Historisch-kritische Beyträge zur Aufnahme der Musik: Band 1 [Reprint 2021 ed.] 9783112437568, 9783112437551


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Historisch-kritische Beyträge zur Aufnahme der Musik: Band 1 [Reprint 2021 ed.]
 9783112437568, 9783112437551

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Historisch - Kritische Beykrsigc

zur

Aufnahme der Musik von

Friedrich Wilhelm Marpurg.

I. Band.

Erstes Stück.

Berlin, in^VerlagJoh. Jacob Schützens sel. Wittwe. l 7 5 4*

orbericht. A^MUan darf sich über die Anzahl mit»

sikalischer Schriften bey uns wohl nicht beschweren. Zum wenigsten sind die neuern Zeiten weit un­ fruchtbarer daran als die vorigen. Von praktischen Ausarbeitungen, als Solos, Duetten, Trios, Concerten rc. rc. ist nicht die Rede. Dergleichen liefert uns der Fleiß unsrer Tonkünstler die Menge. Ich spreche von Schriften, die in die Theorie, in die Kritik, m die Historie rc. der Ton­ kunst einschlagen. Wie viele Facher sind hier aunoch leer? Zum wenigsten sind es * 2 ihrer

n

Vorbericht,

ihrer viele in Absicht auf die Deutlichkeit, Ordnung, Vollständigkeit, und in Absicht auf den veränderten heutigen Geschmack. Ich will mir einige nennen. Noch fehlt es uns an einer Anweisung zur Singkunst; denn diejenigen Blätter, worinnen nichts weiter als die Abecedirung oder die Solmisation und die Zeichenlehre vorgetragen wird, darf man wohl nicht mit diesem Titel beehren. Kaum daß diese hinlänglich sind, einen leidlichen Chorsän­ ger zu machen, geschweige einen geschick­ ten Solosänger zu bilden. Ich setze den Fall, daß die Anfänger der Singkunst an grosses Oertern, wo sie gute Stimmen zu hören Gelegenheit haben, sich diese zu Nutze machen, ihre Methode nach solchen Mustern einzurichten; daß sie nicht allein treffen, und den Tact halten, sondern auch mit Geschmack singen lernen. Fällt aber die­ ser Vortheil nicht an vielen andern Oertern weg, wo es vielleicht nicht weniger lehr­ begierige Personen und so gute Stimmen als in Haupt- und Residenzstädten geben kann? Da würde sich unstreitig ein geschickter deutscher Sangmeister um die Welt ver­ dient machen, seine nach den besten Wel­ schen

Dorbericht.

in

schm der Zeit eingerichtete Methode dersel­ ben mitzutheilen, und seine Landsleute durchgehends in den Stand zu setzen, sich nach und nach von dem Vorwurf des Brül­ lens, den ihnen die hochmüthigen Auslän­ der machen, zu befreyen. Ist es nicht zu verwundern, daß man öfters an den größ­ ten Oertern, die erliche hundert tausend Einwohner enthalten, nicht einmahl ein halbes Dutzend erträglicher Sanger auftreiben kann, und daß, wenn man etwa» in einer musikalischen Versammlung einige Vocalmusiken probiren wstl, man solche, an statt menschlicher Stimmen, mrt Instru­ menten besetzen muß? Ist nun solche Mu­ sik noch contrapunctisch, und darinnen mehr auf eine edle Einfalt des Gesanges, als eine künstliche Melodie im Geschmack der Zeit, gesehen worden: so ist leichte zu erachten, wie treflich solche in die Ohren fallen müsse, und ist es daher keich Wun­

der, daß viele Spieler und Liebhaber, die zwar Opersachen die Menge, aber niemahlKirchenstücke in der ihnen eignen Schreib­ art und zwar besonders im Capellstyl ge­ höret haben, vor der geistlichen Musik ei­ nen Ekel bekommen müssen. * 3 Noch

TV

Vorbericht. Noch fehlt es uns, bey so vielen Unter­

richten vom Generalbaß, an einer Abhand­ lung über die Art und den Geschmack des Accompagnements. Das was uns die bisherigen Bücher über die Materie des Generalbasses gelehret haben, schranket sich auf die Reinigkeit einer vierstimmigen Be­ gleitung ein. Es ist nicht allein nützlich, sondern auch höchftnothwendig, daß iedev Schüler des Accompagnements vor allen andern Dingen sogleich vom Anfang hiezu angewiesen, und daß diese Uebung nicht eher verlassen werde, bis er -hierinnen eine hinlängliche Fertigkeit hat. Wer weiß aber nicht, daß, wenn sich Fälle finden,

wo der Grundspieler noch eine oder meh­ rere Stimmen der Begleitung hinzufügen darf, derselbe in nicht mrnder vielen Gele­ genheiten eine oder wohl gar zwey Stim­ men weglassen kann? Ferner zeiget die Er­ fahrung, daß in verschiedenen Gangen, die Ziefern besser höher als tiefer, oder umge­ kehrt, besser tiefer als höher genommen werden. Ich übergehe allhier die vielen übrigen Falle., wo der Grundspieler sich

nicht blos als einen Menschen zu zeigen hat, der keine Ziefer oder Note sitzen läßt,

wie

Vorbericht.

v

wie man zu sagen pflegt, sondern wo er fürnemlich mit Geschmack und Behutsam­ keit accompagniren muß, nachdem es die Natur, die Bewegung, der Character ei­ nes Stuckes überhaupt und gewisser Pas­ sagen darinnen besonders, das Instrument oder die Stimme des andern, die Anzahl derselben, der Ort wo und das Jnstrm ment worauf er aecompagnirt, u. s. w. er» fodert. Bevor wir von der Feder eines erfahrnen Llavieristen etwas vollständiges über diese Materie erhalten, ist unterdessen dasjenige, was Herr Eluanz im VI. Ab­ schnitt des XVII. Hauptstückes seiner An­ weisung zum Flötenspielen hievon zuerst, der heutigen Spielart gemäß, lehret, mit Nutzen davon zu lesen. Ferner fehlt noch eine Anweisung zur Violine, und zu vielen andern Instrumen­ ten, in solchem guten Geschmacke nemlich, als Hr. Bach vom Clavier, Hr. (Nuanz

von der Flöte, und Av. Laute geschrieben ha6en.

Baron von

der Auch in diesem

Stücke hat Hr. Quanz, in dem vorhinan­ geführten Tractat, den man nicht mit Un­ recht eine musikalische Enkyklopadie nennen könnte, den Violinisten, Violoncellisten, * 4 Contra-

VI

DorberLcht.

Contraviolontsten, Oboisten und Basso» nisten in vielen Stücken den Weg gehahnet. Wie sieht es aber um die Gewißheit des harmonischen Theils der Musik aus? Wie viele Stammaccorde giebt es, inib welche sind denn diese? Ist es nicht mög­ lich, die Anzahl aller Harmonien zu bestimmen, so wie, nach den Bemühungen der Herren Telemann,Scheibe undGchrö-

ter, solches unlängst Herr Riebt, in Allsehung der Intervallen, mit demonstrati­ ver Gewißheit zu thun, sich beflissen hat? Wie lange will man heute eine Harmonie verwerfen, und solche gleichwohl morgen zulassen? Zeuget dieses von Gründlichkeit? Es scheint in Wahrheit, als wenn viele Personen nur deswegen ein gewisses In­ tervall oder eine gewisse Harmonie ver­ werfen, weil nicht sie die Erfinder davon gewesen. Es giebt gar zu viele musikali­ sche Pabste, die nur andere, aber sich nicht, für trüglich halten. Ich setze den Fall, daß viele Intervallen und Harmonien mit leichter Mühe entbahret werden können. Es würde aber doch gleichwohl nicht überfiüßig seyn, wenn ihre Anzahl und ihr Sitz

Dorbericht.

vn

Sitz einmahl vestgestellet würde. Man darf deswegen nicht besorgen, in ein§ Bar­ barey zu verfallen. Jeder Componist hat ja die Freyheit, diejenigen Sätze zu erwehfen, die seinem Zwecke am gemaßten sind, die ihm und seinen Zuhörern am besten klingen. Es ist ja nur die Frage, was ge­ macher werden kann, und nicht, was sich zu machen schicket. Es würde in der That ein Vorzug für unsere Zeiten seyn, wenn die Tonkünstler sich einmahl, mit einer un­ umstößlichen Gewißheit, über die streitigen Puncte verglichen, und alle Vorurtheile, die den Wachsthum der Wahrheit nie­ mahls befördern, auf die Seite schafften. Viele unnütze und öfters lächerliche Strei­ tigkeiten würden dadurch mit einmahl beygeleget, und die Lehrart würde um ein merkliches erleichtert und verbessert werden. Wie wichtig aber sind diese Vortheile? Es fehlet uns ferner an einer vollständig gen Historie der Tonkunst. Der Ursprung der Musik, ihre Ausbreitung unter die ver­ schiedenen Völker, die Musik der alten Ebraer, Griechen, rc. rc. besonders der al­ ten Deutschen, die berühmtesten Tonkunst-

* 5

ler

vin

Vorbericht,

ler Ledes Volks, welche zu gewissen Secten Gelegenheit gegeben, ihre Lehrsätze, die Streitigkeiten derselben, die verschiednen Eintheilungen der Musik, und wer sich be­ sonders in diesem oder jenen Theile gezeiget, die verschiednen Instrumente und der­ selben Erfindung, der Zustand der Musik in den mittelsten Jahrhunderten, die Ver­ besserung derselben in den neuern Zeiten, die Gelegenheit dazu, die Beförderer der­ selben, die Spiel- und Singmusik der ver­ schiednen Völker bey feyerlichen Begeben­ heiten , der einer jeden Nation besonders eigne Geschmack, und die Verbesserung desselben, die Verschiedenheit der musika­ lischen Stücke, Oper - Kirchen-und Kammermusik und hundert andere Gegenstände mehr, worauf ich mich nicht im Augenblick besinne, sind lauter Sachen, die man noch nicht in einem Buche, in gehöriger Ver­ bindung, zusammen hat, und die gleichwohl dahin gehören. Prinz hat bey den Deutschen, und Bonnet bey den Fran­ zosen den Grund zu einer Historie der Musik geleget. Es durfte einem geschick­ ten Schriftsteller, der zugleich etwas von der Musik verstände, nicht schwer fallen,

weiter

Vorbericht.

IX

weiter zu gehen, das was Lene ausgelassen, nachzuhohlen und das Werk bis auf un­ sere Zeiten fortzuführen. Wie sieht es denn ferner mit dem kriti­ schen Theile der Musik aus? Wie viele Gegenden giebt es da, die entweder noch ganz öde liegen, oder zum wenigsten einer Erfrischung bedürfen? Giebt es Sachen, dafür und dawider man streiten kann, und deren Untersuchung nothwendig sowohl vergnügen als nützen muß: so giebt es aber auch Meinungen und Vorurtheile, die in der That bestritten zu werden ver­ dienen. Es giebt Thorheiten, die lächer­ lich gemachet werden müssen, wenn sie nicht ferner Anhänger finden sollen. Wenn sich nur allezeit wenig Personen in das Feld der Kritik gewaget, wenn solches bald von ihnen wiederum verlassen worden ist: jo. ist die Ursache davon leicht zu begreiffen. Ein Kunstrichter muß so gut tadeln als sich tadeln lassen können. Hie­ zu gehört in der That eine ausgehartete Stirne, eine Verwegenheit, die sich auf nichts als einen edlen Eifer für die Wahr­ heit fussen kann. Er billigt oder verwirft eine Sache, nach Beschaffenheit der Um­ stände

x

Vorbericht.

stände. Da man fast über alle Meinun­ gen in der Welt getheilet ist: so muß er nothwendig einer Partie zu nahe kommen. Die beleidigte Partie wehret sich. Man gehr dem Kunstrichrer zu Leibe. Der Graubart trotzt auf seine alte langwierige Erfahrung, die öfters nichts als ein alter tückischer Eigensinn ist. Es wäre ihm un­ möglich, einem andern, als sich. Recht zu geben. Entweder, weil er nicht- für recht und.billig hält.

Als waö er selber liebt, was seinem Sinn gefällt;

Wonicht, weil er sich soll nach junger« Leu­ ten richten, Und, was er jung gelernt, im Akter selbst vernichten.

Gottsched aus dem Horaz.

Ein andrer, der den Umfang der Kunst bey weitem noch nicht kennet, der, je we­ niger Einsicht er hat, desto dreister und vorwitziger mit der Zunge ist, hat das Bravo! für sich, das ihm der oder jener Landjunker, der zum erstenmahle in feinem Leben in die Stadt kam, und ein Concert hörte,

Vorbericht.

xi

hörte, für sich. Beyde und noch mehrere vereinen sich wider den Kunstrichter, wel­ cher sich wider Wissen und Willen Fein­ de gemacht, ohne seine Absicht auf dieses oder jenes Individuum, von welchem er verfolget wird, gerichtet zu haben. Für einen müßigen Zuschauer, der gerne lachen mag, der allezeit demjenigen Recht giebt, mit dem er zulezt gesprochen, ist es kein unangenehmes Schauspiel, zwey Personen verwickelt zu sehen. Unterdessen so seuf­ zet die unter den gegenseitigen Hieben un­

terliegende Wahrheit. Der Streitpunct wtrd aus den Augen gesetzt. Ein mun­

trer nicht recht verstandner Einfall des Kunstrichters wird von der Gegenpartey mit Anzüglichkeiten, die niemahls unter gesitteten Schriftstellern Mode gewesen, sie mögen unter der Larve oder mit ofnem Gesicht gegen einander gefochten haben, beantwortet. Endlich, nachdem man sich auf beyden Seiten dem Gelachter der

Welt bis zum Ekel Preiß gegeben, so muß doch endlich einer zuerst schweigen, und der ist ohne Zweifel noch der vernünf­ tigste, der es thut. Ich setze aber auch den Fall, daß ein Kunstrichter, aus nicht genung-

XII

Vorbericht.

genungsamer Ueberlegung, mit Unrecht etwas gebilligt oder verworfen hat, und daß er von gesitteten Gegnern mit guten Gründen des Gegentheils überführet wird: Wie viele Selbstverläugnung gehört wohl

da bey manchem dazu, der Wahrheit we­ gen seinem Gegner das Feld zu lassen? Man kann auch in der Sprache der Ge, sittheit und Artigkeit, mit Scheingrün­ den, zum Verdruffe der Wahrheit, sich lange Zeit einander herum tummeln. Ich übergehe Kürze wegen sehr viele

andere Theile und Materien der Tonkunst, die entweder fortgesetzt werden müssen, oder die einer Umarbeitung bedürfen, und lege der Welt eine Schrift dar, worüber ich das Urtheil erwarten will, ob sie un­ ter die nützlichen oder entbahrlichen gehö­ ret. Wenn ich die Kühnheit habe, mit den historischen Begebenheiten, allerhand kritische Anmerkungeü und Untersuchun­

gen zu verbinden: so werden diese leztern entweder so beschaffen seyn, daß wider sol­ che mit Bestand der Wahrheit, nichts erhebtzches aufgebracht werden kann, oder, daß. wenn die Wage schweben sollte, die Arhf'womit man die Zweifel erörtert, auch

Vorbericht.

xm

den unfeinsten Kopf nicht erbittern wird; und auf diese Art dürfte ich es mir we­ gen der oben angeführten mit der Kritik

verbundnen Schwierigkeiten nicht so leicht bange werden lassen. Bescheidnen Geg­ nern werde ich allezeit Rede stehen. Ich bin so gar erbötig, chre Gedanken, wenn sie mir solche gemein machen, dieser Schrift einzuverleiben. Mit unbescheidnen Leu­ ten, zumahl wenn sie mich, nach Anda­ baten Art, verlarvt angreiffen sollen, habe

ich

auf ewig Frieden gemacht. Um meinen Lesern von gegenwärtiger

Arbeit einen nähern Begriff zu geben,

brauche ich vielleicht nur der Veranlassung Die musika­ lische Bibliothek des.Hrn. D. Mizler ist nicht allein den Tonkünstlern von

zu derselben zu gedenken.

Profeßion, sondern fast jedem Liebhaber der Musik bekannt. Sind die Bemühun­ gen dieses gelehrten Mannes höchst rühm­ lich: so ist es billig zu beklagen, daß der­ selbe durch andere Verrichtungen ausser Stande gesetzet worden, dieses Werk gehö­ rig fortzusetzen. Innerhalb vierzehn oder fünfzehn Jahren haben wir nichts mehr als drey Bände davon erhalten, und der

**

vierte

xiv

Dorbericht,

vierte wird noch alle Tage mit Ungeduld erwartet. Eine Unterredung mit einigen Freunden über diese Materie brachte mich auf die Gedanken,

diesen Zeitraum, so

viel an mir ist, zu erfüllen, und gegenwarr tige Blatter sind die erste Frucht dieses Vorsatzes. Ich werde die Einrichtung und den Endzweck dieser Schrift also mit der musikalischen Bibliothek gemein haben, mit oem blossen Unterscheid , daß die hier vorkommenden Sachen allezeit mehr in den practischen als theoretischen Theil der Kunst einschlagen werdeir. Ich suche da­ bey iin geringsten nicht, mich mit dem be­ rühmten Herrn 5). Mizler in einen Wett­

streit eiuzulassen. Ich kenne die Kräfte meines Vorgängers und die meinigen. Da aber die Materien zu musikalischen Un-' tersuchungen gar vielfältig sind, und, wenn Wir auch etwann über einerlei) Materien zuweilen gerathen sollten, woferne der Herr Doctor etwann mehr Musse als bishero gewönne, sich wieder nut den Musen zu besprechen, es jedennoch allezeit vielen Lesern angenehm seyn kann, einerley Din­ ge auf mehr als eine Art abgehandelt zu sehen: so dürfte solche Zusammenstossung

der

Vorbericht.

XV

der Aufnahme der Musik allezeit weniger schädlich als vortheilhaft seyn. In den periodischen Schriften der gelehrten Welt traget sich dieser Umstand fast alle Tage

mehr als einmahl zu. Uebrigens sollen in diesem Werke (i) alle neue in Deutschland herauskommende musikalische Schriften, tngleichen diejeni­ gen praktischen Werke, die durch den Sti­ chel oder den Druck der Welt gemein ge­ macher werden, so viel als deren zu meiner Bekanntschaft gelangen, recensiret werden. (2) Von historischen, kritischen und an­ dern unterrichtenden musikalischen Schrif­ ten in einer fremden Sprache wird ent­ weder eine ganze Übersetzung, wenn sie kurz sind, oder aber ein hinlänglicher Aus­ zug geliefert werden, wenn sie lang sind. In beyden Fallen wird man, wo es unS nöthig scheinen wird, Anmerkungen hin­ zufügen. (3) Alle diese Materien wer­

den gelegentlich mit kleinen Abhandlun­ gen solcher Materien, wozu kein ganzes Buch erfordert wird, abgewechselt. (4) Ausser den denkwürdigsten Lebens­ umständen berühmter Tonkünstler, die

xvi

Vorbericht,

sich um die Kirche, die Kammer oder das Theater durch ihr Talent, durch ihre Arbeiten oder Schriften verdient gemacht haben, wird man von der ganzen Beschaf­ fenheit der anfehnlichsten deutschen und auswärtigen Capellen, Theatern, und von andern musikalischen Gesellschaften fo viele Nachricht beyzubringen suchen, als man nach und nach davon erhalten kann. (5) Die Erfindung oder Verbesserung eines Instruments, andere musikalische Entde­ ckungen und Begebenheiten, kurz alles was im Gebiete der Tonkunst merkwür­ dig ist, es habe Nahmen wie es wolle, macht den Gegenstand dieser Schrift aus. (6) Endlich wird jedes Stück allezeit mit einem kurzen in Musik gebrachten Scherz­ liede, ,im Geschmack der Zeit, beschlossen werden.

Alle Monate aber wird ein Stück heraus kommen, und zu sechs Stücken, die allezeit einen bequemen Band geben, ein vollstän­ diges Register verfertigt werden. Weil schon drey Monathe von diesem Jahre verflossen sind: so wird man, um solche nachzuhohlen, und die Zahl der Stücke

beym

Vorbericht.

xvn

beym Schlüsse des Jahrs vollständig zu haben, tn der Folge etliche Monate zu die­

sem Ende verdoppeln.

Wie übrigens alle geschickte Tonkunst­ verständige und Liebhaber, denen an der Ausbreitung musikalischer Wahrheiten ge­ legen ist, ein Mitte! finden, ihre Gedan­ ken über diese oder jene Materie, worüber sie nicht ein ganzes Buch schreiben wollen, vermittelst gegenwärtiger Blätter, die ich ihnen mit Vergnügen dazu anbiete, der Welt mitzutheilen: so will ich eben dieselben hiemit zugleich inständigst ersuchen, durch gütige Gemeinmachung solcher histo­

rischen Nachrichten, die meinem Vorha­ ben gemäß sind, solches gefälligst mit zu befördern. Ich werde nicht ermangeln, ihren Fleiß der Welt rühmlichst anzuzei­ gen, und ihre gütigen Bemühungen bey

Gelegenheit mit allen möglichen Gegen­ diensten zu erwidern. Sie können die Briefe nur entweder gerade an mich über­ senden , oder solche in der Buchhandlung der Frau Verlegerinn abgeben lassen. Man darf nicht besorgen, daß in irgend einer Sache eine unangenehme Verände* * 3

rung

xnx

Vorbericht.

ruNg oder Verfälschung vorgenommen, oder daß über diese oder jene Nachricht rc. ein lächerlicher Commentarius gemachet werden wird. Dergleichen Ungereimthei­ ten haben meinen Beyfall niemahls ge­ habt. Man wird so treulich verfahren, als diejenigen Personen, die sich uns ver­ trauen, es thun können. Ich empfehle diese Arbeit der vernünftigen Beurthei­ lung des geneigten Lesers. Berlin, den i, April 1754»

Inhalt.

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«(#)►

rLs

tXIX

X» «8

Inhalt. I. Schreiben an den Herrn Marquis von B- über den Unterscheid zwischen der italiänischen und französischen Musik.

Aus dem Französischen.

II. Anmerkungen über vorhergehendes Schreiben. III. Grundregeln, wie man, bey weniger Infor­ mation, sich selbst die Fundament« der Mu­

sik und des Claviers lernen kann; beschrie­ ben, mit Exempeln in Noten gezeigt und ver­

legt von C. A. T. Erster Theil.

IV- Clavierübung, bestehend in fünfzig'auserlese­

nen Variationen über eine Menuet, zum Nu­ tzen der Information componirt und heraus­ gegeben von Carl Christoph Hochmeister, Or­

ganist an der heiligen Geistkirche in Hamburg.

Erster Theil. V. Oden mit Melodien.

Erster Theil.

VI. Lettie für la musique franjoise, Rousseau.

par I. I.

VII. Sei Sonate da flauto traverfo e basso continuo, con un difcorfo sopra la maniera di fonar

XX

Inhalt. fonar il flauto traverso, compofte da Gioacchino Moldcnit, Nobile Danefe, Dilettante.

VIII. Nachricht von neuen Büchern.

IX. Nachricht von dem gegenwärtigen Zustande der Oper und Musik des Königs.

X. Die Capelle Sr. Königs. Hoheit des Prinzen und Marggrafen Heinrich rn ihrem gegenwärtigen Zustande.

XI. Scherzlied vom Herrn M-. Leßing und compo-

nrrt vom Herrn Kauimermusikus Bach.

ERRAT X Seite is. Lin. 4. lese man: u-c rcin, an statt: überlässet dem. Seite 46. Lin. 12. lese man: diese weniger sanguinisch, an statt: diese sanguinisch.

I. Schrei-

XX

Inhalt. fonar il flauto traverso, compofte da Gioacchino Moldcnit, Nobile Danefe, Dilettante.

VIII. Nachricht von neuen Büchern.

IX. Nachricht von dem gegenwärtigen Zustande der Oper und Musik des Königs.

X. Die Capelle Sr. Königs. Hoheit des Prinzen und Marggrafen Heinrich rn ihrem gegenwärtigen Zustande.

XI. Scherzlied vom Herrn M-. Leßing und compo-

nrrt vom Herrn Kauimermusikus Bach.

ERRAT X Seite is. Lin. 4. lese man: u-c rcin, an statt: überlässet dem. Seite 46. Lin. 12. lese man: diese weniger sanguinisch, an statt: diese sanguinisch.

I. Schrei-

Schreiben an den

Herrn Marquis von B. über den Unterscheid zwischen der italiäni­ schen und französischen Musik, (i)

Mein Herr l y’-XK Schon seit geraumer Zeit haben die Franzosen und Italiener einer über den andern den Vorzug in der Mu­ sik behaupten wollen (2\ Der "Herr von St. Evremond, der ein solcher Kenner war, daß er gar einige theatralische Stücke componiret, zie­ het ohne Bedenken die französische Musik der italiänischen vor, und wenn er an einem andern Orte sein Urtheil zu widerrufe» scheinet, so geschicht dieses nur in Anschung der Kunst und Geschicklichkeit der Sänger. Er behauptet alle­ zeit, daß die französische Musikart das Herz rühl.Hand. A ret

2

i. Schreiben

ret, und daß die welsche uns nut in Verwun­ derung setzet, ohne das Innere der Seele anzugreiffen. Der Veränderungen ungeachtet, die seit drcser Zeit mit beyden vorgegangen sind, findet sich dennoch ein grosser Unterscheid zwi­ schen ihnen. Sie sind. Mein Herr, im Stande, diesen Streit zu beurtheilen. Sie geben ftd) für kei­ nen grossen Tonküustler aus. Sie haben aber italiänische und französische Sachen gehöret. Sie habeü em so fernes Ohr als eine kluge und glücklidje Känmniß, und einen gefetzten Geschmack, gute und schlechte Musik von einander zu un­ terscheiden. Wenn gleich in diesem Lande der welsche Geschmack über den französischen herr­ schet : so giebt es doch viele französische Lieder (3), die mir allezeit'gefallen haben, und es ist nicht aus blosser Höflichkeit geschehen, wenn ich sie dieses mehr als einmahl versichert habe, Ach bin mit einigem Fleisse Stücke von beyden Na­

tionen durchgegangen, und ich' nehme mir die Freyheit, ihnen hiermit meine darüber aygestellte Beobachtungen geniern zu machen. Die Franzosen gestehen, daß die gute italiä­ nische Musik überhaupt, was man nur gelehrt und ausgesucht nennen kann, in sich faßt, und daß sie ihr einen grossen Theil der Annehmlich­ keiten der ihrigen zu verdanken haben. Sie bewundern in den italiänischen Stücken die neuen Züge und Wendungen, die Erfindung und glück­ liche Einrichtung (4), die Verschiedenheit der Melo-

an -en Herrn Marquis von B. 3 Melodien, die abwechselnden und doch so wohl zusammenhängenden Modulationen, und die künstliche lind gelehrte Harmonie. Aber indem sic den Ikalranern die Wissenschaft und Lrstndung lassen, so behaupten sie, in dem Besitze des gu­ ten natürlichen Geschmacks zu seyn, und in An­ sehung der guten und schönen Exerution (s ), insbesondere auf Instrumenten, über jene den Vorzug zu haben. Sre werfen den Anhängern der welschen Musik vor, daß ihre zu häufigen und am unrechten Orte angebrachten Zierathen (6) den Ausdruck ersticken; daß solche in diesem Stücke der gothischen Baukunst ähnlich ist, wo matt vor den vielen sie verstellenden ZieratheN nicht das Hauptwerk erkennen kan; daß sie ihre Stücke nicht genungsam characterisiren; daß es Mit allen Leidenschaften darinnen über eins hin­ aus lauft; daß sie niemahls das Ende finden können; daß die Musik oft ganz was anders als der Text sagen will; daß sie mit zu vielen Disso­ nanzen angefüllet ist, und daß endlich, um einen Vergleich zu machen, die italiänische Musik einer liebenswürdigen Buhlfchwester ähnlich siehet, die aber sehr geschminkt ist; die voller Flüchtig­ keit den Fuß allezeit in der Luft hat, die allent­ halben glänzen, und es koste was es wolle, sich Anbeter verschaffen will. Wenn die Partisanen dieser Musik den Fran­ zosen antworten, so fangen sie an, ihnen mit dem Herrn Le Bayer zu sagen, daß sie eine schöne Ge­ bieterin nicht deßwegen für unartig halten können, A 2 wenn

4

l

Schreiben

wenn sie ihnen auch nicht so getreu wäre, als man es verlangen könnte. Sre fügen hinzu, daß die französische Musik durch ihre gar zu ein­ förmigen Melodien gähnend macht und emschlaferk; daß sie sogar nach ihrem Geschmack sehr platt und unschmackhaft ist; daß es immer aus einem Tone gehr; daß sie nichts gewagtes oder kühnes, keine Abwechselung, nichts überraschen­ des hat; daß man alles voraus siehet, und eben dieselben Falle allezeit wiederkommen. Die Tonkünstlec; sagen sie, bestehlen sich einer den andern, oder schreiben sich selbst dergestalt aus, daß fast alle ihre Werke einerley sind; Sie glaubten, es wäre um sie gesthehen, wenn sie das geringste wider die Regeln unternähmen, und daß sie bey allem diesem in beständiger Furcht wären, es nicht zu treffen. Man behauptet gegemheils, daß die Jtaliäner, mit mehrer Verwegenheit, Modulation und Tonart trotzig auf einmahl verändern; daß sie das Härteste und Ausserordentlichste wagen. Aber sie wagen es als Lenke, die das Recht haben, es zu thun, und die des Erfolges gewiß sind« Sie erheben sich durch glücklich kühne Fälle (7) über die Regeln der Kunst weg, aber als Mei­ ster der Kunst, die ihren Gesetzen folgen,-wenn sie wollen, und die dawider verstossen, wenn es ihnen einkömmt. Sie beleidigen die Zärt­ lichkeit des Ohrs, welches jene nicht anders als schmeichlerisch zu berühren das Herz haben; Sie trotzen demselben, sie greiffen er mit Gewalt an, und

an den Herrn Marquis von B.

5

und bemächtigen sich seiner durch solche Reitze, die aus der Kühnheit, womit sie zu verfahren wissen, ihre Stärke erhalten. Noch sagen die Jtalianer, dasi es sehr viel in Frankreich ist, wenn der Hauptgcsang eines Stückes schön ist, (8 daß selten die ihn begleitenden Stimmen einen guten Gesang haben; daß man zwar unterweilen einige beständig fortrollende Bässe antrift, welche die Franzosen dieserwegen sehr bereun« dernsreerth halten; daß aber bey diesen Gelegen­ heiten die Oberstimmen nichts zu bedeuten ha­ ben , und der Baß zum Hauptwerke wird. Was überhaupt ihre vollstimnngern Sachen be­ frist , so saget man, daß sie gröstcntheils sehr krucken und verdrießlich sind, an statt daß in dec italiänischen Musik alles durchgehend? markigs und mit den wohlklingendesten Arcorden angefullt ist, und alles gleich gearbeitet ist. Ins­ besondere ist nichts unschmackhafter, als die­ jenigen französischen Arien, reo z. E. zwey O.uerfiöten den Drscant führen, und die Stimme den Baß oder eine von den Mittelstimmen dagegen macht. Die Welschen glaubten, daß sie auf solche Art die menschliche Stimme vexunehren würden. Lully, der ein Jtalianer war, und schon die Cyther spielte, als er nach Franckreich kam, hat daselbst alle grosse Meister, sogar im französi­ schen Geschmacke übertroffen; und, um zwischen den beyden Nationen eine Gleichheit (9) zu treffen, müste man daö Exempel eines Franzosen A 3 anfüh-

6

i. Schreiben

anführen können, der in Italien alle grosse Mei­ ster dieses Landes im italiänischen Geschmacke übertroffen hätte. Man siehet in Italien Kin­ der von vierzehn bis fünfzehn Jahren, Sachen, die sie niemahls gesehen, auf dre geschickteste Art vom Blatte wegspielen. Sobald hingegen die Franzosen ein Stück, daö sie nicht studirt haben, wegspielen sollen: so benehmen sie bey der we­ nigen Fertigkeit, die sie im Treffen haben, es Mag im Singen oder Spielen seyn, dem Stücke den ganzen Wehrt, und lassen es sehr schlecht auöfalleu (io). Der Componist feuszet darüber. Sie sagen, das Stück tauge nichts, an start'daß sie zum öffer» sagen sollen, daß sie es schlecht ausqeführet haben. Man gesteht unterdessen, daß die Tanzarren, (d-e pantomimischen ausge­ nommen, worrnnen dte Jralraner noch glücklicher sind) und die Trinklieder, die man iit Frankreich macht, der Welschen ihre übertreffen. Man kan aber zur Ursache anfuhren, daß auch der Tanz und Wein mehr in Frankreich als Italien herrscht. So ist es mit dem Streike zwischen diesen Heyden Nationen beschaffen. Laßt uns ißo den Ursprung und die Ursachen der Verschiedenheit ihres Geschmackes sthen. Theophrast sagt, daß uns die Freude, die Traurigkeit und d>e Begeisterung die Musik gelehret.haben. Plukarch beweiset diesen Satz Mit der.Erfahrung, und beruft sich auf die Comödiantm, Bacchanten nnd auf die Aussprüche der

an dmHerm Marquis von B. 7 -er Orakel. Die französische Nation ist sowohl als die italiänische zur Freude und zur Traurig­ keit geneigt, aber nicht so lercht zur Begeisterung alö diese. Beynahe» dürfte ich es wagen, hierin­ nen die Ursache zu finden, warum die Franzosen, die so grosse theatralische Dichter haben, und dich sich in der Satyre, in Sinngedichten, in der ga­ lanten Dichtkunst rc. hervorgethan, so wenig epische und pindarische Dichter gezeuget', haben. Die Jtaliäner lassen sich vermittelst ihres melan­ cholischen TemperaincntS leicht in Entzückung bringen. Fast alle ihre Stücke schnrecken dar­ nach, und dieserwcgen glauben die Franzosen, eine Art von Traurigkeit darinnen gewahr zu werden. Auf einer andern Gerte scheinen die Stücke der Franzosen, als aufgeräumterer, zu Ergetzlichkeiten, zu Liedern lind zum Tanze ge­ neigter Kopfe, den Liebhabern der italiänischen Musik zu lustig. Man saget, daß überhaupt aift etwas tanzmäßig aussehon, und ihr Gesang nichts neues und ausgesuchtes enthalt. Es ist wahr, die Jtaliäner treffen die Leidenschaften ungemein, und die Empfindungen, d,e sie auödrücken. Aber sie harren auch leicht über die Schnur. In ihren Opern übertreiben sie oft die Leidenschaften (i i), und ee ist zweifelhaft, ob die Dicht- oder Tonkunst sie mehr bezaubert hat. Unterdessen ist es gewiß, daß der grosse Fleiß, den sie auf die Musik wenden, und der durch die Leichtigkeit, sich zu begeistern, unterhal­ ten wird, sie zu einem solchen Grade der GeA 4 schick-

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I. Schreiben

schicklichkeit gebracht hat, daß, wenn sie ihre Kunst recht an den Tag legen, solches allezeit als die Wnrkung der heftigsten Bewegung dec Seele anznsehen ist, und die Begeisterung sehet sich unterweilen an die Stelle der Leidenschaft. E«ne Anzahl von Adagios in den italiänischen Violrn- und Flötensolos gehn so langsam, und werden so künstli h ausgeftrhret, daß das Herz davon sehr angegriffen und beweget wird. Es kann aber diese Beweguiig »licht nennen. Man ist verwundert, entzückt; es wird entern warm um das Herz; man empfindet eine Melancholie, aber dieses ist eigentlich weder Freude noch Trau­ rigkeit; man ist mit dem Musikus entzückt. Der Herr voir St. Evremond wirft den ita­ liänischen Sängern seiner Zeit vor, daß, »venn sie einige Empsindungcrt der Freude ausdrücken wollten, sie vielmehr hoch auflachten, an statt daß sie sängen. Wollen sie seufzen, fährt er fort, so hört man sie schluchzen; eö sind keine stillen Seufzer, die der Sehnsucht eines verlieb­ ten Herzens entwischen; bey einer schmerzhaf­ ten Betrachtung fahren sie mit der Stimme auf; die Thränen der Abwesenheit sind ein Todten­ geschrey; das Traurige wird in ihrem Munde zu einem Leichengesange; und wenn sie das Schmachtende einer zärtlichen Leidenschaft aus­ drücken wollen, so sollte man denken, sie fielen in Ohnmacht. Die Componisten, deren Ruhm zum Theil von denjenigen abhänget, die ihre Werke ausführen, haben oft das Unglück, daß sie

an den Herrn Marquis von B.

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sie sich von den geschickten Sängern müssen Ge­ setze vorschreiben und sich einschränken lassen. Mussen sie da nicht folglich die GranHen der Leidenschaften übertreten, wenn diese von solchen Operisten vorgesieilet wurden, welche nur zu zei­ gen suchten, daß sie Geschrckl.chkett und BZlssenschaft besassen, alles leicht wegzusmqen, und welche die Composition nach ihrer Stimme ein­ gerichtet wissen wollten, anstatt daß die Stimme sich nach den Absichten des Componisten hatte richten sollen 12). Man suchte damahls mehr hüt einem ausserordentlich langen Athem bey ei­ nem Tonhalte, und mit einer erstaunenden Ge­ schwindigkeit der Kehle in Läuffern, in Verwun­ derung zu sehen, als die Leidenschaften zu erschüt­ tern, und Furcht, Mitleiden und Schmerz ein­ zuflössen. Das ist eine sehr harte Beurtheilung der italiänischen Singart. Um wie viel mehr wird man ihre Spielart verwerflich gehalten haben, als in welcher es noch weniger leichte ist, sich nicht von der Einfalt der Natur zu entfernen (i z). Unterdessen wenn die Rede überhaupt von der Gefchrcklichkeit, der Kunst und der Feinigkcit ist: so haben unstreitig die welschen Sanger vor den französischen den Preiß. Man darf sie nur einen nach den andern ohne Vorurtherle hören, so wird man davon überzeuget werden. Aber hierinnen bestehen die Eigenschaften eines Sän­ gers nicht allein. Er muß sich in die Leiden­ schaft eines jeden Stückes versetzen; man muß A 5 auch

IO

i. Schreiben

auch den Character desselben im Gesänge in Obacht nehmen ; man muß die Gebährden so einrichrcn, alö es die Sache, der Ort und die Rolle, die man spielet, erfordert. Da ist eö, wo die.Sänger des Herrn Evremondö verstossen zu haben scheinen, und dieses ist in der That für die Jcalläner desto' schimpflicher, da sie in dem Rufe stehen, bessere Tonkünstler als die Franzo­ sen zu seyn, und daß ihnen der Tact und die übri­ gen zu beobachtenden Stücke nicht so viele Mühe rnacheü. Ich will also zugeben, daß die Fran­ zosen, die mehr als andere Nationen für das Theater gemacht sind, sich eö angelegener seyn lassen, die Leidenschaft, die in einem Stücke herrschet und den rechten Grad davon zu treffen, -aß sie den wahrhaften Character eines jeden Stuckes beobachten, und daß sie mit besserm Er­ folg als die meisten Italianer ihre Person spie­ len (14). Unparcheyische Personen versichern, daß die meisten französischen Opern der Vortreff­ lichkeit dieser Vorstellung ihren Beyfall zu dan­ ken haben, und daß man davon gerührt wird, wenn die Musik auch nicht gefallt. Aber kön­ nen alle diese Vorwürfe, die man den Jtalianern macht, wohl bewessen, daß eö schlechterdings unmöglich sey, in diesem Geschmacke natürlich und dergestalt zu componiren, daß der Character und die Grade der Leidenschaft genau beobachtet, daß solche Arien gut abgesungen und mit der ge­ hörigen Vorstellung begleitet werden? Erlauben Sie, mein Herr, daß ich sie an die erste Arie aus

an dm Herrn Marquis von B. 11 ariö der Oper Cm na erinnere: Voglio ubidirti, o Cara, Der Entschluß, alles zu unternehmen, um die Zärtlichkeit einer Geliebten zu verdienen, ist so natürlich geschildert (15), und der Herr Salimbeni sang diese Arie so vortreflich und mit einer solchen klüglichen Vorstellung ab, daß ich glaube, es hätte alle Welt damit zufrieden seyn können. Wird aber eine solche italiänische Arie einem an diese Musik gewöhnten Ohre, dem zugleich der französische Geschmack nicht fremde wäre, nicht allezeit besser als eine französische Arie gefallen? Diese Erfahrung ist nöthig. Die Kunst hat einen so hohen Grad erreichet, daß man eine Anzahl guter Stücke in beyderley Geschmack gehört haben muß, um sicher davon zu urtheilen. Ein französischer Componift wird den Inhalt dieser Arie eben so genau als ein JraltäNer oder Anhänger dieser Musik überden­ ken können. Der Sanger wird sie mit eben derjenigen sich dazu schickenden Action vortragen. Aber ich wolte fast wetten, daß der Auedruck, der Schwung des Gesanges, die Einrichtung der Theile der Melodie nicht so lebhaft, so ge­ wagt, so zärtlich, so künstlich, so auserlesen, noch dre -Begleitung so melodisch und glänzend seyn würde. Die welsche Musik besitzet mehr Kunst als die französische, und überhaupt zu sprechen, ihre Anhänger studiren sie mehr. Diese Bemü­ hungen und Nacheiferungen bringen alle Tage was neues, was ausserordentliches, was gelehr­ tes hervor. Gie befleißigen sich, alles was nur

hie

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i. Schreiben

die Instrumente vermögen, ins Werk zu stellen. Da höret man keine Gedanken als solche, die Gründung und Feuer bey dem Componisten, und Kunst und Geschicklichkeit bey dem Ausführer vo'"lus setzen. Die meisten Stücke sind von grösserm Umfange als die französischen. Sie enthalten allezeit was künstliches und schimmern­ des, und die Coniponisten sind gewiß, daß man alles mit einer Fertigkeit ausführen wird, die ihre Ideen nicht einschränket, und die ihnen Zeit giebt, andern Erfindungen nachzudenken. Nach dem Geständniß des St. Evremonds gegentheils sind keine Leute, die den Sinn der Worte und den Geist des Sehers langsamer begreiffcn, als die Franzosen (i 6). Es ist wahr, daß solches durch die Schönheit der Vorstellung, Mit welcher sie nach unendlichen Proben ein Stück spielen, wohl ersehet wird; aber es kann doch dieses dem Fortgang der Musik viele Hin­ dernisse in den Weg legen, und die Componisten sind nicht weniger dabey geschoren (i?)- Die grosse Anzahl der Tanzstücke, die vielen Lieder­ chen und das besondere Wohlgefallen hieran schränken die französische Musik anch sehr ein. Die geometrischen Verhältnisse, die man in den erstern so sorgfältig in Acht nehmen muß, lind der geringe Umfang, den man den leztern geben kann, können die Kunst weder erweitern noch be­ reichern, und die Instrumentalisten werden da­ durch nicht geschickter. Eö ist schon vieles in

Frankreich,

wenn

man

eine Arie oder ein Lied-

an den Herrn Marquis von B. 13 Liedchen, das eine Dame in Gesellschaft singet, auf dem Flügel oder mit der Flöte begleiten kann (18 '. Man leget sich mcht lange genung auf dre Musik, um alle ihre Schönheiten kennen zu lernen. Erne natürliche und lerchte Arie auf einen geistlichen Text, dre artig gesungen wird, sehet selbst die Tonmeister in Verwunderung (19). Deswegen spricht man immer vom Gesänge. Aber wie? Haben die Welschen, besonders die guten Scribenten, etwan kernen Gesang? Man kann es wohl nicht laugnen; aber er ist ihnen zu schwer zu spielen (20). Ein italiänischer Componrst grebet einer mittelmäßigen Srmrme mehr zu thun, als die Franzosen den Jnstru« menten. Es sind nicht allein die Läufer und an« dere Gange, die ihnen in der welschen Musik zu schaffen machen. Alle Bewegungen sind zu ge« schwmdc für sie; alle Angenblick stossen sie auf einen lebhaften Gang, mir dem sie mcht fort« kommen können. Ueberhaupt hat jede Nation ihre befondere Methode, da wenn man solche nicht inne hat, die Stücke diesem schwer sind, ünd von jenem schlecht vorgetragen werden (21). In den Singarien ereignet sich noch ein der« drießlicher Umstand für den Compomsten. Je­ dermann wollte, wenn es möglich wäre, mit dem Sänger mitsingeü. Zum wenigsten, wenn Man nicht sogleich diese oder jene Arie auswen­ dig behalten kann, so sagt Man gleich, sie taugt Nichts, welches erstere doch gleichwohl, nachdem was ich oben gesagt, nicht so viel Mühe kosten kann (22).

Alle

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Alle diese Ursachen hielten ehemahls die statt* zöslschen Komponisten erstaunlich zurück, einen etwas schweren und dem Haussen unbegreiflichen Gang zu wagen. Die Liebhaber der Musik wüsten wenig, was künstlich oder gewagt war« Sie gewöhnten ihre Ohren nicht daran , sie bil­ deten sich den Geschmack nicht. Nach der Zeit haben die Französin in Aushung der schönern und kühnern Composmon vnles von den Wel­ schen angenommen, so wie dresi von jenen in Ansehung des natürlichen Gesanges, und der netten und artigen Execucion auf den Instrumen­ ten gelernet haben. Beyde Nationen, mrt einem französischen Scribenten zu sprechen, haben sich gleichsam gegen einander genähert. Die Fran­ zosen, ob gleich Freunde des Gesanges, machen ihre Compositioneu feuriger und harmonischer; und die obgleich bunte und künstliche welsche Musik, ist anmuthiger und sangbarer geworden« Man kann sagen, daß dre Franzosen diese Kunst nicht erschöpften, und daß die Jtaliäner sie über ihre Gränzen ausdehnten (23). Wie aber die Jtalianer weit empfindlicher in den Leidenschaften sind als alle andere Natio­ nen : so wird ihre Musik in dem Ausdrucke der heftigsten Bewegungen der Seele allezeit vortreflich seyn. Da ist es, wo die Kunst der San­ ger, die Geschicklichkeit der Spieler, und die Känntniß, die die Zuhörer von den Schönheiten der Musik haben können, in Betracht kommen. Wenn die Seele von einem Gegenstände ent­ brannt

an den Herrn Marquis von B. 15 brannt ist, so ist die gewöhnliche Sprache nicht hmlanglrch, ihre gewaltsamen Empfindungen auszudrücken. Sie verseht sich ausser sich selber; sie überlasset dem was sie beherrschet;'sie erhebet und verdoppelt den Ton der Stimme, wie« -echohlec die Worte zu verschiedenen mahlen, und noch mcht mit demjenigen zufrieden, was sie gethan, rufet sie die Instrumente zu Hülfe, die sie vermittelst der verschiedenen und bald in der Höhe und bald in der Tiefe abwechselnden Töne zu beruhigen scheinen. Also ist es ungefähr, wie ein neuer Auctor in dieser Beschreibung der starken Bewegungen der Seele, eine welsche (24) Arie abgemahlt zu haben scheinet, die in dem reichsten und neuesten Geschmack gesehet, und mit aller möglichen Kunst der Stimme und der Beyhülfe geschickter Instrumente abgesungen wird. Stellet euch den verzweifelten Zustand einer Geliebten vor, die sich fürchtet, ihren Ge­ liebten zu verlreren, den sie in den wichtigsten Umstanden anbetet. Wie wird diese heftige Leidenschaft von unserer Aftroa nach der wah­ ren Kunst, die so groß sie ist, sich nicht von -em Natürlichen entfernet, vermittelst ihrer be­ zaubernden Vorstellung, ausgedrücket? Sie mer­ ken wohl, mein Herr, daß ich von der Arie aus dem LiNNN: Sento, mio dolce Beije, rede» Zuförderst versichert die Geliebte ihren Gelieb­ ten in den schmeichelhaftesten Tönen, daß er ihr schönstes, ihr einziges Eigenthum ist. Sie bebet für ihn; die Schmerzen des vorhergesehener»

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Verlustes scheinen sie an einem gewissen Orft, der das Leiden des Herzens vollkommen abbil­

det, ersticken zu wollen. Die Instrumente zit­ tern ; sie seufzen mit der Stimme. Indem sie ihrem Geliebten das Aeusserste ihrer grausa­ men Furcht zu erkennen giebt: so giebct sie auf dem Worte crudele ihrer Stimme einen Nachdruck, und der Componist hat sich einer Harmonre bedienet, dre die französische Musik kaum zur Noth erduldete. Eben so ist es mit einem gewissen Gange beschaffen, wo ihre Furche sie der grösten Ungewißheit und zwar dergestalt zu überlassen scheinet, daß sie in ihren vorigen Schauer zurücke fallt. Sie will mit ihrem Ge­ liebten sterben, und bringet dieses mit Tönen vor, die die lezke Umarmung zwey im höchsten Grade sich liebender Personen auödrücken, worauf ihre Klagen nach einer Cadenz etwas nachlassen, wo die Musik sehen lässet, daß sie auch ohne Worte im Stande ist, vermittelst der verschiedenen Er­ hebungen und Falle der Töne, in unsere Seele zu würkenund die in der Arie herrschende Leidenschaft auszudrücken. Dre Verzweifelung bemristert sich dec Geliebten, die Seele will ihr entfahren; ihre Stimme entkräftet sich; sie thut nichts anderals daß sie seufzet; aber ehe sie stirbst, so nimmt sie noch einmahl alle ihre Kräfte bey einer Ca­ denz zusammen, vermittelst welcher sich das Herz von seiner Mattigkeit erhöhtet, und sie sich in den Stand sehet, die ersten Versicherungen, die sie ihrem Geliebten von ihrer gerechten Furcht gab, in dem Dacapo zu wiederholen» Wird

an den Herrn Marquis von B. 17 Wird eine also componirte und abgesungene Arie nicht alle Welt rühren, insbesondere, wenn die Zuhörer die Worte verstehen, welches bey ans eben nicht zu gemein ist? und ist sie deswe­ gen weniger natürlich, weil sie bey der Sänge­ rinn und bey dem Orchester eine sehr grosse Fertig­ keit voraussetzet? Aber wird man sagen, das gefallt den meisten Franzosen nicht, einer Nation, die eine so grosse Kennerin der Werke des Geisteist, und die die Schauspiele aufs höchste liebet, wo sie sich mit dem empfindlichsten Vergnügen durch die größten und heftigsten Leidenschaften hrnrerssen lässet. Ee ist wahr, mein Herr; aber die italiäni­ sche Musik enthält so viele Kunst, daß man noth­ wendig viele Sachen gehöret oder selbst gesvielet haben muß, um allerFeinigkeiten^2s) zu begrei­ fen, vermittelst welcher die Tonkünstler, indem sie dem Gehöre aufs behendeste schmeicheln, daö Herz zu rühren und die Seele zu bewegen, sich bemühen. Und da es mit ihrer Erlaubniß, mein Herr, ihrer Nation an dieser Känntniß fehlet, so läßt sie sich zu geschwinde abweisen, und zwar um desto eher, wenn jemand von derselben nicht das Italiänische versteht. Sie singen der Worte wegen und wollen von beyden gerühret seyn, wo­ rinnen sie Recht haben, (26) anstatt daß die Liebhaber der italiänischen Musik meistentheile mehr auf die Töne sehen, und mehr belustigt als gerührt seyn wollen(27). Ist die Musik gemacht, unsere Seele in einer angenehmen Ruhe zu erI. Band. B Hal-

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halten, oder ihr dieselbe wiederzugeben, wenn sie sich daraus verlohren: So billige ich diesen Geschmack in Sachen, die für die Kammer sind; daselbsten können die Musici, indem sie unser Herz nicht bestürmen, (28) sich bloß die Einsichten unsers Verstandes unterwerfen, und ihre Verdienste nach der Beruhigung'oder Belustigung -desselben, von uns beurtheilen lassen. Aber was theatralische Sachen betrift, wo man die Bewegungen des Herzens (29) nachahmen soll, da muß man die Leidenschaf­ ten bey den Zuhörern, nachdem es der Inhalt erfodert, erregen; und dieses ist eben so thulich in der italiänischen als französischen Musik, wenn die Componisten und Sänger nur den wahr­ haften Character der Stücke und ihrer Worte unterscheiden wollen und können, wenn sie nicht ausdrücklich suchen, vielmehr das Ohr als das Herz zu rühren, und wenn sie nicht so viel glänzende und rauschende, oder schmachten­ de Manieren, (30) noch sie am unrechten Orte anbringen. Wenit sich also soviel Glänzendes und Wun­ derbares so häufig in der italiänischen Musik stndet: So verdienen die Componisten von dieser Sorte desto mehr Lob, wenn sie mancheömahl die Pracht der Kunst von sich ablegen, und Arien setzen, die natürlich, ohne leuchtende Zierathen, aber desto schöner (31) sind, weil sie aller Weit gefallen. Es ist wahr die Com­ ponisten sind aledenn verbunden, zur französi­ schen

an dm Herrn Marquis von B. 19 schen Musik ihre Zuflucht zu nehme». Sie verlaugnen ihre Secte nicht; Aber solche Werke sind eine Art französischen Stoffes, der mit ita­ liänischen Blumen durchgewrrkt ist. Sie wer­ den, mein Herr, sich der Arie il mio caro v'incitore aus benfefle galanti, und der Je sapesp il mio dolore aus der Oper China erinnern. Alles ist darinnen natürlich; Die Art der Melodie ist nach französischer Art eingerichtet. Man kann aber nicht sagen, daß die gauHe Arte es sey; es wird sie also ein Franzos, der nur pur -fran­ zösische Stücken spielen kann, nicht herauebrin-

gen, wie es sich gehöret. Soll ich meiiie Ge­ danken von mir sagen, so halte ich dafür, daß gewisse Empfindungen besser im (32) französi­ schen als italiänischen Geschmack auögedrücket werden, und daß gewisse Leidenschaften aus­ drücklich, so wie ich gesaget, gehandhabt werden müssen. Die Schamhaftigkeit einer Frauensper­ son, die ihre Liebe nicht zuerst entdecken will, und die Betheurungen der Unschuld, davon eine tugendhafte Gemahlinn ihren Mann überzeugen will, sind Bewegungen, welche weder etwas Glänzendes noch Künstliches zulassen. Solche Gesänge, glaube ich, waren es, woran Lully, wie man erzählet, drey Tage hintereinander arbei­ tete, und die. den Tag nach der Oper in allen Gesellschaften gesungen wurden. Seine Freunde fanden ihn oft in seinem Cabinette in vollem Schweiße und hinter solchen Melodien her, die ein jeder ohne einen Meister erlernen konnte.

