavour trägt dem Rechnung. Flankierend strebt die EU durch die euro-mediterrane Partnerschaft auch auf politischer Ebene eine Verbesserung der Sicherheitsarchitektur an. In nahezu allen militärischen Operationen nach 1990, die einen geographischen Bezug zum Mittelmeer aufwiesen, diente dieser „Seeraum für Verlegung, Einsatz, Sicherstellung der Durchhaltefähigkeit und Rückverlegung“ von Kräften.18 In den Golfkriegen 1991 und 2003, dem Bosnienkrieg, Kosovo oder jüngst in Libyen kam Seestreitkräften eine unverzichtbare Rolle zu. Wie kaum in einem anderen Seegebiet können Marinekräfte den Rechtsstatus der Hohen See nutzen und bis weit über die Küstenregionen hinaus Einfluss auf Krisen und kriegerische Auseinandersetzungen nehmen.19 Die über das Ende des Kalten Krieges andauernde Präsenz der Sechsten Flotte der Amerikaner dient aber auch der Durchsetzung einer Sicherheitsgarantie für den Staat Israel. Eine offene Konfrontation mit russischen Seestreitkräften ist derzeit weniger wahrscheinlich, als es uns manche Medien jüngst darstellten. Aber dennoch ist es weiterhin ein geostrategisches Ziel der Russen, sich einen permanenten Ankerplatz im Mittelmeer zu erhalten. Die Parteinahme für das Assad-Regime ist auch unter diesem Aspekt zu betrachten. Die womöglich permanente Stationierung im Mittelmeer hätte zwei wesentliche Vorteile. So unterläge die russische Schwarzmeerflotte nicht mehr den Zwängen der Montreux-Konvention, die die Passage des Bosporus für Kriegsschiffe anmeldepflichtig macht und weitere Restriktionen 17 Lyle J. Goldstein, Yuri M. Zhukov, A tale of two fleets: A Russian perspective on the 1973 naval standoff in the Mediterranean, in: Naval War College Review, 2/2004, 27–63. 18 Bundesministerium der Verteidigung, Die See als Basis, 6. 19 Ebd., 3.

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umfasst. Zweitens könnte Russland eine Rolle als Ordnungsmacht im Nahen Osten einnehmen, wenn sie, wie die Amerikaner, eine ständige Präsenz aufrechterhalten können. Auch wenn eine zunehmende Fokussierung auf den indo-pazifischen Raum in der Präsidentschaftszeit Obamas zu beobachten ist: Amerika wird auch im Mittelmeerraum seine Positionen nicht aufgeben und diese auch gegen russische Bestrebungen verteidigen. Dies äußert sich auch in der langfristig angelegten Kooperation mit Spanien und der damit verbundenen Nutzung des Marinestützpunktes in Rota.20 Hier müssen jedoch auch die Staaten Europas ihrer bereits jetzt teilweise wahrgenommenen Sicherheitsverantwortung gerecht werden. Die strategische Situation im Mittelmeer ist zwar heute weniger von harten militärischen Risiken einer Konfrontation zweier Atommächte geprägt. Dennoch wird der Seeraum jenseits von Kooperationsbestrebungen auch weiterhin im Fokus von Machtinteressen stehen. 5. Fazit Der Seemachtsbegriff nach Mahan ist auf das Mittelmeer aufgrund seiner besonderen geographischen Gegebenheiten nicht anwendbar. Dies zeigte sich insbesondere durch die technischen Entwicklungen des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Angesichts der asymmetrischen Bedrohungen des 21. Jahrhunderts deutet sich an, dass die technische Überlegenheit insbesondere der NATO-Marinen im Mittelmeer stärker marginalisiert wird als in den großen Seeräumen der Ozeane. Auch die Waffen „des kleinen Mannes“, also beispielsweise Seeminen und terroristische Angriffe im maritimen Umfeld, sind geeignet, den Seeverkehr durch das Mittelmeer stark zu beeinträchtigen oder gar zum Erliegen zu bringen. Ein Angriff auf das Objekt von Seeherrschaft, den Schiffsverkehr ist im Mittelmeer vergleichsweise einfach. Das Mittelmeer ist dabei schon seit dem Bau des Suezkanals eine der bedeutendsten Schifffahrtsgebiete der Welt. Hier ist ungeachtet einer veränderten weltpolitischen Lage eine geostrategische Konstante und somit Gegenwärtigkeit auch hundert Jahre nach dem Ersten Weltkrieg zu sehen. Udo Sonnenberger, Hamburg

20 O.V., Agreement of Defense Cooperation between the U.S.A. and the Kingdom of Spain with Annexes and Notes, o.O. 2002, zitiert bei: Embassy of the United States in Spain: http://www.madrid.usembassy.gov/about-us/odc/agreement.html, aufgerufen 08.03.2016.

THE ONE THAT GOT AWAY Bismarck’s Imperialism and the Case of the Caroline Islands 1885 James Stone Abstract: In der Anglersprache kennzeichnet die Redewendung "the one that got away" eine Erfahrung von tiefgreifender Ambivalenz. Während sie einerseits das Misslingen beschreibt bei dem Versuch, einen Meisterfang zu landen, impliziert sie gleichzeitig eine elementar empfundene Bedeutung des Vorgangs selbst als eines entscheidenden Augenblicks. Bismarcks misslungener Versuch im Sommer 1885, die Karolinen-Inseln zu erwerben, stellte ein ganz und gar analog zu verstehendes Geschehen dar. Obwohl die versuchte Herstellung eines Protektorats über diesen Archipel in der Südsee scheiterte, war es dennoch der wichtigste und gefährlichste Expansionsversuch während Bismarcks Kanzlerschaft. Er brachte Spanien und Deutschland bis an den Rand eines Krieges und führte den Sturz der spanischen Regierung herbei. Vielleicht noch wichtiger ist der Fall der Karolinen als eine Art Rosetta Stone, mit dessen Hilfe das Rätseln über die wahren Motive hinter Bismarcks kolonialem Engagement Mitte der 80er Jahre nach 100jähgriger Streiterei unter Historikern endgültig gelöst werden kann. Dieser Aufsatz untersucht den Stellenwert dieses imperialistischen Fehltritts und zeigt, wie auch ein Versagen neue Lösungen für alte historiographische Probleme bieten kann.

Failures are not only typically orphans but they also tend to find fewer chroniclers amongst later generations of historians willing to adopt them as a subject. This is probably attributable to the fact that it is generally more satisfying to explain why things happened as opposed to exploring the motives behind undertakings that failed to achieve the intended results. Shelves of books are written on the causes of wars; but very few are written about the reasons wars did not break out. And yet missteps and misadventures can often offer more insights into understanding historical causality than successes. This is particularly true in the study of international affairs where neglecting the diplomatic duds in favour of events with tangible outcomes tends to create a selection bias that can distort the outcomes of any analysis. A classic example of the detrimental effect of using a skewed data set is the on-going debate surrounding what motivated Otto von Bismarck, one of the most vocal and vehement opponents of overseas expansion of his age, to suddenly acquire a vast German colonial empire in a little more than a year between 1884– 85.1 Over the decades a variety of theories have been advanced to explain this 1

A few recent overviews of the problem: Jürgen Zimmerer, “Bismarck und der Kolonialismus,”Aus Politik und Zeitgeschichte, 65 (2015): 33–38; Woodruff D. Smith, The German Colonial Empire (Chapel Hill, 1978), 3–50. In this essay we adopt a narrow definition of the term imperialism, using it to refer to the actual acquisition and exercise of formal political and military control over territory. On the theories and definitions of imperialism an excellent

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anomalous behaviour. But a once productive academic controversy has stagnated in recent years. Symptomatic of this scholarly inertia is the renaissance of many older hypotheses in the last two decades. Instead of exploring new directions or producing a new synthesis, the debate has come full circle. As a result, historians seem no nearer to a consensus than they were fifty years ago. Part of the reason for the circularity of this controversy is that the questions being asked have not changed substantially. In particular, traditional approaches have been exclusively interested in inquiring about the motives behind the actual acquisition of colonies. While this methodology has an intuitive simplicity, limiting the scope of the analysis in this manner taints the results by excluding from consideration those attempts at imperial expansion that failed. If, on the other hand, the parameters are broadened to include unsuccessful colonial forays a more diversified set of cases becomes available that forces a more balanced perspective and permits new light to be shed on an old problem. In fact, a detailed examination of Bismarck’s most spectacular reverse in his short-lived reign as Europe’s premier imperialist offers surprising insights into the mysteries surrounding his motivation for this sudden burst of enthusiasm for German colonies. One of the few areas of consensus in a field of research otherwise filled with controversy is with respect to the most severe setback suffered by Bismarck during his brief flirtation with overseas empire. It was unquestionably his unsuccessful bid to annex the Caroline Islands in the summer and fall of 1885. 2 Between July and December of that year Bismarck became embroiled in a dispute with Spain over the ownership of this small group of coral islands in the Pacific and was ultimately forced to renounce Germany’s claims. At first glance it may seem counterintuitive to use this failed attempt to acquire an unimportant archipelago in the Pacific as a vehicle for a general reassessment of the motives behind Bismarck’s imperialism. But on closer examination this outlier is actually uniquely suited to serve as a historical control experiment to test long-held theories against

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overview is provided in: W. Baumgart, Der Imperialismus: Idee und Wirklichkeit der englischen und französischen Kolonialexpansion 1880–1914 (Wiesbaden, 1975). All references in this study to Bismarck’s “colonial policy” describe his creation of German protectorates. The use of the term “colony” is not intended to suggest that the Chancellor ever viewed these overseas acquisitions as traditional colonization projects as his preference was to minimize any government involvement and he envisaged these overseas possessions as being run according to the “chartered company” model pioneered by Great Britain in India It is characteristic of the lack of scholarly interest in this failed colonial endeavour that there is only one monographic treatment devoted to this important episode: Hildegard Baaken, Die Karolinen-Frage 1885 (Phd. diss, Düsseldorf, 1963). The most recent examination of this incident is rather cursory and does not address its importance in clarifying the underlying motives for Bismarck’s imperialism: Nils Havemann, Spanien im Kalkül der deutschen Außenpolitik : Von den letzten Jahren der Ära Bismarck bis zum Beginn der Wilhelminischen Weltpolitik (1883–1899) (Berlin, 1997), 108–120. Also indicative of the general neglect is the fact that the official record of German foreign policy under Bismarck contains no documents concerning this important diplomatic dispute. Johannes S. Lepsius et. al. eds. Die große Politik der europäischen Kabinette 1871–1914. Sammlung der diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes (GP), 1–6 (Berlin, 1924).

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a detailed consideration of one specific case. Although this method of solving a perplexing historical riddle is admittedly somewhat unorthodox, it does embrace an approach recently advocated by one researcher in this area to deal with the larger problem by taking a closer look at each individual instance of overseas expansion.3 It is hoped that by applying this detail-oriented approach to the case of the Carolines the results will not only serve to inject much needed fresh air into an increasingly stale historical debate, but that it may also suggest a path towards a new synthesis. At the very least the explanatory model that emerges from the following dissection of this particular instance of Bismarck’s imperialism will help to finally transcend the doctrinaire feud between the Primat der Innenpolitik und der Primat der Außenpolitik by illustrating how intertwined domestic and foreign policy motives really were in the mind of the dominant statesman of this era. Even ignoring these larger historiographical implications, this paper will reveal that there was much more going on during the German-Spanish quarrel over the Caroline Islands than the typical treatment of this affair in most survey works would suggest. In the past, this colonial conflict has been portrayed by historians as a rather minor incident during a time when the Chancellor was winding down his campaign of overseas expansion. Emphasis is usually placed on the fact that Bismarck resolved this dispute in a masterful fashion through an appeal to the pope to act as a mediator.4 Completely glossed over in this typical rendition of events is that Spain and Germany came very close to going to war over this obscure archipelago. Overlooked has also been the fact that Spanish domestic politics played an important role throughout this colonial crisis. In fact, the Iron Chancellor used this imperial initiative not only to oust a government he considered to be too pro-French but attempted to alter Spain’s entire form of government. So even though the Caroline Islands were not acquired by Germany in 1885 and have not been assigned much weight in earlier studies of Bismarck’s imperialism, it was easily the most serious conflict to arise during this phase of German foreign policy. Hence the case of the Carolines is of central importance in its own right. I. The Historiographical Context Although the literature devoted to resolving the puzzle of Bismarck’s seemingly radical course alteration on the question of overseas expansion in 1884–85 is extensive, the number of causes that have been adduced over the years as explanations has remained relatively static and can be reduced to a small set of paradigms. A short review of these hypotheses will provide the general context for this 3 4

Arne Perras, Carl Peters and German Imperialism 1856–1918. A Political Biography (Oxford, 2004). Lothar Gall, Bismarck: Der weiße Revolutionär (Frankfurt a.M, 1980), 666. Otto Pflanze, Bismarck and the Development of Germany: The Period of Fortification, 1880–1898, 3 (Princeton, 1990), 219.

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case study and allow for its findings to be tested against the prevailing explanatory models to determine how well they explain Bismarck’s bid to obtain the Caroline Islands. — If we ignore the small number of historians who have suggested that Bismarck genuinely became a convert to imperialism in these years5, the theories about his ulterior motives can be broken down into two broad classes: Those that argue that he was driven purely by considerations of foreign policy and those that argue that he was driven purely by considerations of domestic policy. The only thing both have in common is their one dimensional approach. The first general category of explanations for Bismarck’s sudden leap into the international competition to partition the “unclaimed” regions of the world treats it as a function of European power politics. Within this genre one of the oldest theories argues that the Chancellor was motivated by a sincere desire to use colonial cooperation with France to pave the way for a permanent reconciliation with that country.6 According to adherents of this view, the acquisition by Germany of vast amounts of overseas territory in 1884–85 was merely a means to achieve the higher goal of convincing France to accept the territorial status quo in Europe by collaborating to acquire new domains on its periphery. Some proponents of this view have gone so far as to characterize German overseas expansion as being driven by Bismarck’s “dream of a French alliance”.7 The fact that the push to create German colonial protectorates seemed to cease at the same time that the government of the leading French advocate of an entente with Germany, Jules Ferry, was removed from office in the spring of 1885 is often pointed to by these scholars as confirmation of their theory. Another hypothesis based on considerations of international affairs proposes an explanation of a completely different kind. Some historians argue that Bismarck’s flirtation with imperialism did not really represent a dramatic shift in his diplomatic strategy at all. It was merely a variation on his basic recipe for safeguarding the security of the German Empire outlined in the famous “Kissingen memorandum”.8 This document suggested that Germany’s core foreign policy 5 6

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See for example: Mary Townsend, The Rise and Fall of Germany’s Colonial Empire (N.Y., 1930), 54–123. A.J.P. Taylor, Germany’s First Bid for Colonies 1884–1885: A Move in Bismarck’s European Policy (London, 1938); P. B. Mitchell, The Bismarckian Policy of Conciliation with France, 1875–1885 (Philadelphia, 1935). For a more recent version of this older view: Ulrich Lappenküper, “Ausgleich mit Frankreich?: Bismarck und die deutsche Kolonialpolitik,” Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft, 24 (2011): 177–205; Klaus Hildebrand, Das vergangene Reich: Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler (Stuttgart, 1995), 90–94. For a comprehensive critique of this theory cf. Henry Ashby Turner Jr., “Bismarck’s Imperialist Venture: Anti-British in Origin?”, in Britain and Germany in Africa: Imperial Rivalry and Colonial Rule, eds. P. Gifford, W.M. Roger Louis (New Haven, 1967), 47–82. Michael Epkenhans, Ulrich Lappenküper and Andreas von Seggern, Otto von Bismarck: Aufbruch in die Moderne (Munich, 2014), 113–115. Henning Köhler, “Das Kissinger Diktat,” in Deutschland und der Westen. Vorträge und Diskussionsbeiträge des Symposions zu Ehren von Gordon A. Craig, ed. Henning Köhler (Berlin, 1984), 34–43; Karl-Alexander Hampe, “Neues zum Kissinger Diktat Bismarcks von 1877,” Historisches Jahrbuch, 108 (1988): 204–12.

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goal was to prevent her enemies from forming hostile alliances by ensuring that the other great powers remained locked in rivalries with one another on the periphery of Europe. The colonial variation of this “peripheral diversion strategy” argues that the Chancellor actively engaged in the competition for empire in order to more effectively embroil France and Great Britain with each other in conflicts over colonial questions such as Egypt.9 The second general category of causal explanation focuses on domestic political determinants. The most intensely debated model of this type was put forward by Hans-Ulrich Wehler who postulated that Bismarck was a pioneer in employing a political program of “social imperialism”. This crisis management strategy sought to deal with growing internal unrest fuelled by a lingering economic depression after the market crash of 1873 by channelling increasing domestic tensions outwards. According to Wehler, it was the domestic equivalent of the “peripheral diversionary strategy” outlined above.10 He also argued that the Chancellor’s search for external commercial markets represented an early example of the use of state intervention to stimulate a depressed economy and thereby to avoid internal unrest caused by material hardships. In this case, economic stimulus took the form of protecting commercial interests abroad by acquiring territories where German entrepreneurs had made significant investments. A less complex kind of domestic political explanation has been offered by another group of scholars. On a number of occasions the Chancellor revealed to confidantes that the underlying goal of his great colonial “swindle” was to manipulate voters to ensure that the opposition Progressive Party would lose ground in the Reichstag elections in the fall of 1884.11 These comments have been seized upon by some historians as an indication that his main interest in colonies was as a means of influencing the outcome of a specific federal election. 12 And the exploitation of colonial enthusiasm by the government to affect the outcome of this particular election has been well documented.13 So, once again, the argument is made that the acquisition of colonies was merely a means to an end and not an end in 9 Taylor, Germany’s First Bid. 10 Hans-Ulrich Wehler, Bismarck und der Imperialismus (Cologne, 1969); Hans-Ulrich Wehler, “Bismarck’s Imperialism 1862–1890”, Past and Present, 48 (1970): 119–155. Early critiques of this theory: Hans Herzfeld, review of Bismarck und der Imperialismus, by Hans-Ulrich Wehler, Historische Zeitschrift, 210 (1970): 725–728; W. Mommsen, review of Bismarck und der Imperialismus, by Hans-Ulrich Wehler, Central European History, 2 (1969): 366– 372; Woodruff D. Smith, “German Imperialism after Wehler: Two Perspectives”, Central European History, 12 (1979): 387–391. 11 A few examples: Diary entry Sept. 19, 1884. Friedrich von Holstein, Die geheimen Papiere Friedrich von Holsteins: Tagebücher, 2, ed. N. Rich et. al. (Göttingen, 1957). Diary entry Sept. 23, 1884. Ibid., 176. 12 O. Aydelotte, Bismarck and British Colonial Policy, 1883–85 (Philadelphia, 1937), 18, 25– 26. A more nuanced consideration in: O. Aydelotte. “Wollte Bismarck Kolonien?”, in Deutschland und Europa. Historische Studien zur Völker- und Staatenordnung des Abendlandes. Festschrift für Hans Rothfels (Düsseldorf, 1951), ed. Werner Conze, 41–69. 13 Elfi Bendikat, Wahlkämpfe in Europa 1884 bis 1889: Parteiensystem und Politikstile in Deutschland, Frankreich und Großbritannien (Wiesbaden, 1988), 86–92.

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itself. Yet unlike some of the other explanations discussed above, the “party politics” hypothesis cannot point to a clear alignment between the alleged objective of influencing voting behaviour and the end of colonial expansion. Reichstag elections were held on 28 October 1884; yet overseas expansion continued for almost a year longer.14 In order to address these obvious flaws a more refined variation of this theory has emerged in recent years. Some researchers have found evidence suggesting that Bismarck’s advocacy of imperialism was part of a more subtle and far-reaching political strategy that sought to exploit the enthusiasm of German liberals for colonies in order to rebuild his base of domestic support.15 But this more general theory has not yet been substantiated by detailed studies of specific instances of colonial activity. This study will hopefully be the first of many to do so. An older domestic political explanation for colonial expansion was also based on statements allegedly made by Bismarck indicating that his real object in acquiring colonies was to prepare for a domestic crisis resulting from the ascension to the throne of the liberal and Anglophile Crown Prince Friedrich Wilhelm who, as Friedrich III, was destined to reign for only 90 days in 1888.16 On at least one occasion, the Chancellor reportedly stated that his only reason for seizing overseas territories in 1884 was to ensure that the heir to the throne would face a situation in which British hostility created by German overseas expansion would be so great that it would act as a barrier against any attempts by the new ruler to pursue an English alliance.17 According to those historians who have taken this statement at face value, overseas expansion was just one element in a wider strategy to prevent an Anglophile foreign policy reorientation and a liberal domestic political shift following the succession of the Hohenzollern heir. This explanation is, therefore, commonly referred to as the “Crown Prince theory”. And, once again, the chronology of overseas territorial acquisitions is offered as compelling evidence 14 This objection is also made by Turner, “Bismarck’s Imperialist Venture: Anti-British in Origin?”, 52. But Turner also acknowledges that domestic considerations played a role along with other factors. 15 Matthew P. Fitzpatrick, Liberal Imperialism in Germany: Expansionism and Nationalism 1848– 1884, (New York, 2008), 124. Hartmut Pogge von Standmann. “Domestic Origins of Germany’s Colonial Expansion under Bismarck”, Past and Present, 42 (1969): 47–82. 16 One of the earliest proponents: Erich Eyck, Bismarck: Leben und Werk, 3, (Zurich, 1944), 400–401. The most extensive recent work built upon this hypothesis: A. Riehl, Der 'Tanz um den Äquator‘: Bismarcks antienglische Kolonialpolitik und die Erwartung des Thronwechsels in Deutschland 1883 bis 1885 (Berlin, 1993). Cf. Lappenküper, “Ausgleich mit Frankreich?” for a thorough critique of this theory. 17 All of the documented variations of this statement are provided in the following collection published as an appendix to Riehl’s work: Winfried Baumgart ed., Bismarck und der deutsche Kolonialerwerb 1883–1885 (Berlin, 2011). It is worth noting that none of the recorded versions of the Chancellor’s statements are first hand. No direct citations exist. However, it seems likely that Bismarck did make this statement to Russian leaders in Skiernewice in September 1884 since this “explanation” was specifically tailored to address mounting Russian worries about a pro-English shift in German foreign policy after a change of rulers. Cf. Stone, “Bismarck and the Great Game”, Central European History, 48 (2015), 167–168.

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because Bismarck and the Crown Prince came to an agreement on Germany’s future political direction in June 1885 which was generally coterminous with the end of successful colonial acquisitions. There is also an emerging third kind of explanation that represents a hybrid of the narrowly defined domestic and foreign policy causal categories. It suggests that in many cases German colonial expansion was used as a means to influence the internal politics of foreign countries. Some contemporaries—and at least one Bismarck scholar18—have suggested that Bismarck’s overseas actions were frequently carried out with the intention of undermining the domestic position of foreign governments deemed by the Chancellor to be detrimental to German interests. For example, the argument has been made that many of Bismarck’s actions in Africa were undertaken with the aim of hastening the fall of the Liberal Prime Minister William Gladstone because his Russophile sympathies had raised the spectre of an Anglo-Russian alliance. Unlike some of the other attempts to solve this riddle, however, the “meddling in internal affairs” hypothesis does not claim to provide a complete explanation for Bismarck’s overseas activities. It only seeks to address one aspect of a more complex causality. This, then, is the broader historiographical context for the following examination of the case of the Caroline Islands in 1885. This study will re-examine the course of events with a focus on those aspects of the conflict and its resolution that are relevant to the broader debate about the origins of Bismarck’s imperialism. An analysis of what actually transpired during this six month crisis in the latter half of 1885 will then serve as a basis for an assessment of how effectively each of the models outlined above explains the facts of this specific case. Based upon this analysis an attempt will then be made to offer a new synthesis and suggest some directions for further research. II. The Race for the Carolines (July–August 1885) In most respects the genesis of Bismarck’s failed bid to make the Caroline Islands a German protectorate in 1885 was similar to his more successful colonial undertakings in the mid-1880s. As had been the case with previous overseas acquisitions, his attempt to seize these islands had its origin in appeals from local German traders who began to lobby the government to raise the imperial ensign over the coconut palms of their plantations. Specifically, it was the firm of Hernsheim and Robertson that repeatedly called upon the Foreign Office (Auswärtiges Amt) at the beginning of 1885 to take control of the Caroline Islands. This Hamburgbased firm had become a major player in the production and export of copra, the dried meat from coconuts used to extract coconut oil, in the western Pacific re-

18 James Stone, Bismarck versus Gladstone: Regime Change and German Foreign Policy, 1880– 1885, Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft, 23 (2010): 167–200.

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gion.19 A substantial portion of its production was based in the Caroline Archipelago so it had a large stake in the fate of those islands. At the same time as Hernsheim was putting the Caroline group onto the colonial radar in Berlin, other German colonial acquisitions in the South Seas had resulted in a more general increase of interest in the fate of these islands. This sudden attention was largely a function of political geography. The Carolines chain lie just to the north of New Guinea and were close to the Bismarck Archipelago both of which had been recently added to the suddenly expanding German Empire. The acquisition of these new colonies meant that these islands had attained a new significance as a communications link.20 Consequently the increased German presence in the Pacific aroused concern amongst the other imperial powers that the Carolines would soon be targeted by a surprisingly imperialistic Berlin. The resulting anxiety, in turn, led to a small tropical paradise getting caught up in the general European Torschlußpanik that was characteristic of the age of imperialism. Spain, in particular, seems to have felt compelled to act. The Caroline Islands were viewed in Madrid as a de facto Spanish possession even though no formal annexation had ever taken place. Since the islands had been discovered by Spanish explorers and bore the name of a Spanish ruler they had simply been considered by Spain to be part of her overseas empire. 21 Hence Germany’s colonial expansion had created a sense of urgency in Madrid about asserting its dominion over the Carolines. Spanish leaders had consequently begun to use the press in the first half of 1885 to prepare the public for formally declaring Spain’s sovereignty over those islands.22 In this atmosphere of uncertainty rumours of an imminent Spanish action in the Carolines soon began to circulate.23 The growing speculation about the fate of this archipelago in turn caused the firm of Hernsheim and Robertson to increase pressure on leaders in Berlin to quickly declare a protectorate to shield them from the negative effects of Spanish colonial rule. Their initial request for government protection in January 1885 had been motivated by indications that Great Britain might be planning to acquire the islands.24 However, these fears proved groundless. When Hernsheim and Robertson renewed their pleas for imperial aid more urgently in March and April they were able to cite stronger evidence that a mili-

19 Stewart G. Firth, “German Firms in the Pacific Islands 1857–1914”, in Germany in the Pacific and Far East, 1870–1914, eds. Paul M. Kennedy, John A. Moses (St. Lucia, 1977), 3–25. 20 Hatzfeldt to Bismarck. May 29, 1885. R19533. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes. Berlin. (PAAA). Hatzfeldt to Wilhelm I. July 18, 1885. Ibid. 21 Wentzel to Bismarck. March 13, 1885. No. 1. R19533. PAAA. The distinction between de facto and de jure sovereignty became a major part of the Spanish claim to the Carolines. Elduayen to Benomar. Oct. 12, 1885. R19543. PAAA. Solms to Bismarck. No. 297. Oct. 12, 1885. R19542. PAAA. 22 Solms to Bismarck. No. 110. June 9, 1885. R19533. PAAA. 23 Wentzel to Bismarck. No. 1. March 13, 1885. R19533. PAAA. 24 Robertson & Hernsheim to Bismarck, Jan. 23, 1885. R19533. PAAA.

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tary occupation of the islands by Spain was just a matter of time.25 These new appeals for intervention received greater attention in Berlin since they offered a more convincing justification for their petition to be granted by arguing that the imposition of notoriously restrictive Spanish trade regulations would force them to give up their operations in the Pacific. Intelligence gathered by the Wilhelmstrasse soon confirmed that the threat of Spanish annexation was indeed real. There were now confirmed reports that a Spanish naval vessel, the Velasco, had already visited the main island of Yap in February 1885 with the apparent intention of making preparations for formally declaring Spain’s sovereignty over the Carolines. By the end of May there was compelling evidence that an attempt to place the islands under Spanish control was close at hand.26 In response to this threat to German commercial interests, the councillor in the Foreign Office responsible for colonial matters, Friedrich Krauel, drafted a memorandum for Bismarck in which he made the case for Germany to pre-empt the planned Spanish action by seizing the archipelago first.27 In this document Krauel argued that Spanish claims to the islands did not appear to have any basis in law. In particular he pointed out that Germany and England had already sent diplomatic notes to Madrid in March 1875 stating their view that the Caroline Islands did not belong to Spain. The fact that the Spanish government had not responded to these protest notes denying its sovereignty over the islands was interpreted as a clear indication that it had none. What Krauel neglected to point out was that those earlier notes had implicitly documented that there was a general awareness that Spain viewed the Carolines as part of her empire. Although this fact certainly did not escape Bismarck, he nonetheless agreed with Krauel’s recommendation and ordered that the Foreign Office discretely seek to clarify the legal basis of any Spanish claims while at the same time sounding out England’s attitude towards a German bid to forestall Spain’s impending move to formally appropriate those islands.28 What he notably chose not to do was to clarify directly with the Spanish government the basis of its historical rights to that island chain. The results of the requested soundings in London served to encourage German action. As part of a comprehensive division of spheres of influence in the Pacific, London had already given Berlin a free hand in this region. Based on this existing agreement the outgoing Liberal Foreign Secretary, Lord Granville, as-

25 Robertson & Hernsheim to Bismarck. March 2, 1885. R19533. PAAA. Wentzel to Bismarck, March 13, 1885. Ibid. Bismarck to Krauel. April 4, 1885. Ibid. Krauel to Bismarck, April 14, 1885. Ibid. 26 Robertson & Hernsheim to Bismarck. May 21, 1885. R19533. PAAA. Robertson & Hernsheim to Bismarck. June 16, 1885. Ibid. 27 Krauel to Bismarck. May 29, 1885. R19533. PAAA. 28 Krauel to Bismarck. May 29, 1885. (Bismarck’s marginal instructions.) R19533. PAAA. H. Bismarck to W. Bismarck. No. 17. June 23, 1885. (Bismarck’s marginal instructions.) Ibid. Krauel to Solms. No. 19. June 3, 1885. Ibid. Krauel to Münster. No. 181. June 3, 1885. Ibid.

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sured Berlin of his support in opposing Spanish claims to the islands.29 The need for this British backing was underlined by the simultaneous assessment of the legal status of the islands carried out by the German minister in Madrid.30 According to Count Eberhard zu Solms, there was no question that Spain considered the Carolines to be one of her overseas possessions. He also confirmed that preparations were indeed underway to send a flotilla from the Philippines to assert Spanish sovereignty over those islands. This rather sobering intelligence did not, however, deter Bismarck. On the contrary, after being briefed on the results of these initial soundings in June 1885 he endorsed a plan to move quickly to thwart Spain’s plan to occupy the Carolines.31 Of equal importance in terms of assessing his motivation is the directive he gave on how to proceed. He continued to rule out openly discussing the question of ownership of the islands directly with the Spanish government. So although the bureaucrats in the Foreign Office had initiated this adventure and would later be blamed for the resulting fiasco, there can be no doubt that it was Bismarck himself who took a very aggressive posture with regards to what to do — seize the Carolines — and how to go about doing it — confrontation instead of negotiation. With Bismarck urging haste, Secretary of State Count Paul von Hatzfeldt conferred immediately with the chief of the admiralty, Leo von Caprivi, to prepare a plan for using German gun boats stationed in the Pacific to beat the Spanish naval force to the islands.32 However, there were significant logistical challenges. The closest German war ship, the Albatros, could not reach the Carolines until the end of September. Its primary destination was to be Yap as it was the main island in the group and therefore the likely destination for the Spanish fleet. Given that this was a race against Spanish ships stationed much closer to the Carolines, the admiralty’s proposal did not offer much hope for success. Yet Bismarck approved this risky operation. Given the likelihood that Spanish ships would arrive before the Albatros, her commander was ordered to avoid any confrontation with the Spanish fleet. But before that ship could set sail, an important change in the final dispositions for this action was made. The gun boat Iltis was substituted to take the lead as it could arrive a month earlier after refitting in Shanghai.33 The Albatros was now assigned the secondary task of raising the flag across the rest of the widely dispersed island chain. Final preparations for this daring mission were nearing completion at the end of July when a dispatch arrived from the German consul in Manila that almost 29 Münster to Bismarck. No. 170. June 7, 1885. R19533. PAAA. For general background on the Anglo-German colonial rivalry in the Pacific cf. Martin P. Knight, ”Britain, Germany and the Pacific 1880–87”, in Germany in the Pacific and Far East, 1870–1914, eds. Paul M. Kennedy, John A. Moses (St. Lucia, 1977), 61–88. 30 Solms to Bismarck. No. 110. June 9, 1885. R19533. PAAA. 31 H. Bismarck to W. Bismarck. No. 17. June 23, 1885. (Bismarck’s marginal instructions.). R19533. PAAA. Hatzfeldt to Rantzau. No. 3. July 11, 1885. (Bismarck’s marginal instructions). Ibid. 32 Hatzfeldt to Rantzau. No. 3. July 11, 1885. R19533. PAAA. 33 Caprivi to Hatzfeldt. July 29, 1885. R19533. PAAA.

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caused the entire operation to be scrubbed.34 Dated a month earlier, this communication indicated that a Spanish cruiser and a transport ship were about to sail from their base in the Philippines to carry out the planned assertion of Spanish sovereignty over the Carolines. In view of this latest development, it now seemed impossible for the Iltis to carry out the planned naval coup before the Spanish ships completed their task. Hatzfeldt therefore ordered the navy to cease preparations for the planned action.35 However, this order was countermanded by Bismarck who remained determined to persevere. He persisted even after confirmation was received from Manila that the Spanish ships had departed the Philippines on 1 August and therefore all hope of beating those vessels to Yap now seemed to be lost.36 The Chancellor ordered that an attempt was nevertheless to be made to seize as many of the islands as possible.37 But the altered circumstances led to an important change of tactics. Only now did he instruct the Foreign Office to open a diplomatic dialogue with Spain about the Carolines. Since the fait accompli he had planned was no longer possible, he seems to have decided to accelerate the timetable for the inevitable political conflict. In this context his decision to follow through on his now futile bid to acquire the islands was partly motivated by a desire to improve Germany’s negotiating position by asserting control over territory to be used later as bargaining chips. However, it seems equally clear that he remained firmly resolved to instigate a quarrel with the government in Madrid. By issuing these new instructions, Bismarck had finally dropped the veil of secrecy surrounding the now largely symbolic attempt to make the Carolines a German protectorate. The British government was quickly briefed on the details of the impending German action.38 At the same time Madrid was informed that the Carolines were about to be proclaimed a protectorate of the German Empire. 39 On the high seas the naval race played itself out exactly like the comic opera it had become. The two Spanish vessels arrived at Yap on 21 August, well ahead of the hapless Iltis that did not drop anchor there until the evening of 24 August.40 34 Kempermann to Bismarck. No. 26. June 22, 1885. R19533. PAAA. Hatzfeldt to Kempermann. Tel. No. 1. July 31, 1885. Ibid. 35 Caprivi to Hatzfeldt. Aug. 1, 1885. R19533. PAAA. Hatzfeldt to Bismarck. Aug. 2, 1885. Ibid. 36 Kempermann to F.O. Tel. No. 1. Aug. 2, 1885. R19533. PAAA. This report was incorrect as the Spanish ships did not actually leave until about a week later. In fact it appears that the German communication of its intentions triggered the departure of the ships. 37 Hatzfeldt to Bismarck. Aug. 2, 1885. (Bismarck’s marginal instructions). The chancellor responded to the question about whether to continue the now futile action with “by all means” (jedenfalls). R19533. PAAA. Bismarck to F.O. Tel. No. 6. Aug. 4, 1885. Ibid. 38 Plessen to F.O. Tel. No. 197. Aug. 5, 1885. R19533. PAAA. Hatzfeldt to Plessen. No. 311. Aug. 7, 1885. R19534. PAAA. Plessen to F.O. Tel. No. 199. Aug. 7, 1885. Ibid. Plessen to Bismarck. No. 235. Aug. 11, 1885. Ibid. 39 Hatzfeldt to Solms. No. 32. Aug. 7, 1885. R19534. PAAA. Solms to Bismarck. No. 165. Aug. 8, 1885. Ibid. 40 Solms to Bismarck. Tel. No. 72. Sept. 4, 1885. R19536. PAAA. Solms to Bismarck. No. 201. Sept. 4, 1885. R19537. PAAA. Hofmeyer to Admiralty. Sept. 9, 1885. (Attachment to letter from Caprivi to Herbert Bismarck. Sept. 9, 1885). Ibid. Elduayen to Benomar. Sept. 15, 1885.

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However, the Spanish task force did not raise its flag on the island so that no formal act of annexation had taken place before the German gun boat arrived. Consequently, the German captain found himself in a conundrum. His orders were to take no action if Spain had acquired the islands before his arrival and to avoid confrontations with Spanish vessels. Yet his initial inquiries revealed that the Spanish flag had not yet been raised. He therefore felt that it was consistent with his orders to plant the German flag there on 25 August which triggered a visit from the designated Spanish governor who angrily protested that Spain already possessed the islands. A few days later the Iltis, having carried out its assignment, set sail for Manila. For their part, the Spanish naval officers removed a hastily hoisted Spanish flag from the island before they also departed leaving the question of ownership unresolved. As news of this encounter made its way slowly back to Europe, leaders in Madrid and Berlin agreed that this farcical and inconclusive naval encounter should not decide the question of sovereignty.41 But they agreed on little else as both sides were pursuing agendas that made this a zero sum game. For an understanding of Bismarck’s objectives during the ensuing crisis in German-Spanish relations it is important to recognize that he believed Spain had a stronger claim to the islands based upon initial reports that Spanish ships had arrived in Yap first.42 Yet in the following weeks the Chancellor was to assume a very intransigent posture towards Spanish claims. And German naval activity in the Carolines continued. The Albatros arrived in the archipelago on schedule in September and proceeded to hoist the German flag across the other islands in that chain. Since contact with war ships operating in these waters was only possible when they were anchored in a major coastal city there was a long delay in any communications so there was a lag between these events and reactions to them in Europe. But news of this naval confrontation did not instigate the diplomatic quarrel in Europe. The international imbroglio over the Carolines had begun weeks before the brief encounter described above. At the start of August a serious crisis in Spanish-German relations had been instigated by Bismarck’s announcement of his intention to proclaim the Carolines a German protectorate. Spanish leaders were outraged at this revelation and protested against such high-handed behaviour. It is also hard to imagine that Bismarck had not anticipated this reaction. The government in Madrid had little choice but to treat the German move as an attempt by a foreign power to seize a part of its sovereign territory. Specifically, the Spanish government had two main objections to Bismarck’s actions.43 The first related to R19538. PAAA. Correo. Oct. 22, 1885. Correspondencia. Oct. 22, 1885. Solms to Bismarck. No. 312. Oct. 23. 1885. R19544. PAAA. Hofmeyer to Admiralty. Sept. 4, 1885. Ibid. 41 Bismarck to F.O. Tel. No. 41. Sept. 10, 1885. R19537. PAAA. 42 Benomar to Hatzfeldt. Sept. 5, 1885. (Bismarck’s marginal note indicating that the assumption of the Spanish government that the arrival of their ships before the German gun boats gave their claims priority over Germany’s was “correct”.) R19536. PAAA. H. Bismarck to Bismarck. No. 59. Sept. 12, 1885. (Bismarck’s marginal note.) R19538. PAAA. 43 Solms to Bismarck. No. 165. Aug. 8, 1885. No. 165. R19534. PAAA. Benomar to Hatzfeldt. Aug. 12, 1885. Ibid. Hatzfeldt to Bismarck. Aug. 12, 1885. Ibid. Benomar to Hatzfeldt. Aug.