BL

Ich

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Ich pflege solche Arie mit den Werken der alten Mahler uud Bildhauer zu vergleichen. Es waren nichts als Eharacters und Geister in den Zügen

ihrer Gemählde nnd Bilder. Alles ist darinnen groß, stark, majestätisch, und nichts destoweniger natürlich; da sind noch keine künstliche Auszierungen, keine in der Folgezeit eingefuhrte Artigkeiten. Solche Werke sind Meisterstücke der Kunst. Sie kosten Mühe, aber das muß man ihnen um desto weniger ansehen. Unterdessen so schön die simpeln Werke sind, so zweifle ich, ob wir zufrieden seyn würden, wenn eine ganze Oper nichts als solche Arien enthielte. Ich weiß nicht, ob die altoi Mahler und Bildhauer alles ohne die Zierathen, womit die heutigen Meister ihre Werke verschönern, hat­ ten können bewerkstelligen, und es könnte wohl seyn, daß sich die Nachahmung der Alten nichts als Gegenstände von einer einfältigen und natür­ lichen Schönheit erwehlet hätte. Man muß zum

wenigsten in der Musik, so wie in allen Wer­ ken des Witzes, etwas dem herrschenden Ge­ schmacke zu Gefallen thun, welcher öftere, eben nicht allsdrücklich nöthige, Zieraten rrfodert. Inzwischen so braucht man sie so wenig als mög­ lich. Die grossen Meister der Kunst verfahren niemahls anders. Nichts dcstoweniger, wie auch die Begeisterung in der Musik ihren Platz hat, so können da ein Haussen Kunststücke, son­ derbare ünd sogarwunderlicheDinge vorkommen, wenn sie nur an ihrem Platze sind. Doch wird

die-

an den Herrn Marquis von 95. 21 dieses nicht eben zu oft in Singstücken, insbe­ sondere in theatralischen geschehen, als worinn fast allezeit eine gewisse bestimmtere Bewegung dec Seele herrschet. Auch hat die menschliche Stimme schon von Natur Reitze genu-ng, die man nur zu erhellen braucht, da sie hingegen durch gar zu viel Künstliches und Glanzendes ver­ dunkelt werden. Die Instrumente, als mangel­ hafte Copren der Stimme müssen meistentheils da­ hin ihre Zuflucht nehmen, um das'waö ihnen fehlt zu ersehen. Es giebt aber auch Leidenschaften, deren Natur nicht allezeit so viele Einfalt erfodeck, und welche Kunst und Zrerath im Gesänge und in der Begleitung vertragen können. Es giebt zwenerlsy Arten dec Musik, die eine hat den Endzweck, daß sie das Herz rühren, und die andere, daß sie mehr belustigen als rühren will. Der Character der Gedichte erfodert nicht, daß sie alle rührend seyn sollen. Wie kann man also behaupten, daß alles leicht aus­ zuführen und zu begrelffen seyn soll, und das diejenigen Stücke, die nicht so befthaffen sind, nicht natürlich seyn können? Man kann die beyden Arten der Musik vermischen. Aber, wo mehr Einbildung, Witz und Begeisterung, als simple Empfindungen zärtlicher und angenehmer Leidenschaften vorhanden sind, da kann nicht alles so leicht auezuüben und zu verstehen seyn. Man muß sich mit einigen Wendungen der Musik bekannt machen, ehe man ihre Schön­ heiten und Reitze empfinden kann. Ueberdieß B 3 hat

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hat das Temperament des Componisten und des Zuhörers vielen Einfluß in dw Werke des ersten und in den Eindruck, den sie bey dem andern machen. Corneille und Racine haben beyde die vortreflichsten Trauerspiele gemacht; Aber sie gefallen nicht durchgehends jedermann. Bruyere und Theophrast haben sehr von einan­ der unterschiedene Characters entworfen, die nichts desto weniger beyde schön sind. Lesen sie das Lied' beym Voltäre; Phillis plus aoare quc tendre. Es wird ihnen sogleich gefallen, und lesen sie ein mo­ ralisches Schreiben von eben diesem Dichter; es wird ihnen auch gefallen, aber diese weniger lachende oder stechende Schönheiten werden ihre Einbildung nicht so leicht als lene rühren. Die Deutschen haben keinen ihnen eigenen Geschmack in der Musik (33). Aber unser Hän­

del und Telemann kommen wenigstens den Franzosen, undHajje und Graun den Jta lranern bey. Weil gleichwohl das Temperament mei­ ner Landeslcute etwas melancholisch ist: So gefallt uns die welsche Musik besser als die fran­ zösische. Wir singen und tanzen nicht soviel als die Franzosen, und nimmt der italiänische Geschmack bey uns täglich zu. Doch verhin­ dert uns dieses nicht, das Gute allenthalben zu ergrerffen, wo wir es finden. Unser Monarch, der in seinen Ergetzlichkei« tev einen so feinen Geschmack hat, als er groß in seinen Handlungen ist, ziehet die italiänische Musik der französischen vor. Da die Arie, wo­ von

an den Herrn Marquis von B. 23 von ich zuvor geredet, das Glück gehabt, seinen Beyfall zu haben, so ist es unmöglich, daß die gantze Musik nicht den Nutzen, den sie von einem so vortreflichen Geschmack hat', empstnden sollte, uud solche hat ihm schon viele Ver­ bindlichkeit. Ist es eine grosse Vollkommen­ heit in den Gemählden, wenn Schatten und Licht darinnen klüglich beobachtet wird, und hat die Musik vieles mit der Mahlerey ge­ mein ; ist nichts vortreflicher als die menschliche Stimme, und ist diejenige Musik die beste, die dieser am ähnlichsten kommt: So giebt es keine Tonkünstler, die diese Regeln besser und mit mehrerm Erfolge beobachten, als die Musici des Königs. Ich habe die Ehte :c. rc.

II.

Anmerkungen über vorhergehendes Schreiben. (1) Dieses Schreiben, welches unter dem-Titel:

Lettre a Mons, le Marquis de B. 1748. JU Berlin in französischer Sprache herausgekommen, scheint mrt dem Tractat von der musikalischen Poesie einer­ ley Verfasser zu haben, und folglich von einer sehr geschickten Feder zu seyn. Wenn ich an ewigen Oer­ tern desselben in der Ucbersetzung von dem Worlversiande abgegangen bin: so habe ich solches aus der Ursache gethan, um nur zu sagen, was der Herr Verfasser eigentlich hat sagen wollen, nicht aber das, was er gesagt hat. '

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(r)Die-

an den Herrn Marquis von B. 23 von ich zuvor geredet, das Glück gehabt, seinen Beyfall zu haben, so ist es unmöglich, daß die gantze Musik nicht den Nutzen, den sie von einem so vortreflichen Geschmack hat', empstnden sollte, uud solche hat ihm schon viele Ver­ bindlichkeit. Ist es eine grosse Vollkommen­ heit in den Gemählden, wenn Schatten und Licht darinnen klüglich beobachtet wird, und hat die Musik vieles mit der Mahlerey ge­ mein ; ist nichts vortreflicher als die menschliche Stimme, und ist diejenige Musik die beste, die dieser am ähnlichsten kommt: So giebt es keine Tonkünstler, die diese Regeln besser und mit mehrerm Erfolge beobachten, als die Musici des Königs. Ich habe die Ehte :c. rc.

II.

Anmerkungen über vorhergehendes Schreiben. (1) Dieses Schreiben, welches unter dem-Titel:

Lettre a Mons, le Marquis de B. 1748. JU Berlin in französischer Sprache herausgekommen, scheint mrt dem Tractat von der musikalischen Poesie einer­ ley Verfasser zu haben, und folglich von einer sehr geschickten Feder zu seyn. Wenn ich an ewigen Oer­ tern desselben in der Ucbersetzung von dem Worlversiande abgegangen bin: so habe ich solches aus der Ursache gethan, um nur zu sagen, was der Herr Verfasser eigentlich hat sagen wollen, nicht aber das, was er gesagt hat. '

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(r)Die-

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n. Anmerkungen

(2) Dieser Streit hat nur gröstentheils die Sing-« musik betroffen, und man siehet aus der Folge des Briefes wohl, baßes der Herr Verfasser and) nur Mit dieser zu thun hat. Im Instrumentalst!)! sind diese beyde Nationen allezeit weniger von einander unterschieden gewesen. Und wenn die Welschen darin­ nen, nach unsern Gedanken, über die Franzosen gesiegt zu haben scheinen: so haben sie diesen Sieg Ulchr etwann einer grösser» Kunst, sondern nur der gröffcrn Anzahl der Künstler zu danken. Aber wie sieht es heutiges Tages in Welschland aus? In der Erfindung scheint diese Nation endlich ganz und gar erschöpfet zu seyn. Um die Wissenschaft giebt man sich schon lange keine Mühe mehr, und die qure Ord­ nung fallt ganz und gar weg. Die Sanger allem, und einige hm und wieder verborgene gute Spieler, erhalten annoch heu Rest ihres Credits bey der musi­ kalischen Welt. In der Compositron wird man nichts mehr von ihr erwarten dürfen, es müßte denn diese von solchen Itaiiänern seyn, die ihr Vaterland, und Mit dem das Vorurtheil für selbiges verlassen, und sich etwan einige Zeitlang in andern Ländern geschickt zu machen, gesucht hatten. So ist es mit den Kün­ sten und Wissenschaften. Sie begeben sich von einer Nafton zur andern. Vielleicht kann über hundert Jahre der gute Geschmack bey den Ottomannen herr­ schen, und es mit Deutschland die Beschaffenheit ha­ ben, die es an.etzt nut Welschland hat. * Ich erin­ nere mich, vor kurzem eine ziemliche Menge von geistlichen und theatralischen Sachei. gesehen zu Ha­ den, die sich jenseit der Gcbürge herschneben, und von chen berühmtesten Meistern der Ieit daselbst verfertigt waren. Umsonst bemühte ich mich, dasjenige da­ rinnen zu finden, was die Vertheidiger des y.chberühmten welschen Geschmacks darinnen wolle» finden lassen. S att des steuen, des Gewagten und der­ gleichen auö einer fruchtbaren Einbildungskraft entsprin-

über vorhergrhendes Schreiben. 25 springenden glücklichen Wendungen waren alle Blat­ ter nut so seichten und abgedroschnen Paßagen angefüllet, daß sich der schlechteste Anfänger der Eetzkunst bey uns dergleichen geschgmet haben würde. Ein gewisses Stück führte darinnen den Titel einer Synfome. ES war gut, daß der Auctor solchen dazu gesetzet. Es fing dasselbe mit den gewohnten Trompeterclauselchen über den harmonischen Dreyklang an, und dieses Spiel machte zum wenigsten etliche zwanzig Tacte aus. Der Baß rummelte »ach Murkyenart mit abwechselnden Oktaven dazu. Waren doch nur nicht alle Zeilen dabey tmt grammatikali­ schen Schnitzern, mit den unrichtigsten Fortschrei­ tungen, die auch kein Finazzt gut heissen würde, angefüllet gewesen. Es waren in der That keine durch­ gehende Quinten oder Oktavendergleichen man an dem Herrn - und dem Herrn -- wonickst billiget, doch entschuldiget, und dergleichen man an dem Herrn -und Herrn-so übel nimmt, daß man ihr Dildniß kaum in der Gesellschaft eines Castraten vertragen kann. Wenn m diesem vorhergehenden Schreiben also über den welschen und französischen Geschmack gestritten wird: so muß man den fälschlich so genannten wel­ schen, das ist, denzenigcn bey uns itzo blühenden neuen deutschen Geschmack, der niemahls von der Welt m Italien existiret hat, und welcher sein Daseyn bloß den Deutschen zu danken hat, darunter verstehen, und in diesem Stücke habe ich wenig oder nichts wi­ der die Gedancken des Herrn Verfassers zu erinnern,

indem ich völlig seiner Meinung bin. Wann finrd man aber endlich aufhören, den bey uns herrschen­ den Geschmack einen welschen zu nennen? (3) Durch -diese Lieder werden ohne Zweifel die chanfons a Loire verstanden. Ein grosser Theil un­ serer Mufikliebhaber dürfte hier mit unserm Herrn Verfasser nicht gleiche Erfahrung zugestehen wollen. Ich halte aber sein Gestandmß deswegen von,nid)t

B 5

mm-

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n. Anmerklmgm

minderm Gewichte. Der Geschmack am Simpeln, amEdelemföltigen ist in allen Künsten ungemein rar. Der grosse Haufen ziehet immer das Schimmernde, das Verblendende vor. Dergleichen französische Lrederchen sind auch in der That nicht hauffig anzu­ treffen, welche em zu reichernSchönhelkn gewöhn­ tes Ohr rühren könnten. Noch weniger bekommt man deren an allen Oertem hey uns zu sehen und zu hören, und am seltensten werden sie mit der rechten Artgespielet und herausgebracht. Gefällt ein sol­ ches Etückgen von ohngesahr, so hat es wohl diesen Vortheil öfters den darinnen enthaltenen artigen und witzigen Scherzen zu danckenWie die Toukluistler im neuen Geschmacke bey uns ihre Lieder von die­ ser Art öfters zu viel kränkeln: So kräuseln sie hin­ gegen die Franzosen zu wenig. Beyde schweifen aus. Die gar zu grosse Einfalt des Gesanges wird lächer­ lich, und ist solcher zu -bunt, so muß der Liebhaber, der kaum dre sieden Stuten kennet, und doch singen will, semen Hals auf die Folter spannen, um sei­ nem Vorsänger zu folgen. Für wen aber werden solche Lieder msaemem gesetzet? für den Musikus oder den Liebhaber? Wer handelt hier am vernünftig­ sten, derjenige der seinem Endzwecke gemäß verfahret, oder der sich davon entfernet? Uebrigens ist es wohl dem Herrn Verfasser des Sendschreibens nicht ein Ernst, daß er die französische Vokalmusik nach diesen Liederchen beurtheilen, und diese oft schlechte, oft artige Sachelchen in ihrer Art, unsern grossen welschen Arren entgegen setzen will. Chanson gegen Chanson schicket sich allezeit besser. Unter den grösser» französtschen Slngsachen wird man noch ohne Zweifel hin und wieder einige finden, die ehe rühren als einschlafern, und ehe belustigen, als springen machen mögten, wenn sie nehmlich von einer guten französischen Kehle gesungen, und nut eben derjenigen Art, damit der Geschmack einerley bliebe, von den Jnstnrmenten beglri-

über vorhergehendes Schreiben. 27 gleitet würden, weil doch nicht alle Instrumentall­ sten ohne Unterscheid so gut französisch, als in einem andern Geschmacke zu spielen, -sich getrauen werde».

(4) Die Lobspräche, die allhicr der welschen Mu­ sik gegeben werden, sind aus des Bonners Historie der Musik genommen Da so'che schon an die vier­ zig Jahre alt ist: So muß man sich m Absicht dessen, was von den Jtaltanern gesagt wird, in diese Zeit zurücksezen, und da verdienet diese Nation diese Lobshrüche mit Recht, und wird vielleicht ehe zu wenig als zuviel davon gesagt. (5) Gar viele unsrer berühmtesten Spieler geste-i Heu zu, daß sie von den Franzosen die Nettigkeit ihres Vorrrages genommen haben. In Bezeichnung der Manieren, womit ein Stück abgespielet werden soll, haben sich diese Hiebey ehe als andere Nationen sorg­ fältig erzeiget. Unter den Deutschen scheinet nebst dem berühmten George Muffac, der geschickte Clavicrist Joh. Casi>. Ferdin. Fischer der erste gewesen zu seyn, der diesen Theil der Musik bey uns bekannt gemachet. Er hat alle seine Clavierparkien, z. E. die im so genannten musikalischen Blmnenbüschlei», welches gleich zum Anfänge dieses Jahrhunderts herausgekommen, nach der französischen Art mit Manieren bemerket, und daß die Bezeichnung der­ selben damahls annoch sehr unbekannt gewesen, siehet man aus der vor den Stücken vorhergehenden Erklärung dieser Bezeichnung. Haben wir uns ehe­ mahls die Manieren der Franzosen zu Nutze gemachte so werden, da durch die glückliche Bemühung des Herrn Bach in seinem versuche über die wahre Arr dasLlavier ;u spiele», die besten und schmack­ haftesten Manieren der heutigen Zeit mit guten Grün­ den vestgesetzet find, diese ictzo Gelegenheit haben, sich der guten Art der Deutschen in Bezeichnung und Anbringung der Manieren mit Vortheil zu bedienen. (6) Un-

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II. Anmerkungen

(6) Unter dem Worte Zicratheir, werden hier nicht die kleinen Spielmanieren, als Triller, Mor­ dent, u. f. w. verstanden, als mit welchen die Fran­ zosen ehedessen, bis zum Eckel des Spiekers und Zu­ hörers, ihre Melodien zu verbrämen gewohnt wa­ ren. Es werden allhier die grösser» aus der Setz­ kunst entlehnten Figuren, als käuffer,«. f. w. gemeinet. (7) Ist es nicht anders, als mit Beleidigung der Regeln möglich, einen glücklich kühnen Einfall hervorzubrmgen? kann das Kühne nicht mit den Regeln bestehen, so taugt dieses Kühne nicht. Die itzigen großen deutschen Meister zeigen, daß sie zugleich kühn denken, und die Regeln beobachten können. Man beleidige doch diese nickt mit gutem Wollen. Man kann ihnen wider besser Wissen und Wollen genung entgegen handeln. (8) Was bey der Amnerkung (4) in Absicht auf das bob der Jtaliäner erinnert wird, daß man sich nemlich m den Zeitpunct, da Bonnet gelebet, zurück­ setzen müsse, kann in Absicht auf den Tadel der Fran­ zosen allhier auch gemerket werden. Man muß die Zeiten niemahls vermischen, noch zwey verschied»« Epochen in diesem Falle gegen einander vergleichen. (9) Die Franzosen wollen den kully ganz zu dem ihrigen machen, und behaupten, daß er erst in Frank­ reich den Geschmack erlernet habe. Die Jtaliäner und Deutschen behaupten das Gegentheil, und sagen, daß er bereits den Geschmack aus Italien mit sich nach Paris gebracht habe. Wer hat Recht? Wir wollen die Sacke unpartheyisch beleuchten, um zu sehen, was für einer Parthey man beystimnien könne. Wie alt war Lully, als er nach Frankreich kam? Zwölf Jahr. Daß er in diesem Alter schon besondere Einsichten in die Tonkunst erlanget, und seinen Geschmack gebildet haben sollte, ist nicht wahrscheinlich. Man darf kühnlich glauben, daß er ausser etlichen Griffen äuf der Guitarre und der Geige,

über vorhergehendes Schreiben. 29 Geige, und ausser der küss diese bey Gelegmheit zu verbessern, und m der Musik zuzunehmen, nichts nach Franckreich mit sich gebracht. Ware er schon sehr geübt tit dieser Kunst gewesen: so würde er an dem Hofe der Mademoiselle von Orleans, für d«e ihn der Herzog von Guife aus Italien initqrbracht, einen bessern Platz als die Stelle eines Küchenkna­ ben erhalten, und er tu der Folgezeit keines Meisters vonnöthey gehabt haben. Wie lange war er schon in Franckreich gewesen, ehe er sich besonders durch seine Compositionen zu zeigen anfing? Er machte ziemlich spate die Probe damit, und in diesem lan­ gen Intervalle der Zeit waren wohl die italiänischen Wendungen, -bte er vordem nn Kopfe gehabt, ganz, sich aus demselben verschwunden. Ein junger Mensch pon zwölf oder dreyzehn Jahren, der in ein ander Land versetzet wird, verliehret leichte die Ein­ drücke, die er sich m idem vorigen gemacht, um sich denjenigen zu überlassen, dte ihm täglich Vorkom­ menDer vor weniger Zeit allhier in Berlin ver­ storbene geschickte Opertanzer Girauld war alter und unstreitig geübter auf der Geige, als Lully, als er hier nach Berlin ka>n. Er setzte vermittelst des Unterrichts verschiedner Meister dieses Instrument bey uns fort, und brachte es bekanntermassen sehr wert darauf. Verlohr er aber nicht, und zwar in sehr weniger Zeit, seine erstsMethode und seinen er­ sten Geschmack dergestalt, daß man in seinem Spie­ len niemahls einen Franzosen, wohl aber einen Schüler des Hern. Benda oder Hern. Czarth erkennen konnte? Das Exempel ist sehr neu. Wie viele Deutsche gehen nach Paris/ und verändern ihren Geschmack noch täglich daselbst? Geschrcht dieses bey erwachsenen Leuten, wie vielmehr wird es mit Kna­ ben geschehen, die nur von allen Dingen noch dunkle und undeutliche Begriffe haben. Ferner ist ja bei sannt, daß Lully nicht der erst« gewesen, der in

Frank-

30

ii. Anmerkungen

Frankreich Opern gemacht. Schon über zwanzig Jahre vorher, ehe er sich auf der lyrischen Büh­ ne zeigte, hakte man daselbst Stücke aufgeführet. Cambert war es, der denjenigen Geschmack schuf, den Lully nur nach der Zeit mehr und mehr ausges arbeitet hat.. Ware der Geschmack, wonnn Lully schrieb, italiänisch gewesen, so wurde sich St. Evremond nicht folgender Ausdrücke an eurem gewissen Orte seiner Schriften bedienet haben: "Ich will dem Lully nicht die Schande erweisen, tue Opern zu Ve­ nedig mit den seidigen zu vergleichens*)." Ware auch nicht der lullysche Geschmack von dem italiänischen unterschieden gewesen, was würde denn wohl zu den bekannten alten Streitigkeiten zwischen den Welschen und Franzosen über den Vorzug ihrer Musik Gele­ genheit gegeben haben? E» ist also wohl gewiß, daß die Franzosen Liecht Haden, den Lully für den ihrigen auszugeben. Der Geburt nach war er ein Italraner, dem Geschmacke nach em Franzos. Will man übrigens den"Wehrt der iraliänischen und französi­ schen Musikart recht genau bestimmen, so muß man stückweise verfahreir, und die berühmtesten Auctores beyder Länder, die zu einer Zett gelebet haben, ihre theoretische und practische Schriften, Harmonie, Me­ lodie, galante und contrapunctlsche Sachen, und zwar jede Art dieses Landes gegen jede des andern halten. Wer dieses unternehmen wollte, der würde die Vorzüge mehrentherls getheilet finden. Aber es. kann nicht jedermann des dazu nöthigen Vorraths von Musikalien habhaft werden. (io) Ich glaube, daß dem Herrn Verfasser so gut als mir versch-.edne welsche Sänger und Sängerin­ nen besannt seyn werden, und vielleicht mehr als französische, die wohl nicht eben zu glücklich treffen, sondern ziemlich lange eine Arie studtren muffen, ehe sie sich getrauen, sich öffentlich damit hören zu

lassen. C) S. die Cemödie Les Opeia. Act. II. Sc. 4.

über vorhergehendes Schreiben. 31 lassen. So viel aber ist überhaupt wahr, daß die Franzosen eben vom Treffen feine Prvftßion machen. Was «st wohl die Ursache? Man verlanget von ihnen, daß sie in demjenigen, was sie singen oder spielen, auch nicht die geringste Kleinigkeit verfeh­ len, daß sie alle Manieren, deren das Stück fähig ist, so rund, deutlich und nett als den übrigen Ge­ sang heraus bringen, daß sie in den Character dessel­ ben völlig emdringen, kurz daß sie solches nach allen möglichen Regeln des guten Vortrages ausführen sollen. Welcher Treffer von Profeßion ist so stolz, baß er, ich will nicht sagen, das erste, sondern nur das andremahl, solches mit jedem Stücke ohne Un­ terscheid zu thun, sich getrauet? Er wird fteylich treffen, aber falsch; und überhaupt merket man. daß die grvssenTreffer mit gar schlechter Anmuth spielen, und mit der erstaunenden Fertigkeit in den Lauffern und dergleichen rauschenden Figuren, sehr selten eine glückliche Fertigkeit in den kleinen Manieren, die das Spiel lieblich machen, die der Arbeit des Componisten das Rauhe benehmen, verbinden. Eie stolpern insgemern über diese Falle weg, oder bringen sie auf eine unerträglich lahme Art heraus. Sie spielen d,e schwersten Stücke zur größten Bewunderung, aber leichte Sachen zu desto Mindern« Gefallen. Sind die Ohren der Franzosen nun so beschaffen, daß sie lieber ein Stück nicht hören wollen, als daß sie es sich vom Blatte weghaspeln lassen: so haben die Ausüber genungsame Ursache, sich hierinnen nach ihre» Zuhörern zu bequemen, und haben denn diese Zuhörer sogar Unrecht? Welches wohlgebildte Gehör will nicht lieber ein Stück gut, als schlecht vorge­ tragen wissen? Indessen hat es seit den Zeiten des St. Evremonds in diesem Stücke auch mit den Fran­ zosen ein ander Ansehen gewonnen, und vielleicht haben sie sich noch über die Welschen den Vortheil erworben, daß sie nicht allein gut treffen, sondern an-

Z2

II. Anmerkungen

annoch ein Stück das erstemahl sogleich mit mehrer Anmuth spulen, als es mancher Welscher-vielleicht memahls zu thun im Stande ist. Doch in Ansehung der Sanger und Sängerinnen haben sie es noch nicht so weit gebracht. Ich erinnere mich der Ma­ demoiselle la Maure, die vor ungefähr zehn Jahren das Wunder der parisische»! Singbähne war, und in Wahrheit mit der schönsten Vorstellung die ange­ nehmste Stimme verband. Gleichwohl war sie nicht im Stande, für sich alleine den allerleichtesten Gasten­ hauer zu solmtsiren, und ohne Anweisung zu er­ lernen. (n) Hierinnen versehen es die Anhänger der ita­ liänischen Musik vielleicht am öftersten, sonderlich in Absicht auf die Zärtlichkeit. Es grebet fast so vielerley Arten, Gattungen und Grade dieser Em­ pfindung, als Menschen in der Welt leben. Aber man höre italiänische Stücke nach italiänischer Art spielen.' Meistens bey allen braucht man einer­ ley lebhaften, felirigen, durchdringenden Vortrag, und inbrünstige, schmachtende und seufzende Ma­ nieren. Sind dem Musikus nur solche herzrührende Auszierungen des Vortrages bekannt und geläufig, und findet er nur Halbwege einen Ort dazu, mehr braucht es nicht, er macht sich kein Bedenken, sie

anzubrmgen, und bekümmerter sich im geringsten nicht, ob -der Grad der in seinem vorhabenden Stücke befindlichen Empfindung auch soviel Heftiges, Rüh­ rendes, Reizendes und Bewegliches erfodere oder nicht. Er will vor Süssigkeit vergehen. Allein wer immer und zu stark rühren will, der rühret gar nicht. Wie weit vernünftiger verfahren unsere deutsche Virtuosen in diesem Stücke? (i2) die Worte haben über den Sänger und seinen Vortrag mehr Gewalt als man glaubt, gesetzt^ daß

er auch noch so wenig an das, was er singt, gedenkt, wie hergebrachter Weife die meisten welschen Sänger



über vothergehendes Schreiben. 33 zu thun pflegen. Dey den Jnstrumentalsachen aber fällt dieser ariadnische Leitfaden weg, und die Spie­ ler verirren sich im Labyrinth eines ausschweifenden Vortrages rnehr oder weniger, nachdem sie viels Mamereu im Kopfe, in der Kehle und m der Faust haben, und nachdem sie weniger oder mehrFahigkeit besitzen, sich in den wahren Sinn des Stückes zu versetzen. Die französischen characterlsirten Stücke bewahren sehr davor, und es wäre zu wünschen, daß man es auch nicht allezeit in allen Sachen nach dem neuen Geschmack bey uns genung seyn liesse, weiter nichts als die Wörter Allegro, oder Adagio rc. über ein Stück zu setzen, ohne dem Spieler von der innern Beschaffenheit und dem Unterscheide dieses Adagio nä­ here Nachricht zu geben. Eine Musik (*) muß man eben so beurtheilen, als eine Echilderey. An dieser erblicke ich Züge und Farben, deren Sinn ich verste­ he; deren Sinn mir schmeichelt und mich rühret. Was würde man wohl von einem Mahler sagen, der es dabey bewenden liesse, daß er kühne Züge und un­ förmliche Klumpen von den lebhaftesten Farben auf die Leinewand würfe, ohne daß sie mit gewissen be­ kannten Gegenständen eine Aehnlichkeit hatten.,. Wenn ein gewisser witziger Kopf bey uns sich vor ei­ nigen Jahren über die Charakters in der französischen Musik etwas lustig machte: so hatte er wohl keinen andern Grund dazu, als daß er sich nur lustig ma­ chen wollte. Haben einige französische Torikünstler nicht allezeit den über ein Stück gesetzten Character nach allen Prädicamenten durchgeführet: So ist die Frage, ob ihn andere Tonkünstler unter ihnen und an­ derswo nicht glücklicher durchführen können. Ist es aber anbey nöthig, daß just alles, was nur zu die­ sem Character gehören kann, allezeit und bey aller GeleC) Herr Prof. Dattenx in der Einschränkung der schönen Künste rc. nach der Leipziger Ueberseyung.

I. Band.

C

34

n Anmerkungen

Gelegenheit erschöpfet werde? würbe man nicht in etwas Pedantisches verfallen; und kann man fer­ ner nicht em Stuck a potiorj, wenn es nur einige Aehnlichkeit mit der oder jener Sache hat, darnach benennen? Es ist besser etwas, als nichts» wahrzunehmen, und dieses Etwas kann ja in diesen Umstanden genug seyn, die Hand des Spielers zu leiten. Man si,ge mir nicht, daß viele Cyaracters in den französi­ schen Sachen fehr lächerlich sind, oder wenigstens so

scheinen. Sind denn alle Gegenstände der Nachah­ mung in der Natur gleich edel oder gleich erhaben? Wie viele sehenswürdige Stücke mußten hier aus den Schulen der Mahler deswegen ausgemusterl werden, weil sie »licht allezeit einen grossen Held, erne wichti­ ge Begebenheit, und dergleichen mehr vorstellen? Di« Veränderung der Gegenstände macht die sinnli­ chen Werkzeuge aufmerksam. Soll die Musik in diesem Stücke eingeschränkter seyn, als die übri­ gen Künste, sie, welche vielleicht mehrer Verände­ rungen als eine der übrigen Künste, fähig ist? Woher erhalten die Singsachen den Vortheil, daß sie mehr gefallen und rühren, als Spielstücke? in Wahr­ heit, so viele Gewalt die menschliche Stimme Über uns hat, so tragt vielleicht der Text, der In­ halt und die Verschiedenheit desselben das meiste zn diesem Beyfall« bey. Ich glaube nicht, daß dem Ohr durch blosse leere Klänge der menschlichen Stim­ me, die nicht mit Worten begleitet werden, wenn sie auch eine Astroa vorbrachte, alleine diese Genug­ thuung geschehen wird. Haben die Spielstücke nun tiefen Vortheil der Vocalmusik nicht, ist es da nicht unbillig, einen andern Vortheil, wodurch sie diesen Mangel einiger massen ersetzen können, aus­ drücklich von ihnen enftrnen zu wollen? Was kann daher anders als ein leeres harmonischmelodisches Gethöse öfters entstehen? Warum will man aber solches Gethöse nicht thätiger machen? Warum will man

über vorhergehendes Schreiben 35 man beut Zuhörer nicht Gelegenheit geben, vielmehr etwas als nichts bey diesem Gethöse zu gedenken? Es muß ja diesem mehr Vergnügen geben, dasjenige zu kennen, was man zur Beschäftigung seines Ver­ standes unternimmt, als havon im geringsten nicht unterrichtet zn seyn. Fehlet in der That derje­ nigen Spielmusik die Seele, die nichts vorstellet, die nichts bedeutet: warum will man derjenigen, die etwas verstellen und bedeuten soll, den Characker vorzusetzen, sich scheuen? Em Redner trögt allezeit Sorge, den Inhalt seiner Rede anzukündigen, und wenn einstens ein gewisser muntrer Kopf eine Rede von Nichts gehalten, so hat er auch dieses Vorhaben zuförderst angezeiget. Mich deucht, daß, so lange man nicht bey einem Jnstrumentalstücke denken will, so lange auch der Endzweck, wozu die Musik eingesetzet ist, nicht erreichet werden wird. Dem Zuhörer wird niemahls eine Art völliger Beru­ higung in seinem Gemüthe zurückebleiben. Lr gehet nach -Hause, und weiß nicht was er gehört hat. Der Spieler hat etwas vorgetragen, und weiß nicht was es gewesen. Em anderer Künstler kann mir allezeit sagen, was er gemachet, und ich weiß, was ich gesehen» Woher kommt die Verachtung so vie­ ler Gelehrten gegen die Musik? sehr öfters viel­ leicht daher, daß ihnen der Tonkünstler von dem, was er gemacht, keine Rebe oder Antwort geben kann. Der Gelehrte will denken. Er will nicht so maschinenmässig bey der Nase herumgeführet seyn. (13) Die Ursache ist aus der vorhergehenden An­ merkung (i2) klar. ?i4) Unter den vortreflichen französischen Operisten voriger Zeit sind insbesondere die drey Sängerin­ nen 1a Rochois, la Iournee und la Louvreur, und der Sänger Thevenard bekannt, so wie amtzo daselbsten insbesondere blühen: Ieliorte, ein Altist, C 2 dessen

36

H. Anmerkungen

dessen Action nichts der Schönheit seiner Stimme nachgiebet; die Madem. Fel, die so geschickt agirt, als in beyderley Sprachen, der französischen imb ita­ liänischen, mit Beyfalle singt (*); und Lhassee, ein tie­ fer Tenorist oder Barttonist, dessen Stimme zwar ein wenig altert; der aber durch feine einnehmende und reihende Vorstellung den Kennern noch immer Ver­ gnügen macht. Es hat aber auch den Jtaliänern nicht an theatralischen Personen gefehlet, die sich vor­ züglich unterschieden haben. Von einer chemahls'berühmtcn Sängerin Leonora wird berichtet, daß sie mit einer gefetzten Scyamhaftigkeit, großmüthigen Bescheidenheit, und angenehmen Ernsthaftigkeit ge­ sungen. Ihre Seufzer hatten nichts Lüsternes > ihre Blicke nichts Unverschämtes, sondern alle ihre Gebährden waren deutliche Merkmahle eines edlen Ge­ müths. Man kau davon nachschlagen den Difcours ■für la mufiqtie d* Italic in den Traites divers de l’hift. & d’eloqu. Paris. 8- 1672. Der Ritter Vlicolini, dessen auch mit Lob im englischen Zuschauer gedacht wird, Francesco Ber>rardi genannt Senesino, die Ronranina und andere haben sich nicht allein wegen ihrer vortreflichen Singart, sondern auch zugleich wegen ihrer redenden Gebährden Beyfall erworben, so wie einer Astroa, einem Caristini, Romani «nd porporini auf dem berlinischen Theater, dieses Lob besonders gebühret. (1.5) Hier siehet man nunmehr, daß der Herr Verfasser des Schreibens unter dem welschen Ge­ schmack den neuen deutschen Geschmack versteht. Wirb (*) Wir können nicht umhin, der Mad. Molreni, des Herrn Agrieola Gemahlinn, allhier zu gedenken, die mit gleicher Geschicklichkeit das Italiänische und Deutsche singet. Man erinnert sich noch mit Vergnügen der auf Veranlassung der hieselbst blühenden Musrkübenden Ge­ sellschaft in der Domkirchc, in deutscher Sprache, letzt­ hin ausgeführten vortreflichen PaßumSmufik des Herrn

über vorhergehendes Schreiben. 37 Wird dieser deutsche Geschmack aber, und zwar in theatralischen Sachen, weil hier davon die Rede ist, deswegen zu einem welschen Geschmacke werden, weil etwan die Worte italiänisch, und die Operisten Jtaliänersind? So viele Hochachtung ich für die Ein­ sichten des Herrn Verfassers hege, so werde ich hier niemahls seiner Meinung seyn, und vielleicht noch viele andere. Der jetzige Geschmack bey uns ist ja niemahls in Italien bekannt gewesen. Die Vorwurfe, die St. Eoremond und andere Franzosen, der wel­ schen Musik, und zwar zu einer Zeitigemachel haben, da sie es weniger als heutiges Tages verdiente, pas­ sen nicht auf den gelauterten Geschmack der Musikart bey uns. Wo haben diejenigen Franzosen, die sich über die alte welsche Tonkunst mit so vielem Unrecht öfters M'fgehalten, es müßten denn selbige niemahls von den geschickten Welschen damahliger Zeit etwas gehöret haben, den jetzigen guten Geschmack in Deutschland, den man mißbrauchsweise -inen ita­ liänischen nennet, jemahls erlebet? Man muß nicht Lander und Zeiten vermischen, und wer der heutigen Musik in Welschland über die heutige in Frankreich den Vorzug geben wollte, der müßte, meines Erach­ tens, original welsche Exempel dazu wählen, und diese nicht einmahl von solchen Jtaliqnern, die entweder schon einige Zeit in Deutschland gewesen, oder sich in Italien aus den Werken eines Graun, Hasse, Tele­ mann oder Handel den Geschmack schon gebildet ha­ ben. Die Frage ist nemlich, ob die Franzosen oder Italianer, nach unsern Begriffen von der Schönheit des Geschmackes, einen bessern Geschmack haben, und C 3 nicht,

Capellm. Graun, wo die Anmuth ihrer Stimme so sehr, als sonsten auf dem Theater, in welscher Sprache, be­ wundert worden ist; eine Erfahrung, die hiesiges Orts jureichte, die deutsche Sprache von dem Vorwurf der Unbicqsamkeit und Unbequemlichkeit zu einer guten Musik iu befreyen.

Z8

n. Anmerkungen

nicht, ob der in Berlin, Dresden, Gotha, Hanover, u. s. w anietzt herrschende Geschmack besser sey oder nicht, ak der französische. (16) Was hier der Herr Verfasser vorbringt, ist annoch bey vielen Sangern wahr, und pfleget dieser# wegen eine Oper öfters ein halbes Jahr vorher pro# hi« zu werden. Es ist aber auch wahr, daß eben diese Operisten, mit welchen es so langsam zugeht, zur gehörige:» Zeit ihre Rolle aufs vvrtreslrchste spie# len, und sich, nicht m einer Zeile dreymahl vo»r dem Emhelfer oder Zubiaser dürfen zurechte werfen lassen. Ich habe Niemahls Gelegenheit gehabt, diese Erfahrung zu machen. Das ist wahr, daß sich da­ selbst mcht em jeder ohne Unterscheid sogleich vors (Griffbrett setzt, oder sonst ein Instrument zur Beglei­ tung in die Hand nimmt, wen» er seiner Sache nicht gewiß ist. Viele Welschen sind in diesem Stücke küh­ ner. Es gilt ihnen gleich, was für Harmonien sie



über vorhergehendes Schreiben. 39 zu dem vorgelegten Basse greiffen; es mögen Quin­ ten oder Oktaven seyn; sie platzen mit der grösten Dreistigkeit zu, und trommeln und pancken, daß die Saiten springen. Die Franzosen verfahren in diesem Stücke in der That behutsamer. Sie gehen stufen­ weise. Sie wagen sich an nichts öffentlich, als was sie mit gutem Erfolge und Beyfall abzufpielen ver­ sichert sind. Es ist aber nicht Mode bey ihnen, daß man Weber accompagmret Ich habe etliche hundert singen gehöret, aber weder in Gesellschaft des Flügels noch der Flöte. Cantaten werden in den Concerten se.,r haussig und sehr fthön executiret, sowohl auf Seiten der Sängerinn, als der Begleiter. Daß die französischen Singsachen an andern Oertern der Welt nicht gut klingen, wundert mich gar nicht. So wie der Herr Verfasser gar sinnreich sagt, daß man ver­ schiedene italiänische Sachen gehöret haben muß, um Geschmack daran zu bekommen: so muß man ohne Zweifel auch verschiedene französische Sachen mit vollkommen französischer Art fingen und spielen ge­ höret haben, um sein Ohr daran zu gewöhnen. Ich habe zum wenigsten viele Mühe gehabt, etnen Gefal­ len daran zu bekommen. Es kömmt mir mit der französischen Musik vor wie mit gewissen Getränken, die, wenn sie verfahren werden, ihre Kraft und Wurkung verlieren. Es kommt zu vieles Wasser drunter. Daß es nicht übrigens so gut in Paris als zu Venedig, Rom und anderswo noch hin und wieder sehr schlechte Grundspieler und Begleiter geben solle, daran wird kein Mensch zweifeln. (19) Das ist wahr, zumahl wenn es eine schöne Dame ist, die singt. Die Franzosen sind höflich. Kann es aber nicht öfters kleine musikalische Stücke geben, die von besserm Geschmacke zeugen , als et« ganzes Werk? Der von den Franzosen so angöbetete Lull» wurde von einer kleinen Weyhnachtsode des la Lanvesso gerühret, daß er sagte: er wollte alle seine Opern darum geben, wenn er sie gemacht hätte. C 4 (20)

4o

ii. Anmerkungen

(20) Zu den Zeiten St. Evremonds ist es so ge> wesen. Aber in einem Lande, wo heutiges Tages Kinder von zwölf Jahren die schwersten Sachen vom Tartmi, Locatelli und Leclair spielen, werden ohne Zwe.fel erwachstne Personen seyn, die das Talent haben, in der Oper mitzuspielen. Emd die guten Opernspieler auch mit schwachem vermischt, so könnte inan wohl den Herrn Verfasser fragen, ob er em Or­ chester kennt, wo alle Spieler insgesamt Sterne der ersten Grösse sind. (21) Der Herr Verfasser schreibt so gründlich und vernünftig , daß man völlig seiner Meinung seyn muß. Sind zwey Meister, die in einem Geschmacke schreiben, von einander unterschieden, wie werden es nicht zwey Meister von verschiedenem Geschmacke seyn? Mau siehet, wie vieles hier auf die Exemtion ankömmt, und wie ein schlechter Musikus ein gutes Stück so sehr verhudeln, als ein guter Ausüber «in schlechtes erheben kann. Machen die Schwürigkeiten der Welschen vielen Franzosen zu schaffen: so wird das Einfaltige der französischen Musik den Welschen gleiche Muhe verursachen. Man muß ein Stück nicht allezeit nach dem Papiere beurtheilen. Es kann da gut aussehen, und sich doch schlecht aus­ nehmen , und im Gegentheil sehr mangelhaft aus­ sehen und doch gut klingen. Es hänget dieses von der wahren dem Stücke gemäßen Ausführung ab. Sollte aber ein französisches Stück, das in seiner Art einen vorzüglichen und unwidersprechlichen Grad der Vollkommenheit hatte, und von einem vortresslichen französischen Tonkünstler gespielet würde, einem Jtaliäner nicht so wohl gefallen können, als ein welsches und mit gleicher Geschicklichkeit von einem Welschen gespieltes Stück einem Franzosen gefallen könnte? Hieran ist wohl nrcht zu zweifeln. Die Re­ geln, die zur Vollkommenheit eines Dinges gehören, können in gewissen äusserlichen Umstanden, nicht, aber

über vorhergehendes Schreiben. 41 der innern Beschaffenheit nach, so sehr von einander unterschieden seyn, daß einer bas Stück und die Spielart des andern durchaus mißbilligen sollte, sie müßten denn beyde von einem lächerlichen Nationalhaffe erner gegen den andern eingenomuien seyn. (22) Der Herr Verfasser schreibt, wie sich die Sache vielleicht noch öfters verhalten fcni-

8VA LA MUSIQUE

FRAN^OISE. 6l

jenigen abhänget, denen er sie vorschläget, »nd die Franzosen sehen, wie er selbst, voraus, daß sie viele Personen bey ihrem alten Glauben las­ sen werden, und daß die Proben, die er machen will, wahrscheinlicher Weise auf eine dieser Na­ tion weniger unvortheilhafte Art ausfallen kön­ nen. Dieses hindert den Herrn Verfasser nicht, seinen Vorschlag für genugsam gegründet anzu­ sehen, und sich folglich verbunden zu halten, die Ursachen, die der italiänischen Musik diesen Vorzug zuwegebracht, untersuchen zu dürfen, als welcher die Franzosen eben so wohl Eyd und Pflicht leisten sollen, als es von Seiten der Deutschen, Engelländer und Spanier geschehen

ist.

An diesem Orte seines Werks zeiget Herr Rousseau ohne Zweifel auf gar besondre Art, alle Feinigkeiten der Kunst, wovon erhandelt, durchdmngen zu haben. Eine methodische Kette von Folgerungen, die aus einigen dem Ansehen nach einfältigen Beobachtungen geschickt herge­ leitet werden, zeuget, so zu sagen, einen frucht­ baren und einleuchtenden Grundsatz unter seiner Feder, den man mit Recht als den Grund und die Hauptstütze der ganzen Tonkunst betrachten kann. Damit eine Musik einnehmend werde, sagt unser Auctor, damit sie diejenigen Em­ pfindungen, die man in der Seele erregen will, dahin bringe: So müssen alle Theile das ihrige beytragen, den Ausdruck des Anhalts zu ver­

stärken. Die Harmonie muß zu weiter nichts dienen, als diesen, den Inhalt, nachdrücklicher



62 VI. Lett re

de

Mr. Rousseau

zu machen. Die Begleitung muß ihn verschö­ nern, ohne ihn zu verstecken oder zu verstellen. Der Baß nnrß durch einen gleichförmigen oder ßmpeln Gang denjenigen, welcher finget oder znhöret, einiger maßen leiten, ohne daß weder der eine noch der andere es merket; kurz, es soll das Ganze nichte als eine Melodie aufeinmahl dem Gehöre, und eine Idee dem Verstände zuführen. Die Einheit der Melodie, fol­ gert Herr Rousseau hieraus, ist also der Musik nicht weniger wesentlich, als die Einheit der -Handlung einer Tragödie, und alle Musik, die wider diese Emhert sündiget, kann nichts als eine lächerliche Zusammensetzung von Tönen ausmachen, die so zu sagen, nur von ungefähr verknüpfet siud. Wir müssen allhier hinzufugen, schreibt unser Auctor, daß die Wichtigkeit des Grundsahee der Einheit in der Melodie hin­ länglich ist, demjenigen, der zuerst das Glück gehabt, ihn zu entdeken, einen so ansehnlichen Rang unter den Scribenten, die von der Musik gehandelt haben, zu versichern, als Aristoteles mit so vielem Rechte seit mehr als seit zweytausend Jahren unter denjenigen behauptet, die von der Poesie geschrieben. Aber schreibet der Recensent, um just die Epoche dieser Erfindung zu bestimmen, müßte man die tiefste Untersuchung der Geschichte der alten und neuern Musik an* gestellet haben, und alles was wir in diesem Stücke für gewiß behaupten können, ist daß Herr Rousseau nicht der erste ist, der die Noth*

wen-

SUR LA MUSIQUE FRAN^OlSE. 6j

Wendigkeit und den Vortheil dieser Einheit em­ pfunden hat, und daß Herr Esteve im achten Capitel des zweyten Theils seines unter dem Titel: l’Esprit des beauxarts, im vorigen Jahre herauögegebnen Werkes etwas davon gesprochen hat. Wie aber die Vielfältigkeit der Gegen­ stände, die sich Esteve zu unoerfirchen vorgesehet, ihm nicht erlaubte, sich lange Zeit bey jeden besonders aufzuhalten, so fehlet sehr viel, daß man in seinem Werke so viele Entdeckungen von dem Grundsätze der Einheit der Melodie finden sollte, als in dem Schreiben des Herrn Rousseau, und muß man gestehen, daß unser Verfasser wegen des Umfanges der Folgerungen, die er hieraus zieht, und durch die Rechtmäßig­ keit der Anwendung, die er davon macht, zum wenigsten mit dem Erfinder, er sey wer er wolle, die Hochachtung und die Erkenntlich­ keit des Publici zu theilen, verdiene. (*) Er (*) Herr Rousseau scheinet sich hier zu frühzeitig gekrönet, und der Herr Recensent ihm zur Unzeit Recht gegeben zu haben. Die Einheit der Melodie, dieser Grundsatz, worauf der Verfasser so groß thut, ist ein Unding. Er spricht doch von Stücken, die harmonisch sind, und von keinen Monodien; von Stücken, darinnen die Stimmen nicht mit gleicher Verbindung arbeiten? Allerdings. Die in solchen Stücken herrschende Stimme, der die andrm alle nur zur Begleitung dienen, heißt die Hauprsnmme, und die darinen befindliche Melodie folglich die Aairprmelodie. Enthalten aber die übrigen Stim­ men

64 VLlLettre de Mr. Rousseau Er erklärt zuförderst, wie weit die Beglei­ tung sich von der singenden Partie entfernen könne, ohne die Vielfältigkeit der Melodie ein­ zufuhren. Er schläget in Ansehung dieser Ge­ genstände verschiedne Regeln vor, die uns sehr vernünftig geschienen

haben.

Diese Regeln,

wie Herr Rousseau sagt, werden heutiges Tages unveränderlich von allen guten Meistern Italiens in Acht genommen. Aber vor dem Corel-

men keine Melodien? Ebenfals. Sie ragen aber nicht hervor, indem sie sich nur auf die Hauptme­ lodie beziehen. Was soll denn nun die Einheit der Melodie für em Dmg seyn? In allen Stücken, sie seynd inlt gleicher oder ungleicher Verbindung aus­ gearbeitet , ftilden sich so viele verschiedne Melodien, als Stimmen da sind. Das was Herr Rousseau Einheit der Melodie nennet, ist langst bey uns, und auch vielleicht in Frankreich, aber unter einem an­ dern und zwar unter dem eigentlichen und rechtmäs­ sigen Nahmen der Hauptmelodie oder des Hauptge­ sanges bekannt gewesen. Hätte der Herr Verfasser das Ding mit dem Kunstworte Einheit benennen wollen: So hätte er es die Einheit des Ganzen, nicht aber auf eine gar widersprechende Art, die man ihm als einem so grossen Tonkunstverständi­ gen, der schon selbst eine Oper compomret hat, Nicht zu gute halten kann, die Einheit der Melodie nennen sollen. Dieses Worts der Einheit aber hat sich schon vor dem von dem Recensenten ange­ führten Esteve der Herr Profeß. Baneup in seiner Einschränkung der schönen Künste auf einen Grund­ satz bedienet, und da wird es auf den Inhalt eines Stückes angewendet. Man sehe in dem angeführ­ ten Tractar, das 4. Capitel im III. Abschnitt des dritten Theils.

SUR LA MUSIQUE FRAN^OISE. 6$ Corelli, füget er hinzu, waren sie so wenig be­ kannt , als in dem übrigen Theile von.Europa, und die italiänische Musik war damahls wenig besser als diejenige, die zu eben derselben Zeit

itt Frankreich Mode war. Nachdem der Auctor die Regeln umständlich erkläret, denen die Begleitung unterworfen seyn soll, um nicht die Einheit der Melodie zu unter­ brechen, so geht er weiter und zeiget die Be­ schaffenheit eines Duo. Diese Art der Composition scheinet zwar wider die Regel der Emheit eine Ausnahme zu machen, oder vielmehr diese Regel scheinet das Duo auf ewig aufzu­ heben. Herr Rousseau aber findet doch ein Mit­ tel, solches zu erhalten, ohne gleichwohl dem wichti­ gen Grundsatz, den er vestgestellet hat, zu nahe zu kommen (*). Eö ist leichte zu merken, daß viele Verschlagenheit dazu gehöret, eine si> schwere Vereinigung, als diese ist, glücklich ins

Werk zu richten, und viele Personen hätten sie vielleicht schlechterdings für unmöglich gehalten. Aber der Herr Verfasser läßt es bey der Eroberung de< Gesetzes der Einheit nicht mit diesem Gegen­ stände bewenden. Er dehnet solche bis auf die Harmonie aus, welche alle Welt ohne Zweifel auf einen schnurstracks entgegen gesetzten Grundsatz gebauet halten sollte. Eine gewisse Erfahrung, die

(*) Da hier keine Hauptmelodie statt findet: so siehet man wohl, daß Herr Rousseau die Ein­ heit deS Ganzen versteht. 1- Band. E

66 VI. Lettre de Mr. Rousseau, die ihm durch ein blosses Ungefehr vorgekomnren zu seyn scheinet, und davon nur ein Philosophie scher Tonkunstler die Ursache ergründen konnte, setzet »hn in den Stand, zu beweisen, Vast jede vollständige Begleitung wenig Auedruck haben muß, und daß eine vollständige Har­ monie weniger Wirkung thut, als erne unvollständige. Man darf von allem dem,

was unser Auctor sagt, kern Wort verlieren. Die speculativen Tonkünstler können ein grosses Licht, und die Auöüber der Kunst eine vortrefliche Lectioy hieraus ziehen. Uebrigens harre Herr Esteye in dem angeführten Werke schon etwas ähnliches hievon gesaget, aber nicht so ausführlich. Der Grundsatz der Einheit gehört unter die­ jenigen Waffen, deren sich der Herr .Rousseau am meisten wider die französische Mustk bedie­ net. Er glaubt, daß diese Einheit sehr schwer, und vielleicht in gewissen Fällen unmöglich dar­ innen zu beobachten ist. Zum wenigsten ver­ sichert er, daß sie bisher den Componisten dieste Landes gänzlich unbekannt gewesen ist. Er be­ hauptet so gar, daß die französische Musik sich hat vollkommener zu machen geschienen, je mehr sie sich in der That von der Einheit der Melodie entfernet hat. Der Rest des Schreibens des Herrn Rousseau handelt von der Natur der Arien und Recitati­ ven, und von ihrem Unterscheid. Auch dieser Theil ist so nterkwürdig als der vorhergehende. Er

SUR LA MÜSIQUE FRANQOISE. 6?

Ec beklaget sich daselbst mit Recht über die facher« liehe Benennung Arieccen, welche die Franzo­ sen den grölten und schönsten Stücken der italiaiuschen Musik geben. Er mutzet viele Un­ vollkommenheiten der grossen französischen Arien auf, die, seiner Meinung nach, nichts in Vergleichung der Fehler des französischen Re­ citatives sind, dessen Einrichtung gerade derje­ nigen, die Lully gemacht, entgegen semi sollte. Das Recitativ der Jtaliäner, dieses wunderliche Recitativ, woran der meiste Theil derjenigen Franzosen selbst keinen Geschmack hat, die doch am meisten die welschen Arietren oder grosse Arien bewundern, ist nach dem Urtheile des Heren Rousseau ein Meisterstück, welches die Stimmen aller-wahren Kenner zu vereinen verdrenet. Endlich, um der französischen Musik den letzten Stoß zu geben, so schließt derselbe seinen Brief mir einer Kritik über daö berühm­ te Selbstgespräch der Armide: Enfin il est en ma puiflance, welches allezeit als eines der voll­ kommensten Stücke betrachtet worden ist. Wenn man übrigens dieses Schreiben mit dem an den Herrn Marquis von B. zusammen hält: so siehet man daraus die verschiedne Den­ kungsart zwey zum Vortheile der welschen wider die französische Musik streitender Kunstrichter. Der eine erklärt diese letztere für nicht ausgearbeiket genung; er suchet die wohlklingenden Har­ monien der Welschen darinnen vergebens. Dem andern ist sie wieder zu harmonisch. Er will sie

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VII.

Sei

sonate

&c.

einfacher haben. Wem sollen es nun die Fran­ zosen zu Danke machen? Grammatici certant, & adhuc fub iudice lis eft.

VII.

Sei Sonate da flauto traverfo e Basso continuo, con un discorlö sopra la maniera di sonar il flauto traverfo. Compofte da Gioacchino Moldenit, No­ bile Danese, da Glückstadt, Dilettante. In Hamburgo. Alle Speie dell’ autore. das ist: Sechs Sonaten für die deutsche Flöte und den Generalbaß, nebst einer Ab­ handlung über die Art, dieses Instrument zu spielen; verfertigt von Joachim von Moldenit, aus Glückstadt im Dänischen, einem Liebhaber. Auf Kosten des Aucto­ ris zu Hamburg, (in fol. 24 Seiten ohne die Abhandlung. Sind im vorigen Jahre 1753 herausgekommen.)

den bisherigen Grundsätzen erstreckte sich der Umfang der Quer- oder deutschen Flö­ te von dem eingestrichnen d bis in das dreygestrichne a. Der Herr von Moldenit, ein tief nachdenkender Liebhaber, behauptet, ein Mittel gefunden zu haben, selbigen sowohl in Ansehung der Höhe als der Tiefe eine Quarte weiter auszu­ dehnen , eine mächtige Erweiterung dieses In­ strumente, die vielen, besonders in Ansehung der

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VII.

Sei

sonate

&c.

einfacher haben. Wem sollen es nun die Fran­ zosen zu Danke machen? Grammatici certant, & adhuc fub iudice lis eft.

VII.

Sei Sonate da flauto traverfo e Basso continuo, con un discorlö sopra la maniera di sonar il flauto traverfo. Compofte da Gioacchino Moldenit, No­ bile Danese, da Glückstadt, Dilettante. In Hamburgo. Alle Speie dell’ autore. das ist: Sechs Sonaten für die deutsche Flöte und den Generalbaß, nebst einer Ab­ handlung über die Art, dieses Instrument zu spielen; verfertigt von Joachim von Moldenit, aus Glückstadt im Dänischen, einem Liebhaber. Auf Kosten des Aucto­ ris zu Hamburg, (in fol. 24 Seiten ohne die Abhandlung. Sind im vorigen Jahre 1753 herausgekommen.)

den bisherigen Grundsätzen erstreckte sich der Umfang der Quer- oder deutschen Flö­ te von dem eingestrichnen d bis in das dreygestrichne a. Der Herr von Moldenit, ein tief nachdenkender Liebhaber, behauptet, ein Mittel gefunden zu haben, selbigen sowohl in Ansehung der Höhe als der Tiefe eine Quarte weiter auszu­ dehnen , eine mächtige Erweiterung dieses In­ strumente, die vielen, besonders in Ansehung der

da

Molde NIT.

69

der Tiefe, unausüblich vorkommen würde, wenn der Herr Erfinder es bey blossen Vernünfteleyen über die aus dem Gebrauche der Lippen von ihm hergcleitete Möglichkeit derselben hätte bewenden lassen. Da er aber alle seine Sonaten darnach eingerichtet, undsso gut ins viergestrichene d hinauf als ine kleine a herunter componiret hat: so scheinet er über die Sache an sich keinen Zwei­ fel mehr übrig zu lassen, wenn er auch den ei­ gentlichen besondern Kunstgriff annoch verschwie­ gen , welches vielleicht nur deswegen geschehen, um die Ehre der Erfindung desto sicherer be­ haupten zu können. Es ist nemlich aus einer alten Erfahrung bekannt, wie eö mit gewissen neuen Entdeckungen öfters zu gehen pfleget. Es giebet immer Leute, die die Sache schon so gut als der Urheber, vorher gewust haben sollen. Man will allezeit dem eigentlichen Erfinder den Preiß streitig machen, ein Umstand, den dre phan­ tastische Eigenliebe derjenigen, die in allem Mei­ ster seyn wollen, sich wohl zu Nutze zu machen weiß; und in der That träget eö sich nicht selten zu, daß dem wahren Urheber die Palmen ent­ zogen werden. Sic t>o$ non vobis £5”c. Der Herr von Moldenit besitzet die Kunst, klüglich an sich zu halten. Er will, daß ein jeder so viele Mühe, als er selbst gethan, sich geben soll, hin­ ter das Geheimniß zu kommen, und zeiget er den Weg, den er gegangen, nur von »beiten. Er fodert die bravesten Flötenspieler der Zeit zu ei­ nem Wettstreite auf, und wird er also vermuthE 3 lich

70 Sei Sonate &c.

da

Moldenit.

lich nicht eher mit einer nähern Nachricht und Beschreibung ferner wichtigen Erstndung, von welcher in der That eine ganz neue Epoche der Flöte sich anhebet, herausrücken, bevor die Welt überzeuget ist, daß nur er den Schlüssel dazu harte. Wir verweisen den neubeglerrgen Leser auf das Werk selbst, und insbesondere auf die demselben vorgedruckte Abhandlung, welche al­ lerhand kritische Anmerkungen enthalt, die ei­ nem Flötenspieler allerdings nützlich und ange­ nehm seyn müssen. Es wird darinnen verschie­ denes wider die sogenanyre Doppelzunge, und das did'll, worauf sich solche gründet, erinnert, eine Erfahrung, die der Meinung des berühmten Verfassers des Versuchs über die Flöte entge­ gen zu lausten scheinet. Die Zeit wird lehren, mit was für überwiegenden Gründen der eine feine Beobachtungen wider den andern bevesiigen, und wie dieser Streitpunct, worüber man zur Zeit, wie ich höre, einen freundschaftlichen Briefwechsel führet, beygeleget werden wird. Die Liebhaber des Instruments können an der Erörterung desselben nicht anders als mit Ver­ gnügen Antheil nehmen, und sich unstreitig befolldere Vortheile daraus versprechen.

VIII.

Nachricht von neuen Büchern. i.HBon der Feder des Herrn Wilhelm Friede­ bö mann Bach, Musikdirektors und L^rqan.

zu Halle, wird man mit nächstem ein Werk vom

70 Sei Sonate &c.

da

Moldenit.

lich nicht eher mit einer nähern Nachricht und Beschreibung ferner wichtigen Erstndung, von welcher in der That eine ganz neue Epoche der Flöte sich anhebet, herausrücken, bevor die Welt überzeuget ist, daß nur er den Schlüssel dazu harte. Wir verweisen den neubeglerrgen Leser auf das Werk selbst, und insbesondere auf die demselben vorgedruckte Abhandlung, welche al­ lerhand kritische Anmerkungen enthalt, die ei­ nem Flötenspieler allerdings nützlich und ange­ nehm seyn müssen. Es wird darinnen verschie­ denes wider die sogenanyre Doppelzunge, und das did'll, worauf sich solche gründet, erinnert, eine Erfahrung, die der Meinung des berühmten Verfassers des Versuchs über die Flöte entge­ gen zu lausten scheinet. Die Zeit wird lehren, mit was für überwiegenden Gründen der eine feine Beobachtungen wider den andern bevesiigen, und wie dieser Streitpunct, worüber man zur Zeit, wie ich höre, einen freundschaftlichen Briefwechsel führet, beygeleget werden wird. Die Liebhaber des Instruments können an der Erörterung desselben nicht anders als mit Ver­ gnügen Antheil nehmen, und sich unstreitig befolldere Vortheile daraus versprechen.

VIII.

Nachricht von neuen Büchern. i.HBon der Feder des Herrn Wilhelm Friede­ bö mann Bach, Musikdirektors und L^rqan.

zu Halle, wird man mit nächstem ein Werk vom

viii. Nachricht von neuen Büchern. 71 harmonischen Dreyklange erhalten. Die tie­ fen Einsichten dieses gründlichen Tonkunstver­ ständigen lassen nichts als etwas vortrefliches hoffen. 2. 2lbhandlung von der Fuge, nach den Grundsätzen und Erempeln der besten deutschen und ausländischen Meister rc. nebst 62 Kupfer­ tafeln von Friedr. Wrlh. Marpurtz. 1753. in 4. Berlin, aus der Haude- und Spenerischen Buchhandlung. Eö wird darinnen gehandelt (!) Von den verschiedenen Gattungen der Nach­ ahmung und der Fuge überhaupt. (2) Von der Beschaffenheit eines Fngensatzes oder von dem Führer. (z)Von der Einrichtung des Gefährten, mit waefür einem Intervalle auch solcher an­ fange oder schliesse. (4) Vom Widerschlage und dem Verfolge eines FugensatzeS. (s-Von Der Tonwechs.'lung oder der Modulation. (6) Von den Tonschlussen oder Cadcnzen. (7) Von der Gegenharmonie. 's) Von der Awifchenharmonie. (y) Vom Contrapunct überhaupt. (10) Vom doppelten Contrapunct, und zwar von dem­ selben in der Octave, None, Decime, Undecime, Duodecime, Decima Tertia und Decima O.uarta. Die geneigte Aiffnahme dieser Abhandlung hat in dem itzlgen Jahre die Fortsetzung derselben unter dem Titel des zweyter!Theiles der Ab­ handlung von der Fuge veranlasset, nebst 60 Kupfertafeln und einem vollständigen Register über bende Theile, in eben demjenigen Format und aus eben derselben Handlung. Hierinnen E 4 wird

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viii. Nachricht

wird alles, was annoch in der Abhandlung fehl­ te, nachgchohlet, und damit die Lehre von der Fuge geschlossen. Man handelt darinnen (i) von dem dreydoppelten Contrapunct. (2) Vom vierdoppelten Contrapunct. (3) Vom doppelt­ verkehrten Contrapunct. (4) Vom rückgängi­ gen Contrapunct. f) Von der Versetzung ei­ ner Composition in verschiedne Bewegungen NNd derselben Auflösung in verschiedne Contrapuncte. (6) Vom Canon nach allen seinen nur möglichen Arten und Gattungen. (7) Von der Singfuge und dem Singcanon. Es wird mir, ohne Ruhmräthigkeit, so viel von meiner Arbeit zu sagen erlaubt seyn, r) daß man in keiner Sprache ein Buch aufzuweisen hak, wo man alle diese Materien, wie hier, zusammen ausgefuhrek antrift; 2) daß man verschiedne Artikel noch nirgends, weder in gedruckten noch geschriebenen Unterrichten abgehandelt findet, und daß die Grundsätze davon allhier zuerst in einem deut­ lichen und ordentlichen Zusammenhänge der Welt vorgeleget werden. Das Vorgeben eines ge­ wissen sonst nicht ungeschickten Tonkünstlere wird vermuthlich hiedurch völlig widerlegt seyn: daß man von der Fuge kerne gewisse bestimmte Regeln geben könne; als wenn es dabey auf ein blosses Ungefähr, auf ein Gerathewohl an­ käme, ein Umstand, der sich vielleicht auf ge­ wisse andere musikalische Compositionen mit meh« rerm Rechte anwenden liesse.

3. Die

von neuen Büchern.

73

3. Die Gelehrten in Frankreich, die sich zu allen Zeiten nm die Musik verdient gemachet, fahren noch beständig fort, ihre Feder zum Dien­ ste derselben zu widmen. Folgendes Werk ist ein neuer Beweis davon: Siede Ijtteraire de

Louis XI-7, ou lettres für les hommes celebres. Premiere partie. ä Paris chez Duchesne. 1753. Der Verfasser, der die Absicht hat, die Beschaf­ fenheit der Wissenschaften und Künste unter der ihigen Regierung der Welt darzulegen, beschäf­ tiget sich in diesem ersten Theile mit nichts als der Musik und den dahin gehörigen Dingen. Es besteht solcher in acht Briefen, und zwar han­ delt der erste von der Musik und ihren Würkungen; der zweyte von der Oper; der dritte von dem Herrn Rameau; der vierte von der Vocalmusik in der Kirche und Kammer; der fünfte von dem Clavier, der Orgel und den vornehmsten heutigen Meistern auf diesen In­ strumenten ; der sechste von der Geige und an­ dern Instrumenten; der siebente vom Singen und Tanzen; der achte enthält einige ausge­ lassene Begebenheiten und Tonkünstler. Wir werden diese Schrift, die den Liebhabern der Geschichte und Kritik allezeit angenehm seyn muß, wenn sie auch nicht mit den Merkmahlen einer steifen Gelehrsamkeit bis zum Eckel angefüllet ist, sondern vielmehr nach artigem Wiße schmecket, mit ehesten näher zu betrachten, Ge­ legenheit haben, in so weit sie nemlich die Musik betriff, und sich also für diese Blätter schicket. E 5 4« Bey

74 vm. Nachricht von neuen Büchern. 4. Bey einer so grossen Menge von practi(cbeii Sache», die alle Jahr zur Presse beför­ dert werden, ist es zu verwundern, daß man noch io wenig gute Fugen von verschiedener Art und Ausarbeitung in einem Bande aufzuwei­

sen hat.

Die Fugen werden meistens alle un­ ter andere Stücke versteckt, und in Partitur ste­ het man die wenigsten. Bey keiner aber stnhet man eine kurze Analystn über die Art der Ausarbeitung, und wie vielen würde doch mit solcher Erklärung gedrenet seyn? Das Verlan­ gen verschiedner Liebhaber hat mist) schlüßig ge­ macht, diesem Mangel, so viel an mir ist, abzyhelfen. Unter einem ziemlichen Vorrathe von Fugen, die ich von den besten deutschen, eng­ lischen , französischen und welschen mustkalifchen Sehern alter und neuer Zeit besitze, uiid wovon vielleicht dre meisten nur zeikhero in Handschrif­ ten kund geworden , werde ich eine gute Anzahl aussuchen, und solche in einer ordentlichen Par­ titur, und mit beygefngten Anmerkungen gegen

die künftige Leipziger Mrchaeiismesse, vermit­ telst eines saubern Stiches und auf gutem Pa­ piere der Welt gemein machen. Es sollen in dieser Sammlung zwey- drey- vier- fünf- sechs­ sieben- und achtstiimmge Fugen, einfache und vielfache, Srng - und Jnstrumentalfugen :c. zum Vorschein kommen. DeS theuren Verla­ ges wegen wird darauf ein Thlr. sechzehn Gro­ schen Vorschuß, doch nicht langer als brs Jo­ hannis dieses Jahres 1754. angenommen, nach­ her»

ix. Nachr.v. d. gegenwärt. Zttst. rc. 75 hero aber das Werk nicht unter drey Rchlr. acht Groschen verlassen werden. Der Vorschuß kann entweder gerade an Mich, tu der Behausung des Herrn Hofkkcmpners Hübner, oder an die Fran Verlegerin» dieser Monathsschrifc, oder an die Hande - und Spenerische Buchhandlung hieselbst eingesandt werden. Berlin den 6. April 1754. Marpnrg.

IX.

Nachricht von dem gegenwärtigen Zustande der Oper unö Musik des Königs. sind nunmehr zwölf Jahre, als vonSr. -

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Historisch - Kritische

Beyträge zur

Aufnahme der Musik von Friedrich Wilhelm Marpurg.

I. Band. Zweytes Stück,

Berlin, in Verlag Ioh. Jacob Schützens sel. Wittwe, 17 5 4.

Inhalt des zweyten Stückes I. Schreiben an den Verfasser. II. Thusnelde, em Singspiel vom Herrn Capellmeir ster Scheibe, reeensirt von dem.Herrn Derfassfr -er niusihalischen Poesie.

III. Matthesonii plus vltra.

IV. Neue Dächer. V. Lebensläuffe.

VI. Die Capelle Sr. König!. Hoheit, des Prinzen und Marggrafen Carl, in ihrem gegenwärti­ gen Zustande. VIL Schreiben aus Paris über den Streit dastlbst zwischen den französischen und welschen Ton­ künstlern.

VIII. Musikalische Neuigkeiten aus Berlin.

IX.

Prinzens Historie der Tonkunst.

X. Scherzlied vom Herrn Grieß, componirt von dem König!. Kammermufikns, Herrn Nichelmayn.

In dem i.^Stücke dieser Beyträge Pag. n. No. 34. ist ein geggrapyisther Irthum begangen, und die Stadt Treuenbrreften, aus Uebereilung an tue Oder verleget worden. Man beliebe also die drey Wörter: ander Oder auHustreichen.

t.

Schrei-

1

Schreiben an den Verfasser.

Mein Here! es ihnen nicht beschwerlich, diesen Brief in ihre Monakheschrift mit einzmütken, um vermittelst dessen die Herren Organisten zu B - • und vielleicht auch anderwärts um etwas zu Litten, dessen Gewährung beN christlichen Ge­ meinden sehr nützlich seyn wird, welche sie mit ihren Orgeln bey den Kuchengesängen ini Ton erhalten sollen? Als ich lezkhin Nach der Kirche gieng, und mich derselben von der Seite der Orgel näherte, hörte ich att bett Tönen der letz­ ten, daß das: He^r &ott, dich loben wie, ge­ sungen ward. Kaum aber war ich in die Halle hinein getreten, als ich vernahm, daß die Ge­ meinde aus einem ganz andern Tone fang, als l.Band. G mir

9o

i. Schreiben an den Verfasser.

mir vorgekommen war, daß der Organist spielte. Ich begrif nicht gleich, woher dieser Unterschied kam. Endlich aber merkte ich, daß der Orga­ nist immer wechselöwetse bey zwey Zeilen des Gesanges seine Orgel mitgehen ließ, und bey zwey andern Zeilen damit stille schwieg. Wie wahrend solchem Stillschweigen die Gemeinde immer sehr herunter zog, so geschahe es folg­ lich , daß die in der Halle stehenden Personen niemals mit der Orgel einsiimmten. Gesetzt, daß diese zuweilen den Ton der Genreinde etwas wieder in die Höhe zog , so blieb eö doch nicht lange dabey. Die Halle fiel- allezeit wird« her­ unter, und sang also beständig einen Ton tiefer als die Orgel spielte. Ich erkundigte mich nach -er Ursache dieses so viele Unordnung anrrchtenden Stillschweigens der Orgel, vernahm aber, daß es von je an so eingeführet wäre. Nun giebt es zwar Gewohn­ heiten bey unserm öffentlichen Gottesdienste, die theils durch das Alterthum, theils durch andre Ursachen geschähet werden. So muß z. E. an einem gewissen Orte ein Prediger alle Freytage eine Skiftungspredigt thun, wofür er besonders bezahlt wird, und nach deren Endigung die Worte: Finsterniß bedecket das Erdreich re. nach einer gar erbärmlichen Melodie abgesun­ gen werden müßen. Der Prediger erkühnte sich einmahl, diese Worte nicht mehr absingen zu lassen. Weil er aber nach einer andern Gewohnheit kurz darauf eine gewisse Büchse in

der

l. Schreiben an den Verfasste.

91

tw Stadt herum schickte, so hakte er das Misvergnügen, daß ihm eine ehrliche reiche Ma­ krone, die sonst allezeit etliche Ducaten hinein zu stecken pflegte, die unangenehmen Worte sagen ließ: daß sie ihm nichts mehr in die Büchse geben wurde, werl er nicht mehr: Finsterniß rc. fingen liesse. Wollte nun der Prediger, einer andern Gewohnheit zu Folge, di« ihres damit verknüpften Vortheils wegen nicht anders alheilig seyn kann, seinen Nachfolgern nichts ver­ geben , so mußte derselbe wieder Finsterniß sin­ gen lassen. Eben so ist am Ostertage, wahren­ der Vormikkagspredlgk, in einer gewissen Kirche, der eine Kronleuchter mit brennenden Wachs­ lichtern besteckt« Dies« Erleuchtung des Tages möchte wohl manchem überflüßig scheinen; aber, wenn man ße abschüffen wollte, so würden auch die Wachslichter, die gewiß ein Geschenk

sind, wegbleiben, und dies« Wachslichter bren­ nen nicht ganz ab; und vielleicht giebt es über­ haupt mehr als eine Stadt in der Welt, wo die Präbenden verschiedener Kirchenbedienten sehr Mager sind, und der meiste Theil von dem, dasie noch haben, fliesset ihnen von gewissen An­ ordnungen zu, deren Beobachtung oft sonder­ bar« Dinge mit sich führet« In solchen Um­ ständen ist den Kirchenbedienten nicht zuzumuthen, solchen Anordnungen nicht nachzukommen und Hungers zu sterben« Aber die Organisten, die immer ein Paar Zeilen oder einen Vers spielen, und alsdenn

G 3

«den

92

l

Schreiben an den Verfasser,

eben so lange wieder stille schweigen, werdet» doch dafür, daß sie nicht spielen, nid)t bezahlt. Die Orgel soll ja dazu dienen, daß die Gemeinde beständig im Tone erhalten werde. In der That höret es sich einer ganz ohne Orgel singen­

den Kirchenversammlung, die unvermerkt und nach und nach immer herunter zieht, noch besser zu, als derjenigen, die in einem Verse d«c Stimme einen ganzen Ton heruntersinken, und in dem andern von der Orgel um ein wenig, und nicht einmahl ganz,, wieder in die Höhe ziehm laßt. Zwar dürfte diese Gewohnheit denHerren Organisten im Wim« dazu dienlich seyn, daß sie sich allezeit zwischen den Versen die Hände wär­ men könnten. Aber welcher Organist hat nichi einen Sohn, Schüler oder guten Freund, mit dem er bey großer Kalte wechselsweise spielen könne? Haben sie also die Gutheit, mein Herr, durch Gemeinmachung dieses Briefes dir Herren Or­ ganisten in meinem Nahmen zu bitten r daß sie einmahl jemanden, nach der besagten Gewohnheit, spielen lassen, und sich die Mühe geben möchten, während d« Gesänge, in den Hallen und andern von der Orgel etwas entfernten Oertern derKirche, herumzugehen; ich wette, daß sie sich die abscheulichen Mißiaute solchergestalt werden zu Herzen gehen lassen, daß sie, wo nicht aus schul­ diger Liebe zur Ordnung im Gottesdienste, doch aus Verdruß und musikalischen Unwillen, künf­ tighin alle und jede Verse der Lieder ohne Unter­ brechung mitspielen werden.

Ich

i. Schreiben an den Verfasser.

93

Ich habe übrigens gefaget, daß vielleicht auch anderwärts die Gewährung meiner Bitte Nuhen haben würbe. Es giebt Oerter, wo die bemeldte Gewohnheit nicht ist, und, wo sie auch ist, da kann ich mir doch nicht allenthalben von den Organisten die Gewährung meiner Bitte versprechen; denn es werden sich einige dieser Herren, sonderlich an Oertern, "wo keine Capel­ len sind, und wo sie folglich als die trefllchsten Virtuosen in der Stadt und im Lande figuriren, nicht wollen nachsagen lassen, daß sie sich in irgend einer Sache von einem Layenbruder hät­ ten zurechte weisen lassen. Ich bin rc. re. II.

Thusnelde, ein Singspiel, in vier Auszügen. Mit einem Vorbericht von der Möglichkeit und Beschaffenheit guter Singspiele begleitet von Johann Adolph Scheiben, Königl. Dänischen Capellmeister. Leipzig, verl. Gab. Christ. Rothe, Buchhändler in Coppenhagen. 1749-

i Dieser Artikel ist von den: Hrn. Verfasser der musikalischen Poesie eingeschicket.) Mlln dem Vorberichte werden die Ursachen angeJw* geben, warum man bisher noch in den mei­ sten französischen Opern nicht sehr auf das ReG z gei-

i. Schreiben an den Verfasser.

93

Ich habe übrigens gefaget, daß vielleicht auch anderwärts die Gewährung meiner Bitte Nuhen haben würbe. Es giebt Oerter, wo die bemeldte Gewohnheit nicht ist, und, wo sie auch ist, da kann ich mir doch nicht allenthalben von den Organisten die Gewährung meiner Bitte versprechen; denn es werden sich einige dieser Herren, sonderlich an Oertern, "wo keine Capel­ len sind, und wo sie folglich als die trefllchsten Virtuosen in der Stadt und im Lande figuriren, nicht wollen nachsagen lassen, daß sie sich in irgend einer Sache von einem Layenbruder hät­ ten zurechte weisen lassen. Ich bin rc. re. II.

Thusnelde, ein Singspiel, in vier Auszügen. Mit einem Vorbericht von der Möglichkeit und Beschaffenheit guter Singspiele begleitet von Johann Adolph Scheiben, Königl. Dänischen Capellmeister. Leipzig, verl. Gab. Christ. Rothe, Buchhändler in Coppenhagen. 1749-

i Dieser Artikel ist von den: Hrn. Verfasser der musikalischen Poesie eingeschicket.) Mlln dem Vorberichte werden die Ursachen angeJw* geben, warum man bisher noch in den mei­ sten französischen Opern nicht sehr auf das ReG z gei-

94 U. Thusnelöe vom Hrn. Scheiben, gelmaßige der Schaubühne gesehen hat, und Voltaire Oper, Snnson, wird durchgegangen, glue dem, was zur Beantwortung des Vorwur­ fes dienet, daß die deutschen Tonkünstler kerne französische Arien sollten in die Musrk sehen köniten, wird geschlossen, daß mit der Zeit noch einerley Geschmack in der Musik von allen Na­ tionen angenommen werden, und kein anderer Unterscheid übrig bleiben dürfte, als her aus der Verschiedenheit der Sprachen entstehet. Der Herr Capellmeistex sagt, dieJtaliäner hatten die Opern, mrk ganz andern Augen betrachtet, als die französischen und deutschen Kunstrichter gröstentheils gethan haben, Metastasio wird unter andern deswegen gelobt, daß er in seinen Sing­ spielen auf der« moralischen Endzweck derselben srehet. Vom Muratori heißt ee, ex habe nicht sh wohl gegen die Oper selbst, als vielmehr nur wider ihre Fehler geschrieben, Der Herr Ver­ fasser setzt als eine nothwendige Bedingung vor­ aus, daß man sich bey der Oper eine solche West vorstellen müsse, worinn alles in Versen abgesungen wird. Dieß sey eben dasjenige, was die Oper von andern Schauspielen unterscheidet. Der Gesang sey aber eine ganz natürliche Art, unsere Affecten nachjuahmen. Hierauf formirek der Herr Capellmeister folgende Frage, als wor­ auf es bey diesem Streit eigentlich ankomme: Ob nämlich ein Dichter ein solches theatralisches Stück zu machen unfähig sey, welches man eine Oper nennet, das qber nebst der Nothwendigkeit,

n. Thusnelde vom Hrn. Scheiden. 95 daß es in Musik gesetzt und abgesungen werden könne, alle Eigenschaften eines guten Schausprelee, es sey nun . ein Lust- oder Trauerspiel, nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit und «ach einer strengen Critrk beweiset. Herr Scheibe zeiget, daß die Einrichtung derVersL in Arrcu und Recitative weder dem Wesen noch der Wirkung eines guten Schauspiels zuwieder ist; es könne damit auch die Veränderung der Schaubühne und die Pracht derselben bestehen, dasern man nur in Ansehung der Einheit des Ortes nicht übertrieben strenge seyn wolle. Er bittet, die guten deutschen Dichter möchten dem Verfasser des Orakels folgen, und gute Opern machen, damit auch zu deutschen Worten der gute Geschmack in der musikalischen Setzkunst ausgebreitet werde. Was die Oper Thusnelde betrift, so macht den Knoten derselben ein erdichteter, aber nicht unwahrscheinlicher Umstand, daß namstch dre alten Deutschen durch ein Gesetz verhindert wor­ den, sich mit Kindern solcher Personen, die Verräther des Vaterlandes waren, zu verheyrathen. Segest em Fürst der Cherusker, und heimlicher Freund der Römer, hatte zwar seinen Sohn Sigismund schon mit Ismenen, Herr­ manns Schwester versprochen. Allein unter dem Vonpand, daß er wäre geraubet worden. Übergab er ihn doch den Römern, welche ihn zum Priester in einem dem August zu Eh­ ren erbaueten Tempel machten. Die DeutG 4 scheu

96 ir. Thusnelde vowHrn.Scheiben. schen wollten sich zu der Zeit dem römischen Jo? che entziehen, versammleten in der Ststle ihre Knegsheexe und mehlten Herrmannen zum Feldherrn. Diesem versprach auch Segeft aus Verstellung seine Tochter Thusnelde; doch sollte tzie Permahlung erst den Tag nach der Schlacht seyn, west Seyest glaubte, Herrmann würde harinn umkommen, Er verrieth deshalb alle Entschliessungen der Deutschen dem Varus, dem römischen Feldherrn, und grenz in der Schlacht gar zu den Römern über. Herrmann aber und hie Deutschen siegten doch, besonders, da ihnen Sigismund, der zuzleicher Zeit au- dem Augustuetempel entflohen war, durch seine Tapferkeit, ob gleich wegen seiner römischen Kleidung uner­ kannt, großen Beystand leistete, Segests Un­ treue verhinderte nunmehr die Vermählung Herrmanns mit Thusnelden, und Ismenens mit Sigismunden; und dieser Umstand macht hen eigentlichen Inhalt des Schauspiels, da? fich des Morgens nach her Schlacht anfangs, Wir wollen es durchgehen, mit Anmerkungen Hegletten, zu mehrer»»» Verständniß unserer Ge­ danken den ganzen erste»» Auszug hier einschalter»; das übrige aber den» Leser uachzusehen über­ lassen, weil dieses Singspiel so wohl wegen seines eigenen Werthes als wegen des wohlgeschriebneir Vorberichtes verdienet, Paß jeher Liebhaber der Musik es sich auschaffe. Die Begebenheit fangt sich des Morgens oit gleich nach der Schlacht, in welcher die Römer unter de»n Quintilius Va­

rus

ii. ThuSneldevomHrn. Scheiben, 97 rus von den Deutschen gänzlich geschlagen wo« ren. Sie geschiehet auf der Wahlstatt, auf dem Teutphorgischen Forste, und dauret aufs höchste fünf bis sechs Stunden. Die Schau­ bühne stellet ohne weitere Veränderung eine werte Ebene vor, auf welcher die Merkmale einer großen Schlacht, nämlich todte Eorper a) und Waffen der Römer und der Deutschen zu sehen srnd. An der einen Seite zeiget sich ein großer Wald, welcher auch -en Pcospeck arrsmachet; auf der andern Seite siehet man noch einen Theil des eroberten römischen Lagers. Die Personen des Schauspiels sind Thusnelde, b) Ismen?, Herrmann, Sigismund, Ge? G s gest, a) Wer sich an die angenehm prächtigen Auszierungen der Opernbühne zu stark gewöhnet hat, dem dürften die todten Cörper nicht Vergnügen ge­ nug machen. b) Obgleich derComponist auch die Verwickelung und Auflösung eines Singspiels deutlich ecnsehen, und das Sejnige gleichfalls beytragen muß, damit in dieser Absicht alles natürlich werde, so wollen wir hier davon doch nichts erwehnen, sondern nur von den in dieser Oper vorkommenden Charactern etwas anführen, deren Unterscheid der Componist nicht minder als der Dichter zu beobachten hat, und zwar sowohl in Recitativen als in Arien. Es wird zwar diese Feinigkeit m den Empfindungen und im Ausdruck manchem Musikliebhaber fremd vorkom­ men , und noch weniger hat man bisher Regeln da­ von gegeben. Die Sache ist aber doch gegründet und möglich. Herr Graim hat ausser dieser Beobachtung

de?

98 n. ThuSnelde vomHm. Scheiben. gest, Marbod, Herrmanns Freund, Adel, heic, Oberpriesterin der Göttin Hertha. Chö­ re brr verschiedenen Characters, sogar in versthredenen Opern eine verschiedene Denkungsart angenommen. Die galanten Feste, das galante Europa, Iphigenia, und Angelika unterscheiden sich ungemein von einander. In der ersten von tiefen Opern ist alles munter, artig, leicht. In der andern sind die Melo­ dien fchyn ausgesilchter; und eine noch grössere, feine Wollust redet aus allen Gängen. Jphigenia ist durch­ gängig stark rührend, und mehr für das Herz als für die Einbildungskraft. In Angelika ist alles neu, wunderbar, feyisth, wie es die Materie des Singe­ spiels mit sich bringt. In unserer Oper hat Thus, neide zwar ein sehr empfindliches Herz ; sie zeigt aber doch allemal einen noch erhabenem Geist. Ismen« überlaßt sich mehr ^n» Rührungen, hat aber eine nicht so grosse Seele. Beyde könnten durch Diskante vorgestellet werden; die Prieliermu Adelheit aber durch eine Altstimme. Müssen die Töne Thusneldens so klingen, daß wir urtheilen, eine Fürstinn würde so singen, wenn sie ihres Herzens Empfin, düngen vermittelst der Musik ausdrückte, und wer, den diese Empfindungen uns rühren, weil wir an dem Schicksal vornehmer Personen mehr Antheil nehmen, als an geringer Leute ihrem: so muß hin­ gegen der Jsmene Gesang uns dadurch in Bewegung setzen, daß wir empfinden, em jeder von uns würde sich in dergleichen Umständen eben so ausdrücken. Bey dem Character der Adelheit, muß der Compomst feiner Einbildungskraft den Anstand und die Würde, welche das ganze Betragen eines Dieners der Gottheit begleiten sollen, auf das lebhafteste ein­ prägen, und dieselbe mit solchen Bildern erhitzen, welche den musikalischen Erfindungen die dazu nöthige

n. Thusnelde vom Hrn. Scheiben. 99 re der Barden und Druiden, deutscher -Melden und Soldaten, cheruskischer Frau­ enzimmer, welche theils bte Thusnelde, theil» die .Zsmepe begleiten, endlich der Prieste­ rinnen der Göttin Fercha. Im ersten Auf» Tritte des ersten Aufzuges erscheinen d«e Barden, die Druiden, nebst einem großen Theile de»

deutschen Heeres in einem prächtigen Aufzuge.

c) Sie richten, indem sie singen, auf der Mit­

ten nöthige Erhabenheit gebe». Gleichermassen erblickt man in Herrmanns Character eine ungemeine Größe des Geistes, und Empfindungen, die selbst m der Zärtlichkeit erhaben sind. Er brückt sich mit einer besondern Starke der Gedanken aus; da hingegen Sigismund zwar auch viel Lugend und wahre Vor­ züge, aber doch allemal ein mehr empfindliches Herz, und dabey eine reizende Leichtigkeit in der Denkungs­ art »md im Ausdrucke zeiget. Herrmann könnte so wohl durch einen Tenor als Baritono vvrgestellet werden; Sigismund aber wohl am besten durch beu Tenor, weil er viel zu recitiren hat, und dazu diese Stimme am geschicktesten ist. Seqest unterscheidet sich durch Eigensinn, Heftigkeit und etwas rauhes» welches aber doch Nicht so wohl von einer lasterhaf­ ten Fertigkeit, als vielmehr von einer hitzigen und ungeduldigen Gemüthsart herrührek. Er könnte durch einen Baß ausgedräcket werden. Zu den vie> len Chören von lauter-Frauenzunmer, dürfte man an den meisten Orten, um Sängerinnen verlegen seyn, c) Da die Empfindung fast erschöpft wird, wenn man drey oder vier Stunden eine reizende Musik an hören soll, so sind prächtige Aufzüge und schöne Veränderungen des Theaters m den Opern fast noth» wendig

xoo n. ThuSnelde vom Hm. Scheiben, ten der Wahlstadt ein prächtiges Siegeszeichen auf. Auf die Spitze stellen sie zwey erbeutete römische Adler, und. entfernen sich hierauf gegen die Seite des Lagers anf der Hinterbühne. Das Chor lautet also;

Alle. Es lebe Fürst Herrmann! es lebe der Held.

Die Vardeu und Druiden. Allwissender Gotcheit versehendes Rathen, Entzünde noch ferner zu glücklichen Thaten Dm starken, den weisen, den wachsamen Held!

Alle. Es lebe der Herzog! es lebe der Held!

Die Helden und Soldaten. Der goldenen Freyheit siegprangende Zeichen Entspringen und blühen aus feindlichen Leichen. Erhebet, ihr Völker, den mächtigen Held! Alle. Es lebe Fürst Herrmann! es lebe der Held! Er lebe! doch mögt es der Freude gelingen^ Dir, Fremder! dir Tapfrer! ein Danklied zu bringen! Ja

tpenbig. Da aber das Neue-doch allemal rühret, so kann allenfalls einem Opernzuhörer zu Anfänge des Stückes das Theater mit seiner Auszierung ohne einen prächtigen Aufzug schon hinlänglich seyn, und der Dichter kann, wenn es die Einrichtung seiner Fabel leidet, dergleichen das Auge sehr einnehmende Vorstellungen lieber bis weiterhin versparen.

s. Thusnelde vom Hm. Scheiben,

ioi

Ja lebe! wir preisen dich, glücklicher Held Es lebe der Fremde, der redliche Held, d)

Zweyter Auftritt. Thusnelde erscheinet mit ihrem Gefolge von chemskischem Frauenzimmer, welches her­ nach den Chor vorstellet.

Thusnelde. Was für ein Freudenton erschallet durch die Walder? Was d) Die Einrichtung dieses Chores, da es wie ein Rondeau kann compoyiret werden, ist sehr schön. Ueberhaupt wünschte ich, daß man die in den kleinen französische« Stücken vorkommende Denkungsart nrchl so sehr vernachläßigte, die CharaeterS derselben beybehielte, und nur mehr Reichthum, Kühnheit und Stärke in den Ausdruk brächte. Man dürfte fich auch nicht in so enge Gränzm einfchlieffen, als btr Franzosen diesen Stücken gegeben haben. Bey den leztett vier Zeilen dieses Chors kann der Componist sich entweder in den Mollton, oder vielleicht noch ausdrückender mit den Worten: Doch mögt es rc> in die Quart des Haupttones wenden, weil solcherge­ stalt der Wunsch, das Verlangen und die Freude sich am besten miteinander dürsten verknüpfen lassen. Di« in diesem Singsinel enthaltene« Turn sind nach Arr der alten Chöre, und werden die Acteurs oder Sän­ ger dabey allerley rührende Bewegungen des Cörpers mache» können, so wie solches bey den Alten geschah; welche pantomimische Stellungen sie Tan­ zen nannten. In den italiänischen Opern ist man zufrieden, wenn der Chor nur schreyt/ und das oft? Mals noch schlecht genug.

io2 v. Thdänelde vsmHm. Scheibe«. Was für ein Feldgeschkey belebt den stillen e) Hayn? 0 Gluck! was sch ich hier? Es find die weiten Felber Vom Blut der Röm« roth. Auf/ läßt uns frölich seyn. O seht! den Hügel ziert das sthönste Siegeszei­ chen! Von Waffen römscher Lerchen

Hat es des Siegers Arm so herrlich aufgethürMt.

0 Anblick! der mich rührt, Der mich ans Deutschlands Wohl, auf Glück und Freyheit führe. Der mich » - doch was bestürmt Den frohen Smn? f) Hin Kummer stört die Lust. Ich bitt besorgt um meines Fürsten Leben» Es ist mir wohl bewust, Wie groß fern -Muth stets ist.

Das macht

mich ängstlich beben.

Das

e) stillen. Dieses Wort scheinet voraus zu setzen, daßThnsneldevonber Schlacht nichts gewufl habe, ob solches gleich etwas unwahrscheinlich tft, da sie nicht weit von dem Ort, wo die Schaubühne sich befindet, kann gewesen seyn. f) was bestürmt. Diese Frage ist vielleicht der Sprache der Äffecten Nicht gemäß. Eine zärtliche tziebhaverinu würde ohne dieselbe sagen, was für ein Kummer ihre Lust siührel.

ii. Lhusnelde vomHrn. Scheiben. 103 Das bange Herze schlägt: Bald wird es von der Lust, bald von der Furcht bewegt. Doch still! man g) jauchzet wieder -»«

(Chor im Lager. Es lebe Fürst Herrmann! es lebe der Held! Thusnelde. O schöne Siegeelieder l Du lebst, siegreicher Held! Auch ich will dich besingen Auch, ihr sollt seinem Ruhm ein Freudenopfer

bringen h) Erhabg) doch still! man. Hier kann gefragt werden, ob der Componist vor diesen Worten uns nicht auch wirklich den Chor müsse hören lassen, oder ob er, fe wie in der Poesie geschlcht, setzen könne, baß Thusnelde nur allein, und nicht die Zuhörer zugleich sel­ bige hören. Um auch diese gleichsamtge Fortsetzung und Dauer des vor dem Reictativ da gewesenen Tntti natürlich zu machen, wird der Compomst nötig ha­ ben, am Ende desselben die zwey Zeilen: es lebe Fürst Herrmann rc. und: es lebe der Fremde re. mir einander abwechseln zu lassen, und der Chor hat müs­ sen noch währendem Singen vom Theater abgehen, damit es bey der zezigm Wiederhohlung lasse, als seyn die Sänger in ihrer freudigen Herumschweifunq, nur einmahl dem Ort, wo die Schaubühne ist, wie derum nahe gekommen. H) bringen. Die Lebhaftigkeit eines Recitatives und emer Arie, und der Eindruk, den beyde machen, sind zwar sehr ungleich; und es ist daher zuweilen nötig, daß das Recitativ sich mit einem Arioso schlies­ se, oder daß der Componist gegen das Ende desselben den

1Q4 h. ThttsmLdeDom Hrn. Scheiben.

Arie»

Erhabner Held! durch deine Thaten Ist Deutschlands Muth aufs neu erwacht L Dir folgt des Sieges stolze Pracht, i)

Nur eine Schlacht beschließt die Kriege,

Die den Sänger mit mehr Instrumenten als dem blossen Baste (Palette,, sonderlich wenn der darauffolgenden Arten Inhalt Mit zur Fabel und zur wesentlichen Aus­ führung der Materie gehöret, u. d. g. Denn sol­ chergestalt steiget man nach und nach von der min­ dern Lebhaftigkeit des Recitatives, wo mit den Wor­ ten nur wenig Musik verknüpft ist, zu dem starken Eindruke hinauf, den in den Arien bet Tert in Ver­ einigung nut aller Kunst und Stärke der'Musik ma­ chet. .Hier aber wird solches nicht geschehen dürfen, wert Thusnelde am Ende des Recitativs ausdrüklich sagt, daß sie in der Arre eine wert feyeriichere Hand­ lung thun wolle. Es würden auch einige Stellen dieses Recitatives vielleicht zwar erlauben, daß der Eomponist eine ordentliche Begleitung der Instru­ mente dazu setzte. Weil aber das Singspiel hier erst anfapgt, so kann er mit dem geringern Grade der Lebhaftigkeit, den die blosse Begleitung des Baffes giebt, zu frieden seyn, und sich nut auf rührende Wendungen des Gesanges samt nachdrücklichen An­ schlägen des Basses befleißigen. i) Pracht. Diese Zeile hätte durch ein Bey­ wort starker gemacht werden können z. E. daß der Sieg »hm allemal folgen werde u. d. g. Sonst ist das Wort Pracht wegen seines guten Vocals für den Sanger zu einem Laufe sehr bequem. Es stehet auch am Ende des Perioden, und kann darauf so­ wohl dessen eigener Inhalt als auch der Inhalt der ganzen Arie, nämlich die Lobpreisung, in Noten ge­ schildert werden.

Ik rhusnelde vom Hm. Scheiben. ISZ Die Freyheit folgt dem edlen Siege, Der drch der Nachwelt heilig Macht, k)

Erhabner Held! durch 'rc. Chon

Der Fküuen Und Jungfrauen der Thusnelöe. Welcher Kummer! welcher Schrecken! Welche Seufzer! welcher Schmerz Marterte das bange Herz! Was konnt uns auch Lust erweckenBey der Römer Tyranney? Herrmann! durch dich stnd wir frey.

Angenehme Nacht! dein Schatten Decket kaum das weite Feld: O so kampstund siegt der Held. Das was wir verlohrett hätten, Freyheit, schenkt uns eine Nacht, Und den Feind vertilgt die Schlacht.

Fürstinn! freue dich des Sieges,

Den dein edler Held erkämpft, Dee

k) macht. Diese drey feilen haben ohne schwer tt hochtrabende Worte eine große innerliche Starke und Schönheit. Das Wort heilig kann auch tote# der ein desto schöneres Melisma abgeben, weil es eine andere Akt von Laufe veranlasset, als in dem etr sten Therle. der Arie auf dem Worte Pracht da gewe­ sen ist. Die Wiederhohlung des Dacapo ist hier nicht unnatürlich. Weil Herrmann dm ganzen Krieg mit einer Schlacht geenbigrt, so kann et wohl noch eins Mal gepriesen werden. I-Bnud. H

io6 n. Thusnelde vom Hrn. Scheiben. Der der Römer Stolz gedämpft. O! das Ende dieses Krieges Ist der Liebe sanftes Band: Herrmann reicht dir schon die Hand.

Blumenkränze, Wunsch und Singen Schliessen dieses Festes Pracht, Das dieß Bundnlß schöner macht. Nun wird man die Opfer bringen Für die Freyheit und für euch. O was ist dem Siege gleich! 1)

Dritter 1) dein Siege gleich. Dieses Chor ist mein sehr lyrisch, obgleich nicht gar häufige Bilder darinn vorkommen, noch fein Feuer sehr stark ist. Die Materie hat nur eine mehr sanfte als reissende Begei­ sterung erfordert. In Absicht auf die Musik aber würde es vielleicht theils zu altmodisch seyn, diese vier Strophen odenmäßig absingen zu lassen, theils würden solches selbst dre Worte nicht wohl verstat­ ten. Dey einer ordentlichen Composition hingegen, nach Art der Arien, wird der Inhalt dieser vier AbBtze dem Tonkünstler die angenehmsten Erfindungen und Abwechselungen an die Hand geben. Nur weil das Chor von lauter Frauenzimmer gesungen, und also die Unterstützung von den tiefen Tönen der Instrumente erwartet wird, so hat der Componist die­ sen Mangel in den EiNgstimmru durch andere Schön­ heiten zu ersetzen, und daü Leere, das lauter feine Stimmen lassen, durch die Instrumente zu füllen und zu bedecken. Dem Worte dem, in der letzten Zeile, muß der Componist mit einer Erhebung der Melodie und mit einem Nachdruk zu Hülfe kom­ men, welchen der Poet ihm schuldig geblieben ist, da er

ri. rhusnelde vom Hm. Scheiben. ioy Dritter Auftritt. Jsmene erscheinet, gleichfals von einigen Cheruskerinnen begleitet. Alle kommen von der Sette des Waldes aus der Vorderbühne, und Jsmene fängt bey Anwesenheit der vori­ gen mit folgendem Recitative an: Beglückter Tag! o welche Lust, Ist nun dem Vaterland, ist, Freundinn!

dir

beivust! So schmerzlich jener Tag, der mir mein tiebstenahm, Durch die Erinnerung mit Furcht, mit Angst,

mit Gram Mich tägtzch überhäuft, so frölich bin ich doch^ Ißt, da kein römschee Joch Das deutsche Land bedeckt. O Held! du bist gerochen? Ja, deine Bande stnd, oSigismund, zerbrochen. Doch wie? was denk ich wohl? die Freude Host zu viel. Nein! so groß wird Mein Glück durch Viesen Sieg wohl nicht« Sollt ich ihn wieder sehn?

H 2

Thus-

er es nur kurz gebraucht hak, Und es doch eigentlich lang seyn soll. Daß die trochatschen Zeilen dieseChores so oft Männliche Endreime haben, Vas ver­ schaffet dem Componistett auch eine Bequemlichkeit, die Sänger ost Athem hohlen ju lassen, welches bey eben so viel weiblichen Schlußrennen mcht «»gehen würde.

to8 H. ThusneVe dom Hw. Scheiben.

Thusnelde. Was dieser Tag verspricht. Ist größrer Hofnung werth.

Mein Bruder

wird stch retten. Kein deutsches Herz ertragt der Götzen schnöde Ketten, m) Iomene. Die Hoffnung täuschet oft. Erinnre dich der That, Daß mir dec Vater selbst den Sohn entrissen hat. Barbarischer Segest! was hat dich doch bewogen/ Daß du den Sohn, den werthen Bräutigam, Den'ich doch selbst v'on deiner Hünb bekam, So bald, so plötzlich mir entzogen? Ich fordc' ihn nun von dir. Von dir hoff ich mein Glück. Segest! 0 segne doch das alte Band aufs neue! Mein Herz empfindet stets die Regung erster Treue. Der Sieg befreyt den Sohn. Er giebt ihn die zurück - Doch wie? Entfernt hält man ihn ja gefangen: Vergebens Host die Braut ihn wieder zu erlangen, n) Thustn) Der Leser kann aus dieser Scene die unter­ schiedenen Gemüthscharaktere der Thusnelde und der Jsmene gewahr werden, und der Componifi hat zu versuchen, ob er diesen Unterscheid auch in den Führungen seiner Töne bemerken könne. n) Da dw Lebhaftigkeit in diesen Worten schott ziemlich stark wird, ich aber doch dem Componisten nicht

n. ThusvdlVe vom Hm. Scheiben. 109 Thusnelde. Mit Schmerz ward er entführt: Doch dieser Sieg ist groß. Wie würd ich nicht gerührt, Sähst du an diesem Fest, mit Ruhm bekrönt, ihn wieder. Sey froh und hoffe. Ismene. Ja, dieß fiegerfüllte Feld Erfrischet schon die matten Glieder, Und hat in meiner Brust die Hofnung her­ gestellt. o) H 3 Hoffe! Nicht rathen wollte, selbige mit allen Instrumenten zu begleiten, und er die hierdurch zu bewirkende Rüh­ rung noch lieber auf nötigere Vorfälle in der Folge «ersparen mag, man auch überhaupt mit diesen Schönheiten das Ohr und das Herz des Zuhörers nicht ermüdenmuß: so wird der Componist sich zu bemühen haben, durch eine rührende Anordnung der Tpue und eine ausdrückende Begleitung des Basses diesem Feuer des Dichters nachzufolgen. Er kann sich die Grbunischen Recitative zum Muster nehmen, in deren Bassen die Wendung der Leidenschaften im-i mer auf das glücklichste geschildert ist. o) Ismene gehet nach diesem Reeitative gleichfam mit ihrem Herzen zu Rathe, ob sie zu hoffen Ursache habe. In dieser Uebrrlegung kommt es auch natürlich, daß sie so lange schweigt, als das Ritornell vor der Arie wahret. Die Abwechselung des Sylbeumasses ist in der Arie inahlerisch; nur weiß ich nicht, ob das Dacapo so wohl angehe, w«e m der vorigen. Der zweyte Theil saget nichts anders als der erste, und man. siehet keinen Grund der Wiedeps holung ein.

iiq

iL Thusnelde vom Hm. Scheiben. Arie.