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the substance; the second to process. On the question of substance, the Spanish position was very clear: They refused to acknowledge any legitimate German claim to ownership of the Carolines irrespective of the winner of the race between the German and Spanish naval task forces because Spain considered the Carolines to be under her jurisdiction based upon long-established rights. The second objection was procedural in nature and is more interesting in the context of the more general question of Bismarck’s motivation for his uncharacteristic involvement in colonial activity: The Spanish government questioned why Germany had proceeded in such a confrontational manner and had not sought clarification prior to moving to unilaterally seize this territory. Leaders in Madrid found the German action particularly provocative given that they had quite openly announced their intention to assert sovereignty over the Carolines in the press well before German ships had been dispatched. The Spanish position on both procedure and substance was formalized in a series of protest notes.44 The German position was equally clear. From a procedural point of view, Bismarck argued that since Spain had never demonstrated any sovereignty over the islands there had been no need for any prior discussion.45 Of course, this argument was entirely disingenuous. The Foreign Office had been fully aware of Spanish historical claims and of Madrid’s preparations to formalize those rights by sending ships to Yap. It was, in fact, the certainty about this publicly proclaimed Spanish colonial expedition that had triggered the German bid to preempt it. In reality, Bismarck had expected and indeed intended to provoke a clash with Spain. On the substantive question of Spain’s de facto sovereignty over the islands, the Chancellor persisted in pointing out that there was no documentation supporting those claims and the failure of Spain to respond to the Anglo-German notes of March 1875 proved that Spain had no legal title to the archipelago. Bismarck also emphasized that the complete lack of any Spanish efforts to establish formal control over the Carolines meant that they were free for the taking. His position was stated quite strongly in two lengthy diplomatic notes.46 Interestingly, both of these dispatches were dated from his private estates in Varzin and Friedrichsruh and not Berlin as was customary. This important nuance of diplomatic procedure indicates that the Chancellor intended to throw the full weight of his personal prestige into this fight. Clearly he felt that there was a lot at stake, well beyond the decision about who would rule a small group of coral islands. 14, 1885. Ibid. The deliberately provocative manner in which Bismarck had addressed this issue was highlighted in particular by Elduayen. Solms to Bismarck. No. 168. Aug. 15, 1885. Ibid. 44 Elduayen to Benomar. Aug. 19, 1885. R19534. PAAA. Elduayen to Benomar. Sept. 15, 1885. R19538. PAAA. Elduayen to Benomar. Oct. 12, 1885. R19543. PAAA. 45 Rantzau to F.O. Aug. 17, 1885. R19534. PAAA. 46 Bismarck to Solms. No. 52. Aug. 31, 1885. R19536. PAAA. (Printed in: Schulthess‘ Europäischer Geschichtskalender (SEG), 26 (1885), 123–125). Bismarck to Solms. No. 54. Oct. 1, 1885. R19541. PAAA. (Printed in: SEG. 26 (1885), 133–137). The initial drafts of the note were dated “Berlin” as would correspond to normal diplomatic practice. Bismarck himself edited the final versions to date them from his estates.

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In order to fully grasp the real political issues underlying this crisis in German-Spanish relations it is important to recognize that the fate of the Spanish government immediately became a core issue in the dispute. This aspect of the affair was highlighted right at the beginning of the conflict by Solms.47 It was also a development that could have been easily anticipated during the planning for the German coup. The pivotal role played by domestic political considerations at the very start of this conflict suggests that destabilizing the Spanish government by inflicting a major colonial embarrassment upon it was an important motive for Bismarck’s decision to seize the Carolines. European power politics were, therefore, undoubtedly an important factor in the decision to raise the imperial ensign on those distant islands. Hence it is necessary to consider the state of relations between both countries at the start of the confrontation and Spain’s role in Bismarck’s continental alliance system in order to grasp how events in the Pacific Ocean were related to his meddling in Spain’s internal affairs. III. Hot or Cold War? (August–September 1885) Since the revolution of 1868 the central question in Spanish politics had been whether the country would remain a monarchy or become a republic. It was a situation similar to the one faced by France after her defeat in 1871. Another similarity with France was that Bismarck had played an important part in determining the resolution of this central domestic political problem. Most famously, the Franco-German war had been provoked by Bismarck’s attempt to put a Hohenzollern prince on the Spanish throne in 1870. In 1874 he then took a leading role in securing international recognition for the short-lived republican regime of Marshall Francisco Serrano.48 So Bismarck had swung from attempting to strengthen the Spanish monarchy in 1870 to endorsing the foundation of a republic in Spain in the span of only four years. But one continuous consideration in all of these early attempts to shape the course of Spanish domestic politics was a strategic one: An uncertain neighbour on France’s border allied with Germany would tie down French troops in the event of a war. In the years leading up to the dispute over the Caroline Islands Bismarck had made considerable progress towards achieving the main objective of his Spanish policy. In 1883 the Spanish king, Alfonso XII, had visited Germany and had been well-received.49 During his stay in Berlin the Spanish ruler had given Bismarck his personal commitment that he would mobilize 250,000 men on the French border in the event of a Franco-German war. It appeared that Bismarck had finally realized his strategic vision for Spain. But almost immediately the risks to Spain 47 Solms to Bismarck. No. 166. Aug. 12, 1885. R19534. PAAA. 48 James Stone, The War Scare of 1875: Bismarck and Europe in the mid-1870s (Stuttgart, 2010), 167–170; James Stone. “Bismarck and the Containment of France 1873–1877”, Canadian Journal of History, 29 (1994): 282–304. 49 Havemann, Spanien im Kalkül, 77–85.

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of such a close alignment with Germany became apparent. When the king returned from this visit through France he was greeted by violent demonstrations in Paris. The crowds were angered by Alfonso’s close ties with France’s archenemy. Although the possibility that these incidents might trigger a Franco-Spanish conflict doubtless caused sober reflection in Madrid about the perils of a German alliance, the resulting tensions also provided Germany with an opportunity to solidify the emerging entente with Spain by offering support against any French aggression. The German commitment to stand by Spain was then demonstrated by a very successful return visit from the German Crown Prince at the end of 1883.50 However, the strong Francophile sentiments in the Spanish population meant that this pro-German foreign policy orientation was unpopular at home. Hence it was perhaps inevitable that Spain would soon swing back into its traditional role as a French satellite. But a change of government accelerated this process. A new conservative ministry was formed under the leadership of Antonio Cánovas del Castillo in 1884 and it began to chart a more Francophile course in its foreign policy.51 This shift in direction raised concerns on the Spree and caused Bismarck to consider whether the continuation of conservative rule was in Germany’s best interest. He seemed particularly displeased with Jose de Elduayen who was the foreign minister in the new government. Elduayen had a reputation for being proFrench and his actions showed that this reputation was fully deserved.52 This shift in Spanish foreign policy was probably of an even greater concern to Berlin after the fall of Jules Ferry in early 1885 given that it signalled an end to a period of détente with France. Contrary to the standard view, this change of government in France may have been a consideration in actually motivating Bismarck to acquire the Carolines instead of causing him to cease colonial expansion. Given these changes in Spanish and French foreign policies, leaders in Berlin probably welcomed increasing indications that Cánovas found himself embattled domestically in the summer of 1885.53 The country had been stricken by a cholera epidemic in the months prior to the Carolines dispute and the government had been harshly criticized for mismanaging the outbreak.54 What made this situation even worse for the ruling conservatives was that the republican and liberal opposition parties had joined forces to form a united Fusionist faction under the leadership of Práxedes Sagasta. The dispute with Germany over the Caroline Islands came, therefore, at a very inopportune moment for the Cánovas government. As a 50 Havemann, Spanien im Kalkül, 85–89. 51 Havemann, Spanien im Kalkül, 89–90, 103, 109–110. Solms to Bismarck. No. 169. Aug. 19, 1885. R11893. PAAA. 52 Solms to Bismarck. No. 181. Aug. 23, 1885. (Bismarck’s marginal comment.). R11893. PAAA. H. Bismarck to Bismarck. Sept. 9, 1885. Herbert von Bismarck, Staatssekretär Graf Herbert von Bismarck: Aus seiner politischen Privatkorrespondenz, ed. W. Bussmann (Göttingen, 1964), 310. 53 Solms to Bismarck. No. 169. Aug. 15, 1885. R11893. PAAA. 54 SEG, 26 (1885), 237. An interesting contemporary discussion of the Carolines in the context of Spanish domestic politics: Der spanisch-deutsche Konflikt um die Karolinen und die Revolution in Spanien (Hagen i. W., 1885).

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result its response to this international crisis was dictated primarily by domestic political considerations. Interestingly Bismarck’s handling of the crisis was also strongly influenced by Spanish internal politics. In fact an important motive for this entire colonial venture soon revealed itself to be Bismarck’s desire to return to his earlier policy of meddling in the domestic affairs of Spain. The reaction of the Spanish government to the revelation of the German plan to seize the Caroline Islands at the start of August played into Bismarck’s hands. In view of their embattled position at home Spanish leaders decided to place themselves at the head of the national outrage caused by the announcement of the planned German colonial coup in the Carolines.55 In Spain there was still a strong emotional attachment to these few remaining vestiges of empire,56 and consequently there was a patriotic backlash against Germany. Under these circumstances Cánovas saw no alternative but to assume the leadership of this popular protest. If he did not take the lead, he would have become the target of the growing firestorm of nationalist indignation.57 For this reason Cánovas decided to use the government press extensively to demonstrate the patriotic ardour of the conservative leadership. He may have, in fact, deliberately tried to leverage national feelings to rally the people around his government, as the German semi-official press claimed.58 However, this jingoistic public stance and the aggressive use of semiofficial newspapers soon created a highly volatile situation which came to a head at the start of September. Spanish national pride had become so enflamed that it finally found an outlet in violent anti-German demonstrations. After news of the arrival of the Iltis in Yap finally reached Spain in the first week of September angry mobs attacked the German mission in Madrid as well as consulates elsewhere in the country.59 In Madrid the flag and the coat of arms of the German legation were torn down during one of these outbreaks of mob violence. This was a serious provocation that almost led to hostilities between the two countries. In the wake of these violent protests, a war with Spain over the Carolines seemed to be unavoidable. The German minister in Madrid compared the situation there with the one that existed in July 1870 in Paris shortly before France declared war on Prussia.60 Officials at the Foreign Office in Berlin were also convinced that hostilities would commence at any moment.61 The likelihood of an armed 55 Solms to Bismarck.No. 186. Aug. 26, 1885. R19536. PAAA. Solms to Bismarck. Tel. No. 64. Aug. 27, 1885. R11893. PAAA. Solms to Bismarck. No. 185. Aug. 25, 1885. Ibid. 56 Solms to Bismarck. No. 166. Aug. 12, 1885. R19534. PAAA. Martin Blinkhorn. “The ‘Spanish Problem’ and the Imperial Myth”, Journal of Contemporary History, 15, (1980): 5–25. 57 Solms to Bismarck. No. 170. Aug. 16, 1885. R19534. PAAA. Solms to Bismarck. No. 175. Aug. 20, 1885. Ibid. Solms to Bismarck. No. 177. Aug. 21, 1885. R1935. PAAA. Rantzau to F.O. Aug. 22, 1885. Ibid. 58 Kölnische Zeitung. No. 241. Aug. 31, 1885. 59 Solms to F.O. Tel. No. 73. Sept. 5, 1885. R11894. PAAA. Lindau to F.O. Tel. No. 23. Sept. 5, 1885. Ibid. Dahlander to F.O. Tel. Sept. 5, 1885. R11895. PAAA. 60 Solms to F.O. Tel. No. 73. Sept. 5, 1885. R11894. PAAA. 61 Arthur von Brauer, lm Dienste Bismarcks (Berlin, 1936), 102–103. Herbert Bismarck viewed Solms’ telegram as too alarmist: H. Bismarck to Rantzau. Sept. 6, 1885. Staatssekretär Graf Herbert von Bismarck, 304.

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conflict seemed so high that the German Admiralty was instructed to prepare plans for a campaign against Spain. General Caprivi quickly presented Bismarck with various options for conducting a naval war.62 After a thorough analysis of the strategic situation, the general and his advisers expressed complete confidence in the German navy’s ability to defeat the outmatched Spanish fleet. For his part, Bismarck privately indicated that he would “gladly” engage in a war with Spain if she were foolish enough to instigate one.63 He also began to sound out potential allies in a conflict with Spain, particular consideration being given to the United States, which coveted the Spanish colony of Cuba.64 The Chancellor was concerned enough about the possibility of war with Spain that he delayed releasing the naval reservists.65 It is also important to note that a factor in his considerations about the potential benefits of a war was that “it would hardly provide any favourable material for the Progressive agitation”.66 The impact of colonial actions on the position of Eugen Richter’s left-wing opposition party was apparently an important factor in making the final decision about whether to engage in a colonial war with Spain. However, in the end, Bismarck decided against military action. His rationale for this decision was that a conflict with Spain could not remain localized since France would eventually be compelled to intervene.67 He was also concerned that Germany’s trade with Spain would suffer. The Chancellor recognized that the value of the Caroline Islands paled in comparison to the long-term damage to German commercial interests that a war would cause in view of the volume of trade with Spain.68 But not all of his subordinates at the Wilhelmstrasse agreed with this decision to avoid the use of military force. Friedrich von Holstein, an influential privy councillor in the Political Section responsible for western Europe, argued that Germany should declare war rather than to retreat in the face of opposition from a second class power.69 But, as was often the case, Holstein misjudged Bismarck’s strategy. His criticism betrayed a complete lack of appreciation for the subtleties of his master’s political machinations. Bismarck certainly had no intention of 62 H. Bismarck to Bismarck. Sept. 8, 1885. R11901. PAAA. Memorandum by Caprivi. Sept. 10, 1885. Ibid. 63 Rantzau to H. Bismarck. Sept 7, 1885. Staatssekretär Graf Herbert von Bismarck, 307. 64 Bismarck to Alvensleben. A32. Sept. 11, 1885. R11901. PAAA. Rantzau to H. Bismarck. Sept. 7, 1885. Staatssekretär Graf Herbert von Bismarck, 307. 65 H. Bismarck to Caprivi. Sept. 12, 1885. R11901. PAAA. 66 Rantzau to H. Bismarck. Sept. 7, 1885. Staatssekretär Graf Herbert von Bismarck, 307. 67 Memorandum by Caprivi. Sept. 10, 1885. (Bismarck’s marginal directives.) R11901. PAAA. H. Bismarck to Rantzau. Sept. 1, 1885. Staatssekretär Graf Herbert von Bismarck, 301. The French ambassador denied that this was the case, but Bismarck believed that a spiral of armaments would force France’s hand. Rantzau to H. Bismarck. Oct. 21, 1885. Staatssekretär Graf Herbert von Bismarck, 323. 68 Rantzau to H. Bismarck. Sept. 5, 1885. R19536. PAAA. The Spanish semi-official press had threatened trade reprisals in response to the German attempt to seize the Carolines. Solms to Bismarck. No. 177. Aug. 21, 1885. (Attached translation of an article from the Época of Aug. 19th which is cited here.) R19535. PAAA. 69 Diary entry Sept, 7, 1885. Holstein, Die geheimen Papiere, 2, 264.

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meekly backing down. Although he had decided not to unleash the German fleet against Spain, it would be a mistake to construe this decision to mean that he had given up on achieving the political objectives that had motivated him to seize the island chain in the first place. Bismarck’s focus had always been on destabilizing the Spanish government. And for him conceding the loss of the Carolines and working towards a change of government in Madrid were not mutually exclusive goals. In fact, he masterfully used his colonial retreat to prolong the deepening domestic political crisis in Spain. So the peaceful manner in which he chose to resolve this incident was really a means of conducting a cold war against the Spanish government instead of a shooting war against the Spanish navy. The only aspect of this policy about which there could be any doubt is whether his efforts to bring about the fall of the Cánovas government were the product of the violent demonstrations triggered by Bismarck’s attempt to annex those islands or whether influencing Spanish domestic politics was one of the goals of his colonial gambit from the outset. The timing of the launch of this cold war indicates that it was not the violent reaction of the Spanish people to his attempt to acquire the Carolines that was behind his decision to unseat the Cánovas ministry. As early as 24 August the Chancellor had minuted a telegram from Madrid with the directive that Germany has “no interest in maintaining the government or even the monarchy in Spain”.70 In fact he noted with reference to the efforts by republican forces to discredit the Spanish government over the Carolines affair that the establishment of a republic in Spain would benefit all other monarchies on the continent by showing their subjects what they could expect from this form of government. 71 Characteristically he had repeatedly used this same argument in the 1870s to defend his massive interference in French domestic politics to promote the republican cause against the objections of alarmed conservative critics.72 Bismarck did not remain a passive observer of the internal turmoil he had conjured up in Spain by seeking to acquire the Carolines. He actually became actively involved in Spanish domestic politics by exerting his influence on public opinion and the king to bring about a change in government. The Chancellor explained his tactics with surprising candour in his instructions to Solms. The German envoy was ordered not to conceal from the Spanish ruler that “Germany’s intentions were conciliatory but that it would not be in our interest or that of the King if the current ministers remained in office”.73 At the same time Bismarck sought to win the support of his own ultra-conservative ruler for a policy of pro-

70 Solms to FO. Tel. No. 50. Aug 23, 1885. R11893. PAAA. 71 Rantzau to F.O. Sept. 7, 1885. R11895. PAAA. Rantzau to F.O. Aug. 26, 1885. R11893. PAAA. 72 Heinz-Alfred Pohl, Bismarcks ‘Einflußnahme’ auf die Staatsform in Frankreich 1871–1877: Zum Problem des Stellenwerts von Pressepolitik im Rahmen der auswärtigen Beziehungen (Frankfurt a.M., 1984). 73 Bismarck to F.O. Tel. No. 17. Aug. 26, 1885. R11893. PAAA.

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moting the creation of a republic in Spain, as well as in Italy, as a means of strengthening monarchist sentiments in Germany, Austria and Russia.74 A key part of Bismarck’s brazen interference in Spanish politics was to enlist the aid of diplomats experienced in this sort of activity to increase his diplomatic firepower. Consequently, he kicked off his war of words with the Spanish government by declaring that the dispute over the Caroline Islands was no longer merely a colonial question. It now needed to be handled within the Foreign Office as a “political” matter because “the Carolines are a minor consideration; the main consideration is our relationship with Spain”.75 Of course, it is unclear whether Bismarck was ever interested in the Carolines other than for their political value in pushing for regime change in Madrid and influencing party politics at home in Germany. But there is no question that from the final week of August onwards his declared agenda with respect to influencing Spanish domestic politics determined how he conducted negotiations to end this colonial dispute. In practice this official elevation of an overseas colonial dispute to a question of European power politics meant that the campaign against Cánovas was placed into the capable hands of Holstein who had been Bismarck’s loyal lieutenant in Paris in the early 1870s where he had been assigned the task of ensuring that the monarchist German ambassador there adhered to Bismarck’s pro-republican policy.76 Although Bismarck had ordered the navy to stand down, politically he was ordering all hands on deck. By the middle of August Bismarck had succeeded in unleashing a serious domestic political crisis upon the Spanish government. As a result Spanish leaders pleaded with him to quickly resolve the quarrel in order to prevent a republican revolution.77 Cánovas and Elduayen incorrectly assumed that they could secure a speedy and generous settlement by appealing to the principle of monarchical soli-

74 Rantzau to F.O. Sept. 7, 1885. R11895. PAAA. Rantzau to F.O. Aug. 26, 1885. R11893. PAAA. A further element of political continuity is that Bismarck had also pursued a parallel set of campaigns to promote liberal regimes in all the countries bordering on France in the mid-1870s — Spain, Italy and Belgium. In 1885 he once again included Italy as a target for republican agitation showing that he tended to handle these countries as a bloc. For a discussion of a very similar earlier campaign to promote liberalism in all the states on France’s border: James Stone. “Bismarck and the Containment of France 1873–1877”, Canadian Journal of History, 29 (1994): 282–304. 75 Solms to F.O. Tel. No. 59. Aug. 23, 1885. (Bismarck’s marginal directive.) R11893. PAAA. A similar marginal directive was given even earlier: “New proof that we have no interest in maintaining this ministry.” The use of the word “new” is also important as it indicates that this perception existed even earlier than this example. Solms to Bismarck. No. 175. Aug. 20, 1885. R19534. PAAA. Bismarck to F.O. No. 15. Aug. 24, 1885. R19535. PAAA. 76 Diary entry Aug. 28, 1885. Holstein, Die geheimen Papiere, 2, 259. Bismarck’s directive also led to the correspondence on the Carolines affair being split into two dossiers. There was a separate dossier concerning the Carolines dispute set up for tracking documents relating to his campaign to oust Cánovas (Spanien 51 – R11893-R11899). 77 Hatzfeldt to Bismarck. No. 13 (Draft). Aug. 23, 1885. R19534. PAAA. Benomar to Hatzfeldt. Aug. 27, 1885. R19535. PAAA. H. Bismarck to Bismarck. Aug. 28, 1885. Ibid. Solms to Bismarck. Tel. No. 72. R19536. PAAA. H. Bismarck to Bismarck. Sept. 15, 1885. R19539. PAAA.

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darity. But Bismarck saw through this transparent tactic and was unmoved.78 In fact, these appeals to shared conservative values backfired just as the Spanish government’s deliberate arousal of public anger had only served to deepen a domestic crisis that was already spiralling out of control.79 A further source of embarrassment for Cánovas was that the violent attacks on German legations had provided Berlin with a legitimate grievance, perhaps even a casus belli. Spanish opposition leaders made things even more difficult for Cánovas by demanding that his government take a hard line with Germany, including going to war if necessary.80 It is important to understand the increasingly desperate internal crisis in which the Spanish government found itself in the first weeks of September to properly gauge the real intentions behind Bismarck’s negotiating strategy over the next few months. He was quite clear in his instructions to the Foreign Office about the tactics he wanted to use in order to bring about the desired change of government: „We must avoid demanding Elduayen’s resignation, but we will not engage in friendly negotiations as long as he remains in office. In confidential discussions with Benomar [the Spanish minister in Berlin] complete reserve is required for now, motivated with reference to the [anti-German] events in Madrid and to the fact that no official report has been received [from the captain of the Iltis] regarding what took place in the Carolines.“ 81

This was a surprisingly candid statement of the methods that Bismarck was to employ for the remainder of the dispute. He deliberately prolonged the quarrel in order to sustain a political crisis in Spain that he hoped would lead to the appointment of a liberal cabinet by the king or perhaps even the proclamation of a republic. The Chancellor knew from the Madrid dispatches that Spanish leaders were desperate for a quick resolution of the quarrel in order to avoid being replaced by the liberal opposition so he negotiated in bad faith to make sure that the conflict dragged on long enough to achieve his objectives.82 Bismarck also sought to work with the left-wing Fusionists under Sagasta to support their efforts to bring about a change of government. As Solms highlighted in his reports, the liberal opposition was subjecting the government to scathing criticism over its handling of the Carolines question. 83 For his part, Bismarck sought to use his journalistic mouthpieces to support the liberal opposition in Spain. For example, he ordered that semi-official newspapers treat the increasing calls of the Fusionist press for the resignation of the government in Madrid “in a supportive fashion” and asked that government-friendly journalists be instructed 78 Cánovas to Benomar. Sept. 2, 1885. (Bismarck’s marginal notes.) R11894. PAAA. 79 The German semi-official press accused the Spanish government directly of having brought potential revolution upon themselves by stirring up the masses. Kölnische Zeitung. No. 242. Sept. 1, 1885. 80 Solms to Bismarck. No. 174. Aug. 19, 1885. R19534. PAAA. Deines to War Ministry. No. 29. Aug. 31, 1885. R19536. PAAA. Solms to Bismarck. Tel. No. 75. Sept. 5, 1885. R19537. PAAA. 81 Solms to F.O. Tel. No. 63. Aug. 27, 1885. R11893. PAAA. 82 Solms to Bismarck. No. 194. Sept. 1, 1885. R11895. PAAA. 83 Solms to Bismarck. No. 174. Aug. 19, 1885. R19534. PAAA.

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to promote the idea as vocally as possible that “a change in government in Spain would make it easier for us to make concessions”.84 This extensive use of the media as a diplomatic weapon was indicative of Bismarck’s entire approach to conducting his cold war against the Spanish government. Another defining characteristic of his campaign to oust Cánovas was that diplomacy was conducted in a highly visible manner. Bismarck took the lead in ensuring this public mode of communication by being the first to publish diplomatic notes. 85 His clear intention was to use this unfavourable publicity to further embarrass the Spanish government by revealing the details of official diplomatic correspondence. When the head of the press bureau in Madrid complained that these German revelations were “not pleasant for the government”, the Chancellor noted that they “were not intended to be”.86 He also frequently ordered the sharing of the content of dispatches with journalists.87 This strategy of open diplomacy was necessary because one half of the target audience for this entire colonial drama was the people of Spain and the other half were liberal voters in Germany. The political subtleties of Bismarck’s manipulation of a colonial dispute to serve higher political purposes were completely lost on his direct subordinates, confidantes and his imperial master — not to mention later generations of historians. They questioned the Chancellor’s handling of the entire affair. Kaiser Wilhelm was, of course, appalled by almost all aspects of his Chancellor’s imperial policy. When presented with the news of the escalating tensions with Spain he lamented that Bismarck continued to chart a reckless course in acquiring protectorates.88 He objected in particular to the confrontational manner in which his chancellor had executed this new imperialist fait accompli. The emperor had quite correctly grasped that it was the methods used to pursue overseas expansion as much as its outcomes that had created international tensions, first with Glad-

84 Lindau to Bismarck. (Bismarck’s marginalia). Aug. 29, 1885. R11894. PAAA. 85 The Spanish government attempted to pre-empt this public conduct of diplomacy but Bismarck insisted on proceeding to unilaterally publish the German notes to Spain. Benomar to H. Bismarck. Oct. 18, 1885. R19543. PAAA. H. Bismarck to Solms. No. 63. Oct. 20, 1885. Ibid. 86 Solms to Bismarck. No. 227. Sept. 14, 1885. (Bismarck’s marginal note). R19539. PAAA. In Spain the results of this approach were mixed. When both the Spanish and German notes were published this seems to have increased domestic support for the Spanish government. After Solms provided a long list of the journalistic commentary about the published notes that was highly critical of Germany’s actions, Bismarck commented at the end of one with obvious irritation: “Count Solms is very generous with his newspaper excerpts.” Solms to Bismarck. No. 320. Oct. 26, 1885. (Cf. Bismarck’s marginal comments.) R19544. PAAA. Solms to Bismarck. No. 317. Oct. 26, 1885. Ibid. 87 In the two dossiers devoted to the Carolines affair there are 134 directives from Bismarck to use material contained in Foreign Office documents in the press. 88 Diary entry Aug. 25, 1885. Holstein, Die geheimen Papiere, 2, 256. Diary entry Aug. 29, 1885. Ibid, 261.

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stone’s England and now with Cánovas’s Spain.89 And in both cases Bismarck had clearly targeted the governments in these countries through his colonial offensive. However in the case of the Carolines, the Kaiser was more reluctant to sanction a campaign to undermine a monarchist, conservative regime in Madrid than he had been to endorse efforts to rid the world of a Liberal English statesman whom Bismarck had often accused of promoting the republican cause in Great Britain.90 But it was not only the emperor who objected to Bismarck’s efforts to alter the course of Spain’s internal development. Holstein was also dismayed, but for very different reasons. He felt that Bismarck’s decision to oust the government in Spain and to promote a republic was based on petty jealousies and injured vanity. Holstein characterized the Chancellor’s decision-making during the crisis as “mood-driven political action” (Stimmungspolitik).91 In addition, Holstein believed that nepotism was an important factor. He felt that the Chancellor wished to see his son achieve a major success in his first important undertaking at the helm of the Foreign Office and had hoped that acquiring these islands would bring Herbert early laurels in his new role.92 But it was in Holstein’s nature to view politics in terms of personal agendas so he was prone to projecting similar motives onto his superior. For this reason he was unable to divine the true purpose behind the Chancellor’s strategy. The substance of the criticisms from above and below could not have been more different. Yet they both had one thing in common: They were based on a fundamental misreading of the actual outcomes the Chancellor was seeking to achieve from the start of this action and how these outcomes aligned with how he had conducted himself during the crisis. His efforts to undermine the conservative ministry in Spain were not the result of mood swings. On the contrary, they formed a central part of his original motivation in pursuing the creation of a protectorate. His decision to proceed in a unilateral, provocative fashion was quite deliberate. But his actual political agenda only became clear during the endgame of this colonial showdown. His apparent interest in finding a graceful exit out of an increasingly difficult situation through mediation soon revealed itself to be a clever scheme to achieve all the goals he had originally set himself in reaching out to seize the disputed islands. A careful look at how he ended this quarrel with the assistance of papal mediation will not only bring into clearer focus the real political agenda behind his attempt to acquire the Carolines but also raise doubts about the validity of the existing historiographical consensus with respect to this colonial venture constituting one of Bismarck’s great diplomatic failures. 89 Interestingly the British press emphasized this similarity in Bismarck’s preference for a confrontational approach in dealing with both England and Spain. Plessen to Bismarck. No. 266. Sept. 2, 1885. R19536. PAAA. 90 Hatzfeldt to Bismarck. No. 38. Aug. 28, 1885. R11893. PAAA. On the similar campaign against Gladstone cf. Stone, Bismarck versus Gladstone, 167–200. 91 Diary entry Aug. 27, 1885. Holstein, Die geheimen Papiere, 2, 258. 92 Technically Herbert von Bismarck was only the Undersecretary for most of the crisis but he was effectively managing the day-to-day work in the Foreign Office during this period.

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IV. Victory or Defeat? (September–December 1885) It is one of the enduring myths of the dispute over the Caroline Islands that Bismarck’s decision at the end of August 1885 to call upon the pope to resolve the dispute was a conciliatory gesture designed to make it easy for the Spanish government to agree to this resolution path.93 In fact, Cánovas and Elduayen fought vigorously against any kind of mediated settlement, even with the pope as the disinterested third party.94 In order to impose this solution on Spain, Bismarck had to apply considerable diplomatic pressure and to enlist the support of the other great powers.95 And even after applying so much political leverage he was only partially successful in bending the Spanish government to his will. He was forced to agree to limit the role of the pope to a mediator (Vermittler) instead of an arbitrator (Schiedsrichter) as he had originally wished.96 The dynamics of the mediation phase of the dispute continued to be driven by the domestic political objectives of both powers. For reasons of internal prestige the Spanish government wanted to reach an agreement through direct negotiations with Berlin as this would serve to bolster its embattled position at home by demonstrating its ability to defend Spain’s self-image as an imperial power. Retaining the Carolines through direct negotiations with Berlin was all the more critical for the government because the Fusionist opposition in Spain had condemned mediation as representing a humiliation for Spain.97 Viewed in this light it becomes clear how imposing arbitration or mediation on Madrid furthered Bismarck’s efforts to topple Cánovas. The choice of mediation also offered the possibility of achieving his own domestic political objectives if he could obtain a result that demonstrated that he had furthered German trade interests. For this reason he insisted on obtaining far-reaching commercial concessions in the Carolines as the price for accepting Spanish sovereignty since he needed them in order to demonstrate to his own target domestic audience that he had successfully defended German business interests abroad. From the earliest stages of the crisis Bismarck had clearly defined a minimum set of concessions he required in order to achieve his domestic political objectives. He left no doubt that he would settle for nothing less than an agreement that would guarantee German firms operating in the Carolines freedom from crippling Spanish trade regulations.98 In addition, Bismarck demanded a German naval sta93 For example: Havemann, Spanien im Kalkül, 118. 94 Dubsky to Kálnoky. No. 93. Sept. 13, 1885 (Copy shared with German Foreign Office). R11987. PAAA. Dubsky, the Austrian envoy in Madrid, was even more blunt than Solms noting that the government recognized that accepting arbitration or mediation amounted to commiting poliitical suicide. 95 Circular dispatch from Bismarck. Sept. 7, 1885. R19537. PAAA. 96 Solms to Bismarck. No. 266. Sept. 23, 1885. R19540. PAAA. 97 Solms to F.O. Tel. No. 96. Sept. 13, 1885. R19538. PAAA. 98 Bismarck made clear to his emperor that he needed these concessions in order to provide German commercial interests with the protection he had promised them through the acquistion of the islands. Bismarck to Wilhelm I. Sept. 24, 1885. R19540. PAAA.

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tion to serve as a transportation link with his recently acquired colonies in the region. Spanish leaders recognized these German interests in the Carolines and they were quick to offer to address them as a basis for settling this colonial quarrel. 99 The concessions presented to Germany were based on the terms of an agreement signed by both countries in March 1885 concerning the Sulu Islands.100 And they met all the conditions that the German Chancellor had defined to be a minimum requirement for ending the dispute. So there had been a model in place for resolving this sort of disagreement even before it started. The fact that Bismarck deliberately chose not to apply this existing framework for a settlement before he ordered war ships to Yap only serves to reinforce the conclusion that he had a specific political agenda in mind that could only be achieved by conflict.101 And when the Spanish government offered Bismarck the concessions he needed to be able to achieve his original goal of protecting German commercial interests in the Carolines he responded coolly to this conciliatory gesture.102 By not accepting an easy way out of the crisis through the compromise offered from Madrid, he was able to drag the conflict out longer and to push the Cánovas cabinet deeper into a domestic crisis that he hoped would result in its downfall. But in the end, Bismarck needed these concessions as part of any final settlement. So he secretly informed Pope Leo XIII in the early stages of discussions about papal mediation that he would not entertain any settlement that did not grant Germany the privileges already offered by Madrid.103 The choice of Leo XIII as mediator in itself also represented an important domestic political coup. Bismarck had already initiated a process to dismantle the Kulturkampf legislation in an effort to win over the pontiff as an ally in neutralizing the disruptive influence of the Centre Party.104 He now had an opportunity to promote these efforts to win over the Vatican as a domestic political ally through a conciliatory gesture that would cost him nothing. Bismarck explained his choice of the pope to the emperor with specific reference to considerations of domestic politics: “I am linking with this selection the intention of a courtesy towards the pope from which I expect that it will be useful in our conflict with the Catholic church by making the pope less susceptible to the influence of the Catholic de-

99 Hatzfeldt to Bismarck. Aug. 20, 1885. R19534. PAAA Solms to F.O. Tel. No. 58. Aug. 22, 1885. Ibid. H. Bismarck to Bismarck. Tel. No. 31. Aug. 25, 1885. R19535. PAAA. 100 Havemann, Spanien im Kalkül, 104–108. 101 This clear indicator of German intransigence was also noted by the Spanish press after the German note of 1 October was published. El Dia. Oct. 24, 1885. 102 Hatzfeldt to Bismarck. Aug. 20, 1885. R19534. PAAA Solms to F.O. Tel. No. 58. Ibid. H. Bismarck to Bismarck. Tel. No. 31. Aug. 25, 1885. R19535. PAAA. Bismarck had, however, attempted to sound out Madrid on the extent of the concessions they were prepared to make, in particular with respect to free trade for German entrepeneurs. Bismarck to F.O. No 16. Aug. 25, 1885. Ibid. Later Bismarck refused to even consider the concessions offered by Spain. H. Bismarck to Bismarck. Aug. 30, 1885. Ibid. 103 Bismarck to Schlözer. No. 165. Oct. 8, 1885. R19542. PAAA. 104 Erich Schmidt-Volkmar, Der Kulturkampf in Deutschland (Göttingen, 1962), 219–350.

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mocracy with [Ludwig] Windthorst at its head.”105 In order to achieve this domestic political objective the Chancellor strove to give Leo XIII as prestigious a role as he could. He wanted to maximize papal gratitude for the opportunity he was offering to reassert the Vatican’s role as an important force in international relations. In fact these efforts to enhance the prestige of the Vatican were so successful that the Italian government, which had been battling papal pretentions to regain its status as a worldly power since 1870, raised objections to this manoeuver.106 It would, however, be an error to view Bismarck’s emphasis on domestic political considerations in his decision to employ papal mediation as a consolation prize after he had failed to secure control over the Carolines. The involvement of the pope was much more than a masterful face-saving exercise. It became part of a broader effort to attain the results he had hoped to achieve by seizing that island chain in the first place through the manner in which he resolved the conflict resulting from his failure to do so. Papal mediation may have been extemporized but it was fully in line with his entire rationale for this and other colonial undertakings. The alignment of aims between initiation and conclusion of this failed imperial venture became particularly clear during the disagreement with Madrid over the scope of the pope’s mandate in resolving the dispute. When the Spanish government pushed to reduce the role of Leo XIII, Bismarck objected strenuously and pointed out that “if the pope remains a secondary figure his mis-en-scène will ultimately anger him and this anger will be to the advantage of Windthorst.”107 This domestic political concern nicely documents that during the mediation phase the Chancellor continued to focus on the party political implications of every aspect of the Carolines affair. The primacy of domestic political considerations became even clearer in the course of discussions within the Foreign Office regarding the negative impact on public opinion of conceding Spanish ownership of the entire island chain. In response to a query by his son about the risk of a domestic backlash if the government did not at least obtain some of the islands, the Chancellor rejected this suggestion with the rationale that “it [public opinion] is not determined by our political actions but rather by the influence of the political parties (Parteistellung); even if we are perfect angels we will not be able to win over Windthorst and Richter.”108 In the past Bismarck had made vague remarks about the centrality of domestic politics in his various colonial initiatives. One of the most widely quoted examples is a general reference in a dispatch to the German ambassador in London in January 1885 in which he noted that “for reasons of domestic policy the colonial problem is a vital question for us”.109 However, during the endgame of the Caro105 Bismarck to Wilhelm I. Sept. 21, 1885. R19539. PAAA. Otto von Bismarck, Gesammelte Werke. Neue Friedrichsruher Ausgabe (NFA), 6, Schriften: 1884–1885, eds. Holger Afflerbach et. al. (Paderborn, 2011), 712–713. 106 Arco to Bismarck. Tel. No. 73. Sept. 24, 1885. R19542. PAAA. 107 Solms to Bismarck. No. 287. Oct. 5, 1885. (Bismarck’s marginal notes.) R19542. PAAA. 108 H. Bismarck to Bismarck. Oct. 5, 1885. (Bismarck’s marginal notes). R19542. PAAA. 109 Bismarck to Münster. Jan. 25, 1885. GP, 4, 96.