Hoffe! Ja du wirst ihn sehen » Aber! - - Ist er noch getreu? - - » O Himmel I beglücke die hoffende Liebe, Und bring ihn mit voriger Treue zurück. Glücklich! Ja. Es wird geschehen : Seine Bande sind entzwey« Nur, Himmel! erhalte die zärtlichen Triebe! Beschütze die Liebe, die Treue, das Glück. Hoffe! Ja. Du rc.

Thijsnelde. Doch wie? Wo muß der Herzog seyn? Der Held? der uns die Freyheit schenkt? Wie? Daß er nicht an seine Braut gedenkt? Wiewohl, er stellt sich dort vielleicht schon ein, Wo unser tapfres Heer in vorger Nacht Zum Streit sich hat geschickt gemacht. Vielleicht sucht er mich dort, mir alles zu

erzählen. Was in der Schlacht geschehn. Ich eile p) Freundinn! ihn zu sehn.

> p) Am Ende dieses dritten Austrittes entfernet sich Ismene nebst rhrem Gefolge gegen dre Seite des Waldes auf der Hinterbühne. Thusnelde aber, die den Feldherrn suchet, und verfehlet, gehet nebst ih­ rem Gefolge, während daß es das Chor finget, m den «m Prospekt befindlichen Wald ab. Da aber solchergestalt Thusnelde doch noch das ganze Chor auswarten muß, so kann sie hrer nicht wohl singen: Ich eUc «. Die Jt«l,einer haben diesen Ufbelstand

ii.ThüsneldevornHrn.Scheiben, in Jsmene. O muß mein Sigismund an diesem Tage fehlen! Lhor.

Das cheruskische Frauenzimmer. Wir suchen den Herzog, ftölich ihn zu begrüßen Mil Lob und mit Ruhm. Den Feldherrn, durch den wir so viel Freude geniessen Und Freyheit und Ruhm. Wir sikchen den Herzog. Frölich ihn zu verehren. Den streitbaren Held. Ein Loblied zu bringen, stark in wechselnden Chören Dem siegenden Held. Wir suchen ihn, Fürstinn! den Geliebten zu sehen, Den Held, der dich liebt. Mit freundlichen Blicken, Fürstinn! wollen wir gehen Zum Held, der dich liebt, q)

H 4

Vierter

»ft in ihren Opern, weil sie gemeiniglich am Ende der Auftritte Arien anflicken, die nut dem Recitativ weiter keine große Verbiiiduug haben. Hier liesse sich der Ausdruck leicht so einrichten, daß die Be­ gierde der Thusnelde, den Herzog zu sehen, mit der Vcrweilung wahrenden Chores bestehen könnte, q) Zum musikalischen Ausdruck der in diesem Chor enthaltenen Begierde und Hoftmng sind die kurzen Sätze der.Rede fthr bequem. Die Musick beschreib

112 ii. Thusneldevom Hw, Schechen.

Vierter Austritt. Herrmanu, Ein Theil der Priester und hes Heeres,

Chor, Das W,

Es

lebe der Herzog!

es lebe der Held,' Herr?

-efchreibeß dis meisten Empfindungen mit weniger Tönen, als die Redekunst Sylben dazu brauchet, Z)a nun in diesem Chpr wegen dang« des Textes nicht prel wiederholet werden darf, so hat der Cdmpomst sich auf solche Gänge zu beflelßzgen, die auf einmal Pie ganze Empfindung und deren Beschaffenheit schil­ dern, Aus der Oper Coriolan vom Herrn Graun besinne ich mich zwey solcher schönen Stellen in fol« genden Arien:

Gia i fier timori etc, Ti chiamera infedele Ti chiamera crudele Roma per te tremantej & ü mto. cor amqiite Qividetsa, tl dolor,

Jngleichen;

Senza di tea mfo Bene, No, viver non polT io: £ fe non cedi3 0 Qro, Morire mi conviene Pi pena e di dolor. Hiemächst muß in den Tönen der Melodie sich alle# pial eine gewisse Aehnlichkert und Gleichförmigkeit, Ml dkM Klqnge und der Erhebung der Stimme finden.

n. Thusnelde vom Hm. ScheidM. 113 Herrmann. Dir, Gottheit, Hank ich nun. Den Feind hast du geschlagen, Das deutsche Volk ist frey. Du stärktest unsern Wuth. Durch dich besiegten wir den Stolz, die freche Wuth, Die freye Seelen schimpft, die Sklaven nur ertraKen, H 5 Der finden, welche aus her rhetorischen Beschaffenheit der Worte nach den Regeln der Deklamation chren Ursprung nimmt. Hl? ConiponisteU sind nrcht alle­ mal glücklich darin«. In des alten, des vortrefUchen Kaysers Sachen, von dem man sagt, daß er nichts als Empfindung gewesen, trist man v,el sol­ che glückliche Stellen an. Cs herrschet gememlglrch erne edle Einfalt des Ausdruckes darinn, die Kaysern recht eigen war. Wo man viel galantes und brillantes m dre Melodien dringen will, da wird diese Vollkommenheit erstickt. Herr Mattheson hat in seinem vollkommenen Capellmeister S, 185. eine unvergleichliche Melodie zu den Worten :

Getrost, mein Herz, nun kanst du Gnad umfassen, Dein JEsus will die Sünder nicht verlassen, Und sollt es auch am Lreutze styn.

In unserm vorhabenden Choxe werden verschiedene Worte zu solchen redenden Tonführuygxn Anlaß ge­ ben. Vielleicht sollten alle Gänge der Melodien so seyn. Allein d«e Aufmerksamkeit und Bemühung, auch mit andern Reizungen der Musik- seine Stücke zu bereichern, erlaubet dem Componisten nicht allemal, r,ese Schönheiten in einem hohen Grade hervorzubrmgen.

ii4 n. Thusnelde vom Hm. Scheiben. Der Römer aufgeblasner Sinn Hat, edelmüthge Schaaren! Nunmehr beschämt erfahren. Daß TeutschlandS freye Macht nicht sklavisch

unterliegt. Selbst Varus ist dahin. Das Schicksal einer Schlacht hat es gerecht gefügt, Daß seiner Raubsucht Wuth, der Vögte Gie­ rigkeit Zum Schrecken Roms bestrafet sind; Daß wir, so wie zuvor, in edler Sicherheit Im Schatten alter Eichen sitzen:' Wo wir in Ruh Wald, Wies'und Feld bebauen. Und ohne Geiz und Stolz das weite Land beschauen. So glücklich siegt ein Heer, das Recht und Tugend schützen, r)

Doch

r) Diese Stelle endlich wird wohl mit einem Accompagnement prächtig zu machen seyn. Man be­ greift aber die Ursache, warum ich bis jetzo angerarhen habe, das Recitativ noch nicht mit den völligen Instrumenten zu begleiten. So nöthig es ist, bey Opern und bey allen Eingstücken, des Zuhörers Auf­ merksamkeit durch allerley Abwechselungen zu unter­ stützen, so sparsam und so überlegt muß doch der Componist dergleichen Kunststücke als die Accompagnementen sind, anbringen. Es wird bey allzugrosser und zu öfterer Rührung die Empfindlichkeit des menschlichen Herzens erschöpft. Und weil, nach ei«er allgemeinen Regel der Schaubühne, man für Nichts mehr zu sorgen hat, als wie die Rührung nach und

II. Thusnelde vom Hm. Scheiben. 115 Doch ach! für mich betrübte Schlacht! Nur mich, mir mich allein hast du bestürzt

gemacht. Segestk

und nach zunehmen und zuletzt mit der Verwirrung auf den höchste» Grad steigen möge; so wür de selbst hier vielleicht noch zu bedenken seyn, ob mqn mit ei­ nem so langen Accompagnemrnt, als diese Stelle er­ fordert, das Herz sehr stark anqreifen dürfe. Allein da der Inhalt dieser Worte doch fast mehr auf die Erhitzung der Einbildungskraft gehet, so kann der Componist das Feyerllche, das darinn liegt, ohne Nachtheil der noch m der Folge des Stückes zu erre­ genden Leidenschaften, durch erhabene Töne aus­ drucken helfen. In dem folgenden Absatz des Reci­ tatives fallt der Acteur auf eine andere und viel zärt­ lichere Empfindung. Der poetische Vortrag ist eben­ falls sehr rührend. Dem ohngeachtet aber wirdnicht rathsam seyn, die Singstimme auch durch Beglei­ tung der völligen Instrumente beweglicher zu machen. Der Componist suche lieber durch rührende Interval­ le des Basses, den erforderlichen Nachdruck zu be­ wirken , und verlasse sich im übrigen auf des San­ gers Geschicklichkeit. Die, Baßlsteu haben in Ge­ wohnheit, bey den Recitativen ihre einzelen Töne so stark anzugeben, oder vielmehr anzuschlagen und anzureissen, daß solches den Zuhörern nothwendig un­ angenehm fallen muß. Ein derb angegebener Ton, ohne Rauschen und Kratzen, würde dem Sänger eben so vernehmlich seyn. Die Griechen und Römer hatten bey ihrer Declamatton auch ein accompagnirend Baßinstrunrent, welches aber nur mit ganz lei­ sen Klängen den Declamator im Tone hielt. Die Worte, die hier Herrmann singt, enthalten eine schmerzhafte Erwegung des Unglücks und Schimpfes, der ihm durch deöSegests unwürdiges.Bettagen zu­ gezogen

I i6 U. Thusnelde vom Hm. Scheiben. Segest! waö thatest du? Was hat dich angetrieben. Das Vaterlands flichn? Nicht uns, den Feind zu lieben, Welch eine That! eilst du dem Varus zu, Beschimpfst dein Haus und dich, mir raubst du Glück und Ruh. Segest, welch eine That! entehrt Geschlecht und Stand, Verrath das Heer, mich und das Vaterland. Der Vater meiner Braut, .mein allerbester Freund, Ist, kann es möglich seyn? des Vaterlandes Feind.

Arie. Folgt, Freunde! nur den frohen Trieben, Genießt der Frucht der Tapferkeit In Freyheit und in Sicherheit! Hier denk ich dem gestörten Lieben

Und des entehrten Hauses Schmach Allein, betrübt und stille nach, s)

Fünfgejvgen worden. Es würde also nicht übel gethan seyn, wenn die Bafiinstrumente, anstatt, wie ge­ wöhnlich, kurz und stark anzuschlagen, jeben Ton ganz sachte angäben, und immer etwas aushielten. Der Sanger muß ohnedem auch leist singen. Tiefe sanftgezvgene Töne sollen d,e Empfindung, die in die­ sen Worten liegt, nicht ühel ausdrücken helfen. s) Diese Worte machen mehr ein Arioso, als eine Arie aus. Höchstens kann der Compomst eine Ariette dar-

ii. Lhusnelde wm Hm. Scheiben. 117

Fünfter Auftritt. So wie zu Anfang des vorigen Austritten ein Theil des Volkes nebst Herrmann sich von der Seite des Lagers auf die Vorder­ bühne hervorgezogen: so gehen jetzt alle, ausser Herrmann, gegen das Lager auf der Hinterbühne ad, und Thusnelde kommt nebst ihrem Gefolge aus der Hinterbühne von der Serie des Waldes wieder zurück. -Herrmann. Doch wie? wen seh ich hier?

Thusnelde. Mein Fürst! vergönne, daß ich die' Die Frende meines Herzens melde.

Vergönne, daß Thuönelde Auch dir bezeigen mag, Wie groß, wie herrlich dieser Tag Sie, deine Braut, entzückt gemacht. Herrmann.

Geliebte! daß ein Tag, den Sieg und Ruhm

erhöhen, Auf den düs Land gehofr, und den es nun gesehen,

Auch darauf setzen. Sie verstatten weder ein Dacapo noch viel andere Wrederhohlungen. Das einsame, be­ trübte Nachdenken wird der Eomponist durch eine kläglich gewehlte und eingerichtet« Begleitung der Instrument« unterstützen können.

1x8 !l» Thusmlde vomchm. Scheiben. Auch Furcht und Gram gebiehrt, wer hätte das

gedacht! Ja, Schönste! wenn dein Blick, dein heitres

Angesicht Mich ißt bekümmert sieht « - doch was gesche­

hen ist - *

Thusnclde. Herr! wie erschreckst du mich! • * Herrmann. 0! daß Scgest die Pstlcht, Die ihn dem Vaterland Und uns so fest verband, Leichtsinnig und entehrt vergißt!

Thusnelde. Segest? Ist des Gesetzes Uebertreter?

Herrmann. Ja. Dieser ist des Volks Verräther Und hätte nicht der Himmel selbst gewacht. So hätte sein? That uns in das Joch gebracht. Schon gestern, doch geheim, hat er dem Feind erzählt. Daß mich das Heer zum Oberhaupt gewählt; Nun sey das deutsche Volk mit wahrem Ernst bemüht. Sich von der Römer Tyranneyen

Durch nie gespartes Blut, als Männer, zu befreyen; Man

ii.Thusnelde vomHrn. Scheiben. 119 Man würd in dieser, Nacht den kühnen Streich vollführen;

Doch alles war zu schwach, des Varuö Herz zu

rühren. Sein Stolz verwarf, was ihm Segest verrieth. Sein Unglück war bestimmt; konnt er dem Falt entfliehen? Er will der nahen Schlacht nicht furchtsam sich

entziehen. Wir rücken an. Er schläft. Stolz auf das ram­ sche Gluck, Ruht Mann und Roß in fauler Sicherheit. Das Lager wird bestürmt. Den Schlaf ver­ jagt der Streit, Der Muth erwacht zugleich. Man eilet zu den Waffen, Die Schlacht wird allgemein. Man macht uns viel zu schaffen. Dreymal seht Varuö sich; dreymal weicht er zurück. Doch plötzlich eilt ein unbekannter Held, Uns muthig beyzustehn. Er fällt den Römer an. Verhindert, daß er sich nicht wieder sehen kann. Der Feldherr wird erlegt. Er fällt. Sein Adler sinkt. Die Legionen fliehen Doch konnte wohl die Flucht dem Rachschwerdt sie entziehen? t)

August! t) Sind in gesprochenen Trauerspielen die Erzeh-lungen langweilig und wenig rührend, so trift ^öU

i-2o iE Thusttelde vöMHrn. Scheiben. August! Es lebt kein einiger Manu, Der von der strengen Schlacht dre Nachricht bringen kattn. u)

So ches in fcperrt noch mehr zu. Daher hat der Herr Capellmeister ungemein wohlgethan, daß er diese Erzehlung des Herrmanns mit so vieler Lebhaftigkeit vorgetragey. Solches wird auch dem Componisten ein Feuer einstössen, dessen er um so viel nötiger hat , je langweiliger schon an sich ein langes Necttas tiv ist- Nichts kestoweniger aber muß doch hierbei) dem Poeten und Compomiien noch hauptsächlich der Sanger zu-Hülfe kommen. Ein deutlicher Gelang und eine anständige und redende Aktion sind unent­ behrlich ; doch sind die kurzen Satze für den Sänger sehr bequem. In dieser Absicht ziehen die italiäni­ schen Sanger Hassens Compositioiicn allen andern vor, weil er ihren Athem immer nur wenig ana,rei­ fet. Es ist solches eine grosse Kunst, wenn Nssmlich doch die Melodie nicht zu abgebrochen seyn, und dem Zusammenhänge der Worte auch eine Genüge gesche­ hen soll.

u) Wenn es auch bey langen Recitativen nicht schon zu Erhaltung der Aufmerksamkeit nötig wäre, alle Gelegenheit zu ergreifen, wo man Ariosen oder doch etwas arioftnmäßiges unter den recitakivischeN Vortrag emMlschen kann: so ist dieser Gedanke hier und dessen Schwung doch gakjU bequem dazu. Nur wünschte ich noch statt der lezten vier Worte, einen Ausdruck, der lyrischer wäre. Und weil durch die folgenden Worte: so herrlich rc. gleichsam aus der lyrische» Dichtkunst wiederum in die dramatische zurück gegangen wird, so hat der Componist solchen Uebergang in feinen Tönen nicht aus der eicht zu las­ sen. 3‘ E. wenn das Arioso drey Vierteltact ge­ wesen

n. ThusrieldevomHrn. Scheiben. 121 So herrlich war der Sieg.

Ob schon Segest

Daö deutsche Heer verläßt.

Und da die Schlacht den Anfang nahm. Den Völkern Roms zu Hülfe kam. Doch welche Schlacht für uns? x) hier siehst du Sieg und Schande. Für uns gehört die Schmach, der Sieg dem Vaterlande.

Thusnelde. O Schmerz! Ich dachte dich, als Sieger, froh zu ehren. Die Lust stört nun Segest. O Schimpf! was

muß ich hören, y)

Ane. wesen Ware, so würde ich das Wort: So noch da­ rinnen singen lassen, und mit dem Wort: Herrlich erst wieder in den Diervlerteltact kommen. x) Dre Redner haben eine Regel, daß wenn man einander entgegen stehende Satze recht nachdrücklich und lebhaft hersagen und aussprechen wolle, so müsi se man den ersten Satz oftmals starker oder schwacher declamrren, als es sein Inhalt zu erfordern scheinet, damit nur bey dem folgenden Sahe die Veränderung der Stimme und des Tones desto merklicher und fühlbarer werde. Diese Regel hat auch hier bey die­ sen und den vier vorhergegangenen Zeilen, der Sän­ ger unumgänglich zu beobachten; und selbst derComponist muß schon de«» Abfall und dre Veränderung zu bemerken suchen. y) Es ist ganz natürlich, daß Thusnelde aus Erstaunen, Schrecken und Ehrerbietigkeit für ihren Vater, hier nur wenig Worte sagt. Und da es dem I.Sand. I Dich-

122 n. Thusnelde vom Hm. Scheiben. Arie. Den Geliebten siegreich sehen;

Doch bey ihm bekümmert stehen, O! das stört die schönste Lust. Weichet bey dem größten Glücke, Auch die kleinste Ruh zurücke. Seufzet schon die frohe Brust. Wenn ein unverhofc Betrüben, Uns verbeut, nach Wunsch zu lieben, Ist uns Furcht und Gram bewust.

Den Geliebten rc.

Herrn

Dichter gefallen, das Bild dieser Empfindung in ei­ ner Arie noch weiter ausmahlen zu lassen, so braucht es auch im Recitativ aus der Ursache Nicht mehrerer Worte. Allein so gelassen undMaximenreich, wie in dieser Arie geschieht, drückt sich der Schmerz einer Tochter vielleicht nicht aus, die Ehre und Vaterlands­ liebe hat, und die doch gleich den Augenblick hat hö­ ren müssen, daß selbst ihr Vater dem Vaterland eine solch? Beschimpfung zugezogen. Jndeni auch der Dichter sich in Acht nehmen wollen, diesen Schmerz nicht hochtrabend reden zu lassen, so hat er fast gar aufgehöret, in der lyrischen Begeisterung zn schreiben. Diese Begeisterung ist zwar nach Beschaffenheit der Materie und der Umstande stark, mittelmäßig oder ruhig; aber sie bleibt doch allemal eine Begeisterung. Sonst aber und ohne Absicht auf diesen poetischen Umstand, wurde der Componlst diese Arie mit einer ganz natürlichen und redenden Melodie zu versehen haben. Und wenu er zugleich des Ausdrucks der delicaten Empfindung, die hier zum Grunde liegt, nicht verfehlete, so könnte sichs wohl treffen, daß durch

II. Thusnelde vom Hm. Scheiben. 123 Herrmann. Geliebte! deine Klagen Smd mehr als zu gerecht:

Ich selbst, ich fühle sie; es seufzet auch mein Herz« Ein dir no.ch Unbekannter Schmerz Vermehrt das Leid, und häuft die Plagen: SHest entzieht dich mir « - z)

I 2

Thus^

durch die Musick selbst dasjenige verbessert würde, was uns in der Poesie als mangelhaft vorkömmt, welcher Vorfalls nicht selten ist. Ferner ist im Do# tupo dieser Arie rin besonderer und bestimmter Satz, daß es namlrch für eint Liebhaberinn traurig sey, bey ihrem siegreichen Geliebten bekümmert zu stehen, un.d dieses wird ins andern Theile der Arie "durch zwey allgemeine Satze, bestärket. Ich weiß aber mch^ ob man solchergestalt von dem allgemein Wahren auf das schon da gewesene Besonder« in eben dem Gedans kett, wieder zurück falle. Wenigstens dürste es nutzt leicht ohne Zwischenkunft eines besondern Verhaltylsseseoder Umstandes geschehen, als dergleichen bloß, Wit uns bedünkt, bey einer solchen Art zu denken, das Dacapo natürlich machen kann, z) Einem guten Freunde ist bedenklich tfotge» kommen , daß Thusnelde, eine so kluge Prinzeßmn, wie sie hier abgebildet wird, dieses- Gesetz ihres Va-> terlandes nicht fall .gewust haben,. Wenn auch der Herr Verfasser diese Käntmß bey der Thusnelde hatte vonms setzen wollen, so würde diese ganze Scene nicht so läng geworden seyn, welche Längs ihr bey den Zuhörern nicht jum Vortheil gereichet. Es hätte auchalsdemr die vm-igeArie gar wegblerbrn können, und.in: dem folgende« Duett hätte sich an düs zur Musick fd bequeme. Lebewohl «in Beklagen über

124 n. Thusnelde vom Hm. Scheiben. Thusnelde. Wie? Herr! - Herrmann. Der Schluß des Vaterlandes Versaget uns die Hofnung unsres Bandes.

Ach! hatte nicht Segest sein eignes Haus ver­ gessen! Ülch! Hatter seinen Ruhm bedächtiger ermessen!

So aber, welch

So waren wir beglückt.

Betrüben! Verbeut uns das Gesetz, uns ftruetbin zu liebem

Thusnelde. Schmerz! was muß ich hörend Kann eines Vaters That

ein ganzes Hau­

entehren?

Ach! welch ein Tag für mich! Gehöftes Ehe­

band!

Doch öheksdas Schicksal und dergleichen, anhävgev lassen, 5durch das Duett auch eine mvMüisthe Ausführ-i kkeit bekommen hatte, welche es bey so wenig Wvrten..mcht haben kaun. Denn so wenig schwatze haft der Schmerz zweyer Geliebten, die sich trennen, ist, so werden Herrmann und Thusnelda tn diesem Trauerspiele doch so echahen geschildert!, »aß sonder­ lich d»e letzte m einem ganzen Duett wohl mit meh­ rerer Belustigung.und Rührung Her. Zuhörer emye Worte mehr singen könnte, als sie nurwirklich fin­ get. Dieser ihr Abschied, schemtfür itzch groffeSeole zu zaghaft zu seyn.

H. Thusnelde vom Hm. Scheiben. 125 Doch wie?

Ein Band? das ja die Tugend selbst erfand. Nein, das zertrennst du nicht. Grausames Vaterland!

Herrmann.

Du kennst die Zärtlichkeit, die ich für dich gehegt. Du weißt, wie oft ich dir, mit süßter Lust erzehlt: Daß mir zu meinem Glück nur noch dein Bund" niß fehlt. Erwäge nun die Größe meiner Schmerzen, Die dieses Herz beklemmt, mich fast zu Bodest schlagt', Und nimm mein Leid zu Herzen. Laß uns zrr guter letzt einander selbst beklagen. Eh wir das: Lebewohl! mit matter Zunge sagen. Du weinest. Edle Zähren, Die ein vereinter Gram aus deinen Augen preßt. Sähst du die Thränen an, unglücklicher Segest!

Thusnelde. Ach! ihr vergnügten Stunden! In denen ich ehmals die schönste Ruh gefunden, Wenn mir mein liebster Fürst die künftgen Zei» tert pries, Die mir ein nahes Band damals noch hoffen ließ. O kehret, geht es an, nur noch einmal zurücke! Und lindert meine Quaal, mein klägliches Ge­ schicke! Doch wie? Ach, alles ist vergebens. Das Ende meines Lebens I 3 Be-

126 n. Thusmlkwvom Hrn. Schetbem Beschließt die herbe Pein. Ein Aschenkrug wird mich der Angst befreyn.

-Herrmann. Wie gerne ffrach ich dir, Geliebte, tröstend zu! Mich selbst, mich fliehn Zufriedenheit und Ruh. Kaum daß mein müder Fuß den matten Körper trägt. Der Muth, doch nein! die Kräfte fallen hin: Kaum daß ich noch am Leben bin. Viel lieber sah ich mich von Feinden ganz umringt t So könnten die geschärften Waffen Vielleicht noch Schutz und Hülfe schaffen. Ein Unfall, der so tief ans Herze dringt, Ist weit empfindlicher - -

Thusnelde. . Ach Vater! welche That! Die dich, dein Haus und mich so sehr be­ schimpfet hat.

Duett. Herrmann. Hör auf zu weinen und zu klagen! Laß uns beherzt den Abschied sagen! Thusnelde.

Den Abschied?

Herrmann. Lebe wohl. Beyde. Lebe wohl. Herr-

n. Thusnelde vom Hm. Scheiben. 127 Herrmann. Die Ehre löschet unsre Flammen: Das Vaterland muß sie verdammen. Thusnelde. Was ist uns übrig? -Herrmann. Lebe wohl.

Beyde. Lebe wohl, aa)

Sechster Auftritt. Hermann allem, hernach Marbod. Herrmann. ^je geht, sie flieht. Was nützt doch aller

Ruhm? Ist die Zufriedenheit nicht unser Eigenthum. I 4 Was aa) Nur ein Componisi, der das Innere eines Textes nicht einsiehet, wird dieses Duett so lang und ausführlich setzen, wre man jetzo die Arien und Duet­ ten zu componireu pflegt. Die hier in den Worten enthaltene Wehmuth erlaubet weder Laufe noch Wie­ derhohlungen. Sonst wird ein Dichter nicht übel thun, wenn er ein Stück der Fabel, der Actton sel­ ber, zu einem Duett machet. Das Gearbeitete, die Imitationen und dergleichen, so die Componisten da­ bey anzubringen pflegen, geben den ganzen Oper ein Leben und erhalten die Zuhörer bey der Aufmerksam­ keit, wozu der Reitz zwey so nahe zusammen ge­ brachter und abwechselnder Stimmen ebenfals viel beyträgt.

128 n. Thusnelde vom Hm. Scheiben. Was hilft es uns, wird schon der Feind besieget? Wenn uns ein innrer Gram bekrieget. O Gottheit! Du hast mir den größten Sie­ gegeben, Jsts möglich, schenke mir auch ein geruhig Leben, Dw Freyheit, als die Frucht des Sieges, zu geniessen! Laß mir es wenigstens die Hofnung noch vevsüssen! ZNarbod. Der unbekannte Held, Herr! den das Heer besang, Weil er nächst dir der Römer Macht bezwang, Wünscht dich zu sehn. Dir will er sich allein entdecken. Das Volk brennt vor Begier, zu wissen, wer er sey? Der Muth, den er bewies, macht ihn des Arg­ wohns frey, Den seine Waffen sonst erwecken, Als ob er römisch sey.

Herrmann. Wen solche Thaten krönen, Der stammt gewiß von Deutschlands freyen Söhnen, bb)

waft'entanz der Lheruskischen Soldaten. Fortbb) Die italienischen Operndichter haben in Ge­ wohnheit, wenn m einem Auftritt eine Arie vor­ kommt, sie ans Ende desselben zu bringen. Es ist auch nicht so übel gethan. Der Zuhörer wird durch dm

ii. Thusnelde vom Hm. Scheiben. 129 Fortgesetzte Anmerkungen. Und wenn hiernächst meist immer das Ende eines geistreichen Werkes feuriger, stärken und

lebhafter seyn muß, als dessen Mitte-und An­ fang, so sind auch die Arien am Ende der Auf­ tritte und der Aufzüge natürlich.

Hier aber hat

der H. V. für gut befunden, von dieser Rrges

abzugehen. Man findet den Grund davon im Anfänge der zweyten Handlung. Wir zweifeln keinesweges, daß unsere Leser Nicht begierig seyn sollten, auch noch die übrig en vier Aufzüge dieses Singspiels zu lesen, um so

mehr, da wir versichern können, daß mit dem Fortgänge des Stückes das Feuer des Hrn. >3. mehr zu als abgenommcn hat. Es ist selbig es aber noch in den Buchläden zu haben, und w>ir wollen daher unfern Raum zu andern Sach en sparen, jedennoch aber einige Betrachtung cm« fügen, welche uns die Durchlesung des Stück'es an die Hand gegeben hat. Das Soliloquium des Herrmanns am Alm fange des zweyten Acts könnte wohl geschickt v on

allen Instrumenten begleitet werden. Die Arie: Ich flöhe den Altar d er Schande rc. ma^t einen Theil der Handlung

aus, nämlich die Rechtfertigung des Sigiemurnd I 5

rind

den Inhalt des Recitatives ins Feuer gesetzet und es kommt ihm hernach die Arie nicht unnatürlich vor. Sie ist auch oft gleichsam eine Bekrönung dessen, iwaS vorher gesaget und gehandelt worden. S. Fortgesetzte Anmerkungen oben.

i3o ii. Thusnewe vom Hm. Scheiben, und den Eyfer, womit er seinen Fehler zu ver­ bessern gesucht. Es müssen ohne die höchste Noth die Recitative der Opern nicht lang seyn, weil man der deutlichsten Aussprache eines Sangers ohngeacht, unmöglich alles wohl verstehen, und auch nicht so pie bey den Arien in das Opern­ buch sehen kaun; nicht zn gedenken, daß man eine musikalische Belustigung erwartet, solche aber in den Recitativen von wenig Zuhörern ge­ funden wird. Daher muß der Dichter alle Ge­ legenheiten ergreifen, um einige Stücke der Handlung in die Arien zu bringen. Der Cpmponist wird ihm auch Dank dafür wissens Denn diu Arien, welche nichts als Maximen, Lehrfpirüche und dergleichen enthalten, flössen dem Musiko wenig Erfindung und Feuer ein. Die M.'usik ist die Sprache der Affecten, und diese sind voller Leben und Bewegung. Aue eben angeführter Regel hätte die folgen­ de Unterredung zwischen Herrmann und Sigis­ mund etwas kürzer seyn können. Da sie aber eiwmal da ist und so schön ist, so muß der Corn« pomist sich bemühen, den Ueberdruß deö Zuhö­ rer S durch Accompagnemente, eingemischtc Ariosen, und neue Führungen der Stimme und bee; Basses zu vermeiden. In der Arie: Es pranget die Freiheit rc. halte sich der Componist ja nicht bey den ersten drey Zeilen lange auf. Der Hauptsatz stecket in der vierten Zeile. Die Unruhe, der Schmerz des Sangers laßt sich zwar auf dem Wort: bestür­ met, nicht mahlen. Allein auf dem Wort: ängst-

n. Thusnekde vom Hm. Scheiben. 131 ängstlich, wird es angehen, und ohne einen schweren Lauf oder zu stark verwickelte dissonirende Intervalle, kann ein geschickter Sänger durch ziehende, bebende und ängstliche Töne die vor­ habende Empfindung auödrücken. Manche Componisten halten die daktylische Versart für unbequem zur Musik, und es ist wahr, sie ver­ ursachet meistentheris lange Wortfügungen, und läßt dem Sänger wenig Zeit zum Äthemhohlen. Vielleicht würde nicht übel gethan seyn, den folgenden recitativischen Vortrag des Segests mit kurzem Anstoßen der gesummten Instru­ mente zu begleiten, um des Sangers Hitze und Wuth desto besser auszudrucken. Zu der nachherigen Arie: Ich haste die Freyheit rc. ist die anapästifche Versart sehr be­ quem. Der Componist kann zuweilen die Me­ lodie des Sängers hinter den Commaten abbre­ chen , und dadurch dem Athemhohlen zu statten kommen. Nur wird er diese Arie nicht sehr lang eompomren müssen. Sie enthält eine Entschlos­ senheit, die bis zur Wuth gehet, und sehr starke Affecten dauren nicht lange. In den folgenden Auftritten ist lauter Recita­ tiv. Die grosse Verwirrung in der Handlung selbst wird dem Componisten allerhand besondere Tonführungen an die Hand geben, wobey aber doch noch das meiste auf die geschickte Action der Sänger ankommen wird. In dem fünfstimmigen Satze, am Schluß -eö siebenden Auftrittes, hat Marbod allein im­ mer

132 II. Thusnelde vom Hrn. Scheibe«, yrer das lezte Wort. Umgekehrt wäre es viel« leicht besser. Es nimmt mehr ein, wenn das Feuer am Ende eines Stückes wächset, als wenn es fällt, und dieses leztere ist hier zu be­ fürchten, nachdem vier Personen acht Tacte vorher gesungen, und eine einzele Person be­ schliesset mit vier Tacten. Doch wird ein ge­ schickter Componist die Wünsche des Marbod mit einer rührenden Begleitung der Jnstrm Mente zu unterstützen wissen. Man hat die Regel, daß in jedwedem mw» sikalischen Stück ein gewisse« Thema seyn müsse» Man hat aber schon bemerkt, daß in den mei­ sten Arien diese Regel einen Abfall leide. Lassen sich darin» auch einige Gänge wiederhohlen und zergliedern, so geschiehet eö doch auf eine sehr freye und galante Art. Zu dem kann man.sel­ ten sagen, welcher Gang eigentlich das Thema ausmachen solle. Insgemein nimmt man den ersten Gang oder Sah dafür. Ob dieß aber angehe, darf man nur die vorher da gewesene Arie: Ls pranget die Freyheit rc. ansehen, als deren Hauptgedanke erst, in der vierten Zeile vorkommt, und auf welcher folg­ lich auch der vornehmste Sah der Melodie erst vorkommen muß. In dem Chor des achten Auf­ trittes wird gax kein Thema herrschen können. Das Stück muß zwar einen gewissen Hauptcharacter, eine gewisse vorzügliche Denkunsart ha­ ben ; aber eben kein solch Thema und dessen Be­ handlung, wie man in den Fugen und Imita­ tionen

NTHusneldevomHm. Scheiben. 133 stottert re. antkift. Ein solch Thema gehöret zum Ausdruck, nicht aber zum Characker der Stückes, ob wohl der Ausdruck desselben gleichfttlls allemal dem Character gemäß muß eingsrichtek werden. In des dritten Auszuges erstem Auftritte kommt wieder ein Chor der Cheruskerjnnen vor. Es ist was neues auf unserer Opernbühne, daß derHr. V. die Chöre der Alken nachgeahmet hat.. Dieser Chor vermahnet Thusnelden zur Hofnung dieMekodie wird ein gewisses Ausehen der Ernsthaftigkeit mtd Höhe haben müssen, die in unsern Singspielen, ja vielleicht in unserer ganzenMtlsik wegen des immerwährenden Seuf­ zens-ugd wegen der überhäuften zärtlichen Ton» führuugen etwas seltenes ist, die uns aber doch -«'Bewunderung und Vergnügen mit sich fort­ reisset, wann die Erfindungen nur wirklich edel und erhaben sind. In der folgenden Arie: Ich rvarce voll Sehnsucht rc. würde ein magerer Kopf sich beym Klopfen und Schlagen des ängst­ lichen Herzens sehr lange aufhalten, und in der That werden sich auch einer geschickten Sänge­ rinn, Töne in den Mund legen lassen, die die Un­ ruhe und furchtsame Erwartung des Künftigen wohl ausdrücken. Hauptsächlich aber muß doch der ganze Charackettz der Arie davon zeugen. Im dritten Auftritte singt Thusnelde fast ein solches Recitativ wie in Jphigenia das Accompagnement: si, padre, si, morrd, war; nur sind hier nicht lauter Empfindungen, wie dort

134 IL Thusnelde vomHrn. Scheiben, -ort waren. Indessen wird einem empfindlichen und glücklichen Componisten auch hier nicht un­ möglich seyn, ein Meisterstück im Beweglichen zu machen, un-er kann vollkommen zu frieden seyn, wenn seine Töne solchen Eindruck im Zu­ hörer wircken, als man empfand, wie Herr Graun Jphigenia singen ließ: sna solo, Padre,

e Signor, confola, or qui prostrata re ne priegoy il dolore d’afflittiflima madre. Hiemachst. würde der Componist vielleicht noch überlegenob er mit dem Worten: 4> VnM rc. oder erst bey den Worten : Herr, dürfeichs wagen? rc-as Accompagnrment anfangen. solle. Ich glaube, er werde das erste 'thun könne«. Fer­ ner kann gefragt werden, wenn Segest tt| den darauf folgenden abgebrochenen Rede« spricht, ob der blosse Gesang des ActeurS zurrt Ausdruck der Empfindung hinlänglich und stark genug sty? oder ob nicht wenigstens der Baß immer einen kleinen Gang in verschiedenen Mo­ dis da einschieben solle, wo der Sänger inne halt? dergleichen AccompagnementHerr Graun in Angelika, und Medorus gemacht hat. Es ist zweifelhaft, was man der lyrisch ab­ gefaßten Ueberlegung für einen Namen geben solle, die den ganzen dritten. Auftritt ausmacht-, und nach welcher Segest sich erstechen will. Zu einer Cavate ist die Empfindung zu stark. Doch ein geschickter Componist wird diese trauri­ gen, schwarzen, und sich selbst feindlichen Vor­ stellungen auözudrücken wissen, ohne sich groß um

ii. Thusnelde vom Hm. Scheiben. 135 um den Nahmen zu bekümmern. Bleiben nur künstliche Triller und wirbelnde Läufer aus diesem Stücke weg, und wirb das Herz des Zuhörers durch fchwermüthige Töne nur so beklommen, daß ihm schon selbst was betrübtes voraus zu fühlen bedünket, so kann man einen vernünftelnden und nicht empfindenden Kunstrichter immer schreyen lasten, es sey nicht natürlich, eine Arie zu sin­ gen , wenn man sich selbst erstechen will. Ich wagte ee, ohngeachtet erst kurz vorher ein langes Accompagnement da gewesen ist, und setzte gleich zu Anfänge des vierten Auftritte» wieder eines. Nur würde ich die Arie des Segests mit Baßinstrumenren oder doch mit lauter tiefen Tönen der Violinen begleite«/ und" hier, da Thusnelde ihrem Vater in die Arme fällt/ durch hohe, scharfe Töne den Zuhörer aus sei­ ner Schwermukh erwecken. Wenn auch in den Accompagnementen bey den Absätzen der Rede, die Violinen immer kleine rührende, melodiöse Gänge, von sechs und mehr Noten, dazwischen spielen, so würde ich hier, sonderlich im Anfänge der Rede der Thusnelde, nur solche Zwischen­ sätze anbringen, die nicht mehr als etwann zwey Noten in sich hielten, und ihre Kraft aus einer schnellen Veränderung sonderbarer harmonischer Tonführungen hernähmen. Die Wahrschein­ lichkeit erfordert, daß die Sängerinn hurtig singe, und daran müssen die Instrumente sie nicht hindern. Aber die blosse Singstimme scheinet nicht Stärke genung zu haben, die Empfin-

IZ6 ii. Thusnelde vom Hm. Scheiben, pfinduiigen der Thusnelde auszudrücken; daher wünschte ich eine geschickte Begleitung der In­ strumente dazu zu Horen. Am Ende dieses Aufitrittes kommt Segest ganz wieder zu sich selber, und entschließt sich, in der Einsamkeit sein Leben zu end en. Er ist darüber ziemlich weitlauftig in Worten, und ich überlasse des Componisten Einsi cht und Erfindung, durch was für ein Kunst­ stück er auch hier die von den vorigen Empfin­ dungen so verschiedene Rührung erregen und den Zuhörer -im Feuer erhalten wolle. Denn den Segest bloß recitativisch singen zu lassen, scheinet mir gleichfals nicht nachdrücklich genug zu seyn. Ueberhaupt wofern der Componist alle in diesem dritten Aufzuge und sonderlich in den letzten Auftritten vorkommende Leidenschaften und Rührungen recht unterscheiden und nach ihren Graben glücklich abschildern kann, so wird dieser Act ein Meisterstück der beweglichen Schreibart und Setzkunst werden. Aber es gehöret dazu eine genaue Abmessung aller zu er­ langenden verschiedenen Zwecke, und der deshalb anzuwendenden Mittel; eine Sache, die noch miistentheils nicht in Acht.genommen wird. Daher kommt es aber auch, daß in Opern und überhaupt in Singstücken zwar rührende, rei­ zende, vortrefliche Stellen vorkommen, das Ganze aber der im Stück enthaltenen Empfin­ dung hat keine Vollkommenheit, und der Zuhö­ rer muß um so viel unwilliger werden, wenn er einsiehet, daß der Componist ihm bloß deewe-

ii. Thusnelde vom Hm. Scheiben. 137 wegen kein vollkommenes und nach allen seinen Theilen rührendes Gemählde vorgestellet, weil er zu bequem oder zu unwissend gemessn, alle diese Theile gegen einander abzumessen, und hiernächst mit dem erforderlichen Flersse zu ar­ beiten. Die im siebenten Auftritt vorkommende Arie sehet eine Begeisterung voraus, die zwar von einem sanftreizendcn Bllde entspringet. Die Ilmstande aber, worinn Jsmene von diesem Bilde eingenommen wird, flößen ihr zugleich ein Feuer ein, welches der Componist um so mehr giechfalS annehmen muß, da bt.fcr ganze so starke

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nachdrückliche Aufzug am Ende nicht abfallen noch matt werden darf. Aus eben dieser Ursa­ che und wegen des langen Textes ist dem Componisten auch keine weitläuftige Ausführung die­ ser Aeie verstattet, und eben dusss findet beym folgenden Chore statt. Der dritte Act enthält in dieser Oper das­ jenige, wodurch das Herz am meisten gerühret werden kann. Ich erinnere mich aber, schon bey Aufführung etlicher Opern bemerket zu ha­ ben, daß wenn auf eine so starke Empfindung noch etwas folgen soll, solches dem Herzen nicht mehr recht fühlbar ist. Man wollte lieber diese starke Rührung mit aus dem Schauspiel nach Hause nehmen. Vielleicht ist es auch wirklich ein Fehler, daß man dieses dem Zuschauer nicht verstattet. Vielleicht kommt er aber bey den Opern daher, weil man in der letzten Handlung I.Band. K gern

igS n. Thusnelde vom Hm. Scheibm. gern noch ein Opfer, einen prächtigen Aufzug, die Erscheinung einer Göttinn, eine kostbare Maschrne und dergleichen anbringet. Weil nun aber bey der Oper die Poesie und die Musik doch das vornehmste sind, und die Maschinen und Aufzüge sonderlich der leztern grosse Dien« sie leisten, indem sie den Zuhörer in aufmcrksa« mer Munterkeit erhalten helfen, so ist auch be­ sonders der Componist verpflichtet, hinwiederum obigenfals im lezten Act den Zuhörer so zu un­ terhalten , damit, wenn die angenehme Empfin­ dung seines Herzens geschwächet wird, seine Seele doch darüber nicht leer werde. Es giebt noch eine Gattung des Rührenden, nämlich die­ jenige , welche durch das Neue und Wunderbare vornämlich auf die Erhitzung der Einbildungs­ kraft zu gehen scheinet. Man könnte dieses das episch rührende, so wie jenes das dramatisch rührende nennen. Wenn also der erwehnte Anspruch des Zuhörers an den Componisten ge­ gründet ist, wenn dieser demselben nothwendig ein Gnüg^thun muß, will er nicht den Beyfall des Zuhörers nur halb gewinnen, so ist nur die Frage, durch was für Mittel der Componist den Zuhörer befriedigen könne? Gesetzt, daß es der Dichter durch die Weitläuftigkeit der Poesie, durch eine Menge der Arien, und durch die Länge der Recitative versehen, dergestalt, daß, wenn sonderlich die Arien, nach der gewöhn­ lichen Ausführlichkeit sollten in Noten gesetzt werden, bey solcher Länge unfehlbar das im vor-

n.Thusnelde vomHrn.Scheiben.iZ9 hergegangenen Act erregte Feirer erkalten würde : so muß alsdenn der Compomst solst)ee durch eine Kürze seiner Ausführungen abzuwenden suchen, und sich desto mehr auf solche Melodien besterßigen, welche nicht sowohl redend oder gar nur singend sind, sondern worrnn lauter Handlung, Action, Vorstellung ist. Kurze Ritornelle, wenig oder gar ferne Läufe für die Singstimme, lauter ausgesuchte, neue, kühne Gänge, wenig harmonische Arbeitsamkeit, als welche nur auf­ hält u. s. w. Recitative und Arien müssen immer in einander einfallen, ,um den Zuhörer desto besser zu überreden, daß blles Action sey. Diese Kürze, diese Eilfertigkeit ist selbst aus der Na» tue des Neuen, des Wunderbaren nöthig, wel­ ches der Componist hier seiner Arbeit geben muß, um dadurch, wie schon gesagt, wenigstens die Etnbildungekraft im Feyer zu erhalten, wenn er das Herz nistet weiter stark rühren kann. Durch diese Bemühungen wird der Componist verhüten, daß seinen Zuhörern beym letzten Auf­ zuge die Zeit nicht lang werde, welches nicht unterbleiben kann, wenn sie nach einer starken Rührung des Herzens nicht solche Reizungen der Tonkunst empfinden, die wenigstens die Sin­ nen und die Einbildungskraft einnehmen, er­ füllen und in gröster Bewegung erhalten. Mit dem Vorsatz, diesen, wie uns bedünkt, nicht ungegründeten Betrachtungen ein Gnüge zu thun, wünschen wir nun, daß der Componist sich auch zu dem vierten Aufzuge unseres vorK 2 haben«

140 ii. Thusnelde vom Hrn. Scheiben, habenden Singspiels wenden möge, und wir wollen selbigen, in dieser Absicht kürzlich noch durchgehen. Das Theater ist anfangs gleich nut vielen Personen, erfüllet, die einen Lobge­ sang singen. Die handelnden Personen fangen in fünf bis sechs kurz abgewechselten Sahen an, und es wäre zu unserm Zweck dienlich, wenn solches durch den ganzen Act fortdauerte. Statt dessen aber macht Sigismund in der Folge nur eine weitlauftige und fast nie unterbrochene Erzähiung.von dem Betragen des Volkes, da es in Betrachtung der handelnden Personen die Wir­ kung des ihnen nachtheiligen Gesetzes aufgeho­ ben u. s. w. Sollte diese lange Rede mit der blossen Begleitung des Basses gesungen wer­ den , so dürfte sie ohngeachtet aller Verständlich­ keit, die der Sanger seinem Vortrage geben möchte, doch der Sinnlichkeit des Zuhörers nicht genug Feuer einflöffen, oder dasjenige zu erhalten im Stande seyn, was ihm noch von der dritten Handlung übrig geblieben. Ohngeacht es also nicht sehr gewöhnlich ist, blosse Erzehlungen mit der völligen Musik zu begleiten, so würde hier solches doch nötig seyn. - Nur muß der Sänger durch lange Zwischenspiele nicht auf­ gehalten noch durch ein Geräusch der Instru­ mente betäubet werden. Das Chor muß dar­ auf gleich einfallen, und damit die Arie entwe­ der ohne oder nur mit einem ganz kurzen Ritornell verbunden werden. Am Ende derselben muß ja das Schlußriwrnell auch kurz seyn.

ix. Thusnelde vom Hm. Scheiben. 141 Die Länge solcher Ritornelle verräth am meisten, daß die Arie nicht sowohl Action und ein noth­ wendiger Theil der Fabel, als vielmehr nur ein lyrischer Zusatz gewesen. Dergleichen aber hier, und überhaupt -gegen den Schluß eines Sing? spieles niemals natürlich ist. Den Zwifchenritornellen muß man zuweilen einige Weitläuftigkeit lassen, weil der Sänger doch Athem hoh­ len muß. Hat er aber nicht viel Meliemata zu machen, so können auch dieft Ritornelle kurz seyn. Ueberhaupt halte ich für nothwendig, vom Anfänge dieses Aufzuges bis zu dem Chor, wel­ ches auf der Thusnelde Arie folgt, alles in ein­ ander ein fallen zu lassen. Es list nur eine Sachen, eine Handlung, nämlich, die Bezeugung ter Freude aller insgesammt und eines jeden insbe­ sondere, daß das ihnen begegnete Unglück so gut ausgeschlagen rc. Mit dem Chor derCheruekerinnen kann der Componist einen ordentlichen Schluß, im übri­ gen aber in diesem ganzen Auftritt alles stark, prächtig, und so viel als möglich rührend ma­ chen. Bey dem zweyten Auftritte wird es dem Componisien nicht an Feuer und Lebhaftigkeit fehlen, und er hat sich bloß zu bemühen, daß er zu der Erzehlung der Priesterin« Adelheik, und zu der darinn angeführten Rede der Göttinn Hercha, zu jeder ein verschiedenes abgemessenes und anständiges Accompagnement sehe, und die Arie der Priesterin» mehr durch erhabene Kürze alkünstliche Weitläuftigkeit reizend mache.

K 3

III. Mat.

143

G

(w)

ui. Matth efonii Plus

G

vltra,

em

Stückwerk von neuer und mancherley Art. Erster Vorrach dazu. Hamburg, veclegts Ioh. Adolph Martini. 1754. i Z4. Seiten in 8. redliche, fruchtbare und muntre Geist, der w die Feder des Herrn Legationsrathö allezeit belebet hat, leuchtet auch in diesem seinem fünf und siebenzigsten Werke, welches derselbe in «»MM'ruhmvolle» Mer von 7 g Jahren entworftn, aus allen ZÄten hervor. Der Endzweck dieser neuen Schrift ist, allerhand vermischte Materien kürzlich abzuhandelu, und zwar ist das erste Stück derselben, welchesdemHr. Ver­ fasser den ersten Vorrach zu nennen beliebet hat,-dem klingenden Gottesdienst, oder der Kirchenmusik gewidmet. Er beklaget sich zu­ förderst über die elende und schwache Besetzung -er Chöre in den meisten und größten evange­ lischen Kirchen, ein Umstand, in welchem es den­ selben die Cathollschen weit zuvor thun, wie solches mit zwev denkwürdigen ganz frischen Exempeln aus Lissabon und Bologna erwiesen wird. Zweytens wird bey Gelegenheit der angeführten dürftigen Umstände, worinn man die Sanger und Spieler bey Kirchen, die der Herr Legationörath christliche Leviten nennet, leben lässet, dieser Ausdruck der christlichen Le­ viten

III. Matthelonii Plus vltra.

143

Viten gar vernünftig vertheidigt. Drittens wird wider diejenigen, die dieft oder jene Zir­ kel- oder Zahlenkunst für das wahre Funda­ ment der Musik angeben, vieles sehr nachdenk­ liches vorqebracht. Es heißt, daß die freyesten, erhabensten und feurigsten Gemüther- von dem Begriffe und Gebrauch dieser edlen Kunst dadurch abgeschrecket, und zu steif und stumpf werden, was erbauliches in Kirchen oder Schu­ len zu stiften. Der Herr Verfasser behalt sich vor, in der Fortsetzung der Schrift diesen Artikel um­ ständlicher auözuführen. Viertens werden Neid und Eigenliebe als eine Hinderniß des wohlklin­ genden Gottesdienstes betrachtet. Fünftens beklaget sich der Hr. Legationörath über den Mangel derjenigen, denen der Schaden Jubals zu Herzen geht, und findet nur ein Paar redliche Manner, die sich mit ihm hierum bekümmert ha­ ben. Der erste ist der ehemahlige Cantor zn Tilfe, Hr. Georg Moy, der andere der noch lebende verdiente Cantor zu Lübeck, Hr. Lafpak Ruey. Diesem Paare füget der Hr. Legationerath noch den Hrn. Consistorialrath Lajpav Lalvör zu. Die dahin abzielenden Schriften besagter Männer werden besonders bey jedem angeführek. Nachdem endlich sech­ stens das mürrische und pinselhafte Wesen ge­ wisser Scheinheiligen als eine andere der Pracht im Heiligthum widerstehende Hinderniß be­ trachtet worden: So setzet der Hr. Verfasser mit «ndern so vernünftigen als erbaulichen BetrachK 4

tun-

144

m Matthefbnii Plus vltra.

tungen über das Lob GOtteS seinen Diseurs fort. Die aus dem englischen Zuschauer an­ geführte Stelle über die Kirchenmusik, die stück­ weise durchgegangen und allezeit mit den gründ­ lichsten und belesensten Anmerkungen begleitet wird, ist sehr ernsthaft, nachdrücklich und wahr. Wir wollen den Anfang davon herseHen. „ Wel„ che grosse Unkosten, heißt es, und was für „ungemeinen Fleiß wendet man nicht auf elende „Flickopern, deren wir die Menge mit Verdruß „ gelesen, und bis zum Eckel angesehen oder an„ gehöret haben? rc. Herzlich wäre es zu wün« „schen, daß ein gleiches Bestreben, und ein ebev „so wichtiger Aufwand Statt finden mögten, „ unsre Kirchenmusik in einen bessern und erbau„ kichern Stand zu setzen, damit dieselbe zu „größerer Vollkommenheit gebracht werden „konnte. Hierzu treffen die Componisten eine „besonders reizende Gelegenheit an, indem sie „ versichert sind, die auserlesensten Worte und „zugleich eine bewundernswürdige Mannigfal„ tigkeit- derselben, im Buchendes Heils, zu sol„ chem Zwecke, vorzufinden. . Keine Leidenschaft „ist zu erdenken, die nicht auf das feineste in „denjenigen Schriftstellen ausgedrücket wird, „ welche sich vor andern, zu geistlichen Sing-und „ Spielgedichten schicken, u. s. w." Zuletzt be­ spricht sich der Hr. Legationsrath mit denjeni­ gen, die sich über gewisse Klangfüße in geistli­ chen Liedern aus Unverstand ärgern, und ent­ scheidet gar klüglich die Frage: ob und wo man eine

iv. Neue Bücher.