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line dispute Bismarck became quite precise about the nature of the domestic political considerations dictating his decisions about whether or not to annex certain overseas territories. In assessing whether it was worthwhile to attempt to hang on to a fragment of the Caroline archipelago he made that choice based entirely upon the impact it would have on the two main opposition parties in Germany: The leftwing Progressives under Eugen Richter and the Catholic Centre party under his personal nemesis Ludwig Windthorst. Commercial or strategic considerations were not mentioned at all. Nor was there any reference made to the Crown Prince, France or Great Britain. Of course Bismarck’s scepticism about whether gaining a few coral islands would help to combat his main opponents in the Reichstag should not be interpreted to mean that he had completely abandoned the notion that overseas expansion could be a useful device for combating parliamentary opposition. On the contrary, his rationale for rejecting the annexation of portions of the Carolines clearly proves that the litmus test he employed when deciding whether or not to acquire colonies was its likely impact on the opposition parties at home. This perspective not only sheds light on the criteria he needed to meet in order to end the crisis without conceding defeat; it also brings into clearer focus his motives for attempting to acquire the islands in the first place. His efforts to protect German commercial interests in the Pacific both at the start and end of the crisis were targeted at winning over a specific group of influential liberal voters at home that also formed the core electoral support for the Progressive Party. Then, at the end of the dispute, he found a way to extend this strategy to include combating the Catholic Centre Party. It is therefore worthwhile to pause to examine the dynamics of this domestic political agenda at both the start and end of this colonial adventure. The core of the Progressive Party consisted of members of the professional and commercial elite in Germany who were pushing for the further parlamentarization of Germany and who favoured free trade. As a result, this party had split with the Chancellor and the National Liberals over the switch to protectionism in 1879.110 Yet on the question of overseas expansion there was an opportunity for Bismarck to find common ground with this group of voters once more. In the case of the Caroline Islands, he therefore made every effort to appear as the champion of these business leaders, providing them with strong state support against a foreign power notorious for imposing trade barriers in its colonies. It is worth recalling that the main rationale put forward by Hernsheim and Robertson for creating a protectorate had been to deal with the threat to their economic viability posed by Spanish trade restrictions. And Bismarck steadfastly refused to abandon the commitment he had made to protect the interests of these entrepreneurs. Given that Bismarck had no illusions about the economic significance of these islands his tenacity in defending German traders there appears at first glance to be somewhat paradoxical. He expended considerable diplomatic capital, became personally engaged to an unusual degree and incurred significant political risks for the sake of a few coral islands with little commercial value. His son-in-law 110 Ivo Lambi, Free Trade and Protection in Germany: 1868–1879 (Stuttgart, 1963).

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summed up the views of the Chancellor on the actual economic significance of this territory succinctly and with typical crudeness: “We can let the Carolines go just as we would when we pass wind (Lufthauch aus dem Arschloch).”111 The key to understanding this paradox is to realize that the importance of the Carolines for Bismarck was political, not commercial. Although he recognized that he could not win over the Progressives, he also knew that by repeatedly demonstrating that the imperial government would use its power to aggressively and effectively defend the trading interests of their supporters he could erode support amongst that party’s key stakeholders. One of the unique aspects of the Carolines affair compared to earlier more successful attempts at colonial acquisition in Africa was that Bismarck had decided to broaden the target audience for his colonial “swindle” — at least during the mediation phase. His initial advocacy of German commercial interests in the Carolines — like his earlier colonial acquisitions in Africa and the Pacific — had exclusively targeted Progressive Party supporters and liberals in general. But in the case of the Carolines he had extended his use of colonial activity for domestic political purposes to the Centre Party. Once again he certainly understood that even if he behaved like a “perfect angel” he could not win over Windthorst. However, by winning over the pope and making a magnanimous gesture towards the Vatican he hoped that he might acquire a new means to control the Centre Party. In justifying his choice of Pope Leo XIII to the Italian government it was more than just a diplomatic flourish when he declared that he did not view his relations with the Holy Father as a foreign policy question but rather as an “internal matter”.112 When Bismarck set out to create a conflict with Spain over the Carolines there is no indication that he had intended to exploit this action for the purpose of combating the clerical opposition at home. It was likely that his original objectives did not go beyond destabilizing the Spanish government and continuing his campaign to win over the voting base of the Progressives. However, the ease with which he turned his resolution of this crisis into an opportunity to extend his ongoing efforts to use colonial ventures to win over liberal voters to include the Centre Party highlights that these party political considerations were paramount in his final major foray into imperialism. Bismarck’s reluctance to retain some of the Caroline Islands does, however, offer the first hint that he was becoming sceptical about the efficacy of overseas expansion as a tool to influence domestic party politics. This was likely more important as a turning point in his colonial policy than the fall of Jules Ferry or his agreement with the Crown Prince about the future course of the German Empire. But he had clearly not abandoned the colonial “swindle” entirely. In fact a key element in his plan to ensure that he could achieve the desired impression at home of a government actively supporting commercial interests abroad was to acquire another colonial object that might serve as compensation to liberal public opinion

111 Rantzau to Bismarck. Aug. 28, 1885. Staatssekretär Graf Herbert von Bismarck, 298. 112 H. Bismarck to Arco. Tel. No. 51. Sept. 25, 1885. R19540. PAAA.

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for the failure to obtain the Carolines.113 He was fortunate that a suitable candidate was quick to present itself. The Marshall Islands were also situated in the South Pacific and the firm of Robertson and Hernsheim was commercially active there so they would benefit directly from the creation of a protectorate.114 The acquisition of the Marshall Islands in October 1885 was therefore a perfect consolation prize for disappointed liberal colonial enthusiasts and entrepreneurs. In justifying this new addition to the German overseas empire to his sovereign, Bismarck made explicit reference to the beneficial effect that this addition to Germany’s overseas empire would have on public opinion at home given the negative impression created by the minor setback suffered over the Caroline Islands. In his intimate family circle this final colonial acquisition was referred to as a “nice swindle” which underlines once again that this was another conscious exploitation of overseas expansion as a domestic political tool. 115 This final component of his strategy to extract himself from the Carolines affair without abandoning his domestic political agenda demonstrates that he still considered dramatic colonial actions to be useful in bolstering his position at home in spite of increasing doubts about the efficacy of this stratagem. Of course, Bismarck’s efforts during the mediation phase to influence party politics at home did not mean that he neglected his campaign to bring about a change of government in Spain. In fact, the decision to entrust a third party with the role of arbitrator was a hostile act given the strong opposition from Spanish leaders to this option. Their resistance to outside mediation was also quite understandable as this method of conflict resolution was a key part of the Chancellor’s strategy to remove them from office. It appears that Leo XIII was aware that his mediation was being used for this purpose and tried to mitigate the damage done to the conservative ministry in Madrid.116 But he could only reduce the negative fallout, not prevent it. The only consolation for Cánovas and his colleagues in reluctantly agreeing to this procedure was that the choice of the pope meant that a ruling in Spain’s favour on the main point of contention was a virtual certainty. It was unlikely that the Holy Father would rule against Catholic Spain in favour of Protestant Germany and a key document supporting Spain’s claim was a papal bull. But Bismarck did not rely on mediation alone to achieve his goal of bringing down the Spanish government. He continued to work on multiple fronts to undermine the credibility of conservative politicians in Madrid by demonstrating to the Spanish people at every opportunity the incompetence and the bad faith of their leaders. He was particularly intent on ruining the reputation of the Francophile foreign minister Elduayen. And this maladroit Spanish statesman gave Ber113 Bismarck to Wilhelm I. Aug. 29, 1885. R19536. PAAA. Bismarck did refer to the Marshall Islands as compensation to placate public opinion. He did not specifically mention liberal voters but referred instead to “national pride”. 114 Kusserow to Bismarck. No. 44. Aug. 28, 1885. R19535. PAAA. 115 Rantzau to H. Bismarck. Aug. 28, 1885. Staatssekretär Herbert von Bismarck, 298. 116 Memo by Jacobini. Nov. 9, 1885. (Attachment to: Schlözer to Bismarck. No. 77. Nov. 9, 1885. R19575. PAAA). Unsigned memo. A10586. Received Nov. 22, 1885. Ibid.

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lin the opportunity it was looking for during the discussions about papal mediation. In his efforts to avoid arbitration Elduayen had repeatedly stated to the German envoy in Madrid that the other great powers had not in fact collectively advocated this step as the best means to end the conflict. Since those governments had confirmed their efforts to convince Madrid to agree to mediation in official communications to Berlin there was evidence to suggest that Elduayen had behaved dishonestly in denying this fact. So Bismarck ordered that an official written demand for an explanation of these contradictions between the facts and Elduayen’s statements be presented in Madrid which, in reality, was an indictment of the minister’s mala fides. Solms recognized that this official step would be a fatal blow for Elduayen so he passed along a plea from one of the embattled minister’s colleagues for Germany to withdraw or tone down this formal communication.117 The German envoy recommended acceding to this request because he felt that sufficient damage had already been done to the standing of the minister by previous German actions that his removal from office was already a certainty. But this petition for mercy was immediately denied by the Foreign Office. 118 Clearly Bismarck did not want to ease the pressure until his goal of toppling the government was achieved. Cánovas’s domestic political credibility was also targeted by Bismarck during the mediation phase of the crisis. The Chancellor seized upon a particularly favourable opportunity to further this goal when the British government drew Berlin’s attention to a dispatch from 1876 in which Cánovas himself had stated to the British minister in Madrid that Spain exercised no formal sovereignty over the Carolines archipelago.119 Since most of the content of this dispatch had been published in a Blue Book the question for Bismarck was how he wished to exploit this major gaffe. His son, Herbert, recommended refraining from bringing this document to the attention of the press in order to use it as leverage during negotiations to resolve the dispute. 120 However, the Chancellor’s priority was clearly to use every means at his disposal to hasten the demise of the conservative government in Madrid. Consequently, he immediately instructed the semi-official press in Germany to draw attention to this document with appropriate commentary.121 This embarrassing revelation quickly had the desired effect as it exposed Cánovas and his government to further domestic criticism for having manifestly contribut-

117 Solms to Bismarck. No. 308. Oct. 19, 1885. R19543. PAAA. 118 H. Bismarck to Solms. Tel. No. 77. Oct. 23, 1885. R19543. PAAA. 119 Malet to H. Bismarck. Sept. 17, 1885. (Attachment: Layard to Derby. Nov. 14, 1876.) R19539. PAAA. Plessen to Bismarck. No. 280. Sept. 15, 1885. Ibid. 120 H. Bismarck to Bismarck. No. 66. Sept. 17, 1885. R19539. PAAA. 121 Bismarck ordered that the dispatch be exploited in the press “without delay”. Plessen to Bismarck. No. 280. Sept. 15, 1885. (Bismarck’s directive “+ ohne Verzug”). R19539. PAAA. He reaffirmed his decision and instructed that it be printed in the Kölnische Zeitung. On the meaning of marginal directives such as “+” see James Stone, “Cracking the Bismarck Code”, Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft, 25 (2012): 172–207. Bismarck to F.O. Tel. No. 52. Sept. 18, 1885. R19539. PAAA.

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ed to bringing about the crisis by creating doubts about Spanish sovereignty over the Carolines.122 As this example demonstrates, Bismarck continued to make extensive use of the press as a weapon against the Cánovas government during this final stage of the affair. But this preference for public attacks did not mean that he ignored other more direct ways to bring about the fall of the Spanish government. In Spain, as in Germany, the government was not chosen by parliament. The choice of the members of the executive branch remained a prerogative of the Spanish crown. Therefore Bismarck also conducted an effective campaign behind the scenes aimed at convincing Alfonso XII that a change of government was needed. He instructed Solms to make the case for a change of government directly with the Spanish king.123 As a result the German minister employed his connections at the Spanish court to lobby aggressively for the king to call upon Sagasta to form a government. He targeted Elduayen in particular for dismissal because of his reputation as a Francophile.124 This clandestine lobbying seems to have had an impact on the king as Solms found that his criticisms of the actions of Cánovas and his foreign minister were well received.125 Towards the end of the crisis the king had come around to the German point of view that the Cánovas government was “a misfortune for the country”.126As this comment indicates the campaign against the regime in Madrid was effective and achieved its objective at the end of November when the Spanish regent called upon the opposition liberals under Sagasta to form a new government. It was probably not coincidental that the fall of the Spanish government was followed quickly by the final settlement based upon papal mediation augmented by some special agreements between Berlin and Madrid. When all the details of the papal settlement proposal were finalized in December it seemed to be a full vindication of the Spanish position.127 Spain’s sovereignty over the Caroline Islands was formally recognized by Germany. But this outcome was expected; indeed it had been implicit in the choice of the pope as the mediator.128 And Bismarck had communicated his terms for conceding this point to the pontiff very 122 The Fusionist leader, Sagasta, stated that Cánovas could no longer remain in office after this revelation was made in the German press. Solms believed that the liberal opposition would therefore do everything in its power to use this new embarssment to bring about the fall of Cánovas. Solms to Bismarck. No. 261. Sept. 22, 1885. R19540. PAAA. Solms to Bismarck. No. 263. Sept. 23, 1885. R11898. PAAA. 123 Bismarck to F.O. No. 17. Aug. 25, 1885. R19535. PAAA. 124 Solms to Bismarck. No. 198. Sept. 1, 1885. R11895. PAAA. Solms to Bismarck. No. 212. Sept. 5, 1885. R11897. PAAA. 125 Solms to Bismarck. No. 212. Sept. 5, 1885. R11897. PAAA. Solms to Bismarck. No. 345. Nov. 14, 1885. R11899. PAAA. 126 Solms to Bismarck. No. 372. Nov. 23, 1885. R19545. PAAA. 127 SEG, 26 (1885), 327. 128 Holstein and Herbert Bismarck seemed angered by the initial settlement suggested by Leo XIII although Herbert recognized that the whole thing was really “parti pris” from the outset. H. Bismarck to Bismarck. Oct. 25, 1885. Staatssekretär Graf Herbert von Bismarck, 324; Diary entry Oct. 27, 1885. Holstein, Die geheimen Papiere, 2, 282.

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early in the process so that he had already tacitly agreed to accept this result under certain conditions. Of greater relevance to the central question of Bismarck’s goals and the extent to which he achieved them are the terms under which the Carolines were ceded to Spain. They went well beyond the Chancellor’s minimum criteria for success. In effect, Germany was given all of the commercial and naval concessions that he had outlined earlier as a pre-condition for accepting a settlement. More importantly, Bismarck was able to secure the extension of a favourable German-Spanish trade treaty as the price for his acceptance of Spanish sovereignty over the entire Caroline archipelago, including the islands where German war ships had pre-empted Spain.129 This trade treaty had been set to expire in 1887 and its renewal until 1892 therefore protected German business from any economic reprisals resulting from the crisis and prolonged a trading relationship advantageous to commercial interests in Germany. Bismarck could, therefore, legitimately claim that he had gained everything he had set out to achieve for German entrepreneurs through the proclamation of a protectorate over the Carolines, and more. But it was with respect to his political agenda that the results were particularly favourable. In addition to the obvious political advantages of having defended the overseas interests of German business groups through the Spanish trade concessions in the Carolines, Bismarck now believed that the “commercial class” (Handelsstand) would be favourably disposed to the government because of the significant material benefits resulting from the extension of the trade treaty he had extorted from Spain.130 Undoubtedly he expected to see this gratitude expressed in terms of altered voting behaviour towards the Progressives. Similarly, Bismarck saw evidence that his papal sleight of hand had achieved its domestic political objective and weakened the Centre Party while increasing his influence over the pope.131 In addition, he had succeeded in bringing about the fall of a Spanish government that he had considered to be too friendly with France and had thereby improved Germany’s position in Europe. And, finally, he scored a major public relations coup at the end of the dispute when Pope Leo XIII awarded him one of the highest honours that the Vatican could bestow, the Order of Christ.132 One must therefore be very cautious in ranking the Carolines amongst Bismarck’s major diplomatic setbacks as it is difficult to discern how the final outcome was anything but favourable.

129 This concession was recommended by Herbert and accepted by Bismarck as a precondition. H. Bismarck to Bismarck. No. 87. Oct. 25, 1885. R19544. PAAA. 130 H. Bismarck to Bismarck. Nov. 20, 1885. R19546. PAAA. 131 Bismarck to Wilhelm. Dec. 18, 1885. R19547. PAAA. Schlözer to Bismarck. No. 84. Dec. 10, 1885. Ibid. 132 The award was made in a personal letter to Bismarck on 31 December 1885. Its importance to Bismarck as a public relations coup is reflected by its speedy publication. Norddeutsche Allgemeine Zeitung. No. 13. Jan. 7, 1885.

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Of course, the ultimate irony was that even the “loss” of the Carolines was only temporary.133 The concessions Bismarck received at the end of the dispute gave Germany a special status in the islands which made her the heir apparent when Spain was finally forced to divest herself of the colonial empire she could no longer sustain after the Spanish-American War of 1898. As a result, the German Empire was able to add the islands to her overseas possessions in 1899 after Admiral Dewey had finally made good on Caprivi’s promise to send most of the Spanish fleet to the bottom of the Pacific. It is doubtful, however, that Bismarck would have approved of the policy of Weltpolitik that motivated this later acquisition. V. Historiographical Implications However, the question at the centre of this analysis is not the extent to which Bismarck’s failed bid to acquire the Caroline Islands was a defeat or not. Rather the main purpose of this case study of an unsuccessful attempt at overseas expansion is to use the results of the analysis to illuminate the larger mystery of why Germany suddenly entered into the lists of imperial competition in the mid-1880s. But before testing the results of this analysis against existing causal models it is first necessary to deal with a more fundamental question. Bismarck had an almost unblemished record of success as a statesman. However, when he did experience a setback he tended to hold subordinates responsible for what went wrong. This was how he had dealt with the political fallout from a similar diplomatic debacle in 1875 at the conclusion of a war scare he had manufactured as a means of influencing the internal affairs of France and Austria. In that earlier instance he had claimed that he had been the victim of rogue bureaucrats. And some historians have accepted his claims of innocence at face value.134 Therefore it is worth dealing briefly with the question of Bismarck’s role as it pertains to the Caroline Islands. As had been the case in 1875, the Chancellor was quick to hold others accountable for the difficulties created by his attempt to proclaim a protectorate over the Carolines. After he returned to Berlin from his estates at the height of the crisis in September 1885, the Chancellor immediately blamed bungling at the Foreign Office for causing the conflict with Spain and proceeded to take credit for snatching victory from the jaws of defeat.135 In his memoirs Herbert von Bis-

133 Richard G. Brown, “The Acquisition of the Caroline Islands, 1898–99”, in Germany in the Pacific And Far East, 1870–1914, 137–155. 134 For an example of a study where Bismarck’s attempt to assign blame to subordinates has been accepted by a contemporary researcher: Johannes Janorschke, Bismarck, Europa und die "Krieg-in-Sicht"-Krise von 1875 (Paderborn, 2010). 135 Ludwig Raschdau, Unter Bismarck und Caprivi: Erinnerungen eines deutschen Diplomaten aus den Jahren 1885–1894 (Berlin, 1939), 4.

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marck also found fault with others for the Carolines affair.136 Specifically he pointed the finger at the outgoing Secretary of State, Hatzfeldt, who — according to Herbert — had not properly briefed the Chancellor about the risks of the entire gambit because he was more interested in improving his tennis game than in conscientiously performing his duties. But this was pure scapegoating by both father and son. Holstein’s more objective assessment that Bismarck’s attempts to make others responsible for the crisis over the Carolines were unjustified is fully supported by the documentary evidence.137 It shows clearly that Bismarck had made all of the key decisions himself and had consciously charted a course that not only accepted the risk of a conflict but had in fact assured that one would take place. It was thus with good reason that Holstein dismissed his master’s claims of innocence by noting that “Prince [Bismarck] had always shown a proclivity towards taking credit for the good things and blaming others for the things that went badly”.138 He also correctly pointed out that Bismarck’s own son had been an early advocate of seizing this island chain.139 So there can be no question of rogue bureaucrats having dragged Germany into an unwanted colonial quarrel with Spain. Therefore the problem of determining Bismarck’s motivation in seeking to acquire the Carolines remains relevant and central in examining how this episode can or cannot be explained by the more general theoretical models advanced to explain his brief flirtation with imperialism. Based upon the results of this study there are a number of traditional explanations that can be discarded quickly as being inapplicable to this particular case. For example, the “dream of an alliance with France” clearly does not apply in this instance. It took place after the fall of Jules Ferry and after Bismarck had rather dramatically declared the imperialist joint venture with France to be at an end in a famous bit of inspired journalism just prior to the start of the Carolines incident.140 In addition, his main ally and supporter in his bid to secure these islands for Germany was England, the country against which the short-lived Franco-German colonial collaboration had been ostensibly directed. Moreover, the Chancellor was highly suspicious of France’s role during the dispute with Spain. He was convinced that the French government was seeking to exploit the tensions between Spain and Germany to its own advantage.141 Furthermore there was no hint at all 136 Herbert von Bismarck, Herbert Graf von Bismarck. Erinnerungen und Aufzeichnungen 1871– 1895. ed. Winfried Baumgart (Paderborn, 2015), 119–120. In his correspondence at the time Herbert also pointed the finger at Krauel. H. Bismarck to Rantzau. Aug. 25, 1885. Staatssekretär Graf Herbert von Bismarck, 294. 137 Diary entry Aug. 29, 1885. Holstein, Die geheimen Papiere, 2, 261. 138 Diary entry Nov. 3, 1885. Holstein, Die geheimen Papiere, 2, 284. Cf. also Raschdau, Unter Bismarck, 4. 139 H. Bismarck to W. Bismarck. June 23, 1885. R19533. PAAA. Diary entry Aug. 25, 1885. Holstein, Die geheimen Papiere, 2, 255. 140 Diary entry Aug. 5, 1885. Holstein, Die geheimen Papiere, 2, 247. 141 H. Bismarck to Hohenlohe. No. 391. Sept. 7, 1885. R11895. PAAA. Interestingly Herbert Bismarck claimed that “any facts or views that indicate the role played by France during the

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that the decision to occupy the Carolines was linked in any way to a desire to promote closer ties with France. In fact the reverse was true. More importantly the claim that the desire for a French alliance was in general a major factor in his colonial policy appears unsustainable based on the case of the Carolines since it clearly shows that Bismarck sought out new colonies even in situations where neither French nor British interests played a role.142 In the case of the Marshall Islands he actually added to Germany’s overseas empire with no possible connection to promoting a rapprochement with France. Finally, Bismarck had explicitly stated just prior to attempting to seize the Carolines that he could not even entertain a significant foreign policy shift towards a closer political alignment with France given that the crowning of a new emperor seemed imminent.143 Bismarck’s rationale for rejecting the notion of a French alliance demonstrates that there is absolutely no doubt that succession planning played an important role in German foreign policy in these years. However, its influence on Bismarck’s decision to engage in imperial expansion is much less clear. Certainly, the case of the Carolines shows that there are fundamental flaws with the “Crown Prince theory” as a general explanatory framework. The first problem relates to the chronology of events. Proponents of this hypothesis concede that Bismarck and Friedrich Wilhelm had already come to an agreement in June 1885 regarding the future course of the German Empire once the old Kaiser had died. After that date the Chancellor had no further interest in manufacturing colonial entanglements as part of a Machiavellian plot to forestall a pro-English shift in foreign policy after a change in ruler. Yet he continued to aggressively pursue the Carolines after this agreement was reached. A more fundamental problem is posed by the fact that this was a confrontation between Spain and Germany. Hence it is difficult to imagine how this colonial acquisition could have furthered the aims suggested by this theory in any fashion. In fact, the Chancellor worked hand-inhand with the British government throughout the Carolines affair. The two powers behaved more like allies than imperial rivals. The conclusion that the “Crown Prince theory” does not offer a compelling explanation for the motives behind Bismarck’s imperialism based on the evidence of the Carolines affair reflects not only the views of a historian reconstructing German-Spanish conflict are more important to Germany than the Carolines and the attitude of Spain towards them.” H. Bismarck to Lindau. Tel. No. 6. Sept. 11, 1885. R11896. PAAA. Diary entry Sept. 12, 1885. Holstein, Die geheimen Papiere, 2, 267. 142 Lappenküper seems to have recongized that the case of Carolines represents a major challenge for his hypothesis. He attempts to deal with this contradictory evidence by pointing out that this dispute served to confirm Bismarck’s conviction that all hope for an alliance with France had been lost. However, he himself dates the end of any such hope with the fall of Jules Ferry and Bismarck had written off this possibility before the Carolines crisis even started. But more fundamentally Lappenküper ignores the real problem posed by the case of the Carolines for his thesis: Bismarck was seeking to acquire colonies that had nothing to do with France or England which undermines the whole notion that a French alliance was ever a factor in Bismarck’s imperialism even where the interests of those countries were involved. Lappenküper, “Ausgleich mit Frankreich?”, 201. 143 Diary entry Aug. 5, 1885. Holstein, Die geheimen Papiere, 2, 247.

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events after the passage of over one hundred years. It was also the judgement of at least one colonial expert in the Foreign Office who was intimately familiar with all the details of this particular case. Ludwig Raschdau, a consul working in the Foreign Office in 1885, was in charge of the Carolines file for most of the entire affair. He was also one of the few people who had heard of the Chancellor’s statement that his colonial policy was solely motivated by his desire to control the potential political risks of the pro-English leanings of Friedrich Wilhelm. When he was informed that Bismarck’s son had shared this anecdote with one of his colleagues, Raschdau responded to this revelation by remarking “that he considered this to be one of Herbert’s jokes, and not even a good one”. 144 In view of Raschdau’s experience with the Carolines and the results of this case study his reaction seems to be an entirely appropriate one. Similarly, the argument that Bismarck was using colonial expansion as a “diversionary strategy” to engage France in overseas adventures that would distract her from thoughts of reclaiming Alsace-Lorraine can be shown to be of little use in explaining this particular instance of colonial expansion. France was, at best, an interested spectator during the Carolines affair. More generally, much of German colonial activity in the Pacific did not have any impact upon France and certainly not in the sense of encouraging her to expand overseas. This model is undoubtedly useful for understanding the reasons behind German support for French ambitions in Tunis and Indochina but seems less relevant in explaining Bismarck’s own involvement in colonial activity. In this context it is interesting to note that the German Chancellor suspected France of trying to apply his own diversionary strategy against him by seeking to encourage his desire to annex the Carolines in order to embroil Germany in the same types of colonial entanglements that he had striven to inflict on France.145 Although Wehler’s “social imperialism” thesis has been generally discredited already, it is perhaps worthwhile — given the persistence of similar types of explanatory models — to briefly assess its applicability to this particular case. With respect to Bismarck’s intention to use colonial expansion as a kind of nineteenth century version of the modern interventionist state providing economic stimulus to a depressed economy, the Carolines episode reinforces one of the basic objections to this model: The acquisition of these islands would have had no measurable impact on the German economy and therefore could not have been part of a counter-cyclical stimulus strategy. The value of all German commerce in the entire South Pacific amounted to about one-seventh of one per cent of the total value of the empire’s trade.146 There is also no evidence linking Bismarck’s initiative in the Carolines to any conscious desire to divert internal unrest through overseas adventures as a Bonapartist tool for supporting a dictatorial regime. There was,

144 Ludwig Raschdau, In Weimar als preußischer Gesandter: Ein Buch der Erinnerungen an deutsche Fürstenhöfe 1894–1897 (Berlin, 1939), 41 145 H. Bismarck to Hohenlohe. No. 399. Sept. 11, 1885. R11896. PAAA. 146 The statistics are from 1909. Firth, “German Firms in the Pacific Islands 1857–1914”, 3.

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however, a clear domestic political agenda at work here. It was just not as ambitious as Wehler had suggested. The circumstances of the failed bid to acquire the Caroline Islands thus invalidate a number of traditional explanatory models for Bismarck’s imperialism. At the same time, they do support some of the other general theories discussed above. There is no question that the “party politics” model in its more sophisticated form offers an explanation that aligns with the facts of the Carolines affair. Since there were no federal elections involved in this case147, the notion that Bismarck was seeking to exploit the acquisition of the Caroline Islands in order to influence a specific electoral outcome is obviously not applicable. However, what has emerged clearly from this study is that broader considerations of party politics were indeed a central motive in Bismarck’s handling of this colonial conflict. Based on the evidence presented here, it is clear that his initial decision to acquire the Carolines was motivated in part by a need to demonstratively support members of the entrepreneurial class in Germany who were active in the South Pacific as a way of weakening the support of this group of voters for the opposition Progressive Party. In this respect, the Carolines and imperialist adventures in general can be seen as a strategy similar to the one he had adopted with respect to the working class through the introduction of pioneering social insurance legislation in the 1880s. Bismarck was trying to demonstrate to alienated sections of the German Empire that his government, and not the opposition parties they supported, was looking out for their best interests. The fact that Bismarck later consciously chose the pope as a mediator in the hope that the good-will he gained through this move would undermine the position of the Catholic Centre Party only confirms that party political considerations were paramount in motivating his actions during the Carolines affair. But it would be an error to see in these efforts to visibly defend the expansion of overseas trade by securing protectorates a kind of Bonapartism aimed at maintaining a quasi-dictatorial chancellorship through a policy of bread and circuses. In fact the reverse seems to be true. Although the constitutional role of the Reichstag and the parties represented there had not changed since the empire was founded, recent studies have documented how its de facto influence was increasing in the 1880s. 148 So Bismarck’s efforts to engage in party politics by leveraging the power and influence of the German Empire in promoting overseas expansion is, in many respects, best understood as a response to the increasing power of the Reichstag. This growth in the stature of the legislature meant that he needed to find a way to build a stronger domestic base of support. His frequent musings about a coup d’état to emasculate the Reichstag in the second half of the 1880s were probably no more than tactical posturing but these dark ruminations did accurately reflect his growing realization that governing without a majority in the 147 There were, however, elections to the Prussian Landtag during this dispute but it is unlikely that a national issue such as overseas colonies played any role in regional politics. 148 Andreas Biefang, Die andere Seite der Macht. Reichstag und Öffentlichkeit im „System Bismarck“ 1871–1890 (Düsseldorf, 2009).

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Reichstag was becoming impossible.149 These considerations were ultimately to lead to the formation of the pro-government Kartell in 1887 which was forged, in part, through the timely unleashing of a war scare. Another aspect of motivation that emerges with absolute certainty from this case study is Bismarck’s desire to unseat a foreign government and to perhaps even alter another country’s form of government. Thus the facts of this case unquestionably conform to the “meddling in internal affairs” model. The Chancellor’s words and actions in this regard are surprisingly well-documented with respect to the outcomes he sought and the tactics he used to achieve them. However, what is less clearly documented is whether or not his desire to pursue regime change in Spain was part of his initial motivation for going after the Caroline Islands or whether this was a reaction to the anti-German backlash triggered by his colonial policy.150 But what the documentation does show is that there can be no doubt that Bismarck consciously precipitated a conflict with Spain even though he was aware that Madrid had historical claims to the Carolines, viewed them as part of the Spanish Empire and that the Spanish government was in fact about to formalize its sovereignty over them. It is also clear that he rejected early attempts to end the crisis on the basis of the same concessions he was ultimately to accept after the Spanish government fell. Moreover, he had motives for seeking a change of government that predated the complications caused by his bid to acquire the Carolines. Bismarck had become concerned by the pro-French turn that Spanish foreign policy had taken since 1884 and was aware of the vulnerability of the Cánovas government in the summer of 1885 as it had been rocked by internal crises. Thus there was motive and opportunity leading up to his decision to seize the Carolines that at least proves that Germany had much to gain by orchestrating a major defeat on the colonial front for the purpose of destabilizing a country that was gravitating back into a French orbit. As discussed above, Bismarck’s attempt to use a colonial quarrel to influence the internal affairs of Spain was not an anomaly in his foreign policy. 151 In 1874 he had intervened in Spain to support the formation of a republic and in 1870 he had sought to strengthen the monarchy there by pushing for the selection of a Hohenzollern prince as a candidate for the Spanish throne. Furthermore, the Carolines affair was not the last time he sought to influence the course of Spain’s internal development. He was to make another attempt to promote the republican cause in 1887.152 In fact, interfering in the domestic affairs of other countries was 149 Egmont Zechlin, Staatsstreichpläne Bismarcks und Wilhelms II, 1890–1894 (Stuttgart, 1929). 150 Bismarck himself claimed that it was only the “shamelessness” of the behaviour of the Spanish government that led to a hardening of his stance. Hatzfeldt to Bismarck. No 38. Aug. 28, 1885. (Bismarck’s marginal note.) R19535. PAAA. But this instruction was probably just a rationalization for the hard line that he wanted to take with Spain to achieve his political aims. 151 Bismarck himself recognized this continuity and provided some insight into his reasons for wishing a republic when he emphasized that the Spanish republic under Serrano in 1874 was particularly advantageous to him since the republic had been completely dependent upon Germany. H. Bismarck to Hohenlohe. No. 391. Sept. 5, 1885. R11895. PAAA. 152 Havemann, Spanien im Kalkül, 156–160.

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a recurring theme in Bismarck’s foreign policy.153 The support of republicanism in France was the cornerstone of his French policy in the 1870s. He had then aggressively worked towards having Alexander Gorchakov replaced as Russian Chancellor leading up to the Congress of Berlin in 1878. 154 And again in the 1880s, the removal of Gladstone became a key German foreign policy objective.155 But it was not just the desire to oust statesmen that motivated his attempts to influence the internal affairs of other great powers. During most of the 1870s he strove to use German influence to maintain Julius Andrássy in power in Vienna.156 What all these examples have in common is that Bismarck did not hesitate to interfere in the domestic affairs of even the most powerful states if he deemed it to be in the best interests of the German Empire. Hence, it should not come as a surprise that his sudden interest in overseas expansion in the mid-1880s should have also been driven by this penchant for getting involved in the internal politics of other states. The Carolines affair, and indeed the entire colonial interlude in the mid1880s, was therefore not the major aberration in Bismarck’s foreign policy it has often been depicted to be. The attempt to use imperialist ventures like the Carolines to influence domestic affairs at home and abroad was linked to numerous threads of continuity in Bismarck’s statesmanship. A half century ago one of the leading experts on international affairs in the late nineteenth century wrote an essay entitled “Bismarck as a Dramatist”.157 Although the focus of that paper was on the history of the Chancellor’s embellishment of the events surrounding the Ems Dispatch, the title captures a central and often overlooked characteristic of Bismarck’s conduct of diplomacy. Repeatedly during his career he consciously manufactured crises and choreographed dramatic displays of the power of his newly established empire to steer the course of international affairs in ways that were designed to have a specific effect on targeted mass audiences. One has only to think of the series of Franco-German war scares he instigated in 1873–74, 1875, 1877 and 1887. Like the Carolines affair, these international dramas were acted out on a very public stage and were often intended to simultaneously achieve domestic political outcomes both at home and abroad. For example, in 1874 and 1887 Bismarck used war scares with France to drum up support at home for defence spending — the Septennat — while at the same time mobilizing French 153 It is interesting to note that Holstein claimed that Bismarck’s efforts to topple Cánovas represented a major change in the Chancellor’s foreign policy as he had always claimed that interferring in the internal affairs of other states was something to be avoided. Since Holstein himself had collaborated with Bismarck in interfering in France’s internal affairs in the 1870s this claim shows that Holstein’s criticisms were highly subjective. Diary entry Aug. 27, 1885. Holstein, Die geheimen Papiere, 2, 259. 154 James Stone, „Bismarck and Blowitz at the Congress of Berlin“, Canadian Journal of History, 58 (2013): 254–276. 155 Stone, ”Bismarck versus Gladstone”. 156 Stone, The War Scare of 1875. 157 William L. Langer, “Bismarck as a Dramatist”, in Studies in Diplomatic History and Historiography in Honour of G.P. Gooch, ed. A.O. Sarkissian (N.Y, 1962), 199–216.

The one that got away. Bismarck’s Imperialism

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public opinion against factions or individuals in that country that he viewed as dangerous for Germany—monarchists in 1874 and Boulangists in 1887. Based on this case study of the Carolines dispute, Bismarck’s period of imperialist activity as a whole can best be understood as a political device similar to the war scare—and this crisis did itself escalate into a war scare. In both cases he deliberately chose issues that he knew would resonate with his target domestic audiences at home and abroad, and proceeded to pursue a policy that achieved a maximum amount of public attention. 158 This explains his concern throughout the Carolines affair about how his actions would be perceived by public opinion at home and in Spain and it also explains the highly visible manner in which he conducted his imperial diplomacy in this case. These tactics were also consistent with his entire approach to statecraft. Bismarck had always shown himself to be a master at creating dramatic situations in the foreign policy arena aimed at manipulating both domestic and foreign public opinion. One need only consider his use of universal manhood suffrage and nationalism in 1866 to galvanize support for a war against Austria and the famous dramatic flourish with the publication of the slightly edited Ems Dispatch in July 1870 that enraged French public opinion to the point where Napoleon III was forced to declare a war that he could not win. In leveraging imperialist passions at home and abroad to serve his own political objectives, Bismarck demonstrated once again that he was a statesman who possessed keen insights into the ideas and passions that could influence the citizens of Germany and of other countries at a grass roots level. In the case of the Carolines he may have underestimated the power of these passions. He certainly set out to create a conflict but it is doubtful that he wanted it to escalate into a full-scale war. But the Chancellor then showed his true genius as a statesman by quickly altering the script for the drama he had planned. And, in the end, he was able to defuse the crisis in a way that ensured that all of his core objectives were achieved. In this regard Bismarck’s biggest colonial “failure” was very similar to his previous diplomatic setback in 1875. It was a pyrrhic victory, but a victory nonetheless if measured against his original objectives. The cost of achieving his political goals had been, however, quite high: His nimbus of infallibility had been shattered and Spain had been alienated. And perhaps it was this cost that helped to bring about his decision at the end of 1885 to abandon imperialism as a political tool. But the main insight into the motives for Bismarck’s imperialism that emerges from the case of the Caroline Islands is the absolute folly of trying to attack the problem from the perspective of the primacy of domestic or foreign policy. These approaches imply exclusivity in causal determination for which there is no evidence. In the case of the Carolines, the Chancellor was able to pursue both foreign and domestic policy agendas simultaneously by manufacturing a colonial crisis over an object that was of profound indifference to him, but that he knew would have a major impact on his target audiences in Spain and Germany. This multifac158 Aydelotte also recognized this fundamental truth about his imperialism: “Das Hauptziel Bismarcks waren der Konflikt selbst und die nationalistische Erregung, die er damit auslösen konnte”. O. Aydelotte, “Wollte Bismarck Kolonien?”, 65–66, fn. 66.

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eted perspective promises to be equally applicable to his more well-researched colonial acquisitions so it is hoped that this study of a failed colonial venture may provide an impetus for a new synthesis based on further similar analyses of his successes. James Stone, Toronto

WHAT WE DO AND DO NOT KNOW ABOUT THE GREAT DIVERGENCE AT THE BEGINNING OF 2016 Peer Vries Abstract: Dieser Aufsatz beschreibt die wichtigsten Entwicklungen in der wissenschaftlichen Debatte um die Great Divergence innerhalb der letzten fünf Jahre. Erstens, lässt sich eine zunehmende Differenzierung im Hinblick auf Raum und Zeit beobachten. Zweitens wird den unterschiedlichen Wegen hin zu moderner Wirtschaftsentwicklung – insbesondere hinsichtlich der Unterscheidung zwischen kapitalintensivem und arbeitsintensivem Wirtschaftswachstum – verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt. Drittens, finden die Ansätze der Politischen Ökonomie wachsende Aufmerksamkeit. Allerdings richtet sich der Fokus nun weniger auf enthaltsame Staaten und freie Märkte, sondern eher auf die Rolle von Monopol, Manipulation, Macht und Gewalt. Gesteigertes Interesse gilt, viertens, auch der Bedeutung von nützlichem und zuverlässigem Wissen, so wie menschlichem Kapital. Fünftens, hat sich eine tatsächliche globale Wirtschaftsgeschichte, in der weltweite Verbindungen und Vergleiche im Zentrum der Analyse stehen, herausgebildet. All diese Trends werden von Bemühungen, zuverlässige serielle Datenreihen zu erarbeiten, unterstützt. Diese Trends führten dazu, dass die zentrale These der California School, es gebe verblüffende Ähnlichkeiten zwischen fortgeschrittenen eurasischen Ökonomien, heute weitgehend als überholt gilt.

Introduction Ever since Kenneth Pomeranz published his The Great Divergence in 2000, the debate about when the great global divide between wealthy and poor societies emerged and why it did has not subsided.1 What used to be discussed in terms of ‘the (economic) rise of the West’, now as rule is called the Great Divergence, and the debate about it certainly is the liveliest in global economic history.2 I have already written a lot about the topic, ‘culminating’ in Escaping poverty that was published in 2013 but was basically finished a year before. As I want to repeat myself as little as possible and be up to date as much as possible, I will in this article focus almost exclusively on very recent publications. For older publications, comments and general background, I refer to the very extensive analyses in

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Kenneth Pomeranz, The Great Divergence. China, Europe, and the making of the modern world economy, Princeton 2000. All internet pages mentioned in this article were most recently accessed on 08.03.2016. Looking up the concept under Google one finds numerous references to Samuel Huntington, The clash of civilizations and the remaking of world order, New York, 1996 as the place where the concept, at least with its current meaning, would have been introduced. Oddly enough, the term does not appear at all in that book.

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Escaping poverty.3 This text emphatically is not meant to be encyclopaedic. It rather is a personal ‘Literaturbericht’ about what in my view at the moment are relevant developments. Ever since Escaping poverty several other relevant overviews and evaluations have been published that the interested reader might want to consult. In 2014 Jonathan Daily published his Historians debate the rise of the West that discusses different schools of thought about why the West became the preeminent global economy, paying attention to internal as well as external factors and also discussing in depth why China was not the first industrial nation.4 Then there are the discussion about Escaping poverty in Tijdschrift voor Sociale en Economische Geschiedenis, and my State, economy and the Great Divergence.5 Shami Ghosh wrote a review article that proceeding from a critical assessment of Parthasarathi’s Why Europe grew rich and Rosenthal and Wong’s Before and beyond Divergence, takes stock of the present state of the Great Divergence-debate.6 Also in 2015, an edited volume by Martin Sebaldt, Andreas Friedel, Sabine Fütterer and Sarah Schmid, came on the market that gives an analysis of publications of, in alphabetical order, Daron Acemoglu and James Robinson, Jared Diamond, Niall Ferguson, Francis Fukuyama, Samuel Huntington, Paul Kennedy, David Landes, Ian Morris, Douglass North and Robert Paul Thomas, Mancur Olson and Kenneth Pomeranz.7 More idiosyncratic but containing lots of references is Leonid Grinin and Andrey Korotayev, Great Divergence and Great Convergence. 8 At the hearth of the Great Divergence is the process loosely called ‘industrialization’. Countries that did not (manage to) on a large scale introduce the innovations associated with industrialization, as a rule did not experience modern economic growth. The first industrial nation in the world was Great Britain. The question why this was the case, is fundamental in the discussion about the Great Diver3

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Peer Vries, Escaping poverty. The origins of modern economic growth, Vienna and Göttingen 2013. The German translation – that is roughly identical but lacks the Epilogue – is called Ursprünge des modernen Wirtschaftswachstums. England, China und die Welt in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2013. Jonathan Daly, Historians debate the rise of the West, Abingdon, Oxon 2014. Escaping the Great Divergence? A discussion about and in response to Peer Vries’s Escaping poverty. The origins of modern economic growth, in: Tijdschrift voor Sociale en Economische Geschiedenis 12, 2 /2015, Guest-editor Eric Vanhaute. The contributions can all be found on the internet; Peer Vries, State, economy and the Great Divergence. Great Britain and China 1680s–1850s, London 2015. Shami Ghosh, The “Great Divergence,” politics, and capitalism, in: Journal of Early Modern History 19, 1/ 2015, 1–43; Prasannan Parthasarathi, Why Europe grew rich and Asia did not. Global economic divergence, 1600–1850, Cambridge 2011; Jean-Laurent Rosenthal and Roy Bin Wong, Before and beyond divergence. The politics of economic change in China and Europe, Cambridge Mass./London 2011. Martin Sebaldt, Andreas Friedel, Sabine Fütterer and Sarah Schmid, eds., Aufstieg und Fall westlicher Herrschaft. Zum Grundproblem globaler Politik im Spiegel moderner Klassiker, Wiesbaden 2015. Leonid Grinin and Andrey Korotayev, Great Divergence and Great Convergence. A global perspective, Cham Switzerland 2015.

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gence that therefore focuses on developments in the very long eighteenth century, or more broadly the early modern era. Here the very recent working paper by Leif van Neuss dealing with the question why the Industrial Revolution started in Britain is a real treasure grove with a huge list of literature.9 The question of ‘the rise of the West’ had already engendered a huge amount of literature before it received a new twist by the discussions about the Great Divergence.10 The mainstream approach to that question has always been heavily influenced by the views of Max Weber that range far wider than just the focus on Protestantism and capitalism that he, probably to his own surprise, is always associated with by the general public. In essence Weber posited Western exceptionality based on the thorough rationalization of Western society as shows in its modern capitalism, state and science.11 Many studies have built and still do build upon Weberian assumptions.12 His work, even his famous ‘thesis’, is still discussed in 2015.13 Much of 9 10

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Leif van Neuss, Why did the Industrial Revolution start in Britain? http://hdl.handle.net/2268/ 188592. For a general, introductory discussion of that literature see my Global economic history: a survey, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften / Austrian Journal of History 20, 2 /2009, 133–170. Max Weber, Vorbemerkung zu den Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie, in: idem, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie Band I, Tübingen 1920. There are many editions in German. For an English version see e.g. Author’s introduction, in: Max Weber, The Protestant ethic and the spirit of capitalism, translated by Talcott Parsons and with an introduction by Anthony Giddens, published by Routledge, London and New York. There are several editions of this book. For an introduction into Weber’s ideas about what we would now call ‘global comparative history’, see Wolfgang Schluchter, ed., Max Webers Studie über das antike Judentum. Interpretation und Kritik, Frankfurt am Main 1981; Max Webers Studie über Konfuzianismus und Taoismus. Interpretation und Kritik, Frankfurt am Main 1983; Max Webers Studie über Hinduismus und Buddhismus. Interpretation und Kritik, Frankfurt am Main 1984; Max Webers Sicht des Islams. Interpretation und Kritik, Frankfurt am Main 1987; Max Webers Sicht des okzidentalen Christentums. Interpretation und Kritik, Frankfurt am Main 1988. Schluchter also wrote a very helpful general analysis: Die Entstehung des modernen Rationalismus. Eine Analyse von Max Webers Entwicklungsgeschichte des Okzidents, Frankfurt am Main 1998, originally 1979. In Engels that edition appeared as idem, The rise of Western rationalism: Max Weber’s developmental history Berkeley, Los Angeles and London 1981. There are too many publications to mention. See my article Global economic history, plus for the period roughly before 2000, also my The role of culture and institutions in economic history: Can economics be of any help? http://www.lse.ac.uk/collections/economicHistory/ GEHN/GEHNWorkshops.htm. I just give a couple of examples: David Landes, The wealth and poverty of nations. Why some are so rich and some so poor, New York and London 1998; Michael Mitterauer, Why Europe? The medieval origins of its special path, Chicago 2010, originally, in German, Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs, Munich 2003; Erik Ringmar, Why Europe was first. Social change and economic growth in Europe and East Asia, 1500–2050, London and New York 2007: Niall Ferguson, Civilization. The West and the rest, London 2011; Alan Macfarlane, The invention of the modern world, Les Brouzils 2014. Davide Cantoni, The economic effects of the Protestant Reformation: testing the Weber hypothesis in the German lands, in: Journal of the European Economic Association 13, 4 /2015, 561–598.

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current institutionalist and cultural approaches of the Great Divergence are still wittingly or unwittingly using Weber’s legacy. I will therefore not analyse the Weberian approach separately. As it permeates so much of the literature, we will stumble on it permanently. Classic Marxism and the rise of West, the revival of capitalism in historiography, and the self-inflicted irrelevance of the world-systems approach Referring to capitalism has long been almost obligatory in any analysis dealing with the question how the West grew rich. Over the last two decades that has changed. Scholars of the California School attach no particular importance to capitalism. If they refer to it at all, they tend to mean a market economy, almost exclusively defined in terms of the existence of a market for consumer goods, to then correctly claim that the existence of such market economies is neither exclusively Western nor modern.14 The commodification of in particular labour that is so fundamental in many classic definitions of capitalism, e.g. those by Weber or Marx, is hardly discussed by them. That is striking because that was so much more abnormal in early modern East Asia than in early modern Western Europe.15 Classic Marxism certainly is not dead, but historical analyses assuming a fixed succession of modes of production have become very scarce. The classic Marxist approach focused on production, property and class. Robert Brenner applied its analytical frame to patterns of development in the early modern era in Europe.16 Together with Christopher Issett he did the same for eighteenth-century England and China in a critique of Pomeranz’s approach.17 In 2002, Ellen Meiksins Wood gave a clear exposition of how classic Marxism interprets the origins of capitalism in the West, first and foremost Great Britain.18 But all this 14 See e.g. Bas van Bavel, The invisible hand? The emergence and decline of market economies throughout history, Cambridge 2016, and Bert van der Spek, Jan Luiten van Zanden, Bas van Leeuwen, eds., A history of market performance: from Ancient Babylonia to the modern world, Abingdon, Oxon, 2014. For an analysis of the levels of marketization and market integration in different parts of the world and their importance for the emergence of modern economic growth, see pages 283–285. 15 See my, Bringing labour back in. Reflections on Catharina Lis and Hugo Soly, Worthy efforts: attitudes towards work and workers in preindustrial Europe and on the origins of modern economic growth, in: Tijdschrift voor Sociale en Economische Geschiedenis 11, 1 /2014, 127–140. 16 Trevor Aston and C.H.E. Philpin, eds., The Brenner Debate. Agrarian class structure and economic development in pre-industrial Europe, Cambridge 1985. Maarten Prak, ed., Early modern capitalism: Economic and social change in Europe 1400–1800, Abingdon, Oxon 2000 deals with roughly the same period but uses a far more open description of capitalism. 17 Robert Brenner and Christopher Isett, England’s divergence from China’s Yangzi Delta: Property relations, microeconomics, and patterns of development, in: The Journal of Asian Studies 61, 2 /2002, 609–662. 18 Ellen Meiksins Wood, The origin of capitalism. A longer view, London/New York 2002. See also the book by Mielants, referred to in note 111.

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had rather limited impact. Since a couple of years discussing capitalism seems to again be en vogue. In 2014 Jürgen Kocka published his Geschichte des Kapitalismus that clearly is inspired by Marx but uses a more open definition than classic Marxism.19 It contains ample references to the world outside Europe but is not written to discuss the role of capitalism in the Great Divergence. The same goes for The Cambridge History of Capitalism, which also appeared in 2014, with Larry Neal and Jeffrey Williamson as editors.20 Its coverage in time and space is extremely broad. In his introduction Neal identifies four common elements to capitalism: 1) private property rights, 2) contracts enforceable by third parties, 3) markets with responsive prices, and 4) supportive governments.21 That already is a rather loose and not very helpful definition. It actually is loosened even more by many of the contributing authors, so that one can come across articles on Babylonia in the First Millennium BCE, on Trans-Asian trade along the Silk Road during Antiquity and the Middle Ages, and on Native Americans and exchange before 1800. The volume lacks conceptual clarity and analytical edge. It is hard to see how capitalism so vaguely defined might be helpful in explaining the Great Divergence. That need not be the case with the Sven Beckert’s interpretation of capitalism in his Empire of cotton, that has been published with two differing subtitles, A global history, and interestingly enough, A new history of global capitalism.22 Becker too uses a rather idiosyncratic interpretation of capitalism. He actually never gives a clear definition. By emphasizing the importance of power and violence for capitalism ‘in action’, he at times describes it as a kind of mercantilism and so comes closest to Braudel’s, and thus Wallerstein’s, definition.23 It might be confusing to focus so much on characteristics that do not fit into the mainstream view of capitalism as some kind of a market economy, but Beckert does show important mechanisms in the actual history of capital and capital accumulation that, moreover, did differentiate ‘the West’ from ‘the Rest’ and did make a difference for the Great Divergence. What he looses in conceptual clarity, he wins in realism. Labour relations were central in classical capitalism. In particular in debates inspired by ‘Californians’ they have long been all but entirely neglected as a fac-

19 Jürgen Kocka, Geschichte des Kapitalismus, Munich 2014, to appear in English as Capitalism. A short history, Princeton 2016. 20 Larry Neal and Jeffrey Williamson, eds., The Cambridge History of Capitalism, Cambridge 2014. 21 The definition is by Larry Neal, Cambridge History of Capitalism, Volume I, 2. 22 Sven Beckert, Empire of cotton. A global history, New York 2014; idem, Empire of cotton. A new history of global capitalism, London 2014. In German the book has been published as King Cotton. Eine Globalgeschichte des Kapitalismus. There are too many reviews to mention here, although reviews in learned journals are still scarce. I advise the reader to ‘Google’ reviews. 23 See for that definition my ‘Europe and the rest: Braudel on capitalism’ in: Guillaume Garner and Matthias Middell, eds., Aufbruch in die Weltwirtschaft. Braudel wiedergelesen, Leipzig 2012, 81–144.

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tor in the emergence of the Great Divergence.24 That is now changing and many scholars are suggesting new directions in global labour history.25 One result of their efforts has already become fairly evident: Global labour history is not a matter of stages but of differing combinations. What one sees is not so much a succession of predominant labour relations but an almost permanent mix of different forms of labour use. Combinations of free and unfree labour, production for subsistence and production for a market, household and more individual modes of production and consumption tend to co-exist. Sven Beckert, Walther Johnson and Edward Baptist, for example, claim that slavery was integral to the development of capitalism in the nineteenth century.26 Alessandro Stanziani points out that bonded labour was a widespread phenomenon in the West over the last centuries and that “the barrier between freedom and bondage was movable”. In general, “free and unfree forms of labor were ... far more concurrent than opposed to one another” and coercion “was not incompatible with market and capitalism, rather it was fully integrated into it.”27 Convict labour, to give another example, actually has long been quite ‘normal’.28 The widespread interpenetration of subsistence economy and market, individual and household strategies, is central in the debates on the industrious revolution that we will analyse later on. Nevertheless in my view, the thesis that in the early modern era in Western Europe wage labour was far more widespread than in East Asia, which for the Great Divergence-debate certainly is not irrelevant, has not been refuted.29 Current research into the global history of migration indicates that on a global scale mobility of labour was quite normal. But here too, the traditional ‘Eurocentric’ claim that long-distance, transcontinental mobility was more normal in Europe than elsewhere in my view has not really been refuted.30 The neo-Marxist approach of Wallerstein and his followers with its focus on global specialization and unequal exchange has, in contrast to production-oriented 24 See my, Bringing labour back in. The book by Lis and Soly reviewed there is a must read for everyone interested in the topic. 25 See Leo Lucassen, Working together: new directions in global labour history, in: Journal of Global History 11, 1 /2016, 66–87. For a recent analysis of the concept and practice of labour from a global historical perspective, see Andrea Komlosy, Arbeit: Eine globalhistorische Perspektive. 13. bis 21. Jahrhundert, Vienna 2014. 26 Beckert, Empire of cotton; Walter Johnson, River of dark dreams. Slavery and empire in the Cotton Kingdom, Cambridge Mass. 2013; Edward Baptist, The half has never been told. Slavery and the making of American capitalism, New York 2014. 27 Alessandro Stanziani, Bondage. Labor and rights in Eurasia from the sixteenth to the early twentieth centuries, New York 2015, 164–165. See also idem, ed., Labour, coercion, and economic growth, seventeenth-twentieth centuries, Leiden /Boston 2013. 28 Christian De Vito and Alexander Lichtenstein, Writing a global history of convict labour, in: International Review of Social History 58, 2 /2013, 285–325. 29 See my, Bringing labour back in. 30 Jan Lucassen and Leo Lucassen, The mobility transition revisited, 1500–1900. Sources and methods, http://socialhistory.org/sites/default/files/docs/publications/respap46.pdf; iidem, eds., Globalising migration history. The Eurasian experience (16th–21st centuries), Leiden 2014.

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approaches, long been quite popular in debates dealing with ‘the rise of the West’. In the Great Divergence-debates of the last fifteen years, in which Asia and especially China are so prominent, the modern world-systems approach has become quite marginal. Wallerstein doesn’t take any position in them. His declared project consists in analysing the modern world-system, and thus the origins and functioning of the modern world economy. Until fairly recently that was characterised by the rise and dominance of the West. Miraculously enough, however, he never straightforwardly addresses the phenomena that are usually associated with the Industrial Revolution and the emergence of modern economic growth. In doing so, he ignores the most important event in the making of the modern world and turns his entire project in an intriguing failure. In Volume III of his magnum opus, dedicated to the period of the 1730s to the 1840s, he systematically writes about the ‘so-called’ Industrial Revolution and claims that there was nothing special to industrializing Britain; that the concept of the first industrial revolution in Great Britain is “profoundly mistaken” and that the real question to be dealt with would be “why the world-economy as a whole developed in the way that it did … and why … there resulted a greater concentration of the most profitable economic activities within particular state boundaries …” He also indicates why this would be the case: “It is the world-economy that develops over time and not subunits within it.”31 This of course tells us nothing about how and why modern economic growth first emerged in Great Britain and the West. In Volume Four, published in 2011, dealing with the period 1789–1914, there is no reference whatsoever to the debate about the Great Divergence and the beginning of modern economic growth. The author confines himself to a couple of casual remarks about “the “first industrial revolution,” which presumably occurred in England”, and then adds: “Analytically, I thought this conception was weak on two grounds. One is that there were not, could not be, separate “industrial revolutions” in different countries. If there was any such thing, it had to be a phenomenon of the capitalist world-economy as whole. And second, although what happened in that period did indeed reflect an upward blip in the mechanization and the value output of world production, it was no more significant than several previous and several subsequent blips.”32

The first of his “grounds” is a blatant petitio principii, the second is empirically untenable, as a simple look in any introduction into economic history would show.33 The emergence of modern economic growth at the time of industrialization was the major break in global economic history and the major determinant of the modern unequal world order. The modern world-systems project has produced a very long Hamlet without a Prince of Denmark.

31 Immanuel Wallerstein, The modern world-system III. The second era of great expansion of the capitalist world-economy, 1730–1840s, San Diego 1989, 33. 32 Immanuel Wallerstein, The modern world-system IV. Centrist liberalism triumphant, 1789– 1914, Berkeley/Los Angeles/London 2011, XV. 33 See e.g. my Escaping poverty, tables 14 and 15 on page 32, and Table 18 on page 66.

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The California School and how its surprising resemblance-thesis was refuted The third approach to the Great Divergence, next to the Weberian and Marxian ones, is that of the so-called California School. Scholars endorsing it claim that till the eve of the Industrial Revolution in Great Britain there existed many “surprising resemblances” between the most advanced economies of Eurasia; that they were more or less on a par; that the great diverging took place only late, with industrialization; and that it was quite sudden and contingent.34 This thesis has, with clearly differing emphases, been put forward in several famous monographs.35 The idea of Eurasian resemblances has found positive response e.g. in publications by Victor Lieberman, Peter Perdue and John Darwin 36 and is often (ab-) used to support the programmatic anti-Eurocentrism in recent work by Jack Goody and John Hobson.37 There already are ‘textbooks’ built around the main Californian claims, e.g. The origins of the modern world, by Robert Marks, and Why Europe? by Jack Goldstone.38 The debate on the Great Divergence focused on China in the early modern era. The most ambitious recent monograph comparing China with Europe is Before and beyond divergence by Jean-Laurent Rosenthal and Roy Bin Wong.39 Their position in several respects is not mainstream ‘Californian’. Although in their view too, pre-industrial Europe was not more efficient than China, they claim that institutionally the regions had been different already for several centuries before industrialization began in Europe and that this difference was at the root of their diverging. In a nutshell the authors claim that ‘Europe’ industrialized because, due to incessant warfare, it’s manufacturing had to be concentrated in towns. Wages there were higher than in the countryside, which caused the emer34 See my The California School and beyond: how to study the Great Divergence?, in: History Compass 8 /2010, 730–751, and Robert Eng, From ‘The West and the Rest’ to global interconnectedness: China historians and the transformation of world history as a discipline, in: Asian Network Exchange. A Journal for Asian Studies in the Liberal Arts 22, 2 /2015, 35–48. 35 See for example Roy Bin Wong, China transformed. Historical change and the limits of European experience, Ithaca/London 1997; Andre Gunder Frank, ReOrient. Global economy in the Asian Age, Berkeley/Los Angeles/London 1998; Pomeranz, Great Divergence. 36 Victor Lieberman, Strange parallels. Southeast Asia in global context, c. 800–1830. Volume 1: Integration on the mainland, Cambridge Mass. 2003; idem, Strange parallels. Southeast Asia in global context c. 800–1830. Volume 2: Mainland mirrors: Europe, Japan, China, South Asia, and the Islands, Cambridge Mass. 2009; Peter Perdue, China marches West. The Qing conquest of Central Asia, Cambridge Mass./London 2005, e.g. pages 524–546; John Darwin, After Tamerlane. The global history of empire, London 2007, e.g. pages 12–14, and chapter 3. 37 Jack Goody, Capitalism and modernity. The great debate, Cambridge 2004; The theft of history, Cambridge 2006; The Eurasian Miracle, Cambridge 2010, and Renaissances: The one or the many, Cambridge 2010; John Hobson, The Eastern origins of Western civilisation, Cambridge 2004. 38 Robert Marks, The origins of the modern world. A global and ecological narrative, first edition, Lanham 2002; Jack Goldstone, Why Europe? The rise of the West in world history, 1500–1800, New York 2008. 39 Rosenthal and Wong, Before and beyond divergence.

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gence of capital-intensive production and mechanization. Unfortunately this thesis lacks any empirical basis, most clearly for Great Britain, for several decades the first and only big industrial nation.40 The Great Divergence-debate, overall, has certainly contributed to a substantial revision of the image of Ming and Qing China, although there has emerged scepticism when it comes to the more ‘extreme’ claims of the Californians.41 Reading recent publications one can only conclude that Pomeranz’s ‘surprising resemblances-thesis’ has been refuted. The economies – and societies – of Ming and Qing China in many relevant respects were quite different from those of North-western Europe. They were less wealthy and on a less promising economic trajectory. The Chinese imperial state was very different from the fiscal-military, mercantilist states in Western Europe, and in many respects much weaker.42 The diverging, moreover, began earlier and had deeper roots than Pomeranz originally claimed.43 When it comes to manufacturing, early modern India – if it makes sense to call India a country at the time, which I doubt – in several respects was a more likely candidate than early modern China to be the first or in any case an early industrialising country. In Great Britain’s industrialisation cotton played a central role: India’s cotton production was second to none in sophistication until far into the eighteenth century.44 Several recent publications have come up with a revised picture of India’s economy in the early modern era, portraying it as well developed and not so ‘backward’ as to be incapable of industrializing. The best-known and most influential publication in this respect is Prasannan Parthasarathi’s book, Why Europe grew rich and Asia did not. Parthasarathi emphasizes that India in the period 1600–1850 was not backward in any general sense but that it faced different challenges from Great Britain that according to him had to cope with strong 40 For reviews see Jack Goldstone, War, capital, and wages. A new economic theory of “the Great Divergence”, in: International Journal of Asian Studies 10, 1 /2013, 73–83; Ghosh, “Great Divergence”; Debin Ma on EH.Net February 2012; Jan de Vries, in; The American Historical Review 117, 1 /2012, 165–166, and my comments in, Escaping poverty, 184–189. 41 See e.g. for well-willing but by no means uncritical reception in ‘textbooks’, William Rowe, China’s last empire. The Great Qing, Cambridge Mass./London 2009; Kent Deng, Mapping China’s growth and development in the long run, 221 BC to 2020, Singapore 2015; Richard von Glahn, The economic history of China: From Antiquity to the nineteenth century, Cambridge 2016. For a good overview of current perceptions of China’s economy during the last centuries, see Loren Brandt, Debin Ma and Thomas Rawski, From divergence to convergence: Reevaluating the history behind China’s economic boom, in: Journal of Economic Literature, 52, 1 /2014, 45–123, and ChineseEconomicHistory.com, that has videos of interviews held in 2015 with several of the most important scholars studying Chinese economic history. 42 For a quick overview see my, Un monde de ressemblances surprenantes?’ in: Jean-Claude Daumas, ed., L’histoire économique en mouvement: entre héritage et renouvellement, Villeneuve d’Ascq 2012, 311–339. 43 See for these comments my Escaping poverty; Tijdschrift voor Sociale en Economische Geschiedenis 12, 2 /2015, and my State, economy and the Great Divergence. Pomeranz himself has somewhat changed his opinions. See his, Ten years after: Responses and reconsiderations, in: Historically Speaking, 12, 4 /2011, 20–25. 44 Giorgio Riello, Cotton. The fabric that made the modern world, Cambridge 2013.

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ecological pressure and fierce international economic competition and whose rulers pursued quite different economic policies. It was for ‘good’ i.e. rationally understandable reasons that India did not industrialize. The tighter Great Britain’s hold on the country became, the more illusory the chance that it would take off.45 Tirthankar Roy has a quite different perspective from Parthasarathi in his An economic history of early modern India, even though it is not primarily written with the Great Divergence-debate in mind.46 The book covers the period 1707– 1818, from the death of Mughal emperor Aurangzeb to the annexation of the Maratha territories by the English East India Company. Point of departure of his analysis is the initially existing cleavage between interior and coast and the way in which that changed in character because of the emergence of new coastal towns through Indo-European trade. These coastal towns succeeded towns in the interior as centres of dynamism and thrived on business much more than politics. Till 1750 overseas trade was small, to then start increasing fast. The extension of the power of the East India Company into the interior and of Indian business interests to the coast, led to some convergence of the interior and the coastal worlds. In the interior, however, Roy sees many examples of stasis. Agricultural production and social structure changed only at a glacial speed and overall there were few linkages between agrarian production and trade – Roy even hints at decommercialisation and emphasizes that overland trade continued to be problematic – or for that matter politics. With the empire weakening and providing less public goods and the English company extending its economic leverage and political power, the emerging company-state became, still in Roy’s view, the only successful and sustainable state in India and already fundamentally changed political and economic dynamics before the transition to formal colonialism. That transition therefore carried no obvious relevance for India’s economic history. Roy sees no clear signs of growth or high and improving standards of living. He considers it probable there was a slight decrease in GDP per capita and incomes and never claims the country was heading towards a take-off into modern economic growth. The discussion about the book between Ghosh and its author provides the interested reader with a goldmine of information.47 Roman Studer in his latest book, The Great Divergence reconsidered, evidently does want to contribute to the Great Divergence-debate.48 He claims that (coastal) Europe’s rise to economic primacy was not the effect of the Industrial 45 Parthasarathi, Why Europe grew rich. For reviews see Joel Mokyr EH.Net January 2012; Jan de Vries, in: The American Historical Review 117, 5 /2012, 1532–1534; Peer Vries, in: Journal of World History 23, 1 /2012, 639–664, and Ulbe Bosma, in; International Review of Social History, 59, 1 /2014, 119–130. 46 Tirthankar Roy, An economic history of early modern India, Abingdon, Oxon 2013. 47 Shami Ghosh, How should we approach the economy of ‘early modern India’?, in: Modern Asian Studies 49, 5 /2015, 1606–1656; Tirthankar Roy, Economic history of early modern India: A response, pages 1657–1666, and Shami Ghosh, A rejoinder to Tirthankar Roy, pages 1667–1673, both in that same issue. 48 Roman Studer, The Great Divergence reconsidered. Europe, India, and the rise to global economic power, Cambridge 2015.

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Revolution but must be shifted back to the seventeenth century, if not earlier. He points at an interplay of various forces at work in that early gradual rise, but emphasizes its more developed transportation system, bigger trade flows, and larger and better-integrated markets.49 His book is focused on matters related to market integration. That is unfortunate, as market integration in my view simply cannot provide the key to explaining the Great Divergence.50 This is not the place for a detailed review of all the recent literature about India and the Great Divergence but as I read it there are no serious claims that pre-colonial India would have ever been on the verge of industrializing on its own. It looks less developed and poorer than North-western Europe. Further on in this text I will briefly refer to quantitative data with regard to its wealth that are also less positive than revisionists like e.g. Parthasarathi want us to believe. Japan has received little attention in debates on the Great Divergence up until now. That is surprising, considering the fact that it was the first industrial Asian nation and already started its take-off in the last decades of the nineteenth century. Mainstream historical writing about early modern Japan, that again somewhat surprisingly was heavily influenced by historical-materialist views on history, has long portrayed Tokugawa Japan as poor, stagnant, closed, immobile and ruled by an oppressive, extractive ‘feudal’ elite. The Meiji Restoration in that perspective, whatever its exact interpretation, was a major break and as such very important in explaining the modernization of Japan’s economy. More positive interpretations of Tokugawa Japan’s level of wealth but especially its level of development and well-being, however, had already gained ground before the California School presented its revisionist interpretation of Asian economies. I only refer to publications by scholars like, in alphabetical order, Francks, Hanley, Hayami, Macfarlane or Yamamura.51 This more positive view has become widely accepted. Tokugawa Japan’s economy is now generally regarded an ‘advanced organic economy’ and its society is described as much more open and geographically and socially mobile than was assumed for so long.52 The country certainly knew growth and development. Unlike several Western scholars – not experts when it comes to Japan’s history – none of the revisionists, however, claims that without foreign pressure 49 Studer, Great Divergence reconsidered, 147. He in his view contradicts the ideas of defenders of world-systems analysis, Indian nationalists, and the California School. 50 For the (ir)relevance of market integration for modern economic growth see pages 282–284 in this text. For a review see Pim de Zwart, in: International Review of Social History, forthcoming. 51 Penelope Francks, Japanese economic development. Theory and practice, London 1992; Susan Hanley, Everyday things in premodern Japan. The hidden legacy of material culture, Berkeley and London 1997; Susan Hanley and Kozo Yamamura, Economic and demographic change in preindustrial Japan, 1600–1868, Princeton 1977; Akira Hayami, see note 116; Alan Macfarlane, Savage wars of peace. England, Japan and the Malthusian trap, Oxford and Cambridge Mass. 1997. 52 Akira Hayami, Osamu Saitô and Ronald Toby, eds., Emergence of economic society in Japan, 1600–1859, Oxford 2004; Penelope Francks, Japanese economic development. Theory and practice, third edition, fully revised and updated; London and New York 2015. For the concept ‘advanced organic economy’ see Wrigley’s publications under note 108.

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and examples, Japan would have taken off on its own.53 Most of them claim that also wouldn’t have occurred without the Meiji Restoration. With some retardation, the case of Japan is now directly introduced in debates about the Great Divergence.54 The most original contributions are those dealing with the ‘industrious revolution’. We will discuss that ‘revolution’ separately later on. The question why ‘Africa’ is poor and underdeveloped is a classic one. It has received a new impetus by current debates on the Great Divergence. The lack of good sources for the early modern era makes systematic comparisons with regions like Western Europe or East Asia for that period all but impossible, so that it is less clear whether those debates in turn will get a new impetus from the study of Africa’s economy. In explanations of the continent’s underdevelopment, external causes in the form of slave trade and colonialism have always figured prominently. Just think of Walter Rodney’s, How Europe underdeveloped Africa.55 Joseph Inikori has built upon this idea of external causation but developed it far more sophisticatedly.56 He regards the Industrial Revolution in Great Britain as driven by trade, with the transatlantic trade as its main motor. This trade in turn would have been impossible without the toil of enslaved Africans and their descendants who, outside Africa, produced the bulk of the commodities that entered into it and, on top of that, were important consumers of imported goods. Africans in Africa increasingly worked either in tiny enclave economies connected to global exchange, or, far more often, in non market-oriented, subsistence sectors and thus did not profit from the new trade relations, rather the contrary. Already in 1992 John Thornton qualified such an interpretation by at least giving Africans more agency in this process, showing how African elites often were voluntarily active and powerful participants in the emerging Atlantic trade.57

53 I am referring here to Eric Jones, David Landes, John Powelson and Stephen Sanderson, whose views I will discuss in my forthcoming book on Japan and the Great Divergencedebate. 54 Osamu Saitô, Forest history and the Great Divergence. China, Japan and the West compared, in: Journal of Global History 4, 3 /2009, 379–404; idem, An industrious revolution in an East Asian market economy? Tokugawa Japan and the implications for the Great Divergence, in: Australian Economic History Review 50, 3 /2010, 240–261; idem Growth and inequality in the Great and Little Divergence debate: a Japanese perspective, in: Economic History Review 68, 2 /2015, 399–419; Dean Ferguson, Night soil and the ‘Great Divergence’. Human waste, the urban economy and economic productivity, 1500–1900, in: Journal of Global History 9, 3 /2014, 379–492; Carmen Gruber, Escaping Malthus. A comparative look at Japan and the “Great Divergence”, in: Journal of Global History 9, 3 /2014, 403–424. Two books have been announced about Japan and the Great Divergence-debate, one by Penelope Francks and one by me. 55 Walter Rodney, How Europe underdeveloped Africa, London 1972. 56 Joseph Inikori, Africans and the Industrial Revolution in England. A study in international trade and economic development, Cambridge 2002; idem, Africa and the globalization process: western Africa, 1450–1850, in: Journal of Global History 2, 1 /2007, 63–86. 57 John Thornton, Africa and Africans in the making of the Atlantic World, 1400–1800, Cambridge 1992.

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There certainly have been lively discussions over the last decade, heralding a ‘new economic history of Africa’. But as yet no new generally accepted explanation of its economic trajectory has been presented.58 There are efforts to find out in how far approaches focusing on factor endowments, institutions and global connections, separately or in interaction, can be helpful.59 Here too, all revisionism and new approaches notwithstanding, no one claims that anywhere in Africa the preconditions for industrialisation and modern economic growth were present at the time Great Britain took off. It has, however, become clear that Africa’s ‘falling behind’ is relatively recent and that the continent had known earlier phases of growth.60 When it comes to external factors, the effects of globalization and global specialization are taken more systematically into consideration now. For the Middle East, a new ‘general’ explanation of its falling behind indeed has been presented by Timur Kuran in his The long divergence, in which he focuses on the role of Islamic law.61 According to him at least part of the region’s ‘problem’ resided in the short life of Middle Eastern partnerships. Those were typically intended for short-term business ventures and could not outlive their founders, since Islamic law did not recognize corporate legal personhood. On the death of one of the partners, the business was dissolved and assets were divided among heirs. The Islamic inheritance system also was not conducive to the longevity of partnerships. All sons received equal shares and women also inherited, contributing to the fragmentation of partnerships. The practice of polygyny complicated the situation by adding more heirs. On top of that there was the prohibition of interest, the existence of certain religious institutions and the severe punishment of apostasy. It is not hard to see the potentially negative consequences of all this for growth and development. But reading the book one cannot help wondering why those institutions existed to begin with, why they didn’t disappear and whether law as such can explain so much. It would be helpful to broaden Kuran’s institutional approach and provide detailed analyses of the weaknesses of the Ot-

58 Anthony Hopkins, The new economic history of Africa, in: The Journal of African History 50, 2 /2009, 155–177. The Journal Economic History of Developing Regions over the last decade has published several articles on the question why Africa is poor. 59 See e.g. the publications by Austin and Frankema under notes 122, 132 and 144, and Gareth Austin, Ewout Frankema and Morten Jerven, Patterns of manufacturing growth in SubSaharan Africa: From colonization to the present, in: Kevin O’Rourke and Jeffrey Williamson, eds., The spread of modern industry to the periphery since 1870, Oxford 2016, forthcoming. 60 Morten Jerven, African growth recurring: An economic history perspective on African growth episodes, 1690–2010, in: Economic History of Developing Regions 25, 2 /2010, 127– 154. 61 Timur Kuran, The Long Divergence. How Islamic law held back the Middle East, Princeton/Oxford 2012. For reviews and discussion see http://econ.duke.edu/people/kuran /publications#long. I in particular refer to the reviews by Eric Chaney, Jack Goldstone, Metin Coşgel and Mark Koyama are interesting. Kuran does not refer to the review by Zouhair Ghazzal, in: Journal of World History 23, 2 /2012, 422–426.