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«ne weltliche Melodie in eine geistliche oder um» gekehrt, eine geistliche in eine weltliche verwan­ deln könne. Dieses ist ungefähr der Inhalt ei­ ner Schuft, die allen denjenigen, die so patrio­ tische. Gesinnungen als der Hr. Verfasser haben, höchstangenehm seyn muß. Wir wünschen dem­ selben eine beständige Verjüngung seiner Kräfte, und daß Er noch selbst das Vergnügen erleben möge. Seine redliche»» Wünsche und Absichten erfüllet zu sehen.

IV.

Neue Bücher. I. HAHider das in dem vorigen Stücke angeführte Schreiben des Herrn Roußeau von der französischen. Musik, siehet man nunmehr folgende Gegenschriften: 1) Apologie de la Mufique et des Muficiens Francois contre les aflertions peu melodieufes, peu mcfurees et mal Fondues du Sr. Jean Jac­ ques Rousseau, cidevant citoien de Geneve. is Seiten. 2) Lettre für celle de Mr. 1.1, Rousseau, ci­ toien de Geneve, für la Mufique, par Mr. Yzo. 24 Seiten. 3) Iustification de la Mufique frangoise, contre la quereile qui lui a faite par un Allemand *) et un Allobroge &c. s s Seiten. K s ArrSt *) Der Deutsche ist Herr Grimm, Secretair keym Herrn Grafen von Friesen, der in seinem klei­

nen

iv. Neue Bücher.

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«ne weltliche Melodie in eine geistliche oder um» gekehrt, eine geistliche in eine weltliche verwan­ deln könne. Dieses ist ungefähr der Inhalt ei­ ner Schuft, die allen denjenigen, die so patrio­ tische. Gesinnungen als der Hr. Verfasser haben, höchstangenehm seyn muß. Wir wünschen dem­ selben eine beständige Verjüngung seiner Kräfte, und daß Er noch selbst das Vergnügen erleben möge. Seine redliche»» Wünsche und Absichten erfüllet zu sehen.

IV.

Neue Bücher. I. HAHider das in dem vorigen Stücke angeführte Schreiben des Herrn Roußeau von der französischen. Musik, siehet man nunmehr folgende Gegenschriften: 1) Apologie de la Mufique et des Muficiens Francois contre les aflertions peu melodieufes, peu mcfurees et mal Fondues du Sr. Jean Jac­ ques Rousseau, cidevant citoien de Geneve. is Seiten. 2) Lettre für celle de Mr. 1.1, Rousseau, ci­ toien de Geneve, für la Mufique, par Mr. Yzo. 24 Seiten. 3) Iustification de la Mufique frangoise, contre la quereile qui lui a faite par un Allemand *) et un Allobroge &c. s s Seiten. K s ArrSt *) Der Deutsche ist Herr Grimm, Secretair keym Herrn Grafen von Friesen, der in seinem klei­

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iv. Neue Bücher.

4) ArrSt du confeil d’ Etat d’Apollon, rendu cn faveur del’ Orcheftre del’ Opera, contre le nommS 1.1. Roufleau, Copiste de Mufique &c. 14 Seiten. Ist in Versen. s) Lettre d’un Sage ä un komme respcftable, et dont il a besoin, 1g Seiten. Eine scherzhaft beissende Schrift. 6) Doutes d’un Pyrrhönien propofds smicalement L I. I. Rousseau. 36 Seiten. Auch «ine ironische Schrift. 7) Obfervations für la Lettre de 1.1. Rous­ seau au fujet de la Mufique frangoife. 19 Seiten. 8) Examen dc la Lettre de Mr, Roufleau für |a Mufique francoife par M, B. (Mr. Baton le jcune) z6 Seiten. Soll gut abgefassetseyn. 9) Apologie de laMufique francoife eontre Mr, Roufleau in 8. 78 Seiten. Soll die beste Gegenschrift seyn.

Man siehet hieraus, daß über die französi­ sche Und welsche Musik im Augenblick ein sehr hitziger Krieg in Paris geführet wird. Sowohl Die Philosophen als Poeten nehmen mit dem Tonkünstler Theil daran. Zum Anfänge dieses Jahrhunderts ward von den Herren Raguenet und de la Vreuville über die Musikart dieser beyden Nationen mit gleicher Heftigkeit gefoch­ ten. Jener nahm die Partey der welschen, dieser nett Propheten von Böhmischbrot wider die

ftanjösische Musik gewahrsaget hat.

IV Neue Bücher.

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dieftr die Partey der französischen. In deHerrn Legationerachs von Marrheson mustkalrstHer Rricik findet man, das was von den beyden benannten Verfassern hierüber geschrieben französisch und deutsch, und mit vielen gelehr­ ten Anmerkungen hin und wredsr versehen. Vielleicht endiget sich die itzige Federfechterey nicht anders als damahls. Jeder blieb bey sei­ ner Meinung, nachdem man sich müde geschimpfet hatte. Eine Partey ist öfters nicht biegsam genüg, Lehren anzunehmen, und die andere Nicht tonkündig genug, Lehren zu geben. Vielleicht kömmt es einer dritten Nation zu, den Ausspruch zu thun. Aber können sich auch Nicht unter dieser Parteyische finden, die nach emgesognen vorgefaßten Meinungen urtheilen, oder die aus Eigensinn nur das Bose einer Na­ tion, nicht aber ihr Gutes erkennen wollen? Diejenige Musik verdienet allezeit den Preist vor andern, in der mit dem Geschmack deLandes und der Zeit, die ächte Reinigkeit der Harmonie im Sahe glücklich verbunden wor­ den. Ohne diese ist keine Musik gut; einer herrschenden Gewohnheit sich aber widersetzen wollen, ist thöricht. Aber jedes Land hat die (einige, und hakt diese allezeit für die beste.

ist,

II. Der Königl. Kammermusikus, Herr ITIichelrnann, wird mit nächstem ein Werk von der Melodie der Presse unterwerfen, eine Materie, die von einer Feder ausgeführet zu werben verdiente, die, wie die seinige, sich durch die

v. Lebenöläuffe.

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die schönsten und schmackhaftesten praktische» Proben schon längst mit Beyfall der Welt gezeiget hatte.

V. Lebensläuffe. («) Ioh. Friedr. Agricola. Siehe dar I. Stück Pag. 76. i^Äerr Johann Friedrich Agricola ist am Sey 4 Januar des 1720 Jahres, in Dobit­

schen, einem im Fürstenthume Altenburg gelege­ nen Freyherrlichen Bachofischen Rittergnthe, aebohren worden. Sein Vater war Herr Jo­ hann Christoph Agricola, Herzoglicher Sach­ sen Gothaischer Kammer-Agent, im Fürstenthum Altenburg, und dabey Gerichtöverwalter auf den, im gedachten Fürstenthume liegenden Freyherrlrchen Bachofifchen Rittergüthern. Die Mutter ist Frau Maria Magdalena, Herrn Martin Mankens ehemahligen Kornschreibers auf dem Amte Grebichenstein, jüngste Tochter; eine Befreundtin des Herrn Capellmeisters Hän­

del in Londen. Nach zurückgelegtem vierten Lebensjahre wurde er von seinem Vater, der Unterweisung einiger geschickter Privatlehrmeister, unterge­ ben, und in den Anfangögründen der Musik un­ terrichtete ihn ein, im Clavier und Orgelspielen, mehr, als es eben sein Amt erfordert hatte, er­ fahr-

v. Lebenöläuffe.

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die schönsten und schmackhaftesten praktische» Proben schon längst mit Beyfall der Welt gezeiget hatte.

V. Lebensläuffe. («) Ioh. Friedr. Agricola. Siehe dar I. Stück Pag. 76. i^Äerr Johann Friedrich Agricola ist am Sey 4 Januar des 1720 Jahres, in Dobit­

schen, einem im Fürstenthume Altenburg gelege­ nen Freyherrlichen Bachofischen Rittergnthe, aebohren worden. Sein Vater war Herr Jo­ hann Christoph Agricola, Herzoglicher Sach­ sen Gothaischer Kammer-Agent, im Fürstenthum Altenburg, und dabey Gerichtöverwalter auf den, im gedachten Fürstenthume liegenden Freyherrlrchen Bachofifchen Rittergüthern. Die Mutter ist Frau Maria Magdalena, Herrn Martin Mankens ehemahligen Kornschreibers auf dem Amte Grebichenstein, jüngste Tochter; eine Befreundtin des Herrn Capellmeisters Hän­

del in Londen. Nach zurückgelegtem vierten Lebensjahre wurde er von seinem Vater, der Unterweisung einiger geschickter Privatlehrmeister, unterge­ ben, und in den Anfangögründen der Musik un­ terrichtete ihn ein, im Clavier und Orgelspielen, mehr, als es eben sein Amt erfordert hatte, er­ fahr-

v. Lebensläuffe.

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fahrner Schulmeister, Namens Martini, mit aller Treue und Fleiß.

Im Jahre 1738, um Ostern, begab sich Herr Agricola auf die hohe Schule nach Leipzig; wo er hierauf der Wcltweisheik unter D. Au-, guß Friedrich Müllern, und der Rechtöge« lahrtheit unter verschiedenen berühmten Lehrern oblag. Ueber die Geschichtekunde hörere er die Vorlesungen des Hofrathö Mastow, und D. Iöchers; und in der Redekunst war Gott« sthed sein Lehrer. Weil er aber von Jugend auf sich vorge« nommen hatte, mit der Zeit von der Musik sein Hauptwerk zu machen; so fing er gleich nach seiner Ankunft in Leipzig an, bey dem nunmehr seeligen Herrn Capellmeister Johann Seba­ stian Bach im Clavier- und Orgelspielen, wel« ches er einige Jahre her, nur durch eigene Ue­ bung fortgesehet hatte, Lectionen zu nehmen. Er hatte dabey Gelegenheit, unter seines Lehrers Anführung, bey der Kirchenmusik, und auch eine Zeitlang im Collegio musico, daß Erlernte immer auszuüben. Hierauf unterrichtete ihn gedachter Herr Kapellmeister Bach auch in der harmonischen Sehkunst, mit der ihm eigenen Gründlichkeit und Aufrichtigkeit. Nachdem Herr Agricola drey und ein halb Jahr mit den nur gemeldeten Beschäftigungen in Leipzig zugebracht, auch während dieser Zeit, bey einer nach Dresden angestellten kleinen Reise,

iso

v. Lebensläuffe.

Reise, daselbst zwey Passions-Oratoria, von Herr Hassens Arbeit, und die Osterfestsmusiken mit angehöret hatte, begab er sich im Herbste

des 1741 Jahres nach Berlin. Hier fieng er an mit der Vocalmusik und der theatralischen Composition sich immer näher bekannt zu machen; und übte sich einige Jahre hindurch in Verfertigung einzelner Arien und Cantaten. So wie ihm die Opern des Herrn CapellmeisterS Graun, welche er in der Aus» führung hörete, und des Herrn Obercapellmei» siers Haste in Dresden, in dessen Partituren er sich fieißig umsiihe, zu vollkommenen Mustern der theatralischen Schreibart dieneten; so brachten ihm die scharfsinnigen Beurtheilungen des Herrn dXtwns, welchem er jederzeit, ferne musikalischen Ausarbeitungen zu zeigen, die Er­ laubniß hatte, nicht weniger besondern Vortheil. Hrn. Telemanns und Hrn. -Händels Werke waren schon seit langer Zeit ein angenehmer und lehrreicher Vorwurf seiner Betrachtungen gewesen. Doch bemühete er sich auch, von der Sehart der ältern und neuern welschen Meister sich eine Kenntniß zu Wege zu bringen, wie er solches'in zwey mit dem Versager des kritischen Musikus an der Spree über den welschen un­ französischen Geschmack in der Musik im Jahre 1749 gewechselten Streitschriften an den Tag geleget hat. Diese Schriften hat er unter dem angenommenen Nahmen (Dhbrto herausgege­ ben, und heisset die erste: Sendschreiben eine-

v. Lebensläuffe.

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eines reisenden Liebhabers der Musik von der Tyber an den kritischen Musikus an der Spree. Dtc zweyte ist eine Apologie dieser ersten, und hecket: Schreiben an Herrn -- in welchem Flavio AnicioOllbrio sein Schreiben an den kritischen Musikus an der Spree vertheidigt und auf dessen Widerlegung antwortet. Im Herbste des J750 Jahres brachte er ein italienisches Schcrzspiel, 11 Filosofo convinto in Amure genannt, in Musik, welches die Ehre hatte, vor des Königs von Prmssen Majestät, in Potsdam, durch die geschickten komischen Acteurs den Herrn Lricchl, und die Frau Rosa Ruvinetti Bon, mit vielem Bey» fall, aufgeführet zu werden. Dieses Scherz­ spiel , und einige andere ernsthafte Arien, welche gleichfalö vor Sr. Majestät dem Könige waren gesungen worden, verschaffeten ihrem Verfasser daö Glück im May des 1771 Jahre­ in Königliche Preußische Dienste zu treten. Er verfertigte bald hierauf, auf allerhöchsten Be­ fehl , die Musik von einem neuen Intermezzo, la Ricamatrice betittelt. Dieses wurde, im Herbste eben dieses Jllhres, auf dem PotSdamischen Schauplätze aufgeführet.

Zur' Carnevalszeit dieses 1751 Jahres, rei­ fete Herr Agricola wieder nach Dresden, und hürete daselbst die Oper Ciro riconoläuto auf­ führen, mit deren Vorstellung die vortrcfliche Zaust»-

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v. Lebensläuffe.

Faustina, itnb der rührende Salinbeni, beyder­ seits das rühmliche Ende ihrer theatralischen Beschafttgungen machten. Die erstere nahm hier­ mit von der Schaubühne Abschied; dem lehtern aberlegte, nicht lange darnach, der Tod ein ewiges Stillschweigen auf. Herr Agricola hatte hier das Vergnügen die persönliche Be­ kanntschaft des Herrn Hasse und seiner berühm­ ten Gemahlinn zu erhalten; und aus dem Um­ gänge mit dem Herrn Concertmeister pistndel konnte er viele herrliche praktische Lehren und reizende Aufmunterungen mit nach Hause nehmen. Im Jahre 17^3 brachte er, auf Königli­ chen Befehl, die Oper Eleostde von der Poesie des Abts Metastasio in Musik; und hatte im darauf folgenden Carneval die Ehre, daß dieselbe, auf dem grossen Theater in Berlin, als die zweyte der gewöhnlichen Winter-Opern aufgeführet wurde.

Im Sommer des 1751 Jahres, verheyrathete er sich mit der Jungfer Benedetta Emilia Molreni, einer feit 1742 in Königlichen Preus­ sischen Diensten stehenden Sängerinn.

(ß)

Johann Gottlieb Janitsch. Sieh« das I. Stück. Pag. 77.

Herr Johann Gottlieb Janitsch ist 1708 den 19 Junius in Schweidnitz, im Herzogthum Schlesien gebohren. Sein Herr Va­ ter

v. Lebensläuffe.

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ter war ein Kaufmann dieses OrtS und nachhe­ riger Kayseri. Tabacks - Gefälleinnehmer der Fürstenthümer Schweidnitz und Jauer; feine Frau Mutter aber eine gebohrne Iungin, eine Tochter des Oberältesten bey der Chirurgie. Den Studien hat er auf der lateinischen Schule zur H. Dreyfaltigkeit vor Schweidnitz obgelegen, allwo er auch zugleich die Musik erlernet, zu welcher er beständig eine besondere Neigung bey sich verspüret, weswegen er sich auch, ehe er auf Universitäten gieng, eine Zeitlang nach Breslau begab, um von den damahls daselbst anwesen­ den Churmaynzischen Hofmusicis Vortheil zu ziehen« Im Jahre 1729 schickte ihn sein Herr Vater nach Frankfurt an der Oder, allwo sich Herr Ianitfth hier Jahr aufhielte, unr die Rechtsgelahrtheit zu studiren. Währender sol­ chen Zeit hatte derselbe verschiedene große Mu­ siken zu verfertigen und aufzuführen Gelegenheit, als die Gerenaca, welche des höchstfeel. Königs Majestät, als Dieselben im Jahre 1729 den 14 November die Messe besuchten, von den sämmtlichen daselbst Studirenden gebracht wur­ de; ingleichen diejenige, die Sr. damahls Kö« nigl. Hoheit, dem Kronprinzen, als Sie den 26 December 1731 sich auf einige Tage nach Franckfurth erhoben hatten, von eben denselben aufgeführet wurde, wie nicht weniger die, wel­ che dem damahligen Herzoge von Lothringen, itzt regierender Römisch-Kayserl. Majestät, bey Deroselben Durchreise durch Frankfurt im Mol.Band. L nathe

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v- Lebensläuffe»

nathe März 1732 gebracht wurde, und welche uncer allen die am stärksten besetzte war.

Nächst diesem hat Heer Janitsch noch ver­ schiedene kleinere Musiken von seiner Compofitio.t aufgeführet, als die Trauermustk bey der Gedächtnißrede auf den Herrn Professor Sa­ muel Strimesius; ingleichen diejenige, die bey der Beerdigung des wohlfeel. Herrn StaatsMlnisterS von Kniphaufen Excell. auf der Comtherey Lietzen abgesungen ward; ingleichen eine Abendmust'L, die die Studirende zu Franckfurt dem Rector Magnif. Herrn Professor Heineccius brachten; ingleichen eine Lancare, die bey Gelegenheit der Vermählung des Herrn Mal­ grafen von Bayreuth mit der KronprinzeDn Komgl. Hoheit, im großen Hörsaale bey der darauf gehaltenen feyerlichen Rede, aufgeführet ward, anderer zu geschweigen. Ausserdem hat Herr Ianitsch sowohl auf den Geburtstag Sr. damahls König!. Hoheit, des Kronprinzen, als auch auf den Geburtstag der damahls, regierenden Königinn Majestät verschiedene Musiken zu verfertigen und aufzu­ führen, die Ehre gehabt. Im Jahre 1733 am Sonnabend vor Pal­ marum verließ derselbe die Universität Frank­ furt, um sich nach Berlin und daselbst zu des würklichen Geheimden Staats- Krieges- und dirigirenden Ministers, Herrn von Happe Ex­ cellenz, als Secretariuö in Dienst zu begeben, wo»-

v. Lebensläuffe.

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worinnen Herr Janiksch drey Jahre ver­ blieben. Von dar wurde derselbe im Jahre 1736 von Sr. Königl. Hoheit, dem damahligen Kron­ prinzen, iht regierender Königl. Majestät, nach Ruppin beruffen, und von Höchstdenselben alKammermusikus in Dienst genommen. IN Reinsberg, wo Herr Ianitfch im Jahr 1740 das Unglück gehabt, in dem dasigen großen Brande daöSeinige zu verliehren, stiftete er eine musikalische Akademie, welche nachhero, da, nach Absterben des Höchstseel. Königs, die Kam­ mermusik Sr. itzcregrerenden Königl. Majestät nach Berlin folgte, hrefelbst fortgefthet ward, und annoch alle Freyrage, die Opernzcit ausge­ nommen, von verschiedenen Königlichen, Prinz« lichcn, Marggräflichen Kammer- und andern geschickten Privatmüsiciö und Liebhabern, mit großem Beyfall, in seiner Behausung fortgesehet wird. An öffentlichen Musiken in Berlin hat Herr Jsanitsch ein Te ’Deum laudamus verfertiget, welches bey Leguirg des Grundsteines zur Catholifchen Kirche von ihm aufgeführet worden, und von den Königl. Sängern und Instrumen­ talisten beseht ^gewesen; inglcichen hat derselbe, auf Befehl der Prinzeßinn Amalia Königl. Ho­ heit, die Ehre gehabt, die Musik zur Krönung Sr. ihtregierenden Königl. Majestät in Schwe­ den zu verfertigen, und solche nach Schweden zu senden, woselbst sie aufgeführet worden.

L 2

Da

156 vi. Die Capelle Sr. Kön. Hoheit, Da ihm auf Befehl Sr. Königl. Majestät die Aufsicht über die Redmenmusik anvertrauet

ist:

so macht er alle Jahre die dazu erfoderlichen Stücke, welche durch. 24 von verschiednen Re­ gimentern dazu von ihm ausgesuchte Oboisten gespielet werden.

Im Jahre 1749 den 14 Januar, verheyrälhete sich Herr Iamrsch mit der Jungfer Johann-Henrierce, gebohrnen Eymerin, des Herrn Bürgermeisters und Königl. Hofraths Nicolai adoptirten Tochter, wovon er den ioten October 1770 eine kleine Erbin erhalten.

VI. Die Capelle Sr. Königl. Hoheit, des Prinzen und Marggrafen Carl, in ihrem dermahligen Zustande.

1)

Friedrich Leopold Raab, Violinist, gebohren 1721 zu Glogau in Schlesien, hat im Jesinterkloster zu Breslau einige Jahre den Studien obgelegen, woselbst er auch zugleich als Sanger bey Kirchenmusiken gebraucht worden. Die Anfangsgrände der Violine hat er bey einem Geiger, Nahmens Rau,geleqet, sich aber unter der Anführung des berühmten Königl. Kammermu­ sikus, Herrn Franz Benda, hieselbst auf diesem Instrument vollkommener ausgebildet, in dessen Geschmacke er auch, aus eignem Naturell, Con­ certen, Solos und Synfonien setzet.

2)

Herr August Rohn, Violinist, gebohren 1732 zu Königsberg in Preussen, hat bey seinem Herrn Vater die Musik angefangen, solche bey einem

Bio-

156 vi. Die Capelle Sr. Kön. Hoheit, Da ihm auf Befehl Sr. Königl. Majestät die Aufsicht über die Redmenmusik anvertrauet

ist:

so macht er alle Jahre die dazu erfoderlichen Stücke, welche durch. 24 von verschiednen Re­ gimentern dazu von ihm ausgesuchte Oboisten gespielet werden.

Im Jahre 1749 den 14 Januar, verheyrälhete sich Herr Iamrsch mit der Jungfer Johann-Henrierce, gebohrnen Eymerin, des Herrn Bürgermeisters und Königl. Hofraths Nicolai adoptirten Tochter, wovon er den ioten October 1770 eine kleine Erbin erhalten.

VI. Die Capelle Sr. Königl. Hoheit, des Prinzen und Marggrafen Carl, in ihrem dermahligen Zustande.

1)

Friedrich Leopold Raab, Violinist, gebohren 1721 zu Glogau in Schlesien, hat im Jesinterkloster zu Breslau einige Jahre den Studien obgelegen, woselbst er auch zugleich als Sanger bey Kirchenmusiken gebraucht worden. Die Anfangsgrände der Violine hat er bey einem Geiger, Nahmens Rau,geleqet, sich aber unter der Anführung des berühmten Königl. Kammermu­ sikus, Herrn Franz Benda, hieselbst auf diesem Instrument vollkommener ausgebildet, in dessen Geschmacke er auch, aus eignem Naturell, Con­ certen, Solos und Synfonien setzet.

2)

Herr August Rohn, Violinist, gebohren 1732 zu Königsberg in Preussen, hat bey seinem Herrn Vater die Musik angefangen, solche bey einem

Bio-

des Prinzen und Marggraftn Carl. 157 Violinisten, Nahmens Zachow, fortgesetzte, durch eignen Fleiß lind Nachahmung guter Meister aber, die größte Stärke auf diesem Instrumente erlan­ get. Von seiner Composition, wozu ihn der vortreflicke Clavicembalist und Kammermusikus bei­ der Prinzeßtnn Amakia König!. Hoheit, Herr Schasrarh, angewiesen, hat er bereits verschleime gute Proben abgeleget.

3) Herr Johann Christian Jacobi, Oboist, geb. 1719 zu Lilse in Preußisch Litthauen, wo si'.n seel. Herr Vater, der nicht weniger auf der Violine, als der Oboe, besonders geschickt war, ihm dre ersten Gründe dieses letztem Instruments beybrachte, und der nicht ermangelt haben würde, ihm den übrigen Theil seines Talents durch getreue Anwei­ sung mitzutheilen, wenn ihm solcher nicht wäre durch einen frühzeitigen Tod entrissen worden. Er konnte also, in Entstehung eines guten Vorbil­ des, indem er sein eigner Lehrmeister seyn mußte, seiner ungemeinen Neigung zur Tonkunst nicht eher genung thun, als bis er nach Berlin kam, wo er nicht saumete, sich des Unterrichts des seel. Peter Glösch, eines damahligen König!. Kammermusi­ kus und berühmten Virtuosen auf der Oboe, zu bedienen. Hiezu kam, daß er 1746 in die Capelle Sr. König!. Hoheit ausgenommen ward, wo er einige Jahr darauf mit dem König!. Kammer­ musikus, Herrn R»edt, bekannt zu werden Gele­ genheit hatte. Dieser um die musikalischen Wahr­ heiten sich eifrigst bekümmernder verehrenswür­ diger Tonkünstler bahnte dem Herrn Jacobi den Weg zur Erkenntniß der Harmonie; und da er zugleich Gelegenheit fand, ein Mitglied der musi­ kalischen Akademie zu werden, welche sich wö­ chentlich bey dem Königl. Kammermusikus, Herrn Janitsch, versammelt, dieser aber so wohl in der Composition als Kanntniß aller anitzo üblichen r 3 3«*

iz8 vi. Die Capelle Sr. Kön. Hoheit, Instrumente sehr geschickte Mann, der so wohl für die OboL, als andere Instrumente, allerhand Erfindungsvolle Trios, Quadros und Concerten, in den gewöhnlichern und ungewöhnlichem Tönen, gesetzet hat, ihm vermittelst Gemeinmachung die­ ser Stucke zur rechten Ausübung der Oboe Vor­ schub that: so war dieses dem Herrn Jacobi ein Mittel, seine Einsichten und seinen Geschmack alle Lage zu erweitern, und zu derjenigen Starke auf diesem Instrumente zu gelangen, die ihm den Beyfall der Kenner erworben hat. 4) Herr Johan»» Friedrich Aschenbrenner, Flö­ tenist, geb. 1728 zu Soldin in der Neumarck, spielt ausser diesem Instrument das Clavier. Das erstere hat er unter der Anweisung des Königl. Kammermusikus, Herrn Lmdner, nach der Me­ thode des berühmten Hrn. (üuanz, erlernet. 5) Herr Joachim Friedrich Roden»an»r, Oboist, geb. 1716 zu Prenzlau, hat sich der Anweisung des ehemahligen Marggrafl. Schwedtischen, nun­ mehr» aber Marggrafl. Bayreuthischen Kammer­ musikus, Hr». Döbberc, bedienet.

6) Mademoiselle

Therese petrini, Harfenistinn, geb. 1736 hat bey ihrem seel. Hrn. Vater, welcher einer der größten Virtuosen seiner Zeit auf der Harfe gewesen, der aus allen 24 Tonarten mit gleicher Fertigkeit auf derselben gespielet hat, und als Königl. Kammermusikus vor wenig Jahren hl-selbst verstorben ist, dre ersten Gründe auf die­ sem Instrument und in der Slngknilsi geleget. Nach besten Tode hat sie sowohl im Singen als im Generalbaß sich der Methode des Königl. Kammermusikus, Herr»» Agricola, bedienet, und dadurch die Geschicklichkeit erworben, sich zugleich mit der Harfe, wenn sie singet, zu accompagniren. 7) Herr

des Prinzen und Marggrafen Carl. 159 7) Herr Jacob Ludewig Ebel, Violinist, gebohren 3718 zu Cüstrrn, hat sich durch eigenen Fleiß und einige Anleitung des Herrn Raab gebildet.

8) Herr Carl Wilhelm Rammn, Violinist, gebohs reu 1735 zu So'.dm, hat bei) fernem Herrn Vater, welcher als erster Violinist m den Diensten Sr. Kvnigl. Hoheit gestorben, den Anfang auf der Geige gemacht; bey seinem Vetter aber, dem Hochfürsil. Hollstem-Schleßwigischen Kanunermusikus, Herrn Berwald, dieselbe fortgesetzet und sich in der Musik geschickter gemacht.

9) Herr Johann Friedrich Richter, Fagottist, gebohren 1689 ilt Berlin, ist wegen seiner fertigen Doppelzunge auf diesem Instrumente schon bekannt genung. Er gehörte vormahls zur Capelle der Königin Frau Mutter, höchstwelche ihm noch eme jährliche Pension angedeihen lassen. 10) Herr Johann Christian Schwedler, Violon­ cellist, gebohren 1710 zu Zielenzig. 11) Herr Carl Ludewig Bewerich, Contraviolonist, gebohren 1707 zu Berlin.

12)

Herr Christian Wilhelm Heinrich, Bratschist, gebohren 1710 zu Woldenberg in der Neumark.

i z) Herr Zachäus Wilhelm Albrecht, Violinist, gebohren 1732 zu Berlin.

14) Herr Georg Erhard Fischer, Oboist, gebohren 1732 im Elsenachlschen. Ist ein Schüler des Herrn Jacobi. 15) Herr Amonius HZyel, Waldhornist, gebohren 1719 in Rockrtnitz in Böhmen. 16) Herr Johann Blaßick, Waldhornist, gebohren

1743»

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17) Herr

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vii. Schreiben aus Paris.

17) Herr Christian Wilhelm Hempel, Clavicemballst, gebohren 1727 in Soidin, ein Schüler auf dem Clavier vom Herrn Schale, und auf der Flöte vom Herrn Riebt, beyden Köntgl. Kammermusicis. VII.

Schreiben aus Paris über -en Streit daselbst zwischen den französischen und welschen Tonkünstlern. Aus dem Französischen übersetzt. (Da der IV. und V. Artikel dieses zweyten Stü­ ckes bereits abgedruckt war, als mir nach­ folgendes Schreiben bekannt wurde, so habe ich einen besondern Artikel daraus machen müssen, ob es gleich zu dem IV. hingehöret.)

Mein Herr! seit ihrer Abreise ein Haufen Thorheiten hieselbst vorgegangen sind, ist eine Wahr­ heit, die sie meines Erachtens nicht in Zweifel ziehen werden. Aber von allen denen, die hier vorgegangen sind, weiß ich keine, die das unbe­ ständige und leichtsinnige Wesen unsrer Nation mehr an den Tag geleget hätte, als diejenige, wovon ich ihnen hiemlt Nachricht geben will. Es ist ungefähr ein Jahr, als eine Bande von denjenigen italiänischen Musikanten, die, wie ein gewisses Volk, ganz Europa durch­ streichen, hieselbst anlangte. Ganz Paris wurde in

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vii. Schreiben aus Paris.

17) Herr Christian Wilhelm Hempel, Clavicemballst, gebohren 1727 in Soidin, ein Schüler auf dem Clavier vom Herrn Schale, und auf der Flöte vom Herrn Riebt, beyden Köntgl. Kammermusicis. VII.

Schreiben aus Paris über -en Streit daselbst zwischen den französischen und welschen Tonkünstlern. Aus dem Französischen übersetzt. (Da der IV. und V. Artikel dieses zweyten Stü­ ckes bereits abgedruckt war, als mir nach­ folgendes Schreiben bekannt wurde, so habe ich einen besondern Artikel daraus machen müssen, ob es gleich zu dem IV. hingehöret.)

Mein Herr! seit ihrer Abreise ein Haufen Thorheiten hieselbst vorgegangen sind, ist eine Wahr­ heit, die sie meines Erachtens nicht in Zweifel ziehen werden. Aber von allen denen, die hier vorgegangen sind, weiß ich keine, die das unbe­ ständige und leichtsinnige Wesen unsrer Nation mehr an den Tag geleget hätte, als diejenige, wovon ich ihnen hiemlt Nachricht geben will. Es ist ungefähr ein Jahr, als eine Bande von denjenigen italiänischen Musikanten, die, wie ein gewisses Volk, ganz Europa durch­ streichen, hieselbst anlangte. Ganz Paris wurde in

viL Schreiben aus Paris.

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in ihre Concerte hineingelockt, und fiengen sie mit glänzerndem Erfolge an, alö sie zu vermuthen im Stande waren. Bey einer Nation, die die Begierde zur Neuigkeit bis zu einer Art der Raserey treibet, wird solches gar nicht ausser­ ordentlich scheinen. Bey der Ankunft dieser neuen Amphions, deren Musik man schaarweise besuchte, kamen unö unsere bisherigen großen Meister, ein Lully, Campra, Detouches, ja selbst ein Rameau nicht anders als Schüler vor, ob wir ihre Vorzüge und Verdienste bishero gleich aufs höchste verehret hatten. Wir sahen sie nicht mehr andere als für solche Leute an, die zur Noth dem gemeinen Volk bey dem Pontneuf die lange Weile vertreiben könnten, und erwiesen wir ihnen den Schimpf, sie zu den Bänkelsängern zu verweisen. Kurz, unsere Raserey für diese neuen Ankömmlinge gieng so weit, daß wenig daran fehlte, daß nicht cm Aufruhr bey unö entstanden wäre. Das we­ nigste was unö wiederfahren konnte, war, daß unsre Oper gänzlich abgeschaffet werden, und dieses fremde Concert an die Stelle kommen sollte; und, wenn eö auf unsere junge Herren und auf die alamodischen Damen angekommen wäre, so würde dieser schöne Vorschlag-sogleich ins Werk gerichtet worden seyn. Aber sie wissen, mein Herr, das alte Sprichwort: daß strenge Herren niemahls lange regieren, und keine Na­ tion hat dasselbe mehr bekräftiget, alö die unsrige. In der That, so hihig, ja so heftig wir L 5 auf

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VI l. Schreiben aus Paris.

auf die neuen Gegenstände sind, die uns rühren, so werden wir dennoch eben dieser Gegenstände bald müde, so bald sie den angenehmen ReiH des Neuen verlohren haben, als womit es bey nns weniger, als anderswo, Stich hält. Ja, was noch mehr ist, wir lassen uns wider das­ jenige einnehmen, was uns am meisten ver­ gnüget hat; ent betrübter Zufall, der allhier der welschen Musik begegnet ist, deren Verthei­ digung kaum die eifrigsten Anbeter derselben nunmehro über sich zu nehmen wagen, so wie dieses nicht.ein Franzoß, (denn er würde von unsrer Nation gesteinigt worden seyn) sondern ein ehrlicher Genfischer Bürger unlängst ge­ than hat, dessen seltsame Denkungsart schon der Welt bekannc ist, und welchem unsre Gelehrten, meines Erachtens nach, eine Ehre erwiesen ha­ ben, die er nicht verdiente. (*) Dieser Mensch, welcher Johann Jacob Rousseau heisset, hat eine nicht weniger wunderliche Lebens-als Denkund Schreibart. Dieser Philosoph von einem neuen Gepräge bildet sich ein, daß eö einem geschick-

(*) Er ist der Verfasser von einer Abhandlung, wonnnen er zu beweisen gesuchet hat, daß die Künste und Wissenschaften der Gesellschaft unendlich nach» Heiliger, als nützlich sind. Diese Abhandlung hat den Preiß der Academie zu Dijon erhalten, eine Probe von der Gründlichkeit der mehresten Köpfe von un­ sern Provincialacadcmien. Diese paradoxe Mei­ nung, die gerade der Unwissenheit und Dummheit Recht spricht, ist von vielen treflichen Gelehrten wider den Herrn Rousseau gründlich widerlegt worden.

vii. Schreiben aus Paris.

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geschickten Kopfe nicht erlaubet ist, von seinem Talente zu leben, und daß alle Leute, nach dem Buchstaben der heiligen Schrift, im Schweifte ihres Angesichts, vermittelst einer mechani­ schen Arbeit, ihr Brot verdienen und eften sollen, so wie er diese Marime in Ansehung sei­ ner wahr macht. Als ein Mllsikcopist lebet er von nichts als vom Notenfthreiben; so gar chat er die Taxe davon auf etwas sehr weniges, nein« lich auf zwey Stüber für eine Duodezseite, auf vier für eine in Quarto, und auf sechs für eine in Folip gesetzet. Er ist so gewissenhaft in die­ sem Stücke, daß da der Graf von Clermont, ein Prinz von Gebküte, für welchen er einige Galanteriestücke gesetzet hatte, sich ihm für seine Mühe erkenntlich erzeigen wollte, und nicht wüste, wie man eö damit anzufangen hätte, mau diesem Herrn den Rath ertheilte, den Rousseau einige Musiken copiren zu lassen, und diese Ge­ legenheit zu ergreiffen, ihm seine Großmuth zu bezeugen. Man folgte diesem Rathe, und brachte dem Herrn Rousseau einige musikalische Stücke zum Abschreiben. Da dieser damit fer­ tig war, so ließ der Prinz, der nur einen Vor­ wand hatte haben wollen, seine Erkenntlichkeit zu beweisen, ihm fünfund zwanzig Louisd'or reichen. Man scherzet mit mir, versetzte Herr Roußeau gegen denjenigen, der ihm solche im Nahmen des Prinzen einhändigte. Darauf nahm er nur einen einzigen Louiö d'or, wovon er noch die Hälfte wieder heraus gab, schickte den gan-

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viL Schreiben aus Paris,

ganzen Rest zurücke, und wollte nicht weiter davon reden hören. Noch eine schnackifche Historie von dem Herrn Rousseau. Da derselbe sehr öftere aufs grausamste mit Sternschmerzen geplaget wird, so haben ihm ferne Freunde gerathen, sich operiren zu lassen, als welches das einzige Mittel zur Genesung wäre; worauf er aber kaltsinnig geantwortet, daß sich dieses nicht der Mühe ver« lohnete, und daß er lange genung gelebt hatte.

Doch um zu dem neuen Werke des Hrn. Roußeau zurück zu kehren, worinn er, auf Kosten der französischen Musik, die welsche vergöttert har, und weiches seines sonderbaren Inhalts wegen so geschwinde vergriffen ward, daß man etliche Auflagen hintereinander davon machen müssen, so heißt solches: Lettre für la mufique Francoife &c. (Hier wird dieses Schrei­ ben, wovon wir aus beut ersten Stücke dieser Beyträge schon hinlängliche Nachricht haben, kürz­ lich reecnstret.) Da dieses Schreiben in sehr wenig bedächtigen Ausdrücken abgefaßt ist, so konnte nichts anders als Lärm daraus entstehen. Die musikalische Nation, die so nahe mit den Poeten verschwistert ist, ist nicht zum Schonen geneigt. Aber wie sollte man diese Beleidigung rächen? Sie werden es niemahls errathen, mein Herr, auf was für eine Art es diese Herren angestellct haben. Nachdem sie den Herrn Roußeau auf das ärgste geschmäht und

vir Schreiben aus Paris.

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geschimpfte hatten, so hängten sie unlängst Mit­ ren in der Oper dieses Schreiben über dem Theater auf, wo solches noch auf eben die Manier, als man in Kriegeszctten die von dem Femde eroberten Fahnen in der Kirche auftuhenken pfle­ get, angeheftet ist. Sie haben aber bey dieser poßierlichen Rache einen weit andern Bewe­ gungsgrund gehabt; die Absicht der Tonkünsiler bey diesem lächerlichen Verfahren, war, wider diesen Feind des Vaterlandes Racher zu erwe­ cken, und in der That, so haben sich schon ver­ schiedene auf dem Kampfplatze gezeigt. Doch alles, was ich ihnen itzo berichtet habe, mein Herr, ist nur theils abgeschmackt, theils knrzweilig und lächerlich. Aber der Auftritt wird verändert werden. Er wird tragisch, ja blutig ausfallen. Es ist nun einmahl die Ge­ wohnheit unsrer Franzosen, daß sie um ein Nichts, ja um die abgeschmacktesten Dinge, von Leder ziehen, und ihre Ehre darinn verwickelt halten. Sie sollen einen neuen Beweiß da­ von sehen, und diesen bey Gelegenheit des Roußeauischen Schreibens. Die Sache ver­ hält sich folgendergestalt: Der berühmte welsche Sänger ynd Castrat Caffarelli, das Haupt der Bande, wovon ich geredet habe, speisete bey dem Herrn de la popliniere, mit einem unsrer Dichter, Nahmens Ballots einem großen Bewunderer des Herrn Rameau. Sie geriethen beyde in einen Wort­

wechsel.

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vil. Schreiben aus Paris.

wechsel. Der erste, der von der Lobschrift der Bürgers aus Genf taumelnd geworden, war, sthrie überlaut, daß, wenn die Franzosen wollten sehen lassen, daß ste Geschmack hätten, sie damit den Anfang machen müßten, daß sie dem ihri­ gen absagten und die Musikarr seines Landes annahmen. Die Gäste waren über diese wich­ tige Materie getheilet. Herr Ballot, welcher sich berechtigt hielte, die wankende Partey unsrer Musik aufrechte, zu erhalten,, föchte nur immer mit schwachen Gründen. Caffarelli antwortete, und da Ballot keine Gründe zurückgeben kgnnte, so nahm er seine Zuflucht zum Schimpfe-,/ Der

Italiäner blieb ihm nichts schuldig; kurz diese beyden Leute wurden so hitzig, daß sie sich bey Tisch erwürget haben würden, wenn sich die Gäste nicht dazwischen gelegot und sie auöeinander gebracht hatten. Sie vertrugen sich, aber nicht länger als bis auf den Nachmittag. Sie hatten sich ohne Vorwissen derjenigen, die sie versöhnet hatten, das Wort gegeben, sich an einem gewissen Orte wieder zu finden. Sie fanden sich in der That daftlbsten ein, und husch­ ten sich dergestalt einander herum, daß der arme Ballor, der kein so guter Fechter als Caffarelli

war, verschiedene Stiche bekam, von welchen man meinet, daß er schwerlich wieder aufkom­

men wird. -----Tantaene anitnis coeleftibus irae!

Paris, den roten Januarius i 7 V 4-

VIII. Musi-

G E 167 VIII. Musikalische Neuigkeiten O

aus Berlin, I)

ist unlängst ein geschickter junger ’S/ Clavierist aus Engelland, Nahmens John Burron, über Hamburg aus London angelanget. Er ist ein Schüler vom Herrn Reeble, einem berühmten Clavisristen der Zeit und Organisten bey der Georgiuskirche in Lon­ don. Herr Burton, der mit einer ungemeinen Lebhaftigkeit, einen sehr stießenden, netten und blühenden Vortrag verbindet, reiset der Musik wegen, und will den Geschmack und die Virtuo» sen anderer Länder naher kennen lernen. Die Vorureheile, die man in London wider den deutschen Geschmack hat, haben ihn nicht verhindert, seine Reise mit Deutschland anzufan­ gen. So viel man nemlich aus den Discursen des Herrn Burton schliessen kann, so sind die teutonischen Virtuosen in seinem Lande eben nicht zum besten angeschrieben. Sie haben nicht das Glück der welscheü Tonkünstler bey denen Damen, die daselbsten das Verdienst, wie die Form eines Fächers, ohne Erlaubniß eines weikexn Appells, zu entscheiden, und jemanden durch einen richterlichen Machtspruch entweder mit einmahl in Credit, oder gänzlich darum zu bringen gewohnt sind. Das ehrbare und ernst­ hafte Wesen unserer Landesleute, das dem flüch­ tigen

i68 vni. Musikalische Neuigkeiten, eigen schimmernden transalpinischen Leichtsinn zum Schatten dienet, flösset diesen unerbittlichen Richterrtlnen des Landes keine vortheilhafte Idee von der deutschen Musikart ent. Sie urtheilen nach dem Aeusserlichen, und sehen uns für Leute an, die kaum in den FingerspiHenVerstand haben. Die Welschen sind allein am Brete, und werden ihre Sachen, so schwindsüchtig sie öfters sind, als so viele Muster des Aechten geschahet. Will ein Deutscher in Engelland fortkommen, so muß er eine italiänische Fahne aufstecken, und Nah« men, Vaterland und Geschmack verleugnen. Doch dieses ist schon was altes. Es ist nicht seit heute, das; die Deutschen sich den Geschmack absprechen. Alles, was sie gutes machen und erfinden, muß ja mit dem Stempel des Jtaliä« Nischen bezeichnet seyn. Schätzet man nun von ungefähr das Werk eines Deutschen deßwegen, weil es ein Nachbild des italiänischen Witzes seyn soll, so müssen ja die Werke und die Vir­ tuosen aus einem Lande, wo derjenige schöpferi­ sche Geist zu Hause seyn soll, den man in Deutsch­ land nachzuahmen suchet/unstreitig noch höher zu schätzen seyn. So schliessen die Ausländer. Bey allem diesen sind die Deutschen geruhig und blasen nicht gleich Lärm, wie ihre unruhigen und hitzigen Nachbarn jenseit des Rheins,wenn man sie um die Ehre ihres Geschmacks bringen will. Wir widersprechen in diesem Stücke unserm Character -er Gelassenheit und Bieg­ samkeit nicht. II)Ber

viii. Musikalische Neuigkeiten. 169 il) Bey so vielen Vorzügen, die der Flü­ gel biShero hatte, war derselbe dennoch mangel­ haft. Alle andere gewöhnlichen Instrumente haben dieses mit der Meüfthenstimme gemein, daß man den Ton darauf aushalten, und den­ selben an der Stärke sowohl wachsen als abneh­ men lassen kann. Dem Flügel alleine fehlte die­ ser Vorcheil zu seiner Vollkommenheit, da er gleichwohl in Ansehung seiner Ausdehnung in die Höhe und Tiefe, in Ansehung der Vollsiimmigkeit, in Ansehung der Vestigkeit und Gewißheit seines Tones, und in Ansehung der Temperatur, vermöge welcher man, aus allen 24 Tonarten, ohne Beleidigung des Gehörs mit gleicher Reinigkeit spielen kann, andrer treflichen Eigenschaften nicht zu gedenken, es mit allen andern Instrumenten aufnehmen konnte. Einem geschickten Mechanicus hieselbst, dem Herrn Hohlfeld war es vorbehalten, diesem Mangel abzuhelfen, und dadurch eine Ent­ deckung zu machen, die zwar verschiedene Künst­ ler sowohl in als ausserhalb Deutschland mit ziemlich gutem Erfolge versucht, aber noch nir­ gends zur Vollkommenheit gebracht hatten. ’ Dieses neue Instrument, welches der Herr Erfinder einen Bogenflügel (davecin ä archet) benennet hat, kömmt in der Grösse und dem äusserlichen Ansehen einem kleinen einchörigen Flügel bey, ausser daß selbiges mit Darmsai­ ten bezogen ist, von welchen es folglich zwar nicht den gewöhnlichen Silberklang eines gemei­ nen Flügels, aber gegenkheils einen der MenI. Band. M schen-

170 via. Musikalische Neuigkeiten, scheustimme desto ähnlichem schmeichelnd durch« dringenden Ton erhält. Nahe unter den Sarren entdecket man einen aus verschiednen Haa­ ren , ohne das geringste Merkmahl eines Kno­ ten, in die Länge zusammengesetzten doppelten geraden Violinbogen, welcher wahrendem Spie­ len vermittelst eines Rades in Bewegung ge­ bracht und umgetrieben wird. Da die Claves mit den Saiten durch kleine Häckgen verbunden stnd, so geschicht es, daß wenn inan eine Taste niederdrücket, die Saiten nothwendig zugleich nachgeben, und den unter ihnen sich fortbewef genden Bogen berühren müssen, wovon sie alsdenn ihre Ziccerung und folglich ihren Klang er» halten, der so lange dauert, als man den Fin­ ger auf der Taste lässet. Wie man nun vermittelst deö verschiednen schwächer» oder stärker» Druckes mit dem Fin­ ger alle nur mögliche Grade des forte und piano, nebst der Bebung, ohne die geringste Abände­ rung des Tones in Ansehung der Höhe od?r der Tiefe, haben kann: so kann man ebenfals, weil der Bogen nichts von seiner geraden Spannung nachgiebet, die allerlängsten Töne bey fortdau­ erndem gleichen Druck, in gleich starkem oder schwachen Anschläge beständig erhalten. Die Tractirung dieses Bogenflügels ist noch leichter als auf dem gemeinen Clavichord, weil der Bogen sehr nahe unter den Saiten wegftreichet, und bey dem geringsten Druck des Fingers ein deutlicher Ton entstehet, welches man bey allen übrigen Arten von Clavieren vermißt, wo, wegen

viH. Musikalische Neuigkeiten. 171 wegen ungleicher Stärke der Finger, in ge­ schwinden Säßen leicht eine Note verlohren ge­ hen kann. Mawist also im Stande, alle mög­ liche Spielmanieren und kleine Zierlichkeiten, sie haben Nahmen wie sie wollen, ohne die ge­ ringste Mühe aufs netteste heraus zu bringen, ein Umstand, worin die übrigen Flügel wegen der ungleichen Grifbretter und wegen dec un­ gleichen Bekielung allezeit verschieden sind, da der eine zu hart, der andere zu weich ist, nicht zu gedenken, wie gewisse aus der Smgkunst entlehnte Manieren auf den gewöhnlichen Elavieren gar unausüblich sind, als welche man allhier aufs sanfteste vortragen kann. Noch hat dieser Bogenflügel den Vortheil, daß er wegen des einzigen Chors Saiten leichter als andere zu stimmen ist. Wenn sich die Darm­ saiten einmahl gehörig ausgedehnet haben, und ihre Enden gehörig befestigt sind, fo halten sie die Stimmung so gut als die Dratsaiten, wie die Erfahrung gezeiget hat. Er ist auch wegen seiner einfachen Strucmr nicht leicht wandelbar, und viel bequemer als andere Claviere im Stande zu erhalten. Aus dieser ungefähren Beschreibung dieses neuen Jnstrumeuks werden die Vorzüge dessel­ ben leicht erhellen. Wir brauchen zum Lobe desselben nichts weiter zu sagen, als daß der Röntg, der feinste Kenner, es seines allerhöch­ sten Beyfalls gewürdigt hat. Sollten von aus­ wärtigen Liebhabern dergleichen Bogenfiügel verlanget werden, so wird sich der Herr HohlM 2 seid

172 viii. Musikalische Neuigkeiten, fett» jederzeit bereitwillig finden lassen, dieselben damit zu versehen. Nähere Nachricht hiervon kann man von ihm, in der Behausung de« Herrn Profeßor Sulzer hinter dem neuen Packhofe, erhalten, als wohin man die Briefe dieserwegen postfrey übermachen kann. IX.

Prmzens Historie der Tonkunst. Der eigentliche ganze Titel dieses Werks ist:

Historische Beschreibung der edlen Singund Klingkunst, in welcher derselben Ursprung und Erfindung, Fortgang, Verbesserung, un­ terschiedlicher Gebrauch, wunderbare Würkungen, mancherley Feinde, und zugleich berühm­ teste Ausüber vom Anfang der Welt bis auf unsere Zeit in möglichster Kürze erzählet und vorgestellet werden; auö den vornehmsten Auctoribuö abgefaßt und in Ordnung gebracht von Wolfgang Caspar Prinzen, von Waldthurn, der Reichegrafl. Promnitz. Capellmusik bestallten Dirigenten und Cantore der Stadt Sorau. Dresden, in Verlegung Johann Christoph Miethe, Buchhändler, gedruckt bey Johann Georgen. Anno 1690. (223. Seiten in 4m. ohne Zuschrift, und Register.)

^8a dieses Werk ungemein rar geworden, und fast gar nicht mehr zu haben ist, so wollen wir die darinnen enthaltenen merkwürdigsten Sa-

172 viii. Musikalische Neuigkeiten, fett» jederzeit bereitwillig finden lassen, dieselben damit zu versehen. Nähere Nachricht hiervon kann man von ihm, in der Behausung de« Herrn Profeßor Sulzer hinter dem neuen Packhofe, erhalten, als wohin man die Briefe dieserwegen postfrey übermachen kann. IX.