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toman state and its fiscal institutions.62 Another promising line of inquiry would be to further analyse the effects of the incorporation of the Ottoman economy in the global economy in particular for its manufacturing sector.63 Here too, no scholar claims that preconditions for an independent take-off were present. The amount of literature dealing with the economic development of North, Central and South America is huge. That literature, however – in as far as it is explicitly comparative – is not so much keen on explaining the Great Divergence as that is understood in this article, but focuses on explaining the differences in wealth and development between the North and the rest of the New World. The traditional and in many circles still popular explanation has always been to refer to differences in culture and institutions between the two half-continents. In the Northern half they would have been ‘Anglo-Saxon’ and ‘inclusive’, in the Southern half ‘Iberian’ and ‘exclusive’.64 This explanation has never been the only one. Scholars like Engerman and Sokoloff have recently proposed an influential, differing interpretation in which institutions also play a major role but are systematically linked to factor endowments.65 When it comes to the economic history of the North, here in particular the United States, in the period up to their industrialization, there is a basic consensus in which explaining its take-off is not very problematic.66 When it comes to the economic history of the South and Centre in that same period of time, there are major differences of opinion about even quite basic facts. To begin with, and this is true for the entire Americas, it would be relevant to know what they actually looked like before and when they became the New World. Opinions in this respect differ wildly.67 For South and Central America that often is also the case for the

62 Sevket Pamuk, The evolution of fiscal institutions in the Ottoman Empire, 1500–1914, in: Patrick O’Brien and Bartolomé Yun-Casalilla, with Francisco Comín Comín, eds., The rise of fiscal states: A global history, 1500–1914, Cambridge 2012, 304–331; idem, Institutional change and economic development in the Middle East, 700–1800, in: Neal and Williamson, Cambridge History of Capitalism Vol. 1, 193–224; Karaman Kivanc and Sevket Pamuk, ‘Ottoman state finances in European perspective, 1500–1914’, in: The Journal of Economic History 70, 3 /2010, 593–627. 63 Sevket Pamuk and Jeffrey Williamson, Ottoman de-industrialization, 1800–1913: Assessing the magnitude, impact and response, in: Economic History Review, 64, 2 /2011, 159–184. 64 The most recent and ‘famous’ defence of this thesis is Daron Acemoglu and James Robinson, Why nations fail. The origins of power, prosperity and poverty, London 2012. 65 Stanley Engerman and Kenneth Sokoloff, Economic development in the Americas since 1500. Endowments and institutions, Cambridge 2011. This connection is also explicitly made by Acemoglu and Robinson in Daron Acemoglu, Simon Johnson, James Robinson, Reversal of fortune: Geography and institutions in the making of the modern world income distribution, in: The Quarterly Journal of Economics, 117, 4 /2002, 1231–1294. In their magnum opus the importance of geography and endowments seems to be more toned down. 66 For the most recent ‘synthesis’, see Peter Lindert and Jeffrey Williamson, Unequal gains. American growth and inequality since 1700, Princeton 2016. 67 Charles Mann presented a quite ‘positive’ picture of the Americas before the arrival of Columbus. It was highly successful with the broader public. Whether it convinced the scholarly community, is less clear. See Charles Mann, 1491. New revelations of the Americas before

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subsequent period. In a recent article Robert Allen and colleagues claim that Spanish America was poorer in terms of real wages than North America from the very beginning of European settlement, not because of culture, institutions or factor endowments, but because of the different wages the settlers received on the basis of what they had learned to consider ‘normal’ in their lands of departure.68 Their explanation may be idiosyncratic but in their work Spanish America overall continues to be poor. Revisionist historians in contrast, are coming up with a very different picture. According to them in any case Spanish America in the period here under discussion looked quite different from what had long been assumed: It was not only less poor but also less unequal; had an economy that was far less based on coercion and far more on free labour, and on top of that was less exploited by the motherland.69 For them the big gap between North and South primarily emerged after the Spanish colonies became independent. Finding, constructing and comparing data These widely differing interpretations show that, as so often in discussions about the Great Divergence that deal with pre-industrial, largely pre-statistical economies, finding comparable, trustworthy and serial data is a major problem. Angus Maddison has done an enormous amount of work in this respect.70 His approach, mostly focused on reconstructing GDP per capita, and results have not been uncontested, far from.71 Critique often addressed specific procedures and estimates but has not been confined to that. There is also a more fundamental questioning of the suitability of current ways of estimating national income for historical analyses covering pre–industrial societies72 and a debate on what provides the best

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Columbus, New York 2005. See also idem, 1493. Uncovering the new world Columbus created, New York 2011. See the publication by Allen and colleagues under note 86. Allen and co-authors add that later on other factors also began to play a role. See the literature under notes 87 and 88. Angus Madisson is author of many publications. I just refer to, as examples, his, The world economy. A millennial perspective, Paris 2001, and idem, Contours of the world economy, 1– 2030 AD. Essays in macro-economic history, Oxford 2007. See e.g. Gregory Clark’s review of Maddison, Contours of the world economy, in: Journal of Economic History, 69, 4 /2009, 1156–1162. Patrick O’Brien and Kent Deng, Clarifying data for reciprocal comparisons of nutritional standards of living in England and the Yangtze Delta (Jingnan) c.1644–c.1840, in: Economic History Working Paper Series, 207 /2014, The London School of Economics and Political Science, London, and, iidem, Can the debate on the Great Divergence be located within the Kuznetsian paradigm for an empirical form of global economic history?, in: Tijdschrift voor Sociale en Economische Geschiedenis 12, 2 /2015, 63–78; iidem, China’s GDP per capita from the Han dynasty to communist times, in: Economic History Working Papers No: 229/2016 London School of Economics and Political Science 2016, are not as harsh as Clark and confine themselves to the case of Qing China, but they too severely criticise Maddison’s work. Morten Jerven, An unlevel playing field. National income estimates and reciprocal comparison in global economic history, in: Journal of Global History 7, 1 /2012, 107–128.

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measuring rod of wealth for those societies: GDP, real wages, or real income.73 Nevertheless, Maddison’s work has certainly been foundational and his project is successfully continued.74 Much serious effort is currently dedicated to finding and constructing data that may provide a firmer base for debate and comparison in pre-industrial global economic history. I can do no more than give a couple of important recent examples, where possible differentiating between GDP, wages and incomes, all in real terms and per capita. Let us begin with the comparison China- (North-western) Europe that has been so central in most debates and with estimates of GDP. No pre-industrial economy has been better charted than that of Great Britain, the first industrial nation that occupies a central place in any debate on the Great Divergence. In 2015 yet another extensive and sophisticated quantitative account of it was published, in this case from the High Middle Ages till 1870. 75 New estimates are now also available for several other European countries. They indicate that North-western Europe was wealthier than the rest of the Continent – and the world – already before the Great Divergence.76 For China, the country that according to most Californians resembled Great Britain so much and that was supposed to be about as wealthy till about 1750, several estimates of its GDP have been produced that suggest it was not.77 When it comes to real wages in Great Britain and China, there are two fundamental articles, one by Robert Allen and colleagues about wages, prices, and living standards in China, in the period 1738–1925, in comparison with Europe, Ja73 Luis Angeles, GDP per capita or real wages? Making sense of conflicting views on preindustrial Europe, in: Explorations in Economic History, 45, 2 /2008, 147–163. See also the articles by O’Brien and Deng referred to in note 71. 74 Jutta Bolt and Jan Luiten van Zanden, The Maddison project. Collaborative research on historical national accounts, in: Economic History Review 67, 3 /2014, 627–651. For an impressive result see Jan-Luiten van Zanden and others, eds., How was life? Global well-being since 1820, OECD Publishing 2014. 75 Stephen Broadberry, Bruce Campbell, Alexander Klein, Mark Overton and Bas van Leeuwen, British economic growth 1270–1870, Cambridge 2015. 76 For GDP per capita in different European countries in the early modern period, see Malanima, Premodern European economy, 273–292, and Sevket Pamuk and Jan-Luiten van Zanden, ‘Standards of living’, in: Broadberry and O’Rourke, Cambridge Economic History of Modern Europe, Volume I, 218–234. 77 Ti Liu, An estimation of China’s GDP from 1600 to 1840, in: Economic Research Journal, 10 /2009, 144–155; Bozhong Li and Jan Luiten van Zanden, Before the Great Divergence? Comparing the Yangzi Delta and the Netherlands at the beginning of the nineteenth century, in: The Journal of Economic History 72, 4 /2012, 956–989; Stephen Broadberry, Hanhui Guan and David Daokui Li, China, Europe and the Great divergence: a study in historical national accounting, 980–1850, http://eh.net/eha/wp-content/uploads/2014/05/Broadberry .pdf; Ye Ma, Herman de Jong and Tianshu Chu, Living standards in China between 1840 and 1912: A new estimate of gross domestic product per capita, http://ggdc.eldoc.ub.rug.nl/ FILES/root/WorkPap/2014/GD-147/gd147.pdf; Shi Zhihong, Xuyi, Ni Yuping, Bas van Leeuwen, Chinese National Income, ca. 1661–1933 http://www.cgeh.nl/sites/default/files/ WorkingPapers/CGEHWP62_ShiXuyiNiVanLeeuwen.pdf. See also the publications by Deng and O’Brien under note 71.

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pan and India, and one by Allen alone on the divergence in wages and prices in Europe from the Middle Ages to the First World War.78 When looking at real wages, two general conclusions can be drawn. During the period that interests us here, they were substantially higher in North-western Europe, in particular Great Britain and the Dutch Republic, than in the rest of Europe. In the advanced economies in the rest of the world they were roughly at the level of South and Central Europe. Wages though, are not always very helpful as indicators of general wealth for pre-industrial societies. Wage labour is often too exceptional for that. That certainly applies to Ming and Qing China or Tokugawa Japan. For such cases, information about the total income of ‘ordinary’ people is more informative. We now have several estimates of such income for the Chinese case. 79 Looking at recent research, my overall conclusion would be that on the eve of the Industrial Revolution in Great Britain, China was already substantially poorer than Great Britain in terms of GDP and real wages per capita. Differences between the income of its ordinary peasants – the bulk of the population – and ordinary labour in Great Britain, in all probability were much smaller, although in that respect too Great Britain began to fare better during the eighteenth century. For the case of Japan too, new calculations have been made, in particular of its GDP and real wages.80 They all indicate that the country was less wealthy than North-western Europe, i.e. Great Britain and the Dutch Republic, before the Great Divergence. But as Penelope Francks, and earlier on also Susan Hanley, indicated, one has to be careful in jumping to conclusions on the basis of comparing baskets of consumables.81 Coming up with trustworthy estimates is even more difficult for ‘India’, considering the huge regional differences, and the Ottoman Empire, considering the scarcity of source material. The numbers scholars come up with for these cases should be regarded as no more than rational guesses, or rough estimates. Nevertheless they certainly seem to allow the conclusion that India as well 78 Robert Allen and colleagues, Wages, prices, and living standards in China, 1738–1925 in comparison with Europe, Japan and India, in: The Economic History Review 64, 1 /2011, 8– 38, and Robert Allen, The Great Divergence in European wages and prices from the Middle Ages to the First World War, in: Explorations in Economic History 38, 4 /2001, 411–447. 79 O’Brien and Deng, Clarifying data for reciprocal comparisons; iidem, Can the debate on the Great Divergence be located within the Kuznetsian paradigm. See also Robert Allen, Agricultural productivity and rural incomes in England and the Yangtze Delta, c.1620–c.1820, in: The Economic History Review 62, 3 /2009, 525–550. 80 Jean-Pascal Bassino, Stephen Broadberry, Kyoji Fukao, Bishnupriya Gupta, Masanori Takashima, Japan and the Great Divergence, 725–1874, http://www.lse.ac.uk/economicHistory /pdf/Broadberry/JapanGreatDivergence6c.pdf; Jean-Pascal Bassino and Debin Ma, Japanese unskilled wages in international perspective, 1741–1913, in: Alexander Field, Gregory Clark, William Sundstrom, eds., Research in Economic History 23 /2006, 229–248; Osamu Saitô, Wages, inequality and pre-industrial growth in Japan, 1727–1894, in: Robert Allen, Tommy Bengtsson and Martin Dribe, eds., Living standards in the past. New perspectives on wellbeing in Asia and Europe, Oxford/New York 2005, 77–97. 81 Penelope Francks, Simple pleasures; food consumption in Japan and the global comparison of living standards, in: Journal of Global History 8, 1 /2013, 95–116. For Susan Hanley’s view see note 51.

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as the Ottoman Empire – however one exactly would want to measure that – both were clearly poorer than Great Britain.82 For Africa we, with some exceptions – Egypt, Turkey, and South Africa – have no estimates of GDP until far into the nineteenth century. Real wage figures for the early modern era are all but absent.83 When it comes to the Americas, our information about GDP of different parts of them is very disparate. For North America good data have been available for quite some time and as far as I can see there have been no major revisions or controversies.84 For the Caribbean, we have some estimates that indicate that in terms of GDP, it was quite wealthy till about 1800. For Latin America information in this respect for the colonial period is scant. The most recent estimates we have, for Mexico and Peru, suggest Mexico’s average GDP per capita was about as high as that of Spain whereas that of Peru even in the best of times in the period 1550– 1820 never was more than ninety per cent of that of Spain. On average over the entire period it will not have been significantly different from that of China or Japan and half or even less of that England. In 1700, North and South appear to still have been close to parity; in 1800 the North overall clearly had a higher GDP per capita. As indicated, GDP per capita of the Caribbean was quite high, probably even higher than that of the USA till about 1800. All these figures of course are rough estimates. They all do suggest, however, that overall the nineteenth century was witness to an accelerating difference in wealth between the North and most of the rest of America (Argentina for example in the nineteenth century often did really well) with (non-) industrialization.85 When we look at recent research into Latin, or rather Spanish-American real wages, we see big controversies, differing facts and interpretations. According to 82 Stephen Broadberry and Bishnupriya Gupta, The early modern Great Divergence: Wages, prices and economic development in Europe and Asia, 1500–1800, in: Economic History Review 59, 1 /2006, 2–31; Bishnupriya Gupta and Debin Ma, Europe in an Asian mirror: The Great Divergence, in: Stephen Broadberry and Kevin O’Rourke, eds., The Cambridge Economic History of Modern Europe, Cambridge 2010. Volume 1, 264–285; Stephen Broadberry, Johann Custodis and Bishnuprya Gupta, India and the Great Divergence: An Anglo-Indian comparison of GDP per capita, 1600–1871, in: Explorations in Economic History 55, 1 /2015, 58–75. For the Ottoman Empire see Sevket Pamuk and Suleyman Ozmucur, Real wages and standards of living in the Ottoman Empire, 1489–1914, in: The Journal of Economic History 62, 2 /2002, 292–321. 83 Van Zanden, How was life, chapter 3. 84 See. e.g. for some already somewhat older estimates Robert Gallmann and John Wallis, eds., American economic growth and standards of living before the Civil War, Chicago 1992. For a somewhat older but very clear introductory overview I refer to Marc Egnal, New World economies: The growth of the thirteen colonies and early Canada, Oxford 1998. 85 See e.g. Luis Bértola and José Antonio Ocampo, The economic development of Latin America since independence, Oxford 2012; Engerman and Sokoloff, Economic development in the Americas, chapter I; Jan Luiten van Zanden and Leticia Arroyo Abad, Growth under extractive institutions? Latin American per capita GDP in colonial times http://www.cgeh.nl/sites/ default/files/WorkingPapers/CGEHWP61_arroyoabadvanzanden.pdf and Van Zanden and others, How was life, Chapter 3. I want to emphasize that we are discussing a big continent with at times quite substantial differences in wealth and development and that much ‘data’ is no more than estimates.

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Robert Allen, Tommy Murphy and Eric Schneider real wages in Spanish Latin America were fairly low, somewhat better than in Southern and Central Europe, but from the very beginning lower than in northern America, and North-western Europe.86 Several studies by other scholars, however, come up with a much more positive picture of its economy: wages would have been higher than Allen, Murphey and Schneider and mainstream literature claim; circumstantial evidence would point at a higher level of wealth; wage labour would have been much more and coerced labour much less normal than has long claimed in the Black Legend about the Continent; inequality would have been less extreme. All in all differences between North and South would have been much smaller than long claimed and overall have only have turned into a gap after Spain’s colonies’ Independence. The revisionist tend to be quite optimist but overall the most recent research indicates that real wages of many inhabitants of Latin America in the colonial era were not at all bad compared to those of many labourers in Western Europe.87 The idea that Spanish imperial rule in the America’s would have massively extracted resources on behalf of the mother country is also put up for debate, in particular by Regina Grafe and Alejandra Irigoin.88 Considering both topics the debate is still going on and as far as I can see still fairly open. In this overview I have confined myself to the major regions of the globe that already play a part in the Great Divergence debate. At the moment datasets are also constructed for an increasing number of countries that do not (yet) do so.89 86 Robert Allen, Tommy Murphy and Eric Schneider, The colonial origins of the divergence in the Americas: a labour market approach, in: The Journal of Economic History 72, 4 /2012, 863–894. 87 Rafael Dobado González and Hector García Moreno, Colonial origins of inequality in Hispanic America? Some reflections based on new empirical evidence, in: Revista de Historia Económica / Journal of Iberian and Latin American Economic History 28, 2 /2010, 253–277; Leticia Arroyo Abad, Elwyn Davies, and Jan Luiten van Zanden, Between conquest and independence: Real wages and demographic change in Spanish Latin America, 1530–1820, in: Explorations in Economic History 49, 2 /2012, 149–166; Rafael Dobado González, Preindependence Spanish Americans: poor, short and unequal … or the opposite?, in: Revista de Historia Económica / Journal of Iberian and Latin American Economic History 33, 1 /2015, 15–59. For comments see the review articles in this same issue by Robert Allen, Tommy Murphy and Eric Schneider and by Jan Luiten van Zanden and Leticia Arroyo Abad. 88 Regina Grafe and Alejandra Irigoin, The Spanish Empire and its legacy: Fiscal redistribution and political conflict in colonial and post-colonial Spanish America, in: Journal of Global History, 1, 2 /2006, 241–267; iidem, Bargaining for absolutism: A Spanish path to nationstate and empire building, in: Hispanic American Historical Review, 88, 2 /2008, 173–209, followed by comments by Carlos Marichal and William Summerhill, and a response by the authors, and iidem, A stakeholder empire: The political economy of Spanish imperial rule in America, in: The Economic History Review 65, 2 /2012, 609–651. Arroyo Abad and Van Zanden provide much support for the thesis of Grafe and Irigoin. See their, Growth under extractive institutions. 89 See e.g. Pim de Zwart, South African living standards in global perspective, 1835–1910, in: Economic History of Developing Regions 26, 1 /2011, 49–74; idem, Population, labour and living standards in early modern Ceylon: An empirical contribution to the divergence debate, in: Indian Economic and Social History Review 49, 3 /2012, 365–398; idem and Jan Luiten

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More regional differentiation In the previous paragraphs I distinguished between several regions outside Europe. The ‘Rest’ clearly is too undifferentiated as a category. There is ample room for distinctions and for comparisons between different parts of it. Unfortunately we lack that room here. I confine myself to referring to a couple of recent comparisons between China and Japan, a contrasting pair of cases that has fascinated many scholars. Two topics recently attracted the attention: differences in the way their textiles industries developed and differences in their state’s strength and policies. Studying those textiles industries, the Chinese state looks much weaker, less effective and less ‘developmental’ in the nineteenth century than that of Japan. Studies that explicitly compare both countries can only confirm that impression.90 I have hinted at differences in Europe. They will receive some further explanation. Historians of Europe have always been aware that in the economic history of the early modern era there was no such thing as ‘Europe’. They in particular have always discussed the division between East and West, with the East being considered backward at least since the so-called ‘second serfdom’ at the end of the Middle Ages.91 The other divide that has always received much attention is that between North and South in which, after many centuries in which it had been the other way around, the North (west) became a dynamic wealthy core and most of the Mediterranean a kind of relatively impoverishing periphery.92 Recent quantitative research into real wages seems to have provided these distinctions with a firmer base, in particular the article by Robert Allen, already referred to earlier on, about what he calls the Great Divergence in European wages and prices from the van Zanden, Labour, wages, and living standards in Java, in: European Review of Economic History 19, 3 /2015, 215–234. 90 For textile industry see: Debin Ma, ‘Why Japan, not China, was the first to develop in East Asia. Lessons from sericulture, 1850–1937’, Economic Development and Cultural Change, 52, 2 /2004, 369–394; Baomin Dong, Jiong Gong, Kaixiang Peng and Zhongxiu Zhao, Little Divergence. Evidence from cotton textiles in Japan and China 1868–1930, in: Review of Development Economics 19, 4 /2015, 776–796. For the state see: Wenkai He, Paths toward the modern fiscal state: England, Japan, and China, Cambridge, Mass. and London 2013; TuanHwee Sng and Chiaki Moriguchi, Asia’s Little Divergence. State capacity in China and Japan before 1850, in: Journal of Economic Growth 19, 4 /2014, 439–470; Mark Koyama, Chiaki Moriguchi and Tuan-Hwee Sng, A comparative analysis of state building in China and Japan after 1850 http://allucgroup.ucdavis.edu/uploads/5/6/8/7/56877229/koyama_moriguchi_and _sng.pdf. For the weakness of the state of the Qing in China see my State, economy and the Great Divergence. 91 See e.g. Aston and Philpin, Brenner Debate; Daniel Chirot, ed., The origins of backwardness in Eastern Europe. Economics and politics from the Middle Ages until the early twentieth century, Berkeley/Los Angeles/Oxford 1989, and Ivan Berend, History derailed. Central and Eastern Europe in the long nineteenth century, Berkeley/Los Angeles /London 2003. 92 Fernand Braudel, The Mediterranean and the Mediterranean World in the Age of Philip II, New York 1973, originally in French 1949, and, in a revised edition, 1966. For a similar pessimist view see Faruk Tabak, The waning of the Mediterranean, 1550–1870. A geohistorical approach, Baltimore 2008. For a review see Jack Goldstone in: The Economic History Review 62, 3 /2011, 759–761.

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Middle Ages to the First World War.93 In that article Allen still writes about a “Great Divergence” in Europe. Increasingly the major intra-European bifurcation between the ‘Northwest’ and ‘the Rest’ has come to be discussed in terms of a Little Divergence, a term originally coined by Philip Gorski, whereas the expression Great Divergence became exclusively reserved for the big gap between West and Rest.94 The existence of substantial differences in real wages – and wealth – between different regions in Europe seems to no longer be in doubt, although there of course are qualifications and distinctions when it comes to time and place.95 Markus Cerman qualifies the East-West gap by presenting a more positive picture of the situation in Central Europe.96 There is some relativizing for the case of Southern Europe too.97 Overall though, such efforts are not entirely convincing.98 It in any case is clear that trying to write a truly European economic history is high on the research agenda. Three overviews have been published recently of Europe’s economic history over the last 1400, 1000, and 300 years that all give ample attention to geographical differences in wealth, wages and incomes.99 According to its tittle, Pomeranz’s book on the Great Divergence compares China and Europe, but actually Pomeranz quite explicitly claims that England in 93 Allen, Great Divergence in European wages and prices. 94 Philip Gorski, The Little Divergence. The Protestant Reformation and economic hegemony in early modern Europe, in: William Satos Jr. and Lutz Kaelber, eds., The Protestant Ethic turns 100. Essays on the centenary of the Weber thesis, Boulder and London 2006, 165–190. 95 Alexandra de Pleijt and Jan Luiten van Zanden, Accounting for the ‘Little Divergence’. What drove economic growth in pre-industrial Europe, 1300–1800? http://www.lse.ac.uk/economic History/seminars/ModernAndComparative/papers2012-13/accountingforlittledivergence (LSE).pdf; Jack Goldstone, The Great and Little Divergence: Where lies the true onset of modern economic growth? in: George Mason University and Woodrow Wilson Center Working paper, Center for Global Policy, April 2015, can be downloaded from http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2599287. Goldstone calls the Little Divergence a myth, emphasizing that, according to him, even England and Holland showed no evidence of a marked divergence from the rest of the world in economic output per capita until after 1780. That is correct, but I fail to see why this would mean that one might not call ‘the gap’ between these countries and the rest of Europe a ‘Little Divergence’. 96 Markus Cerman, Villagers and lords in Eastern Europe, 1300–1800, Basingstoke 2012. 97 See for example Peter Musgrave, The early modern European economy, New York 1999. 98 For new data for Southern Europe see Nuno Palma and Jaime Reis, Portuguese demography and economic growth, 1500–1850, http://www2.warwick.ac.uk/fac/soc/economics/research /centres/cage/events/conferences/greatdivergence14/portuguese_demography_and_economic _growth_1500-1850_-_may_19th_2014.pdf; Leonor Freire Costa, Nuno Palma and Jaime Reis, The great escape? The contribution of the empire to Portugal’s economic growth, 1500– 1800 in: European Review of Economic History 19, 1 /2015, 1–22; Carlos Alvarez-Nogal and Leandro Prados de la Escosura, The rise and fall of Spain 1270–1850, in: The Economic History Review 66, 1 /2013, 1–37; Paolo Malanima, The long decline of a leading economy: GDP in Central and Northern Italy, 1300–1913, in: European Review of Economic History 15, 3 /2011, 169–219. 99 In chronological order: Paolo Malanima, Pre-modern European economy. One thousand years (10th–19th centuries), Leiden and Boston 2009; Karl Gunnar Persson, An economic history of Europe. Knowledge, institutions and growth, 600 to the present, Cambridge 2010, and Broadberry and O’Rourke, Cambridge Economic History of Modern Europe.

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this context is something peculiar and different from the rest of even Northwestern Europe.100 Robert Allen, Jack Goldstone and certainly Alan Macfarlane and Anthony Wrigley agree: they are convinced that England was exceptional.101 Whatever one might think of this: It is undeniable that England/ Great Britain indeed had some quite distinct characteristics and for several decades was the only big country in the world with modern growth.102 When was the Great Divergence? When it comes to answering the question: When was the Great Divergence? most scholars agree that the global gap between rich and poor widened quickly during the eighteenth and nineteenth centuries. There nevertheless are debates considering timing in which one should differentiate between when relevant differences between societies emerged and when those differences actually began to create big differences in wealth – in whatever way measured. There are different positions. Strict Malthusianists like Gregory Clark claim that there was no growth whatsoever before the first industrial revolution in Great Britain as “…short term gains in income through technological advances were inevitably lost through population growth”. For him “(T)he Malthusian era was one of astonishing stasis, in terms of living standards and of the rate of technological change.103 He even suggests that in 1800, “the bulk of the world’s population was poorer than their remote ancestors. The lucky denizens of wealthy societies such as eighteenthcentury England or the Netherlands managed a material lifestyle equivalent to that of the Stone Age.” This of course is nonsense. There existed substantial differences in wealth between different regions in the world and levels of wealth knew their ups and downs already before industrialization.104 A scholar like Jan de

100 See e.g. Pomeranz, Great Divergence, 16. 101 Robert Allen, The British Industrial Revolution in global perspective, Cambridge 2009, chapters 5 and 6; Jack Goldstone, ‘Would the world be modern if William III’s invasion of England in 1688 had failed?’, in: Philip Tetlock, Richard Ned Lebow, and Geoffrey Parker, eds., Unmaking the West: What-if scenarios that rewrite world history, Ann Arbor 2006, 168–196; Macfarlane, Invention of the modern world; Anthony Wrigley, The divergence of England: The growth of the English economy in the seventeenth and eighteenth centuries, in: idem, Poverty, progress and population, Cambridge 2005, 44–67. 102 Vries, Escaping poverty, 31–33, and idem, State, economy and the Great Divergence, Appendix A, page 437. 103 The Malthusian era for Clark is identical to the pre-industrial era. Gregory Clark, A farewell to alms. A brief economic history of the world, Princeton/Oxford 2007, 1 and 166. See also Gregory Clark, In defence of the Malthusian interpretation of history, in: European Review of Economic History 12, 2 /2008, 175–199, a response to reviews of his Farewell to alms in that same issue. For a critical review see also Robert Allen, in: Journal of Economic Literature 46, 4 /2008, 946–973. 104 See for such differences e.g. the literature under notes 70–88, and for examples of such upsand-downs Jack Goldstone, Efflorescences and economic growth in world history. Rethinking

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Vries, on the other hand, considers the fact that there were already instances of substantial growth – his favourite example being the Dutch Republic during its Golden Age – before the eighteenth and nineteenth centuries, and the fact that in all probability North-western Europe was already substantially wealthier than East Asia long before industrialization, as proof that there is no such thing as a Great Divergence caused by a new kind of growth in the eighteenth and nineteenth centuries.105 A third position, that I personally endorse, basing myself on publications by Anthony Wrigley and Jack Goldstone, is to differentiate between different types of growth, consider how big divergences actually were and on that basis make the claim that there indeed was a Great Divergence somewhere in the eighteenth and nineteenth centuries caused by the emergence of a new kind of growth that economists call ‘modern economic growth’.106 Modern economic growth is then defined as sustained and substantial, caused by a massive use of new energy sources and raw materials, new technologies and new institutions. It is driven by continuing innovation.107 In the world before modern economic growth emerged the gap in GDP per capita between the wealthiest and the poorest societies was never bigger than roughly five to one in real terms. There were clear limits to growth then, so bigger gaps simply could not emerge then. The new, modern, type of growth was different because it was no longer dependent on the direct use of organic material and energy sources but became based on minerals and fossil fuels.108 On top of that, it became primarily Schumpeterian /Promethean, i.e. driven by innovation, in particular technological innovation. I can do no better than quote Jack Goldstone: “Prior to 1780, no area of Europe had yet managed to break free of the constraints of organic energy and material production, and create an economic and political system that supported constant technological innovation and its application to production, transportation, agriculture, and other fields.”109

This combination made growth possible of an unprecedented level and duration and could create unprecedented differences between rich and poor. Before industrialization the characteristic and main form of growth was ‘Smithian’, i.e. growth as a consequence of an increasing division of labour and specialisation, enabled by an extension of the market. It is important to realize that there is no automatic

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the ‘Rise of the West’ and the Industrial Revolution, in: Journal of World History 13, 2 /2002, 323–389. Jan de Vries, Escaping the Great Divergence, in: Tijdschrift voor Sociale en Economische Geschiedenis 12, 2 /2015, 39–50. For my position see my Replies to my commentators, in: Tijdschrift voor Sociale en Economische Geschiedenis 12, 2 /2015, 105–120. See my Escaping poverty, 22–28. Anthony Wrigley, Continuity, chance & change. The character of the industrial revolution in England, Cambridge 1988; idem, Two kinds of capitalism, two kinds of growth, in: idem, Poverty, progress and population, 68–87; idem, The path to sustained growth: England’s transition from an organic economy to an Industrial Revolution, Cambridge 2016. Goldstone, Great and Little Divergence, 66.

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or even easy transition from such Smithian growth to modern economic growth. Smithian growth did not always trigger industrialization, as the examples of the Dutch Republic and to some extent Qing China show. I will come back to that later on. As indicated, almost all experts agree that the Great Divergence as a major and quickly widening global economic gap only emerged with industrialization. That of course does not exclude deep roots in culture, institutions, skills or techniques. As we will see further on in the text, Geoffrey Parkers thinks the divergence emerged as a response to ‘the crisis of the seventeenth century’. There is a long tradition especially amongst scholars focusing on institutional factors to assume medieval origins for Western Europe’s special path. In the 1980s, historical sociologists like John Hall and Michael Mann endorsed it. 110 More recently we find it in the work of e.g. Larry Epstein, Ronald Findlay and Kevin O’Rourke, Eric Mielants, Michael Mitterauer and Jan-Luiten van Zanden.111 A newer though not entirely original element in this reference to the medieval origins of the Great Divergence can be found in studies that explicitly point at the importance of the mortality caused by the Black Death, which would have led to labour scarcity, high wages and the search for labour-saving innovation, which in turn caused the Great Divergence.112 A somewhat more indirect link is made by scholars who claim the Black Death played a major role in the emergence of the European marriage pattern that in turn would have been a major determinant of economic growth.113 There are several scholars who put the origins of the differences in the wealth of nations much further back in time. In the actual debates on the Great Divergence their claims, however, are hardly ever taken into consideration.114 110 John Hall, Powers and liberties. The causes and consequences of the Rise of the West, London 1985, 123, and Michael Mann, The sources of social power. Vol. I A history of power from the beginning to A.D. 1760, Cambridge 1986, 337–338 and 381–390. 111 Stephan Epstein, The rise of the West, in: John Hall and Ralph Schroeder, eds., An anatomy of power: The social theory of Michael Mann, Cambridge 2006, 233–259; Ronald Findlay and Kevin O’Rourke, Power and plenty. Trade, war, and the world economy in the second millennium, Princeton/Oxford 2007, 362, and 364; Eric Mielants, The origins of capitalism and the ‘rise of the West’, Philadelphia 2007; Mitterauer, Why Europe?; Jan Luiten van Zanden, The road to the Industrial Revolution: hypotheses and conjectures about the medieval origins of the European Miracle, in: Journal of Global History 3, 3 /2008, 327–359. 112 Sevket Pamuk, The Black Death and the origins of the Great Divergence across Europe, 1300–1600, in: European Review of Economic History 11, 3 /2007, 289–317. This is also claimed, in any case for Britain, by Robert Allen. See his references to the Black Death in his British Industrial Revolution. Eric Jones already hinted at this relationship in his The European miracle. Environments, economies and geopolitics in the history of Europe and Asia, second edition; Cambridge 1987, 59. David Herlihy, dedicated an entire book to the long-term impact of the Black Death in 1997: The Black Death and the transformation of the West, Cambridge Mass. 1997. 113 See Nico Voigtländer and Hans-Joachim Voth, Why England? Demographic factors, structural change and physical capital accumulation during the Industrial Revolution, in: Journal of Economic Growth 11, 4 /2006, 319–361, and for a less direct causal link the publications by De Moor, Van Zanden, Carmichael and De Pleijt in note 211. 114 I think rightly so. See my Escaping poverty, 47–48.

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Industrial, industrious and consumer revolutions Economic historians of Europe have already been distinguishing differing trajectories of industrialization and growth for several decades. There clearly is not one model of European or Western industrialisation.115 This has not prevented several scholars to publish texts in which they refer to an East-Asian route of industrialisation that would have been different from the Western one. They as a rule do this by contrasting Western industrial revolutions and Eastern industrious revolutions. The concept ‘industrious revolution’ has been coined by Akira Hayami, who, when he coined it, clearly had ‘industriousness’ in the original sense of the word in mind.116 In his work it primarily refers to the emergence of a labour-intensive agriculture compatible with the rise of a market. It is a strategy by peasants to respond to the market economy and increase yields by increasing labour inputs. For him industrious and industrial revolution do not form a continuum. The first one does not anticipate the second one. The industrial revolution according to him is about capital; the industrious revolution about labour and it involves an increase of labour input as compared to capital input.117 He emphasizes that Japan did not industrialize because of its industriousness. Its industrialization was not the natural outcome of an internal evolution: it came via an external shock. 118 But even though industrious Tokugawa Japan was not heading towards an industrial revolution, it, amongst other things, thanks to the industrious revolution, had become an ‘economic society’ with such a level of development that it could respond adequately to foreign challenges when it had to. Interestingly enough according to Hayami Japan’s industriousness disappeared after World War II.119 That would be just when the country reached Western levels of wealth! The concept has been introduced into Western debates about Western developments by Jan de Vries.120 For him in any case for (parts of) North-western Europe and what from 1776 onwards would be the United States the defining element of the industrious revolution is less the total increase in labour input as such121, but the increase in wage labour, i.e. labour offered on a market on the basis of the consideration that it would be better to specialise in relatively well115 For a recent overview see Ivan Berend, An economic history of nineteenth-century Europe. Diversity and industrialization, Cambridge 2013. 116 For a brief introduction see Akira Hayami, A Great Transformation: Social and economic change in sixteenth- and seventeenth-century Japan, in: Bonner Zeitschrift für Japanologie 8, 1986, 3–13, and for a very recent one, idem, Japan’s industrious revolution. Economic and social transformations in the early modern period, Tokyo 2015. 117 Hayami, Japan’s industrious revolution, 96–100. 118 Hayami, Japan’s industrious revolution, 71 and 124. 119 Hayami, Japan’s industrious revolution, 103. 120 Jan de Vries, The industrious revolution. Consumer behavior and the household economy, 1650 to the present, Cambridge/New York 2008. 121 For Great Britain Clark doubts whether there actually was a rise in industriousness. See Gregory Clark and Ysbrand Van der Werf, Work in progress? The Industrious Revolution, in: Journal of Economic History 58, 3 /1998, 830–843, see e.g. page 841. But it actually seems well-founded.

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remunerated labour for the market and quit less well-remunerated labour for and in the household, in order to be able to buy more of certain desirable consumer goods. In De Vries’s idealtype the industrious revolution is a question of specialization and further market integration pulled by fundamental changes in consumer behaviour not pushed by necessity.122 For the regions referred to, he considers the industrious revolution as a motor of growth and a sign of modernizing dynamics. He denies that with the industrial revolution a really new type of growth would have emerged. As Hayami explicitly points out in his book of 2015 on the industrious revolution, De Vries uses the concept in quite a different way than he does. As indicated, for Hayami industrious and industrial revolution do not form a continuum. On the contrary, he sees these two revolutions as indicating economic developments heading in different directions.123 In contrast to De Vries he does not in any way connect the two or suggest the industrious revolution would be a harbinger of modern economic growth or – as he in my view incorrectly suggests De Vries would claim – a preparation for an industrial revolution. Nor does he point out specific connections between it and changes in consumption.124 To make matters even more complex, Kaoru Sugihara, as we will see, has introduced yet another interpretation of the concept! In his empirical analysis of the industrious revolution De Vries focuses on North-western Europe and its North American offshoots. But even there one can find important regional differences. For Europe as a whole, Malanima claims that extra effort mostly was a matter of hardship, in any case in the countryside.125 For Britain, Allen and Weisdorf agree with Malanima regarding the situation in the countryside but think that the situation in towns was more like De Vries describes it. Industriousness there was positively connected to major changes in consumer behaviour.126 For many other regions one may sincerely doubt that. The connection of the industrious revolution simply defined, as an increased input of labour, with modern growth in my view is tenuous and often non-existent. In particular much of the ‘industrious revolution’ that was pushed by necessity reminds strongly of what used to be called ‘proto-industry’. That, as we now know, often if not 122 In this respect De Vries explicitly distinguished ‘his’ industrious revolution from that in East Asia. See Jan de Vries, Industrious peasants in East and West. Markets, technology and family structure in Japanese and Western European agriculture, in: Australian Economic History Review 51, 2 /2011, 107–119; idem, The industrious revolutions in East and West, in: Austin and Sugihara, Labour-intensive industrialization in global history, Abingdon, Oxon, 2015, 65–84. See for a differing approach and comments Osamu Saitô, Industrious revolution in an East Asian market economy?; idem, Proto-industrialization and labour-intensive industrialization: reflections on Smithian growth and the role of skill-intensity, in: Austin and Sugihara, Labour-intensive industrialization, 85–106. 123 Hayami, Japan’s industrious revolution, 97. 124 For these differences between Hayami and De Vries, see Hayami, Japan’s industrious revolution, V and 96–98. 125 Malanima, Pre-modern economy, 238. 126 Robert Allen and Jacob Weisdorf, Was there an ‘Industrious Revolution’ before the Industrial Revolution? An empirical exercise for England, c. 1300–1830, in: The Economic History Review 64, 3 /2011, 715–729.

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mostly, was not proto at all but an involutionary, dead end street. When it evolved into more capital- and energy-intensive modes of production it was no more than a possible pre-stage of the industrialization that created modern substantial and sustainable growth, not a necessary pre-condition let alone an alternative. When it was pushed by changes in demand and led to more market integration and specialization, that still was no guarantee for the emergence of modern economic growth as the case of Dutch Republic, notwithstanding De Vries’s claims to the contrary, clearly shows. As indicated before, Smithian growth of whatever kind need not lead to Schumpeterian growth. The Dutch Republic with its highly developed consumer society did not give us the first instance of modern economic growth but the highest instance of pre-modern economic growth. I argued this point extensively in a previous publication, so I do not want to repeat myself here and refer to that publication.127 Whatever the exact causes and characteristics of the industrious revolution and its connections with changes in consumption, it is obvious that the role of demand deserves explicit attention, also in debates on the Great Divergence. Why would anyone consider changing the ways of producing things, when there is not at least a reasonable expectation there is demand for them? Undeniable big changes took place in consumption in the early modern world, in particular in response to the fact that with early modern globalization more and often new foreign goods came on offer. Many scholars even refer to an early modern consumer revolution, in particular in Western Europe.128 As usual Gregory Clark holds a different position and claims, that in any case for England the consumer revolution is just a statistical artefact based on errors in interpreting what he considers to be the major source on consumption, to wit probate inventories.129 The average testator of 1750 simply more often belonged to the wealthier classes than the average testator of 1600 and therefore had more consumer goods. But whatever one may find in English probate inventories: how can anyone deny the ever increasing consumption in several parts of Europe of new, initially luxurious consumer goods like spices, sugar, tea, coffee, chocolate or tobacco, of less conspicuous but extremely important new products like the potato or tomatoes, and of course of porcelain or cotton? In England in the period 1790–1800 between eight to eleven per cent of the household budget of farming, crafts and building labourers was spent on sugar and tea alone. In 1850 even the poorest households still spent six to seven per cent of their budget on tea, sugar and coffee. Whether one wants to call these changes a 127 See my comments on Jan de Vries in my Replies to my commentators, 111–112. For Smithian and Schumpeterian growth see pages 271–272 in this text. 128 See in chronological order: John Brewer and Roy Porter, eds., Consumption and the world of goods, London 2007; Frank Trentmann, ed., The Oxford handbook of the history of consumption, Oxford 2012; Ina Baghdiantz McCabe, A history of global consumption: 1500–1800, Abingdon, Oxon 2014; Maxine Berg, ed., Goods from the East, 1600–1800. Trading Eurasia, London and New York 2015, and Anne Gerritsen and Giorgio Riello, eds., The global lives of things. The material culture of connections in the early modern world, Abingdon, Oxon 2015. 129 Gregory Clark, The consumer revolution. Turning point in human history, or statistical artifact? See Clark’s website at University of California Davis 2004.

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revolution is another matter. To deny their impact and importance is weird. The fact that new consumer goods are not taken into consideration enough in the standard baskets of consumer goods at the core of most calculations of standards of living, may well be one of reasons scholars like Clark can tell such gloomy stories about those standards.130 Consumption certainly did not only change in the West. Several scholars also claim there were consumer revolutions in for example Japan or China.131 But ‘new’ consumption in the East consisted much less of ‘foreign’ imported goods, and hardly if at all of foreign (semi-) manufactured goods, so that there were far less incentives there to develop strategies of import substitution that were so prominent in West European countries for products like cotton and silken textiles and porcelain. We will return to the importance of consumption for modern economic growth later on in this text. But let us return to the industrious revolution. For apart from the interpretations by Hayami and De Vries recently a third kind of ‘industrious revolution’ has emerged, propagated successfully first and foremost by Kaoru Sugihara, in whose work it is considered the equivalent of a labour-intensive industrialization that would be characteristic for, in particular, East Asian industrialization.132 Sugihara considers labour-intensive industrialization to be of global historical importance as it would be “one of the two major routes to the global diffusion of industrialization”.133 It is a route taken in a context of abundant, cheap – not just in terms of nominal wages but also relative to its efficiency – and, as Sugihara points out repeatedly, relatively well-qualified labour.134 For him the quality of labour and its improvement are a vital element in industrious revolutions. He finally also points out that in any case in Japan’s industrious revolution specialisation and skill formation in the household were far more prominent than in the West with its individual and geographical specialisation of labour.135 I think the concept is highly problematic, as an empirical description and as a theoretical construct. It has been most explicitly defended for the case of Japan. So I will confine my comments to its application in that case, for the period roughly up until the 1930s. To begin with, those who use it, assume that Japan’s 130 See for these comments and figures Jonathan Hersh and Hans-Joachim Voth, Sweet diversity: Colonial goods and the rise of European living standards after 1492, http://www.prin ceton.edu/rpds/seminars/Voth102809.pdf, Table 2 and Conclusions. 131 See for Japan, Francks, Simple pleasures, and for China e.g. for the Ming period, the already somewhat older publications by Timothy Brook, The confusions of pleasure: Commerce and culture in Ming China, Berkeley/Los Angeles/ London, 1998, and Craig Clunas, Superfluous things: Material culture and social status in early modern China, Honolulu 2004. 132 See for his most recent discussion of the subject Kaoru Sugihara, Labour-intensive industrialization in global history, in: Austin and Sugihara, Labour–intensive industrialization, 20–64. The edited volume by Austin and Sugihara shows how intensely and widely the topic is discussed at the moment. For a review see Ewout Frankema, Labour-intensive industrialization in global history: A review essay, in: Economic History of Developing Regions 30, 1 /2015, 44–67. 133 Sugihara, Labour-intensive industrialization, 58. 134 Sugihara, Labour-intensive industrialization, 34 and 33. 135 Sugihara, Labour-intensive industrialization, 26.

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economy had an ample supply of labour. Actually it is not at all certain that Japan’s employers would share this assumption. It in any any case often was far from easy for them to find and keep labour. To succeed, they till the 1920s, as a rule had to use quite brute ‘sticks’ like dormitories and postponed wages and from then on often quite sweet ‘carrots’ like seniority wages and life-long employment. The answer to the question whether labour in industrializing Japan was cheap is less clear-cut than Sugihara suggests when one takes into consideration its total costs as compared to its productivity. When it comes to the presumed skill intensity of the Japanese industrious revolution, it in any case did not show for many decades in a high level of formal schooling. In the new cotton factories built from the 1890s onwards, the labour force was not expected to be highly competent and hardly anything was done to make them highly competent. For a long time little was done to improve the quality of labour – in the textile industry overwhelmingly young women. Much ‘industriousness’ moreover was simply a matter of brute coercion in particular of young women, who worked in harsh conditions in textile factories or workshops, as individuals and outside the household, were often locked up in dormitories and had contracts that gave them a ‘semi-servile’ status. Taking into consideration how frequently labour in even this setting changed jobs, it is hard to regard it as industrious in the sense of dedicated to job and boss.136 Sugihara’s wording often suggests he considers the labour-intensive industrious route an alternative for a capital-intensive industrial route. In the case of Japan – and I think in all cases– it was not. As he indicates himself, Japan’s industrious revolution to a substantial extent depended on Western industrialisation, as it combined cheap labour and cheapened, often adapted Western technology, a combination that enabled the country to capture markets where high-wage economies were less competitive.137 I fail to see how else Japan could have developed into a mature modern economy. In terms of GDP or real wages per capita, Japan only caught up with the most advanced economies in the West after World War II. In the process its economy became just as capital-intensive, energy-intensive and knowledge-intensive as those Western economies.138 In the period 1950-1973, its GDP per capita in real terms increased about six-fold and became almost as high as that of the United Kingdom. Up to 1913, their ‘industriousness’ had only earned the Japanese a real GDP per capita that was little higher than that of the United Kingdom in 1700; in 1950 it was about as high as it had been in the United Kingdom in 1820.139 Being industrious simply does not suffice to become as 136 See e.g. Patricia Tsurumi, Factory girls. Women in the thread mills of Meiji Japan, Princeton 1990; Janet Hunter, Women and the labour market in Japan’s industrialising economy. The textile industry before the Pacific War, London/New York 2003. 137 Sugihara, Labour-intensive industrialization, 31. 138 Stephen Broadberry, Kyoji Fukao and Nick Zammit, ‘How did Japan catch-up on the West? A sectoral analysis of Anglo-Japanese productivity differences, 1885–2000’, http://www 2.warwick.ac.uk/fac/soc/economics/research/centres/cage/manage/publications/231-2015_bro adberry.pdf. For a review see Joyman Lee, ‘Wither labor-intensive industrialization?’ on the NEP-HIS Blog. For Japan’s energy consumption see my Escaping poverty, 220. 139 See my Escaping poverty, 219.

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wealthy as the West became after the Great Divergence, far from. The real road to riches is capital intensive. According to Sugihara, the transition from a more labour-intensive to a more capital-intensive route after World War II interestingly enough was fairly contingent, to a substantial extent depending on exogenous factors as the Cold War and the fact that Japan lost its war. There apparently was no internal logic that transformed Japan’s labour-intensive economy into a capitalintensive one. I see no reason why it would be different in other cases. I think one cannot escape the conclusion that ‘the East Asian’ route is neither an independent one, nor in the end a very satisfactory one in terms of the wealth it generates, or one that guarantees success. Very probably, however, it is the only possible route for countries with a factor endowment like that in East Asia. Factor endowments, geography, and climate The logic of the industrious-revolution route is based on a specific factor endowment, in which one preferably uses labour because it is a relatively cheap factor of production. Robert Allen’s highly influential explanation of Britain’s Industrial Revolution – and of the Great Divergence in general – argues along similar lines. Britain’s structure of wages and prices differentiated it from the Continent and Asia. Its wages were remarkably high and its energy cheap. Considering the fact that, moreover, money was relatively cheap, in this case capital- and energyintensive production became a logical strategy.140 Innovation in his view was triggered by relative prices. Already in the beginning of the 1960s John Habakkuk had come up with an explanation of the industrialization of the United States along these lines.141 Rosenthal and Wong in their Before and beyond divergence come up with exactly the same argument to explain the differing development of Europe and China. Although it sounds quite convincing in theory, Allen’s factor-endowment explanation of Great Britain’s industrialisation – and thus of the trigger of the Great Divergence – does not seem to really work in practice. Industrialization in Great Britain did not begin in the regions with the highest wages, far from. The meaning of ‘high wages’, moreover, as used in Allen’s argument, is not always clear. Whether wages are high for an employer depends on labour’s productivity and is not a matter of absolute nominal payment. Many innovations, moreover, in the beginning of industrialization in Great Britain actually were not labour saving. Timing, finally, is problematic as energy had always been relatively cheap as compared to labour in England, at times even more so than just before industriali140 Allen, British industrial revolution; idem, Why the Industrial Revolution was British. Commerce, induced innovation, and the Scientific Revolution, in: Economic History Review 64, 2 /2010, 357–384; idem, Global economic history. A very short introduction, Oxford and New York 2011; idem, Technology and the Great Divergence. Global economic development since 1820, in: Explorations in Economic History 49, 1 /2012, 1–16. 141 John Habakkuk, American and British technology in the nineteenth century: the search for labour-saving inventions, Cambridge 1962.

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sation.142 If one strictly follows Allen’s line of argument an industrious route to industrialisation becomes highly unlikely as an ample supply of labour and low wages combined with relatively expensive energy/ resources and money would lead to a low-wage trap as e.g. Mark Elvin and Andre Gunder Frank claim it indeed did for the Chinese case.143 Whatever the exact twist given to the importance of factor endowments, references to them abound in recent literature.144 The resource that has always, together with cotton, symbolized the First Industrial Revolution was coal. In debates on the Great Divergence almost all participants have emphasized its importance, and that of steam, as the factors that allowed modern economies to use unprecedented amounts of energy in unprecedented ways. In this respect the ideas of Wrigley about the role of energy and raw materials in industrialization have been very influential, in particular amongst scholars of the California School.145 Gregory Clark and David Jacks make an effort to qualify its importance for the first industrial revolution. They claim that England gained little advantage from actually possessing coal reserves. Possession of coal reserves only made a negligible contribution to Industrial Revolution incomes. There, moreover, was not much technological innovation in mining. Expansion of production could have occurred at any time before 1760.146 Let us assume this is all true, which very well could be the case. It, however, entirely misses the point of why coal was so important, whether it was mined in or outside England, which is that it was the fuel used for steam engines – and for all sorts of domestic and industrial heating – and that without the steam engine increases in productivity and thus growth would have quite quickly petered out. They would in any case have never reached the levels they did with the passing of the nineteenth century.147 Coal enabled an efflo142 For these critiques see e.g., in chronological order: Nicolas Crafts, Explaining the first Industrial Revolution. Two views, in: European Review of Economic History 15, 1 /2011, 153–168; Gregory Clark, in his review of Mokyr, The enlightened economy, in: Journal of Economic Literature 50, 1 /2012, 85–95; Morgan Kelly, Joel Mokyr, and Cormac Ó Gráda, Precocious Albion: a new interpretation of the British Industrial Revolution, Annual Review of Economics, Volume 6 /2014, 363–389, and my Escaping poverty, 199–214. 143 Mark Elvin, The pattern of the Chinese past, Stanford 1973, see under high-level equilibrium trap; Frank, ReOrient, 298–320. 144 See e.g. for Africa, Gareth Austin, The ‘reversal of fortune’ thesis and the compression of history. Perspectives from African and comparative economic history, in: Journal of International Development 20, 8 /2008, 996–1027, and idem, Resources, techniques, and strategies south of the Sahara: Revising the factor endowments perspective on African economic development, in: Economic History Review 61, 3 /2008, 587–624, and his two contributions to Austin and Sugihara, Labour-intensive industrialization in global history, and for India, Stephen Broadberry and Bisnuprya Gupta, Lancashire, India and shifting competitive advantage in cotton textiles, 1700–1850: the neglected role of factor prices, in: Economic History Review 62, 2 /2009, 279–305. 145 For Wrigley’s ideas see notes 101 and 108. 146 Gregory Clark and David Jacks, Coal and the Industrial Revolution, 1700–1869, in: European Review of Economic History 11, 1 /2007, 39–72. 147 Matt Ridley, Don’t dismiss the materialist explanation, http://www.catounbound.org/2010/10/08/matt-ridley/dont-dismiss-materialist-explanation, and idem, Coal

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rescence to become a revolution. The (global) history of energy and its importance for economic development has not by accident become a blooming field.148 Emphasizing the importance of geography for history of course is nothing new. But in global history it seems particularly popular. Although he actually wrote hardly anything about the Great Divergence, Jared Diamond’s Guns, germs and steel with his ‘geographical’ explanations has had an enormous influence on thinking about global wealth and poverty. Ian Morris, who did write about the Great Divergence, was even more explicitly geographical determinist, but, fortunately, less influential amongst scholars.149 Several publications have come out recently dealing with the environment and its importance in global history.150 That of course cannot be denied, but to explain modern growth, which is sustained and based on permanent innovation, geography in my view simply is too ‘static’. It, moreover, as a rule is quite difficult to determine the exact causal mechanisms with which geography would influence the economy in the longer run. The same goes for the influence of climate, the global history of which has become a popular subject. Geoffrey Parker’s book Global crisis, on war, climate change and catastrophe in the seventeenth century, undoubtedly is the most impressive and brilliant recent specimen of ‘climate history’ and it actually is quite explicit about the relevance of that crisis for the Great Divergence. According to Parker “… the origins of the ‘Great Divergence’ lay in the Global Crisis”.151 In the last two chapters of his book he refers to two fundamental changes that in the end were responsible that parts of the Western world began to diverge from the rest of the globe. In the first of these two chapters he starts by pointing out several tendencies shared by all the relevant polities in the world: an effort by rulers to increase state capacity, to try and better know, control and manipulate ‘their’ nature and ‘their’ people and to rationalize and standardize their ‘state’. Here I would want to emphasize though, much more than Parker does, that they did not do so to the same extent, in

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sustained the industrial revolution, http://www.cato-unbound.org/2010/10/28/matt-ridley/coal -sustained-industrial-revolution. I refer to two classics, Vaclav Smil, Energy in world history, Boulder/San Francisco/Oxford 1994 and John McNeill, Something new under the sun. An environmental history of the twentieth-century world, New York 2000, and to one recent publication, Paolo Malanima, Astrid Kander and Paul Warde, Power to the people. Energy in Europe over the last five centuries, Princeton 2013. Jared Diamond, Guns, germs and steel. The fates of human societies, London 1997; Ian Morris Why the West rules - for now. The patterns of history and what they reveal about the future, London 2010. For some telling quotes see pages 29, 30, 331, 427, 430 and 557. For an extensive critique of Morris’ approach see my review in Journal of Global History 7, 1 /2012, 143–147. I only refer to Edmund Burke III and Kenneth Pomeranz, eds., The environment and world history, Los Angeles/ Berkeley/London 2009, and for China, Robert Marks, China. Its environment and history, Lanham 2011. Geoffrey Parker, Global crisis. War, climate change and catastrophe in the seventeenth century, New Haven 2013. The quote is on page 667. See for reviews relevant in the context of this article Historically Speaking, 14, 5/ 2013.

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the same activities or with the same amount of success in the longer run. The Qing state, for example, clearly was very weak again from the end of eighteenth century onwards.152 The title of the chapter ‘From warfare state to welfare state’, is anachronistic and a misnomer. Expenditure for welfare continued to be absolutely tiny as compared to that for warfare and at least in Western Europe revenue collecting quickly started increasing again, with expenditures increasing even faster. Nor did all rulers set themselves the same goals, as Parker himself points out. Most ruling elites after the crisis wanted to play it safe, preserve the more or less reestablished equilibria and prevent anything likely to upset their routines. In brief, they responded as conservatives would. In the West, however, some elites, most evidently those in Britain, wanted or at least allowed change. That worked out well for them and their country at large, if the far higher real wages people earned there, as compared to Chinese labour, are a good indicator. In his final chapter called ‘The Great Divergence’, after again first pointing out some global similarities in intellectual developments, Parker goes on to claim that in Europe, that in the sphere of ideas increasingly became a single arena, there under the impact of the scientific revolution was massive ‘new learning’, in which people looked for ‘certain and demonstrable knowledge’, believed in trial and error and began to institutionalise science. He then concludes that “…by 1700 the intellectual life of Western Europe already diverged from that of other areas.”153 We see the beginning of differing trajectories, with a transformation of attitudes towards science and a restoring of confidence in human capacity that created new synergies in Europe. In China, the country Parker refers to as main contrast case, rulers and society continued to be anti-innovation, often considered ‘useful knowledge’ a threat, and were not in favour of freedom of expression or exchange. In brief, reactions to the crisis were quite different in different parts of the world. That makes it problematic to refer to it as ‘origin’ of the Great Divergence without at least indicating why different parts of world reacted to it so differently.154 Parker’s book more than anything else wants to show the importance of climate. The problem for an economic historian interested in the emergence of modern economic growth is that apparently exact relations between climate and (modern) growth are quite elusive.155 I would, moreover, emphasize that the really great divergence as a consequence of the emergence of modern economic growth, only occurred at the end of the eighteenth century, at the very earliest.

152 I think I show that in my State, economy and the Great Divergence. 153 Parker, Global crisis, 656. 154 This question had already been discussed by Jack Goldstone more than twenty-five years ago. See Jack Goldstone, Cultural orthodoxy, risk, and innovation: The divergence of East and West in the early modern world, in: Sociological Theory, 5, 2 /1987, 119–135. Parker does not refer to that article. 155 In John Brooke, Climate change and the course of global history, Cambridge 2014, one comes across this same problem of how exactly one can connect climate and economic innovation.

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Institutions: markets and states Especially amongst certain groups of economists the idea that modern economic growth depends on the presence of the right institutions has become something of a truism.156 Of course there has never been a full consensus.157 In her recent book on markets and economic growth in early modern Europe, Victoria Bateman claims that institutions do not have to be ‘perfect’ for growth and suggests that “rather than seeing … institutional change as a cause of market transformation and growth, it may indeed be better to view it as a consequence of what was an already developing economy.”158 Let us briefly discuss what has been written recently about the role of institutions that are held important in the Great Divergence-debate. Let us begin with markets. The rise of the West has time and again been identified with the rise of the market, as markets would stimulate competition and innovation. Market integration and density were then regarded as indicators of growth potential and usually ‘Europe’ was contrasted with the rest of the world. Again recent research has shown that ‘Europe’ is far too general as a category. According to Roman Studer it was only in the nineteenth century that the importance of geographical endowments for European market integration began to lessen. Until then markets tended to be located within relatively short distances. Geography, in particular access to the sea, rather than political borders, determined their location and size. Coastal markets therefore tended to be larger and had greater scope for advancement than land-locked markets. This of course will have applied to all parts of the world. Northwestern Europe, in particular, reached comparatively high levels of integration earlier than any other region. In his comparison with India, he shows that this region in general was less integrated than North-western Europe in the early modern era.159 Articles dealing with market integration in early modern China have come up with different results. 160 Tokugawa Japan with over 250 different fiefs clearly was not optimally integrated. But 156 See for this claim e.g. Dani Rodrik, Arvid Subramanian and Francesco Trebbi, Institutions rule. The primacy of institutions over geography and integration in economic development, in: Journal of Economic Growth 9, 2 /2004, 131–65; Acemoglu and Robinson, Why nations fail, passim. For a recent analysis of the actual importance of institutions see Sheilagh Ogilvie and André Carus, Institutions and economic growth in historical perspective, in: Philippe Aghion and Steven Durlauf, eds., The handbook of economic growth. Volume Two, Amsterdam 2014, 403–513. 157 See my Escaping poverty, chapters 9 and 20 to 26. 158 Bateman, Markets and growth in early modern Europe, London 2012, 176–177. The quote is on page 177. This point was already made by Ha-Joon Chang, Kicking away the ladder. Development strategy in historical perspective, London 2002, chapter 3. 159 I am strongly paraphrasing Studer, Great Divergence reconsidered. 160 Compare e.g. Carol Shiue and Wolfgang Keller, Markets in China and Europe on the eve of the Industrial Revolution, in: American Economic Review 97, 4 /2007, 1189–1216; Jianan Li, et al., Market integration and disintegration in Qing Dynasty China: evidence from timeseries and panel time-series methods. http://www.etsg.org/ETSG2013/Papers/060.pdf; Carol Shiue, The organization and scope of grain markets in Qing China, in: Van der Spek, Van Zanden, Van Leeuwen, History of market performance, 339–360.

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that changed with the centralization of the Meiji Restoration. As compared to Western seafaring nations and their peripheries, most countries in the world will certainly have been less integrated with countries nearby and with the rest of the world.161 The so-called opening of China and Japan in the nineteenth century in that respect made a big difference for those counties, in particular of course for Japan.162 It has now not only become increasingly clear that markets, at least for consumer goods – much less so for capital goods and even less for labour – historically are quite normal phenomena163, but also that they, and thus Smithian growth, are not sufficient for the emergence of modern economic growth. According to Victoria Bateman markets in Europe certainly helped “the economy to advance” but “ultimately proved insufficient for sustaining economic growth in the longer term.”164 This is a conclusion of her book referred to in the previous paragraph: “Since scientific advance and continuous technological change are the central drivers of economic growth, the problem must have been that markets were not enough to encourage the systematic accumulation and application of knowledge in the system of production, even when accompanied with a market for invention in the form of a patent system …” 165

She with good right extends the thesis that the market is not a panacea to international trade by pointing out that the economies experiencing the fastest growth in the nineteenth and early twentieth centuries (i.e. at the time at which the now rich economies became rich) were those using tariffs.”166 In their recent book Jerry Hough and Robin Grier emphasize “the crucial importance of building an effective state as a pre-condition of building an effective market.”167 Victoria Bateman claims that “developing the state is crucial” and “state intervention … is vital for economic growth”.168 The history of the state is subject of two recent important studies, the books by Douglass North, John Wallis and Barry Weingast on violence and social orders and by Francis Fukuyama on

161 See for example Rafael Dobado-González, Alfredo García-Hiernaux, and David GuerreroBurbano, West versus Far East: early globalization and the Great Divergence, in: Cliometrica. Journal of Economics and Econometric History 9, 2 /2015, 235–264. 162 See for China: Carol Shiue, Wolfgang Keller and Ben Li, The evolution of domestic trade flows when foreign trade is liberalized. Evidence from the Chinese Maritime Customs Service, in: Masahiko Aoki, Timur Kuran and Gérard Roland, eds., Institutions and comparative economic development, New York 2012, 152–172. For Japan: Daniel Bernhofen and John Brown, An empirical assessment of the comparative advantage gains from trade: Evidence from Japan, in: American Economic Review 95, 1 /2005, 208–225, and with very differing figures, Richard Huber, Effects on price of Japan’s entry into world commerce after 1858, in: Journal of Political Economy 79, 3 /1971, 614–629. 163 See the literature under note 14. 164 Bateman, Markets and growth, 168. 165 Bateman, Markets and growth, 171. 166 Bateman, Markets and growth, 177. 167 Jerry Hough and Robin Grier, The long process of development. Building markets and states in pre-industrial England, Spain and their colonies, Cambridge 2015, 383. 168 Bateman, Markets and growth, 174 and 181.

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the origins of political order and political decay.169 In these studies it becomes apparent that as Hough and Grier write “The development process is, indeed, a long one, and time matters.”170 It took centuries to construct viable, effective states in Europe in which rulers heading bureaucratic organizations managed to acquire the monopoly of violence and control their so-called agents. But those states then as a rule were much more efficient and effective and had more social embedding than states elsewhere which is highly relevant for their growth potential. It of course is even more complex to create developmental states that have the power to push or at least support economies in a certain direction.171 Commercially the most successful book dealing with the importance of the state for economic growth and stagnation – and thus highly relevant for the Great Divergence-debate – is Acemoglu and Robinson, Why nations fail. Its success is surprising considering the fact that as a history book it is weak and as a piece of economic analysis vague, as many critics have pointed out.172 The authors claim – in line with a long tradition – that the Glorious Revolution of 1688 “changed institutions and led to the Industrial Revolution in England” and think that 1688 was so important because it brought secure property rights which in turn are portrayed as a necessary if not even sufficient condition for economic growth. 173 Their interpretation of the importance of 1688 and of property rights for the emergence of 169 Douglass North, John Wallis and Barry Weingast, Violence and social orders. A conceptual framework for interpreting recorded human history, Cambridge 2009; Francis Fukuyama, The origins of political order. From prehuman times to the French Revolution, London 2011, and idem, Political order and political decay. From the Industrial Revolution to the globalization of democracy, New York 2014. See for a general introductory overview my States: a subject in global history, in: Catía Antunes and Karwan Fatah-Black, eds., Explorations in globalization and history, Abingdon, Oxon/New York 2016, 155–176. 170 Hough and Grier, Long process of development, 408. 171 For the most recent relevant publications see Chang, Kicking away the ladder; Mariana Mazzucato, The entrepreneurial state. Debunking public versus private sector myths, London 2013; Erik Reinert, How rich countries got rich… and why poor countries stay poor, New York 2007; Joe Studwell, How Asia works. Success and failure in the world’s most dynamic region, London 2013, and the books by Bateman and Hough and Grier referred to in notes 164 and 167. 172 See the review of Why nations fail by Michele Boldrin, David Levine and Salvatore Modica, http://levine.sscnet.ucla.edu/general/aandrreview.pdf; Jared Diamond, The New York Review of Books, June 7, 2012. A response by Acemoglu and Robinson appeared in the same journal August 16, 2012, together with a response by Diamond; Francis Fukuyama, Acemoglu and Robinson on why nations fail, in: The American Interest March 26 2012, http://www.theamerican-interest.com/2012/03/26/acemoglu-and-robinson-on-why-nations-fail/. There is an answer by Acemoglu and Robinson on their Blog, http://whynationsfail.com /blog/2012/4/30/response-to-fukuyamas-review.html; Jeffrey Sachs, Government, geography and growth. The true drivers of economic development, in: Foreign Affairs 91, 5 /2012, 142– 150. Acemoglu and Robinson react on their blog, http://whynationsfail.com/blog/20 12/11/21/response-to-jeffrey-sachs.html which leads to a reaction by Sachs, http://jeffsachs.org/2012/12/reply-to-acemoglu-and-robinsons-response-to-my-book-review/; Peer Vries, Does wealth entirely depend on inclusive institutions and pluralist politics?, in: Tijdschrift voor Sociale en Economische Geschiedenis 9, 3 /2012, 74–93. 173 For that claim see the title of chapter 7 of their book.

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modern economic growth is rightly rejected by a large number of prominent economic historians.174 Considering the fact that they so misinterpret the history of ‘the West’, it will not come as a surprise that they also misinterpret the history of ‘the Rest’ as Yi Wen clearly shows for the case of China.175 Most early modern European states appear to have been fiscal-military, mercantilist polities with in comparison to states elsewhere high revenues, even higher expenditures – overwhelmingly for the military – and high debts, that developed all sort of institutions to enable this collecting and spending. 176 Their mercantilist policies and the way in which those differed from policies elsewhere on the globe have become subject of a lively debate.177 In that respect it is interesting that Japan already had a strong infrastructure of rule with a large number of often professional personnel and substantial government revenue under the Tokugawa, and certainly later in the Meiji period.178 An increasing number of scholars, moreover, point out that Tokugawa Japan actually was a kind of ‘state system’, in which the domains of the daimyo competed with each other just like European mercantilist countries.179 Unsurprisingly one can find many examples of mercantilist thought in Tokugawa and Meiji Japan.180 174 See e.g. the reviews referred to in note 172. 175 Yi Wen, The making of an economic superpower. Unlocking China’s secret of rapid industrialization, FRB St Louis Paper No. 2015-006. Available at SSRN: http://ssrn.com /abstract=2646145 or http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.2646145 176 Mark Dincecco, Political transformations and public finances. Europe, 1650–1913, Cambridge 2011; David Stasavage, States of credit. Size, power and the development of European polities, Princeton/Oxford 2011; Hans-Joachim Voth and Jaime Ventura, Debt into growth: How sovereign debt accelerated the First Industrial Revolution, http://crei.cat/people/jventura /DIG.pdf. For a global comparative approach that shows how different the European model was from in particular the Chinese one, see Patrick O’Brien and Bartolomé Yun-Casalilla, with Francisco Comín Comín, eds., The rise of fiscal states: A global history, 1500–1914, Cambridge 2012. For the exceptional case of Japan see notes 178–180. 177 See my State, economy and the Great Divergence, that focuses on comparing Great Britain and China in the very long eighteenth century, plus, in chronological order, Sophus Reinert, Translating empire. Emulation and the origins of political economy, Cambridge 2011; Philip Stern and Carl Wennerlind, eds., Mercantilism reimagined. Political economy in early modern Britain and its empire, Oxford/New York 2013; Moritz Isenmann, ed., Merkantilismus. Wiederaufnahme einer Debatte, Stuttgart 2014; Lars Magnusson, The political economy of mercantilism, Abingdon, Oxon 2015. For an analysis in which apart from many European countries also the cases of India and China are discussed, see Philipp Roessner, ed., Economic reason of state. Reconfiguring the origins of modern political economy, 1500–2000 A.D., Abingdon, Oxon/New York 2016. 178 For the situation in Tokugawa Japan, see in chronological order, Toshiaki Tamaki, Comparative perspectives on the ‘fiscal-military state’ in Europe and Japan, in: Rafael Torres Sánchez, ed., War, state and development. Fiscal-military states in the eighteenth century, Pamplona 2007, 409–435; Lieberman, Strange parallels, Vol. 2, chapter 4.4; Masaki Nakabayashi, The rise of a Japanese fiscal state’ in: O’Brien and Yun-Casalilla, Rise of fiscal states, 378–409; Hayami, Japan’s industrious revolution, chapter 5.11. 179 Luke Roberts, Mercantilism in a Japanese domain. The merchant origins of economic nationalism in eighteenth-century Tosa, Cambridge 1998; John Sagers, Origins of Japanese wealth and power. Reconciling Confucianism and capitalism, 1830–1885, London and New

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Trade, empire, ghost acreages and violence Talking about mercantilism means talking about trade and that in the context of this article must mean talking about the relation between trade and growth, in particular industrialization. The old debate about the precise connection between these two has received new impulses and new defenders of a very close connection. Findlay and O’Rourke in their Power and plenty write: “The success of the European Industrial Revolution is intimately connected with trade and overseas expansion …” They consider its origins “inextricably linked with the centuries-old development of the international economy.”181 According to Robert Allen, Britain’s commercial and imperial expansion of the seventeenth and eighteenth centuries underlay the technological breakthroughs of the Industrial Revolution, as it was the cause of Britain’s peculiar wage and price pattern. 182 Directly linked to this debate is that other old debate about whether empire payed and contributed to industrialization. This of course depends on what empire one analyses and when, and how one measures contributions. In the end even the fairly high contributions of the perifery that have recently been suggested by Palma, in a way miss the point, as, like I explained in my Escaping poverty, the take-off into modern economic growth was neither blocked nor caused by the amount of available capital.183 I dealt extensively with the relations between trade and modern growth in that book and refer to the relavant chapters in it, as my position has not changed. Since Pomeranz’s book of 2000, the concept of ghost acreage has become very prominent in analyses dealing with the relevance of trade for industry. In that book Pomeranz accorded a central role to it in explaining the Great Divergence. Ten years later he had not changed his mind. In his view “ghost acres” abroad helped whatever divergence may have occurred by the mid-eighteenth century to

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York 2006; Robert Hellyer, Defining engagement. Japan and global contexts, 1640–1868, Cambridge Mass. 2009. Chūhei Sugiyama, Origins of economic thought in modern Japan, Abingdon, Oxon 2013, originally 1994; Bettina Gramlich-Oka and Gregory Smits, eds., Economic thought in early modern Japan, Leiden /Boston 2010. Findlay and O’Rourke, Power and plenty, 364. See further chapter 6 of that book. See e.g. Allen, Why the Industrial Revolution was British. See, in chronological order, Patrick O’Brien and Leandro Prados de la Escosura, eds., The costs and benefits of European imperialism from the conquest of Ceuta, 1415, to the Treaty of Lusaka, 1974. Proceedings of the Twelfth Economic History Congress Madrid 1998. Published as Revista de Historia Económica 16, first issue of 1998; Bouda Etemad, De l’utilité des empires. Colonisation et prospérité de l’Europe (XVIe–XXe siècle), Paris 2005; idem, Possessing the world. Taking the measurements of colonisation from the eighteenth to the twentieth century, New York 2007; Pieter Emmer, Olivier Pétré-Grenouilleau and Jessica Roitman, eds., A deus ex machina revisited. Atlantic colonial trade and European economic development, Leiden 2006, and Nuno Palma, Sailing away from Malthus: intercontinental trade and European economic growth, 1500–1800, Economic History Working Paper Series, 210/2014, The London School of Economics and Political Science, London. For my comments on accumulation see Escaping poverty, 234–272.

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be not only sustained but grow to an unprecedented size over the next century and a half.184 Gregory Clark, Kevin O’Rourke and Alan Taylor have recently endorsed this thesis, which means it has to be taken very seriously.185 Great Britain could certainly not have sustained its economic growth over most of the nineteenth century if it could only have used its own resources and if it could only have sold the goods it manufactured with them domestically. It had its competitive competitive advantages in certain sectors of manufacturing – and services I would add – and specialized in them, which means, that had it to import what it did not or no longer produce and to export much of what it produced with higher and increasing efficiency. Ghost acreage providing imports certainly was fundamental for Great Britain’s sustained growth. But it should be pointed out that this does not mean that its relatively cheap imports as such would in any way have caused modern economic growth in Great Britain. They would have been fairly irrelevant, if raw imported materials had not been transformed into cheap and preferably cheapening manufactured goods with a wide demand domestically and abroad. This means they could become so important because Great Britain already had a developed and permanently innovating industry. In that sense in the first industrial revolution industry indeed was ‘the mother of trade’, or if you like trade ‘the handmaiden of industry’. Clark, O’Rourke and Taylor will certainly not deny that. Pomeranz’s position when it comes to causation continues to be ambiguous, whereas Beckert in his almost exclusive emphasis on the importance of the import of cheap cotton really seems to overlook or ignore that without innovation cheap imports are a windfall at best, and certainly not the engine or essence for capitalism and growth.186 By the way, a large part of industrializing Great Britain’s imports did not consist of raw materials but of foodstuffs. Here it has to be pointed out against those who like to emphasize the country’s dependence on imports, that much of the imported foodstuffs were at least comparatively speaking ‘luxuries’. In 1850 sugar was the second-biggest import of the United Kingdom by value, after cotton, and ahead of all grains. Tea was fourth, and coffee, sixth.187 Debates tend to concentrate on the positive impact of trade for industry but as Jeffrey Williamson’s Trade and poverty rightly reminds us for many countries that were

184 Pomeranz, Ten years after, 22. 185 Gregory Clark, Kevin O’Rourke and Alan Taylor, The growing dependence of Britain on trade during the Industrial Revolution, in: Scandinavian Economic History Review 62, 2 /2014, 109–136. 186 Beckert, Empire of cotton. 187 Hersh and Voth, Sweet diversity, Conclusions. For an interesting global analysis of the importance of resources for growth see Edward Barbier, Scarcity and frontiers. How economies have developed through natural resource exploitation, Cambridge 2011. More specifically for the early modern period there is John Richards, The unending frontier. An environmental history of the early modern world, Berkeley/Los Angeles/London 2003.