Prmzens Historie der Tonkunst. Der eigentliche ganze Titel dieses Werks ist:

Historische Beschreibung der edlen Singund Klingkunst, in welcher derselben Ursprung und Erfindung, Fortgang, Verbesserung, un­ terschiedlicher Gebrauch, wunderbare Würkungen, mancherley Feinde, und zugleich berühm­ teste Ausüber vom Anfang der Welt bis auf unsere Zeit in möglichster Kürze erzählet und vorgestellet werden; auö den vornehmsten Auctoribuö abgefaßt und in Ordnung gebracht von Wolfgang Caspar Prinzen, von Waldthurn, der Reichegrafl. Promnitz. Capellmusik bestallten Dirigenten und Cantore der Stadt Sorau. Dresden, in Verlegung Johann Christoph Miethe, Buchhändler, gedruckt bey Johann Georgen. Anno 1690. (223. Seiten in 4m. ohne Zuschrift, und Register.)

^8a dieses Werk ungemein rar geworden, und fast gar nicht mehr zu haben ist, so wollen wir die darinnen enthaltenen merkwürdigsten Sa-

ix. Prinz.Hist.der Tonkunst. I-Cav. 173 Sachen von Capitel zu Capitel excerpiern, um diejenigen, die dasselbe nicht besitzen, dadurch einigermaßen schadloß zu stellen. In "der Zuschrifr, die zugleich die Stelle eine« Vorgerichts vertritt, meldet der berühmte Verfaßer, daß er, ausser dem Unglücke, einen beträchtlichen Theil von seinen musikalischen Excerpten auf seinen Reisen zu verliehren, in dem grossen Brande zu Sorau im Jahr 1684. annoch einen grosse» Theil seines musikalischen Büchervorraths eingebüsset habe, zwey traurige Umstände, die ihn ausser Stande gesehet, die Geschichte der Musik, so wie er gewünschet, zu behandeln. Unterdes­ sen sind die Nachrichten, die er uns in gegen­ wärtigem Buche davon hinterlassen, so beschaf­ fen, daß ihm die Folgewelt annoch um so viele mehrere Verbindlichkeit dafür haben muß, weil, vor ihm, keiner annoch dergleichen Werk bey uns unternommen hat, und er also der erste ist, der viele merkwürdige Umstände der Tonkunst, Mit nicht geringer Mühe, aus sehr vielen Scribenten, worinnen solche zerstreut gewesen, in einen Band zusammen getragen hat.

Im ersten Capitel, welches von der Er­ findung der Musik und den ersten Ausübern derstlben bis auf die Sündfluth han­ delt, redet der Verfasser zuförderst von der Gele­ genheit zur Erfindung derselben. Er nennet diese Gelegenheit Anreiyungen und unterscheidet solche in nothwendige und anleicende. M 3

Durch

174 ix. Prinz.Hist. der Tonkunst i. Cap. Durch nothwendige Anreitzungen versiehet er w) Die Vernunft, vermittelst welcher man einzelne und zusammen gesehte Klänge beurtheilest kann. ß) Die in die Höhe und Tiefe veränderliche Menschenstimme, woraus die Verschie­ denheit in der Musik entstehet. 7) Einen sonderbaren Trieb der Natur, daUnbekannte zu erfinden.

Durch stehet er

anleitende

Anregungen

ver­

«.) Die verschiedenen Accente (das Steigen und Fallen) der menschlichen Stimme, ß) Das Singen der Vögel. 7) Das Pfeiffen und Zischen der von dem Winde bewegten Bäume. ö) Die verschiedenen Gemüthsbewegungen der menschlichen Seele. f) Die Bequemlichkeit und das Wohlleben. C) Die Begierde, andere zu Übertreffen.

Wir können nicht umhin, die Gedanken beö Herrn Professors Gottsched über den Ur­ sprung der Musik denjenigen, die desselben kri­ tische Dichtkunst nicht besitzen, bey dieser Gele­ genheit bekannt zu machen. Es ist darinnen fast alles, was Prinz davon saget, aber in ei­ nen ordentlicher»» und angenehmer»» DiScurS zusammen gefasset. Nachden» der Herr Professor der

ix.Pnnz. Hist, der Tonkunst i.Cap. 175 der Tonkunst das Alterthum über die Poesie zu« gestanden: So sagt er, „daß es freylich nicht „ ganz und gar könne geleugnet werden, daß die „ allerersten Menschen das Singen von den Vö„ geht gelernet hatten; vielmehr habe eö eine „ziemliche Wahrscheinlichkeit für sich. Leute „die im Anfänge der Welt mehr in Gärten „ oder angenehmen Lustwäldern, als in Häusern „wohnten, musten ja täglich das Gezwitscher „ so vieler Vögel hören, und den vielfältigen „ Unterscheid ihres Geschreyes wahrnehmen. » Von Natur waren sie, sowohl als unsre klein„sten Kinder, uns Erwachsene selbst nicht aus« „genommen, zum Nachahmen geneigt. Da„ her sonnten sie leicht Lust bekommen, den Ge„ sang desjenigen Vogels, der ihnen am besten „gefallen hatte, durch ihre eigne Stimme nach„ zumachen, und ihre Kehle zu allerley Abwech« „ ftlungen der Töne zu gewöhnen. Diejenigen, „ welche vor andern glücklich darinnen waren, „ erhielten den Beyfall der andern: und weil „ man sie gerne hörte, so legten sie sich desto „ eifriger auf dergleichen Melodien, die gut ins „Gehör fielen; bis endlich diese vormahlige „Schüler des wilden Gevögels, bald ihre Mei« „ ster im Singen übertrafen. „Allein, fährt der Herr Professor fort, es „ist nicht nöthig, auf solche Muthmaßungen „ zu verfallen. Der Mensch würde meines Er« „ achtens gesungen haben, wenn er gleich keine „ Vögel in der Welt gefunden hatte. Lehrt uns M 4 '»nicht

176 ix. Prinz. Hift.der Tonkunst i. Cap. „ nicht die Natur, alle unsere Gemüthebewe„ gungen, durch einen gewissen Ton der Sprache, „ auedrücken? Was ist das Weinen der Kinder „anders, als ein Klagelied, ein Ausdruck des „Schmerzens, den ihyen eine unangenehme „ Empfindung verursachet? Was ist das Lachen „ und Frolocken anders, als eine Art freudiger „ Gesänge, die einen vergnügteä Zustand des „Gemüths ausdrücken? Eine jede Leidenschaft „hat ihren eignen Ton, womit sie sich an den „Tag legt. Seufzen, Aechzen, Dräuen, Kla« „gen, Bitten, Schelten, Bewundern- Loben, „u. s. w. alles fällt anders ine Ohr, weil es „ mit einer besondern Veränderung der Stimme „zu geschehen psiegt. Weil man nun ange« „merkt hatte, baß die natürlich ausgedrückten „Leidenschaften, auch bey andern eben derglei„chen zu erwecken geschickt wären; so liessen „sich- die Freudigen, Traurigen, Zürnenden, „ Verliebten, u. s. w. desto mehr angelegen seyn, „ ihre Gemüthsbeschaffenheit auf eine bewegliche „Art an den Tag zu legen- um dadurch auch „andere, die ihnen zuhöreten, zu rühren; das „ist, ihnen etwas vorzusingen. „Wie nun bisher erwehntermaßen, auch „ blosse Stimmen die innerlichen Bewegungen „ des Herzens ausdrücken, indem z. E. die ge„ schwinde Abwechselung wohl zusammenstimmen« „der scharfen Töne lustig, die langsame Abän« „derung gezogner und zuweilen übellautender „Töne traurig klinget, u. s. f. so ist doch leicht

„ ju

ix. Prinz.Hist.der Tonkunst. i.Cap. 177 „ zu vermuthen, daß man nicht sänge bey blos« „ sen Stimmen oder Tönen im Singen geblie« „ben seyn, sondern auch bald gewisse Wörter „ dabey wird ausgesprochen haben. Man hört „eö freylich auch auf musikalischen Jnstrumen„ten schön, ob es munter oder kläglich, trotzig „ oder zärtlich, rasend oder schläfrig klingen soll, „ und geschickte Virtuosen wissen ihre Zuhörer, „bloß durch ihre künstliche Vermischung der Töne, „ zu allen Leidenschaften zu zwingen. Allein es „ist kein Zweifel, daß Worte, die nach einer „geschickten Melodie gesungen werden, noch „ viel kräftiger in die Gemüther wirken.

„Sonderlich muß man dieses damahls wahr« „genommen haben, als die Gesangweisen s» „vollkommen noch nicht waren, als jetzo, da „ die Musik aufs höchste gestiegen ist. Es wat „ also sehr natürlich, daß die ersten Sänger den „ Anfang machten, anstatt unvernehmlicher Töne, „verständliche Sylben- und deutliche Wörter zu „ singen. Dadurch konnten sie dasjenige, was „ sie bey sich empfunden hatten, desto lebhafter „ausdrücken, ihre Gedanken ausführlicher an „den Tag geben, und bey ihren Zuhörern den „gewünschten Endzweck erreichen." Wir kehren zu Prinzen zurücke. Zur Mei­ nung, daß die Menschen das Singen von den Vögeln erlernet, haben Unstreitig die Poeten Gelegenheit gegeben. Die Verse -es Lucrez sind bekannt:

At

178 ix.Prinz.Hist.der Tonkunst. i.Cap. At liquidas auium voces imitaricr ore Ante fuit multo, quam lenia carmina cantu Concelebr ire omnes poflent, auresque iuuare. Eh man die Kunst erfand, durch sanfte Melo­ dien, Mit Wörtern untermischt, das Ohr an sich zu ziehen, Ta wurde mit dem Mund der Vögel heller Klang Schon lange nachgemacht. Gleicher Meinung ist Ponticus beym Ache« naus, im iz Cap. des IX. Buchs. Man merket inzwischen hiebey, wie der Poet die Er­ findung des Gesanges an sich, und die Verbin­ dung der Worte mit demselben, gar klüglich getrennet hat. So viel ist gewiß, daß das Ge­ schrey der Vögel den Componisten dec vorigen Zeit zu mancher schönen Erfindung Gelegenheit gegeben. Insbesondere soll Leo Leoni in sei­ nem Madrigal: Dimmi, Clori gentil, perche non ami? welches in dem von Melchior Borch« grevinck im Jahre 1606. hevauSgegeben Giardino nuovo belliflimo di varii fiori Muficali fcieltiflimi, befindlich, den Gesang der Nachti­ gall gar artig vorgestellet haben. Nachdenr die Vocalmusik erfunden worden, und wovon Prinz es nicht für ungereimt halt, d 2) dieBergerorri, 3 die Ballarini, 4) die Bordini, 5) die dela Barre, und 6) die Ribera. Dis Tanz­ stücke zu dieser Oper-waren vom Lullyt wel­ cher um diese Zeit anfteng, sein gutes-musika­ lisches Naturell durch allerhand Ausarbeitungen blicken zu lassen. s.Alleiu die Franzosen hatten bereits durch das Ballet des Perrin, an französischen Worte»! GeN 2 schmack

184

L Nachricht

schmack bekommen, und gefiel ihnen also die Oper Hercules nicht. Um diese Zeit begunte der berühmte Alexandre deRieu.r, Mar­ quis von Gourdeac, der im Jahr 1695. verstorbey ist, und welchem man die Vollkommen­ heit der Opermaschinen zu dancken hat, seine glückliche Einsichten. Hierinnen durch die Ma­ schinen in dem Toijon d’or, einer Tragödie des altern Corneille, an den Tag zu legen. Nach­ dem er, die zur Aufführung dieses Schauspiels gehörige Personen ungerechnet, dir er länger als zwey Monathe auf seinem Schlosse zu Neubourg in der Normandie, auf seine Kosten un­ terhielte, mehr als fünfhundert Adlicheaus der Provinz herum, währender Zeit der verschiednen ordentlichen Vorstellungen/ bey sich beherberget und bewirthet hatte, um das Bey, lager des Königs durch diese öffentliche Freudenöbezeugung aufs prächtigste zu feyern: So verschenkte er das Stück an die Königl. Schau­ spielerbande aus dem Maraiö, welche solches auf seinem Schlosse aufgeführet hatte, und wel­ che hernach solches auf ihrem Theater zu Paris öffentlich spielte. Der König erhob sich dahin mit dem ganhen Hofe, um solches zu sehen, und war darüber sehr vergnügt.

§. 6. Ein Jahr darauf nemlich 1.661. kam der Abt perrin mit einem neuen vom Lambert in Musik gesetzten Schaferspiele unter dem Titel Ariane zum Vorscheine. Allein der Tod des Car-

von der Oper zu Paris.

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Cardinals Mazarini mar Ursach, daß dieses Stück nicht gespielct ward, und daß eine Pause von zehn Jahren entstand. Während dieser Zeit, nemlich im Jahre 1669 erhielte der Abt pertin, einen Königlichen Freyheitöbrief, des In­ halts: „daß er in Paris und andern Städ„ten des Königreiches, zwölf Jahre lang hin„ter einander, musikalische Akademien errich„ten, und allerhand theatralische Stücke offene„lich aufführen lassen könnte, so wie solches „in Italien, Deutschland und Lngelland „üblich wäre. „ Weil er aber die zu solcher Errichtung crsorderliche Unkosten alleine zu be­ streiten, nicht im Stande war, so trat er mit dem Marquis von Sourdeac der Maschi­ nen wegen; mit Lambert der Musik wegen, ttnd mit einem dritten, Nahmens Lhampeton, der die nöthigen Unkosten herschicssen sollte, in Gesellschaft. Nachdem man dar­ auf die berühmtesten Sänger und Spieler aus dem Languedockischen halte kommen lassen, und man die besten Musikoö, die inan in Pa­ ris und in der Nahe kennte, denselben hin­ zu gefüget hatte: So wurde endlich, nemlich im Jahr 1671. die Singbühne wieder geösnek, und die Oper pcmione, ein Schäferspiel, wozu pemn den Text, Lambert die Musik, und Bcauchamp, königlicher Oberballetmeisier, die Tänze verfertiget hatte, ausgeführet. Dieses Stück wurde acht Monathe hinter ein­ ander mit allgemeinem Beyfall wiederhohlet, N 3 und

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i. Nachricht

und erwarb dem perrin allein zu seinem Theil über 30000; LivreS. Die Pomone wurde von der de Lastilly gemacht; die Sanger wa­ ren: r) de Beaumavielle, 2) Roßignol3) Lledieee, und 4) Lholet.

§»

7*

Unterdessen aber bemächtigte sich.-er Mar­ quis von Sourdeac unter dem Vorwande, daß er dem Pcrrin Vorschuß gethan und seine Schulden hezahlet hätte, -es Theaters';- und wendete er sich ;u -em Ende, um des PerrinS entübrigt zu seyn, än den Sekretär und Re­ sidenten der Königinn von Schweben, Gilbert, welcher ihm ein Schäferspie! unter dem Titel: Les pcines er les plaisirs de l’amour, versertigte, und wozu Lambert die Musik machte! Solches wurde 1672 aufgeführet, und lobei es St. Evremond sehr.

§. 8. Währender Zeit die Opernunternehmer un­ ter ernandec in Streitigkeiten verwickelt waren, so ergriff Jobaim Baptifte Lully, Königl. Obercapellmclster, diese Gelegenheit, durch den Credit der Madame de Montespan, den Perrin dahin zu bringen, daß er ihm, gegen Er­ legung einer gewissen Summe Geldes, die Direccion der Akademie der Musik, uyd mit­ hin sein Privilegium abtreten müßte. Diese Veränderung bewog den Lambert, nach En­ gelland zu gehen, woselbst er 1677 als Ober« capell-

von der Oper zu Paris.

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capellmcister des Königs Carl des Zweyten ge­ storben ist. Dem Lully wnrde darauf im Mo­ nath May 1672 das Könrgl. Privilegium über die Akademie der Musik erneuert, und ihm zugleich die Erlaubniß gegeben, seine mnsikaKsche Compositionen vermittelst der Presse den Liebhabern gemeiner;u machen, um dadurch den Fortgang der Musik zu befördern. Von dieser Zeit fanget also ein neuer PerioduS der Oper- zu Paris an, und was für Stucke seit derselben bis auf den heutigen Tag auf die Bühne daselbst gebracht worden sind, werden wir in den folgenden Theilen dieser Monathsfchrift sehen. Unter den vielen vom Hofe an die Akademie ergangenen Verordnungen, sind folgende besonders merkwürdig. 1) Daß, weil die Opern von den Comödien gänzlich unterschieden sind, und die fran­ zösischen Singspiele auf den Fuß der italiäni­ schen eingerichtet werden sollen, in welchen die Edelleute, ohne Nachtheil ihres Adels, singen: also auch in der französischen Oper alle Cavaliere und Damen, welche wol­ len, ihre Titel, Vorrechte, würden und Bedienungen unbeschadet, singen und sich öffentlich hören lasten können. Folgende Verfassungen sind erst nach dem Tode des Lully gemachet worden. 2) Daß man alle Jahr ein Capital von funfzehntausend Livres, unter diejenigen San­ ger und Sängerinnen, Tänzer und TänzerinN 4 nen.

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I. Nachricht

nett, und Instrumentalisten, die sich vorzüg­ lich durch thre Geschicklichkeit und Aufmerk­ samkeit im Dienste unterscheiden, als ein freywtlllges Geschenk zur Aufmunterung, auöthei, len soll. 3) Daß alle diejenigen von obgedachten Personen, welche fünfzehn Jahre der Oper gedienet haben, und Altere oder Schwachheit wegen nicht länger zu dienen im Stande sind, die Hälfte von dem Gehalte, das ste vorhero gehabe, Lebenslang geniessen sollen. 4) Daß die Verfasser der Stücke, sowohl waö die Poesie als die Musik anbelanget, aus dem, was die dreyßig ersten Vorstellungen der Oper etnbringen, bezahlet werden sollen; aus jeder von den zehn ersten nemlich soll der Poete jedesmahl hundert Avres und der Musikus eben so viel, und aus jeder der zwanzig folgenden soll, ein- jeder von denselben jedesmahl fünfzig Livres zur Belohnung haben. Nach der Zeit gehöret das Stück ganz und gar der Akademie der Musik, die es aufführen kann, wenn sie will, ohne daß besagte Verfasser einen An­ spruch daran zu machen haben. 5) Daß kein Livreybedienter, ohne alle Aus­ nahme und unter was für einen Vorwande es sey, weder in die Oper noch Comödie eingelas­ sen werden soll. 6) Jede« neue Stück, das vorgestellet wer­ den soll, muß, nachdem es durch die hiezu be­ stellte Personen sowohl der Poesie als Musik nach

von der Oper zu Paris.

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nach vorhero untersuchet und genehm gehalten worden, sechs Monathe vorher, ehe es öffent­ lich vorgestellet wirb, in vollkommenem Stande seyn, und folglich der Plan der Winterlustbarkeitcn im Sommer und der Plan der Sommer­ lustbarkeiten im Winter gemachet werden. Bey allen Operproben kann nur der­ jenige, der das Stück componiret hat, die Probe dirigiren, wenn er will, ohne daß ein andrer, ohne seine Bewilligung, sich damit abzugebcn hat. 8) Alle Dienstage, Freytage und Sonn­ tage, durch alle vier Jahrszeiten, soll wöchent­ lich eine Oper aufgcführet werden. Von Martini bis Estomihi wird annoch der Don­ nerstag jeder Woche hinzugefüget. Wenn etwa« ein Marientag auf einen dieser Tage fällt, in­ gleichen am Himmelfahrtstage, Ostern, Pfing­ sten, am Fronleichnams - und Allerheiligentage und Weynachten, wird keine Oper gespielt, sondern an deren statt, das so genannte geistliche Concert (concert lpirituel) auf dem Tuillerieschlosse gehalten. Dieses geistliche Concert wurde im Jahre 1727. unter Königlicher Erlaubniß, von dem König!. Capell-unb Kammermufikus, philidor gestiftet, mit der Bedingung, daß solches unter der Akademie der Musik stehen, und daß Philidor derselben jährlich 6000 Livres bezah­ len sollte. Nach Abgänge Philidorö übernah­ men die Musici Gimark und Mourer die N 5 Direktion

i. Nachricht

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Direktion des Concerts. Im Jahre 1734. nahm die Oper das Privilegium zurück und 1748. trat sie solches wieder an die Herren Royer und «Lappran ab, die noch brs auf den heutigen Tag die Aufsicht über dieses geist­ liche Concert haben. .Es werden in demsel­ ben in Ansehung der Vocalmusik, nichts als sehr vollständig gesetzte lateinische Kirchenstücke von den besten fremden und einheimischen Mei­ sten der ihigcn und vorigen Zeit, gemacht, und solche mit Jnstrumentalconcerten auf der Geige oder Flöte, ordentlicher Weise, abge­ wechselt.

(A) Die Personen, womit anitzt das geistli­ che Koncert bestellet wird, und wovon viele zur Oper mit gehören, sind: Die Herren 1) Royer, alS Directory und L) Lheron, als Accompagnaceur auf der Orgel.

Loncercirende Sängerinnen. 3) Fel$) Duperey.

Die Demoifell. 4) Chevalier.') DiSkänte. 6) Lemiere. J

Loncerrirende Sänger. Die Herren 7) Benoist. 1 8) Der Abt Maline. Baritonisten. 9) Gelin. J 10) Poirier.

Altist.

von der Oper zu Paris.

191

Zu den Chören. Erster Diskant. Zweyter Diskant. 11) 12) 13) 14.) if) 16)

Die Herren Colet. Malavau. Simon. Chabrün. Berqeron. Watrin.

Die Mesdemoisell. 17) 18) 19) 20) 2f) 22)

Tenöre.

Aelee. 23) 24) 2s) 26) 27) 28)

z6) 37) 38) 39) 40)

Alin-. Levi. Folliok. Houbauk. Dubukl^ Brideau.

Die Herren Chappotin. Lepine. Delacroix. Ferret. Beroyer. Godarr.

Die Herren 29) Avril. 30) Oebom. 31) Rochette. 32) Fel. 33) Duchenef. 34) Bornet. 35) Roze.

Hohe Bäße.

Tiefe Bäße.

Die Herren Dun. Dumatö. Albert. Bertrand. Horde.

Die Herren

41) 42) 43) 44) 4s) 46) 47) 48)

Le Mele.Barbier. Laubertin. Prestat. le Fevre. l'Eveque. Baequillon. Celin.

Instm-

i. Nachricht

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Instrumentalisten und zwar Violinisten. 49) 50) 51) 52 53) 54) 55) 56)

Die Herren Gavinie. Canavas. Dun , der Sohn. Depreaux. Lenuere. Dupont. Travenol. Langlade.

Die Herren 57) P'ffet. 58) Veneris. 59) Mangean. 60) Beaudeau. 61) Exaude. 62) Vibert. der jüngere. 92) Garnier. Vincent. 93) Bralle. Bureau. 94) Sallentin. Brunei.

Violoncellisten, Gambisten und Contraviolorristcn. Die Herren 9V) der Vater. 101) Forcade. 96) Habram. 102) L bbe,der jüngere, 97) Daveöne 103) Dun, der ackere. 98) Gianoti. Contraviol. 104) Saubläy. ioon-dnem Liebhaber. Berftlli hatte eine angenehme, doch etwas dünne, hohe Sopranstimme, deren Umfang sich vom eingestrichenen c, bis ins dreygestrichene f, mit der größten Leichtigkeit erstreckte. Hierdurch setzte er die Zuhörer mehr in Verwunderung, als durch die Kunst des Singens. Im Adagio zeigte er wenig Affcct, und im Allegro ließ er sich nicht viel in Paffagien ein. Seine Gestalt wqr nicht widrig, die Action aber auch nicht feurig. Die Lotti hatte eine völlige starcke Sopran­ stimme, gute Intonation, und guten Trillo. Die I. Band. P hohen

214

u. Lebensläuffe.

hohen?ötte machten ihr einige Mühe. DasAdagio war ihre Stärcke. Das sogenannte Tempo rubaro habe ich von ihr zum ersten­ male gehöret. :Sie machte auf der Schaubühne eine sehr gute Figur, und ihre Action war beson­ ders in erhabenen Charakteren unverbesserlich. Von der Test werde ich weiter unten etwas gedencken. Nach dem Beylager componirte Heinchen noch eine Oper, welche nach der Zurückkunft des Königs aus Pohlen aufgeführet werden solte. Bey der Probe aber, die auf dem königlichen Schlosse, in Gegenwart des Musikdirectors Ba­ ron von Morrax gehalten wurde, machten die beyden Sänger, Senestno und Derfelli einen ungeschliffenen Virtuosen-Streich. Sie zankten sich mit dem Capellmeister Heinchen über eine Arie, wo sie ihm, einem Manne von Gelehr­ samkeit, der sieben Jahre sich in Wälschland auf­ gehalten hatte, Schuld gaben, daß er wider die Worte einen Fehler begangen hätt«, Senestno^ welcher seine Absichten schon nach England ge­ richtet haben mochte, zerriß die Rolle des 23er« selli, und warf sie dem Capellmeister vor die Füße. Dieses wurde nach Pohlen an den Kö­ nig berichtet. Inzwischen hatte zwar der da­ malige Graf von Wad?erb. Sänger und' 200 Jnstrumentisten aufgeführet wurde, mit an­ zuhören. Sie hieß: Costanza e Forcezza. Die Composition war von dem Kayserl. OberCapellmeister, dem alten berühmten Fux. Sie war mehr kirchenmäßig als theatralisch einge­ richtet ; dabey aber sehr prächtig. Das Coneertiren und Binden der Violinen gegen einan­ der, welches in den Ritornellen vorkam, ob es gleich größkentheils aus Sähen bestand, die auf dem Papiere öfters steif und trocken genug aus­ sehen mochten, that' dennoch hier, im Großen, und bey so zahlreicher Besetzung, eine sehr gute, ja viel bessere Wirkung, als ein galanterer, und mit vielen kleinen Figuren, und geschwinden Noten gezierter Gesang, in diesem Falle, gethan haben würde. Denn nicht zu gedenken, daß ein galanterer Gesang der Instrumente, welcher an einem kleinern Orte, und bey mäßiger Besehung, sich allezeit besser ausnimmt, von so vie­ len

11. Lebensläuffe.

217

leit Personen, welche zumal nicht zusamnten zu spielen gewohnt sind, unmöglich mit der gehöri­ gen Gleichheit auSgeführet werden kann: so ver­ hindert auch die Wettlauftigkeit des Ortes, bey -er Ausführung vieler kleiner, und aus geschwin­ den Noten bestehender Figuren, die Deutlichkeit derselben. Ich bin von dieser Wahrheit, bey vielen Gelegenheiten, auch in Dresden, überzeu­ get worden: wo die sonst ziemlich trockenen Ou­ vertüren des Lully, wenn sie vom ganhen Or­ chester aufgeführet wurden, allezeit bessere Wir­ kung thaten, als die viel gefälligern und galantern Ouvertüren, einiger anderer berühmter Componisten ; welche im Gegentheil, in der Kam­ mer, unstreitig, vor jenen einen ungleich größern Vorzug behielten. Die vielen Chöre in der Prager Oper, dieneten, nach französischer Art, zugleich zu Balletten. Die Scenen waren alle durchscheinend erleuchtet. Wegen Menge der Ausführer gab der rayserliche Capellmeister Laldara den Tact. Der alte Für selbst aber, welchen, weil er mit dem Poda­ gra beschweret war, der Kayser in einer Sanfte'von Wien nach Prag hatte tragen lassen, hatte dar Vergnügen, diese so ungewöhnlich prächtige Auf­ führung seiner Arbeit, ohnweit deö Kaysers, sihend anzuhören. Unter den Haupt-oder concertirenden Sangery und Sängerinnen, war kein einziger mit­ telmäßig, sie waren alle gut. Die Sängerin­ nen waren die beyden Schwestern Ambreville, P 3 Jta-'

2i8

n. Lebensläussc-

Italienerinnen, deren eine nachher an den Vio­ loncellisten Peroni, die andere an den Sänget Borosini verheyrathet worden. Die Shnger waren, der berühmte Gaerano (Di'ftm ; Do­ menico ; Giov: Carestini; pierro Gastari, ein großer Akteur ; Borosini ein lebhafter Te­ norist, und auch geschickter Acteur; und Braun, ein Deutscher, und angenehmer Baritonist, wel­ cher besonders das Adagio so rührend auSführe« re, als man irgend von einembravenEöntraltisten Hane erwarten können. Gaetano Orsini, einer der größte« Sän­ ger, dre jemals gewesen, hatte eine schöne, egale, Und rührende Contraltstimme, von einem nicht geringen Umfange; eine reine Intonation, schö­ nen Trrllo, und ungemein reizenden Vortrag. Im Allegro articulirte er die Passagien, besonders die Trioien, mit der Brust, sehr schön; und im Adagio wußte er, auf eine meisterhafte'Art, das Schmeichelnde und Rührende so anzuwenden, daß er sich dadurch der Herzen der Zuhörer, im höchsten Grade bemeisterce. Seine Action war leidlich ; und seine Figur hatte nichts widriges. Er ist lange Zeit in Kayserlichen Diensten ge­ standen, und erst vor wenigen Jahren, in einem hohen Alter, wobey er seine schöne Stimme noch immer, so viel als möglich, erhalten hatte, ge­ storben. Domenico hatte eine der schönsten Sopran­ stimmen, die ich jemals gehöret habe. Sie war völlig, durchdringend, und rein inroniret. Im übrigen

n. Lebensläuffe.

219

übrigen aber sang und agirte er eben nicht mit

sonderlicher Lebhaftigkeit.

CareftiNl wird weiter unten vorkommen.

We diese Sänger stunden in wirklichen Fäyserlichen Diensten. Von dem wienerischen Orchester aber waren nur etliche zwanzig Perso«

nen mitgebracht worden.

Die übrigen Jnstru-

prentisten wurden in Prag zusammen gesuchek, und bestunden aus Studenten, aus den Mrtglie«

-ern einiger grastichen Capellen, und arrs frem­ den Ästufixiö. Der Anführer des Orchesters

war der kanserliche Concertmeister pimtt. Der berühtyte Francesco Lonri, (*) ein erfindungs-

P 4

reicher

(*) Ich bediene mich dieser Gelegenheit, diesen braven Mann gegen die sogenannte glaubwürdige Nach­ richt aus MegensbÜW vom toten October 1730. ynt welcher Herr Legatwnsrath Maccheson hintergangen worden, und die S. 40. des vollkom­ menen Capellmeisters eingeschaltet ist, zu retten. Es war nicht dieser Conti, sondern sein Sohn, der den Geistlichen geschlagen hatte, und deswegen die dort beschriebene Kirchenbuße thun mußte. Die übrigen Umstände sind wahr. Weil dieser Sohn damals unter den sogenannten kayserlrchen Hof­ scholaren war, und sich auf die Composition legte; so hat es leicht geschehen können, daß man ihn mit dem Vater verwechselt hat. Ausser gkaubwärdigern Zeugen, die damals in Wien gegenwärtig geweftn sind, und beyde gekennet haben, «st auch diefts ein sicherer Beweis, daß es der Vater nicht gewesen seyn könne, weil er im Carneval des 173s Jahres

220

II. Lebmsläuffe.

reicher und feuriger, ob gleich manchmal etwas bizarrer Komponist, für die Kirche sowohl al-für

das ernsthafte und komische Theater, dabey,einer der größten Theorbisten, die jemal- gewesen' sind, spielte die erste Theorbe. Die Chöre waren mit Schülern und Kirchengängern aus der Stadt besetzt. Weil nun wegen Menge der anwesen­ den Menschen, vielen, auch so gar Personen von vornehmen Stande, der Eingang in die Oper versperret war ; so ließen meine ben-en Gefahr* ten, und ich, uns auch mit zum Orchester an­ werben. werß spielte die Theorbe, Graun den Violoncell, und ich -en Hobqe, al- RipieNisten. Wir hatten hierdurch zugleich Gele­ genheit, die Oper, wegen der vielen nöthigen Proben, desto öfter zu hören. Bey Diesem Aufenthalte in Prag, hörte ich auch den Grafen von Markig, einen großen Meister auf dem Claviere, die Frau von Mestel,

eine Jahres, die auf dem kaystrlichen Theater aufges führtt Oper, Jlsipile in Musik gebracht: welches man mit dem in Wien gedruckten Buche dieser Oper allezeit beweisen kann. Dem Sohne ist di« Landesverweisung erlassen worden. .Er ist nach der Gefangenschaft wieder nach Wien gegangen; kömmt aber dem Vater in musikalischen Verdien­ sten im geringsten nicht bey. Man nennt ihn ins­ gemein Lontini. Dem Herr« Matrheson wirb diese Rettung, eines Mannes, für den er sonst überall eine besondere Hochachtung bejeuget, hier, wie ich hoffe, nicht zuwider seyn.

II. Lebensläuffe.

221

eine der geschicktesten Lautenspielerinnen, und den, damals bey dem Grafen vonRinsky in Dien­ sten stehenden, berühmten welschen Violine sten, Darcini. Dieser letztere war in der Thar einer der größten Violinspieler. Er brachte einen schönen Ton aus dem Instrumente. Finger und Bogen hatte er in gleicher Gewalt. Die größten Schwierigkeiten führete er, ohne sonder­ liche Mühe, sehr rein aus. Die Triller, so gar hie Doppeltriller, schlug er mit allen Fingern gleich gut. Er mischte, so wohl in geschwinden als langsamen Stücken, viele Doppelgriffe mit unter; und spielete gern in der äußersten Höhe. Allein sein Vortrag war nicht rührend, und sein Geschmack nicht edel, vieltnehr der guten Sing­ art gantz entgegen. Locarelli und pianranita hatten viel ähnliches mit diesem weltberühmten Violinisten. Nach geendigter Oper reiseken wir wieder «ach Dresden zurück. Zu dieser Zeit verlangte mich der Bischof von würyburg, ein Graf von Schönborn, auf Fürsprache eines meiner Freunde, zu hören. Ich reifete im October die­ ses Jahres nach Würyburg, und hatte die Ehre, vor dem Bischöfe, in Beyseyn feines Vatersbruders, des damaligen Churfürsten von Mainz, mich auf der Flöte hören zu lassen. Die, unter vortheilhaften Bedingungen, mir an­ getragenen Dienste dieses gnädigen Fürste» aber, fand ich rathfam zu verbitten. Die bischöfliche Capelle bestand damals, nebst verschiedenen SanP 5

gern

222

ii. Lebenslauffe.

gern und Sängerinnen, aus etlichen dreißig Per­ sonen ; worunter geschickte Leute waren-. Capellmeister war Chelleri, and Conoetttneister war Vogler, ein nicht unbekannter Violinist. Zu Ende dieses -Jahres mußte ich wieder nach Polen reisen: Im Jahre 1724. wurde der General Graf von Lagnasco, ein Piemonteser von Geburth, dessen Gemahlin eine Gräfin von Waldstein, eine Kckrnerin der Musik, und eine Patronin von mir war, als gevollmächtigter Minister von Pohlen an den römischen Hof abgeschickt. Diese Gelegen­ heit bauchte mir endlich die rechte Htt'styn, um Meinen Endzweck, Italien zu sehens zü erreichen. Der Fürst Lubomirsky machte nicht nur, baß mich der Graf von Lagnasco nehmen wolre; 'sondern er brachte mir auch, durch seinen Schwie­ gervater, den Oberkammerherrn Grafen von Vitzthum, die Erlaubniß dazu, von dem Könige zuwege. Wie groß war nicht mein Vergnü­ gen ! Ich Machte mich gleich reisefertig, und grenz nach Dresden, um den Grafen von La« gnasco daselbst zu erwarten. Am 2 z May die­ ses Jahres reiferen wir von Dresden ab ; und kcknen über Augsburg, Jnspruck, Mamua, Mo­ dena, Bologna, Loretck, Ancona, u. s. w.ain i r. Jülius in Rom an. Ich that also diese Reiss Nicht ngr ohne meine Unkosten, sondern ich hatte auch über dieses, Zeit meines Aufenthalts in Rom, bey dem Grafen von LagnaSco freye Tafel und Quartier.

Ich

ii. Lebensläuffe.

223

Ich war gleich begierig Musiken jü hören '; welches ich auch, wegen der Menge der Kitchcn knd Klöster, deren ich, so viel als möglich warbesuchte- leicht erlangen tonte. Das neueste, was mir zu-Ohren kam, war, der mir noch ganz unbekannte sogenannte Lombardische Ge­ schmack, welchen kurz vorher Vivaldi durch eine seiner Opern ist Rom emgeführet, und die Einwohner dergestalt dadurch eingenommen hatte, daß sie fast nichte hören mochten, was drestM Geschmacke nicht ähnlich war. Indessen kostete es mir doch Anfangs Mühe, daran Gefallen zu «finden, und mich daran zu gewöhnen; bis ich end­ lich auch für rathsam hielt, die Mode mitzuma­ chen. Ausser diesem schien «tu? der Geschmack fast noch eben derselbe zu seyn, den ich vor we­ nigen Jahren, nemlich im Jahre 1719 j» Dres­ den, und 172z zu Prag, in guten italienischen Opern, welche von guten italienischen Sangern aufgeführet wurden, bemerket hatte. Das viele Herumlaufen, aus einer Kirche in die andere, durch welches ich, weil es eben die größte Hihe war, mein Geblüt sehr in Wallung gebracht hatte; und eine unvorsichtige Erkaltung, die ich dagegen eine» Tages zum Mittel zu ge­ brauchen gefuchet hatte, ntachten, daß ich nicht lange nach meiner Ankunft in Rom, in ein hef­ tiges Fieber verfiel. Nachdem ich davon wieder hergestellet war, untergab ich mich der Unterweisung des berühm­ ten Francesco Gasparini, eines zwey und sie« benzig

224

U. Lebenslänffe.

benzigjährigen, leutseeligen und ehrlichen Man«es, welcher nicht nur ein gelehrter Contrapunrtist, sondern auch zugleich ein angenehmer und klarer Operycomponist ferner Zeiten war. Er Unterrichtete mich in den Grundsätzen des ContrapunctS, Weil ich aber schon etwas vorn Sahe verstund, und es tm übrigen an Fleiße nicht fehlen ließ; so brachte ich es in Zeit von 6 Mona, ten dahin, daß mein Meister nicht für nöthig hielt, mir ferner Leckion zu geben, es wäre denn, daß ich mich noch auf die Singcompysition legen wolte : wozu ich aber aus verschiedenen Ursachen nicht Lust hatte. Indessen erbot er sich, alles, was ich noch bey meinem. Aufenthalt inRgm oomponiren würde, ohne Entgeld zu verbessern. Ein seltenes Beyspiel von einem Italiener! Ich hatte zu gleicher Zeit das Vergnügen, eine neue Ausarbeitung meines Meisters auf­ führen zu hören. Es war eine Sevenara, wel­ che der Cardinal Poligiw, bey Gelegenheit der Vermählung des ihigen Königs von Franckreich, in seinem Palaste aufführen ließ. Diese Musik war so lebhaft und gefällig, daß man das hohe Alter ihres Verfassers gar nicht darinn beinerken konte. Damals fehte er auch gewisse Madrigale, wckche nicht nur künstlich gearbeitet waren, sondern auch dabey sehr gut ins Gehör fielen. Er ist der Urheber eines Buches: Mu» stco pratico al Cembalo genannt, und unter andern auch einer vierstimmigen, aus lauter Ca­ nons bestehenden, und von den Contrapunctisten

ii. Lebensläuffe.

225

etistenfthrhoch geschähtten Messe. Man sagt übrigens noch von ihm, daß er der Erfinder des mit Instrumenten begleiteten Reck tarivs sey. Auf den venetianischen Theatern allein sind 2$ Opern von seiner Arbett aufgefüh»

ret worden. Nachdem i Q 4 M

2Z6

n. Lebensläuffe.

sen, und, den guten Hoboisten Gan Marti­ no ausgenommen, auch an Blasinstrumenten; ohne welche doch ein Orchester nicht vollkommen seyn kann. Die bepden Kirchenconiponisten Gan Mar tino, des Hoboisten Bruder, iurb Fiorini waren nicht übel.- Unter den Nonne« traf man verschiedene mir fthönen Stimmest be­ gabte Sängerinnen an, welchen es an der gü­ ten -Art zu fingen nicht fehlere. Wie ich denn überhaupt, in Italien, vom werblichen Ge­ schlechte, schönere Stimmen, und bessere Sän­

gerinnen in den Klöstern, als auf den Theatern gefunden habe. Am 30 May gierig ich von Mailand nach Turin. Das dasige Königliche Orchester, wel­ ches der- berühmte und. angenehme Violinist, Gomis anführce, war zwar mit guten Leuten besetzet, übertraf aber das mailändische nicht. Fiore war der-Capellnkeister. Le Tlair, wel­ cher nunmehr in Frankreich für einen der ersten .Violinisten pasiiret, befand sich damals in Tu­ rin , wo er vom Gomis Lection nahm. Von Sangern war -nichts gutes da, die einzige Mademorfille -Gomis ausgenommen; welche eine schöne Sopranstimme, rmd -sehr gute Art zu singen hatte.- Sie hat sich nachhero mit dem berühmten Mahler Larlo Vanlo vcrheirathet, und rst mit ihm nach Frankreich gegangen; wo sie sich itzo noch befindet. Turin, und mit demselben zugleich WalschlMd, verließ ich am 23 Junius 1726. und rei­ fete

II. Lebensläli sse. sete über den Berg Sems, durch Genev und Hvon nach pcany, wo ich am 15. August anlangete. Hier wurde ich, in Ansehung des musikulsschen 'Geschmacks, von dem einen auscrstcn EndeAstö andere, ans der Mannigfaltigkeit in die Einlormigkeit, versehet. Ungeachtet mir der fran'ösische Geschmack eben nicht unbekannt war, und ich ihre Art zu spielen lehr wohl leiden konn­ te : so gesielcn mir doch/ in ihren Opern, weder die aufgewarmken, und abgenutzten Gedanken ihrer Compomsten, und der geringe Unterschied zwischen Recitativ und Arien; noch das über­ triebene und asscctirtc Geheul ihrer Sanger und besonders ihrer Sängerinnen. Die Amicr, die Pciißier, unb die Lc P tckurc stmgen damals auf dem Theater. Au schönen Stimmen fehlete eS den französischen Sängerinnen eben nicht; wenn sie dieselben nur recht zu brauchen gewußt hat­ ten. Auch die Stimmen der Mannspersonen,

so

wie sie die Natur gegeben haute, waren nicht schlecht. Ausser verschiedenen Opern von Eulch, wurde eine-neue, Pyrfime er Thisbe genannt, ausgeführet. Die gesellschaftlichen (5omponiste»r derselben waren Francoeür und Xcbcl. Der erstere war mit dem General Bonucval in Dien gewesen; hatte auch die Prager Oper 1723 mit angehöret. An den von ihm gesetzten Arien konnte man wahrnehmen, daß ihr Verfasser ausserhalb der Gränzen Frankreichs gewesen war. Die ganze Oper überhaupt machte weniger lange

Weile, als die andern.

238.

ii. Lebensläuffe.

Die Action, wozu die französische Ration besonders aufgelegt ist, die Auszierungen der Schaubühne, und die Tanze, waren eigentlich das, worinn der größte Glanz ihrer Opern bestand. Das Orchester war damals schlecht, und spielte, mehr nach dem Gehör und Gedächtniß, welches der mit einen» großen Stocke vorgeschlagene Tact, in Ordnung halten mußte, als nach den No­ ten. Indessen fehlete es, ausser dem Orchester, nickst an guten Jnstrumentisten. Forrcroix und Roland Marals waren gute Violada-. gambisteu. Der erste hatte viel Fertigkeit, der andere aber viel Nettigkeit und Annehmlichkeit in der Ausführung. Guignon und Batiste waren brave Violinisten. Der erste spielte im maischen, der andere im französischen Geschma­ cke. Blavet, Lucas, die beyden Brüder Braun, Naudor, und einige andere, spielten die Flöte traversiere: Blavet aber hatte unter diesen allen den Vorzug. Seine Gefälligkeit und gute Le­ bensart machte, daß wir bald Freunde mit ein­ ander wurden; und ich muß viele, von ihm, in verschiedener Art, genossene Höflichkeiten rüh­ men. An guten Organisten, Clavierspielern, und Vioioncellisten war gleichfalls kein Mangel. Die Kirchenmusiken der Französin gefielen mir besser als ihre Opern. Das Concert fpiricuel und das Concert italien waren nicht zu verachten: doch wurde das erstere mehr besuchet als das letztere. Die Ursach davon war ohne Zweifel, «in Vorur-

ii. Lebensläuffe,

239

theil, wider die Musik der Ausländer, woran die französische Nation sehr krank liegt: und welches sie, so lange sie noch dabey bleibt, ver­ hindern wird, ihren Geschmack in der Musik zu verbessern. In Paris ließ ich zum erstenmale, der Flötetraversiere die zweyte Klappe zuschcn. Die Ursache findet man, in meinem Versuche einer Anweisung die Flöte ;u spielen, erkläret. Im Anfänge des 1727 Jahres erhielt ich von Dresden Befehl, meine Rückreise zu be­ schleunigen. Ich trauete mir also nicht, um eine neue Erlaubniß, nach England zu gehen, Ansnchung zu thun. Indessen war die Begierde auch dieses Land zu sehen, bey mir so groß, daß ich es wagte, ohne weitere Anfrage bey Hofe, eine Reise dahin zü unternehmen. Am 10 März reifete ich von Paris ab; und kam, über 3 Alaia welcher in Gesell­ schaft der Faustina nach England gekommen war, war ein guter Violouist, und braver Anführer. Sein Sprelen war sehr brillant und deutlich: in außerordentliche Schwierigkeiten aber, ließ er sich nicht ein. Die Flötenisten waren Wiede­ mann ein Deutscher, und Festin ein Engländer.

ii. Lebensläuffe.

243

Ich hatte das Glück die Bekanntschaft vie­ ler vornehmer Familien zu erhalten. Man suchte mich zu bereden, gar in England zu bleiben. Hän­ del selbst riech dazu, und ich war nicht abgeneigt, seinem Rathe zu folgen. Mylady pembrok, eine Kennerin der Musik, wolte,um mir noch mehrere Lust dazu zu machen, ein Benestc * für Mich anstelle«, und ein gewisser Baron von Bormar, erbot sich desselben Besorgung zu zu übernehmen. Dieses war nun freylich eine große Versuchung für mich. Ich glaubte aber hingegen auch, dre ersten Früchte meiner Reise, dem Könige meinem Herrn schuldig zu seyn; und

ver« * Ein Benefit in England ist, im musikalischen Verstände, ein öffentliches Concert, welches gemernigikch auf Veranstaltung einer Person von vornehmen Stande, in einem eigentlich dazu bestnnmrcn Hause, einem Virtuosen, der sich darin hören laßt, zum besten angesiellet wird. Der Ver» anstalter laßt, für baare Bezahlung, Billette, zur Erlaubniß des Eintritts. auStheilen, und seine, und des Musikus der sich hören lassen soll, Freun­ de, bemühen sich um die Wette, deren so viel als möglich unterzubrtngen. Alles was emkömt, ist für den, dem zu Gefallen es angestellet wird, da­ gegen er aber auch d,e Kosten tragt. Bisweilen werden die Einkünfte vo» einer Vorstellung der Oper dem Componisten, oder einem beliebten Sän­ ger gelassen: nachdem es durch einen öffentliche« Anschlag vorher bekannt gemachet worden: und dieses wird auch Beuefic genennet. Die Fauftlua und Sarinello insonderheit, haben bey der­ gleichen Gelegenheiten, die Grvßmmh der Englän­ der reichlich erfahren.

244

1L Lebensläuffe.

verbat es also. Doch behielt ich mir vor, dieftr Gewogenheit genießen zu dürfen, wenn ich ecwan ein andernral wieder nach England kom­ men feite: wie ich, wenn, es die Beschaffenheit der Umstande so an die Hand geben würde, wirklich willens war. Jch reisete am i. JuniuS des 1737. Jahres aus England ab. ■$)’* besähe ich die vornehmsten Städte als: Amsterdam, -Haag, Leiden, Actcerdanl, u. s. w., west in keiner

damals etwas gutes von Mußt zu hören war, nur im Vorbeygehen; und gieng darauf über Hannover und Braunschweig, nach Dres­ den zurück; wo ich am 23 Julius wieder ankam. Nun stelletc ich üver alles, was ich auf der Reife gutes oder fhllNimeö von Musik gehöret harte, Betrachtungen an. Ich fand, daß ich zwar einen ziemlichen Verrath ven Ideen gesammlet hatte; daß es aber nöthig fey, sie nach und nach erst in Ordnung zu bringen. Ich hatte zwar, an einem jeden Orte, wo ich mich aufgehalten, etwas, dem daselbst herrschenden Geschmacke nachahmendes gesehet: -ich überlegte aber auch die Vorzüge die ein Urbild vor einem bloßen Nachahmer voraus hak. Ich fing also an, meine vornehmsten Bemühungen dahin zu rich­ ten, daß ich mir einen eigenthümlichen Geschmack bilden möchte, um, wo möglich, selbst ein Ur­ bild in der Musik abgeben zu können. Allein, hierzu zu gelangen, wurde Nachsinnen, Erfah­ rung, und Zeit erfoderk. Was ich also vor

dem

n. Lebenslauffe.

245

dem in einst Stunde verfertigen konte, dazu nahm ich mit nunmeht die Zeit von einem Tage; mehr als zu seht versichert, daß die ersten Ein­ fälle zwar manchmal gerathen; aberauch, wenn sie gleich nicht immer die schlimsten, doch gewiß nicht allezeit die besten sind: daß vielmehr eine feine Empfindung und reife Beurtheilungskraft Lazu gehöre, sie zu lautern, und in gehörige Verbindung mit einander zu bringen: damit ein Stück nicht nur fluchtig hin, und kurze Zeit, sondern wo möglich immer gefallen könne. Zu tiefem guten Vorhaben nun, kam mir der beständige Umgang mit meinem theur^sten Freunde, dem Herrn Concertmeister pisendel, und seine eben so richtige als durchdringende Beurtheilungskraft, ungemein wohl zu statten. Die schöne Kirchenmusik, die vortreflichen Opern, und die ausnehmenden Virtuosen im Singen, welche ich in Dresden hören konte, brachten mir immer neues Vergnügen, und feheten mich immer in neues Feuer. Bis hieher war ich Hoboist und Flötenist in der Pohlnischen Capelle gewesen, und meine jährliche Besoldung hatte aus 216 Thalern be­ standen. Man hatte aber, währender me ner Resten, meinen Plah einem andern angewiesen, und ich feite in die Sächsische Capelle verseht werden. Dieses geschahe auch im Monath März des 1728^» Jahres, nach Absterben eines Violinisten, dessen Besoldung von 2?o Thalern ich bekam, doch aber auch die aus der

l.Band.

R

Pohlni-

246

ii. Lebenslauffe.

Pohlnischen Capelle dabey behielt. Von dieser Zeit an verließ ich den Hoboe gänzlich, weil sein Ansatz, dem auf der Flöte gänzlich zuwider ist; und blieb bey der Flötetraverßere allein.

Im May dieses Jahres reifete ich mit dem Oberküchenmeisier, Baron von Geyferriy in der Folge des höchstseligen Rönigs von Poh­ len nach Berlin; wo ich auf Verlangen Ihrer Majestät der Rönigin von Preußen, mit Erlaubniß des Köistgs von Pohlen, einige Mo­ nate verbleiben mußte, pisendel, Weiß und Buffardin mußten gleichfalls auf Befehl dahin

kommen.

Nachdem ich einigenral die Gnade gehabt hatte, vor der Königin Majestät mich hören zu lassen, wurden mir, von Höchstderselben, Dienste, und eine Besoldung von 800 Thalern des Jahrs angeboren. Ich war bereit sie an­ zunehmen: Der König mein Herr aber wolle nicht darein willigen. Indessen erhielt ich doch eine allgemeine Erlaubniß, so oft nach Berlin zu gehen, als ich verlanget werden würde. In eben diesem i/28sten Jahre, entschloss sen sich, der damalige Rronprinz von preuss fen, Seine itztregierende Röniglrche MajcfMt, die Flocetraversiere zu erlernen, und ich hatte die Gnade ^öchstdieselben darauf

zu unterrichten. Ich mußte deswegen alle Jahre zweymal nach AerltN, Rttppin oder Reins-

berg kommen» Nachdem

IL Lebenslättffe.

247

Nachdem int Jahre 1733, der König von Pehlen gestorben war, walten Seine iyrregieren'w Majestät von Pohlen mich wieder nicht aus Dero Diensten lasten. Sie seheten viel« mehr meine Beso'dung auf 800 Thaler; be­ kräftigten auch die obengemcldete Erlaub» die ich gehabt hatte, nach Berlin zu reisen, von neuem. Die Gnade, der ich genoß auch Seine Durchlaucht. den Markgrafen von Bavreuth auf der Flöte zu unterrichten, womit in Berlin der Anfang war gemachet worden, verursachte, daß ich auch bisweilen nach Bay­ reuth beruffen wurde. Im Jahre 1734 machet« ich sechs Solo, für die Flötetvaversiere, von meiner Arbeit, durch den Stichel bekannt. Zu der Ausgabe anderer Sonaten, die, unter meinem Namen, schon lange vorher 'in Holland herausgekom­ men, bekenne ich mich nicht. Am 26ten Junius 1737, verheirathete ich mich mit der verwitweten Frau Anna Ro­ sina Carolina Schindlerin, einer gebohrnen Hölzelin, deren seliger Herr Vater, in Bayeri­ schen Diensten, Hauptmann auf der Festung Braunau gewesen war. Wegen Mangels guter Flöten sieng ich int Jahre 1739 an, selbst welche zu bohren, und abzustimmen: wovon ich in der Folge keinen Schaden gehabt habe. Im November des 1741 Jahre- wurde ich -um letztenmal« von Seiner Majestät von R 2, Preussin

248

u. LebenSlänffe.

Preußen nach Berlin berufen, und von Höchst« denenselben mir mit so vortheilhaften Bedin­ gungen, Dienste angeboten, daß ich sie anzu­ nehmen mich nicht länger weigern konte. Zweytausend Thaler jährliche Besoldung auf Lebens­ zeit ; ausserdem eine besondere Bezahlung meiner Komposition; hundert Dukaten für jede Flöte die ich liefern würde; die Freyheit nicht im Or­ chester, sondern nur in der Königlichen Kammer­ musik zu spielen, und von Nremands als des Kö­ nigs Befehl abzuhangen, verdienten wohl einen Dienst aufzugeben, wo ich solche Vortheile niemahls zu hoffen hatte. Des Röntgs von Polen Majestät waren zu gnädig, als daß Sie mir einen schriftlich gesuchten Abschied län­ ger hätten versagen sollen: um sovielmehr, da

ich

Höchstdenenselben weder als ein Landskind, noch sonst, wegen einiger mir, ausser meiner damaligen Besoldung, vorgeschossenen Reise­ kosten verbunden war.

Ich verließ also Dresden im December des 1741 Jahres, da ich denn die Königlichen Preus­ sischen Dienste antrat.

Im Jahr 1752. ließ ich meinen Versuch einer Anweisung die Flörerraversiere zu spickn im Drucke ausgehen. Um eben diese Zeit erfand ich, bey einer gewissen Gelegen­ heit, den Aus - und Einschiebekopf an der Flöte, vermittelst dessen man dieselbe, ohne Wechselung der Minelstücke, und ohne der rei­ nen

ii. Lebensläusse.

249

nett Stimmung Eintrag zu thun, um einen halben Ton tiefer oder höher machen kann. Die hiesige Königliche Musik überhaupt; -er dabey regierende vernünftig-vermifthte und reizende Geschmack in der theatralischen Composition; die verschiedenen braven italrenifthen Virtuosen im Singen, welche wir hier, theils gehabt haben, theils noch besitzen; das gute Orchester, welches schon vom Jahre 1731 bis 1740 in Ruppin und Reinsberg in einer Ver­ fassung gestanden, die jeden Componisten und Eoncertisten reizen,und ihm vollkommene Gnüge leisten können, welches überdieß votn Anfänge der itzigen Regierung an, zu einem der ansehn« lichsten in Europa vermehret- worden ist, und die verschiedenen hervorragenden Virtuosen, die sich in demselben befinden; alles dieses, sage ich, hat sich schon selbst so bekannt und berühmt ge» macht, daß es ein Uebersiuß seyn würde, jeden nach seinen Verdiensten hier ins besondere zu beschreiben.

Dieses ist mein Lebenslauf; und auf dieft Art hat die göttliche Vorsehung mich geführet, und mein Verlangen, das ich seit vielen Jahren,

in

Zeiten, da noch nicht der geringste Schein dazu war, immer gehabt habe, entweder in Dresden oder in Berlin mein Glück zu machen, an beyden Orten erfüllet. Ich danke es derselben R

3

und

350

n. Lebensläuffe.

rind der Gnade des Königs, daß ich mich hier »och in erwünschtem Wohlseyn befinde. Johann Joachim «Quarry.

in Potsdam im August 1754«

* »B4- *

(B) Leben Herrn Georg Gebets, ehe» mahligen Capellmüsterö zu Rudolstadt. (Es ist mir dieser Aufsatz, so wie er hier befindkich ist, von einem guten Freunde -es Verstorbenen, mitgetheilet worden.)

war zu Breßlau den 27 October 1709 ^5* gebohren und der älteste Sohn George Gebels des wackern Organisten zur Dreyfaltigkeit daselbst: seine Mutter heißt Anna Bar? bara, und ist eine gebohrne Opitzin, die älteste Tochter eines in Breßlau üblich gewesenen Leib­ schützens. Bald bey seinem Anblick der Welt muste man ihn M Hause taufen zu lassen, in aller Eilfertigkeit Anstalt macheg, weil eS mit ihm das Ansehen harre, als wenn er bald wiederum seine Eltern betrüben würde, so wie er sie doch kurz vorhero erfreut hatte. Doch er erholte

sich wieder.

Er war in seiner zartesten Kindheit meistens vnruhig, und dieses ohne Zweifel wegen seiver an sich

n. Lebmsläusse.

251

sich habenden Schwachheit. Er fönte aber mit nichts besser in aller ferner Unruhe befriediget werden, als wenn man sich mit ihm zum Cla« vicembel näherte, woselbst er nut seinen Hän­ den schlagen und Töne hören fönte, auch da­ bey allemal die beste Befriedigung von sich zu verstehen gab. Gleich wie nun meistentheils die Vater nicht ungerne sehen, wenn sich ihre Söhne nnd in­ sonderheit die Erstgebohrnen zu demselben wohl anlassen, wodurch sic selber in der Welt Brot haben; also war midi George (Bebele des Or­ ganisten zu Brcßlau Wille und Meinung, daß ftin junger Sohn die Musik stark treiben möch­ te, welches auch gar füglich geschehen fönte, zu­ mal sein Vater in Unterweisung der Jugend auf -eM Clavicembel sehr glücklich war, so daß er eben deswegen in den gräflichen Hausern der Stadt Breßlau deroselben vornehme Jugend auf Dem Clavicembel zu unterrichten die Ehre ge­ noß, und bey denenselben allerseits Gnade und Ansihn erhielte. Dannenherp war für den jungen Gebe! die größte Hoffnung, daß es ihm 'an keiner Unterweisung ermangeln werde. Sein Vater fönte aber des Kindes erwachsene Jahre nicht erwarten, welche meistens eine Kunst zu erlernen nöthig scheinen; sondern ane großer Begierde sein Kind geschickt zu machen, that er mit ihm fast vor der Zeit einen Versuch, in der Hofmmg, daß seine angestellten Bemuhm.aen Nicht fruchtlos seyn würden: um so viel mehr. da

9i 4

lnezrö

2Z2

n. Lebensläuffe.

dieses Kind fast eine unersättliche Begierde bey dem Clavtcembel zu stehen und immer schla, gen zu wollen zu erkennen gab, daraus er wol abnehmen fönte, daß sein Kind zur Musik gebohren sey. Der Vater machte also mit ihm gleich nach dem dritten Jahre den Anfang. Doch bedrenete er sich Hiebey aller weisen Vor­ sicht, daß seine Mühe nicht ungereimt sey, son­ dern er suchte ihm etwas in die Hände zu brin­ gen, wie ihm cS wenigstens für das Vermö­ gen 'eines so parken Kindes recht zu seyn schien. Die Zeit, so hierüber verwendet, ist von keiner sonderbareir Länge. Da sich nun der Vater dabey seine Freudd sahe; so versuchte er, ob dis Kind nicht etwas von mehrerer Wichtigkeit werde fassen können, und da auch solches ohne alle Schwierigkeit wohl ausfiel; so lehrte er es das Clavier und die Noten kennen. Der erfreute Vater sahe sich auf solche Weise von seinem Kinde, solches mit allem Fleiß in seiner Fähigkeit zu unterhal­ ten, selber getrieben.

Es schlug alles so glücklich an, daß. dieses

Kind im sechsten Jahre seines Alters von de­ nen vornehmen Standespersonen, welche sich damals in Breßlau sehr häufig befanden, in -ihre, Hauser gefordert ward und in Gegenwart der Grossen mit vieler Bewunderung sich hören steß,' wobey es auch sehr ansehnlich beschenkt nmrde.

IL Lebensläusse.

253

Hierdurch ward nun der Vater noch weiter nach allem seinen an sich habenden Vermögen, der Fähigkeit seines Sohnes genug zu thun, er­ muntert. Er lehrte ihn den Generalbaß, und setzte ihm sehr viel Concerte für das Clavicembel, von sehr grosser Länge, und ungemeiner Schwierigkeit, dergleichen ihm zu derselben Zeit von nirgends woher in die Hände gekommen waren, weiche der Knabe nach und nach bey zunehmenden Jahren sehr wohl und fertig spielte.

Hierbey bekam er auch im Praludiren und Fugiren fieißige Anweisung, daher ihm auch der Vater selber sehr lange Fugen und Präludia als Exempel, wornach er sich in seinen ei­ genen Gedanken zu richten hätte, aufsetzte. Es wurde auch dem Knaben zu gute von seinem Va­ ter ein sonderbares Elavicembel mit einem Pe­ dal von artiger Erfindung, einem geschickten Man­ ne Nahmens Köhler angegeben, welches der­ selbe auch sehr wohl gebaut hatte, auf welchem hernach der kleine Gebel unabläßige Instruction von seinem Vater bekam, dabey auch dem Va­ ter hingegen möglichen Gehorsam erwiederte und mit sonderbarem Fleisse und Mühe auf dem Pe­ dal die Trillo, lauffende und gebrochne Melo­ dien, so sonst auf dem Manual gebräuchlich, fertig und geschickt anzubringen wüste, wie er denn auch auf dem Pedal ein Thema zu führen ernstlich angehalten wurde. R s

Unter

2Z4

n» Lebenslällsse.

Unter solchen Bemühungen nahm der Knabe in ferner Geschicklichkeit so sehr zu, daß er im zwölften Jahre seines Alters mit seinem Va­ ter zugleich nach Oelß zu einer Orgelübernah­ me gefordert wurde, weil Jhro Durchl. der Herzog und Dero Gemahlin diesen kleinen Or­ ganisten als etwas seltsames zu hören, schon vielfältiges Verlangen getragen hatten, woselbst er arlch auf der Orgel mit grossen Beyfall so wohl Ihrs Durchl. als auch der übrigen vor­ nehmen Anwesenden sich hören ließ, welchen doch vorhero die Erzehlung von einem Organi­ sten, der ii Jahr alt sey, unglaublich gewe­

sen war. Da nun dieser Knabe allenthalben in Eh« rcn gehalten wurde, und mit seiner Geschick­ lichkeit ans Licht treten koute, auch Herzhaftig­ keit und Dreistigkeit genug hierzu besaß; pj wurde sein Vater von den vornehnien Standeöpersonen in Breßlau ersucht, daß er seine« Sohn ant kaiserlichen Hofe vorstellen möchte. Werl aber der Vater ein Mann von aller Be­ scheidenheit war, so gar , daß er sich der wei­ ten Welt weder selber zu zeigen Willis war, noch auch Vergnüge« fand, wenn seiner Kunst irgendwo gedacht worden, daher auch dasjenige, was in Herrn Marrhefons Ehren­ pforte von ihm gelesen wird, aus ihm mit der größten Mühe erpreßt worden ist: auch von dem Sahe überzeugt zu seyn glaubte, es sey ein Mensch nicht so stark, daß er nicht.einen

IL Lebensläuffe.

255

starker« finden softe: wie auch meynte, was in Breßlau seltsam wäre, fönte wol an dem fi> grossen Hofe was ganz sehr gemeines seyn; So blieb er mit seinem Sohne im Dunkeln und war mit der Hofnung vergnügt, der Knabe könte wol einstens mit der Zeit entweder auf dem Clavier oder auf der Orgel einer der groß« ten in der Welt werden. Von derselben Zeit an überließ ihm der Va­ ter die Verrichtungen seines 2lmtes völlig, wel­ che er auch mit allem Ruhme in Acht zu nehmen wüste. Damit er aber auch im Christenthume gegründet werden, nnb Sprachen erlernen möch­ te ; so ließ er ihn auf dem Gymnasio Mar. Magdal. die ordentlichen Stunden gehörig be­ suchen , zu Hause aber hielte er ihm einen Lehr­ meister im Christenthum und lateinischer Spra­ che: Nach mehrer» Jahren gab er ihm einen französischen und einen dergleichen in der ita­ liänischen Sprache: et selbst aber führte ihn in der Musik wie vorhero eifrig fort: Er hatte ein Viertheilton Clavier erfunden, aufdemselben wiese er den Knaben an, der auch dem Vater zum Ver­ gnügen auf demselben allerhand artige Gedan­ ken vortrug: Er lehrte ihn die Composition, welche sich auch der nunmehr geschickte Mensch seht fleißig angelegen seyn ließ, daher es eben so lange nicht anstand, daß er auf Hochzei­ ten Cantaten zu componiren ersucht wurde. Nachdem er solches einige Zeit getrieben, so nennte man ihn einen Compontsten. Die da­

mals

2Z6

n. Lebensläuffe.

malö florirende Opern in Breßlau brachten ihn» auch einen sehr guten Geschmack in der Melo­ die bey, welcher seine Komposition wie auch fein Spielen auf der Orgel oder Clavicembel sehr angenehm machte. Sein sonderbares Feuer im Spielen auf der Orgel wurde sonderlich da­ durch erweckt, weil er gar oft den vortresiichen Organisten auf dem Dohm Herrn Rraust an« horete, und sich die Muhe, diesen weiten Weg bey dec übelsten Witterung zu gehen, nicht verdrüßen lief?. Ww er denn auch einst, da er schon em Mann war, frey und öffentlich ge­ stand : daß wenn er sich zu Breßlau irgendwo in einer Kirche habe sollen hören lasset); so ha­ be er vorhero gerne Herrn ^raufen auf dem Dohme gehöret, bey welcher Gelegenheit ihm gleichsam alle seine Kräfte rege gemacht wor­ den wären. Man kan also leicht sehen, wie daß er seit seinem zwölften Jahre, bis in das zwanzigste, in allem was er in der Musik vorgenommen, un­ gemein stark worden sey. Denn von derselben Zelt an war er sich immer vollkommener zu ma­ chen im äussersten Triebe: Man bediente sich auch seiner Person zum Jnformiren auf dem Clavicembel oder Violin, wie auch bey allen So« lennitäten entweder zur Komposition oder Accompagnetmnt oder zur Violin: und kam er in die Bekantschaft der damals sehr' beliebten Virtuo­ sen und Künstlers Herrn Fedele, Herrn Hoff­ mann als damaligen Secundariuö zu St. Elisa­ beth,

n. Lebensläuffe.

257

beth, itzo berühmten OrganistenS an der Mar. Magdal. Kirche, und Herrn Ixropfgans eines

vortrestichen Lautenisten. Daher er im zwanzigsten Jahre seines Al­ ters, da Herr Remramr, damaliger Secundarius zu Maria Magdalena bey der zweien Or­ gel, als Organist nach Hirschberg beruften wur­ de, ohne Mißvergnügen dein abgehenden Herrn Reimann in seinem Amte, von dem Rathecollegio der Stadt Breßlau, zum Nachfolger ge­ setzt ward. Hierbey bekam er auch viel in den Catholischen Klöstern zu thun, auch wurde er nach St. Matthias eine Messe zu componiren gebeten, wofür ihm, Jhro Hochwürden und Gnaden der Prälate eiu ansehnliches Geschenke machte, welche von demselben, tvie auch von dem ganzen Chore für eine der schönsten ge­ halten worden ist, so man bis daher in dem­ selben Kloster aufgeführet hatte. Auch hatte er in der Compoßtion wichtige Arbeit für das Gymnasium Maria Magdalena. Die letztern Opern, so zu Breßlau gehalten worden, spielte er nach Herrn Hoffmann vollends aus, und wenn für den Directorem derselben dre Witte­ rung zu kalt war, so mußt; er diriglren. Da nun seine Verrichtungen allenthalben großen Beyfall erhielten, so stellte man sich da­ bey wol vor, daß er in Breßlau nicht sterben würde. Oesters wurde er nach Oelß gebeten, daß er die Capelle Jhro Durchl., welche zwar aus wenigen Personen, -och aus den vortrest lichiren

258

Lebensläuffe.

lichsten Virtuosen, bestand, bey vorfallenbm Solennitaten dlrigirte und seine Komposition aufführte. Weil nun Ihro Durchl. der Her­ zog Mn Oelß von seiner ungemeinen Fähigkeit eingenommen war, so gefiel es denenselben, ein­ stens, da Herr Gebe! wiederum eben zur Dh rection Dero Capelle gefordert wurde, daß sie ihm das Diploma Dero nunmehr wirkli­ chen Kapellmeisters in hohen Gnaden ertheilten, wobey sich aber der nunmehrige Kapellmeister ausdrücklich vorbehielt, daß er nur wie bisher» bey Solennitaten in Oelfe erscheinen, hingegen aber seßhaft in Breßlau bey ftmem vorigen Dien­ ste verbleiben dürfe, welches ihm auch endlich in hohen Gnaden zugestanden ward. In solcher Verfassung, darin er nun gegen­ wärtig stand, hat er ungemein viel componirt. Es können aber alle seine Sachen nicht erzehIct werden, weil ihm meistentheils die Parti­ tur zugleich mit abgeforderk, aber nicht wieder zurück gegeben ward, weif ein jcber, der sich etwas von ihm hatte aufseßen lassen, solches al« was sehr schönes für sich allein aushob. Sonst ist betank, daß er viele Solo und Koncerte für den Klavicembel gesetzt, gleichergestalt viele Solo und Koncerte für die Violin, Flotetraverse, und, wo wir nicht irren, für die Lau­ te »Md Gambe wie auch andre Instrumente mehr: ausser dem auch 2 Kirchenjahigange, von denen sehr viel veriohren gegangen: hierzu kommen noch einige Dutzend Sinfonien, Par-

thiett,

iL Lebmslättffe.

259

thien, Trio und Duetto: auch weiß man, daß er die 4 Jahrszeiten fast unverbesserlich in der Musik niebergesetzt und ausgedruckt, welche müh­ same Arbeit von allen denen völligen Beyfall gefunden, welche er von den Begebenheiten, so sich in den 4 Jahrszciten ereignen, gute Erkentniß haben. Als nun der Herr Capellmeister sich bey fei­ nen solchen Verrichtungen, zu unvergeßlich rühm­ lichem Andenken, verhalten hakte; so wurde er im 26 Jahre seines Alters, nebst andern der vortreflrchsten aus der Capelle, zu Ihrs Ercellenz dem Herrn Grafen von Brühl in Dero Cammermusik nach Warschau beruffen, als wo­ selbst sich der Dreßdnische Hof um des Reichs­ tages willen damals aufbielt, wozu sich auch der Herr Capellmeister Gebe! gar bald entschloß, weil er ohnedem die Welt zn sehen eine große Begierde hatte. Er bat also nebst Herrn Mül­ lern, einem vorkreflichen Gambisten, bey Ihrs Durchlaucht dem Herzoge, um gnädige DiMlßion, welche zwar beyden ertheilt wurde, doch mit dem ausdrücklichen Vernehmen, daß Sie, beyde bald wieder zu sehen, sich gewisse Rech­ nung machten. Wie denn auch hernach der Abschied auf das wehmüthigste ausfiel, da sich Jhro Durchlaucht betrübeten, daß Sie Personen von sich lassen sollen, mit welchen Sie in voll­ kommener Zufriedenheit gewesen, die abgehen­ den aber, daß sie einen der gnädigsten Herren verliessen, der ihnen auch so -ar das Geleite

bi«

260

iL Lebensläuffe.

bis an die Thüre Dero Schlosses gegeben ha­ ben soll: welche Gnade beyde so sehr bewogen, daß sie gewiß an Ort und Stelle verblieben wa­ ren, wenn sie mcht schon schnftltch «hr Verspre­ chen nach Warschau abgesendet hatten. Des Herrn Capellmeisters Vater war hierüber glei­ cher Gestalt sehr betrübt, und wolle die Rerse nach Warschau nicht billigen auch nicht zuge­ ben. Doch fia Jhro Excellenz durch Dero Secrelair ein Schreiben dessentwegen an ihn ab­ liessen, daß er um-feines Sohnes willen nichts zu besorgen habe? etthetkte ex ihm seinen vä­ terlichen Segen unv ließ ihn von sich. Also reifete der Here Capellmeistev (Bebel nach Warschau, kam , glücklich an, und wurde von Jhro Excellenz'gnädig aufgenonnmn, wo­ selbst er sich vor Vexstlben oft Solo wie auch in Concerto hören lassen muste. Hierdurch er­ langte er auch vor Jhro Majestät Concerto zu spielen die Gnade, und fand höchstgirüdigen Bey­ fall. Da nun der Hof wiederum zurücke keh« rete; so kam auch Herr (Nebel über Breßlau nach Dreßden, bey welcher Gelegenheit er die Verlassenen Seinigen mit Vergnügen wieder sprach. So bald er nun in Dreßden angekommen; so wurde, nachdem er gehöret worden, von sei­ ner Geschicklichkeit mit vieler Bewunderung ge­ brochen : er genoß die Gnade des Grafens, und die Hochachtung der Dreßdnifchen Vlrtuoftn. Hier blieb er allemal, wenn der Hof nach Wat­ schau

n. Lebensläuffe.

261

schau- Äbgieng. Bey solcher Ruhe besuchte er ein­ mal wiederum die ©einigen in Breßlau und rei­ fete hernach nach etlichen Wochen zurücke. Er war so lange nicht in Dresden; so trugen Sr. Durchi. der Herzog von Oclß wiederum nach Dero Herrn Capellmeister, Herrn Mullern und Herrn Horn em sehnliches Verlangen, welche aber zu keinem festgesetzten Entschluß gebracht werden fönten. Hier verehlichte sich nun der Herr Capell­ meister mit der Jungfer Susanna Gebeln, welche eine hinterlassene Wayse eines vortref» lichm Mahlers au? Berlin, und zu Dres­ den ,bey der sehr berühmten Königlichen Hofmahkerin Frauen Wecn/rin erzogen worden war. Diese Jungfer soll War, in ihrem Leben sich niemalsMverehligen, den Entschlußehemals gefaßt haben; allein wegen der sehr großen Ver­ dienste des Herrn Capellmeisters Gebet soll sie Ihn willig und gerne.verändert haben. Herr Gebe! ward hier in Dreßden durch das geschickte Mahlen seiner Frauen zu dem gereitzet, was er schon in Breßlau einmal versucht hatte. Er fieng nun än zu mahlen, seine Frau und sein Herr Schwager Gebet gingen ihm sehr Zeißig an die Hand, seine Bemühung war

nicht ohne Frucht, insonderheit hatten stme Er­ findungen Beyfall. War er nun vorhero bey seinem Grafen in Gnaden so .erweckten solche Unternehmungen noch mehrere gegen ihn,und Sr. Excellenz sollen verschiedenes von seiner Mah­ l' Band, S lerey

262

n. Lebettskäuffe.

leren sehr gnädig ausgenommen und sein ihmvon Gott geschenktes Talent bewundert Haven. Herr Gebet aber zierte alle seine Aunmer damit aus. Da man nun solchergestalt bey Sr. Excel« lenz von seiner so großen Fähigkeit überzeuget war und besorgete, daß mit dem Absterb on des schon alt gewordenen Dresdnische« Pantelonisten das Instrument Pantelon Unrrrg«hen möchte, weil die, so ee um der Urfacye willen erlernet, ni suspirantrtn, 8t tarn mnlta geihentem. Felix! fi pptuit gemitu flexifle Tonantem. „Als Lully von langem Schmerz entkräft»,

Mit dem Tode rang, so trauerte die Welt; aber der Himmel hatte seine Freude daran. Er weinte und ftufzete.

Gott kehrte ein geneigter Ohr

in. Ansc-otttr.

267

Ohr zu seinem Flehen UN- Schreyen^ glück« lich, wenn er den Himmel durch, seine Klu­ gen rühren können.,,

Das Zweyte Sinngedicht Tod heraus und heißt :

kaw auf seinen

Perfida mors, inimica, audax, temeraria 8c excors,

Crudelisque, & ceeca;

probris te abfoluimua iftis.

Non de te querimur; tua fint haee mtrnia magna.

Sed quando per te, populi regisque volüptas> Non ante auditis rapuit qui cantibus orbem»

Lullius eripitur, querimur modo; furda fuifti. „Treuloser, feindseliger, verwegner, tollküh« ner, unvernünftiger, grausamer, und blinder 'Tod: wir wollen dir alles dieses vergeben, und uns nicht über dich beklagen; du magst immerhin dein Amt verwalken. Aber wenn du uns den LuUy entreissest, der.die Lust des Königs und des Volks war , und der die Welt mit nie zuvor gehörten Tönen entzückte, so klagen wir nur. Du bist taub gewesen. „ *

Beyde Gedichte sind von dem berühmte« lateinischen Poeten Santeuil (Santolius), auf welchen Boileau folgende« von einem gewissen deutschen Dichter übersehteS Sinngedicht ge­ macht hat:

©4

Wenn

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Hl. Anttdottn.

Wenn ich Santolmm erblicke, Der Augen, Achseln «ob Genicke Verdreht, und wie Beseßne schäunN, Wenn er $um Lob St, Peters rermt: So fürcht und glaub ich ohne Zweifel, Ich seh und höre einen Teufel, Den Gott durch seine Allmacht zwingt. Daß er des Frommen Lob besingt. b) Gabriel Vincent Thevenard, ein portreflicher Baritoyist, wurde 1669 zu. Paris gebohren, undums Jahr 1688* an die Stelle des verstorbenen BeaumavieÜe, den Lully bey Errichtung der Oper, im Jahr 1672 aus dem Languedockischen verschrieben hatte, beym Theater ausgenommen, welches er mit einer auf Zeit Lebens ihm ausgemachten jährlichen ansehnlichen Pension, im Jahre 1720 verließ. Man erzählet von ihm, daß, als er schon sech­ zig Jahre alt war, und bey einem Schuster einen artigen Pantoffel erblickte, er sich in die Besitzerin desselben sogleich heftig verliebte, ohne von solcher jemahls gehört oder sie gesehen zu haben. Gr ließ nicht eher nach, bis er ihren Nah­ men und ihre Wohnung entdeckte; worauf er, um die Hand der Schönen zu erhalten, sich an den Oheim derselben, einen guten Mitbruder bey dem Glase, welches Thevenard inniglich liebte, wendete, und denselben mit etlichen Fla­ schen Wein zu bestürmen anfing; welche auch von

iv.

Nachr. v. der Capelle zu Gotha. 269

von solcher Kraft waren, daß das Jawort von der Mutter und Tochter erfolgte. Es verstarb dieser Sänger im Jahre 1741. und kam der «och lebende de ChalK-, der sich noch täglich Mit vielem Beyfall auf der lyrischen Bühne zu Paris hören lässet, an seine Stelle. c).Dümeni, ein annehmlicher Altist, wur­ de von der Küche des- Herrn Foucault, In­ tendanten zu Montauban, ums Jahr 1677. auf das Pariser Theater erhoben, woselbst er gegen daö Jahr 1715. in einem ziemlich ho­ hen A)ter verstorben ist. Als er einmahl in der Oper Phaeton die Rolle des Phaeton spiel­ te, fieng ein aufgeräumter Kops, vor grosser Entzückung, auf dem Parterre laut auszuruffen an: Ah! Phaeton, Phaeton, eft-il poflible, que vous a'iez feit du böuillon. Ach! Phae­ ton , Phäeton, ist es möglich, daß du ehe­ mahls Suppe gekocht hast.

IV. Nachricht

von dem gegenwärtigen Zustande der Hochfürstlichen Kammer- undCapellmusik zu Gotha. 1) Herr Georg Benda, Capellrneister.

k) Sängerinnen, (nach alphabetischer Ord­ nung, so wie alle übrigen Glieder der Capelle.) 2) Fr. Maria Elisabeth Galletti.

3) Fr.

iv.

Nachr. v. der Capelle zu Gotha. 269

von solcher Kraft waren, daß das Jawort von der Mutter und Tochter erfolgte. Es verstarb dieser Sänger im Jahre 1741. und kam der «och lebende de ChalK-, der sich noch täglich Mit vielem Beyfall auf der lyrischen Bühne zu Paris hören lässet, an seine Stelle. c).Dümeni, ein annehmlicher Altist, wur­ de von der Küche des- Herrn Foucault, In­ tendanten zu Montauban, ums Jahr 1677. auf das Pariser Theater erhoben, woselbst er gegen daö Jahr 1715. in einem ziemlich ho­ hen A)ter verstorben ist. Als er einmahl in der Oper Phaeton die Rolle des Phaeton spiel­ te, fieng ein aufgeräumter Kops, vor grosser Entzückung, auf dem Parterre laut auszuruffen an: Ah! Phaeton, Phaeton, eft-il poflible, que vous a'iez feit du böuillon. Ach! Phae­ ton , Phäeton, ist es möglich, daß du ehe­ mahls Suppe gekocht hast.

IV. Nachricht

von dem gegenwärtigen Zustande der Hochfürstlichen Kammer- undCapellmusik zu Gotha. 1) Herr Georg Benda, Capellrneister.

k) Sängerinnen, (nach alphabetischer Ord­ nung, so wie alle übrigen Glieder der Capelle.) 2) Fr. Maria Elisabeth Galletti.

3) Fr.

ö7°

IV- Nachricht vsn der

z) Fr. Anna Francisca Paraschin, etueSchW«« ster des Herrn Capellmeisters Benda.

ß) Sänger. 4) Hr. Johann Thielemann (ramer, aus Bitt« stedt üst Gokhaischen. Sopranist.

5) Hr. Giov. Andr. Galletti, aus dem Tost» Nischen, Baßist. c) Hr. Joh. Ana. Hebert, aus Moskau in der Lausitz, Altist.

7) Hr. Georg Nicol. Otto, Baßist.

aus Gocha,

8) Hr. Joh. Christian Ziegeldecker, aus Roh» stadt im Sächsischen, Tenorist. •y) Violinisten.

9) Hr. Nicol. Bauer, aus Georgenthal im Gokhaischen. 10) Hr. Joh. Aug. Engert, aus Gotha.

.11) Hr. Diöma Hatasch, aus Böhmen.

12) Hr. Joh. Andr. Schiech, auö Goldbach unweit Gotha.. 13) Hr. Joh. Nicol. Specht, auö Sültzcn« brück. 14) Hr. Joh. Georg Sträubet, von Lei« tenberg im Schrvarhburgischen.

5) Oboi-

CapM zu Gotha.

271

Z) Oboisten. 15) Hr. Samuel Böhmer, aus Christi«»» stadt.

16) Hr. Georg Christoph Skubenrauch, aus Großvargel.

-) Zum Accompagnement. 17) Hr. Dav. Abr. "Böhmer, Fagottist, aus Moskau in der Lausitz.

18) Hr. Gottfried

Diessel, Lautenist,

aus

Braunschweig. 19) Hr. Joh. Gottfried Golde, Kammer» und Hoforganist von Kreische bey Dresden.

20) Hr. Joh. Gottft. Golde (jttn.) Kammerund Hoforganist. 21) Hr. Christian Heine. Gtölzel, Viotonist.

£) Waldhornisten. 42) Hr. Joh. Casp. Hoyel, aus Rockekniß in Böhmen. 43) Hr. Amon Ferdinand Weisse, ausWa-stadt in Schlesien.

v. Scherz-

272 v.Scherzl.vomHrn- ^Leßing rc.

V. Scherzlied vom Herrn m. Leßing, componikt von dem Königl. Hoftomponisten, Herrn Agricola. oll, voll, voll, Freunde, macht euch voll! Wein, Wein, Wein, Freunde schenckt ihn. Küßt, küßt, küßt. Die euch wiederküßt.. Voll von Wein, Voll von Liebe, Freunde, voll zu ßiyn. Küßt und schencket ein.

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«r. 1 D es >i 4w ue gröbsten Fehler zu vermeiden, wenn in allen Stimmen cinerle» Abstande, einerley Klang­ füße, einerley Bewegung vorhanden waren? Vielmehr weiß ein jeder, ohne em starker Mu­ sikus zu seyn, das; eine jede begleitende Stimme ihre besondere Ausdrücke habe, und dadurch der Hauptst.nrme, die vor andern hervorraget, mehr Anmuth, Erhebung und Nachdruck berzulegen suchet. Es ist auch nicht richrig geredet, daß allein der einfache Gesang, der Auedruck der naoweahmkrn Natur sey, sondern es muß der Ausdruck der Natur so viel möglich in allen

S-immen enthalten seyn. DießS alles, was tot ber erinnert worden, zeiget an, wie man ftlten glücklich -ft, wenn man in einer Sache allegorifirt, der man nicht recht kündig ist. Was gehöret also nicht darzu, sinnreich zu schreiben, ohne der Wahrheit Eintrag zu thun? Endlich scheint Herr Batkeux selbst zu be­ kennen, daß er sich keiner großen Kenntniß der Musik bereust sey, indem er diesen Ein­ wurf zu beantworten nöthig findet: „Halten „sie sich denn, mein Herr, für einen so guten „Kenner, daß sie den Wehrt einer feinen und „sorgfältig ausgearbeiteten Musik mit dem Ge„fühle wollen beurtheilen können? „ Es ist also wohl ausgemacht, daß Herr Batteux kein Musik-

eines Freundes an den andern. 283 Mzisikverständiger heissen könne. Daher ist es kein Wunder, daß seine Redensarten von der Musik theils undeutlich und widersinnig, theils der Musik durch Veranlassung einer Mss>dentung nachtherlig sind. Von der ersten Art haben wir schon Proben gehabt. Dre lezre e Art der Ausdrücke verbleitet vor allen andern in Erwegung gezogen zu werden, damit man sich nicht verleiten lasse, solche Dlttqe von der Musik zu verlangen, die ihrer Natur nicht gemäß sind, und folglich ohne Verschulden eine Musik um eingebildeter Fehler willen zu verwerfen. Alle Musik muß einen Ver,stand haben, so schreibt dieser Urheber p. 231. Dieses ist rich­ tig in dem Verstände, daß eine jede Musik eine Empfindung oder Leidenschaft zmn Vor­ wurf habe. Kann dieser Ausdruck aber nicht von manchem gemißdeutet werden? ob sich gleich Herr Barceur au einem Orte recht erkläret hat; und es wäre zu wünschen, daß er es an diesem Orte, auch gethan härte. Wenn aber ein junger Stutzer darüber kömmt, der liefet nicht gerne ein Buch ganz aus, noch ist es ihm um die Eiusicht in die Verbin­ dungen der Sachen zu thun. Sondern es ihm genug einen Satz, eine Redensart, ein Wort zu erschn-appen, seine eingebildete Weißheit in Gesellschaften zu zeigen. Wenn ein solcher dieses liefet, so hat er schon genug. Er macht sein Buch zu, und, wenn er hey der nächsten Gele-

284

i Sendschreiben

Gelegenheit eine Musik höret, so raisonnirk er über diesen oder jeucri Ausdruck des Componisten, und hält sich berechtiget, olles von der Musik zu fordern, was eine verständliche Rede allein zuwege bringen kann; da doch die Sprache der Musik nur von dem -Vermö­ gen der Seele verstanden wird, das mit Em» pfiirden und Begehren zu thun hat. Für die* feö hat nur ein jeder musikalischer Ausdruck seinen Verstand und seine Bedeutung; nur einige wenige ausgenommen, welche der Ein» bildungskraft gewisse Bilder sinnlicher Vor­ würfe einprägen. Lassen sie uns den Herrn Batteux ferner Höven. „Dre Töne, schreibt er, liegen in „den Worten schon halb gebildet; und es ge« „hört nur sehr wenig Kunst darzu, dieselben „aus ihnen heraus zu ziehen; vornehmlich, „wenn die Empfindung natürlich, wenn sie „ungekünstelt und aus einem vollen Herzen „herstießet.,, Es wäre sehr gut und bequem, wenn sich die Sache so verhielte, wie Herr Batteur meinet; es würde den Componisten viel Kopfbrechens dadurch ersparet. Daß die Töne schon halb gebildet in den Worten'liegen, mögte man einigermaßen von einem Recitativ oder einer theatralischen Declamation gelten las­ sen, welche nur eine Nachahmung der Rede ist, so, wie sie ein guter Redner mit den ge­ hörigen Affecten aussprechen würde. Doch ist auch hier der Ton des AffectS unter dem mensch-

eines Freundes an den andern. 285 menschlichen Geschlechte nicht so allgemein, daß nicht ein Volk von dem andern in dem Aus­ drucke der Stimme bey diesem oder jenem Affecke sollte in etwas abqehcn. Der Englandrsche Zuschauer hat schon angemerket, daß der Engländer eine solche' Tonart gebrauche, wenn er zornig ist und schilt, als wenn der Jtalianer fragt. Ja man wird schon bey ein­ zelnen Menschen im Gebrauch der Stimme bey dem oder jenem Affect einen Unterscheid finden; da der eine so natürlich und dem Affect gemäß reden kann, als der andere. Da nun der Verfasser dem Herzen auch eine Metaphysik zuschrerbet: so muß das Herz eines Italieners eine andere Metaphysik haben, als das Herz eines Engländers. Ja ein jeder Mensch hat beynahe seine eigene Herzenemetaphvsik-. Wie weit aber würde ein Compoulst, wenn er etwa eine Arre sehen soll, wohl kommen können, wenn ihm kerne andere Töne soll'en erlaubt seyn, als welche die natür­ liche Air einer Leidenschaft erfordert? Und wie unmöglich wäre es ihm, seine Töne nach der Herzensmetaphysik eines jedweden ZuhöreS einzurtchten; Hier darf die Musik nicht mehr die Sprache der Natur allein, sondern auch der jtunfr. seyn. Sie suchet durch künstliche Töne dasjenige zu bcwürken, was sonsten bloß die Natur mit. shrem Ausdrucke zuwege bringt. Und darinn ahmet sie ja auch der Natur nach, gleichwie die Mahlerey nicht bloß mit natur«

lichen

286

i. Sendschreiben

lichett Farben, Ivie die Natur selbsten, son­ dern mit gemachtm Farben mahlet. Die Musik. aMer also der Natur, so viel möglich nach, gebraucht sich aber auch billig der Reichthüurer threr Kunst. Billig schreibet also der gelehrte und vernünftige Uebersetzer des Herrn Darceux in der Abhandlung von der Poesie

p. 313: ,/Der müste sehr unbillig seyn, der sich »daran stoßen wölkte, daß die Musik in harmomscheru Tönen nachahmet, als die theatra nsch« Deklamation: und ihr die gewöhn­ liche Sprache zumuthew, hreße, von der

Poesie Prosa fordern. „ 'xbtr wollen aber den Herrn Dattel^' wei­ ter hören: „Wenn die Empfindung erklügelt, ,;tmb aoügekünstelt, so- druckt die Musik Die* „selbe mtyt mehr aus, oder wird dadurch, daß „sie nur.: zum Theil ausdrücket, rahclhaft und „doppelsinnig. Ihr Ausdruck ist -schwach, „oder uneigentlich, wder» gedrechselt, und nun„mehre unfähige diesen angenehmen Eindruck „hervvrzubrmgen, daß der Unwissende sowol, jjalg cher Gelehrte empfindet, und einer wie „der andere auch empfinden muß, wenn di« „-Sprache der Natur aufrtchtig redet. * Wa­ lässet sich Hiebey deutliches gedenken? Was ver­ steht' der Verfasser für eine Empfindung, die er eine erklügelte und auegekünstelte nennet? Soll es die Empfindung seyn, darinn sich der Componist bey Verfertigung seiner Arie oder seines Ehors sehek ? Wie kayn -Lest geklügelt und

eines Freundes an den andern. 287 und ausgekünstelt seyn? Ist es nicht eben die­ selbe Leidenschaft unb Empfindilng, die der Poet bey Verfertigung seines Gedichts geheget? wenn der Musikus anders so viele Gelehr­ samkeit und Urtheilvkrast besitzet, den rech­ ten Affecc zu treffen. Meinet er aber allhier die Empstnbung, welche bey Anhcrung einer Musik auf Seiten des Zuhörers hervor­ gebracht wird: so muß dieselbe eben so woyl natürlich seyn, als die Empstndung dcö Poe­ ten und des Setzers; weil ein biegsames.^rz des Zuhörers eben das ernpstndct, was jene: und wie kann sie denn erklügelt und ausge­ künstelt genennet werden? Es ist also wohl am wahrscheinlichsten, daß er durch die Em­ pfindung den Ausdruck der Empfindung, den dec Conrpoitlst bey Verfertigung seiner üjiujif geheget, und welche er dem Zuhörer mitzuthei» len gedenket, versiehe. Wenn der Compomst «was sitzet, darin eine Leidenschaft oder ein Affect lieget, wie in allen Arien seyn muß, so setzt er sich zuvor, wie gesagt, selbst m den Affect, und strenget seine Müstkalische Einbil­ dungskraft an. Drese macht sich den Affect zu eigen, und würket folglich nichts, das nicht zugleich aus dieser Leidenschaft fließet; weil bey­ des die Leidenschaft und die lebendige Phantasie zugleich würken. Solche Ausdrücke der Ern» pfindnngen und Leidenschaften können nicht an­ dere als natürlich genennet werden, sie mögen so gelehrt seyn, als sie immer wollen. Entfallen aber

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aber dem Componisten solche Weisen, die, in­ dem sie mit andern mit unterlaufen, von der herrschenden Leidenschaft zu weit abgehen, gar nicht dahin können gedeutet werben, ja gar der­ selben widersprechen: so ist dieses freylich ein Fehler. Aber kann ich einen solchen Ausdruck erklügelt und ausgekünstelt nennen? Wer einen Fehlschuß thut, hat der geklügelt und ausgekün­ stelt geschossen? In diesem Fall drücket freylich die Musik die gehörigen Empfindungen nicht aus, pie Here Bscrpup saget, oder wird da­ durch, daß sie nur zum Theil ausdrucket, ratzelhaft und doppelsinnig. Kömmt das aber von aller der Kunst her, die der Musikus in feinem Ausdrucke beweiset, oder davon, daß der Affect verraucht, die Phantasie matt wird, auf codtes Notenwerk verfallt u. s. w.? Ich glaube das leztere. Der Begriff vom Natürlichen in der Musik ist falsch, wenn man das Künstliche gar davon ausschliessen, und keine andere Art zu moduliren zugeben will., als in einer theatrali­ schen Declamation gebräuchlich ist. Selbst die französischen Liebes - und Trinklieder würden Hiebey zu kurz kommen, als welche schon ein mehres vom Camablen in sich enthalten, als eine bloße Declamation. Hätte aber der Herr Barreux nicht diesen Begriff von dem Natür­ lichen in der Musik gehabt, würde er nicht Von erklügelten, aüögekünstelteu und gedrechselten Ausdrücken so viel Wesens gemacht haben. Wäre er nicht ein Feind von allem, was künst-

eines Freundes an den andew. 289 sich ist, würde, er nicht verlanget haben, daß rin Gelehrter und Ungelehrter bey Anhörung einer Musik gleich v«el empfinden müsse, sonst läge die Schuld an dem Musikus, wert er nicht dre Sprache der Natur aufrichtig redete. Hie­ von werde ich an einem andern Orte etwas um­ ständlicher handeln. Wir folgen aber ferner dem Herrn Batteux nach, der p. 2z8. alfo schreibet: „lleberhaupt -„sind die Ausdrucke, an und für sich selbst be­ frachtet , weder natürlich noch künstlich; sie „sind njchtö als Zeichen. Sie mögen nun von „der Kunst oder von Natur gebraucht wer­ fen : sie mögen nun mit der Wirklichkeit oder „Erdichtung, mit der Wahrheit oder Betrug „verbunden werden: So veränderen sie als« „denn zwar ihre Eigenschaft, aber ihre Narur „und Beschaffenheit nicht. Das Gespräch und „die Poesie bedienen sich einerley Worte; die „Züge und Farben an den natürlichen Gegen« „ständen sind mit deii Zügen und Farben in „Schtldereyen einerley; und folglich müssen bey „den Leidenschaften, sie mögen nun würklrch „oder erdichtet seyn, einerlei) Töne und Gebär„den gebrauchet werden. Die Ausdrücke wer« „den von der Kirnst weder geschaffen, noch ver« „nichtet; sie richtet sie nur «in, sie befestiget „sie, sie bildet sie aus: Und eben so, wie sie „nicht über die Gränzen der Natur hinauestei« „gen kann, wenn sie die Dinge schaffen will: „so kann sie auch sich auö derselben nicht heraus I. Band. U „wagen.

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„wagen, wenn sie dieselben auödrücken will. „Diß ist ein Grundsatz. „ Daß die Ausdrücke überhaupt, an und für sich selbst betrachtet, we» der natürlich noch künstlich, sondern nur Zei, chen seyn, leidet wohl einige Ausnahme. Frey­ lich sind die Worte in einer Sprache willkuhrlieh; und es mögen hin und wieder noch an­ dere Ausdrücke und Zeichen unserer Gedanken und Empfindungen seyn, die weder natürlich noch künstlich sind. Doch giebt es gewisse Zei­ chen und Ausdrücke unserer Meinung, denen man es nicht absprechen kann, daß sie natürlich sind, weil- sie bey alle» Menschen, die eine menschliche Natur mik einander gemein haben, einerley sind. Z. B. Wenn man einem win­ ket zu sich zu kommen, so pflegt man die Hand, die man erhebt, einwärts zu bewegen» wenn man einem winket, weg zu gehen, pflegt man die auögestreckte Hand auswärts zu bewegen. Das ganze menschliche Geschlecht würde nicht auf diese und eben dieselbe Zeichen der Bewe­ gung gefallen seyn, wenn nicht-die Natur sie solches gelehret hätte. Die Stimme und Ge­ bärden eines solchen, der in einer Gemüthsbe­ wegung redet, welche Ausdrücke und Zeichen des Zustandes seiner Seele sind, haben bey al­ len Menschen so deutliche Merkmahle der Lei­ denschaften , daß man dieselbe nicht leicht ver­ kennen kann; indem die Natur selber durch sie redet. Ich beziehe mich auf die Worte unsers Verfassers selbst, die er in eben diesem Buche p.227.

eines Freundes an den andern. 291 p. 227. brauchet: „Indessen haben die Töne „der Stimme und die Gebärden verschiedene „Vortheile vor der Rede voraus. Ihr Ge„brauch ist natürlicher; wir nehmen zwsthnen „unsre Zuflucht, wenn eö uns an Woran ge„bricht. Ihr Gebrauch ist von weitläufigerm „Umfange; sie sind ein allgemeiner Dollmet« „scher, der uns bis ans Ende der Welt beglei„at, der uns den barbarischen Völkern und „den Threren selbst verständlich machet. „ Wie sind denn diese Worte dem Herrn Batteur so gar aus dem Gedächtnisse gekommen, die er doch selbst geschrieben hat, daß er allhier zu sagen kein Bedenken trägt, daß die Ausdrücke, an und für sich selbst betrachtet, weder natürlich noch künstlich, sondern nichts, als Zeichen sind? Sind die Ausdrücke weder natürlich noch künst­ lich , was sind sie denn? Wir müssen also da­ für Halten, daß derWillkühr der Menschen oder die Kunst selbsien sie allererst zu natürlichen Ausdrücken gemacht, da sie vorher es nicht ge­ wesen. Und wie will Herr Batteux das Na­ türliche in den schönen Wissenschaften, davon er so großen Staat macht, von dem Künstlichen, welcher er dem Natürlichen entgegen setzet, litt« terscheiden? Sind die Ausdrücke, an sich selbst betrachtet, nichts als Zeichen: so wissen wir ja, daß die Zeichen von zweyerley Art sind, nemlieh: natürliche und willkürliche. Warum schließt denn der Herr Verfasser in der Folge obiger Worte: „Es müssen folglich bey den Lei-

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„den-

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„denschaften, sie mögen nun würklich oder erdich« „tct seyn, einerley Töne gebraucht werden. „ Ist dieses nicht die Ursache, weil diese Töne den Leidenschaften eigen und natürlich sind ? Warum schreibt.er? „Die Ausdrücke wcrd.n von der „Kunffweder geschaffen, noch ve/nidxet; sie rrch« „tet sie nur ein, sie befestiget sie, sie bildet sie »aus. „ Ist es nicht darum, west sie schon in der Natur liegen? Wenigstens gilt dieses in Ansehung der Musik. Die Musik kann keinen einzigen Ton ma­ chen, der nicht schon in der Natur von Anbe­ ginn der Welt lieget, sondern sie richtet sie nur ein. Die Musik steiget niemals über die Grän­ zen der Natur hinaus, sie mag declamiren oder künstlich singen; wenn nur die Sähe den Leiden« schäften gemäß sind. Ihr Gebiet in dem Reiche der Töne erstreckt sich nicht allein über die Arm­ seligkeit einer nachgeahmten beweglichen Aus­ sprache, sondern auch über alles was klinget und singet, und da5ey-geschickt ist, eine Leidenschaft so gut auszudrücken, als Worte und bewegliche Aussprache. Sie ist nicht allein' eine Nachah­ merin der Natur, sondern die Natur setdst; indem es so wohl in der Natur gegründet ist, durch singende und harmonische Töne zu reden, als durch Worte, rednerischen Vortrag und Gebärden. Sie macht uns eben das Empfinden; und tausend andere Empfindungen, deren eilt musikalisches Herze fähig ist, und die kein Red­ ner , noch Poet durch seine Worte und bewegli-

eines Freundes an- den andem. 293 che Declamation erwecken kann, sind ihr Ei» genchum. In Viestn lezten ist die Musik keine Eopte der Natur, sondern das Original selb« flett. Sie ist eine allgemeine Sprache der Na« tur, die nur den harmonischen Seelen verständ» lich ist. Und ihre eigenthümliche Ausdrücke, wel­ che sie licht von andern Dingen entlehnet, ha­ ben ein geheimes Verständniß mit diesen See­ len. Nicht allein die Gemüthsbewegungen und Leidenschaften, welche zugleich Vorwürfe der Poesie und der Redekunst sind, sondern auch tausend andere Empfindungen, die ebendeswe­ gen nicht können genant und beschrieben wer­ den, weil sie keine Vorwürfe der Beredtsanckeit sind, sind der Musik ünterworfen. Deren See­ len mit solcher geheimen Sympathie begabt sind, die erfahren dieses mit innigsten: Vergnügen. Die Seele des H. Augustini war so beschaffen, daher schrieb er aus eigener Erfahrung, „daß „alle Gemüthsbewegungen vermöge der ange„nehmen Mannigfaltigkeit ihre eigene Melodien „in der Stimme und Gesang haben, durch de« „rett, ich weiß nicht, was für eine geheime Ver« „traulichkeit der Vekantschaft sie erwecket wer­ den. Conf. 1. 10. c. 33. „ Wir hätten oben zwar Gelegenheit' gehabt, von dem Auspruche des Verfassers zu handeln, daß ein gelehrter und ungelehrter Zuhörer bey einer an­ gehörten Musik gleich viel verstehen und empfin­ den müssen. Wir haben es aber bis hieher versparet, da der Herr Batkeux seine Meinung deut«

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licher

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kicher erkläret. „Wenn ich (sind seine Worte) „spräche, daß an einer Rede keinen Gefallen „finden könte, die ich nicht begreife: so wird „mein Geständniß nicht sonderlich klingen. So „bald ich aber eben dieses von einem musikali„schen Stücke sage: so wird man mir sogleich „antworten: Halten sie sich denn, mein Herr, „für einen so guten Kenner, daß sie den Werth „einer feinen und sorgfältig auögearbeiten Mu« „sik mit dem Gefühle wollen beurtheilen kon« „tteit? Ich erkühne mich darauf zu antworten: „Ja! Denn hier soll man eben fühlen — Die „Musik redet durch Töne mit mir. Diese @pra« „che ist mir natürlich. Verstehe ich sie nicht; „so hat die Kunst die Natur mehr verderbet, „als vollkommner gemacht. „ Er vergleicht in diesem Absätze p-239. bte tiefsinnigen Spitzfin­ digkeiten, die Töne auszurechnen, ihre Ver­ hältniß mit einander und mit dem Ohre zu zei­ gen, von der leisen Erzitterung, von der Schnellung der Sayten, von dem mathematischen Verhältnisse, mit den feinen grammaticalischen Anmerkungen oder der Dialectica einer Rede, und einen Componisten, der undeutlich für ihn setzet, mit einem Mahler, der nichts als kühne Züge und unförmliche Klumpen von den leb­ haftesten Farben auf die Leinwand würfe. So weit Herr Batteur. Es ist wahr, daß es bey einer Musik aufs Gefühl, auf die Empfindung, auf den Geschmack (wie man es nennen will) ankomme. Doch folget eben nicht daraus, daß

eines Freundes an den andern. 295 bey Anhörung der Musik alle Zuhörer gleich vieles fühlen, empfinden und schmecken. Ich will nicht einmal reden von solchen Zuhörern, die kein musikalisches Gehör haben. Ich will lauter solche Zuhörer nehmen, die die Gabe von ®Oft haben, ein Vergnügen der Ohren aus der Musik zu schöpfen pnd dahero in ih­ rem Gemüthe eine Anmuth zu empfinden. Die­ se alle haben unmöglich gleich viele Faßlichkeit, Naturell und Erfahrung, nach deren Unter­ scheid die Würkung der Musik sich richten wird. Vieler ihre Fähigkeit erstrecket sich nicht viel weiter, als auf eine kurze und einfaltige Ode, Menuet und Polonnoise. Dergleichen Sachen werden bey dieser Art der Zuhörer, vor andern noch so wohl ausgearbeiteten Stücken, den Preist behalten. Andere aber, die schon über solche Sachen hinweg sind, lieben etwas, das schon mehr Musik und Erfahrung'erfordert. Den ersteren war dieser schon über ihren Horizont, dadurch diese am meisten beweget werden, wel­ che von obigen kleinen Stücken nicht sonder­ lich viel machen, und sie sich nur als eine be­ liebte Abwechselung und Erholung ihrer Auf­ merksamkeit gefallen lassen. Einige lieben das Lustige und Lebhafte, andere, was eine fchwermüthige Zärtlichkeit zu erwecken fähig ist. Einige haben einen allge­ meinen Geschmack, und lieben alles, was sthön ist in der Musik, es sey lustig oder traurig, leicht oder schwer. Ist es nun wohl zu verU 4 muthen.