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to become ‘the Third World’, globalization and Western industrialization in the nineteenth century meant de-industrialization.188 In western political economy trade, empire-building and the use of violence and power were inseparably connected. Ronald Findlay and Kevin O’Rourke make this very explicit in their Power and plenty: “For much of our period the pattern of trade can only be understood as being the outcome of some military or political equilibrium between contending powers.”189 In Beckert’s view capitalism and violence have often been so tightly interwoven that one may with good reason use the expression ‘war capitalism’.190 The biggest European firms of the preindustrial world were the English and Dutch East India Companies. Those basically were company-states, had large armies, wielded lots of violence and played a prominent role in empire building.191 In its classic form, as Darwin rightly points out, “empire is ‘normal’”.192 Western overseas empire building, however, had a specific logic, well explained and compared to other imperial logics by David Abernethy.193 The logic of British empire building could hardly have been more different than that of Chinese empire building.194 Western powers apparently acquired an ever-increasing comparative advantage in wielding violence. Global economic history can only ignore that fact at a peril. Fortunately global military history has developed into one of the most interesting and innovative branches of history.195 Two very daring publications dealing with the emergence of Western military supremacy were published in the last year alone. The more encompassing one is Philip Hoffman, Why did Europe conquer the world?196 For him the key to answering that question lies in the fact that Europeans pushed improvements in the gunpowder technology further than anyone else. He postulates four essential conditions for rulers to advance the gunpowder technology in the pre-Great Divergence era: There must be frequent war. 188 Jeffrey Williamson, Trade and poverty. When the Third World fell behind, Cambridge Mass./London 2011. 189 Findlay and O’Rourke, Power and plenty, XIX. 190 Beckert, Empire of cotton, e.g. chapters 2 and 3. 191 See e.g. Philip Stern, The company-state. Corporate sovereignty and the early modern foundations of the British Empire in India, Oxford 2011. 192 Darwin, After Tamerlane, the quote is on page 2. See my review in: British Scholar 1, 1 /2008, 111–117. See also Jane Burbank and Frederick Cooper, Empires in world history. Power and the politics of difference, Princeton/Oxford 2010; Jürgen Osterhammel, The transformation of the world: A global history of the nineteenth century, Princeton 2014, originally in German 2009, chapter VIII. 193 David Abernethy, The dynamics of global dominance. European overseas empires, 1415– 1980, New Haven/London 2000. 194 See my State, economy and the Great Divergence, chapter 7. 195 I only refer here to Geoffrey Parker, The Military Revolution. Military innovation and the rise of the West, 1500–1800, revised second edition; Cambridge 1999; the first edition dates from 1990, that was at the beginning of many debates, and Jeremy Black, Introduction to global military history: 1775 to the present day, second edition Abingdon, Oxon, 2012, originally 2005, that gives a good overview. 196 Philip Hoffman, Why did Europe conquer the world?, Princeton 2015.

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The prize for them must be valuable and the costs low. They must use the gunpowder technology heavily and not older military technologies. They must face few obstacles to adopting military innovations, even from opponents. According to him, these conditions were met in Europe more than anywhere else. In my view the book really tends to over-emphasise the importance of military ‘hardware’ as compared to matters like organization, drill, discipline or funding. The other book is by Tonio Andrade, The Gunpowder Age: China, military innovation, and the rise of the West in world history.197 In this book the author sets out to revise the standard story of the military rise of the West in the early modern era by showing that China too underwent rapid military change during that period and continued to innovate in gunpowder technology through the early 1700s. It in his view was not by accident that it was able to defeat European expeditions in the 1600s. For him the seventeenth century still is an ‘age of parity’ not just in military ‘hardware’ but also in drill and discipline and the use of muskets, although Andrade does point out that when it comes to naval matters and the building of fortresses Westerners did have an advantage in the East. Their naval superiority especially that of the British would in the end become striking.198 Only with the Opium Wars China undeniably had incurred a big disadvantage, amongst other things, because it had enjoyed a period of relative peace since the 1760s, and was no longer used to fight wars. Andrade explicitly points out that the West profited from the application of science in its warfare, for example in ballistics. It proved very hard for China to catch up in these respects not just because of its scientific and technological ‘backwardness’ but also because the Chinese state in the nineteenth century was weak and under-funded and, because of vested interest, unable to quickly create a new military force. Useful and reliable knowledge and human capital No less than three quite different very broad comparative global histories about the emergence of modern science have been published very recently: Toby Huff, Intellectual curiosity and the Scientific Revolution, contrasting “the infectious curiosity” of early modern Europe with the “curiosity deficit” of China, India and the Ottoman Empire at the time; Floris Cohen, How modern science came into the world. Four civilizations, one seventeenth-century breakthrough, and Dengjian

197 Tonio Andrade, The Gunpowder Age: China, military innovation, and the rise of the West in world history, Princeton 2016. For my comments with regard to this book see my forthcoming review in The Journal of Economic History 198 There are many excellent comprehensive studies of the history of the British navy. I here just refer to one text because if focuses on the central question of my article: Daniel Baugh, Naval power: what gave the British navy superiority?, in: Leandro Prados de la Escosura, ed., Exceptionalism and industrialisation. Britain and its European rivals, 1688–1815, Cambridge 2004, 235–260.

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Jin, The great knowledge transcendence.199 The most challenging from a broad Great Divergence-perspective might be the last one, although Cohen’s book as such certainly is by far the best one. According to Dengjiang Jin a uniquely European combination of very diverse factors like inter-state competition, the separation between church and state, the legal revolution, the printing revolution, the recovering Greek learning and the Renaissance, the discovery of America, the Reformation, the Copernican model of the universe, and a variety of discoveries, made it increasingly hard to maintain fundamental tenets of Western Christian religion and natural philosophy, that had never been really compatible to begin with. This led to the emergence of a widespread systematic scepticism toward the way in which existing knowledge claims were founded and defended. The pioneers of modern science overcame the crises of the European mind by claiming that certain knowledge could be acquired through ‘artificial’ experiment, instruments, language, quantification and mathematization of ‘artificially’ created phenomena, and the enforcement of rules of objectivity, replicability, and falsifiability. The rise of modern science, technology thus was a very unnatural phenomenon, the transcendence of the inherent limitations of common sense, tradition and scepticism. The role of hard science in the first industrial revolution when modern economic growth emerged may not have been as big as has long been assumed but it certainly was far from negligible. Attention in the field of economic history, however, seems to have moved in the direction of studying (ideas about) ‘useful and reliable knowledge’ and (changes in) cultures and mentalities that enable or even promote the emergence of a knowledge economy. 200 The problem with such explanatory ‘variables’ is how to measure them and their explanatory value.201 It therefore will not come as a surprise that there are also many efforts to quantify knowledge.202 What matters in the end, however, are not sheer overall quantities 199 Toby Huff, Intellectual curiosity and the Scientific Revolution. A global perspective, Cambridge 2011; Floris Cohen, How modern science came into the world. Four civilizations, one seventeenth-century breakthrough, Amsterdam 2012; Of these two books there already are many reviews that one can find on Google; Dengjian Jin, The great knowledge transcendence. The rise of western science and technology reframed, London/New York 2015. 200 See e.g. Joel Mokyr, The enlightened economy. An economic history of Britain 1700–1850, London 2009; idem, A culture of growth. Origins of the modern economy, Princeton/Oxford 2016; Margaret Jacob, The first knowledge economy. Human capital and the European economy, Cambridge 2013. 201 For reviews of Mokyr’s approach in The enlightened economy see Crafts, Explaining the first Industrial Revolution, and Gregory Clark in: Journal of Economic Literature 50, 1 /2012, 85– 95. For critiques on the cultural explanation in Clark’s work see note 103. For critique on Deirdre McCloskey’s approach in her Bourgeois dignity. Why economics can’t explain the modern world, Chicago 2010, see http://www.cato-unbound.org/2010/10/06/gregoryclark/why-economics-must-explain-modern-world, plus Ridley’s article referred to in note 147. 202 For data on literacy see http://ourworldindata.org/data/education-knowledge/literacy/. See further for the production of texts, Jörg Baten and Jan Luiten van Zanden, Book production and the onset of modern economic growth, in: Journal of Economic Growth 13, 3 /2008, 217–

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but ‘synergies’ and the existence of specific, concrete clusters of knowledge and skills with high relevance for production. The search for synergies has led to an increased effort to also chart and measure institutions, infrastructures and networks of knowledge. Victoria Bateman is quite adamant that the “more cooperative and communal scientific research spirit” of the Enlightenment rather than market competition was – in combination with Britain’s price-structure – at the basis of growth. In her view we see more growth in the eighteenth and nineteenth centuries when there was more cooperative scientific activity. 203 In the last instance of course what really matters in actual production, is technology and human and social capital. An explicitly comparative study dealing with technology, skills, in the pre-modern economy of West and East has just been published, but more would be welcome.204 When it comes to human capital new research has been started into the characteristics of Britain’s labour force to find out whether and in what respects it was more productive. The results are quite interesting. Britain grew fast in the early modern period and industrialized before any other society, yet schooling and literacy stagnated there during the ‘long eighteenth century’ and were not high by European standards until well into the nineteenth century. In 1800, moreover, its numeracy was lower than that of many poorer and slower-growing economies, including Austria, Belgium, Denmark, France, the Netherlands, Norway, and Switzerland.205 But there also are aspects where Britain scored better. As compared to e.g. labour in France, British labour at the time of industrialisation apparently was better fed, stronger and longer, more powerful and so productive that its actual costs in fact were lower than than those of its French counterpart. It possessed a substantial amount of informal knowledge, competences and skills, often acquired in apprenticeship or in other forms of on-the-job training. Britain, moreover, had far more so-called mechanics. Without their skills massive mechanization of production would have been impossible.206 These findings about the im-

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235; Eltjo Buringh and Jan Luiten van Zanden, Charting the ‘Rise of the West’: Manuscripts and printed books in Europe. A long-term perspective from the sixth to the eighteenth centuries’, in: The Journal of Economic History 69, 2 /2009, 409–445. See for some comments Bateman, Markets and growth, under ‘Enlightenment’. The quote is on page 171. For an analysis see Leonard Dudley, Mothers of innovation: How expanding social networks gave birth to the Industrial Revolution, Cambridge 2012, and James Dowey, Access to knowledge and the British Industrial Revolution: An empirical analysis, http://www.lse.ac.uk/economichistory/seminars/eh590workshop/eh590lt2013/james-doweyeh590-16.01.13.pdf. The situation in Britain in this respect is described as ‘better’ than anywhere else in Europe. Maarten Prak and Jan Luiten van Zanden, eds., Technology, skills, and the pre-modern economy in the West and the East, Leiden/Boston 2013. I am almost verbatim paraphrasing Tracy Dennison and Sheilagh Ogilvie here. See their Does the European marriage pattern explain economic growth?, in: The Journal of Economic History 74, 3 /2014, 651–693, e.g. table 6. Morgan Kelly, Joel Mokyr, and Cormac Ó Gráda, Precocious Albion. The scholars also point at the importance of the Poor Laws. Poor relief in Britain was relatively high and prevented labour from becoming too weak and under-nourished.

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portance of apprenticeships add new material to the on-going debate on the positive or negative effect of guilds and guild-like associations on economic growth.207 One does have to realize, however, that in many sectors overall skill requirements decreased instead of increased for the bulk of the labour force during early industrialization.208 Comparative studies about entrepreneurs and entrepreneurship, of fundamental importance in this context, are rather scarce.209 Another subject that has recently been put forward in the debates about growth and human capital is the possible relationship between the so-called European marriage pattern (EMP) and economic growth in the early modern period. Tine de Moor and Jan Luiten van Zanden in two publications claimed there was, whereas Tracy Dennison and Sheilagh Ogilvie clearly deny that. This led to a reaction by De Moor, Van Zanden, and two colleagues, who, unsurprisingly, disagree.210 To a large extent this disagreement is the result of differences in the way in which participants in the debate interpret the EMP. In their Vrouwen en de geboorte van het kapitalisme (Women and the birth of capitalism) and in their Girlpower article, De Moor and Van Zanden focus on the human-capital enhancing effects of the EMP in particular for women. Even though they do not claim that in regions where the EMP prevailed the age of marriage would of necessity be high, all the positive effects they refer to can only indeed occur when women indeed married late. “Investment in human capital (schooling and on-the-job training), so they write, became a normal part of the life cycle of young men and women, effectively delaying their entry into the marriage market”. One may assume that girl power increased when women entered their marriage at a later age when they had accumulated more experiences and property. It is explicitly pointed out that “(T)he distinctive western European servant phenomenon is “not found in parts of the world where early marriages are common.” They describe the EMP, in which the number of children was limited “as a result of the age of marriage”, as a re207 See Sheilagh Ogilvie, The economics of guilds, in: Journal of Economic Perspectives 28, 4 /2014, 169–192. Ogilvie personally thinks that the role of guilds was rather negative, but she gives a good overview of the different other positions in the debate and of the literature. 208 Alexandra de Pleijt and Jacob Weisdorf, Human capital formation from occupations: The ‘deskilling hypothesis’ revisited, http://www2.warwick.ac.uk/fac/soc/economics/research/cen tres/cage/manage/publications/222-2015_weisdorf.pdf. 209 David Landes, Joel Mokyr and William Baumol, eds., The invention of enterprise: Entrepreneurship from ancient Mesopotamia to modern times, Princeton 2010. 210 Tine de Moor and Jan Luiten van Zanden, Vrouwen en de geboorte van het kapitalisme in West-Europa, Amsterdam 2006; iidem., Girl power: the European marriage pattern and labour markets in the North Sea region in the late medieval and early modern period, in: Economic History Review 63, 1 /2010, 1–33; Dennison and Ogilvie, Does the European marriage pattern explain economic growth; Sarah Carmichael, Alexandra de Pleijt, Jan Luiten van Zanden, and Tine de Moor, Reply to Tracy Dennison and Sheilagh Ogilvie: The European Marriage pattern and the Little Divergence, http://www.cgeh.nl/sites/default/files /WorkingPapers/cgehwp70_vanzandenetal.pdf. The subject has become quite popular. See also James Foreman-Peck, The Western European marriage pattern and economic development, in: Explorations in Economic History 48, 2 /2011, 292–309 and the article by Voigtländer and Voth referred to in note 113.

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productive strategy to increase the quality (not quantity) of offspring. As such the claim that the comparatively high investment in human capital formation in the North Sea area was good for growth sounds quite probable. When they claim that “the golden days of the EMP in the North Sea region” were in the fifteenth century, one wonders though how exactly the EMP can be connected to the Golden Age of the Dutch economy, that fell roughly in the seventeenth century.211 Dennison and Ogilvie define the EMP explicitly according to strict formal criteria used by John Hajnal, who introduced the concept: a high age of marriage for women, a high percentage of singles, and a low percentage of complex households. They make an extensive analysis of the different ways in which this pattern might have promoted growth and come to the following in my view irrefutable conclusion: “The EMP did not prevail throughout Europe, or even throughout the core of Europe. The three key components of the EMP – late marriage, high celibacy, and nuclear families – were not always associated with one another. Where they were associated, they did not lead ineluctably to economic growth.”212 In their ‘Reply’, Carmichael, De Moor, De Pleijt, and Van Zanden focus on what they regard as the underlying institutional characteristics of the EMP and consider those as essential. Consensus between the marrying partners and the fact that they create a new separate household count as the two constituting elements, but these authors also point out that in this marriage pattern women can own property and have a share in inheritance and that marriage is strictly monogamous and exogamous. All these arrangements strengthen the position of women, so that for a premodern family system, the EMP as they now define it is exceptionally ‘girlfriendly’. Assuming that female agency is an important driver of development, they posit – and I think indeed show – a consistent link between female-friendly institutions at the micro level and economic performance as such agency restrains population growth, strengthens the position of women, enhances human capital formation of women and their offspring and encourages their access to labour and capital markets. Looking at marriage ages per se in their perspective is not very helpful as those in growing economies with EMP institutions can even be lower than in EMP regions where the economy grows less. The institutional approach and the hypotheses presented by De Moor and colleagues in their reply certainly look interesting and promising, but I think it would only be fair to admit that as compared to previous publications there has been a certain shift in the way they use the term EMP. In earlier publications De Moor and Van Zanden too, explicitly or implicitly, accorded a central role to high female marriage age in the EMP, as everyone always does. To now redefine the EMP in such a way that it somehow becomes an accidental element of it, and then criticise Dennison and Ogilvie for mis-interpreting them, is not very helpful. To what extent the EMP would con-

211 For the quotes see De Moor and Van Zanden, Girl power, 21 and 28. 212 Dennison and Ogilvie, Does the European marriage pattern explain economic growth, Conclusion.

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tribute to the emergence of modern economic growth remains unclear and is in any case not discussed. Where the debate is and where it might / should go There would have been no great Great Divergence-debate without the scholars of the California School. Their theses were the staple on which numerous scholars fed. In brief, they claimed that till the eve of the Industrial Revolution in Great Britain, i.e. the take-off into modern economic growth and the beginning of the Great Divergence, there existed many “surprising resemblances” between the most advanced economies of Eurasia; that these economies were more or less on a par; that the Great Divergence indeed took place only late, with industrialization; and that it was quite sudden and contingent. After more than fifteen years of debate I think one must conclude that most of these claims are mistaken or in any case exaggerated or misleading. To a certain extent resemblances of course are in the eye of the beholder but apart from the fact that before industrialization began all the advanced organic economies of the world were indeed advanced organic economies, certain – definitely not all of them – Western societies were already fundamentally different from the rest of the world in a way that made their chances to have modern economic growth bigger than anywhere else. It now in my view is beyond reasonable doubt that Qing China, the favourite example of the Californians when it comes to showing surprising resemblances, was quite different from in particular Great Britain. For the rest of the world too, I see far more evidence of differences than resemblances in aspects relevant for the Great Divergence-debate. Global comparisons therefore in my view will not learn us much about why Great Britain and then parts of Continental Europe were ‘first’. The region that most resembled North-western Europe was Japan. Systematic comparison of this country with Great Britain and China might bring fresh insights into how modern growth can first emerge. The thesis that differences in wealth between the most advanced regions of Eurasia were minor also is not confirmed, in any case not when we look at estimates of GDP, wages and income. As compared to the gap that emerged with industrialization differences were still fairly small but they definitely were not unimportant. The rest of the world also seems to have been poorer than Northwestern Europe, although in particular the USA very quickly caught up and figures for Spanish America are quite contested. When it comes to timing, recent research has not only shown that parts of Europe were already wealthier than the rest of Eurasia before industrialization started - although the really great diverging only began with modern economic growth in the nineteenth century – it has also shown that before differences began to substantially matter in terms of wealth, parts of Western Europe already were on a different trajectory from the rest of the world economically but also in several other respects. I certainly do not want to claim that it therefore was inevitable that modern economic growth would first emerge there, but it certainly was more

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probable. Industrialization and modern economic growth in Great Britain and to a certainly lesser extent the industrializing parts of Continental Europe were not inevitable but neither were they sudden contingencies as the Californians like to suggest: they were to a certain extent a continuation of already existing trajectories and can be considered as an intensification as well as a fundamental innovation of those trajectories. The on-going debates on the Great Divergence have also made clear how important it is to be specific when it comes to place and time: in many respects it is too simple to contrast ‘the West’ and ‘the Rest’ as has often been done. Differences in Europe in the early modern era, and later on, were huge. Northwestern Europe in several respects developed quite different from the rest of Europe and in the Northwest Great Britain had its own specific path. The differences between (North-western) Europe on the one hand and the Americas - maybe with the exception of Northern America – Asia - though less so with Japan that of course is a special case - and Africa on the other, were often enormous, as were the differences between the non-European regions and in them. The economies of the regions compared, moreover, were of course not ‘stable’; they had their up-anddowns, efflorescences and crises, often with quite differing timing. The importance of data collection, (re) construction and standardization is obvious and needs no further comment. Without good data, debates can never be more than the exchange of impressions. Data on economic aspects of life not surprisingly have received most attention; more information on demography, geography and factor endowments would be most welcome. None of those structural background conditions can in the end by itself explain why modern economic growth emerged somewhere in the world. What Jones says about geography and environmental factors applies to all varieties of factor endowment: “By itself geography explains nothing. … Yet geography may not be altogether dismissed. The layout of the world does affect the relative costs of economic activity under any one technology.”213 He defines the role of environmental factors as “to sketch out least-cost paths of human action. Ceteris paribus we should expect them to have been followed.”214 Factor endowments often create specific trajectories and pathdependencies. The most important ones in the context of the Great Divergencedebate are the capital- energy- and technology-intensive industrial and the labourand skill-intensive industrious routes to growth. Unfortunately, the muchdiscussed concept ‘industrious revolution’ appears to be rather unhelpful and misleading. It is used in quite different meanings, described as a response to quite different situations (the push of poverty as well as the push of extra consumption) and as itself causing quite different outcomes. It in any case in my view cannot be an alternative for an industrial revolution in the sense that modern economic growth in the end will always be capital- energy- and knowledge-intensive: hard work, even by skilled people will never make any society as wealthy as Western societies became with ‘their’ industrialization. 213 Jones, European miracle, XXVII. 214 Jones, European miracle, 228.

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In the study of the emergence of modern economic growth the emphasis has always been strongly on the supply side, on factor endowment, accumulation, costs and technology, i.e. on what can be produced how, and how cheap. No one will deny the importance of these factors but for entrepreneurs, the ones who have to make the decision to invest in an innovation, demand of course is just as important if not even more important: how many people would be willing to buy what product at what price? How elastic is demand? How would it respond to changes in price, characteristics, quality? Are there bottlenecks or is it easy to extend production without innovating and just do more of the same? What innovations look profitable? Modern economic growth is sustained growth, driven by innovation. Innovation in the end depends on decisions by innovators who act on assumptions and expectations with regard to demand and thus profit. In that respect the role of consumption, but then not so much from the perspective of the consumer but from that of the potential investor clearly needs more attention in studies of the Great Divergence. Constant innovation requires flexibility, including flexibility in the use or non-use of labour. It is here that in my view the role of qualified wage labour and thus of capitalism is essential. Amongst historians it is becoming increasingly clear that modern economic growth is not simply the result of “peace, easy taxes, and a tolerable administration of justice” as Adam Smith is supposed to have said in one of his lectures in 1755.215 Markets, property rights, inclusive institutions, good governance, clean and lean states providing a level playing field: they all have played a certain role at a certain time and place but so did manipulation, monopolies, protectionism, exclusion, inequality, debt, extraction, coercion and violence. When it comes to the institutional preconditions of modern economic growth, we actually know much less than certain institutionalist economists claim to know on the basis of very thin and selective historical knowledge. Global economic history should and will move further away from the ‘theory’ of growth to its ‘practice’. The breakthrough to modern economic growth as it occurred in Great Britain during its industrialization would have been impossible without the steam engine, which in turn is inconceivable without theoretical scientific knowledge that also had its impact in several other sectors of the economy. It was only several decades into the nineteenth century that the role of science became evident. For rest the technologies used depended to a large extent on tinkering, improvisation and improving. What needs to be explained is not so much several distinct inventions and innovations but their clustering which means that research on knowledge and technology should focus on the emergence of what Mokyr called an enlightened economy with specific attention to networks of information and knowledge transfer and to synergies. For analysing the emergence of modern economic growth in the first industrial revolution from the perspective of human capital, general categories like literacy, numeracy, or schooling do not seem to be very helpful. Again, research should more focus on what actually goes on in innovating sectors and what specific skills 215 See http://oll.libertyfund.org/quote/436.

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or competences are required there. In the beginning of industrialization in all probability skill requirements overall decreased rather than increased. In innovating sectors those wanting to be good entrepreneurs or mechanics will have needed new very specific skills. For ordinary labour there may often have been deskilling, but in all probability also new requirements, e.g. getting used to factory discipline. Global economic history is clearly a fascinating field of study at the moment. The debate on the Great Divergence is at its core. It received a tremendous impulse by the work of scholars of the California School. Even though many of their claims have now been refuted, their work has been and will certainly continue to be an enormously ‘fertile mistake’. In most classic analyses of ‘rise of the West’ the emergence of the global gap between rich and poor as a rule was studied by looking at the West and then making fairly casual references to ‘the Rest’. Current studies of the Great Divergence have indeed become a global endeavour, in which references to other regions of the world – whether in terms of comparisons or connections - are no longer casual comments but integral parts of the analysis. That is enormous progress. Prof. Peer Vries, University Vienna

REZENSIONEN Ernst Otto Bräuche/Volker Steck (Hrsg.): Der Krieg daheim. Karlsruhe 1914– 1918 (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Karlsruhe 33) 391 Seiten, 208 Abbildungen, Info Verlag: Karlsruhe 2014, € 29,90. Klaus Schulte/Peter Sardoč: Eiserne Zeiten. Aachen – eine Stadt im Ersten Weltkrieg, 140 Seiten, 94 Abbildungen, Verlag Mainz: Mainz 2014, € 19,80. Stefan Gerber Das in den 1980er Jahren verstärkt einsetzende Interesse an einer Alltags- und Mentalitätsgeschichte von Krieg und kriegerischer Gewalt hat für den Ersten Weltkrieg mittlerweile reiche Früchte getragen. Vor allem die Millionen Feldpostbriefe, die in den Jahren zwischen 1914 und 1918 zwischen Front und „Heimatfront“ gewechselt wurden, aber auch Erinnerungsberichte und Tagebücher wurden in breitem Umfang als Quellen einer Weltkriegsgeschichte „von unten“ entdeckt und erschlossen, die jenseits der – weiterhin notwendigen und fruchtbaren – militärischen Operationsgeschichte und Politikgeschichte des Krieges angesiedelt ist. Mit dem regen Interesse an der Alltagsgeschichte des Krieges – das auch eine Reaktion auf die politisierte Auseinandersetzung um „Kriegsschuld“ und Kriegsziele in der „Fischer-Kontroverse“ war, die Anfang der 1970er Jahre vorläufig zur Ruhe kam – wurde der Blick unvermeidlich auf die „Heimatfront“ gelenkt. Der Begriff, der zeitgenössisch die umfassende Mobilisierung nicht nur der Frontheere, sondern auch der zu Hause bleibenden Bevölkerung für die Kriegsanstrengung ausdrücken und befördern sollte, wurde nun auch zur Chiffre einer Erforschung der deutschen Kriegsgesellschaft. Diese orientierte sich zunächst an herausragenden sozialgeschichtlichen Problemen, von denen mittel- und längerfristige Auswirkungen in das Deutschland der Zwischenkriegszeit vermutet wurden, und deren genauere Analyse – die Veränderung weiblicher Erwerbstätigkeit im Krieg ist das prominenteste Beispiel – differenzierte Ergebnisse hervorbrachte. Als zunehmend Fragen von Nahrungs- und Rohstoffversorgung, Kriegswirtschaft und schließlich auch Propaganda und Massenbeeinflussung in den Fokus der Forschung rückten, wurden mit der wachsenden Menge zusammengetragener Informationen auch Synthesen zur Heimatfront möglich, die sich zumeist auf einzelne Städte oder Regionen konzentrierten. Das war und ist sinnvoll, denn gerade in zentralen Bereichen der „Heimatfront“, allen voran der Nahrungsmittelund Rohstoffversorgung, stand dem kriegswirtschaftlichen Trend einer immer stärker zentralisierten Erfassung, Verwaltung und Distribution die nicht minder wirkmächtige Tendenz einer Kommunalisierung und Regionalisierung dieser

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Aufgabenbereiche gegenüber. Ein detailliertes, nahezu den Anspruch einer „histoire totale“ erfüllendes Leitwerk dieses Strebens nach einer umfassenden Synthese der Alltagsrealität der Heimatfront im Ersten Weltkrieg legte 2007 (deutsch 2009) der amerikanische Historiker Roger Chickering für Freiburg im Breisgau vor. Im Jubiläumsjahr 2014 konnte in vielen deutschen und europäischen Regionen auf diese Forschungsbemühungen der zurückliegenden Jahre und Jahrzehnte zurückgegriffen werden, wenn historisches und öffentliches Interesse, politische Aufträge und publizistische Strategien den Ruf nach einer Geschichte der lokalen oder regionalen „Heimatfront“ laut werden ließen. Zugleich ist seit 2014 aber auch sehr deutlich geworden, dass dieses Feld ungeachtet vieler Publikationen noch keineswegs umfassend bearbeitet ist: Für viele deutsche Kommunen fehlen noch immer Grundinformationen zu Ereignissen und Strukturen der „Heimatfront“. So ist es ein bedeutsamer Differenzierungsschritt für die Forschung, dass für viele deutsche Städte und Regionen seit 2013 solche grundlegenden Werke vorgelegt worden sind. Die hier zu besprechenden beiden Bände stellen recht unterschiedliche Ausprägungen dieses Genres dar. Verbunden werden die beiden Bücher durch ihren engeren Gegenstand: Mit Karlsruhe und Aachen im Ersten Weltkrieg stehen zwei „kleine Großstädte“ an der westlichen Peripherie des Reiches im Mittelpunkt. Diese Lage gab – das machen viele Details in beiden Bänden deutlich – der „Heimatfront“ einen besonderen Akzent: Grundsätzlich muss auch in künftigen Forschungen deutlich zwischen „frontferner“ und „frontnaher“ Heimatfront unterschieden werden. Für letztere erwiesen sich die Grenzen zwischen heimatlicher Kriegsgesellschaft und militärischem Geschehen an den Kampffronten als noch weitaus durchlässiger und fließender, als dies für die „Heimatfront“ insgesamt galt, die z. B. über das Lazarettwesen, über die von beurlaubten Soldaten eingeschleppten Infektionen und Parasiten und natürlich durch die Kriegsgefangenen durchaus nicht nur vermittelt, sondern auch ganz unmittelbar mit den Kriegsauswirkungen konfrontiert wurde. Für frontnahe Heimatfronten wie Karlsruhe und Aachen allerdings, zeigte sich darüber hinaus bereits im Ersten Weltkrieg die Tendenz zum Verschwimmen der grundlegenden Unterscheidung zwischen militärischem Operationsgebiet der Kombattanten und rückwärtigen Räumen der Zivilbevölkerung, die im Zweiten Weltkrieg aufgehoben werden sollte. Das lag nicht nur daran, dass sowohl am Oberrhein als auch in Aachen – dem Tor zu dem zu Beginn des Weltkrieges heftiger als deutscherseits erwartet umkämpften Belgien – das Kampfgeschehen der Westfront akustisch noch zu vernehmen war: Der Geschützdonner der großen Schlachten, besonders der „Grenzschlachten“ von 1914, wies unüberhörbar auf die räumliche Nähe zum Kampfgeschehen hin. Vor allem die Frühformen des Luftkrieges, für die Karlsruhe mit der höchsten Zahl an Luftkriegstoten des Ersten Weltkrieges in Deutschland gewissermaßen das „Fanal“ darstellte, deuteten auf die Entgrenzung von kriegerischer Gewalt hin, die mit der Weiterentwicklung der militärtechnischen Möglichkeiten das 20. Jahrhundert prägen sollte. Die Karlsruher Luftangriffe spielen (bis hin zum Umschlagbild des Buches) demzufolge eine zentrale Rolle in dem hier zu betrachtenden, durchweg ertragreichen Band zum Ersten Weltkrieg in der badischen Hauptstadt, der vom Stadtar-

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chiv Karlsruhe unter Federführung von dessen Leiter Ernst Otto Bräunche und von Volker Steck, dem Leiter der Erinnerungsstätte im ehemaligen badischen Ständehaus in Karlsruhe, herausgegeben worden ist. Grundsätzlich zeichnen sich die vielfältigen Beiträge des Bandes fast allesamt durch eine ausgezeichnete Einbindung der dargestellten kommunal-regionalen Ereignisse und Beobachtungen in die Gesamtforschung zum Ersten Weltkrieg im Großherzogtum Baden und in Deutschland aus. Das ist sehr zu begrüßen, denn stets muss es bei der Erforschung der „Heimatfronten“ des Ersten Weltkrieges nicht nur darum gehen, dem (zweifelsohne primären und grundständigen) Informationsbedürfnis des lokalen Geschichtsinteresses und der lokalen Geschichtskultur entgegenzukommen, sondern auch Beiträge zu einer „Detailgeschichte des Ganzen“ der Weltkriegsforschung zu liefern. Diesen Anspruch erfüllen besonders – auf Details der Darstellung und Argumentation muss hier verzichtet werden – die facettenreichen Texte von Jürgen Schuladen-Krämer zu Karlsruhe als Lazarettstadt, von Christine Beil zu Propaganda und Meinungslenkung im Krieg sowie zu der sich in Karlsruhe wie anderenorts mehr und mehr verschärfenden „Versorgungskrise“ und die beiden Beiträge von Alexandra Kaiser: Einmal zu Arbeitsmarkt, Rüstungsindustrie, Hilfsdienst und Kriegsgefangeneneinsatz, zum anderen zu der Diskussion um die angemessene Gefallenen- und Kriegsopferehrung in Karlsruhe vom Ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart. In die kirchlich-theologische Zeitlage sowie das Verhältnis von Kirchen- bzw. Diözesanleitung und örtlicher Geistlichkeit betten Udo Wennemuth und Christoph Schmider ihre Aufsätze zur evangelischen bzw. katholischen Kirche ein, ziehen aber relativ zurückhaltend Vergleichs- und Einordnungsschlüsse auf die inzwischen breite Forschung zu Kirchen auch im Ersten Weltkrieg, gerade was die Kriegspredigt angeht. Instruktiv, aber gleichfalls stärker auf die unmittelbare stadtgeschichtliche Information bezogen, präsentieren sich die Beiträge von Meinrad Welker zu den Garnisonen in Karlsruhe und Durlach, von Ferdinand Leikam zu Kindheit und Jugend im Krieg und von Peter Pretsch zu Kunst und Kultur. Benjamin Kram und Susanne Augenstein wenden sich mit kurzen Notizen zu den Feldpostbriefen der Familie Stirm im Karlsruher Stadtarchiv und zum Krieg am Durlacher Gymnasium Spezialfällen zu. Volker Stecks Beitrag bietet hauptsächlich einen Überblick über die Entwicklung der badischen Politik und Parteienkonstellationen während des Weltkrieges, der nur in den Informationen zum 100jährigen Verfassungsjubiläum 1918 und zu den Kriegsnutzungen des Ständehauses direkte Bezüge zur Karlsruher Stadtgeschichte im Ersten Weltkrieg aufweist. Ernst Otto Bräunche leitet den Band mit einem an sein entsprechendes Kapitel in der Karlsruher Stadtgeschichte von 1998 angelehnten Text ein und versammelt bereits die grundlegenden Untersuchungslinien, die den Blick auf den „Krieg daheim“ für Karlsruhe in den folgenden Beiträgen prägen: Der Kriegsbeginn und die Frage nach der inzwischen in vielen Arbeiten vollzogenen Differenzierung der früher pauschal angenommen „Kriegsbegeisterung“ 1914 sowie die Anflüge kollektiver Hysterie in Spionagefurcht und Gerüchten; die politische Fragmentierung, die sich bei den Sozialdemokraten im Zeichen des „Burgfriedens“ bis zur Spaltung der Partei 1917, aber auch auf der rechten Seite des politischen Spektrums mit der Entstehung der Vaterlandspartei in der Endphase des

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Krieges vollzog; die Ernährungs- und Rohstofflage vor Ort; die Entwicklung der Kriegswirtschaft und der lokale Arbeitsmarkt einschließlich der Frage der weiblichen Erwerbsarbeit; Lazarette und die Auswirkungen des Krieges auf das gesellschaftliche und kulturelle Leben der Stadt. Der Einstieg ins Thema erfolgt auch bei Bräunche mit interessanten Verweisen auf den erinnerungskulturellen und geschichtspolitischen Umgang mit den bereits erwähnten französischen Luftangriffen auf Karlsruhe, besonders den folgenschwersten Angriff am Fronleichnamstag 1916, die im September 1940 – nach dem erfolgreichen Frankreichfeldzug und im Zuge einer möglichen Invasion in Großbritannien – von der NS-Presse anhand eines Gemäldes des französischen Piloten Henri de Kérillis einmal mehr als „Zeugnis sadistischer französischer Eitelkeit und Prahlsucht“ (S. 10) gebrandmarkt wurden. Diesem spezifischen Karlsruher Thema widmen sich im Band auch andere Beiträge, allen voran der informative Text von Michael Martin, der einen Gesamtüberblick über die zeitgenössischen Ereignisse und Wahrnehmungen im Luftkrieg gegen Karlsruhe gibt. Martin weist darauf hin, dass der Luftkrieg von Anfang an Gegenstand wechselseitiger Propagandaauseinandersetzungen war, die zeigen, wie vorsichtig der Historiker der Informationspolitik im Krieg damals wie heute gegenüberzutreten hat. War auf deutscher Seite eine Tendenz zum Herunterspielen, ja zur „Minimalisierung“ der Folgen der Luftangriffe zu erkennen, gab es auf französischer Seite komplementär den Versuch, die militärische Bedeutung der Angriffe aufzubauschen. Martin macht demgegenüber eindrücklich deutlich, dass die Toten und Zerstörungen der Karlsruher Luftangriffe nicht in erster Linie militärisch, sondern psychologisch von Bedeutung waren. Besonders der Angriff vom 22. Juni 1916, bei dem wegen Bombentreffern in unmittelbarer Nähe des gerade in Karlsruhe gastierenden Zirkus Hagenbeck 71 der insgesamt 120 Todesopfer Kinder waren, hatte in dieser Hinsicht weitreichende Wirkungen. Es zeichnen sich nicht nur militärisch, sondern auch in den Reaktionsweisen bereits hier all die Muster ab, die dann besonders im traumatischen alliierten Bombenkrieg gegen die deutsche Zivilbevölkerung 1943–45 deutlich werden sollten: Der Tatsache, dass die militärische Wirkung begrenzt blieb, standen trotz wachsender Angst und Verunsicherung durch Angriffe und Alarme keine Demoralisierung der Bevölkerung, sondern unbeabsichtigte Solidarisierungseffekte mit der Kriegsanstrengung gegenüber und der Luftkrieg wurde – besonders über die Presse der neutralen Länder, die auch 1916 schon breit berichtete – eher zu einem Propagandaerfolg der deutschen Seite. Die neutestamentliche Assoziationen weckende Formulierung vom „Karlsruher Kindermord“, auf die Martin verweist, hat sich tief ins kollektive Gedächtnis eingegraben. Die Diskussion darum, ob der Angriff auf den Zirkus gezielt oder zufällig gewesen sei oder die Gerüchte um eine Verwendung „vergifteten“ Metalls in dem Bomben zeigen die Dynamik, die sich hier entwickelte. Christoph Schmider gibt in seinem Beitrag zur katholischen Kirche in Karlsruhe einen Briefwechsel mit dem Münchener Nuntius Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII., wieder, der sich eingehend nach dem Gerücht erkundigte, der Angriff habe der (in Wirklichkeit nicht stattgefundenen, bzw. in die Kircheninnenräume verlegten) Fronleichnamsprozession gegolten.