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mutheü, daß die Musik, darinn die größte Mannigfaltigkeit der Empfindungen und Lei» denschaften enthalten ist, bey allen Zuhörern von verschiedenen Arten gleiche Würcung thun werde? Dach wird ein jedweder unter ihnen et« was finden, das seiner Neigung gemäß ist; wo er nistet von der Sorte der Zuhörer ist, die entweder gar nicht firhlen Und empfinden, oder doch mehr urtheilen als empfinden wollen. D»ß ist die schlechteste Art der Zuhörer, die man nur immer haben kann, welche an statt sich den Empfindungen zu überlassen, alles er­ kläret haben wollen. Was soll denn dieser Satz bedeuten? Was will dieser Lavf, dieser Harfen sprung vorstellen? Was für eine Leiden­ schaft enthalt diese Figur? Was bedeutet dieser Gang? Wer eine gute Musik nicht fühlen kann, noch will, dem kann cS gleich viel seyn, was dieser oder jener Satz bedeute. Man erfinde zuvor eine Sprache, dadurst) man eine jedwede Empfindung benennen, und von andern unterscheiden kann. Es gedenket der- Herr Batteur auch der Ausrechnungen der Töne und chrer Verhältnisse, welche er tiefsinnige Spitzfindigkeiten der theoretischen Gelehrten uennet. Diese aber sind so gar nnnörhig auf Seiten der Zuhörer, um eine Musik durchs Gefühl beurtheilen zu können, daß so gar ein practischer MiHkus diese Dinge zum Setzen und

Ausüben entbehren kann. Wie em Bildhauer oder Goldschmid ftine Materien hat, die »hm in der

eines Freundes an den andern. 297 der Natur vorgearbeitet sind, daraus er aber allerley Werke der Kunst verfertigen kann, ohne zu wissen, worinn das Wesen dieses Hol­ zes, dieses Steins, dieses Metalls bestehe: fi» kann auch ein Musikus alle Töne, die die Na­ tur schon selbst gebildet und die Kunst aus ih­ rem Schooße hervor gezogen hat, gebrauchen, wie es ihn die Kunst.und ihre Reguln, Talent, Erfahrung und Geschmack gelehret hat. Sind also die obigen Spitzfindigkeiten, wie Herr Batteux sie nennet, einem practischen Musicuö entbehrliche Dinge; wie vielmehr kann sie ein jeder Zuhörer, er sey gelehrt oder un­ gelehrt, entbehren? indem die Ausrechnungen der Töne nicht weiter, als zur Einstimmung eines Instruments dienen können. Ob aber auch schon einer die Proportionen der Töne mit

dem Ohre ausgerechnet habe, wie Herr Bat« reux meynet, ist mir bisher unbewust gewesen. Wir haben diese Anmerkung von den Propor­ tionen der Töne nur allhier eingeschaltet, da die Worte des Herrn Batteux dazu Gelegen­ heit geben, ungeachtet wir allhier von den Ei­ genschaften und von dem Unterscheide der Zu­ hörer zu handeln hatten. Und wollen wir all­ hier den abgebrochenen Faden wiederum ergrei­ fen, so merken wir an, daß man nicht irren würde, wenn man behauptet, daß bey einem Zuhörer ausser einem gesunden Gehöre und Zu­ neigung zur Musik auch einige Erfahrnng, wo nicht in der Ausübung der Musik,, doch

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in der Empfindung musikalischer Säße erfor­ dert werde, um eine jedwede Schönheit einer jedweden Ard guter Musik schmecken zu kön­ nen. Bey der • Vergleichung der Rede mit der Musik, damit der Verfasser diesen Absatz gnfangt, würde mehr Aehnlichkeit zu finden seyn, wenn sie. also gerathen wäre: Wie man saget, daß einem eine Rede nicht gefalle, die man nicht begreift, so kann auch eine Mu­ sik, die unsre Faßlichkeit übersteiget, und da weder unser Gehör noch Einbildungskraft dem Musico nachfolgen kann, unsre Herzen nicht rühren. Es ist Mahr, daß es bey der Musik auf das Gefühl ankommt. Man kann aber nicht mehr fühlen, empfinden und schme­ cken , als man fassen kann. Es mag das O.hr immerhin feiner seyn als das Auge. Hieraus folget nicht, daß ein jedwedes Ohr fähiger sey, von der Mnsik zu urtheilen, als das Auge von einem Gemählde. Woher käme denn die Unterschiedenheit des Geschmacke, wenn alle Zuhörer gleich vieles empfinden mästen? Wa­ rum kann dieser gut oder schlecht seyn? Wa­ rum sind Gelehrte und Ungelehrte im Geschma­ cke so sehr unterschieden? Haben sie nicht bey­ derseits zwey Ohren? Soll eine Musik deswe­ gen verwerflich seyn, weil Ungelehrte nicht al­ lenthalben die Anmuth geniessen, welche Ken­ ner und Liebhaber empfinden? Musiciret Man bloß für die ganz unkundigen und nicht auch und vielmehr für diejenigen, die eine Erfahrung i

und

eines Fkeundes an den ändern. 299 und Fertigkeit in der Empfindung musikalischer Sätze haben? Soll ein jeder ungebauter Zuhöter gleiches Recht haben, eine Mufik zu beut» theilen, mit dem größten Kenner, bloß des» wegen, weil er ein Paar Ohren am Kcpfe hat? Die Redekunst ist so wohl eine ars popularis als die Musik. Man würbe es aber einem gemeinen Mann Nicht zu gute halten, wenn er sagte, daß eine Rede, die von Gelehrten von Geschmack gelobet würde, nichts nütze sey; weil er wenig davon verstanden, und we­ nig dabey qerühret worden. Man würde es ihm zu gute halten, wenn er sagte, die Re­ de habe ihm nicht gefallen, und wie kann ei­ nem auch etwas gefallen, da man keinen An­ theil daran hat? Wenn er aber den Aus­ spruch thäte, daß die Rede nichts tauge; f» würde man ihm schon vorzuhalten wissen, daß zur richtigen Beurtheilung einer Rede erfor­ dert werde, daß man nicht allein die Sprache, sondem auch die Redekunst und die Sachen, davon geredet wird, verstehe. Die Musik allein will man durch vermeinte Grundsätze ei­ nem jeden ungeübten Preis geben, sie zu loden oder zu verwerfen, ohne das Urtheil eines Kenners in Erwegung zu ziehen, als welche» nicht einnjal so viel gelten soll, als die Mei­ nung eines Amusen oder eines musikalische» Unholdes. Einer empfinde, was er empfinden kann! Er genieße so vieles Vergnügens, als er fähig ist, und wenn er nicht alles empfindet, was

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was ein Kenney und Liebhaber empfindet, so gedenke er, baß die Schuld nicht an der Mu« fik, wenn sie andere gut ist, sondern an ihm selbst liege. Will man dieses nicht zugeben, so ist. der Herr 25arteux mit sich selbst uneins, da er p. ioo schreibet: Wenn der Geschmack zwoer Personen einerley Gegenstand vor sich hat, und dre eine billiget und die andere ver­ wirft ihn, so wird der Geschmack der einen Person schlecht seyn. An einem andern Orte schreibt er: „Es giebt „keinen einzigen Laut der Kunst, der nicht in „der Natur sein Muster haben solte, nach wel« „chem er (der Musikus) sich zu richten hat, und „dec nicbf, gleich einem Buchstaben oder einer „Sylbe in der Rede, wenigstens der Anfang „eines Ausdrucks ist.,, Hier kommt eö auf den Begriff des Wortes Natur an. Heißt Natur hier so viel nur als die Art der natür­ lichen Aussprache eines AffectS, fo stehet diese Meinung dem Reichthum der Musik entgegen, als welche weit mehr Töne und Zusammenfü­ gungen in sich enthalt, als alle Arten der Modulanon der Stimme, womit eine Leidenschaft immer in einer ordentlichen Rede mag auegesprachen werden. Die das von der Musik ver­ langen, die sind ungebetene Vormünder dersel­ ben, welche ihren Reichthum im Kasten ver­ schlossen, und nichts weiter von dem Schatze ihrer Töne gebraucht wissen wollen, als was sie etwa selber im gemeinen Leben und auf der Cache«

eines Freundes att den andern. 301 Cacheder gebrauchen. Nimmt man hier 'aber die Natur, für den ganzen Inbegriff klingender Körper, ff sind ohne Zweifel viele Muster von Tonen in der 'Welr vorhanden, davon aber die wenigsten der Musik zur Nachahmung dienen können. Der Musikus härte also auch vieles zu reisen, wenn er allen Schaff der nieder Welt befindlichen klingenden Kölner lernen wollte. Und wenn er denn endlich alle Theile der Welt durchgewandert wäre, würde er Zeit, Unkosten Und alles Ungemach der Reise bedauren, wenn er sich betrogen gefunden, indem er alle die schönsten Töne theils in der menschlichen Stim­ me, theils rn den musikalischen Werkzeugen schon gehabt hat. Es gehöret auch hieher die Ver­ gleichung, welche Herr Äacceux zwischen einem Musiko und dem berühmten Mahler ^euxes ansiellet, welcher, um ein vollkommenes Bild ei­ ner schönen Venus zu mahlen, fünf schöne Jung­ frauen zu Croron ausgesondert und bald der ei­ nen ihr schönes Auge, bald der andern ihre schö­ ne Nase, bald der dritten ihren schönen Mund «. s. w. in das Bild der Venus übertragen. Dieses Gleichniß hinket gar sehr in Anwen­ dung auf die Musik. Wo sind die schönen Töne in der Natur, die er in sein musikalischeGemählde zusammen tragen soll? Soll er den Ton einer Nachtigall, einer Lerche, einer Schwalbe, eines Pfauen, einer Eule, eines Rohrdommels rc. zusammen zu vereinigen su­ chen? Gesetzt e- wäre möglich: würde dieses

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wohl so gut klingen, 'als wenn Menschen ihre eigene Musik, damit sie vor allen andern sicht» baren Creatureu von dem allweisen Schöpfer begnadiget worden, als Sanger und Jnstru» mentisten hören, l«eßen, ohne die Stimme der Vögel Und der vierfüßigen Thiere nachzuahmen? Soll die Declamation eines Redners diejenige Schönheit seyn, die ihm zum .Urbilde dienen soll: so kann er damit nicht weiter kommen, als zum Recitativzu einer Arie wirds nimmer zureichen. - Und warum soll die Musik sich nur mit geringern Schönheiten behelfen, da sie Albst die größte Schönheit der Natur, in Tö« «en und im Klange ist? „Es giebt Töne in der Natur, die, wenn „ihr Begriff musikalisch ist, mit demselben über» „ein kommen; und wenn der Componift dresel« „bett gefunden hat,, so wird er sie sogleich für „dre rechten erkennen. Sie sind, wie die Wahr» „heit. So bald man dieselbe entdecket hat, so „scheint es, als ob man sich ihrer wieder erm» „nere, ob man sie gleich niemals gesehen hat.,, Diese Worte müssen ohne Zweifel hauptsächlich von der Nachahmung der Töne und Geräusche eines Sturms, eines Bachs, eines Zephirs, davon der Verfasser i« dem vorhergehenden ge» redet hatte, verstanden werden. „Eine verknüpfte Reihe der Töne muß also „gewisser maßen eine zusammenhängende Rede „auemachen; und wenn Ausdrücke darin vor» „kommen, in die ich mich nicht sinden kann, „weil

eines Freundes an den andern. su3 „weil sie nicht vorbereitet sind, weil sie durch „die vorhergehenden «nd folgenden nicht erkla„ret werden; wenn Ausdrücke darinn Vorkom­ men , die mich von der Hauptsache abziehen, „oder die sich-widersprechen: so kann ich damit „nicht zufrieden seyn. „ Ausdrücke die von der Hauptsache abführew/ oder 6«' sich wiedersprechen. Müssen freylich nichts start finden. Es machen sich auch unsere Componisten dieses zur Regel, wenn sie eine Arie sehen, daß fast alles, waö in $ec Arie enthalten ist, in dem Exordid »der in dem AnfangSrirtornell vorkommen muß. Folglich sind ja die Satze dadurch vor­ bereitet, und werden in der Folge der Arie, indem sie in allerley Umständen der Harmonie vorkommen, erkläret. So muß das Work erklären hier genommen werden, welches Herr Batteur braucht, sonst führt es uns auf un­ statthafte Begriffe. Warum' solte es aber nicht erlaubt seyn, beliebter Abwechselung we­ gen , einen Sah, einen Gang, qinen Lauf, mit einfließen zu lassen, der nicht in dem Er» ordio der Arie enthalten ist ? Genug, daß die Hauptsätze allezeit hervorragen, und jene, da sie mit den Sähen, die die Hauptleidenschaft ausdrücken, in Verbindung stehen, ihnen so -wenig widersprechen, und von der Hauptsache ableiten, daß sie vielmehr ihre Natur und Ei­ genschaft annehmen, und ihnen dqs fliessende gefällige Wesen, und das rechte Gelencke mit» theilen. Ist denn dieses dasjenige, wogegen der

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der Herr Batteux so sehr eifert? Wenn er hli!;use!?et: „Es ist wahr, wird man sagen, „daß ce Leidenschaften giebet, die man in dem „musikalischen Gesänge erkennet, z. E. die Lie„be, die Freude, die Traurigkeit. Abor gegen j,einige bestimmte Ausdrück- hat man- 1000 „andere deren Gegenstand sich nicht angebev „lasset. „• Man kann noch hinzusetzen, daß der Affect des Zorns und der Wut in dec Musik eben so kennbar.sty», als die benannte Gemüthsbewegungen. Sind aber dieses nicht die Haupeaffecre«, daraus? die andern fast alle bestehen? Denn es wirb sich keine andere. Lei­ denschaft und Gemüthsbewegung finden, dir nicht etwas entweder von Liebe und Freude, oder von Traurigkert und Widerwillen, oder eine Mischung von diesen Leidenschaften an sich habe, indem sie gemeiniglich nur in ihren Sluffen des Angenehmen und Unangenehmen und in den Vorwürfen unterschieden -sind. Daß diese Lei­ denschaften in der Musik in ihrer Deutlichkeit

von andern hervor ragen, ist kein Wunder. Selbst die gemeine Sprache, damit wir uns auödrücken, hat gleiche Bewandmiß. Eine Lie­ be, eine Freude, eine Traurigkeit, einen Zorn auszudrücken, dazu hat ein jedweder Beredtsam« feit genug, und ein jedweder Verstand genug, den andern zu verstehen. Die Nebcnleidenschaften aber erfordern schon mehrBeredtsamkeit, wenn man sie andern will beschreiben, und mehr Verstand und Geschliffenheit deö Gemüthes, eben dasselbe

eines Freün-eS an den andern. 305 dasselbe dabeyzu gedenken, was der Redner dabey gedenkt. Wenn nun also der Hauptaffect von dem Componisten getroffen, was will man sich denn mit dem Herr Batceux vergeblich bemühen, von allen vorkommenden Saßen, Blumen und Zierrathen des musikalischen Gemähldes, die sich zum ganzen Bilde Nicht übel schicken, einen besbndern Gegenstand anzugeben? Kaun man denn öle kleinen Zwischensätze, die zur Ausfüllung, Verbindung, Abwechselung dienen>nichc mit eben der Leidenschaft empfinden, als kieHauptsahe, de» Mn ste doch nicht widersprechen dürfen, sondern thuen Räum zuM neuen und veränderlichen Ein» tritt geben? Warum wollte man um eines schö» Neu PaNdeS willen,' -'damit die Perlen zusarn« men gebunden sind ) He Perlen samt dem Ban»

de'verwerfen;

weil das Band nicht von eben öer Materie ist, als die Perlen, ohngeachket das schöne Band zur größeren Schönheit und Anstand der Perlen Vieles beytragen- kann? Wer wirds einem Mahler verargen> der ent« weder eine Geschichte, ober eine Person abmah­

let , daß er gewisse Nebenumstände, die weder zum Wesen der Geschichte noch der Person ge­ hören, beyfüget, wenn er bald hie eine Blume fetzet, bald dort ein Fensterlein anbringet u. s. w. Wenns nur keine ungereimte und sich widerspre­ chende Dinge sind? Weiß aber der Herr Barteilt: wohl, baß er in eben diesem Buche den Musikfttzern fast mehr Freyheit im Ausdruck der Affecks einräumet, als sie verlangen können?

I. Band.

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Herr

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r. Sendschreiben

Herr Datteu>' schreibt: „Zum Glück« sind „die Leidenschaften alle mir einander verwand^ „Da sie stets eine gemeinschaftliche Ursache |)a» „ben, so nimmt eine einzige Leidenschaft alle „Arten der Gestalten an. „ Anderswo hecht es; „Da die Mißlauter sich eben so wohl, als hx „andern Töne, in der Natur befinden:, so haben „sie mit diesen gleiche Ansprüche auf eine Stelle „in der Musik. Sie dienen darin nicht nutz „zur Würzung, zum Salze; sondern sie tragen „auch besonders viel bey, den musikalischen Auö, „druck kenntlich zu machen. Nichte ist so un­ regelmäßig , als der Gang der Leidenschaften^ „der Gang der Liebe, des Zorns, der Zwie« „tracht. Oft wird dre Stimme, sie auezudrü« „cken, heftiger, und donnert auf einmal los, „Wenn die Kunst diese Unannehmlichkeiten der „Natur nur einiger maßen mildert: so halt uns „die Wahrheit des Ausdrucks für ihre Aauhig«

„feit, schadlos. „ Zum Beschluß des 3 Capitels 3 AbschnittIII. Theils erwehnet der Verfasser einer Musik, die chcht die geringste Bedeutung hat. Ems solche Musik Hube ich noch nie gehöret. Denn ein jeder musikalischer Ausdruck hat eine Emq pfindiing oder Leidenschaft zum Grunde ; wenn sie auch sonsten keinen Vorwurf für die Einbil­ dungskraft vorstellet: und das ist ihre Bedeu­ tung. Sind nun in einer jeden Musik musika­ lische Ausdrücke, so hat sie auch ihre gemäße Empfindung, das ist, ihre Bedeutung. Es kann

eines Freundes an den andern. 307 kann eine Bedeutung unrecht seyn, indem sie etwa- anders bedeutet, als sott. Mau könte endlich wohl sagen, daß eine Musik, die aller­ ley widersprechende Dinge bedeutet, nicht- be­ deute. Alle- war der Herr Verfasser von der Ein» heit und Mannigfaltigkeit des Vortrages im 4 Cap. 3 Abschnitts III. Theil vorbringet, ist sehr rednerisch und von der Redekunst entlehnet. ES kann aber nich'tö anders bedeuten, als daß eine jede Musik eine gewisse Schreibart haben müsse, bey der sie bleibet, welche aus der Materie der zu singenden Worte entlehnet ist. Dlß hat fteylich feine Richtigkeit. Wenn man aber so uneigentlich und verblümt von Sachen redet, deren Eigenschaften entweder uns selbst oder -em Leser unbekant sind, so giebt man nur den Le, fern, und insonderheit den Gelehrten, die wex der Freunde noch Kenner der Musik sind, Ge­ legenheit, sich und andere in der Verachtung gegen die Musik zu bestärken. Man kann zwar Gleichnißweise reden, man muß aber diSache, die mit andern verglichen wird, aus­ drücklich benennen, wo sie nicht schon ohne da-

so bekant ist, daß ein jeder sie kennet. Mu­ sikalische Begriffe sind nicht eben zu gemein und allen bekant, und däher wäre es wohl gethan gewesen, wenn der Herr Barceux erkläret hat­ te, wie das Ding, das er mit einem andern aus andern Künsten entlehnten Namen bezeich­ net, eigentlich in der Musik heiße. Z.B. Was T 2. natür«

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i» Sendfthreiben

natürliche Eigenschaften sind, die -en Tönen zu« kommen, wenn sie bloß als Ausdrücke betrach-tet werden? Was feine und zarte, was unge­ zwungene und ungekünstelte Ausdrücke ftyn? Was es für Züge in der Musik seyn, die den -Verstand-reizen und wieder anfeuren? Endlich -scheint der Herr' Barreux eö alles wieder gut zu machen, was die prächtigen Redensarten un­ übertriebenen Vorstellungen der Musik an ih­ rer Ehre hätten schaden können. „Man ver­ klangt nicht, spricht er, daß ein jeder Ausdruck „insbesondere seinen eigenen Sinn habe; aber „sie müssen alle etwas dazu beytragcn. Ist es fciMn Periode, so sey es wenigstens eine Re„deneavt, ein Wort, eine Sylbe. Jeder Ton, ;,jede Moddlirung, jeder Absatz muß unö entj-weder auf eine Empfindung leiten oder eine „Empfindung in uns erregen. „ P. 250 fordert der-Herr Verfasser auch diese Eigenschaft' bey den niusikalischen Ausdrücken, daß sie ne« seyn müssen. Das ist richtig. Wo Will man aber allenutk was n§ues hervorbrin« He«f, wenn inan nichts anders als eine rcdnerifthe.Dcclamation nachahmen soll? Die Ursach dieser Eigenschaft soll, nach der Meinung des Herrn Bacceup, diese seyn; weil wir den Ein­ druck des Gesanges gar leicht annehmen. Denn da das Ohr dem Herzen seine Empfindung in ihrem ganzen Nachdrucke mittheilct: so wäre ein zweyter Eindruck unnütze, und läßt unsere Seele io Unthätigkeit und Gleichgültigkeit fa(»

eines Freundes an den andern. 309 len. .Dieses streitet mit der Erfahrung. Wir habens ja gerne, wenn wir in einer Musik ei­ nen Sah gehöret, der uns sonderlich gefällt, und besondere Aufmerksamkeit und Vergnüge» machet, daß er abermal wieder vorkomme und sich hören lasse. Nicht einmal eine Menuet würde «ns gefallen, wenn so viele neue Sähe als Tacte darin vorkamen, und kein einziger Satz darin sich vorzüglich und zu wiederholten malen höre» ließe. Und wie würden uns grös­ sere Musiken, ohne Wiederholung besonderer Sätze, ohne Imitationen, fugirende und canonisthe Gänge, anstehen? Die Moden und die Bewegung machen den Ausdruck nicht neif, wie der Herr Verfasser meynet. Es ist auch die Neuigkeit der Ausdrücke nicht in einem jeden Sahe eines musikalischen Stückes zu suchen, wenn sie nur in den Hauptsätzen oder in den Verzierungen zu finden ist. Der Herr Barceux rechnet diese Eigenschaf­ ten zu dem Natürlichen der Töne, dazu die Kunst noch nichts hinzugesetzt; nemltch, daß sie ihrem Hauptcharacter oder die rechte Schreibart be­ obachten, daß sie deutlich, richtig, lebhaft, fein und zart, ungezwungen und ungekünstelt und endlich neu seyn sollen. Heißt aber dieses zu bewerkstelligen nicht schon eine Kunst? Warum rechnet er alles dieses zu den Eigenschaften na­ türlicher Töne, dazu die Kunst noch nichts hin­ zugesetzt hat? Kann auch ein Mensch den Törren diese Eigenschaft geben, wenn er keine MuX 3 fik

3io

i. Sendschreiben

sik gelernet hat? Oder finben wir ohne Mensch« liche Hulse schon eine solche Verbind ung in der Welt, welche diese Eigenschaften besitzet? Zu den Eigenschaften der Töne, welche bte Kunst hinzu thut, zahlet er den Tact, dis Bewegung, die Melodie, die Harmonie. Aber ich frage: können die vorigen Eigenschaften der Töne, die tc'6(0(3 natürlich nennet, ohne Bewegung iirtb Melodie, oder wo diese letztere nicht ist, ohne gebrochne Harmonie seyn? Den Tact und die eigentlich so genante Harmonie will ich nicht eimnal'hieher rechnen; weil eö doch endlich an« gehet,' ohne Tact und Harmonie zu phantasiren. Der Herr Barreux schreibt auch an diesem Orte: „Durch den Tact ahmt der Componist das Stei„gen und die Bewegung der natürlichen Töne „nach. „ Wie? durch den Tact das Steigen der Töne? Der Tact hat nichts mit dem Stei« gen und Fallen der Töne zu thun, wohl aber die Lehre von den Stimmwerten oder Jntervalliö. Der Tact schränkt zwar eine, ungemest feite Bewegung in ihre gewisse gleiche Theile durch Zahl und Gewicht der Töne ein, ahmt aber nicht die Bewegung der natürlichen Tö« ne- nach.

Mein Herr! Ich habe Ursache mich zu ent­ schuldigen, daß ich. dieselben so lange auf eine nicht gar angenehme Werse unterhalten habe; weil es nicl)t eben angenehm seyn kann, wenn man den scheinbaren Worten eines Verfassers, den

eines Freundes an den andern. 311 den man mit Vergnügen gelesen hat, die präch­

tige Decke angenommen'siehet. Es sollte mir leid seyn, wenn ich dem Herrn Larreup im Aeringstcn zu nahe getreten wäre. Dieses war von meinem Zwecke weit entfernet. Unterdes sen, wenn cm Auctor von der Musik schreibt, aber also, daß ein MusikuS selbst nicht weiß, was er mit seinen Ausdrücken haben will, wel­ che bald unrichtig bald schädlich sind: so ge­ schiehet ihm nicht Unrecht, wenn man die Un­ richtigkeit seiner Worte zeiget, und den Miß­ brauch abkehrret. Die Tadclsucht ist gar mcht meine Eigenschaft. Ich liebe die Wahrheit, wo ich sie finde, und mag mich nicht gerne durch Worte, sie mögen so prächtig und ver­ blümt klingen, als sie wollen, einnehmen lasseh, ohne zu wissen, was jedes Wort eigent­ lich''und ohne Schminke bedeutm soll. Diese Wahrheitsliebe werde ich allezeit mit dem Eifer zu verknüpfen suchen, mit welchem ich bin

Ew. HochEdl. gehorsamster N.N.

Nachschrift. Man will zuversichtlich wisi sen, daß der Ueberseher des Batteux Herr Ber^

rram heiße, und sich am Gothaischen Hofe als Hofmeister einer jungen Hochgräfiichen Herr­ schaft aufhalte.

$4

II. Ant-

Zir H. Antwort auf das Sendschreiben

O 4-O 4-G 4-* 4-* 4-* 4-*-4-* 4> * 4-* o 4II.

Antwort auf das Sendschreiben eines Freundes an den andern, über die Aus» drücke des Herrn Batteux von der Musik. (Von tarn geschickten Dichter und Conrect. Herrn Overbeck zu Lübeck.)

Mm Herr! bin Denselben tn der Wahrheit und mei« nem eigenen Ramen verbunden, daß Sie sich in Dero gründlichem Schreiben so viele Mühe gegeben haben, . einige Ausdrücke des Herrn Batteur in nähere Untersuchung zu zie­ hen , und dadurch den daher besorgnchen Vor» urtheilen vorzubauen. Ich sollte als ein musi­ kalischer Laie mich billig entsehen, das geringste wider Dero angenehmen Vortrag zu erinnern» Aber die Welt mag.aus meiner Kühnheit eitutt Schluß auf Dero mir bekannte Großmuth und Wahrheirlrebe machen. Ich weiß, daß Sie eben so gerne Widerspruch dulden, als freymüthig Sie dem Herrn Batteur widersprochen haben: Und bin ich dagegen kein Kenner der Musik, so verlange ich endlich auch nrchtS wei­ ter, als ein vielleicht nicht ganz Empfindungslos ser Liebhaber, gehöret zu werden. Ließ doch Mokiere das Urtheil einer Magd in einem ähn­ lichen Falle gelten.

eines Freundes an den andern. 313 Herr Batteur hat freylich nicht durchge­ hends ohne Unförmlichkeir geschrieben. Die Quint und die Terzrnajor z. E. die nad) seiner Meinung em jedweder Ton bey sich führet, hö­ ret man zwar freylich in dem Ton einer jedweden wohlgegossenen Glocke. Mein was er dapaus herleitet, und ferner was er von der Zergliede­ rung der Töne saget, das hätte er in der Melo­ die, und nicht in der Harmonie suchen müssen. Zn der ersteren giebt es Wiederholungen, Ver­ doppelungen und vielerley ähnliche Ausdrücke einzelner Empfindungen: Aber nicht in der letz­ teren. Inzwischen hat er sich doch wohl nicht durchgehends so unrichtig auegedrücket, als er es in ihren Augen, mein Herr, gethan zu ha­ ben scheinet. Ich will kurz mir etwas anführen. Daß in den Worten der Sprache die Töne schon halb gebildet liegen, kann man meines Erach­ tens zugeben, ohne dem Reichthum der musika­ lischen Kunst etwas zu benehmen. Ein anders wäre es, wenn die völlige Bildung dpeser Töne behauptet würde. Was behielte der Musikus Nledenn ührig hinzuzusehen? Ein noch wettläuf« tigerer Reichthum erwächst ihm aus den vielen möglichen halbgebildeten Tönen, die schon in den Worten siegen, und die alle natürlich sind, ob sie gleich nicht bey allen Völkern einerley seyn mögen. Bey denselben kann die Kunst im« rnerchestimmen, was die Natur unbestimmt ge­ lassen hat« Aber eine Bestimmung zu setzen, die hse Nutur nicht zur Möglichkeit gemacht hat, £ 5 ist

314IL Antwort auf das Sendschreiben ist eine künstliche Tyranney. Man verwirft also keine Töne, die musikalischer sind, als die natürlichen Laute. Man verwirft nur dre Töne, Lie sich zu gut achten, den natürlichen Laut zu überrresten, oder di« nach einer Vollkommenheit streben wollen, die von erncr ganz ander» Art ist. Mich dünkt: Es ist dieses der gerade Weg für diejenigen Fehlschüsse in der Musik, die Siemein Herr, mchr wollen erklügelte und auegekünstelte Ausdrücke genannt n -ssen. Man nenne ste immerhin anders. Genug, daß es Fehler stpd. Genug, daß es Fehler von der Arr sinddie z. E. Lohenstein'znm öfter» in der Poesie be­ gangen hat, indem er den Mangel des Affccts und des Feuers durch etwas ersehen wollte, das man längst Klüqeley und ausgekünstclres Wesen genannt hat, ob es glecch wider alle Regeln der wahrhaftigen Kunst anlief. Ich weiß nicht, ob Herr Battens' alle seine Ausdrücke von dem natürlichen oder unnatürli­ chen in der Musik gehörig eingeschränket hat. Sie, mein Herr, zeigen ihm hierin mehr, als einen Widerspruch. Ma» wirb ihn schwerlich retten können, es sey denn, daß man etwa zwi­ schen seinen und seines UeberseHers AüSdrücken, einen Unterschied zeigen könte. Eine Untersu­ chung, die ich anzustellen, weder Zeit, noch Lust, »och Gelegenheit habe. Es sey demnach, daß Herr Batteux in einigen gebrauchten Redens­ arten unglücklich gewesen sey. Seine Bigriffe von dem natürlichen in der Musik sthemen mir dennoch

eines Freundes an den andern. 315 dennoch in der That nicht ganz unrichtig zu seyn. Durch die Natur, in welcher ein jedweder Laut der Kunst sein Muster haben soll, verstehet er allem Ansehen nach nicht blos den ganzen Innbegriff der klingenden Körper. Eben so wenig machet er allein den Laut und Gesang -er Vö­ gel oder anderer Thiere zu dieser Natur. Auch hält er, so viel td} einsehe, nicht die blossen Ar­ ten der Modulation der Stimme in einer ordent­ lichen Rede, oder in der Deklamation eines Red­ ners, für diese Natur. Man wird nicht leugnen können, daß in allen diesen Arten der Stimmen und Klänge oder auch Geräusche, sehr viel an­ genehmes, schönes und reizendes sey. Dieses rechnet er zu der schönen Natur, die nach sei­ nem Entwürfen Musicus nachahinen soll. Aber noch viel ein mehrere. Und waö denn? Ich will es sagen. Auch ohne Worte und Rede er­ zeuget die Natur in EmpfindungSrcichen Perso­ nen, wenn sie irgend in einen Affect gesetzet werden, unzählige Arten des Lautes, des Wer* nenS, des Ladens, des Aechzens, des Seuf­ zens, des Winselns, des Bejammerns, des Schweichelns, des Drohens, des Schauderns, des Erstaunens- des CrsthrekenS, des Wütens u. f. f. die in ihrem ganzen Umfange bey keiner Rede angebracht werden, oder einmal bey Wor­ ten red)t Statt finden können. Alles dieses zu­ sammen nehmen, das Schönste, was jedesmal zur Sache dienet, heraus wehlen, und dasselbe auf eine der Absicht gemässe Art zusammen sehen, heisset.

316 H. Antwort auf das Sendschreiben heisset, nach meiner Meynung, das thun, was 'Herr Datteuz,' zu verstehen geben will, wenn er zwischen dem Musikus und dem Zeuxes, der «ns fünf schönen Jungfern eine schöne Venus mahlete, eine Vergleichung anstellet, in welcher

ich das hinkende, wie ich gestehen muß, nicht erkennen kann, welches Sie, mein Herr, darin entdecket haben. Wenigstens kömmt mir diese Natur, um aufrichtig zg seden, viel unverdächtiger vor, als wenn man 6as Natur nennen will, was Nenner und Liebhaber' der Musik, wie sie aniho ist, bey -er Anhörung derselben empfinden. Wie leicht wird bey diesem Empfinden, ohne einen Leitfa­ den der Vernunft und der Ueberlegung, ein Feh­ ler des Erschleichens begingen? Wie oft mag derjenige, der von der Kunst voll ist, da die Na­ tur zu empfinden vermeinen, wo er nichts als die Erfüllung gewisser Regeln wahrnimmt, die ihm ben seinen Kunstübungen aus allerhand Ur­ sachen können angenehm geworden seyn? Soll nach Empfindungen geurrhellet werden, so wäre

ich geneigt, von den Empfindungen des rohen und ungebaueten Menschen allemal mehr zu mad^en, als von denen, die mir ein kunstverstän­ diger Meister anrühmet. Die erster« sind un­ schuldig. Die letzter« können gar zu leicht partheyisch seyn. Doch genug und vielleicht schon viel zu viel gesagt, da ich kein Musicuö bin. Ich wollte nichts mehr thun, als kurz diejenigen meiner Gedan»

eines Freundes an den andern. 317 Gedanken zu erkennen geben, die Ursache sind, mein Herr, daß Ihr sonsten so gründlich abge.faßte» Schreiben diejenige« Meyiumgen von der heutigen Musik, die das Buch des Barceux mir nicht so wohl beygebrachk, als eigentlich nur bey mir bestärket hat, nicht völlig hat heben können. In Betracht dieser Gedanken vcrmeyne ich wenigstens durch etwas mehr, als blos prächtige und verblümte Worte, eingenommen zu seyn. Im übrigen kann ich für diesesmal zwar keine musikalische Schriftsteller genau an» führen. Allein ich besinne mich doch nicht ganz, «ndeuklich, bey dem Herrn Schemen und an­ dern Krinkverfassern, verschiedenes gelesen zu

haben, das mit denjenigen Sahen des Dacceux, die mir annoch gegründet zu seyn scheinen, ziem­ lich genau übereinstimmet. Dem sey wie ihrw wolle, so habe ich das Vergnügen, Ihnen in vie­ len Sachen beyzupflichten. In Betracht der andern Dinge ist vielleicht die Frage blos diese: Ob Sie oder ist) den Herrn Batteur am besten verstanden haben? Eine Frage, die niemand weniger, als ich, begehren kann zuentscheiden. Ich begnüge mich für ißt damit, daß ich nach der Wahrheit und in der That bin

Mein Herr Dero gehorsamster und verbundnester Diener * ♦ *

III. Beant-

Zl8

hl

Beantwortung

£fcä2SS^£ä2£ä2S$2£i2£fc£i2£S2Si2S$2c±2S$2£$2cä2£ä III.

Beantwortung der vorhergehenden Antwort, Mein Herr! ch erkenne mich Ihnen gar sehr verpflichtet

s

für die gütige Aufnahme meines Send­ schreibens; für die Geduld, damit Sie es gele­ sen; für die gütige Beurtheilung; für den ge­ neigten Beyfall, "den Dieselben in vielen Stü­ cken meiner Meynung gegeben; und endlich für die freundliche Beantwortung desselben. Alles dieses hat mich nicht gewundert; indem ich von Dero tugendsamen Gemülhefassung nichts anberö erwarten konnte. Allein es ist zwar eines vnd das andere übrig geblieben, darinn ich, mich Dero Beystimmung zu rühmen, nicht die Ehre habe. Diefts ist die Ursache, warum ich Dero leutseliges Antwortsschreiben wiederum zu beant­ worten mich erkühne. .Nicht, als ob ich so thö­ richt sey, uNd nicht leicht vertragen könte, daß an­ dere anderer Meinung sind, als ich selbsten: son­ dern weil ich dafür halte, daß unsere Meinun­ gen nicht so himmelweit unterschieden seyn, daß sie nicht füglich mit einander könnten verglichen

werden. Ich könnte zwar dieses widerlegen, daß Sie sich als einen musikalischen Laien rc. beschreiben. Allein

der vorhergehenden- Antwort.

319

Mein das widerlegen Sie selber. Daß die Torre in den Worten der Sprache schon halb ge­ bildet liegen; leidet freylich eine gute. Erklärung, So wie S»e, inein Herr, drcse Worte erkläret Haben, .so,ist «in Abwechselung gefetzt sind, und wozu ich auf vieles Anhalten des berühmten Lautenisten Herrn Haff­ ners in Nünlberg, meines besonders geehrkesten Herrn Correspondenten (zedoch mit ausdrücklicher Bedingung, meinen Nahmen Nicht -mnter zu setzen) mich damahls entschloß; in Erwegung daß einet Theils diese Stücke nicht viel sagen wolten, und andern Theils, ich als ein kleines Licht denen je­ tziger Zeit so ausnehmend berühmten Tonkünstlern aller Arten, und Sternen erster Größe mich an die Seite zu setzen weder genügsamen Muth noch Kräfte besitze, es müste denn deswegen geschehen, daß durch mein schwaches Scheinen der andern Glantz desto ausnehmender in die Augen fallen möchte. Unterdessen thue ich nach dem Vermögen, das Gott darreicht, so viel alsich kann. Und da tönte ich beyläuffig mit einrücken, daß ich 1737. auf hohen Befehl Jhro Hochfürstlichen Durchlauchtigkeit des damals regierenden Herrn Herzog von Oelß, als Höchst Dieselben Dero hochgeliebsten Frauen Schwe» ster Durchl. der regiereiiden Herzogin von Darby bey Dero hohen Anwesenheit in Oelß, emfallenden hohen Geburhstage daselbst solenmter zu celebriren geruheren, eine Sercnata zu setzen mld allda aufzuführen, die hohe Ehre hatte.

Anno. 1740. den 24WN Junii am Tage Johan­ nis des Täuffers, als am Jubelgedachniß Tage der vor 300 Jahren erfundenen Buchdruckerkunst setzte ich die Kirchenmusik zu St. Elisabeth, wie auch die erste Serenate, welche in der Baumanns schen Erbe» Druckerey bey Tit. plen. Herrn Sa­ muel Graß Medicin« Docwri und Practico hresi8 er Stadt Breßlau wohl verordneten Physico, wie

auch

364

ix. Lehensläuffe; Aeade-

auch Kayserl. Leopoldisth - Carolinischen mico Naturs-Curiofo zur allgemeinen Freude bey ansehnlicher Versammlung aufgeführet wurde. Der jetzt m Berlin befindliche sehr belobte. Herr Advocat Krause, damahliger Choralis Elifabetanus componirte die zweyte, welche zwey Tage darauf als den 26. dieses, dem Vornehmen Hanse von dessen Kunstverwandten gebracht wurde. Anno. 1744. den 17. Jnnii verheyrakhete ich Meine einige Tochter an den habilen Componisten und Clavierspieler, damahligen Unterorganisten an der ersten Hauptkirche zu St. Eltsabet Herrn Geor­ ge Sigismund Gebe!, des hiesigen sehr geschickten und berühmten Componisten, damahligen Canloris und Organisten bey St. Christoph Herrn George GebelS zweyten Sohn; welcher aber Ann» 1748. am Tage Michaelis in die Hospitalkirche zur St. Dreyfaltigleit und als 17/9. den 8. Marin der bisherige Oberorgamst zu St. Elisabeth alhier seinen ohnvermuthcte» Absch-.d nährn, am heiligen Pfingstft'I an dessen Stelle versetzt wurde, wor­ auf der alte kranckliche Vater dein Sohne in obbemcldter Hospitalkirche im Amte folgte. Noch ul diesem Jahre den 25. Dec. als am er­ sten heiligen Weynachtfeyertage starb mir zu meinem grösten Leidwesen mein letzter Hofnungsvoller Sohn. Anno 1*52. den 25. Sept, als die Evangelische Frredcnskirche vor Schweidnitz ihre öffentliche Freu­ de über ihre bisher frcyerhaltene 100 jährige Reli­ gionsübung durch eine öffentliche Festfeyer bezeugte, hatte ich dre Ehre und das Vergnügen, nach der schölten Poesie des dasigen berühmten Herrn Prorcctoris Lairghausens sowohl das deutsche sehr starke Concert, als auch das Sanctus und Domino zu setzen. Da nun bey meiner jetzigen Bedientmg zu St. Maria-Magdalena wöchentlich zwey - bis dreymal Musiken aufzuführen sind, wozu lediglich der Or­ ganist

Scherzlied vom Herrn UH rc. 365 Hanist die Musikalien zu besorgen und das Director rtum zu führen hat; so setze ich mir solche nach der Starke und Schwache meiner Adjuvanten meistens selber, und so bringe ich neben meinen Antsverrichtungen mit beständigem Jnfornnren und Componi« r?n meine Zeit so zu, daß sie mir niemals zu lang, sondern sehr öfters viel zu kurz wird. Hoffe auch unter Gottes Gnade meine Lebensart beständig, wofern dessen allweise Versehung nicht ein anders über mich beschlossen hat, also fortzufttzev, bis mich dessen Erbarmen davon, and zu einem andern Le­ ben abruffen wird.

X.

Scherzlied vom Herrn Utz, romponirt vom Herrn Lapellmeister Graun.

Wer Frühling wird^nun bald entweichen, - £ie Sonne färbt sein Angesicht, Er sclmrachket unter welken Strauchen, Und findet seinen Zephyr mcht. Er hinterläßt.uns, da er fliehet, Den Ausbund seiner Lieblichkeit, Di: ?cose, die im Purpur blühet. Verherrlicht seine lezre Zeit.

Du Äose, sollst mein Haupt umkränzen, Dich lieben Venus und -u;v Sohn, Kaum fth ich dreh im Buftde glanzen) So wallt mein Blut, so brenn ich schon.^ Ich fühl ein jugendlich Verlangen, Ein blähend Mädchen hier zu sehen, Um dessen Roftnvollen Wangen, Die jungen Weste süsser wehn.

Scherzlied vom Herrn UH rc. 365 Hanist die Musikalien zu besorgen und das Director rtum zu führen hat; so setze ich mir solche nach der Starke und Schwache meiner Adjuvanten meistens selber, und so bringe ich neben meinen Antsverrichtungen mit beständigem Jnfornnren und Componi« r?n meine Zeit so zu, daß sie mir niemals zu lang, sondern sehr öfters viel zu kurz wird. Hoffe auch unter Gottes Gnade meine Lebensart beständig, wofern dessen allweise Versehung nicht ein anders über mich beschlossen hat, also fortzufttzev, bis mich dessen Erbarmen davon, and zu einem andern Le­ ben abruffen wird.

X.

Scherzlied vom Herrn Utz, romponirt vom Herrn Lapellmeister Graun.

Wer Frühling wird^nun bald entweichen, - £ie Sonne färbt sein Angesicht, Er sclmrachket unter welken Strauchen, Und findet seinen Zephyr mcht. Er hinterläßt.uns, da er fliehet, Den Ausbund seiner Lieblichkeit, Di: ?cose, die im Purpur blühet. Verherrlicht seine lezre Zeit.

Du Äose, sollst mein Haupt umkränzen, Dich lieben Venus und -u;v Sohn, Kaum fth ich dreh im Buftde glanzen) So wallt mein Blut, so brenn ich schon.^ Ich fühl ein jugendlich Verlangen, Ein blähend Mädchen hier zu sehen, Um dessen Roftnvollen Wangen, Die jungen Weste süsser wehn.

Historisch - Kritische Beyträge

zur

Aufnahme der Musik von

Friedrich Wilhelm Marpurg.

I. Band. Fünftes Stück.

Berlin, in Verlag Ioh. Jacob Schützens sel. Wittwe. 17 5 5-

Inhalt des fünften Stückes. I. Entwurf einer ausführlichen Nachricht von der Musikübendei» Gesellschaft zu Berlin. II. Beantwortung der in des Herrn Capellmeisiers Scheibe historisch-critischen Vorrede zu seiner ohnlangst vo»r ihm'Herallsgegebenen Abhand­ lung von dem Ursprung und Älter der Musik §.9. befindlichen Anmerkung, über F. W. Riedts Versuch über die musikalischen Intervallen von dem Verfasser des Versuches. III. kebenslauffe verschiedener lebenden Tonkünstler. IV. Nachricht von der Hochfürstl. Bischöflichen Ca­ pelle zu Breßlau. V. Die Capelle Sr. Excellenz, des Großfeldherm Grafen von Branicki in Pohlen. VI. Nachricht von verschiedenen berühmten französi­ schen Organisten lind Clavieristen »Higer Zeit. VII. Nachricht von verschiednen berühmten Violini­ sten und Flotenisten itziger Zeit zu Paris. VIII. Verschiedne Neuigkeiten,

I. Ent-

Entwurf einer ausführlichen Nachricht von der

Musikübenden Gesellschaft zu Berlin. ES hat mir solchen der Sekretär derselben, der Herr Geheime Registrator Wolf, dessen geschickter Feder wir die im Voßischen Verlage 1752. hieselbst heraus gekommene Übersetzung der Rede des Herrn Gressct, von der Harmonie, zu danken haben, gemein zu machen beliebet.

(a) Einleitung. ie preißwürdige Sorgfalt, welche

Seine

iss regierende Königlich« Majestät m Preussen, seit dem Antritt Dero glor­ reichen Regierung, zum Wachsthum und Aufnahme der Wissenschaften und Künste, in Dero sämtlichen Staaten überhaupt anzuwenden geruhet haben, hat sich insbesondere auch, auf die Wiederherstellung der daselbst vorhero fast gänzlich tn Verfall gerathenen Tonkunst erstrecket.

I. Band.

Bb

Die

386

I. Nachricht von der Die gleich anfänglich vorgenommene Errich­

tung , oder vielmehr ansehnliche Verstärkung Dero Hofcapelle, worunter sich noch bis iho, die be­ rühmtesten und vortreflichsten Tonmeister befinden,

war nicht allein ein überzeugendes Merkmahl von der ungemeinen Begierde, womit Se. Königs. Majestät die Aufnahme dieser reizenden Kunst

befördert wissen wolten; sondern sie ist auch in der That das einzige Mittel gewesen, wodurch diesel­

be nunmehro zu demjenigen Flor gelanget ist , mit welchem sie aniho so vorzüglich pranget. Insbesondere aber ist unser Berlin so glük-

lich,'

die

Reizungen

dieser

angenehmen

Wissenschaft auf die vollkommenste ^Art zu geniessen. Denn, ausser dem Vergnügen, zum

oftern die vortresiichste Musik anhören zu können,

hat ein jeder Liebhaber derselben, die vorthcilhafteste Gelegenheit, den lehrreichsten Unterricht darinn, von den geschicktesten hiesigen Meistern

erhalten zu können. Auch hat sich der Geschmack an dieser edlen Kunst, seit einiger Zeit hieselöst dergestalt ausge­ breitet, daß solche bey den mehresten, den vor­ züglichsten Gegenstand unter allen Arten von Er­ gehungen ausmachet, und daher werden nicht al­ lein in vielen ansehnlichen und Privathausern zum oftern Concerte gehaltet; sondern es haben sich auch seit einiger Zeit verschiedene ordentliche Gesellscha^en hervorgethan, welche lediglich in Ab­ sicht aus die Beförderung der Tonkunst derglei­

chen wöchentlich alhier anstellen, und dadurch eben -

Musikübenden Gesellsch. zu Berlin. 387 fals zur Aufnahme dieser angenehmen Wissen­ schaft das Ihrige beyzutragen bemühet sind.

Unter diese leztern gehöret ins besondere die­

jenige, welche seit dem lösten Jahre, allhier,

YThifitubenbcn (BtfcU#

unter dem Nahmen fctr schäft bekannt geworden ist.

Die übrigen musikalischen Gesellschastm, die annoch besonders bemerket zu werden verdienen, sind nach dem Alter ihrer Stiftung (i) die Aka­ demie, welche sich alle Freytagr bey dem Kö­ niglichen Kammermusikus Herrn Janirsch ver­ sammelt, und in dessen im zweyten Stücke die­ ser Beytrage befindlichen Leben man hievon meh­ rere Nachricht findet. 2) Die Assemblee, wel­ che sich alle Montage bey dem König!. Kammermusikus Hrn. Schale versammelt. Das Concert, welches alle Sonnabend bey dem König!- Kammermusikus und HofcomponistM Herrn Agricola gehalten, und worinnen nicht allein Instrumental- sondern auch Docalmusik aufgefuhret wird.

3)

(ß) Von Errichtung der Musik­ übenden Gesellschaft. Die Gelegenheit zur Errichtung dieser Gesell­ schaft, entstand aus der Zusammenkunft einiger guten Freunde und Musikliebhaber, welche sich

eine geraume Zeit vorher, wöchentlich in der Woh­ nung des nunmehro seit einiger Zeit bey der Schloß-und Dvmkirche zum Organisten bestell­ ten Herrn Sacke, versammlet, und sich daselbst,

Bb s

bey

388

I. Nachricht von der

bey müßigen Stunden, mit Aufführung musika­ lischer Stücke geübet hatten. Wie nun gedachter Herr Sack die erforderlichen Kosten zu diesen Zu­ sammenkünften, bishero nur allein hergeschossen hatte, e6 gleichwohl aber billig war, daß diejeni­ gen, welche an diesen ErgeHungen Theil nahmen, auch zu den nöthigen Unkosten daö Ihrige beytrü­ gen; so thaten der Geh Registrator Herr VOslfs und der Königl. Ober-Rechen-Kammer-Sekre­ tär, Herr Rembeck, welche sich unter andern biehero fast beständig Mit dabey eingefunden hatten, zu allererst Pen Vorschlag, daß sie ebenfals ihren Theil der Kosten zu Fortsetzung dieser Zu­ sammenkünfte übernehmen wollen: Und wie man nicht zweiffelle, daß sich noch mehrere Personen finden dürften, welche ein gleiches zu thun, sich ebenfals willigst bequemen würden; so wurde die­ ses als ein Mittel angesehen, hieraus eine ordent­ liche Gesellschaft zu Stande bringen zu können. Und kaum hatten auch, der damahlige Prorettor beym hiesigen Friedrichswerderschen Gymnasio, Herr Loch ins, ingleichen, der Königliche Kam­ mermusikus Herr Riedt, und der Geheime Se, kretar, Herr Brntjert, hievon Nachricht bekom­ men , als dieselben diesen Vorschlag ebenfals nicht allein vollkommen billig fanden, sondern sich auch sogleich erklärten, dieser zu errichtenden Gesellschaft, mit Vergnügen, als Mitglieder beyzutreten.

(y) Von

Musikübe-den GkfeUsch.zu Berlin. 389