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Keinen wissenschaftlichen, sondern einen (im besten Sinne) heimatgeschichtlichen Hintergrund hat der kleine Band von Klaus Schulte und Peter Sardoč zu Aachen im Ersten Weltkrieg. Das Hauptinteresse der beiden ehemaligen Schauspieler gilt der Theater- und Konzertgeschichte Aachens und im Grunde muss man ihr Buch zum Ersten Weltkrieg auch als eine solche Theatergeschichte Aachens im Krieg ansprechen. Hier liegen die Stärken der Darstellung; hier werden, vor allem zu den Theater- und Konzertprogrammen, aber auch zu prägenden Persönlichkeiten des Aachener Konzertbetriebes und zum prekären, immer von Schließung und Einstellung bedrohten bzw. auch betroffenen Konzert- und Schauspielbetrieb in der Stadt viele Informationen geboten, die der interessierte Leser anderswo nur schwerlich wird finden können. Nachverfolgen kann er sie allerdings auch nicht, denn die Darstellung verzichtet gänzlich auf Quellen- und Literaturhinweise. Eindrücklich ist weiterhin die recht breite Einbeziehung von „O-Tönen“ aus veröffentlichten bzw. in der benutzten Literatur zitierten zeitgenössischen Berichten und Tagebüchern. Die Autoren greifen am Ende des Buches auch die Diskussion seit den Erscheinen von Christopher Clarks „Die Schlafwandler“ 2013 auf und verweisen zurecht auf die starke Pluralisierung der Erklärungsansätze in der Kriegsursachenforschung. Darüber hinaus nach einer Einordnung der zusammengestellten Fakten in die historische Forschung zu Kommunen im Weltkrieg, „Heimatfronten“ oder auch – beim Hauptfokus des Bandes naheliegend – der Kommunikations-, Medien- und Propagandageschichte des Krieges zu fragen, würde den Erwartungshorizont für dieses Buch insofern beträchtlich überdehnen, als diese Kontextualisierung wohl nicht in der Absicht der Verfasser lag. Es müsste im Blick darauf beckmesserisch wirken, hier im einzelnen die zahlreichen, vor dem Hintergrund des komplexen Forschungsstandes zum Ersten Weltkrieg veralteten, undifferenzierten oder schlicht uninformierten Kommentare zu Krieg, Kriegsgesellschaft und deutscher Innenpolitik 1914–18 aufzuführen, die der Band enthält. PD Dr. Stefan Gerber, Jena Mark R. Hatlie: Riga at War, 1914–1919. War and Wartime Experience in a Multi-ethnic Metropolis (Studien zur Ostmitteleuropaforschung, 30) 362 Seiten, Verlag Herder-Isntitut: Marburg 2014, 59€. Andreas Fülberth Nach rapiden Bevölkerungszuwächsen im Zuge der Industrialisierung erreichte Riga – damals politisches und wirtschaftliches Zentrum der Ostseeprovinzen des Zarenreichs – zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts eine Einwohnerzahl von rund einer halben Million. Die heutige Hauptstadt Lettlands gehört damit zu den größten Städten überhaupt, in deren unmittelbarer Nähe oder

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auf deren eigenem Gebiet sich während des Ersten Weltkriegs Kampfhandlungen abspielten. Die Frontlinie verlief nach der deutschen Eroberung Litauens und Kurlands seit Mitte 1915 vor den südwestlichen Stadtgrenzen, ehe Riga im Spätsommer 1917 auch selbst in die Hände der Deutschen fiel. Vorübergehend durchtrennte der Frontverlauf nun das nördliche und östliche Umland der Stadt, bis er sich Anfang 1918 durch einen erneuten Vormarsch der Deutschen noch einmal weit in Richtung Nordosten verschob. Angesichts dieser prägnanten Abfolge von Veränderungen, der neben Riga keine andere nordosteuropäische Stadt zeitlich parallel in gleicher Weise unterworfen war, durfte eine einschlägige Monografie hierüber beinahe zwangsläufig als Desiderat gelten. Bei der Konzeption einer solchen Monografie kam es dann vor allem auf eine Entscheidung bezüglich der Eingrenzung des Untersuchungszeitraums an: Eine mögliche Einengung auf die Phase bis zum allgemeinen Ende des Weltkriegs im November 1918 ließe sich bei einer Studie über Riga durchaus auch damit rechtfertigen, dass in jenem Monat die bürgerliche Republik Lettland ausgerufen wurde, womit zumindest formal eine Zäsur markiert war. Allerdings blieb die Durchsetzung dieser Staatsgründung danach noch ein ganzes Jahr lang durch bolschewistische sowie durch antibolschewistisch-restaurative Kräfte massiv gefährdet. Verdienstvollerweise hat deshalb der Autor der hier vorzustellenden Abhandlung „Riga at War“ – der in Deutschland lebende Amerikaner Mark R. Hatlie – einer entsprechenden Ausweitung des Untersuchungszeitraums den Vorzug gegeben; denn nur so konnte sich sein Blick auch auf die gerade für das Jahr 1919 kennzeichnende Ereignisdichte richten. Mit dieser ging eine Zuspitzung des Leids der Bevölkerung einher, was sogar Anlass für eine humanitäre Hilfsaktion unter britischer und amerikanischer Federführung gab. Militärische Unterstützung für das bürgerliche Lettland kam zur selben Zeit bemerkenswerterweise hauptsächlich von estnischer Seite. Hatlies Monografie ist aus einem Sonderforschungsbereich mit dem Dachthema „Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit“ hervorgegangen, der an der Universität Tübingen angesiedelt war und seine Tätigkeit Ende 2008 nach zehnjähriger Existenz offiziell abgeschlossen hat. Im Rahmen dieses Sonderforschungsbereichs war die Studie zu Riga eine von mehreren Fallstudien, bei denen jeweils eine konkrete Stadt im östlichen Europa im Mittelpunkt stand.1 Dass es zu ihrer Veröffentlichung nunmehr erst zeitnahe zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs gekommen ist, hat ihr fachintern ein gesteigertes und sicherlich verdientes Interesse eingebracht. Der Leser gewinnt aus ihr allerlei Wissen über eine Stadt, die mehrere Jahre lang in Hörweite des Artilleriefeuers lag und die von der Februarrevolution 1917 bis zur endgültigen Konsolidierung der Republik Lettland ein halbes Dutzend Herrschaftswechsel erlebte. Die eigentliche Darstellung gliedert sich in einen überwiegend ereignisgeschichtlichen und einen überwiegend erlebnis- und erfahrungsgeschichtlichen 1

Vgl. die bereits vorgelegte Monografie von Christoph Mick, Kriegserfahrungen in einer multiethnischen Stadt: Lemberg 1914–1947, Wiesbaden 2010.

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Teil. Ersterer weist eine Untergliederung nach Zeitabschnitten (sowie innerhalb dieser Zeitabschnitte nach Sachthemen) auf, wohingegen für den erfahrungsgeschichtlichen Teil eine Untergliederung nach Nationalitäten nahe lag, da hier auf private, zivilgesellschaftliche, kirchliche und kulturelle Lebensbereiche geblickt und nach Arten der subjektiven Wahrnehmung des Kriegsgeschehens in Abhängigkeit von der ethnischen Identität eines jeweiligen Betroffenen gefragt wird. Der Autor beschränkt sich dabei auf die drei größten im damaligen Riga vertretenen Gruppen, also auf Letten, Russen und Deutsche. Übergangen werden so beispielsweise die Polen und die Litauer, obwohl auch diese während des letzten Jahrzehnts vor dem Weltkrieg in je fünfstelliger Zahl zu den Bewohnern der baltischen Vielvölkermetropole gehört hatten. Grundsätzlich erscheint die Konzentration auf nur drei Bevölkerungsgruppen gleichwohl sinnvoll. Der Autor verschweigt nicht, dass diese Gruppen in sich recht inhomogen waren; wichtig ist ihm jedoch die Erkenntnis, dass bei vielen Einwohnern der Kriegsausbruch zu einem deutlich vertieften Bewusstsein für die eigene nationale Zugehörigkeit geführt habe. Im weiteren Verlauf seien kriegsbedingte Erfahrungen dann immer öfter so interpretiert worden, als resultierten sie vornehmlich daraus, welcher Nationalität man persönlich angehört. Am meisten trifft dies sicherlich auf die in Riga verwurzelten Deutschen mit russischer Staatsangehörigkeit zu: Ihre Loyalität gegenüber dem Zaren wurde durch unzählige Gerüchte und Denunziationen belastet, die sich nahezu ausnahmslos als unbegründet erwiesen und die einer heimlichen Hoffnung auf Kriegsglück für die Mittelmächte überhaupt erst Auftrieb gaben. Noch schwerer wog das 1914 verhängte Verbot, im öffentlichen Raum sowie im Briefverkehr die deutsche Sprache zu benutzen. Einen Rückzugsort, an dem gut hörbar ihre Muttersprache gesprochen werden durfte, besaßen die Rigaer Deutschen nun nur noch als Gottesdienstbesucher. Vollends demoralisiert wurden sie schließlich ab Anfang 1919 unter einem von Letten getragenen bolschewistischen Terrorregime, das den Regierungsapparat der Staatsgründer aus Riga verdrängte; denn während der folgenden viereinhalb Monate galten die deutschen Stadtbewohner fast allesamt als Klassenfeinde und wurden in großer Zahl zu Opfern von Wohnungsplünderungen. Hatlies primäre Quellenbasis in Form von Tagebüchern, Memoiren und anderen Selbstzeugnissen stellt sich in Bezug auf die Deutschen als besonders breit und in Bezug auf die russischen Bewohner der Stadt als eher schmal dar, wobei Letzteres teilweise darauf beruht, dass Russen sehr stark in die Evakuierung nahezu sämtlicher Rigaer Industriebetriebe in andere Regionen des Zarenreichs einbezogen waren. Zusammen mit sonstigen Abwanderungsbewegungen bildete das Evakuierungsgeschehen, das ohne jegliche Möglichkeit einer Einflussnahme lokaler Behörden ablief, sogar den Hauptfaktor im Hinblick auf die erheblichen Bevölkerungsverluste, die Riga im Herbst 1919 im Vergleich zu 1914 zu verzeichnen hatte. Erst mit einigem Abstand folgten als weitere Ursachen Hunger, Krankheiten und Gewaltakte. Bevor dieser Bevölkerungsschwund greifbar wurde, hatte die Stadt ab dem Frühjahr 1915 zunächst allerdings enorme Flüchtlingsströme zu bewältigen, beginnend mit der Unterbringung von Juden, denen seinerzeit jeder weitere Aufenthalt in Grenznähe zum Deutschen Reich verwehrt war.

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Eine Besonderheit des ersten der beiden zentralen Buchteile besteht darin, dass Hatlie die Kapitel über einen jeweiligen Zeitabschnitt stets mit einem Unterkapitel über ein Großereignis beginnen lässt, das für den betreffenden Zeitabschnitt charakteristisch erscheint. Schon bei der einleitenden Beschreibung prägender Eigenschaften Rigas während der letzten Vorkriegsjahre findet dieses Prinzip Anwendung, indem der Autor hier zunächst einen Zarenbesuch im Jahre 1910 thematisiert, der anlässlich des 200. Jahrestages der Unterwerfung der Stadt unter die Herrschaft Russlands stattgefunden hatte. Bei der späteren Betrachtung der deutschen Herrschaft über Riga von September 1917 bis November 1918 sind es sodann die Feierlichkeiten zum Geburtstag des Kaisers am 27. Januar 1918, denen Hatlie sich zuerst zuwendet. Er zieht dabei einen interessanten Vergleich mit dem Besuch von 1910: Seinerzeit seien Vertreter der deutschen Oberschicht Rigas dem Zaren gegenüber wie Gastgeber aufgetreten, während 1918 im Verhalten der Rigaer Deutschen eine Selbstinszenierung als Untertanen dominiert habe. Die jeweilige Voranstellung eines Großereignisses erweist sich insofern als lehrreich; Lesern ohne Vorwissen zum wechselvollen Schicksal Rigas während der fünfeinhalb untersuchten Jahre kann sie die Lektüre allerdings auch erschweren. Insbesondere über Anfang und Ende der bolschewistischen Gewaltherrschaft von Januar bis Mai 1919 dürfte manch einem Nutzer des Buches nicht so vieles vorweg bekannt sein, dass der anhand der Parade zum 1. Mai vollzogene Einstieg in das betreffende Kapitel sich ihm sogleich in allen Details erschließt. Dessen ungeachtet zeichnet sich das Buch insgesamt durch ein hohes Maß an Leserfreundlichkeit aus. Eine bestens verständliche Vermittlung aller wesentlichen Sachverhalte gelingt dem Autor zum Beispiel dort, wo er den komplizierten Weg zur lettischen Staatsgründung von 1918 analysiert, der einerseits außerhalb seines Kernthemas liegt, andererseits allerdings schwerlich hätte ausgeblendet werden können. Ausdrückliche Erwähnung verdienen die sprachlichen Kompetenzen des Autors, die im Lettischen und Russischen ähnlich weit reichen wie im Deutschen. Schreibfehler in Orts- und Personennamen kommen im Buchtext vereinzelt vor; ganz gewiss liegt dies jedoch nicht an zu geringer Kenntnis der relevanten Sprachen. Zitate wurden für den Darstellungsteil jeweils ins Englische übertragen; ihren originalen Wortlaut findet man zumeist in einer Fußnote oder – sofern es sich um eine längere Passage handelt – im Anhang. Wer den Fußnoten seine Aufmerksamkeit schenkt, erfährt überdies manches über die Recherchestrategien des Autors sowie über spezifische Inhalte und Merkmale einiger der Aktenbestände, die in Archiven in Lettland, Deutschland, Russland und den USA von ihm ausgewertet wurden. Sehr offen spricht Hatlie daneben Fragen an, deren Beantwortung ihm nicht möglich war: Nicht ermittelbar sei zum Beispiel die Zahl der in Riga selbst vorgenommenen Einberufungen. Exkurse knüpfen sich bei ihm mit Vorliebe an Aspekte der Erinnerungskultur: Ausführlich behandelt Hatlie beispielsweise das in der späteren Bundesrepublik noch bis in die 1970er Jahre von Zeitzeugen und deren Nachkommen praktizierte Gedenken an den 22. Mai 1919, an dem unter dem Kommando von Rüdiger von der Goltz die Befreiung Rigas vom bolschewistischen Regime erfolgt war.

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Insgesamt bleibt somit die Feststellung, dass der Autor neben Fleiß und hoher Fachkompetenz auch ein bemerkenswertes Bemühen an den Tag gelegt hat, seine Studie möglichst breitgefächert aufzubereiten. Ebenso kann ihm in jeder Hinsicht Ausgewogenheit bescheinigt werden – so zum Beispiel im Zusammenhang mit der erwähnten Befreiung vom 22. Mai 1919, durch die der „rote“ Terror endete, gleichzeitig jedoch ein „weißer“ Terror entfesselt wurde, dem nun Repräsentanten und Sympathisanten des beseitigten bolschewistischen Regimes zum Opfer fielen. In der bisherigen Historiografie wurde dieser „weiße“ Terror vielfach übergangen, was sich teilweise mit seiner nur einmonatigen Dauer bis zum nächsten und zugleich letzten Herrschaftswechsel – der Mitte 1919 möglich gewordenen Rückkehr der bürgerlich-lettischen Regierung vom Spätherbst 1918 – erklären lässt. Den Mai-Umzug der Bolschewisten sowie spätere Gefangennahmen einiger ihrer Gefolgsleute dokumentiert auch das wenige historische Bildmaterial, mit dem das Buch ausgestattet ist. Die übrige Bebilderung zeigt derweil Rigaer Monumente und Gedenktafeln mit Bezügen zum Ersten Weltkrieg oder den Freiheitskämpfen des Jahres 1919. Nützlich wären möglicherweise noch Bildbeispiele für den Grad der Gebäudeschäden gewesen, die ganz am Ende des untersuchten Zeitraums durch den „weißen“ Befehlshaber Pavel Bermondt-Avalov entstanden, dessen sinnloser Angriff auf Riga von Lettlands junger Armee abgewehrt werden konnte. In gewisser Weise hätte eine entsprechende Illustrationsergänzung sogar zu Hatlies abschließendem Befund gepasst: Die bereits durch die Revolution von 1905 verschärften Spannungen zwischen den verschiedenen Nationalitäten Rigas seien unter dem Eindruck des Weltkriegs in wechselseitige Anfeindungen ausgeartet, so der Autor; aus den Fugen geraten sei die alte Ordnung letztlich aber durch Erschütterungen von außen. Dr. Andreas Fülberth, Leipzig Jerry White: Zeppelin Nights. London in the First World War, 356 Seiten, Vintage Books: London 2015, £ 10.99. Angela Schwarz Kriegsausbruch 1914: Die Nationen zogen in den Krieg. Noch konnte sich kaum jemand vorstellen, dass die Waffen erst über vier Jahre später wieder ruhen würden. Was hieß das aber genau für all die Millionen Menschen, ihren Alltag, ihren Heimatort? Was hieß das beispielsweise für die Hauptstadt des Vereinigten Königreiches? London war zu der Zeit trotz wachsender US-amerikanischer Konkurrenz noch immer die größte Stadt der Welt. Es nahm nach wie vor den Rang der weltweit führenden Finanzmetropole und des Machtzentrums eines weltumspannenden Kolonialreiches. Es bildete den politischen Mittelpunkt eines mächtigen Kö-

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nigreiches und sein kulturelles Herzstück. Das rasante Bevölkerungswachstum des 19. Jahrhunderts hatte sich zwar nach der Jahrhundertwende verlangsamt, doch übersiedelten in der ersten Dekade immer noch jährlich mehr Menschen in die Metropole als eine Stadt wie Blackpool Einwohner zählte. Die Bevölkerung setzte sich zu der Zeit aus so vielen ethnisch und kulturell unterschiedlichen Gruppen zusammen, dass sie so kosmopolitisch wie seit Jahrhunderten nicht mehr erschien. Die sozialen Unterschiede zwischen reich und arm – ein Drittel der Londoner Bevölkerung lebte nach zeitgenössischen Untersuchungen unterhalb der Armutsgrenze – fielen überall ins Auge, selbst wenn die Verteilung der Klassen auf verschiedene Stadtbezirke so manchem wohlhabenden Zeitgenossen eine Art Sichtschutz vor dem Elend bot. Die sozialen Spannungen machten sich in Unruhen und Streiks bemerkbar, politische Konflikte wie der Kampf um das Frauenwahlrecht oder die ‚irische Frage‘ wurden ebenfalls auf die Straße getragen. In diesen Alltag dieser Metropole brach im Sommer 1914 das ein, was Jerry White etwas pathetisch und begrifflich nicht ganz korrekt den „ever-enlarging leviathan of total war“ (S. ix) nennt. Er zeigt einen Krieg, der von da an über vier Jahre hinweg diese Stadt vollständig beherrschte und alles veränderte. Dazu zeichnet er auf der Grundlage der Forschungsliteratur und einer Vielfalt an zeitgenössischen Aussagen verschiedene Stationen des Umstellungsprozesses vom Frieden auf den Krieg nach, konkret, anschaulich, lebensnah. Es beginnt zwangsläufig mit der Situation und der Stimmung in der Stadt im Sommer 1914 und dem Erleben der Kriegserklärung. Die Vorstellung von einem im Anschluss daran ‚gänzlich neuen London‘– so die Überschrift von Kapitel 2 – entsprach jedoch mehr den Wahrnehmungen der Zeitgenossen als einer radikalen Transformation der Bereiche urbanen Lebens. Erste Einschränkungen, darunter die am 8. August im Defence of the Realm Act (DORA) beschlossenen Regularien, exerzierende Soldaten im Stadtbild, Unsicherheit über die Versorgungslage, Sorge angesichts der Möglichkeit von Luftangriffen mit Zeppelinen: Das erzeugte in den Menschen in London die Vorstellung, in vorderster Front zu stehen. Die Stimmung wandelte sich merklich. So brachte die besondere Situation des Krieges mit Macht all die Hüter der Moral zurück, die mit einem mindestens ebenso engagiert ausgetragenen Kampf gegen die Laster wie gegen den äußeren Feind auf eine Rückgewinnung verlorenen Bodens hofften. Der Kampf wurde auch im Innern geführt, konkret gegen die rund 40.000 sogenannten „Enemy Aliens“ in London, von denen die Deutschen die bisher am besten integrierte Gruppe darstellten. Nur Einzelne wandten sich öffentlich dagegen, dass der Krieg das frühere Mit- in ein Gegeneinander verwandelte, dass Deutsche und Österreicher aus vielen Berufssparten verdrängt, ein Teil von ihnen sogar ausgewiesen und interniert wurde. Selbst die Akte der Gewalt gegen einzelne Personen oder ihre Geschäfte stieß auf wenig Gegenrede. Darin mochte eine gewisse Geschlossenheit gegenüber dem Feind zum Ausdruck kommen, doch hatte London so auch spätestens 1916 viel von seinem früheren kosmopolitischen Anstrich verloren. Die Waffen- und Munitionsproduktion bescherte London einen ungeahnten industriellen Boom und die Vollbeschäftigung, verknüpft mit höherem Lebensstandard in den unteren Schichten, was die sozialen Spannungen abmilderte, ohne

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sie jedoch ganz verschwinden zu lassen. So manchem schienen selbst 1915 die Routinen des Alltags nur leicht verändert, selbst wenn mit den Bahnhöfen, wo sich die Truppentransporte an die Front und die Krankentransporte in die Londoner Hospitäler am konzentriertesten zeigten, ein Einfallstor für die Kämpfe existierte. Diese Wahrnehmung verschwand jedoch mit den ersten Luftangriffen Ende Mai 1915. Nun war London tatsächlich vorderste Frontlinie. Insgesamt richteten die Bomben aus den Zeppelinen und später den Flugzeugen – mit der erzeugten Nervenbelastung eine Vorahnung des späteren „Blitz“ – vergleichsweise wenig Schaden an, doch das Gefühl der geschützten Insellage war für immer dahin. Die Angst vor den Angriffen schweißte zusammen, erhöhte die Bereitschaft, das Nötige für die Niederringung des Gegners zu tun, ohne jedoch, so wie wenige Jahre zuvor im Burenkrieg, einen Ausbruch aggressiven Nationalismus hervorzubringen. Danach änderte sich die Kriegserfahrung der Londoner Bevölkerung auch qualitativ. Immer mehr Verwundete kamen, schlechte Nachrichten von der Front, immer mehr Einschränkungen, Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, aber noch keine Rationierung der Lebensmittel (das kam erst 1918 für bestimmte Waren): Stimmen aus der Zeit beschreiben eine düstere Atmosphäre, in der Sorge, Not, Schmerz zunahmen und die Umgebung kaum noch Abwechslung bieten konnte. Zugleich banden die Erfahrungen die bislang scharf voneinander getrennte Stadtbevölkerung enger zusammen. Eine regelrechte Spendeneuphorie erfasste alle Gruppierungen, der Druck auf die „Hun-coddlers“ mit ihrer vermeintlich zu nachsichtigen Haltung gegenüber den Deutschen in der Stadt wie auf dem Kontinent nahm zu und verstieg sich bis zu der Forderung, alle gebürtigen Deutschen im Land zu internieren, selbst die mit britischer Staatsbürgerschaft. Die Zeichen des Gedenkens an Gefallene im Stadtbild mehrten sich und ebneten den Weg zu einem Selbstverständnis als Leidensgemeinschaft. Insofern als die Kriegssituation Menschen in neue Rollen hineinführte, die Krankenschwester, die Busfahrerin, den Großbürgerlichen, der über Kriegsdienstverweigerer aus den Unterschichten zu entscheiden hatte, die – bürgerliche – ‚Frauenpolizei‘ in den Gebieten der käuflichen Liebe, häuften sich die Momente, in den die Klassenschranken entweder vorübergehend gesenkt oder ganz aufgehoben waren. Darin erwies sich der Krieg als Beschleuniger sozialer Homogenisierungstendenzen, ohne jedoch alle Unterschiede zu nivellieren. Whites Buch reiht sich ein in eine ganze Serie von Einzelschriften über Städte während des Ersten Weltkrieges und speziell die Veränderungen für die Menschen in diesen Städten, die zumeist im Umfeld des hundertsten Jahrestages entstanden sind. Sie lassen sich grob in drei Kategorien einteilen. Eine Gruppe dieser Schriften dekliniert knapp verschiedene Eckpunkte für eine bestimmte Stadt durch, etwa die Publikationen der populärwissenschaftlich angelegten Pen & Swords Books oder das ähnlich konzise Vivre à Paris pendant la Grande Guerre. Eine andere Gruppe geht die sozial-, kultur- und mentalitätshistorischen Fragen systematisch und wissenschaftlich-analytisch an. Hier wären vor allem die beiden

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von Jay Winter und Jean-Louis Robert herausgegebenen Bände zu den Capital Cities at War: Paris – London – Berlin 1914-1919 hervorzuheben, die komparativ die vielfältige Ebenen des Alltags und Erlebens sozial-, wirtschafts- und kulturhistorisch untersuchen. In eine dritte Gruppe zwischen diesen Polen, die mehr eine Geschichte erzählt als dass sie eine detaillierte Analyse anstrebte, gehört etwa Whites Darstellung. In ihrer Ausrichtung auf die erzählte Geschichte liegen die Stärken und zugleich Schwächen des Buches: Die Beschreibungen stammen von konkreten Personen verschiedener Herkunft, die verschiedene Situationen kommentieren, somit einen Blick in damaliges Denken und Empfinden gewähren. Sie bilden aber nur einen kleinen Ausschnitt aus einem großen Panorama, so dass vieles ungesagt bleibt und die Frage der Repräsentativität nicht angesprochen wird. Zudem wirkt die Abfolge der behandelten Aspekte innerhalb der Kapitel mitunter recht assoziativ oder sprunghaft. Für denjenigen, der sich mit der Sozialgeschichte der Kriegsjahre in Großbritannien bereits befasst hat, kommt zudem auch kaum neues zum Vorschein. Dennoch hat die Fokussierung auf eine Stadt und die Frage, wie überhaupt Menschen sich auf einen Weltkrieg einzustellen hatten und sich schließlich konkret darauf einstellten, ihren speziellen Reiz. Wie White mit seinem gut lesebaren Buch beweist, war London nicht die schlechteste Wahl für eine solche Lokalstudie. Prof. Dr. Angela Schwarz, Siegen Christoph Nübel: Durchhalten und Überleben an der Westfront. Raum und Körper im Ersten Weltkrieg (Zeitalter der Weltkriege 10) 484 Seiten, 39 Abbildungen, Ferdinand Schöningh: Paderborn 2014, 44,90€. Ingo Löppenberg Es ist ein merkwürdiges Wesen, welches die erste Abbildung in dem Werk von Christopher Nübel über Raum und Körper im Ersten Weltkrieg zeigt. Die Füße dieser im Kern humanoiden Gestalt sind Entenflossen, die Hände sind die Grabeklauen von Maulwürfen und auch der Kopf, auf dem die Pickelhaube thront, erinnert an einen Maulwurf oder eine Ratte. Sinnbildlich wird hier dem Leser sofort erfahrbar, worum es in dieser sehr gut geschriebenen und lesbaren wissenschaftlichen Studie geht. Nübel nimmt den Körper des Kriegsteilnehmers, vornehmlich der Deutschen, in den Blick und beobachtet seine Transformation, welche durch den die Soldaten umgebenden Raum verursacht wird. Aber auch die Raumwahrnehmung und die Integration der Landschaft und ihres Frontalltages an der Westfront in die soldatischen Handlungen bilden gewichtige Schwerpunkte in Nübels Untersuchung.

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An neuen Studien zum Ersten Weltkrieg besteht durch das Zentenarium keinen Mangel, auch wenn neue Interpretationen und Schwerpunktsetzungen durch große Werke das Interesse der Öffentlichkeit und die Blicke der Fachhistoriker gelenkt haben. Das besondere an Nübels Studie ist nun, dass er sich sowohl der Neuen Militärgeschichte – und hier speziell dem Alltag der Soldaten – zuwendet und dies sinnvoll auch mit dem spatial turn Ansatz verbindet, ja sogar noch den Körper der Soldaten ergänzend in den Fokus seiner Untersuchung stellt. Dabei verbindet er diese Herangehensweisen vorzüglich, auch wenn der Schwerpunkt merklich auf die Raumwahrnehmung und die Auswirkungen des Frontraumes auf den Soldaten und ihren kriegerischen Aktionen gelegt wurde. Besonders ansprechend aber sind jene Passagen, in denen Nübel auf aktuelle Forschungen aus dem naturwissenschaftlichen Bereich verweist und so die klassische Dichotomie zwischen Geistes-, bzw. Kulturwissenschaften und den Naturwissenschaften zumindest auflockert. Schließlich ist dies eine der wichtigsten Fragen innerhalb der Körpergeschichte, ob und wie Handlungen kulturell antrainiert werden können oder genetisch prädeterminiert sind. In der präzisen und übersichtlichen Einleitung erläutert Nübel zu Beginn seine leitenden Forschungsfragen, seinen Raum-Ansatz und die verwendeten Quellen. Sein zentrales Anliegen ist es, seine Prämisse, „dass der Kriegseinsatz und die damit einhergehenden räumlichen Veränderungen für die Soldaten ungewohnte Wahrnehmungen, Lebensweisen und Handlungskontexte mit sich brachten“ (S. 6), zu untersuchen und zu bestätigen. Dies ist besonders in Hinsicht auf die immer wieder diskutierte Frage nach den Gründen des Durchhaltens der deutschen Soldaten und ihrer Fähigkeit zu kämpfen von großer Bedeutung, wie bereits die von Nübel zitierten Zeitgenossen erkannten. Als Quellen verwendete Nübel einen umfangreichen aber gut abgewogenen Fundus: Militärakten, Tagebücher, Briefe, militärtheoretische und -historische Schriften, medizinische Handbücher und Bildquellen. Auch wenn Nübel letztere vorbildlich in seine Untersuchung mit einbezieht, so wurden die Skizzen, Fotos und Karten ans Ende des Buches platziert, was zu einigem hin- und her Blättern führt. Nübel skizziert auch überzeugend sein Raum-Konzept des „Kriegstheaters“ an der Westfront. Er teilt die Front in fünf Abschnitte ein und es gelingt ihm immer wieder, die räumlichen Unterschiede dieser Abschnitte im Laufe der Untersuchung zu verdeutlichen. Ausgehend von seinen drei skizzierten historischen Raumschichten gliedert sich der Hauptteil seiner Studie. Zunächst stellt er im ersten Kapitel, welches zugleich den kleinsten Abschnitt im Hauptteil bildet, die „Umwelt“ in den Fokus seiner Untersuchung. Dabei nimmt Nübel nach und nach verschiedene Aspekte der konkreten Lebensbedingung und ihrer Wandlung in den Blick. Zunächst beschreibt er die Situation der Soldaten in den Gräben, wobei er mit dem Idyllischen – dem Leben in der Natur – beginnt, bevor er sich den Lebensbedingungen im Krieg zuwendet. Als besonders einschneidend für den Soldaten stellte sich der Regen heraus, sei es der natürliche aus Wasser oder der anthropogene aus Granaten. Beide schrieben sich über Krankheiten, physische wie psychische, in die Körper der Soldaten ein und zeichneten sie häufig weit über den Krieg hinaus. Das Ärzte und das Pflegepersonal im

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Kampf gegen Wunden und Krankheiten dadurch eine besondere Rolle gewannen, liegt auf der Hand. Aber auch Pioniere und Ingenieure erarbeiteten zum Beispiel bessere Ablaufsysteme, um hygienische Standards in den Gräben für die Soldaten überhaupt zu sichern. Das Schlachtfeld und der Graben in ihrem Zusammenspiel mit der Natur wurden so immer mehr als ein Erzieher wahrgenommen, welcher Körper und Geist des Soldaten formte. Der nächste Teil der Studie untersucht das „Gelände“ und setzt es mit der Ausbildung der Soldaten in Beziehung. Ausgehend von der bekannten Anekdote über Schlieffen am Pregel zeichnet Nübel zunächst die Situation kurz vor dem Krieg nach und gibt einen Überblick über die Bedeutung des Raumes und des Geländes im militärischem Denken der Heeresführung. Dann greift er auf die im Laufe des Kriegs an der Front gesammelten Erfahrungen zurück und zeigt auf, wie das durch den Menschen veränderte, ja in Bezug auf Granatentrichter und Stacheldraht überhaupt erst durch ihn erschaffene Gelände, jetzt über die Ausbildung der eingezogenen Rekruten wieder auf diese, ihre Körper und Aktionen zurückwirkte. Dabei legt Nübel einen Schwerpunkt auf das Sehen und Lesen des Gelände einerseits und der Bewegung durch das Gelände unter der Prämisse des Deckung-Suchens andererseits. Doch dabei lässt er es nicht bewenden, sondern exemplifiziert dies noch mit dem Angriff des 15. Bayerischen Infanterieregiments bei Neuville-Saint-Vaast im Jahr 1916. Der letzte Abschnitt des Hauptteils widmet sich der „Landschaft“. Er ist zugleich auch was die Länge betrifft die Klimax der Untersuchung. Nach einem knappen Exkurs über die Landschaftswahrnehmung, welche im Wesentlichen die Zeit um 1900 abbildet, beginnt dieses Kapitel mit der „Klassische(n) Landschaft“. Doch bevor Nübel im Anschluss gleich an die Front fährt, schweift sein Blick über die heimatliche Landschaft und hier interessiert ihn besonders, wie die Distanz zwischen Heimat und Graben aufgehoben wurde, um Nähe zu erzeugen. Auch nimmt er die Wahrnehmung der Soldaten über den Alltag in der Heimat und die große Differenz zu dem Leben im Graben in den Blick. Es ist erstaunlich, wie sich mancher Soldat, der sich im Graben nach Hause träumte, in der Heimat wieder möglichst rasch an die Front wünschte. Daran schließt sich eine kurze Betrachtung der Kriegstheater an, also der bereits erwähnten fünf Frontabschnitte, wobei Nübel sowohl Erinnerungslandschaften als auch die Wahrnehmung der Soldaten über erlebtes Land und seine Bewohner aufzeigt. Zuletzt widmet er sich im Detail der Kriegslandschaft und ihrer durch den Menschen und seiner Techniken verursachten Transformation. Hier zeigt er besonders die verschiedenen Wahrnehmungsinterpretationen der Soldaten im Stellungskrieg auf. Von der „Wildnis“ über die Natur- und Kulturlandschaft bis hin zur mythisch überhöhten Landschaft war in den Schützengräben alles an Vorstellungen vorhanden. Die Konzentration auf die Westfront, die Nübels Untersuchung klar dominiert, wird hoffentlich bald durch ähnliche Studien über die anderen „Fronten“ im Ersten Weltkrieg ergänzt. Wie war die Raumerfahrung zum Beispiel im Osten, einem Schauplatz der eher von Mobilität geprägt war? Welche besonderen Herausforderungen an den Körper der kämpfenden Soldaten stellten sich im Alpenkrieg oder in den Wüsten und Steppen im Nahen Osten? Wie formte der Körper

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des U-Bootes die Körper der Matrosen? Hier lassen sich noch viele weitere fruchtbare Fragen für neue Forschungsergebnisse denken. Zugleich wird der Vergleich auch Nübels Ergebnisse noch einmal selbst schärfen und präzisieren. Neben dieser spatialen Erweiterung wäre auch eine Ergänzung der Untersuchung um die von den Soldaten verwendeten Gegenstände im Zuge des material und practical turn denkbar und wünschenswert. Inwieweit führte die technologische Entwicklung auch von Werkzeugen und anderen Alltagsgegenständen, um nicht immer nur auf die Waffen zurückzukommen, zu einer veränderter Kriegsführung in den Schützengräben? Am Schluss aber müssen noch zwei kurze Kritikpunkte angemerkt werden. Zwar besitzt das Buch ein Register, das sich in ein geografisches und einen Personenregister unterteilt, doch führen nicht alle Einträge genau auf die entsprechende Seite. Auch fehlen einige Personen im Register, wie zum Beispiel Michel Foucault. Ein anderer konzeptioneller Schwachpunkt ist die Entscheidung von Nübel, teilweise recht weit auszuholen, wenn er bestimmte Aspekte untersucht. So zitiert er beispielsweise aus einem Aufsatz des Physikers Heinrich Helmholtz aus dem Jahre 1855, um zu demonstrieren, dass die Veränderbarkeit der menschlichen Wahrnehmung bereits ein allgemein anerkanntes Faktum war. Auch wenn dies Nübels eigener Darstellung historische Tiefe verleiht, bleibt es doch nur ein kurzes Kuriosum, dass die dahinter stehenden und ablaufenden Diskurse nicht zeigt. Doch dies sind nur zwei marginale Punkte, die diesem wertvollen Buch seine Gesamtbedeutung nicht absprechen. Nübel hat eine innovative und auf breiter Quellenbasis ruhende Studie vorgelegt, welche in ihrem Forschungsansatz für die Militärgeschichte sicherlich noch einige Jahre wirken wird und auch stilbildend für die Untersuchung und Erforschung anderer Kriege sein wird. Nübels Buch wurde mit dem Werner-Hahlweg-Preis 2012 ausgezeichnet und dies vollkommen zurecht. M.A. Ingo Löppenberg, Köln

Die „Historischen Mitteilungen“ vereinen einmal mehr innovative Neuansätze und aktuelle historische Forschung. Im Themenschwerpunkt „Der Erste Weltkrieg – Regionale Perspektiven“, geleitet von Sönke Neitzel und Michael Kißener, werden in neun Aufsätzen die lokalen Auswirkungen des globalen Krieges untersucht: von Studien über die Erinnerung an den Krieg in Frankreich und Bayern, zu seiner Bedeutung für das nationale Bewusstsein von Schotten und Tschechen bis hin zu Beiträgen zum er- und überlebten Krieg im Rheinland, in der Steiermark und im Baltikum. Eine thematische Offenheit

zeichnet auch die Einzelaufsätze aus. Neben Homosexualität im deutschen Film und Überlegungen zur Bedeutung der Kategorie „Gender“ für die Europäische Geschichte, finden sich klassische Themen der HMRG, etwa zu Bismarcks Erwerbung der Karolinen-Inseln und zur militär-strategischen Bedeutung des Mittelmeeres. Eine Besonderheit ist der Beitrag von Peer Vries, welcher über den aktuellen Stand der „Great-Divergence“ Debatte berichtet. Abgerundet wird der Band durch Rezensionen aktueller Fachliteratur, die sich dem Schwerpunkt thematisch anschließen.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN 978-3-515-11396-0